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Wie die Blackout-Gefahr einmal durch den Springer-Kosmos gereicht wird

Bis vergangenen Mittwoch, also bis die “Bild”-Redaktion sich einschaltete, war es eine Geschichte von einem Behördenchef, der merkwürdig unsachkundige Dinge sagt, und den “Welt”-Medien, die daraus klick- und verkaufsträchtige Überschriften basteln. Dann kam eben “Bild” dazu und verdrehte das Ganze zu einem möglichen Polit-Vertuschungsskandal.

Angefangen hat es alles mit einem Interview in der “Welt am Sonntag”. Auf die Frage “Rechnen Sie angesichts der Energieknappheit mit Blackouts?” antwortete Ralph Tiesler, Präsident des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK):

Wir müssen davon ausgehen, dass es im Winter Blackouts geben wird. Damit meine ich eine regional und zeitlich begrenzte Unterbrechung der Stromversorgung. Wobei die Ursache nicht nur Energieknappheit sein wird, sondern auch das gezielte, zeitweise Abschalten der Netze durch die Betreiber, mit dem Ziel, die Netze zu schützen und die Gesamtversorgung nicht zu gefährden.

Das Risiko dafür steigt ab Januar und Februar, sodass wir davon ausgehen, dass es von da an stellenweise für eine gewisse Zeit zu Unterbrechungen der Stromversorgung kommt.

Das ist eine bemerkenswerte Aussage, weil sie a) vom “obersten Katastrophenschützer” des Landes kommt und b) dessen Verständnis von einem Blackout ziemlich genau das Gegenteil der Blackout-Definition einer anderen Bundesoberbehörde, der Bundesnetzagentur, darstellt. Die Bundesnetzagentur, die für die Energieinfrastruktur in Deutschland zuständig ist, versteht unter einem Blackout:

ein unkontrolliertes und unvorhergesehenes Versagen von Netzelementen. Das führt dazu, dass größere Teile des europäischen Verbundnetzes oder das gesamte Netz ausfallen (sogenannter Schwarzfall). Ein solches Ereignis könnte beispielsweise auftreten, wenn in einer angespannten Last- und Erzeugungssituation zusätzlich schwere Fehler an neuralgischen Stellen des Übertragungsnetzes auftreten. Ein Blackout ist also grundsätzlich kein durch eine Unterversorgung mit Energie ausgelöstes Ereignis, sondern bedingt durch Störungen im Netzbetrieb.

Das, was Ralph Tiesler im “WamS”-Interview beschreibt – ein regional und zeitlich begrenztes, mitunter gezieltes Abschalten der Netze, um diese zu schützen -, klingt hingegen nach einem Brownout. Auch dafür hat die Bundesnetzagentur eine Definition:

Demgegenüber steht der sogenannte (kontrollierte) Brownout. Dieser kann notwendig werden, wenn im Vergleich zur nachgefragten Menge zu wenig Strom produziert werden kann, z.B. aufgrund eines Brennstoffmangels für Kraftwerke oder einer allgemein zu geringen Erzeugung, beispielsweise auch durch Nichtverfügbarkeiten von Erzeugungsanlagen. In diesem Fall ist es notwendig, die Nachfrage soweit zu reduzieren, dass das Angebot die Nachfrage wieder vollständig decken kann. Nur so kann die Versorgung mit Strom weiterhin stabil und zuverlässig gewährleistet werden.

Tiesler scheint das eigentlich auch zu wissen. Gleich eine Antwort später sagt er:

Wie gesagt, wir rechnen eher mit kurzfristigen, sogenannten Brownouts als mit lang anhaltenden, großflächigen Blackouts. Gute Vorbereitung ist aber auch dafür wichtig.

Er liefert also im gleichen Interview die Auflösung zur Verwirrung, die er eine Antwort zuvor selbst gestiftet hat.

Wie kann eine Redaktion mit diesem Durcheinander nun umgehen? Sie könnte im Interview schon nach der ersten Antwort widersprechen und sowas sagen wie: “Moment, Herr Tiesler, Sie meinen doch gar keinen Blackout, sondern einen Brownout, oder?” Oder sie erklärt der Leserschaft nachträglich in einem Zusatztext, dass Tieslers Aussage “Wir müssen davon ausgehen, dass es im Winter Blackouts geben wird” mit der darauffolgenden “Damit-meine-ich”-Definition nicht zusammenpasst. Oder sie macht es so, wie die “Welt”-Medien es machen, isoliert und überbetont Tieslers Warnung vor einem eher unwahrscheinlichen Blackout und steigert damit bei einer ohnehin schon verunsicherten Bevölkerung die Verunsicherung:

Ausriss Welt am Sonntag - Katastrophenschutz erwartet Strom-Blackouts im Winter
Screenshot Welt.de - Oberster Katastrophenschützer - Müssen davon ausgehen, dass es im Winter Blackouts geben wird

Mit der ersten Schlagzeile auf der Titelseite lag die “Welt am Sonntag” in ganz Deutschland an Kiosken, Tankstellen und in Bäckereien. Die zweite Schlagzeile schaffte es auf die Welt.de-Startseite. Die große Blackout-Winter-Warnung konnte also von vielen gesehen werden, das dazugehörige Interview mit all den Brownout-Einschränkungen in Ralph Tieslers Antworten konnte hingegen nur jener Bruchteil mit einem “Welt-plus”-Abo lesen.

