Archiv für Im Abseits

So kein Reinfall!

Früher, als noch nicht ganz so viel passierte, war Lokaljournalismus ein überschaubares Geschäft. Hin und wieder wurde ein Scheck übergeben, der Bürgermeister gab einen neuen Radweg frei, oder eine Delegation aus der Partnerstadt kam zu Besuch. Aber natürlich war nicht immer alles nur harmonisch. Manchmal platzte am frühen Nachmittag eine Polizeimeldung hinein in die redaktionelle Idylle. Dann hatte zum Beispiel ein Trickbetrüger an der Haustür eine alte Frau überrumpelt. An diesen Tagen waren selbst die Redakteure erschüttert. Dann erschienen Meldungen wie diese:

Betrüger zockt ahnungslose Seniorin ab

Und wenn die Betrüger, obwohl Umgangsformen damals noch eine sehr große Rolle spielten, nicht zuvorkommend waren, sondern — ja, das kam vor — ausgesprochen dreist, zögerten die Redakteure natürlich nicht, auch das zu erwähnen:

Dreiste Betrüger zocken Oma ab
Dreiste Trickbetrüger beklauen Senioren in Duisburg-Hochfeld
Dreister Dieb beklaut Seniorin mit fieser Masche

In vielen Redaktionen ging das über Jahre so, aber dann muss etwas passiert sein, das mit einem Mal alles veränderte.

Möglicherweise hatte sich in der Branche herumgesprochen, dass mit der immer größer werdenden Zahl an alten Menschen ein neuer Markt entstanden war, der deutlich attraktivere Ertragschancen bot als die klassischen Segmente Einbruch und Taschendiebstahl.

Ralf Heimann hat vor ein paar Jahren aus Versehen einen Zeitungsbericht über einen umgefallenen Blumenkübel berühmt gemacht. Seitdem lassen ihn abseitige Meldungen nicht mehr los. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Jörg Homering-Elsner “Bauchchirurg schneidet hervorragend ab — Perlen des Lokaljournalismus”. Fürs BILDblog kümmert er sich um all die unwichtigen Dinge, die in Deutschland und auf der Welt so passieren.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)

Viele Menschen in diesen Gewerben sattelten um. In einigen größeren Städten gab es bald mehr Trickbetrüger als Grundschullehrer. Und natürlich, das hatte auch Vorteile. Die alten Menschen mussten tagsüber nicht mehr alleine sein: Die Enkeltrick-Betrüger meldeten sich oft schon frühmorgens. In den Nachmittagsstunden klingelte der Mann mit dem gefälschten Stadtwerke-Ausweis.

Der große Nachteil war: Sie alle hatten Erfolg. Die Geldverstecke der Senioren ließen sich leichter plündern als ein offener Tresor in der Fußgängerzone. Und so ergab sich bald auch ein Problem für die Journalisten: Keine Redaktion konnte Tag für Tag seitenweise Meldungen veröffentlichen, in denen es einzig und allein darum ging, wie Betrüger und dreiste Diebe alte Menschen mit großer Leichtigkeit um ihr Vermögen brachten. Andererseits konnte kaum eine dünn besetzte Redaktion komplett auf diese Nachrichten verzichten.

Kein triviales Problem. Aber man fand eine Lösung.

Journalisten berichten über außergewöhnliche Ereignisse, nicht über gewöhnliche. Warum sollte man also nicht auch in diesem Fall so vorgehen? Dass ältere Menschen an der Haustür ausgeplündert oder per Telefon erleichtert wurden, war inzwischen der tägliche Normalfall. Ein ganzer Tag ohne überrumpelte Senioren oder ein erfolgloser Versuch — das wäre eine Meldung gewesen!

So fand man einen neuen Ansatz, der das Problem immerhin vorübergehend löste:

Seniorin des Tages - 89-Jährige fällt nicht auf Enkeltrickbetrügerin herein
83-jährige Heidelbergin fällt nicht auf angeblichen Polizeibeamten herein
72-Jähriger fällt nicht auf betrügerisches Gewinnspiel herein

Die Praxis setzte sich schnell durch. Mit der weiter steigenden Zahl an Betrugsfällen gingen immer mehr Redaktionen dazu über. Generell wurde nur noch dann berichtet, wenn die Ausführung misslungen war.

Apothekerin fällt nicht auf Wechselfallenbetrug herein
21-Jährige fällt nicht auf falschen Polizisten herein
Mann fällt nicht auf Gewinnmasche herein

Die Betrugswelle hatte mittlerweile so große Ausmaße erreicht, dass sich kaum noch die Möglichkeit bot, über Einzelfälle zu berichten. Besonders dramatisch war dieser Fall:

Die falsche Polizei ruft an: 20 Münsteraner fallen nicht rein

Lediglich 20 Münsteraner fielen nicht herein. Alle anderen schon?

Die Polizei wurde immer machtloser. In einigen Fällen geriet sie sogar selbst ins Visier der Betrüger und dreisten Diebe. Die Bevölkerung mutmaßte: Wenn auch hier nur über die gescheiterten Versuche berichtet wurde, musste die Zahl der geglückten Fälle gewaltig sein.

Polizei fällt nicht auf Trick herein

Der damit einhergehende Vertrauensverlust in die Polizei zwang auch die Betrüger zum Handeln. Wenn sie weiterhin Erfolg haben wollten, konnten sie in dieser Situation unmöglich, wie bisher, vorgeben, Polizisten zu sein.

Betrüger geben sich am Telefon als falsche Polizisten aus
Bühlerin fällt nicht auf falschen Sicherheitsberater herein

Immer öfter scheiterten sie, schließlich sogar in Bremen-Nord.

Falsche Polizisten scheitern in Bremen-Nord

Jeden Tag las man nun solche Meldungen:

Polizei Hagen - Ältere Dame fällt nicht auf Trick herein

In den Redaktionen ergab sich wieder das gleiche Problem, das man mit der Hinwendung zu den gescheiterten Fällen schon gelöst geglaubt hatte. Täglich häuften sich die Meldungen von erfolglos verlaufenen Enkeltrick-Anrufen, entlarvten falschen Polizisten und furchtlosen Rentnern, die Diebe in die Flucht geschlagen hatten. Wer sollte all das veröffentlichen?

