Tod eines Kulturguts, Verzerrte Welt, Reporter und Wirbelstürme

1. Tod eines Kulturguts
(taz.de, Georg Seeßlen)
Georg Seeßlen argumentiert in seiner Kolumne, dass das Verschwinden gedruckter Zeitungen nicht nur ein einfacher Medienwechsel sei, sondern einen tiefgreifenden Wandel in der Art und Weise bedeute, wie Nachrichten in der Demokratie funktionierten. Zeitungen seien mehr als bloße Informationsquellen; sie hätten den öffentlichen Raum geprägt, den Dialog zwischen Regierung und Gesellschaft beeinflusst und eine gewisse Form von Macht und Teilhabe symbolisiert. Mit ihrem Sterben würden nicht nur nostalgische Rituale verloren gehen, sondern auch eine spezifische Kulturtechnik.

2. Was haben Reporter und Wirbelstürme gemeinsam? – Sie rasen nicht.
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Stefan Niggemeier kritisiert bei “Übermedien” die häufige journalistische Formulierung, dass Wirbelstürme auf die Küsten “zurasen”, obwohl sie sich in Wirklichkeit trotz ihrer hohen Windgeschwindigkeiten langsam fortbewegen. Niggemeier weist darauf hin, dass die tatsächliche Geschwindigkeit eines Hurrikans oft kaum die eines Fahrradfahrers übersteigt, was allerdings die Gefahr der anhaltenden Verwüstung nicht schmälere.

3. Verzerrte Welt: Wie sich unbewusste Denkfehler in der Berichterstattung vermeiden lassen
(fachjournalist.de, Kathrin Boehme)
Kathrin Boehme beschreibt, wie kognitive Verzerrungen wie der Bestätigungsfehler, die Verfügbarkeitsheuristik und der Negativitätsbias die journalistische Berichterstattung unbewusst beeinflussen können. Diese Denkfehler würden dazu führen, dass bestimmte Informationen überbetont und andere ignoriert würden. Boehme empfiehlt Strategien wie das gezielte Hinterfragen eigener Annahmen und die Berücksichtigung unterschiedlicher Perspektiven, um zu einer ausgewogeneren und faireren Berichterstattung zu gelangen.

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4. Telegram liefert Daten an Ermittler
(tagesschau.de, Manuel Bewarder & Florian Flade)
Der Messagingdienst Telegram, der sich bisher geweigert hatte, mit deutschen Ermittlungsbehörden zusammenzuarbeiten, habe nun damit begonnen, behördliche Anfragen nach IP-Adressen und Telefonnummern von Nutzerinnen und Nutzern zu beantworten, insbesondere in akuten Gefahrensituationen. Dies könnte mit der Verhaftung des Telegram-Gründers Pawel Durow in Frankreich zusammenhängen, der nach Zahlung einer Kaution wieder frei sei, sich nun regelmäßig bei der französischen Polizei melden und eine mögliche Haftstrafe fürchten müsse.

5. US-Regierung droht Google mit Zerschlagung
(spiegel.de)
Die US-Regierung erwäge, Google im Rahmen eines laufenden Wettbewerbsverfahrens aufzuspalten, um das mutmaßliche Monopol des Unternehmens im Suchmaschinenmarkt zu begrenzen. In Gerichtsunterlagen spreche das US-Justizministerium von möglichen “strukturellen Maßnahmen”, die eine erzwungene Aufteilung von Google betreffen könnten. Eine Entscheidung darüber solle bis zum 20. November getroffen werden. Google plane, dagegen Berufung einzulegen, und bezeichne eine Zerschlagung als “radikale” Maßnahme.

6. Führungsfrauen in den Medien – Wie Care-Arbeit und fehlende Förderung den Weg nach oben erschweren
(pro-quote.de)
Eine neue Studie des Vereins ProQuote Medien (PDF) komme zu dem Ergebnis, dass trotz eines steigenden Frauenanteils im Journalismus nach wie vor Männer die Führungspositionen deutscher Redaktionen dominieren. Die Untersuchung zeige, dass journalistische Karrieren von Frauen oft durch Care-Arbeit und mangelnde Förderung behindert werden, während Männer häufig in den entscheidenden Jahren ihrer Karriere Führungspositionen besetzen können.

ÖRR-Reform, Medien über Migration, Schwierige Neuanfänge

1. Bitte mehr kürzen!
(taz.de, Ann-Kathrin Leclère)
In ihrem Essay in der “taz” fordert Ann-Kathrin Leclère mutige Reformen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, um im digitalen Zeitalter relevant zu bleiben. Sie plädiert für eine Zusammenlegung von 3sat und Arte, um Ressourcen zu sparen und eine modernere Ausrichtung zu ermöglichen. Dabei betont sie, dass Reformen nicht bedeuten dürfen, Inhalte oder Arbeitsplätze zu opfern.

2. Anhörung zur ÖRR-Reform: Das sagen Verbände und Sender
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Timo Niemeier fasst die Stimmen zur öffentlichen Anhörung zur Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zusammen. Es gebe sowohl Lob als auch Kritik aus der Branche. Verbände wie der VAUNET und der BDZV würden die geplanten Kürzungen und eine stärkere Fokussierung auf das Programm begrüßen, aber die aus ihrer Sicht unklare Umsetzung kritisieren und weitere Einschränkungen für die Onlineaktivitäten der Sender fordern.

3. Wie Medien über Migration berichten
(deutschlandfunk.de, Fanny Buschert, Audio: 43:33 Minuten)
Im Deutschlandfunk (DLF) kommen regelmäßig Hörerinnen und Hörer zu Wort. Manchmal liefern sie sogar die Idee für eine ganze Sendung und tauschen sich darin mit Expertinnen und Experten aus. In dieser Folge des Podcasts “Nach Redaktionsschluss” geht es um die Berichterstattung über Migration. Mit Moderatorin Fanny Buschert diskutieren DLF-Hörer Michael Philips, Michael Watzke, DLF-Korrespondent für Bayern, und der Kommunikationswissenschaftler Pablo Jost.

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4. Schwierige Neuanfänge für Exiljournalisten
(verdi.de, Ulrike Wagener)
Journalistinnen und Journalisten im Exil hätten es schwer, in der deutschen Medienlandschaft Fuß zu fassen. Viele Medienschaffende hätten auch im Exil mit Bedrohungen und fehlenden Arbeitsmöglichkeiten zu kämpfen. Zudem würden sprachliche und berufliche Hürden, Sicherheitsrisiken und struktureller Rassismus ihre Lage erschweren, berichtet Ulrike Wagener.

5. Wie reaktionär ist Stefan Raab, Anja Rützel?
(laeuft-programmschau.podigee.io, Alexander Matzkeit, Audio: 24:56 Minuten)
Alexander Matzkeit spricht im Podcast “Läuft” mit der Fernsehkritikerin und Trash-Edelfeder Anja Rützel über das Comeback von Stefan Raab. Es geht um Raabs neues Fernsehformat bei RTL+, um Fernsehen im Influencer-Zeitalter und um die Frage,ob Raab reaktionär ist.

6. YouTube sperrt offenbar Kanal von Kayvan Soufi-Siavash
(spiegel.de)
Wie der “Spiegel” unter Berufung auf einen (lesenswerten) Artikel bei t-online.de berichtet, habe Youtube offenbar den neuen Kanal von Kayvan Soufi-Siavash, besser bekannt als Ken Jebsen, gesperrt. Soufi-Siavash habe versucht, die Sperrung seines alten Kanals zu umgehen, was gegen die Richtlinien von Youtube verstoße. Zudem sollen seine Aktivitäten hinter einem undurchsichtigen Geflecht von Briefkastenfirmen verborgen gewesen sein, was zu seiner kurzen Rückkehr auf die Plattform geführt haben könnte.

“Bild am Sonntag” ändert Unfallhergang

Am 20. September kam es auf einer Landstraße in Niedersachsen zu einem Unfall zwischen einer Autofahrerin und einem Motorradfahrer. Der Mann verletzte sich dabei so schwer, dass er später an den Unfallfolgen starb.

Vorgestern berichteten die “Bild”-Medien über den Fall und über die Familie, die der Motorradfahrer hinterlässt. Bei Bild.de auf der Startseite:

Screenshot Bild.de - Sechs Kinder weinen um ihren Papa - Fahrlehrer Juri (34) stirbt bei Motorrad-Unfall

Und groß in “Bild am Sonntag”:

Ausriss Bild am Sonntag - Helena (39) steht jetzt mit sechs Kindern alleine da
(Die “Bild”-Redaktion hat das Foto der Familie unverpixelt veröffentlicht und scheint auch eine entsprechende Erlaubnis zu haben. Wir haben für die Veröffentlichung hier bei uns eine Unkenntlichmachung hinzugefügt.)

Zum Unfallhergang schrieben die beiden Autorinnen:

So vielen Menschen hatte Juri, der Fahrlehrer, beigebracht, am Steuer alles richtig zu machen. Die 29-jährige Frau auf der Landstraße bei Kirchlinteln (Niedersachsen) macht an diesem 20. September alles falsch, als sie das Steuer nach links reißt, um abzubiegen. Sie achtet nicht auf Juri, der ihr entgegenkommt.

Das ist ein heftiger Vorwurf an die 29-jährige Autofahrerin, erst recht im Zusammenhang mit dem sehr emotionalen Bericht der “Bild”-Medien. Dieser Vorwurf deckt sich allerdings kaum mit den Informationen, die die zuständige Polizeiinspektion zu dem Unfall veröffentlicht hat. Die schrieb am 21. September:

Nach bisherigen Erkenntnissen fuhr eine 29-jährige Fahrerin aus Kirchlinteln mit ihrem VW auf der Verdener Straße in Richtung Südkampen und stand in Höhe der Einmündung zur Neddener Straße hinter weiteren Fahrzeugen, um anschließend nach links abzubiegen. Von hinten näherte sich der 34-Jährige aus Verden auf seinem Motorrad und setzte zum Überholen an, als die 29-Jährige mit ihrem Fahrzeug nach links abbog.

Laut Polizei kam der Motorradfahrer der Frau also gar nicht entgegen, als sie links abbog, sondern überholte sie von hinten.

Die “Bild”-Redaktion hat ihren Artikel bei Bild.de inzwischen geändert. Dort steht nun:

So vielen Menschen hatte Juri, der Fahrlehrer, beigebracht, am Steuer alles richtigzumachen. Doch an diesem 21. September läuft etwas schrecklich falsch, als er auf einer Landstraße bei Kirchlinteln (Niedersachsen) in den Wagen einer abbiegenden 29-Jährigen kracht.

Einen Hinweis darauf, dass die Beschreibung des Unfallhergangs von der Redaktion verändert wurde, gibt es nicht.

Mit Dank an Eva für den Hinweis!

“Radfahrerin erfasst”, Kampf gegen Deepfakes, Bombendrohung

1. Kampf gegen Deepfakes
(journalist.de, Sonja Peteranderl)
“Welche Folgen haben KI-Politiker*innen oder Robocalls mit KI-Stimmen – und wie gehen soziale Netzwerke mit Deepfakes um?” Sonja Peteranderl thematisiert die zunehmende Gefahr von Deepfakes, besonders in politischen Kontexten, und die Frage, wie sie zur Desinformation und Manipulation von Wahlen genutzt werden können.

2. Warum wir nie wieder etwas von “Radfahrerin erfasst” lesen wollen!
(berlin.adfc.de)
Der Sozialwissenschaftler Dirk von Schneidemesser beschäftigt sich beim Potsdamer Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit mit der Verkehrswende und bringe bald einen Leitfaden zur Berichterstattung über Verkehrsgewalt heraus. Im Gespräch mit dem ADFC Berlin erklärt er, “warum Sprache in Polizeimeldungen und Artikeln die Wahrnehmung von Unfällen beeinflusst und dadurch Maßnahmen für mehr Verkehrssicherheit verhindert werden.”

3. Im Wilden Westen nichts Neues
(lto.de, Lucas Brost)
Rechtsanwalt Lucas Brost kritisiert in seinem Gastbeitrag für “Legal Tribune Online”, dass der Digital Services Act (DSA) zwar klare Regeln für den Umgang mit schädlichen Online-Inhalten aufstelle, in der Praxis aber zu langsam greife. Er fordert Nachbesserungen wie konkrete Fristen für Plattformen und eine schnellere Rechtsdurchsetzung, um den DSA effektiver zu machen.

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4. Uigurischer Journalist im Exil verfolgt
(reporter-ohne-grenzen.de)
Die Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) berichtet, dass der uigurische Journalist Kasim Abdurehim Kashgar, der im Exil in den USA lebt, weiterhin vom chinesischen Regime verfolgt werde. Nachdem er sich geweigert habe, seine Berichterstattung über die Unterdrückung der Uiguren einzustellen, seien mindestens zwölf seiner Bekannten in China verhaftet und verhört worden. ROG kritisiert diese transnationale Repression und fordert einen besseren Schutz für Exiljournalisten und -journalistinnen.

5. Wer sind die Journalistinnen und Journalisten des Jahres 2024?
(mediummagazin.de)
Das “medium magazin” sucht zum 21. Mal die besten Journalistinnen und Journalisten Deutschlands und ruft zur Nominierung auf. Dies betrifft hauptberufliche Medienschaffende, die im Zeitraum vom 1. November 2023 bis 1. November 2024 herausragende Leistungen erbracht haben. Die Ergebnisse der Wahl werden im kommenden Dezember veröffentlicht. Nominierungen sind bis zum 15. November möglich.

6. MDR-Landesfunkhaus wegen Bombendrohung geräumt
(mdr.de)
Wie der MDR berichtet, wurde das Landesfunkhaus in Sachsen-Anhalt am Samstagnachmittag wegen einer Bombendrohung geräumt. Die Polizei habe den Bereich abgesperrt und nach etwa zwei Stunden Entwarnung gegeben. Bombendrohungen könnten strafrechtlich mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden, zudem würden den Tätern hohe Kosten für den Polizeieinsatz drohen.

Schlecht hören, gut schleichen

Thomas Gottschalk hat wirklich Glück. Er bekomme …

nun ein Super-Hörgerät von Geers, das KI-gestützt ist und 4500 Euro kostet.

Das berichtete Chefreporter Stephan Kürthy am vergangenen Mittwoch in der gedruckten “Bild”. Und auch bei Bild.de schreibt Kürthy über die tolle Hilfe, die das Unternehmen Geers Gottschalk biete:

Der Entertainer hat kein Problem damit, diese Hilfe auch anzunehmen. Am Dienstag bekam er in München bei Geers World of Hearing den Prototypen der Zukunft angepasst und erklärt: den KI-gestützten Phonak Audeo Sphere Infinio (Kosten ab 4000 Euro).

Thomas Gottschalk hat wirklich Glück. Er ist rein zufällig auch das offizielle Werbegesicht des Hörgeräteherstellers Geers und dürfte dafür eine ordentliche Stange Geld bekommen.

Und dann hat Thomas Gottschalk noch einmal wirklich Glück: Dass die “Bild”-Redaktion kein Problem damit hat, diese Schleichwerbung als ganz normalen Artikel zu veröffentlichen, ohne “Anzeige” darüber zu schreiben und ohne irgendeinen Hinweis auf Gottschalks Werbetätigkeit für Geers. Stattdessen tarnt sie das Ganze als Beziehungsschmonzette:

Screenshot Bild.de - Thomas Gottschalk über sein Ohr-Problem - Ich höre immer auf Karina

Thomas Gottschalk (74) und seine Frau Karina (62) haben ein kleines Streitthema: die Fernseh-Lautstärke im gemeinsamen Schlafzimmer.

Hach, diese herrlich normalen Gottschalks.

Die Nummer erinnert uns an etwas: Erst im März dieses Jahres bekam die “Bild”-Redaktion vom Deutschen Presserat eine Rüge für einen Artikel mit der Überschrift “So kloppe ich meine Kilos weg!” In dem Beitrag ging es um “die FETT-WEG-TIPPS” von Fußballtrainer Jürgen Klopp:

Der Star-Trainer selbst nutzt ein Peloton-Bike, bei dem digital an voraufgezeichneten sowie Live-Kursen teilgenommen werden kann, die von Trainern angeleitet werden.

Dass Klopp zu dieser Zeit auch Peloton-Werbebotschafter war, hat die “Bild”-Redaktion im Artikel nicht erwähnt. Der Presserat wertete die Veröffentlichung als Schleichwerbung.

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Verschwiegener Geldgeber, “Bild” macht arm, Reformstaatsvertrag

1. Die Millionen des verschwiegenen Geldgebers
(t-online.de, Lars Wienand & Jonas Mueller-Töwe)
Bei t-online.de berichten Lars Wienand und Jonas Mueller-Töwe, dass Ex-“Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt mit seinem politischen Krawallportal “Nius” offenbar in den Fernsehmarkt einsteigen will. Sowohl bei diesem Vorhaben als auch ganz generell sei das Projekt stark vom Investor Frank Gotthardt abhängig. Gotthardt, in der Berichterstattung stets als Milliardär geführt, dessen Vermögen in den vergangenen Monaten allerdings um 900 Millionen Euro geschrumpft sein soll, habe bereits Millionen in “Nius” gesteckt. Seine anderen, eher regionalen Medienprojekte führen allerdings Verluste ein, und Gotthardt verliere das Interesse an ihnen. Es wird spekuliert, dass “Nius” ein ähnliches Schicksal drohe, sollte das Projekt ein Zuschussgeschäft bleiben.

2. BILD Lesen macht arm – Wärmepumpe wird am günstigsten
(volksverpetzer.de, Philip Kreißel)
Philip Kreißel kritisiert in seinem Artikel beim “Volksverpetzer” die Fehlinformation von Medien wie “Bild” und “Welt” über das Heizen mit Wärmepumpen. Er zeigt auf, dass die Wärmepumpe langfristig die günstigste und effizienteste Heizmöglichkeit sei, und weist darauf hin, dass die Strompreise durch den Ausbau der erneuerbaren Energien gesunken seien. Gas werde durch geopolitische Entwicklungen und den Emissionshandel hingegen teurer. Die oft durch Beiträge großer Medienkonzerne beeinflusste Entscheidung für fossile Heizmethoden sei finanziell unklug.

3. Reformstaatsvertrag: was sich bei ARD und ZDF ändern soll
(br.de, Jonathan Schulenburg, Audio: 20:57 Minuten)
Bei “BR24 Medien” sprechen Heike Raab, Staatssekretärin und Koordinatorin der Rundfunkkommission, Hubert Krech, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse, und Gudrun Riedl, Redaktionsleiterin von BR24, über die Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Hauptthemen sind die zukünftige Finanzierung, mögliche Streichungen von Radio- und TV-Spartensendern sowie die Fokussierung auf digitale Video- und Audioinhalte statt Text. Außerdem wird über eine gemeinsame technische Plattform diskutiert, auf der die Inhalte von ARD, ZDF und möglicherweise auch privaten Anbietern gebündelt werden könnten.

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4. Schmitz-Portrait: Griff nach den Sternen
(clap-club.de, Bijan Peymani)
“Clap”-Reporter Bijan Peymani schreibt über Gregor Peter Schmitz, Chefredakteur des “Stern”, und dessen ehrgeizige Aufgabe, das Magazin mit Unterstützung von RTL neu zu positionieren und ein digitales Geschäftsmodell zu etablieren. Schmitz betont, dass er für dieses Vorhaben ein Maximum an Ressourcen und Freiheiten zur Verfügung habe, doch trotz der finanziellen Unterstützung bleibe das Projekt herausfordernd: “Das ist echt anspruchsvoll, und ja, wir sind spät dran.”

5. EuGH verlangt von Facebook Verfallsdatum für Werbedaten
(spiegel.de)
Der Europäische Gerichtshof habe entschieden, dass Facebook personenbezogene Daten nicht unbegrenzt und unterschiedslos für Werbezwecke speichern dürfe. Vorausgegangen war eine Klage des Datenschutzaktivisten Max Schrems, der kritisiert habe, dass Facebook aus seinen Daten Rückschlüsse auf seine sexuelle Orientierung ziehe. Das Urteil könne weitreichende Auswirkungen auf die gesamte Online-Werbebranche haben, da es alle Unternehmen betreffe, die ähnliche Datenpraktiken anwenden.

6. Inszenierung mit gefährlichen Nebenwirkungen
(netzpolitik.org, Vincent Först)
Vincent Först beschreibt, wie politische Videos auf TikTok Politikerinnen und Politiker als starke Symbolfiguren inszenieren, oft auf Kosten der Inhalte und mit gefährlichen Botschaften. Diese stark emotionalisierenden Videos würden durch gezielte Schnitttechniken und Musik dramatische Effekte erzeugen, populistische Botschaften verbreiten und dabei Millionen von Klicks generieren.

KW 40/24: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Wochenendausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. Es ist kompliziert … – Der Osten in den Medien
(ardmediathek.de, Tino Böttcher, Video: 1:29:53 Stunden)
Die MDR-Doku untersucht, wie die Berichterstattung über den Osten Deutschlands in den vergangenen drei Jahrzehnten geprägt wurde, und welche Klischees dabei entstanden sind. Anhand prominenter Mediengeschichten wird gezeigt, wie diese Bilder das heutige Bild der Ostdeutschen prägen, die häufig als ältere, widerständige Menschen in problematischen Milieus dargestellt würden. Expertinnen und Experten sowie KI-Analysen beleuchten, wie sich diese Zuschreibungen entwickelt haben und wie sie bis heute wirken.
Weiterer Hörtipp: Berichte aus einem fernen Land? Wie Medien auf den Osten Deutschlands schauen (sr.de, Florian Mayer & Michael Meyer, Audio: 15:44 Minuten).

2. Wie der Like-Button das Internet zerstört
(youtube.com, Sascha Pallenberg, Video: 18:07 Minuten)
Sascha Pallenberg zeigt sich in seinem Vortrag auf der DMEXCO, einer Fachmesse für digitales Marketing, überzeugt: “Der Like-Button ist die Wurzel allen Übels und anstatt, dass diese Form der Anerkennung uns näher bringt, entzweit sie unsere Gesellschaften wie keine andere Technologie zuvor. Diese Gier nach Bestätigung durch Likes, nach ‘du siehst so toll aus’, hat uns nicht nur zehntausende ‘die Welt ist rosarot’-Konten beschert, sondern vor allen Dingen auch eine Verrohung unserer Diskussionskultur!”

3. Was die AfD auf Social Media erfolgreich macht
(youtube.com, Johannes Korsche, Audio: 23:16 Minuten)
Die Wahlerfolge der AfD werden häufig mit ihrer starken Präsenz in Sozialen Netzwerken in Verbindung gebracht. “Warum hat die AfD auf diesen Plattformen so einen Vorteil – und was macht politische Kommunikation im Internet erfolgreich?” Darüber spricht die Kommunikationsberaterin Carline Mohr in dieser Folge des “SZ”-Podcasts “Auf den Punkt”.

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4. Lokale Medienberichterstattung in der Zukunft
(youtube.com, Alex Berlin, Video: 28:04 Minuten)
Auf dem Lokaljournalismus-Kongress der ostdeutschen Landesmedienanstalten wurde über die Zukunft der regionalen Berichterstattung diskutiert: Wie kann zukünftig eine mediale Vielfalt im Lokalen gesichert werden? Welche Ideen und Projekte gibt es, lokale Medien nachhaltig zu stärken? Darüber diskutierten Jochen Fasco (Direktor der Thüringer Landesmedienanstalt), Eva Flecken (Direktorin der Medienanstalt Berlin-Brandenburg), Tobias Krohn (Leiter Unternehmensentwicklung Schwäbischer Verlag) und Frank Überall (Chefreporter bei “KiVVON”).

5. Ein Wahlkampf im Rabbithole (mit Nilz Bokelberg)
(hakendran.podigee.io, Gavin Karlmeier, Audio: 1:01:39 Stunden)
Ist Rechtsradikalismus häufig auch nur ein Geschäftsmodell? Wie viel Entertainment passt in eine große Wahl? Was sind “Trusted Flagger”? Wie hoch mag der Restwert von X (vormals Twitter) sein? Und macht Flickr jetzt ernst? Darüber und vieles Weitere spricht Gavin Karlmeier bei “Haken dran” mit seinem Gast Nilz Bokelberg.

6. Rappelvoll auf dem Oktoberfest
(youtube.com, Sebastian Puffpaff, Video: 9:59 Minuten)
“In München herrscht dank des Oktoberfests nach wie vor Ausnahmezustand. Der (Voll-)Rausch geht auch an vermeintlich unschuldigen Reportern nicht spurlos vorbei.” Ein erheiternder “TV-total”-Zusammenschnitt fremdschämbehafteter Momente.
Und apropos erheiternder Zusammenschnitt: Für “Übermedien” hat Boris Rosenkranz sich die Oktoberfest-Berichterstattung des Bayrischen Rundfunks angeschaut: Baggern, Bechern, Blasmusik (uebermedien.de, Video: 2:11 Minuten).

Lifestyle Faschismus, Campact vs. “Nius”, Interview? Nein, danke!

1. “Faschismus ist heute Lifestyle”
(taz.de, Katrin Tominski)
Die “taz” hat mit Simon Strick gesprochen, der zu digitalem Faschismus forscht. Der Medienwissenschaftler stellt nüchtern fest: “Die Neue Rechte ist seit Langem keine Subkultur mit Glatze und Spingerstiefeln mehr. Sie ist eine leicht erreichbare Mediensphäre, die den klassischen Öffentlichkeiten Konkurrenz macht. Neofaschismus ist heute Lifestyle, Gegenkultur und Parallelöffentlichkeit. Er greift nicht als totalitäre Struktur von oben, im Gegenteil: Er wird in sozialen Netzwerken von Influencern, Alternativmedien und NutzerInnen von unten gebildet.”

2. The Kids Are Alright
(mailchi.mp/krautreporter, Bent Freiwald)
“Die vergangenen beiden Tage waren ein Musterbeispiel an schlechter Berichterstattung über vermeintlich gewalttätige Kinder und Jugendliche. Das kann ich so nicht stehen lassen.” Bent Freiwald kritisiert in seinem Newsletter, dass viele Medien unkritisch eine dpa-Meldung übernommen hätten, die suggeriere, dass Gewalt und Mobbing unter Schülern und Schülerinnen zugenommen hätten, obwohl die zugrunde liegenden Daten auf subjektiven Einschätzungen von Lehrern und Lehrerinnen beruhen. Andere Zahlen würden zeigen, dass die Gewalt an Schulen im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie sogar abgenommen habe.

3. Interview? Nein, danke!
(fachjournalist.de, Gunter Becker)
Gunter Becker beschäftigt sich mit dem Phänomen, dass es für Medienschaffende immer schwieriger werde, Gesprächspartnerinnen und -partner zu finden. Er hat dazu die Erfahrungen von drei Journalistinnen zusammengefasst. Sein Fazit: “Journalist:innen müssen sich auf eine zunehmende Medienskepsis – teilweise Medienaggression – einstellen, nicht nur in regionalen Hotspots. Sie sollten Gesprächspartner:innen auf Augenhöhe gegenübertreten und sich die Zeit nehmen, ihre Position, ihr Vorhaben und ihre Arbeitsweise zu erklären.”

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4. Nius-Urteil: Erfolg für Campact
(campact.de)
Wie die Kampagnenorganisation Campact mitteilt, habe das Landgericht München I dem rechten Krawallportal “Nius” verboten, mehrere Falschbehauptungen über Campact zu verbreiten. Campact-Geschäftsführer Felix Kolb kommentiert: “Das Urteil bestärkt uns darin, uns gegen die Diffamierungen aus dem rechtsradikalen Umfeld zur Wehr zu setzen. So sehr Julian Reichelt, AfD und Co. auch versuchen, demokratische zivilgesellschaftliche Organisationen einzuschüchtern, werden wir nicht leiser.”

5. RSF startet Propaganda Monitor
(reporter-ohne-grenzen.de)
Die Organisation Reporter ohne Grenzen hat den “Propaganda Monitor” gestartet, um weltweit Propaganda unter dem Deckmantel des Journalismus aufzudecken und die Öffentlichkeit für Manipulationsstrategien autoritärer Regime zu sensibilisieren. Der Monitor biete investigative Recherchen, Analysen und Experteninterviews und wolle aufzeigen, wie Propaganda entsteht und wer davon profitiert.

6. 3sat und Arte zusammenlegen? “Da fehlt mir die Fantasie”
(dwdl.de, Uwe Mantel)
3sat-Koordinatorin Natalie Müller-Elmau könne sich die geplante Zusammenlegung von 3sat und Arte derzeit noch nicht vorstellen, wie sie in einem Interview mit dem Deutschlandfunk gesagt habe: “Mir fehlt noch so ein bisschen die Fantasie, wie das alles funktionieren soll. Ein Tag hat nur 24 Stunden und sowohl Arte als auch wir haben ausreichend Programm für 24 Stunden. Was dann wegfällt und wie das integriert werden soll, ist uns zum jetzigen Zeitpunkt nicht klar.”

Ist TikTok schuld?, Assange äußert sich erstmals, Instagram-Hassliebe

1. TikTok ist schuld, oder?
(netzpolitik.org, Carla Siepmann)
Derzeit fragen sich viele, warum die AfD gerade bei jungen Wählerinnen und Wählern so erfolgreich ist. Als Grund wird oft die massive Präsenz der Partei in den Sozialen Medien angegeben. Doch ist dem wirklich so? Carla Siepmann plädiert für Differenzierung: “Ja, es ist wichtig, dass demokratische Parteien ihre Social-Media-Präsenz verbessern, um mehr junge Menschen zu erreichen. Am Wichtigsten wäre jedoch, Politik für junge Menschen zu machen – eine Politik, die ihre Lebensrealitäten konkret verbessert und ihnen das Gefühl gibt, wahr- und ernstgenommen zu werden.”

2. Assange äußert sich erstmals öffentlich
(verdi.de)
Julian Assange hat erstmals öffentlich über seine Haftbedingungen und die Auswirkungen seiner Verfolgung auf die Menschenrechte gesprochen (Video). Vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarates kritisierte er die britische und US-amerikanische Justiz und forderte Journalistinnen und Journalisten auf, weiter für die Pressefreiheit zu kämpfen. Die dju-Bundesvorsitzende Tina Groll betont die Notwendigkeit einer juristischen Aufarbeitung des Falles, um das Assange widerfahrene Unrecht und die Einschränkung der Pressefreiheit zu thematisieren.

3. “Das mit Instagram und mir ist eine Hassliebe”
(journalist.de, Annkathrin Weis)
Beim “journalist” spricht die Journalistin und Moderatorin Helene Reiner über ihre Hassliebe zu Instagram. Sie reflektiert ihre Erfahrungen mit der preisgekrönten “News-WG”, die sie nach sechs Jahren verlässt, und betont die Herausforderungen, die der Social-Media-Journalismus heute durch Algorithmen und den Kampf um Aufmerksamkeit mit sich bringe.

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4. ORF-III-Chef weist Vorwürfe zurück, Schädlinge & Feuer
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Timo Niemeier berichtet in seinem “Austria-Update”, dass gegen ORF-III-Chef Peter Schöber schwere Vorwürfe, darunter Mobbing und Antisemitismus, erhoben wurden, Schöber diese aber entschieden zurückweise. Außerdem dabei: Kabelbrand bei Canal+, Schädlinge in der ORF-Kantine und “heute-show”-Einsatz bei der FPÖ. Insgesamt eine schöne Übersicht für alle, die sich einen kompakten Überblick über das derzeitige Mediengeschehen in Österreich wünschen.

5. Kritische Stimme in Haft
(taz.de, Sven Hansen)
Der kambodschanische Investigativjournalist Mech Dara, der für seine Enthüllungen über Internetkriminalität und Menschenhandel bekannt ist, wurde laut “taz” ohne offizielle Begründung von der Militärpolizei verhaftet. Seine Verhaftung werde als weiterer Schritt zur Unterdrückung der Pressefreiheit in Kambodscha gesehen, wo kritische Medien zunehmend zum Schweigen gebracht würden.

6. Neues UN-Nachhaltigkeitsziel zu Medienfreiheit: dju unterstützt Initiative18
(dju.verdi.de)
Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union unterstützt die Kernforderungen der sogenannten Initiative18: “Wie die Initiative18 teilen wir die Forderungen, Journalist*innen und Medienorganisationen vor Einschüchterung, Gewalt und rechtlicher Verfolgung zu schützen, urheberrechtlich geschützte journalistische Leistungen von Medienschaffenden anzuerkennen und fair zu vergüten sowie Medienkompetenz in allen Altersgruppen und sozialen Schichten zu fördern, um kritisches Denken und den bewussten Umgang mit Medien zu stärken.”

Medien-Zwist, Aus der “Astro Show” gefordert, Bildnutzung durch KI

1. Woher kommt diese Lust am taktischen Foul?
(berliner-zeitung.de, Tomasz Kurianowicz & Moritz Eichhorn & Michael Maier & Margit J. Mayer)
Am vergangenen Freitag erschien im “Spiegel” ein Artikel (nur mit Abo lesbar) über die “Berliner Zeitung”: “Seit der Ost-Berliner Software-Millionär Holger Friedrich mit seiner Frau Silke die ‘Berliner Zeitung’ übernommen hat, herrscht dort viel Verständnis für Autokraten, Impfgegner und Russlanderklärer.” Nun haben Chefredaktion und Herausgeber der “Berliner Zeitung” mit einem offenen Brief reagiert, im dem sie dem “Spiegel” mangelnde Professionalität vorwerfen. Auf X/Twitter fragt sich Medienkritiker Stefan Niggemeier: “Hab ich was übersehen oder enthält diese Erwiderung der versammelten Führungsriege der Berliner Zeitung auf den Artikel des Spiegel tatsächlich keinen einzigen konkreten Beleg für Fehler oder ‘Fouls’?”

2. “Verdummung durch Esoterik”: ORF-Stiftungsrätin fordert Aus der “Astro Show”
(derstandard.at, Oliver Mark)
Die neue “Astro Show” des ORF sorgt für Widerstand. Nun hat sich die ehemalige österreichische Politikerin Sigrid Pilz mit einer Beschwerde an den öffentlich-rechtlichen Sender gewandt: “Ich möchte mich als Stiftungsrätin ausdrücklich darüber beschweren, dass der ORF mit einer Astroshow unwissenschaftliche Schwurbelei verbreitet und damit die Wissenschaftsskepsis in der Bevölkerung befördert. Ich ersuche Sie dringend, dieses und vergleichbare bereits bestehende Angebote aus dem Programm zu nehmen. Der ORF hat einen Bildungsauftrag und darf auch in der Unterhaltung nicht zur Verdummung durch Esoterik beitragen.”
Weiterer Lesetipp: “Blick in die Sterne – Die Astro Show” – Eine Rezension (steadyhq.com/de/sternengeschichten, Florian Freistetter).

3. Die ARD lehnt eine Schlichtung ab
(verdi.de)
Die Gewerkschaft Verdi kritisiert die ARD für eine aus ihrer Sicht kompromisslose Haltung, angemessene Tariferhöhungen abzulehnen und sich von der Tarifentwicklung im öffentlichen Dienst abzukoppeln. Nach Auffassung von Verdi führe diese Strategie der ARD zu einer Verschärfung des Tarifkonflikts.
Weiterer Lesetipp: Ton verschärft sich: Gewerkschaften sagen Gespräch mit ARD ab (dwdl.de, Timo Niemeier).

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4. Heike Raab über ÖRR-Reform: “Wollen mehr Klasse statt Masse”
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Timo Niemeier hat sich mit Heike Raab, Koordinatorin der Rundfunkkommission, über die umfassende Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Rahmen des neuen Reformstaatsvertrags unterhalten. Im Fokus des Gesprächs stehen Themen wie die Reduzierung der Spartensender, die Neuordnung der Sportrechte, die Abgrenzung zur Presseähnlichkeit bei Onlineangeboten sowie offene Fragen zur zukünftigen Finanzierung.

5. DJV fordert Green-KI
(djv.de)
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) fordert die Entwicklung einer rechtssicheren und urheberrechtskonformen “Green-KI”, um Medien und anderen Institutionen den Einsatz von Künstlicher Intelligenz zu ermöglichen. Anlass ist eine Studie, die belege, dass das Training generativer KI-Modelle derzeit nicht mit dem geltenden Urheberrecht vereinbar sei. Der DJV betont, dass ein gesetzlicher Rahmen notwendig sei, der Urheberrechte wahrt und eine faire Vergütung sicherstellt, um kulturelle Vielfalt und Demokratie zu schützen.

6. LAION darf urheberrechtlich geschütztes Bild für KI-Training anbieten
(netzpolitik.org, Martin Schwarzbeck)
Wie netzpolitik.org berichtet, hat das Landgericht Hamburg entschieden, dass der gemeinnützige Verein LAION ein urheberrechtlich geschütztes Foto eines Fotografen für das Training einer Künstlicher Intelligenz verwenden durfte. Der Fotograf hatte geklagt, weil er die Nutzung seines Fotos durch kommerzielle KI-Unternehmen für problematisch halte. Das Gericht habe jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine unzulässige Zusammenarbeit von LAION mit kommerziellen Unternehmen gesehen.

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“Wir helfen” – beim rechten Verwirrspiel

Anfang des Monats, am 5. September, feierten die “Bild”-Redaktionen ein Jubiläum: “Ein Jahr ‘Wir helfen'”. Was als Reaktion auf die positive Stimmung in der Bevölkerung gegenüber den ankommenden Geflüchteten im Spätsommer 2015 begann und schnell zur “Bild”Werbekampagne mit prominenter Unterstützung aus Showbusiness, Politik und Fußballbundesliga wurde, fand nach einigen Monaten überhaupt nicht mehr statt. Die “Wir helfen”-Badges verschwanden aus den Twitter-Profilbildern der “Bild”-Mitarbeiter, der Ton in der Berichterstattung über Geflüchtete und Asylbewerber und Migranten wurde wieder rauer.

Heute kann man gut sehen, dass “Bild” zu alten Mustern zurückgekehrt ist. Auf der Titelseite der aktuellen Ausgabe steht es riesengroß:

Der Artikel von Zahlenverdreher Dirk Hoeren und Franz Solms-Laubach basiert auf Daten der Bundesregierung, die damit auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion geantwortet hatte. Zusammengefasst sagt der Artikel: In Deutschland leben — Stand Ende Juni 2016 — 549.209 abgelehnte Asylbewerber. 406.065 davon sind seit mehr als sechs Jahren hier. Von den knapp 549.209 abgelehnten Asylbewerbern haben 46,6 Prozent ein unbefristetes Aufenthaltsrecht. Von diesen Zahlen unabhängig leben 168.212 Ausländer mit einer Duldung in Deutschland. Die Gründe dafür, dass sie nicht abgeschoben werden, sind sehr unterschiedlich: Manche haben keinen Pass (37.020), bei anderen ist die Situation im Heimatland zu unsicher (10.620), wieder andere können nicht ausreisen, weil hier gegen sie aktuell ein Strafverfahren läuft (440).

Schaut man sich die 60-seitige Antwort der Bundesregierung (PDF) mal genauer an, wird einem recht schnell klar, dass eine differenzierte Betrachtung der Zahlen zwingend nötig ist, um dem Thema gerecht zu werden. Denn hinter den 549.209 abgelehnten Asylbewerbern stecken Hunderttausende persönliche Schicksale und Geschichten, die völlig unterschiedlich sind. Das schafft der “Bild”-Artikel in weiten Teilen nicht.

Ein Beispiel: Zu den 549.209 abgelehnten Asylbewerbern zählt die Statistik auch 12.727 Polen. Die haben ihre Asylanträge natürlich nicht vor ein paar Monaten gestellt, sondern zu einer Zeit, in der Polen noch kein Mitglied der Europäischen Union war. Heute können diese 12.727 Menschen als EU-Bürger völlig legal hier leben. Ihr abgelehnter Asylantrag von damals hat heute keine Relevanz mehr, an eine Abschiebung ist nicht zu denken. Über diese Fälle verliert der “Bild”-Artikel kein Wort.

Ein anderes Beispiel: Ein großer Teil der 549.209 abgelehnten Asylbewerber lebt nicht nur seit “mehr als 6 Jahren” in Deutschland, wie “Bild” schreibt, sondern teilweise seit Jahrzehnten. Ihre Asylanträge stammen mitunter aus den 1980er-Jahren (4150). 170.166 von ihnen haben ihren Asylantrag noch im vergangenen Jahrtausend gestellt. Sie leben also schon über 16 Jahre in Deutschland. Auch darauf gehen die “Bild”-Autoren nicht detailliert ein.

Der “Bild”-Text erwähnt zwar die 46,6 Prozent abgelehnter Asylbewerber, die ein unbefristetes Aufenthaltsrecht besitzen. Was er aber nicht erwähnt: Daneben gibt es auch noch 34,8 Prozent mit einem befristeten Aufenthaltsrecht. Das heißt: 81,4 Prozent beziehungsweise 447.056 der 549.209 in Deutschland lebenden abgelehnten Asylbewerber haben ein Bleiberecht. Sie halten sich völlig legal in Deutschland auf und können rein rechtlich nicht abgeschoben werden. Unter den restlichen 102.153 abgelehnten Asylbewerbern (18,6 Prozent) gibt es einige mit einer Duldung, weil sie sich mitten in einer Ausbildung befinden oder krank sind oder einen Angehörigen pflegen und so weiter. Auch sie können aufgrund ihrer derzeitigen Situation nicht abgeschoben werden. Und so bleiben nicht mehr viele abgelehnte Asylbewerber übrig, die derzeit als “ausreisepflichtig” gelten. In der Statistik der Bundesregierung ist von 52.870 “ausreisepflichtigen Personen ohne Duldung” die Rede, allerdings müssen nicht alle von ihnen abgelehnte Asylbewerber sein. Trotz dieser vergleichsweise geringen Zahl schreibt “Bild” vom “Neuen Irrsinn bei der Abschiebung”.

Was an dem “Irrsinn” so richtig “neu” sein soll, ist ebenfalls nicht ganz klar. Die Linksfraktion stellt ihre Kleine Anfrage jedes Jahr aufs Neue an die Bundesregierung. Vergangenes Jahr — Stand Ende Juni 2015, also vor der großen Zuwanderung durch Geflüchtete — lebten 538.057 abgelehnte Asylbewerber in Deutschland (PDF). Das sind gerade mal 11.152 weniger als 2016.

Dass die Abschiebungen aus Deutschland in den vergangenen Jahren stetig angestiegen sind, erwähnen Dirk Hoeren und Franz Solms-Laubach nicht. 2012 waren es knapp 8000 Menschen, die abgeschoben wurden, 2013 knapp 10.000, 2014 knapp 11.000, 2015 knapp 21.000. “Bild” nennt lediglich die Zahl aus diesem Jahr — ohne Vergleichswerte, dafür im Zusammenhang mit den abgelehnten Asylbewerbern:

Exakt 13 134 Ausländer haben die deutschten Behörden von Januar bis Ende Juli abgeschoben. Aber Hunderttausende abgelehnte Asylbewerber leben weiterhin in Deutschland!

Die “Bild”-Titelgeschichte drehte heute eine ordentliche Runde in der deutschen Medienlandschaft. Eine ganze Reihe von Redaktionen griffen die Geschichte auf …


(faz.net)

(“Focus Online”)

(“RP Online”)

… wohl auch, weil die “dpa” und andere Agenturen früh morgens eine Meldung dazu herausgaben. Inzwischen hat die “dpa” zwei deutlich differenziertere Stücke veröffentlicht. Die meisten Redaktionen haben die erste kurze Meldung durch einen der längeren Texte ersetzt.

Und auch von Politikern und Polizeigewerkschaftern gab es Reaktionen. Zum Abschluss des “Bild”-Artikels durfte sich Redaktionsliebling Rainer Wendt, Chef der “Deutschen Polizeigewerkschaft”, äußern (“Es gibt eine regelrechte Abschiebeverhinderungsindustrie. Das muss sich dringend ändern.”). Und auch CSU-Politiker Hans-Peter Friedrich durfte was sagen (“Wer zulässt, dass abgelehnte Asylbewerber dem Staat derart auf der Nase herumtanzen, zerstört das Vertrauen der Bürger in die Handlungsfähigkeit des Staates.”).

Im Büro der Linken-Politikerin Ulla Jelpke hat die “Bild”-Zeitung natürlich kein Statement für ihren Artikel eingeholt. Dabei ist die Bundestagsabgeordnete federführend bei der jährlichen Kleinen Anfrage der Linksfraktion, auf die sich “Bild” stützt. Dirk Hoeren und Franz Solms-Laubach hätten Jelpke zum Beispiel hiermit zitieren können:

Seit Jahren ist aufgrund regelmäßiger Anfragen der Linksfraktion bekannt, wie viele Geflüchtete in Deutschland mit welchem Status leben. Dass auch viele abgelehnte Asylsuchende gute Gründe für einen Verbleib in Deutschland haben können und später eine befristete oder unbefristete Aufenthaltserlaubnis erhalten, ist deshalb nichts Neues. Zum Beispiel können humanitäre oder medizinische Abschiebungshindernisse vorliegen. Unter den Abgelehnten sind auch Geflüchtete aus Ländern wie Afghanistan, Syrien oder den Irak, die aus guten Gründen nicht abgeschoben werden. Nicht wenige Ablehnungen werden durch Verwaltungsgerichte aufgehoben. Das zu skandalisieren zeigt, wie verroht und vergiftet die Asyldebatte mittlerweile geführt wird.

Wie gefährlich der unsaubere Umgang mit Zahlen in der Flüchtlings-, Asyl- und Abschiebungsdebatte durch “Bild” sein kann, zeigt die Reaktion der AfD. Bundesvorstandsmitglied Georg Pazderski schrieb mit Bezug auf den Artikel in einer Presseerklärung:

Mehr als eine halbe Million abgelehnte Asylbewerber leben weiterhin unrechtmäßig in Deutschland, die große Mehrheit davon schon seit über sechs Jahren. Viele besitzen noch nicht einmal einen Pass.

Dass das “unrechtmäßig” inhaltlich völlig falsch ist, dringt wohl kaum bis zu den johlenden AfD-Anhängern durch. “Wir helfen”, “Bild”? Ja, den Rechtspopulisten bei ihrem Verwirrspiel.

Im Innern der Zeitung titelt “Bild” übrigens:

Noch einen “fußballspielenden, ministrierenden Senegalesen” dazu gedacht — und schon ist man gefährlich nah am Populismus eines Andreas Scheuer.

Kalter Kaffee & paste

In der “Bild”-Zeitung von heute findet man eine ganze Seite über die Türkei und Präsident Recep Tayyip Erdogan:

Einer der sieben Artikel fragt “WER IST WER IM ERDOCLAN?” und gibt ein paar kurze Informationen über Erdogans Ehefrau, seine Kinder und Vertraute. Bei Bild.de ist der Text in einer ausführlicheren Version erschienen. Auch dort die Frage:

Wer gehört zu seinem engsten Kreis? BILD erklärt den Erdogan-Clan

Ein Abschnitt befasst sich mit der ältesten Tochter des türkischen Präsidenten, Esra Erdogan, und ihrem Ehemann Berat Albayrak:

Esra Erdogan (35) und Berat Albayrak (39)

Ein enger Vertrauter Erdogans ist sein Schwiegersohn und gleichzeitig Energieminister.

Albayrak ist seit 2004 mit der ältesten Erdogan-Tochter Esra verheiratet, gilt als glühender Verehrer seines Schwiegervaters.

Esra Erdogan sitzt neben ihrem Bruder Necmettin Bilal Erdogan im Vorstand der dubiosen Türgev-Stiftung. Ihr Mann könnte nach dem Davutoglu-Rücktritt neuer türkischer Ministerpräsident werden.

Nun ist Ahmet Davutoglu schon längst als Ministerpräsident der Türkei zurückgetreten, seit dem 22. Mai 2016 ist er nicht mehr im Amt. Sein Nachfolger steht seit dem gleichen Tag fest: Binali Yildirim. Berat Albayrak, der Ehemann von Esra Erdogan, kann also gar nicht mehr “nach dem Davutoglu-Rücktritt neuer türkischer Ministerpräsident werden.”

Der Fehler von Bild.de ist ziemlich einfach zu erklären: Faulheit. Das Portal veröffentlichte am 7. Mai vergangenen Jahres bereits einen Artikel mit der Überschrift “Erdogans schillernder Clan”. Darin diese Passage über Esra Erdogan und Berat Albayrak:

Sie sitzt neben ihrem Bruder im Vorstand der dubiosen Türgev-Stiftung.

Ihr Mann könnte nach dem Davutoglu-Rücktritt neuer türkischer Ministerpräsident werden.

Die Bild.de-Kopierer haben ganze Absätze aus dem alten Artikel übernommen, sie teilweise neu zusammengesetzt, dabei aber nicht überprüft, ob die Informationen noch aktuell sind.

Mit Dank an Savas D. für den Hinweis!

Kika-Post, Milchmärchen, Wasserkonflikt

1. “Ich bin fassungslos, dass dieser verblödete Schrott gesendet wird!”
(sueddeutsche.de, Karoline Meta Beisel)
Bei der Zuschauerredaktion von „Kika“, dem öffentlich-rechtlichen Kinderfernsehen, trudeln jedes Jahr ca. 67.000 Briefe und 25.000 E-Mails ein. Während die Zuschriften der jüngeren Kinder den Mitarbeitern oft große Freude machen würden, sähe das bei der Post der Älteren oft anders aus: Die Kritik habe in letzter Zeit zugenommen und der Ton sich verschärft.

2. Der unrühmliche Sturz des Kabelkönigs
(spiegel.de, Marc Pitzke)
Der amerikanische Fernsehsender „Fox News“ musste sich von Bill O’Reilly trennen, einem der bekanntesten Fernseh-Moderatoren Amerikas und bekennendem Trump-Fan. Die „New York Times“ hatte berichtet, dass fünf Frauen O’Reilly vorgeworfen hatten, sie sexuell belästigt zu haben und von ihm mit insgesamt 13 Millionen Dollar abgefunden worden zu seien.

3. Das Milchmärchen vom Milchmädchen
(udostiehl.wordpress.com)
In Deutschland lebende türkische Staatsbürger haben jüngst über Verfassungsänderungen in der Türkei abgestimmt. „63 Prozent der Türken in Deutschland für Präsidialsystem“, so die Schlagzeile der „Frankfurter Rundschau“ am Tag danach und an anderer Stelle „Das bedeutet unterm Strich: 412 000 von 2,8 Millionen Deutsch-Türken stärkten Erdogan den Rücken“ Udo Stiehl hat sich die Mühe gemacht und den Rechenweg auf deutsche Gegebenheiten angewandt.

4. Die multimediale Preisträgerin – Fünf Fragen an Katharina Thoms
(watch-salon.blogspot.de, Christine Olderdissen)
Der Journalistinnenbund feiert dieses Jahr sein 30jähriges Jubiläum. Bis zum Stichtag werden innerhalb der Interviewserie “Fünf Fragen” in lockerer Folge ganz unterschiedliche Journalistinnen vorgestellt. Im aktuellen Interview steht Katharina Thoms Rede und Antwort, die u.a. wegen ihrer preisgekrönten Webdoku über die „Erstaufnahmestelle Meßstetten“ vom “medium magazin” zu den Top 3 Journalistinnen 2016 regional gewählt wurde.

5. Journalisten der Nowaja Gaseta schützen
(reporter-ohne-grenzen.de)
Zwei Journalistinnen der „Nowaja Gaseta“ haben über schwere Menschenrechtsverletzungen an Homosexuellen in Tschetschenien berichtet und werden nun von der tschetschenischen Führung bedroht. Drohungen, die man ernst nehmen müsse, weil im Nordkaukasus schon öfter kritische Berichterstatter ermordet worden seien. „Die russische Regierung muss endlich den Teufelskreis von Gewalt gegen Journalisten und Straflosigkeit für die Täter in Tschetschenien stoppen“, so der Geschäftsführer von „Reporter ohne Grenzen“.

6. Skurriler Wasserstreit um Til Schweiger
(haz.de)
Um schnödes Wasser geht es beim Streit zwischen Til Schweiger und der „Hamburger Morgenpost“. Nachdem diese Anfang des Jahres berichtet hatte, dass der Schauspieler in seinem Restaurant „Hamburgs teuerstes Leitungswasser“ verkaufe, wehrte der sich gegen den Vorwurf. Nun musste die Zeitung eine Gegendarstellung veröffentlichen, nutzte dies jedoch für einen erneuten Konter.

“Bild” könnte sich laut “Bild” mehrfach strafbar gemacht haben

Manchmal stehen in der “Bild”-Zeitung auch interessante Sätze. Zum Beispiel am vergangenen Samstag in der Leipzig-Ausgabe:

Wenn sich das so bestätigt, ist das ohne Frage eine widerliche Tat. Aber klar sollte auch sein: Wer private Fahndungsaufrufe verbreitet, kann sich strafbar machen.

Oder leicht abgewandelt ebenfalls am Samstag bei Bild.de:

Wenn sich das so bestätigt, ist das ohne Frage eine widerliche Tat. Allerdings: Wer private Fahndungsaufrufe verbreitet, kann sich möglicherweise strafbar machen.

Das, was sich “so bestätigen” könnte, ist ein Vorfall vom vergangenen Dienstag im sächsischen Schkeuditz. Dort soll ein Mann beim örtlichen Reitverein eine Stute mit einem stockähnlichen Gegenstand missbraucht haben. Eine Überwachungskamera lieferte Fotos des Mannes, die eine Pferdewirtin auf Zettel druckte, die sie wiederum in der Region verteilte. Die FDP Nordsachsen verbreitete die Aufnahmen des Mannes, ebenfalls ohne Unkenntlichmachung, auf der eigenen Facebook-Seite und fragte dazu: “Wer kennt diesen Mann?”

Darüber berichteten dann auch “Bild” und Bild.de:

Screenshot Bild.de - Polizei verärgert über Facebook-Post - FDP suchte nach mutmaßlichem Pferdeschänder
Ausriss Bild-Zeitung - Polizei verärgert über Facebook-Aufruf - Nordsachsen-FDP fahndet nach mutmaßlichem Pferdeschänder

Diese Fahndung sei nicht in Ordnung, sagt ein Polizeisprecher in “Bild”:

“Wir fangen erst an zu ermitteln und haben längst nicht alle Mittel ausgeschöpft. Eine Öffentlichkeitsfahndung ist dabei die letzte Maßnahme!”

Im Anschluss weisen die “Bild”-Medien in der bereits zitierten Passage darauf hin, dass man sich mit einem privaten Fahndungsaufruf strafbar machen könne.

Es ist gut und wichtig, dass die “Bild”-Redaktion mal so deutlich Position bezieht zu Fahndungsaufrufen, die nicht durch Gerichte angeordnet wurden. Denn als “Bild”-Leserin oder -Leser könnte man fast meinen, dass derartige Fahndungsaufrufe von Privatleuten oder Privatunternehmen das Geilste sind, wo gibt völlig in Ordnung sind.

Zur Erinnerung: So sah die “Bild”-Titelseite wenige Tage nach den Ausschreitungen rund um das G20-Treffen in Hamburg aus:

Ausriss Bild-Titelseite - Gesucht! Wer kennt diese G20-Verbrecher?
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)

Die “Bild”-Redaktion veröffentlichte im vergangenen Juli diesen Fahndungsaufruf in Millionenauflage, Vorverurteilung inklusive. Eine Öffentlichkeitsfahndung der Polizei gab es zu diesem Zeitpunkt nicht. Wir zitieren an dieser Stelle gern die Leipziger “Bild”-Ausgabe vom vergangenen Samstag:

Wer private Fahndungsaufrufe verbreitet, kann sich strafbar machen.

Anderes Beispiel. Im vergangenen Oktober hat in Hamburg ein Mann seine eigene Tochter getötet und ist dann geflohen. Polizei und Staatsanwaltschaft verzichteten auf eine Öffentlichkeitsfahndung, weil man noch über erfolgsversprechende Ermittlungsansätze verfügte, die am Ende auch zur Festnahme des Mannes führten. Bild.de fragte bereits wenige Stunden, nachdem der Tod des Kindes bekannt geworden war, ungeduldig:

Warum fahndet die Polizei nicht öffentlich nach dem Killer?

Ein paar Tage später — es gab weiterhin keine Öffentlichkeitsfahndung durch die Polizei — reichte es den “Bild”-Medien. Sie veröffentlichten, ohne irgendeine Verpixelung, ein Foto des damals Tatverdächtigen:

Screenshot Bild.de - Dringend gesucht - Das erste Foto des Kinder-Killers

Noch einmal:

Wer private Fahndungsaufrufe verbreitet, kann sich strafbar machen.

Man muss aber nicht mal ins Archiv schauen, um auf die “Bild”-Bigotterie zu stoßen. Es reicht schon, in derselben Leipziger “Bild”-Ausgabe, aus der die Aussage zu privaten Fahndungsaufrufen stammt, vier Seiten zurückzublättern. Dann landet man im überregionalen Teil und bei dieser Geschichte:

Ausriss Bild-Zeitung - Ständig kriegt Marianne Fotos der Diebe - Diese Jungs haben mein Handy geklaut

Nicht nur Marianne “kriegt (…) Fotos der Diebe” zu sehen, sondern auch die gesamte “Bild”- und Bild.de-Leserschaft. Sowohl online als auch in der Printausgabe zeigt die Redaktion ein unverpixeltes Foto der zwei Jungen, die die 70-Jährige beklaut haben und laut “Bild” “etwa zehn Jahre alt” sein sollen. Etwa zehn (!) Jahre alt.

Im Artikel sagt ein Polizeisprecher:

“Wir haben die Fotos der Jungen gesichert und fahnden jetzt nach ihnen.”

Es braucht also keine zusätzliche, mediale Fahndung nach zwei Kindern durch “Bild” und Bild.de. Zumal man sich mit dieser “strafbar machen” könnte. Das stand jedenfalls mal in “Bild”.

Mit Dank an Thomas, andreas und Alex F. für die Hinweise!

“Migration” oder “Migrationsfrage”? Was ist für Horst Seehofer “die Mutter aller Probleme”?

Screenshot eines Tweets von Marc Brost - Die MigrationsFRAGE sei die Mutter aller Probleme, hat Seehofer gesagt. Die meisten Medien machen daraus: Migration sei. Sorry, aber ich finde, das ist ein wichtiger Unterschied. Viele Journalisten scheinen auch nicht Originalquelle zu kennen
Screenshot eines weiteren Tweets von Marc Brost - Bin kein Seehofer-Fan. Aber wenn wir Journalisten ungenau arbeiten und nicht sehr exakt beschreiben - und uns gleichzeitig so massiv empören - dann schneiden wir uns nur tief ins eigene Fleisch.

“Zeit”-Journalist Marc Brost hat da einen Punkt: Wenn man Innenminister Horst Seehofer schon seine Aussage vorhält, wenn man aufgrund dieser Aussage seinen Rücktritt fordert, dann sollte man die Aussage zumindest richtig zitieren — das gilt für Journalistinnen und Journalisten genauso wie für jeden anderen.

Brost könnte mit seinem Doppel-Tweet allerdings gleichzeitig auch falschliegen. Es gibt Hinweise darauf, dass Seehofer beides gesagt hat: “Migration” als “Mutter aller Probleme” und die “Migrationsfrage” als “Mutter aller Probleme”.

Die “Rheinischen Post” veröffentlichte gestern ein Interview mit Horst Seehofer. Darin diese Antwort-Einwurf-Antwort-Kombination:

Seehofer Wir haben erstmals eine Partei rechts der Union, die sich mittelfristig etablieren könnte, ein gespaltenes Land und einen mangelnden Rückhalt der Volksparteien in der Gesellschaft. Glauben Sie, das hat alles nichts mit der Migrationspolitik zu tun?

Nicht nur.

Seehofer Natürlich nicht alleine. Aber die Migrationsfrage ist die Mutter aller politischen Probleme in diesem Land. Das sage ich seit drei Jahren. Und das bestätigen viele Umfragen, das erlebe ich aber auch in meinen Veranstaltungen. Viele Menschen verbinden jetzt ihre sozialen Sorgen mit der Migrationsfrage.

Also: “die Migrationsfrage ist die Mutter aller politischen Probleme in diesem Land.” Die “Rheinische Post” strich für ihre Überschrift die beiden Eingrenzungen “politischen” und “in diesem Land”:

Screenshot RP Online - Horst Seehofer im RP-Interview - Migrationsfrage ist die Mutter aller Probleme

Dass diese Schlagzeile in der weiteren Diskussion noch stärker eingedampft wurde zu “Migration ist die Mutter aller Probleme” liegt unter anderem auch an Michael Bröcker, dem Chefredakteur der “RP”, der das Interview zusammen mit seiner Kollegin Eva Quadbeck führte. Bröcker twitterte:

Screenshot eines Tweets von Michael Bröcker - Horst Seehofer wäre bei Chemnitz mitgelaufen und sieht die Migration als Mutter aller Probleme

Man kann Seehofers Aussage im Interview mit der “RP” immer noch für völlig falsch halten und sie kritisieren. Sie zielt aber in eine etwas andere Richtung als “Migration ist die Mutter aller Probleme”.

An dieser Stelle könnte man also sagen, dass “Zeit”-Journalist Marc Brost mit seiner Kritik recht hat. Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass Horst Seehofer beides gesagt haben soll, also: “die Migrationsfrage ist die Mutter aller politischen Probleme in diesem Land” und “Mutter aller Probleme ist die Migration”.

“Welt”-Journalist Robin Alexander schrieb bereits vorgestern am frühen Abend, also einige Stunden bevor das “RP”-Interview mit Seehofer erschienen ist, bei Twitter:

Screenshot eines Tweets von Robin Alexander - Innenminister Seehofer vor CSU-Bundestagsfraktion in Neuhardenberg laut Teilnehmern deutlich anders als Merkel zu Chemnitz: Habe Verständnis, wenn sich Leute empören, dass macht sie noch lange nicht zu Nazis. Es fällt auch der Satz: Mutter aller Probleme ist die Migration.

Natürlich gibt es da noch einen qualitativen Unterschied: Während das Zitat aus der “Rheinischen Post” direkt von Horst Seehofer stammt, zitiert Robin Alexander Teilnehmer einer CSU-Sitzung, die Seehofer zitieren. Durchaus möglich, dass die Sitzungsteilnehmer beim Weiterleiten “Migrationsfrage” zu “Migration” verkürzt haben. Wie schnell das passiert, haben wir ja gerade erst gesehen.

Web-Reportagen, Unglückliche Studie, Assanges Verurteilung

1. Serie: Wie Web-Reportagen entstehen
(journalist-magazin.de, Stefan Heijnk)
Journalistik-Studierende der Hochschule Hannover haben sich in 17 Werkstatt-Beiträgen die Produktion von aufwändigen Web-Reportagen angeschaut. Journalismus-Professor Stefan Heijnk gibt einen Überblick über die (verlinkten und nachlesbaren) Beiträge und weist auf einige interessante Details und Entwicklungen hin.

2. Darf’s ein bisschen rechtsextremer sein?
(uebermedien.de, Juliane Wiedemeier)
Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat ihre “Mitte Studie” über die Verbreitung rechtsextremer Einstellungen veröffentlicht und dabei einiges vermasselt. Juliane Wiedemeier rekonstruiert den Fall und die Folgen: “Eine Studie, die voreingenommen an ihr Thema herangeht und ihren Fragebogen unglücklich formuliert. Medien, die aus anderen Medien abschreiben, statt die Original-Quelle selbständig auszuwerten, und die bereitwillig den Alarmismus der Autor:innen übernehmen. Eine Reaktion, die dann wiederum übertrieben die deutsche Bevölkerung vor jedem Vorwurf des Ressentiments in Schutz nimmt.”

3. Nazidenke, verpixelt
(taz.de, Peter Weissenburger)
In Neuseeland steht demnächst der Prozess gegen den mutmaßlichen Attentäter von Christchurch an. Im Vorfeld haben sich die fünf größten Nachrichtenmedien des Landes auf einen Pressekodex verständigt: Man werde den Attentäter nur äußerst beschränkt zitieren und rechtsextreme Symbole wie Handzeichen nicht zeigen oder zumindest verpixeln.

4. Über 30 Journalisten erstatten Anzeige
(deutschlandfunk.de, Margit Hillmann)
In Frankreich häufen sich die Beschwerden von Journalistinnen und Journalisten, die in Zusammenhang mit den Gelbwesten-Protesten über Behinderungen ihrer Arbeit, Einsatz von Gewalt und willkürliche Festnahmen durch die Polizei berichten. Der Journalistengewerkschaft SNJ seien seit November über 80 derartige Fälle gemeldet. Gewerkschaftsvorstand Dominique Pradalié: “Wir haben noch nie eine solche Repression gegen Journalisten in unserem Land gesehen. Und ich bin schon sehr lange Journalistin und Gewerkschafterin. Das hat es so noch nie gegeben.”

5. Wikileaks-Gründer Julian Assange zu 50 Wochen Gefängnis verurteilt
(heise.de, Detlef Borchers)
WikiLeaks-Gründer Julian Assange ist wegen des Verstoßes gegen die Kautionsauflagen von einem britischen Gericht zu einer Gefängnisstrafe von 50 Wochen verurteilt worden. Er war 2012 in die Botschaft Ecuadors in London geflüchtet, um einer drohenden Verhaftung zu entgehen. Außerdem muss Assange die Auslieferung an die USA befürchten.

6. “Die Oma ist irgendwann weg. Aber das Grundgesetz, das bleibt.” Interview mit Oliver Wurm zum Grundgesetz als Magazin
(dirkvongehlen.de)
Wie kommt man auf die Idee, das Grundgesetz als Magazinversion in Kioskregale zu bringen? Dirk von Gehlen hat sich mit dem Journalisten und Magazin-Macher Oliver Wurm unterhalten. Es geht um die Entstehung der Idee, Wurms Lieblingsstelle im Grundgesetz, Reaktionen auf das Heft und das bevorstehende Grundgesetz-Jubiläum.

Frei drehende Algorithmen, Datenbombe TikTok?, Egal-Dilemma

1. Die Medien-Wende
(deutschlandfunk.de, Jörg Wagner, Audio: 6:18 Minuten)
Jörg Wagner erinnert mit Hörzitaten an die Wendezeit und den Weg des Journalismus nach dem Mauerfall: “Die Zensur wurde abgeschafft. Es folgte ein monatelanges Ringen um die Umgestaltung der DDR-Medien, bei der auch bundesdeutsche Politik und private Medien kräftig mitmischten. Doch davon war am 12. November 1989, vor 30 Jahren, nichts zu spüren. Man tanzte noch einen Traum.”

2. Verleger wundern sich …
(twitter.com/ralfheimann)
Verleger würden sich wundern, dass die Leute für ihren “Qualitätsjournalismus” nicht zahlen wollen, dabei habe das konkrete Gründe, so der freie Journalist Ralf Heimann auf Twitter. Und Heimann liefert gleich ein konkretes Beispiel mit, woran das liegen könnte: Wenn eine Lokalzeitung zu einem brisanten Thema die Botschaft einer Pressemitteilung mehr oder weniger unhinterfragt und unkommentiert übernehme.

3. Facebook hält unsere Kritik am neuen Facebook-Logo für Clickbait
(jetzt.de, Simon Hurtz & Charlotte Haunhorst)
Facebook wirft jetzt.de, dem Jugendportal der “Süddeutschen Zeitung”, vor, auf seiner Facebook-Seite Clickbait geteilt zu haben, und hat als Sanktion auf den angeblichen Verstoß die Reichweite der Seite gedrosselt. Die “jetzt”-Redaktion ist sich keiner Schuld bewusst und hat Facebook um Auskunft zu den Gründen gebeten. Charlotte Haunhorst und Simon Hurtz haben sich auf die (erfolglose) Spurensuche begeben, vergleichen Anspruch und Wirklichkeit und denken über eine Frage nach, die sich auch andere Medienseiten stellen könnten: “Wer profitiert von dieser Zusammenarbeit eigentlich mehr? Wir, die journalistische Inhalte produzieren und sie für Facebook aufbereiten? Oder das Unternehmen, das kostenlos darüber verfügen darf, so wie es ihm passt?”

4. Weil der deutsche Artikel “die” …
(twitter.com/digiom)
Du hast auf Twitter “Die Queen” geschrieben, zum Beispiel, um einen “Spiegel”-Titel zu zitieren? Vorsicht, der englisch trainierte Twitter-Algorithmus könnte dies als Todeswunsch oder gar Todesdrohung interpretieren und Dich entsprechend sanktionieren. Eine abwegige Vorstellung? Nun, Twitter-Nutzerin “digiom” berichtet, dass ihr Ähnliches widerfahren sei: “Weil der deutsche Artikel “die” von englisch trainierten Algorithmen als “stirb” gelesen wird, kann es einem passieren, dass Twitter einen blockt, wenn man “die Boomer” schreibt.“ Das Resultat sei eine Zwölf-Stunden-Sperre gewesen.

5. Was die Trennung von Anne Will und Miriam Meckel über die Homophobie in diesem Land verrät
(nollendorfblog.de, Johannes Kram)
Die Berichterstattung über die Trennung von Fernsehmoderatorin Anne Will und Publizistin Miriam Meckel sagt einiges aus über den Promi-Voyeurismus bestimmter Medien. In diesem Fall gibt es jedoch noch einen weiteren Aspekt. Johannes Kram nennt ihn das “homosexuelle Egal-Dilemma”: “Durch das Egal-Dilemma können Homosexuelle nichts richtig machen. Selbst wenn sie, wie Will und Meckel das getan haben, von ihrem Privatleben nichts mitgeteilt haben, ist den Leuten das schon zu privat. Selbst, wenn sie sich trennen und dafür die am wenigsten denkbare Anzahl von Worten benutzen, ist diese Anzahl viel zu viel. Es stimmt nicht, dass wir ihnen egal sind. Denn wenn wir egal wären, wäre nicht schon das Wenigste schon zu viel.”

6. TikTok … hinter den lustigen Videos tickt eine «Datenbombe»
(medienwoche.ch, Adrian Lobe)
TikTok ist eine der populärsten Social-Media-Apps und wurde weltweit mehr als eine Milliarde Mal heruntergeladen. Das harmlose Teenie-Programm mit seinen 15-Sekunden-Videos befindet sich in chinesischem Besitz, und das wirft einige Fragen auf. So sei beispielsweise “unklar, ob Medienunternehmen, die Videos über TikTok verbreiten, gegen geltendes Datenschutzrecht verstossen, wenn Nutzerdaten möglicherweise auf chinesischen Servern verarbeitet und gespeichert werden.” Adrian Lobe ordnet den Hype um TikTok ein und erklärt Hintergründe und Zusammenhänge.

Bei Bild.de kann man Gewaltopfer unverpixelt sehen

Im brandenburgischen Ort Werder (Havel) soll gestern ein Mann seine Ehefrau in einem Gartenteich ertränkt haben. Rettungskräfte versuchten noch vergeblich, die Frau wiederzubeleben.

Die “Bild”-Redaktion berichtete heute unter anderem in einer “Bild live”-Sendung über die Tat. Wer heute Mittag, als die Sendung lief, Bild.de aufgerufen hat, bekam automatisch dieses Vorschaubild zu sehen:

Screenshot Bild.de - Bild live am Mittag - Die Themen - Ehe-Drama in Brandenburg - dazu ist ein Standbild einer Szene zu sehen, in der mehrere Rettungskräfte über einer Person, die am Boden liegt, knien.

Die Unkenntlichmachung haben wir nachträglich hinzugefügt — bei Bild.de war der Reanimationsversuch der Rettungskräfte ohne jegliche Verpixelung zu sehen. Und damit auch die am Boden liegende Frau.

Vielleicht würde es sich für die “Bild”-Redaktion lohnen, mal ins Strafgesetzbuch zu schauen und dort den Paragraphen 201a nachzuschlagen, in dem es um die “Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen” geht. Und der in Absatz 2 “eine Bildaufnahme, die die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau stellt”, thematisiert.

Im Sendungsstream zeigte Bild.de die Aufnahme erneut, mal unverpixelt, mal verpixelt:

Screenshot Bild.de - Bild live am Mittag - Nach Streit - Mann ertränkt Ehefrau im Gartenteich - es ist erneut die oben bereits beschriebene Aufnahme zu sehen, dieses Mal allerdings mit einer Verpixelung
(Diese Unkenntlichmachung stammt von “Bild”.)

Außerdem sei erwähnt, dass die Wahl des Begriffs “Ehe-Drama” durch die “Bild”-Redaktion keine gute ist, wenn, wie in diesem Fall, eine Frau von ihrem Ehemann getötet wird. Genauso wie etwa die “Familietragödie” verharmlost und beschönigt die Bezeichnung den Mord beziehungsweise Totschlag. Genaueres kann man hier und hier nachlesen.

Mit Dank an dp., @kurzmitteilung und @AFA161_ für die Hinweise!

Tarnen und Täuschen, Keine 220 Millionen, Künast vs. Facebook

1. 220 Mio Euro schwere Presseförderung vorerst gescheitert
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Lange sah es so aus, als könnten sich die Verlage über eine 220 Millionen Euro schwere Presseförderung zur Finanzierung der “digitalen Transformation” freuen. Nun habe das zuständige Bundeswirtschaftsministerium mitgeteilt, das Vorhaben sei vorerst gescheitert. Timo Niemeier erklärt die Hintergründe des Subventions-Pokers.

2. Werbung getarnt als Artikel
(deutschlandfunk.de, Christoph Sterz)
Anzeigen, die absichtlich nicht wie Werbung aussehen, werden im Fachjargon als “Native Advertising” bezeichnet. Die eingebettete Werbung ist bei den Werbetreibenden beliebt, weil sie von vielen als redaktioneller Inhalt und damit als wahr und richtig wahrgenommen wird. Umso wichtiger ist eine deutliche Kennzeichnung, aber auch hier operieren viele Medien mit optischen und sprachlichen Verschleierungstricks.

3. “Wiener Zeitung”: Aus oder doch Rettung?
(verdi.de, Danilo Höpfner)
Vor über drei Jahrhunderten, im Jahr 1703, wurde die “Wiener Zeitung” als “Wiennerisches Diarium” gegründet und ist damit die älteste noch erscheinende Tageszeitung der Welt. Damit könnte es jedoch bald zu Ende sein: Die im Eigentum der Republik Österreich stehende Zeitung soll in ein Wochenblatt oder in ein reines Onlinemedium umgewandelt werden. Mit einer Kampagne versuchen einige Promis aus Politik, Kultur und Wirtschaft, das Blatt zu retten: “Es wäre nicht nur ein schwerer Schlag gegen die im internationalen Vergleich ohnehin wenig ausgeprägte Medienvielfalt in diesem Land, sondern auch das Ende einer Kulturinstitution in Zeiten von Fakenews und Intransparenz.”

Bildblog unterstuetzen

4. Renate Künast verklagt Facebook
(spiegel.de, Max Hoppenstedt)
Die Grünen-Politikerin Renate Künast verklagt Facebook. Sie wolle erreichen, dass nicht nur ein einzelner Beitrag mit einem ihr fälschlicherweise zugeschriebenen Zitat gelöscht wird, sondern dass auch alle identischen und “sinngleichen Inhalte auf der ganzen Plattform” entfernt werden. Es gehe dabei um eine Bild-Text-Kachel, in der neben einem Foto Künasts der Satz steht: “Integration fängt damit an, dass Sie als Deutscher mal Türkisch lernen”. Das Zitat ist jedoch frei erfunden.

5. Traditioneller Machtkampf
(taz.de, Steffen Grimberg)
Barbara Hans beendet zum Monatsende ihre Tätigkeit als “Spiegel”-Chefredakteurin. Nach Ansicht vieler sei sie aus der “Spiegel”-Führung herausgedrängt worden. Ist der “Spiegel” noch immer “das alte, testosterongesteuerte Flaggschiff wie zu Augstein-Zeiten”? Ganz so leicht sei es nicht, findet Steffen Grimberg.

6. Die Goldenen Blogger 2021 – Das sind die Preisträger*innen
(die-goldenen-blogger.de)
Die diesjährige Verleihung des Social-Media-Preises “Die goldenen Blogger” erfolgte wegen der Corona-Pandemie erstmals im Rahmen eines Online-Events. Bloggerin des Jahres wurde Teresa Bücker, als Newcomer des Jahres wurde das “RosaMag” ausgezeichnet. Sonderpreise gingen an “maiLab” und das Team vom NDR “Coronavirus-Update”.

Bild.de schiebt Özdemir radikales Werbeverbot für Milch unter

Cem Özdemir und sein Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft wollen an Kinder gerichtete “Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt in allen relevanten Medien” verbieten. So soll es im Fernsehen und Radio zwischen 6 und 23 Uhr keine entsprechenden Werbespots mehr geben, auch bestimmte Printmedien wären betroffen, ebenso Soziale Netzwerke und das dort stattfindende Influencer-Marketing, genauso Sponsoring, das sich an Kinder richtet, und so weiter. Es ist ein recht umfassendes Vorhaben zum Schutz von Unter-14-Jährigen, so das Ministerium. Einen Überblick darüber, welche Auswirkungen eine Umsetzung des Gesetzesentwurfs hätte, bietet Jost Maurin in der “taz” – allein schon wegen der vielen konkreten Beispiele sehr lesenswert.

Am vergangenen Freitag wollte auch die “Bild”-Redaktion ihren Leserinnen und Lesern erläutern, welche Folgen Özdemirs Plan hätte:

Screenshot Bild.de - Sogar Milch ist dabei! Özdemirs Werbe-Verbotsliste

In einer früheren Version lautete die Überschrift:

Screenshot Bild.de - Bild hat die ganze Liste - Özedmir will sogar Werbung für Milch verbieten

Zwischenzeitlich hatte es die aktuell in der Dachzeile genannte Milch also – neben einen fehlerhaften Ministernamen – sogar in die Bild.de-Überschrift geschafft. Und es klingt ja auch erstmal ziemlich irre: Ein wichtiger Calciumlieferant wie Milch soll auf einmal so gefährlich für Kinder sein, dass diese vor Milchwerbung geschützt werden müssen. Warum denn das?

Die Antwort ist recht simpel: Es stimmt schlicht nicht, was die “Bild”-Redaktion titelt.

Bereits am 27. Februar hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft eine Pressemitteilung zu Cem Özdemirs Gesetzesvorhaben veröffentlicht, in der unter anderem steht:

Milch (hinsichtlich des Fettgehalts) und Säfte (ohne zusätzlichen Zucker oder Süßungsmittel) sollen von der Regelung ausgenommen sein.

Am selben Tag hat “taz”-Redakteur Jost Maurin einen Artikel zum Thema veröffentlicht, in dem er schreibt:

Betroffen sind nur die Lebensmittel, die das Ministerium als zu fettig, zuckerig und salzig einstuft. Dabei will es sich nach eigenen Angaben an den Nährwertprofilen der Weltgesundheitsorganisation WHO orientieren. Sie gibt für 17 Kategorien Obergrenzen für diese Inhaltsstoffe vor. […] Bei Milch und Säften dagegen wolle man von den WHO-Grenzen abweichen, sagte [die zuständige Abteilungsleiterin des Ministeriums Eva] Bell der taz.

Vier Tage später titelt Bild.de: “Özedmir will sogar Werbung für Milch verbieten”. Im Text von “Bild”-Autor Elias Sedlmayr klingt es allerdings schon etwas anders:

Diese radikalen Werbeverbote plant Özdemir

► Milch und Milchgetränke, Getränke aus Soja, Nüssen oder Saaten, die Zuckerzusatz oder Süßstoff enthalten, dürfen nicht mehr beworben werden. Absurd: Normale Vollmilch hat einen Milchzucker-Gehalt von 4,7 Prozent.

Es scheint also gar nicht um Milch zu gehen, wie die “Bild”-Redaktion es in ihrer Überschrift wirken lässt, sondern um Milch mit zusätzlichem Zucker. Nur ist das dann keine Milch mehr (außer man würde auch Milch mit Orangensaft oder Milch mit Sojasauce oder Milch mit Rattengift als Milch einstufen). Im deutschen Milch- und Margarinegesetz ist ziemlich klar geregelt, was Milch ist:

Milch: das durch ein- oder mehrmaliges Melken gewonnene Erzeugnis der normalen Eutersekretion von zur Milcherzeugung gehaltenen Tierarten

Ein von “Bild” bei Twitter geposteter Ausschnitt des eigentlich nicht-öffentlichen Referentenentwurfs des Ministeriums bestätigt noch mal, dass es sich ausschließlich um ein mögliches Werbeverbot für Milch mit zusätzlichem Zucker oder Süßungsmittel handelt. Der in der Milch vorhandene Milchzucker spielt dabei keine Rolle.

Die “Bild”-Redaktion scheint das eigentlich auch verstanden zu haben. Einen Tag später, in der Samstagsausgabe der gedruckten “Bild”, erschien ebenfalls ein Artikel zu “Özdemirs absurder Werbeverbotsliste”. Weder in der Überschrift noch in der Dachzeile ist von “Milch” die Rede (in der Dachzeile lediglich von “Milchprodukten”). Im Artikel, ebenfalls von Elias Sedlmayr verfasst, steht nur zutreffend:

Auch Milch mit Zuckerzusatz ist vom Verbot betroffen.

Online bleibt die “Bild”-Redaktion hingegen bei ihrer falschen Milch-Behauptung.

Ob nun an Kinder oder an Jugendliche gerichtet, an Erwachsene oder an alle – welchen Stellenwert Lebensmittelwerbung als Einnahmequelle für “Bild” und den Axel-Springer-Verlag hat, erkennt man, wenn man sich das Blatt regelmäßig anschaut und nach Anzeigen durchsucht. In der zurückliegenden Woche, also seit vergangenem Mittwoch, sind in der “Bild”-Bundesausgabe insgesamt 52 Anzeigen erschienen. 22 davon stammten von Supermärkten oder Lebensmitteldiscountern – also über 42 Prozent (der Anteil erhöht sich noch einmal deutlich auf über 61 Prozent, wenn man die 16 Eigenanzeigen für “Bild”, “Bild am Sonntag” oder andere Springer-Veröffentlichungen rausrechnet). Nun kann es sich dabei ja um sehr unterschiedliche Anzeigengrößen und damit um sehr unterschiedliche Anzeigenpreise handeln. Also: Alle acht halbseitigen Anzeigen, die in dieser Zeit veröffentlicht wurden, kamen von Supermärkten oder Discountern. Sie schalteten auch fünf der insgesamt sieben ganzseitigen Anzeigen. Und auch die einzige doppelseitige Anzeige, die in diesem Zeitraum erschienen ist, hat ein Lebensmitteldiscounter geschaltet (nur zwei große Elektromärkte können da vielleicht noch mithalten: Sie haben in derselben Zeit zwar keine Anzeigen gebucht, dafür aber an drei Tagen mehrseitige Prospekte beilegen lassen).

Nicht wirklich überraschend, dass die “Bild”-Redaktion sich mit Verve und einer falschen Behauptung einem geplanten Werbeverbot entgegenstellt.

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Muslime, Umfragewesen, Wiedergeburt

1. Total normal
(krautreporter.de, Irena Amina Rayan)
In den Medien seien Muslime Terroristen oder Verbrecher. Dabei wären sie in Wirklichkeit genauso durchschnittlich wie der Rest der deutschen Gesellschaft, stellt Irena Amina Rayan in ihrem Essay fest. Wer nach Ursachen für Integrations-Probleme suche, finde andere, komplexere Erklärungen.

2. Hier die «Bürger», dort die «Populisten»”
(medienwoche.ch, Fabian Baumann)
Dem Autor ist eine Diskrepanz in der Schweizer Politberichterstattung aufgefallen. Ausländische Rechtsparteien würden bevorzugt mit harten und härtesten Adjektiven tituliert, von “fremdenfeindlich” bis “national-sozialistisch”. Die heimische SVP gelte indes seit Jahr und Tag als “bürgerlich”. Der Artikel geht der Frage nach, wie es dazu gekommen ist und warum man über treffendere Begriffe nachdenken sollte.

3. Über den Hass
(ploechinger.tumblr.com)
Der Chefredakteur der “Süddeutschen Zeitung” Stefan Plöchinger über die uns umgebende Gesinnungs-Filterblase, Hass im Netz und die Schwierigkeit, damit umzugehen. Die Antwort darauf sei trivial, die Umsetzung jedoch weniger trivial: “Unser digitales Hochtempo-Reizthesen-Emotionsoptimierungs-Reichweitensystem bedingt, dass wir uns die ehernen Grundsätze unseres Berufs neu vergewärtigen.” Etwas längerer Text mit klugen Gedanken, aus dem Blattmacher und Mensch sprechen.

4. Journalisten gegen „Lügenmedien“
(taz.de, Reinhard Wolff & Anne Fromm)
In Finnland haben sich 22 ChefredakteurInnen in einer gemeinsamen Erklärung gegen Hetze im Netz ausgesprochen. Man wolle sich als Teil der seriösen Medien offensiver mit Falschmeldungen und Hetzkampagnen im Internet auseinandersetzen. Für Deutschland können sich die “taz”-Autoren einen solchen Zusammenschluss nicht vorstellen: “Schließlich haben sie das in der Vergangenheit nicht einmal getan, wenn es um ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen ging: weder bei der Diskussion über das Leistungsschutzrecht noch bei der Frage nach Bezahlmodellen im Internet. Wieso sollten sie also jetzt?”

5. Die Stunde der Demoskopen
(deutschlandfunk.de, Ulrike Winkelmann)
Lesens- beziehungsweise hörenswerter Beitrag des Deutschlandfunks, der sich mit dem Umfragewesen und der damit verbundenen Datenindustrie beschäftigt. Es sind nur wenige Player im Spiel: Die Forschungsgruppe Wahlen versorgt das ZDF, infratest dimap die ARD und den Deutschlandfunk, Allensbach die “FAZ”. Emnid beliefert ProSieben/Sat1, Forsa RTL und den “Stern” und INSA die “Bild”.

6. Das Leben nach dem Tod
(sueddeutsche.de, Claudia Tieschky)
Vor zwei Jahren musste die Münchner “Abendzeitung” Insolvenz anmelden. Was danach folgte, war das, was man wohl eine Gesundschrumpfung nennt. Claudia Tieschky hat das mittlerweile profitable Start-Up besucht und berichtet über “das Leben nach dem Tod”.

Darum nutzt Bild.de das Phantombild, das die Polizei nicht nutzt

Manchmal hat die Polizei ja gute Gründe, bestimmte Dinge nicht zu tun. Zum Beispiel ein Phantombild für eine Fahndung zu veröffentlichen, das die Behörden für unbrauchbar oder kontraproduktiv halten. Bei der Suche nach dem möglichen Mörder von Carolin G. macht die Polizei derzeit genau das: Sie verzichtet darauf, ein vorhandenes Phantombild zu verwenden.

Vielleicht erinnern Sie sich: Vor zwei Monaten wurde eine 27-jährige Frau in Endingen in der Nähe von Freiburg Opfer eines Sexualmords. Der Fall wurde damals bundesweit von Medien aufgegriffen.