Bereits an dem Sonntag schaltete sich auch Tieslers Behörde ein. Bei Twitter erklärte sie in einer “Klarstellung des BBK”:

Ein großflächiger Stromausfall in Deutschland ist äußerst unwahrscheinlich. Das elektrische Energieversorgungssystem ist mehrfach redundant ausgelegt und verfügt über zahlreiche Sicherungsmechanismen, um das Stromnetz bei Störungen zu stabilisieren.

Ebenso wird die Wahrscheinlichkeit als gering angesehen, dass es regional und zeitlich begrenzt zu erzwungenen Abschaltungen kommt, um die Gesamtversorgung weiter sicherzustellen.

Auf ein solches Szenario hatte sich BBK-Präsident Ralph Tiesler in seinem Interview mit der “Welt am Sonntag” bezogen, um die grundsätzliche Bedeutung von Vorsorgemaßnahmen hervorzuheben.

Die missverständliche Formulierung bedauert das BBK und stellt diese hiermit klar.

Das rief die “Bild”-Redaktion auf den Plan:

Screenshot Bild.de - Rückzieher vom Katastrophenschutz - Will Faeser die Blackout-Warnung vertuschen?

Die “Bild”-Autoren Johannes C. Bockenheimer und Nikolaus Harbusch schreiben:

Versucht das Innenministerium, die Energiekrise zu beschönigen?

Innenpolitiker diskutieren, warum eine Behörde des Ministeriums von Nancy Faeser (52, SPD) Warnungen vor Stromausfällen im Winter kurz darauf zurücknahm. (…)

War Faeser beziehungsweise ihren Beamten die Stromausfall-Warnung des BBK-Chefs also zu heikel?

Bockenheimer und Harbusch geben sich große Mühe, der eigenen Leserschaft möglichst wenig zu dem Fall zu erklären. Sie lassen all das, was gegen ihre Vertuschungsthese spricht, großzügig weg. Im “Bild”-Text erfährt man weder, dass Tiesler im “WamS”-Interview mit einer alternativen Blackout-Definition arbeitet, noch, dass er eine Antwort später seine Aussage selbst relativiert und von Brownouts spricht.

Das “Bild”-Duo könnte ganz einfach erzählen, “warum eine Behörde des Ministeriums von Nancy Faeser (52, SPD) Warnungen vor Stromausfällen im Winter kurz darauf zurücknahm.” Man muss davon ausgehen können, dass sie als Springer-Mitarbeiter Zugang zu “Welt-plus”-Artikeln oder zur “Welt am Sonntag” haben. Im Interview mit Ralph Tiesler hätten sie die Antwort gefunden. Sie hätten es auch in einem Tweet von Malte Kreutzfeldt nachlesen können oder in einem Text vom “Volksverpetzer”. Dort steht überall, dass Tiesler eine erfundene Blackout-Definition verwendet hat, was die “Klarstellung” des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe erklärt. Und das wiederum ist auch die Antwort auf die Frage aus den Überschriften von “Bild” und Bild.de, ob Nancy “Faeser die Blackout-Warnung vertuschen” will: Es geht schlicht um die Richtigstellung einer verhunzten Interviewaussage. Johannes C. Bockenheimer, Nikolaus Harbusch und die “Bild”-Redaktion können das alles nicht nicht gewusst haben.

Bildblog unterstuetzen

Vom Witz zur Wut

Ewald Lienen, Technischer Direktor des FC St. Pauli, hat neulich einen Witz gemacht. Vor eineinhalb Wochen, bei einem Vortrag vor Firmenvertretern in Hamburg, wollte er die “Bedürftigkeit von Mitarbeitern nach Rückmeldung, nach Lob und Anerkennung” thematisieren, wie er später im Podcast “Der Sechzehner” erzählte (ab Minute 3:14). Im Publikum habe sich jemand als Fan des FC Bayern München “geoutet”. Dann habe er, Lienen, gesagt: “Schaut mal, er ist Bayern-Fan. Warum wird jemand aus Hamburg oder Umgebung Bayern-Fan? Unter Umständen um am Wochenende nicht das Risiko einzugehen, ein Misserfolgserlebnis zu haben. (…) Vielleicht muss er frühkindliche Deprivationen kompensieren.”

Ewald Lienen wird von diversen Medien so zitiert:

Das sind alles diese Leute, die ihre frühkindliche Deprivation durch ein wöchentliches Erfolgserlebnis kompensieren müssen. Der durchschnittliche Bayern-Fan braucht das. Du wirst FCB-Fan, weil du das Risiko nicht eingehen willst, wie beim HSV oder bei uns mal ein Spiel zu verlieren.

Welche Variante des Zitats stimmt — einzig bezogen auf die eine Person im Publikum oder allgemein bezogen auf den “durchschnittlichen Bayern-Fan” –, konnten wir nicht überprüfen. Der Veranstalter sagte uns auf Nachfrage, dass er leider keinen Mitschnitt von Lienens Auftritt habe.