Die Meldungsbeine platzten aus allen Nähten. Große Ratlosigkeit. Dann passierte etwas Unerwartetes, die Geschichte nahm eine überraschende Wendung. Und so löste sich ein weiteres Mal auch für die Journalisten das Problem:

Enkeltrick mal umgekehrt: Seniorin trickst Betrüger aus
Wie Oma Inge die Trickbetrüger-Mafia reinlegte
72-Jährige trickst Trickdiebe aus - und kopiert gefälschten Ausweis

Ist Donald Trump zu weit gegangen?

Vielleicht erinnern sich einige noch, wie das damals als Kind war. Fahrt in den Sommerurlaub. Das Auto vollgepackt. Man selbst auf der Rückbank. Und so nach ein, zwei Stündchen hatte man zum ersten Mal das Gefühl, dass man die Erde langsam wohl umrundet haben müsste. Also fragte man, wann man denn nun endlich da sei, hörte, dass es doch noch eine Weile dauern werde. Und wenn sich das Gefühl ein paar Minuten später wieder einstellte, fragte man eben noch mal. Und noch mal. Und noch mal.

So konnten Stunden vergehen, und ich habe ein bisschen das Gefühl, dass es den Journalisten mit Donald Trump ganz ähnlich geht. Nur da hält das mit der Fragerei jetzt schon seit zwei Jahren an.

Im August 2015 stellte die damalige “Fox News”-Moderatorin Megyn Kelly Donald Trump in einer Fernsehdebatte der republikanischen Präsidentschaftskandidaten eine Frage zu dessen frauenfeindlichen Tweets. Trump fand das unfair. Er bezeichnete die Moderatorin, natürlich via Twitter, als “Bimbo”. Später legte er in einem CNN-Interview noch einmal nach. Eine Entschuldigung lehnte er ab.

Es war eine der ersten Gelegenheiten im Präsidentschaftswahlkampf, bei der man diese Frage las:

Screenshot Stuttgarter Nachrichten - Die Frage lautet: Ist Trump zu weit gegangen?

Zwei Monate später sagte Donald Trump in einem Interview einen Satz, der klang, als gebe er indirekt George W. Bush die Schuld daran, dass die Anschläge vom 11. September 2001 stattfinden konnten. Das Blog “US-Wahl 2016” fragte:

Screenshot US-Wahl 2016 - Ist Donald Trump diesmal zu weit gegangen? Donald Trump mit unsinnigem Seitenhieb auf George W. Bush

Zehn Monate später griff Donald Trump die Eltern eines muslimischen US-Soldaten an, der im zweiten Irak-Krieg gefallen war. Die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” sah den nächsten Tabubruch und schrieb:

Screenshot faz.net - Veteranen-Eltern geschmäht - Ist Trump dieses Mal zu weit gegangen?

Der “Tagesspiegel” war sich sicher:

Screenshot tagesspiegel.de - Fall Khan und Nähe zu Putin - Donald Trump ist zu weit gegangen

Ungefähr zur gleichen Zeit ließ Donald Trump bei einem Wahlkampfauftritt ein schreiendes Kind aus dem Saal tragen und verspottete die Mutter, nachdem er zunächst gesagt hatte: “Ich liebe Babys.” Der österreichische “Kurier” titelte: “Trump liefert bizarren Auftritt mit weinendem Baby”. Unter dem Artikel stand die Frage:

Screenshot Kuriere.at - Ist Donald Trump diesmal zu weit gegangen?

Doch dann kamen die Wahlen. Trump gewann und kündigte einen Einreisestopp für Muslime an. Eine Ungeheuerlichkeit, fanden viele. Da lag natürlich eine Frage nahe:

Tweet von Top News - Einreisestopp für Muslime in den USA: Ist Trump zu weit gegangen?

Und Trump ging noch weiter. Als ein Richter seine Pläne stoppte, verhöhnte er das Gericht. Der “Stern” hatte einen Verdacht:

Facebook-Post des Stern - Ist Donald Trump vielleicht doch zu weit gegangen? Trumps Supreme-Court-Kandidat reagiert erstmals auf die Justiz-Anfeindungen

Aber langsam schien sich tatsächlich etwas zu tun. Die Kritik kam inzwischen auch von Trump nahestehenden Personen:

Screenshot stern.de - Noch mehr Kritik vom Lieblingssender - Fox-Moderator rebelliert: Trump ist zu weit gegangen

Es blieb aber erneut alles folgenlos — bis Donald Trump überraschend FBI-Chef James Comey rauswarf und die Journalisten rätselten:

Screenshot General-Anzeiger - Ist er mit der Entlassung des FBI-Chefs zu weit gegangen? US-Präsident Donald Trump im Oval Office in Washington.

Doch wieder nichts. Die Mutmaßungen begannen vom Neuen:

Screenshot sueddeutsche.de - Beim nächsten Treffen könnte Trump zu weit gegangen sein

Und wenn ein Gedanke sich erst einmal verfestigt hat — wir kennen das –, taucht er plötzlich in allen möglichen Zusammenhängen auf:

Facebook-Post von N24 - Ist Donald Trump zu weit gegangen? Die SPD will ein Problem lösen - Nachrichten um 12:00 Uhr

Mittlerweile drohte auch der Konflikt mit Nordkorea zu eskalieren. Die ganze Welt machte sich Sorgen. In diesem Fall waren aber ausnahmsweise nicht alle der gleichen Meinung:

Screenshot kleinezeitung.at - Nordkorea - Kim Jong-un ist diesmal zu weit gegangen

Zwischendurch blieb es ein paar Tage ruhig. Es passierte nichts, was die Frage erneut hätte aufwerfen können — bis in Charlottesville eine Horde Rechtsradikaler durch die Stadt marschierte, eine Frau umgebracht wurde, und die Menschen in den USA von ihrem Präsidenten eine Stellungnahme erwarteten.