Die Ermittler fanden DNA-Spuren, die darauf hindeuten, dass es sich bei dem Täter um einen Mann handelt. Nun wurde bekannt, dass diese Spuren zu einem Fall in Österreich passen: Im Januar 2014 wurde in Kufstein eine 20-jährige Studentin angegriffen und umgebracht. Auch hier handelt es sich um ein Sexualverbrechen. Die Vorgehensweise des Täters ist ganz ähnlich wie bei Carolin G. Und die in Kufstein gefundenen DNA-Spuren passen zu denen, die die Polizei in Endingen gesichert hat. Der mutmaßliche Täter dürfte also der gleiche sein.

Damals wurde anhand von Zeugenaussagen von dem Mann ein Phantombild erstellt. Doch dieses will die Polizei in Deutschland nun nicht nutzen.

Bild.de schreibt dazu heute:

Die Polizei in Tirol hat ein Phantombild vom Täter. Die deutschen Ermittler wollen es nicht nutzen — doch dafür gibt es gute Gründe! […]

Aber warum fahndet die deutsche Polizei nicht mit dem österreichischen Phantombild nach Carolins Killer?

Sprecher Walter Roth (59): “Das Bild beruht auf einer Beobachtung in der Dunkelheit und ist drei Jahre alt. Das Erscheinungsbild dürfte sich verändert haben, könnte mögliche Zeugen in die Irre führen.”

In die Irre geführte Zeugen könnten die ohnehin schon schwierigen Ermittlungen noch schwieriger machen. Und was macht die Redaktion von Bild.de? Obwohl sie weiß, dass es die Arbeit der Polizei behindern könnte, veröffentlicht sie auf ihrer Startseite das vermutlich nutzlose Phantombild aus Österreich, das bei der Suche nach dem Täter alles andere als hilfreich sein dürfte:

Nur der Vollständigkeit halber: Die Unkenntlichmachungen in dem Screenshot stammen von uns.

Mit Dank an Börries für den Hinweis!

Helene Fischer widerspricht “totalem Quatsch” von “Bild”

Helene Fischer kann nicht singen. Also, aktuell kann Helene Fischer nicht singen. Fünf Auftritte in Berlin musste ihr Management absagen und nun werden auch zwei geplante Konzerte in Wien nicht stattfinden. Die Sängerin ist krank und muss sich schonen.

Bei Facebook veröffentlichte Helene Fischer gestern eine Art Entschuldigung an all ihre Fans, vor allem an jene, die schon Hotels gebucht oder sich für die Konzerte extra freigenommen haben. Auch Bild.de berichtet über diesen Facebook-Post:

Screenshot Bild.de - Seit einer Woche ist sie krank - Helenes Entschuldigung an ihre Fans

Ganz am Ende des Artikels steht:

Und eins stellt sie zum Schluss noch einmal ganz klar: Sie ist nicht (!) schwanger.

Schwanger? Wer bringt denn sowas ins Spiel? Ach, hier — Bild.de in einem Text am Sonntag:

Screenshot Bild.de - Sie sagte ins gesamt fünf Konzerte ab - Was bedeutet die Hand auf Helenes Bauch?

Schon am 30. Januar beim Konzert in Stuttgart hielt sie sich beim Singen mehrfach die Hand auf den Bauch. Als würde sie etwas schützen wollen. Es gab schon häufiger Schwangerschaftsgerüchte um Fischer.

Helene Fischer widerspricht in dem Post an ihre Fans übrigens nicht nur den Schwangerschaftsgerüchten, sondern auch einer Geschichte über einen “Wunderheiler aus den USA” und den Spekulationen, sie werde nie wieder singen können:

PS.: ich kann es nicht oft genug sagen, lasst euch von den Medien nicht blenden, was jetzt zählt, ist nur mein geschriebenes Wort an EUCH! Ich bin weder schwanger und auch kein Wunderheiler aus den USA behandelt mich! Totaler Quatsch! Ich bin auch nicht todkrank, ich komme wieder!!!

Ein “Wunderheiler aus den USA”? Helene Fischer nie wieder auf der Bühne? Woher stammt das nur?

“Bild” gestern:

Ausriss Bild-Zeitung - Helene Fischer - Kann sie nie wieder singen? Wieder zwei Konzerte abgesagt - Wunderheiler aus USA soll ihre Stimme retten - Und ihr Flori schickt Fotos vom Karneval

Und Bild.de gestern (“Bild plus”-Inhalt):

Screenshot Bild.de - Helene Fischer immer noch krank - Wunderarzt aus USA eingeflogen

Außerdem ist ihre Stimme nach BILD-Informationen durch den Infekt so stark angegriffen, dass jetzt sogar ein Wunder-Arzt aus den USA eingeflogen wurde.

Der Amerikaner soll Helene heilen.

Eine Hand auf dem Bauch, die eine Schwangerschaft bestätigen soll, ausgedachte Wunderheiler und Fragezeichen in Überschriften, die jede noch so blödsinnige Spekulation erlauben — das ist alles nicht mehr weit entfernt von den Irrsinnsberichten im Stile von “Freizeit Revue”, “Die Aktuelle” und all den anderen bunten Knallblättern.

Mit Dank an Stefan T. für den Hinweis!

Nachtrag, 15. Februar: Die “Bild”-Zeitung berichtet in ihrer heutigen Ausgabe auch über den Facebook-/Instagram-Post von Helene Fischer. Zu einem Artikel, in dem Désirée Nick über den “Seelenzustand” der Sängerin schreiben darf, hat die Redaktion einen Screenshot gestellt:

Ausriss Bild-Zeitung - Dankt ihren Fans für die guten Wünsche: Gestern meldete sich Helene Fischer wieder bei Facebook zu Wort

Ärgerlich: Die Bildunterschrift, in die leider kein Hinweis mehr zu Fischers Medienkritik passte, sitzt exakt über der Stelle, in der Fischer “die Medien” (also, genau genommen: “Bild”) kritisiert.

Nachtrag, 19. Mai: Heute, nur drei Monaten, nachdem “Bild” den ganzen Quatsch mit dem “Wunderheiler aus den USA” verzapft hat, erfahren auch die “Bild”-Leser, welchen Quatsch “Bild” verzapft hat — durch diese Gegendarstellung von Helene Fischer, die die Redaktion auf der Titelseite abdrucken musste:

Ausriss der Bild-Titelseite mit der Gegendarstellung von Helene Fischer

Ausriss Bild-Zeitung - Gegendarstellung - Sie schreiben in der Bild-Zeitung vom 13. Februar 2018 auf der Titelseite unter der Überschrift Helene Fischer Kann sie nie wieder singen? Wunderheiler aus den USA soll ihre Stimme retten. Hierzu stelle ich fest: Ich habe keinen Wunderheiler aus den USA konsultiert. Wien, den 15. Februar 2018 - Anmerkung der Redaktion: Frau Fischer hat recht

Bild  

Wie “Bild” Brücken für die AfD baut

Bevor die Leute in der “Bild”-Redaktion sich nach der nächsten Landtags- oder Wasauchimmerwahl wieder über den “Rechts-Rumms” in Deutschland wundern und irgendwie versuchen, die hohen Prozentzahlen der AfD zu erklären: Ihr mischt da kräftig mit. Und zwar mit Titelseiten wie dieser von heute:

Ausriss Bild-Zeitung - Haftbefehl nach entsetzlichem Mord - Wenn er abgeschoben worden wäre, würde sie noch leben
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)

Es geht um den grausamen Tod eines 14-jährigen Mädchens, die vermutlich von einem Flüchtling aus dem Irak erdrosselt wurde. Und um es bereits an dieser Stelle klar zu sagen: Ja, natürlich können und sollen Medien über einen solchen Fall berichten. Gern auf Seite 1. Gern als große Titelgeschichte. Sie sollen ihn auf keinen Fall verschweigen. Die entscheidende Frage ist nur, wie sie berichten. Wie sie die jeweilige Geschichte drehen. Wie sie zuspitzen. Ob und wie sie mit ihren Schlagzeilen zündeln.

Vermutlich stimmt die Aussage auf der “Bild”-Titelseite, dass das Mädchen noch leben würde, wenn der wahrscheinliche Täter zuvor abgeschoben worden wäre (was freilich nicht heißt, dass die Schuld bei einem Mord bei den für die Abschiebung zuständigen Behörden zu suchen ist, sondern immer noch beim Mörder). Es ist die Erzählung, die die “Bild”-Redaktion gewählt hat, die so vergiftet ist: Der Tod des Mädchens rückt in den Hintergrund — die Abschiebung des vermutlichen Täters ist der Hauptaspekt. Man könnte diese Titelzeile eins zu eins in einen AfD-Tweet oder Beatrix-von-Storch-Post bei Facebook verwandeln. Und man könnte der Partei dann völlig zu Recht vorwerfen, dass sie versucht, aus einem Tod Kapital zu schlagen.

Und so hilft die “Bild”-Redaktion der AfD enorm mit derartigen Schlagzeilen. Sie gibt die Schwerpunkte, die Sprache, die Aufregung bei Asyl- und Flüchtlingsthemen morgens am Kiosk vor. Und die Partei muss sie am Mittag in ihren plumpen Parolen nur noch aufgreifen. “Bild” baut noch immer jeden Tag den inhaltlichen Rahmen für Tausende Büro- und Baustellengespräche. Und tut das in einer Form, die es der AfD sehr leicht macht, daran anzudocken.

Wir haben uns mal alle “Bild”-Titelseiten seit dem 1. März angeschaut, also dem Tag, an dem Julian Reichelt auch “Bild”-Print-Chef wurde. 23 Artikel haben wir gefunden, die mit den Themen Asyl und Flüchtlinge zu tun haben. Wobei die Verteilung interessant ist: Bis zum 20. April, also in über eineinhalb Monaten, sind gerade mal eine kleine und ein große Titelgeschichte erschienen:

Ausriss Bild-Zeitung - Die Asyl-Tricks der Einbrecher-Banden
Ausriss Bild-Zeitung - CDU-Politikerin kassiert mit Flüchtlings-Hotel ab

Ab dem 21. April dann 21 große beziehungsweise kleine Artikel. Der 21. April war der Tag, an dem “Bild” mit dem “ASYL-SKANDAL” beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) aufmachte:

Ausriss Bild-Zeitung - Asyl-Skandal - Bestochen? Amts-Chefin genehmigt 2000 Anträge einfach so

Danach ging es so richtig los:

Ausriss Bild-Zeitung - Bin-Laden-Leibwächter kassiert 1100 Euro Stütze
Ausriss Bild-Zeitung - Schiebt den Bin-Laden-Leibwächter endlich ab
Ausriss Bild-Zeitung - Polizisten-Mörder darf nicht abgeschoben werden
Ausriss Bild-Zeitung - 150 Asylbewerber jagen Polizei davon
Ausriss Bild-Zeitung - Sollte Flüchtlings-Randale vertuscht werden?
Ausriss Bild-Zeitung - Lagerfeld rechnet mit Flüchtlings-Politik ab! Ich hasse Madame Merkel
Ausriss Bild-Zeitung - Arzt erklärt, warum er Asylbewerber nicht mehr behandelt
Ausriss Bild-Zeitung - Ex-BAMF-Chef will Asyl-Skandal klären lassen
Ausriss Bild-Zeitung - Das hat die Flüchtlings-Krise bisher gekostet
Ausriss Bild-Zeitung - Asyl-Behörde ließ wirklich jeden rein
Ausriss Bild-Zeitung - Staatsanwaltschaft ermittelt gegen deutsche Asyl-Chefin
Ausriss Bild-Zeitung - Sechs Tote klagen an - Ihre Mörder hätten gar nicht hier sein dürfen
Ausriss Bild-Zeitung - 50 Flüchtlinge gehen auf Polizisten los
Ausriss Bild-Zeitung - So dreist missbrauchen Klaubanden unser Asyl
Ausriss Bild-Zeitung - Tausende falsche Asyl-Bescheide - Bild sprach mit der Chefin der Skandal-Behörde
Ausriss Bild-Zeitung - 55 Millionen Euro im Asyl-Chaos versenkt
Ausriss Bild-Zeitung - Messer-Angriff im Intercity - Junge Polzistin erschießt Flüchtling
Ausriss Bild-Zeitung - Seit 2000 - Asyl-Behörde ließ 46 Islamisten ins Land
Ausriss Bild-Zeitung - Nach Bin Ladens Leibwächter der nächste Abschiebe-Skandal um einen Terroristen - Und wir werden sie einfach nicht los
Ausriss Bild-Zeitung - Leiche gefunden - Flüchtling unter Mordverdacht flieht aus Deutschland

Und heute dann eben:

Ausriss Bild-Zeitung - Haftbefehl nach entsetzlichem Mord - Wenn er abgeschoben worden wäre, würde sie noch leben

Seit dem 21. April im Schnitt etwa alle zwei Tage eine große oder kleine Titelstory über Asyl/Flüchtlinge. Als hätte die Redaktion erkannt, dass der Skandal beim BAMF der richtige Zeitpunkt ist, um die Streichhölzer wegzupacken und das Sturmfeuerzeug zum weiteren Zündeln rauszuholen.

Und natürlich hat diese Fokussierung und Verdichtung immense Auswirkungen darauf, wie “Bild”-Leserinnen und -Leser das Geschehen in Deutschland wahrnehmen. Man muss nur mal kurz auf die “Bild”-Facebookseite schauen und dort in die Kommentare unter Artikeln, die mit dem Thema Asyl zu tun haben. Eine der am häufigsten verwendeten Wörter: “Bananenrepublik”. “In was für einer Bananenrepublik leben wir eigentlich?” “Deutschland ist auch nur noch eine Banenrepublik!” “In dieser Bananenrepublik macht doch schon lange jeder, was er will.” Vorausgesetzt, sie informieren sich vornehmlich oder ausschließlich in “Bild” und bei Bild.de, kann man den Verfassern dieser Sätze nicht mal eine richtigen Vorwurf machen. Denn wenn man nur “Bild” liest, muss man aktuell wirklich den Eindruck haben, dass Deutschland eine “Bananenrepublik” ist, in der überall “vertuscht” und gemodert wird, in der niemand mehr sicher ist, in der es einen “SKANDAL” nach dem anderen gibt, und in der die Behörden gar nichts mehr hinbekommen.

Welcher Partei hilft das Bild, dass es unter Angela Merkel und der großen Koalition drunter und drüber geht, wohl besonders?

Julian Reichelt hat mal gesagt:

Nichts hat uns ganz nachweislich wirtschaftlich in der Reichweite so sehr geschadet wie unsere klare, menschliche, empathische Haltung in der Flüchtlingskrise

Es deutet alles darauf hin, dass die Wirtschaftlichkeit wieder den Kurs vorgibt.

Terrorakt Jugendstreich, Schlamm wälzen, Asymmetrisches Berichten

1. Aufruhr im Freibad: Vom Jugendstreich zum Terrorakt
(ardmediathek.de, Video: 8:38 Minuten)
Man könnte in der Tat verzweifeln, wie es Georg Restle am Ende des “Monitor”-Beitrags ausdrückt: Da wird ein Düsseldorfer Freibad zum Tatort von Terror und Gewalt hochgejazzt, in dem angeblich 60 aggressive Migranten nordafrikanischer Herkunft Angst und Schrecken verbreiten. Nur allzu begierig stürzen sich Medien und Politik auf den Fall und instrumentalisieren ihn für ihre Zwecke. Ein Fall, bei dem nach näherem Betrachten wenig bis gar nichts übrig bleibt.

2. “Wir kommen uns im digitalen Dorf unerträglich nahe”
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Der “Tagesspiegel” hat sich mit dem Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen über Filterblasen und Echokammern unterhalten. Und über Michael Seemanns Idee “der positiven und negativen Filtersouveränität”: “Man kann sich aktiv in seine Wirklichkeitsblase hineingoogeln, kann für jede Idee einen Beleg, für jeden Irrwitz einen sogenannten Experten finden. Das meint positive Filtersouveränität. Und das Netz kommt der Bestätigungssehnsucht sehr weit entgegen, stellt von der Logik des Empfängers auf die des Empfängers um, der sich — einerseits — seine Wunschwirklichkeit zusammensucht. Andererseits kann man jedoch der Weltsicht der anderen nicht entkommen, kann sich eben gerade nicht effektiv abschotten, isolieren. Negative Filtersouveränität ist in der vernetzten Welt nicht zu haben.”

3. Ein Aufreger jagt den nächsten
(sueddeutsche.de, Jagoda Marinic)
In ihrer Kolumne regt sich Jagoda Marinic über das Aufregen auf: “Die mediale Aufmerksamkeit darf sich nicht auf die Erregungsschleifen über twittertaugliche Thesen richten, sondern muss sich dem Kampf um Ideen widmen, die großen Fragen unserer Zeit angehen. Wer den Profilneurotikern heftig widerspricht, tut einerseits gut daran, doch letztlich wälzt er sich mit ihnen im Schlamm.”

4. Presserat: Blick verletzte Journalistenkodex mit voller Namensnennung im Mordfall von Rupperswil
(steigerlegal.ch, Martin Steiger)
Nun hat es auch der Schweizer Presserat bestätigt: Die Zeitung “Blick” verletzte den schweizerischen Journalistenkodex, indem die Redaktion den Vierfachmörder von Rupperswil offline und online beim vollen Namen nannte. Der Jurist Martin Steiger kommentiert die Entscheidung und kritisiert den Presserat, der in seiner Stellungnahme den Täter mit vollem Vornamen und mit dem ersten Buchstaben des Nachnamens genannt habe: “Der Presserat legitimiert damit eine weit verbreitete, aber vollkommen unnötige Unsitte im Journalismus. Für die Justizberichterstattung ist grundsätzlich gar keine Namensnennung erforderlich. Die Justizberichterstattung kann ihre Funktion genauso erfüllen, wenn ein geeignetes Pseudonym genannt wird. Es gibt grundsätzlich kein überwiegendes öffentliches Interesse an einer Namensnennung.”

5. Asymmetrische Berichterstattung
(taz.de, Serge Halimi & Pierre Rimbert)
In diesem übersetzten Artikel aus “Le Monde diplomatique” geht es um zweierlei Maß in der politischen Berichterstattung. Konkreter Anlass ist der Abschuss einer US-Drohne durch den Iran. Die Autoren kehren den Vorgang um und fragen: “Man stelle sich vor, eine iranische Drohne würde über Florida abgeschossen oder ein paar Kilometer vor der US-Küste. Niemand würde über den exakten Abschussort diskutieren, vielmehr würden sich alle fragen, was diese Drohne dort zu suchen hatte — 11.000 Kilometer entfernt von Teheran.”

6. Google zeigt Podcasts in Suchergebnissen an
(heise.de)
Podcasts erfahren bei Google eine deutliche Aufwertung. Zunächst nur in den USA will die Suchmaschine mehr als zwei Millionen Podcasts auffindbar machen. Dazu werden die Podcasts analysiert, transkribiert und in die Suchergebnisse eingepflegt.

Viel-Framing-Ministerin, Rezo und die Reaktionen, SPD-Telefon(ab)schalte

1. Widersprüche um SPD-Telefonschalte
(spiegel.de)
Vergangenen Freitag berichtete der “Spiegel”, dass auch Olaf Scholz für den SPD-Parteivorsitz kandidieren wolle. Scholz habe dies in einer Telefonschalte mit den drei kommissarischen Parteichefs eingeleitet. Einer der drei Parteichefs bestritt in einer Pressekonferenz, dass es diese Telefonkonferenz gegeben habe. Was den “Spiegel” zu einer Stellungnahme in eigener Sache veranlasst: “Wir können versichern, dass wir für unsere Darstellung zwei voneinander unabhängige, vertrauenswürdige Quellen haben, wie es die journalistischen Regeln verlangen. Wir haben unsere Quellen mit den Aussagen Schäfer-Gümbels konfrontiert. Sie bleiben bei ihrer Darstellung.”

2. Ich habe die Bundesfamilienministerin gefragt …
(twitter.com/nicolediekmann)
Die Korrespondentin im ZDF-Hauptstadtstudio Nicole Diekmann hat Bundesfamilienministerin Franziska Giffey gefragt, ob sie die Kritik an Wortschöpfungen wie “Gute-Kita-Gesetz” und “Starke-Familien-Gesetz” verstehe. Giffey argumentiert in ihrer leidenschaftlich vorgetragenen Antwort für “verständliches Sprechen”. Sie werde sich nicht “beirren lassen”. Man könnte dem folgen, doch in den Kommentaren zum Tweet kommen die entsprechenden und sehr berechtigten Gegenargumente.

3. Warum der viel zitierte “Bildungsmonitor” nicht verrät, welches Bundesland die beste Bildung hat
(krautreporter.de, Bent Freiwald)
Die dem Arbeitgeberverband nahestehende Lobbyvereinigung INSM (Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft) hat jüngst den “Bildungsmonitor 2019” (PDF) veröffentlicht. Dort geht es um einen Vergleich der Bildungssysteme der verschiedenen Bundesländer, der von vielen Redaktionen begierig aufgegriffen wurde. Bent Freiwald bezweifelt die aus dem Bericht gewonnenen Einsichten und Rückschlüsse: “Ein Vergleich aus wirtschaftlicher Sicht, mit relativ instabilen Daten, verrät nicht, welches Bundesland insgesamt das beste Bildungssystem hat.”

4. Alles, was ich über Bakery Jatta weiß
(nebgen.blogspot.com, Christoph Nebgen)
Die “Sport Bild” berichtete vor wenigen Wochen von einer “irren Geschichte”. Die Zeitung habe bei einer “sensationellen Recherche” herausgefunden, dass mit dem HSV-Spieler Bakery Jatta etwas nicht stimme. Es bestünden Zweifel an Identität und Legitimität des Aufenthaltsstatus. Andere Medien schlossen sich mit teilweise wüsten Spekulationen an. Konkurrierende Fußballvereine legten Einspruch gegen die Wertung von Partien ein, bei denen sie dem HSV unterlegen waren. Der Rechtsanwalt Christoph Nebgen hat sich den durchaus komplexen Vorgang genauer angeschaut.

5. Ausgetwittert
(tomhillenbrand.de)
Der Journalist und Schriftsteller Tom Hillenbrand ist Anfang Mai für einige schon aus einer Entfernung von Kilometern erkennbare Satire-Tweets von Twitter gesperrt worden. Hillenbrand versucht seitdem mit allen Mitteln, Twitter zu einer Aufhebung der Sperre zu bewegen, doch selbst auf einstweilige Verfügungen reagiere der Kurznachrichtendienst nicht. In einem Blogbeitrag dokumentiert er den Fortgang mit immer neuen Updates. Es ist ein Vorgang des unentwegten Kopfschüttelns, der geradezu nach einer Regulation und Sanktionierung schreit. Der von Twitter wohlgemerkt.

6. Eine Pressemitteilung des @DJVde gegen #rezo zum Fremdschämen …
(twitter.com, Peter Welchering)
Die Kritik des Youtubers Rezo an Boulevardmedien, seine persönlichen Erfahrungen mit Medien und die seiner Meinung nach wenig vorhandene Medienkritik (abseits von BILDblog und “Übermedien”) haben auf der Gegenseite zu teilweise merkwürdigen Reaktionen geführt. So antwortete der Deutsche Journalisten-Verband mit einer (mittlerweile zurückgezogenen) etwas patzigen und peinlich unsouveränen Pressemitteilung. Beachtenswert auch hier die Diskussion in den Kommentaren.

Im Wald mit Hildmann, Rüder Kanzler, Deutschrap auf dem Prüfstand

1. “Spiegel” sieht Hildmann vor lauter Bäumen nicht
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Der “Spiegel” hat sich mit dem vormaligen Kochbuchautor und jetzigen Verschwörungs-Extremisten Attila Hildmann zum “Waldspaziergang” getroffen und die Inhalte des Gesprächs in einem zweiseitigen Beitrag aufbereitet. Medienkritiker Stefan Niggemeier kann dem Treffen wenig bis gar nichts abgewinnen: “Vermutlich soll die Geschichte Hildmann klein wirken lassen. Klein wirkt stattdessen der ‘Spiegel’.”
Weiterer Lesetipp: Auf Facebook fragt der “6 vor 9”-Kurator: “Sollte man einem verwirrten Schreihals und Gernegroß mit rechtsextremen Allmachtsträumen und sadistischen Gewaltfantasien seinen Wunsch nach Berühmtheit erfüllen und ihn berühmt(er) machen?”

2. “Aber Sie haben ja ein eigenes Hirn”
(sueddeutsche.de, Oliver Das Gupta & Bastian Obermayer)
“Aber Sie haben ja ein eigenes Hirn” … auf diese äußerst rüde Weise ging Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz in einem Fernsehinterview die Puls-24-Journalistin Alexandra Wachter an. Bei Ausstrahlung des Gesprächs fehlte jedoch genau diese Szene (hier die gekürzte Version). Oliver Das Gupta und Bastian Obermayer ordnen den Fall ein, bei dem es auch um den Faktor Geld geht: “So erhielt Puls 24, das zu Pro Sieben Sat 1 Puls 4 gehört, für das laufende Jahr mehr als 1,4 Millionen Euro [aus Österreichs staatlicher Presseförderung], und aus der Corona-Förderung nochmals 1,2 Millionen Euro extra. Ein weiterer Anreiz, es sich mit der Regierung nicht zu verscherzen.”
Weiterer Lesehinweis: Auf Twitter zerlegt Natascha Strobl in gekonnt kunstvoller Weise das Interview.

3. Wir sind wie U-Boote
(gutjahr.biz)
“Eine Gruppierung konservativer Wahlkampf-Veteranen hat sich zusammengetan, um Donald Trump aus dem Weißen Haus zu jagen. Dabei greifen die Strategen des ‘Lincoln Projects’ tief in die Trickkiste des Online-Trollens und versuchen Trump mit den eigenen Waffen zu schlagen.” Richard Gutjahr berichtet über die Republikaner-Allianz, die mit “Negative Campaigning” in Form von zugespitzten Videos (Beispiel 1 , 2 und 3) eine Wiederwahl von Donald Trump verhindern will.

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4. #Bundeswehr/Bohnert: Schräge Vorwürfe gegen Panorama
(daserste.ndr.de)
Vergangene Woche kritisierte die ARD-Sendung “Panorama” den Social-Media-Leiter der Bundeswehr. Dieser sympathisiere mit Rechtsradikalen, like Beiträge mit Bezug zu den “Identitären” und habe Vorträge in rechten Zirkeln gehalten. In den einschlägigen Kreisen tauchten sofort Gegenvorwürfe auf, die den Vorgang herunterspielen sollen. “Panorama” stellt die drei wichtigsten Falschbehauptungen in diesem Zusammenhang klar. Man habe den Oberstleutnant beispielsweise vor Ausstrahlung des Beitrags durchaus um eine Stellungnahme gebeten.

5. Der steinige Weg zu den eigenen Daten
(netzpolitik.org, Tomas Rudl)
Seit zwei Jahren gilt in der EU die sogenannte Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und das darin verankerte Auskunftsrecht: Nutzer und Nutzerinnen können bei Anbietern Auskunft darüber verlangen, ob Daten von ihnen gespeichert werden, wie diese verwendet werden und ob sie weitergegeben wurden. Ein aktueller Fall zeigt eindrucksvoll, dass das beste Recht nichts nutzt, wenn es nicht umgesetzt werden kann. So habe ein Nutzer im März beim Videokonferenzanbieter Zoom seine Daten angefordert, läuft jedoch mit seiner Anfrage trotz Unterstützung durch die Datenschutzbehörden ins Leere.

6. F****! Sch*****! B****!
(spiegel.de, Björn Rohwer)
Das Ergebnis der Untersuchung mag nicht ganz überraschend kommen, aber laut einer vom “Spiegel” in Auftrag gegebenen Datenanalyse spielt Sexismus im Deutschrap eine große Rolle. Dies belege eine Auswertung von immerhin 30.000 Liedtexten. Dass es dabei auch auf die Auslegung ankommt, beweist nach Ansicht des “6 vor 9”-Kurators eine kritisierte Textstelle des Rappers Cro aus dem Song “Easy”. Diese liest sich ohne Kontext und Aussprache schlimmer als sie ist: “Und wenn sie heiraten will und nach drei Tagen chillen schon dein ganzes Haus und deinen Leihwagen will – erschieß sie.” Cro zieht die Worte “erschieß sie” zu einem “err-cheesy” zusammen, so dass sie sich auf “easy” reimen. Es ist einer der albernen und bewusst bemühten Wort- und Sprachwitze, die sich durch das ganze Lied ziehen – also keineswegs eine ernst oder auch nur unterschwellig ernst gemeinte Gewaltandrohung oder gar Aufforderung zum Mord (abgesehen davon geht der Song wie folgt weiter: “Yeah! Doch das würd’ ich mich nicht trauen, Mann, das weiß ich genau. Denn davor hau’ ich ab”). Natürlich kann man das Lied trotzdem kritisieren, aber es als “nicht weniger schlimm” zu bezeichnen als die tatsächlich existierenden üblen Fälle, scheint zumindest dem “6 vor 9”-Kurator überzogen.

Apples umstrittene Überwachung, Medien in Russland, Hessenaufteilung

1. Darum kritisieren Journalistenverbände Apple
(deutschlandfunk.de, Jan Rähm, Audio: 6:13 Minuten)
Apple plant im Rahmen der “Child-Safety”-Initiative die Überwachung von iPhones und iPads, um Abbildungen von sexualisierter Gewalt gegen Kinder zu entdecken. Wie genau funktioniert das? Und was ist technisch das Problem, an dem sich jetzt die Kritik entzündet? Wie lautet die konkrete Kritik, unter anderem von Journalistenverbänden? Und ist die Kritik berechtigt?

2. Parlamentswahl ohne Pressefreiheit
(reporter-ohne-grenzen.de)
Vor dem geplanten Treffen von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin kritisiert Reporter ohne Grenzen die massiven Einschränkungen für unabhängige Journalistinnen und Journalisten in Russland: “Die Staatsmacht in Russland geht zielgerichtet und drakonisch gegen alle vor, die Kritik üben oder einfach nur unabhängig berichten; immer mehr Kolleginnen und Kollegen müssen ihre Arbeit aufgeben oder sogar das Land verlassen. Die de-facto-Ausweisung einer angesehenen Auslandskorrespondentin ist ein alarmierendes Zeichen und zeigt vor allem eins: Bei der Parlamentswahl am 19. September haben die Menschen in Putins Russland keine freie Wahl. Bundeskanzlerin Merkel muss dafür bei ihrem Treffen mit Präsident Putin deutliche Worte finden.”

3. Nein, aus Afghanistan werden nicht nur Männer, sondern auch Frauen und Kinder evakuiert
(correctiv.org, Uschi Jonas)
Zurzeit zirkulieren Fotos, die den Eindruck erwecken sollen, es würden nur Männer aus Afghanistan evakuiert. Der “Correctiv”-Faktencheck stellt die Sache richtig: “Auf einem aktuellen Foto aus dem Inneren eines Flugzeugs der US-Luftwaffe, das Afghanen nach Kuwait evakuierte, sind Männer, Frauen und Kinder zu sehen. Es wurde manipulativ zugeschnitten. Ein anderes Foto ist bereits mehrere Jahre alt.”

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4. Zeitungsmarkt in Hessen neu aufgeteilt
(verdi.de)
Die beiden in Hessen dominierenden Zeitungsgruppen schichten ihre Tageszeitungen und Anzeigenblätter um. Die Gewerkschaft Verdi spricht von einem beispiellosen “Tauschgeschäft zur Aufteilung des Zeitungsmarktes in Hessen”. Der Medienkonzern VRM plane, den “Gießener Anzeiger”, den “Usinger Anzeiger” sowie weitere Blätter in der Region Wetterau/Vogelsberg an die Ippen-Gruppe zu verkaufen. Im Gegenzug wolle VRM von der Ippen-Gruppe das “Rüsselsheimer Echo” sowie die “Nassauische Neue Presse” in Limburg übernehmen.

5. Cytotec-Recherche gewinnt Georg-Schreiber Medienpreis und DRK-Medienpreis
(buzzfeed.de, Katrin Langhans)
Eine gemeinsame Recherche von “BuzzFeed News”, dem Bayerischen Rundfunk, “Report München” und der “Süddeutschen Zeitung” über die riskante Anwendung des Medikamentes Cytotec hat zwei Medienpreise erhalten: “Die Reporterinnen deckten auf, dass im Zusammenhang mit der Tablette in seltenen Fällen schwere Komplikationen aufgetreten waren; im Zusammenhang mit Cytotec waren Kinder unter extrem starken Wehen unter Sauerstoffmangel zur Welt gekommen, in seltenen Fällen war die Gebärmutter gerissen und es war vereinzelt zu Todesfällen gekommen. Das ging aus Gutachten, Fallstudien und Gerichtsurteilen hervor.”

6. Komprimiertes Charisma
(zeit.de, Jonas Gerding)
Wissenschaftler haben sich unter anderem mit der Frage beschäftigt, wie unsere Stimmen in Videokonferenzen wirken. Bei der elektronischen Signalverarbeitung und bei schlechtem Netz komme es zu einem Effekt, der die Stimmen von Frauen weniger charismatisch wirken lasse. Ein Problem, das sich beheben ließe, für das sich jedoch niemand verantwortlich fühle, wie Jonas Gerding erklärt.

Neues Mittelalter, Währung “Fuckability”, Youtubes Hassfeature

1. Die Impfskeptiker in den Talkshows befeuern das neue Mittelalter
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Joachim Huber kritisiert in seinem Kommentar die Entwicklung der Talkshows zu Plattformen der Irrationalen: “In der Unterhaltungsperspektive funktioniert das. Die Daueralarmgesellschaft bekommt Futter, jeder und jede darf sich mit seiner Meinung vertreten fühlen. Aber zum Hurra reicht das nicht. Die Wissenschaft ist schweigsamer geworden, offenbar haben Drosten & Co. die große Lust an der Auseinandersetzung verloren. Das ist für deren Akzeptanz ein Schaden, weil vermehrt Fake News zu Fakten werden und Fakten zur Gefühlssache.”

2. “Überregional taucht das Ahrtal gar nicht mehr auf”
(deutschlandfunk.de, Anke Petermann, Audio: 5:57 Minuten)
Nach der Flutkatastrophe im Ahrtal hätten Zeitungen und Rundfunksender versprochen, dauerhaft über die betroffene Region zu berichten. Wurde das Versprechen eingehalten? Der Deutschlandfunk hat sich bei Betroffenen und Helfenden vor Ort nach deren Eindrücken erkundigt.

3. Nach Desinformationsvorwürfen: “Markus Lanz”-Redaktion bedauert Interpretation zu Corona-Grafik
(rnd.de)
In der ZDF-Talkshow “Markus Lanz” wurde am vergangenen Mittwoch eine Grafik eingeblendet, die suggerierte, dass die Schutzimpfung viel wirkungsärmer sei als erhofft. Nachdem viele Zuschauerinnen und Zuschauer die Darstellung und deren Auslegung kritisiert haben, äußert sich nun das “Lanz”-Team: “Die Redaktion bedauert die irreführende Interpretation dieser Statistik.”

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4. Silke Burmester: “Fuckability ist die Währung im Fernsehen”
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Die Journalistin Silke Burmester spricht im Interview mit “DWDL” über mediale Geschlechtergerechtigkeit, die Darstellung von Frauen und die Altersverteilung im Fernsehen: “Wir reden in der Diversity-Debatte über alles, nur nicht über das Alter. Die Unternehmen versuchen, diverser zu sein, aber ich habe das Gefühl, dass es zu Lasten der älteren Kolleginnen und Kollegen geht. Die Menschen sollen alle möglichen Vorder- und Hintergründe haben, nur älter zu sein, ist aktuell nicht so gefragt. Das Irre ist ja, dass fast die Hälfte der deutschen Bevölkerung über 50 ist. Die Öffentlich-Rechtlichen wollen sich immer verjüngen und ich frage mich, wieso eigentlich? Deren Zuschauer sind im Schnitt um 60 Jahre alt.”

5. Immer die gleichen Nachrichten
(taz.de, David Muschenich)
Das Netzwerk der “Neuen deutschen Me­di­en­ma­che­r*in­nen” hat untersucht, welche Personen in den Nachrichtensendungen “Tagesthemen”, “heute Journal” und “RTL Aktuell” im August und September zu Wort gekommen sind und zu welchen Themen sie gesprochen haben. “Migrantisch wahrgenommene Menschen” seien in dieser Zeit deutlich unterrepräsentiert gewesen und hätten sich dabei am häufigsten zu Flucht- oder Migrationsthemen geäußert.

6. Endlich schaltet YouTube das Hassfeature ab
(netzpolitik.org, Sebastian Meineck)
Sebastian Meineck begrüßt die Entscheidung Youtubes, den “Dislike”-Button abzuschaffen. Die von manchen Nutzern und Nutzerinnen geäußerte Kritik, dabei handele es sich um eine Beschneidung der Meinungsfreiheit, kann Meineck nicht nachvollziehen: “Ohne öffentliche Dislikes wird Meinungsvielfalt sogar gefördert. Wenn die Dislike-Zahl fehlt, wandert der Blick schneller in den Kommentarbereich. Statt einfach auf den Daumen nach unten zu klicken, müssen Kritiker:innen jetzt zumindest ein paar Worte finden, um ihre Ablehnung per Kommentar auszudrücken.”

Deutscher Schlafrat, Verhöhnung unserer Werte, Aloha Heja He

1. Deutscher Presserat rügt “Bild” mehrfach, lässt sich jetzt aber erstmal Zeit
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Der Deutsche Presserat hat bekanntgegeben, dass er ein Beschwerdeverfahren gegen “Bild” und Bild.de zum Artikel “Die Lockdown-Macher” eingeleitet habe. Grundlage seien die mittlerweile 94 Beschwerden, darunter welche von mehreren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie der Berliner Humboldt-Universität. Der Presserat wolle den Fall auf seiner nächsten Sitzung entscheiden, das wäre dann der 24. März 2022. Boris Rosenkranz schriebt dazu: “Offenbar ist es dem Organ der freiwilligen Selbstkontrolle nicht möglich, einen fragwürdigen Artikel wie diesen, der öffentlich bereits breit diskutiert wurde und eine aktuelle gesellschaftliche Debatte betrifft, zum Anlass eines beschleunigten Verfahrens zu nehmen, um schnell zu einer Entscheidung zu kommen.”

2. Verhöhnung unserer Werte
(zeit.de, Eugen Ruge)
Der Schriftsteller Eugen Ruge kommentiert die jüngste Entscheidung eines britischen Gerichts, dass der WikiLeaks-Gründer Julian Assange an die USA ausgeliefert werden könne: “In diesen Tagen, Wochen und Monaten wird eine Weiche gestellt. Wenn Assange ausgeliefert und verurteilt wird, ohne dass die europäische Politik ernsthaft zu intervenieren versucht, disqualifiziert sie all ihre künftigen Warnungen im Hinblick auf die Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit in anderen Ländern zu hohlem Gerede.”

3. “Falter” gewinnt gegen ÖVP
(taz.de, Ralf Leonhard)
Die Wiener Wochenzeitung “Falter” darf laut einem letztinstanzlichen Urteil weiterhin behaupten, dass die ÖVP Wahlkampfkosten falsch gebucht und die Öffentlichkeit über die wahren Kosten des Wahlkampfes 2019 absichtlich getäuscht habe. Ralf Leonhard, Auslandskorrespondent der “taz”, fasst zusammen: “Mit dem Spruch des Obersten Gerichtshofes ist die Schmach jetzt komplett.”

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4. Die neuen Regierungssprecher
(deutschlandfunk.de, Isabelle Klein)
Mehr als ein Jahrzehnt war Steffen Seibert als Regierungssprecher tätig und in dieser Zeit bei mehr als 1.000 Bundespressekonferenzen zugegen. Nun hat Steffen Hebestreit das Amt des Regierungssprechers und des Chefs des Bundespresseamtes übernommen. Stellvertreterin beziehungsweise Stellvertreter sind zwei ehemalige “Spiegel”-Leute: die von den Grünen nominierte Christiane Hoffmann und der von der FDP nominierte Wolfgang Büchner. Der Deutschlandfunk stellt die drei neuen Medien-Verantwortlichen vor.

5. Roman Rafreider nach “ZiB Flash”-Moderation von ORF-Aufgaben entbunden
(derstandard.de)
Der ORF-Moderator Roman Rafreider wurde von allen Aufgaben entbunden, nachdem er im offensichtlich alkoholisierten Zustand in der Sendung “ZiB Flash” die Nachrichten verkündete. Der ORF bedauere den Vorfall und prüfe dienstrechtliche Konsequenzen. In der Mediathek des ORF war die Sendung nach kurzer Zeit nicht mehr abrufbar, entsprechende Youtube-Mitschnitte hat der Sender löschen lassen.

6. Achim Reichel hat mit “Aloha Heja He” einen Hit in China
(spiegel.de)
Der 77-jährige Achim Reichel hat in China einen Überraschungshit gelandet. Dort ist sein Shantysong “Aloha Heja He” gerade schwer angesagt, ein Lied, das bereits 30 Jahre auf dem Buckel hat. Wie kommt es, dass das Lied dort plötzlich so populär ist?

Bosbach-TV, Süßes Geheimnis, Abgespannt

1. #failoftheweek: Wolfgang Bosbach zu Gast bei Verschwörungstheoretikern
(blog.br.de, Christian Schiffer)
Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach ist in den letzten Jahren zum Star der Talkshowszene geworden. Niemand saß öfter in Talkrunden als der altgediente Innenpolitiker. Nun hat Bosbach einem Verschwörungsportal ein Interview gegeben. Christian Schiffer findet: Dieses eine Mal hätte der CDU-Innenpolitiker nein sagen müssen.

2. “Ich vermisse Bo”
(zeit.de, Eike Kühl)
Pete Souza war seit 2008 Cheffotograf von Barack Obama, einige Zeit davor übte er diese Funktion für Ronald Reagan aus. Seit Donald Trumps Amtsübernahme ist er wieder Freiberufler und hat anscheinend wieder etwas mehr Zeit. Auf jeden Fall hat er Instagram für sich entdeckt – und scheint dort subtil Donald Trump zu trollen. Aufmerksamen Beobachtern sei nicht entgangen, dass einige der von Souza veröffentlichten Bilder auffällig nah an den aktuellen Entwicklungen im Weißen Haus seien. Eike Kühl stellt auf “Zeit Online” einige Beispiele vor und kommentiert den inhaltlichen Hintergrund.

3. Oben ohne
(sueddeutsche.de, Willi Winkler)
Willi Winkler schreibt in der “SZ” über die Schwierigkeit der Humorbranche mit Trump. Der amerikanische Präsident sei schließlich sein eigener bester Parodist. Außerdem: “Die traurige Wahrheit aber ist, dass es den Comedians bei all dem Beifall, den sie mit ihren Trump-Travestien von den aufrechten Trump-Gegnern einheimsen, am wenigsten gelingt, Trump ernsthaft zuzusetzen. Sie verstärken nur die Marke Trump.”

4. Unbefriedigend
(djv.de)
Der Deutsche Journalisten-Verband bedauert die Entscheidung des Landgerichts Hamburg, große Teile des Schmähgedichts von Jan Böhmermann weiterhin zu verbieten. Der DJV-Bundesvorsitzende kritisiert, dass “nur in Hamburg die Justiz Verständnis für die Ehrpusseligkeit des türkischen Präsidenten habe”, während andernorts erst gar keine Klage zugelassen worden sei.

5. Abspänne im TV: Zwischen Kundigen und Knalltüten
(dwdl.de, Hans Hoff)
Senta Berger trat vor kurzem vehement für längere Abspänne von Filmen im deutschen Fernsehen ein, aus Respekt vor den Beteiligten. Das ist eine löbliche Forderung, findet Hans Hoff und überträgt das Bergersche Verlangen auf andere Branchen: “Ich freue mich schon, wenn ich demnächst einen Cheeseburger bestelle, und der freundliche McDonald’s-Mitarbeiter reicht mir den Abspannzettel dazu: Am Grill: Heinz Piontke, Gurkenscheibchenaufleger: Petra Ludwig, Senfeinspritzer: Herbert Kasulske, Küchenreinigung: Ovo Malandrino.”

6. „Bunte“-Vize Tanja May: Da wölbt sich doch was!
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Boris Rosenkranz begegnet auf “Übermedien” dem Boulevard mit den Mittel des Boulevards: “Ist sie oder ist sie nicht? Dieses Foto heizt die Gerüchteküche an. Hat die fesche Färbblondine aus der “Bunte”-Chefredaktion ein süßes Geheimnis?”

Journalismus als Luxus, Claudia Roths Hassmacher, Kriegsfotografie

1. “Alle, Herr Dobrindt!” – Geschichte einer Fake News
(zdf.de, Florian Neuhann)
Aus einem ironischen Zwischenruf von Claudia Roth in einer Bundestagsdebatte haben rechte Blogs, der Leiter des Parlamentsbüros der “Bild”-Zeitung und der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt handfeste Fake News gemacht. Und damit bewirkt, dass auf Claudia Roth noch mehr Hass herunterprasselt als ohnehin schon.

2. Digitaler Journalismus: Die fünf wichtigsten Grundregeln der Verifikation
(innovation.dpa.com, Stefan Voß)
Die Nachrichtenagentur dpa greift bei der Katastrophenberichterstattung auf eigene Korrespondenten und Angaben offizieller Stellen, aber auch auf Informationen aus den Sozialen Netzwerken wie Twitter, Facebook oder Instagram zurück. Doch die Netze sind auch eine Quelle für Desinformationen, Manipulationen und Irrtümer. Stefan Voss zeigt anhand von praktischen Beispielen, wie bei der dpa geprüft wird, ob ein Bild bzw. eine Information falsch oder echt ist.

3. Journalismus: bald nur noch ein Luxus der Wohlhabenden
(indiskretionehrensache.de, Thomas Knüwer)
Ist Journalismus bald nur noch ein Luxus der Wohlhabenden? Diese Frage stellt Medienbeobachter Thomas Knüwer und führt einige Argumente an, die für diese These sprechen könnten. Hoffnung machen ihm derzeit die von der Wirtschaft finanzierten Medien: “T-Online, also ein Content Marketing-Projekt, könnte zu einer Art Leuchtturm der Medien werden. Das ist unendlich lustig — und unendlich traurig. Genauso wie das Gefühl, dass ausgerechnet Verlage derzeit eine der größten Gefahren für die liberale Demokratie darstellen.“

4. Ein Gerücht, 23 Tote
(spiegel.de, Laura Höflinger)
200 Millionen WhatsApp-Nutzer soll es in Indien geben. Für viele Inder sei die App die Hauptquelle für Unterhaltung, Kommunikation und Information, wie Laura Höflinger berichtet. Und das mache die Nutzer des Instant Messengers anfällig für Falschinformationen und Gerüchte, die regelmäßig zu Gewalt und Toten führen würden.

5. Kriegsfotografinnen
(arte.tv)
Bei “Arte” gibt es gleich drei sehenswerte Produktionen zum Thema Krieg und Kriegsfotografie. Der obige Link führt zu einer Doku über Frauen, deren Kriegsfotos in den letzten hundert Jahren um die Welt gingen und immer noch gehen. Die Kriegsfotografin Christine Spengler stellt darin die Fotos berühmter Kolleginnen vor und berichtet über ihre Zeit als Brennpunktfotografin.
Im Spielfilm “Louder than Bombs” geht es um den Tod einer Kriegsfotografin (Isabelle Huppert) und die Auswirkungen, welche der Tod der Mutter auf den hinterbliebenen Vater und dessen zwei Söhne hat.
Und in “War Diary” dokumentiert der deutsche Reporter Carsten Stormer den Krieg in Syrien. “Ich bin ein Augenzeuge. Ein Chronist eines Krieges. Alles, was Sie sehen werden, habe ich selbst erlebt.” Ein erschütterndes, bewegendes und äußerst sehenswertes Filmdokument.

6. #Journalismus zum Fremdschämen gestern bei @ndr @das_rotesofa
(twitter.com/sduwe, Silvio Duwe)
Silvio Duwe hatte ein Erlebnis der besonderen Art, als er die NDR-Fernsehsendung “DAS” sah: “Die selbsternannte Kräuterexpertin Caroline Deiß durfte von heilsamen Fabelwesen und Kontakten in eine andere Welt fabulieren. “DAS” verkauft diesen geballten Blödsinn als Gesundheitstipps. Ein Thread.”

Zum Würfeln: Literaturkritiken

Zeitknappheit, Personalmangel, begrenzte Ressourcen …

Wir kennen die Probleme der Redaktionen nur allzu gut und haben dafür die Lösung: Mit unserem neuen Würfelspiel “Kurz vor Redaktionsschluss” lassen sich, jawoll, auch kurz vor Redaktionsschluss auf die Schnelle druckreife Teaser, kurze Artikel und sogar ganze Buchbesprechungen erstellen.

Folge 2 unserer 16-teiligen Serie: Literaturkritiken.

Das neue BILDblog-Würfelspiel Kurz vor Redaktionsschluss - Literaturkritiken - Schritt eins: Würfeln Sie den Einleitungssatz - Schritt zwei: Würfeln Sie das erste Kritikelement - Schritt drei: Würfeln Sie das zweite Kritikelement - Schritt vier: Würfeln Sie den Schlusssatz - Variante eins: Die gefeierte Hohepriesterin der Poesie entwirft ein leuchtendes Requiem der Vergänglichkeit und räumt nachhaltig mit falschen Gewissheiten auf. Die Katastrophe als Signum unserer Zeit! - Variante zwei: Der geniale Handwerker im Literaturbetrieb malt ein verstörendes wie anrührendes Sittenbild und erstarrt in Klischees und Konventionen. Ein Lektüreerlebnis zwischen Fortschritt und Zwiespalt! - Variante drei: Die Zentralfigur der deutschen Gegenwartsliteratur knüpft ein dichtes, aber subtiles Textgewebe und zeichnet das Bild einer klaustrophoben Herrschaft. Ein Drama, das gänzlich auf Bewältigung verzichtet! - Variante vier: Der literarische Saboteur des Ewiggesagten webt ein Gespinst aus postmoderner Philosophie und verhüllt sich in einer luziden Wehmutswolke. Ein pointenpralles und fulminantes Gemälde unserer Zeit! - Variante fünf: Der Schriftsteller mit dem Hang zur Identitätssuche bietet ein Tableau disparater Reflektorfiguren auf und entwirrt die Fallstricke der Unverstelltheit. Geschichtenfäden aus dem Beziehungsgeflecht der Welt! - Variante sechs: Die sträflichst unterbewertete Wort-Architektin ergeht sich in einer Mischung aus Angst, Wut und Ekel und changiert zwischen Lust und Verblendung. Wie ein Malariafiebertraum, aus dem man nie erwacht!

Hier gibt es ein größeres JPG und hier ein größeres PDF zum Ausdrucken.

Am Freitag folgt Ausgabe 3.

Bisher erschienen:

Heinsberg-Update, Home-Office bei den “Waltons”, Versteckspiel der AfD

1. Streeck, Laschet, StoryMachine: Vom PR-Plan zum Exit-Rush – ein Update
(riffreporter.de, Christian Schwägerl & Joachim Budde)
Die wirtschaftlichen, politischen und sonstigen interessengeleiteten Verflechtungen rund um die sogenannte Heinsberg-Studie des Virologen Hendrik Streeck und das Engagement der PR-Agentur “Storymachine” geben Anlass zu weiteren Diskussionen. Nach ihrem ersten, viel beachteten Text schließen Christian Schwägerl und Joachim Budde mit einem Update an und schildern, was sich in der Woche danach getan hat.

2. «Für den Journalismus als Geschäft sieht es immer schlechter aus»
(medienwoche.ch, Adrian Lobe)
Viele Medienhäuser waren vor der Corona-Krise schon angeschlagen und geraten jetzt in ernsthafte Schwierigkeiten. Wie soll es weitergehen in Zeiten, in denen der werbefinanzierte Journalismus kaum mehr eine Zukunft hat? Sich in die Abhängigkeit von Google und Facebook begeben, einen reichen Gönner suchen oder auf eine stärker werdende zahlende Nutzerbasis hoffen? Es sei eine Situation, bei der die Gewinner vor allem auf der anderen Seite des Ozeans sitzen, wie Adrian Lobe resümiert: “Die Krise unbeschadet überstehen werden hingegen Google und Facebook, die auch in Zukunft das Gros der Werbeeinnahmen absorbieren und den darbenden Medien mit ihrem Almosen ein prekäres Weiterleben ermöglichen.”

3. Das Versteckspiel der AfD
(netzpolitik.org, Daniel Laufer & Jan Petter)
Nach Recherchen von Daniel Laufer und Jan Petter werde das neue rechtsradikale Jugendportal “Fritzfeed” offenbar von Angestellten der AfD-Fraktion in Nordrhein-Westfalen betrieben. Einer von ihnen sei sogar als Pressesprecher für die AfD-Fraktion tätig und habe sich am Telefon verleugnen lassen.

4. Wikipedia als Eldorado für PR-Abteilungen
(verdi.de, Marvin Oppong)
Vor wenigen Tagen hat der Deutsche Rat für Public Relations der Online-Enzyklopädie Wikipedia eine Rüge erteilt. Für die Leserinnen und Leser sei “nicht auf den ersten Blick erkennbar, ob die Beiträge von den Autoren auf Eigeninitiative oder im Auftrag von Dienstleistern erstellt wurden.” Marvin Oppong nimmt dies zum Anlass, an die Aktivitäten eines Burda-Accounts zu erinnern, der den Wikipedia-Eintrag über den “Focus” in manipulativer Absicht und auf beschönigende Weise bearbeitet habe.
Dazu auch aus unserem Archiv: “Verlagsleitung BILD Gruppe” hübscht “Bild am Sonntag” bei Wikipedia auf.

5. Star der Inszenierung
(taz.de, Ralf Leonhard)
Wenn Österreichs Boulevardzeitungen Bundeskanzler Sebastian Kurz als Helden in der Corona-Krise feiern, sei dies kein Wunder, so Ralf Leonhard: “Kurz und seine Regierung danken die Hofberichterstattung mit einem Füllhorn an Sonderförderungen. Aus dem mit 12,1 Millionen Euro dotierten Coronatopf für Printmedien bekommt die Krone mit 2,72 Millionen den üppigsten Happen, gefolgt von den nicht minder Kurz-hörigen Gratisblättern Österreich und Heute (1,81 bzw. 1,82 Millionen).”
Weiterer Lesehinweis: Coronavirus bedroht Pressefreiheit, Österreich rutscht weiter ab (derstandard.at, Doris Priesching).

6. Die Corona-WG
(sueddeutsche.de, SZ-Autorinnen und Autoren)
Netflix-Aficionados und Bingewatcher kennen das Phänomen: Manchmal taucht man derart intensiv in die TV-Parallelwelt ein, dass man sich bei den Protagonistinnen und Protagonisten regelrecht zu Hause fühlt. Wie wäre es, wenn man dort gedanklich sein Home-Office aufschlägt? Die “Süddeutsche Zeitung” hat sich bei ihren Autoren und Autorinnen erkundigt, ob zum Beispiel die “Waltons”, die “Gilmore Girls” oder “Better Call Saul” eine wünschenswerte Arbeitsumgebung abgäben.

Mit der Corona-Angst der Leserschaft zum “meistgeklickten Artikel”

In einer Zeit, in der nicht endgültig geklärt ist, welche gesundheitlichen Schäden eine Infektion mit dem Coronavirus hinterlässt, in der gerätselt wird, ob die Erkrankung vielleicht sogar Langzeitfolgen haben kann, braucht es eins ganz gewiss nicht: Eine Redaktion, die vermeintliche Corona-Symptome ausnutzt, um ein paar schnelle Klicks einzusammeln, und dabei mit der Verunsicherung und der Angst der Leserschaft spielt.

Womit wir auch schon bei Bild.de wären.

Dort war gestern auf der Titelseite dieser Teaser zu finden:

Screenshot Bild.de - China-Fernsehen zeigt unglaubliche Bilder - Corona-Patienten haben plötzlich dunkle Haut
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)

Der Artikel beginnt so:

Stellen Sie sich vor, Sie haben plötzlich eine ganz andere Hautfarbe.

So ist es angeblich zwei chinesischen Ärzten ergangen, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben. Entsprechende Bilder zeigte der Staatssender “Beijing TV Station” in einer Dokumentation.

Erst nach mehreren Absätzen, am Ende des Textes, gibt es die Auflösung auf die Frage “Was ist der Auslöser der Haut-Veränderung?”. Erst dort erfährt man, dass das alles nichts mit dem Coronavirus beziehungsweise Covid-19 an sich zu tun haben soll, sondern mit einem Medikament, mit dem die zwei Männer behandelt worden sein sollen:

Ein behandelnder Arzt sagte dem Sender, dass womöglich ein Medikament schuld an der dunkel gewordenen Haut sei. Beide Patienten hätten es zu Beginn ihrer Behandlung bekommen. Die Hautverfärbung sei eine der Nebenwirkungen des Medikaments.

Er erwarte, dass sich die Hautfarbe beider Mediziner wieder normalisieren würde, wenn sich die Funktion ihrer Leber verbessert, so der Arzt weiter.

Der Plan der Redaktion, mit diesem Verwirrspiel reichlich Klicks zu generieren, ist offensichtlich aufgegangen:

Screenshot Bild.de - Meistgeklickte Artikel - Unglaubliche Bilder aus China - Corona-Patienten haben plötzlich dunkle Haut

Mit Dank an @jbecker98 und Florian H. für die Hinweise!

Twitter-Bitcoin-Hack, Der falsche Stammbaum, Hofberichterstattung

1. Twitter-Accounts von Prominenten offenbar gehackt
(spiegel.de)
Gestern Abend kam es zu einem Hackerangriff auf Twitter-Konten von mehreren Prominenten und großen Firmen. In untergeschobenen Tweets riefen die von der Attacke betroffenen Personen und Unternehmen dazu auf, ihnen Bitcoins zu senden. Man würde den Betrag doppelt zurückzahlen oder spenden. Betroffen waren unter anderem die Accounts des früheren New Yorker Bürgermeisters Michael Bloomberg, des Rappers Kanye West und des Microsoft-Gründers Bill Gates sowie Profile von Firmen wie Apple und Uber. Twitter will der Sache nachgehen, verständlicherweise und mehr als dringend.
Weiterer Lesehinweis: Warum es so gefährlich war, dass Hacker über Twitters interne Systeme prominente Accounts steuern konnten (netzpolitik.org, Markus Reuter).

2. Darf Facebook Ihre Daten in die USA senden?
(zeit.de, Lisa Hegemann)
Dürfen Unternehmen personenbezogene Daten von Europäerinnen und Europäern in die USA schicken – Daten, die dort auch von den Geheimdiensten genutzt werden können? Darüber entscheide heute, aller Voraussicht nach, der Europäische Gerichtshof. Lisa Hegemann behandelt die wichtigsten Fragen zum Thema: Was ist das genaue Problem bei der Datenweitergabe? Was verbirgt sich hinter dem Privacy-Shield-Abkommen? Und wie sind die möglichen Entscheidungen des Gerichts zu bewerten?

3. Der erste Nestbeschmutzer aus dem Homeoffice
(netzwerkrecherche.org, Malte Werner)
Die Nachwuchsjournalistinnen und -journalisten aus dem Master-Studiengang Journalistik und Kommunikationswissenschaften an der Uni Hamburg haben gemeinsam an einem Heft gearbeitet (PDF), das sich thematisch an die Jahreskonferenz des Netzwerk Recherche anlehnt. Empfehlenswert für alle Medieninteressierten – und noch dazu kostenlos.

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4. Der falsche Stammbaum
(kontextwochenzeitung.de, Johanna Henkel-Waidhofer)
Tagelang machte das einem Polizeipräsidenten in den Mund gelegte Wort von der “Stammbaumforschung” die Runde. Dieser Polizeipräsident hatte das jedoch nie gesagt. Johanna Henkel-Waidhofer hat den Fall in einer Chronologie aufgearbeitet: “Verursacht wurde die ganze Aufregung von einem Sternschnuppen-Journalismus, der ungeniert Meldungen verbreitet, ohne ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen.”

5. Diversität in Medien muss zur Normalität werden
(blog.medientage.de, Petra Schwegler)
Bei den Medientagen München ging es unter anderem um die Frage, wie Diversität zum selbstverständlichen Wert redaktioneller Arbeit werden kann (Videomitschnitt der Veranstaltung). Petra Schwegler fasst die verschiedenen Aussagen, Wünsche und Forderungen von Teilnehmern und Teilnehmerinnen zusammen.

6. Sein Schloss, sein Schiff, sein Himmel, unser Aufmacherfoto
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Angela Merkels Treffen mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder glich einem durchorchestrierten und inszenierten Staatsbesuch. Dabei entstanden Bilder von, nun ja, ungeheurer visueller Wucht, die begierig von vielen Redaktionen aufgegriffen wurden. Stefan Niggemeier hat sich die Titelblätter einiger Zeitungen angeschaut und kommentiert die spezielle Form der Hofberichterstattung.

Russische Desinformation, “Bild”-Bollwerk, Klarnamenpflicht

1. Das Netzwerk gefälschter Auslandsmedien
(netzpolitik.org, Daniel Laufer & Alexej Hock)
netzpolitik.org hat in Kooperation mit der “Welt” eine spannende Recherche über vermeintliche Nachrichtenportale durchgeführt, die russische Propaganda verbreiten. Dabei kam ein ganzes Netzwerk von Desinformationsseiten und Fake-News-Schleudern zum Vorschein: “Die fingierten Auslandsmedien sollen die Glaubwürdigkeit der Nachrichten verstärken, wenn sie innerhalb Russlands zitiert werden. Etabliert hat sich noch eine zweite Methode: Die Drahtzieher missbrauchen sogar seriöse europäische Medien, um ihre Verschwörungsmythen zu streuen.”

2. Bollwerk “Bild”
(zeit.de, Daniel Bouhs)
Ab dem 18. Dezember gibt es auf Amazon Prime eine siebenteilige Dokuserie, in der angeblich der Redaktionsalltag bei “Bild” zu sehen ist. Daniel Bouhs hat sich das Werk schon jetzt angeschaut: “So wie Amazon auch sonst all die oft heroisiert, die dem Dienst exklusiv Zugang gewährten, wie etwa der Fußballverein Borussia Dortmund, so inszeniert auch diese Produktion Bild vor allem als Vorkämpfer. Grenzübertritte auf der Suche nach Geschichten und Bildern etwa von Toten wirken aus dem Alltag der Boulevardredaktion wie ausradiert.”

3. Facebook darf Nutzer mit falschem Namen sperren
(spiegel.de)
Das Oberlandesgericht München hat in einem Urteil zur Klarnamenpflicht entschieden, dass Facebook Pseudonyme verbieten darf. “Bei der Verwendung eines Pseudonyms liegt die Hemmschwelle nach allgemeiner Lebenserfahrung deutlich niedriger”, so das Gericht. Dies wird von Expertinnen und Aktivisten jedoch vielfach anders gesehen. Siehe dazu auch den weiteren Lesehinweis: In einem immer noch lesenswerten Gastbeitrag aus dem Jahr 2019 erklärt der Jurist und Vorsitzende der Gesellschaft für Freiheitsrechte Ulf Buermeyer, was man statt einer Klarnamenpflicht tun könnte (tagespiegel.de).

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4. Homophobie und Rassismus: Die ARD ist Dieter Nuhrs perfekte Bühne
(nollendorfblog.de, Johannes Kram)
Johannes Kram schrieb schon 2014 über Schwulenwitze in Dieter Nuhrs “Satire Gipfel”. Damals ging es um die Frage: Prangert Nuhr eine Geisteshaltung an, wenn er eine ganze Kaskade schwulenfeindlicher Klischees reproduziert, oder weidet er sich an den schalen Witzchen und trägt dazu bei, dass homophobe Vorurteile verstärkt werden? Kram vertrat die letztere Ansicht. Sechs Jahre später fragt sich Johannes Kram, wie es möglich ist, dass Dieter Nuhrs seiner Ansicht nach homophobe und rassistische Pointen in der ARD immer noch auf so wenig Gegenwehr stoßen: “Die ARD könnte sich darum bemühen zu erklären, dass das rechte Rauschen der letzten Jahre die Grenzen des in Deutschland Sagbaren in die Richtung verschoben hat, dass sich das Sagbare vergrößert und nicht verkleinert hat. Dass nicht die Diskriminierten durch ihre angeblichen Denk- und Lachverbote die Aggressoren sind, sondern diejenigen, die sie diskriminieren.”

5. Brauchen ARD und ZDF so viel Geld? Zehn Fragen und Antworten zum Rundfunkbeitrag
(rnd.de, Imre Grimm)
In den vergangenen Tagen wurde viel über die fehlende Zustimmung Sachsen-Anhalts zur geplanten Erhöhung des Rundfunkbeitrags um 86 Cent pro Monat geschrieben. Dabei standen oft die politischen Machtspiele im Vordergrund. Für das ganze Bild hat Imre Grimm zehn Fragen und Antworten zum Rundfunkbeitrag zusammengestellt. Anschließend bietet sich die Lektüre seines Kommentars an: Was viel wichtiger wäre als 86 Cent mehr.

6. Aktualisieren!
(sueddeutsche.de, Philipp Bovermann)
Philipp Bovermann philosophiert in der “Süddeutschen” über ein journalistisches Nachrichtenformat, das uns dieses Jahr besonders oft begegnet ist – den Liveticker: “Liveticker halten, so könnte man sagen, der Welt den Atem an, um vom Neuen zu künden. Ihre roten Lämpchen leuchteten viel in diesem Jahr. Alles schien möglich, während die Gegenwart immer wieder ihre Synchronizität mit sich selbst verlor. So viel Dialektik! Halb fürchtet man sich, halb sehnt man sich danach, dass die neue Gegenwart, welche auch immer es sei, endlich beginnen möge.”

KW 44: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

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1. Boulevardblätter in Not – Haben Bild und Co. noch eine Zukunft?
(sr.de, Isabel Sonnabend & Michael Meyer, Audio: 16:04 Minuten)
In der aktuellen Folge von “Medien – Cross und Quer” geht es um die Zukunft des Boulevard: Steht das Segment der Boulevardzeitungen vor dem baldigen Aus? Oder wandern Boulevard-Inhalte einfach nur ins Netz und werden dann eben dort konsumiert? Ist Boulevard-Berichterstattung, so wie sie jetzt ist, überhaupt noch zeitgemäß? Und was kann und wird sich verändern? Unter anderem darüber sprechen Isabel Sonnabend und Michael Meyer mit dem Hamburger Medienwissenschaftler Michael Haller.

2. Wie gefährdet ist die Pressefreiheit in Polen?
(uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 27:18 Minuten)
Im “Übermedien”-Podcast spricht der Journalist Thomas Dudek mit Holger Klein darüber, wie die polnische Medienlandschaft sich Stück für Stück verändert, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk Telewizja Polska zum Propagandaorgan der Regierung wurde, und weshalb die Parlamentswahl 2023 ein Wendepunkt für die Pressefreiheit in Polen sein könnte.
Weitere Empfehlung: Im Rahmen der MDR-Europakonferenz hat sich MDR-Programmdirektor Klaus Brinkbäumer mit den Botschaftern von Polen und Tschechien sowie einer Vertreterin von Reporter ohne Grenzen über Pressefreiheit sowie über “Medien und ihre gesellschaftliche Funktion in Europa” unterhalten (youtube.com, phoenix, Video: 1:56:10 Stunden).

3. True Crime: Online auf Verbrecherjagd
(ndr.de, Gudrun Kirfel, Video: 12:57 Minuten)
Das Verschwinden der US-amerikanischen Bloggerin Gabby Petito sorgte weltweit für großes Aufsehen. Der Hashtag #gabbypetito verzeichnete allein auf TikTok annähernd zwei Milliarden Aufrufe. Dort, bei Instagram und Youtube suchten unzählige Nutzerinnen und Nutzer den mutmaßlichen Mörder. “Zapp”-Reporterin Gudrun Kirfel hat die Welt der neuen Hobby-Detektive erkundet: Was treibt sie an? Wie hilfreich sind deren Hinweise?

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4. Entscheidung zu El-Hassan und Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis
(wdr.de, Sebastian Sonntag, Audio: 40:16 Minuten)
Im WDR5-Medienmagazin geht es um die folgenden Themen: Die Entscheidung zu Nemi El-Hassan, Afghanische Journalisten in Deutschland, Preisgekrönte Afghanistan-Reporterin, Berichterstattung an Polens Ostgrenze, Chance und Risiko von Gesichtserkennung, Online-Portal für historische Zeitungen. Den Abschluss bildet wie immer die “Medienschelte”, diesmal zum Revival von “Wetten, dass ..?”.

5. Nachhaltigkeits-Berichterstattung: Wie veränderungsbereit sind deutsche Medien, Daniel Bröckerhoff?
(youtube.com, turi2tv, Markus Trantow, Video: 9:26 Minuten)
Auf den Medientagen München wurde unter anderem über das Thema “Nachhaltigkeit in Medien und Gesellschaft” diskutiert. Daniel Bröckerhoff moderierte dort einen “Nachhaltigkeitsgipfel”. In der Nachbesprechung mit “turi2” fasst Bröckerhoff die unterschiedlichen Positionen und den Stand der Diskussion zusammen (“Am Ende hat es ein bisschen gekracht”).

6. Wieso sich das Militär jetzt auf die Gamer stürzen will
(youtube.com, Walulis Story – SWR3, Video: 13:07 Minuten)
Der Krieg der Kriegsspiele für den PC habe einen lachenden Gewinner aus der zweiten Reihe: Armeen. Für die könne es aktuell nicht genug Gaming geben. In der aktuellen “Walulis Story” geht es um die medialen Anstrengungen, aus Gamern Rekruten zu machen, und die Frage, wie die Spielehersteller dabei helfen.

Kurz korrigiert (538)

In ihrer Berichterstattung über das Attentat auf den Autor Salman Rushdie versucht die “Bild”-Redaktion, ihrer Leserschaft auch zu erklären, was eine Fatwa ist. In der gedruckten “Bild” erschien gestern extra ein Infokasten zum Thema:

Ausriss Bild-Zeitung - Fatwas auch gegen Frauen

Bei Bild.de ist dieselbe Erklärung im Artikel eingebaut. Im Print wie online steht unter anderem:

“Fatwas” sind zwingende Rechtsverordnungen, die in islamischen Ländern wie Gesetze gelten.

Der Journalist Yassin Musharbash bezeichnet diese Aussage bei Twitter als “eindeutig zu grobkörnig”, und wir würden ergänzen: Sie ist in ihrer versuchten Allgemeingültigkeit schlicht falsch.

Die Konrad-Adenauer-Stiftung etwa schreibt zu Fatwas:

Eine fatwa ist ein Rechtsgutachten eines islamischen Rechtsgelehrten, das in Bezug auf ein bestimmtes Problem ein nicht bindendes Gutachten auf Grundlage der Quellen der Scharia darstellt.

Und auch die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt in ihrem “Kleinen Islam-Lexikon”:

Fatwa, arabisch für Rechtsgutachten, in dem der Mufti ein bestimmtes Problem unter Berücksichtigung des islamischen Rechts beantwortet. Das Gewicht eines derartigen Gutachtens beruht grundsätzlich auf der persönlichen Autorität seines Ausstellers. Die vertretene Rechtsauffassung ist deshalb im Unterschied zu einem Gerichtsurteil nur für denjenigen bindend, der diese Autorität anerkennt.

Im sunnitischen Islam ist es beispielsweise möglich, dass jemand eine Fatwa einholt und, sollte er damit nicht zufrieden sein, den nächsten Mufti konsultiert. Die Unterscheidung zwischen der Bedeutung von Fatwas im sunnitischem beziehungsweise im schiitischem Islam fehlt bei “Bild” gänzlich. Sie ist auch keine Marginalie. Es gibt mehrere Länder, in denen der sunnitische Islam Staatsreligion ist; außerdem gehören die in Deutschland lebenden Muslime mehrheitlich dem sunnitischen Islam an.

Es gibt Fatwas zum Thema Beten, Fatwas zum Fasten, Fatwas zum Rauchen, Fatwas zu ganz alltäglichen Fragestellungen, aber eben auch Tötungsaufrufe wie im Fall von Salman Rushdie. Dazu schreibt die Bundeszentrale für politische Bildung:

Der Tötungsaufruf gegen den Schriftsteller Salman Rushdie wurde vom damaligen Ayatollah Khomeini in Form einer Fatwa erlassen. Die große Beachtung, die dieser Aufruf fand, rührte daher, dass Khomeini zu Lebzeiten eine hohe Stellung im schiitischen Islam einnahm.

Das kommt durch die Autorität Khomeinis im Iran sicherlich schon an eine gesetzesähnliche Bedeutung heran. Aber das gilt eben nicht, wie “Bild” es darstellt, für alle Fatwas überall. So kann es verschiedene Fatwas zur selben Frage geben, die sich inhaltlich widersprechen. Wären diese dann “zwingende Rechtsverordnungen, die in islamischen Ländern wie Gesetze gelten”, wäre das bei der praktischen Umsetzung ausgesprochen schwierig.

Gesehen bei @abususu.

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Twitters Probleme, Scheitern an Google, Ohne Rückendeckung

1. Werbekunden fordern von Twitter Maßnahmen gegen Kindesmissbrauch
(spiegel.de, Torsten Kleinz)
Auf Twitter sollen mehr als 500 Accounts Werbung für Kindesmissbrauchsmaterial gemacht haben. Die Tweets hätten der Kontaktanbahnung gedient und seien mit Codewörtern oder einschlägigen Hashtags versehen worden. Als Reaktion darauf hätten einige Großkunden ihre Anzeigenkampagnen gestoppt. Twitters Nachlässigkeit in dem Bereich könnte also noch teure Folgen haben.
Weiterer Lesetipp: Porno-Riesen schränken Suchfunktion ein – teilweise: “Die drei weltgrößten Pornoseiten reagieren auf Fälle sexualisierter Gewalt. Sie schließen problematische Begriffe aus der Suche aus, Pornhub verlinkt gar auf Hilfsangebote. Im direkten Vergleich sticht eine Seite jedoch heraus.” (netzpolitik.org, Sebastian Meineck)

2. Buchtipp: Neuauflage “Der Aufmacher”
(verdi.de, Tilmann P. Gangloff)
Zum achtzigsten Geburtstag von Günter Wallraff veröffentlicht der Verlag Kiepenheuer & Witsch eine Neuauflage des “Bild”-kritischen Klassikers “Der Aufmacher”. Das Buch entpuppe sich als überraschend aktuell, wie Tilmann P. Gangloff findet. Die Mechanismen des Marktes seien die gleichen geblieben: “Die Digitalisierung hat diese Art von ‘Journalismus’ nicht verändert, er ist bloß noch überdrehter geworden.”
Weiterer Hinweis: Natürlich muss in diesem Zusammenhang auf das Buch meiner BILDblog-Kollegen Moritz Tschermak und Mats Schönauer verwiesen werden: Ohne Rücksicht auf Verluste – Wie BILD mit Angst und Hass die Gesellschaft spaltet (kiwi-verlag.de).

3. Hätten Precht und Welzer doch einfach mal jemanden gefragt!
(uebermedien.de, Nils Minkmar)
Vor wenigen Tagen haben der Philosoph Richard David Precht und der Soziologe Harald Welzer ihr neues medienkritisches Buch vorgestellt (“Die vierte Gewalt – Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist”). Nach Harald Staun (siehe die “6 vor 9” vom 27. September) beschäftigt sich nun auch Nils Minkmar mit dem Werk. Sein Eindruck: “Was die beiden eigentlich mit diversen Gedankengängen und nur halb tauglichen Beispielen beklagen, ist ihre Minderheitenposition in der Ukrainefrage, denn beide verhalten sich abwartend bis neutral, was die Hilfe für Kiew angeht.”

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4. Was bekommen junge Erwachsene für ihren Rundfunkbeitrag?
(deutschlandfunk.de, Annika Schneider, 37:11 Minuten)
Jutta Harrer-Amersdorffer, Professorin für soziale Arbeit, will wissen, warum es für junge Erwachsene nicht mehr Angebote bei ARD und ZDF gibt. Darüber diskutiert sie mit HR-Intendant Florian Hager, bis vor Kurzem für die Entwicklung der ARD-Mediathek verantwortlich, und Annika Schneider aus der Deutschlandfunk-Medienredaktion.

5. Freie Krisen- und Kriegsreporter – Im Einsatz ohne Rückendeckung
(message-online.com)
Laurent Schons Film “Im Einsatz ohne Rückendeckung” (youtube.com, 12:11 Minuten) beschäftigt sich mit dem Thema Kriegsberichterstattung und lässt einige erfahrene Reporterinnen und Reporter zu Wort kommen: “Jörg Armbruster und Alex Chan Tsz Yuk – beide gerieten im Einsatz unter Beschuss. ‘Netzwerk Recherche’-Vorstandsmitglied Pascale Müller und Auslandskorrespondent Marc Engelhardt geben Einblicke in die Branche und ‘Reporter ohne Grenzen’-Sprecher Christopher Resch zeigt Wege aus der Krise auf.”

6. Deutsche Verlage scheitern an Google
(netzpolitik.org, Ingo Dachwitz & Alexander Fanta)
“Eigentlich sollten Google und weitere Tech-Konzerne den Medien in Europa Geld für die Nutzung ihrer Inhalte zahlen. Doch während die Presse anderswo Millionen an Lizenzgebühren kassiert, kommt hierzulande wenig an. Das Nachsehen haben insbesondere Journalist:innen.” Ingo Dachwitz und Alexander Fanta erklären, warum die deutschen Verlage nicht weiterkommen im Kampf um die Digitalgelder der Plattform-Giganten.

Missglückte taz-Landschaften, Assange-Doku, Gläserne Gesetze

1. Das ging daneben
(taz.de, Georg Löwisch)
Der “taz”-Titel zu Helmut Kohls Tod (“Blühende Landschaften”) hat viele kritische Reaktionen hervorgerufen. Auch “taz”-Chefredakteur Georg Löwisch hält den Titel für missglückt. Man hätte einen Kontrapunkt zu all den verklärenden Lobhudeleien setzen wollen. Das sei jedoch danebengegangen.

2. Welchen Fakten können wir trauen?
(philomag.de, Philipp Felsch)
Die Wissenschaftshistorikerin Lorraine Daston und der Investigativjournalist Georg Mascolo haben sich über die Krise der Wahrheit in der Ära Trump unterhalten. Ein Gespräch, für das man sich etwas Zeit nehmen sollte und das viele interessante historische und philosophische Themen anschneidet wie den Vergleich der Historikerin: “Die Flugblätter der Reformationszeit lassen sich mit einer Webseite wie Breitbart News vergleichen. Es hat über 200 Jahre, also bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts gedauert, bis Verfahren etabliert waren, mit denen sich wahre von falschen Informationen unterscheiden ließen. Ich hoffe, wir sind in der Lage, heute schneller an dieses Ziel zu gelangen.”

3. Neues Transparenz-Portal eine wahre Fundgrube
(djv.de, Anna-Maria Wagner)
Als eine wahre Fundgrube für recherchierende Journalisten und alle anderen, die sich beruflich oder privat für Lobbyismus interessieren, bezeichnet Anna-Maria Wagner das neue Transparenz-Portal “Gläserne Gesetze”, eine Gemeinschaftsproduktion von “fragDenStaat.de” und “abgeordnetenwatch.de”. Das Ziel der Datenbank: Den Einfluss von Lobbyisten auf die Gesetzgebung transparent machen und sichtbar machen, wenn Forderungen von Interessenvertretern in Gesetzestexte übernommen wurden. Bereits jetzt gäbe es dort 17.000 dokumentierte Fälle, in denen Lobbyisten an Gesetzen mitgewirkt hätten.

4. Landespolizei kontrolliert Beamte
(kn-online.de, Bastian Modrow)
Die Schleswig-Holsteinische Landespolizei hat im Zuge der sogenannten “Rocker-Affäre” die Kontrolle ihrer Beamten massiv ausgeweitet. Angeblich wird die gesamte Internetkommunikation im Bereich des Innenministeriums seit Anfang April protokolliert. Darüber hinaus würden Polizisten überprüft, die in Verdacht stehen, Kontakt mit kritischen Journalisten, Politikern und Rechtsanwälten zu pflegen. Nach Angaben von leitenden Polizisten ginge es vornehmlich darum, „singende Ratten“ zu identifizieren – so würden demnach im Führungsstab des Landeskriminalamts (LKA) Kiel jene Beamte genannt, die im Zuge der Rocker-Affäre mit Presse und Politikern Kontakt haben.

5. Standortfrage
(sueddeutsche.de, Karoline Meta Beisel)
Europa gerät dort an seine Grenzen, wo Wirtschaftsinteressen berührt sind. Nachdem die EU schon Schritte gegen Roaminggebühren und Geoblocking unternommen hat, will sie nun den grenzüberschreitenden Zugriff auf Mediatheken von TV-Sendern erleichtern. Dagegen protestiert die Filmwirtschaft, die ihr Geschäftsmodell bedroht sieht.

6. Kein normaler Mensch
(zeit.de, Monika Ermert)
Die oscarprämierte Filmemacherin Laura Poitras hat eine neue Doku gedreht, in der es um Wikileaks und das Gesicht der Enthüllungsplattform geht: Julian Assange. Wie nicht anders zu erwarten, gab es auch Kritik an dem Film beziehungsweise an der Darstellung der porträtierten Personen. Für “Zeit”-Autorin Monika Ermert jedoch kein Grund, dem Kino fernzubleiben: “Auch wenn Poitras schon viel Schelte für den Film bezogen hat, sehenswert ist das Stück für alle, die sich für die Figuren rund um WikiLeaks interessieren, allemal.”

Missliebige Missbrauchs-Doku, Mächtige InfluencerInnen, Filter-Omen

1. Arte nimmt Missbrauchs-Doku aus dem Programm
(sueddeutsche.de, Benjamin Emonts)
Der Fernsehsender Arte musste eine vielbeachtete Dokumentation über Missbrauch in der katholischen Kirche (“Gottes missbrauchte Dienerinnen”) aus der Mediathek nehmen. Der Grund: Eine Person habe sich nach Angaben des Senders in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt gefühlt und eine einstweilige Verfügung erwirkt. Arte hält die Entscheidung für falsch und prüft die rechtlichen Möglichkeiten.
Weiterer Lesetipp: Matthias Drobinski hat den Film über sexuelle Gewalt gegen Nonnen für Süddeutsche.de rezensiert. Der Film habe Schwächen, doch die Stärke des Films überwiege: “Das Schweigen ist gebrochen.”

2. Neue gegen alte Mediengeneration
(taz.de, Anne Fromm)
Der Komikerin Enissa Amani passte eine Kritik bei “Spiegel Online” nicht, und so keilte sie auf ihren Social-Media-Kanälen heftig gegen die Verfasserin aus. Der öffentlich ausgetragene Streit zeigt auch die neuen Machtverhältnisse. Heutzutage haben InfluencerInnen dank hunderttausender treuer Fans viele Möglichkeiten, sich zu wehren. Amani konstruierte gar einen Kampf gegen die “Mächtigen”, zu denen sie “Spiegel Online” und “Bild” zählt. “taz”-Redakteurin Anne Fromm kommentiert: “Da tönt eine Form der Elitenkritik, die man sonst eher aus der rechten Ecke kennt. Allerdings sind “die da oben” und “wir hier unten” eben nicht mehr so leicht voneinander zu trennen, wenn man, wie Amani, bei Instagram über eine halbe Million Menschen erreicht.”
Siehe dazu auch: Am längeren Hebel (sueddeutsche.de, Quentin Lichtblau).

3. Ende einer Trolljagd – Compact-Magazin scheitert am BGH mit Nichtzulassungsbeschwerde
(kanzleikompa.de, Markus Kompa)
Für Rechtsanwalt Markus Kompa und seinen Mandanten Richard Gutjahr war 2017 ein aufreibendes Jahr: Journalist Gutjahr war ins Visier einiger besonders bösartiger und hartnäckiger Verschwörungstheoretiker geraten, mit ziemlich unangenehmen Folgen für sich und seine Familie. Nun gelang ein wichtiger juristischer Sieg gegen den Verlag des rechtsdrehenden und verschwörerischen “Compact”-Magazins, der von Kompa und Gutjahr in zwei Instanzen erfolgreich verklagt worden war. Weil das OLG Köln hiergegen keine Revision zuließ, habe der Verlag Beschwerde beim Bundesgerichtshof erhoben. Diese sei vergangene Woche vom 6. Zivilsenat des BGH als unbegründet abgewiesen worden. Ein teurer Spaß für das “Compact”-Magazin, so Kompa: “Dieser Rechtsstreit kostet die Gegenseite damit rund 25.000,- €.”

4. Netzwelt-Newsletter: Nach den Anschlägen
(spiegel.de, Sonja Peteranderl)
Nach den Terroranschlägen in Sri Lanka mit mehr als 300 Toten verhängte die Regierung eine Netzsperre und blockierte unter anderem Facebook, WhatsApp, Instagram und YouTube. Der Grund: Man wolle die Verbreitung von Hass und Falschnachrichten eindämmen. Die Blockade wurde im Netz von vielen Menschen positiv aufgenommen und gelobt. Sonja Peteranderl kommentiert: “Dass die Blockade so viel Zustimmung erhält, entspringt dem Gefühl der Ohnmacht, das sich nach globalen Hasskampagnen und live ins Netz übertragenen Anschlägen wie in Christchurch verbreitet hat. Es gibt aber keine einfache Lösung gegen Gewalt. Statt Netzwerke abzuschalten, müssen sie zu einer stärkeren Moderation des Hasses gezwungen werden. Und das bedeutet eben viel Aufwand, Arbeit und Frust, für Konzerne, Regierungen und die Zivilgesellschaft.”

5. Die Geschichten hinter der Forschung erzählen
(deutschlandfunk.de, Annika Schneider, Audio: 5:10 Minuten)
Beim “Deutschlandfunk” geht es um das Wissenschaftsmagazin “Science Notes”, das vor einem Jahr mit einer Startauflage von 5.000 Stück auf den Markt kam. Die Klaus-Tschira-Stiftung fördere das Magazin für mindestens zwei weitere Ausgaben. Annika Schneider ist äußerst angetan von Inhalten und Aufmachung: “‘Science Notes’ ist ein Designheft, das nicht nur zum Schmökern auf dem Sofa einlädt, sondern sich auch auf dem Couchtisch gut macht. Das dicke Papier zieren stilvolle Grafiken und außergewöhnliche Schriftarten. So will die Redaktion eine Brücke aus dem wissenschaftlichen Elfenbeinturm mitten in die Gesellschaft schlagen.”

6. Omen für EU-Urheberrechtsreform: Uploadfilter sperren Mueller-Bericht
(heise.de, Martin Holland)
Uploadfilter des Webportals Scribd, einer Art YouTube für Dokumente, sperrten den gemeinfreien Abschlussbericht des US-Sonderermittlers Mueller. Kritiker sehen dies als weiteren Beweis für die Fehleranfälligkeit von Uploadfiltern, die nach der EU-Urheberrechtsreform bald notwendig sein dürften.