Jedenfalls hätten sich alle, auch der angesprochene Bayern-Fan, totgelacht, erzählt Ewald Lienen im Podcast. Er habe das natürlich nicht ernst gemeint, wie er einige Tage später auf Facebook schrieb. Ein Witz, ein Lacher, damit hätte die Sache abgeschlossen sein können.

War sie aber nicht. Bild.de und die Hamburg-Ausgabe der “Bild”-Zeitung berichteten über den Witz, zwar mit Kontext, allerdings nur mit sehr wenig davon. Die “Bild”-Medien schrieben lediglich, Lienens Aussage sei “launig” gewesen. Online titelte die Redaktion:

Screenshot Bild.de - St. Paulis Lienen erklärt - Darum wird man Bayern-Fan

Andere Medien stürzten sich auf das oben zitierte Lienen-Zitat, das “Bild” und Bild.de veröffentlicht hatten, so auch Merkur.de und tz.de aus München (beide veröffentlichten denselben Artikel desselben Autors). Die Redaktionen verzichteten im Text nun komplett auf irgendwelchen Kontext und schrieben in ihren Überschriften: “Ewald Lienen beleidigt FC-Bayern-Fans übel”. Auch Welt.de zog nach, etwas weniger boulevardesk, aber ebenfalls ohne irgendeinen Hinweis darauf, dass Ewald Lienen den Spruch nicht ernst meinte.

Zu diesem Zeitpunkt gab es in den Sozialen Netzwerken schon reichlich Wut der FC-Bayern-Fans. Und diese Wut wurde schnell analog. Beim Bundesligaspiel gegen RB Leipzig hielten sie ein Banner mit einer deutlichen Nachricht an Ewald Lienen, der auch mal den Münchner Stadtrivalen TSV 1860 trainiert hatte, hoch: “Und wem’s als Kind zu gut ging, wechselt zu ‘nem Scheißverein wie 1860! Halt’s Maul, Ewald!”

Foto der Fankurve des FC Bayern München mit einem Banner, auf dem steht: Halt's Maul, Ewald!

Dabei stand am Anfang nur ein etwas brachialer Witz. So schnell kann es gehen, wenn Redaktionen hauptsächlich Klicks jagen und Kontext dabei nur stört.

Mit Dank an Marco für den Hinweis!

Bis sich die Balken biegen (9)

Um zu zeigen, dass das alles ganz schrecklich werden dürfte mit dem designierten neuen SPD-Führungsduo, präsentiert Welt.de:

Screenshot Welt.de - Wirtschaft - Norbert Walter-Borjans - Die bisherige Schulden-Bilanz des künftigen SPD-Chefs

Norbert Walter-Borjans war von 2010 bis 2017 Finanzminister in Nordrhein-Westfalen. Diese Zeit hat sich “Chefökonomin” Dorothea Siems noch einmal genauer angeschaut. Und zu einer richtigen “Schulden-Bilanz” gehört natürlich auch eine ordentliche Grafik. Et voilà:

Screenshot Welt.de - Hoffnungslos überschuldet - dazu eine Grafik laut der der Schuldenstand Nordrhein-Westfalens Ende 2015 etwa 35 Billionen Euro betrug
(Draufklicken für größere Version.)

Nun wäre da erstmal die Frage, warum Welt.de eine Grafik mit “Stand: 31. Dezember 2015” wählt. Walter-Borjans war bis Ende Juni 2017 Finanzminister in Nordrhein-Westfalen. Warum nimmt die Redaktion also nicht den Schuldenstand, den er der Folgeregierung hinterlassen hat? Vielleicht weil dieser etwas niedriger war als jener Ende 2015? Oder vielleicht einfach nur weil diese Grafik schon fertig in irgendeinem Archiv lag, und bei Welt.de niemand Lust hatte, eine neue zu bauen?

Dann wäre da noch die Frage, warum Welt.de den “Schuldenstand nach Ländern inkl. Gemeinden” wählt und nicht nur den der Länder, wenn Walter-Borjans Finanzminister auf Landesebene war.

Vor allem aber wäre da die Frage, wie Welt.de auf diese Zahlen und diese Skalen kommt. Wenn Nordrhein-Westfalen am 31. Dezember 2015 einen Schuldenstand in Höhe von etwa 35.000 Milliarden Euro — also in Höhe von etwa 35 Billionen Euro — gehabt haben soll, dann wäre das Bundesland zu diesem Zeitpunkt weitaus höher verschuldet gewesen als die USA.

Tatsächlich betrug der Schuldenstand des Landes inklusive der Gemeinden und Gemeindeverbände Ende 2015 240,1 Milliarden Euro (PDF, Seite 30). Am 31. März 2019 waren es 230,4 Milliarden Euro — was man übrigens auch bei Welt.de nachlesen konnte.

Die “Schulden je Einwohner”, die laut “Welt”-Grafik im Fall von Nordrhein-Westfalen bei knapp unter 100 Euro liegen sollen, sind in Wirklichkeit hingegen um ein Vielfaches höher: Sie lagen laut Statistischem Bundesamt am 31. Dezember 2015 bei 13.576 Euro, Ende 2018 waren es 12.251 Euro.