Donald Trump ließ sich dafür sehr viel Zeit. Als er sich schließlich äußerte, schien die Frage endlich ein für allemal beantwortet zu sein. Aber ganz sicher waren sich die Journalisten doch nicht.

Der “Bayerische Rundfunk” fragte vorsichtig:

Screenshot br.de - Kein klares Nein zu Rechtsradikalen - Ist Trump jetzt zu weit gegangen?

Das wollte auch NDR.de gerne wissen:

Screenshot ndr.de - Charlottesville: Ist Trump zu weit gegangen?

Und als dann noch der CIA-Chef seinem Unmut Luft machte, hielt man es auch bei RTL.de für möglich, dass Donald Trump hier die allerletzte rote Linie überschritten haben könnte:

Screenshot RTL.de - Ist Donald Trump jetzt zu weit gegangen?

Hatte er dann aber doch nicht. Wieder ging alles weiter wie bisher. Vor wenigen Tagen passierte allerdings etwas Ungewöhnliches. Donald Trump trat in Arizona auf. Und bei seiner Kundgebung erwähnte er in wenigen Worten auch seine Kritiker. Es ging um das, was er im Konflikt mit Nordkorea gesagt hatte. Und wenn man seinen Kommentar liest, ahnt man schon, wie es mit den Fragen der Journalisten in den nächsten Wochen weitergeht:

Screenshot Welt.de - Einige sagen, ich bin zu weit gegangen, sagte Trump am Dienstagabend (Ortszeit) vor tausenden Anhängern in Phoenix im Bundesstaat Arizona. Es war nicht stark genug, sagte Trump.

Irre Fell-Monster werden nach Mega-Flut zur Todesfalle

Zum Boulevard gehört, dass die Schlagzeilen oft spannender klingen, als die Geschichten dahinter tatsächlich sind. Gut, es gibt auch Gegenbeispiele. Aber das sind wirklich eher Ausnahmen:

Im Prinzip kann man aus allem eine Schlagzeile machen. Ich will mal versuchen zu erklären, wie das geht. Am besten anhand von ganz alltäglichen Beispielen.

Stellen Sie sich die folgende Situation vor: Sie kommen nach einer mehrtägigen Reise zurück nach Hause, aber Ihre Familie scheint nicht da zu sein. Alles ist dunkel, und in der gesamten Wohnung riecht es verdächtig nach Komposthaufen. Sie ziehen leise Ihre Schuhe aus und verfolgen den Gestank auf Socken zurück bis ins Kinderzimmer. Es ist dunkel, Sie können noch immer nichts sehen. Und deshalb bleiben eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder ist es der Hamsterkäfig. Oder unter dem Bett liegt eine Leiche.

Ralf Heimann hat vor ein paar Jahren aus Versehen einen Zeitungsbericht über einen umgefallenen Blumenkübel berühmt gemacht. Seitdem lassen ihn abseitige Meldungen nicht mehr los. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Jörg Homering-Elsner “Bauchchirurg schneidet hervorragend ab — Perlen des Lokaljournalismus”. Fürs BILDblog kümmert er sich um all die unwichtigen Dinge, die in Deutschland und auf der Welt so passieren.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)

Stop. Als Boulevardjournalist bleiben Sie im Türrahmen stehen. Wenn Sie jetzt unter dem Bett nachsehen, machen Sie sich womöglich eine sensationelle Geschichte kaputt. Und das wollen Sie ja wohl hoffentlich nicht riskieren.

Aber Moment — da war doch was? Aus der Küche dringen Geräusche. Wer könnte das sein? Der Mörder, der sich nach getaner Arbeit noch schnell ein Käsebrot schmiert? Ein stinknormaler Einbrecher? Ein Familienmitglied?

Schleichen Sie langsam zur Küche. Nehmen Sie am besten einen Kerzenständer mit oder irgendetwas anders, womit Sie zuschlagen können. Wir wollen es aber nicht zu kompliziert machen. Gehen wir also einfach mal davon aus, dass in der Küche ein Familienmitglied steht. Was machen Sie?

Die meisten Menschen würden irgendwie auf sich aufmerksam machen und sagen:

Oh, ich hab dich gar nicht gehört. Sag mal, im Kinderzimmer stinkt’s ja ganz schön.

Aber Sie sind Boulevardjournalist. Deshalb gehen Sie etwas anders vor:

Hör zu! Ich habe einen schrecklichen Verdacht! Sag mal, liegt im Kinderzimmer unter dem Bett eine Leiche?

Nun wird man Sie zu Hause allerdings schon kennen. Und wenn man ein bisschen weiß, wie Boulevardjournalisten so ticken, sieht man schon am Fragezeichen: Anscheinend keine Belege vorhanden. Die Antwort ist also meistens: “Nein!”

Sie kennen das von Bild.de.

Die ehrlichere Überschrift wäre:

Aber dann wäre es keine Story mehr. Sie müssten sich um andere Inhalte bemühen. Dazu müssten Sie recherchieren. Und das wollen Sie ja auch nicht.

Neulich hatten sie bei Bild.de eine Geschichte, in der noch eine andere Boulevard-Sirene mit dem geheimnisvollen Fragezeichen verknüpft wurde: das aufmerksamkeitsheischende Wort “irre”. Auf einem Foto war eine Frau zu sehen, auf deren Gesicht einige Skorpione herumkrabbelten. Darüber stand:

Das Wort “irre” passt im Boulevard immer, sobald etwas einen Millimeter von der Norm abweicht. Trainer wird in der Pressekonferenz etwas lauter. Song klingt live gespielt anders als sonst. Fußballer nimmt Dose vom Boden auf.

Das alles finden sie in der “Bild”-Redaktion “irre” (Okay, ich hab’ mir die David-Hasselhoff-Performance gerade noch mal angehört. Die klingt wirklich irre).