Bild.de sollte A$AP korrigieren

Immerhin haben sie nicht geschrieben, dass US-Präsidentin Dolly Parton Karotten-Experte Bugs Bunny zum neuen Sicherheitsberater gemacht hat, aber ansonsten ist an diesem Artikel von Bild.de so gut wie alles falsch:

Screenshot Bild.de - O'Brien befreite Rapper A$AP Rocky - Trumps Geisel-Experte wird Sicherheitsberater

Vielleicht erst einmal zu den involvierten Personen: US-Präsident Donald Trump dürfte bekannt sein. A$AP Rocky ist ein ziemlich erfolgreicher Rapper aus den USA, der im Juli und August mehrere Wochen in Schweden in Untersuchungshaft saß und wegen Körperverletzung dort vor Gericht stand. Und Robert O’Brien ist Jurist, war bisher Trumps Sondergesandter für Entführungsfälle und ist nun eben Nachfolger des gerade erst entlassenen Nationalen Sicherheitsberaters John Bolton.

Bild.de schreibt:

Robert O’Brien wurde Anfang August zum Helden US-amerikanischer Rap-Fans — nun wird er der Nationale Sicherheitsberater der USA!

Der US-Rapper A$AP Rocky (30) saß in Schwedens Hauptstadt Stockholm wegen einer Schlägerei in Untersuchungshaft. Dann schickte US-Präsident Donald Trump (73) seinen Sondergesandten für Geiselangelegenheiten nach Schweden: Robert O’Brien, der als Sonderbotschafter Diplomaten-Status genießt. (…)

Was Trump jedoch erreichte: Er machte aus einer Gerichtsverhandlung eine diplomatische Angelegenheit — und der Rapper wurde tatsächlich freigesprochen!

A$AP Rocky wurde allerdings gar nicht freigesprochen. Das Gericht in Stockholm hat ihn zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Er wurde auch nicht von O’Brien “befreit”, wie Bild.de in der Dachzeile behauptet. Es war eine Entscheidung des zuständigen Gerichts, den Rapper Anfang August, nach den Schlussplädoyers von Anklage und Verteidigung, bis zur Urteilsverkündung aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Und somit “erreichte” auch Donald Trump nichts in diesem Fall, im Gegenteil: Seine wiederholten Interventionsversuche bei Schwedens Regierungschef Stefan Löfven führten nur zu der peinlichen Situation, dass Löfven dem US-Präsidenten mehrfach die Unabhängigkeit der schwedischen Justiz erklären musste.

Die völlig falsche Zusammenfassung, dass Trump gemeinsam mit O’Brien dafür gesorgt habe, dass A$AP Rocky “freigesprochen” und “befreit” wurde, hätte sich die PR-Abteilung des Weißen Hauses nicht besser ausdenken können.

Mit Dank an @GregorxxxSamsa und @cobvl für die Hinweise!

Wachhund “taz”, Shopping mit Silke und Holger, Philosophia Nonsensis

1. taz ist “Wachhund der Öffentlichkeit”
(blogs.taz.de, Jony Eisenberg)
Die “taz” hatte nach dem Einzug der AfD in den Bundestag zu den Hintergründen der AfD-Abgeordneten und ihren Mitarbeitern recherchiert. Dagegen war ein mittlerweile ehemaliger Bundestagsmitarbeiter juristisch vorgegangen, dessen rechtsradikale Vergangenheit von der “taz” aufgedeckt worden war. Nachdem die “taz” in erster Instanz unterlag, kündigte das Oberlandesgericht nun an, ihr recht zu geben. Eine Entscheidung von herausragender Bedeutung für die Berichterstattung über die AfD und deren Bundestagesmitarbeiter, wie “taz”-Jurist Jony Eisenberg anmerkt.

2. Newsrooms: Notwendig oder nicht?
(politik-kommunikation.de, Kathi Preppner)
Parteien wollen gerne die Kontrolle über ihre öffentliche Wahrnehmung haben. Im Social-Media-Zeitalter liegt es nahe, eigene Medienkanäle zu schaffen und diese direkt zu bespielen. Manche Parteien haben dazu sogenannte “Newsrooms” eingerichtet, in denen sie an der journalistischen Aufarbeitung ihrer Botschaften basteln. “politik & kommunikation” hat sich bei den großen Parteien umgehört, wie sie in Sachen Kommunikation und Medienarbeit verfahren.

3. Provokant gefragt
(deutschlandfunk.de, Susanne Lettenbauer, Audio: 5:56 Minuten)
Der österreichische Milliardär und Red-Bull-Gründer Dietrich Mateschitz ist auch Medienunternehmer und steckt direkt beziehungsweise indirekt hinter dem österreichischer Privatfernsehsender ServusTV und der Rechercheplattform “Addendum”. Mateschitz fiel in der Vergangenheit durch rechtspopulistische Äußerungen auf. Ist “Addendum” deshalb eine Art “Breitbart der Alpen”? Eher nicht, findet Susanne Lettenbauer im Deutschlandfunk.

4. “Philosphia Perennis” veröffentlicht irreführende Liste von Fällen, bei denen angeblich Ausländer Personen vor Züge stießen
(correctiv.org, Philip Steeg)
“Correctiv” hat einen Artikel des rechten Blogs “Philosophia Perennis” mit einer Liste “ausländischer Gleisschubser” auf seine Wahrhaftigkeit untersucht. Das Ergebnis: “Bei etwa der Hälfte waren die Täter entweder unbekannt oder deutsche Staatsbürger. Die Behauptung, dass ausschließlich Ausländer an den Delikten beteiligt seien, stimmt nicht.”

5. Rezo-Style als neues YouTube-Genre: Zerstörungsversuche vor den Wahlen in Österreich
(netzpolitik.org, Leonhard Dobusch)
Das Video “Die Zerstörung der CDU” des Youtubers Rezo war ein sensationeller Erfolg (16 Millionen Aufrufe), den nun auch andere wiederholen wollen: Anlässlich der bevorstehenden Parlamentswahlen in Österreich gehen gleich mehrere Youtuber mit ähnlichen Videos an den Start. Die Abrufzahlen sind derzeit eher bescheiden und ein Einfluss auf das Wahlergebnis erscheint unwahrscheinlich. Laut Leonhard Dobusch können diese und ähnliche Videos im Rezo-Style dennoch als “Indiz für eine breitere Politisierung von YouTube” gelten.

6. Silke und Holger kaufen sich eine Zeitung
(neues-deutschland.de, Tim Wolff)
Die DuMont-Mediengruppe hat ihren Berliner Verlag mitsamt Druckerei und “Berliner Zeitung” verkauft. Neue Eigentümer sind Silke und Holger Friedrich, ein in der Medienbranche bislang weitgehend unbekanntes Unternehmerpaar. Ex-“Titanic”-Chef Tim Wolff hat sich einige Äußerungen des medienunerfahrenen Pärchens angeschaut. Sein Befund: “Nein, hysterisch wird im Angesicht von Silke und Holger niemand, denn sie sind ein hervorragendes Beispiel dafür, was die beiden Deutschlands und die Weltläufte hervorgebracht haben: Menschen, die pathologisch beliebig Wörter von schwammiger Bedeutung aneinanderreihen und das Ergebnis mit so etwas wie »Haltung« verwechseln.”
Zusätzlicher Hörtipp: Silke und Holger Friedrich im ausführlichen Interview bei radioeins (radioeins.de, Jörg Wagner & Daniel Bouhs, Audio: 1:10:09 Stunden).

Drei Wörter reichen, Mitten-Mantra & Hufeisen-Theorie, Gastbeiträge

1. Leistungsschutzrecht: Verleger wollen maximal drei Wörter lizenzfrei zulassen
(heise.de, Stefan Krempl)
Es gibt mal wieder Neuigkeiten von der unsäglichen Posse um das Leistungsschutzrecht. Die Verlegerverbände pochen darauf, dass “regelmäßig nicht mehr als drei Wörter” lizenzfrei bleiben dürften. Stefan Krempl erklärt das unwürdige Gerangel um Snippets, Miniatur-Vorschaubilder und Kleinstvideos.
Weiterer Lesetipp: Die Analyse von Friedhelm Greis: Drei Wörter sollen … (golem.de).

2. Das Mantra von der Mitte
(sueddeutsche.de, Gustav Seibt)
Gustav Seibt räumt mit der in letzter Zeit so häufig bemühten Hufeisen-Theorie auf, die immer wieder Gegenstand von politischer Diskussion und Berichterstattung ist: “Das Hufeisen ist in der politischen Metaphorik eines der Sprachbilder, die das Denken mit einem Schein von Anschaulichkeit festlegen und in die Irre führen können.” Seibt erklärt die historischen Ursprünge des Sprachbilds und zeigt, wo die Gefahren liegen: “Derzeit drohen Hufeisenbild und Mitte-Begrifflichkeit zu veritablen Scheuklappen zu werden, die eine präzise Beschreibung politischer Optionen verhindern.”

3. Politik-PR oder Debattenkultur?
(deutschlandfunk.de, Christopher Ophoven)
Für Politikerinnen und Politiker kann es sehr attraktiv sein, ihre Botschaft per Gastbeitrag über ein renommiertes Medium in die Welt zu senden. Schwierig wird es, wenn die kritische Einordnung durch die Redaktion fehlt. Der Deutschlandfunk hat sich bei verschiedenen Redaktionen und Experten umgehört, wie mit derlei Beiträgen umgegangen wird beziehungsweise wie man idealerweise mit ihnen umgehen müsse.

4. Readly-Jahres-Report: 37 Millionen gelesene Magazine in Deutschland, Top-Titel: “Auto Bild” & “selbst ist der Mann”
(meedia.de, Jens Schröder)
Der E-Paper-Anbieter und Flatrate-Kiosk-Betreiber Readly hat seinen Jahresreport veröffentlicht. Jens Schröder verrät auf “Meedia”, welche Magazine in Deutschland laut Betreiberangaben am meisten gelesen wurden.

5. Das wird man ja wohl noch fragen dürfen
(freitag.de, Benjamin Knödler)
“Balsam in einer erregten Öffentlichkeit” seien die Interviews der ZDF-Moderatorin Marietta Slomka, findet Benjamin Knödler im “Freitag”: “Nicht nur, dass am Ende der Gespräche Antworten stehen, hinter die die Befragten nicht mehr zurückkönnen. Das Ganze geschieht überdies, ohne das Rad der Empörung rhetorisch weiterzudrehen — und sorgt zugleich dafür, dass das Empörende, dass der Skandal nicht so schnell vergessen wird. Es ist ein Signal an die Mächtigen: ‘Ihr, die ihr mit euren Entscheidungen viel Einfluss habt, ihr werdet dafür zur Rechenschaft gezogen.'”

6. Der hammerstolze Neo-SWR
(kontextwochenzeitung.de, Josef-Otto Freudenreich)
Der Südwestrundfunk hat mit Kai Gniffke einen neuen Intendanten, und der wolle den Sender zum digitalen Pionier umbauen und ein neues, junges Publikum erschließen. Was wird dann mit dem Großteil der Kundschaft, fragt Josef-Otto Freudenreich und spöttelt: “Was sollen sich die über 60-Jährigen, die den Großteil der Kundschaft ausmachen, denken, wenn Hannes und der Bürgermeister keinen Schnaps mehr trinken dürfen? Wenn Gaby Hauptmann (62), die Kurzzeit-Talkmeisterin vom Bodensee, Knall auf Fall aus dem Programm gekippt wird? Die Bestsellerautorin (“Suche impotenten Mann fürs Leben”) mit dem Spaßmacher Christoph Sonntag im Gespräch — das ist doch Kundenbindung pur.”

Papas Impfverschwörung, Zoombombing, Blackouttuesday

1. Hilfe, Papa glaubt an die Impfverschwörung!
(zeit.de, Pia Lamberty & Katharina Nocun)
Vor wenigen Tagen erschien das Buch “Fake Facts – Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen” des Autorinnen-Duos Lamberty und Nocun. Beide bringen die notwendige Expertise mit: Pia Lamberty als Psychologin und Katharina Nocun als Wirtschafts- und Politikwissenschaftlerin. Für “Zeit Online” haben sie in einem Gastbeitrag zehn Tipps aufgeschrieben, wie man mit Verschwörungsgläubigen in der Bekanntschaft und Verwandtschaft umgehen kann.

2. “Vertraut eurem Publikum!”
(journalist.de, Sophie Burkhardt)
Seit mittlerweile fünf Jahren ist Sophie Burkhardt Programmgeschäftsführerin von Funk, dem Contentnetzwerk von ARD und ZDF. Damit ist sie mitverantwortlich für erfolgreiche Wissenskanäle wie “Dinge erklärt – Kurzgesagt”, “MaiLab” oder “MrWissen2Go” sowie für Reportageformate wie “Y-Kollektiv” oder “Follow me.reports” (manche dieser Formate gab es allerdings auch schon, bevor es Funk gab). In “Mein Blick auf den Journalismus” erzählt sie in angenehmer Offenheit von der Arbeit für die junge Zielgruppe, einem Publikum, dem man durchaus mit Vertrauen begegnen könne: “Die digitale Welt macht es noch leichter, vor allem die verzerrte und hasserfüllte Fratze des ‘Lesers’ zu sehen. Ihn vor allem für ein potenzielles Opfer von Verschwörungstheorien zu halten. Das hat auch mit uns Journalist*innen etwas gemacht. Es hat uns müde gemacht, mürbe, passiv-aggressiv oder an manchen Tagen zynisch, sarkastisch, auch oberlehrerhaft. Gerade die Arbeit mit einem sehr jungen Publikum hat mir aber gezeigt, dass es oft sehr viel weniger Grund zum Misstrauen gibt, als wir denken.”
Weiterer Lesehinweis: Am Ende des Beitrags sind die weiteren Folgen der “journalist”-Serie “Mein Blick auf den Journalismus” aufgeführt, die allesamt die Lektüre wert sind.

3. Zwischen Titelstory und Trauerbewältigung
(hessenschau.de, Bodo Weissenborn)
Mit dem Hashtag #100tagehanau erinnerte der Hessische Rundfunk (hr) an den Terroranschlag, bei dem ein Täter aus rassistischen Gründen neun Menschen (und anschließend seine Mutter und sich selbst) erschoss. “Hessenschau”-Reporter Bodo Weissenborn war am Tag nach dem Anschlag für den hr in Hanau. “Dieser
Einsatz hat mich noch länger beschäftigt, nicht nur wegen des Ereignisses an sich, sondern auch, weil ich den Eindruck hatte, als Journalist Teil einer problematischen Konstellation vor Ort geworden zu sein.” Es sind einige sehr persönliche und nachdenklich machende Beobachtungen, die Weissenborn aufgeschrieben hat.

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4. So attackieren Zoom-Bomber private Videokonferenzen mit Kinderpornografie
(vice.com, Sebastian Meineck & Paul Schwenn)
In Zeiten von Social Distancing und Home-Office finden viele Besprechungen als Videokonferenzen statt. Dabei wird oft die Software Zoom Meetings verwendet, ein Dienst, mit dem sich Nutzerinnen und Nutzer via App oder Web zusammenschalten. Leider wurden einige dieser digitalen Treffen in der Vergangenheit von sogenannten “Zoombombern” angegriffen, die fremde Videokonferenzen kapern und dort teilweise kinderpornografisches Material hinterlassen. “Vice” ist dem Thema nachgegangen: “Unsere Recherchen zeigen, wie Trolle die technischen Schwächen von Zoom ausnutzen, um massenhaft ungeschützte Videokonferenzen zu attackieren. In versteckten Foren feiern Hunderte von ihnen ihre Erfolge. Einige radikalisieren sich dabei in rechtsextremen Chat-Kanälen.”

5. @rezomusik erwähnt die Ethikstandards im #Pressekodex …
(twitter.com/PresseratDE)
Der Deutsche Presserat twitterte in einer Antwort auf das jüngste medienkritische Video des Youtubers Rezo: “@rezomusik erwähnt die Ethikstandards im #Pressekodex und Verstöße dagegen. Zur Wahrheit gehört auch, dass der überwiegende Teil der Berichte in Zeitungen u. Zeitschriften presseethisch einwandfrei ist: Von 2175 Beschwerden waren 2019 nur 233 begründet.” Medienkritiker Stefan Niggemeier entgegnete darauf mit einiger Berechtigung: “Hurra! Die Mehrheit der Berichte in Zeitungen und Zeitschriften ist presseethisch einwandfrei. (Im Ernst: Wie niedrig will man die Latte denn legen?)”
Weiterer Lesehinweis: Hier gibt es eine Übersicht zur Presserat-Statistik für 2019.
Weiterer Gucktipp: Markus Beckedahl von netzpolitik.org hatte sich bei der virtuellen re:publica mit Rezo zum Videogespräch getroffen. Im ersten Teil (Mitte Mai veröffentlicht) geht es unter anderem um Rezos Selbstverständnis als Künstler und seine Motivation, im zweiten Teil (gestern veröffentlicht) vor allem um netzpolitische Themen.

6. #Blackouttuesday: Das Social Web setzt ein Zeichen gegen Rassismus
(meedia.de, Nils Jacobsen)
Wer am gestrigen Dienstag durch Instagram scrollte, sah viele schwarze Bildtafeln mit dem Hashtag #Blackouttuesday. Viele Nutzer und Nutzerinnen wollten anlässlich der Geschehnisse in den USA ein Zeichen gegen Rassismus setzen und verzichteten auf das Veröffentlichen der üblichen Bilder und Selfies. An der Aktion beteiligten sich auch einige Weltstars der Popmusik – von Ariana Grande über Rihanna bis zu Taylor Swift.

Studie kritisiert Sondersendungen, Twitternde Abgeordnete, Radiopreis

1. Studie kritisiert Sondersendungen von ARD und ZDF
(deutschlandfunk.de, Annika Schneider, Audio: 5:42 Minuten)
Wissenschaftler der Universität Passau haben über 90 Corona-Nachrichtensondersendungen von ARD und ZDF ausgewertet und in ihrem Fazit die Sender deutlich kritisiert. Hauptkritikpunkte: In der Berichterstattung sei ein permanentes Krisen- und Bedrohungsszenario vermittelt worden, außerdem seien die Regierungsmaßnahmen zu wenig hinterfragt worden. ARD und ZDF weisen die Kritik zurück.
Weiterer Lesehinweis: Haben ARD und ZDF die Corona-Angst geschürt? Sender wehren sich gegen Medienstudie (rnd.de, Imre Grimm).

2. “Für junge Kollegen ist Corona eine Katastrophe”
(fachjournalist.de, Ulrike Bremm)
Der 68-jährige Helge Timmerberg gilt als einer der schillerndsten Reiseschriftsteller Deutschlands. Der Journalist und Autor zahlreicher Bücher ist für seine subjektiven Reisereportagen in Ich-Form bekannt (“Gonzo-Journalismus”). Welche Eigenschaften sollte man als Reisejournalist mitbringen? Was sollte man vermeiden? Wie wirkt sich Corona auf den Reisejournalismus aus? Im Magazin “Fachjournalist” gibt Timmerberg Antworten auf all diese Fragen und beklagt die zunehmende Konkurrenz: “Im Prinzip fühlt sich jeder zum Reisejournalisten berufen, alle möglichen Leute schreiben von unterwegs, jeder kann reisen, Fotos und Texte fabrizieren. Das ist eine Riesen-Konkurrenz für uns ausgebildete Journalisten. Social Media ist ein Grab für den Journalismus.”
Weitere Guckempfehlung: Noch mehr Helge Timmerberg gibt es zum Beispiel in diesem Videointerview von “Weltwach TV” aus dem Jahr 2018 (Erik Lorenz, 1:39 Stunden).

3. Wer wir sind und was wir wollen
(medieninsider.com, Marvin Schade & Matthias Bannert)
Mit “Medieninsider” startet heute ein neues, unabhängiges Informationsangebot für Medienschaffende. Hauptaufmacher (aber hinter der Paywall): ein Bericht über die Dreharbeiten einer Amazon-Doku über “Bild”. Hinter dem “Medieninsider” stehen mit Marvin Schade (früher unter anderem bei “Meedia”) und Matthias Bannert (früher unter anderem bei “Bild”) zwei Kenner der Branche.

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4. Boom für die Gaming-Branche in der Pandemie
(spiegel.de)
Es gibt nicht nur Corona-Verlierer: Die Pandemie hat der Gaming-Branche einen wahren Boom beschert. Immer mehr Deutsche verbrächten seit Beginn der Corona-Krise mehr Zeit mit Videospielen und gäben dafür auch mehr Geld aus. Das habe jedenfalls eine Umfrage des Digital-Branchenverbandes Bitkom ergeben. Demnach hätten mehr als 55 Prozent der Befragten erklärt, mehr zu spielen als zu Vor-Corona-Zeiten. Die deutsche Spielewirtschaft profitiere davon jedoch nur wenig. Lediglich fünf Prozent des Umsatzes stamme von deutschen Spieleherstellern.

5. Erste Nominierungen für den Deutschen Radiopreis stehen fest
(meedia.de)
Am 10. September wird in Hamburg der Deutsche Radiopreis 2020 verliehen. Die Veranstaltung werde von mehr als 50 deutschen Radiosendern übertragen, komme jedoch coronabedingt ohne Gala und ohne Gäste aus. Die unabhängige Jury des Grimme-Instituts hat bereits die ersten Nominierungen bekanntgegeben in den Kategorien “Beste*r Newcomer*in”, “Beste Innovation am Morgen”, “Beste Programmaktion”, “Beste Reportage” sowie “Bestes Nachrichten- und Informationsformat”.

6. Die kleine Welt des Populismus
(de.ejo-online.eu, Gerret von Nordheim)
Gerret von Nordheim und Jonas Rieger haben untersucht, zu welchen Themen Bundestagsabgeordnete auf Twitter Links teilen, und das ist recht spannend, insbesondere, was das Social-Media-Verhalten von AfD-Zugehörigen betrifft. Bei ihnen gehe es vor allem um die vier Kernthemen Migration, Kriminalität, Rechtsextremismus und Minderheiten. Viele andere Themenbereiche wie Daten-, Klima- und Umweltschutz oder Fragen des Mietmarktes spielen in AfD-Tweets, die auf Medieninhalte verweisen, keine Rolle.

Es ist kompliziert, Kaschierte Politwerbung, Streaming boomt

1. Löschstatus – es ist kompliziert
(zeit.de, Lisa Hegemann & Meike Laaff & Jakob von Lindern)
Spätestens nach dem plattformübergreifenden Rauswurf von Donald Trump ist die Diskussion über die Verantwortung von Social-Media-Konzernen in der Öffentlichkeit angelangt: “Üben die Unternehmen nur ihr Hausrecht aus, so wie ein Wirt eben auch einen rüpeligen Gast rauswerfen darf? Greifen sie in die Meinungsfreiheit ein? Oder gar in die Demokratie, weil sie einem Staatsoberhaupt ein wichtiges Sprachrohr nehmen? Oder sehen wir einfach derzeit den Moment, in dem die Plattformen nicht länger so tun können, als stünden sie als unbeteiligte Beobachter am Spielfeldrand?” Die Analyse von “Zeit Online” hat nicht auf alles eine Antwort, stellt aber die richtigen Fragen.

2. YouTube verlängert Sperre von Trumps Nutzerkonto
(spiegel.de)
Aus Furcht vor Anstiftung zu Gewalt hat Youtube Donald Trumps Nutzerkonto für eine weitere Woche gesperrt. Kommentare unter Videos des Kanals seien “weiterhin auf unbestimmte Zeit deaktiviert”. Damit ist Trump der Zugang zu wichtigen Onlineplattformen nach wie vor versperrt: Auch Twitter, Facebook, Snapchat und Twitch haben den Ex-Präsidenten von ihren Plattformen verbannt.

3. Mehr als doppelt so viele Angriffe auf Journalisten
(sueddeutsche.de, Florian Flade & Ronen Steinke)
Die Bundesregierung hat auf Anfrage der Grünen offizielle Zahlen zu Angriffen auf Medienschaffende im Jahr 2020 mitgeteilt. Bundesweit habe es 252 Straftaten “gegen Medien” gegeben. Die Zahl der Vorfälle habe sich damit im Vergleich zu den Vorjahren mehr als verdoppelt.

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4. Heute im Ausverkauf: Journalismus
(republik.ch, Elia Blülle)
Noch vor einem Jahr habe der Schweizer Medienkonzern Ringier beteuert, keine als Journalismus getarnten politischen Anzeigen zu schalten. Nun sei genau das passiert: Der Verlag habe auf seinen Medienportalen Native Ads zur kommenden Abstimmung über das Gesetz zur E-ID, einer elektronischen Identitätskarte, platziert. Elia Blülle kommentiert: “Kaschierte Polit­werbung schädigt die Meinungs­bildung und verfeuert das einzige Kapital, das der sogenannte Qualitäts­journalismus noch hat: das Vertrauen seiner Kundschaft.”

5. Die lokalen Hoffnungsträger
(deutschlandfunk.de, Peter Weissenburger, Audio: 5:07 Minuten)
In den USA genössen die lokalen Zeitungen, Radio- und TV-Stationen noch ein breites Vertrauen in der Bevölkerung. Dies sei Chance und Gefahr zugleich, so Peter Weissenburger im Deutschlandfunk: “Verschwörungsmythen und billige Aufreger werden zur kostengünstigen Alternative zu guten Recherchen.”

6. Netflix vermeldet mehr als 200 Millionen Abonnenten
(wuv.de, dpa)
Netflix hat mittlerweile mehr als 200 Millionen Abonnentinnen und Abonnenten. Die aktuellen Zahlen hätten die eigene Prognose und die Erwartungen der Analysten deutlich übertroffen: Allein im laufenden (vom Zuhause-Bleiben geprägten) Jahr seien 37 Millionen Abos dazugekommen. Doch auch die anderen Streamingdienste erlebten während der Corona-Pandemie einen Boom. So sieht sich Netflix zunehmend dem Druck der Mitbewerber ausgesetzt.

Talkshow-Pionier Bio, Turnen statt Boxen, Kunstfreiheit im Rap

1. Der Zauber der zwanglosen Plauderei
(spiegel.de, Arno Frank)
Der Fernsehmoderator, Buchautor und Jurist Alfred Biolek ist im Alter von 87 Jahren gestorben. Biolek gilt in Deutschland unter anderem als Pionier des Talkshow-Genres. Viele kennen ihn nur von seinen Kochsendungen, Biolek war aber auch für Formate wie Rudi Carrells “Am laufenden Band”, “Bio’s Bahnhof” und “Boulevard Bio” verantwortlich. Etliche Stars hatten in einer seiner Sendungen ihren ersten Auftritt. So holte er beispielsweise als Erster die Komiker-Truppe Monty Python nach Deutschland.
Weiterer Lesetipp: Köfte und Knast: Böhmermann brutzelt auf Bios Spuren (dwdl.de, Alexander Krei).

2. “Allerfeinstes Mobbing”
(faz.net)
Der Fußballreporter Jörg Dahlmann und der Pay-TV-Sender Sky haben sich nach einer umstrittenen Äußerung Dahlmanns getrennt. Dieser fühlt sich von Sky gemobbt: “Der Sender hat den Riesenfehler gemacht, sich zu sehr durch Twitter-Hater leiten zu lassen. Diese Empörungsgemeinde hat die Politik des Senders beeinflusst.” Offenbar gab es bereits lange Unstimmigkeiten zwischen Sky und Moderator, wie der Sender andeutet: “In der Vergangenheit haben zahlreiche Gespräche zwischen Sky und Jörg Dahlmann stattgefunden, die einen verantwortungsvollen Umgang mit Sprache zum Thema hatten. Jörg Dahlmann, der regelmäßig vor einem Millionenpublikum kommentierte, hat leider kein Bewusstsein dafür gezeigt, dass er als Multiplikator eine entsprechende Verantwortung trägt.”
Dazu auch: Ein Twitter-Kommentar des “11-Freunde”-Chefredakteurs Philipp Köster zu einer von Dahlmanns Aussagen.

3. 3,8 Milliarden Telefonnummern werden im Darknet verkauft
(golem.de, Oliver Nickel)
Im Darknet behauptet ein anonymer Hacker, im Besitz der Kontakte aller 10 Millionen Clubhouse-User und deren Telefonbücher zu sein, und bietet die Daten zum Verkauf an. Es soll sich dabei um insgesamt 3,8 Milliarden Telefonnummern handeln. Das Unternehmen, dem schon einmal 1,3 Millionen Datensätze abhanden gekommen sind, widerspricht: “Es gab keinen Datenleak bei Clubhouse. Es gibt eine Reihe von Bots, die Milliarden von zufälligen Telefonnummern generieren. Für den Fall, dass eine dieser zufälligen Nummern aufgrund eines mathematischen Zufalls auf unserer Plattform existiert, gibt die API von Clubhouse keine benutzeridentifizierbaren Informationen zurück.”

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4. Turnen statt Boxen
(taz.de, Alina Schwermer)
Frauen, die Spitzensport machen, sind in den Medien unterrepräsentiert. Wenn sie zu sehen sind, dann eher passiv und in kontaktarmen Disziplinen, so der Befund der “taz”-Autorin Alina Schwermer: “Das hat auch mit der Zusammensetzung der Redaktionen zu tun. Der alte Witz, dass im Sport ‘Männer für Männer über Männer’ berichten, stimmt weiterhin.”

5. Flutopfer müssen Rundfunkgebühren nicht mehr zahlen
(rnd.de)
ARD, ZDF und Deutschlandradio haben sich auf “unbürokratische Entlastungen” geeinigt: Betroffene der Flutkatastrophe können sich von den Rundfunkgebühren befreien lassen und eine Abmeldung ihres Kontos beantragen. Dazu reiche eine kurze schriftliche Mitteilung an den Beitragsservice.

6. “Alles von der Kunst­f­rei­heit gedeckt”
(lto.de, Eike Fesefeldt)
“Fast schon ein wenig geehrt werden sich manche Juristinnen und Juristen fühlen, dass auch ihr Berufsstand einen kleinen Platz in Hip-Hop-Texten gefunden hat. Einige Songs beruhen darauf, dass ihre Interpreten bereits Erfahrungen im Gerichtssaal gesammelt haben.” Staatsanwalt Eike Fesefeldt hat sich angeschaut, auf welche Weise Justizthemen in deutschsprachigen Rap-Texten verarbeitet werden.

Fragenkatalog für Schlesinger, Falsche Schlüsse, Zum Einschlafen

1. Potsdamer Abgeordnete verfassen eigenen Fragenkatalog zu Vorwürfen gegen den RBB
(tagesspiegel.de, Kurt Sagatz)
Der Hauptausschuss des Brandenburger Landtages hatte die RBB-Intendantin Patricia Schlesinger eingeladen, um sie zu den Vorwürfen hinsichtlich des geplanten Digitalen Medienhauses des Senders zu befragen. Nachdem Schlesinger der Ausschusssitzung fernblieb, haben die Abgeordneten ihr nun einen Fragenkatalog zukommen lassen, der auch dem “Tagesspiegel” vorliegt. Kurt Sagatz fasst die Auskunftswünsche an die Intendantin zusammen.

2. Orrr, ey.
(twitter.com, Stefan Niggemeier)
Stefan Niggemeier beschwert sich in einem Twitter-Thread über Medien, die Zahlen einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa falsch zusammengewürfelt hätten. So werde an verschiedenen Stellen von stark sinkenden Zustimmungswerten für Bundeskanzler Olaf Scholz berichtet. Der Vergleich mit den Werten der Vorwoche, wie ihn mehrere Medien anstellen, sei jedoch wegen geänderter Kandidatenzahl bei der Forsa-Abfrage unzulässig. Leider hätten einige Redaktionen falsche Schlüsse gezogen: “Der @Tagesspiegel hat es sogar geschafft, aus dem falschen Vergleich gleich eine halbe Koalitionskrise zusammenzufabulieren.”

3. Wieso “Spiegel” und “Zeit” wachsen, der “Stern” aber nicht
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Bei “DWDL” hat Uwe Mantel die Auflagenzahlen des zweiten Quartals analysiert: “Spiegel” und “Zeit” können weiter deutlich steigende Auflagen melden, was sich mit dem guten Digitalverkauf erklären lasse. Starke Einbußen mussten vor allem Fernsehzeitschriften, Sport-Titel und Magazine wie die “Landlust” hinnehmen.

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4. “Telemarathon”: Kaum Kritik an Selenskyj
(deutschlandfunk.de, Florian Kellermann, Audio: 4:18 Minuten)
Zu Kriegsbeginn hat die ukrainische Regierung die größten TV-Kanäle des Landes zu einem Programm zusammengefasst, dem “Telemarathon”. Was anfangs naheliegend und nötig gewesen sei, wird jetzt immer stärker kritisiert. Die Konstruktion zwinge die beteiligten Fernsehsender zu einer einheitlichen, regierungstreuen Berichterstattung.

5. Nicht zum Aushalten
(verdi.de, Tina Groll)
Tina Groll, Bundesvorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union, kommentiert die neue Studie der Otto Brenner Stiftung über die Auswirkungen der Medientransformation auf Medienschaffende. Sie kritisiert vor allem die Arbeitgeber: “Sie müssen sich um ein betriebliches Gesundheitsmanagement kümmern, und zwar eines, das die psychische Gesundheit in den Fokus nimmt. Fragt man jedoch Betriebsräte in Medienunternehmen, zeigt sich allzu oft, dass sie in diesem Feld auf Granit stoßen.”
Auch der Deutsche Journalisten-Verband sieht die “Medienarbeitgeber in der Pflicht” und bezeichnet die Ergebnisse der Studie als “Alarmsignal für den ganzen Journalismus, das nach geeigneten Maßnahmen der Arbeitgeber geradezu schreit”.

6. Das Business mit Einschlaf-Podcasts: Warum langweilige Formate Millionen-Reichweiten haben
(omr.com, Martin Gardt)
Zum Wochenende noch ein Lesetipp der besonderen Art: ein Bericht über das lukrative Geschäft mit besonders langweiligen und einschläfernden Inhalten.

Krawalljournalismus, Klimawechsel, Kremlnews

1. Hetzer, Idioten und Dumpfbacken
(nzz.ch, Heribert Seifert)
Kommunikative Rüpelei hat längst ihren Platz in den traditionellen Medien gefunden, findet Heribert Seifert. Dem Wutbürger im Internet trete in manchen Leitmedien ein Wutjournalismus gegenüber, der Schimpfen, Weghören und Kommunikationsverweigerung zu Tugenden erklärt. Seifert listet einige Fälle auf, bei denen etablierte Medien seiner Meinung nach unangemessen berichten und mit “Kampfvokabeln” operieren würden: “Es herrscht die Stimmung eines Kulturkriegs, der wenig Raum für vernünftige politische Debatte kennt.”

2. Wie der “Guardian” zum Anwalt der Klimabewegung wurde
(tagesspiegel.de, Dagmar Dehmer)
Der britische „Guardian“ betreibt seit März 2015 eine Klimakampagne und hat damit zwei seiner eigenen Geldgeber unter Druck gesetzt. Die beiden größten Gesundheitsstiftungen der Welt, die Gates-Stiftung und der Wellcome-Trust, würden nämlich nicht nur die Berichterstattung des Medienhauses zu Entwicklungsthemen mitfinanzieren, sondern seien Investoren bei Firmen der Kohle-, Öl- und Gasindustrie. Nach anfänglichem Widerstand hätte sich die Bill- und Melinda-Gates-Stiftung nun leise von umfangreichen Investitionen in der Ölindustrie verabschiedet.

3. Ex-Mann, Ausländer, Okkultisten: Wer alles verdächtigt wurde
(derbund.ch, Thomas Knellwolf)
In den Monaten zwischen dem Familienmord im schweizerischen Rupperswil und seiner Aufklärung ergingen sich Medien, Experten und Politiker in wilden Spekulationen über den Täter. Man hätte sich regelrecht mit Mutmaßungen überboten und wenig Rücksicht auf die Angehörigen der Opfer genommen, so der “Bund”. Selbst Kriminalisten hätten sich an dem Geunke und Geraune beteiligt. Lesenswert dazu auch der persönliche Beitrag Rambojournalisten in Town, der mit dem Schweizer Boulevardjournalismus hart ins Gericht geht.

4. Unverhohlene Drohung: NPD-nahe Seite stellt Fotos und Namen von Journalisten online
(endstation-rechts.de, Oliver Cruzcampo)
Nach NPD-Demos in Schwerin und Demmin wurden laut “Endstation Rechts” von einer NPD-nahen Facebook-Seite Fotos der anwesenden Journalisten und deren Namen veröffentlicht. Nur kurz zuvor hätte Fraktionschef Udo Pastörs in seiner Rede von „Journaille-Schmierern“ und „Schweinejournalismus“ gesprochen. Dies zeige Wirkung: “Immer weniger Journalisten sind bereit, von solchen Auftritten zu berichten”, so ein Mitarbeiter eines Beratungsvereins für Betroffene rechter Gewalt.

5. Reality statt Life
(Jarina Kajafa, taz.de)
Letzte Woche machte das Bild die Runde, mit dem die russische Botschaft eine Militärmeldung illustrierte und das sich als Screenshot aus dem Spiel „Command & Conquer” entpuppte. Im Mai blühe die russische Lügenindustrie anscheinend besonders prächtig, findet Jarina Kajafa von der “taz”: Belege und Veteranen würden gefakt, Statisten für die Paraden gekauft und Meldungen verzerrt.

6. Rechte Talkshowgäste: Wie Pyromanen in der Streichholzfabrik
(spiegel.de, Georg Diez)
“Die Talkshows im öffentlich-rechtlichen Fernsehen befördern den gesellschaftlichen Rechtsrutsch”, lautet die Kernbotschaft von “Spiegel”-Kolumnist Georg Diez. Es sei Zeit für eine neue Diskurs-Republik: “Die deutsche Talkshow-Republik ist, wie die reale auch, dem Proporz und dem Konsens verpflichtet – aber dieses Modell ist in Lähmung erstarrt und vor allem an seiner eigenen Existenz und an seinem eigenen Überleben interessiert.”

Wie “Bild” mit “Sex-Mob-Alarm” Vorlagen für rechte Hetzer liefert

Die Geschichte, um die es hier geht, ist zwar bereits zwei Wochen alt. Da sie aber einmal mehr zeigt, wie “Bild” und Bild.de mit unsauberen Recherchen Rechtspopulisten und Internethetzern Vorlagen liefern, wollen wir sie dennoch aufgreifen.

Am 3. beziehungsweise 4. Juli erschienen diese Artikel bei Bild.de (hinter einer Paywall) und “Bild”:


Die Düsseldorf-Ausgabe hatte die Geschichte sogar auf der Titelseite angeteasert:

Das “Geheimpapier” ist eine internes Dokument der Düsseldorfer Polizei. Darin geht es vor allem um Verhaltensregeln für Polizeibeamte, die bei künftigen Sexualdelikten die Beweisaufnahme verbessern und spätere Identifizierungen ermöglichen sollen: Telefonnummern der Beschuldigten sollen aufgenommen werden, genauso tatsächliche Aufenthaltsorte und die Beschreibung der getragenen Kleidung oder körperlicher Merkmale. Außerdem sollen, wenn möglich, Fotos von den Verdächtigen gemacht werden.

In dem Dokument stehen neben diesen Handlungsanweisungen für Polizisten aber auch einige Sätze zu Art und Anzahl von sexuellen Übergriffen. Und auf die stürzten sich die “Bild”-Medien:

Laut eines Geheimpapiers gibt es immer mehr sexuelle Übergriffe in Badeanstalten, bei denen gleich mehrere Täter ihr Opfer bedrängen, begrapschen und missbrauchen.

In einer internen Mail an ihre Kollegen schreiben die Beamten vom Kriminalkommissariat 12, zuständig für Sexualdelikte und Vermisstenfälle: “Das KK 12 stellte dar, dass die Sexualstraftaten einen enormen Anstieg verzeichnen. Insbesondere die Tatbestände Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Kindern in den Badeanstalten schlagen hier ins Gewicht.” Die Täter seien “zum größten Teil Zuwanderer”.

Klar, über solche Missstände muss berichtet werden.

Wäre nur gut, wenn man auch konkrete Zahlen hätte, die den “enormen Anstieg” bestätigen. Und die liefern “Bild” und Bild.de vorerst nicht.

Dennoch sprangen andere Medien auf die “Bild”-Schlagzeile auf. Welt.de zum Beispiel:

Oder die “Huffington Post”:

Selbst in Großbritannien wurde berichtet, vom Knallblatt “Daily Mail”:

Besonders heftig hat der “Bayernkurier”, das Polterorgan der CSU, das Thema aufgegriffen:

Redakteur Wolfram Göll schreibt:

Ein Problem, von Medien, Verantwortlichen und manchen Behörden lange verharmlost und von linken Politikern mit einem Sprechverbot belegt: moslemische Zuwanderer, meist aus Afghanistan, Pakistan, Marokko, aber auch Syrien, dem Irak und anderen moslemischen Ländern, stellen in deutschen Schwimmbädern Jugendlichen nach, oft minderjährigen Mädchen, aber auch Buben, um sie sexuell zu missbrauchen.

In vielen Schwimmbädern wurden mittlerweile verschärfte Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, aber manche sprechen immer noch von Einzelfällen. Wie viele “Einzelfälle” sexuellen Missbrauchs braucht es, damit die Politik reagiert?

Es gab allerdings auch Medien, die nicht blind der Geschichte von “Bild” und Bild.de gefolgt sind, sondern recherchiert haben, allen voran die “Rheinische Post”. Die Redaktionen haben bei der Polizei nachgefragt, bei der “Deutschen Gesellschaft für Badewesen”, bei örtlichen Schwimmbadbetreibern.

Die Ergebnisse für Düsseldorf in Bezug auf sexuelle Belästigung und sexuelle Übergriffe:

2014: sieben Anzeigen
2015: 17 Anzeigen
2016: bis Anfang Juli acht Anzeigen

Das soll der “enorme Anstieg” sein, den “Bild” und Bild.de in die Welt gesetzt und aufgrund dessen sie den “Sex-Mob-Alarm” ausgerufen haben.

Wohlgemerkt: Hierbei geht es erstmal nur um Anzeigen, nicht um Verurteilungen. Und: Die Taten, die als Sexualdelikte angezeigt werden können, sind sehr unterschiedlich. Sie reichen von penetrantem Beobachten und Fotografieren in der Umkleidekabine übers Grapschen bis zu Vergewaltigungen. Nichts davon ist zu verharmlosen und jeder Vorfall muss verfolgt werden, aber es besteht eben doch einen Unterschied in der Schwere der Tat. Und: Diese Zahlen sagen noch nichts darüber aus, ob sich die Anzeigen “zum größten Teil” gegen Zuwanderer richten. In ganz Nordrhein-Westfalen, auch das hat die “Rheinische Post” recherchiert, gab es im laufenden Jahr 103 Anzeigen wegen Sexualdelikten, davon 44, bei denen die Beschuldigten Zuwanderer waren.

Die “Berliner Zeitung” hat bei Polizeistellen in ganz Deutschland nachgefragt. Von “einem massiven Anstieg sexueller Übergriffe in Schwimmbädern” könne in keinem Bundesland die Rede sein. Selbst Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft und Urheber der These “Mehr Verkehrstote durch Flüchtlingskrise”, versucht im Artikel zu deeskalieren: “‘Wir sprechen hier nicht von einem Massenphänomen.'”

Wie kommen “Bild” und Bild.de dann auf die Bedrohung des deutschen Badevergnügens?

Ein Sprecher der Düsseldorfer Polizei erklärte noch am Montag, dem Erscheinungstag der “Bild”-Geschichte zum “Geheimpapier”, gegenüber dem WDR:

“Die Übergriffe in der Silvesternacht haben die Statistik nach oben getrieben, denn das Papier bezog sich auf die Gesamtzahl von Sexualdelikten.”

Und eben nicht nur auf Vorfälle in Schwimmbädern. Die etwas unklare Formulierung in dem Polizeidokument hatte die “Bild”-Redaktion anscheinend falsch interpretiert.

Wir haben ebenfalls bei der Polizei Düsseldorf nachgefragt: Warum hat man nicht auch schon “Bild” die Fallzahlen mitgeteilt? Das hätte schließlich die alarmistische Überschrift verhindern können. Eine Sprecherin sagte uns, dass die “Bild”-Anfrage am Sonntag reingekommen sei. Da sei man nicht in der Lage, entsprechende Zahlen zu recherchieren. Am Montag sei das dann kein Problem gewesen. So lange wollten die “Bild”-Medien aber offenbar nicht warten.

Als die Zahlen dann am Montag bekannt wurden, veröffentlichten sie auch Bild.de und die Düsseldorf-Ausgabe von “Bild”:


Gut, dass “Bild” und Bild.de einen klärenden Artikel nachgeliefert haben.

Blöd, dass der “Sex-Mob”-Ursprungsartikel da schon fest im Gedankengut rechter Dumpfbacken verankert war:






Mit Dank an Martin und Boris R.!

We are BILDblog. And we don’t approve this message.

An der US-Präsidentschaftswahl gibt es heute kein Vorbeikommen. Egal ob “Spiegel Online”, “Zeit Online” oder sueddeutsche.de, Radio- oder Fernsehsender — alle berichten breit und ausführlich. Und selbst auf der Bild.de-Startseite hat es das Duell zwischen Hillary Clinton und Donald Trump immerhin an Nachrichtenplatz Nummer zwei geschafft. Nur das Hickhack zwischen Sarah und Pietro Lombardi hält die Redaktion für noch wichtiger:

Klar, dass auch stern.de über die US-Wahl berichtet. Das Portal hat sich unter anderem das abschließende Wahlwerbe-Video von Hillary Clinton angesehen, das das Team der Demokratin gestern bei Facebook gepostet hat:

Clinton wirke in dem Video “ruhig und besonnen”, schreibt stern.de, sie mache darin “ein Friedensangebot an alle Trump-Anhänger” und spiele “auf die immer wiederkehrenden düsteren Zukunftsmalereien an, derer sich Donald Trump im Wahlkampf so oft bedient hat”. Der Namen von Donald Trump falle aber “kein einziges Mal und doch weiß jeder, wer gemeint ist. Damit gelingt ihr ein kluger Schachzug. Trump muss nicht mehr beim Namen genannt werden. Jeder weiß, worum es geht.”

Und dann noch das:

Ihren Wahlaufruf schließt Clinton mit einem Satz, den Donald Trump berüchtigt gemacht hat. “I am Hillary Clinton and one last time: I approve this message”, sagt sie lächelnd in die Kamera (zu deutsch: “Ich bin Hillary Clinton und zum letzten Mal: Ich genehmige diese Botschaft”). Trump pflegte während des Wahlkampfs seine Werbevideos mit den Worten abzuschließen: “I am Donald Trump. And I approve this message”.

Treffer, versenkt — könnte man meinen. Bloß: Der abschließende (oder manchmal auch einleitende) Satz “I approve this message” ist keine Trump’sche Erfindung oder Eigenart des Republikaners, sondern eine Vorschrift für Wahlwerbung in den USA. Der “Bipartisan Campaign Reform Act” von 2002 schreibt seine Verwendung in Wahlwerbung von Kandidaten für bundesweite Ämter vor.

Es handelt sich bei Hillary Clintons Verabschiedung also nicht um einen ausgeklügelten Seitenhieb Richtung Donald Trump, sondern um eine schlichte Formalie.

Mit Dank an Conny S. für den Hinweis!

“Bild” stiftet maximale Verwirrung mit ihn-sie-Schwäche

Manchmal schafft es die “Bild”-Redaktion, mit einem einzigen Wort für maximale Verwirrung zu sorgen. Dieser Teaser bei Facebook ist so ein Fall*:

Screenshot eines Facebook-Posts der Bild-Redaktion - Ärzte testen ihn später auf HIV, positiv - Dazu der verlinkte Bild.de-Artikel: Junge tritt in blutige Spritze: Aids-Angst auf Berliner Spelplatz

1773 Likes, 199 Kommentare, 419 Mal geteilt. Geht ordentlich ab, die Geschichte — es ist ja auch unglaublich tragisch, dass der Junge positiv auf HIV getestet wurde. Bloß: Das wurde er gar nicht. Es ist nicht klar, ob das Kind sich angesteckt hat. Kann es noch gar nicht sein.

Ärzte haben bisher die Spritze und deren Inhalt getestet. Dabei wurden HI-Viren gefunden. Bei Bild.de steht:

Spritzen-Schock in Berlin-Kreuzberg! Auf einem Spielplatz ist ein fünfjähriger Junge auf eine blutige Kanüle getreten. Im Krankenhaus testeten die Ärzte sie auf HIV — positiv!

“sie”, nicht “ihn”.

Bei dem Jungen kann eine mögliche Ansteckung noch gar nicht festgestellt werden. Das steht auch bei Bild.de:

Per Schnell-Check, so die Mutter, sei festgestellt worden, dass in der Spritze HI-Viren gewesen seien. “Bei Hassan kann eine Infektion frühestens in sechs Wochen festgestellt werden.”

Jens Petersen (48), Sprecher der Berliner Aids-Hilfe erklärt: “So lange braucht der Körper, bis er Antikörper gegen das Virus bildet, die dann im Blut nachgewiesen werden können.” Auf eine vierwöchige prophylaktische Behandlung mit HIV-Medikamenten, die starke Nebenwirkungen haben, verzichten die Ärzte.

Petersen: “Das Virus ist außerhalb des Körpers nicht lange überlebensfähig, die Ansteckungswahrscheinlichkeit gering. Es müsste sich schon um eine Spritze mit ganz frischem Blut gehandelt haben.”

Das alles erfährt allerdings nur, wer ein “Bild plus”-Abo hat. Für alle anderen gibt es lediglich den falschen Facebook-Teaser.

*Nachtrag, 16:59 Uhr: “Bild” hat auf unsere Kritik reagiert und den Teaser bei Facebook angepasst. Dort steht nun:

Im Krankenhaus testeten die Ärzte das Blut an der Spritze auf HIV — positiv! Eine Ansteckungswahrscheinlichkeit sei zwar “gering”, ob sich der Junge infiziert hat, kann aber frühestens in einigen Wochen festgestellt werden.

Einen Hinweis darauf, dass da mal was falsch war, gibt es leider nicht.

Nachtrag, 17:12 Uhr: “Bild” hat auf unsere erneute Kritik reagiert und klärt nun in einem Kommentar unter dem Facebook-Post auf:

Wir hatten im Teaser des Artikels ursprünglich geschrieben, dass der Junge positiv auf HIV getestet wurde. Das war nicht korrekt. Vielmehr wurden an der Spritze wurden HI Viren gefunden. Wir haben den Teaser oben korrigiert.

Nachtrag, 14. September: Der Verein Berliner Aids-Hilfe hat bereits am 6. September eine Pressemitteilung zur Berichterstattung von “Bild” und “B.Z.” herausgegeben. Darin heißt es unter anderem:

In dem Artikel macht die B.Z. in ihrer Überschrift auf Seite 1 daraus: “Berliner Junge (5) tritt in HIV-verseuchte Spritze / Aids-Angst auf dem Spielplatz”, die BILD-Zeitung übertitelt: “Drama auf Berliner Spielplatz / Kind tritt in HIV-verseuchte Drogen- Spritze”.
Mit dem heutigen Wissensstand zu HIV, den Übertragungswegen und den Behandlungsmöglichkeiten ist eine solche Berichterstattung unangemessen und unhaltbar. Die Berichte treffen keine Unterscheidung zwischen einer HIV-Infektion und einer Aids-Erkrankung. Vielmehr suggerieren sie, dass man durch den Stich an einer Nadel mit Blutresten, an der HIV-Antikörper nachgewiesen werden, unmittelbar an Aids erkranken könne. Tatsächlich ist Aids vielmehr die Folge einer langjährig unbehandelten HIV-Infektion.

Dazu sagt die Geschäftsführerin der Berliner Aids-Hilfe e.V. Ute Hiller: “Diese Art der Berichterstattung macht mich fassungslos. Die Schlagzeilen sind aufhetzend und wie aus der Zeit gefallen. Sie schüren Ängste und schlagen in die Kerbe der schlimmsten Diffamierungen von HIV-positiven Menschen, wie wir sie in den 1980er Jahren gesehen haben. Wir wissen es heute viel besser: HIV zerfällt mit dem Kontakt von Sauerstoff. HIV kann nicht durch getrocknetes Blut an Spritzennadeln weitergegeben werden. Offensichtlich haben auch die behandelnden Ärzte, daher auf die Einleitung einer Postexpositionsprophylaxe verzichtet.”

Und:

Als Berliner Aids-Hilfe klären wir zu Übertragungswegen und Behandlungsmöglichkeiten auf. Wir treten dafür ein, dass Menschen mit HIV nicht länger diskriminiert und stigmatisiert werden. HIV-positive Menschen unter erfolgreicher antiretroviraler Therapie sind nicht ansteckend und weit entfernt von einer Aids-Erkrankung. Sie haben dank der Medikamente zudem eine gleiche Lebenserwartung wie Menschen ohne HIV. Das ist die Botschaft, die es zu verbreiten gilt – anstelle von Panikmache und reißerischen Titeln einer rückwärtsgewandten Berichterstattung.

Die Berliner Aids-Hilfe stellt klar:
Das HI-Virus wird bei Kontakt mit Sauerstoff zerstört. Getrocknetes Blut ist nicht infektiös. Für ganz Deutschland ist kein Fall dokumentiert, bei dem sich ein Mensch an einer Spritze mit getrocknetem Blut mit HIV infiziert hat.

Die Berliner Aids-Hilfe e.V. legt Beschwerde gegen die B.Z. und gegen die BILD-Zeitung beim Deutschen Presserat ein.

Medien als Mittäter, TikTok bei 1Live, Politikerphrasen statt Klartext

1. Medien machen sich zu Mittätern
(deutschlandfunk.de, Stefan Fries)
“Die Medien, die sich auf die Logik des Attentäters von Christchurch eingelassen haben, waren Komplizen bei seiner Tat. Denn sie haben das vollendet, was er begonnen hat”, findet Stefan Fries zur Berichterstattung über das Attentat.
Weitere Informationen und Lesehinweise: Der DJV kritisiert die Veröffentlichung des Täter-Videos (deutschlandfunk.de).
Bei der “Hannoverschen Allgemeinen” geht es um die Frage “Ist es strafbar, die Aufnahmen des Christchurch-Attentäters zu teilen?”
Und Carolina Schwarz freut sich in der “taz”, dass keiner ihrer Twitter- und Facebook-Kontakte das Täter-Video oder das sogenannte “Manifest” teilte: “Zum Glück gibt es eine Vielzahl von Nutzer*innen die klüger sind als Algorithmen und Julian Reichelt.”

2. Facebook, was machst du mit uns?
(zeit.de, Caroline Lindekamp)
Wie wirkt sich Facebook auf die Stimmung seiner Nutzerinnen und Nutzer aus? Wie machen sich die damit einhergehenden Filterblasen und Echokammern bemerkbar? Wird dort Meinung manipuliert? Gibt es eine “Facebook-Depression”? Caroline Lindekamp berichtet in ihrer Analyse von den verschiedenen Untersuchungen zum Thema und den Unterschieden zwischen Deutschland und den USA.

3. Journalismus bei TikTok: 1Live wagt die ersten Experimente
(socialmediawatchblog.de, Martin Fehrensen)
Viele Menschen haben noch nie von der Video-App TikTok gehört, dabei soll sie hierzulande von etwas mehr als vier Millionen Menschen genutzt werden. Im “Social Media Watchblog” wurde bereits ausführlich über die gehypte Software berichtet (in einem Grundlagenartikel in der Ausgabe 524 und in den Tech Trends der Ausgabe 531). Nun konnte das “Social Media Watchblog” den 1Live-Verantwortlichen Robert Rack für ein Werkstattgespräch über die dort stattfindende TikTok-Pilotphase gewinnen.

4. Das Problem Verfassungsschutz hat eine lange Geschichte
(netzpolitik.org, Sebastian Wehrhahn & Martina Renner)
Sebastian Wehrhahn und Martina Renner erkennen beim Verfassungsschutz eine “lange Traditionslinie des Vertuschens und Verharmlosens rechter Gewalt”. In ihrem Gastbeitrag berichten sie von den Anfangszeiten des Bundesamts in den 50er-Jahren bis zur Jetzt-Zeit mit der Causa Maaßen. Das Problem beim Verfassungsschutz seien nicht die vielen Skandale, sondern der Verfassungsschutz selbst: “Er dient nicht dem Schutz der Demokratie, sondern der Überwachung politischer Gegner, der Steuerung von antidemokratischen Szenen und dem Erhalt und Ausbau des eigenen Einflusses.” Der Verfassungsschutz arbeite aktiv gegen die Demokratisierung der Gesellschaft und müsse deshalb aufgelöst werden.

5. Warum guter Journalismus Empathie braucht
(de.ejo-online.eu, Antje Glück)
“Gute Berichterstattung hängt nicht allein von der reinen Informationsbeschaffung ab, sondern grundsätzlich auch davon, wie Journalisten eine Situation emotional wahrnehmen, verstehen und behandeln”, findet Antje Glück. Im Journalismus gehe es zuallererst um Menschen, so die Journalistin, die an der Universität Teesside im Nordosten Englands lehrt. Der Umgang mit Menschen erfordere vor allem eines: emotionale Intelligenz. Glücks Credo: “Empathie als journalistische Arbeitsressource prägt die professionelle und ethische Entscheidungsfindung in viel stärkerem Maße als bisher angenommen.”

6. Viel reden, wenig sagen
(faz.net, Oliver Georgi)
Die “FAZ” veröffentlicht einen Auszug aus Oliver Georgis Buch “Und täglich grüßt das Phrasenschwein: Warum Politiker keinen Klartext reden — und wieso das auch an uns liegt”. Es geht unter anderem um die “kleinen Leute”, um Menschen, deren “Sorgen man ernst nehmen müsse”, um das “vollste Vertrauen”, “politische Verantwortung” und alles, was in irgendeiner Form “nachhaltig” ist.

Umfrage-Nullnummern, Video-“Irrtümer” der CDU, Ausreisesperre

1. Jörg Schönenborn: “Viele Umfragen sind Nullnummern”
(dwdl.de, Alexander Krei)
WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn moderiert seit zwei Jahrzehnten die ARD-Wahlsendungen. “DWDL” hat ihn unter anderem gefragt, was gelungene Fragen ausmacht, wie oft er schon den Touchscreen verwünscht hat und was seine bislang schwierigste Situation an einem Wahlabend war.

2. Ein Reporter des Tagesspiegel soll Kolleginnen bedrängt, gestalkt und sexuell belästigt haben
(buzzfeed.com, Pascale Mueller)
Mehrere Frauen und langjährige Mitarbeiter des “Tagesspiegel” haben gegenüber “BuzzFeedNews” von sexuellen Belästigungen und Übergriffen eines “Tagesspiegel”-Reporters berichtet. Der Mittfünfziger habe es vor allem auf junge Praktikantinnen, Volontärinnen und freie Journalistinnen abgesehen und seine Machtposition missbraucht, so der Vorwurf. Infolge der “Buzzfeed”-Recherchen hat der “Tagesspiegel” den Mann zunächst freigestellt. Außerdem plane man, eine Ombudsstelle einzurichten.

3. Mehrheit vermeidet öffentliche Aussagen zu vermeintlichen Tabuthemen
(zeit.de)
Eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach will herausgefunden haben, dass sich die Mehrheit der Menschen mit der eigenen Meinung zu vermeintlichen Tabuthemen in der Öffentlichkeit zurückhalte. Dies betreffe vor allem Themen wie Flüchtlingspolitik, Muslime und Islam.

4. “Die Gesellschaft soll mit Falschinformationen vergiftet werden”
(jetzt.de, Berit Dießelkämper)
Alex Urban leitet die Facebook-Gruppe “#ichbinhier”, in der mehr als 40.000 Mitglieder gegen rechte Hetze im Netz kämpfen, indem sie Hasskommentaren und Falschinformationen sachliche Antworten entgegenstellen. Im Gespräch mit “jetzt” erklärt Urban, was ihn antreibt, wie Internet-Hetze funktioniert und was er sich von Online-Medien wünscht.

5. Ausreisesperre gegen Mesale Tolus Ehemann
(reporter-ohne-grenzen.de)
Suat Corlu ist der Ehemann der Journalistin Mesale Tolu, die in der Türkei wegen angeblicher Terrorvorwürfe mehr als sieben Monate im Frauengefängnis saß. Wie seine Ehefrau scheint er sehr mutig zu sein, denn er ist in die Türkei gereist, um dem Gerichtsverfahren gegen ihn und seine Frau beizuwohnen. Prompt wurde ihm am Flughafen der Pass abgenommen und eine Ausreisesperre gegen ihn verhängt. Christian Mihr, Geschäftsführer bei “Reporter ohne Grenzen” kommentiert: “Mesale Tolu und ihre Familie wurden durch die lange Untersuchungshaft schon genug bestraft. Die türkischen Behörden müssen die Ausreisesperre gegen Suat Corlu aufheben, um ihm eine Rückkehr nach Deutschland zu seiner Familie zu ermöglichen”.

6. CDU bespielt Youtube-Kanal “irrtümlich” mit Clips von ARD und ZDF
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Es ist schon etwas peinlich: Nach Hinweisen des Satirikers und “Partei”-Europakandidaten Nico Semsrott musste die CDU zahlreiche Talkshow-Clips von ARD und ZDF löschen, die sie in ihren Youtube-Kanal hochgeladen hatte.

Bild.de liefert “Terror”-Futter für Islamhasser und rechte Hetzer

+++ Messermann erschossen! Polizei verhindert Terror-Anschlag in Gelsenkirchen! +++

… schreibt der AfD-Bundestagsabgeordnete Johannes Huber.

++ Angreifer erschossen: Islamistischer Terror-Anschlag vereitelt! ++

… schreibt die AfD-Fraktion, die im nordrhein-westfälischen Landtag sitzt.

+++ Islamistischer Terror? Bewaffneter greift Polizeiwache an, ruft “Allahu akbar” und wird erschossen! +++

… schreibt der AfD-Landesverband Hessen.

Islamisch motivierter Anschlag konnte vereitelt werden!

… schreibt Pierre Jung, Sprecher des AfD-Kreisverbandes Hamm.

Polizei verhindert Terror-Anschlag!

… schreibt Dimitri Schulz, der für die AfD im hessischen Landtag sitzt.

Sie alle beziehen sich in ihren Facebook-Posts auf einen Artikel, der gestern Abend bei Bild.de erschienen ist. Darin geht es um einen Vorfall in Gelsenkirchen: Ein Mann soll sich einer Polizeiwache genähert und dabei mit einem Gegenstand, wohl einem Stock, auf einen Streifenwagen geschlagen haben. Zwei Polizisten, die vor der Wache standen, sollen ihn aufgefordert haben, dies zu unterlassen und stehenzubleiben. Der Mann soll auf sie zugegangen sein und in der anderen Hand ein Messer getragen haben. Daraufhin soll einer der Polizisten den Mann erschossen haben.

Ob es sich dabei um einen “Terror-Anschlag” handelte, den die Polizisten vereitelten, ob es tatsächlich einen islamistischen Hintergrund gab, und ob der Mann wirklich “Allahu Akbar” rief — all das war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Bild.de-Beitrags alles andere als klar. Und dennoch titelte die Redaktion auf ihrer Startseite:

Screenshot Bild.de - Messer-Mann (37) erschossen - Polizei verhindert Terror-Anschlag in Gelsenkirchen

Sowas greifen die AfD-Abgeordneten, -Landesverbände und -Fraktionen genauso gern auf wie die Facebook-Gruppen “Unsere Heimat Deutschland”, “Deutschland – quo vadis”, “Frankfurt gegen Salafismus – Das Original”, “Patrioten des Vaterlands 5” und so weiter. Auch die NPD verbreitet den Bild.de-Artikel, der laut dem Analysetool CrowdTangle allein bei Facebook bisher mehr als 5000 Mal geteilt wurde.

Direkt zu Beginn ihres Textes schreiben die zwei “Bild”-Autoren Celal Çakar und Frank Schneider:

Die Polizei ist sich sicher: Diese feige Attacke war ein versuchter Terror-Anschlag auf Polizisten mitten in Deutschland!

Das ist gleich aus drei Gründen interessant: Erstens hat die Polizei nicht gesagt, dass sie “sicher” sei, dass es sich um einen “versuchten Terror-Anschlag auf Polizisten” handele. Der dpa sagte ein Sprecher, dass ein möglicher terroristischer Hintergrund Gegenstand der Ermittlungen sei. Und auch Zeugenaussagen, nach denen der Mann “Allahu Akbar” gerufen habe, und die erst die zwei “Bild”-Autoren ins Spiel brachten (“Zeugen schilderten BILD, der Mann habe stattdessen laut ‘Allahu Akbar’ (arabisch ‘Gott ist groß’) gerufen”), seien einem Polizeisprecher zufolge erstmal nur “Gerüchte”, die bislang nicht bestätigt seien.

Zweitens lautete dieser erste Satz des Bild.de-Artikels mal ziemlich anders. In einer früheren Version behaupteten Çakar und Schneider noch selbst, dass es sich um einen “Terroranschlag” handelt, und schoben nicht die Polizei als vermeintliche Quelle vor:

Die Polizei hat im Ruhrgebiet einen Terroranschlag verhindert!

Und drittens hat die Polizei inzwischen bekanntgegeben, dass sie nicht von einem terroristischen Hintergrund ausgehe.

Das ist inzwischen auch bei Bild.de angekommen. Die Überschrift hat die Redaktion klammheimlich geändert in:

Screenshot Bild.de - Messer-Mann (37) erschossen - Polizisten in Gelsenkirchen angegriffen

Und den ersten Satz genauso klammheimlich in:

Die Polizei ist sich sicher: Diese feige Attacke war ein versuchter Anschlag auf Polizisten mitten in Deutschland!

Einen Korrekturhinweis darauf, dass man mal etwas völlig anderes berichtet hat, gibt es nicht. Nur zur Erinnerung: Bild.de wird von einem Mann geleitet, der über sich selbst gern sagt, dass es ihm “grundsätzlich leicht” falle, “mich zu entschuldigen, wenn wir Fehler gemacht haben.”

Mit Dank an @MeiersKaettche für den Hinweis!

“und entbehren aus Sicht der Ermittler jeglicher Grundlage”

Entgegen vereinzelt in den Medien verlautbarter Vermutungen haben Staatsanwaltschaft Dresden und Soko Epaulette keine Erkenntnisse dahingehend, dass tatverdächtige Personen mit dem Flix-Bus in Richtung Berlin geflohen sind. Die dahingehenden Veröffentlichungen finden in den Ermittlungen keinen Anhalt und entbehren aus Sicht der Ermittler jeglicher Grundlage.

Das schreibt die Staatsanwaltschaft Dresden heute in einer Pressemitteilung zum Einbruch in das historische Grüne Gewölbe des Residenzschlosses.

Und woher stammen diese jeglichegrundlagenentbehrenden Veröffentlichungen, von denen die Staatsanwaltschaft spricht?

Ausriss Bild-Zeitung Dresden - Neue Spur! Flohen die Juwelendiebe im Flixbus nach Berlin?
Ausriss Bild-Zeitung Bundesausgabe - Einbruch im Grünen Gewölbe - Flohen die Juwelenräuber im Flixbus?
Screenshot Bild.de - Flohen die Dresdner Juwelen-Diebe im Flixbus? 1200 Hinweise, eine neue Spur

Es sind die “Bild”-Medien, die gestern Abend (Bild.de) beziehungsweise heute (“Bild”-Bundesausgabe und Dresden-Ausgabe der “Bild”-Zeitung) über “eine ganz neue Spur” berichten:

Etwa 1200 Hinweise zum Juwelen-Raub im Grünen Gewölbe sind bei der Soko „Epaulette“ (40 Ermittler) aufgelaufen. Ein entscheidender Hinweis war bislang nicht darunter.

Doch wie BILD erfuhr, verfolgen die Fahnder eine ganz neue Spur: Flohen die Täter im Flixbus nach Berlin?

Blöd nur, dass die Fahnder davon nichts wissen. Die Dresdner Staatsanwaltschaft schreibt dafür aber noch einmal etwas Allgemeines zur “spekulativen Medienberichterstattung”:

Spekulative Medienberichterstattung ist bei der Aufklärung jeder Straftat — zumal eines derart komplexen Falles — wenig hilfreich und kann Ermittlungen im Einzelfall erschweren oder gar vereiteln. Gleiches gilt für die frühzeitige Veröffentlichung eines werthaltigen Hinweises oder Ermittlungsansatzes.

Mit Dank an @J_MkHk für den Hinweis!

Vom Witz zur Wut

Ewald Lienen, Technischer Direktor des FC St. Pauli, hat neulich einen Witz gemacht. Vor eineinhalb Wochen, bei einem Vortrag vor Firmenvertretern in Hamburg, wollte er die “Bedürftigkeit von Mitarbeitern nach Rückmeldung, nach Lob und Anerkennung” thematisieren, wie er später im Podcast “Der Sechzehner” erzählte (ab Minute 3:14). Im Publikum habe sich jemand als Fan des FC Bayern München “geoutet”. Dann habe er, Lienen, gesagt: “Schaut mal, er ist Bayern-Fan. Warum wird jemand aus Hamburg oder Umgebung Bayern-Fan? Unter Umständen um am Wochenende nicht das Risiko einzugehen, ein Misserfolgserlebnis zu haben. (…) Vielleicht muss er frühkindliche Deprivationen kompensieren.”

Ewald Lienen wird von diversen Medien so zitiert:

Das sind alles diese Leute, die ihre frühkindliche Deprivation durch ein wöchentliches Erfolgserlebnis kompensieren müssen. Der durchschnittliche Bayern-Fan braucht das. Du wirst FCB-Fan, weil du das Risiko nicht eingehen willst, wie beim HSV oder bei uns mal ein Spiel zu verlieren.

Welche Variante des Zitats stimmt — einzig bezogen auf die eine Person im Publikum oder allgemein bezogen auf den “durchschnittlichen Bayern-Fan” –, konnten wir nicht überprüfen. Der Veranstalter sagte uns auf Nachfrage, dass er leider keinen Mitschnitt von Lienens Auftritt habe.

Jedenfalls hätten sich alle, auch der angesprochene Bayern-Fan, totgelacht, erzählt Ewald Lienen im Podcast. Er habe das natürlich nicht ernst gemeint, wie er einige Tage später auf Facebook schrieb. Ein Witz, ein Lacher, damit hätte die Sache abgeschlossen sein können.

War sie aber nicht. Bild.de und die Hamburg-Ausgabe der “Bild”-Zeitung berichteten über den Witz, zwar mit Kontext, allerdings nur mit sehr wenig davon. Die “Bild”-Medien schrieben lediglich, Lienens Aussage sei “launig” gewesen. Online titelte die Redaktion:

Screenshot Bild.de - St. Paulis Lienen erklärt - Darum wird man Bayern-Fan

Andere Medien stürzten sich auf das oben zitierte Lienen-Zitat, das “Bild” und Bild.de veröffentlicht hatten, so auch Merkur.de und tz.de aus München (beide veröffentlichten denselben Artikel desselben Autors). Die Redaktionen verzichteten im Text nun komplett auf irgendwelchen Kontext und schrieben in ihren Überschriften: “Ewald Lienen beleidigt FC-Bayern-Fans übel”. Auch Welt.de zog nach, etwas weniger boulevardesk, aber ebenfalls ohne irgendeinen Hinweis darauf, dass Ewald Lienen den Spruch nicht ernst meinte.

Zu diesem Zeitpunkt gab es in den Sozialen Netzwerken schon reichlich Wut der FC-Bayern-Fans. Und diese Wut wurde schnell analog. Beim Bundesligaspiel gegen RB Leipzig hielten sie ein Banner mit einer deutlichen Nachricht an Ewald Lienen, der auch mal den Münchner Stadtrivalen TSV 1860 trainiert hatte, hoch: “Und wem’s als Kind zu gut ging, wechselt zu ‘nem Scheißverein wie 1860! Halt’s Maul, Ewald!”

Foto der Fankurve des FC Bayern München mit einem Banner, auf dem steht: Halt's Maul, Ewald!

Dabei stand am Anfang nur ein etwas brachialer Witz. So schnell kann es gehen, wenn Redaktionen hauptsächlich Klicks jagen und Kontext dabei nur stört.

Mit Dank an Marco für den Hinweis!

“Probleme bei der Rechteklärung”, Ver­un­glimp­fung von Frauen, Burda

1. Warum die ARD “Wuhan – Chronik eines Ausbruchs” kurzfristig abgesetzt hat
(spiegel.de, Klaus Raab)
Gestern Abend sollte im Ersten die SWR-Doku “Wuhan – Chronik eines Ausbruchs” ausgestrahlt werden. Die Produktion war im Vorfeld stark kritisiert worden, vor allem wegen der Verwendung von Filmmaterial einer chinesischen Propagandastelle. Nun kam es zu einer kurzfristigen Absetzung des Films, bei der vor allem die Begründung überraschte: Es gebe “Probleme bei der Rechteklärung”. Klaus Raab erklärt, was es damit auf sich hat.

2. Ver­un­glimp­fung von Frauen kann Volks­ver­het­zung sein
(lto.de)
Ein Mann hatte auf seiner Internetseite Frauen in zahlreichen Beiträgen als “Menschen zweiter Klasse”, “minderwertige Menschen” und “den Tieren näherstehend” bezeichnet und war dafür zunächst wegen Volksverhetzung verurteilt, danach jedoch freigesprochen worden. Nun hat das Oberlandesgericht Köln den Freispruch aufgehoben. Hauptanwendungsbereich der Volksverhetzung sei zwar immer noch rechtsradikale Hetze gegen Minderheiten, diskriminierende Äußerungen gegen Frauen seien jedoch auch vom Tatbestand erfasst.

3. RTL startet neuen Sender für Kinder
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers, Audio: 4:47 Minuten)
In Deutschland existieren zahlreiche Radiosender, doch das Hörfunkangebot für Kinder ist relativ begrenzt. Nun will Super RTL mit seinem neuen Sender Toggo die Lücke schließen. Doch wie groß ist der Markt eigentlich? Zumindest bei den Öffentlich-Rechtlichen habe man das Angebot reduziert: Der Kinderradiokanal KiRaKa sei vergangenes Jahr eingestellt worden, das bekannte Kindermagazin “Kakadu” gebe es nur noch digital auf Abruf. Michael Borgers hat bei einem Experten für Kinderradio nachgefragt.

Bildblog unterstuetzen

4. Nichtrassistische Sprache: Abschied von Blacklist und Whitelist
(heise.de, Matthias Parbel)
In der Softwareentwickler-Szene gebe es derzeit Diskussionen, wie man sich im Sinne einer diskriminierungsfreien Sprache von althergebrachten Fachtermini wie “Master” und “Slave” oder “Blacklist” und “Whitelist” lösen kann. Ganz neu seien die Vorstöße jedoch nicht. Beispielsweise habe das Drupal-Projekt bereits 2014 entsprechende Neudefinitionen vorgenommen, denen sich andere Entwicklerinnen, Entwickler und Teams angeschlossen hätten.

5. Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 186, 15.06.2020
(netzwerkrecherche.org, Daniel Drepper & Albrecht Ude)
Das Netzwerk Recherche widmet sich vornehmlich der “Förderung der Bildung durch Vermittlung von Recherchetechniken, Vermittlung von Wissen über professionelle Recherche zur Qualitätssteigerung der Medienberichterstattung, Erfahrungsaustausch über investigativen Journalismus”. Der Verein wird in der Branche für seine Jahreskonferenz geschätzt, eine Art Pflichtveranstaltung für Journalisten und Journalistinnen mit und ohne Rechercheambitionen. Und gelegentlich gibt es einen Newsletter, der eine wahre Fundgrube an weiterführenden Links und spannenden Beiträgen ist und allen Medieninteressierten ausdrücklich empfohlen werden kann.

6. Burda erweckt Fake-Tochter von Prinzessin Diana zum Leben
(uebermedien.de, Mats Schönauer)
Regenbogenpresse-Experte Mats Schönauer macht auf einen besonders beschämenden Fall von Betrug an Leserinnen und Lesern aufmerksam: Die Burda-Zeitschrift “Freizeit Spaß” präsentiert die angebliche Tochter von Prinzessin Diana (“Lady Di”) und spricht dabei von einer “sensationellen Enthüllung”. Sensationell ist dabei jedoch höchstens, wie scham- und gewissenlos die Geschichte zusammengebaut und zusammengelogen wurde.

Wir sind Schwuchtel-Skandal!

Außenstehende verbinden mit der Stadt Köln – neben Rhein und Klüngel – vor allem die katholische Kirche (Dom), kalendarisch verordneten Frohsinn (Karneval) und den Westdeutschen Rundfunk (WDR). Diese drei Zutaten reichen oft schon, um schöne Geschichten zu erzählen.

So wie diese hier: Die satirische Karnevalsveranstaltung “Stunksitzung”, die traditionell ein schlechtes Verhältnis zur katholischen Kirche pflegt, hat in diesem Jahr einen Sketch im Programm, in dem der Kabarettist Bruno Schmitz als Bischof Walter Mixa verkleidet zu einer Weinprobe lädt.

Was Schmitz/Mixa dabei erzählt, hat “Bild”-Reporter Michael Bischoff (hihi) so missfallen, dass er daraus ausgiebig zitieren musste:

Er bezeichnet Papst Benedikt als “das Frettchen des Herrn, dumm wie eine Rolle Oblaten, umgeben von servilen Höflingen.”

Und weiter: “Aber der Höhepunkt war der Weltjugendtag (2005/Anm.der Redaktion) hier in Köln: Benedikt und Joachim, der zum-Lachen-in-den-Keller-geht-Meisner, ließen sich wie zwei frischvermählte Schwuchteln über den Rhein schippern. Ich bin ja der letzte, der etwas gegen Homosexualität hat, aber doch nicht mit so alten Knochen. Da haben wir in der Katholischen Kirche ganz andere Möglichkeiten. Ich sag nur – Priesterseminar…”

Seitdem bemüht sich “Bild”, die Geschichte in Köln zum “Skandal” zu machen — mit durchaus unangenehmen Folgen für die Kabarettisten, wie der “Express” berichtet.

Heute nun meinte “Bild”, einen Erfolg vermelden zu können:

Nach BILD-Bericht: WDR schmeißt Schwuchtel-Stunker aus der Sendung

Die Zeitung schreibt sich auf die Fahnen, die “bitterböse Verunglimpfung des Heiligen Vaters und des Kardinals als Schwuchteln”, die inzwischen mehrere Tausend Zuschauer im Kölner E-Werk gesehen haben, “öffentlich gemacht” zu haben, und berichtet:

Aber jetzt reagiert der WDR: Die Szene der Stunksitzung fliegt schon vor der Aufzeichnung aus dem Programm!

“Das geht bei uns so auf keinen Fall über den Sender!”, erklärte WDR-Sprecherin Kristina Bausch gestern. Den Schwuchtel-Stunk gibt’s also im TV weder in der 90-Minuten-Fassung am 3. März (22 Uhr), noch in der Langversion zwei Tage später (0.30 bis 3.30 Uhr). Auch nicht im Hörfunk auf WDR 5.

Auch das Kölner Domradio und die Katholische Nachrichten Agentur (kna), die der katholischen Kirche fast so nahe stehen wie “Bild”, vermeldeten, der WDR werde auf eine Ausstrahlung der “Papst-Verspottung” verzichten.

Doch die Website koeln.de erklärte heute Mittag, was der WDR uns auf Anfrage noch einmal bestätigte: Eine Entscheidung über eine mögliche Nicht-Ausstrahlung der Szenen werde erst nach der Aufzeichnung am 11. und 12. Februar gefällt.

Zwar sei es sehr wahrscheinlich, dass der Sketch in seiner jetzigen Form nicht gesendet werde (deswegen die Aussage “Das geht bei uns so auf keinen Fall über den Sender!”), aber es sei ja möglich, wenn auch unwahrscheinlich, dass das Ensemble der Stunksitzung den Sketch selbst noch überarbeite.

Die kna ruderte am Nachmittag zurück und verkündete am Nachmittag in einer zweiten Meldung eine Selbstverständlichkeit:

Der WDR will eine umstrittene Passage aus der Kölner “Stunksitzung”, in der Papst Benedikt XVI. und Kardinal Joachim Meisner verunglimpft werden, vor Ausstrahlung im Fernsehen überprüfen.

Die WDR-Fernsehdirektorin Verena Kulenkampff erklärte dazu:

Unsere Redakteurinnen und Redakteure schauen sich die Version der Stunker, die bei den Aufzeichnungsterminen am 11. und 12. Februar gespielt wird, ganz genau an. Erst danach entscheiden wir: Sollten Teile davon unseren Programmgrundsätzen widersprechen, werden wir sie
selbstverständlich nicht senden.

Der WDR legt außerdem Wert darauf, schon vor dem empörten Bericht der “Bild”-Zeitung (die die Verunglimpfung religiöser Gefühle in anderen Fällen auch schon mal “mutig” findet), gewusst zu haben, was ihn bei der diesjährigen Stunksitzung erwartet: Redakteure seien bereits Anfang Januar bei einer Aufführung gewesen.

Mit Dank an Flo.

Auf der Spur des Keyloggers, Erklärjournalismus, Fake-Event

1. Dateiname LOG.TXT
(taz.de, Martin Kaul & Sebastian Erb)
Ein unglaublicher journalistischer Kriminalfall und der Versuch einer Aufarbeitung: Ein für seine investigativen Reportagen bekannter “taz”-Redakteur späht über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr 23 Kollegen (mehrheitlich Frauen) mittels “Keylogger” aus und schneidet alle Tastatureingaben (inkl. Passwörtern) mit. Durch einen Zufall fliegt die Sache auf, doch über die Hintergründe und Motivlage kann nur spekuliert werden: Der Reporter verweigert alle Auskünfte und verschwindet spurlos. Die taz-Journalisten Martin Kaul und Sebastian Erb haben ihren Kollegen in Asien aufgespürt und den Fall aufgeschrieben. Eine selbstkritische und transparente Betrachtung des Vorgangs, die angenehm unaufgeregt und feinfühlig daherkommt.

2. Webvideopreis 2016: Das Internet wird erwachsen
(dwdl.de, Miguel Robitzky)
Miguel Robitzky berichtet von der mittlerweile sechsten Verleihung des Deutschen Webvideopreises. “Auch, wenn für viele Zuschauer die Anmoderationen geklungen haben mögen wie „Kennichnicht und Keineahnungwerdasist übergeben jetzt einen Preis an Werzurhölle“ sollte man die Gewinner und Nominierten nicht einfach leichtfertig aus reiner Arroganz ignorieren. (Außer es wird der Preis für ein so genanntes „Lebenswerk“ an Y-Titty verliehen).”

3. So einfach wie möglich, aber nicht einfacher
(medium.com, Oliver Trenkamp)
Der “Spiegel Online”-Redakteur Oliver Trenkamp erklärt wie guter Erklärjournalismus funktioniert und zeigt wie ein typischer “Explainer” aufgebaut ist. Der Artikel wendet sich an Journalisten, ist aber auch für den Normalleser interessant, der wissen will, wie Onlinejournalisten bei der Aufbereitung von Nachrichten vorgehen.

4. Wie zwei Studenten mit einem Fake-Event einen Medienhype auslösen
(persoenlich.com, Sonja Gambon)
Sonja Gambon berichtet auf “persoenlich.com, dem Onlineportal der Schweizer Kommunikationswirtschaft” davon wie zwei Studenten mit einem Fake-Event einen veritablen Medienhype auslösten: “Eine GoKart-Crew machte in den letzten Wochen Zürich unsicher und wollte nun ein öffentliches Rennen veranstalten. Doch der Event, über den «20 Minuten», «Watson», «TeleZüri» oder «Stern» berichteten, hat so nie stattgefunden: WD40 war das Bachelorarbeitprojekt von zwei ZHdK-Studenten.”

5. Was wir in drei Monaten Japan-Recherche gelernt haben
(crowdspondent.de, Lisa Altmeier & Steffi Fetz)
Lisa Altmeier und Steffi Fetz sind zwei junge Journalistinnen auf Welterkundungsfahrt. Zurzeit sind sie in Japan unterwegs. Ergebnis ihres dreimonatigen Japan-Aufenthalts: “Leute, die sich darum sorgen, dass wir im Gefängnis landen. Anti-AKW-Demonstranten, die Angela Merkel feiern. Journalisten, die sich nur im Geheimen mit uns treffen. Und viele, viele Fettnäpfchen.”

6. Gottschalks große Ego-Show
(sueddeutsche.de, Hans Hoff)
Die berühmteste Ich-AG des deutschen Fernsehens sei wieder auf Sendung und rede über sich, sich, sich. Das nehme Loriot-hafte Züge an, so Kolumnist Hans Hoff in seiner Fernsehkritik von Gottschalks TV-Comeback.

Propagandafeldzug, Todenhöfer, Adipositas

1. Daten-Leak aus Ministerium der Separatisten
(zdf.de, Arndt Ginzel & Christian Rohde)
Prorussische Separatisten, die Teile der Ostukraine beherrschen, führen im Auftrag von Moskauer Beratern einen Propagandafeldzug gegen die Regierung in Kiew und gegen den Westen. Dies ginge aus Tausenden E-Mails hervor, die “Frontal21” und der Wochenzeitung “Die Zeit” vorliegen würden. Die Berater würden offenbar zum Umfeld des Kremls oder zur Präsidialadministration von Wladimir Putin gehören. Dieser habe bisher immer bestritten, dass die Separatisten in der Ostukraine von Moskau instruiert würden. Dem Artikel beigefügt ist eine FAQ-Liste, in dem die Reporter zu verschiedenen Fragen Stellung beziehen, zum Beispiel zu dem womöglich aufkommenden Vorwurf, der Bericht sei einseitig: “Das Rechercheteam hat rund elf Gigabyte Daten aus der Ostukraine ausgewertet. Die Ergebnisse flossen in die aktuelle Berichterstattung. Die Autoren haben in der Vergangenheit genauso kritisch über die ukrainische Regierung in Kiew berichtet. Ebenso thematisierten Frontal21 und DIE ZEIT Affären westlicher Geheimdienste wie den NSA-Skandal.”

2. Ein Sammelsurium von Ungereimtheiten
(carta.info, Lars Hauch)
Jürgen Todenhöfer will im syrischen Aleppo einen syrischen Rebellenführer interviewt haben. Das Video erzielte in knapp zwei Tagen bereits mehr als 700.000 Aufrufe bei Facebook. Doch es gibt Zweifel an der Authentizität des vermeintlichen Scoops. Lars Hauch hat genau hingeschaut und derart viele Ungereimtheiten ausgemacht, dass er feststellt: Wer auch immer da mit Todenhöfer spricht, er ist kein Mitglied Jabhat al-Nusras.