Mit Dank an Sven B. für den Hinweis!

Ein Teaser, dem man keine Beachtung schenken sollte

Schon Politiker in den höchsten Ämtern hatten mit der englischen Sprache zu kämpfen: deutsche Außenminister, Bundespräsidenten oder EU-Kommissare für Digitales. Manche der legendärsten Fauxpas (“Equal goes it loose”) sind zwar bloß Erfindungen von Journalisten, halten sich aber hartnäckig im kollektiven Gedächtnis.

Bei der Kombination aus Englischübersetzungen und Erfindungen von Journalisten sind wir auch schon bei Welt.de. Die Redaktion teaserte am vergangenen Donnerstag einen Artikel über einen Tweet von Greta Thunberg so an:

Screenshot Welt.de - Als Reaktion auf Hass und Spott hat Greta Thunberg ihren Kritikern geantwortet. Wer ihr Vorgehen zum Klimaschutz nicht billigt, sei keiner Beachtung wert, schrieb sie. Wichtiger sei es, Gutes zu tun, als jugendliche Klimaschützer mit Verachtung zu verfolgen.

Thunberg will also ihren Kritikern keine Beachtung schenken? Wie ignorant und totalitär ist das denn!? Nur: Hat sie das wirklich so gesagt? Mitnichten.

Thunberg, schwedische Muttersprachlerin, 16 Jahre alt, hält ihre Reden auf Englisch und wird anschließend häufig von ihren Gegnern in deren Muttersprache kritisiert, beleidigt oder verhöhnt. Die Vorwürfe lauten unter anderem Unbedarftheit, Unverschämtheit und Überheblichkeit.

Auf all den Hass, der ihr entgegenschlägt, hat Greta Thunberg bei Twitter geantwortet, auf Englisch. Das ist der Tweet, um den es im Artikel bei Welt.de geht:

Screenshot zweier Tweets von Greta Thunberg - I honestly don't understand why adults would choose to spend their time mocking and threatening teenagers and children for promoting science, when they could do something good instead. I guess they must simply feel so threatened by us. But don’t waste your time giving them any more attention. The world is waking up. Change is coming wether they like it or not. See you in the streets this Friday!

Ins Deutsche lässt sich das so übersetzen:

Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, warum Erwachsene sich dazu entscheiden, ihre Zeit damit zu verbringen, Teenager und Kinder, die sich für die Wissenschaft einsetzen, zu verspotten und zu bedrohen, anstatt selber etwas Gutes zu tun. Ich vermute, sie fühlen sich einfach bedroht von uns. Aber verschwendet eure Zeit nicht damit, ihnen weiterhin Beachtung zu schenken.

Anders als die “Welt”-Redaktion behauptet, will Thunberg also nur jene nicht beachten, die spotten und drohen. Komisch, dass daraus im Welt.de-Teaser wird: “Wer ihr Vorgehen zum Klimaschutz nicht billigt, sei keiner Beachtung wert”. Passierte das aufgrund von Schlampigkeit, von Sprachschwierigkeiten oder einfach aus Bock auf einen geileren Teaser? Im dpa-Text selbst, auf dem der Welt.de-Artikel basiert, wird Thunbergs Tweet jedenfalls richtig wiedergegeben.

Greta Thunbergs vermeintliche Aussage im Teaser, die die “Welt”-Redaktion ihr dort unterjubelte, reichte aber, um die Leserschaft zu empören:




Nachtrag, 18:49 Uhr: Die “Welt”-Redaktion hat auf unsere Kritik reagiert und den Teaser angepasst. Dieser lautet nun:

Als Reaktion auf Hass und Spott hat Greta Thunberg ihren Kritikern geantwortet. Wer Spott und Bedrohungen gegen Kinder und Jugendliche verbreite, sei keiner Beachtung wert, schrieb sie. Wichtiger sei es, Gutes zu tun.

Einen Hinweis auf diese Korrektur gibt es nicht.

“Sehr brutal” spekuliert

Eigentlich dachten wir, die unsägliche Diskussion, ob Computerspiele Jugendliche zu “Killern” machen, wäre überstanden. Doch es gibt sie in gewisser Weise immer noch, jedenfalls den Gedanken dahinter.

Gestern brannte ein Zeichentrickfilmstudio im japanischen Kyoto, mindestens 33 Menschen kamen dabei ums Leben. Es handelt sich offenbar um Brandstiftung — ein 41-jähriger Mann hat nach Angaben der Polizei die Tat gestanden.

Welt.de berichtet unter anderem mit einem Video über den Vorfall. In dem 42-Sekunden-Clip sagt die Sprecherin:

Das Filmstudio produziert Manga-Serien für junge Menschen. Diese Filme sind teils sehr brutal. Möglich, so sagen Kenner, dass der Täter sich davon beeinflussen ließ.

Nun hätten diese “Kenner” der Redaktion erstmal erklären können, dass man bei japanischen Zeichentrickfilmen von Animes spricht und nicht von Mangas, was Comics sind.