Man kann die Liste endlos fortführen. Sockenpaare nach dem Waschen noch vollständig. Handwerker kommt fünf Minuten zu früh. Taxifahrer hat passendes Wechselgeld. Irre!

Im Falle der Frau mit den Skorpionen im Gesicht stellte sich im Text dann heraus, dass die meisten Skorpione allenfalls so gefährlich sind wie Bienen oder Wespen — und die Frau sicher mutig war, aber ganz sicher nicht “irre”. Irre war eigentlich nur eins an der Geschichte: die Dachzeile.

Aber noch einmal zurück in die Küche. Da werden wir das gerade Gelernte gleich anwenden können. Sie stehen also noch immer in der Tür und wissen: Die Geschichte mit der Leiche nimmt Ihnen hier keiner ab. Was also machen Sie?

Genau. Da war ja noch der Hamsterkäfig. Und wenn der die Ursache für diesen unglaublichen Gestank sein sollte, dann steht eines sicher fest: Irgendetwas mit den Viechern stimmt nicht. Nur, wie verkaufen Sie das zu Hause?

Du, ich glaub, die Kinder müssten den Hamsterkäfig langsam mal wieder saubermachen.

Nein. Vollkommen falsch. Vergessen Sie nicht: Sie sind Boulevardjournalist. Probieren Sie es doch einfach mal so:

Haben Sie das Prinzip verstanden? Gut. Dann testen wir das jetzt mal.

Diese Pfütze morgens vor der Dusche, die muss ja nun wirklich nicht immer sein.

Na? Wie würden Sie das formulieren?

Oder das hier?

Wenn beim Abtrocknen ein Glas zerbricht, dann werft es bitte nicht in den Mülleimer. Sonst greift nachher irgendwer rein und verletzt sich.

Genau:

Und das hier?

Der Junge verlangt aber neuerdings ganz schön viel Geld fürs Rasenmähen.

Vielleicht so?

Und wenn man dem Jungen das dann irgendwann mitteilt, kann man ihn ja vielleicht auch noch mal drauf hinweisen, dass er zu seiner kleinen Schwester auch mal etwas netter sein kann. Wie könnte man das Problem beschreiben?

Volle Punktzahl.

Jetzt muss man das alles natürlich noch irgendwie zur Sprache bringen. Zettel auf den Tisch legen hilft da erfahrungsgemäß wenig. Daher wäre ein guter Termin wohl das Abendessen. Überlegen Sie sich, wann ein guter Zeitpunkt wäre. Sehen Sie zu, dass alle Familienmitglieder am Tisch sitzen. Und dann stellen Sie am besten zuallererst klar, natürlich ganz stilecht:

Drei heiße Tipps fürs Sommerloch

Es beginnt immer damit, dass irgendjemand aus der Redaktion an einem Montagmorgen feststellt: Gar nicht so viel los heute. Vier Kollegen im Urlaub. Um 10 Uhr keine Pressekonferenz. Und anscheinend auch sonst keine Termine. Dann schauen sich die Redakteure den Kalender noch einmal ganz genau an und sehen, dass sich daran auch in den darauf folgenden Tagen nichts ändern wird. Zwei Stunden später versiegt überraschend der E-Mail-Fluss. Aber daran, dass die Penis-Verlängerungsangebote auch weiterhin im Minutentakt eintrudeln, ist zu erkennen, dass es an der Technik wohl nicht liegen wird. Und so wird langsam allen klar: Das muss das Sommerloch sein.

Ralf Heimann hat vor ein paar Jahren aus Versehen einen Zeitungsbericht über einen umgefallenen Blumenkübel berühmt gemacht. Seitdem lassen ihn abseitige Meldungen nicht mehr los. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Jörg Homering-Elsner “Bauchchirurg schneidet hervorragend ab — Perlen des Lokaljournalismus”. Fürs BILDblog kümmert er sich um all die unwichtigen Dinge, die in Deutschland und auf der Welt so passieren.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)

Das Sommerloch öffnet sich in jedem Jahr ungefähr zur gleichen Zeit, kommt aber trotzdem immer unerwartet. Kein Redakteur hat je damit gerechnet. Daher ist auch noch nie etwas vorbereitet worden. Es müssen schnelle Lösungen her.

Vor allem Lokalredaktionen haben das Glück, sich in diesem frühen Stadium noch ein paar Tage mit Umfragen über Wasser halten zu können. Freie Mitarbeiter schwärmen in die Fußgängerzonen aus, um dort Menschen, die für einen kurzen Moment unachtsam sind, um ihren Content zu erleichtern:

“Was ist Ihre Lieblings-Eissorte?”

“An welchem Ort genießen Sie die Sonne?”

“Wohin geht’s dieses Jahr in den Urlaub?”

Viele Leser warten schon seit Monaten darauf, dass diese Fragen endlich beantwortet werden. Die Redakteure wissen das natürlich und räumen den Umfragen entsprechend viel Platz ein. Aber nach ein paar Tagen geht auch dieser Vorrat zur Neige. Und dann bleibt nur noch eine allerletzte thematische Reserve: getürmte Tiere im Tümpel.

Sobald die Nachricht die Runde macht, dass wieder irgendein Viech ausgebüxt ist, sprechen sie in den Redaktionen die ersten Gebete, es möge bitte so lange wie möglich verschollen bleiben, damit sein Verschwinden auch in den nächsten Tagen noch Anlass für Berichte über die Suchaktionen, das weitere Vorgehen und Spekulationen liefert. Meistens wird es dann aber doch schnell wiedergefunden.

Das stellt die Redaktion vor größere Probleme, denn wie soll es weitergehen — ganz ohne Inhalte? Das rettende Ufer des Ferienendes ist noch nicht mal in Sichtweite. Es herrscht Ratlosigkeit. Die Redaktion stürzt in eine tiefe Krise. Und da kommen wir ins Spiel.