3. BDZV-Kongress: Vorsicht: „Lügenpresse!“ – Ist etwas dran an der Kritik?
(wwwagner.tv, Audio, 44:51 Min.)
Auf dem “Zeitungskongress 2016” des “Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger” (BDZV) hat sich eine illustre Runde zum Gespräch über die Glaubwürdigkeitskrise der Medien zusammengefunden. 45 Minuten diskutieren dort zum Thema “Vorsicht: „Lügenpresse!“ – Ist etwas dran an der Kritik?”:
* Peter Pauls, Chefredakteur „Kölner Stadt-Anzeiger“
* Werner Josef Patzelt, Politikwissenschaftler, TU Dresden
* Peter Stefan Herbst, Chefredakteur „Saarbrücker Zeitung“, Moderation
* Dr. Alexander Gauland, Stellvertretender Sprecher Bundesvorstand AfD
* Nikolaus Blome, stv. Chefredakteur Politik und Wirtschaft, „Bild“ und bild.de
* Prof. Dr. Miriam Meckel, Chefredakteurin, „WirtschaftsWoche“

4. Wenn die Katze eines Promis stirbt, weiß es TMZ als Erstes
(sueddeutsche.de, Karoline Meta Beisel)
Das amerikanische Portal “TMZ” ist eine feste Institution in Sachen Klatsch und Tratsch. Seit beinahe elf Jahren lande das Klatschportal einen Scoop nach dem anderen. TMZ hätte als erstes Medium über die Scheidung von Britney Spears berichtet, über rassistische Entgleisungen des Schauspielers Mel Gibson, darüber, dass Rihanna von ihrem damaligen Partner Chris Brown geschlagen wurde, über den Tod der Schauspieler Britanny Murphy und Heath Ledger sowie über den des Sängers Prince. Doch oftmals sind die Informationen, die zu den entsprechenden Berichten führen, auf fragwürdige Weise erkauft. Die Society of Professional Journalists, die älteste Journalistenvereinigung der USA, verurteile diesen sogenannten “Scheckbuch-Journalismus”: Man wisse nie, ob ein Informant seine Geschichte nicht vielleicht aufbläst, um mehr Geld rauszuhandeln. Der TMZ-Chef Harvey Levin kann daran nichts Verwerfliches finden und sieht sein Portal als investigatives Medium: “Wir machen Geld mit diesen Geschichten. Warum sollten unsere Quellen dann nicht nach Geld fragen?”

5. Adipositas — Der Unterschied zwischen Realität und medialer Darstellung
(fettlogik.wordpress.com, erzaehlmirnix)
Bloggerin Erzaehlmirnix kritisiert, dass in den Medien fast ausschließlich schwer morbid adipöse Menschen gezeigt werden, wenn es um die Bebilderung von „Adipositas“ geht, obwohl diese nur eine kleine Minderheit der Adipösen stellen würden. Dies wirke sich nachteilig auf unser Verständnis von Adipositas und Fettleibigkeit aus. Und es halte womöglich Ärzte davor zurück, den Fakt offen zu benennen: “Wenn Adipositas auf diese Art zum Bild für ein Extrem gemacht wird, steigt natürlich auch die Schwelle, diese Bezeichnung zu verwenden. Das ist im Alltag natürlich egal, es geht ja nicht darum, in der Fußgängerzone besser Adipöse diskriminieren zu können (was dann bei der tatsächlichen Menge an Adipösen auch recht aufwendig wäre) aber es führt dazu, dass Ärzte und andere Fachleute sich ebenfalls zweimal überlegen werden, dem Patienten mit BMI 32 den Begriff „adipös“ mitzuteilen.”

6. Auseinandergelebt
(message-online.com, Dennis Reineck)
Verschiedene statistische Erhebungen bestätigen, dass immer weniger Jugendliche und junge Erwachsene klassische journalistische Medien nutzen. Dennis Reineck hat aus einer Studie fünf Nutzertypen herausgefiltert und beschreibt deren Verhalten in Sachen Mediennutzung. Er warnt jedoch davor, die Ergebnisse falsch zu interpretieren: “Die Vorliebe für Soft News und Unterhaltungsthemen ist nichts Typisches für diese Generation, wie die TV-Quoten von Fußball, Tatort und Hollywood-Blockbustern im Vergleich zu den Nachrichtensendungen beweisen. Und Bildungsgrade und -milieus spielen eine wichtige Rolle für Nutzungsweisen, wie in der Gesellschaft insgesamt. Die Altersgruppe sollte demnach auf keinen Fall über einen Kamm geschoren werden. Dazu sind die Unterschiede, vor allem zwischen studentischen und Ausbildungsmilieus, trotz einiger Gemeinsamkeiten zu groß.”

Klüngel-Glückwünsche, Symmetrische Reaktionen, “Einfaches” Leben

1. Wo man sich lieb hat
(taz.de, Jürn Kruse & Peter Weissenburger)
Dem Anwalt für Urheber- und Medienrecht Markus Kompa ist es mitzuverdanken, dass die Klüngelposse um die “Wahl” des SPD-Politikers Marc Jan Eumann zum neuen Direktor der rheinland-pfälzischen Landesmedienanstalt bekannter wurde: Kompa hatte sich per Videobewerbung zu Wort gemeldet, seine Bewerbung blieb jedoch — erwartungsgemäß — unberücksichtigt.
Weiterer Lesetipp: In einem Interview mit dem “Deutschlandfunk” möchte der frisch geklüngelte Eumann, dass ihm Interviewerin Isabelle Klein gefälligst erstmal zur Wahl gratuliert, anstatt kritische Fragen zu stellen. Woran sich Stefan Niggemeier natürlich augenblicklich hält. Daniel Fiene wünscht sich Glückwünsche als Sprachnachrichten, die er am Donnerstag in seiner Sendung “Was mit Medien” (20 Uhr, “Deutschlandfunk Nova”) an den glücklichen Klüngelsieger übermitteln will.

2. „Wenn alles gut geht, starten wir mit einer Rakete“
(journalist-magazin.de, Catalina Schröder)
Kein anderes Crowdfunding-Projekt im Journalismus konnte jemals so viel Geld einsammeln wie das von Constantin Seibt initiierte Schweizer Onlinemagazin “Republik”. Am 15. Januar 2018 startet das mit vielen Erwartungen und 7,5 Millionen Schweizer Franken versehene Digitalprojekt. Textchef Ariel Hauptmeier erzählt, wie es kurz vor dem Start in der Redaktion zugeht und was den Leser am ersten Tag erwartet: “‘Wenn alles gut geht, starten wir mit einer geheimnisvollen Kiste — und mit einer Rakete.'”

3. Wer ist “ausländischer Agent”?
(faktenfinder.tagesschau.de, Silvia Stöber)
Die vom russischen Staat finanzierten Auslandsmedien “RT” und “Sputnik” haben sich in den USA auf Weisung der US-Regierung als “ausländische Agenten” registrieren lassen. Die Retourkutsche, pardon “symmetrische Reaktion” folgte prompt: Russland stufte seinerseits neun US-Medien als “ausländische Agenten” ein, darunter “Voice of America” und “Radio Free Europe/Radio Liberty”. Silvia Stöber erklärt im “Faktenfinder”, welch unterschiedliche Auswirkungen die Regelungen haben.
Weiterer Lesetipp: “Reporter ohne Grenzen” mit “Russland erklärt US-Auslandssender zu ‘Agenten'”

4. Social-Media-Trends 2018: Das wird nächstes Jahr wichtig
(t3n.de, Cornelia Dlugos)
Welche Social-Media-Trends werden das Jahr 2018 bestimmen? Cornelia Dlugos wagt für “t3n” einen Blick in die Kristallkugel. Die Online-Marketing-Redakteurin prognostiziert einen besseren Kundenservice durch Chatbots und sieht einen wachsenden Schwerpunkt bei temporären Inhalten sowie Augmented Reality, Live Streaming und Video-Inhalten.

5. Jugendliche erkennen Native Advertising nicht als Werbung
(medienwoche.ch, Dominique Zeier & Céline Külling)
Eine Befragung von Schweizer Schülern hat ergeben, dass Jugendliche schlecht zwischen redaktionellen Inhalten und Journalismus-ähnlichen Werbeformaten wie Native Advertising unterscheiden können. In der Studie konnten nur 40 Prozent den Unterschied zwischen journalistischen und gesponserten Beiträgen erkennen. Das liege nach Aussagen eines Medienpsychologen daran, dass Jugendliche noch nicht über dieselben kognitiven Kompetenzen zu analytischem Hinterfragen verfügen wie Erwachsene. Die Autorinnen appellieren an die Verantwortung der Medien: “Das Bewusstsein, dass Jugendliche leichter hinters Licht zu führen sind, darf nicht ausgenützt werden — im Gegenteil. Verlage täten gut daran, Werbeformate offensiver und unmissverständlich — und vor allem: einheitlich, zu deklarieren.”

6. Das “einfache Leben” bleibt ein Leben in der Komfortzone
(sueddeutsche.de. Silke Burmester)
Aktuellen Frauenzeitschriften gelinge eine Umdeutung, wie sie nur der Kapitalismus ausbrüten könne, findet Silke Burmester: Der Weg zum Weniger führe über das Mehr: “Das ‘einfache Leben’ bleibt ein Leben in der Komfortzone. Es ist ein neuer, aufs Private und Häusliche ausgerichteter Lifestyle einer satten Wohlstandsgesellschaft. Wirklichen Verzicht will hier keiner. Es sind Brot und Spiele für eine Generation von Frauen, die gegen die Umstände ihrer Erschöpfung, den Verursacher der Überforderung nicht rebelliert.”

Sachsen, Hutbürger und die Polizei, He too, Die Cleaner von Manila

1. Sachsen, Hutbürger und die Polizei — sieben Journalisten erzählen, was sie erlebt haben
(krautreporter.de, Josa Mania-Schlegel)
Vor Kurzem hat die sächsische Polizei ein Reporterteam des ZDF bei der Arbeit behindert. Ein Einzelfall? Journalist Josa Mania-Schlegel hat bei einigen seiner sächsischen Kollegen nachgefragt — und recht ähnliche Geschichten gehört.

2. Die deutschen Chefredakteure in der Übersicht
(einfacherdienst.de)
Anlässlich des jüngsten Wechsels an der “Spiegel”-Spitze hat der “Einfache Dienst” alle Chefredakteurs-Wechsel der auflagenstärksten deutschen Tages- und Wochenformate seit 1998 in einer Grafik zusammengetragen. Interessant, wo Kontinuität oder Fluktuation vorherrschen, und auffällig, wie wenig Blattmacherinnen vertreten sind.

3. Speck lass nach
(sueddeutsche.de, Hans Hoff)
Als ein Redakteur der “Wirtschaftswoche” seinem Blatt eine “Me Too”-Geschichte anbietet, winkt diese ab, woraufhin er den Artikel bei der “taz” unterbringt. Sein Arbeitgeber sprach daraufhin eine Abmahnung aus. Zu Recht, wie nun das Arbeitsgericht entschied. “Das heutige Urteil macht auf erschreckende Weise klar, wie gering der Spielraum für Journalisten ist, wenn einem Verlag die Veröffentlichung einer Information, warum auch immer, nicht genehm ist”, so der Betroffene.

4. Im Schatten der Netzwelt – The Cleaners
(arte.tv, Video, 85 Minuten)
In der Doku “The Cleaners — Im Schatten der Netzwelt” berichten einige Content-Moderatoren auf den Philippinen von ihrer digitalen Drecksarbeit. Zehntausende Menschen löschen dort in Zehn-Stunden-Schichten im Auftrag der großen Silicon-Valley-Konzerne belastende Fotos und Videos von Facebook, Youtube, Twitter & Co.
Weiterer Lesetipp: Mitarbeiter zweifeln an Facebooks Methoden im Kampf gegen Hetze (spiegel.de)

5. Kampusch: “Als würde ich einen Bombengürtel tragen”
(derstandard.at, Muzayen Al-Youssef)
Natascha Kampusch ist auch heute noch, Jahre nach der Selbstbefreiung aus ihrer Gefangenschaft, von massivem Hass betroffen, der seinen Ursprung in niederträchtiger Boulevardberichterstattung hat. Im österreichischen “Standard” erzählt sie von den Anfeindungen und all der Hetze, die ihr entgegenschlägt: “Es war mir zeitweise aufgrund der vielen Hasspostings und auch aufgrund der vielen Berichterstattungen, die nicht ganz oder überhaupt nicht der Wahrheit entsprochen haben, nicht möglich, rauszugehen. Zum Teil war es auch ein innerer Grund. Ich hatte einfach keine Lust mehr, im Supermarkt angerempelt, ausgelacht, verspottet zu werden.”

6. “Mit uns kann man Ideen umsetzen, für die anderen der Mut fehlt”
(t-online.de, Marc Krüger)
Paul Huizing ist bei der Amazon-Tochter Audible für die europäische Hörbuch- und Hörspielproduktion und das Podcast-Programm verantwortlich. Im Interview spricht er über die bisherige Programmentwicklung und verrät, welche Podcast-Produktionen ihm selbst besonders gefallen.

Rechte Verlage, Gemeinmacher, Brot- und Auflagenvermehrung

1. Trotz PR-Gag: Rechte Verlage floppen auf der Buchmesse
(jfda.de)
Rechte Verlage haben erneut versucht, die Frankfurter Buchmesse als Bühne für sich zu nutzen. Obwohl sie teilweise mit fragwürdigen PR-Gags operierten und einiges prominentes Personal auffuhren, sei dies wenig bis gar nicht gelungen. Was auch am professionalisierten Umgang der Messeleitung mit den rechtsradikalen Verlagen gelegen habe, wie das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus berichtet.
Weiterer Lesehinweis: Rechter Verleger verbreitet Fake News in eigener Sache (welt.de, Matthias Kamann).

2. Ermittlungen, nachdem “Unzensuriert”-User Florian Klenk drohten
(derstandard.at, Fabian Schmid)
Der Chefredakteur des österreichischen “Falter”, Florian Klenk, wurde massiv von Nutzern der Plattform Unzensuriert.at bedroht. Klenk veröffentlichte die Drohungen in Sozialen Medien, woraufhin sich die Polizei bei ihm meldete. Klenk auf Facebook: “Ein großes Kompliment der Landespolizeidirektion Wien. Sie reagiert demonstrativ schnell im Fall “unzensuriert.at”. Heute schon um 14 Uhr habe ich meine Zeugeneinvernahme wegen gefährlicher Drohung.”

3. Welche Rolle spielt die Regierung?
(deutschlandfunk.de, Iris Rohmann)
Ein Jahr ist es her, dass die maltesische Journalistin Daphne Caruana Galizia Opfer einer Autobombe wurde. Mittlerweile sitzen die mutmaßlichen Täter in Haft, aber die Suche nach den Hintermännern gestaltet sich schwierig. Zumal die maltesische Regierung ein falsches Spiel spiele, wie ihr von Journalisten vorgeworfen wird.
Lesenswert in diesem Zusammenhang das “taz”-Interview mit dem EU-Parlamentarier Sven Giegold: “Es fehlt das politische Interesse”.

4. Kann das weg?
(sueddeutsche.de, Benedikt Frank)
Um die Meinungsvielfalt im deutschen Privatfernsehen zu garantieren, wurden einst die sogenannten Drittsendezeiten eingeführt. Bekannteste Sendereihe: Alexander Kluges Talkformat “10 vor 11” mit Interviews mit Künstlern, Schriftstellern, Regisseuren und Forschern, das es in 30 Jahren auf mehr als 1500 Ausgaben gebracht hatte, bevor es im Juni eingestellt wurde. Wie steht es heutzutage um die Drittsendeplätze? Benedikt Frank hat sich mit der Fernbedienung auf Spurensuche begeben.

5. Wie sich Hanns-Joachim Friedrichs mal mit einer Sache gemein machte
(stefan-fries.com)
Selten sind Worte so missverstanden und aus dem Zusammenhang gerissen worden wie die des legendären “Tagesthemen”-Moderators Hanns Joachim Friedrichs, man solle sich als Journalist mit keiner Sache gemein machen, auch keiner guten. Stefan Fries hat einen kritischen Song von Udo Jürgens aus dem Jahr 1988 ausgegraben, in dem Friedrichs eine Art Intro spricht und sich damit durchaus die Kritik des Songs zu eigen macht.

6. Luftnummer 1
(noemix.wordpress.com, Michael Nöhrig)
Michael Nöhrig über die wundersame Auflagenvermehrung von Österreichs viel gedruckter, aber wenig gelesener Kostenlos-Tageszeitung: “Ein Bäcker backt täglich neun Brote, obwohl seine Kunden täglich nur sieben kaufen. Daraufhin backt er täglich zehn Brote, aber seine Kunden kaufen täglich nur mehr sechs. Also prahlt der Bäcker vor seinen Kunden: »Als Bäcker bin ich die neue NUMMER 1, denn keiner backt täglich soviel unverkäufliche Brote wie ich!«”

Emcke absichtlich missverstanden, Regie-Versagen, Jebsen-Podcast

1. Carolin Emcke wird gezielt verunglimpft
(sueddeutsche.de, Ronen Steinke)
Die Autorin Carolin Emcke hat auf dem Parteitag der Grünen eine kurze Gastrede gehalten, die von CDU und “Bild”-Redaktion kritisiert und skandalisiert wurde: Angeblich habe Emcke Klimaforscher mit Holocaust-Opfern verglichen. “SZ”-Redakteur Ronen Steinke widerspricht: “Nirgends in ihrer Rede hat sie vom Holocaust gesprochen. Auch nicht indirekt. Die Idee, Kritik an heutigen Virologen oder Klimaforschern ernsthaft mit dem Holocaust gleichzusetzen, ist Carolin Emcke, soweit ersichtlich, auch nicht ansatzweise in den Sinn gekommen, und auch beim Zuhören konnte man auf diese Idee nur kommen, wenn man denn wirklich, wirklich einen ‘Eklat’ konstruieren wollte. Zum Beispiel, weil Wahlkampf ist.”
Judith Liere kommt in ihrem Kommentar bei “Zeit Online” zu einer ähnlichen Feststellung: “Man muss nicht einmal laut ‘Kontext, Kontext!’ rufen, um klarzustellen, dass sie nie gemeint hat, was ihr da unterstellt wird. Sie hat es nämlich nicht nur nicht gemeint, sondern schlichtweg nicht gesagt.”
Weiterer Lesehinweis: In einem Twitter-Thread erklärt Matthias Meisner: “Was den von BILD, WELTAMSONNTAG, CDU, Generalsekretär Paul Ziemiak, Martenstein und anderen angezettelten Shitstorm gegen Carolin Emcke so bösartig und perfide macht: Die Kritiker vermischen unzulässig Vergleich und Aufzählung.”
Weiterer Hinweis: Wer die entsprechenden Passagen nachhören will: Der “Spiegel” hat ebenfalls über den Nicht-Skandal berichtet und Emckes Rede in einem eingebundenen Video dokumentiert.

2. Bange Minuten bei der EM: Das Regie-Versagen der UEFA
(dwdl.de, Alexander Krei)
Am Samstag konnten Millionen Menschen vor dem Fernseher mit anschauen, wie in der Fußball-EM-Partie zwischen Dänemark und Finnland der Däne Christian Eriksen auf dem Spielfeld reanimiert werden musste. Alexander Krei kommentiert: “Dass diese Bilder mehr als nur einmal in den weltweiten Live-Übertragungen gezeigt wurden, ist ein krasses Versagen der UEFA, deren Zentralregie in diesen bangen Minuten komplett daran scheiterte, Eriksens Privatsphäre zu schützen. Stattdessen gingen sogar noch die Bilder der weinenden Ehefrau des Fußballstars um die Welt. Die fehlende Empathie des europäischen Fußballverbands ist nichts weniger als ein handfester Skandal – erst recht, wenn man bedenkt, dass in der Vergangenheit schon harmlose Flitzer genügten, um dafür zu sorgen, dass die großen Verbände blitzschnell den Blick abseits des Spielfelds lenkten.”
(Ergänzender Hinweis auf einen Beitrag bei uns im BILDblog: Bild.de zeigt kollabierten Christian Eriksen.)
Weiterer Lesehinweis: Das übertragende ZDF weist Vorwürfe zurück: “Wir mussten auch dem Informationsbedürfnis der Zuschauer gerecht werden.”
An anderer EM-Stelle gibt es positive Nachrichten: Die russischen Behörden haben eingelenkt und den ARD-Journalisten Robert Kempe auch für St. Petersburg akkreditiert (faz.net).

3. Des Schwurblers Kern
(zeit.de, Daniel Hornuff)
Ab heute sind die ersten zwei Teile einer Podcast-Produktion über den Werdegang des Verschwörungserzählers Ken Jebsen verfügbar (zum Beispiel in der ARD-Audiothek: “Cui Bono: WTF happened to Ken Jebsen?”). David Hornuff ist begeistert. Der Podcast sei fantastisch gemacht, erzeuge dennoch Unbehagen: “So bewundernswert sorgfältig der Podcast arrangiert und inszeniert ist: Der Fokus auf die eine ausgewählte Person erzeugt eine unfreiwillige Stilisierung, eine überhöhende Psychologisierung – was wiederum eine seltsam umschmeichelnde Aufwertung nach sich zieht, die passagenweise ins Heroisierende kippt.”
Weiterer Lesehinweis: Anonymous hackt Ken-Jebsen-Website: “Anonymous hat Ken Jebsen ins Visier genommen: Der ehemalige Journalist gilt als Schlüsselfigur der ‘Querdenker’-Szene. Jetzt wollen Hacker die Namen seiner Spender erbeutet haben.” (spiegel.de, Frank Patalong)

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4. Ist der Begriff “Doku” noch immer nicht ausgehöhlt genug?
(medienkorrespondenz.de, Christian Bartels)
Der Medienexperte Christian Bartels hat sich die ARD-Doku “Der Milliardenraub” angeschaut. Missfallen hat ihm, dass die 45-minütige “Doku” rund zur Hälfte aus nachgestellten (wenn auch gekennzeichneten) Szenen bestanden habe: “Bedenken ‘Doku’-Autoren überhaupt noch, dass nachgestellte Szenen die Glaubwürdigkeit ihrer Filme immer beeinträchtigen und zumindest alle im Publikum, die die Überzeugungen der Autoren nicht von vornherein teilen, skeptisch machen? Wenn Reenactments in einem Ausmaß eingesetzt werden, das günstigenfalls ermüdet oder gar lächerlich erscheint, müsste Mut, auch mal unbewegte Bilder zu zeigen, leichtfallen.”

5. Wieso ich nicht mehr über “Querdenken” berichten werde
(gaebler.blog, Paul Gäbler)
“Ein Jahr lang ‘Querdenken’ hieß für mich: einmal pro Woche auf eine Demo, Gespräche führen, Fotos machen – und mich beschimpfen lassen. Damit ist jetzt Schluss.” Paul Gäbler zieht ein nachdenkliches Fazit seiner journalistischen Beobachtung unzähliger “Querdenker”- und Coronaleugner-Demos, bei dem er sich auch unangenehmen Fragen stellt: “Heute, wo ‘Querdenken’ massiv an Zulauf verliert, frage ich mich: habe ich das ganze von Anfang an überschätzt? Ist ‘Querdenken’ nur ein Misthaufen in der Geschichte – und ich habe sie mit meiner Twitter-Reichweite auch noch bekannter gemacht?”

6. Georg Thiel: Der Mann, der ins Gefängnis ging, um “GEZ-Rebell” zu werden
(uebermedien.de, Susanne Lang)
Als “GEZ-Rebell” feiert die “Bild am Sonntag” den 53-Jährigen Georg Thiel, der “lieber in den Knast ging, als jeden Monat 17,50 Euro GEZ-Gebühren zu zahlen”. Eine Behauptung, die zwar nicht ganz falsch sei, bei der aber eine wichtige Information ausgeblendet werde: “Thiel hätte seine Inhaftierung selbst verhindern können. Er hätte dafür nicht einmal die Beiträge plus Bußgelder begleichen, sondern bloß seine Vermögensverhältnisse offenlegen müssen.” Susanne Lang hat den Vorgang aufgearbeitet, der von verschiedenen Seiten – vor allem von rechtsaußen – für die eigene Agenda instrumentalisiert wird.

KW 32: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. Nils Melzer: UN-Sonderberichtserstatter über Folter & Julian Assange – Jung & Naiv: Folge 525
(youtube.com, Jung & Naiv, Tilo Jung & Hans Jessen, Video: 3:58:35 Stunden)
Der Schweizer Rechtswissenschaftler Nils Melzer lehrt Humanitäres Völkerrecht an den Universitäten von Glasgow und Genf. Für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz war er viele Jahre in verschiedenen Krisengebieten tätig. 2016 wurde er vom Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen zum Sonderberichterstatter über Folter ernannt und ist unter anderem mit dem Fall von Julian Assange befasst. Das knapp vierstündige Gespräch bei “Jung und Naiv” ist wegen seiner vielen Einblicke und Hintergrundinformationen unbedingt sehenswert, tatsächlich auch in voller Länge. Wer jedoch nicht so viel Zeit hat, kann auch bei Minute 110 einsteigen, dort geht es dann speziell um den Fall Assange. Und noch ein Tipp: Unbedingt den Schlussteil mit den von Hans Jessen vorgetragenen Publikumsfragen anschauen. Hier geht es noch einmal um das große Ganze.

2. Sophie Scholl: Social Media gegen das Vergessen
(ndr.de, Zapp – Das Medienmagazin, Video: 14:45 Minuten)
Auf dem Instagram-Kanal ichbinsophiescholl werden mit Hilfe von täglichen Stories und Video-Posts und mit Unterstützung einer Schauspielerin die letzten Wochen von Sophie Scholls Leben nachgestellt. Das Format kommt gut an, knapp 900.000 Personen folgen dem Kanal mittlerweile. Doch können Social-Media-Projekte wirklich zur Aufklärung über die NS-Zeit beitragen? Und was denken diejenigen darüber, die die Zeit selbst erlebt haben?

3. ARD Retro – 60 Jahre Mauerbau
(ardmediathek.de, Video)
Anlässlich des 60. Jahrestags des Mauerbaus bündelt die ARD historische Fernsehdokumente aus den Archiven verschiedener ARD-Sender und des damaligen DDR-Fernsehens. In der dazugehörigen Pressemitteilung heißt es: “Die sechsteilige Reihe ‘ARD Retro – 60 Jahre Mauerbau’ bietet einfache Zugänge zu Themen wie beispielsweise Vorgeschichte, Grenzanlagenbau oder Fluchtgeschichten. Neben einigen längeren sind viele kurze Beiträge in der Sammlung enthalten, die interessante und lehrreiche Eindrücke der damaligen Zeit vermitteln können.”

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4. Sind wir alle nur karrieregeil?
(druckausgleich.podigee.io, Annkathrin Weis & Luca Schmitt-Walz, Audio: 40:03 Minuten)
Beim “Druckausgleich”-Podcast für junge Medienschaffende dreht sich in der aktuellen Folge alles um das eigene Ich und das berufliche Fortkommen: “Wir greifen nach den Karrieresternen, wollen zu den jungen Stars am Journo-Himmel gehören und wollen möglichst schnell in die Top-Listen und Preise gewinnen. Die eigentliche Arbeit? Zweitrangig, wenn es um den (vermeintlichen) Aufstieg in der Twitter-Journo-Bubble geht. Wie viel Handwerk, Können und sinnvolle Arbeit bleibt noch übrig, zwischen ‘In-eigener-Sache’-Tweets und Elite-Denken?”

5. Alles nur Ritual? Warum Politikerinterviews oft so starr daherkommen
(ardaudiothek.de, SR 2, Kai Schmieding & Michael Meyer, Audio: 15:05 Minuten)
Politikerinterviews im Fernsehen bieten meist wenig Überraschendes, wirken auf viele Zuschauende ritualisiert, langweilig und starr. Waren TV-Gespräche mit Politikerinnen und Politikern früher besser, spannender, überraschender? Unter anderem darüber unterhalten sich Kai Schmieding und Michael Meyer mit dem Fernsehproduzenten und Ex-Polit-Moderator Friedrich Küppersbusch.

6. Satire und Journalismus: Lachen ist das neue Verstehen
(mdr.de, Medien 360G)
Bei “Medien360G”, dem Portal des Mitteldeutschen Rundfunks für Medienthema, gibt es einen Schwerpunkt zum Thema Satire und Journalismus mit zahlreichen Beiträgen und Gesprächen, darunter mit dem Unterhaltungskünstler Oliver Kalkofe, dem “extra3”-Redaktionsleiter Andreas Lange, der Kommunikationswissenschaftlerin Katharina Kleinen-von Königslow und dem Kommunikationswissenschaftler Dennis Lichtenstein.

“European Newsroom”, Dokukratie, Kliemanns Wutrede

1. Wie dpa mit fragwürdigen Medien auf dem Balkan kooperiert
(netzpolitik.org, Alexander Fanta)
16 europäische Nachrichtenagenturen richten derzeit ein gemeinsames Büro in Brüssel ein, den “European Newsroom”. Eingefädelt habe das Großprojekt der dpa-Geschäftsführer Peter Kropsch. Was die Qualität der Inhalte steigern und zu “Kostensynergien” führen soll, wird von Experten und Expertinnen kritisiert, denn das Geld für den Newsroom stammt aus dem Budget der EU-Kommission für Öffentlichkeitsarbeit.

2. Wir präsentieren: Dokukratie
(fragdenstaat.de, Arne Semsrott & Stefan Wehrmeyer)
“Dokukratie”, das neue Recherchetool von “FragDenStaat” macht unter anderem Kleine Anfragen, Gutachten und Dokumente aus Untersuchungsausschüssen zentral durchsuchbar. “Dokukratie besteht aus zwei zentralen Elementen: Eine Website, über das alle Menschen zentral auf die gesammelten Dokumente zugreifen können, sowie ein offener Scraping-Hub, auf dem die Dokumente gesammelt werden.”

3. Warum ich nicht in die Ukraine gegangen bin
(journalist.de, Carsten Stormer)
Der freie Kriegsreporter Carsten Stormer fühlt sich schuldig, nicht in die Ukraine gereist zu sein. In früheren Zeiten sei er ohne Auftrag losgezogen, um vor Ort nach Geschichten zu suchen. Jetzt ahne er jedoch, was dabei herauskommen würde: “In der Ukraine würde ich bestenfalls nur an der Oberfläche kratzen. Für eine Berichterstattung, die Tiefe und Nähe erzeugt, Wissen und Kontext vermittelt, eine Entwicklung aufzeigt, fehlen mir schlicht die Mittel. Große internationale Medien stellen ihren Korrespondenten Sicherheitsberater zur Seite, meist Ex-Militärs, die die Gefahrenlage einschätzen, die Risiken abwägen können und zur Not eine Recherche abbrechen. Man muss einen Fahrer mit Ortskenntnis anstellen, einen Übersetzer bezahlen. Lokale Produzenten, die helfen, Geschichten zu finden, Gegend und Menschen kennen, die Landessprache beherrschen, Benzin, Lebensmittel und eine Übernachtungsmöglichkeit klarmachen. Das gesamte Team muss mit schusssicheren Westen und Helmen ausgestattet sein. Das alles kostet sehr viel Geld.”

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4. Russischer Dissident versteigert Nobelpreis-Medaille für Rekordpreis
(zeit.de)
Der russische Journalist und Putin-Kritiker Dmitri Muratow ist Mitgründer der mittlerweile zwangseingestellten Zeitung “Nowaja Gaseta” und Inhaber einer Nobelpreismedaille. Diese ließ er nun zugunsten ukrainischer Flüchtlingskinder versteigern. Der Erlös brach alle Rekorde: “Bei einer Auktion in New York erzielte die goldene Medaille einen Erlös von 103,5 Millionen Dollar – rund 98,5 Millionen Euro. Noch nie ist eine Nobelpreismedaille auch nur annähernd für eine solche hohe Summe versteigert worden.”

5. Birte Meier wechselt zu RTL
(sueddeutsche.de, Verena Mayer)
Birte Meier, langjährige Redakteurin des ZDF-Magazins “Frontal21”, wechselt mit den ebenfalls von “Frontal21” kommenden Manka Heise und Christian Esser zu RTL und wird dort nach Senderangaben eine “Investigativ-Unit” aufbauen. Meier hatte 2015 das ZDF wegen Lohnungleichheit verklagt. Das Verfahren lief über mehrere Instanzen, wurde jedoch abgewiesen. Dagegen wehre sich Meier nun vor dem Bundesverfassungsgericht.

6. Fynn Kliemann kritisiert “woke linke Szene”
(tagesspiegel.de, Markus Ehrenberg)
Der in die Kritik geratene Influencer Fynn Kliemann gab sich zwischenzeitlich reuig, holt nun aber zum Gegenangriff aus. In einer Wutrede auf Instagram beklagt er sich über “Teile der woken, linken Szene” und sieht sich im Zentrum düsterer Machenschaften: “Ich verstehe schon, ihr habt mich mit öffentlichen Geldern groß gemacht, dann habe ich nicht gespurt und genau mit den gleichen Geldern soll ich jetzt zerstört werden.”
Weiterer Lesetipp: Derweil treten neue Vorwürfe gegen Kliemann zutage: “Fynn Kliemann versteigerte digitale Kunstwerke für mehr als 200.000 Euro. Aber weil er sich nach Kontraste-Recherchen nicht an seine eigenen Auktionsbedingungen hielt, könnten ihm Schadensersatzforderungen drohen.” (tagesschau.de, Daniel Laufer)

Mit zweierlei Maß, Musk will nicht mehr, Selbstgleichschaltung?

1. Medienprozesse: “Bild” und “Heute” müssen Witwe zehntausende Euro zahlen
(derstandard.de, Michael Möseneder)
In Österreich sind die Boulevardmedien “Bild” und Heute.at zu Entschädigungszahlungen an eine Hinterbliebene verurteilt worden. Die Redaktionen hatten den Unfalltod des Ehemanns der Frau reißerisch ausgeschlachtet. Für “Bild” gab es vor Gericht deutliche Worte: “Viel verwerflicher kann man einen Artikel nicht machen”, so der Richter: “Das war schon eklatant – da kann man eigentlich nicht mehr sagen, dass das passiert ist, es sieht nach Absicht aus”.

2. Mit zweierlei Maß gemessen
(djv.de, Hendrik Zörner)
“Christian Lindner und Franca Lehfeldt sind ein Paar. Schön für sie. Dumm nur, dass die Gattin des Bundesfinanzministers als Politikreporterin arbeitet und das wohl auch weiterhin tut.” Hendrik Zörner, Pressesprecher des Deutschen Journalisten-Verbands, weist in seinem Kommentar auf das widersprüchliche Verhalten des Springer-Konzerns bei einem ähnlichen Fall hin, der Beziehung zwischen Fußballtrainer Julian Nagelsmann und “Bild”-Sportreporterin Lena Wurzenberger: “Warum der Verlag bei den beiden Mitarbeiterinnen mit zweierlei Maß misst, erschließt sich nicht. Eine einheitliche Linie wäre eigentlich vonnöten.”

3. Ranking: Die erfolgreichsten Zeitungs-Chefredakteure auf Twitter und Linkedin
(kress.de, Markus Wiegand)
Das Branchenmagazin “Kress pro” hat nachgezählt, wie viele Followerinnen und Follower die wichtigsten Chefredakteurinnen und Medienmanager bei Twitter und auf LinkedIn hinter sich versammeln (Anmerkung des “6-vor-9”-Kurators: Das Ranking wird von “Welt”-Leiter Ulf Poschardt angeführt. Ein Beleg, wie sehr man solche Listings hinterfragen muss, denn Poschardt nutzt Twitter vornehmlich für seltsame Troll-Beiträge).

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4. Musk will Twitter nicht mehr kaufen
(tagesschau.de)
Was sich seit Wochen abzeichnet, wird nun wohl zur Gewissheit: Tech-Milliardär Elon Musk hat seine Vereinbarung zum Kauf von Twitter für aufgelöst erklärt. Nun droht ein langer Rechtsstreit, denn Twitter pocht auf Erfüllung des Vertrags. Außerdem wurde bei Vertragsrücktritt eine Vertragsstrafe von einer Milliarde US-Dollar vereinbart.

5. Willkommen an Bord
(journalist.de, Anne Hünninghaus)
“Arbeitsvertrag unterschrieben, Schlüsselkarte erhalten? Lange erschöpfte sich die Onboarding-Phase in Medienhäusern in einer Checkliste für Administratives. Der Trend zu New Work und die Corona-Pandemie haben die Einstiegsprozesse in vielen Redaktionen auf den Kopf gestellt: Plötzlich geht es um Bindung und Kultur.” Anne Hünninghaus schreibt über die neue Willkommenskultur in den Redaktionen und Verlagen.

6. Precht und Welzer sehen Medien als “selbstgleichgeschaltet”
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
In der Verlagsankündigung des neuen Buchs von Philosoph Richard David Precht und Soziologe Harald Welzer ist von einer angeblichen “Selbstgleichschaltung der Medien” die Rede. Darüber kann sich Joachim Huber im “Tagesspiegel” nur wundern: “Precht mit eigener Talkshow im ZDF und Welzer mit zahlreichen Talkshow-Auftritten konnten und können ihre Meinungen in den ‘selbstgleichgeschalteten Medien’ ausbreiten. Irgendetwas läuft da fundamental schief – entweder bei den Massenmedien oder bei Richard David Precht und Harald Welzer.”

Wie dränge ich ein Land aus der Eurozone?

Nachdem BILDblog vor einem Jahr aufgezeigt hatte, wie man erfolgreich gegen ein Land aufhetzt, ist es nun Zeit für die Königsdisziplin: Der ultimative Leitfaden für das Herausdrängen eines Landes aus der Eurozone — veranschaulicht anhand einiger ausgesuchter Artikel von “Bild” und Bild.de aus den vergangenen vier Wochen:

1. Stellen Sie rhetorische Fragen, die entweder nicht zu beantworten sind oder deren Antworten eigentlich schon klar sind. Wichtig: Bereits die Fragestellung muss eine Provokation beinhalten.

Etwa so:

EU zögert mit finanzieller Hilfe: Muss Griechenland die Akropolis verkaufen?

Oder fragen Sie:

EIN JAHR NACH DER STAATSPLEITE Haben die Griechen die Kurve gegriecht?

Sorgen Sie außerdem mit Fragen wie “Was machen die anderen Euro-Versager?” dafür, dass klar ist, dass Sie Griechen für Versager halten, auch wenn Sie es nicht konkret ansprechen.

Oder fragen Sie:

Nach Berichten über Ausstiegs-Pläne: Macht Griechenland den Euro kaputt?

2. Damit sind wir auch schon beim zweiten Punkt: Verwenden Sie möglichst symbolische Bilder. Hier: Ein Foto der alten griechischen Währung neben einer griechischen Euromünze unterstreicht Ihre Forderung nach der Rückkehr der Griechen zur Drachme.

3. Heizen Sie Spekulationen, dass Griechenland aus dem Euro austreten wolle, fleißig selbst mit an:

Angeblich Krisen-Gipfel Steigt Griechenland aus dem Euro aus? Premier Papandreou will möglicherweise eigene Währung einführen

EU-Geheimtreffen nach Gerüchten: Wie ernst meinen es die Griechen mit dem Euro-Austritt?

Verschweigen Sie anschließend unbedingt, dass es sich bei den “Gerüchten” um eine unbestätigte Falschmeldung von “Spiegel Online” gehandelt hatte.

4. Natürlich gilt wieder: Lassen Sie fast ausschließlich “Top-Ökonomen” zu Wort kommen, die sich negativ über Griechenland äußern — oder in anderen Worten: Lassen Sie fast ausschließlich Hans-Werner Sinn zu Wort kommen:

Top-Ökonom Hans-Werner Sinn "Griechenland muss aus dem Euro raus!"

ifo-Chef Hans Werner Sinn: Griechenland muss wieder wettbewerbsfähig werden

Ignorieren Sie dabei völlig, wenn Ihr Experte seine Position anderswo später relativiert:

Er fordere nicht den Austritt Griechenlands aus der Eurozone. Gerade erst hat Sinn gegenüber der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” einen Austritt Griechenlands als “das kleinere Übel” bezeichnet. Dies sei aber keine Empfehlung gewesen, präzisiert er nun, er habe lediglich die Möglichkeiten aufgezählt; die Journalisten neigten dazu, Dinge zu überspitzen.

Sollte doch einmal ein Verteidiger zu Wort kommen, dann kompensieren Sie diesem Umstand am besten mit einer krawalligen Überschrift:

Ex-Minister Theo Waigel: Euro-Gefahr Griechenland: "Wir können die Griechen nicht einfach rauswerfen" sagt Ex-Minister Waigel

5. Als flankierende Maßnahme empfiehlt es sich, den Austritt Griechenlands aus der Eurozone auch ganz unverblümt und direkt in Kommentaren zu fordern. Etwa so:

Kommentar: Bye, bye, Griechenland

6. Lassen Sie Ihre bereits aufgehetzten Leser zwischendurch auch gerne über eine Frage abstimmen, bei der das Ergebnis dank Ihrer einseitigen Berichterstattung ohnehin schon klar ist: “Soll Griechenland raus aus der Euro-Zone?”

Fühlen Sie sich in Ihrer Kampagne bestätigt, wenn 84 Prozent diese Frage mit “Ja” beantworten!

7. Geben Sie Aussagen von Experten wie dem Ökonom Thomas Straubhaar möglichst verzerrt wieder, sodass es aussieht, als müsste Griechenland austreten, um nicht so unterzugehen wie seinerzeit die DDR:

Top-Ökonom spekuliert Endet Griechenland wie die DDR? Gauweiler fordert Ausscheiden Athens aus dem Euro - Noch mehr Geld aus Brüssel?

Man beachte das harmonische Zusammenspiel von rhetorischer Frage (siehe 1.) und Symbolbild (siehe 2.).

Ignorieren Sie, dass Straubhaar in Wahrheit das exakte Gegenteil dessen gesagt hatte — nämlich dass ein Austritt für Griechenland einen ähnlichen Niedergangseffekt haben könnte, wie er in der Endphase der hochverschuldeten DDR zu beobachten war.

8. Sie können den Niedergang der Wirtschaft des Landes, das Sie loswerden wollen, sogar selbst beschleunigen. Berichten Sie einfach darüber, dass Griechen ihr Geld auf deutschen Konten in Sicherheit bringen, damit noch mehr Griechen ihr Geld auf deutschen Konten in Sicherheit bringen:

Griechen bringen ihr Geld auf deutsche Konten

9. Berichten Sie über die durch die Sparmaßnahmen hervorgerufenen Streiks stets so, als wären die Griechen zu faul zu arbeiten:

Europa stützt Griechenland mit Milliarden Euro, die nächste Hilfsaktion ist in Vorbereitung – doch die Griechen weigern sich weiter, den Gürtel richtig eng zu schnallen. Stattdessen gehen sie wieder auf die Straße.

Unterstützen Sie dies durch weitere Schlagzeilen:

Griechenland-Krise: Griechen-Streiks kosten 11 Milliarden Euro ...aber Athen baut neue Formel-1-Strecke!

10. Nutzen Sie überhaupt jede Gelegenheit, um Missstände unter Verwendung wenig repräsentativer Extrembeispiele anzuprangern. Wichtig: Ignorieren Sie dabei alle bisher gemachten Fortschritte und scheuen Sie sich nicht vor schalen Wortspielen!

Euro: Darum kriechen die Griechen nie aus der Krise +++ 18 Monatsgehälter +++ Doppel-Pensionen +++ Prämie für Händewaschen und Pünktlichkeit +++ Freie Tage haben 28 Stunden +++ 800 Politiker wollen Millionen-Gehaltsnachschlag +++

11. Berichten Sie groß darüber, wenn sich ein Politiker dazu hinreißen lässt, etwas zu sagen, was auch von Ihnen stammen könnte:

Merkel erhöht Druck auf Europas Schuldenstaaten Griechen sollen weniger Urlaub machen

Ignorieren Sie dabei jegliche Kritik innerhalb Deutschlands — etwa von der Opposition oder Wirtschaftsexperten und Wirtschaftsjournalisten, die das Gegenteil belegen können.

Berichten Sie stattdessen über die Reaktion im betroffenen Land. Denken Sie dabei immer daran, dass alle Aussagen, die Ihnen nicht passen, als “Pöbelei” bezeichnet werden müssen:

Nach Standpauke: Griechen pöbeln gegen Merkel. Fleiss-Appell unseren Kanzlerin löst Empörung aus ++ Lage in Griechenland immer desolater

Viel Erfolg! Ihre Leser werden die bemitleidenswerten Opfer Ihrer Kampagne so schnell wie möglich loswerden wollen, die Politik wird sich Ihnen womöglich anschließen.

Deniz-Yücel-Parlamentsanfrage, Polit-Podcasts, Fakes aus Krisenregionen

1. Türkische Opposition stellt Parlamentsanfrage wegen Deniz Yücel
(welt.de)
Mehr als sieben Monaten befindet sich der Journalist und “Welt”-Korrespondent Deniz Yücel schon in Einzelhaft. Nun hat ein Abgeordneter der größten türkischen Oppositionspartei CHP im Parlament in Ankara eine kleine Anfrage gestellt, in der es u.a. heißt: “Warum wird gegen den Journalisten Deniz Yücel keine Anklageschrift erstellt, obwohl er vor rund neun Monaten in Polizeihaft genommen wurde? Warum wird Deniz Yücel in Isolationshaft gehalten und ihm eine gemeinsame Unterbringung mit anderen Gefangenen nicht gestattet?”

2. Aufs Ohr gelegt
(taz.de, Anne Fromm)
Podcasts sind weiter auf dem Vormarsch, ob Unterhaltungsformate oder solche zur Politik, wie sie jüngst von “Spiegel Online”, “Zeit Online” und “Deutschlandfunk” gestartet wurden. “taz”-Medienredakteurin Anne Fromm hat sich einen Monat angehört, was in diesem Themenumfeld von den drei genannten Medien derzeit geboten wird. (Anmerkung des “6vor9”-Kurators: Wer sich für Politik interessiert, könnte auch bei unabhängigen Formaten fündig werden wie z.B. dem “Aufwachen”-Podcast oder der “Lage der Nation”.)

3. Fakes aus Krisenregionen
(deutschlandfunk.de, Thomas Wagner)
Für Medien ist es nicht immer leicht herauszufinden, ob Bild- oder Videomaterial gefälscht ist. Im Beitrag des “Deutschlandfunks” geht es darum, wie das “News Lab” des Schweizer Fernsehens und das ARD-Studio Kairo mit dieser Herausforderung umgehen. Die Verifizierung von Bildern kann, trotz einschlägiger Tools, eine aufwändige Sisyphusarbeit sein, weiß ARD-Reporter Volker Schwenck in Kairo. Bei unklaren Fällen empfiehlt er zumindest den Hinweis, dass es sich um Bildmaterial aus fremden Quellen handelt. “Häufig ist die einfachste Form, dass man sagt: Die Bilder sollen dies und das sagen. Sie wurden im Internet verbreitet und könne nicht unabhängig verifiziert werden.”

4. Bietet Onlinern bessere Perspektiven!
(edito.ch, Tobias Bühlmann)
Im Schweizer Medienmagazin “Edito” erzählt Tobias Bühlmann von seinen langjährigen Erfahrungen in Online-Redaktionen. Er beklagt den schlechten Umgang der Medienhäuser mit ihren Onlinern. Diese stünden oft ganz unten in der Hackordnung, würden gering geschätzt und schlechter bezahlt. Er appelliert an die Chefs: “Hört euch um am Online-Desk, gebt den Arbeiterinnen und Arbeitern dort mehr Raum. Mehr Zufriedenheit führt zu einem motivierten Team, und dies garantiert ein besseres Produkt. Was eignet sich mehr als Alleinstellungsmerkmal in einer Medienwelt, die sich immer mehr angleicht?”

5. Keine Angst vor der Wahrheit – auch nicht unter Erdogan
(spiegel.de, Maximilian Popp)
“Spiegel Online” berichtet über den türkischen Medienunternehmer Engin Önder und dessen Internetplattform für Bürgerjournalismus “140journos”. Obwohl in der Türkei nach dem gescheiterten Putschversuch Mitte 2016 mehr als 150 Journalisten verhaftet und zahlreiche Medienhäuser geschlossen wurden, gibt es das alternative Medienprojekt immer noch. Was womöglich daran liege, dass Önder zwar heikle Themen anpacke, aber eine neutrale Sprache verwende und Kampfbegriffe meide.

6. Sandro Schwarz knöpft sich Journalisten vor
(swr.de, Benjamin Wüst)
Das passiert nicht oft: Ein Fußballtrainer, hier der des FSV Mainz 05, Sandro Schwarz, findet die Journalisten zu zahm und wünscht sich mehr Reibung und Diskussionen: “Auch wenn dann vielleicht mal eine patzige Antwort dabei ist, das kann natürlich sein. Aber ich will den Austausch. Ich bin bereit, die Wahrheit zu sagen.”

Sex-Fake-News, Machtmissbrauch, Saure Gurke für Claus Kleber

1. Faktencheck ist sexy
(taz.de, Hengameh Yaghoobifarah)
Haben Sie auch von den angeblich in Schweden geltenden neuen Regeln gehört, nach denen man vor dem Sex am besten eine schriftliche Einverständniserklärung einholt, um auf der sicheren Seite zu sein? Dann sind Sie einer amtlichen Falschmeldung aufgesessen: “Stell dir vor, du bist ein öffentlich-rechtlicher Nachrichtensender und verbreitest eine so unterirdische Fake-News, dass die Satire-Seite „Der Postillon“ dich berichtigen muss. In genau dieser Situation befindet sich die Social-Media-Redaktion der Heute-Nachrichten des ZDF, deren Berichterstattung über eine Gesetzesänderung in Schweden inhaltlich straight outta Bild.de entstammt.” Weiterer Lesetipp: Nachdem die falschen Meldungen derart hohe Wellen schlugen, sah sich die Schwedische Botschaft gezwungen eine Erklärung abzugeben. Und sich via Twitter bei dem Organ zu bedanken, das für Aufklärung gesorgt hat: “Dem Postillon”.

2. 5 der 10 erfolgreichsten Artikel von unzensuriert.at sind Falschnachrichten über Flüchtlinge
(buzzfeed.com, Karsten Schmehl)
Der ehemalige Chefredakteur der umstrittenen FPÖ-nahen Plattform “unzensuriert.at” Alexander Höferl soll ins österreichische Innenministerium wechseln und dort Kommunikationsleiter werden. Ein Anlass für “BuzzFeed News”, sich Höferls frühere Wirkungsstätte näher anzuschauen. Das Ergebnis: Fünf der zehn erfolgreichsten “unzensuriert”-Artikel seien Falschmeldungen über Flüchtlinge, die zum Teil von mehreren Medien widerlegt wurden.

3. Das Bundeskartellamt wirft Facebook Machtmissbrauch vor
(wired.de)
Das Bundeskartellamt kritisiert Facebooks marktbeherrschende Stellung in Deutschland. Das Netzwerk nutze seine Stellung aus, um Daten von Nutzern auch außerhalb von Facebook zu sammeln — ohne deren Zustimmung. Alternativen zum Netzwerk gebe es nicht: Konkurrenzseiten hätten durch das Quasi-Monopol nahezu keine Chance mehr. Frühestens im Frühsommer 2018 wird sich erweisen, wie sich der Streit zwischen Behörde und Netzwerk weiterentwickelt.

4. Die MDR-eigene „Hall of Shame“
(flurfunk-dresden.de, Ben Kutz)
Der “MDR” listet auf einer “Korrekturen”-Seite chronologisch alle Fehler und Ungereimtheiten auf. Ein prinzipiell guter Ansatz findet der “Flurfunk Dresden”, der jedoch seine Schwächen habe: “Durch diese Auflistung erschafft der MDR eine hausinterne Hall of Shame. Einerseits mag der Ansatz löblich sein, offensiv mit seinen Fehlern umzugehen. Auf der anderen Seite macht man sich angreifbar, indem alle Fehler auf einer Seite gebündelt werden.” Und in der Tat, bei einigen der aufgelisteten Beispielen weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll.

5. Twitter gibt sich neue Hatespeech-Regeln. Das Problem liegt aber woanders.
(fearlessdemocracy.org, Kai Heiderich)
Kai Heiderich kommentiert auf “Fearless Democracy” Twitters neue Regeln im Umgang mit Hatespeech (“New Rules on Violence and Physical Harm”). Es stelle sich die Frage, was die Regeln in Deutschland wert seien. Heiderich ist skeptisch und verweist auf die knappen Personalressourcen Twitters in Deutschland: “Ein kleines Rumpf-Büro in Hamburg existiert zwar – dass von hier aus ein robuster Umgang mit den eigenen Hausregeln in Zukunft zu erwarten ist, bleibt abzuwarten.”

6. “Ich war in der Tat nicht auf Augenhöhe mit Frau Furtwängler”
(deutschlandfunk.de)
Claus Kleber hat sich im Juli 2017 im “heute journal” mit Maria Furtwängler über eine Studie unterhalten, nach der Frauen in den Medien unterrepräsentiert sind. Für seine von vielen als chauvinistisch empfundene Moderation bekam Kleber nun die “Saure Gurke” verliehen. Kleber sieht sich zu Unrecht am Pranger und lehnt die Annahme des Negativpreises ab.

Zwiebelfeinde, Aktenuneinsicht, Urheberrechtsreform-Überraschung

1. „Zwiebelfreunde“-Durchsuchungen: Wenn Zeugen wie Straftäter behandelt werden
(netzpolitik.org, Alexander Fanta)
Die Generalstaatsanwaltschaft München hat in einer breit angelegten Polizeiaktion die Räume des Dresdner Vereins “Zwiebelfreunde” und die Wohnungen von Vorstandsmitgliedern durchsuchen lassen. Anscheinend hatte ein Spendenaufruf auf der Vereinswebsite gereicht, um die bayerische Polizei bei Tagesanbruch durch die Wohnungstür marschieren zu lassen. Netzpolitik.org sprach nach dem Einsatz mit den Betroffenen, die sich zu Unrecht kriminalisiert sehen.
Weiterer Lesehinweis: Reporter ohne Grenzen (ROG) kritisiert das Vorgehen der bayerischen Strafverfolgungsbehörden gegen die Netzaktivisten aufs Schärfste. Es sei absolut unverhältnismäßig und auch als Angriff gegen Anonymität im Internet anzusehen, so ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. “Das Vorgehen schüchtert Netzaktivisten, aber auch Journalisten ein, die sich für sichere Kommunikation im Internet einsetzen. Die Behörden müssen alle beschlagnahmten Geräte und Dokumente sofort zurückgeben und die Hintergründe ihres Vorgehens erklären.”

2. GIZ verweigert Akteneinsicht
(journalist-magazin.de, René Martens)
Der Journalist Andreas Maisch wollte Einblick nehmen in interne Prüfberichte der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz beantragte er Akteneinsicht in die entsprechenden Dokumente. Hintergrund: Maisch recherchiert und schreibt über Korruption in der Entwicklungshilfe. Die GIZ und ihr Auftraggeber, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, mauern jedoch und lehnen die Einsicht ab. Maisch hat mit Hilfe des Deutschen Journalisten-Verbands 2016 Klage eingereicht, über die dieses Jahr entschieden werden soll.

3. EU-Parlament bremst Urheberrechtsreform aus
(spiegel.de, Markus Böhm)
Das Europaparlament hat die EU-Urheberrechtsreform wegen Bedenken etlicher Abgeordneter vorerst zum Stillstand gebracht. Netzaktivisten und Tech-Verbände freuen sich, Presseverlage und Vertreter der Musik- und die Filmbranche reagierten verärgert. Markus Böhm fasst die derzeitige Stimmungslage zusammen und gibt einen Ausblick auf die weitere Entwicklung.
Weiterer Lesehinweis: Jannis Brühl kommentiert auf Süddeutsche.de: “Die Debatte um die Upload-Filter ist ein Test: Die Demokratie der Zukunft wird sich von autoritären Systemen nicht nur durch Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit unterscheiden, sondern auch dadurch, welche Software sie auf ihre Bürger loslässt. An diesem Donnerstag hat das EU-Parlament den Test bestanden — vorerst.”

4. Vorm G20-Massencornern LKA greift zu – Radiosender FSK vom Netz genommen
(mopo.de)
Der linke Hamburger Radiosender “Freies Sender Kombinat” (FSK) ist nach einem LKA-Zugriff online nicht mehr zu erreichen. Die FSK-Verantwortlichen sprechen von einem Eingriff in die Presse- und Rundfunkfreiheit und fordern die sofortige Rückgabe des Servers. Der Vorgang ist insofern bemerkenswert, als dass es bereits in der Vergangenheit bei Radio FSK zu verbotenen Polizeiaktionen gekommen war. So habe die Hamburger Polizei eingestehen müssen, dass ein Undercover-Einsatz einer Beamtin von 2003 bis 2006 rechtswidrig war.

5. Nach “SZ”-Rauswurf: “Abendzeitung” verpflichtet Karikaturisten Dieter Hanitzsch
(kress.de, Bülend Ürük)
Nach seinem Rauswurf bei der “SZ” zeichnet der 85-jährige Karikaturist Dieter Hanitzsch ab sofort für die “Abendzeitung München”. Hanitzsch werde sich bei seiner Arbeit vor allem auf die Münchner und die bayerische Politik konzentrieren.

6. “Es gibt keinen redlichen rechten Schriftsteller”
(zeit.de, Wiebke Porombka)
Im österreichischen Klagenfurt haben die 42. Tage der deutschsprachigen Literatur begonnen. In seiner Auftaktrede hat sich der Schriftsteller Feridun Zaimoglu gegen den Rechtsruck in Europa ausgesprochen: “Der Rechte ist kein Systemkritiker, kein Abweichler und kein Dissident, er ist vor allem kein besorgter Bürger. Wer die Eigenen gegen die Anderen ausspielt und hetzt, ist rechts. Punkt. Wer für das Recht der Armen streitet, ist ein Menschenfreund. Punkt. Es gibt keinen redlichen rechten Intellektuellen. Es gibt keinen redlichen rechten Schriftsteller.” Den ganzen Text zur Rede gibt es hier.

Rattenfänger von Youtube, CC-Abzocke, Schrödingers Handelsblatt

1. Youtuber zeigt Kindern, wie man mit Glücksspiel reich wird
(uebermedien.de, Robin Blase)
Der deutsche Youtube-Star “MontanaBlack” (Marcel Eris) hat aktuell 1,2 Millionen Follower und 19.000 “Twitch”-Abonnenten, die jeden Monat fünf Dollar zahlen. Ab Mitternacht betreibt “MontanaBlack” auf seinem Kanal Influencer-Marketing für eine maltesische Glücksspielseite. Und das wirft sowohl moralische als auch rechtliche Fragen auf. Robin Blase, selbst erfolgreicher Youtuber, erklärt, was an dem Fall problematisch ist.

2. Creative-Commons-Abzocke: negative Feststellungsklagen gegen Marco Verch, Thomas Wolf, Christoph Scholz, Christian Fischer, Dirk Vorderstraße, Dennis Skley und den Verband zum Schutz geistigen Eigentums im Internet (VSGE)
(kanzleikompa.de, Markus Kompa)
Es gibt Fotografen, die ein raffiniertes Geschäftsmodell für sich entdeckt haben. Sie laden ihre Bilder auf Plattformen wie Wikipedia, Flickr oder der eigenen Homepage und versehen sie mit einer kostenlosen “Creative Commons”-Lizenz. Viele von ihnen gestatten sogar die kommerzielle Nutzung ihrer Werke. Wo bleibt bei all dieser Selbstlosigkeit das Geschäftsmodell? Das lauert wie so oft im Kleingedruckten: Sobald jemand ein Bild nutzt und einen Fehler bei der komplizierten Benennung macht, gibt es eine saftige Rechnung oder gar Anwaltspost. Für ein Köln-Bild wird dann mal eben mehr als 5.000 Euro verlangt. Die Gerichte bereiten der “Creative Commons”-Abzocke nun nach und nach ein Ende. Das geht auch auf die Hartnäckigkeit des Medienanwalts Markus Kompa zurück, der knapp 50 sogenannte negative Feststellungsklagen gegen die Aufsteller der “Urheberrechtsfalle” (Zitat Berliner Kammergericht) geführt hat.

3. Zu nah dran an Facebook?
(deutschlandfunk.de, Daniel Bouhs, Audio, 4:32 Minuten)
Die halbstaatliche Hamburg Media School ist eine sogenannte Public-Private-Partnership, das heißt sie finanziert sich durch Zuwendungen des Staats sowie von Medien und Privatwirtschaft. Eine Förderung steht gerade besonders in der Kritik: ein Weiterbildungsangebot in Kooperation mit Facebook. Daniel Bouhs geht der Frage nach, wie viel Nähe zur Wirtschaft eine Bildungseinrichtung für Journalistinnen und Journalisten zulassen darf.
Weiterer Lesetipp zum Stichwort Facebook: Das Netzwerk hat aktuelle Quartalszahlen veröffentlicht: Facebook verliert weitere Million Nutzer in Europa (zeit.de). Weltweit gesehen wachse das Onlinenetzwerk allerdings weiterhin.

4. Bomben-Reaktion
(horizont.net, Uwe Vorkötter)
Ein Kommentar bei “Horizont” sorgte für viel Aufregung. Als in Frankfurt spät abends eine Bombe entschärft wurde, gingen die meisten Medien ins Bett, anstatt ihre Leserinnen und Leser auf dem Laufenden zu halten, so der verkürzte Vorwurf. Das wollen die kritisierten Medien nicht auf sich sitzen lassen und reagieren teilweise mit Vehemenz und Schärfe. “Horizont”-Chef Uwe Vorkötter stellt klar: “Es ging nicht darum, Redakteure zu diskreditieren. Sondern darum, dass der Frankfurter Lokaljournalismus an diesem Abend an alles Mögliche gedacht hat: die Printausgabe, den nächsten Morgen, den Wahlabend am Tag zuvor … Nur nicht an die Leser in der Messehalle und die Fragen, die sie akut bewegten.”

5. Handelsblatt reagiert auf Kritik an nichtssagender Umfrage
(stefan-fries.com)
Das “Handelsblatt” hat auf Twitter nach dem geeigneten Nachfolger für den CDU-Vorsitz gefragt und die Ergebnisse dieser “Umfrage” später getwittert. Der Journalist Stefan Fries kritisierte dieses Vorgehen und nannte gleich mehrere Gründe dafür. Das “Handelsblatt” reagierte auf Schrödingers-Katze-Art und gab sich einsichtig und uneinsichtig zugleich.
Weiterer Lesehinweis: Merkwürdige Mehrheiten für Merz (deutschlandfunk.de, Stefan Fries).

6. Podcasts in der Schweiz: Es fehlt an Geld und Mut
(medienwoche.ch, Tugba Ayaz)
Tugba Ayaz hat sich für die “Medienwoche” umgeschaut bzw. umgehört, wie es um die Podcasts der Schweizer Medienhäuser bestellt ist. Im Gegensatz zu ihren amerikanischen und britischen Kollegen würden sich Verlage wie Tamedia, Ringier oder die “NZZ”-Gruppe nur zögerlich in die Audio-Welt vorwagen. Doch es gibt hoffnungsfroh stimmende Versuche, und Begeisterung für das Format ist durchaus vorhanden.

Wenn “Bild” einen Fehler macht, sind die anderen schuld

Wer — wie ich — lange Jahre bei Boulevard-Zeitungen gearbeitet hat, kennt auch die Kniffe, mit denen man immer halbwegs überleben kann, auch wenn man gerade ins Klo gegriffen hat. Eine Rettungs-Regel z.B. lautet: wenn Du falsch berichtet hast, lass die Korrektur aussehen wie eine neue Enthüllung.

Das schrieb Georg Streiter im Dezember 2018 über eine fehlerhafte “Bild”-Kampagne gegen Annette Widmann-Mauz, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung. Streiter hat früher selbst bei “Bild” gearbeitet.

Vergangene Woche lieferte die “Bild”-Redaktion neues Anschauungsmaterial, wie sie diese “Rettungs-Regel” in der Paraxis umsetzt.

Viele Medien berichteten, dass die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin scheinbar eine 24-Stunden-Woche einführen wolle — nur vier Tage in der Woche à sechs Stunden arbeiten. Auch bei Bild.de gab es einen Artikel zum “JOB-HAMMER IM NORDEN”:

Screenshot Bild.de - Job-Hammer im Norden - Finnen-Chefin (34) will Vier-Tage-Woche einführen

Premierministerin Sanna Marin will zudem den Arbeitstag von acht auf sechs Stunden verkürzen

Nach einer Runde großem Staunen und Abschreiben kamen die ersten Journalistinnen und Journalisten auf die verrückte Idee, doch noch zu recherchieren. Und siehe da: Sanna Marin sprach zwar mal von einer Vier-Tage-Woche und auch von einem Sechs-Stunden-Tag, aber erstens nie in Kombination (also: entweder eine kürzere Arbeitswoche oder kürzere Arbeitstage — und nicht beides auf einmal) und zweitens nie in ihrer Rolle als Ministerpräsidentin. Im August 2019 erwähnte Marin, damals noch Transportministerin Finnlands, bei einer Podiumsdiskussion ihrer Partei die Vier-Tage-Woche und den Sechs-Stunden-Tag. Sie twitterte noch etwas dazu. Das war’s aber auch schon — im aktuellen Regierungsprogramm findet man zu dem Thema nichts. Das stellte auch die finnische Regierung recht schnell klar. Der Journalist David Mac Dougall hat versucht nachzuzeichnen, wie sich die falsche Nachricht zur finnischen Arbeitswoche vermutlich von Belgien aus über Großbritannien bis nach Indien und Australien verbreitet hat.

Was macht man nun als Redaktion, “wenn man gerade ins Klo gegriffen hat”, wie Ex-“Bild”-Ressortleiter Georg Streiter es nennt? Man könnte den Murks transparent korrigieren, wie in diesem Fall etwa Stern.de, Welt.de und Handelsblatt.de.

Oder man tut so, als wären die anderen schuld; als hätte man selbst keinen Fehler gemacht, sondern eine neue Enthüllung zu bieten; als gäbe es “bei den Finnen” eine “Rolle rückwärts”; und als hätte die finnische Regierungschefin auf einmal “kalte Füße” bekommen:

Screenshot Bild.de - Kriegt die Regierungschefin kalte Füße? Doch keine Vier-Tage-Woche bei den Finnen

Rolle rückwärts bei den Finnen!

Was fällt Sanna Marin auch ein, die 24-Stunden-Woche nicht so einzuführen, wie “Bild” und die anderen es falsch vermeldet hatten?

Damit war aber noch nicht Schluss bei Bild.de. Noch bescheuerter wurde es, als die Redaktion einen Tag später wieder behauptete, dass es in Finnland nun doch die schon längst rückwärtsgerollte Vier-Tage-Woche geben werde:

Screenshot Bild.de - Wirbel um kürzere Arbeitszeiten in Finnland - Vier-Tage-Woche - Geht das auch bei uns?

Vier Tage pro Woche und jeden Tag nur sechs Stunden arbeiten?

Finnlands neue Regierungschefin Sanna Marin (34) will eine radikale Verkürzung der Arbeitszeit testen.

Dazu auch:

“Bild” und die Drosten-Studie, Kuckuckszitate, Steingart-Experiment

1. Wie berechtigt ist die Kritik an der “Drosten-Studie”?
(spiegel.de, Julia Köppe)
“Bild” missbrauchte wissenschaftliches Feedback zu Teilaspekten einer Studie im Pre-Print-Stadium, an der der Virologe Christian Drosten mitgearbeitet hat, um diese in ihrer Gesamtheit zu diskreditieren. Julia Köppe erklärt die Hinweise von Statistikern und kommentiert: “Unter Forschern ist es üblich, einen eigenen Beitrag zu verfassen, wenn es Anlass zur Kritik gibt und in sachlicher Sprache darzulegen, wo der Fehler liegt. Das kann auf Laien schon mal harsch wirken. Die aktuelle ‘Bild’-Berichterstattung skandalisiert einen in der Wissenschaft völlig üblichen Vorgang.”
Weitere Hörempfehlungen: Der aktuelle “FAZ”-Podcast: “Wir haben allerbeste Chancen” – Virologe Drosten über Corona und die “Bild” (Audio, 26:46 Minuten) mit einem Gesprächsangebot von Christian Drosten an “Bild” in den letzten Minuten.
Und die aktuelle Folge des “Coronavirus-Updates” (NDR), in der Christian Drosten ebenfalls Stellung zu den Vorwürfen der “Bild”-Zeitung nimmt (Audio, 52:30 Minuten).

2. Meine (fast) sechs Monate mit Gabor Steingart
(indiskretionehrensache.de, Thomas Knüwer)
Thomas Knüwer hatte Großes vor: “Ein halbes Jahr lang Gabor Steingarts ‘Morning Briefing’ auf den Prüfstand stellen, um zu sehen, wie nah er an seinem Markenversprechen ‘100% Journalismus. Keine Märchen’ liegt.” Knüwer hat das Experiment nicht durchgehalten, aber die immerhin vier Monate haben gereicht, um die Methode Steingart zu dechiffrieren: “1. Nur Fakten einblenden, die eine These stützen. 2. Behauptungsjournalismus galore. 3. Niemals an das Gute im Menschen glauben. 4. Hasse die Medien – aber bediene Dich ihrer. 5. Erschwere die Recherche. 6. Korrigiere Dich niemals. 7. Habe keine Meinung – tu nur so.”
Weiterer Lesehinweis aus dem Archiv: Die Weihnachtsgeschichte im Gabor-Steingart-Style aus der Feder des “6 vor 9”-Kurators: Steingarts “Morning Briefing” über Marias neues Religions-Startup (uebermedien.de, Lorenz Meyer).

3. “Das Wort Idiot hätte Loriot nie verwendet”
(sueddeutsche.de, Mareen Linnartz)
Die “Süddeutsche Zeitung” hat sich mit Gerald Krieghofer unterhalten, einem Experten für sogenannte Kuckuckszitate. Dabei handelt es sich um Falschzitate, die allerlei Berühmtheiten untergeschoben werden. In seinem Blog führt Krieghofer 493 dieser vermeintlichen Zitate auf, von Adorno bis Zola. Anlass für das Gespräch ist ein erfundenes Loriot-Zitat, das gerade in den Sozialen Medien die Runde macht.

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4. Ärger um einen Hörfunkklassiker: Darum steigt der NDR beim “Zeitzeichen” aus
(rnd.de, Imre Grimm)
Der NDR will in den kommenden Jahren 300 Millionen Euro einsparen und sich dabei auch von Sendungen trennen. Der Hörfunkklassiker “Zeitzeichen” soll zum Beispiel komplett ins Netz verlegt werden. Imre Grimm kommentiert: “Ist das zeitgemäß? Gewiss. Ist das sinnvoll? Gewiss nicht. Das ‘Zeitzeichen’ gehört zu den profiliertesten Radiomarken des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Es passt blendend ins Profil. Der Verweis auf die Audiothek schließt Hunderttausende aus, die dem Tagestakt des Radios noch immer massenhaft bereitwillig folgen und den Podcast-Kosmos kaum je für sich entdecken werden.”

5. Der Rassismus einiger Medien
(deutschlandfunk.de, Mirjam Kid, Audio: 6:18 Minuten)
Thuy-Tien Nguyen vom post-migrantischen, asiatisch-deutschen Netzwerk korientation beobachtet die Corona-Berichterstattung und entdeckt dabei immer wieder Formen von anti-asiatischem Rassismus. Auch bei Medien, von denen man dies eigentlich nicht erwarte würde: “Die Bildzeitung und das Cicero-Magazin sind natürlich mit dabei. Aber auch ganz vorne ist der Spiegel, die Frankfurter Allgemeine, die Tagesschau — da ist auch mal ein Fall passiert — Hamburger Morgenpost, Mitteldeutsche Zeitung, die Abendzeitung München.”

6. Twitter zerpflückt Trump-Tweet in erstem Faktencheck
(spiegel.de)
US-Präsident Donald Trump nutzt Twitter gern als sein tägliches Verlautbarungsorgan für Lügen, Stuss und Hetze, und Twitter ließ ihn dabei stets gewähren. Dies scheint sich zu ändern. Erstmals hat Twitter einen Trump-Tweet auf Richtigkeit überprüft und den Tweet des Präsidenten mit einem Link zur Richtigstellung versehen. Die Reaktion des US-Präsidenten ließ nicht lange auf sich warten: “Twitter unterdrückt das Recht auf freie Meinungsäußerung, und ich, als Präsident, werde das nicht zulassen!”
Weiterer Lesehinweis: Das Interview von “Zeit Online” mit dem US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz: “Das Bewusstsein wächst, dass Trump nicht der Richtige ist” (zeit.de, Marcus Gatzke).

Amazons gefährliche Empfehlungen, Empörungs-Teaser, Foulspiel des RBB?

1. Geld machen mit Empörung
(deutschlandfunk.de, Marina Weisband, Audio: 4:20 Minuten)
Marina Weisband spricht ein echtes Ärgernis dieser Zeit an: Immer wieder veröffentlichen selbst seriöse Medien reißerische und provozierende Teasertexte, um Werbung für ihre Bezahlartikel zu machen. Wenn sich dann jemand über den Inhalt des Teasertextes beschwert, wird mit der Frage abgewehrt, ob man überhaupt den dazugehörigen Artikel gelesen habe. Eine Argumentation, die ins Leere zielt, wie Weisband findet, “denn der Tweet mit Bild, Überschrift und Teaser ist ein eigenständiger Text. Er wird von den meisten Lesern nämlich ohne den dazugehörigen Artikel gesehen und er erzeugt eine Wirkung. Er trägt zur Debatte bei. Und weil er ohne den Artikel funktioniert, kann man ihn auch ohne den Artikel bewerten.”

2. So penetrant empfiehlt Amazon den Kauf von Verschwörungsliteratur
(netzpolitik.org, Sebastian Meineck & Daniel Laufer)
Sebastian Meineck und Daniel Laufer haben das Amazon-Empfehlungssystem ausprobiert und sich, ausgehend von einem Corona-Buch der Rechercheplattform “Correctiv”, durch die Empfehlungen geklickt. Die Bilanz: Von erfassten 355 Empfehlungen seien 124 einschlägige Verschwörungsliteratur und 56 impfskeptisch bis impffeindlich gewesen. Auch andere Stichproben hätten beunruhigende Ergebnisse gezeigt. “Wir haben Amazon per E-Mail die Ergebnisse unserer Recherche vorgelegt und eine Liste mit zehn Fragen geschickt. Unter anderem wollten wir wissen, ob dem Konzern das Ausmaß von rechtsextremen und verschwörungsideologischen Inhalten in seinen Suchergebnissen und Empfehlungen bekannt sei. Wir fragten auch, inwiefern Amazon die Verbreitung dieser Bücher eindämme. Keine einzige unserer Fragen wollte der Konzern beantworten.”

3. “Ein Dialog wird zunehmend schwer bis unmöglich”
(spiegel.de, Julia Merlot)
Wie kommt es, dass wir so begierig auf Sensationsmeldungen und unseriöse Nachrichten anspringen? Der Molekularpsychologe Christian Montag tippt im Interview mit dem “Spiegel” auf einen evolutionären Hintergrund: “Für unsere Spezies war es schon immer wichtig, besonders neue und damit vielleicht überlebensnotwendige Informationen schnell zu verarbeiten und sich darüber in der Gruppe auszutauschen. Der zweite wichtige Punkt ist, dass Fake News meist so angelegt sind, dass sie starke Emotionen wecken. Diese Emotionalisierung spielt in sozialen Medien nach allem, was wir wissen, eine extrem große Rolle.”

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4. Foulspiel des RBB Fernsehen? – Über die vergeblichen Distanzierungen des Michael Ballweg (Querdenken711)
(planet-interview.de, Jakob Buhre)
Jakob Buhre wirft dem RBB vor, im Umgang mit dem Verantwortlichen für die “Querdenken”-Demos nicht fair gewesen zu sein und dessen Distanzierungen von Rechtsextremisten und Gewaltaufrufen nicht ausreichend berücksichtigt zu haben. Buhre: “Jede(r) kann und soll sich bitte ihre/seine eigene Meinung bilden, über die von Ballweg angemeldeten Querdenken-Demos. Wichtig wäre dafür nur, dass auch die Berichterstattung über Ballwegs Äußerungen einigermaßen zutreffend ist. Und genau da liegt das Problem.” Auf “Planet Interview” begründet Buhre ausführlich seine Kritik an dem Sender.

5. Erstaunliche Vorstellungen
(taz.de, Peter Weissenburger)
In einer Studie zur “Vermittlung von Nachrichtenkompetenz in der Schule” (PDF) zeigten sich beim Medienverständnis der befragten Lehrerinnen und Lehrer beunruhigende Ansichten. Viele der Lehrkräfte würden bezweifeln, dass es eine freie Presse gebe, und stünden den Medien ablehnend oder feindselig gegenüber. Peter Weissenburger kommentiert: “Es mag gerade nicht die beste Zeit sein, um Lehrkräfte aufzufordern, sie mögen jetzt bitte noch die ein oder andere Fortbildung machen. Andererseits war die Bedeutung von Nachrichtenkompetenz selten so groß wie gerade.”

6. Die Freiheit, Autoritäten nicht anzuerkennen
(zdf.de, Luisa Houben)
Mehr als fünf Jahre nach dem islamistischen Anschlag auf die französische Satire-Zeitschrift “Charlie Hebdo” beginnt in Paris der Prozess gegen 14 mutmaßliche Unterstützer der Attentäter. Das ZDF hat mit Moritz Hürtgen, dem Chefredakteur der “Titanic”, über das Ereignis und die Folgen gesprochen: “In den Wochen nach dem Anschlag war immer die Frage, ob wir jetzt Angst haben. Und wenn man die 100 Mal gestellt bekommt, fängt man schon an, nachzudenken. Aber fünf Jahre sind eine lange Zeit. Wir konnten schnell reflektieren, dass wir hier in einer ganz anderen Situation sind. Deswegen würde ich sagen, dass sich ‘Titanic’ treu bleiben konnte.”

Selbstverzwergung, Gewalt gegen Journalisten, Verbrechen lohnt sich

1. Am Hufeisen aufgehängt
(taz.de, Bo Wehrheim)
Bo Wehrheim hat sich den aktuellen Bericht des Berliner Verfassungsschutzes angeschaut, der der steigenden Gewalt gegenüber Medienschaffenden ein Sonderkapitel widmet. Wehrheim ist unzufrieden mit der Einordnung und der Gewichtung der Fälle: “Der Verfassungsschutz beweist mit seiner Herangehensweise, dass er nicht geeignet ist, zum Schutz von Journalist_innen beizutragen. Er leistet in der Auseinandersetzung einen Bärendienst, indem er den Blick auf die Fakten verstellt.”

2. Verzerrt, übertrieben, umgedeutet – wie Russlands Fernsehen geschickt die Mär von «Wir sind die Guten» verbreitet
(nzz.ch, Inna Hartwich)
“Russische Staatsmedien erzählen von Barbaren in der Ukraine, die die friedliche Bevölkerung als menschliche Schilde missbrauchen würden – und viele in Russland sprechen solche Sätze voller Überzeugung nach. Warum?” Dieser Fragestellung versucht die in Moskau lebende freie Journalistin Inna Hartwich in der “Neuen Zürcher Zeitung” nachzugehen.

3. Leichtsinnig. Ärgerlich. Peinlich.
(t-online.de, David Digili)
Nach dem Champions-League-Sieg von Real Madrid gegen den FC Liverpool hat ein ZDF-Reporter den Fußballspieler Toni Kroos unter anderem gefragt, ob es für ihn überraschend sei, dass seine Mannschaft “doch ganz schön in Bedrängnis” geraten sei. Darauf polterte Kroos: “Du hattest jetzt 90 Minuten Zeit, dir vernünftige Fragen zu überlegen, ehrlich. Und jetzt stellst Du mir zwei solche Scheißfragen. Das finde ich Wahnsinn!” und stapfte wütend davon. Nun bedauert es der Sportreporter, den Fußballer nicht ausführlicher zu “positiven Emotionen” befragt zu haben. Ein falscher Ansatz, wie David Digili in seinem Kommentar schreibt: “Vorauseilender Gehorsam als Selbstverzwergung eines ganzen Berufsstands. Die immergleichen ‘Woran hat’s gelegen?’-Fragen mögen zuweilen uninspiriert wirken, sie sind aber Bestandteil gewissenhafter journalistischer Arbeit, deren oberste Gebote noch immer Distanz und Neutralität sind. Sein müssen. In unter Vereinsmitwirkung gedrehten Jubel-Dokus auf Streamingdiensten wird schon genug beklatscht und überhöht.”

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4. Vom Knast auf den roten Teppich
(uebermedien.de, Felix Jung)
Die boomenden True-Crime-Formate führen dazu, dass manche Straftäterin und mancher Straftäter nicht nur berühmt wird, sondern auch erhebliche Einnahmen generiert. Felix Jung zeigt anhand der Beispiele Anna Sorokin und Jens Söring, wie problematisch das Ganze ist. Sein Wunsch: “An einer öffentlichen Selbstdarstellung und Vermarktung, bisweilen gar einer Täter:innen-Opfer-Umkehr, sollten sich journalistische wie finktionale Produktionen nicht beteiligen. Die Zahl der True-Crime-Formate, die genau das tun, scheint aber zuzunehmen. Und mit ihr die Chance für verurteilte Straftäter, kräftig abzukassieren.”

5. Was macht eigentlich ein Sachbuch aus?
(deutschlandfunkkultur.de, Berit Glanz & Simon Sahner & Christine Watty, Audio: 44:41 Minuten)
Kurz vor der heutigen Verleihung (Livestream ab 18:00 Uhr) des Deutschen Sachbuchpreises schaut sich das Team von “Lakonisch Elegant” die Kategorie Sachbuch genauer an und stellen sich die Frage: “Was ist eigentlich ein Sachbuch?”

6. Warum bekommt Bibi’s Beauty Palace so viel Hass ab? Ich hab da eine These…
(indiskretionehrensache.de, Thomas Knüwer)
In seiner satirischen Kolumne “Über Leben in Deutschland” hat Imre Grimm die Trennung des Influencer-Paars Bibi und Julian Claaßen thematisiert und dabei nicht mit Spott und Verachtung gespart. Eben jenes kritisiert Thomas Knüwer: “Was glauben die Autorinnen und Autoren solcher Stücke zu erreichen? Dass eine jüngere Generation sich von InfluencerInnen ab- und sich ihnen zuwendet? Ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass das Gegenteil passiert, weil eine Beschimpfung junger Prominenter gleichzeitig eine Beschimpfung von deren Publikum darstellt?” Imre Grimm antwortet wiederum auf Thomas Knüwers Text bei Twitter: “Ich teile Ihre These nicht, empfinde die Bezeichnung ‘Hass’ für eine fröhliche, harmlose Satire als lächerlich und führe Ihren Zorn auf mich auf Ihr langjähriges Frustverhältnis zu Regionalzeitungsverlagen zurück.”

KW 35/22: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. Politische Nähe? Vorwürfe gegen den NDR
(ndr.de, Kathrin Drehkopf, Video: 29:07 Minuten)
In einer Sondersendung beschäftigt sich das NDR-Medienmagazin “Zapp” mit Vorwürfen gegen das eigene Haus, genauer: gegen die journalistische Führung im NDR-Landesfunkhaus Kiel. Gibt es zu viel Nähe von Politik und Redaktionsleitung? Und wie bewerten die Zuschauerinnen und Zuschauer die Vorwürfe gegen den NDR? Außerdem im Interview: NDR-Intendant Joachim Knuth, Gábor Halász, Mitglied des NDR-Redaktionsausschusses, und Volker Thormählen, Direktor des NDR-Landesfunkhauses Schleswig-Holstein.

2. Wieso konnte der Redaktionsausschuss das Debakel beim NDR in Kiel nicht verhindern?
(uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 18:48 Minuten)
Bereits im vergangenen September beschäftigte sich beim NDR der Redaktionsausschuss mit den Vorwürfen politischer Einflussnahme von Senderverantwortlichen auf die Berichterstattung (hier der inzwischen geleakte Abschlussbericht (PDF)). Was ist das für ein Gremium, dessen Arbeit plötzlich für so viel öffentliche Aufmerksamkeit sorgt, obwohl es eigentlich nur intern tätig wird? Darüber hat Holger Klein im “Übermedien”-Podcast mit Gábor Halász, der dem Ausschuss angehört, gesprochen.

3. Kompetenz, Kritik, Korrektur
(sueddeutsche.de, Nadia Zaboura & Nils Minkmar, Audio: 34:36 Minuten)
Nadia Zaboura und Nils Minkmar nehmen einen aktuellen Fall zum Anlass und fragen sich: “Wie gewährleisten Medien, dass sie korrekt über das Geschehen in anderen Ländern berichten? Wie sollten sie damit umgehen, wenn das nicht gelingt und sie Kritik auf sich ziehen? Wie sind Redaktionen ausgestattet, wenn es um die Kommunikation mit Zuschauern, Zuhörerinnen, Lesern und Userinnen auf Social Media geht?”

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4. Depression und Burnout – Unser Job ist nicht gesund!
(druckausgleich.podigee.io, Annkathrin Weis & Luca Schmitt-Walz, Audio: 52:28 Minuten)
Im “Druckausgleich”-Podcast sprechen Annkathrin Weis und Luca Schmitt-Walz über die psychische Belastung im Mediengeschäft: “Laut den Krankenkassen sind psychische Erkrankungen bei Journos auf Platz 1 der Gründe für Fehlzeiten. In allen anderen Branchen ist das nicht so. In der Medienbranche ist man offenbar besonders anfällig für Depressionen und Co. – aber woran liegt das und wissen unsere Chefs darüber überhaupt bescheid? Was wird getan, um Kolleg:innen und im Zweifel uns zu helfen?”

5. Tödliche Recherchen – Der Mord an Ján Kuciak
(arte.tv, Matt Sarnecki, Video: 1:30:10 Stunden)
Bei Arte gibt es eine anderthalbstündige Dokumentation über den Mord an dem slowakischen Journalisten Ján Kuciak. Dieser hatte zu Fällen von Steuerbetrug in der slowakischen Geschäftswelt recherchiert. Ein berüchtigter Geschäftsmann soll daraufhin den Mord in Auftrag gegeben haben. Der Film beschreibt, “wie Korruption funktioniert, und er legt Zeugnis ab für die Macht und die Bedeutung des Journalismus für den Schutz eines demokratischen Systems.”

6. Alle Rollos runter – Wenn Nachrichten uns überfordern
(ardaudiothek.de, Stephan Beuting, Audio: 43:55 Minuten)
Viele Menschen empfinden Nachrichten als Belastung und blenden sie aus oder vermeiden sie. Im Medienpodcast des Deutschlandfunks (Dlf) geht es um diese – auch “news avoidance” genannte – Nachrichtenvermeidung. Es diskutieren der Medienwissenschaftler Stephan Weichert, eine Dlf-Hörerin, die ehemalige Journalistin Andrea Bleicher und Stephan Beuting aus der Dlf-Medienredaktion.

Beinahe eine Meldung wert

Neulich hätte ich mir beinahe eine Zeitung gekauft. Aber dann habe ich es doch nicht getan, und das hätte ich beinahe bereut, denn beinahe hätte ich deshalb nicht erfahren, dass Britney Spears beinahe nicht wohlbehalten aus ihrem Urlaub zurückgekehrt wäre. Aber zum Glück gibt es ja das Internet:

Dass sie beinahe ertrunken wäre, hat Britney Spears dem Sender “BBC Radio 1” erzählt. Jedenfalls so ähnlich. Eigentlich hat sie gesagt: “Ich bin wirklich fast ertrunken.” So wie man sagt: “Ich war so sauer, ich wäre wirklich fast Amok gelaufen.” Aber zum Glück ist ihr das nicht auch noch rausgerutscht. Wer weiß, was dann jetzt in den Zeitungen gestanden hätte.