Aber vor allem: Was soll dieses eklige Spekulieren? Als gäbe es bisher mehr als vage Gerüchte zum Motiv (und diese haben nichts mit besonderer Brutalität in Animes zu tun). Und als hätten “diese Filme” und ihre Macher — und damit auch die Opfer — irgendeine Mitschuld an dem Brandanschlag. Gerade im Fall des angegriffenen Animationsstudios Kyoto Animation ist der herbeigeschwurbelte Zusammenhang mit “sehr brutalen” “Manga-Serien” völlig daneben: KyoAni ist besonders für sogenannte “Slice of Life”Produktionen bekannt, die beispielsweise von Schulkindern, Jugendlichen und deren Hobbys handeln.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Die alten Leute von Welt.de waren sehr respektlos

In einem Interview mit “Welt am Sonntag” antwortete der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann auf die Frage, ob der Dialog mit Fridays For Future klappe:

“Wir hatten eine Gruppe hier zur Diskussion. Die jungen Leute waren schon sehr selbstbewusst und respektlos, was ja ganz in Ordnung ist.”

Dieser Halbsatz hinter dem Komma, “was ja ganz in Ordnung ist”, ist für das Verständnis von Kretschmanns Aussage von zentraler Bedeutung. Ohne ihn klänge es so, als würde der Grünen-Politiker die jungen Aktivistinnen und Aktivisten für irgendein despektierliches Verhalten kritisieren. Mit ihm klingt es deutlich anerkennender. Oder anders gesagt: Ließe eine Redaktion in ihrer Berichterstattung den Halbsatz einfach weg, würde sie Kretschmanns Aussage deutlich verfälschen.

Bei Welt.de haben sie sich auf ihrer Jagd nach Clicks fürs Verfälschen entschieden (und das “selbstbewusst” gleich auch noch rausgestrichen):

Screenshot eines Tweets der Welt-Redaktion - Die jungen Leute von Fridays for Future waren sehr respektlos

Dieses entstellende Kürzen von Kretschmanns Äußerung kritisierte Oliver Das Gupta, Journalist bei der “Süddeutschen Zeitung”. Dagmar Rosenfeld, Chefredakteurin der “Welt”, reagierte auf diese Kritik. Sie schrieb bei Twitter:

Sie haben recht, durch die Zeile kann ein anderer Eindruck entstehen. Wir haben die Zeile daher geändert.

(“kann ein anderer Eindruck entstehen” ist auch nur minimal besser als das notorische “sollte ein falscher Eindruck entstanden sein, bitten wir um Entschuldigung” — durch die Kürzung des Kretschmann-Zitats entsteht definitiv “ein anderer Eindruck”.)

Und, holla, wie sie “die Zeile daher geändert” haben! Sie lautet nun:

Screenshot Welt.de - Kretschmann über Fridays for Future - Die jungen Leute waren schon sehr selbstbewusst und respektlos

Sie wollen es offenbar nicht verstehen.

Eins, zwei, Polizei

Vergangene Woche legte der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) dem Innenausschuss des Landtags in Düsseldorf einen Bericht vor. Darin enthalten: Jede Menge Statistiken zum Tagesordnungspunkt “Kriminalitätsentwicklungen im Hambacher Forst”. In dem Rest-Wald am rheinischen Braunkohle-Revier gehe es wild zu, so der Innenminister.

Allein im Zeitraum vom 03.10.2018 bis zum 28.01.2019 führte [die Polizei] über 1.500 Einsätze im Hambacher Forst sowie in den daran angrenzenden Ortschaften durch.

… heißt es in dem Bericht etwa. Und weiter:

Für den Auswertezeitraum 01.01.2015 bis 31.12.2018 wurden im Kriminalpolizeilichen Meldedienst – Politisch motivierte Kriminalität mit Bezug zum Hambacher Forst insgesamt 1.674 Straftaten erfasst.

Diese Zahlen sind natürlich beeindruckend und beunruhigend. Entsprechend machten sie auch die mediale Runde.

Nur: Diese Zahlen sind auch mindestens irreführend. Anett Selle ist Reuls Bericht für die “taz” durchgegangen und hat dabei festgestellt: Zu “polizeilichen Einsätzen für diese außergewöhnliche Lage” zählt der Innenminister etwa auch normale Streifenfahrten und Verkehrsunfälle. Selle kommt auf 56 bis 79 Einsätze (wohlgemerkt: 56 bis 79 von 1500), die in einem direkten Zusammenhang mit der Besetzung des Hambacher Forsts stehen.

Und weiter:

Bei den “1.674 Straftaten” zwischen 2015 und 2018 ist es nicht viel besser. Zunächst zeigt die Tabelle keine Straftaten, wie Reul wörtlich behauptet, sondern den Verdacht auf Straftaten. Die Tabelle zeigt, wie viel und was in vier Jahren angezeigt wurde — aber eine Anzeige macht noch keine Straftat. Auch, dass von 1.674 Strafanzeigen in vier Jahren mehr als ein Drittel wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz erfolgten, und davon 90 Prozent im Jahr 2015, kann nicht als Beleg für die von Reul behauptete zunehmende Kriminalität dienen.