Hier wären drei praktische Tricks, die in Not geratenen Redaktionen garantiert helfen, das Sommerloch zu überwinden …

1. Die Ausschluss-Frage
Schauen Sie doch mal nach, ob im Postfach noch zwei Polizei-Meldungen liegen. Irgendwas aus den vergangenen Tagen. Der Handtaschen-Raub in der Innenstadt, der angefahrene Hund an der Gartenstraße. So was in der Art. Sie wissen schon. Haben Sie was gefunden? Gut. Dann rufen Sie doch mal die Polizei-Pressestelle an und fragen:

“Können Sie ausschließen, dass es zwischen den Taten einen Zusammenhang gibt?”

Können sie nicht? Aha. Das ist ja interessant. Vielleicht können die Polizisten sogar nicht einmal ausschließen, dass dieser Täter auch für den umgeworfenen Grabstein auf dem Friedhof neulich verantwortlich war und für den Sparkassen-Überfall am vergangenen Dienstag? Finden Sie nicht, dass Ihre Leser das wissen sollten? Schreiben Sie es auf — am besten so, wie der Polizei-Pressesprecher es Ihnen gesagt hat.








Und wo Sie den Mann schon mal dran haben: Fragen sie doch mal, ob die Polizei ausschließen kann, dass der Taschendieb neulich im Stadtpark ein Triebtäter war. Kann die Polizeistelle auch nicht ausschließen? Oha. Das ist dann ja vielleicht sogar was für die Seite eins.

2. Die Metamorphosen-Meldung
Sie finden gar keine Polizei-Meldungen in Ihrem Postfach? Kein Problem. Auch für den Fall hätten wir was. Haben wir hier im vergangenen Jahr schon erwähnt. Ist aber immer noch aktuell. Die Ausschnitte hier sind erst ein paar Tage alt.








Und warum soll das Format nicht auch in anderen Ressorts funktionieren?

Vielleicht haben Sie noch Fotos, die den Stadtpark im Winter zeigen. Vielleicht finden Sie sogar noch welche aus dem Herbst. Machen Sie eine Serie draus. So sieht der Stadtpark doch jetzt nicht mehr aus, oder?

Oder machen Sie einen Screenshot von Ihrer Nachrichten-Website. Mit jeder neuen Meldung in ihrem Angebot wird der historische Screenshot zu wertvollem Content.

Ach, und fragen Sie die Kollegen aus dem Sport. Suchen Sie sich die Tabelle der Fußball-Landesliga raus, am besten die von vor drei Wochen. Da hat sich doch kurz vor Saison-Ende noch einiges getan, oder? Sehen Sie. Die Leute lesen so was.

Und wenn die Kollegen aus dem Sport gerade im Urlaub sind, auch nicht schlimm. Fotografieren Sie einen Politiker, geben Sie ihm einen Kamm in die Hand, und danach fotografieren Sie ihn noch mal. Das geht ganz schnell. Und das funktioniert auch im überregionalen Politik-Teil.

Sagen Sie das am besten auch den Kollegen aus den anderen Ressorts. Die freuen sich. Bei denen ist über die Sommermonate ja auch nicht viel los.

3. Spekulative Hard Facts
Die Metamorphosen-Meldung gefällt Ihnen auch nicht so gut? Dann hätten wir noch einen dritten Vorschlag. Der ist garantiert was für Sie. Gibt es nicht noch irgendeine Meldung, die Sie wirklich gerne bringen würden? Denken Sie mal nach. Diese Brücke, die schon so lange gesperrt ist, die müsste doch langsam mal wieder freigegeben werden. Oder diese Straße. Irgendwie hat man auch den Eindruck, dass das Freibad demnächst für länger schließen könnte. Oder? Und in Richtung der Straßenbahn-Haltestelle hat’s doch gestern Abend so einen lauten Knall gegeben. Klang das nicht ein bisschen wie ein Pistolenschuss? Finden Sie auch? Will aber keiner bestätigen? Egal. Schreiben Sie’s einfach. Die anderen machen’s ja auch. 




Ausweis verloren – Schlagzeile bekommen

Ein 16-Jähriger soll vor ein paar Tagen in Lörrach zusammen mit zwei Komplizen einen Getränkemarkt überfallen haben. Noch ist nicht bewiesen, dass er wirklich einer der Täter ist, aber es spricht sehr viel dafür. Die Polizei fand einen Teil der Beute, insgesamt 13 Flaschen Alkohol im Wert von 500 Euro, im Zimmer des jungen Mannes, und was für ihn noch etwas unglücklicher ist: Am Tatort lag sein Ausweis.

Der erste Gedanke ist da natürlich: Wie kann so etwas passieren? Wie oft im Leben verliert man seinen Ausweis? Wie oft passiert das nüchtern? Und vor allem: Wie oft fällt einem der Ausweis in Situationen aus der Tasche, in denen man genau weiß, dass man auf keinen Fall Spuren hinterlassen darf?

Ich würde vermuten, die Wahrscheinlichkeit ist nicht wesentlich höher als die, dass einem Einbrecher beim Verlassen des Tatorts ein Flugzeug auf den Kopf fällt. Es könnte aber sein, dass ich mir irre, denn wenige Stunden nach dem Einbruch in den Getränkemarkt beobachtete in München ein Zeuge, wie ein Mann, etwa Mitte dreißig, versuchte, die Tür eines Geschäftshauses einzutreten. Der Zeuge rief die Polizei. Der Einbrecher flüchtete auf dem Fahrrad, was aber gar nicht nötig gewesen wäre, denn vor der immer noch verschlossenen Tür des Geschäftshauses lag eine Kundenkarte mit seinen Personalien.

Islamistische Terroristen, das wissen wir spätestens seit dem Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin, lassen ihre Ausweise absichtlich am Tatort zurück. Sie wollen die Welt wissen lassen, was ihre kranken Gehirne ihnen geflüstert haben. Ihre Taten sollen ein Mahnmal sein.