Dabei könnte man es verstehen, wenn sie das gesagt hätte, denn ihre Security hat von der Beinahe-Katastrophe gar nichts mitbekommen. Und daher lässt sich auch nicht genau sagen, ob Britney Spears wirklich fünf Minuten lang unter Wasser um ihr Leben gestrampelt hat, wie sie behauptet — oder ob es ihr einfach nur sehr lang vorgekommen ist. Man kennt das ja selbst. Wenn man mit einem dringenden Bedürfnis vor einer verschlossenen Toiletten-Tür steht, können einem schon zehn Sekunden wie fünf Minuten vorkommen. Später denkt man, man wäre fast gestorben. Und Britney Spears wäre “wirklich fast ertrunken”. Sagt sie. Aber im Grunde ist nichts passiert. Die “Deutsche Presse-Agentur” hat die Geschichte dennoch aufgegriffen. Und jetzt steht es beinahe überall:


(mopo.de)


(stern.de)


(stuttgarter-zeitung.de)


(t-online.de)


(gala.de)

Wenn man genau hinsieht, ist natürlich doch etwas passiert, denn kaum war Britney Spears wieder einigermaßen bei Luft, erschien ihr neues Album — wie durch einen Zufall nur wenige Tage nach dieser Beinahe-Schreckensmeldung.

Ralf Heimann hat vor ein paar Jahren aus Versehen einen Zeitungsbericht über einen umgefallenen Blumenkübel berühmt gemacht. Seitdem lassen ihn abseitige Meldungen nicht mehr los. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Daniel Wichmann “Hier ist alles Banane — Erich Honeckers geheime Tagebücher 1994 – 2015”. Fürs BILDblog kümmert er sich um all die unwichtigen Dinge, die in Deutschland und auf der Welt so passieren.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)

Es gibt nun mehrere Möglichkeiten. Eine wäre: Es war alles tatsächlich so, wie Britney Spears behauptet. Eine andere ist: Am Abend nach dem großen Medienecho auf die Hawaii-Erzählung saß irgendwo am Strand von Malibu ein glücklicher Spin-Doctor in seinem Rattanstuhl und wäre vor lauter Freunde darüber, dass mal wieder alles wie am Schnürchen läuft, beinahe in seinem Daiquiri ertrunken. 

In dem Fall gab es wahrscheinlich auch diese Szene vier Wochen zuvor in einem Büro des New Yorker Plattenlabels “RCA Records”:

“Das Wichtigste ist, dass alle über Britney sprechen, wenn das neue Album dann kommt.” 

“Aber wie sollen wir das hinkriegen?” 

“Sie muss was gewinnen.”

“Keine Chance.” 

“Vielleicht irgendein Skandälchen? Alkohol? Drogen? Eine Affäre?” 

“Das bringt uns auch nicht weiter.”   

“Dann seh ich ehrlich gesagt nur eine Möglichkeit.”

“Und die wäre?”

“Die Drowning-Story.”

Die Drowning-Story muss in der Promi-PR-Branche ungefähr das sein, was für den Einbrecher der Dietrich ist. Sie funktioniert im Prinzip immer. Wenn einem sonst gar nichts mehr einfällt, kann man immer noch darauf zurückgreifen.

Und dieser Kniff hat sich entweder sehr weit herumgesprochen, oder die Unter-Wasser-Nahtod-Erfahrung ist mittlerweile eine notwendige Bedingung für eine halbwegs erfolgreiche Karriere in der Unterhaltungsbranche. 

Wim Wenders zum Beispiel hat seine als Kind im Rhein erlebt:

Guido Maria Kretschmer war möglicherweise nicht wirklich in Gefahr, als er mit 16 Jahren eine Böschung herunterstürzte und im Wasser landete. Aber er dachte immerhin einen Moment lang: Ich sterbe. Und das reichte schon für den Titel:

Über die Umstände des Unglücks, das Charlène von Monaco überstanden hat, ist nichts Näheres bekannt — außer eben, dass sie über sich sagt: “Ich wäre als Kind fast ertrunken.” In ihrem Fall ist das gleich doppelt interessant, denn sie wurde später Schwimmerin und holte dreimal Gold bei den Afrikaspielen.


 
Senta Berger ist das nicht gelungen. Dafür hat sie fast jeden anderen Preis gewonnen. Doch auch das wäre beinahe durch ein Unglück verhindert worden. Als sie fünf war, brach sie auf einem See ins Eis ein und wurde an den Zöpfen wieder herausgezogen:

Aber das steht in keinem Verhältnis zu dem, was die Schauspielerin Leah Rimini (bekannt aus irgendeiner Serie) während ihrer Zeit bei Scientology durchmachen musste: Auch sie wäre fast ertrunken. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, ist sie dabei auch noch “pitschnass” geworden.

Jason Statham, Schauspieler und laut “Wikipedia” ehemaliger Wasserspringer, musste sich bei den Dreharbeiten zu “The Expendables 3” von zwei Kampftauchern aus dem Wasser ziehen lassen: weil er sonst ertrunken wäre.  

Und Gerard Butler hatte das Pech, dass ihn in den Surf-Szenen des Films “Mavericks” kein Stuntman vertrat. Während der Dreharbeiten auf dem Meer geriet er, wie er später erzählte, zwischen zwei 15 Meter hohe Monster-Wellen und wäre — Sie ahnen es — beinahe ertrunken:

Bei Jonah Hill war die Geschichte noch etwas besser. Er hatte irgendwann mal eine Rolle in der Komödie “Das ist das Ende”, und wenn seitdem über ihn geschrieben wird, nennen die Journalisten ihn manchmal auch den “Das ist das Ende”-Schauspieler. Dieser “Das ist das Ende”-Schauspieler stieg also irgendwann vor ungefähr drei Jahren am Bondi Beach in Australien betrunken ins Wasser und tat das, was man bei diesem Namen vermuten würde: Er ließ sich von der Strömung aufs Meer treiben.

Natürlich wurde auch er gerettet. Und das gab ihm die Gelegenheit, die Geschichte später noch mal zu erzählen, als er in der Late-Night-Show von Conan O’Brien für seinen neuen Film “21 Jump Street” Werbung machen durfte:

Ein bisschen wundert man sich natürlich. Alle erzählen die gleiche Geschichte, und es funktioniert doch immer wieder. Aber so ist das wohl in Hollywood. Mit der Lovestory ist es ja auch nicht viel anders. Im Grunde seit Jahrhunderten. Und auch die Drowning-Story hat eine lange Tradition mit einer goldenen Zeit und großen Stars — als man nicht betrunken am Bondi Beach beinahe in den Wellen absoff, sondern wie Frank Sinatra vor der Kulisse des Wailua-Wasserfalls mit blauen Lippen aus dem Waser gezogen wurde

Und auch hier wird einer wohl für immer unübertroffen bleiben. Elvis Presley. Der King of Rock’n’Roll. Der erfolgreichste Musiker aller Zeiten. Er ist nicht fast in den reißenden Fluten eines Ozeans umgekommen. Er hat auch in diesem Metier etwas geschafft, das wahrscheinlich noch keinem Star vor oder nach ihm gelungen ist:

VG Wortlos, Staatsfeind Nr. Trump, PewDiePie-Zoff

1. English please: Deutscher Journalismus auf Reisen
(dwdl.de, Nora Jakob)
Immer wieder versuchen deutsche Verlage, ihre Inhalte auch einem internationalen Publikum nahe zu bringen und bringen ausgesuchte Artikel in englischer Sprache. Nora Jakob hat für “dwdl.de” mit führenden Medienhäusern gesprochen und muss feststellen: Priorität hat der Aufbruch ins Ausland in kaum einem Verlag. Den oft großspurigen Ankündigungen der Internationalisierung sei deshalb mit Skepsis zu begegnen.

2. Ihre Publikationsfreiheit ist bedroht
(vginfo.org)
Die “VG Info” ruft dazu auf, einen Protestbrief gegen eine EU-Neuregelung zur Verlegerbeteiligung zu unterzeichnen. Die Verleger würden sonst in Zukunft einen Rechtsanspruch auf Beteiligung an den Einnahmen erhalten, ohne dass man die Urheber fragen müsse, ob sie damit einverstanden seien.

3. Der zu dem Volk spricht
(faz.net, Michael Hanfeld)
Donald Trump entwickelt sich zum Staatsfeind Nummer eins der Pressefreiheit, findet “FAZ”-Autor Michael Hanfeld: “Er hat den Journalisten, die ihm kritisch kommen und beispielsweise zu den Russland-Verbindungen seiner Wahlkampftruppe recherchieren, spätestens in dem Augenblick den Krieg erklärt, als er sie „Feinde des amerikanischen Volkes“ nannte. Er macht sie damit vogelfrei, und man wartet nur darauf, dass er bei einem seiner nächsten Auftritte handgreiflich wird und anfängt, einen derjenigen, die ihn am meisten stören, nicht nur verbal zu attackieren.”

4. Die Gräben zwischen Generation YouTube und den „Altmedien“ sind tiefer denn je
(wired.de, Johnny Haeusler)
Vor einigen Tagen hat Johnny Haeusler einem der erfolgreichsten YouTuber der Welt, PewDiePie, einen offenen Brief geschrieben. Der Anlass: YouTube-Star PewDiePie hatte einige umstrittene Aktionen gestartet, die ihm den Vorwurf des Antisemitismus eingehandelt hätten. Eine Kritik, mit der der YouTuber nicht gut umgegangen sei, so Haeusler. Mittlerweile hat Haeusler einige Rückmeldungen auf seinen offenen Brief erhalten und konstatiert: “Die Gräben zwischen „alten“ und „neuen“ Medien sind tiefer denn je.”

5. Armes Nashorn
(sueddeutsche.de, Arne Perras)
In einer Dokumentation der “BBC” hat ein Reporter über einen Nationalpark berichtet, in dem mehr Wilderer als Nashörner erschossen würden. Indien zeigte sich empört über die Vorwürfe. Es sei nicht das erste Mal, dass das Land dünnhäutig auf Kritik reagiert, so “SZ”-Autor Arne Perras.

6. Interne Strategiepapiere der Identitären Bewegung geleaked
(blog.zeit.de, Sebastian Lipp)
Die sogenannte “Identitäre Bewegung” (oder auch “Identitäre”) wird von Politikwissenschaftlern als eine Spielart des Rechtsextremismus bezeichnet. Die völkisch auftretenden Gruppierungen dieses Sammelbeckens sehen sich von einer angeblichen Islamisierung bedroht. Nun wurde ein internes Papier geleakt, das auf mehr als 50 Seiten vom Facebook-Posting bis zur Wortergreifungsstrategie bei Veranstaltungen alles erklären würde, was die Öffentlichkeistarbeit der “Identitären” ausmacht.

ZDF  

ZDF zeigt Hinrichtung von Menschen

Wer am vergangenen Dienstag “Frontal 21” geguckt oder gegen 21:07 Uhr zufällig ins ZDF gezappt hat, konnte sehen, wie zwei Frauen hingerichtet wurden. In einem Beitrag des Fernsehmagazins über die Türkei ging es unter anderem um die “Grauen Wölfe”, die Mitglieder der rechtsextremen “Milliyetçi Hareket Partisi”. Die Sprecherin des ZDF-Beitrags sagte:

Diese Bilder aus den Kurdengebieten verbreiten die Grauen Wölfe über die sozialen Medien selbst.

Menschenrechtsverletzungen. Wie auch in diesem Handy-Video. Experten halten diese Aufnahmen für authentisch: Männer in der Uniform türkischer Soldaten richten zwei kurdische Kämpferinnen hin. “Tamam, okay, das reicht”, sagt der Soldat und geht.

Dazu zeigte “Frontal 21” erst Fotos von verletzten oder getöteten Menschen, neben denen Personen in Uniformen stehen. Die Gesichter der Opfer hatte die Redaktion unkenntlich gemacht. Das ist alles noch im Rahmen. Dann folgte aber das 18 Sekunden lange “Handy-Video”, “Quelle: Twitter”. Man kann sehen, wie eine Frau in ein Erdloch geworfen wird, drei Männer in Uniformen schießen mit ihren Maschinengewehren in das Loch. Gleichzeitig, im Vordergrund der Video-Aufnahmen, schießt ein weiterer Mann in Uniform einer auf dem Boden knienden Frau mit seinem Maschinengewehr in den Kopf.

Diese menschenverachtenden Aufnahmen sind zum Glück nicht gestochen scharf. Es handelt sich eben um etwas wackelige Handy-Aufnahmen. Sie reichen aber aus, um genug zu erkennen: das Zerfetzen des Kopfes, das Zusammensacken des Körpers, das Blut auf dem Boden. Immerhin sind die Gesichter der Frauen nicht zu sehen, auch wenn die “Frontal 21”-Redaktion nichts verpixelt hat. Sie hat das Video, das die “Grauen Wölfe” vermutlich zu Propaganda-Zwecken bei Twitter verbreiten, eins zu eins übernommen.

Jeder, also auch Kinder und Jugendliche, können sich diese ziemlich würdelosen Aufnahmen aktuell rund um die Uhr in der ZDF-Mediathek angucken. Es gibt keine Zugangsbeschränkung.

(Wir haben uns bewusst dazu entschieden, weder den Beitrag in der ZDF-Mediathek zu verlinken noch Screenshots des Videos zu veröffentlichen.)

Mit Dank an @Schmier_Fink für den Hinweis!

Nachtrag, 16:57 Uhr: Das ZDF hat reagiert — die gesamte “Frontal 21”-Sendung ist nun erst ab 22 Uhr in der Mediathek abrufbar. *

*Nachtrag, 18:58 Uhr: Die “Frontal 21”-Redaktion hat die Folge vom vergangenen Dienstag kurzzeitig aus der Mediathek genommen, um die kritisierte Stelle zu bearbeiten. Nun sind die Opfer der Hinrichtung komplett unkenntlich gemacht. Der Beitrag ist in der Mediathek wieder abrufbar. In einer Stellungnahme hat das Team auf die Kritik an dem Türkei-Beitrag reagiert:

“Frontal 21” berichtete in der Sendung am Dienstag, 21. März 2017, über Menschenrechtsverletzungen in der Türkei. In dem Beitrag “Türken gegen Erdogan — Machtkampf auf deutschen Straßen” war zu sehen, wie Männer in türkischen Uniformen zwei mutmaßliche kurdische Kämpferinnen erschießen. Die Redaktion “Frontal 21” hatte sich entschieden, die 18-sekündigen Aufnahmen zu zeigen, um das Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen zu veranschaulichen und zu verdeutlichen, mit welcher Brutalität in der Türkei der Kampf gegen Kurden geführt wird. Die Identität der Opfer war auf dem Video nicht erkennbar. Nach Ausstrahlung des Beitrags wurde das Video mit folgendem Warnhinweis in die ZDFmediathek eingestellt: “Achtung: Dieser Beitrag enthält Bilder, die Zuschauer schockieren könnten, da sie eine Erschießungsszene zeigen.” Zuschauer äußerten sich aber dennoch kritisch. Die Redaktion “Frontal 21” nimmt diese Kritik ernst und hat sich entschlossen, die Aufnahmen der Opfer zusätzlich unkenntlich zu machen. Die Redaktion bedauert, wenn die gezeigten Bilder Zuschauer verstört haben.

“Epoch Times” greift Frau zwischen die Beine

In München hat vor knapp zwei Wochen ein Mann aus Somalia eine Frau und ihre zwei Töchter belästigt. Während einer Straßenbahnfahrt griff er sich in den Schritt, kreiste dabei die Hüften, machte recht eindeutige Bewegungen. Alles ziemlich obszön. Das Polizeipräsidium München gab dazu eine Pressemitteillung (Meldung 453) raus, in der unter anderem steht:

Am Samstag, 25.03.2017, gegen 16.50 Uhr, befuhr ein 27-jähriger Somali mit der Straßenbahn der Linie 17 vom Hauptbahnhof in Richtung Amalienburg. Dabei belästigte er eine 40-jährige Münchnerin und ihre beiden 8- und 12-jährigen Töchter durch ein deutlich obszönes Verhalten.

Er fasste sich unter anderem in den Schritt, ließ seine Hüften kreisen und deutete obszöne Bewegungen an. Erst auf eine deutliche Ansprache der 40-Jährigen hin, unterließ er sein Verhalten gegenüber den beiden Kindern.

Eine gute Woche später, am vergangenen Montag, hat das Portal “Epoch Times” die Geschichte aufgegriffen. Und auf einmal klingt der Vorgang ganz anders. Nun soll der Mann nicht sich selbst, sondern der Frau zwischen die Beine gegriffen haben:

Die alternative Version des Tathergangs dürfte nicht nur ein Flüchtigkeitsfehler sein, der durch unkonzentriertes Überschriftenschreiben entstanden ist. Denn auch im Text steht:

Ein 27-jähriger Mann aus Somalia griff vor den Augen ihrer Töchter (8, 12) einer Mutter mit der Hand in den Schritt. Dabei kreiste er seine Hüften und deutete obszöne Bewegungen an.

Keine Frage: Das Verhalten des Mannes war völlig daneben. Es ist aber durchaus ein Unterschied, ob man sich selbst oder jemand anderem zwischen die Beine fasst. Das, was die “Epoch Times” schreibt, stimmt nicht.

Das Portal greift gerne Meldungen über Flüchtlinge, Kriminalität und kriminelle Flüchtlinge auf. Es berichtet viel über die AfD. Aktuell sind auf der Startseite Artikel mit solchen Überschriften zu finden: “Klartext von Red Bull-Chef gegen offene Grenzen und Political Correctness”, “20 Prozent der Atteste falsch: Ärzte in Deutschland stellen Gefälligkeits-Gutachten zur Verhinderung von Abschiebungen aus”, “Grenzkontrollen des Schengenraumes schon wieder ausgesetzt — Mega-Staus und vier Stunden Wartezeiten”. Die Redaktion gehörte auch zu jenen, die im Februar der “Bild”-Zeitung den falschen Frankfurter “Sex-Mob” glaubten und das Gerücht weiterverbreiteten. Das Portal “Vox Populisti” bezeichnete die “Epoch Times” kürzlich als “Echokammer für rechten Sound”.

In den Sozialen Medien ist die Seite mit ihrer Themenauswahl ziemlich erfolgreich. Im Facebook-Ranking von “10000 Flies” schaffst es die “Epoch Times” immer wieder in die Top Ten aller deutschen Medien, noch vor tagesschau.de, vor “Zeit Online”, vor Süddeutsche.de.

Dieser Erfolg liegt auch an falschen Meldungen, wie die über den Mann aus Somalia, die beim entsprechenden Klientel reichlich Anklang finden und zahlreich geteilt werden:





Auch die Facebookseite “Wahrheiten & Meinungen, die Dir Mainstream-Medien z.T. verschweigen” teilte Anfang der Woche den Artikel der “Epoch Times”:

Natürlich “verschweigen” die “Mainstream-Medien” “Wahrheiten” wie diese. Sie stimmen schlicht nicht.

Mit Dank an Stephan G. für den Hinweis!

Grünes Parteitagsgespräch, Nordgelüste, Leichte Sprache

1. “Es war bestimmt kein privates Gespräch”
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers)
Im Netz kursiert ein Videomitschnitt des Grünenpolitikers Winfried Kretschmann vom Grünen-Parteitag, erstellt und eingestellt von der rechtspopulistischen Internetplattform “Jouwatch”. Zu sehen und zu hören ist darin, wie sich der hochrangige Politiker, der auch Ministerpräsident von Baden-Württemberg ist, über die Automobilpläne seiner Partei echauffiert. Der Deutschlandfunk hat mit Journalistikprofessor Volker Lilienthal über die Frage gesprochen, ob es sich um einen illegalen Mitschnitt eines privaten Gesprächs handelt.

2. Deutsche Sprache, Leichte Sprache
(taz.de, Christine Stöckel)
Wer sich in den Medien über politische Sachverhalte informieren will, trifft oft auf schwer lesbare Artikel mit Schachtelsätzen, Fremdwörtern und Abkürzungen. Die Verfechter der sogenannten “Leichten Sprache” sind der Meinung, dass es auch anders geht. Doch bei komplexen Themen kommt die Methode an ihre Grenzen. Christine Stöckel geht auf die verschiedenen Aspekte des Themas ein, das kurz vor der Bundestagswahl auch eine politische Dimension hat.

3. Wir haben ein Glaubwürdigkeitsproblem.
(planet-interview.de, Marie Illner)
Die “Beitragskommunikation” von ARD, ZDF und “Deutschlandradio” hatte zum Pressegespräch zum Rundfunkbeitrag eingeladen. Anwesend: Vertreter des Beitragsservice, Justiziare von SWR und WDR sowie ein Vertreter der “KEF” (Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten). “Planet Interview” hat die Verantwortlichkeiten zum Rundfunkbeitrag befragt, zu Intendanten-Gehältern, Inhaftierungen und zum Plan, zukünftig Inkasso-Unternehmen zu beauftragen. Die Inhaftierung von einzelnen Beitragsverweigerern sieht man kritisch. Außerdem wolle man sich nicht “instrumentalisieren” lassen, so die stellvertretende Intendantin des WDR Eva-Maria Michel: “Bei Fällen wie dem AfD-Politiker, der den Rundfunkbeitrag verweigerte und eine Öffentlichkeitswelle mit seiner Haft provozieren wollte, war uns klar: Wir lassen uns nicht instrumentalisieren.”

4. Das große Sonntagsporträt: Dirk Lübke über den Thüringer NSU-Reporter Kai Mudra
(kress.de, Dirk Lübke)
Beim NSU-Prozess handelt es sich um einen der größten Prozesse der deutschen Nachkriegsgeschichte. Seit mittlerweile vier Jahren wird unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen vor dem Oberlandesgericht (OLG) München über Beate Zschäpe und Co. verhandelt. Oft vor Ort: Der Thüringer NSU-Reporter Kai Mudra, der bereits in den neunziger Jahren über den Themenkomplex berichtet hat. Mudra war an 260 von mehr als 360 Prozesstagen als Berichterstatter für die “Thüringer Allgemeine” anwesend. So oft wie nur wenige Kollegen.

5. Nordgelüste
(sueddeutsche.de, Charlotte Theile & Claudia Tieschky)
Die “Neue Zürcher Zeitung” (NZZ) startet demnächst ein digitales Produkt speziell für deutsche Leser. Die elektronische Zeitung soll sich im Layout an der Printausgabe orientieren und mit eigenen deutschen Inhalten aufwarten. Politisch ist das Ganze wohl rechts von der “FAZ” angesiedelt. “Bürgerlich-liberal” nennt es Chefredakteur Eric Gujer und relativiert: “In der Schweiz ist vieles Mainstream, was in Deutschland schon als rechts gilt.”

6. Eintrittskarte ins Kopfkino
(zeit.de, Richard Diesing)
Dank des Internets ist eine lebendige deutsche Hörspielszene entstanden. Richard Diesing über Hörspielautoren, Hörspielmacher und eine treue Community.

Reichelts Lavieren, Dauerklauer “Focus”, Berlinale-Kleiderfragen

1. Schwache Verteidigung
(taz.de, Jürn Kruse)
Jürn Kruse schwankt hin und her, ob er die Einlassungen und Rechtfertigungsversuche des „Bild“-Chefs Julian Reichelt zum #miomiogate blöd oder bigott finden soll. Dieser hatte zuletzt seine Strategie geändert und sich auf den Auftritt von „Titanic“-Redakteur Moritz Hürtgen bei „RT“ eingeschossen. Reichelt hatte u.a. getwittert: „Wer professionell gezielte Desinformation betreibt und damit RT bedient, kann sich nicht auf Freiheit der Satire berufen.“
Kruse nötigt das ein trockenes „Doch, Herr Reichelt, kann er.“ ab. „So wie Sie sich auf die Freiheit der Presse berufen dürfen, wenn Sie einen Hund in die SPD einschleusen.“

Weiterer Lesetipp: Julians Einmaleins (daily.spiegel.de, Ulrike Simon)
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2. Das Gift der asozialen Medien
(wiwo.de, Dieter Schnaas)
Dieter Schnaas entwickelt in der „Wirtschaftswoche“ interessante Gedanken über „das Gift der asozialen Medien“. Die eigentliche Gefahr liege im stillen Bündnis von Politik und sozialen Medien: „Donald Trump und Mark Zuckerberg kommt es eben nicht auf Virilität und Mobilisierung an, auf die Kraft von Worten, Kriterien und Argumenten, sondern auf Zerstreuung und Entpolitisierung – auf die Entkräftung der Gesellschaft durch die Bewirtschaftung von Emotionen. Man muss Zuckerberg bei seinem Weltfriedensprojekt schon beim Wort nehmen, um es wirklich fürchten zu lernen: Er und Trump bringen die Menschen durch die systematische Trivialisierung der Welt einander näher – indem sie Nutzern und Wählern die Denk- und Diskursfähigkeit abtrainieren. Für beide, Zuckerberg wie Trump, zählt der Trend, nicht die Bedeutsamkeit. Das „Gefällt mir“, nicht dessen Grund. Der Präsenzerfolg, nicht die Arbeit an einem Ziel.“

3. „Textaufbau, Einstieg, teilweise ganze Passagen kopiert“: Focus Online löscht Artikel und entschuldigt sich für Inhalte-Klau bei Welt
(meedia.de, Marvin Schade)
Zwischen den Unternehmen Axel Springer und Hubert Burda Media gibt es immer mal wieder Zoff. Axel Springer hatte dem Focus zum Beispiel„systematischen Inhalte-Klau“ vorgeworfen und war deswegen sogar vor Gericht gezogen. Es kam jedoch nicht zur Eskalation: In einer gemeinsamen Presseerklärung teilten beide Medienunternehmen damals mit, man habe sich geeinigt. Nun gibt es einen neuen Fall des Inhalte-Diebstahls: Die „Welt“ beklagt sich darüber, dass „Focus Online“ sich bei ihr allzu großzügig bedient habe („Textaufbau, Einstieg, teilweise ganze Passagen vom WELT-Original kopiert“).
Mittlerweile ist der Focus-Artikel verschwunden und die stellvertretende Chefredakteurin hat sich auf Twitter entschuldigt. Die lapidare Einleitung „Fehler passieren.“, lässt ahnen, wie Ernst es ihr damit ist.
Weiterer Lesetipp: „Eindruck einer Satire-Session“: Focus Online bemüht sich jetzt um konstruktiven Journalismus (meedia.de, Marvin Schade).

4. Wozu Rundfunk-Gebühren? Frequently Asked Questions
(arminwolf.at)
In der Schweiz findet in wenigen Tagen eine erbittert umkämpfte Volksabstimmung über die Erhebung von Rundfunkgebühren statt. Da die österreichische FPÖ ebenfalls die Abschaffung der „Zwangsgebühren“ fordert, hat Armin Wolf die wichtigsten Fragen und Antworten zu dem Thema zusammengestellt. In vollem Bewusstsein, dass man ihm Parteinahme vorwerfen könnte: „Jetzt können Sie natürlich sagen: Eh klar, dass er das schreibt, er kriegt ja sein Gehalt dort. Stimmt, ich bekomme mein Gehalt im ORF – großteils aus Ihren Gebühren (vielen Dank!), aber ich wäre auch für den Erhalt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, wenn ich ganz was anderes arbeiten würde. Einfach als Staatsbürger. 80 Cent am Tag ist mir das wert.“
Lesetipp zur Abstimmung über die Abschaffung der Rundfunk- und Fernsehgebühren in der Schweiz: Bastion der Demokratie (zeit.de, Thomas Beschorner & Caspar Hirschi)

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5. Steingart kritisiert zum Abschied Dieter von Holtzbrinck
(dwdl.de, Timo Neumeier)
Gabor Steingart hat zu Beginn des Monats seinen Posten als Herausgeber und Geschäftsführer der Handelsblatt Media Group verloren. Nun hat er sich in einer Abschiedsmail an seine Mitarbeiter gewandt und noch einmal Verleger Dieter von Holtzbrinck kritisiert. Dessen “Handhabung der Presse- und Meinungsfreiheit in Sachen Martin Schulz” habe letztendlich zur Entfremdung geführt.
Weiterer Lesetipp: Gabor Steingarts Abschiedsbrief im Original (kress.de, Bülend Ürük).

6. Die Reaktionen auf Lena Meyer-Landruts Kleid zeigen, wie sexistisch deutsche Medien sind
(vice.com, Rebecca Baden)
Eine „n-tv“-Journalistin fühlte sich durch die sexistische Berichterstattung über Lena Meyer-Landruts Auftritt bei der Berlinale gestört und schrieb einen offenen Beschwerdebrief. Diesen richtete sie jedoch nicht, wie zu vermuten, an die „Bild“, sondern an Meyer-Landrut. Ihr freundlich eingeleiteter “Liebe Lena”-Brief lese sich dabei wie „die auf Diddl-Blättern verfassten Hassbotschaften, in denen Grundschülerinnen sich die Freundschaft kündigen“, so Rebecca Baden in ihrer Erwiderung.

Das miese Geschäft der “Bild am Sonntag”

Da waren sie bei “Bild am Sonntag” und Bild.de aber ziemlich empört:

Screenshot Bild.de - Becher, Tassen, Mützen - Das miese Geschäft mit Greta Thunberg

Irgendwelche Leute versuchen nämlich, mit den Image von Greta Thunberg Geld zu machen, indem sie deren Gesicht auf T-Shirts packen, Puppen der Klimaaktivistin herstellen oder Kaffeebecher mit Greta-Sprüchen bedrucken. “Bild am Sonntag” erklärt, dass man sich dagegen wehren kann, und dass Greta Thunberg das auch macht, indem sie “den Schutz ihres eigenen Namens beantragt” habe: “Einen entsprechenden Antrag hat ihr Anwalt beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) eingereicht.”

Zur Situation in Deutschland schreibt “BamS”:

In Deutschland hat jeder ein Recht am eigenen Bild und Namen. Wenn jemand anderes das kommerziell nutzt, kann man als Betroffener dagegen vorgehen.

Ein Markenrechtsexperte erklärt das noch mal genauer:

Der Frankfurter Markenrechtsexperte Eckart Haag (46) sagt: “Ich kann den Nutzer auffordern, das zu unterlassen und mir Auskunft zu erteilen, wie viele Tassen, T-Shirts oder Sonstiges er mit meinem Bild oder Namen verkauft hat. Wenn er das nicht tut, lasse ich per Gericht die Handlung stoppen.”

Im nächsten Schritt kann man Schadenersatz einklagen. Haag: “Das positive Image des Prominenten fördert den Absatz und steigern der (sic) Wert eines Gegenstandes erheblich. Dadurch kann ein erheblicher Teil des erzielten Gewinns eingefordert werden. 80 Prozent sind durchaus denkbar.”

Bei “Bild am Sonntag” kennen sie sich mit dem Thema aus: Im Oktober des vergangenen Jahres entschied das Oberlandesgericht Köln, dass die Redaktion ein Foto des Schauspielers Sascha Hehn in dessen früherer Rolle als “Traumschiff”-Kapitän nicht hätte verwenden dürfen. Im Blatt hatte sie mit diesem Foto, auf dem Hehn und zwei weitere Schauspieler zu sehen waren, für ihr “Urlaubslotto” geworben, bei dem die Leserinnen und Leser eine Kreuzfahrt gewinnen konnten, wenn sie eine kostenpflichtige Telefonnummer anriefen oder eine kostenpflichtige SMS schickten. Sascha Hehn hatte mit dem Gewinnspiel aber überhaupt nichts zu tun. Er hatte einer Verwendung des Fotos in diesem Zusammenhang nicht zugestimmt. Und er war auch nicht Teil des Gewinns — in “Bild am Sonntag” stand sogar, die Abgebildeten werde man auf der Kreuzfahrt “zwar nicht treffen. Aber wie auf dem echten TV-Traumschiff schippern Sie zu den schönsten Buchten und spannendsten Städten.”

Das Gericht schrieb dazu in einer Pressemitteilung (PDF):

Die Beliebtheit des Klägers als Traumschiff-Kapitän habe als “Garant” für eine Traumreise ersichtlich auch auf den Hauptgewinn abfärben sollen. Außerdem sei mit dem Bild des Klägers die Aufmerksamkeit der Leser auf die kostenpflichtigen Mehrwertdienstnummern gelenkt worden, mit denen eine gewisse Refinanzierung des Gewinnspiels erfolgt sei.

Das Urteil war zu dem Zeitpunkt, als die Pressemitteilung veröffentlich wurde, noch nicht rechtskräftig.

Die “Bild”-Medien wollen mit Greta Thunberg übrigens auch ein bisschen Geld verdienen, wenn auch auf etwas andere Weise: Den Artikel, der “das miese Geschäft” mit Thunberg anprangert, kann man nur mit einem “Bild plus”-Abo lesen:

Screenshot Bild.de - Greta-Shirts, Greta-Handyhüllen, Greta-Püppchen: kaum ein Souvenir, das es nicht von der schwedischen Klimaaktivistin Greta Thunberg gibt. Ihre Einwilligung gab sie nie. Lesen Sie mit BILDplus, was Greta jetzt dagegen unternimmt
(Draufklicken für größere Version.)

Mit Dank an @yanjulang für den Hinweis!

Fragwürdiger “Bild”-“Faktencheck” zu Karl Lauterbachs Aussagen

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben es nicht leicht in diesen Tagen. Laien behaupten, es besser zu wissen, oder kokettieren sogar damit, keine Ahnung zu haben, und lassen sich als Querköpfe feiern. Und dann schaltet sich, wenn’s ganz schlecht läuft, auch noch die “Bild”-Redaktion ein.

So erging es auch Karl Lauterbach, SPD-Politiker, Arzt und studierter Epidemiologe, nachdem er mal wieder in der Sendung von Markus Lanz zu Gast war:

Screenshot Bild.de - Faktencheck - Karl Lauterbach und seine fragwürdigen Aussagen

Der “Faktencheck” der beiden “Bild”-Redakteure Timo Lokoschat und Filipp Piatov ist bereits rund zwei Wochen alt. Aber ein genauerer Blick lohnt sich noch immer, denn der Beitrag zeigt, mit welch unsauberen Methoden die “Bild”-Medien arbeiten, wenn sie eine Person, in diesem Fall Karl Lauterbach, abschießen wollen: Sie zitieren falsch, sie reißen Studien aus dem Zusammenhang, sie überbetonen bestimmte Aspekte, lassen andere komplett weg.

Ein Check zum “Faktencheck”.

1. “Lockdown”

“Die Zahlen sind runtergegangen, weil der Lockdown kam”, behauptete Lauterbach im Talk bei Markus Lanz am Dienstag. Die Forscher der ETH Zürich widersprechen: In einer viel beachteten Studie schreiben sie, dass Ausgangssperren zu den “am wenigsten effektiven Maßnahmen” gehören. Auch den Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI) zufolge sanken die Infektionszahlen bereits VOR dem Lockdown.

… schreibt “Bild”. Bereits in einem früheren Artikel (der auch aus anderen Gründen Unfug war) hat sich die Redaktion auf die Schweizer Studie berufen und sie, wie auch hier, falsch angewendet. In der Untersuchung der ETH Zürich (PDF) haben die Forscherinnen und Forscher genau definiert, was sie mit “Lockdown” meinen — nämlich nicht das, was in den meisten deutschen Bundesländern bis vor Kurzem galt. Die Definition der ETH:

Lockdown: Prohibition of movement without valid reason (e.g., restricting mobility except to/from work, local supermarkets, and pharmacies)

Nach dieser Definition gab es in Deutschland keinen flächendeckenden “Lockdown”. Klar, Karl Lauterbach nutzte den eigentlich unpassenden Begriff selbst, Lokoschat und Piatov griffen ihn letztlich nur auf. Aber die zwei “Bild”-Redakteure sind es, die ihn in den falschen Zusammenhang mit der Schweizer Studie bringen. Das, was dort unter “Lockdown” verstanden wird, die strikte Mobilitätseinschränkung, traf nur auf eine Handvoll Bundesländer zu, und das nicht mal die ganze Zeit. Die Maßnahmen, die hingegen tatsächlich bundesweit galten, unter anderem das Versammlungsverbot, Grenzschließungen, die Schließung von Kinos, Theatern und Konzertsälen sowie die Schließung von nicht systemrelevanten Betrieben, zählt die Studie zu den “effektivsten Maßnahmen”. Diese Maßnahmen dürfte Lauterbach auch mit “Lockdown” gemeint haben.

Die Behauptung von Lokoschat und Piatov, die Infektionszahlen seien laut RKI schon vor dem “Lockdown” gesunken, ist rein statistisch durchaus zutreffend. Aber erstens ist das kein Beweis dafür, dass die Maßnahmen nichts gebracht hätten. Und zweitens verkennen die “Bild”-Autoren einen wichtigen Punkt: Mit “Lockdown” müssten sie die am 22. März beschlossenen bundesweiten Kontaktbeschränkungen meinen, die am 23. März in Kraft traten. In den Zahlen des RKI erkennt man tatsächlich nach einem Höhepunkt am 16. März einen Rückgang der Erkrankungsfälle (allerdings nur einen leichten auf hohem Niveau), also eine Woche vor der Einführung der Kontaktbeschränkungen. Bloß: Auch schon vor dem 23. März gab es Maßnahmen, die später zum “Lockdown” gezählt wurden — etwa die Absage von Großveranstaltungen (9. März) oder das Schließen der meisten Schulen und Kitas (16. März). Auch die Mobilität der Menschen verringerte sich bereits vor den Kontaktbeschränkungen erheblich. All das hatte schon vor dem 23. März eine Wirkung, wie Ranga Yogeshwar in einem Video anschaulich erklärt.

2. Italienische Zustände

“80% unseres Erfolgs waren die Horrorbilder aus Italien!”, lobt Lauterbach die Vollalarm-Stimmung, die Deutschland im März in den Stillstand versetzte. Damit ist er nicht allein: Auch RKI-Chef Lothar Wieler (59) mahnte mehrmals, dass Deutschland “einfach nur 1–2 Wochen vor Italien” sei. Doch von italienischen Zuständen war in Deutschland glücklicherweise zu keinem Zeitpunkt etwas zu sehen.

… schreibt “Bild”. Erstmal: Lokoschat und Piatov zitieren hier unsauber. Lauterbach sprach nicht von “Horrorbildern”, sondern von “bestürzenden Bildern”. Und er lobte damit auch nicht die “Vollalarm-Stimmung” in Deutschland, sondern versuchte, mit diesem Beispiel zu erklären, warum es aus seiner Sicht hier nicht so schlimm gekommen ist wie in anderen Ländern:

Wir haben diese Hotspots in Deutschland nicht gesehen. Haben wir ja nicht gesehen. Wir hatten Gangelt. Und wir hatten also Webasto in München. Aber wir haben zum Beispiel diese Hotspots in den Restaurants (…) nicht gesehen, haben bei uns keine Rolle gespielt. (…) Und zwar deshalb, weil wir zu dem Zeitpunkt, wo wir noch nicht viele Infektionen hatten, die Bilder aus Italien hatten. 80 Prozent unseres Erfolgs sind die Bilder, die bestürzenden Bilder aus Italien gewesen. Und dann haben wir sozusagen schon alles dicht gemacht, bevor viele infiziert waren.

Karl Lauterbach nennt als Grund dafür, dass die Situation in Deutschland nicht so dramatisch wurde wie in anderen Ländern, etwa in Italien, dass “wir” als Warnung “die Bilder aus Italien hatten.” Lokoschat und Piatov machen daraus: Was redet der Lauterbach denn von “Horrorbildern aus Italien”? Das war hier doch alles gar nicht so schlimm wie in Italien! Eigentlich stützen sie damit unfreiwillig Karl Lauterbachs These — sie liefern ein Beispiel für das Präventionsparadoxon: Greifen Maßnahmen und bleiben dadurch schlimme Folgen aus, entwickelt sich schnell eine Stimmung: Waren diese Maßnahmen, dieser “Vollalarm”, dieser “Stillstand” jetzt wirklich nötig? War doch alles gar nicht so schlimm!

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Lauterbach beschreibt etwas später in der Lanz-Sendung genau das, was “Bild” mit seinem Zitat anstellt (inklusive dem oben bereits zitierten “Lockdown”-Zitat):

Das höre ich oft und das sage ich jetzt, weil Sie es gesagt haben, das höre ich aber auch bei anderen oft: “Das, was ihr gesagt habt, ist doch alles nicht eingetreten.” Die Epidemiologen, die Wissenschaftler werden da so ein bisschen diffamiert, so nach dem Motto: “Ihr hattet Unrecht, es ist doch gar nicht so dick gekommen.” (…) Wir haben nie gesagt, dass die Katastrophe kommt, wenn wir den Lockdown machen. Wir haben gesagt, die Katastrophe kommt nicht, wenn wir den Lockdown machen. Genau das ist passiert. Wir haben sozusagen das erreicht, was wir wollten. Die Zahlen sind runtergegangen, weil der Lockdown kam. (…)

Daher darf nicht der Eindruck entstehen, dass die Wissenschaftler etwas hier in Deutschland vorhergesagt hätten, was dann nicht gekommen ist. Es diffamiert die Arbeit, die wir gemacht haben. Das ist der Erfolg unserer Arbeit, dass das nicht gekommen ist. Es gibt diesen Spruch: Die Epidemiologie hat keine Helden. Weil ich den vermiedenen Tod nachher gratis nehme und nicht sehe, was sonst passiert wäre.

3. Schweden

“Völlig verantwortungslos”, urteilt Lauterbach über Schweden und wähnt sich damit in der Gesellschaft “aller Epidemiologen”. Hintergrund: Das Königreich verzichtete auf Ausgangsbeschränkungen, setzte auf Vernunft und Freiwilligkeit seiner Bürger. Ein Krankenhaus-Kollaps blieb in Schweden aus. Über die Bewertung der schwedischen Zahlen sind sich keineswegs “alle Epidemiologen” einig. Weltweit und mit unterschiedlichen Ergebnissen wird der Sonderweg des Landes auch von der Fachwelt debattiert.

… schreibt “Bild”. Und lässt hier mehrere Aspekte weg. Allen voran die hohen Todeszahlen in Schweden. So berichtete der “Tagesspiegel” am selben Tag, an dem auch der “Bild”-Artikel erschien:

Das Land [Schweden] verzeichnet pro eine Million Einwohner mit fast 289 Todesfällen deutlich mehr als beispielsweise die Nachbarländer Norwegen, Dänemark oder Finnland. Auch im Vergleich mit Deutschland (87,7) liegt die Sterberate mehr als dreimal so hoch.

Inzwischen liegt dieser Wert für Schweden bei über 360 Toten pro eine Million Einwohner (in Belgien, Spanien, Italien, Großbritannien und Frankreich ist er noch höher – für Deutschland liegt er aktuell bei ungefähr 96). Würde man den schwedischen Wert auf Deutschlands Einwohnerzahl übertragen, hätten wir hier nicht, wie aktuell, etwa 8000 Tote, sondern fast 30.000.

Dass in Schweden die Zahl der Verstorbenen pro eine Million Einwohner um ein Vielfaches höher ist als in Deutschland, argumentiert auch Karl Lauterbach bei Markus Lanz, wenn er von “völlig verantwortungslos” spricht. Timo Lokoschat und Filipp Piatov lassen das aber einfach unter den Tisch fallen.

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Auch das Scheitern des schwedischen Vorhabens, die Alten zu schützen, bleibt bei “Bild” unerwähnt: In Schweden starben besonders viele Menschen in Alten- und Pflegeheimen, wie die “Süddeutsche Zeitung” vergangene Woche konstatierte.

Die Schweden-Affinität der “Bild”-Redaktion in der Corona-Krise ist auch drüben bei “Übermedien” Thema.

4. Aerosole

Teil von Lauterbachs bedrohlichen Szenarien in der Lanz-Sendung sind “Aerosole” — Corona-Wölkchen, die bis zu sieben Stunden in der Luft schweben und Infektionen auslösen würden, wie der SPD-Politiker erläutert. Das steht zumindest im Widerspruch zu dem, was das Robert-Koch-Institut schreibt: Eine Übertragung über Aerosole sei im normalen gesellschaftlichen Umgang “nicht wahrscheinlich”, urteilen die RKI-Experten Ende April mit Verweis auf bisherige wissenschaftliche Untersuchungen.

… schreibt “Bild”. So sicher, wie Lokoschat und Piatov hier tun, war sich das Robert-Koch-Institut zu dem Zeitpunkt aber gar nicht:

Auch wenn eine abschließende Bewertung zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich erscheint, weisen die bisherigen Untersuchungen insgesamt darauf hin, dass eine Übertragung von SARS-CoV-2 über Aerosole im normalen gesellschaftlichen Umgang nicht wahrscheinlich ist.

“Eine abschließende Bewertung” erscheine “zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich”. So eine Nuancierung ins Ungewisse mag unerheblich wirken, gerade in diesem Fall stellt sie sich im Nachhinein aber als relevant heraus. Denn das RKI änderte seine Einschätzung inzwischen gewissermaßen ins Gegenteil, auch wenn “eine abschließende Bewertung zum jetzigen Zeitpunkt” immer noch “schwierig” sei. Mittlerweile heißt es:

Auch wenn eine abschließende Bewertung zum jetzigen Zeitpunkt schwierig ist, weisen die bisherigen Untersuchungen insgesamt darauf hin, dass SARS-CoV-2-Viren über Aerosole auch im gesellschaftlichen Umgang in besonderen Situationen (s. o.) übertragen werden können.

Diese Neubewertung veröffentlichte das RKI am 7. Mai. Also genau an dem Tag, an dem der “Bild”-Artikel über Karl Lauterbach erschien (bei Bild.de wurde er am Abend vorher veröffentlicht). Lokoschat und Piatov konnten beim Schreiben ihres Textes davon freilich nichts wissen. Aber schon da war das RKI beim Thema Aerosole nur eine unter mehreren Quellen: Der Virologe Christian Drosten nahm in seinem Podcast bei NDR Info bereits am 6. April Bezug auf eine Studie, auf die sich unter anderem auch die erste Einschätzung des RKI stützte. Drosten war hier eher unschlüssig (PDF):

Genau. Wir wissen nicht, wie das speziell bei diesem Virus ist. Also es gibt eine Studie zum Beispiel im “New England Journal”, die ist vor ungefähr drei Wochen schon erschienen. Die sagt, im Aerosol ist dieses SARS-2-Virus ungefähr drei Stunden lang noch infektiös. Dazu muss man aber dann auch sagen, dass die Autoren, die das publiziert haben, ein künstliches Virusaerosol mit einer ganz hohen infektiösen Viruskonzentration hergestellt haben. Da kann sich niemand sicher sein, ob das wirklich dem entspricht, was ein infizierter Patient wirklich von sich gibt.

Karl Lauterbach erwähnt bei Markus Lanz eine weitere Studie, nach der in einem Restaurant im chinesischen Guangzhou eine Person Menschen angesteckt habe, die gar nicht mit ihr an einem Tisch saßen. Das sei durch die Luftverteilung durch eine Klimaanlage begünstigt worden. Beide Studien werden in dem “Bild”-Artikel nicht erwähnt. Auch ein Beitrag der “Washington Post” von Ende April thematisierte die unsichere Faktenlage in Bezug auf Aerosole. Es ist also nicht so, als hätten Timo Lokoschat und Filipp Piatov beim Schreiben ihres Artikels nicht genügend Informationen für eine differenziertere Darstellung der Sachlage zur Verfügung gehabt.

Virologe Drosten ist in seiner Einschätzung zur Bedeutung von Aerosolen im Übrigen mittlerweile deutlicher, auch weil es einen neuen Report der US-amerikanischen Akademie der Wissenschaften zum Thema gibt. In der Podcast-Folge vom 12. Mai sagte er, dass er die Ansicht Lauterbachs, was die Aerosol-Infektionen angeht, teile (PDF):

Und die Infektiosität kann tatsächlich für mehrere Stunden bleiben. Da hat also Herr Lauterbach vollkommen Recht.

Auch das ist natürlich nicht in Stein gemeißelt — neue Studien können neue Erkenntnisse bringen.

5. Restaurants

Für Lauterbach ist in der Sendung von Markus Lanz klar: Restaurants wären “Brandbeschleuniger der Pandemie”, würden die Ausbreitung des Corona-Virus stark vorantreiben. Zweifel an den eigenen Aussagen? Keine.

Dabei hatte Hendrik Streeck (42), Professor für Virologie und Direktor des Instituts für Virologie an der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn, vor vier Wochen bei Lanz erklärt: “Wir sehen, wie die Infektionen stattgefunden haben. Das war nicht im Supermarkt oder im Restaurant oder beim Fleischer. Das war auf den Partys beim Aprés (sic) Ski in Ischgl, im Berliner Club ‘Trompete’, beim Karneval in Gangelt und bei den ausgelassenen Fußballspielen in Bergamo.”

… schreibt “Bild”. Während Timo Lokoschaft und Filipp Piatov es so wirken lassen, als wäre Lauterbach generell gegen die Öffnung von Restaurants (was auch wunderbar zu ihrem Einleitungssatz passt: “Wenn es nach Karl Lauterbach (57, SPD) geht, haben alle Fragen eine einzige Antwort: Lockdown.”), sagt dieser in der Sendung von Markus Lanz, dass er es bei Beachtung von Hygieneregeln “schon für denkbar” halte, “dass die Gastronomie wieder öffnen kann.” Das verschweigen die “Bild”-Autoren allerdings.

Genauso wie sie in ihrem Artikel übrigens kein einziges Mal erwähnen, dass Karl Lauterbach Epidemiologe ist, dazu noch einer, der in Harvard studiert hat. Dieses Detail würde aber auch nicht so gut in ihre irreführende, als “Faktencheck” gelabelte Meinungsmache passen.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

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Maaßens Gesinnungstest, Sportschau und Wettanbieter, Schmutzkampagne?

1. Maaßen fordert Gesinnungstest für “Tagesschau”-Personal
(spiegel.de)
In einem Interview bei TV Berlin hat der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsschutzes und aktuelle CDU-Bundestagskandidat Hans-Georg Maaßen gefordert, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der “Tagesschau” einem Gesinnungstest zu unterziehen. Angeblich gäbe es Verbindungen zwischen Teilen der “Tagesschau”-Redaktion und der linken und linksextremen Szene. Angesichts dieser verstörenden und hanebüchenen Aussagen kommentiert der ehemalige CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz auf Twitter: “Ich würde meiner Partei zu einem Ausschlussverfahren raten. Ja, auch im Wahlkampf. Gerade jetzt.” SPD, Grüne und Linke würden laut “Spiegel” ein Machtwort Armin Laschets fordern.

2. Jede Wette
(sueddeutsche.de, Lisa Priller-Gebhardt)
Die ARD-“Sportschau” hat sich den Wettanbieter Tipico als Werbepartner mit ins Boot geholt. Glücksspiel scheint in Deutschland ein enormes Wachstums-Potential zu haben. So habe sich zwischen 2013 und 2019 laut Deutschem Sportwettenverband der Umsatz der Branche von knapp vier auf fast acht Milliarden Euro verdoppelt. Bei Süddeutsche.de erklärt Lisa Priller-Gebhardt, warum die Kooperation von “Sportschau” und Wettanbieter aus ihrer Sicht gefährlich ist: “Für Suchtgefährdete heißt das, sie müssen nun auch mit Werbung für geschäftsmäßiges Tippen in den Öffentlich-Rechtlichen leben.”

3. Nein, liebe Grüne, das ist keine Schmutzkampagne, das ist normale Medienarbeit
(meedia.de, Stefan Winterbauer)
In Zusammenhang mit den Vorwürfen bezüglich der Buchveröffentlichung von Annalena Baerbock sprechen einige von “Rufmord” und einer medialen Schmutzkampagne. Stefan Winterbauer hält derlei Vorwürfe für Unsinn: “Die Vorgänge, die da kritisiert werden, sind ja alle wahr. Die Nebeneinkünfte wurden verspätet gemeldet, der Lebenslauf war aufgehübscht, im Buch finden sich abgeschriebene Passagen. Dass all dies grell ausgeleuchtet wird, das ist keine ‘Schmutzkampagne’. Das ist normale Medienarbeit.”

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4. EU-Ratspräsident torpediert Medienfreiheit
(reporter-ohne-grenzen.de)
Eine Untersuchung von Pressefreiheits- und Journalistenorganisationen unter Beteiligung von Reporter ohne Grenzen kommt zu dem Schluss, dass der seit Kurzem amtierende EU-Ratspräsident die Medienfreiheit in seinem Land torpediert: “Die slowenische Regierung hat es in nur 15 Monaten geschafft, die Lage der Pressefreiheit im Land ungarischen oder polnischen Verhältnissen anzunähern. Für Ministerpräsident Janša sind unabhängige Medien kein Bestandteil eines funktionierenden demokratischen Systems, sondern Oppositionskräfte, die bekämpft werden müssen. Diese Haltung darf auf keinen Fall zum Leitgedanken von Sloweniens Ratspräsidentschaft werden.”

5. Wer reguliert die Regulierer?
(zeit.de, Felix Stalder)
Felix Stalder arbeitet als Professor für Digitale Kultur an der Zürcher Hochschule der Künste. Für “Zeit Online” hat er Michael Seemanns neues Buch über “Die Macht der Plattformen” rezensiert: “Es ist eine der großen Stärken von Seemanns’ Buch, zwischen der strukturellen und politischen Analyse des Phänomens Plattform zu unterscheiden und damit die Frage der Regulierbarkeit sehr viel präziser stellen zu können, als dass dies in der Diskussion um ‘Geistiges Eigentum’ oder ‘Fake News’ zumeist geschieht.” Eine Schwäche des Buch sei der Begriffsapparat, der für die breite Öffentlichkeit zu überbordend und für die wissenschaftliche nicht präzise genug sei. Dennoch sei das Buch sehr lesenswert.

6. Christonormatives Radio
(taz.de, Mohamed Amjahid)
Mohamed Amjahid sind beim morgendlichen Hören der Morgenandacht des Deutschlandfunks zwei Fragen in den Sinn gekommen: “Was sagt es über die deutsche Medienlandschaft aus, dass die evangelische und die katholische Kirche exklusive Sendefenster in gemeinschaftlich finanzierten Programmen bekommen? Und was sagt es über die deutsche Medienlandschaft aus, dass andere (religiöse) Minderheiten dies nicht bekommen?”

Gesucht: Fotograf für korrektes Bild

Man muss den Artikel von “Bild”-Autor Dirk Hoeren über Bundesumweltministerin Steffi Lemke einmal komplett lesen, um zu verstehen, wie tendenziös und einseitig und falsch er ist. Am vergangenen Samstag schrieb Hoeren in der “Bild”-Bundesausgabe:

Plant Umweltministerin Steffi Lemke (55) eine Zweit-Karriere – als Fotomodell?

In einer Ausschreibung sucht ihr Ministerium gerade einen Fotografen. Er soll die Grüne auf offiziellen Terminen begleiten – und sie zusätzlich im Rahmen von Porträt-Shootings in Szene setzen.

“Ein oder zweimal jährlich kann ein großes Porträtshooting beauftragt werden”, heißt es in der Ausschreibung. Darin solle die Ministerin “in einem aufwändigeren Aufnahmeprozess fotografisch stärker inszeniert werden”. Die Fotos sollen “in mindestens drei verschiedenen Umgebungen, unterschiedlichen Lichtverhältnissen, mit wechselnder Bekleidung” geschossen werden. “Eine Visagistin/Ein Visagist ist einzuplanen.”

Dauer der Shootings: “vier bis sechs Stunden”.

Den Auftragswert schätzt das Grünen-Ministerium auf 150 000 Euro. Bei zweimaliger Verlängerung um je ein Jahr würden sich die geschätzten Kosten sogar auf 300 000 Euro summieren.

Der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Reiner Holznagel (47), sieht den Aufwand kritisch.

“Es ist den Steuerzahlern kaum zu vermitteln, dass sie auch für Visagisten und Hairstylisten von Politikern aufkommen sollen”, sagt Holznagel zu BILD. Im Zweifel müsse dafür “privat bezahlt werden”.

Überschrift:

Ausriss Bild-Zeitung - Umweltministerin sucht einen Fotografen für 150000 Euro!

Fangen wir beim Geld an.

Was die “Bild”-Leserschaft an keiner Stelle erfährt und nach dem Lesen des Artikels auch nicht ahnen kann: Die 150.000 Euro sind kein festgelegtes Honorar, das auf jeden Fall gezahlt wird, egal wieviel der Fotograf oder die Fotografin arbeitet. Es handelt sich stattdessen um das maximale Auftragsvolumen für den vertraglich festgelegten Zeitraum (dazu gleich noch mehr). So steht es auch in der “Rahmenvereinbarung”, die das Ministerium zur Ausschreibung veröffentlicht hat. Wir haben beim Ministerium nachgefragt, wie die letztendliche Höhe des Honorars zustande kommt. Die Antwort:

Die Vergütung erfolgt pro tatsächlichem Einsatz in Abhängigkeit vom Zeitbedarf nach gestuften Stundensätzen bzw. einem Tagessatz.

Was da so pro Jahr zusammenkommt? Auch darauf haben wir eine Antwort bekommen:

Die Brutto-Ausgaben im Jahr 2022 beliefen sich auf rund 9.700 €. Im laufenden Jahr betragen die bisherigen Ausgaben gut 8.800 €.

Also: bezahlt wird pro Einsatz. Und mit den Summen, die in der jüngsten Vergangenheit vom Ministerium pro Jahr ausgegeben wurden, käme man nicht ansatzweise an das maximale Auftragsvolumen von 150.000 Euro ran.

Sowieso wirft Dirk Hoeren im “Bild”-Artikel die Summen völlig durcheinander. Wenn er schreibt: “Den Auftragswert schätzt das Grünen-Ministerium auf 150 000 Euro. Bei zweimaliger Verlängerung um je ein Jahr würden sich die geschätzten Kosten sogar auf 300 000 Euro summieren”, ist das schlicht falsch. Erstens weil eben nicht pauschal, sondern pro Auftrag bezahlt wird, siehe oben. Und zweitens: Aus der bereits erwähnten “Rahmenvereinbarung” wird klar, dass sich der Maximalwert von 150.000 Euro auf den Zweijahresvertrag und die zweimalige Verlängerung um jeweils ein Jahr bezieht:

Das maximale Auftragsvolumen (Höchstwert) beträgt über die Gesamtlaufzeit des Vertrags (inkl. Verlängerungsoptionen) 150.000 € netto.

Es geht also um 150.000 Euro für vier Jahre, rechnerisch 37.500 Euro pro Jahr. Und wie gesagt: Zuletzt wurde diese Summe bei weitem nicht erreicht. Die Verdopplung der Kosten auf 300.000 Euro bei einer möglichen Vertragsverlängerung, die Dirk Hoeren bei “Bild” ins Spiel bringt, hat er sich ausgedacht.

Bei Bild.de steht inzwischen:

Bei zweimaliger Verlängerung um je ein Jahr würden sich die geschätzten Kosten sogar auf das Vielfache summieren.

Das ist aber genauso falsch. Noch einmal: Es bleiben auch bei einer Verlängerung maximal 150.000 Euro.

Was die beauftragte Person für das Honorar leisten soll, wird im “Bild”-Artikel stark einseitig beschrieben. In dem Text geht es fast ausschließlich um “‘ein großes Porträtshooting'” für Steffi Lemke. Nur an einer Stelle wird auch erwähnt, dass der Fotograf oder die Fotografin “die Grüne auf offiziellen Terminen begleiten” soll. Schaut man in die “Leistungsbeschreibung” der Ausschreibung, wird klar: Es geht hauptsächlich (“Grundlegende Anforderungen”) um Terminbegleitung und nur zusätzlich (“Optionale Leistungen”) um Porträtaufnahmen. Bei “Bild” wird dieses Verhältnis komplett umgedreht.

Und nicht nur bei der Frage, was und wie fotografiert werden soll, lässt Dirk Hoeren großzügig die Aspekte weg, die nicht in seine Erzählung passen, sondern auch bei der Frage, wer alles fotografiert werden soll. In der “Leistungsbeschreibung” ist von der “Hausleitung” des Ministeriums die Rede, die bei Terminen begleitet werden soll. Und die umfasst neben Steffi Lemke auch die Staatssekretäre und die Parlamentarischen Staatssekretäre. Bei “Bild” liest es sich hingegen so, als würde das ganze, viele Geld nur für die Bundesministerin draufgehen.

Dieser ganze “Bild”-Spin fand noch weitere Verbreitung, weil andere Redaktionen ihn dankbar abgeschrieben haben: die “Epoch Times” zum Beispiel, “De24Live” oder das Krawallportal “Nius” um den geschassten “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt. Manche Redaktionen haben ihn aber auch noch irrer weitergedreht. Die “Weltwoche” etwa titelt: “‘Für vier bis sechs Stunden’: Grüne Umweltministerin sucht einen Fotografen für 150.000 Euro”, und “Focus Online” schreibt von “150.000-Euro-Portaitshootings”.

Man kann es natürlich völlig daneben finden und darüber diskutieren, dass Bundesministerien Steuergelder für Fotoaufträge ausgeben. Aber dann sollte man in der Diskussion wenigsten fair sein und sich an die Fakten halten.

Nachtrag, 8. August: Die “Bild”-Redaktion hat eine Art Teil-Korrektur veröffentlicht.

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Halbgares über die Herdprämie

Der schnellste und sicherste Weg, einen möglichst fehlerhaften Text zu bekommen, ist, einen Bild.de-Mitarbeiter mit Statistiken jonglieren und anschließend alles aufschreiben zu lassen. Zum Beispiel zum Thema Betreuungsgeld.

Momentan entscheidet das Bundesverfassungsgericht, ob die monatlichen Zahlungen von 150 Euro für Kinder zwischen dem 15. und 36. Lebensmonat mit der Verfassung vereinbar sind.

Aber welche Eltern haben bisher eigentlich vom Betreuungsgeld profitiert?

… fragt Bild.de.

Das Statistische Bundesamt hat nun aktuelle Daten dazu veröffentlicht.

Na, dann mal ran ans Durcheinanderbringen an die Daten!

Nur in Bremen und Berlin war der Anteil der Väter, die die Prämie beantragt haben, mit knapp 11 und 8 Prozent recht groß. Am niedrigsten lag die Väter-Quote in Bayern (3,2 %), Thüringen (3,4 %) und Baden-Württemberg (3,6 %).

Das stimmt schon mal fast. Man müsste bloß die “knapp 11” und die “8 Prozent” für Bremen und Berlin jeweils durch 9,1 Prozent ersetzen, statt der “3,2 %” für Bayern 3,1 Prozent schreiben und anstelle der “3,4 %” für Thüringen 3,6 Prozent nehmen. Steht so auch alles in der Veröffentlichung des Statistischen Bundesamts (PDF):

Aber weiter im Bild.de-Text:

Die Bezugsdauer ist in den Bundesländern im Osten mit durchschnittlich 13,7 Monaten viel kürzer als in den westlichen Bundesländern mit im Schnitt 19,6 Monaten.

Auch fast richtig. Nur dass die durchschnittliche voraussichtliche Bezugsdauer “in den Bundesländern im Osten” (einschließlich Berlin) 14,4 Monate beträgt und die “in den westlichen Bundesländern” 19,9:

Weiter:

Etwa jedes zweite Kind (51 %), für das Betreuungsgeld bezogen wird, ist derzeit ein Einzelkind.

Und wieder ein Volltreffer — also im Sinne von voll daneben. Denn nicht 51, sondern 49,5 Prozent aller Kinder, für die Betreuungsgeld gezahlt wird, sind Einzelkinder:

Und irgendwas mit Ausländern gibt’s doch sicher auch noch:

15 Prozent der Bezieher des Betreuungsgeldes besaßen nicht die deutsche Staatsbürgerschaft.

Um es kurz zu machen: Es sind 16,6 Prozent:

Wie Bild.de auf all die wirren Zahlen kommt, wissen wir auch nicht*. Sie haben — entgegen der Behauptung im Artikel — jedenfalls nichts mit der aktuellsten Veröffentlichung des Statistischen Bundesamts zu tun, das hat uns eine Mitarbeiterin dort auf Nachfrage bestätigt.

Aber das hindert die Leute von Bild.de natürlich nicht, den Artikel so zu überschreiben:

Joar.

Mit Dank an Christof D. und Joachim L.

*Nachtrag, 26. April: Inzwischen wissen wir, wie das Zahlen-Durcheinander zum Betreuungsgeld entstanden sein dürfte. Bild.de hat nämlich drauf gepfiffen, dass das Statistische Bundesamt “nun aktuelle Daten dazu veröffentlicht” hat, und stattdessen die Zahlen aus dem zweiten Quartal 2014 (Stand: August 2014, PDF) verwurstet.

Neuanfang, juristische Nachhilfe, Autobahn

1. Danke, Trump
(medium.com, Jochen Wegner)
“Zeit Online” Chefredakteur Jochen Wegner berichtet von einer Serie von innovativen Experimenten, die das Medienhaus als Reaktion auf die Krisen der Demokratie, Trump und Brexit, Europa und die neue Rechte und die Debatte um “Fake News” und “Lügenpresse” angestellt hat. Wegner nennt es eine Art Laborprotokoll. Den Anfang macht “Deutschland spricht”, eine Art Dating-Plattform für politischen Streit, über die man tausende Paare zum politischen Zwiegespräch zusammenführen will. Ein anderes Projekt sind die “Z2X-Festivals”, auf denen junge Menschen zwischen 20 und 29 über die Verbesserung der Welt diskutieren. Er erzählt von der Serie “Heimatreporter”, die mit “emphatischem Lokaljournalismus” aufwartet. Und es geht um die kleine Frage “Wie geht es Ihnen heute?”, mit der man die Befindlichkeit der Leser abfragt. Nach der Lektüre möchte man es fast glauben, wenn Wegner zum Schluss sagt: “Journalismus ist nicht am Ende, sondern an einem neuen Anfang.”

2. FAZ, BILD und das Urheberrecht
(kapselschriften.blogspot.de, Eric W. Steinhauer)
Die “FAZ” hat sich verschiedentlich gegen die geplante Novelle im Wissenschaftsurheberrecht ausgesprochen und Horrorszenarien an die Wand gemalt, die nun auch von “Bild” wiederholt wurden, so der Jurist Eric W. Steinhauer auf seinem Blog. Im Nachgang hätte es auf Twitter eine rege Diskussion mit dem zuständigen “Bild”-Redakteur Ralf Schuler gegeben, der jedoch die Auseinandersetzung mit Urheberrechtsbeiträgen zu anstrengend gefunden hätte. Rechtswissenschaftler Steinhauer hat ihm die Angelegenheit daher mit einem Fallbeispiel erklärt. “Und wenn Herr Schuler diese Unterscheidung bescheuert und nicht nachvollziehbar findet, dann beginnt er vielleicht zu verstehen, warum das geltende Urheberrecht im digitalen Zeitalter noch lange nicht angekommen und total lebensfremd ist und warum es Bildung und Wissenschaft so wichtig ist, dass hier endlich notwendige Reformen angepackt werden.”

3. Keiner schreibt über die Privatisierung der Autobahnen!
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Auf den “Nachdenkseiten” ist Autor Jens Berger empört: Niemand, außer den “Nachdenkseiten” selbst, schreibe über die Gesetzesänderung, die eventuell eine Privatisierung der deutschen Autobahnen möglich mache! Doch dem ist nicht so, wie Stefan Niggemeier auf “Übermedien” berichtet und anhand von Beispielen dokumentiert. “Oft genug – zu oft – ist die Kritik von sogenannten alternativen Medien an sogenannten Mainstream-Medien berechtigt, dass sie bestimmte Themen und Perspektiven unter den Tisch fallen lassen. Oft genug – zu oft – ist diese Beschwerde aber auch eine bloße Behauptung. Der Satz „Darüber berichtet natürlich keiner“ fällt häufig als Reflex, und je häufiger er wiederholt wird, desto weniger sehen Leute noch nach, ob er überhaupt stimmt.”

4. Die EU zerstört Europas Filmwirtschaft
(faz.net, Jörg Seewald)
Zerstört die EU mit einer neuen Regelung Europas Filmwirtschaft? Das befürchten zumindest die 411 Mitglieder verschiedenster Verbände und Unternehmen aus dem audiovisuellen Sektor, die mit einem offenen Brief gegen die neue EU-Verordnung protestieren. Im Kern geht es um die Abschaffung des sogenannten “Territorialprinzips”, was zur Folge hätte, dass Film-Lizenzen nicht mehr exklusiv und länderbezogen eingeräumt werden können. Die Regelung stärke große Sender- und Plattformbetreiber und schwäche die Film- und Fernsehschaffenden, so der Tenor.

5. Medienangebote für Flüchtlinge
(de.ejo-online.eu, Johanna Mack)
Johanna Mack hat sich die verschiedenen Medienangebote für Geflüchtete angeschaut. Darunter die “Ankommen-App” des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, die App “Willkommen in NRW”, das Angebot von “Deutscher Welle” und “WDR” und “SWR” und den “Guide for Refugees” der “ARD”. Sie erwähnt die Videoreihe “Marhaba – Ankommen in Deutschland” (n-tv), den “Wegweiser für Flüchtlinge” (BR) und verschiedene unabhängige Projekte. Eine gute Zusammenstellung, auch für Leute, die mit Geflüchteten in Kontakt stehen.

6. Wittenberg, 11.02 Uhr: Wie wurden daraus 120.000?
(zeit.de, Hannes Leitlein)
Wie viele Gläubige waren im Rahmen des Kirchentags beim Festgottesdienst in Wittenberg? Wenn es nach den Veranstaltern geht, jede Menge… Fast detektivisch ist Hannes Leitlein der Frage nachgegangen, wie die Veranstalter zu ihrer extrem hohen Schätzung kommen. Mit endgültiger Sicherheit lässt sich die Frage nicht klären, aber es spricht einiges dafür, dass die Werte stark übertrieben sind.

Zensurmaschine EU, Themensetzung bei Talkshows, NR-Leuchtturm-Preis

1. “Diese Upload-Filter wären regelrechte Zensurmaschinen”
(sueddeutsche.de, Simon Hurtz)
Es ist soweit: Heute stimmt die EU über die Reform des europäischen Urheberrechts und damit auch über die umstrittenen Upload-Filter ab. Kern des dafür einschlägigen neuen Artikel 13: Online-Plattformen wie Youtube und Facebook sollen bereits im Moment des Uploads für etwaige Urheberrechtsverstöße ihrer Nutzer haften. Dem können sich die Plattformen nur entziehen, wenn sie Upload-Filter installieren, die jede Datei auf urheberrechtliche Unbedenklichkeit prüfen. Simon Hurtz hat sich mit der Europapolitikerin und Urheberrechts-Spezialistin Julia Reda unterhalten, die in der Regelung eine Gefährdung des freien Netzes sieht.
Weil es heute ein wichtiges Thema ist, hier drei weitere einschlägige Beiträge:
EU kopiert erfolgloses deutsches Gesetz (deutschlandfunk.de, Thomas Otto im Gespräch mit Isabelle Klein)
Lobbying für Leistungsschutzrecht: Günther Oettingers Doktrin (taz.de, Anne Fromm & Daniel Bouhs)
Die zehn Mythen des Leistungsschutzrechts (golem.de, Friedhelm Greis)

2. “Was bei Claudia Neumann passiert, sprengt alle Grenzen”
(spiegel.de)
Wenn Frauen (Männer)Fußball kommentieren, scheint bei einigen Männern alles auszusetzen. Das lässt sich auf unschöne Weise am Beispiel der Fußball-Kommentatorin des ZDF Claudia Neumann zeigen, die im Netz auf übelste Weise angegangen wird.

3. Leuchtturm-Preis 2018 für MeToo-Rechercheteam der ZEIT
(netzwerkrecherche.org)
Der “Leuchtturm für besondere publizistische Leistungen” des “Netzwerk Recherche” geht in diesem Jahr an das MeToo-Rechercheteam der “Zeit”. Damit würdigt der Verein die Recherchen und Veröffentlichungen zur Affäre um Dieter Wedel. Die Vorsitzende von “Netzwerk Recherche”, Julia Stein: “Es ist den Autorinnen und Autoren der ZEIT zu verdanken, dass mit ihrer Recherche ein altes Wertesystem ins Wanken geraten ist: Was an Sexismus und bisweilen sogar an Despotismus lange hingenommen wurde, darf nun nicht mehr sein.”
Weiterer Lesehinweis der Vollständigkeit halber: Das Sternchen-System: Thomas Fischers Zeit-kritische Anmerkungen zum Medien-“Tribunal” gegen Dieter Wedel (meedia, Thomas Fischer vom 29.01.2018)

4. Abmahnungen bei Creative Commons: Wer, Warum, Was tun?
(irights.info, Paul Klimpel)
Manche Nutzer greifen zur Bebilderung ihrer Beiträge auf freie Inhalte zurück, die mit einer Creative-Commons-Lizenz versehen sind und erleben ihr blaues Wunder, wenn eine Abmahnung des Lizenzgebers bei ihnen eintrudelt. Der Rechtsanwalt Paul Klimpel erklärt die Thematik und gibt konkrete Tipps, worauf zu achten ist.

5. Großteil der Nothilfe für türkische Journalisten
(reporter-ohne-grenzen.de)
Passend zum Weltflüchtlingstag hat “Reporter ohne Grenzen” veröffentlicht, wofür der Großteil der Nothilfe verwendet wurde: Für 111 verfolgte Journalisten, von denen 58 im Exil leben müssen. In einem Zweiminuten-Video stellt “Reporter ohne Grenzen” einige der betroffenen Journalisten vor. Lohnenswert, weil aus den abstrakten Zahlen plötzlich Gesichter werden.

6. Die Flüchtlinge waren nur eine Phase
(zeit.de, Theresa Krinninger, Carolin Ströbele, Julius Tröger, Andreas Loos und Alsino Skowronnek)
In letzter Zeit hatten viele den Eindruck, dass deutsche Talkshows von Flüchtlingsdebatten dominiert werden. “Zeit Online” hat sich an die Fleißaufgabe gemacht, die Themen und Quoten von 900 Sendungen auszuwerten: “Die überraschendste Erkenntnis war, dass 2017 und im ersten Halbjahr 2018 die Themen Islam, Flüchtlinge, Integration und Terrorismus eher unterrepräsentiert waren. Insofern trifft der Vorwurf die deutschen Talkerinnen und Talker zumindest zum falschen Zeitpunkt.”

Man muss jedoch erwähnen, dass sich die Rechercheure nach eigener Aussage bei der Zuordnung und Kategorisierung der Sendungen nur an den Sendungstiteln und nicht an den tatsächlichen Inhalten und/oder Teildebatten orientiert haben. Diese Überschneidungen könnten das statistische Ergebnis sicher verändern und das subjektive Empfinden mancher Zuschauer in einem anderen Licht erscheinen lassen.

“Dies ist ebenfalls schlichtweg frei erfunden und unwahr”

Kommenden Donnerstag wird Stefan Raab mal wieder auftreten, nicht im TV, sondern live in Köln. Und “Bild” …

BILD kennt den geheimen Ablauf. Und Sie auch — mit BILDplus.

Das kündigt die Redaktion jedenfalls bei Bild.de an:

Screenshot Bild.de - Drei Jahre nach seinem letzten TV-Auftritt - Das Raab-Comeback! Auch Lena kommt

In der gedruckten “Bild” steht ebenfalls, wie “das Raab-Comeback” ablaufen solle:

Ausriss Bild-Zeitung - Bühnen-Show drei Jahre nach letzten TV-Auftritt - So läuft das Raab-Comeback

Bevor wir uns jetzt die Mühe machen, in die Details einzusteigen, kommen wir besser direkt zur Reaktion der Mitarbeiter von Stefan Raab, die für die Planungen zum Auftritt in Köln verantwortlich sind. Bei Facebook schreiben sie zu den Artikeln der “Bild”-Medien und zu einem “Spiegel Online”-Beitrag:

Screenshot eines Facebook-Posts auf der TV-Total-Facebook-Seite - Liebe Freunde der gepflegten Unterhaltung, Bild online und BILD haben einen Artikel zu Stefans bevorstehenden Shows veröffentlicht, der in großen Teilen schlicht erfunden ist. Die Informationen zu Ablauf und Inhalt der Show sind frei erfunden. Die Zusammenstellung der Gäste ist in Teilen erfunden. Es wird berichtet, dass es auch ein Mini-TV-Comeback gäbe sowie eine Live-Schalte zu ProSieben. Dies ist ebenfalls schlichtweg frei erfunden und unwahr. Zudem berichtet SPIEGEL ONLINE, dass ProSieben die gesamte Show live übertragen wird. Auch das ist einfach erstunken und erlogen, wie Sie feststellen werden, wenn Sie nächsten Donnerstag ProSieben einschalten. Die Show ist nur live in der Arena zu sehen. Wir behalten uns rechtliche Schritte gegen BILD, Bild online und SPIEGEL ONLINE wegen Täuschung der Öffentlichkeit und unserer Showbesucher sowie der Verbreitung von Fake News vor. Viel Vergnügen bei der Show am nächsten Donnerstag, wird natürlich knaller! Euer Stefan Raab live-Team

“Spiegel Online” hat den entsprechenden Artikel inzwischen korrigiert und am Ende des Textes folgenden Absatz hinzugefügt:

Anmerkung: In einer früheren Version des Artikel hieß es, ProSieben würde die Show komplett live übertragen. Das ist nicht korrekt.

Bei Bild.de haben sie die Passage zum kleinen TV-Comeback und zur Live-Schalte klammheimlich gelöscht. Dafür aber diese Information ergänzt:

Auf der Facebook-Seite von TV-Total wird die Zusammenstellung der Gäste und die Inhalte der Sendung allerdings als “in Teilen erfunden” beschrieben.

Trotzdem behauptet die Redaktion auch jetzt noch, dass “Bild” “den geheimen Ablauf” kenne.

An dieser Stelle sei noch mal an einen BILDblog-Klassiker erinnert: Nicht Stefan Raabs Mettbrötchen.

Nachtrag, 14. Oktober: Inzwischen haben sie bei Bild.de den Artikel noch einmal geändert. An der Stelle, die wir bereits gestern weiter oben zitiert haben, heißt es nun:

Auf der Facebook-Seite von TV-Total wird die Zusammenstellung der Gäste und die Inhalte der Sendung allerdings als “in Teilen erfunden” beschrieben. Bis zur Sendung sind einige Tage Zeit. Möglich, dass das Programm nun bis dahin noch einmal angepasst wird. Die Auftritte von Lena und Mutzke könnten nun in eine der anderen Shows verschoben werden.

Das ist ausgesprochen trickreich. Statt zu sagen: “Wir haben schlichtweg falsche Informationen weiterverbreitet — Pardon!”, raunt die “Bild”-Redaktion nun, dass das Raab-Team nachträglich das Programm ja “noch einmal anpassen” könnte (etwa um die “Bild”-Vorhersage, die eigentlich doch richtig war, dann als falsch dastehen zu lassen?).

Stefan Raabs Sprecherin Gaby Allendorf bestätigte uns noch einmal, dass es keine “Sendung” im Sinne einer TV-Sendung geben werde: “ProSieben überträgt nicht eine Sekunde”. Damit sei dieser Absatz im Bild.de-Artikel …

Aaron Troschke (29) übernimmt die Moderation. Während der Show soll Raab von der Bühne ins laufende Live-Programm von ProSieben zugeschaltet werden.

… gleich doppelt falsch. Denn die Live-Show werde auch nicht von Aron Troschke moderiert. Dieser habe “mit der Show nichts zu tun. Er ist dort auch kein Gast, das war auch nie eine Überlegung. Ist schlicht erfunden.”

Julian Reichelts “investigative journalistische Handwerkskunst”

Das Bundeskriminalamt (BKA) hat heute bei einer Pressekonferenz mitgeteilt, dass es einen Tatverdächtigen zum Diebstahl der Daten zahlreicher Prominenter und Politiker gebe. Der Mann sei geständig.

Wenige Stunde vor der Pressekonferenz des BKA ist die aktuelle Folge des Podcasts von Gabor Steingart erschienen. Sein Gast: Julian Reichelt. Mit ihm sprach Steingart gestern Abend über den Datenklau. Und der “Bild”-Chef zeigt in knapp 22 Minuten eindrucksvoll, wie häufig man treffsicher mit Mutmaßungen und Behauptungen danebenliegen kann.

  • Zum möglichen Täter

Julian Reichelt im Podcast:

Ich glaube, was relativ klar ist: Das waren nicht ein oder zwei Jungs, die bei Pizza und Cola light im Keller gesessen haben, bisschen Computerspiele, bisschen Youtube und dann bisschen was gehackt haben und das dann aufbereitet haben. Das muss eine größere Struktur gewesen sein.

Das BKA sagt heute: Der 20-Jährige sei Schüler ohne besondere technische Ausbildung oder Informatikstudium. Er habe sich das nötige Wissen durch Computeraffinität und viel Zeit draufgeschafft. Er lebe noch bei seinen Eltern in Mittelhessen. Immerhin: Von Pizza, Cola light, Keller und anderen Reichelt’schen Hacker-Klischees war nicht die Rede.

(an dieser Stelle beweist auch Gabor Steingart seine Expertise, als er schlussfolgerte: “Sprechen wir noch mal über das Handwerk, die Professionalität. Wenn man sich die Seite selber anschaut, es sieht nicht aus danach, dass Schüler ein paar E-Mails gehackt haben.”)

  • Zu möglichen Komplizen

Julian Reichelt im Podcast:

Der Umfang des Materials einerseits und die Liebe zum Detail, mit der dieses Material aufbereitet worden ist, mit Überschriften versehen worden ist, verschlagwortet ist, geordnet worden ist, deutet schon darauf hin, dass es sich um eine größere Zahl von Personen handelt und vor allem eine professionell vorgehende große Anzahl von Personen, die dieses Material aufbereitet hat.

Steingart fragt nach, wie viele Beteiligte Reichelt vermutet. Der “Bild”-Chef:

Wir haben es hier mit sehr aktuellen Daten zu tun, mit sehr vielen aktuellen Daten, die sehr liebevoll aufbereitet worden sind. Deswegen würde ich, sozusagen als interessierter, hochinteressierte Laie, was die Aufbereitung von Daten angeht, da schon eher auf eine gut zweistellige Zahl von Personen tippen, die sich damit beschäftigt haben muss

Das BKA sagt heute: Alles deute auf einen Einzeltäter hin.

  • Zu einer möglichen staatlichen Unterstützung

Julian Reichelt im Podcast:

Ich glaube nach allem, was wir an Hacks in den letzten Jahren gesehen und erlebt haben, ist das Wahrscheinlichste immer noch, dass es zumindest staatliche Unterstützung, von welcher Seite auch immer, für diesen Hack gab.

Das BKA sagt heute: Es gebe keine Hinweise für staatliche Unterstützung.

  • Zum möglichen Motiv

Julian Reichelt im Podcast:

Meine große Schlussfolgerung daraus ist, dass in enorm vielen Daten enorm wenig, so gut wie gar kein wirklich brisantes, skandalöses Material dabei war, was diese Aussage stützen würde, die ja da betrieben werden soll: Die Politik ist korrupt, die Politik ist verkommen, wir können uns auf unsere Politiker nicht verlassen, es gibt düstere Absprachen hinter den Kulissen, es gibt vielleicht Absprachen zwischen Medien und Politik. All das, was dort forciert werden soll oder routinemäßig bei solchen Hacks und Leaks forciert werden soll, das, muss man sagen, konnten wir dort nicht entdecken.

Das BKA sagt heute: Der Verdächtige habe angegeben, “aus Verärgerung über öffentliche Äußerungen der betroffenen Politiker, Journalisten und Personen des öffentlichen Lebens gehandelt zu haben.”

***

Gabor Steingart kündigte das Gespräch und seinen Gesprächspartner übrigens so an:

Der Datenklau und seine Folgen — dazu habe ich mit dem Mann gesprochen, der auf diesem Datenschatz jetzt sitzt und ihn mit einem Expertenteam derzeit nach allen Regeln der investigativen journalistischen Handwerkskunst auswertet. (…)

Der “Bild”-Chefredakteur, ein erfahrener Enthüller und ehemaliger Kriegsreporter, gibt freizügig Auskunft über seine Arbeit. Und, bei allem Nebel, den der Fall noch umgibt, erkennen wir jetzt in diesem Gespräch die Dimension einer Tat, die womöglich deutlich größer ist als das, was die Bundesregierung uns als Wahrheit zugestehen will.

Schwer zu sagen, was lustiger ist: Steingarts verschwörerisches Geraune oder Reichelts angebliche “investigative journalistische Handwerkskunst”.

“Focus Online” fällt auf autonome Abgassammler der “Titanic” rein

Was auf den ersten Blick nach einem schlechten Scherz aussieht, scheinen die Macher des Videos offenbar ernst gemeint zu haben.

… schreibt “Focus Online”.

Linksextreme die Autoabgase einsammeln, um sie zu einer Messstation zu tragen — was wie Satire klingt, war tatsächlich Gegenstand einer Anleitung, die kürzlich auf einer Internetseite von sogenannten Linksautonomen veröffentlicht wurde.

… heißt es bei der “Achse des Guten”.

“schlechter Scherz” — das ist Geschmackssache. Satire — auf jeden Fall! Denn die “Titanic” schreibt zu den linksautonomen Abgassammlern: Wir waren’s!

Die “Titanic”-Redakteure Leonard Riegel und Moritz Hürtgen haben “Focus Online” reingelegt. Sie haben sich unter dem Namen Michael Leitmayr — ein Münchner, “der als Hobby ‘linke Aktivitäten überwacht'” — bei dem Portal mit einem selbst zusammengefrickelten Video gemeldet, das vermeintlich auf der Plattform “Indymedia” veröffentlicht und dort wieder gelöscht wurde:

Wer die “Focus online”-App auf seinem Smartphone installiert hat, weiß, dass die Münchner Vollgasjournalisten jeden Tag zwischen fünf und hundert Push-Mitteilungen zum Thema Pkw ausgeben. Müsste das Faktenmagazin nicht zwingend berichten, wenn das Autohasser-Filmchen z.B. beim linksextremen Portal “Indymedia” auftaucht? Na klar, es müsste!

Das “Filmchen” mit dem Titel “TUTORIAL FEINSTAUBMESSSTATIONEN MANIPULIEREN” zeigt Hürtgen und Riegel mit Sturmhauben, wie sie mit einer Fußpumpe erst Abgase an einem Autoauspuff sammeln und diese dann an einer Frankfurter Messstation verteilen. Dazu die Slogans “Autokonzerne bekämpfen” und “Diesellobby zerschlagen”. Bei “Focus Online” haben sie einen Artikel draus gemacht:

Screenshot Focus Online - Radikale Maßnahmen für Fahrverbote? Autonome verbreiten Anleitung zur Manipulation von Feinstaub-Messstationen

Auf einer Internetseite wurde eine Anleitung verbreitet, wie man Feinstaub- und Stickoxid-Messstationen manipulieren könnte. Das Video liegt FOCUS Online vor.

Die “Achse des Guten” schrieb von “Focus Online” ab. Genauso die “Junge Freiheit”. Und auch “Spiegel”-Autor Jan Fleischhauer glaubte die Geschichte:

Screenshot eines Tweets von Jan Fleischhauer - Ich stelle mir gerade vor, wie der aufrechte Autonome mit einer Fusspumpe am Auspuff seines Autos Abgase einsammelt, um diese zur Messstation zu tragen und da dann wieder freizulassen. Irgendwie war das Autonomenleben auch schon mal glamouröser.