Die Gleichsetzung von Strafanzeigen und Straftaten ist unter Innenpolitikern recht beliebt und wird von Journalistinnen und Journalisten oft (wahlweise wissentlich oder unwissentlich) übernommen.

Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) schrieb zwar von “1700 Strafverfahren wegen politisch motivierter Taten” und schränkte ein:

Wie viele Täter dann später tatsächlich verurteilt wurden, ist unklar.

Die Statistiken in dem Bericht hatte sich dort aber offenbar niemand genauer angeschaut:

Allein von Oktober 2018 bis Ende Januar 2019 gab es dem Bericht zufolge 1500 Polizeieinsätze im Hambacher Forst und den angrenzenden Ortschaften.

Die Online-Redaktion der “Welt” übernahm von der dpa eine gewisse Skepsis, titelte aber auch:

Screenshot Welt.de - Brandsätze und Zwillenbeschuss - 1500 Polizeieinsätze im Hambacher Forst seit Oktober 2018

In einer späteren Fassung arbeitete die dpa die Unterschiede zwischen Strafverfahren und Verurteilungen deutlicher heraus, ließ Kritiker zu Wort kommen und verbreitete die Zahl von 1500 Polizeieinsätzen nicht mehr, wie Nachrichtenchef Froben Homburger auf Twitter dokumentierte.

Bild.de titelt indes immer noch fröhlich:

Screenshot Bild.de - Innerhalb von drei Jahren - 1700 Straftaten im Hambacher Forst

Mit Dank an @roxar90 für den Hinweis!

Lungenarzt verrechnet sich, “Bild” juckt es nicht

Dieter Köhler ist so etwas wie der Posterboy der Medien, die gegen den “Grenzwert-Irrsinn” (Bild.de), die “Gaga-Vorschläge” (auch Bild.de) der “Diesel-Hasser” (ebenfalls Bild.de) und die drohenden Diesel-Fahrverbote anschreiben. Der Lungenarzt im Ruhestand lieferte ihnen mit einem Positionspapier zu Luftverschmutzung, Feinstaub und Stickoxiden eine vermeintliche wissenschaftliche Grundlage. Es kümmerte die Redaktionen nicht, dass Köhler noch nie zu dem Thema publiziert hatte, und auch nicht, dass die etwa 100 weiteren Ärzte, die das Positionspapier unterzeichneten, nur einen Bruchteil der rund 3800 von Köhler angeschriebenen Ärzte ausmachten. Alles egal, Dieter Köhlers Thesen drehten die ganz große mediale Runde. Nun zeigt eine Recherche von “taz”-Redakteur Malte Kreutzfeldt, dass Köhler sich mehrfacht verrechnet hat, teils so gravierend, dass seine Aussagen sich ins Gegenteil verkehren, wenn man korrekt rechnet.

Am 23. Januar berichtete die “Welt” groß über Dieter Köhler und seine Mitstreiter:

Ausriss Welt - Lungenärzte gegen Grenzwerte

Am selben Tag brachte “Bild” die Geschichte mit größtmöglichem Knall:

Ausriss Bild-Titelseite - 107 Lungen-Ärzte - Alles Lüge mit dem Diesel-Feinstaub

Im Blatt ähnlich laut:

Ausriss Bild-Zeitung - Aufstand der Ärzte gegen Feinstaub-Hysterie

Bild.de machte natürlich mit, und schon bald gab es so gut wie keine Nachrichtenseite in Deutschland mehr, die nicht über Köhlers Positionspapier berichtete. Manche von ihnen holten schon früh Gegenstimmen ein oder äußerten etwas später Zweifel. Andere übernahmen einfach die Aussagen aus dem Papier. Köhler, der bereits zuvor immer mal wieder von Redaktionen als Experte auf dem Feld präsentiert wurde, saß bei “Anne Will”, “Hart aber fair”, “SternTV”. FDP-Chef Christian Lindner hing sich in “Bild” an die “aktuelle Intervention führender Lungenfachärzte” ran und forderte “ein Moratorium bei den Stickoxid-Grenzwerten”. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), dessen Sprecher seit knapp einem Jahr der frühere “Bild”-Mann Wolfgang Ainetter ist, schrieb einen “BRAND-BRIEF AN DIE EU-KOMMISSION” (“Bild”) und bezog sich dabei auf deutsche Lungenärzte.

Dieter Köhler bekam in der folgenden Berichterstattung immer wieder Platz in den “Bild”-Medien:

Screenshot Bild.de - Lungenarzt zur Feinstaub-Hysterie - Das Atmen in Berlin ist absolut unbedenklich
Screenshot Bild.de - Schlimmster Verdacht - Es geht um Forschungsgelder, sagt Köhler. Da muss ja ein Ergebnis rauskommen, dass Feinstaub und Stickstoffdioxid schädlich sind. Rumms!
Ausriss Bild am Sonntag - Mich ärgert, wenn Blödsinn verbreitet wird

Dann dürfte sich Köhler ziemlich über sich selbst ärgern.