Bei den beiden Männern, die an einem Dienstagabend im März in Essen-Rüttenscheid in ein Blumengeschäft einstiegen, ist davon nicht auszugehen. Auf den ersten Blick war wohl gar nicht so klar, ob sie überhaupt das Prinzip des Einbruchs verstanden haben, denn eigentlich lassen Einbrecher ja Dinge mitgehen. Hier aber lag das Geld verteilt auf dem Boden. Und eben Ausweise. Wenn der Plural in der Polizeimeldung tatsächlich stimmt, sogar die beider Täter. Und das lässt sich mit Pech alleine wohl nicht mehr erklären?

Aber womit dann? Mit der Rechtslage?

In Deutschland ist jeder Mensch ab dem vollendeten 16. Lebensjahr verpflichtet, sich ausweisen zu können. Kann natürlich sein, dass das Pflichtbewusstsein hierzulande auch bei Einbrechern so ausgeprägt ist, dass sie im Falle einer Festnahme neben der Anklage wegen Einbruchs auf keinen Fall auch noch Ärger wegen eines fehlenden Personalausweises riskieren wollen. Und dann passiert das, was man selbst von längeren Bahnreisen kennt: Aus Sorge, irgendein wichtiges Dokument nicht eingesteckt zu haben, durchwühlt man zu Hause das Gepäck noch zwei überflüssige Male. Und dann lässt man die Tasche am Bahnhof beim Bäcker stehen.








Die Frage ist, ob das auch passieren würde, wenn man wüsste, dass man die nächsten Jahre bei Verlust der Tasche im Gefängnis verbringt. Ich vermute, da wäre man etwas vorsichtiger. Kriminellen dagegen scheint so was egal zu sein. Dabei müssen sie ja eigentlich nur an ein Dokument denken. Und mit dem können sie anstellen, was sie wollen. Nur eben eins nicht.

Ralf Heimann hat vor ein paar Jahren aus Versehen einen Zeitungsbericht über einen umgefallenen Blumenkübel berühmt gemacht. Seitdem lassen ihn abseitige Meldungen nicht mehr los. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Jörg Homering-Elsner “Bauchchirurg schneidet hervorragend ab — Perlen des Lokaljournalismus”. Fürs BILDblog kümmert er sich um all die unwichtigen Dinge, die in Deutschland und auf der Welt so passieren.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)

Was wohl in anderen Berufen los wäre, wenn über die in ihnen tätigen Menschen immer wieder solche Meldungen zu lesen wären? Architekt baut Haus ohne Türen. Bäcker vergisst, Brote zu verkaufen. Feuerwehr fährt ohne Schläuche los.

Und das nicht nur einmal, sondern wieder und wieder. Das sind ja Dinge, die man am ersten Tag lernt. Irgendwann schlügen wahrscheinlich die Berufsverbände Alarm. Danach würde man, um einfach etwas Sichtbares zu unternehmen, die Ausbildung reformieren. Und hier liegt wahrscheinlich auch das Problem mit den Einbrechern und Bankräubern. Ihre Lehre ist so gut wie überhaupt nicht organisiert. Während Finanzbeamte in Schulen lernen, die Leute um ihre Einnahmen zu erleichtern, eignen Einbrecher sich ihr Wissen ausschließlich in der Praxis an. Die Theorie fehlt vollkommen. Und das bleibt nicht ohne Folgen.




Es ist ein klassisches Bildungsproblem. Der Beruf steckt in der Krise. Andererseits sind die Beschäftigungsaussichten in Deutschland hervorragend. Nicht einmal jeder fünfte Täter wird gefasst. Das zieht Quereinsteiger an. Und vielleicht liegt hier auch die Erklärung für das Phänomen mit den Ausweisen. Als Einbrecher läuft das Geschäft anders als in Ausbildungsberufen. Die Kontaktdaten zurückzulassen, ist hier vollkommen zwecklos. Auch wenn die Leute sehen, dass man gute Arbeit geleistet hast — sie werden einen nicht empfehlen, und sie geben einem auch keine neuen Aufträge.

Der große “Bild”-Falschmeldungscheck

Facebook hat vor Kurzem in der “Bild”-Zeitung erklärt, wie man Falschmeldungen erkennen kann. In einer großen Anzeige hat der Konzern zehn Tipps gegeben:

Wohl aus Platzgründen fehlen in der Anzeige leider die Beispiele. Aber kein Problem. Platz haben wir genug — die Beispiele liefern wir nach. Hier also noch einmal die zehn Tipps zum Erkennen von Falschmeldungen. Mit den entsprechenden Beispielen. Und warum nicht gleich aus der Zeitung, in der die Hinweise zu lesen waren?

1. Lies die Überschriften kritisch.
Klingen die Titel etwas überdreht, unglaubwürdig, und steht am Ende vielleicht sogar ein Rufzeichen? Sehen die Überschriften also zum Beispiel so aus?

Oder so?

Oder so?

Dann solltest du aufpassen. Was kannst du machen? Verfolge die Berichterstattung in den darauf folgenden Tagen. Manchmal erscheint später eine Korrektur oder Entschuldigung. Aber aufgepasst: Dubiose Nachrichten-Portale korrigieren Berichte oft auch dann nicht, wenn längst bekannt ist, dass sie nicht richtig waren.

2. Sieh dir die URL genau an.
Diesen Punkt kannst du leicht nachprüfen. Hat die URL in der Adresszeile des Browsers vier Buchstaben? Endet sie mit “.de”? Sieht sie vielleicht so aus?

Dann sei lieber vorsichtig.

3. Überprüfe die Quelle.
Was weißt du über die Quelle? Finde etwas darüber heraus. Fang mit einer Google-Recherche an. Was behauptet das Medium selbst von sich?

Was sagen andere?

Wie ist dein Eindruck? Mach dir selbst ein Bild von der Seite.

Was für Meldungen findest du dort?

Sprechen die Inhalte dafür, dass es sich um eine Nachrichten-Quelle handelt, der man vertrauen kann? Wie ist dein Gefühl?

4. Achte auf ungewöhnliche Formatierungen.
Wie wirken die Inhalte optisch? Seiten mit Falschmeldungen haben häufig merkwürdige Layouts:

Tippfehler:

Oder ungewöhnliche Gewichtungen:

Fällt dir so etwas auf? Dann vergewissere dich noch einmal genau.