Unter anderem “Welt”-Chef Ulf Poschardt verbreitete Fleischhauers Tweet.

Und ja, es hätte einen relativ leichten Weg gegeben, die Sache vor Veröffentlichung zu überprüfen: Die “Titanic” (beziehungsweise Michael Leitmayr) hat nach eigener Angabe mit einem Mitarbeiter von “Focus Online” telefoniert und ihm erzählt, über Twitter auf den Link zur inzwischen gelöschten “Indymedia”-Seite gestoßen zu sein. Man könne sich aber nicht mehr erinnern, welcher Twitter-Account das genau gewesen ist, so die Notlüge der “Titanic”-Mitarbeiter. Nach diesem Link, der “Focus Online” durch einen Screenshot bekannt war, hätte man bei Twitter suchen können — und nichts gefunden. Dafür hätte man natürlich gewillt sein müssen, auf eine klickträchtige Story zu verzichten.

Alle Hintergrundinfos und ein Protokoll zur Aktion gibt’s bei der “Titanic”:

Strache-Video, Ventil oder Brandbeschleuniger, “heute-show”

1. Es geht alle an
(sueddeutsche.de, Kurt Kister)
Durften “SZ” und “Spiegel” das Strache-Video veröffentlichen, das vor zwei Jahren heimlich in einer Villa auf Ibiza aufgezeichnet wurde? Und spielt es eine Rolle, dass sie offenbar nichts über das Woher und Warum wussten? Kurt Kister wägt die Argumente gegeneinander ab und befindet: “Entscheidend ist, ob der Inhalt relevant ist. Dann gehört es in die Öffentlichkeit.”
Weitere Tipps zum Thema: Wie die SZ an das Videomaterial gelangt ist (sueddeutsche.de, Leila Al-Serori & Bastian Obermayer) und Wie der SPIEGEL das Strache-Video überprüft hat (spiegel.de). Und wer angesichts der ganzen Geschichte das Lachen verloren hat, kann es eventuell hier wiederfinden: So finden Sie versteckte Kameras in Ihrem Airbnb-Appartement (standard.at, Andreas Proschofsky).

2. Österreichs Medien und die Politik: Nicht für blöd verkaufen lassen
(derstandard.at, Hans Rauscher)
Der Sturz von Strache und Gudenus sei “nur eine Etappe im Kampf um Medien, die ihre Rolle in der Demokratie wahrnehmen”, findet Hans Rauscher im österreichischen “Standard”. Außerdem erklärt Rauscher die politisch-mediale Gemengelage: “Die “Krone” (und Fellners “Österreich”) haben die türkis-blaue Regierung hinaufgeschrieben und sind dafür mit Millionen in Form von Inseratengeld gefüttert worden. Die “Krone” wurde durch die unfassbare Dummheit von Strache und Co (“Die übernehmen wir mit russischem Geld”) vom Unterstützer zum Gegner der FPÖ. Seit sich René Benko, der Immobilientycoon und gute Bekannte von Sebastian Kurz, bei der “Krone” (und beim “Kurier”) eingekauft hat, betrachtet die “Krone” auch Kurz etwas skeptischer.”

3. Analyse der Rede von Sebastian Kurz
(threadreaderapp.com, Natascha Strobl)
Am Samstagvormittag trat Österreichs Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache nach der Veröffentlichung des sogenannten “Ibiza-Videos” zurück. Abends trat Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) vor die Kameras, verkündete das Ende der Zusammenarbeit mit der FPÖ und kündigte Neuwahlen an. Natascha Strobl hat genau hingehört und die Kurz-Rede einer lesenswerten und lehrreichen Textanalyse unterzogen.

4. Ventil oder Brandbeschleuniger?
(facebook.com/moritz.gathmann)
“Bild”-Chef Julian Reichelt hat jüngst bei einer gemeinsamen Veranstaltung von Schwarzkopf- und Hertie-Stiftung über die “Verantwortung im Journalismus” gesprochen (ja, wir mussten auch lachen). Moritz Gathmann hatte die Ehre, die Veranstaltung zu moderieren, und hat seine Eindrücke von dem Abend auf Facebook niedergeschrieben. Gathmanns Resümee: “Am Ende wirkt Reichelt auf mich wie ein Metzger, der sich an solchen Abenden nachdenklich gibt über die Frage, ob man Tiere essen solle. Und dann geht er am nächsten Tag wieder lustvoll an die Arbeit.”

5. Schädliche Neigungen
(message-online.com, Volker Lilienthal & Journalistik-Studierende der UHH)
Claas Relotius hat mit seinen gefälschten Artikeln vor allem dem “Spiegel” schweren Schaden zugefügt. Doch Relotius hat auch bei anderen Medien veröffentlicht, unter anderem bei der mittlerweile eingestellten “Financial Times” (Gruner + Jahr). Nun haben sich Volker Lilienthal, Professor für die “Praxis des Qualitätsjournalismus” an der Uni Hamburg, und ein Team aus Studenten und Studentinnen daran gemacht, die Relotius-Texte bei der “FTD” zu überprüfen. Eine der Einsichten: “Schon der frühe Relotius entwickelte schädliche Neigungen, er recherchierte seine Fakten nicht immer sorgfältig, er kupferte manchmal bei anderen ab, und er hübschte seine Storys gelegentlich auf, indem er Vor-Ort-Sein suggerierte und mutmaßlich auch Zudichtungen vornahm. Dies alles zu einer Zeit, als der damalige Mitzwanziger noch an der Hamburg Media School studierte bzw. kurz nachdem er dort Ende 2011 seinen Masterabschluss gemacht hatte.”

6. Liebe “heute-show”, wo ist deine Ambition geblieben?
(dwdl.de, Hans Hoff)
Anlässlich des bevorstehenden zehnten Geburtstags, hat Hans Hoff der “heute-show” einen Brief geschrieben. Dabei geht es um eine enttäuschte Liebe: “Mensch, “heute-show”. Du wirst zehn Jahre alt. Reiß dich mal am Riemen, mach mal das Kreuz gerade und schiel nicht immer nur nach Masse. Du warst doch mal eine ganz intelligente Form der Unterhaltung. Warst du nicht? Okay, dann war ich früher vielleicht anspruchsloser.”

“Bild” sinnentstellend, Bedrohte BBC, Werbung im Zwielicht

1. Presserat: Bild-Schlagzeile zu Klimaschutz und Arbeitsplätzen war sinnentstellend
(riffreporter.de, Daniela Becker)
Im September haben wir hier im BILDblog über die verzerrte Wiedergabe eines Interviews mit dem Gewerkschaftschef Jörg Hofmann berichtet (“Bild”-Verzerrung kostet richtige Klimaschutz-Aussage), in der die “Bild”-Redaktion eine Aussage Hofmanns nahezu ins Gegenteil verkehrt hatte. Nun hat der Presserat “Bild” dafür eine Rüge erteilt. Daniela Becker von den “RiffReportern” ordnet den Vorgang ein, erklärt die Hintergründe und weist darauf hin, dass der gerügte Beitrag bei Bild.de bis heute unverändert online stehe – ohne dass dort die Entscheidung des Presserats auch nur mit einer Silbe erwähnt werde.

2. BBC soll ab 2027 keine Gebühren mehr fordern dürfen
(zeit.de)
Die britische Regierung will laut Medienberichten die Gebührenfinanzierung der BBC abschaffen. Sie plane in einem ersten Schritt, die BBC-Finanzen für zwei Jahre einzufrieren und das bisherige Finanzierungsmodell anschließend ganz zu beenden. Der Sender solle sich künftig durch Abos und eine Teilprivatisierung finanzieren. Die BBC und andere Kritiker der geplanten Maßnahme sehen die Qualität des Programms bedroht und befürchten als Folge einen großen Personalabbau.

3. Hedwig Bollhagen trägt Breitbart
(taz.de, Steffen Grimberg)
Viele Unternehmen sind sich gar nicht im Klaren darüber, dass ihre onine geschaltete Werbung dank automatisierter Prozesse auch auf fragwürdigen Websites ausgespielt wird – darunter rechtsradikale Seiten voller Hass, Verschwörung und Desinformation. Die Initiative “Stop. ­Funding. Hate. Now!” macht die Firmen regelmäßig auf das Problem aufmerksam und führt Buch über die betreffenden Medien.

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4. Was ist Hassrede?
(sebastianmeineck.wordpress.com)
Wenn von “Hassrede” gesprochen wird, ist nicht immer das Gleiche gemeint. Ein genauer Blick auf das Wort und dessen Bedeutungen könne helfen, die gemeinten Probleme besser zu verstehen, findet der Journalist Sebastian Meineck: “Wer von Hassrede spricht und dabei ganz sicher auch auf Diskriminierung aufmerksam machen möchte, muss das wohl dazu sagen – ansonsten könnte das durch den inzwischen diffundierten Begriff von Hassrede übersehen werden.”

5. Erfolg für Verleger Holger Friedrich: Die Zeit muss Gegendarstellung drucken
(kress.de, Markus Wiegand)
Holger Friedrich, Eigner des Berliner Verlags (unter anderem “Berliner Zeitung”), ist gerichtlich gegen die “Zeit” vorgegangen. Diese hatte im November über die Stimmung beim Berliner Verlag berichtet und sich zur dortigen wirtschaftlichen Situation geäußert. Mit zwei seiner ursprünglich vier Gegendarstellungspunkten sei Friedrich erfolgreich gewesen, berichtet kress.de. Das gerichtliche Nachspiel sei damit noch nicht beendet.

6. Selbstironie zum Geburtstag: Wie die “Apotheken Umschau” sich als “Rentner-Bravo” feiert
(rnd.de, Imre Grimm)
Die “Apotheken Umschau”, Deutschlands reichweitenstärkstes Gesundheitsmagazin, wird scherzhaft oft als “Rentner-Bravo” bezeichnet. Zum 66. Geburtstag des Hefts hat sich die Redaktion einen besonderen Spaß erlaubt: Auf zehn Seiten gibt es Medizinthemen in “Rentner-Bravo”-Optik. Imre Grimm hat sich das Experiment im Rahmen einer kleinen Stilkritik angeschaut.

KW 22/22: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. Frank Thelens Aktien: Wie gefährlich ist seine Masche?
(youtube.com, Strg_F, Johannes Edelhoff & Timo Robben, Video: 29:39 Minuten)
Der aus der TV-Sendung “Höhle der Löwen” bekannte Investor Frank Thelen inszeniert sich als visionärer Unternehmer und preist auf seinen Social-Media-Kanälen seinen Publikumsfonds für Kleinanleger an. Die “Strg_F”-Redaktion hat sich Thelens Geschäftsgebaren näher angeschaut, und sagen wir es mal so: Die dort aufgeworfene Frage “Kann man Frank Thelen wirklich trauen?” scheint durchaus berechtigt zu sein.

2. Harald Schmidt im Café Brandstätter – Was darf Satire?
(youtube.com, Brandstaetter Verlag, Marlene Nowotny, Video: 44:02 Minuten)
“Könnte Thomas Bernhard heute noch seine Schimpftiraden veröffentlichen? Kann man mit Humor auf Femizide aufmerksam machen? Und war das Cover einer kürzlich erschienen Falter-Ausgabe gelungen oder doch sexistisch und geschmacklos?” Unter anderem über diese Fragen sprechen Late-Night-Urgestein Harald Schmidt, die Kabarettistin Tereza Hossa, die Medienanwältin Maria Windhager und die Journalistin Marlene Nowotny.

3. Steffen Klusmann: “Wir zahlen beim ‘Spiegel’ inzwischen normale Gehälter”
(abendblatt.de, Lars Haider, Audio: 48:46 Minuten)
Lars Haider, Chefredakteur des “Hamburger Abendblatts”, hat sich mit seinem Chefredakteurskollegen Steffen Klusmann vom “Spiegel” zum Gespräch zusammengesetzt. Es geht um Klusmanns Karriere, die Besonderheiten bei der Arbeit für das Nachrichtenmagazin, die Causa Claas Relotius, Klusmanns Sicht auf die Konkurrenz sowie um die Frage, warum das vergangene Jahr für den “Spiegel” so erfolgreich war.

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4. Daniel Bouhs über neue Projekte und alte Unbefangenheit
(youtube.com, Aline von Drateln & Björn Czieslik, Audio: 48:31 Minuten)
Der langjährige Medienjournalist Daniel Bouhs ist zum SWR gewechselt als “Redakteur mit besonderen Aufgaben” in der Landes­­sender­­direktion Rheinland-Pfalz. Im “turi2 clubraum” geht es um Bouhs’ neue berufliche Herausforderung, aber auch um Diversität in den Medien, den Ansturm auf das 9-Euro-Ticket und die Kommunikation von Robert Habeck.

5. Bares für Wahres – Digitalerlöse auf der Überholspur
(sr.de, Thomas Bimesdörfer & Michael Meyer, Audio: 16:16 Minuten)
Thomas Bimesdörfer und Michael Meyer haben sich Holger Kansky vom Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger in den Podcast eingeladen und sprechen mit ihm über die steigenden Erlöse und Abonnementzahlen im Netz: “Was sind die Ursachen für diesen digitalen Erfolg der Zeitungen, was verkauft sich besonders gut?”

6. Pianos are Never Animated Correctly… (SING)
(youtube.com, Amos Doll, Video: 46 Sekunden)
Zum Schluss der bislang kürzeste Gucktipp in dieser Rubrik: Amos Doll schaut sich regelmäßig Klavierszenen in Animationsfilmen an und spielt die jeweiligen Stücke anhand der von ihm beobachteten Fingerbewegungen nach. Sein Fazit lautet stets: “Pianos are Never Animated Correctly”.

Geleakter Jones, Documenta, Schlesingers (Teil)Rückzug

1. Geleakte Textnachrichten bringen Alex Jones in Bedrängnis
(spiegel.de)
Der rechte US-Moderator und Verschwörungsvermarkter Alex Jones ist anscheinend Opfer seiner eigenen Anwälte geworden. Die haben in einer juristischen Auseinandersetzung der Gegenseite offenbar eine vollständige digitale Kopie seines Handys samt aller Nachrichten zukommen lassen. Die Informationen gäben interessante Interna über das Geschäftsmodell aus Hass und Hetze preis, stünden aber auch im Widerspruch zu vorherigen Aussagen von Jones vor Gericht.
Weiterer Lesetipp: “Urteilsspruch gegen Amerikas obersten Verschwörungsideologen: Alex Jones muss den Eltern eines der Opfer des Sandy-Hook-Massakers eine Millionenentschädigung zahlen. Weitere Strafen dürften folgen.” Alex Jones muss mindestens vier Millionen Dollar Schadensersatz zahlen (spiegel.de).

2. Documenta-Bericht beim “Spiegel”: “Jagdtrieb wie ‘Bild’, ‘Welt’ und AfD”
(meedia.de)
“Spiegel”-Redakteur Alexander Neubacher hat in einem Meinungsbeitrag die Documenta wegen des Skandals um antisemetische Bilder als “Horrorshow” bezeichnet. Bei “Meedia” antwortet Peter-Matthias Gaede, langjähriger Chef der Gruner-Zeitschrift “Geo”, mit einem offenen Brief: “Der Jagdtrieb, den ‘Bild’ und ‘Welt’ und in einer besonderen Volte sogar die AfD auf vermeintlich in allen Gremien der Documenta 15 verwurzelte Antisemiten entfalten, ist deren Sache. Wie aber auch Sie und weitere Kolleg*innen vom ‘Spiegel’, ebenso wie manche von der ‘SZ’, derart hyperventilieren, einen derartigen Furor gegenüber der gesamten Documenta 15 entwickeln, halte ich für eine Form von Erregungsjournalismus, die fassungslos machen kann.”

3. Aufklärung in München
(sueddeutsche.de, Aurelie von Blazekovic)
Der Bertelsmann-Konzern hat das Institut für Zeitgeschichte in München mit der unabhängigen Aufarbeitung der Geschichte des “Stern” und dessen Gründers Henri Nannen beauftragt. Dabei werde auch die Bildsprache des “Stern” gescannt und ausgewertet. Es gehe um die Frage, wie “Topoi, Klischees, Charakterisierungen, Perspektiven, die schon im Nationalsozialismus zur Repräsentation von Personen und Kulturen in Bildern und Texten genutzt wurden, auch nach 1945 wieder auftauchen”.

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4. Digitaler Wandel „gewinnt an Tempo“
(verdi.de, Günter Herkel)
Der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger hat einen Report “Zur wirtschaftlichen Lage der deutschen Zeitungen” (PDF) herausgebracht. Günter Herkel hat sich den Bericht im Auftrag einer Journalistengewerkschaft angeschaut und fasst die seiner Meinung nach entscheidenden Erkenntnisse zusammen.

5. Resilienter Journalismus
(journalist.de)
“Wie können Medienschaffende und Mediennutzer mit dem permanenten Ausnahmezustand umgehen? Wie werden die Menschen resilienter in ihrer digitalen Mediennutzung? Und was muss getan werden, damit der Journalismus selbst robuster durch die vielfältigen Krisen kommen kann?” 40 Medienprofis beschäftigen sich im Sammelband “Resilienter Journalismus” mit den Herausforderungen des Journalismus in Zeiten des permanenten Ausnahmezustands.

6. Auch RBB-Intendantin kann Schlesinger nicht bleiben
(tagesspiegel.de, Kurt Sagatz)
Die umstrittene rbb-Intendantin Patricia Schlesinger hat den ARD-Vorsitz abgegeben. Nun sei ein weiterer Schritt fällig, findet Kurt Sagatz: “Sie sollte darum ebenso wie Verwaltungsratschef Wolf-Dieter Wolf ihr Amt als RBB-Intendantin bis zum Abschluss der Untersuchungen ruhen lassen. Dieser Schritt ist ebenso unausweichlich wie ihre ARD-Entscheidung von Donnerstag.”
Weiterer Lesetipp: Der Deutsche Journalisten-Verband begrüßt die Entscheidung von rbb-Intendantin Patricia Schlesinger, von ihrem Amt als ARD-Vorsitzende zurückzutreten (djv.de).

Audio-Photoshop, Sieg der Anstalt, Somuncus Wutattacke

1. O-Töne aus der Maschine? Adobes „Project VoCo“ könnte Radiowelt auf den Kopf stellen
(blmplus.de, Sandra Mueller)
Softwareriese Adobe arbeitet an einem Programm, das die einen begeistert und die anderen entsetzt. Noch ist “VoCo” nur ein Projekt, doch bald schon soll es als eine Art Photoshop für Audio auf den Markt kommen. Es sind viele Einsatzmöglichkeiten denkbar: Computerstimmen könnten zum Beispiel Radionachrichten vorlesen. Doch es geht auch anders: Mit der Software kann man einen Text auch mit der Stimme der Kanzlerin vorlesen lassen. Und schnell wird klar, dass Radiomacher bald in Erklärungsnöte hinsichtlich der Echtheit ihrer Aufnahmen geraten könnten. Laut einer Umfrage wünschen sich daher viele Befragte Transparenzregeln oder fordern sogar einen vollständigen Verzicht auf die neue Technologie.

2. “Zeit”-Journalisten scheitern mit Klage gegen ZDF-Satire
(spiegel.de)
Im Jahr 2014 ging es in der ZDF-Satiresendung “Die Anstalt” um die Frage der Unabhängigkeit von Journalisten beim Thema Sicherheitspolitik. Dabei wurden die Namen von zwei Journalisten ins Spiel gebracht: “Zeit”-Herausgeber Josef Joffe sei Mitglied, Vorstand oder Beirat in acht transatlantischen Organisationen, “Zeit”-Journalist Jochen Bittner Mitglied in drei entsprechenden Thinktanks. Dagegen hatten sich die beiden Journalisten mit einstweiligen Verfügungen und Unterlassungsklagen gewehrt. Nun hat der BGH zu Gunsten der “Anstalt” entschieden: Die Angaben zu den Interessenkonflikten der wegen unstreitiger Mitgliedschaften in Lobbyorganisationen würden grundsätzlich stimmen. Die Aussage, dass es “Verbindungen zwischen den Klägern und in der Sendung genannten Organisationen” gäbe, sei zutreffend.

3. Unter Verdacht (1)
(zeit.de, Thomas Fischer)
Nichts gerate im Strafverfahren so leicht und endgültig verloren wie die Unschuld. Wer schuldig sei und wer nicht, würden Justiz, Medien und Öffentlichkeit oft anders sehen, so BGH-Richter Thomas Fischer in seiner Kolumne “Fischer im Recht”. Es geht um drei konkrete Fälle von Anfangsverdacht, Betrugsverdacht und Migrationsverdacht, aber auch die abstrakten Rechtsbegriffe. Nicht mal so nebenbei zu lesen, aber eine wie immer lohnende, da klüger machende Lektüre mit Unterhaltungskomponente.

4. „Lügenpresse“ all’italiana
(de.ejo-online.eu, Heiner Hug)
Der italienische Politiker, Komiker, politischer Kabarettist und Schauspieler Beppe Grillo macht mal wieder von sich reden. Der Initiator der Bewegung “MoVimento 5 Stelle” (deutsch: Fünf-Sterne-Bewegung) will einen „Volksgerichtshof“ schaffen. Dieser soll aus Bürgerinnen und Bürgern bestehen, die Zeitungsartikel und Fernsehberichte auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen. Dies sei insofern verwunderlich, so der Autor Heiner Hug, da Grillo selbst ein bloggender Hitzkopf und Populist: “Und was er da fast täglich von sich gibt und behauptet, erfüllt die Kriterien „postfaktisch“ und „Fake News“ oft bei weitem. Zudem publiziert er – nachweisbar – Meldungen, die Putins Trolle verfassen.”

5. Nach Wutattacke im Interview: WDR-Mitarbeiterin geht wegen Beleidigung gegen Kabarettist Serdar Somuncu vor
(meedia.de, Marvin Schade)
Der für seine direkte und unverblümt bis ruppige Art bekannte Kabarettist Serdar Somuncu soll Ende 2015 in einem Interview den Sendern vorgeworfen haben, ihn und seine Programme zu zensieren und in beleidigender Weise eine konkrete Redakteurin genannt haben. Diese habe nun erst Kenntnis von dem Videomitschnitt und den Äußerungen Somuncus über sie erhalten und wolle, mit Unterstützung ihres Arbeitgebers, dem WDR, wegen schwerer Beleidigung gegen Somuncu vorgehen.

6. So schauen die Fans die Handball-WM
(haz.de)
Die heute beginnende Handball-WM ist in gewisser Weise ein Novum: Erstmals soll eine sportliche Großveranstaltung in Deutschland nur von einem Sponsor im Internet gezeigt werden. Die “Haz” erklärt, wie es zu der merkwürdigen Situation kam und verrät wie und wo man die Spiele sehen kann.
Alternative für Kulturliebhaber: Ab 18.30 Uhr kann man live via Youtube bei der Einweihung der Elbphilharmonie und dem Eröffnungskonzert dabei sein. Das Besondere: Es soll einen spektakulären 360°-Livestream geben!

Framing-Eigentor, “Digitaler Gangster” Facebook, Artikel 13

1. Das Eigentor: Wie die ARD rechten Kritikern in die Karten spielte
(haz.de, Imre Grimm)
Dominierendes Thema in der Medien-Berichterstattung ist derzeit das Framing-Gutachten, das die Sprachforscherin Elisabeth Wehling für die ARD angefertigt hat. Imre Grimm kommentiert: “Die Empörung mag überdreht und bigott sein, doch für die ARD ist das “Framing Manual” ein klassisches Eigentor. Sie wollte ihr Image verbessern — und hat das Gegenteil erreicht.”
Stefan Niggemeier nennt das Ganze auf “Übermedien“ “eine absurde Debatte um ein misslungenes Papier”. Die ARD-Generalsekretärin Susanne Pfab spricht im “Deutschlandfunk” von einen Denkanstoß für die interne Diskussion: “Es ist kein Geheimpapier, sondern es ist schlicht und ergreifend nicht für die Öffentlichkeit gedacht.”
Detlef Esslinger kritisiert in der “SZ” die Kritiker, die in Zusammenhang mit dem Gutachten von “Umerziehung” und “Neusprech” sprechen: “Mehrere Autoren nutzen die Werkzeuge der Linguistik, um eine Linguistin zu diskreditieren, weil sie der ARD empfiehlt, sich mithilfe ihres Fachs gegen die Feinde des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu wehren. Dies ist ebenso raffiniert wie infam.”
Mittlerweile hat die ARD laut “SZ” auch die Kosten für das von ihr beauftragte “Framing Manual” offengelegt: Die “Workshop-Unterlage” (Ulrich Wilhelm, ARD-Vorsitzender) habe in Verbindung mit den veranstalteten Workshops 120.000 Euro gekostet.

2. “Wir überschätzen Desinformation in sozialen Medien maßlos”
(spiegel.de, Patrick Beuth)
Der “Spiegel” hat mit dem in Washington lehrenden Politikwissenschaftler und Geheimdienstexperten Thomas Rid über Geheimdienst-Operationen im Netz gesprochen. Sind staatlich gelenkte Desinformationskampagnen in sozialen Medien tatsächlich ernstzunehmende Angriffe auf unsere Demokratie, wie von manchen westlichen Politikern befürchtet? Rid ist gelassen: “Ich bin zumindest absolut sicher, dass wir Desinformation in sozialen Medien maßlos überschätzen. Gerade im Vergleich zu anderen Ansätzen wie dem Hacken von Politikern und der Veröffentlichung ihrer Daten und Dokumente, dem Hacken von Wahlinfrastruktur oder der Finanzierung von rechtsextremen Parteien.”
Weiterer Lesehinweis: Link 3, der zumindest in Großbritannien anderes befürchten lässt.

3. Massive Rechtsverstöße
(deutschlandfunk.de, Tobias Armbrüster & Mirjam Kid, Audio: 5:38 Minuten)
Welche Rolle spielte Facebook bei Desinformationskampagnen und Wahlbeeinflussung in Großbritannien, und welche Auswirkungen hatten diese beispielsweise auf das Brexit-Referendum? Britische Parlamentarier haben sich mit den Praktiken von Facebook beschäftigt und einen dramatischen Abschlussbericht vorgelegt: Das Unternehmen habe vorsätzlich und wissentlich gegen Datenschutz- und Wettbewerbsrecht verstoßen. Originalzitat: “Unternehmen wie Facebook, die sich selbst vor und über dem Gesetz sehen, sollte es nicht erlaubt werden, sich wie ‘digitale Gangster’ in der Online-Welt aufzuführen”.

4. Uploadfilter waren gestern
(internet-law.de, Thomas Stadler)
IT-Anwalt Thomas Stadler hat sich den umstrittenen Artikel 13 der Richtlinie über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt näher angeschaut. Die neue Sprachregelung erfordere nicht nur die Einführung der viel diskutierten Uploadfilter, sondern verpflichte Plattformbetreiber, beim Rechteinhaber eine Lizenz zu erwerben: “Anbieter von User-Generated-Content Plattformen wie YouTube, nach meiner Einschätzung aber auch soziale Netzwerke wie Facebook, Instagram oder Twitter, werden damit also so behandelt, als würden sie die urheberrechtlichen Nutzungshandlungen ihrer User selbst vornehmen, weshalb sie auch originär dafür verantwortlich wären, sich selbst beim Rechteinhaber eine urheberrechtliche Gestattung (Lizenz) zu besorgen.”

5. TÜV für Glaubwürdigkeit?
(sueddeutsche.de, Jakob Maurer)
Das amerikanische Start-Up “NewsGuard” beurteilt die Glaubwürdigkeit und Transparenz von Online-Medien. Ein Ampelsystem soll dem Nutzer im Browser die Vertrauenswürdigkeit von bislang 4500 englischsprachigen Nachrichtenseiten anzeigen. Finanzieren will man sich über die Plattformen und Suchmaschinen, die das Tool in ihr Interface aufnehmen. Mit Microsoft habe man sich bereits zu einer Kooperation verabredet: “NewsGuard” soll Teil des auf Windows-System vorinstallierten Webbrowsers Edge werden. Ob das Ganze zielführend ist, wird kontrovers diskutiert. So ist der Mainzer Kommunikationswissenschaftler Philipp Müller skeptisch und sieht die Gefahr, dass “der Schuss nach hinten losgehen kann”.

6. Lührssen will Spitzenkandidat der Bürger in Wut werden
(weser-kurier.de, Kornelia Hattermann)
Nachdem der Fernsehjournalist Hinrich Lührssen damit gescheitert ist, sich als Spitzenkandidat der Bremer AfD aufstellen zu lassen, hat er die Partei verlassen. Lührssen will nun Karriere bei einer anderen Partei machen, den — Achtung, Realsatire — “Bürgern in Wut”.

Merkels Zittern, GOA-Preisträger, Abgeknallte Drohne

1. Preise für die besten Seiten im Netz
(wdr.de, Susanne Schnabel)
Gestern ist in Köln der begehrte Grimme Online Award vergeben worden. Zu den Ausgezeichneten zählen unter anderem der “Krieg und Freitag”-Zeichner Tobias Vogel, das “Techniktagebuch”, die “Krautreporter” und “Wem gehört Hamburg”. Insgesamt gab es 1.200 Vorschläge und 28 Nominierte.
Weiterer Lesetipp: Das Grimme-Institut kritisiert das zu geringe Angebot von geeigneten Online-Angeboten für Kinder: Wenig Auswahl für junge Mediennutzer (deutschlandfunk.de, Annika Schneider).

2. Wer spielt denn schon mit Mädchen?
(faz.net, Axel Weidemann)
Vor ein paar Jahren bestand die Hoffnung, dass in Computerspielen Frauen nicht nur als schmückendes Beiwerk auftauchen, sondern tragende Rollen übernehmen. Von dem leisen Wandel ist jedoch nicht viel übrig geblieben, wie aus einem Bericht für das “Wired”-Magazin hervorgeht.

3. Das große Zittern
(taz.de, Ambros Waibel)
“Warum zum Teufel wollen fast 280.000 Leute etwa auf dem YouTube-Kanal von RT Deutsch sehen, wie Merkel zittert?” Ambros Waibel schreibt über den fragwürdigen Nachrichtenwert des kleinen Schwächeanfalls von Angela Merkel.

4. Verschärftes Vorgehen gegen Exil-Blogger
(reporter-ohne-grenzen.de)
Anscheinend will Bahrain auf der Rangliste der Pressefreiheit noch weiter nach hinten rutschen (derzeit Platz 167 von 180): Nach Angaben von “Reporter ohne Grenzen” geht das Land auch gegen im Exil lebende Bloggerinnen und Blogger vor. Das betreffe beispielsweise den in Deutschland lebenden Exil-Blogger Sajed Jusif al-Muhafdha. “Offensichtlich will Bahrain die letzten Nischen für Kritik an der Regierung schließen und sogar Bloggerinnen und Blogger im Exil mundtot machen. Bahrains Behörden gehen schon lange mit großer Brutalität gegen regierungskritische Medienschaffende vor. Jetzt nehmen sie die einfachen Internetnutzerinnen und -nutzer ins Visier. Künftig muss dort jeder und jede mit Verfolgung rechnen, die sich über soziale Medien aus unabhängigen Quellen informieren will.”

5. “Viele lesen Haaretz, weil sie keine Alternative haben”
(sueddeutsche.de, Alexandra Föderl-Schmid)
Die israelische Tageszeitung “Haaretz” ist dieses Jahr 100 Jahre alt geworden. “SZ”-Korrespondentin Alexandra Föderl-Schmid hat dem Blatt einen Besuch abgestattet und mit dem Chefredakteur über Rolle, Funktion und Leserschaft der Zeitung gesprochen. Und es geht um die Ausrichtung des oftmals als politisch links wahrgenommenen Mediums. Wobei es nicht von der nach eigener Definition rechtesten Regierung Israels profitiere: “Wir haben keine Trump-Blase.”

6. Anwohner durfte Drohne mit Luft­ge­wehr abschießen
(lto.de)
Eine Meldung mit indirektem Medienbezug, denn Drohnen spielen in unserer Medienwelt eine immer größer werdende Rolle. Und werden auch dafür genutzt, gegen das geltende Recht Aufnahmen zu produzieren. Nun hat das Amtsgericht Riesa einen Mann freigesprochen, der die 1.500 Euro teure Drohne seines Nachbarn mit seinem Luftgewehr abgeschossen hat.

“Sein Leben ist ein Märchen”. Und der Artikel auch

Einen boulevardtauglichen Namen hat “Bild”-Hollywood-Korrespondent Norbert Körzdörfer für Bong Joon-ho schon mal gefunden:

Screenshot Bild.de - Parasite-Regisseur - Wer ist der neue King Bong von Hollywood?

Und die Geschichte, die Körzdörfer über den südkoreanischen Regisseur, der für “Parasite” jüngst vier Oscars bekommen hat, erzählen kann, passt auch wunderbar: “King Bong”, dessen Film von einer armen Familie handelt, die sich bei einer reichen Familie einnistet, komme ebenfalls aus einer armen Familie:

Er kam von einer armen Familie und war fasziniert vom US-Kino — “Der weiße Hai” oder “Der Pate”.

Eine ähnliche Story ist seine Thriller-Satire “Parasite”.

Story: Eine arme Familie schleicht sich in die Villa von Millionären. Es ist eine Satire, ein Märchen und endet [entfernt wegen Spoilergefahr]. Bong lachend: “Wenn meine Familie so eine Villa haben möchte, würden wir 500 Jahre dafür arbeiten müssen.”

Aber mit 4 Oscars ist sein Wert derartig gestiegen, er wird für seinen nächsten Film 5 Millionen fordern können — und Gewinn-Beteiligung.

Jetzt kann er sich auch eine Villa in Seoul kaufen — oder in Hollywood. Sein Leben ist ein Märchen, das wahr geworden ist.

Wir haben starke Zweifel, dass das alles so stimmt, und dass Bong Joon-ho das so gesagt hat. Eher denken wir, dass Norbert Körzdörfer hier eine Erzählung fabriziert, die zwar passend klingt, aber wenig mit der Realität zu tun hat.

Bong Joon-hos Vater war Professor und Designer. Er verdiente offenbar so gut, dass seine Ehefrau nach der Geburt ihres ersten Kindes ihren Job als Grundschullehrerin aufgeben konnte. Die Familie konnte es sich leisten, dass Bong Joon-ho an der Yonsei Universität studierte, einer privaten Elite-Universität in Seoul. Genauso sein Bruder Bong Joon-soo.

Das Zitat von Bong Joon-ho, dass dessen Familie “500 Jahre” für “so eine Villa” arbeiten müsste, dürfte Norbert Körzdörfer maximal aus dem Zusammenhang gerissen — um nicht zu sagen: erfunden — haben. Es gibt eine ganz ähnliche Aussage am Ende von “Parasite”: Während die Credits laufen, singt die Hauptfigur Kim Ki-woo ein Lied, in dem es darum geht, dass er 564 Jahre arbeiten müsste, um sich das Haus aus dem Film kaufen zu können. Bong Joon-ho hat den Text zu diesem Song zwar geschrieben. Darin schrieb er aber nicht über sich selbst.

Es würde auch nicht so richtig passen, dass die Familie des Regisseurs so lange für eine Villa arbeiten müsste. Ein Bruder ist Professor, eine Schwester unterrichtet ebenfalls an einer Universität. Und auch Bong Joon-ho hatte schon vor “Parasite” enorme Erfolge mit seinen Filmen, auch in kommerzieller Hinsicht: “The Host” aus dem Jahr 2006 hat mehr als 89 Millionen US-Dollar an den Kinokassen eingespielt, “Snowpiercer” (2013) nur etwas weniger. Mit “Okja” (2017) produzierte Bong Joon-ho auch einen Film für Netflix. Das Budget: 50 Millionen US-Dollar. Die Aussage, dass er sich erst “jetzt”, nach seinem Erfolg mit “Parasite”, “auch eine Villa in Seoul” kaufen könne, dürfte also Quatsch sein. Das müsste er schon vorher gekonnt haben.

Nun kann es natürlich sein, dass Bong Joon-ho trotz der hier von uns aufgeführten Punkte aus einer armen Familie kommt und dass er das mit den 500 Jahren irgendwo mal in irgendein Mikrofon gesagt hat. Daher haben wir bei “Bild” und bei Norbert Körzdörfer nachgefragt, woher die Informationen und das Zitat stammen. Wir haben keine Antwort bekommen.

Mit Dank an Maximilian A. für den Hinweis!

tag24.de lässt Corona-Sterberate für ältere Menschen steigen

Die Überschrift soll vermutlich sowas wie Aufklärung versprechen:

Screenshot Tag24.de - Coronavirus: Diese Zahlen zeigen, wie gefährlich es wirklich ist!

Was das Newsportal tag24.de dann aber heute liefert, ist das exakte Gegenteil von Aufklärung: eine gefährliche Verdrehung und falsche Information.

Die Redaktion schreibt, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler “mittlerweile immer mehr Zahlen (vor allem aus China) über die Krankheitsverläufe und Sterberaten auswerten konnten”, und dass daher “die Gefahr des Virus immer offenbarer” werde. Um konkreter zu werden, zieht tag24.de den Virologen Christian Drosten heran:

Christian Drosten (48), Chef-Virologe der Charité Berlin, warnt, dass jeder vierte Erkrankte, der über 65 Jahre alt ist, an dem Virus sterben könnte.

Das liegt vorallem daran, dass Menschen in diesem Alter kein so starkes Immunsystem mehr haben und oft unter Vorerkrankungen leiden.

“Jenseits des Rentenalters muss man die Bevölkerung wirklich schützen”, erklärte Drosten im NDR Podcast.

Aus der “könnte”-Warnung von Drosten macht tag24.de eine unausweichliche Tatsache, extra gefettet und mit Ausrufezeichen:

Um es noch einmal anders auszurücken [sic]: Jeder Vierte, der sich in einem Alter ab 65 das Virus einfängt, stirbt daran!

Ja, das ist wirklich “anders” ausgedrückt.

Tatsächlich sagte Drosten in dem angesprochenen NDR-Podcast (Folge vom 9. März, hier das Transkript als PDF):

Ich habe gestern mit meinem Vater telefoniert, der lebt in einem ländlichen Bereich. Und der sagt mir, alle seine Altersgenossen sehen das im Fernsehen, und die finden das super, dass der Sohn von dem Drosten immer im Fernsehen ist. Die finden das verfolgungswürdig und schicken sich per WhatsApp die neuesten Informationen zu. Aber die beziehen das noch nicht wirklich auf sich. Die haben noch nicht verstanden, dass sie in dieser Altersgruppe sind — mein Vater ist über 70 und seine Alterskollegen, Vereinskollegen und so weiter, das ist ein blühendes Vereinsleben dort im ländlichen Bereich –, dass sie eigentlich die wirklich Betroffenen sind und dass auch das Sozialleben jetzt für einige Monate aufhören muss. Der Verein, das Fitnessstudio, und auch leider das Schützenfest. Dass das alles in diesem Sommer betroffen sein wird, und dass es jetzt ernst ist. Und wenn man das nicht ernst nimmt, dass man davon ausgehen muss, dass Raten, die sich im Bereich von 20 Prozent, 25 Prozent dieser Personen bewegen, sterben werden. Da schluckt man dann natürlich, das muss man aber vermitteln.

Zahlen aus China, für die 1023 Todesfälle ausgewertet wurden und die tag24.de in dem Artikel auch in einer Grafik eingebaut hat, zeigen, dass dort die Sterberate für 60- bis 69-Jährige, die sich infiziert haben, bei 3,6 Prozent lag, für 70- bis 79-Jährige bei 8,0 Prozent und für Über-80-Jährige bei 14,8 Prozent.

Mit Dank an Ronny für den Hinweis!

Nachtrag, 20:53 Uhr: Die Redaktion hat die Stelle inzwischen, ohne Korrekturhinweis, geändert. Dort steht nun:

Um es noch einmal anders auszudrücken: Bis zu jeder Vierte, der sich in einem Alter ab 65 das Virus einfängt, könnte daran sterben!

Bei Twitter verbreitet sie den Unsinn hingegen weiterhin.

Bei “Bild” sind die Muslime daran schuld, dass die Kirchen zu sind

Die “Bild”-Redaktion versucht heute mal wieder, Religionen und deren Anhänger gegeneinander auszuspielen:

Ausriss Bild-Zeitung - Keine Gottesdienste - Kirchen aus Sorge vor Ramadan-Chaos geschlossen

Die vier “Bild”-Autoren Ralf Schuler, Filipp Piatov, Nikolaus Harbusch und Tomas Kittan schreiben, dass sie aus Quellen rund um die “Schalte von Bundeskanzleramt und Länderchefs” erfahren hätten, dass die Furcht vor einem möglichen Chaos zum muslimischen Fastenmonat Ramadan dafür sorge, dass auch die christlichen Kirchen und die jüdischen Gemeinden weiter geschlossen bleiben müssen:

Bislang untersagte die Bundesregierung den Bürgern das gemeinsame Beten aus Angst vor Corona — jetzt ist es die Sorge wegen eines möglichen Chaos an Ramadan. (…)

Wahrer Hintergrund der Entscheidung [weiterhin keine Gottesdienste stattfinden zu lassen] nach BILD-Informationen: Anders als bei den großen christlichen Kirchen und jüdischen Gemeinden sieht die Politik bei den Muslimen in Deutschland keine zentralen Ansprechpartner, die verlässlich Regeln (Abstand, Hygiene et cetera) in den Moscheen flächendeckend durchsetzen könnten. Deshalb sollen nun alle Gotteshäuser möglichst mindestens noch bis zum Ende des in der kommenden Woche beginnenden Fastenmonats Ramadan (23. April bis 23. Mai) geschlossen bleiben.

Warum es mit Blick auf die Corona-Pandemie jetzt weniger gefährlich sein soll als noch vor ein paar Tagen, wenn vorwiegend ältere Menschen in einem geschlossenen Raum dicht beieinander sitzen und christliche Lieder schmettern, wobei sicher auch das eine oder andere Speicheltröpfchen durch die Luft fliegen dürfte, erklärt “Bild” nicht. Stattdessen der Tenor: Die wilden Muslime, die in ihren Schmuddelmoscheen aufeinanderhocken und sich nicht mal richtig die Hände waschen, sind schuld, dass wir Christen nicht zum Gottesdienst in unsere Kirchen dürfen.

So treibt man einen Keil zwischen Menschen, die momentan eigentlich dieselbe für sie schwierige, ärgerliche Situation durchleben.

Bereits gestern Abend erschien der Beitrag auch bei Bild.de:

Screenshot Bild.de - Keine Corona-Lockerungen für Gotteshäuser - Kirchen aus Sorge vor Ramadan-Chaos geschlossen

Natürlich hinter der “Bild plus”-Paywall, wodurch alle die spalterische Überschrift lesen, aber nur wenige die angeblichen Hintergründe erfahren konnten.

Die einschlägig islam- und muslimfeindlichen Kreise hat die “Bild”-Redaktion mit ihrem Artikel jedenfalls zielgenau erreicht:



Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Nachtrag, 15:12 Uhr: Mal abgesehen von der Stimmungsmache durch die “Bild”-Redaktion: Es stimmt auch nicht, dass die Kirchen alle “geschlossen” sind, wie etwa Bild.de teasert. Es gibt eine ganze Reihe von Kirchen, die fürs stille Gebet weiterhin geöffnet sind. Nur Gottesdienste dürfen nicht stattfinden.

RT Deutsch hat Expansionspläne, Extremismusforscher, Teurer Tweet

1. RT DE will Online-Sender zum Fernsehkanal ausbauen
(deutschlandfunk.de, Annika Schneider, Audio: 5:59 Minuten)
Der vom russischen Staat bezahlte Auslandssender RT Deutsch produziert in Berlin-Adlershof deutsche Inhalte fürs Internet. Doch nun soll aus dem Youtube-Sender, der regelmäßig durch einseitige Berichterstattung oder Desinformation auffällt, ein echter Fernsehkanal werden. Das wirft Fragen auf, denn die dafür notwendige Sendelizenz dürfe laut Medienstaatsvertrag nicht an staatlich finanzierte Betreiber vergeben werden.

2. “Auf Facebook wird wenigstens gestritten”
(zeit.de, Tanya Falenczyk)
Jakob Guhl ist Extremismusforscher und untersucht in London am Institute for Strategic Dialogue, wie Hass und Radikalisierung im Internet entstehen. “Zeit Online” hat ihn im Interview unter anderem gefragt, ob es etwas bringt, radikale Stimmen von Sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter zu verbannen. Guhl ist hin- und hergerissen: “Ich glaube, Deplatforming ist nur ein Werkzeug in einem ganzen Werkzeugkasten. Dass Plattformen ihr Hausrecht nutzen und radikale Accounts sperren, finde ich richtig, wenn es eben transparenter wird. Aber wir brauchen online auch Gegenrede, im Kommentarbereich und im direkten Austausch.”

3. Doch, PCR-Tests weisen Infektionen nach – und Christian Drostens Doktorarbeit gibt es
(correctiv.org, Till Eckert)
In Corona-Leugner- und “Querdenker”-Kreisen wird oft der Vorwurf erhoben, PCR-Tests würden keine Infektionen nachweisen, und der Virologe Christian Drosten sei eigentlich “gar kein Doktor”. Dank Social Media schwappen die Meldungen auch in andere Kreise und sorgen dort für Verunsicherung. “Correctiv” hat in einem Faktencheck beide Behauptungen geprüft: Sie sind, wenig überraschend, falsch.

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4. US-Forscher*innen verlangen Anpassung des Urheberrechts während der Pandemie-Notlage
(irights.info, Georg Fischer)
Mehr als 100 Organisationen sowie knapp 150 Einzelpersonen fordern in einer gemeinsamen Erklärung an die Welthandelsorganisation einen flexibleren Umgang mit Urheberrechten während der Pandemie. “Der Zugang zu wissenschaftlichem Wissen sei essentiell, um die Pandemie auf globaler Ebene zu bekämpfen, so die Erklärung. Die Regelungen geistigen Eigentums in vielen Ländern, darunter vor allem Urheber- und Patentrechte, würden diesen Zugang jedoch erheblich erschweren oder sogar unmöglich machen.”

5. RSF klagt gegen Facebook
(reporter-ohne-grenzen.de)
Reporter ohne Grenzen kritisiert Facebooks Umgang mit Hassrede und Desinformation und hat bei der Pariser Staatsanwaltschaft Klage gegen das Unternehmen eingereicht. Der Klagegrund: “Betrügerische Geschäftspraktiken”. Die in den Nutzungsbedingungen und Gemeinschaftsstandards getroffenen Zusagen zum Verbraucherschutz würden größtenteils nicht eingehalten. Facebook habe beispielsweise zugelassen, dass sich Falschinformationen im Kontext der Covid-19-Pandemie sowie Hasskommentare und Drohungen gegen Medienschaffende ungehindert verbreiteten.

6. Erster Tweet der Welt bringt bei Auktion fast drei Millionen Dollar
(spiegel.de)
Der Twitter-Mitgründer und heutige Firmenchef Jack Dorsey hat seinen ersten Tweet – genauer: die digitale Originalkopie davon – für gut 2,9 Millionen US-Dollar versteigern lassen. Dorsey hatte am 21. März 2006 geschrieben: “just setting up my twttr”. Der Auktionserlös kommt einer Organisation zugute, die arme Menschen auf dem afrikanischen Kontinent unterstützt.

Querdenkende Querschläger, TikToks Bytedance mit Amthor, MTV wird 40

1. Geschlagen und getreten
(taz.de, Volkan Ağar)
Jörg Reichel, ein Landesgeschäftsführer der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union, ist bei der (eigentlich verbotenen) “Querdenken”-Demo in Berlin angegriffen und verletzt worden. Reichel sei laut Angaben der Gewerkschaft seit Monaten von Personen aus der “Querdenken”-Szene diffamiert und bedroht worden, sein Name und Foto hätten in einschlägigen Telegram-Kanälen kursiert: “Jörg hat sich davon nicht einschüchtern lassen und weitergemacht. Er hat zahllose Journalistinnen und Journalisten, die von diesen Demos berichten, unterstützt und sich dafür eingesetzt, dass sie sicher arbeiten können. Für dieses Engagement als Gewerkschafter ist er nun selbst offenbar gezielt angegriffen worden.”

2. Tiktoks Ringen um Einfluss
(deutschlandfunk.de, Brigitte Baetz, Audio: 8:58 Minuten)
Wie der “Spiegel” jüngst herausfand, lobbyiert die Videoplattform TikTok verstärkt in Deutschland, unter anderem beim CDU-Abgeordneten Philipp Amthor. Was steckt dahinter? Und welche Absichten verfolgt der chinesische Mutterkonzern Bytedance? Darüber hat sich der Deutschlandfunk mit Simon Hurtz unterhalten, einem der Köpfe des “Social Media Watchblogs”.

3. Nachrichten von ARD und ZDF: keine Olympia-Bilder in den Mediatheken
(rnd.de)
ARD und ZDF bieten online bis zu zehn parallele Olympia-Livestreams, doch Olympia-Bilder in den Nachrichtensendungen in den Mediatheken gibt es nicht zu sehen. Das sei eine Folge des Geoblockings, wie ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky erklärt. Die Olympia-Rechte der öffentlich-rechtlichen TV-Sender gälten nur in Deutschland.

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4. Die FAZ verkündet mehr als 180.000 Digitalabos – und erhöht die Gehälter
(kress.de, Marc Bartl)
Die “FAZ” zeigt sich zufrieden mit den aktuellen Geschäftszahlen. Diese hätten sowohl im Jahr 2020 als auch in den ersten Monaten des laufenden Jahres eine “erfreuliche Entwicklung” genommen. Im Unterschied zu anderen Medienhäusern hatten die Frankfurter keine Kurzarbeit wegen Corona angemeldet und würden jetzt nicht nur die Gehälter erhöhen, sondern auch eine Sonderprämie ausschütten.

5. Bundesregierung startet ressortübergreifende Suchmaschine
(sueddeutsche.de)
Die Staatsministerin für Digitalisierung Dorothee Bär will ein “Netzwerk für digitale Aufklärung” etablieren, das einen ressortübergreifenden Zugang zu Digitalthemen bieten soll. “Gerade bei Querschnittsthemen wie etwa der Digitalisierung, die die Zuständigkeit verschiedener Ressorts berühren, fehlte bislang eine zentrale Suche, mit der alle Informationsangebote angezeigt werden”, so die CSU-Politikerin zum Start des Projekts.

6. Musikfernweh
(faz.net, Axel Weidemann)
Der Musiksender MTV ist 40 Jahre alt geworden, und Axel Weidemann weiß nicht, ob er gratulieren oder lieber höflich schweigen soll: “Als Distinktionswerkzeug ist MTV unbrauchbar geworden, ein geschminkter Zombie, der – das Kinn in die Hände gestützt – am Grab seines deutschen Kollegen ‘Viva’ (1993 bis 2018) sitzt und darauf wartet, dass das Internet wieder abgestellt wird.”

Verschwörungs-Report, Bittere Schulhofisierung, Übelleitungen

1. “Er leistet rechten Kräften Vorschub”
(kontextwochenzeitung.de, Josef-Otto Freudenreich)
“Kontext” hat 13 Zeitungshäuser angeschrieben und nach ihrer Meinung zu den Aussagen von Springer-Vorstand und BDZV-Präsident Mathias Döpfner gefragt. Es gab nur eine Antwort, und die ist umso bemerkenswerter, denn es handelt sich dabei um den ehemaligen BDZV-Vize Richard Rebmann: “Der BDZV hat die Aufgabe, die Unabhängigkeit der deutschen demokratischen Verlage zu wahren und das Ansehen der Verlage zu fördern. Ob Herr Döpfner diesem Anspruch noch gerecht werden kann, müssen er selbst und die Mitglieder entscheiden. Ohne klare Distanzierung von seinen Aussagen fällt es mir schwer zu glauben, dass Herr Döpfner weiterhin Präsident des BDZV bleiben kann.”

2. Ein jahrelanges Martyrium in Deutschland – und niemand hält es auf
(spiegel.de, Sascha Lobo)
Sascha Lobo bescheinigt Justiz, Medien und Gesellschaft ein katastrophales Versagen im Umgang mit den Geschehnissen um den Youtuber “Drachenlord”, der kürzlich zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt wurde: “Es ist die bitterste Schulhofisierung der deutschen Öffentlichkeit, Herr der Fliegen meets Social Media. Es ist, als würde der kleine Willi von den Klassenbullys in den Mülleimer gesteckt und der Schulleiter bestraft Willi für seinen Missbrauch des Mülleimers.”

3. Die Bundestagswahl 2021: Welche Rolle Verschwörungsideologien in der Demokratie spielen (PDF)
(cemas.io, Jan Rathje & Josef Holnburger & Maheba Goedeke Tort & Martin Müller & Miro Dittrich & Pia Lamberty & Rocío Rocha Dietz & Annika Brockschmidt)
Vor rund sechs Monaten wurde das gemeinnützige Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) zu den Themen Verschwörungsideologien, Desinformation, Antisemitismus und Rechtsextremismus ins Leben gerufen. Gestern erschien die erste, 113 Seiten umfassende Untersuchung: “Der CeMAS-Report ‘Die Bundestagswahl 2021 – Welche Rolle Verschwörungsideologien in der Demokratie spielen’ soll Politik und Gesellschaft darin befähigen, Strategien verschwörungsideologischer und rechtsextremer Akteur:innen besser zu verstehen und das Wissen erweitern, wie diesen Bedrohungen einer demokratischen Gesellschaft entgegengetreten werden kann.”

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4. Beinhart für Meinungsfreiheit
(taz.de, Jan Feddersen)
In der “taz” würdigt Jan Feddersen seinen Ex-“taz”-Kollegen Deniz Yücel, der am Dienstag zum Präsidenten des deutschen PEN-Zentrums gewählt wurde: “Seine Wahl lag so nahe, sie ist so wichtig wie es etwa die Verleihung des Literaturnobel­preises an Salman Rushdie wäre.”

5. “Für ein Holzhaus würde ich nie Holz nehmen”
(freitag.de, Thomas Abeltshauser)
Simon Weisse baut in seinem Atelier in Berlin-Neukölln Hausminiaturen und Stadtmodelle für bedeutende Filmproduktionen wie die Wes-Anderson-Filme. So hätten Weisse und sein Team beispielsweise monatelang an einem sechs Meter langen Stadtmodell gearbeitet, das dann für ein paar Sekunden in der Anderson-Produktion “The French Dispatch” zu sehen gewesen sei. “Bei anderen Produktionen würde man das alles mit Computertechnik machen, aber Wes Anderson spielt gerne mit der Ästhetik dieser gebauten Sets, im Großen wie im Kleinen. Er kreiert eine künstliche Welt mit historischen Elementen, und die Miniaturen helfen, diesen Eindruck zu erzeugen.”

6. And now for something completely different
(uebermedien.de, Video: 2:22 Minuten)
Wenn Moderatorinnen und Moderatoren von beispielsweise superwitzigen Tiervideos zu heftigen Unfällen wechseln müssen, geschieht dies gelegentlich mit irritierenden Überleitungen. “Übermedien” hat einige dieser Überleitungen zu einem Kurzfilm zusammengeschnitten, für den vielleicht am ehesten das Prädikat “cringe” zutrifft.

KW 47: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. Mord in den Medien: Gehen Reporter zu weit?
(ndr.de, Johannes Koch, Video: 15:47 Minuten)
Nach dem Mord an einer Frau und ihren beiden Kindern in Bispingen fielen unzählige Journalisten und Journalistinnen in dem niedersächsischen Ort ein. Dabei wurden oft Grenzen der Berichterstattung überschritten, Trauernde gefilmt und weinende Nachbarn vor laufender Kamera befragt. Reporter Johannes Koch war selbst vor Ort und blickt deshalb besonders nachdenklich auf das Thema: “Ich habe als Reporter für die ARD und den NDR aus Bispingen berichtet und in den Tagen und Wochen danach habe ich immer überlegt: Wem nützt das was, dass wir da berichten? Ich hatte teilweise wirklich das Gefühl, da läuft irgendwas falsch.”

2. Juan Moreno – Ehrenretter des Journalismus
(ardaudiothek.de, Jörg Thadeusz, Audio: 31:14 Minuten)
Der Journalist Juan Moreno deckte beim “Spiegel” vor knapp drei Jahren gegen viele Widerstände den Fall um Claas Relotius auf, der sich als einer der größten Betrugsskandale in der deutschen Mediengeschichte erwies. Jörg Thadeusz hat sich mit Moreno über dessen neues Buch mit Auslandsreportagen und seine journalistische Reisetätigkeit rund um die Welt unterhalten.

3. Wieso haben sich Medien den PR-Hund aufbinden lassen?
(uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 29:07 Minuten)
Seit Jahrzehnten kursiert in vielen Medien die Geschichte von Schäferhund Gunther, der dank einer Millionenerbschaft in Saus und Braus lebe und eine Villa besitze, die früher mal Madonna gehörte. Bei solch einer Story kann man schon mal misstrauisch werden. Der neue “Übermedien”-Redaktionschef Frederik von Castell wurde nicht nur misstrauisch, sondern ging der Sache nach – mit der Erkenntnis: Der Hund ist eine Ente! Holger Klein hat sich mit Frederik von Castell über die Recherche unterhalten und ihn gefragt, inwieweit ihm seine Erfahrungen als Faktenchecker dabei geholfen haben.

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4. Journalismus auf TikTok?
(journalistik.blogs.uni-hamburg.de, Amelie Marie Weber, Audio: 22:58 Minuten)
Die Journalistin Amelie Marie Weber hat für die Funke Mediengruppe den Bundestagswahlkampf auf TikTok mit dem Format “DuHastDieWahl” begleitet. Nun war sie zu Gast bei Volker Lilienthal in der Ringvorlesung “Kommunikation als Beruf”. Dort hat Weber über ihre Erfahrungen mit Journalismus auf TikTok gesprochen und Tipps zur Karriereplanung gegeben.

5. Talk: Erfolgreich frei sein – das sind die besten Tipps!
(mediummagazin.de, Alexander Graf, Audio: 1:08:32 Stunden)
Beim dritten “Medium Magazin Talk” geht es um freiberuflich tätige Journalistinnen und Journalisten, sogenannte Freelancer: Wie überzeugt man eine Redaktion von seinem Themenvorschlag? Wo findet man Kontakte? Wie verhandelt man richtig und auf Augenhöhe? Darüber sprechen der “Medium-Magazin”-Chefredakteur Alexander Graf und der freie Journalist Florian Sturm.

6. Wie ein deutscher Influencer in einen drohenden Atomkrieg stolpert
(youtube.com, Walulis Story – SWR3, Video: 17:15 Minuten)
Es ist etwas überraschend, aber der bekannteste Parfüm-Influencer der Welt kommt aus Deutschland und nennt sich “Jeremy Fragrance”. Eben jener Influencer war neulich in Pakistan zu Besuch und hat sich dort für eine PR-Kampagne einspannen lassen. Eine Geschichte, die gleichermaßen ernste wie lustige Aspekte hat, wie das “Walulis”-Team recht unterhaltsam herausarbeitet.

Boulevard-Beißhemmung, Widerstands-Ikonen, Artefiziell

1. Beißhemmung auf dem Boulevard
(sueddeutsche.de, Hans Leyendecker)
Hans Leyendecker schreibt über die “Beißhemmung auf dem Boulevard”. Immer häufiger würden sich Prominente gegen falsche Berichte wehren. Er führt dies u.a. auf die gewachsene Zahl von Medienanwälten zurück, von denen er einige auch zu Wort kommen lässt. Da es mit Facebook und Co. eigene Vertriebskanäle zur Selbstvermarktung gäbe, würden die Stars generell seltener mit dem Boulevard zusammenarbeiten. Zudem werde bei Falschberichterstattung häufiger und schneller vor den Pressekammern geklagt. Leyendecker schließt mit einer absurden Geschichte: “Als im Frühjahr Das Goldene Blatt eine Geschichte über den klagefreudigen Grönemeyer machen wollte, erkannten Leser nur sein Foto und konnten die Überschrift lesen: “Mit 60 am Ziel seiner Träume”. Der Rest war Blindtext – wirre Buchstabenreihen. Ohne Sinn. Immerhin: Gegen diesen Text konnte der Sänger nicht klagen.”

2. Wie Steinbach auf die Recherche zu ihrem berüchtigten Tweet reagierte
(onlinejournalismus.de, Fiete Stegers)
Die CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach hat vor einiger Zeit einen umstrittenen Tweet verbreitet, der ein blondes Kind inmitten dunkelhäutiger Kinder zeigte. Die Intention war, auf die angeblichen Gefahren einer “Überfremdung” aufmerksam zu machen. Der Journalist Fiete Stegers hat sich seinerzeit für die Mediensendung “ZAPP” auf die Suche nach dem Ursprung des Bilds gemacht und nach einiger Detektivarbeit die Quelle ermittelt. Das Bild wurde in einem indischen Kinderheim von den australischen Eltern des abgebildeten blonden Jungen aufgenommen und geistert seitdem durchs Netz. Sowohl Eltern als auch Kinderheim hatten keine Zustimmung zur Veröffentlichung des Bilds gegeben und äußerten sich empört wegen der politisch motivierten Nutzung. Stegers fasst die Reaktionen von Steinbach zusammen, die im Wesentlichen aus Abwiegeln, Ausreden und Ablenken bestehen.

3. Beisst es oder will es nur spielen?
(medienwoche.ch, Adrian Lobe)
Mehr als 1,6 Milliarden Menschen sind bei Facebook (Stand März 2016). Damit ist das Unternehmen nicht nur das größte Social-Media-Netzwerk, sondern zusammen mit Google auch der mächtigste Vermittler und Verteiler von Medieninhalten. Adrian Lobe erklärt in seinem Artikel, wie sich dieser Umstand auf Medienhäuser und Medienkonsum auswirkt. Und weist daraufhin, welche Verantwortung das Unternehmen mit seinem Newsfeed-Algorithmus hat: “Facebook ist mehr als eine «personalisierte Zeitung», zu der sie Mark Zuckerberg ausstaffieren will, sondern bereits heute ein globaler Kiosk, von dem man erwartet, dass er ein Stück weit die Pluralität des Meinungsspektrums abbildet. Ohne den geringsten Content zu produzieren, avanciert Facebook zum größten Medienakteur der Welt. Daher ist es nur billig, dass den Internetkonzern gewisse Pflichten treffen. Dazu gehört auch, die Modifizierung der Newsfeed-Algorithmen, die einer redaktionellen Entscheidung kommen, transparent zu machen.”

4. Journalisten bei Protesten festgenommen
(reporter-ohne-grenzen.de)
In Zusammenhang mit den Protesten gegen Polizeigewalt in den USA wurden mehrere Journalisten festgenommen. Bei “Reporter ohne Grenzen” ist man besorgt und kommentiert den Vorgang wie folgt: “Die USA sind zu Recht stolz auf die traditionell starke Stellung der Pressefreiheit in ihrer Rechtsordnung. Es ist unwürdig, wenn dort Journalisten festgenommen werden, nur weil sie über Proteste gegen Polizeigewalt berichten!” Die USA stünden auf der jährlich herausgegebenen Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 41 von 180 Staaten, was vor allem an NSA-Überwachung, Whistleblower-Verfolgung und dem Umgang des Präsidentschaftsbewerbers Trump mit Medien liege.

5. Ikonen des Widerstands
(taz.de, Katrin Gottschalk)
Immer wieder erlangen Bilder Berühmtheit, auf denen sich Frauen der Staatsgewalt entgegenstellen. Katrin Gottschalk von der “taz” zeigt einige berühmte Beispiele und beschreibt ihre Wirkung beim Betrachter: “Im Prinzip denken wir Frauen noch immer als wehrlos und schwach. Sie bleiben damit passive Objekte und werden nicht zu handelnden Subjekten – obwohl sie sich hier entgegenstellen. Gleichzeitig dichten wir ihnen moralische Überlegenheit an. So lösen Frauen wie Evans, Asplund und Sungur Mitleid und Bewunderung zugleich aus. Die Bilder bewegen sich zwischen Widersprüchen, die aufgrund spezifischer Geschlechterbilder fortdauern. Und schließlich sind die Frauen auf den Fotografien auch schöne Unnahbare, eine sexuelle Fantasie. Eine Projektion.”

6. Nicht die feine Arte
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Der TV-Sender “Arte” hat dabei zugesehen, wie sich Leute auf eine fiktive Stellenausschreibung einer Arte-Sendung beworben haben. Wohl mit dem Hintergedanken, die Bewerbervideos später in der Arte-Reihe “Summer of Scandals” auszustrahlen. Man ist etwas ratlos ob dieser seltsamen Aktion und auch Boris Rosenkranz, der bei Arte nachgehakt hat, kann ob der Motivlage nur mutmaßen: “Und, wer weiß: Vielleicht war es genau so vom Sender angelegt. Eine Fake-Ausschreibung bringen, sie als Fake auflösen, den Zorn dokumentieren – und damit zeigen, wie man so etwas herstellt: einen Skandal im „Summer of Scandals“”

“The European” wärmt den “Sex-Mob-Alarm” auf

Peter Harzheim, der Präsident des “Bundesverbands Deutscher Schwimmmeister” (BDS) hat in der “Rheinischen Post” neulich folgenden Vorschlag gemacht: Man könnte doch eine gewisse Zahl Geflüchteter zu Bademeistern ausbilden.

“Uns fehlen Fachkräfte. Darum wäre es fahrlässig, diese Ressourcen nicht zu nutzen”, betonte der BDS-Chef. Außerdem könnten zum Schwimmmeister ausgebildete Flüchtlinge dazu beitragen, dass es in den Bädern seltener zu interkulturellen Konflikten kommt.

Klingt nach einer Idee, die zumindest nichts schlimmer machen würde und vielleicht ein paar Probleme im Schwimm- und Freibadalltag lösen könnte. Sprachschwierigkeiten von ausländischen Badegästen zum Beispiel.

Joachim Nikolaus Steinhöfel, unter anderem Anwalt von Akif Pirinçci und Matthias Matussek, scheint kein Unterstützer von Harzheims Einfall zu sein. Er schreibt bei “The European”:

Full disclosure: Ich bin jetzt nicht mehr dazu gekommen, abschließend zu recherchieren, ab welcher Überdosis Chlorwasser mit nachhaltigen Schädigungen des Denkvermögen zu rechnen ist. Oder beim Springen vom Beckenrand, wenn das Wasser vorher abgelassen wurde.

Aber eigentlich geht es Steinhöfel auch gar nicht um die Sache mit den möglichen neuen Bademeistern. Er will viel lieber über ein anderes Thema sprechen. Das macht er schon im Teaser des Artikels klar, direkt unter der “Mohammad”-Überschrift:

Im Text führt er weiter aus:

Was gibt es bei diesen Temperaturen schöneres, als eine sachkundig ausgeführte Arschbombe in einem öffentlichen Schwimmbad. Sie muss ja nicht unbedingt vom sympathischen Peter Altmaier demonstriert werden, dem 16-Tonner unter den Bundespolitikern. Nur muss ich da gleich etwas Wasser in den Wein kippen. Denn die Meldungen über einem enormen Anstieg sexueller Übergriffe in Schwimmbädern häufen sich. Laut Auskunft der Kriminalpolizei insbesondere Vergewaltigung und sexueller Mißbrauch von Kindern. Die Täter seien in erster Linie “Zuwanderer”, zitiert die “Bild” aus einem internen Polizeidokument.

Folgendes Problem: Es ist längst bekannt, dass der “Bild”-Artikel, auf den Steinhöfel sich bezieht, und der damit verbundene “Sex-Mob-Alarm” völliger Unsinn sind.

Dass Joachim Nikolaus Steinhöfel die “Bild”-Geschichte dennoch vor wenigen Tagen aufgreift, obwohl sie schon längst entkräftet ist, verdeutlicht das Folgeproblem an unsauberer Berichterstattung über Geflüchtete und Zuwanderer: Einmal veröffentlicht, werden die Artikel von Leuten herangezogen, die populistische Thesen in die Welt jagen wollen und die sich nicht sonderlich dafür interessieren, ob eine Meldung stimmt oder nicht, solange sie eine Quelle haben, die zur eigenen Position passt. Da kann man noch so viel richtigstellen.

Mit Dank an @Sancho_P für den Hinweis!

Nachtrag, 27. Juli: Joachim Nikolaus Steinhöfel hat sich zu diesem Beitrag geäußert und führt fünf Punkte an, warum doch alles in Ordnung ist mit seinem Text:

1. Fehler in der Berichterstattung unterlaufen jedem Medium. Sogar der „Süddeutschen“, „Neues Deutschland“ und der „Frankfurter Rundschau“. Ob man das „bildblog“ hier ausnehmen muss, kann ich nicht sagen, da ich ihn in der Regel nicht lese. Es genügt in jedem Falle journalistischen Standards auch der MSM, wenn man sich zum Beleg für eine Behauptung auf andere seriöse journalistische Quellen bezieht. Diese Arbeitsweise genügt auch den rechtlichen Anforderungen an Berichterstattung im Bereich des Persönlichkeits- und Presserechts. Wenn dieselbe Tatsache in der „Bild“ und im übrigen auch in der „Welt“ veröffentlicht wird, besteht kein Anlaß, sie ohne begründete Zweifel nochmals zu überprüfen. „bildblog“ gehört nicht zur notwendigen Lektüre eines Journalisten. Ob dort tatsächlich etwas entkräftet wurde, kann man durch Zufall erfahren. Eine Recherchepflicht auf gerade diesem Medium existiert nicht. Die erkennbare ideologische Schlagseite des Blogs macht es auch in der Regel verzichtbar.

2. Die Quellen hatten den Zweck, die Zunahme an Delikten, insb. Sexualdelikten durch „Flüchtlinge“, insb. in Schwimmbädern zu belegen. Hierbei ist der Tatort Schwimmbad nachrangig, da massenhafte Sexualdelikte durch „Flüchtlinge“, egal wo verübt, grundsätzlich kein Qualifikationskriterium für die Bademeisterschaft zu sein scheinen.

3. Wenn diese Masse an Sexualdelikten von „Flüchtlingen“ aber gegeben ist, ist es für die Zielrichtung des Artikel nachrangig, ob die Quelle stimmt. Stimmt die Behauptung trotzdem, wäre eine falsche Quelle unerfreulich, aber sekundär. Denn die aufgestellte Behauptung ist wahr.

4. Öffentlich zugänglichen Quellen wie Presseberichten und Angaben der Polizei sind mindestens 747 sexuelle Übergriffe, 107 (auch versuchte) Vergewaltigungen und 600, auch sexuelle Übergriffe auf Kinder und Jugendliche durch „Flüchtlinge“ zu entnehmen.

5. Vor dem geschilderten Tatsachenhintergrund den von mir verfassten Artikel zu kritisieren, ist tatsächlich „unsaubere Berichterstattung“. Oder, um in der Terminologie des Autoren des „bildblog“ zu bleiben: Linke Hetze.

Joar.

TV-Duell-Nachlese, AfD-Kaperung, BKA-Daten-Desaster

1a. BILDblog braucht Deine Hilfe — unterstütze uns bei Steady
(bildblog.de)
Hier beim BILDblog sieht es finanziell nicht gut inzwischen etwas besser aus. Das ist großartig, aber immer noch knapp kalkuliert. Um BILDblog eine solidere Basis zu geben, brauchen wir Deine Unterstützung. Es fehlen mit Stand von heute morgen nur 255 Euro, und das nächste Ziel ist erreicht. Zur Belohnung erhält jeder Unterstützer exklusiv einmal in der Woche einen Newsletter mit Hintergrundinfos, Werkstattberichten und den schönsten Anfeindungen von “Bild”-Oberchef Julian Reichelt. Unterstütze uns bei Steady (monatlich oder jährlich per Lastschrift, Paypal oder Kreditkarte), und wir erreichen gemeinsam das nächste Ziel!
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1b. Große kress.de-Übersicht: Die wichtigsten Kommentare zum TV-Duell
(kress.de, Bülend Ürük)
Wie bewerten die Chefredakteure der großen und kleinen Medien den Ablauf des gestrigen TV-Duells zwischen Angela Merkel und Martin Schulz? “kress.de” hat die Reaktionen der Medienmacher gesammelt und in einer großen Übersicht zusammengefasst. Weitere Lesetipps:
Die Angst der Moderatoren vor dem Mob (“SZ”)
„Wir haben Koalitionsverhandlungen gesehen“ (“FAZ”)
Legen wir uns wieder hin (“Spiegel”)

2. „Die Partei“ kapert 31 geschlossene Facebookgruppen von AfD-Fans
(blog.zeit.de, Tobias Dorfer)
Die Satirepartei “Die Partei” hat nach langer Vorbereitung mehr als 30 AfD-nahe Facebook-Gruppen übernommen. Die Gruppen wurden anscheinend bereits vor elf Monaten infiltriert. Nach Erlangung der Administratorenrechte konnten die neuen Admins die ursprünglichen Gründer rausschmeißen und die Gruppen umbenennen. Die Aktion wird vor allem bei Anhängern und Sympathisanten der Spaßpartei gefeiert, es gibt aber auch Kritik. So bezeichnet Sascha Lobo die Kaperung als lustig, aber kontraproduktiv: “Demokratisch kämpfen gegen die AfD? Unbedingt. Aber nicht auf eine Art, die nichts bedeutet als Unterhaltung für diejenigen, die ohnehin auf die AfD herabsehen und trotzige Aktivierung derjenigen, die ihr nahestehen.”

3. Geduld ist jetzt die falsche Forderung
(deutschlandfunk.de, Gerwald Herter)
Die Panne beim G20-Gipfel habe gezeigt, dass die Datenbanken des BKA dringend neu organisiert werden müssen, kommentiert Gerwald Herter im “Deutschlandfunk”. Bereits 2012 hätten Untersuchungen ergeben, dass teilweise bis zu 90 Prozent der Einträge über politisch motivierte Kriminelle rechtswidrig oder falsch waren. Geduld sei jetzt die falsche Forderung. Einfach werde es jedoch nicht: “Das INPOL-Daten-Desaster zeigt, wie schwierig es sein kann, Datenbanken zu pflegen, wenn Informationen von vielen verschiedenen Stellen eingegeben werden. Auf europäischer Ebene dürfte das noch schwieriger werden, angesichts von Sprachproblemen und unterschiedlichen Standards.”

4. Deutsches “Mad” wird 50: Zappadoing!
(tagesspiegel.de, Marc Vetter)
Die deutschsprachige Ausgabe der Satirezeitschrift “Mad” feiert dieses Jahr ihren fünfzigsten Geburtstag. Marc Vetter zeichnet die Geschichte des Kultmagazins nach, von den Anfängen in den 1960ern, den goldenen 1980ern mit Auflagen von mehr als 300.000 Exemplaren und dem Sinkflug in die Jetztzeit, in der das Gaga-Magazin nur noch quartalsweise erscheint und nur noch etwa 12.000 Leser findet. Sollte es nicht wegen einer Lizenzpanne zurückgerufen und eingestampft worden sein, wie gerade beim aktuellen August-Heft.

5. Skandal um 1Live-„Experiment“: WDR-Erklärung verhöhnt Homosexuelle
(nollendorfblog.de, Johannes Kram)
Johannes Kram hat sich über eine Sendung der WDR-Jugendwelle “1Live” gleich doppelt geärgert: Zuerst über die nach seiner Meinung nach misslungene Grundidee und fehlerhafte Konstruktion der Sendung “Lesbe trifft Homo-Ehe-Gegnerin”. Und dann über die sich anschließende Erklärung des WDR. Kram fragt: “Ist es auch ein „Argument“, einem Juden zu sagen, dass das, was er ist, Sünde ist, ist es auch ein Argument einem Schwarzen zu sagen, er müsse ja nicht schwarz sein, wenn er nicht wolle. Wieso denken sie, dass sie das mit einer Lesbe machen können, wie können sie auch nur auf die Idee kommen, hier von „Lebensmodellen“ zu sprechen, die sich „begegnen“? Wo bitte ist der Erkenntnisgewinn?”

6. Kurzgesagt – In a Nutshell: Mit Erklärvideos zum zweitgrößten Youtube-Channel aus Deutschland/
(omr.com, Torben Lux)
Im “OMR”-Podcast erklärt Youtuber Philipp Dettmer, wie es ihm gelungen ist, 4,6 Millionen Abonnenten für seinen Youtube-Kanal “Kurzgesagt – In a Nutshell” zu gewinnen, warum er auf die sogenannte “Keyword-Optimierung” verzichtet und weshalb er sich keinem Multi-Channel-Network angeschlossen hat.

CDU und “FAZ” widersprechen Rezo mit falschen Fakten

In der Elf-PDF-Seiten-Antwort der CDU auf die Kritik des Youtubers Rezo findet man auch diesen Absatz:

Und dann noch eine grundsätzliche Bewertung der Messung von arm und reich in Deutschland: Die oft angeführte Armutsgefährdungsquote (nicht Armutsquote) ist irreführend. Sie ist kein Indikator für Armut, sondern drückt nur die unterschiedliche Einkommensverteilung aus. […] Diese Betrachtungsweise führt auch dazu, dass es auf einen Schlag mehr Armutsgefährdete in Deutschland gäbe, wenn z.B. Jeff Bezos nach Deutschland ziehen würde. Im Vergleich zu ihm und seinem Vermögen gäbe es dann nämlich einige mehr von Armut gefährdetet [sic] Personen (http://www.rwi-essen.de/unstatistik/40/).

So viel schon mal jetzt: Das mit der Auswirkung eines Zuzugs von Amazon-Chef Jeff Bezos auf die Armutsgefährdung ist Unsinn.

Die CDU verlinkt zum Beleg auf einen Text von Statistiker Walter Krämer aus dem Jahr 2015, der dort die damalige “Armutsstudie des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes” kritisiert. Krämer schreibt:

Dabei beruft sich der Paritätische Wohlfahrtsverband auf eine angebliche Armutsquote von 15,5 Prozent aller Bundesbürger, definiert als die Menschen, die pro Monat weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens zur Verfügung haben.

Und das ist genauso falsch wie die Aussage von Jasper von Altenbockum, der gestern bei FAZ.net Rezo unter anderem mit dieser Behauptung widersprach:

Was für Rezo zählt, ist der Eindruck, die Armen würden immer ärmer, die Reichen immer reicher. Dass Armut eine Frage der Definition ist und vom Durchschnittseinkommen abhängt — kein Wort darüber.

Doch das ist nicht so: Armut und Armutsgefährdung hängen nicht “vom Durchschnittseinkommen” ab. In seinem aktuellen Armutsbericht schreibt der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband zur eigenen Methodik (PDF, ab Seite 6):

Als einkommensarm wird in diesem Bericht jede Person gezählt, die mit ihrem Haushaltsnettoeinkommen unter 60 Prozent des mittleren Einkommens liegt. (…) Beim mittleren Einkommen handelt es sich nicht um das geläufige Durchschnittseinkommen, das so ermittelt würde, dass man alle Haushaltseinkommen addiert und die Summe dann durch die Anzahl der Haushalte teilt (arithmetisches Mittel). Es wird stattdessen der sogenannte Median, der mittlere Wert, errechnet

Ganz ähnlich schreiben es auch die Statistischen Ämter des Bundes und der Länder:

Die Armutsgefährdungsquote ist ein Indikator zur Messung relativer Einkommensarmut und wird — entsprechend dem EU-Standard — definiert als der Anteil der Personen, deren Äquivalenzeinkommen weniger als 60 % des Medians der Äquivalenzeinkommen der Bevölkerung (in Privathaushalten) beträgt.

Der Median beziehungsweise das mittlere Einkommen ist also entscheidend.

Zum bedeutsamen Unterschied zwischen arithmetischem Mittel beziehungsweise Durchschnittseinkommen und Median beziehungsweise mittlerem Einkommen haben wir bereits vor zehn und vor sieben Jahren hier im BILDblog was geschrieben. Wir schreiben es aber gern noch mal.

Man erhält das mittlere Einkommen, indem man alle Bürgerinnen und Bürger sortiert nach Einkommen in einer Reihe aufstellt und diejenige Person, die dann genau in der Mitte steht, fragt, was er oder sie verdient. Der Unterschied zum durchschnittlichen Einkommen kann erheblich sein — und zwar genau dann, wenn etwa einzelne Milliardäre wie Jeff Bezos ins Spiel kommen wie im Beispiel der CDU.

Denken wir uns ins Konrad-Adenauer-Haus, in dem sich gerade elf CDU-Mitarbeiter befinden (Schema rechts). Zwei von ihnen verdienen 1000 Euro, fünf 2000 Euro, drei 3000 Euro — und einer hat sagenhafte 10.000 Euro im Monat. Ihr durchschnittliches Einkommen beträgt 2818 Euro (die Summe geteilt durch elf); das mittlere Einkommen ist das, das bei einer Aufreihung der elf Mitarbeiter der sechste hat (*): 2000 Euro. Als armutsgefährdet gelten alle, die weniger als 60 Prozent von 2000 Euro zur Verfügung haben, also: die beiden 1000-Euro-CDUler.

Nun stellen wir uns vor, dass zwei zusätzliche CDU-Mitarbeiter mit jeweils 10.000 Euro Einkommen das Konrad-Adenauer-Haus betreten. Das durchschnittliche Einkommen steigt deutlich. Das mittlere aber bleibt konstant: diesmal müssen wir bei 13 anwesenden Mitarbeitern in der Reihe von arm nach reich den siebten (*) fragen: Auch er hat 2000 Euro.

Läge die Grenze der Armutsgefährdung laut Definition bei 60 Prozent des Durchschnittseinkommens, wären nun auch die 2000-Euro-CDUler armutsgefährdet. Da sie sich aber nach dem mittleren Einkommen richtet, ändert sich — in diesem Beispiel — nichts.

Der Median ist deshalb eine so praktische statistische Größe, weil er gegen Ausreißer sehr robust ist. Oder anders gesagt: Ein Zuzug von Jeff Bezos hätte auf die Armutsgefährdung in Deutschland keinerlei Auswirkungen, auch wenn die CDU anderes behauptet.

  • Volker Quaschning hat sich den Teil “Die Klimakrise” der CDU-Antwort auf Rezo genauer angeschaut. Sein Fazit: “In diesem Faktencheck wurden keine belastbaren Aussagen der CDU gefunden, welche die Inhalte in Bezug auf Klimaschutz des Videos von Rezo substanziell widerlegen.”

Mit Dank an thorsten und @Helkonie für die Hinweise!

Facebooks Moderatoren-Hölle, Liebeserklärung, Schnüffelverlage

1. Liebeserklärung an einen geschundenen Beruf
(journalist-magazin.de, Thomas Hauser)
In einer bemerkenswerten Rede macht Thomas Hauser, Herausgeber der “Badischen Zeitung”, dem Journalismus einerseits eine Liebeserklärung, spart andererseits nicht mit Tadel: “Der Superlativ ist die Sprachform der Marktschreier in Marketing und Propaganda. Wer jede Maus als Elefanten beschreibt, hat für den großen Dickhäuter keine Worte mehr. Was ist das für ein Land, in dem Springers “Bild” das meistzitierte Medium ist, ihr Verleger als BDZV-Präsident die Branche ermahnt, sich selbst aber einen großen amerikanischen Finanzinvestor ins Haus holt und in dem der Philosoph Peter Sloterdijk vom Magazin “Cicero” zum einflussreichsten Intellektuellen des Jahres 2018 ausgerufen wird — streng wissenschaftlich ermittelt, versteht sich.”

2. Facebooks Moderatoren-Hölle in Florida
(spiegel.de, Patrick Beuth)
Im amerikanischen Magazin “The Verge” berichten ehemalige Facebook-Moderatoren von ihrer Arbeit. Nicht nur die Arbeitsbedingungen seien verheerend, auch die psychische Beanspruchung sei gewaltig.
Weiterer Tipp: “The Verge” hat eine dreizehnminütige Videoreportage zu dem Fall veröffentlicht. Der Warnhinweis zu Beginn steht dort übrigens nicht ohne Grund. Es ist teilweise schwer zu ertragen, was die Facebook-Moderatoren erzählen: Inside the traumatic life of a Facebook moderator (“The Verge”/Youtube, Video: 13:32 Minuten).

3. Eine Wahl ohne Auswahl
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Bei einer Wahl hat man die Wahl, oder? Nun ja, das mag in den allermeisten Fällen zutreffen, bei der Wahl des NDR-Intendanten gilt diese Regel allerdings nicht. Boris Rosenkranz berichtet von einem intransparenten und problematischen Verfahren, das einer dringenden Reform bedarf.

4. Nachrichten aus der WG-Küche
(deutschlandfunk.de, Anh Tran, Audio: 5:30 Minuten)
Volontärinnen des Bayerischen Rundfunks haben ein neues Nachrichtenformat für Instagram entwickelt und dort schon mehr als 40.000 Follower gewinnen können. Helene, Sophie und Ann-Kathrin hatten die Idee zur “News-WG”. Gedreht wird nicht im Studio, sondern in der Wohnung. Der “Deutschlandfunk” hat mit Ann-Kathrin Wetter gesprochen, die als Redakteurin zuständig ist für die Wohngemeinschaft mit Nachrichtenwert.

5. Verlage!
(konstantinklein.com)
Konstantin Klein hat mit einem Tool untersucht, wie Medienseiten mittels sogenannten Trackern ihre Besucher überwachen. Bei “Spiegel Online” sind gar 65 dieser Digitalschnüffler im Einsatz. Klein kommentiert: “Ihr seht also, Zeitungs- und Zeitschriftenverlage, warum ich euer Gejammer über die bösen, bösen Datensammler von der anderen Seite des Atlantik zumindest scheinheilig finde. Und ihr solltet sehen, warum in Zeiten der Datensammelwut der Einsatz von Trackblockern nichts als Notwehr derer ist, die auf ihre Daten aufpassen und sie nicht jedem in die Hand drücken wollen.”

6. Podcasts des Monats
(sueddeutsche.de)
Genau passend zum Wochenende stellt die “Süddeutsche” eine Auswahl hörenswerter Podcasts vor. Dabei ist etwas aus dem Schlagerkosmos, ein fiktionales Format, ein Reisepodcast, etwas Literarisches und ein Format über psychologische Phänomene.

Trump-Deplatforming, RTL-Rauswurf der “Hitler-Transe”, Lobo wird 10

1. Warum Trumps Accountsperrungen richtig und hochproblematisch sind
(netzpolitik.org, Markus Reuter)
Donald Trump steht seit einigen Tagen ohne Twitter-Account und Facebook-Konto da. Die Plattformen haben ihn verbannt und ihn damit, zumindest auf Social Media, verstummen lassen. Dieses Deplatforming ist nicht unproblematisch. Kritiker und Kritikerinnen wenden ein, dass es sich um eigenmächtige Entscheidungen von wirtschaftlich befangenen Marktteilnehmern handele, die die Meinungsfreiheit einschränken. Außerdem löse es keine gesellschaftlichen Probleme, wie Markus Reuter anfügt: “Fraglich ist natürlich auch, ob ein Deplatforming ausreicht, um antidemokratische und menschenfeindliche Ideologien zu bekämpfen. Kein Rassist wird durch ein Deplatforming zum Demokraten. Vielleicht führt die Maßnahme sogar zu einer Radikalisierung der Betroffenen, weil Gegenrede auf den Nischenplattformen vollkommen wegfällt.”
Weitere Lesehinweise: Beim “Neuen Deutschland” ist Daniel Lücking ebenfalls skeptisch: “Wir mögen die Trump-Sperrung, müssen aber das Prozedere ablehnen”. Beim Deutschlandfunk weist Internetrechtler Matthias Kettemann auf die problematischen Aspekte derartiger Sperren hin (deutschlandfunk.de, Bettina Köster, Audio: 8:36 Minuten).
Und weil es thematisch dazugehört: Twitter sperrt 70.000 weitere Konten der QAnon-Bewegung (zeit.de).