Denn Malte Kreutzfeldt zeigt heute in seiner “taz”-Titelgeschichte, was für einen Blödsinn der pensionierte Lungenarzt verbreitet. Ein Beispiel, auf das “auch die taz erst durch einen externen Hinweis aufmerksam wurde”: Köhler behauptet in seinem Positionspapier (PDF):

Dabei erreichen Raucher (eine Packung/Tag angenommen) in weniger als zwei Monaten die Feinstaubdosis, die sonst ein 80-jähriger Nichtraucher im Leben einatmen würde. Beim NOx [Stickoxide] sind die Unterschiede ähnlich, wenn auch etwas geringer.

Köhler bringt dabei allerdings Zahlen durcheinander und rechnet mit falschen Werten. Tatsächlich, so Kreutzfeldt, sind es nicht wenige Raucher-Monate, sondern zwischen 6,4 und 32 Raucher-Jahre (je nach angenommenen Stickstoffdioxid-Anteil am Stickoxid). Köhler sagt nämlich, dass man durch eine Zigarette rund 500 Mikrogramm Stickstoffdioxod in 10 Litern Atemluft aufnehme. Das rechnet er korrekt auf 50.000 µg/m³ hoch. Allerdings multipliziert er dann, um auf den Wert für eine Zigarettenschachtel zu kommen, nicht die 500 µg/10 Liter (die er pro Zigarette angibt) mit 20 Zigaretten, sondern fälschlicherweise die 50.000 µg/m³ (was letztlich bedeuten würde, dass die Person in dem Beispiel nicht 20, sondern 2000 Zigaretten am Tag raucht). Köhler kommt so auf 1 Million Mikrogramm Stickstoffdioxid, die ein Raucher am Tag zu sich nimmt. Richtig wären hingegen 10.000 Mikrogramm.

Wobei das auch nicht wirklich stimmt. Denn Köhler macht an dieser Stelle noch einen weiteren Fehler, wie Kreutzfeldt schreibt:

Zusätzlich zu diesem Rechenfehler, der das Ergebnis um Faktor 100 verfälscht, stimmt auch hier der Ausgangswert nicht, mit dem Köhler rechnet. Der von ihm genannte Wert von 500 Mikrogramm pro Zigarette gilt nicht für Stickstoffdioxid (NO2), also jenes Gas, für das die Grenzwerte gelten und das für die Fahrverbote in deutschen Städten verantwortlich ist, sondern für Stickoxide generell (NOx).

Als Anteil von NO2 an NOx beim Zigarettenrauch nennt Köhler zunächst 10 Prozent — damit wäre das Ergebnis insgesamt um den Faktor 1.000 verkehrt. In einer späteren Mail revidierte der Lungenarzt die Angabe wieder, nannte nun — ohne klare Quellenangabe — einen Bereich von 10 bis 50 Prozent; das Ergebnis seiner Rechnung wäre dann entsprechend um den Faktor 200 bis 1.000 verkehrt.

Bei Bild.de fanden sie Köhlers Raucher-Rechnung besonders anschaulich:

Screenshot Bild.de - Köhler: Raucher liefern uns diese Studie aber quasi freiwillig. Der Rauch einer Zigarette ist nun mal um das Mehrfache giftiger als unsere Luft. Raucher (eine Schachtel/Tag) erreichen in weniger als zwei Monaten die Feinstaubdosis, die sonst ein 80-jähriger Nichtraucher in seinem Leben einatmen würde. Und fast die NOx-Menge.

Durch einen Klick auf die beiden letzten, blau hinterlegten Sätze können Bild.de-Leser den Artikel bei Facebook teilen. Die zwei Sätze mit Köhlers plakativem (falschem) Beispiel werden dann automatisch als Text für ihren Post übernommen.

Während Welt.de bereits einen recht langen Beitrag zu Köhlers Rechenfehlern veröffentlich hat (letztlich eine Abschrift von Malte Kreutzfeldts “taz”-Text in indirekter Rede), gibt es bei “Bild” nur: Schweigen. In der gedruckten Ausgabe von heute kein Wort (was eigentlich nicht am Redaktionsschluss liegen kann, schließlich schafft es das “Bild”-Team auch, Geschehen aus dem Dschungelcamp von kurz vor Mitternacht noch ins Blatt zu hieven, und Malte Kreutzfeldt twitterte gestern bereits um 18:35 Uhr einen Link zu den Ergebnissen seiner Recherche). Bei Bild.de erschien der letzte Artikel, in dem der Name Köhler fällt, vor vier Tagen — eine Vorabkritik des “Polizeiruf” im “Ersten”, in dem der Kommissar Dirk Köhler heißt. Die schlampige Rechnerei des Lungenarztes Köhler existiert im “Bild”-Kosmos nicht.