5. Sieh dir die Fotos genau an.
Vor allem Bilder und Bildunterschriften können aufschlussreich sein, wenn es darum geht, sich einen ersten Eindruck zu machen. Wie sind die Menschen einzuschätzen, die diese Inhalte aufbereiten?

Kennen sie sich ein bisschen aus mit den Dingen, über die sie schreiben?

Wie gründlich arbeiten sie? Werfen sie einen Blick aufs Foto, bevor sie die Bildunterschrift schreiben?

Und wenn ja, warum schreiben sie den Namen des Torwarts nicht einfach von der Rückseite seines Trikots ab?

6. Überprüfe die Datumsangaben.
Auch das Datum des Artikels kann nützlich sein, um einzuschätzen, wie sorgfältig und ehrlich hier gearbeitet wird. Sind die Nachrichten, die du auf der Seite findest, wirklich aktuell?

Oder versucht hier jemand, dir alte Berichte als Neuigkeiten unterzujubeln? Überprüfe es einfach. Manchmal hilft eine einfach Google-Recherche:

Vielleicht findest du den Artikel sogar auf dem gleichen Portal noch ein zweites Mal. Unseriöse Nachrichten-Seiten veröffentlichen alte Artikel später manchmal umdatiert neu, wenn sie gut gelaufen sind. Es geht schließlich um Klick-Zahlen:

7. Überprüfe die Beweise.
Zweifelhafte Seiten blasen Nachrichten gerne auf. Diese Meldungen erkennt man an ihrem abfallenden Aufbau. Es beginnt mit einer spannenden Überschrift:

Im Text klingt alles zunächst noch so, als ginge es hier um eine sagenhafte Entdeckung:

Aber letztlich kann man doch nur sagen:

8. Sieh dir andere Berichte an.
Du bist dir nicht sicher, ob das, was du gerade liest, auch tatsächlich stimmt?

Dann such am besten nach einer weiteren Quelle:

Du zweifelst noch immer? Dann hat Google manchmal ein paar hilfreiche Tipps:

Die Zahl der Suchtreffer kann ein guter Hinweis sein:

Und so kommt man dem richtigen Ergebnis langsam auf die Spur:

9. Ist die Meldung ein Scherz?
So leicht lässt sich oft gar nicht sagen, ob es sich um eine Nachricht handelt — oder einfach um Humor:

Manchmal denken Satiriker sich Dinge aus, die von der Wirklichkeit kaum zu unterscheiden sind:

Daher überprüfen professionelle Medien ihre Informationen vor der Veröffentlichung, damit so etwas nicht passiert:

Als Leser hast du im Grunde nur eine Chance: Du musst versuchen herauszufinden, ob das Medium, um das es geht, für Satire bekannt ist. Auch dabei hilft dir Google.

10. Einige Meldungen sind bewusst falsch.
Noch komplizierter ist die Situation nur, wenn Medien bewusst Neuigkeiten verbreiten, die einfach nicht stimmen:


Wenn du keine Möglichkeit hast, eine zweite Quelle heranzuziehen, dir die Formatierungen oder das Datum nicht weiterhelfen und auch URL oder Überschrift keinen Aufschluss geben, dann hilft dir nur noch eins: Geduld. Im Moment lässt sich zwar noch nicht sagen, wie valide die Information ist. Aber warte ab. Verfolge die Berichterstattung eine Weile. Dann wirst du vielleicht auch ohne zweite Quelle erkennen: Irgendetwas stimmt da nicht.







Schon komisch. Ständig geht alles Mögliche schief, aber Ernst Elitz hat nie irgendetwas zu beanstanden. Sieht er das denn nicht? Will er das nicht sehen? Woran liegt das? Wir wissen es nicht. Aber vielleicht hat er ja diesen Text gelesen. Dann müsste ihm doch etwas aufgefallen sein. Und wenn das so sein sollte, was sagt er dazu?

Fragen wir ihn doch einfach. Im Internet ist das ja möglich: Herr Elitz, entschuldigen Sie, dürften wir Sie kurz um eine Einschätzung bitten? So unter dem Strich, wie würden Sie die Sache beurteilen?

Platz für eine Meldung? Tetris hilft

Ein Freund von mir hat vor Jahren eine gute Erfahrung mit einem Heilpraktiker gemacht. Er fühlte sich immer kränklich, hatte sich ein paar Mal untersuchen lassen, aber die Ärzte konnten nichts finden. Dann gab ihm jemand den Tipp, es mal bei einem Heilpraktiker zu probieren. Das tat er. Der Mann unterhielt sich mit ihm und schon nach einem kurzen Gespräch war er sich sicher, die Ursache des Problems gefunden zu haben. Er fragte meinen Freund: “Wissen Sie, was Ihnen fehlt?” Und gab die Antwort gleich selbst: “Zink.”

Ralf Heimann hat vor ein paar Jahren aus Versehen einen Zeitungsbericht über einen umgefallenen Blumenkübel berühmt gemacht. Seitdem lassen ihn abseitige Meldungen nicht mehr los. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Jörg Homering-Elsner “Bauchchirurg schneidet hervorragend ab — Perlen des Lokaljournalismus”. Fürs BILDblog kümmert er sich um all die unwichtigen Dinge, die in Deutschland und auf der Welt so passieren.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)

Meine Freund war skeptisch, dachte aber: “Warum nicht? Ich probier das einfach Mal.” Er kaufte das Präparat, das der Heilpraktiker ihm empfohlen hatte, achtete in den Wochen darauf ein bisschen mehr auf seine Ernährung als sonst, und tatsächlich: Bald ging es ihm insgesamt besser.

Bis hierher klingt das noch alles ganz gut. Allerdings hat die Zink-Behandlung eine Nebenwirkung, die bis heute andauert. Wenn irgendjemand in der Gegenwart meines Freundes über ein Leiden klagt, Rückenschmerzen, eine Erkältung, plötzliche Schweißausbrüche oder ein Pochen im Zahn, hört er sich die Schilderung der Symptome geduldig an und stellt schließlich die Frage, die auch ihm gestellt wurde:

“In letzter Zeit spüre ich beim Treppensteigen immer so ein Ziehen in der rechten Schulter.”