2. Re: Hass im Netz
(arte.tv. Kathrin Wildhagen, Video: 31:46 Minuten)
Hass im Netz ist kein abstraktes Phänomen, sondern hat ganz konkrete Auswirkungen für und auf die angegriffenen Personen. Was machen organisierte Shitstorms und Morddrohungen mit ihren Opfern? In der Arte-Dokumentation lernt man drei Menschen kennen, die regelmäßig Hass im Netz ausgesetzt sind: die Wiener Politikwissenschaftlerin und Rechtsextremimus-Expertin Natascha Strobl, die Feministin Fatima Benomar aus Paris und den Hannoveraner Politiker Belit Onay, den ersten deutschen Oberbürgermeister mit türkischen Wurzeln.

3. RTL-Rauswurf der “Hitler-Transe”: Lügen von “BILD”, PR vom RBB
(nollendorfblog.de, Johannes Kram)
Eigentlich war die Berliner Dragqueen Nina Queer für die Teilnahme am “Dschungelcamp” (RTL) vorgesehen, doch wenige Tage vor dem Start der Aufzeichnung erfolgte die Ausladung durch den Sender. Der verkürzte Grund: Queers Selbstbezeichnung als “Hitler-Transe”. In der Berichterstattung und der Bewertung des Falls ist einiges weggelassen worden und durcheinandergeraten. Johannes Kram hat sich Queers Original-Zitate angeschaut und mit dem verglichen, was daraus in den Medien wurde.

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4. Härte des Rechtsstaats
(uebermedien.de, Sina Aaron Moslehi)
Sina Aaron Moslehi verrät auf “Übermedien” sein Lieblings-Hasswort. Es ist die Phrase von der “Härte des Rechtsstaats”. Moslehi ergänzt seine Kritik an dem Begriff mit einer Beobachtung: “Bemerkenswert ist auch, dass besondere Strenge dem Menschen immer dann als angemessen erscheint, wenn andere in den Verdacht geraten, Straftaten begangen zu haben. Man selbst lässt sich ja nie etwas zu Schulden kommen. Und falls das ausnahmsweise mal geschehen sollte, so hat man Milde verdient. Man weiß ja selbst am besten, was für ein eigentlich guter Mensch man ist.”

5. Expansion in Berlin
(deutschlandfunk.de, Manfred Götzke, Audio: 6:04 Minuten)
Die “Neue Zürcher Zeitung” weitet ihr Deutschland-Engagement aus. Ex-Springer-Mann Jan-Eric Peters dirigiert als “NZZ”-Deutschland-Geschäftsführer mittlerweile zehn Journalistinnen und Journalisten in München, Frankfurt und vor allem in Berlin. Der Leipziger Medienwissenschaftler Uwe Krüger verortet die “NZZ” im konservativ-liberal-bürgerlichen Lager. Die Kolumnen des Schweizer Chefredakteurs Eric Gujer würden im rechten Spektrum fischen und Begriffe wie “Gesinnungspolizei”, “Redeverbote”, “Tugendwächter” verwenden. “Das sind alles Signale dafür, dass man sich auch an ein Publikum richtet, dass sich AfD nah fühlt zum Beispiel”, so Krüger. “NZZ”-Deutschland-Chefredakteur Marc Felix Serrao weist eine AfD-Nähe von sich und seinem Blatt: Bei einer von der “NZZ” in Auftrag gegebenen Allensbach-Umfrage sei herausgekommen, dass man unterproportional AfD-Sympathisanten und überproportional Grünen-Sympathisanten in der Leserschaft habe.

6. Warum mich Sascha Lobo manchmal sehr traurig macht
(spiegel.de, Judith Horchert)
Seit zehn Jahren schreibt Sascha Lobo seine Kolumne bei “Spiegel Online” beziehungsweise beim “Spiegel”. Für Redakteurin Judith Horchert ein willkommener Anlass, ihre zehn Lieblings-Lobo-Kolumnen aus der zurückliegenden Dekade vorzustellen. Denn: “Erschreckend viele Texte von Sascha Lobo sind gut gealtert. Das liegt einerseits an Saschas Hellsichtigkeit und daran, dass er den Einfluss der Digitalisierung auf die Gesellschaft gut verstanden hat und gut erklären kann.”

KW 36/22: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Wochenendausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. Systemwende? Die Lage des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Europa
(br.de, Jonathan Schulenburg, Audio: 27:18 Minuten)
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Europa hat es derzeit nicht leicht: In Frankreich wurde die Rundfunkgebühr abgeschafft, in Großbritannien steht dies unter Umständen noch bevor, und auch die Skandinavier stellen das System neu auf. In Deutschland geraten die Öffentlich-Rechtlichen durch den Skandal beim RBB und durch Ungereimtheiten in anderen Sendern wie dem NDR oder dem BR ebenfalls massiv unter Druck. Das BR-Medienmagazin hat sich mit verschiedenen Expertinnen über die derzeitige Lage und die eventuell bevorstehende Systemwende unterhalten.

2. Die Zukunft des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks
(deutschlandfunk.de, Stefan Fries, Audio: 42:48 Minuten)
Wie könnte die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aussehen? Was müsste eine Reform leisten? Und was steht ihr entgegen? Darüber diskutiert ein Deutschlandfunk-Hörer mit dem Hamburger Mediensenator Carsten Brosda, der Medienforscherin Alexandra Borchardt und Stefan Fries aus der Deutschlandfunk-Medienredaktion.

3. Böse Bauern? Die Landwirtschaft in den Medien
(ardmediathek.de, Kim Kirstin Mauch, Video: 18:14 Minuten)
Eine Landwirtin hat sich beim Medienmagazin “Zapp” über die Berichterstattung vieler Medien über landwirtschaftliche Themen beschwert. In der Mail ist von “Unwahrheiten und ideologisch eingefärbter Meinungsmache” die Rede. “Zapp” hat nicht nur die Landwirtin besucht, sondern noch weitere in der Landwirtschaft tätige Personen, und geht der Frage nach: “Wird die Landwirtschaft in den Medien ungerecht dargestellt?”

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4. “Es ist total okay, mit Podcasts Geld zu verdienen.”
(turi2.de, Björn Czieslik, Audio: 56:46 Minuten)
“Es ist total okay, mit Podcasts Geld zu verdienen”, findet Podcast-Pionierin Larissa Vassilian im Gespräch mit “turi2”. Sie spricht über die Anfänge ihrer Podcast-Karriere, die Vorteile kindlicher Neugier und erzählt, wie ihr “Slow German”, ein Deutschlern-Podcast, “so viel Flausch” und ein passives Einkommen von 800 bis 1.000 Euro im Monat bringt. Außerdem verrät Vassilian, warum sie sich kürzere Podcasts wünscht.

5. Journalismus und sein Publikum
(podcast.hans-bredow-institut.de, Johanna Sebauer, Audio: 40:23 Minuten)
Im “Bredowcast” des Hamburger Leibniz-Instituts für Medienforschung geht es aktuell um die Beziehung zwischen Journalismus und dessen Publikum. Zu Gast sind Louise Sprengelmeyer und Julius Reimer, die erforscht haben, welche Beziehungen Journalisten und Journalistinnen zu ihrem Publikum pflegen. Dabei haben Sprengelmeyer und Reimer elf verschiedene Beziehungstypen erkannt.

6. Wie (und wieso) wertet man 1600 Klatschblätter datenjournalistisch aus?
(uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 19:52 Minuten)
Mats Schönauer und Frederik von Castell haben für “Übermedien” in einem groß angelegten datenjournalistischen Projekt die Regenbogenpresse ausgewertet und dabei fast 1.600 Titel aus den vergangenen eineinhalb Jahren berücksichtigt. “Wie (und warum?) wertet man so etwas aus? Was passiert nun mit den gesammelten Daten? Und welche Macht haben Klatschblätter? Die nimmt doch eh keiner ernst! Oder doch?”

Hamburg (PR) Journal, Karlsruhes teure Anwälte, Pirinçci gepfändet

1. ZAPP Spezial: Vorwürfe gegen den NDR Hamburg: PR im Programm?
(ndr.de, Jochen Becker & Nicola von Hollander & Iris Ockenfels, Video: 25:51 Minuten)
Es besteht der Verdacht, dass Sabine Rossbach, Direktorin des NDR-Landesfunkhauses Hamburg, dazu beigetragen hat, dass Beiträge über Kunden der PR-Agentur ihrer Tochter ausgestrahlt wurden. Das NDR-Medienmagazin “Zapp” ist der Frage nachgegangen, wie im “Hamburg Journal” der Anschein einer möglichen Bevorzugung von Familienangehörigen entstehen konnte, und erklärt, warum bereits dieser Anschein problematisch ist. Vorwürfe, die dem öffentlich-rechtlichen Sender zudem bereits seit 2017 bekannt gewesen seien.

2. Karlsruhes Anwälte kommen Steuerzahler teuer zu stehen
(faz.net, Jochen Zenthöfer)
Das Bundesverfassungsgericht wollte einer “Bild”-Reporterin nicht verraten, wie ein Gespräch der Richter mit der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel und einigen Ministern ablief. Als die Journalistin klagte, setzte das Gericht nicht etwa auf die juristische Expertise im eigenen Haus, sondern engagierte eine externe Kanzlei. Jochen Zenthöfer sieht darin ein bedenkliches Vorgehen: “Journalisten, die zu Recht und mit Recht gegen das Verfassungsgericht klagen, sehen sich einem Gegner gegenüber, der für seine Vertretung auf immense Steuermittel für teure Rechtsanwälte zurückgreifen kann. Kaum eine Behörde hat dieses Privileg. Waffengleichheit sieht anders aus.”

3. Protestgruppen suchen neues Wut-Thema
(netzpolitik.org, Sebastian Meineck)
Für viele Rechtsextreme und Verschwörungsgläubige ist der Messenger Telegram die bevorzugte digitale Heimat. Wer bei anderen Sozialen Medien längst gesperrt wurde, kann sich hier oft noch weiter austoben. Werden die abebbenden “Querdenken”-Proteste daran etwas ändern? Und welche Themen werden das Milieu auf Telegram in den nächsten Monaten beschäftigen? Darüber gibt der Political Data Scientist Josef Holnburger im Interview Auskunft.

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4. Beleidigung von Luisa Neubauer: Konto von Autor Akif Pirinçci gepfändet
(berliner-zeitung.de)
Der rechtspopulistische Autor Akif Pirinçci wurde zu einer Entschädigungszahlung verurteilt, weil er die Klimaschutzaktivistin Luisa Neubauer beleidigt hatte. Nachdem Pirinçci anscheinend nichts unternahm, um seiner Zahlungsverpflichtung nachzukommen, ließen Neubauers Anwälte sein Konto pfänden. Eine Zahlung von 6.000 Euro solle der Beratungsstelle für Betroffene digitaler Gewalt “HateAid” zugutekommen.

5. Mehr nach rechts?
(sueddeutsche.de, Fabian Fellmann)
Der US-amerikanische Fernsehsender CNN galt lange Zeit als eher links, zumindest für einheimische Verhältnisse. Inzwischen scheint sich das zu ändern, was auch an dem neuen Chef und dessen Personalentscheidungen liege. Auslandskorrespondent Fabian Fellmann hat sich angeschaut, was gerade bei dem berühmten Nachrichtensender in Sachen Neuausrichtung passiert.

6. Hitzerekord
(journalist.de, Sebastian Pertsch & Udo Stiehl)
Sebastian Pertsch und Udo Stiehl werfen im Rahmen ihres Projekts “Floskelwolke” einen sprach- und medienkritischen Blick auf vielbenutzte Formulierungen. Nach “Wetter spielt verrückt” nehmen sie sich eine weitere Wetterfloskel vor: den “Hitzerekord”.

Googles Löschpflicht, Wikipedias Licht und Schatten, Haft mit Internet

1. Google muss Links zu Fal­sch­in­for­ma­tionen auch ohne Urteil löschen
(lto.de)
Laut eines neuen Urteils des Europäischen Gerichtshofs müssen Suchmaschinen wie Google Einträge aus den Ergebnislisten löschen, wenn Betroffene nachweisen können, dass die darin enthaltenen Informationen falsch sind. Vorher mussten diese Personen sich zuerst an denjenigen wenden, der die Informationen ins Netz gestellt hatte.

2. Ambivalente Erfolgsgeschichte der Wikipedia
(medienwoche.ch, Adrian Lobe)
Adrian Lobe schreibt über den Erfolg der Wikipedia als Lexikon des Weltwissens, der jedoch auch seine Schattenseiten habe: “Die Wikipedia ist weiterhin ein Club von weissen, englischsprachigen Männern ist, die überwiegend in christlich geprägten Ländern auf der Nordhalbkugel leben. Und diese Männer schreiben hauptsächlich für Männer und über Männer.”

3. Häftlinge in Berlin bekommen Internetzugang
(deutschlandfunk.de, Claudia van Laak, Audio: 5:19 Minuten)
Als erstes Bundesland wolle Berlin den Menschen, die in Gefängnissen sitzen, einen eingeschränkten Zugang zum Internet anbieten. Eine Neuerung, die auch der Berliner Justizsenatorin und Politikerin der Linken Lena Kreck zu verdanken sei: “Wir nehmen nämlich den Resozialisierungsauftrag ernst. Nicht nur, weil wir das politisch richtig finden, sondern sie haben ein Grundrecht auf Resozialisierung, das ergibt sich aus dem Grundgesetz. Und damit schaffen wir eine erfolgreiche Resozialisierung durch Digitalisierung.”

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4. US-Bundesstaat Indiana reicht Klagen gegen TikTok ein
(zeit.de)
Der Generalstaatsanwalt des US-Bundesstaats Indiana hat zwei Klagen gegen TikTok eingereicht. Er wirft der chinesischen Plattform irreführende Angaben zur Datensicherheit und mangelnden Schutz junger Nutzerinnen und Nutzer vor. TikTok sei ein “Trojanisches Pferd” Chinas.

5. Bundeskanzler Scholz prüft Rückzug von Twitter
(spiegel.de)
Auch im Bundeskanzleramt beobachte man mit Sorge die Entwicklungen bei Twitter und schaue sich nach möglichen Alternativen um. Die chinesische Videoclip-Plattform TikTok komme als möglicher Rückzugsort nicht in Frage. Dort sei Bundeskanzler Olaf Scholz nicht vertreten und werde auch zukünftig fernbleiben.

6. BBC soll bis 2030 Onlineplattform werden
(faz.net, Gina Thomas)
Die BBC feiert in diesem Jahr ihr 100-jähriges Bestehen und kämpft angesichts anstehender gesetzlicher Veränderungen, die den Wegfall der Rundfunkgebühren bedeuten könnten, um ihre Existenz. Nun wolle Senderchef Tim Davie die BBC zum führenden Netzportal umbauen.

“Bild” mit Gil Ofarim im “Land der Dichter und Stänker”

Für spießbürgerliche Petzen, die ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger wegen Kleinigkeiten denunzieren, hat die “Bild”-Redaktion nur eines übrig: Verachtung. Im April dieses Jahres schrieb beispielsweise ein “Bild”-Autorenteam:

Screenshot Bild.de - Steuern, Wohnen, Parken - Deutsche sollen ihre Mitbürger verpetzen

Wird Deutschland zur Petzer-Republik? Zum Land der Dichter und Stänker?

Immer neue staatliche und halbstaatliche Petz-Portale und -Apps drängen die Deutschen dazu, ihre Mitbürger anzuschwärzen.

Die “Bild”-Redaktion braucht fürs Anschwärzen hingegen gar keine “staatlichen und halbstaatlichen Petz-Portale und -Apps” – sie hat ja Bild.de:

Screenshot Bild.de - Reifen-Problem nach Lügen-Prozess - Droht Gil Ofarim jetzt neuer Ärger?
(Alle Unkenntlichmachungen der Paparazzi-Fotos in diesem Beitrag durch uns.)

Musiker Gil Ofarim, der Ende November vor Gericht zugegeben hat, einen antisemitischen Vorfall in einem Leipziger Hotel nur erfunden zu haben, soll – Achtung, festhalten – noch keine Winterreifen aufgezogen haben. “Bild” nimmt sich diesem Missstand an:

Freitagmorgen in München. Sänger Gil Ofarim (41) trägt vor dem BILD-Reporter Winterreifen in seinen Mini Cooper, fährt danach zur Werkstatt, um sie wechseln zu lassen. Ganz schön spät im so zugeschneiten Süden, gut zwei Wochen vor Weihnachten.

Aber ist das überhaupt erlaubt bei diesen Winterbedingungen in München? BILD fragte bei der Polizei und einem erfahrenen Rechtsanwalt nach: Droht Ofarim nach dem Lügen-Prozess in Leipzig (Sachsen) jetzt neuer Ärger?

Ja, “ist das überhaupt erlaubt” in der “Petzer-Republik” Deutschland? “Bild” sagt lieber mal der Polizei Bescheid. Und die antwortet:

Polizeisprecher Peter Werthmann zu BILD: “Nachdem es keine generelle Winterreifenpflicht gibt, kommt es im Einzelfall auf die Situation und Witterungsbedingungen an, ob eine Ordnungswidrigkeit (OWi) begangen wurde oder nicht. Also je nach Temperatur, gegebenenfalls Schneefall, Eis auf der Straße etc.“

Vor Ofarims Haustür ist eindeutig eine Eisschicht auf der Straße zu erkennen.

Oha, “eindeutig”! Fall gelöst.

Dass die “Bild”-Leute diesen Winterreifen-Skandal so heldenhaft aufdecken konnten, liegt daran, dass sie Gil Ofarim ganz offensichtlich vor dessen Privatgrundstück auflauern. Das Foto, auf dem Ofarim einen der Reifen schleppt, hat ein für “Bild” tätiger Fotograf geschossen. Mit einer anderen Aufnahme aus derselben Serie hat er es am Samstag sogar auf die “Bild”-Titelseite geschafft:

Ausriss Bild-Titelseite - Erstes Foto nach Skandal-Prozess - Ofarim völlig verändert

Der dazugehörige Artikel “Lügen haben kurze Haare” über das “erste Foto nach Skandal-Prozess in radikal neuem Look” bildet den Auftakt der seitdem laufenden Verfolgungsjagd durch die “Bild”-Medien: Bei Bild.de präsentierte die Redaktion anschließend eine Psychologin, die sich nicht zu blöd war, “Gils neue Gel-Frisur” einer fachlichen Analyse zu unterziehen. “Psychologin knackt Ofarim”, steht in der Dachzeile. Uns fällt in diesem Zusammenhang eher ein anderes Stichwort ein: beknackt.

Es folgte der bereits dargelegte Winterreifen-Skandal. Und gestern dann eine weitere Geschichte auf der “Bild”-Titelseite:

Ausriss Bild-Titelseite - Gil Ofarim - Plötzlich wieder auf der Bühne

Der “Bild”-Redaktion wurden mehrere Fotos zugespielt (Fotocredit: “PRIVAT”), die Gil Ofarim auf der Bühne der Ballettschule seiner sechsjährigen Tochter zeigen sollen:

Nach BILD-Infos brachte sich Ofarim bei der Generalprobe als Assistent der Ballettlehrerin mit ein, gab den Kindern Tipps und half mit, dass die Inszenierung noch besser gelingt.

Die Redaktion beschreibt im Artikel, mit wem sich Ofarim die Aufführung seiner Tochter angeschaut und wie er sich verhalten haben soll. Alles offenbar zugetragen von Denunzianten Petzen “Bild”-Informanten.

Mit Dank an Thomas W. für den Hinweis!

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Das Phantom der Burka

Manchmal gibt es gute Mittwoche. Dann spricht Heinz Buschkowsky beispielsweise darüber, warum er “aus dem Fahrrad-Club ausgetreten” ist, oder er erzählt von der Sprengung eines alten Sendemastes. Viel öfter aber gibt es schlechte Mittwoche. Nämlich immer dann, wenn der Ex-Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln in seiner “Klartext”-Kolumne bei “Bild” über irgendwas schreibt, das mit dem Islam oder mit Muslimen oder beidem zu tun hat. Heute ist so ein schlechter Mittwoch.

Buschkowsky greift für seinen aktuellen Text die Diskussion ums “Burka-Verbot” auf. Und schon in der Überschrift wird klar, wie er dazu steht:

Als ich den Londoner Stadtteil Whitechapel besuchte und auf dem Wochenmarkt fast ausschließlich umgeben war von Burka tragenden Frauen, versetzte es mich in eine surreale Gefühlswelt.

“Scotty, beam mich zurück!”, hätte ich am liebsten gerufen. “Hol mich zurück in die britische Hauptstadt.” So stark war die Botschaft dieses Kleidungsstücks für mich. Genauso erging es mir immer wieder beim Anblick von Burkaträgerinnen auf den Straßen Neuköllns. Als käme einem eine andere Welt auf dem Bürgersteig entgegen.

Nun weiß ich nicht, was Buschkowsky alles in Whitechapel gesehen hat. Ich verbringe aber seit gut drei Jahren ziemlich viel Zeit in Neukölln, gar nicht weit von Heinz Buschkowskys früherem Arbeitsplatz, dem Rathaus Neukölln. In dieser Zeit ist mir keine Person in Burka begegnet. Klar, Frauen im Niqab sieht man immer mal wieder, vielleicht jeden dritten Tag eine oder zwei. Aber in einer Burka? Keine einzige in drei Jahren.

Vielleicht kennt Heinz Buschkowsky ganz andere Neuköllner Ecken als ich und begegnet andauernd Burka-Trägerinnen. Vermutlich meint er aber einfach gar nicht die Burka, sondern eben den Niqab, einen Schleier, der ebenfalls viel verhüllt, im Gegensatz zur Burka aber meist die Augen freilässt. Später in seiner Kolumne erwähnt Buschkowsky den Niqab auch noch einmal explizit. (Um das Vokabular noch etwas zu ergänzen: Der Tschador und der Hidschab sind noch mal andere Kleidungsstücke.)

Mit dem Durcheinanderwürfeln der Begriffe ist Heinz Buschkowsky nicht allein. Die “Bild”-Redaktion hat seinen Artikel zum “Burka-Verbot” mit einer Niqab-Trägerin bebildert:

Und auch in den vergangenen Tagen wollten oder konnten die “Bild”-Medien kein Foto einer Burka-Trägerin in Deutschland auftreiben und veröffentlichen. Sie zeigen immer nur Frauen, die in einer anderen Variante verschleiert sind:


(“Bild” vom 12. August)

(“Bild” vom 13. August)

(Bild.de vom 14. August)

(“Bild” vom 17. August)

Schaut man sich die derzeitige Berichterstattung zum “Burka-Verbot” an, wird man das Gefühl nicht los, dass es nicht besonders viele Frauen hier in Deutschland gibt, die eine Burka tragen. Wenn Eric Markuse in “Bild” kommentiert: “Die Burka gehört nicht zu Deutschland”, will man ihm am liebsten antworten: Es gibt sie hier anscheinend ja auch so gut wie gar nicht.

Natürlich darf man der Meinung sein, dass auch der Niqab problematisch ist, und nicht nur die Burka, sondern Vollverschleierung im Allgemeinen verboten werden sollte. Aber dann sollte man nicht von einem “Burka-Verbot” sprechen, nur weil es griffiger ist als “Niqab-Verbot” oder “Verbot der Vollverschleierung”. Es geht hierbei schließlich nicht um einen Olympiasieger aus Vietnam, den man im Boulevardstil schnell mal “Pistolen-Vietnamesen” nennen kann. Es geht um eine Debatte, die in letzter Konsequenz bedeutet, dass einem Teil der Bevölkerung verboten wird, ein bestimmtes Kleidungsstück anzuziehen. Und bei einem derartigen Eingriff ins Privatleben dieser Leute sollte es doch möglich sein, die richtigen Vokabeln zu benutzen.

Doch so, wie die meisten Medien aktuell berichten, dürfte sich das falsche Vokabular in der Gesellschaft etablieren. “Focus Online” berichtet über das “Burka-Verbot” und zeigt Niqab-Trägerinnen:

Die “Huffington Posts” berichtet über das “Burka-Verbot” und zeigt Niqab-Trägerinnen:

Die “Frankfurter Rundschau” berichtet über das “Burka-Verbot” und zeigt eine Niqab-Trägerin:

Genauso “Zeit Online”, “NWZ Online”, augsburger-allgemeine.de. Die Auswahl ist beliebig und ließe sich noch lange fortführen. Manche Redaktionen zeigen Fotos von Burka-Trägerinnen in Afghanistan. Aber ein Bild einer Frau in Burka in Deutschland hat offenbar noch keine von ihnen gefunden.

Im Fernsehen sieht es nicht besser aus. Ein Beispiel: ein Beitrag im “Sat.1-Frühstücksfernsehen” von gestern über “Burkas in Garmisch: So reich machen Araber die Region!” In den 4:57 Minuten sind zwar einige verschleierte Frauen zu sehen, aber keine einzige trägt eine Burka. Manche von ihnen tragen sogar lediglich einen Hidschab:

Bei meiner Suche nach Bildern von Burka-Trägerinnen in Deutschland bin ich am Ende dann doch noch fündig geworden: Bei sueddeutsche.de sind zwei Personen zu sehen, beide in einer Burka verhüllt, eine kleine Deutschlandfahne ist auch noch zu erkennen — Volltreffer. In der Bildunterschrift steht:

Wie fühlt man sich mit einer Burka? Besucher einer Ausstellung im Kunstverein Wiesbaden konnten das im Jahr 2012 ausprobieren.

Haltungsfragen, Kopp offline, Auto-Poser

1. Gefährliche Geschichte
(sueddeutsche.de, Julian Hans)
Der Journalismus in Russland hat es nicht leicht: Aktuell wird die Zeitung “Nowaja Gaseta” wegen einer Recherche über Homosexuelle in Tschetschenien heftig bedroht. Unter der Überschrift “Ehrenmord” hatte die Zeitung Recherchen veröffentlicht, wonach in der Kaukasus-Republik mehr als 100 Menschen unter dem Verdacht festgenommen wurden, sie seien homosexuell. Nun geraten die Journalisten ins Fadenkreuz der Fanatiker.

2. „Kopp Online“ geht offline
(blog.gwup.net, Bernd Harder)
Ist das umstrittene Nachrichtenportal “Kopp online” mittlerweile offline gegangen? Nun, das könnte man jedenfalls vermuten, so der Pressesprecher der Skeptikervereinigung “GWUP” Bernd Harder. Seit Wochen würden keine neuen Inhalte mehr gepostet, es gäbe eine Weiterleitung auf die Startseite und in der Szene zirkuliere eine (nicht verifizierte) Stellungnahme des Verlags.

3. Ein Tag hinter den Kulissen der Sendung Extra 3
(noz.de, Marie-Luise Braun)
Die Satiresendung “Extra3” (NDR) kann auf eine lange Historie zurückblicken. Aus der Taufe gehoben wurde das Format im Jahr 1976, damals jedoch noch ohne die satirische Schärfung von heute. Wie funktioniert die Sendung und wie werden die 52 beteiligten Personen koordiniert, damit 30 gelungene Minuten entstehen? Marie-Luise Braun hat sich nach Hamburg begeben und einen Sendetag miterlebt.

4. Haltung? Ja bitte!
(mmbeta.de, Daniel Drepper)
Daniel Drepper ist Mitgründer des gemeinnützigen Recherchezentrums “Correctiv” und seit April Chefredakteur von BuzzFeed Deutschland. In einem Essay fordert er Journalisten zu mehr Haltung auf und erklärt, warum es in Ordnung sei, dass Journalisten nicht objektiv sein können.

5. Wie Instagram-Blogger für Autos werben
(horizont.net, Anna Lisa Lüft)
Die einen nennen es Schleich- bzw. Trampelwerbung, die anderer sprechen von den “reichweitenstarken Influencern”, die man sich an Bord hole. Die Automobilbranche umgarnt erfolgreiche InstagrammerInnen, um von deren Reichweite und Glaubwürdigkeit bei den Fans zu profitieren. Horizont hat mit Marketingexperten bei “Kia” und “Seat” gesprochen und zeigt ein paar der Poser-Bilder.

6. „Fernsehen fand ich oberflächlich“
(taz.de, Klaus Irler)
Man kennt Bjarne Mädel von vielen seiner Rollen. Ob bei “Stromberg” und “Mord mit Aussicht” oder durch seine Hauptrolle im vielgerühmten “Tatortreiniger”. Mit der “taz” spricht er im Interview über Ernsthaftigkeit, Freundschaft und seine Diätbemühungen.

No Yücel-Deals!, Trottel-Prankster, Historische Fake News

1. Deniz Yücel lehnt „schmutzige Deals“ für seine Freilassung ab
(faz.net)
Der weiterhin in der Türkei inhaftierte Journalist Deniz Yücel lehnt einen etwaigen Tauschhandel zwischen Berlin und Ankara für seine Freilassung ab. Er wolle seine Freiheit nicht „mit Panzergeschäften von Rheinmetall oder dem Treiben irgendwelcher anderen Waffenbrüder befleckt wissen“. Auch wolle er keinen etwaigen Austausch mit Anhängern der Gülen-Bewegung, nach denen die Türkei fahndet. Yücel wörtlich: „Für schmutzige Deals stehe ich nicht zur Verfügung!“

2. Kritik an der Besetzung der Jury des Deutschen Lokaljournalistenpreises der Konrad-Adenauer-Stiftung
(facebook.com, Pascal Hesse)
Der Journalist Pascal Hesse hat sich mit einem offenen Brief an den Vorstand der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) und die Jury des „Deutschen Lokaljournalistenpreises“ gewandt. Hesse stört sich der Berufung des Chefredakteurs der „qualitätslosen Zombie-Zeitung Westfälische Rundschau“ in die Jury. Dies sei, so Hesse, „ein Faustschlag in die Gesichter aller Lokaljournalisten, die die Qualität im wichtigsten Ressort der Zeitung selbst unter schwierigsten Bedingungen und mit immer weniger Personal und immer geringeren Etats hochhalten.“

3. Wenig Verführungs- und Verblendungspotential
(deutschlandfunk.de, Arno Orzessek)
Unwort des Jahres des Jahres 2017 ist der Begriff „Alternative Fakten“ geworden. Eine Auszeichnung, die der Begriff nicht verdient hat, findet Arno Orzessek im „Deutschlandfunk“. Der Begriff habe einen entlarvenden Charakter, aber in der Realität zumindest in Deutschland wenig Schaden angerichtet. Anders als “Gutmensch” und “Volksverräter” besitze das Unwort “Alternative Fakten” wenig Verführungs- und Verblendungspotential.

4. ZDF-Anchorman Claus Kleber: „Wahrheit darf keine Emotion werden. Wir müssen sie retten!”
(t3n.de, Rafael Bujotzek)
„Rettet die Wahrheit“, heißt das jüngste Buch von ZDF-Anchorman Claus Kleber. Eine Rettung, die allen Seiten etwas abverlangt, wie Kleber im Interview ausführt: „Früher konnte man ein handgeschriebenes Papier oder ein an einen Baum genageltes Flugblatt gut von einem Leitartikel in der „Zeit“ unterscheiden. Heute gehört überhaupt nichts mehr dazu, Zehntausende und mehr zu erreichen mit irgendwas, das man sich überlegt hat. Und das sogar im Layout und in der Formulierung und im Videoteil professionell aussehen zu lassen. Umso mehr muss man auch von den Konsumenten Engagement fordern, sich mit der Sache ein bisschen vertiefter zu befassen.“

5. Asoziale Medien
(taz.de, Tilman Baumgärtel)
Tilman Baumgärtel kommentiert in der „taz“ die Sendepause des in Ungnade gefallenen YouTube-Pranksters Paul Logan: „Trottel wie Logan Paul kommen und gehen. Hoffentlich. Er wäre nicht der erste YouTuber, der sich durch einen dramatischen Fauxpas ins Nirwana katapultiert. Irgendwann rächt sich dann eben doch, dass solche Leute – im Grunde ein billigst produzierendes Medienprekariat – ohne Redaktion ungebremst vor sich hin wursteln. Aber die Maschinerie, die Trottel wie Logan Paul hervorbringt, wird weiter funktionieren.“

6. Die Konstantinsche Schenkung
(mdr.de, Video 5:06 Minuten)
In der Reihe „Historische Fake News“ geht es diesmal um die „Mutter aller Medienlügen“: Die Konstantische Schenkung. Im Zentrum dieser historischen Lüge steht eine im 9. Jahrhundert gefälschte Urkunde, die angeblich in den Jahren 315/317 vom römischen Kaiser Konstantin I. ausgestellt wurde. Eine Fälschung, die bis heute nachwirke. 
Weitere Folge der „Historischen Fake News“ in ähnlicher Aufmachung: „Bundespräsident Lübke baute Hitlers Konzentrationslager“

Hier treffen Sie Julian Reichelt: Wo er isst! Wo er feiert! Wo er wohnt!

Die Überschrift ist natürlich völliger Quatsch.

Aber man stelle sich das mal vor: Irgendein Holzkopf kommt auf die Idee, die Namen und Adressen all der Restaurants zu veröffentlichen, in die Julian Reichelt gern zum Mittagessen geht. Oder eine Liste rauszubringen mit den Clubs, in denen der “Bild”-Oberchef regelmäßig feiert. Oder, noch schlimmer, ein Foto samt Ortsbeschreibung von dem Haus zu posten, in dem Reichelt im Penthouse wohnt.

Julian Reichelt würde sich vermutlich heftig beschweren, immerhin passte ihm schon die Veröffentlichung einer groben Schätzung seines Gehalts nicht, weil das seine Familie in Gefahr bringe. Julian Reichelt würde sich völlig zu Recht beschweren, und wir würden ihm zustimmen, auch wenn es Julian Reichelt ist.

Zum Glück passiert sowas ja nicht so häufig, weil genügend Leute Anstand haben und die Privatsphäre anderer Menschen respektieren, auch von den Personen, die prominent in der Öffentlichkeit stehen. Außer die Leute von “Bild” und ihr Chef Julian Reichelt — die haben diesen Anstand offenbar nicht.

Seit drei Tagen gibt es eine neue Serie bei “Bild”, Bild.de und “Fußball Bild”. “Kosmos der Klubs” ist ihr Titel, und sie soll der Leserschaft verraten, “wo Sie die Spieler Ihres Vereins treffen können”. In Folge 1 ging es um den FC Bayern München …

Screenshot Bild.de - Hier treffen Sie die Spieler in München - Warum die Bayern-Stars diesen Wellblechbunker lieben - Wo die Spieler essen gehen, wo sie feiern, in welchen Stadtteilen sie wohnen

… in Folge 2 um Eintracht Frankfurt …

Screenshot Bild.de - Wo Sie die Frankfurt-Profis treffen können - Hier feiern die Eintracht-Stars ihre Siege - Wo sie feiern, wo sie essen, wo sie shoppen

… heute dann in Folge 3 um den HSV:

Screenshot Bild.de - Pizza für 7,50 Euro - Diesen Italiener liebt HSV-Trainer Hollerbach - Wo die Stars feiern, wo sie essen, wo sie shoppen

Und weil es insgesamt 18 Bundesligavereine gibt, ist zu befürchten, dass uns noch mindestens 15 weitere Folgen erwarten.

Neben längst Bekanntem (die Fußballer aus München gehen häufig in die Praxis von Dr. Müller-Wohlfahrt, wenn sie verletzt sind — oho!) veröffentlichen die “Bild”-Medien im “Kosmos der Klubs” auch Dinge, die bisher sicher nicht jeder wusste und die vielleicht auch nicht jeder wissen sollte: Wo der neue HSV-Trainer Bernd Hollerbach öfters Pizza isst. Wo Jérôme Boateng “super-zarte Steaks” verdrückt. Die Lieblings-Discos der Spieler des FC Bayern. Zu welchem Inder Alex Meier häufig geht. In der Folge über Eintracht Frankfurt zeigt die Redaktion ein Foto eines Hochhauses und schreibt dazu: “Auch hier wohnen Spieler.”

Bei Bild.de kommt man an diese Informationen nur, wenn man ein “Bild plus”-Abo hat. Oder anders gesagt: Julian Reichelt und seine Mitarbeiter versuchen, mit dem Privatleben anderer Menschen Kasse zu machen.

Mit Dank an @koeppenjan für den Hinweis!

Unterlassungssünde, Absurder ARD-Geldtopf, Kneifende Politiker

1. Facebook muss Nutzungsbedingungen anpassen
(zeit.de)
Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) hat vor dem Landgericht Berlin einen kurzfristigen Erfolg gegen Facebook erzielt: Die Voreinstellungen zur Privatsphäre müssen angepasst werden, ein Klarnamenzwang sei nicht statthaft. Insgesamt beanstandeten die Richter acht Klauseln in den Nutzungsbedingungen. Beide Parteien haben Berufung gegen das Urteil eingelegt.

2. Nach Chaos-Tagen um GroKo und Schulz: Anne Will muss Karnevalspause einlegen, weil Politiker vor Talk kneifen
(meedia.de, Alexander Becker)
Wir leben in politisch bewegten Zeiten, die reichlich Stoff für Politik-Talks bieten. Ausgerechnet „Anne Will“ musste jedoch eine Sendung ausfallen lassen. Die Redaktion fand schlicht keine Gesprächspartner, die eine Sondersendung gerechtfertigt hätten.

3. „Sexy“, „heiß“, „nackt“: Der ganz normale Sexismus in Sportberichten
(kobuk.at, Valerie Lechner)
Valerie Lechner hat sich eine Woche die Sportressorts der großen österreichischen Onlineportale angeschaut: Wie oft wurde über Frauen im Sport berichtet? Worüber berichten Medien konkret, wenn Frauen aus der Sportwelt im Fokus stehen. Das Ergebnis ist ernüchternd: Bei den mehr als 500 Sportberichten ging es in nur neun Prozent aller Fälle um Frauen. Und dann oft in sexistischer Weise. Lechner fasst zusammen: „Bei Männern ist es völlig selbstverständlich, dass ganz normal über Erfolge und Misserfolge berichtet wird. Bei Frauen kann davon keine Rede sein. Wenn nur jeder zehnte Artikel im Sportressort von Frauen handelt – und jede Menge dieser Artikel alles mögliche thematisieren, nur nicht die sportlichen Leistungen – dann sind wir von medialer Gleichbehandlung noch meilenweit entfernt.“

4. Eine Unterlassungssünde der Medien
(heise.de, Inge Wünnenberg)
Als eine Unterlassungssünde der Medien bezeichnet Inge Wünnenberg das Verschweigen von wichtigen Informationen, die den Suizid des Schauspielers Robin Williams betreffen. Dessen Witwe hatte der Presse von der schweren Demenzerkrankung ihres Mannes berichtet. Dies sei jedoch anfangs ignoriert worden, was ein Fehler sei: „Denn Williams’ Akt der Verzweiflung wäre nicht als Tat eines Lebensmüden betrachtet worden. Sein Suizid hätte anders begriffen, partizipiert und vor allem — auch akzeptiert werden können.“

5. Politische Geiselhaft von Deniz Yücel beenden
(reporter-ohne-grenzen.de)
Mit dem morgigen Tag befindet sich Deniz Yücel ein Jahr in Haft. Der bevorstehende Jahrestag ist für „Reporter ohne Grenzen“ ein Anlass, die türkische Justiz erneut aufzufordern, den deutsch-türkischen Journalisten freizulassen: „Die fast ein Jahr anhaltende politische Geiselhaft von Deniz Yücel ist unerträglich. Dass immer noch keine Anklageschrift vorliegt und die türkische Justiz an den haltlosen Anschuldigungen festhält, ist eine Schande für die Türkei.“

6. Punkte, Prämien, Produzenten: Der absurde ARD-Geldtopf
(dwdl.de, Alexander Krei)
Mehr als drei Millionen Euro verteilt die ARD jährlich als eine Art Sonderprämie an Produzenten. Wer davon profitiert, entscheide sich über ein Punktesystem. Was sich zunächst objektiv anhört, sei jedoch wenig transparent und schwer nachvollziehbar, findet Alexander Krei auf „DWDL“ und konstatiert: „Gut gemeint, schlecht umgesetzt!“

ORF-Diskussion, Mission Heimlich?, “Distracted Boyfriend”-Meme

1. ORF: Keine Kritik auf Social Media
(brodnig.org)
Die Journalistin und Buchautorin Ingrid Brodnig hat aufgeschrieben, warum ihr die aktuellen Social-Media-Pläne des ORF nicht behagen. Grundsätzlich habe sie keine Probleme mit Social-Media-Guidelines, “die konkreten Formulierungen im aktuellen Entwurf sind aber so weitreichend, dass ich ein Missbrauchspotenzial fürchte, welches dazu führen kann, dass die Meinungsfreiheit und auch die öffentliche Debatte auf Facebook und Twitter leiden.”
Weiterer Lesehinweis: Der Kommentar von Florian Klenk, Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung “Falter”: Ein Knickserl vor der FPÖ (zeit.de)

2. Wie „Spiegel TV“ sich neu erfinden will
(haz.de, Imre Grimm)
Nach 30 Jahren geht es mit “Spiegel TV” auf dem gewohnten Sendeplatz bei RTL zu Ende. Wie geht es mit dem erfolgreichen politischen Magazin weiter? Chefredakteur Steffen Haug sowie Redaktionsleiterin und Moderatorin Maria Gresz erläutern ihre Pläne.

3. Faktencheck: Falschnachrichten über Migranten der Aquarius – Warum dieses Foto aus dem Kontext gerissen ist
(correctiv.org, Cristina Helberg)
Der katholische Theologe und Publizist David Berger wusste auf seinem rechtspopulistischen Blog “Philosophia perennis” Empörendes zu berichten: Angeblich hätten Flüchtlinge von Bord des Schiffes “Aquarius” Kleidung in den Müll geworfen, die das Rote Kreuz ihnen gegeben hat. Der Haken bei der Geschichte: Sie stimmt nicht.

4. So groß ist die Welt
(freitag.de, Klaus Raab)
In Raúl Krauthausens Talkshow “face to face” reden Gäste mit und ohne Behinderung über ihr Leben. Nun hat der nimmermüde Inklusionsaktivist, der unter anderem die “Sozialhelden” gegründet und die Landkarte mit rollstuhlgerechten Orten “Wheelmap” initiiert hat, den Grimme-Online-Award für seine Sendung bekommen.

5. Unbemerkt verabschiedet?
(faktenfinder.tagesschau.de, Konstantin Kumpfmüller)
Während der Fußball-WM wurden verschiedene unpopuläre Gesetze verabschiedet, ob mehr Geld für Parteien oder schärfere Regeln beim Urheberrecht. Steckt dahinter eine Strategie, um Diskussionen zu vermeiden? Spoiler: Ganz so einfach ist es wohl nicht.

6. Die Frau aus dem “Distracted Boyfriend”-Meme ist immer geschockt – und es ist so witzig!
(bento.de, Steffen Lüdke)
Kaum jemand, der das Bild auf Social Media noch nicht gesehen hat: Er und sie Händchen haltend, aber er dreht sich nach einer anderen um, was bei seiner Partnerin entsprechend für Empörung sorgt. Das Bild dient unzähligen Memes zur Verbreitung von mehr oder weniger einschlägigen Verrats- und Untreuebotschaften. Ein Twitternutzer hat sich die Mühe gemacht, in den anderen Stockfotos der Frau zu stöbern. Das Ergebnis ist schockierend!

KW 26: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. Cancel Culture und Meinungsfreiheit: Was geht noch?
(zdf.de, Markus Lanz, Video: 1:14:39 Stunden)
Immer mehr Deutsche fühlen sich laut einer aktuellen Allensbach-Umfrage in ihrer Meinungsfreiheit bedroht. Markus Lanz unterhält sich mit vier Gästen über die möglichen Gründe für diese Gefühlslage: dem Publizisten und Chefredakteur der “Zeit” Giovanni di Lorenzo, der Politikwissenschaftlerin Emilia Roig, der Autorin und Moderatorin Thea Dorn sowie dem Autor und “Spiegel”-Kolumnisten Sascha Lobo. (Wer weniger Zeit investieren will: Bei Youtube gibt es einen halbstündigen Zusammenschnitt der Sendung.)

2. Journalismus und Whistleblowing
(youtube.com, Whistleblower-Netzwerk e.V., Video: 1:45:21 Stunden)
Ob Wirecard-Skandal, Cum-Ex-Machenschaften, Panamapapers oder Rechtsextreme bei der Bundeswehr: Stets waren es Whistleblower, von denen die entscheidenden Hinweise kamen. Wie wichtig sind die Hinweisgeber für die investigative Berichterstattung zu Fällen von öffentlichem Interesse? Wie können Gesetzgeber, Journalistinnen und Journalisten Quellenschutz sicherstellen? Und ist das im digitalen Zeitalter überhaupt noch möglich? Über diese und damit verwandte Themen diskutieren Sven Giegold, Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Europaparlament, Georg Mascolo, Leiter der Recherchekooperation von NDR, WDR und “Süddeutscher Zeitung” und ehemaliger Chefredakteur des “Spiegel”, Annegret Falter, Vorsitzende des Vereins Whistleblower Netzwerk, und Daniel Moßbrucker, Journalist und Trainer für digitale Sicherheit.

3. Jugend und Medien in der Hauptstadt
(youtube.com, Alex Berlin & Charlotte Bauer, Video: 1:00:31 Stunden)
Der “Berliner Mediensalon” ist eine Kooperation des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union sowie der gemeinnützigen Meko Factory. Im aktuellen Talk geht es um die Vermittlung von Medienkompetenz und den verantwortlichen Umgang mit Medien: Inwieweit werden Jugendliche tatsächlich in der Schule darauf vorbereitet? Und was für zusätzliche Angebote müssten geschaffen werden? Darüber diskutieren Vertreter verschiedener Parteien, die Jugendbildungsreferentin der DGB-Jugend Berlin-Brandenburg und eine Vertreterin des DJV.

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4. Der ORF und die Medien
(youtube.com, Falter, Video: 40:42 Minuten)
“Wild umstritten: die Medien, der ORF und die Öffentlichkeit in Österreich” – Im “Falter”-Gespräch unterhalten sich “ZiB-2”-Anchorman Armin Wolf, “Falter”-Medienressortchefin Barbara Tóth und Universitätsprofessor Leonhard Dobusch, der auch Mitglied des ZDF-Fernsehrates ist, über die aktuelle Mediensituation in Österreich.

5. Diversität in der Nachrichtensprache und Reuters Report
(wdr.de, Steffi Orbach, Audio: 43:55 Minuten)
Das WDR5-Medienmagazin enthält erneut eine bunte Mischung an Themen, darunter: Diversität in der Nachrichtensprache, Initiativen gegen Hass beim Gaming, Mediennutzung im Corona-Jahr, Desinformationen und Infektionszahlen, Ausverkauf der Pressefreiheit Hongkongs und der Abschied von Liz Mohn. Bei der Medienschelte am Ende der Sendung werden einige Kommentare der Fußballexperten satirisch aufgespießt.

6. Wie dich schöne Frauen rechtsextrem machen
(youtube.com, Walulis Story SWR3, Video: 12:34 Minuten)
“Rechte Influencerinnen: Wo Nazis auf Nazissmus treffen …” Philipp Walulis und sein Team haben sich bei Youtube und auf den Social-Media-Plattformen angeschaut, wie “dich schöne Frauen rechtsextrem machen”.

Journalisten unter Beschuss, Drohende Sperre, Kopfgeburten

1. Lage in der Ostukraine verschärft sich für Medien: Journalisten unter Beschuss
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers & Anh Tran, Audio: 7:50 Minuten)
Die Berichterstattung aus der Ostukraine ist schwierig und mitunter höchst gefährlich. Der Deutschlandfunk hat mit dem Investigativjournalisten Arndt Ginzel gesprochen, der während eines Interviews selbst unter Beschuss geraten ist.

2. Drohende Medien-Online-Sperre: Türkei macht Druck auf Deutsche Welle
(rnd.de)
Die türkischen Behörden drohen der Deutschen Welle mit einer Online-Sperre. Der Sender müsse innerhalb von 72 Stunden eine Lizenz für die Veröffentlichung von On-Demand-Inhalten beantragen. Andernfalls werde man vor einem Gericht die Abschaltung beantragen.

3. Lokaljournalismus heute: Pfeiler der Demokratie?
(de.ejo-online.eu, Jennifer Retslav & Nick Kaspers & Kevin Bindig & Humberto Mario Consuegra)
Wie kann die Zukunft des Lokaljournalismus aussehen? Kann er seine Funktionen für das demokratische System noch erfüllen? Und wie müssen sich lokale Medien verändern, um mit den Möglichkeiten des Internets mitzuhalten? Darüber diskutierten Studierende der TU Dortmund mit Wolfram Kiwit (Chefredakteur der “Ruhr Nachrichten”), Ella Schindler (Vorstandsmitglied der “Neuen Deutschen Medienmacher” und Redakteurin bei der “Nürnberger Zeitung”), Frank Überall (Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes) und Eliza Diekmann (Bürgermeisterin der Stadt Coesfeld).

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4. Die besten Filme über das Radio
(deutschlandfunkkultur.de, Hartwig Tegeler, Audio: 5:45 Minuten)
“Das Radio spielt in vielen Spielfilmen eine wichtige Rolle – mal romantisch und nostalgisch verklärt als Ort von Intimität und Nähe, mal als immanent politisches und sogar revolutionäres Medium.” Hartwig Tegeler stellt fünf Beispiele aus der Kinogeschichte vor: Woody Allens “Radio Days” (1987), “Julia und ihre Liebhaber” von Jon Amiel (1990), “Radio Rock Revolution” von Richard Curtis (2009), Oliver Stones “Talk Radio” (1988) und “Talk to Me” von Kasi Lemmons (2007).

5. “Truth Social” geht an den Start
(taz.de)
Diese Woche will der ehemalige US-Präsident Donald Trump seine lange angekündigte Internetplattform starten – zumindest in Teilen. Bis Ende März wolle man innerhalb der Vereinigten Staaten “voll einsatzfähig” sein. Angeblich steht dem Projekt die Summe von einer Milliarde US-Dollar zur Verfügung.

6. Helene Fischer kann sich vor Kopfgeburten nicht retten
(uebermedien.de, Mats Schönauer)
Über kaum einen anderen Star fantasiert sich die deutsche Regenbogenpresse derart viel Unsinn zusammen wie über die Schlagersängerin Helene Fischer. Das liefert genau das passende Material für eine neue Runde “Schlagzeilebasteln” bei “Übermedien”: “Wir geben Ihnen eine Nachricht, und Sie denken sich eine treffende Überschrift dazu aus. Mit einem Klick erfahren Sie dann, ob Sie so abgezockt sind wie die Profis.”

KW 26/22: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

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1. Armut in den Medien: Betroffene wehren sich gegen Klischees
(ndr.de, Zapp Medienmagazin, Isabel Schneider, Video: 16:01 Minuten)
Viele Menschen, die von Armut betroffen sind, fühlen sich in Medien klischeehaft und stigmatisierend dargestellt. Die Berichterstattung erfolge oft von oben herab statt auf Augenhöhe. “Zapp” hat sich mit Betroffenen getroffen, die sich gegen all zu stereotype mediale Bilder wehren.

2. 70 Jahre BILD-Zeitung – Zwischen Boulevard und Hetze
(ardaudiothek.de, Rainer Volk, Audio: 28:55 Minuten)
Die “Bild”-Zeitung hat vor wenigen Tagen ihren 70. Geburtstag gefeiert. Bei SWR2 geht es um die Entstehungsgeschichte des Blatts, die Probleme in der Vergangenheit und die derzeitige Situation. Als Experte kommt Volker Lilienthal zu Wort, der “Bild” über einen längeren Zeitraum beobachtet hat. An dieser Stelle auch ein Hinweis in eigener Sache – nämlich auf das empfehlenswerte Buch meiner BILDblog-Kollegen Moritz Tschermak und Mats Schönauer: BILDblog hat ein Buch geschrieben.

3. Wie Markus Lanz vom RTL-Boulevard-Journalisten zum deutschen Polit-Talk-König wurde
(omr.com, Philipp Westermeyer, Audio: 1:28:05 Stunden)
In der 500. Folge des “OMR”-Podcasts begrüßt Philipp Westermeyer den ZDF-Moderator Markus Lanz (dessen Podcast mit Richard David Precht von ZDF und “OMR” produziert wird). In dem Gespräch geht es unter anderem um Lanz’ Werdegang, seine Arbeit als Polit-Talker sowie die Fragen, was er mit seiner Produktionsfirma macht und wie er auf den Klimawandel blickt.

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4. Exiljournalismus: Wie umgehen mit Fluchterfahrungen und Trauma?
(br.de, Jasmin Brock, Audio: 28:40 Minuten)
Beim “MedienMagazin” des Bayerischen Rundfunks geht es um Journalistinnen und Journalisten, die aus Kriegs- und Krisengebieten nach Deutschland flüchten: “Wie verarbeiten sie oft traumatische Fluchterfahrungen, wie gehen sie damit um, dass sie Familienangehörige und KollegInnen zurücklassen mussten? Was hilft ihnen, in deutschen Medien anzukommen, Arbeit zu finden, mit der Sprache umzugehen?”

5. Warum ist Social Media hilfreich für diversen Journalismus, Kemi Fatoba?
(newsfluence.podigee.io, Eva-Maria Schmidt & Jennifer Panse, Audio: 27:32 Minuten)
Die Kommunikationswissenschaftlerin Kemi Fatoba ist Mitgründerin des Magazins “Daddy”, eine in Berlin ansässige Publikation, “die Themen wie Rassismus, Sexismus, Homophobie und Diskriminierung durch eine humorvolle Brille betrachtet”. Im “Newsfluence”-Podcast geht es darum, wie Soziale Medien, User-generated content und Merchandising beim Aufbau einer Community hilfreich sein können.

6. Hat Olaf Scholz ein Problem mit Journalisten?
(uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 14:21 Minuten)
Auf dem zurückliegenden G7-Gipfel in Elmau hat sich Bundeskanzler Olaf Scholz gegenüber einer Journalistin auf eine Weise verhalten, die von vielen kritisiert wurde. Holger Klein hat sich mit Scholz-Kennner Mark Schieritz über den Kanzler und dessen Verhältnis zu den Medien unterhalten: “Hat sich Scholz’ Kommunikation in den vergangenen Jahren verändert? Was bedeutet diese ‘Scholzigkeit’ für die politische Kultur? Und ist schlechte politische Kommunikation auch gleich schlechte Politik?”

Täterprofil­neurose, Technologie-Mythen, “Sommerinterviews”

1. Täterprofil­neurose bei den “Ruhr Nachrichten”
(uebermedien.de, Lisa Kräher)
Lisa Kräher hat die Berichterstattung der “Ruhr Nachrichten” über den mutmaßlichen Mord an einer 17-Jährigen verfolgt und ist in vielerlei Hinsicht entsetzt und berührt: “Wissen Sie, welche Frage ich mir dabei stelle? Wie es sich für Eltern, Familienmitglieder oder Freund:innen dieses Opfers oder Opfer ähnlicher Gewalttaten anfühlt, so etwas zu hören oder zu lesen.”

2. Hauptsache, das Logo sitzt
(tagesspiegel.de, Torsten Körner)
Es braucht andere Interviews als die politischen “Sommerinterviews” bei ARD und ZDF, findet Torsten Körner: “Es braucht Gesprächszeiten oder Interviewzeiten, wo die Zuschauerinnen und Zuschauer sich als Diskursteilnehmer empfinden oder als Augen- und Ohrenzeugen einer spannenden Begegnung, aber diese von vornherein allen Lebens und aller Emotionen, Gedanken und Augenblicke bereinigten Sommerinterviews brauchen wir nicht. Wo Menschen sich nicht begegnen können, weil ihnen die Rollenmuster alles Menschenmögliche stehlen, kommen weder Rolle noch Mensch zu ihrem Recht.”

3. Technologie-Mythen in den Medien
(deutschlandfunkkultur.de, Vera Linß & Markus Richter, Audio: 13:43 Minuten)
Die Regierende Bürgermeisterin von Berlin, Franziska Giffey, ist, wie andere europäische Stadtoberhäupter, auf einen vermeintlichen Anruf von Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko hereingefallen. Schnell machte der Begriff vom “Deep Fake” die Runde, doch es gibt Anhaltspunkte, die gegen eine solche technische Manipulation sprechen. Bei Deutschlandfunk Kultur wird der Fall samt der dazugehörigen Berichterstattung besprochen.
Lesetipp: Zu den technischen Aspekten siehe auch die ein paar Tage zurückliegende Analyse des Investigativjournalisten Daniel Laufer auf Twitter.

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4. Noch vor erstem Angebot: Beim SWR wird gestreikt
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Noch bevor die aktuelle Tarifrunde begonnen hat, gab es gestern beim öffentlich-rechtlichen SWR den ersten Warnstreik. Uwe Mantel stellt die unterschiedlichen Positionen der Tarifparteien vor und erklärt, um was aktuell gerungen wird.

5. Journalismus in der Ukraine: «Unsere Medien sind sehr patriotisch geworden»
(medienwoche.ch, Eva Hirschi)
Lina Kuschtsch ist erste Sekretärin des nationalen Journalistenverbands der Ukraine und Mitglied der Kommission für journalistische Ethik des Landes. Im Gespräch mit der Schweizer “Medienwoche” berichtet sie von der Lage der Medien und des Journalismus seit Kriegsausbruch.

6. Wenn Männer über Männer sprechen: Wo sind die Podcast-Frauen?
(meedia.de, Ivy Haase)
Beim Deutschen Podcastpreis dominierten die Männer: Von elf ausgezeichneten Formaten sei nur ein einziges alleine von einem weiblichen Host präsentiert worden. Dies hänge auch mit der “internalisierten Vorliebe für tiefere Stimmen” zusammen, erklärt Ivy Haase. Man werde “noch mehr aktiv darauf achten müssen, gerade Wissens-, Comedy- und Nachrichten-Formate mit Frauen zu besetzen. Einerseits um Parität, bzw. Diversität, zu schaffen, anderseits, um Wirklichkeit nicht nur mit dem, was wir sagen, entstehen zu lassen – wir müssen auch darauf achten, wer es sagt.”

Protest-Protest, Überzeugungstäter, Radiofälscher

1. Klarstellung: Wer hat die AfD wegen ihrer politischen Forderungen gewählt?
(erbloggtes.wordpress.com)
“Erklärt es irgendetwas, wenn man behauptet, drei Viertel hätten die AfD nicht wegen ihrer Inhalte gewählt, sondern aus Protest? Wahrscheinlich nicht. Denn die Aussage ist falsch.” Auf “Erbloggtes” lässt sich nachlesen, warum die vom ZDF am Wahlabend verbreitete Aussage falsch ist und auf welchen Missverständnissen sie beruht.

2. Der Job als Gradmesser der Freiheit
(horizont.at)
ORF-Korrespondent Jörg Winter muss sich an eine neue Form des Arbeitens gewöhnen: Die Berichterstattung in der Türkei werde zunehmend eingeschränkt, immer mehr Journalisten würden unter den sich verschlechternden Arbeitsbedingungen leiden. Objektive Stimmen würden in die sozialen Medien oder das Internet ausweichen. „Die Existenz vieler Kollegen ist bedroht“, sagt Winter. „Fast zynisch mutet da die Aussage von Präsident Erdogan an, dass Journalisten nirgendwo freier seien als in der Türkei.“

3. Auslandskorrespondenten: Überzeugungstäter
(de.ejo-online.eu, Anna Carina Zappe)
Eine kürzlich in Buchform erschienene Masterarbeit beschäftigt sich mit der Motivationslage von Auslandskorrespondenten. Nach 15 Interviews mit im Ausland tätigen Journalisten sei klar, dass es sich oft um “Überzeugungstäter” handele, denen es um „einen kleinen Beitrag zur Völkerverständigung“ gehe. Der wirtschaftliche Druck sei jedoch hoch und auch das Netz sei konkurrierender Gegner: “Die schnelle Verfügbarkeit von Nachrichten aus aller Welt, vor allem über das Internet, kann bei Redaktionen in der Heimat den Eindruck erwecken, bereits über genügend Informationen über das Geschehen in der Ferne zu verfügen.”

4. Die Trumpifizierung der US-Medien
(netzpiloten.de, Stephen Cushion)
Stephen Cushion berichtet über den amerikanischen Wahlkampf und die Vorgehensweise des republikanischen Abgeordneten Donald Trump. “Von provokanten Reden in Wahlkampfveranstaltungen bis hin zu billigen persönlichen Angriffen auf seine Gegner in TV-Debatten: die Trumpifizierung der Politik passt perfekt zu den kommerziellen Zielen der US-Fernsehsender.” Bei der jüngsten TV-Debatte der republikanischen Spitzenkandidaten auf Fox News hätten 17 Mio. Zuschauer eingeschaltet. Dies sei die höchste Zuschauerquote, die für eine der Spitzendebatten erzielt wurde.

5. Arno heißt jetzt Elvis
(fair-radio.net, Beata Beier)
Bei “Fair Radio” (Alternativlink) geht es um einen besonders kuriosen Fall: Der Sender “Radio NRW” behaupte, bei ihm würden für Spaßtelefonate Hörer anrufen. Die Gespräche mit Comedian Elvis Eifel seien aber gefälscht. Der Artikel legt mit einigen Soundclips die Beweisstücke vor. “So ein Hörerbetrug strahlt weit über den vermeintlich unseriösen und unwichtigen Bereich der Comedy hinaus. Hörer denken sich ihren Teil und im schlimmsten Fall bleibt ganz unterbewusst eine Erkenntnis hängen: Wer schon bei Comedy lügt, der ist auch an anderer Stelle – wenn es um wichtige, seriöse Infos geht – nicht ehrlich. Nicht vertrauenswürdig.”

6. Neues aus der Bildmontage-Bastelstube: Sinnentleertes
(noemix.twoday.net, Michael Nöhrig)
Wenn eine Redaktion kein passendes Symbolbild zur Hand hat, muss es manchmal eine selbsterstellte Fotomontage tun. “Nömix” hat einige haarsträubende Photoshopdesaster und Musterbeispiele für angewandten Pixelpfusch herausgesucht.

Dunz-Festspiele, Kolonialhumor, Storchenklage

1. Vom Erfolg, dem US-Präsidenten eine Frage gestellt zu haben
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Die deutsche “dpa”-Journalistin Kristina Dunz hat dem amerikanischen Präsidenten beim Merkelbesuch eine kritische Frage gestellt und wurde dafür von ihrem “dpa”-Vorgesetzten und weiteren Medien vielfach und ausgiebig gefeiert. Stefan Niggemeier von “Übermedien” kann mit den “Dunz-Festspielen” aus vielerlei Gründen wenig anfangen.

2. Stellungnahme zur Karikatur in der FAZ zum Thema „Erdogan möchte eine Rede halten“
(isdonline.de)
Das Karikaturistenduo Greser & Lenz hat auf “faz.net” ein Bild veröffentlicht, das bei vielen Menschen für Entsetzen gesorgt hat, die darin Rassismus sehen (Erdogan im Kannibalen-Kochtopf. Sprechblasentext: “Massa Osman wolle halte eine Rede”). Nun hat der Verein “Initiative Schwarze Menschen in Deutschland” eine Stellungnahme abgegeben und verlangt eine Entschuldigung.

3. Fischer, Frauen und die taz: Thomas Fischer zur Geschichte eines gescheiterten Interviews
(meedia.de, Thomas Fischer)
Gestern haben wir hier den offenen Brief der “taz”-Redakteurin Simone Schmollack an den BGH-Richter und “Zeit Online”-Kolumnisten Thomas Fischer verlinkt. Schmollack hatte sich den Frust über ein nicht autorisiertes Interview mit Fischer von der Seele geschrieben. Nun antwortet Fischer beziehungsweise schlägt zurück.

4. Klage gegen Buch über AfD: Von Storch schießt scharf gegen “Spiegel”-Journalistin Amann
(kress.de, Bülend Ürük)
Nach Informationen von “kress” will die AfD-Europaabgeordnete Beatrix von Storch einen Verkaufsstopp des Buches “AfD – Angst für Deutschland” der “Spiegel”-Journalistin Melanie Amann bewirken. Streitpunkt sei eine Textstelle, die ein Zitat von Beatrix von Storch aus der Debatte um einen Schießbefehl auf Frauen an der Grenze aufgreift. Der Verlag will sich hinter seine Autorin stellen: “Wir werden mit allen rechtlichen Mitteln gegen diesen Versuch, den Verkauf des Buches zu stoppen vorgehen.”

5. Klagewelle gegen die ARD
(rnd-news.de, Ulrike Simon)
Zwischen den Verlagen und Öffentlich-Rechtlichen wird immer wieder hart darüber gestritten, wer was darf. Die Verlage sehen in den Webangeboten der Öffentlich-Rechtlichen eine Bedrohung: Die Fernsehanstalten mögen sich auf Video und Audio beschränken. Texte und Fotos seien Sache der Verlage! Nun wollen die Verlage gegen den “rbb” vorgehen, auf dessen Internetpräsenz sie angeblich zu viel Text entdeckt hätten. Ulrike Simon erklärt den Konflikt und rätselt, wen es als nächstes trifft.

6. Ende der Tonspur
(sueddeutsche.de, Marc Hairapetian)
Eines der ältesten und größten deutschen Synchronunternehmen, die “Berliner Synchron”, zieht auf einen modernen Campus um. Anschließend werden die historischen Studios abgerissen. Anlass an den fast romantischen Charme des alten Gebäudes und seine besonderen Geschichte zu erinnern.

Hetze, Manipulation und Wahlkampf auf den Titelseiten

“Bild” will nicht nur berichten, “Bild” will auch Politik machen. Die Redaktion setzt dann alles daran, den amtierenden Bundespräsidenten abzusägen, einen Verteidigungsminister ganz nach oben zu schreiben oder einen uralten Vorschlag der Grünen kurz vor der Bundestagswahl zum großen Skandal aufzubauschen. Häufig klappt es.

Bei all der Parteilichkeit und Einmischung der “Bild”-Zeitung bleibt das, was vor Wahlen in Großbritannien passiert, etwas Besonderes und besonders Eindrucksvolles: Die dortigen Boulevardblätter berichten nicht — sie machen Wahlkampf auf ihren Titelseiten, sie hetzen und manipulieren.

Die Briten stimmen heute über ein neues Parlament ab. Ein kurzer Blick auf die aktuellen Cover von “Daily Mirror”, “Daily Express”, “Daily Mail” und “The Sun” reicht, um zu sehen, wie einseitig die Schlagzeilen und Artikel sind, wie deutlich sich die jeweiligen Redaktionen auf die Seite der Labour Party beziehungsweise der Tories schlagen.

Der “Daily Mirror” ist für Labour, die Anweisung an die Leserschaft eindeutig: “VOTE Labour”. Das Blatt macht Theresa May zum “FACE OF FEAR”, das man heute an der Wahlurne loswerden könne: “Today’s your chance to get rid of Mrs May”.

Titelseite Daily Mirror - Lies, damned lies and Theresa May - Don't condemn Britain to five more years of Tory broken promises
(Draufklicken für eine größere Version.)

Der “Daily Express” druckt eine ähnlich klare Anweisung, allerdings im Sinne der Tories und Premierministerin May:

Titelseite Daily Express - Vote for May today
(Draufklicken für eine größere Version.)

Die “Daily Mail” positioniert sich ebenfalls explizit für die Tories. Mit dem richtigen “tactical voting guide” könnten die Leserinnen und Leser den britischen Geist neu entfachen:

Titelseite Daily Mail - Your tactical voting guide to boost the Tories an Brexit - Let's reignite British spirit
(Draufklicken für eine größere Version.)

Die mit Abstand übelste Titelseite hat “The Sun” veröffentlicht. Das Blatt hat Labour-Parteichef Jeremy Corbyn — hehe, lustiges Wortspiel mit dessen Nachnamen — in einen Mülleimer gepackt, ihn zum “Terroristen-Freund” erklärt und geschrieben, dass nur ein “vote for Theresa May’s Conservatives — not Ukip, or any other –” helfen werde, um den “MARXIST EXTREMIST” Corbyn zu verhindern:

Titelseite The Sun - Don't chuck Britain in the Cor-bin - terrorists friend, useless on Brexit, destroyer of jobs, enemy of business, massive tax hikes, puppet of unions, nuclear surrender, ruinous spending, open immigration, marxist extremist
(Draufklicken für eine größere Version.)

Alles hat eine Moral, nur die Wurst hat zwei

In deutschen Supermärkten herrscht der Irrsinn, der “PREIS-IRRSINN”:

Preis-Irrsinn im Supermarkt - Fleisch billiger als Obst!

“Schweineschnitzel zum halben Preis, das Kilo für 4,49 Euro”, “Rinderbraten für 5,55 Euro”, “2,99 Euro das Pfund” Putenschnitzel — Bild.de hat völlig Recht, dass man mal darüber nachdenken sollte, ob das alles noch ganz richtig ist, für die Tiere, für die Bauern, für die Verbraucher:

Fleisch zieht, vor allem billiges Fleisch. Darauf setzen die Werber — allen Debatten über Gesundheit und Tierschutz zum Trotz.

Eine Lebensmittel-Expertin vom “Bundesverband der Verbraucherzentralen” erklärt im Bild.de-Artikel von gestern: Die fleischigen Lockvogel-Angebote aus den Supermarkt-Prospekten würden künstlich billig gemacht und quersubventioniert:

“Wenn sie damit eine fünfköpfige Familie in den Laden bekommen, die für 150 Euro ihren Wocheneinkauf macht, dann rechnet sich das.”

Also, zusammengefasst: Es gibt Bedenken, ob die Billig-Fleisch-Angebote verantwortungsvoll sind. Und sie sollen die Leute in die Supermärkte und Discounter locken, damit die dort noch mehr Kohle lassen.

Die “Bild”-Zeitung feiert diese Woche ja groß ihr Jubiläum: 65 Jahre “Bild”. Gestern bekam ganz Deutschland als Geschenk ungefragt die Gratis-“Bild” in den Briefkasten gesteckt. In der heutigen Ausgabe gibt es für alle Leserinnen und Leser den “Geburtstags-Kracher von LIDL & BILD”: mit einem Coupon, den man ausschneiden muss, bekommt man — damit sich jeder auch mal wieder das teure Obst leisten kann — bei “Lidl” ein halbes Kilo Erdbeeren, eine Mango und einen Ananas-Kokos-Banane-Smoothie, alles zusammen für 1,99 Euro.

Ach nee, das Angebot sieht doch etwas anders aus:

Zum Geburtstag geben BILD und LIDL einen Aus - Grill-Knaller-Paket - Sechs Würstchen, ein Ciabatta und ein Bier für 1,99 Euro!
(“einen ausgeben” für “1,99 Euro” — sowas schafft auch nur “Bild”)

Sechs Rostbratwürstchen, dazu eine Büchse Bier und ein Brot für 1,99 Euro. Sechs Rostbratwürstchen sind 540 Gramm Fleisch. Zu diesem “PREIS-IRRSINN” können wir nur noch einmal Bild.de zitieren:

Fleisch zieht, vor allem billiges Fleisch. Darauf setzen die Werber — allen Debatten über Gesundheit und Tierschutz zum Trotz.

Compactgepfändet, Baby-Hitler, Graslutscher vs. Veganerfresser

1. Richard Gutjahr pfändet Compact-online.de
(golem.de)
Der Journalist Richard Gutjahr hat wegen ausstehender Kosten für eine einstweilige Verfügung die „gegnerische“ Domain Compact-online.de pfänden lassen. Hintergrund: Das umstrittene Online-Magazin hatte im vergangenen Jahr wahrheitswidrig behauptet, dass Gutjahr von dem Anschlag in Nizza und dem Amoklauf in München vorab gewusst habe. (Zum Hintergrund: In “Unter Beschuss” berichtet Gutjahr über seine Erfahrungen als Ziel- und Hassobjekt von Verschwörungstheoretikern und Hasskommentierern)
Nachtrag: Wie Gutjahrs Anwalt mitteilt, habe der Verlag gestern nachmittag “sehr eilig” bezahlt.

2. Wie der Deutschlandfunk 6 Absätze mit 6 fragwürdigen Falschbehauptungen veröffentlichte
(graslutscher.de, Jan Hegenberg)
Der sich zur veganen Szene zählende „Graslutscher“ ist ein Fan des „Deutschlandfunks“ und hat sich deshalb besonders über einen Beitrag des „Veganerfressers“ („FAZ“) Udo Pollmer geärgert, den „Deutschlandfunk Kultur“ am 19.01.2018 veröffentlichte. Der Text sei eine Aneinanderreihung von Fehlern und Falschbehauptungen, ein „in allen Belangen mangelhafter, geradezu unterirdischer Beitrag, in dem ein Autor offenbar seinen persönlichen Feldzug gegen Veganerinnen auslebt, dessen Ausführungen in der Redaktion vor Veröffentlichung zudem offenbar nicht im Ansatz geprüft werden, obwohl dort eigentlich bekannt sein müsste, wie manipulativ dieser das Thema in eigenen Publikationen behandelt.

3. Drei mal Medienkritik – drei verschiedene Reaktionen
(ennolenze.de)
Enno Lenze ist laut Eigenbeschreibung ehrenamtlicher Kriegsberichterstatter, Fotograf, Weltenbummler und politischer Aktivist. In diesen Funktionen kommt er viel in der Welt herum, auch in Krisenregionen, in die sich sonst nur wenige wagen. Was er dort erlebt, kann schon mal von dem abweichen, was hier in den Medien berichtet wird. In seinem Blog beschreibt Lenze anhand von drei Beispielen, wie Medien reagieren, wenn er sie auf Fehler hinweist.

4. Facebook will mit 10.000 neuen Mitarbeitern gegen Hetze vorgehen
(zeit.de)
Facebook-Chefin Sheryl Sandberg hat neue Maßnahmen gegen Online-Hass angekündigt: Bis zum Jahresende wolle man die Zahl der damit befassten Mitarbeiter verdoppeln. Von 10.000 Neueinstellungen ist die Rede. Außerdem wolle man den Nutzern mehr Kontrollmöglichkeiten geben und endlich dort Steuern zahlen, wo sie lokal anfallen. Facebook gehe auf Bedenken ein: “Wichtiger als alles andere ist: Wir wollen das Richtige tun“. Nun denn, warten wir es ab…

5. “Baby-Hitler töten!”: “Titanic” nach Kurz-Satire im Visier der Justiz
(derstandard.at, Oliver Mark)
Die „Titanic“ hat ein Bild des österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz verbreitet, versehen mit einem Fadenkreuz und der Aufschrift „Baby-Hitler töten!“. Das rief in Österreich das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung auf den Plan. Der Vorgang landete bei der Staatsanwaltschaft Wien, die wiederum die Kollegen in Berlin um Übernahme der Strafverfolgung ersucht hat. Nach Aussagen von Fachanwälten brauchen sich die Titanicler jedoch keine Sorgen machen. Die Fotomontage müsse im “satirischen Kontext” bewertet werden. Titanic-Chef Tim Wolff gibt sich eh unerschrocken: “Solange die linksgrün-versiffte Political-Correctness-Diktatur des Merkel-Regimes in Deutschland herrscht, haben wir vor frühreifen Baby-Hitlern keine Angst.”

6. Don Alphonso fotografiert jetzt für die FAZ Schwarze im Görlitzer Park. #Berlin
(facebook.com/uebermedien)
Der „FAZ“-Autor „Don Alphonso“, der in der „Welt“ jüngst als „Galionsfigur der Provokationsindustrie“ bezeichnet wurde, fotografiert in Berlin Schwarze und veröffentlicht die Bilder auf seinem “FAZ”-Twitter-Account. Weiterer Lesetipp: Maas fördert doch keine Terrorverharmlosung bei der „Zeit“ über die falschen Behauptungen des Don Alphonso, die von der “FAZ” öffentlich korrigiert werden mussten.

Taschenspielertricks, Meinung mit Folgen, Trumps Ex-Sprecherin

1. Das Verbot von “linksunten.indymedia” ist zweifelhafter denn je
(uebermedien.de, Andrej Reisin)
Andrej Reisin kritisiert auf “Übermedien” die juristische Vorgehensweise beim Verbot der Website “linksunten.indymedia”: “Wenn der Staat Publikationen verbieten kann, ohne die eigentlich gebotene verfassungsrechtliche Abwägung überhaupt vorzunehmen, dann ist der Schritt zu einer staatlichen Zensur durch die Hintertür nicht mehr weit. Wenn jede Webseite über ihre tatsächlichen oder vermeintlichen Betreiber zum “Verein” erklärt und verboten werden kann, dann nützt die Pressefreiheit im Zweifelsfall nicht mehr viel.”

2. Mann teilt Artikel der “Deutschen Welle” im Netz – und wird dafür verurteilt
(augsburger-allgemeine.de, Jan Kandzora)
Ein 24-jähriger Asylbewerber aus Tschetschenien teilt einen Beitrag über den IS und gerät deswegen ins Visier der Augsburger Justiz. Bei dem Artikel handelt es sich jedoch nicht um mit Gewaltdarstellungen angereichertes Propagandamaterial des sogenannten Islamischen Staats, sondern um einen Beitrag der Deutschen Welle. Jan Kandzora ist dem Fall nachgegangen, der einige Fragen aufweist.

3. Falsche Nachrichten – falsche Erinnerungen
(spektrum.de, Daniela Zeibig)
“Fake News” können zu falschen Erinnerungen führen. Dies haben Forscher vom University College Cork herausgefunden, die 3000 irischen Probanden sechs Nachrichtentexte vorlegten, von denen zwei frei erfunden waren. “Spektrum”-Redakteurin Daniela Zeibig berichtet von dem Forschungsprojekt, das demnächst auf Themen wie Brexit-Referendum und “MeToo”-Bewegung ausgeweitet werden soll.

4. Andrea Nahles atmet auf
(taz.de, Jagoda Marinic)
Jagoda Marinic schreibt über ihre Eindrücke vom diesjährigen Kulturempfang der Sozialdemokratie in Berlin. Es ist ein sehr lesenswerter, da feinfühlig-menschlicher Text geworden. Marinic begegnet auf dem Empfang der Ex-SPD-Chefin Andrea Nahles, einer Person, die sie eigentlich nicht besonders mag. Im Verlauf des Abends revidiert Marinic ihre Ansicht jedoch: Die Politikerin, die ihr dort begegnete, sei ihr medial nie vermittelt worden: “Es heißt, die SPD finde nur noch schwer gutes politisches Personal. Auch das ist kein Spezifikum dieser Partei, sondern ein grundsätzliches Problem. Für Frauen allemal. Nicht nur Parteien verschleißen ihr Personal. Wie sehr ist einer Berichterstattung zu trauen, der es nicht gelungen ist, eine Politikerin wie Andrea Nahles in ihrer Komplexität zu zeigen? Und welcher Mensch bei Verstand will in die Höhle dieser Löwen?”

5. “Tagesthemen”-Kommentare: Meinungen mit Folgen
(ndr.de, Gaby Biesterfeldt, Video: 6:02 Minuten)
Wohl kein journalistisches Format ruft so heftige Reaktionen hervor wie der Kommentar. Gaby Biesterfeldt hat für “Zapp” die “Tagesthemen”-Redaktion besucht und sich mit den Verantwortlichen und Kommentierenden über die Auswirkungen ihrer Arbeit unterhalten.

6. Trumps Ex-Sprecherin fängt bei seinem Lieblingssender an
(sueddeutsche.de)
Die Ex-Sprecherin von US-Präsident Donald Trump, Sarah Huckabee Sanders, nutzt ihre Erfahrungen im Umgang mit “Fake News” und wechselt zu dem darauf spezialisierten TV-Sender Fox News — oder um es mit den Worten Willy Brandts zu sagen: “Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört”.

Rezo bei “Zeit Online”, Höcke will Bürgerkrieg, Die Methode Trump

1. Horst Seehofer ist kein drolliges Kleinkind
(zeit.de, Rezo)
“Ein Nazi tötet, ein Innenminister labert Scheiße und der Rest der Bevölkerung lässt sich vom Wesentlichen ablenken.” Das sind die ersten Worte der neuen “Zeit Online”-Kolumne von Youtuber Rezo (bekannt aus “Die Zerstörung der CDU”). In seinem Text erklärt Rezo, “wieso wir in Zukunft die Äußerungen von Politikern häufiger als Bullshit bezeichnen sollten, um ein konstruktiveres Umfeld zu schaffen für die Diskussionen, die ja geführt werden müssen.” Rezos Kolumne erreicht damit Platz 1 der Social-Media-News-Charts, wie Daten-Analyst Jens Schröder in seiner #trending-Kolumne bei Meedia feststellt.
Es sind allerdings wahrlich nicht alle begeistert von Rezos Beitrag: Jana Wolf findet ihn beispielsweise inhaltlich “daneben” und im Ton “überheblich” und “selbstgefällig”.

2. Werben wie Donald Trump
(netzpolitik.org, Alexander Fanta)
Bekanntermaßen gibt es für Posten wie den des Möchtegern-Autokraten Donald Trump keinen Ausbildungsgang. Alexander Fanta hat daher auf netzpolitik.org die wichtigsten Tipps und Tricks zusammengetragen, wie sich mit Hilfe von Facebook Menschen und Wahlen manipulieren lassen: “Schritt eins: Frage Fragen und bitte um Geld. Schritt zwei: Erzähle Märchen über deine Gegner. Schritt drei: Stifte mit Troll-Armeen Verwirrung. Schritt vier: Lasse Sockenpuppen für dich sprechen.” Was sich vielleicht etwas lustig anhört, hat einen ernsten Hintergrund und ist mit unzähligen Links zum Weiterlesen gespickt.
Weiterer Lesetipp: US-Präsident Trump hat angekündigt, die “New York Times” und die “Washington Post” im Weißen Haus abbestellen zu wollen. Die Bundeseinrichtungen sollen ebenfalls ihre Abos kündigen: Trumps neues Aufbäumen gegen kritische Medien (sueddeutsche.de, Anna Ernst).
Und wer sich darüber informieren will, wie es hierzulande um den Online-Wahlkampf bestellt ist: Wahlwerbung via Social Media: CDU gab am meisten für Microtargeting aus (heise.de).

3. Höcke will den Bürgerkrieg
(zeit.de, Hajo Funke)
Die Sprache des Thüringer AfD-Politikers Björn Höcke offenbare seine Gefährlichkeit, so der Rechtsextremismusforscher Hajo Funke in seinem Gastbeitrag auf “Zeit Online”: “Wenn wir Höcke also an seiner Sprache messen, so geht es ihm um eine nicht nur ethnische, sondern auch politische “Säuberung” und um das Einsetzen staatlicher Gewalt gegen beliebig definierte Feinde. Er suggeriert mit dieser Sprache auch einen künftigen Kampf zwischen denen, die anders denken und seinen Anhängern, er will offensichtlich den Bürgerkrieg in Dörfern und Städten in Deutschland. Es ist eine Strategie der Entfesselung und der Aufschaukelung von Ressentiments und Gewalt.”
Weiterer Lesetipp: Höcke scheitert mit Eilantrag gegen Verfassungsschutz (spiegel.de, Wolf Wiedmann-Schmidt).

4. Datenschutzbeschwerde gegen Zeit Online eingereicht
(onlinejournalismus.de, Matthias Eberl)
Matthias Eberl kritisiert seit Langem die Trackingpraxis und Datenweitergabe deutscher Medienhäuser. Nachdem die Redaktion von “Zeit Online” (von der in dieser “6 vor 9”-Ausgabe auch zwei Beiträge verlinkt sind) bereits im Sommer mit dem Negativpreis Big-Brother-Award bedacht wurde, hat nun ein Leser eine Datenschutzbeschwerde eingereicht. Eberl hat mit dem Beschwerdeführer über dessen Beweggründe gesprochen: “Ich finde es frech, dass Zeit-Online meine Daten an Facebook gibt, obwohl ich zahle”.

5. 70 Jahre FAZ: Wo die Herausgeber regieren wie «Kurfürsten»
(medienwoche.ch, Adrian Lobe)
Zum 70. Geburtstag der “FAZ” hat der Historiker Peter Hoeres ein über 500-seitiges Buch über die Geschichte der Zeitung vorgelegt. Adrian Lobe stellt das Werk vor und erzählt dabei von den verschiedenen Epochen und Machtkämpfen des berühmten Medienhauses. Lobe sieht in der Geschichte der “FAZ” auch den Bedeutungsverlust der gedruckten Zeitung: “Im Rückspiegel der Geschichte sieht man die aktuellen Entwicklungen klarer. Insofern leistet das Buch — wohl etwas unfreiwillig — auch einen Beitrag zum Verständnis des Medienwandels.”

6. “Lachen bedeutet Freiheit”
(taz.de, Erica Zingher)
Seit ihrem Start 2017 wurde die rbb-“Abendshow” von Britta Steffenhagen und Marco Seiffert moderiert. Nun hat der Sender das Moderatoren-Duo abgelöst und durch den Komiker Ingmar Stadelmann ersetzt. Im Interview mit der “taz” spricht Stadelmann über seine Pläne, die Grenzen der Freiheit und darüber, warum er Dieter Nuhr verteidigt, ohne seinen Verteidiger spielen zu wollen.
Weiterer Lesetipp: Markus Ehrenberg hat sich für den “Tagesspiegel” die erste Sendung der Stadelmannschen “Abendshow” angeschaut. Sein Befund: “Noch viel Luft nach oben”.
Und noch ein Lesetipp: Cordula Nitsch und Dennis Lichtenstein schreiben in der “Medienwoche” über Satire als “Einstiegsdroge”.

Buhrowkrat im Feuer, Kampf um die “Krone”, Happy New Leak

1. “Wir werden nicht einer Meinung sein”
(zeit.de, Ralf Heimann)
Nach Ansicht vieler Kritiker hat WDR-Intendant Tom Buhrow mit seiner übereilten Telefon-Intervention und der Bitte um Entschuldigung für den eigentlichen Skandal um das Satireliedchen von der Oma als “Umweltsau” gesorgt. Viele WDR-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter fühlten sich im Stich gelassen, hatten das Gefühl, ihr Chef sei ihnen in den Rücken gefallen. Nun fand in Köln eine Redaktionsversammlung statt, zu der 700 Leute kamen. Buhrow habe dort sein Verhalten in einer Weise verteidigt, die Zweifel daran aufkommen lasse, dass er verstanden hat, worum es bei der Sache geht.
Weiterer Lesehinweis zum Hintergrund: Aufgepasst, Ihr Umweltsäue! — warum die Vorwürfe gegen die WDR-Satire falsch sind (taz.de, Heiko Werning). Lesenswert auch die aktuelle Kolumne von Sascha Lobo zur Debattenkultur: Diagnose: Vorzeitiger Nachrichtenerguss (spiegel.de).