Vielleicht meldet sich morgen ja Franz Josef Wagner zu Wort und berichtet von seiner großen Enttäuschung. Dieter Köhler und die “Lieben Lungen-Ärzte” hatte der “Bild”-Briefchenschreiber neulich noch als “Helden im Diesel-Chaos” gefeiert:

Ausriss Bild-Zeitung - Liebe Lungen-Ärzte, Ihr seht die dunklen Flecken, den Krebs in unseren Lungen. An Feinstaub, sagt Ihr, sei noch kein Mensch gestorben. Ich glaube Euch. Wenn es eine Wissenschaft gab, die uns Menschen half, dann war es die Medizin. Die Medizin hat die Pocken besiegt, das Penicillin erfunden, Herzen verpflanzt, Lungen. Die Medizin hat Beinamputierten neue Beine gegeben. Blinde konnten wieder sehen durch die besondere Lasertechnik. Tote wurden wieder zum Leben erweckt durch rhythmisches Pressen. Die Politik hat zu schweigen. Es sind die Ärzte, die unser Leben retten. Die Politik soll auf die Ärzte hören, bevor sie Gesetze machen. Meine Helden im Diesel-Chaos sind die Ärzte. Herzlichst Franz Josef Wagner

Nachtrag, 21:04 Uhr: Nun hat auch die “Bild”-Redaktion gemerkt, dass alle größeren deutschen Nachrichtenseiten über Köhlers Rechenfehler berichten. Bei Bild.de schreiben Tom Drechsler und Florian Kain:

Jetzt kommt raus: Professor Köhler hat genau das getan, was er anderen vorwirft — sich verrechnet!

Sein Beispiel, ein Raucher würde in nur zwei Monaten die Feinstaubdosis inhalieren, die sonst ein 80-jähriger Nichtraucher in seinem ganzes Leben einatmen würde, stimmt nicht.

Und es passt bestens zu “Bild”, dass Drechsler und Kain es selbst hier noch schaffen, einen Fehler einzubauen: In der Recherche von “taz”-Redakteur Malte Kreutzfeldt geht es um Stickoxide beziehungsweise um Stickstoffdioxid und nicht um Feinstaub.

Mit Dank an Michael E., Korbinian P., Sven H. und @De215S für die Hinweise!

Bitte ausschneiden und aufhängen: “Indymedia” ist keine seriöse Quelle

Screenshot Welt.de - Attacke auf AfD-Politiker - Bekennerschreiben im Fall Magnitz aufgetaucht

… steht seit heute Mittag bei Welt.de. Und auch auf ihrem Twitter-Kanal lässt die Redaktion es so wirken, als wäre im Fall des am Montag angegriffenen AfD-Politikers Frank Magnitz ein Bekennerschreiben “aufgetaucht”, also so ein richtiges:

Screenshot eines Tweets der Welt-Redaktion - Bekennerschreiben im Fall Magnitz aufgetaucht

Das Problem dabei, und das kommt erst später im “Welt”-Text: Es gibt erhebliche Zweifel an der Authentizität des Schreibens, das von einer bisher unbekannten Gruppe namens “Antifaschistischer Frühling Bremen” stammen soll. Diese Zweifel liegen vor allem an der Quelle: Das “Bekennerschreiben” ist nämlich bei “Indymedia” aufgetaucht, wo jeder anonym solche Texte veröffentlichen kann. Noch einmal, weil Redaktionen das offenbar gerne vergessen: Jeder kann bei “Indymedia” unter irgendeinem Namen ein angebliches “Bekennerschreiben” veröffentlichen. Welt.de schreibt zur aktuellen (und inzwischen wieder gelöschten Veröffentlichung bei “Indymedia”) dennoch: “Es wurde von einer Antifa-Gruppe im Internet veröffentlicht”.

Wie falsch das sein kann, haben nun schon mehrere Fälle gezeigt. 2016 etwa tauchte nach zwei Sprengstoffanschlägen in Dresden, einer davon auf eine Moschee, bei “Indymedia” ein vermeintliches Bekennerschreiben einer Antifa-Gruppe auf, das sich als Fälschung entpuppte. Dennoch berichteten mehrere Medien, als wäre “Indymedia” eine ganz normale, seriöse Quelle. 2017, nach dem Anschlag auf den Mannschaftsbus des BVB, tauchte bei “Indymedia” ein vermeintliches Bekennerschreiben einer Antifa-Gruppe auf, das sich als Fälschung entpuppte. Und wieder berichteten Medien, als wäre “Indymedia” eine ganz normale, seriöse Quelle.

Nun taucht bei “Indymedia” also ein angebliches Bekennerschreiben zum Angriff auf AfD-Mann Magnitz auf, und Welt.de veröffentlicht eine Überschrift, als wäre “Indymedia” eine ganz normale, seriöse Quelle. (Man kann durchaus dafür plädieren, dass ein anonymes Posting auf “Indymedia” überhaupt “keinen Bericht wert” ist.)

Genauso die Redaktion von “Der Westen”:

Screenshot Derwesten.de - AfD-Politiker Magnitz schwer verletzt: Dieses Bekennerschreiben taucht jetzt im Netz auf

Kein distanzierendes “angeblich” in der Titelzeile (wie beispielsweise bei tagesschau.de und RTL.de), kein “Zweifel” (wie beispielsweise bei FAZ.net und stern.de). Als wäre es sicher, dass es sich um ein authentisches Bekennerschreiben handelt. Und als wäre “Indymedia” eine ganz normale, seriöse Quelle.

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