2. “Ibiza lebt”
(sueddeutsche.de, Leila Al-Serori)
In Österreich wird ein erbitterter Kampf um die “Krone” geführt. Das Blatt mit einer Reichweite von 30 Prozent weckte bereits die Begehrlichkeiten des damaligen FPÖ-Politikers Heinz-Christian Strache, wie man im “Ibiza-Video” sehen und hören konnte. Nun versuche der Tiroler Immobilienmilliardär und Investor René Benko das Blatt zu übernehmen: “Eine weitere Parallele zu Ibiza bekommt der Machtkampf auch durch die Nähe René Benkos zum Kanzler: der Milliardär gehört dem engsten Zirkel rund um Sebastian Kurz an. Benko beteuert, dass es nicht um Politik, sondern nur ums Geschäft gehe.”

3. Ein Abschied vom Vermesser
(taz.de, Steffen Grimberg)
Horst Röper, die “taz” nennt ihn den “King of Medienforschung”, geht in den Ruhestand. Der Journalist und Medienwissenschaftler leitete seit 1984 das Formatt-Institut (“Forschung Medien Aktuell Technologie Transfer”) und sei damit “das Gedächtnis der deutschen Zeitungslandschaft”. “taz”-Autor Steffen Grimberg in seiner Art Ruhestandslaudatio: “Und jetzt will der Mann, der sich als Einziger noch so richtig um all diese Fragen kümmert, in den Ruhestand gehen. Einfach so. Is nich, Horst. Wir brauchen dich!”

4. Happy new Leak!
(deutschlandfunk.de, Samira El Quassil, Audio: 5:23 Minuten)
Die Firma Cambridge Analytica brachte es zu trauriger Berühmtheit, als 2018 bekannt wurde, dass ihre Datenanalysen für personalisierte Wahlwerbung auf dem illegalen Besitz von Informationen zu Millionen von Facebook-Profilen beruhten. In der Folge meldete das umstrittene Unternehmen Insolvenz an. Nun tauchen Tausende von neuen Dokumenten auf, die von einer Ex-Mitarbeiterin stammen sollen. Samira El Ouassil ordnet den Fall für den Deutschlandfunk neu ein.

5. Versöhnt in der Irritation
(faz.net, Nina Rehfeld)
Aus dem us-amerikanischen Phoenix berichtet Nina Rehfeld über die Zwickmühle des TV-Senders Fox News: Einerseits fungiere er als Sprachrohr der Republikaner und Stichwortgeber des amtierenden Präsidenten Donald Trump. Andererseits habe Starmoderator und Publikumsliebling Tucker Carlson den Angriff auf den iranischen General Soleimani und die offizielle Begründung dafür scharf kritisiert.

6. Die “Wissenschafts-Blogs des Jahres 2019” sind gewählt: Qualität setzt sich durch
(wissenschaftkommuniziert.wordpress.com)
“Wissenschaft kommuniziert” hat die “Wissenschafts-Blogs des Jahres 2019” wählen lassen. Auf Platz 1 landete das “Zukunftsblog” der ETH Zürich, auf Platz 2 die Archäologin Geesche Wilts mit “Miss Jones” und an dritter Stelle das Nachrichtenblog “Wissenschaft aktuell”.
Weiterer Lesehinweis: Ein gutes Beispiel für gelungene Wissenschaftskommunikation und Datenvisualisierung liefert heute die interaktive Karte der “Berliner Morgenpost”: So groß ist der Brand in Australien — im Vergleich zu Ihrer Gegend.

Zum Würfeln: Promi-Schönheits-OPs in Boulevardmedien

Zeitknappheit, Personalmangel, begrenzte Ressourcen …

Wir kennen die Probleme der Redaktionen nur allzu gut und haben dafür die Lösung: Mit unserem Würfelspiel “Kurz vor Redaktionsschluss” lassen sich, jawoll, auch kurz vor Redaktionsschluss auf die Schnelle druckreife Teaser, kurze Artikel und erfundene Klatschgeschichten erstellen.

Folge 10 unserer 16-teiligen Serie: Promi-Schönheits-OPs in Boulevardmedien.

Das neue BILDblog-Würfelspiel Kurz vor Redaktionsschluss - nur viermal würfeln, schon haben einen sinnfreuen Klatschartikel beisammen - Schritt 1: Würfeln Sie die Obendrüber-Zeile - Schritt 2: Würfeln Sie die Headline - Schritt 3: Würfeln Sie die Beauty-Panne - Schritt 4: Würfeln Sie die Verschwörung - Variante 1: Foto-Schock: Absicht oder OP-Unfall? Ihre Mutter wollte es nicht glaube. Schlauchboot-Lippen und Pandabärenaugen! Wollte sich der Make-up-Artist rechen? Variante 2: Beauty-Traum für immer geplatzt! Ist sie diesmal zu weit gegangen? Streifenhörnchen-Look und Botox-Desaster! Stand der Chirurg unter Drogen? Variante 3: Stars im Schnippelwahn! Er kann sich nicht mehr bücken! Hyaluron-Fail und Selbstbräuner-Panne! Alles für bessere Rollenangebote? Variante 4: Horror-Auftritt auf dem Roten Teppich! Sie traute sich nicht aus der Limousine. Wangen-Implantate und Silikon-Brüste! Steckt die Sekte dahinter? Variante 5: Beauty-OPs: Fluch oder Segen? Er ist für immer entstellt! Injektions-Pfusch und Nasen-Desaster! Zog der Manager die Fäden? Variante 6: Geheime Schönheits-OP im Urlaub! Schlimmer als ein Auto-Unfall! Katzenaugen und Gesichtsstraffung! Alles wegen Schermzensgeld?

Hier gibt es ein größeres JPG und hier ein PDF zum Ausdrucken.

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Bisher erschienen:

Das Bild, das “Bild” abgibt

Angesprochen auf den äußeren Schaden, der durch die Affäre um Ex-“Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt entstanden ist, sagt der neue “Bild”-Chef Johannes Boie im Interview mit der “Süddeutschen Zeitung” (nur mit Abo lesbar):

Ich denke, dass der Schaden nach außen vorhanden ist, aber an manchen Stellen auch gezielt größer gemacht wird, als er tatsächlich ist.

Eine grundsätzlichere Frage wäre: Was ist überhaupt noch an (positivem) “Bild”-Image vorhanden, das – auf welche Weise auch immer – beschädigt werden kann? Es gibt mehrere Studien und Umfragen, die darauf Antworten geben.

Das Reuters Institute for the Study of Journalism der Universität Oxford zum Beispiel hat in seinem “Digital News Report 2021” auch für Deutschland “Brand trust scores” erfragt, also: Wie sehr vertrauen die Befragten dem jeweiligen Medium? Das Ergebnis:

“Bild” landet unter den abgefragten Medien mit weitem Abstand auf dem letzten Platz. 60 Prozent der befragten Personen sagen, dass sie “Bild” nicht vertrauen. (Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt die Universität Mainz. “Wie vertrauenswürdig finden Sie diese Angebote?”, fragten die Forscherinnen und Forscher 2020, wobei sie dabei nicht konkrete Medienmarken nannten, sondern Gattungen. Darunter auch “Boulevard-Zeitungen”, deren wichtigster Vertreter nach wie vor “Bild” ist. Sie landeten ganz hinten (7 Prozent “sehr/eher vertrauenswürdig”, 56 Prozent “überhaupt/eher nicht vertrauenswürdig”).)

Einen etwas anderes Fokus haben die Initiative Reset. und die Agentur pollytix in ihrer Studie zur Debattenkultur (PDF) gesetzt. Sie fragten im Juni 2021 in einer bundesweiten repräsentativen Umfrage:

Glauben Sie, die folgenden haben einen eher positiven oder eher negativen Einfluss auf die Art und Weise, wie Diskussionen in Deutschland geführt werden?

Das Ergebnis:

Auch hier landet “Bild” auf dem letzten Platz, mit dem niedrigsten Wert bei “eher positiv” und dem höchsten bei “eher negativ”.

Der “GemeinwohlAtlas” der Leipziger Graduate School of Management und der Universität St. Gallen will den “gesellschaftlichen Nutzen” von deutschen sowie internationalen Unternehmen, Marken, Organisationen und Institutionen untersuchen und abbilden:

Im Jahr 2019 nahmen insgesamt 11.769 Personen im Alter zwischen 18 und 93 Jahren an der Befragung teil.

Kannten die Befragten mindestens eine der aufgelisteten Organisationen, wurden sie aufgefordert, für einzelne, randomisiert ausgewählte Organisationen den Beitrag zum Gemeinwohl in den vier Dimensionen Lebensqualität, Aufgabenerfüllung, Zusammenhalt und Moral zu bewerten.

Hier landet “Bild” nicht auf dem letzten, sondern auf dem drittletzten Platz – Rang 133 von 135. Schlechter bewertet wurden nur die FIFA und Marlboro:

Und wie sieht die “Bild”-Belegschaft das selbst? Nach dem Compliance-Verfahren gegen Julian Reichelt im Frühjahr hat der Springer-Verlag eine Befragung unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von “Bild”, “Bild am Sonntag” und “B.Z.” durchgeführt. Sie konnten 51 vorgegebene Aussagen bewerten, auf einer Skala von 0 bis 10, von wenig bis hoher Zustimmung.

Der “Spiegel” berichtete Anfang Juni über die Ergebnisse (nur mit Abo lesbar). Und über die interne Präsentation durch “Bild”-Geschäftsführerin Carolin Hulshoff Pol:

Sie tritt an diesem Montagnachmittag demütig auf. Bei einem Wert, sagt sie, habe sie sich “echt erschrocken”. Er betrifft den Blick, den die Mitarbeiter auf die Außenwirkung ihrer Blätter haben, auf den Wert für die demokratische Öffentlichkeit. Abgefragt worden war: Werden “Bild”, “BamS” und “BZ” ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht? Die Belegschaft vergab dafür den Wert 5,5. “Das darf nicht unser Anspruch sein”, sagt Hulshoff Pol.

Das “Bild”-Image scheint auch aus Sicht der dort arbeitenden Menschen so ramponiert zu sein, dass nicht wenige nur ungern erzählen, wo sie arbeiten:

Und noch eine Zahl: 225 Befragte, also ein Viertel, erzählen nach außen ungern, dass sie bei “Bild” arbeiten. Eine Redaktion, die sich zumindest in Teilen für den eigenen Arbeitgeber schämt.

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Erlaubte Fragen, Ode an die Ignoranz, Stecker gezogen bei “Britain First”

1. Offene Fragen sind noch keine fal­schen Behaup­tungen
(lto.de)
“Günther Jauch – Sterbedrama um seinen besten Freund – Hätte er ihn damals retten können?” titelte die „Woche der Frau“. Der Fernsehmoderator setzte sich dagegen zunächst erfolgreich mit einer Gegendarstellung zur Wehr, unterlag nun aber vor dem Bundesverfassungsgericht. Die Argumentation des Gerichts, stark verkürzt: Es müsse erlaubt sein, Fragen zu stellen. Fragen, die offen für verschiedene Antworten seien, könnten keinen Gegendarstellungsanspruch auslösen.

2. Klartext: Ode an die Ignoranz
(heise.de, Clemens Gleich)
Clemens Gleich plädiert in seiner unterhaltsamen „Ode an die Ignoranz“ für mediale Abschottung und den Griff zum Ausschalter: „Unser Problem liegt längst nicht mehr darin, dass wir Wichtiges verpassen, im Gegenteil: Wir können das Unwichtige nicht lassen. (…) Bis wir die Technik und unsere angeborenen Verhaltensweisen wieder in eine brauchbare Balance gebracht haben, hilft uns nur die Axt der Abschottung.“

3. Facebook sperrt Britain First
(zeit.de)
Die Chefs der rechtsextremen und islamfeindlichen britischen Organisation „Britain First“ sitzen seit vergangener Woche wegen Hassverbrechen in Haft. Nun hat auch Facebook die Seite von „Britain First“ gesperrt. Sie hatte zuletzt zwei Millionen Likes.

4. Sprache: Es geht nicht um das „Mitgemeintsein“ von Frauen
(antjeschrupp.com)
Antje Schrupp fragt sich, warum sich unsere Kultur so vehement gegen eine Veränderung von Sprache wehrt, die Frauen sichtbar macht. „Während Frauen aufgrund des generischen Maskulinums von klein auf üben (müssen), zu unterscheiden, ob sie gemeint sind oder nicht, werden Männer daran gewöhnt, dass sie immer gemeint sind, dass es prinzipiell immer um sie geht, es sei denn, es ist ausdrücklich von Frauen die Rede.“

5. Eine Gesellschaft braucht Fiktion
(taz.de, Stefan Stuckmann)
Sollen öffentlich-rechtliche Sender auch Fiktion und Unterhaltung produzieren oder sich auf Information und Nachrichten beschränken? Drehbuchautor Stefan Stuckmann ist ein unbedingter Anhänger des Fiktionalen. Oftmals würden Serien Diskurse stärker prägen als nicht­fiktionale Stücke: „Serien wie „Girls“ oder „Sex and the City“ haben mehr getan für das sexuelle Selbstbewusstsein junger Frauen als jede Doku über Frauenrechte. In den USA war es kein Essay, kein Leitartikel, sondern das Musical „Hamilton“, dem die populäre Neudefinition des amerikanischen Gründungsmythos als Immigrantengeschichte gelang. Und die Serie „Black Mirror“ macht die Schattenseiten der Digitalisierung besser erfahrbar als jedes Erklärstück über russische Twitterbots.“

6. Die Drecksarbeit wird an Freiwillige outgesourct
(spiegel.de, Patrick Beuth)
YouTube will verschwörungstheoretischen Videos “Wikipedia”-Links beifügen, quasi als inhaltliches Gegengewicht. Patrick Beuth hält dies für „einen Versuch, die Drecksarbeit auszulagern. In diesem Fall an die freiwilligen Wikipedia-Autoren, die ganz sicher nicht darum gebeten haben, als unbezahltes Korrektiv für eine Plattform herzuhalten, die mit extremen Inhalten extrem viel Geld verdient.“

Richtigstellung: Julian Reichelt ist für uns keine Koryphäe

Am Montag hatten wir einen kleinen Auftritt bei der Republica. Gleich zu Beginn (ab Minute 1:39), zu dieser Folie …

Screenshot unserer Präsentation bei der Republica - darauf zu lesen: Einer kann heute leider nicht dabei sein

… sagte unser “6 vor 9”-Kurator Lorenz Meyer:

Der Abend beginnt für uns mit einer kleinen Enttäuschung. Wir haben eigentlich auf den dritten wichtigen Mann gewartet. Eine Koryphäe, eine Lichtgestalt des Journalismus. Er kann heute leider nicht dabei sein. Er ist in der Sophienstraße und hält einen wichtigen Vortrag.

Dazu erschien diese Folie:

Screenshot unserer Präsentation bei der Republica - darauf zu sehen: Eine Ankündigung der Schwarzkopf-Stiftung zu einer Veranstaltung mit Bild-Chef Julian Reichelt zum Thema Verantwortung im Journalismus

BILDblog-Leiter Moritz Tschermak sagte anschließend noch:

Das ist ziemlich schade, denn auf der Bühne mit Julian Reichelt zusammen zu sitzen — ich hatte einmal das Vergnügen — ist ein großes Erlebnis.

Heute Nacht erreichte uns dazu eine E-Mail von “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt. Ihm sei berichtet worden, dass wir bei unserem Auftritt bedauert hätten, “dass ich keine Zeit hatte, mit Ihnen auf der Bühne zu sitzen”, wir sollen “enttäuscht” gewesen sein. Reichelt: “Jetzt frage ich mich, ob mir da Ihre Einladung durchgerutscht ist oder ob Sie nur den Eindruck erweckt haben, ich hätte mich nicht zu Ihnen getraut. Sollte das der Fall sein, wäre ich zwar nicht überrascht, aber doch betrübt und würde um öffentliche Richtigstellung bitten.” In einer weiteren E-Mail schreibt Reichelt: “Ich habe mir das angesehen und finde, dass Sie hier eindeutig einen falschen Eindruck erwecken.”

BILDblog-Ombudsfrau Erna Belitz sagt dazu:

Der “Bild”-Chef hat Recht! Eine Einladung für den Termin bei der Republica wurde an Julian Reichelt nie ausgesprochen. Außerdem müssen noch weitere glasklar falsche Fakten richtiggestellt werden, die das BILDblog-Team bei der Republica verbreitet hat: Julian Reichelt ist keine Koryphäe und auch keine Lichtgestalt des Journalismus. Solch gravierende Fehler dürfen sich nicht wiederholen!

Julian Reichelt sieht keine toten Menschen

Nach einem schweren Busunfall auf Madeira im April dieses Jahres, bei dem 29 Menschen starben, zeigte Bild.de viele Fotos, auf denen die Opfer des Unglücks zu sehen waren. Über diese Veröffentlichung beschwerten sich mehrere Personen beim Deutschen Presserat.

Zum Prozedere gehört es dann, dass auch die Redaktion, gegen die sich eine Beschwerde richtet, Stellung nehmen kann. Das hat in diesem Fall Julian Reichelt übernommen. Und der “Bild”-Chef entgegnete den Vorwürfen mit einer sehr eigenen Version der Vorgänge. Im Bericht des Presserats steht:

Der Vorsitzende der Chefredaktionen trägt vor, die Beschwerde sei erkennbar unbegründet, weshalb er sich kurzfassen wolle: An dem tragischen Busunglück in Madeira, von dem auch viele deutsche Urlauber betroffen waren, habe ein besonders großes öffentliches Informationsinteresse bestanden. Diesem Interesse habe man entsprochen, nicht mehr und nicht weniger — wie alle anderen Medien auch. Und unter Einhaltung sämtlicher presseethischer Grundsätze über ein Aufsehen erregendes zeitgeschichtliches Ereignis berichtet. Anders als die Beschwerdeführer behaupten, habe man insbesondere keine Fotos der getöteten oder lebensgefährlich verletzten Opfer gezeigt. Man habe aber — natürlich, weil man als Presse dazu verpflichtet sei — die Fotos der Unfallstelle gezeigt, an der eine Vielzahl von Helfern darum bemüht war, den Opfern zu helfen. Teilweise — mit “viel gutem Willem” — identifizierbar seien lediglich einige wenige leicht verletzte Opfer des Busunglücks. Dies jedoch sei im Rahmen des unstreitig gegebenen öffentlichen Interesses i.S.v. Ziffer 8 Pressekodex im Hinblick auf eine vollständige und umfassende Berichterstattung unvermeidbar und verletze weder Recht noch Presseethik.

Kurzum: Ihre Bild- und Textberichterstattung über den tragischen Unglücksfall auf Madeira sei absolut medienubiquitär und in keiner Weise zu beanstanden. Die Beschwerden seien allesamt zurückzuweisen.

Erstmal zur Frage der Identifizierbarkeit der von Bild.de gezeigten Personen. Zu dem Thema schreibt der Medienrechtler Udo Branahl in seinem Lehrbuch:

An die Erkennbarkeit des Betroffenen stellt die Rechtssprechung (…) nicht sehr hohe Anforderungen. Sie verlangt nicht etwa, dass ein erheblicher Teil des Publikums die gemeinte Person erkennen kann, sondern lässt es ausreichen, dass sie von Kollegen, Freunden, Bekannten oder Verwandten erkannt werden kann.

Wenn Reichelts Redaktion Aufnahmen veröffentlicht, die Personen in einer Totalen unverpixelt zeigen, ist also nicht “viel guter Wille” notwendig, um von einer identifizierenden Berichterstattung zu sprechen. Das dürfte auch für das Foto gelten, auf dem ein Verletzter deutlich größer, aber verpixelt zu sehen ist, da dieser für “Kollegen, Freunde, Bekannte oder Verwandte” etwa anhand seiner Kleidung immer noch zu erkennen sein dürfte.

Reichelts Argument, dass man insbesondere keine Fotos der getöteten oder lebensgefährlich verletzten Opfer gezeigt habe, ist schlicht falsch. Entweder weiß er nicht, was seine Redaktion so alles veröffentlicht hat, oder er lügt. Bild.de zeigte noch am Tag des Unfalls ein Foto, auf dem Leichen vor dem verunglückten Bus unvepixelt zu sehen waren:

Screenshot Bild.de - Ein Foto vom verunglückten Reisebus, davor liegen Menschen, die offenbar nicht mehr leben - Bild.de hat da Foto ohne jegliche Unkenntichmachung veröffentlicht
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag stammen von uns.)

Und als Bild.de die Aufnahme bereits nach und nach verpixelt hatte, druckte die “Bild”-Zeitung ein ähnliches Foto noch einmal komplett ohne Unkenntlichmachung:

Ausriss Bild-Zeitung - Foto des verunglückten Busses

Der Presserat sah es dann auch anders als Julian Reichelt und sprach eine Missbilligung aus:

Der Beschwerdeausschuss erkennt in der Berichterstattung unter der Überschrift “Reisebus mit 55 Menschen auf Madeira verunglückt” einen Verstoß gegen den in Ziffer 8 des Pressekodex festgeschriebenen Schutz der Persönlichkeit und die in Ziffer 11 des Pressekodex festgehaltene Sensationsberichterstattung.

Das Gremium sieht in der Veröffentlichung von Fotos, die Opfer des Unglücks unverfremdet und identifizierbar zeigen, einen Verstoß gegen deren Persönlichkeitsschutz gemäß Richtlinie 8.2 des Pressekodex. Der Umstand, dass jemand Opfer eines Busunglücks wird, macht denjenigen grundsätzlich nicht zu einem legitimen Objekt des öffentlichen Interesses. Das Wissen um die Identität der Betroffenen trägt vorliegend in keiner Weise zum besseren Verständnis vom Unfallhergang bei. Bloße Neugier der Leser rechtfertigt hingegen keine identifizierende Berichterstattung. Daher überwiegen die schutzwürdigen Interessen der Betroffenen. Die Veröffentlichung von unverfremdeten Fotos der Opfer im Moment ihres Leids lässt diese in der Öffentlichkeit erneut zu Opfern werden und verstößt insofern auch gegen Richtlinie 11.3 des Pressekodex.

Mit Dank an André W. für den Hinweis!

Nachtrag, 17:12 Uhr: Drüben bei “Übermedien” berichtet Stefan Niggemeier über eine weitere Entscheidung des Presserats gegen “Bild”.

Nachtrag, 4. Juli: Zu dieser Aussage des pflichtbewussten Julian Reichelt: “Man habe aber — natürlich, weil man als Presse dazu verpflichtet sei — die Fotos der Unfallstelle gezeigt, an der eine Vielzahl von Helfern darum bemüht war, den Opfern zu helfen.” schickte uns ein Leser die Frage, wo und in welcher Form die Presse “dazu verpflichtet sei”, Fotos einer Unfallstelle zu zeigen. Darauf wissen wir leider auch keine Antwort. Von so einer Pflicht haben wir jedenfalls noch nie gehört. Und, das nur nebenbei: Es gab auch Fotos von der Unfallstelle, die etwas später aufgenommen wurden und bei denen die Leichen von den Helfern bereits abgedeckt waren.

Mit Dank an Martin für den Hinweis!

Deckname Bernstein, Ökomythen, Böhmermann und die Hohenzollern

1. Deckname Bernstein
(taz.net, Alexander Nabert & Daniel Kretschmar)
Bei der “Berliner Zeitung” überschlagen sich derzeit die Ereignisse: Erst das wirre und umstrittene Manifest der neuen Verlagseigentümer, dann die Aufdeckung der Stasi-Tätigkeit und das Bekanntwerden von Interessenkonflikten von Neu-Eigentümer Holger Friedrich. Die “taz”-Redakteure Alexander Nabert und Daniel Kretschmar fassen den derzeitigen Erkenntnisstand zusammen.
Vertiefende Lesehinweise: Neuer Besitzer des Berliner Verlags spitzelte als IM für die Stasi (welt.de, Uwe Müller & Christian Meier) und “Berliner Zeitung” veröffentlicht Jubelbericht über Firma — an der der Verleger beteiligt ist (spiegel.de, Stefan Berg & Sven Röbel).
Die “Berliner Zeitung” hat auf die Vorwürfe mit einem Statement von Holger Friedrich und einem “In eigener Sache” reagiert.

2. Wir haben uns entschlossen …
(twitter.com/kugelundniere)
Die Medientage in München haben ein Panel zum Thema Podcasts ausschließlich mit Männern besetzt. Ein Umstand, der dem Podcast-Team von “Kugel und Niere” bei der Zusage nicht bekannt gewesen sei und nun zur Absage führte: “Wir haben uns entschlossen am Montag bei diesem Panel nicht dabei zu sein. Wir wussten bei Zusage nicht, dass nur Männer auf der Bühne sitzen werden. Wir haben angeboten, dass Anna oder Elli kommen. Es hieß, man wolle die Zusammensetzung so kurzfristig nicht ändern.”

3. Gemeinsam gegen Angriffe
(taz.de, Peter Weissenburger)
Journalistinnen und Journalisten, die über die rechte Szene berichten, führen ein gefährliches Leben. Das reicht von Beschimpfungen und Bedrohungen bis zu echten Angriffen. Nachdem Neonazis eine Demonstration gegen drei freie Journalisten angekündigt haben, wurde von Medien- und Gewerkschaftsseite der Aufruf “Schützt die Pressefreiheit” gestartet. Dem Aufruf sollen sich bislang bereits 20 Medienverbände, 17 Redaktio­nen und 450 Einzel­per­sonen angeschlossen haben.

4. Was ist schon politisch?
(zeit.de, Lisa Hegemann)
Im Gegensatz zu Facebook soll es auf Twitter laut Netzwerkchef Jack Dorsey keine politische Werbung mehr geben. Ab Ende der Woche sollen die neuen Richtlinien gelten. Lisa Hegemann erklärt die Hintergründe des Werbeverbots, die Schwachstellen und die Abgrenzungsprobleme. Und sie weist auf ein elementares Problem hin: “Das Netzwerk hat sich also zwar Richtlinien überlegt, aber ob die auch Konsequenzen haben, das scheint man je nach Einzelfall entscheiden zu wollen. Transparent ist das nicht.”

5. Die Arbeit an den Ökomythen
(flurfunk-dresden.de, Stephan Zwerenz)
Stephan Zwerenz beschäftigt sich in seiner Kolumne mit der medialen Sicht auf die Klimadebatte, die an vielen Stellen von “falschen Ökomythen” geprägt sei. Und von der, im wahrsten Sinne des Wortes, Fokussierung auf eine einzelne Person: “Aber was will man erwarten, wenn selbst seriös wirkende Nachrichtenmagazine wie Focus online regelrechte Hetzkampagnen starten, um den Hass auf die Fridays-for-Future-Bewegung zu schüren. Im Sommerloch dieses Jahres hatten die zuständigen Redakteure anscheinend nichts besseres zu tun, als fast jeden Tag über Greta Thunberg zu berichten, obwohl es gar keine Neuigkeiten von ihr gab.”

6. Jan Böhmermann, der Aufklärer
(sueddeutsche.de, Jörg Häntzschel)
Der Entertainer Jan Böhmermann übernimmt immer wieder Themen, denen sich eigentlich der Journalismus widmen müsste. Aktuell geht es um die Forderung der Hohenzollern nach Entschädigung, Wohnrecht in einem Schloss und “Rückgabe” von Tausenden von Kunstwerken. Böhmermann habe “für eine breite Öffentlichkeit die milde Haltung des Bundes gegenüber den Hohenzollern zum Thema gemacht. Nun werden alle darüber reden müssen, warum der deutsche Adel nicht schon in der Weimarer Republik vollständig enteignet wurde, welche Rolle die Hohenzollern davor spielten, und warum man nach der Wende wieder so sanft mit ihnen umging. Daran kommt jetzt keiner mehr vorbei.”

Utøya-Attentat, Laschet-Fauxpas, Bitte kein “Runterbrechen”

1. 10 Jahre Oslo, Utøya und die Medien: Keine Islamfeindlichkeit weit und breit
(schantall-und-scharia.de, Fabian Goldmann)
Anlässlich des zehnten Jahrestages des Utøya-Attentats blickt Fabian Goldmann auf die mediale Berichterstattung von damals zurück: “Während die Jugendlichen auf der Insel Utøya noch vor dem Rechtsextremisten um ihr Leben rannten, klärten ‘Terrorexperten’ im TV schon über dessen ‘islamistischen Hintergründe’ auf. Selbst als kein Zweifel mehr an der rassistischen Motivation des Attentäters bestand, machten manche Kommentatoren noch Muslime und Linke als eigentlich Verantwortliche aus. Und einige Medienschaffende schafften es sogar, die Taten des Massenmörders zu entschuldigen.”

2. Warum über den Fauxpas berichtet werden muss
(deutschlandfunk.de, Samira El Ouassil, Audio: 4:13 Minuten)
Während einer Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Hochwassergebiet konnte man sehen, wie Armin Laschet, Kanzlerkandidat der Union und Ministerpräsident von NRW, im Hintergrund giggelte und kicherte. Ein Fehltritt, den Medien zum Gegenstand ihrer Berichterstattung machen dürfen? Oder ein Fauxpas, über den man großzügig hinweg gehen sollte? Die Kommunikationswissenschaftlerin und Kolumnistin Samira El Ouassil denkt laut über das Für und Wider beider Vorgehensweisen nach.

3. “Bild” stoppt freien Fall, “Zeit” und “Spiegel” wachsen digital
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Die neuen IVW-Auflagenzahlen der Printmedien sind draußen, und die Springer-Publikationen melden auf den ersten Blick gute Zahlen. Uwe Mantel hat näher hingeschaut und ordnet die Zahlen ein: “Bei der ‘Welt’ beträgt das Auflagen-Plus offiziell fast 6 Prozent – allerdings nicht, weil plötzlich viele Käufer zu dem Blatt zurückgefunden hätten, sondern weil die Zahl der Bordexemplare, die während des ersten Lockdowns massiv gefallen war, sich vervierfachte. Die harte Auflage lag trotzdem fast 17 Prozent im Minus.”

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4. “Das Geschäftsmodell von Facebook und Twitter verhindert eine vernünftige Debattenkultur”
(medienpolitik.net, Daphne Wolter)
Ruprecht Polenz, ehemaliger Generalsekretär der CDU, betätigt sich seit einigen Jahren in den Sozialen Medien und vor allem bei Twitter als politischer Kommentator. Er hat dabei mehr als 63.000 Followerinnen und Follower gewonnen. Im Interview mit medienpolitik.net spricht Polenz über die Debattenkultur auf Social Media, das Freund-Feind-Denken und die Gefahren der von den Plattformen gesteuerten Algorithmen: “Insofern teile ich die Einschätzung derjenigen, die sagen, dass in der Tendenz Soziale Medien eher die Wirkung haben werden, unseren demokratischen Diskurs zu zerstören – bei allem, was sie auch Positives ermöglichen. Wir dürfen uns nicht so große Hoffnungen machen, dass man das grundsätzlich ändern kann, solange die Algorithmen so funktionieren, wie sie das tun.”

5. Konkurrenz macht Netflix zu schaffen
(tagesschau.de)
Die “Tagesschau” hat sich die jüngsten Netflix-Zahlen angeschaut. Der Gewinn sei im Jahresvergleich um fast 90 Prozent auf 1,4 Milliarden US-Dollar in die Höhe geschnellt: “Die Einnahmen stiegen um fast 20 Prozent auf 7,3 Milliarden Dollar. Daraus ergibt sich eine Umsatzrendite von knapp 20 Prozent. Ein besseres Ergebnis erzielte der Konzern bisher nur im ersten Quartal dieses Jahres.” Trotzdem falle es dem weltgrößten Streaminganbieter immer schwerer, neue Abonnenten zu gewinnen.

6. Mut zur Zumutung!
(taz.de, Anne Haeming)
Anne Haeming hat genug von den Simplifizierungstendenzen mittels journalistischem “Runterbrechen”: “Das Publikum weiß, dass es unterschätzt statt geschätzt wird. Dass ein paar neue Formate neben das Oberflächenblabla drängen, ist ein Indiz: Schluss mit der Runterbrecherei. Mehr Mut zur Zumutung! Nach dem Dauer-Lockdown gilt: Wir alle wollen Zeit sinnvoll füllen. Und sicher nicht mit Häppchenjournalismus.”

Fehlende Größe, Eingriff in die Privatsphäre, Pöbel-Theologen

1. “Josef Joffe hat mich als damals zuständigen ‘Die-Zeit’-Redakteur hintergangen und die eigene Redaktion verraten”
(twitter.com, Felix Rohrbeck)
Wie vergangene Woche bekannt wurde, lässt Josef Joffe, langjähriger Mitherausgeber der Wochenzeitung “Die Zeit”, sein Mandat als Herausgeber bis zum Vertragsende ruhen. Dieser Entscheidung vorangegangen waren Vorwürfe, Joffe habe einen mit ihm befreundeten Bankier vor Recherchen seiner eigenen Zeitung gegen das Geldhaus gewarnt. Auf Nachfrage der “Süddeutschen Zeitung” hatten sich Joffe und “Die Zeit” zu dem Fall geäußert. In einem Twitter-Thread legt Felix Rohrbeck, einer der damaligen “Zeit”-Autoren, seine Sicht der Dinge dar. Josef Joffe habe großen Schaden angerichtet: “Dass er nicht mal die Größe hat, sich dafür zu entschuldigen und stattdessen versucht, uns Autoren zu schaden, spricht für sich.”

2. Es trifft die Falschen
(zeit.de, Ann-Kathrin Nezik)
Ann-Kathrin Nezik hält die Pläne der EU zur sogenannten Chat-Kontrolle für einen tiefen Eingriff in die Privatsphäre, der wenig bringe: “Gerade die EU, die sich mit progressiven Gesetzen wie der Datenschutz-Grundverordnung als Gegenentwurf zu autokratischen Regimen präsentiert, darf sich einen solchen Eingriff in die Privatsphäre nicht erlauben – zumal er nur scheinbar dem Kampf gegen sexuelle Gewalt an Kindern dient.”

3. Wie Medien für Glücksspiel werben
(deutschlandfunk.de, Stefan Fries, Audio: 30:27 Minuten)
Welche Rolle und Verantwortung haben Medien rund um das Thema Glücksspiel bei Lotto und Sportwetten? Darüber diskutiert ein Deutschlandfunk-Hörer mit dem Glücksspielforscher Tobias Hayer, dem Sport- und Medienjournalisten Fritz Lüders und mit Stefan Fries aus der Dlf-Medienredaktion.

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4. Schafft die 20-Uhr-“Tagesschau” ab
(dwdl.de, Peer Schader)
Peer Schader sieht bei der “Tagesschau” Reformbedarf: “Ende dieses Jahres wird die vermutlich bekannteste Sendung des deutschen Fernsehens 70 Jahre, und man soll ja nicht unhöflich zu älteren TV-Formaten sein, aber: man sieht und hört es ihr ein bisschen an.”

5. Laissez-faire beim Klima
(tagesspiegel.de, Katja Horneffer)
Beim “Tagesspiegel” verrät die ZDF-Metereologin Katja Horneffer, worüber sie sich in der letzten Woche in den Medien am meisten geärgert hat und worüber sie sich freuen konnte. Es geht um den Umgang mit Klimameldungen und die Begeisterung über ein Bild vom Schwarzen Loch im Auge unserer Milchstraße.

6. Homosexuelle verunglimpft – Verfahren in Köln gegen zwei Priester eingestellt
(wdr.de, Markus Schmitz)
Im katholischen Fachmagazin “Theologisches” bezeichnete ein Theologieprofessor Homosexuelle als “Parasiten” und “Krebsgeschwüre”. Darauf wurde ein Verfahren wegen Volksverhetzung gegen den Autor sowie den verantwortlichen Redakteur in Gang gesetzt, das nun gegen eine Geldauflage von insgesamt 7.000 Euro und eine Entschuldigung eingestellt wurde.

Pläne auf Eis, Klimakommunikation, Folgen der “Pegasus”-Recherche

1. RBB legt Pläne für Medienhaus vorläufig auf Eis
(tagesspiegel.de, Kurt Sagatz)
Rund 100 Millionen Euro will sich der öffentlich-rechtliche RBB sein Digitales Medienhaus kosten lassen, doch bei der Auftragsvergabe könnte es zu Unregelmäßigkeiten gekommen sein. Nun hat Intendantin Patricia Schlesinger, gegen die sich Teile der Vorwürfe richten, die Notbremse gezogen und das Projekt vorerst gestoppt: “Wir warten ab, bis die Vorwürfe umfassend aufgeklärt sind, bevor wir neue Schritte unternehmen. Alle sollen sicher sein, an einem zweifelsfrei korrekt aufgesetzten Projekt mitzuwirken.”

2. Die Folgen der Pegasus-Recherche
(tagesschau.de, Florian Flade)
Vor einem Jahr hat ein internationales Konsortium aus zahlreichen Medien enthüllt, dass die israelische Softwarefirma NSO ihre Spionagesoftware “Pegasus” offenbar weltweit an autoritäre Regime und in Krisengebiete verkauft hat (siehe dazu Das Pegasus-Projekt, sueddeutsche.de). Der Trojaner soll in diesen Ländern zur Überwachung von Oppositionellen, Journalistinnen, Anwälten, Menschenrechtsaktivistinnen und sogar Staats- und Regierungschefs eingesetzt worden. Der Investigativjournalist Florian Flade hat sich angeschaut, was seitdem passiert ist.
Weiterer Lesehinweis: “Vergebliche Klagen gegen Reporter, ein Untersuchungsausschuss und besserer Schutz für Handys: Was die Recherchen zur Cyberwaffe Pegasus vor einem Jahr ausgelöst haben.” – Warum das Königreich Marokko ZEIT ONLINE verklagte (zeit,de, Kai Biermann & Astrid Geisler & Holger Stark & Sascha Venohr).

3. Journalismus in Zeiten der Klimakrise: Was dürfen, was können, was sollen Medien tun?
(klimafakten.de, Christopher Schrader)
Mit “Über Klima sprechen” hat Christopher Schrader ein wichtiges Buch für wirksame Klimakommunikation verfasst (Druckversion 34 Euro, PDF-Version kostenlos). In seinem dazugehörigen Essay erklärt Schrader, was Journalisten und Journalistinnen daraus lernen können: “Wir Journalist:innen müssen den Fakten angesichts der kognitiven Abwehrmechanismen unseres Publikums den Weg ebnen. Wenn wir weiter nüchtern lediglich Informationen aus der Klimaforschung präsentieren, ohne uns zu überlegen, wie wir sie einbetten und befördern, dann bleiben wir ‘Teil des Problems’.”
Weiterer Lesehinweis: Der neue Hot Take: “Die Klimakrise konfrontiert uns immer häufiger mit gefährlicher Hitze. Medien präsentieren das noch zu oft als willkommenen Freizeitspaß.” (taz.de, Susanne Schwarz)

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4. Texte auf Rädern
(faz.net, Axel Weidemann)
Axel Weidemann scheint ein Faible für nischige Fachmagazine zu haben. Jedenfalls hat er bei einem Bummel durch den Bahnhofszeitschriftenladen seines Vertrauens das “Rollschuhmagazin” entdeckt, “eine Art Esspapier für die Seele”, wie er schreibt. In seinem Text stellt Weidemann es vor.
Weitere Lesehinweise: Wer nicht genug von besonderen, mitunter skurrilen Magazinen bekommen kann, ist beim “Bahnhofskiosk” von “Übermedien” gut aufgehoben. Dort warten zahlreiche liebevoll rezensierte Fachmagazine auf ihre Entdeckung.

5. Der lange Weg zum gleichen Lohn
(sueddeutsche.de, Wolfgang Janisch)
Die unlängst vom ZDF zu RTL gewechselte Journalistin Birte Meier hat ihre Klage gegen das ZDF vor dem Bundesverfassungsgericht verloren. Der Beschluss lasse trotzdem alle Chancen offen, so Wolfgang Janisch, der justizpolitische Korrespondent der “Süddeutschen”: “Auf dem Weg bis zu einem endgültigen Sieg von Birte Meier können zwar noch ein paar prozessuale Fußangeln liegen. Aber mit der Empfehlung aus Karlsruhe sieht es ganz gut aus.”

6. Lachen gegen den Klimawandel: Warum TV-Comedy immer politischer wird
(rnd.de, Cornelia Wystrichowski)
“Der Nonsens, der in der Spaßgesellschaft der 90er das TV-Programm prägte, ist out – heute ist Humor mit Haltung gefragt.” Cornelia Wystrichowski ist den Fragen nachgegangen, warum immer mehr der professionellen Spaßmacher sich berufen fühlen, Flagge zu zeigen, und warum andere vom “permanenten Belehren” genervt sind.

Streik-Tag, Kindernachrichten für Erwachsene, Twitter-Chaos

1. ARD steht am Mittwoch bundesweiter Streik-Tag bevor
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Dem Mediendienst “DWDL” zufolge hat die Gewerkschaft ver.di in allen ARD-Anstalten für den heutigen Mittwoch zum Streik aufgerufen. Damit reagiere man auf die “festgefahrenen Verhandlungsstände” in der aktuell laufenden Tarif-Auseinandersetzung. Die Forderungen von ver.di sollen sich auf Gehalts- und Honorarerhöhungen von durchschnittlich sechs Prozent belaufen.

2. Katarischer WM-Botschafter nennt Homosexualität “geistigen Schaden”
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
In der ZDF-Doku “Geheimsache Katar” hat sich der katarische WM-Botschafter herablassend über Homosexualität geäußert und sie als “geistigen Schaden” bezeichnet. Das Interview sei sofort durch den Pressesprecher des WM-Organisationskomitees abgebrochen worden. Diese Sequenz sei jedoch nicht die einzig bemerkenswerte während der 45 Minuten, findet “Tagesspiegel”-Redakteur Joachim Huber.

3. Die beste Kindernachrichtensendung für Erwachsene
(uebermedien.de, Katrin Wilkens)
Katrin Wilkens hat sich die Kindernachrichtensendung “Logo” angeschaut, die sie für die “beste Kindernachrichtensendung für Erwachsene” hält. Sie fragt sich: “Infantilisiert ‘Logo’ die herkömmlichen Nachrichtensendungen oder profitieren die von manchem jungen Zuschauer, der die ‘Tagesschau’ um 20 Uhr nicht mehr als Abendritual anerkennen mag?”

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4. Bei Twitter regiert das Chaos
(taz.de, Volkan Ağar)
Volkan Ağar kommentiert die Twitter-Übernahme durch Elon Musk und die zweifelhaften und chaotisch anmutenden Entscheidungen des neuen Eigentümers: “Musk beklagte am Freitag auf einer Investorenkonferenz einen ‘massiven Rückgang der Erlöse’ und beschuldigte ‘Aktivistengruppen’, Anzeigenpartner unter Druck zu setzen. Wenn er das Unternehmen nicht abschließend gegen die Wand fahren möchte, sollte Musk sein Verwirrspiel also lieber beenden. Aber vielleicht möchte er das auch gar nicht.”

5. Julia Jäkels Ruf aus der Gated Community
(indiskretionehrensache.de, Thomas Knüwer)
Thomas Knüwer ärgert sich über einen Artikel, den die ehemalige Gruner+Jahr-Chefin Julia Jäkel anlässlich der Twitter-Übernahme durch Elon Musk geschrieben hat (nur mit Abo lesbar): “Ganz, ganz viel in Julia Jäkels Text ist geprägt von einer Weltsicht, wie sie in der Filterblase der MedienentscheiderInnen vorherrscht. Man sieht sich als Verfechter der Demokratie, dämonisiert digitale Technik und das, obwohl ein selbstkritischer Blick auf das eigene Tun zur Erkenntnis führen könnte, dass man Teil des Problems ist und nicht Teil der Lösung.”

6. Deutschlands erster Journalismus-Sessel
(journalist.de, Martin Tege)
Radio Euskirchen und das “Innovationslabor für neuen Journalismus” tactile.news haben drei Tage einen “Journalismus-Sessel”, die sogenannte Dialogbox, durch die Stadt gerollt, um Stimmen von Bürgerinnen und Bürgern einzufangen. Martin Tege berichtet über einen ungewöhnlichen Versuch, mit Menschen ins Gespräch zu kommen.

Wie gut war “Bild” bei Olympia?

Am Sonntag sind die Olympischen Spiele in Paris zu Ende gegangen – höchste Zeit für eine große Abrechnung zur deutschen Medaillen-Ausbeute:

Screenshot Bild.de - Plötzliche Wende im Medaillenspiegel - China doch nicht Nummer eins - Deutschland schlecht wie lange nicht

Je nach Auslegung des Medaillenspiegels – etwa beim zusätzlichen Betrachten der Einwohneranzahl des jeweiligen Landes pro gewonnener Medaille – war Deutschland laut “Bild”-Redaktion “sogar noch schlechter”:

Screenshot Bild.de - Der wahre Medaillen-Spiegel - Hier sind wir sogar noch schlechter

Aber wie gut war eigentlich die “Bild”-Sportredaktion bei Olympia? Die hat sich zu Beginn der Olympischen Spiele schließlich klar festgelegt:

Ausriss Bild-Titelseite - Bild legt sich fest - Wir holen 18 Gold-Medaillen!

Natürlich ist es ein bisschen unfair, an jemandem, der sich so weit aus dem Fenster lehnt, kritisch herumzuzerren. Allerdings profitiert “Bild” seit jeher vom Ruf “Aber der Sportteil!” Schauen wir uns die “Bild”-Olympia-Expertise also mal genauer an.

Mit “18 Gold-Medaillen” lag “Bild” ordentlich daneben (genau genommen hat die Redaktion im Artikel sogar 19 Goldmedaillen vorausgesagt, in die Überschrift haben es aber nur 18 geschafft). Tatsächlich gab es in Paris zwölfmal Gold für die deutschen Athletinnen und Athleten – ein Drittel weniger als von der Sportredaktion prognostiziert.

Mit den Goldmedaillen für den Kajak-Vierer und den Kajak-Zweier der Männer, für Ruderer Oliver Zeidler, für Schwimmer Lukas Märtens, für die Rhythmische Sportgymnastin Darja Varfolomeev, für das Dressur-Team und für Dressurreiterin Jessica von Bredow-Werndl lag die Redaktion richtig. Immerhin sieben Treffer. Das war es aber auch. Gold für das 3×3-Basketballteam der Frauen, für Kugelstoßerin Yemisi Ogunleye, für Springreiter Christian Kukuk, für Vielseitigkeitsreiter Michael Jung und für die Triathlon-Mixed-Staffel hatte “Bild” nicht auf dem Tippschein.

Dafür aber Tennisspieler Alexander Zverev sowohl im Einzel als auch im Mixed-Doppel mit Laura Siegemund, Weitspringerin Malaika Mihambo, Zehnkämpfer Leo Neugebauer, Kanutin Ricarda Funk, Freiwasserschwimmer Florian Wellbrock, Schützin Doreen Vennekamp, deren Kollegen Christian Reitz, Turner Lukas Dauser, Judoka Anna-Maria Wagner, die Bahnrad-Teamsprint-Frauen und die Hockey-Männer. Bei allen lag die Sportredaktion mit ihrer Voraussage daneben.

Zusätzlich zu den 18 (oder eben 19) Favoritinnen und Favoriten hatte “Bild” auch noch Freiwasserschwimmerin Leonie Beck, das Frauenteam beim Bogenschießen und Windsurfer Sebastian Kördel als Gold-Kandidaten genannt (“Falls ein Gold-Garant leer ausgeht, hat das deutsche Team noch mehr Kandidaten auf den Olympiasieg”). Auch hier lag die Redaktion daneben. Oder verpackt in einer “Bild”-Schlagzeile:

Der wahre Medaillen-Tipp – Hier ist “Bild” sogar noch schlechter!

***

Hier im BILDblog war es – abgesehen von den “6 vor 9” – lange Zeit sehr ruhig, was unter anderem leider auch immer noch hiermit zu tun hat. Doch das soll sich nun ändern: Es soll wieder mehr und regelmäßig gebloggt werden.

“Das hat BILD exklusiv erfahren”

Manuel Neuer tritt als Torwart der deutschen Fußball-Nationalmannschaft zurück. Darüber berichten gerade alle möglichen Medien, auch Bild.de:

Screenshot Bild.de: Hier erklärt Neuer seinen Rücktritt - Schluss mit der Nationalelf

Für die Leserinnen und Leser der “Bild”-Medien dürfte diese Nachricht etwas überraschend kommen. Denn heute steht in der gedruckten “Bild”:

Ausriss Bild-Zeitung - Neuer macht weiter, aber bei den ersten beiden Länderspielen will er pausieren

Kapitän Ilkay Gündogan (33) hat einen klaren Schritt gemacht, er tritt aus der Nationalmannschaft zurück.

Manuel Neuer (38) dagegen macht weiter! Das hat BILD exklusiv erfahren.

Der Torhüter, der bereits 124 Mal für Deutschland auflief, hat die WM 2026 in den USA, Kanada und Mexiko im Blick. Daher will er noch nicht aus der Nationalmannschaft zurücktreten.

“exklusiv”, das kann man wohl sagen.

Nachtrag, 16:33 Uhr: Nach einer ersten kurzen Eil-Meldung auf der Seite berichtet Bild.de inzwischen ausführlicher über Manuel Neuers Rücktritt aus der Nationalmannschaft. Die Redaktion schreibt unter anderem:

BILD hatte am Dienstag aus mehreren Quellen gehört, dass Neuer grundsätzlich bereit sei, seine Nationalmannschafts-Karriere fortzusetzen, allerdings beim nächsten Länderspiel-Doppelpack im September nicht zur Verfügung stehen würde. Im Kommentar hieß es bei BILD, dass Neuer Klarheit schaffen müsse. Nummer 1 von Deutschland gehe nur ganz oder gar nicht. Er hat sich für GAR NICHT entschieden – und das in der Nacht zu Mittwoch. Erst am Mittwochmorgen teilte er dem DFB seinen finalen Entschluss mit.

So kann man die eigene falsche Berichterstattung natürlich auch herunterspielen. Und es dann ein bisschen so wirken lassen, als hätte erst die Forderung des “Bild”-Kommentars nach “Klarheit” für Neuers Entscheidung gesorgt.

Bildblog unterstuetzen

Bild.de streckt historischen Stoff

Die jungen Leute gucken ja alle heutzutage Serien, und deswegen muss auch Bild.de über Serien berichten. Die neueste “NETFLIX-ERFOLGSSERIE” ist “Narcos”, in der es um den kolumbianischen Drogenhändler Pablo Escobar geht. Also schreibt auch Bild.de über “Narcos”. Und hat sich dafür einen besonderen Dreh überlegt:

Da gäbe es (Update: Bild.de hat den Artkel inzwischen entfernt*) zum Beispiel “Escobars Sohn”, “Escobars Geliebte” — oder “Escobars Geschäftspartner”, Carlos Lehder Rivas:

Carlos Lehder Rivas (66) ist Sohn eines deutschen Ingenieurs und einer Kolumbianerin, war Mitbegründer des Medellín-Kartells und Gefährte von Pablo Escobar.

Genau. Wie Sandro Benini bereits vor dreineinhalb Jahren im “Tagesanzeiger” geschrieben hat:

Carlos Lehder, Sohn eines deutschen Ingenieurs und einer Kolumbianerin, Mitbegründer des Medellín-Kartells, Gefährte des Kokainbarons Pablo Escobar

Die Bild.de-Autorin hat aber noch mehr über Lehder zu berichten:

Lehder gewann Escobar als Lieferanten, und obwohl die Beziehungen zwischen den beiden stets von Misstrauen, sogar Antipathie geprägt war, stieg der Deutsche zu einer der beherrschenden Figuren des Medellín-Kartells auf.

Genau. Wie Sandro Benini bereits vor dreineinhalb Jahren im “Tagesanzeiger” geschrieben hat:

Lehder gewinnt Pablo Escobar als Lieferanten, und obwohl die Beziehung zwischen den beiden stets von Misstrauen, ja sogar Antipathie geprägt ist, steigt der Deutsche zu einer der beherrschenden Figuren des Medellín-Kartells auf.

Bild.de:

Während Escobar vom Koks die Finger ließ, bekam Lehder vom weißen Pulver die Nase nicht voll genug. Das machte ihn unberechenbar und gewalttätig.

“Tagesanzeiger”:

Während Escobar vom Koksen die Finger lässt und höchstens einmal einen Joint raucht, kann Lehder von dem weissen Pulver die Nase nicht voll genug kriegen. Das macht ihn unberechenbar und gewalttätig.

Bild.de:

Am 4. Februar 1987 um 5 Uhr morgens in Guarne, einem Städtchen im Westen Kolumbiens, wurde er von der Drogenpolizei DEA (Drug Enforcement Administration) festgenommen.

“Tagesanzeiger”:

Es ist der 4. Februar 1987, 5 Uhr morgens in Guarne, einem Städtchen im Westen Kolumbiens. Eine Sondereinheit kolumbianischer Elitepolizisten und mehrere Agenten der amerikanischen Drogenpolizei DEA (Drug Enforcement Administration) umstellen ein Landgut.

Bild.de:

Die Geschichte von Carlos Lehder wurde im Film „Blow“ (2001) erzählt, mit Johnny Depp (52) in der Hauptrolle.

“Tagesanzeiger”:

Die Geschichte der Freundschaft zwischen Jung und Lehder wird im Film «Blow» aus dem Jahre 2001 erzählt, mit Johnny Depp in der Hauptrolle.

Auch beim Rest der Lehder-Passage hat sich Bild.de offensichtlich beim “Tagesanzeiger” bedient — natürlich ohne ihn zu nennen. Was wohl Bild.de-Chef Julian Reichelt zu dieser Praxis sagen würde?

Mit Dank an Jonas G.

*Nachtrag, 16. Oktober, 12:01 Uhr: Bild.de-Chef Julian Reichelt hat reagiert, den Artikel offline genommen und sich bei “Tagesanzeiger”-Autor Sandro Benini entschuldigt.

Möglicher Missbrauch als Clickbait

Uns ist ja schon einiges begegnet in Sachen Clickbait: Clickbait mit Krebskranken, Irrsinnswiederholungsclickbait, die inzwischen ganz normale Klickjagd von “Bravo”, “Focus Online” und all den anderen Portalen, die ihre Leserinnen und Leser gern ein wenig hinhalten, bis diese mal erfahren, was wirklich passiert ist (und ob überhaupt irgendwas passiert ist).

Dieser Versuch der “Huffington Post”, die Klickrate ein bisschen hochzuschrauben, ist aber so erbärmlich, dass er aus dem ganzen Clickbait-Stumpfsinn negativ heraussticht:

Jeden Morgen schleicht sich der Vater ins Zimmer seiner Tochter - sie ahnt nicht, was er dort tut

In dem Artikel geht es nicht — wie man durchaus erst einmal denken könnte — um einen Vater, der seine Tochter sexuell missbraucht. Stattdessen erzählt die “Huffington Post” unter anderem vom “allmorgendlichen Ritual” eines Mannes, der sich sehr liebevoll um seine Tochter kümmerte, als diese unter Magersucht litt. Die britische “Daily Mail” veröffentlichte die Geschichte bereits vor 15 Monaten, die “Huffington Post” plapperte sie vor gut einer Woche nach:

Ihr Vater Steve entwickelte mit der Zeit ein allmorgendliches Ritual: Nachdem er aufgestanden war, schlich er sich in ihr Zimmer und überprüfte, ob seine Tochter noch atmete.

“Manchmal saßen wir einfach nur auf dem Boden neben ihrem Bett, um bei ihr zu sein. Wir konnten nichts machen”, sagt er.

Das österreichische Knallportal oe24.at fand die Idee der “Huffington Post” wohl so gut, dass es vor drei Tagen nachzog und die gleiche, schon über ein Jahr alte Story mit einer peinlich ähnlichen Clickbait-Überschrift ebenfalls veröffentlichte:

Ihr Vater schleicht sich jeden Tag ins Zimmer - doch sie ahnt nicht, was er dort macht

Bei der Wahl ihrer Titelzeilen scheint es beiden Portalen einzig um Klicks zu gehen, und nicht darum, der Leserschaft zu vermitteln, wovon die Artikel in etwa handeln. Das Schleich-Ritual des Vaters ist schließlich nur ein Seitenaspekt, der kaum etwas mit dem eigentlichen Thema — dem Kampf und der Genesung der Tochter — zu tun hat.

Gut möglich, dass einige Leserinnen und Leser gar nichts dagegen haben, derart getäuscht zu werden. Jedenfalls hinterlassen sie bei Facebook solche Kommentare:

Der Titel ließ erst etwas anderes erahnen. Nicht nur ich, auch andere Leute dachten erst es hätte was mit Vergewaltigung oder so zutun. Aber einglück ist dies ja nicht so. Tolle Geschichte, tolle Familie und soviel Stärke 💕

Mit Dank an Sven W. und Thomas A. für die Hinweise!

“Bild” und Rassismus, Ausgebamft, Seehofers Framing zum (Ab)Würgen

1. “Bild” weiß: Rassismus in Deutschland kein Problem
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
In den letzten Tagen ging es in den Medien oftmals um Diskriminierung: Unter dem Hashtag #metwo berichteten unzählige Migranten und Migrantenkinder von ihren negativen Alltagserfahrungen. Boris Rosenkranz hat sich angeschaut, auf welche Weise “Bild” die Debatte aufgenommen hat und konstatiert: “”Bild” wehrt sich nicht gegen den Rassismus, sondern gegen den Vorwurf, dass es Rassismus gebe.”
Weiterer Lesehinweis: In seinem Beitrag Was Özil empfand, haben viele erlebt schreibt “SZ”-Autor Jan Bielicki über herkunfts- und religionsbezogene Diskriminierung als Massenphänomen. Studien würden zeigen: Die Benachteiligung sei keineswegs nur gefühlt.
Und ein weiterer Lesetipp: “Was sich unter dem Hashtag #MeTwo an Rassismuserfahrungen ansammelt, darf nicht ignoriert werden — auch wenn die “Bild” mit aller Wucht gegen Einfühlung und Menschlichkeit ankämpft”: Diese Geschichten werden unser Land verändern (spiegel.de, Georg Diez)
Und zu guter Letzt: Auf Facebook stellt sich Michel Abdollahi der “Bild”-Redaktion entgegen: “Wenn jemand als Sprachrohr der AfD jeden Tag spaltet und hetzt, dann seid ihr das. Ihr seid das prominenteste Gesicht des Rassismus in diesem Land. Ihr könnt außer Hetze und Lüge nichts anderes. Wir lassen uns nicht mehr ausgrenzen. Wir lassen uns nicht mehr einschüchtern. Wir lassen uns nicht länger von alten, weißen Männern erzählen, wann was Rassismus ist und wann nicht.”

2. Ausgebamft
(taz.de, Gareth Joswig)
Mitte April berichteten verschiedene Medien von einem angeblichen Skandal beim Bremer Bamf (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge). Der Vorwurf: In mindestens 1200 Fällen soll die ehemalige Leiterin Ulrike B. in Zusammenarbeit mit drei Anwälten unrechtmäßig Asyl erteilt haben. Nach Bekanntwerden der “Affäre” wurde die Bremer Außenstelle geschlossen. Auf Veranlassung des Innenministeriums überprüfen Ermittler nun die dort ausgestellten positiven Asylbescheide seit dem Jahr 2000. Mit ernüchterndem (Zwischen-)Ergebnis: Von den in Rede stehenden 1200 Fällen sind bisher gerade mal 17 übrig geblieben. Wer also weiterhin von einem Skandal sprechen will, sollte damit den Skandal hinter dem “Skandal” meinen.
Weiterer Lesehinweis: Eine ausgezeichnete Aufarbeitung mit juristischer Expertise und zudem ständig aktualisiert: Der eigentliche BAMF-Skandal — erst der Rufmord, dann die Recherche? (beck.de, Henning Ernst Müller)

3. “New York Times”-Verleger warnt Trump
(spiegel.de)
“New York Times”-Herausgeber A.G. Sulzberger hat sich mit US-Präsident Trump getroffen. Das Gespräch sollte auf Wunsch des Weißen Hauses vertraulich bleiben, doch diesen Wunsch konnte Trump seinen Mitarbeitern fast erwartungsgemäß nicht erfüllen und twitterte munter drauf los. Daraufhin sah sich auch der “NYT”-Herausgeber nicht mehr an die zugesagte Verschwiegenheit gebunden und berichtete vom Gespräch.
Hier gibt es Sulzbergers Stellungnahme im Wortlaut: Statement of A.G. Sulzberger, Publisher, The New York Times, in Response to President Trump’s Tweet About Their Meeting (nytco.com, New York Times)

4. Wer von “Sprachpolizei” spricht, will die Debatte abwürgen
(sueddeutsche.de, Luise Checchin)
In einer losen Serie analysiert die “SZ” das Framing politisch oder gesellschaftlich relevanter Begriffe. In der aktuellen Folge geht es um das Wort “Sprachpolizei”, mit dem Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) den Bundesverfassungsgerichtspräsidenten Andreas Voßkuhle belegt hat. Luise Checchin befindet: “Mit seiner pauschalen Kritik am Verfassungsgerichtspräsidenten schürt Seehofer das Misstrauen in den Rechtsstaat. Und macht genau das, was er Voßkuhle vorwirft.”

5. Braucht die DSGVO ein Medienprivileg auch für Blogger, Fotografen und Pressesprecher?
(telemedicus.info, Simon Assion)
Der Deutsche Anwaltsverein empfiehlt, das Bundesdatenschutzgesetz um eine Regelung zu ergänzen, die sich auf Blogger, Podcaster, Youtuber, Twitter-Nutzer, Fotografen, Künstler, Pressesprecher und Politiker bezieht. Telemedicus-Autor und Jurist Simon Assion erklärt die Hintergründe des empfohlenen “Medienprivilegs”. (Besonders für Nicht-Juristen nicht zum schnellen Drüberfliegen geeignet, da einige Details.)
Weiterer Hinweis: Bei “Legal Tribune Online” kannst Du im DSGVO-Quiz zeigen, wie gut Du Dich mit dem neuen Datenschutzrecht auskennst.

6. Weniger Deutsche in Dresden
(twitter.com/emtiu, Michael Büker)
Michael Büker kommentiert eine Meldung der “Dresdner Neuesten Nachrichten”: “Wenn Du aus einer statistisch bedeutungslosen Schwankung von 0,15% so eine Schlagzeile baust, um Deine Leserschaft zu begeistern, bist Du wohl Journalist in Sachsen.”

“Bild”-Chef Reichelt ganz stolz: Es stimmte fast alles

Gerade in der Konditorei: Ja, gut, das sei schon ein ärgerlicher Fehler, so der Meister, dass er und sein Team beim Teig für die Sahnetorte Gips statt Mehl genommen haben, und dass sich in dem Glas, auf dem Salz steht, kein Zucker befindet, nun ja, das hätte vielleicht auch auffallen können. Aber sonst sei das alles Top-Qualität! Ach, warum die Creme so merkwürdig schmeckt? Das könne daran liegen, dass sie Rasierschaum statt Sahne verwendet hätten. Aber sonst stimme so gut wie alles.

So würde es klingen, wenn Julian Reichelt seine Ware nicht als “Bild”-Chefredakteur unter die Leute bringen würde, sondern als Konditor.

Drüben bei Twitter rühmt er sich damit, dass seine Redaktion nur ein paar grobe Schnitzer in einem Artikel untergebracht hat — abgesehen davon habe “so gut wie alles” gestimmt in der “BILD kennt den geheimen Ablauf”-Geschichte über Stefan Raabs Bühnencomeback. Zur Erinnerung: Das Raab-Team hatte auf der “TV Total”-Facebookseite einem “Bild”-Beitrag deutlich widersprochen. Der Artikel sei in großen Teilen schlicht erfunden.

Das ist also der journalistische Anspruch von “Bild” unter Julian Reichelt: Ist doch super, wenn “so gut wie alles stimmt”:

Screenshot eines Tweets von Julian Reichelt - Vor wenigen Tagen dementierte TV total die Bild-Berichterstattung über Stefan Raabs Comeback als frei erfunden und in Teilen erfunden. Hier sieht man nun, dass so gut wie alles stimmte (die Schalte zu ProSieben war ein ärgerlicher Fehler).
Screenshot eines weiteren Tweets von Julian Reichelt - Online haben wir berichtet, dass auch die Heavy Tones auftreten würden. Auch das stimmt. Das Dementi von TV Total zu der Geschichte in Bild ist in weiten Teilen frei erfunden.

Leider stimmt nicht mal Reichelts “so gut wie alles stimmt”. Da der “Bild”-Chef von sich aus nur den “ärgerlichen Fehler” mit der “Schalte zu ProSieben” anspricht, helfen wir ihm — mit Blick auf den Auftritt von Stefan Raab gestern Abend in Köln — gern noch einmal auf die Sprünge:

Nein, Lena Meyer-Landrut war nicht, wie von “Bild” angekündigt, Teil der Show.

Nein, Aaron Troschke war nicht, wie von “Bild” angekündigt, Moderator der Show.

Nein, es waren nicht, wie von “Bild” angekündigt, 20.000 Zuschauer, sondern rund 14.000.

Nein, es gab keine “Aufarbeitung verschiedener Ereignisse der letzten Wochen”, wie von “Bild” angekündigt.

Nein, Raab gab keinen “(beruflichen) Rückblick auf seine TV-Abstinenz”, wie von “Bild” angekündigt.

Nein, Raab sprach nicht, wie von “Bild” angekündigt, “über seine zukünftigen Pläne”.

Mathias Döpfner sagte neulich in einem Interview zur angeblichen neuen Fehler-Kultur bei “Bild”:

Und was ich toll finde: Dass Julian Reichelt, wenn er Fehler macht, sich dafür entschuldigt und sofort Transparenz herstellt.

Dem Springer-Chef könnte ein Konditor Reichelt vermutlich auch ein Stück Sahnetorte andrehen.

Wie es bei Stefan Raabs Bühnencomeback tatsächlich war:

Die alten Leute von Welt.de waren sehr respektlos

In einem Interview mit “Welt am Sonntag” antwortete der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann auf die Frage, ob der Dialog mit Fridays For Future klappe:

“Wir hatten eine Gruppe hier zur Diskussion. Die jungen Leute waren schon sehr selbstbewusst und respektlos, was ja ganz in Ordnung ist.”

Dieser Halbsatz hinter dem Komma, “was ja ganz in Ordnung ist”, ist für das Verständnis von Kretschmanns Aussage von zentraler Bedeutung. Ohne ihn klänge es so, als würde der Grünen-Politiker die jungen Aktivistinnen und Aktivisten für irgendein despektierliches Verhalten kritisieren. Mit ihm klingt es deutlich anerkennender. Oder anders gesagt: Ließe eine Redaktion in ihrer Berichterstattung den Halbsatz einfach weg, würde sie Kretschmanns Aussage deutlich verfälschen.

Bei Welt.de haben sie sich auf ihrer Jagd nach Clicks fürs Verfälschen entschieden (und das “selbstbewusst” gleich auch noch rausgestrichen):

Screenshot eines Tweets der Welt-Redaktion - Die jungen Leute von Fridays for Future waren sehr respektlos

Dieses entstellende Kürzen von Kretschmanns Äußerung kritisierte Oliver Das Gupta, Journalist bei der “Süddeutschen Zeitung”. Dagmar Rosenfeld, Chefredakteurin der “Welt”, reagierte auf diese Kritik. Sie schrieb bei Twitter:

Sie haben recht, durch die Zeile kann ein anderer Eindruck entstehen. Wir haben die Zeile daher geändert.

(“kann ein anderer Eindruck entstehen” ist auch nur minimal besser als das notorische “sollte ein falscher Eindruck entstanden sein, bitten wir um Entschuldigung” — durch die Kürzung des Kretschmann-Zitats entsteht definitiv “ein anderer Eindruck”.)

Und, holla, wie sie “die Zeile daher geändert” haben! Sie lautet nun:

Screenshot Welt.de - Kretschmann über Fridays for Future - Die jungen Leute waren schon sehr selbstbewusst und respektlos

Sie wollen es offenbar nicht verstehen.

Noch ist es unklar, aber Fotos kann man ja schon mal zeigen

Sie schreiben es bei Bild.de ja sogar selbst:

Noch ist unklar, ob und wenn ja, was genau, R[.] mit dem Tod der Männer zu tun hat. Die Polizei teilte bislang nur mit, dass er wahrscheinlich am Wochenende aus seinem Wohnort in Nordirland nach Purfleet in England reiste und im dortigen Hafen am Mittwoch gegen 1.30 Uhr den Lkw übernahm. Der soll zuvor samt Auflieger von Seebrügge (Belgien) über Wales nach England geschifft worden sein. Er passierte am vergangenen Samstag die Grenze zu Großbritannien.

R., das ist der Fahrer des Lkw, in dem in der Nacht zu Mittwoch im englischen Grays 39 tote Menschen gefunden wurden. Der Nordire wurde kurz nach dem Leichenfund festgenommen, gegen ihn wird wegen Mordverdachts ermittelt.

Wie die Bild.de-Redaktion treffend darlegt, weiß man bis jetzt noch nicht, “ob und wenn ja, was genau R[.] mit dem Tod der Männer zu tun hat”. Dass es sich bei den Leichen um 31 Männer und acht Frauen handelt — und nicht nur um Männer, wie Bild.de schreibt –, sei nur nebenbei erwähnt.

In einem weiteren Artikel zum selben Thema fragt Bild.de:

Wusste der Fahrer, dass sich in seinem Kühlaufleger Menschen verborgen hatten — oder war er tatsächlich völlig ahnungslos?

Darauf gibt es bisher keine klare Antwort. Und dennoch zeigte Bild.de auf der Startseite ein unverpixeltes Foto des Fahrers neben einer Überschrift, in der für die Unklarheiten dieses Falles kein Platz war:

Screenshot Bild.de - 39 Leichen in Lkw gefunden - Das ist der Fahrer des Todestrucks
(Unkenntlichmachung durch uns.)

Auch in der “Bild”-Zeitung war ein unverpixeltes Foto des Mannes abgedruckt. Und bei Bild.de präsentierte die Redaktion zusätzlich das Ergebnis ihres Beutezugs durch die Sozialen Medien: zwei Fotos, auf denen R. zu sehen ist, mit der Quellenangabe “Foto: R[.]/ Facebook”. Außerdem gab es in den Artikeln Informationen aus seinem Privatleben.

Zum Zeitpunkt, als die “Bild”-Medien die Aufnahmen, die R. ohne Unkenntlichmachung zeigen, veröffentlichten, saß der Mann zwar in Untersuchungshaft, es gab aber noch keine Anklage gegen ihn. Inzwischen gibt es eine wegen 39-fachen Totschlags — verurteilt ist R. bislang allerdings nicht.

Für eine Vorverurteilung sorgen allerdings schon die “Bild”-Medien mit Sätzen wie “Sein Lkw wurde zum Grab für 39 Menschen” und “Der 25-Jährige soll von Nordirland nach Purfleet gereist sein, um dort den Truck des Grauens zu übernehmen”. Noch einmal: Ob R. tatsächlich wusste, dass es sich bei dem Kühlauflieger um einen “Truck des Grauens” handelte, ist bisher nicht bekannt. Sicherlich könnte man einem Lkw-Fahrer Fahrlässigkeit vorwerfen, wenn er kein wirkliches Interesse daran hat, was sich in seinem Anhänger befindet, den er durch die Gegend fährt.* Das ist allerdings etwas ganz anderes als der Vorwurf, für den Tod von 39 Menschen verantwortlich zu sein.

“Bild” und Bild.de sind übrigens nicht die einzigen Medien, die R. unverpixelt zeigen, zumindest wenn man nach Großbritannien schaut. Selbst die BBC und der “Guardian” veröffentlichen Fotos des Verdächtigen und nennen seinen vollen Namen. Doch nur weil andere jemanden medial hinrichten, bevor irgendetwas geklärt ist, muss man ja nicht mitmachen.

Mit Dank an @SabineSchaper und @DerKotta für die Hinweise!

*Nachtrag, 29. Oktober: Mehrere Leserinnen und Leser haben uns darauf hingewiesen, dass Auflieger häufig verplombt sind, und der Fahrer daher gar nicht die Möglichkeit hat hineinzugucken.

Die schaurige Theorie der Ermittler, die die Ermittler nicht bestätigen

Bei “Bild” und Bild.de gibt es zu Mordfällen nicht einfach irgendwelche Details aus Ermittlungsakten, sondern …

Screenshot Bild.de - Die schaurigen Details aus der Ermittlungsakte - Überführt eine Wohnungs-Anzeige Peggys Mörder?
(Unkenntlichmachung durch uns.)

Der Artikel zum Fall der 2001 verschwundenen, damals neunjährigen Peggy, deren unvollständiges Skelett erst 2016 in einem Wald gefunden wurde, befindet sich hinter der “Bild plus”-Paywall. Die Redaktion versucht, potenzielle Abonnentinnen und Abonnenten mit diesem Versprechen dahinter zu locken:

Erfahren Sie außerdem weitere Details aus den Ermittlungsakten und welche Theorie die Soko Peggy beschäftigt.

Zum Beispiel:

Doch die Ermittlungen laufen weiter, der Fokus liegt vor al­lem auf der Suche nach mög­lichen Trophäen — und den fehlenden Knochen ab dem 12. Brustwirbel abwärts. Die Theorie der Ermittler ist schaurig: Die Leiche könnte zur Vertuschung eines Sexu­aldeliktes zerteilt worden sein.

Und was sagen die Ermittler zu ihrer angeblichen “Theorie”?

Für offizielle Stellungnahmen zu dem Fall ist die Staatsanwaltschaft Bayreuth und dort der Leitende Oberstaatsanwalt Martin Dippold zuständig. Auf unsere Anfrage sagt er: “Die Aussage kommt nicht aus unserem Haus.”

Bliebe noch die Polizei. Der Journalist Thorsten Gütling hat für den Bayerischen Rundfunk beim zuständigen Polizeipräsidium Oberfranken nachgefragt. Von dort heiße es, dass “man bezweifle, dass die Bild-Zeitung über neue Erkenntnisse verfüge.” Also auch von der Polizei keine Bestätigung.

Wir haben auch bei “Bild”-Sprecher Christian Senft nachgefragt, woher die Informationen stammen und welche “Ermittler” genau gemeint sind. Senft antwortete uns, die Redaktion äußere sich grundsätzlich nicht zu Quellen und Recherchen.

Mit Dank an @KaiSteger und Justus F. für die Hinweise!

MDR trennt sich von Steimle, Löscht den Mist, Post-Relotius-Reporterpreis

1. Mitteldeutscher Rundfunk trennt sich von Uwe Steimle
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) trennt sich von seinem Kabarettisten, “Heimatforscher” und “Störenfried” Uwe Steimle. Dieser war die vergangenen Jahre immer wieder durch fragwürdige Äußerungen aufgefallen und hatte zudem die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Frage gestellt. In seinem Kommentar kritisiert Joachim Huber auch den MDR und fragt, warum der Sender Steimles Treiben so lange tatenlos zugesehen habe: “Offensichtlich verstand sich die ARD-Anstalt bei Uwe Steimle als Besserungsanstalt und den Programmauftrag als Erziehungsauftrag. Das ist schiefgegangen, genährt wurde Steimles Opferhaltung, aktuell befördert wird die gängige Haltung, man dürfe seine Meinung in diesem Land nicht mehr sagen.”
Weiterer Lesehinweis: Auf “Übermedien” wurde die Causa Steimle schon Mitte vergangenen Jahres thematisiert: Uwe Steimle und das verspätete Ende der Akzeptanz beim MDR (uebermedien.de, Philipp Greigenstein). 
Und auch bei “Zapp” waren Steimle und dessen fremdenfeindliche Geschichten bereits Thema: Grenzen der Satire? Der MDR und Uwe Steimle (ndr.de, Nadja Mitzkat, Video: 6:09 Minuten).

2. Auf in die nächste Dekade!
(detektor.fm, Christian Bollert)
Lange bevor der Podcast-Hype einsetzte, war bereits der Sender detektor.fm mit seinem starken Fokus auf Podcasts am Start. Nun feiert das detektor-Team sein zehnjähriges Bestehen mit einer Renovierung der Website und neuen Produktionen. Außerdem wurde das Redaktionsteam um zwei erfahrene Köpfe erweitert.

3. Der Post-Relotius-Reporterpreis
(deutschlandfunk.de, Samira El Ouassil, Audio: 4:17 Minuten)
Samira El Ouassil hat einen Blick auf die mit dem Deutschen Reporterpreis ausgezeichneten Texte geworfen und ist im Großen und Ganzen zufrieden: “Diese und die anderen Gewinnertexte klingen in ihrer Schnörkellosigkeit geradezu wie Gegenentwürfe zu den prämierten Texten der Vorjahre. Sie machen genau die Fehler nicht, die zu Beginn des Jahres moniert wurden — aber das Wichtigste: kein Text klingt so als sei er nur geschrieben worden, um einen Reporterpreis zu gewinnen.”

4. Springer-Chef als Zeuge geladen
(taz.de, Kersten Augustin & Yossi Bartal)
Israels Generalstaatsanwalt hat Anklage gegen Premierminister Benjamin Netanjahu erhoben. Einer der Vorwürfe: Korruption. In der 63-seitigen Anklageschrift taucht auch der Axel-Springer-Verlag auf. Der Springer-Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner soll sogar als Zeuge nach Israel geladen werden. Kersten Augustin und Yossi Bartal erklären den verwickelten, aber spannenden Wirtschaftskrimi.

5. Rücken “Berliner Morgenpost” und “Tagesspiegel” zusammen?
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Der Berliner Zeitungsmarkt kommt nicht zur Ruhe. Nach DuMonts Verkauf des Berliner Verlags samt “Berliner Zeitung” an das Ehepaar Friedrich, stehen jetzt eventuell neue Veränderungen an. Es wird spekuliert, ob die “Berliner Morgenpost” (Funke-Gruppe) und der “Tagesspiegel” (Holtzbrinck) enger zusammenrücken.

6. Tiktok, tiktok, die Uhr ist abgelaufen. Löscht den Mist.
(t3n.de, Enno Park)
Nachdem bekannt wurde, dass die Social-Video-App TikTok Content von Menschen mit Behinderung in der Sichtbarkeit reduziert beziehungsweise versteckt, ist für Enno Park endgültig Schluss mit der App: “In dunklen Zeiten wurden behinderte Menschen schamvoll von ihren Familien versteckt. Noch heute verbannt die Gesellschaft sie in versteckte Pflegeeinrichtungen und Werkstätten am Stadtrand. Und nun werden sie auch in der schönen neuen Tiktok-Welt aussortiert und unsichtbar gemacht. Da bleibt als Fazit nur: Tiktok ist menschenfeindlicher Dreck. Löscht eure Accounts, werft die App von euren Telefonen und erklärt euren Kindern, was Tiktok macht.”
Weiterer Lesehinweis: Warum TikTok im Azubimarketing und Recruiting tabu sein sollte (personalmarketing2null.de, Henner Knabenreich).

BMI vs. Linksextremismus-Definition, Islam-Umfrage, Geldregen in MV

1. Seehofers Haus diktierte Definition
(taz.de, Volkan Ağar)
In der Einleitung des Linksextremismus-Onlinedossiers der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) stand ein Satz, mit dem bestimmte konservative Kreise ihre Probleme hatten. Ein renommierter Wissenschaftler hatte wie folgt geschrieben: “Im Unterschied zum Rechtsextremismus teilen sozialistische und kommunistische Bewegungen die liberalen Ideen von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – interpretieren sie aber auf ihre Weise um.” Auf Anweisung des Bundesinnenministeriums sei dieser Satz durch eine unwissenschaftliche Linksextremismusdefinition des Verfassungsschutzes ersetzt worden, schreibt Volkan Ağar. Der “taz” liegt die Mailkorrespondenz zwischen Bundeszentrale und Bundesministerium vor: “Aus dieser Kommunikation geht einerseits hervor, welch zentrale Rolle die Bild-Zeitung und der Bundestagsabgeordnete Thorsten Frei, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Vorsitzender des bpb-Kuratoriums, beim Eingriff des BMI gespielt haben.”

2. Schlecht angelegt: Was aus zwei Millionen Euro Corona-Hilfe für die Presse wurde
(uebermedien.de, Anne Haeming)
Vergangenen August schüttete das Bildungsministerium von Mecklenburg-Vorpommern zwei Millionen Euro aus dem Corona-Schutzfonds an die “Ostsee-Zeitung”, die “Schweriner Volkszeitung” und den “Nordkurier” aus. Was ist mit dem Geld geschehen, und was hat es bewirkt? Anne Haeming hat sich bei den zuständigen Stellen auf Verlags- und Ministeriumsseite erkundigt und zieht ein ernüchterndes Fazit: “Die Geschichte von der Presseförderung in Mecklenburg-Vorpommern ist damit ein Paradebeispiel dafür, wie es eben nicht funktioniert. Die Verlage nutzen das Geld nicht nachhaltig für die eigene Zukunft.”

3. Umfrage von Islamgegnern: Wer nicht islamfeindlich ist, wird islamfeindlich gemacht
(schantall-und-scharia.de, Fabian Goldmann)
Fabian Goldmann hat sich eine neue Umfrage zum Thema Islam und Islamismus angeschaut und ist einigermaßen entsetzt. Die Erhebung zeige, wie man durch manipulative Fragen und Antwortvorgaben zum gewünschten Ergebnis kommt: “Frageformulierungen und Antwortvorgaben, die ein islamkritisches Setting erzeugen, ziehen sich durch den ganzen Fragebogen. Manche Passagen der Umfrage erinnern fast schon an Polemiken rechter Politiker als eine wissenschaftliche Untersuchung, deren Ziel es sein sollte, die Befragten möglichst unbeeinflusst zu lassen.” Leider hätten viele Medien kritiklos die aus seiner Sicht fragwürdigen Ergebnisse und Deutungen übernommen und damit den Auftraggebern der Studie geholfen, “unter dem Deckmantel (pseudo)empirischer Meinungsforschung ihre islamfeindliche Lobbyarbeit zu betreiben.”

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4. Viel Angstmache, wenig Aufklärung
(deutschlandfunk.de, Annika Schneider, Audio: 4:40 Minuten)
Als der “Spiegel” vor 40 Jahren über Aids berichtete, sei dies in einer äußerst apokalyptischen Weise geschehen, erklärt Medienjournalist Stefan Niggemeier im Deutschlandfunk. Aids sei als eine Krankheit beschrieben worden, die mit Sicherheit zum Tod führe und gegen die nichts helfe. “Und das in Kombination mit Geschichten, auch wirklich mit einer merkwürdigen Lust erzählten Geschichten, Schauergeschichten von der Promiskuität von Schwulen, die diese Seuche verbreiten.” Laut dem aktuellen “Spiegel”-Ressortleiter, denke man darüber nach, diese Phase noch einmal aufzuarbeiten.

5. Herr Rosemann, was haben Sie vor mit Sat.1 und ProSieben?
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
ProSieben-Senderchef Daniel Rosemann hat im Mai auch die Leitung über Sat.1 übernommen. In der kurzen Zeit musste er bereits zweimal eingreifen, einmal beim neuen Trash-Format “Plötzlich arm, plötzlich reich”, einmal bei “Promis unter Palmen”. Beide Formate sind seitdem Sendergeschichte. “DWDL”-Chefredakteur Thomas Lückerath hat sich mit Rosemann über die künftige Ausrichtung der Sender unterhalten.

6. “Kleber hat was Cooles”
(spiegel.de, Alexander Kühn, Video: 4:07 Minuten)
Gestern wurde bekannt, dass Claus Kleber zum Ende des Jahres die Moderation des “heute Journals” abgibt. Für “Spiegel”-Redakteur Alexander Kühn ein willkommener Anlass, Kleber eine Video-Hommage zu widmen.

Gender-Gewetter, Fleischhauers “Apologies”, Die Zehn-Minuten-Regel

1. Raus aus’m “Formatknast”
(taz.de, René Martens)
Die ARD setzt ihre im Oktober beschlossene Programmreform um. Der Umbau habe Auswirkungen auf bewährte Formate wie den “Weltspiegel”, der durch zusätzliche Auslandsdokus ergänzt werden soll. Eine diesbezügliche Verschlechterung im linearen Programm gerate dabei jedoch in den Hintergrund, so “taz”-Autor René Martens: “Die 30-minütige ‘Weltspiegel-Reportage’, die bisher am Samstagnachmittag lief, wird es nur noch bis zum Frühjahr geben.”

2. “Keine Minute, in der du nicht auf einem Bildschirm bist”
(heise.de, Nils Zurawski)
Christoph Giesen, Journalist und China-Korrespondent der “Süddeutschen Zeitung”, ist für seinen Text über die Überwachung in China ausgezeichnet worden. Im Interview spricht Giesen über die Hintergründe des Artikels und über seine Arbeit als ausländischer Journalist in Peking. Die ausführliche Version des Gesprächs gibt es im Podcast “Berichte aus Panoptopia”.

3. Die bequeme behauptete Unbequemlichkeit des “Spiegel”
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
In seiner aktuellen Ausgabe feiert der “Spiegel” 75 Jahre “Spiegel”. Die Redaktion hat dafür groß “UNBEQUEM SEIT 1947” aufs Titelblatt gedruckt. Stefan Niggemeier fragt: “Was bedeutet es heute für ein Magazin, ‘unbequem’ zu sein. Und, vor allem: ‘unbequem’ für wen? Und natürlich: Ist der ‘Spiegel’ es überhaupt noch?”

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4. Müssen wir uns gegen das Gendern boostern lassen?
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
In letzter Zeit haben einige Promis wie Elke Heidenreich, Dieter Hallervorden und zuletzt Jürgen von der Lippe gegen das Gendern gewettert. “Tagesspiegel”-Redakteur Joachim Huber kommentiert: “Wer das Gendern absolut setzt, der agiert in die umgedrehte Richtung, aber er agiert nicht anders, sondern vergleichbar verkehrt. Sprache gehört jedem und keinem. Das macht sie fluid, beweglich, sie ist Phänomen und Ausdruck der Zeit. Wenn Sprache stehenbleibt, ob im Gendern oder Nicht-Gendern, soll die Zeit gefrieren.”

5. Ich hatte gestern Abend …
(twitter.com, Jan Fleischhauer)
Der “Focus”-Kolumnist Jan Fleischhauer bittet bei der Autorin Jasmina Kuhnke für seine sie betreffenden Worte um Entschuldigung und gelobt Besserung. Das ist, aus Sicht des “6-vor-9”-Kurators und ganz unironisch gemeint, aller Ehren wert. Jetzt wäre nur noch ein Nachtrag unter seiner (bislang unveränderten) Kolumne wünschenswert.
Ergänzung vom 12.01.2022: Mittlerweile ist ein Nachtrag erfolgt.

6. Die Zehn-Minuten-Regel
(texthacks.substack.com, Anne-Kathrin Gerstlauer)
Mit dem Ausblick “Nie mehr mittelmäßige Texte ins Internet schreiben” bewirbt Anne-Kathrin Gerstlauer ihren neuen Newsletter zu “TextHacks”. In der aktuellen Folge verrät sie, warum es sich lohnt, viel Zeit für Überschrift und Teaser zu verwenden, warum viele Adjektive unnötig, und Zitate als Stilmittel überschätzt sind.