“Vor allem im Winter hab’ ich Nierenschmerzen.”

“Wenn ich Fisch esse, spielt mein Magen verrückt.”

“Weißt du, was dir fehlt? Zink!”

Bislang hielt ich das lediglich für eine eigentümliche Marotte, aber dann las ich in der Zeitung die folgende Meldung. Und jetzt vermute ich, das Problem könnte doch etwas weiter verbreitet sein — und vor allem nicht nur meinen Freund betreffen.

In der kurzen Meldung stand, Forscher hätten herausgefunden, dass ein Trauma nach einem Unfall etwas weniger schlimm ausfallen könne, wenn die Menschen danach Tetris spielen.

Um ehrlich zu sein, ein bisschen hoffte ich, einen Fehler gefunden zu haben — einen Aprilscherz, der mit zwei Tagen Verspätung an irgendwem vorbei in die Zeitung gerutscht ist, aber im Internet inzwischen längst aufgeklärt wurde. Ich googlete das Ganze. War aber nicht so.

Auch der “Deutschlandfunk” meldete:

Ich fand allerdings noch eine andere Meldung. In der ging es um die Frage:

Intuitiv würde man eher vermuten, dass dieses Spiel Schlafstörungen verursacht, aber wenn es stimmt, was in diesem Text steht, scheint es unter gewissen Umständen auch ein Mittel dagegen zu sein.

Doch das ist noch nicht alles. Tetris kann offenbar noch viel mehr:

Und wenn man sich früher zwischen Kontaktlinsen und einer Brille entscheiden musste, dann hat man inzwischen noch eine dritte Möglichkeit:

Ich dachte darüber nach, ob es in der Wissenschaft vielleicht ganz ähnlich läuft wie bei meinem Freund mit dem Zink-Syndrom. Die Forscher sitzen mittags in der Kantine zusammen. Der verzweifelte Parkinson-Experte schüttet dem gut gelaunten Trauma-Fachmann sein Herz aus: “Seit Jahren suchen wir jetzt nach einem Mittel, aber wir kommen einfach keinen Millimeter weiter.” Und der Trauma-Forscher hat sofort eine Idee: “Wisst ihr, was euren Patienten fehlt?”

“Ähm, vielleicht Zink?”

“Nee. Ein Gameboy.”

Ich suchte weiter, und plötzlich war ich mir gar nicht mehr so sicher, ob so ein Mechanismus nicht tatsächlich existiert.

Und nachdem man jahrelang probiert hat, sich die Zigaretten mit allem Möglichen abzugewöhnen, liest man nun: Es wäre so einfach gewesen.

Auch auf anderen Gebieten scheint das Spiel ein Wundermittel zu sein. Vielleicht lesen wir irgendwann die Nachricht:

Experte: Tetris gute Alternative zum Gymnasium.

Dafür würde jedenfalls diese Meldung sprechen:

Und wenn auch das mit den Betablockern stimmt, warum sollte Tetris dann nicht auch Aspirin ersetzen können?

Dann bräuchten wir sonntagsmorgens endlich keine Pharma-Produkte mehr, sondern könnten auf jedem Geburtstag so viel durcheinandertrinken, wie wir wollten. Wir müssten eben nur darauf achten, dass der Gameboy nach dem Aufwachen neben dem Bett liegt und genügend Akku hat.

So weit ist die Forschung aber noch nicht. Wenn man “Aspirin” und “Tetris” bei Google eingibt, findet man lediglich einen 17 Jahre alten Werbespot, in dem das Unternehmen “Bayer” für seine Schmerztabletten wirbt — mit einer Szene, die Tetris nachempfunden ist. Man könnte den Spot auch so verstehen, dass Aspirin gegen Tetris hilft, aber das ist wohl anders gemeint. Über den umgekehrten Zusammenhang erfährt man jedenfalls nichts. Und auch auf einige weitere Fragen fehlen bislang die Antworten:

Immerhin für die Unfall-Patienten gibt es jetzt eine gute Nachricht: Das Trauma fällt etwas weniger schlimm aus, wenn man nach dem Unfall ein paar Runden Tetris spielt. Aber es ließe sich unter Umständen vollständig vermeiden, wenn man komplett auf Tetris verzichtet. Dann baut man vielleicht erst gar keinen Unfall.

Was tun gegen den Egg-Storm?

Viele Dinge aus dem Internet findet man im Offline-Leben so nicht vor. Ich habe zum Beispiel noch nie gehört, dass jemand wegen einer Äußerung auf der Straße stundenlang und gleich von mehreren Menschen auf Übelste angepöbelt wird, und das alles gar nicht aufhören will, weil immer neue Menschen hinzukommen, die ihrerseits die Chance nutzen, mal ihre ganze Wut loszuwerden, brüllen und drohen, um das am Boden liegende Opfer schließlich mit Hitler zu vergleichen — und dann abzuhauen.

Im Internet passiert das ständig. Da nennt man das Shitstorm.

Umgekehrt gibt es aber auch reale Phänomene, die in der digitalen Sphäre so nicht zu finden sind. Zum Beispiel den Egg-Storm. Menschen oder Gebäude werden mit rohen Eiern beworfen. Anders als beim Shitstorm ahnen die Opfer oder die Besitzer der Gebäude allerdings meistens gar nicht, wofür sie bestraft werden.

Vor ein paar Tagen ist es wieder passiert. Diesmal in Freilassing:

Dort sogar schon zum dritten Mal. Im Februar gab es diesen Fall aus Germering:

Ende Januar wurden in Meitingen vier Hausbesitzer Opfer von Eier-Attacken:

Und irgendwie ja schon bemerkenswert: Um das Problem mit den Hass-Kommentaren in den Griff zu bekommen, hat der deutsche Justizminister in aller Eile ein neues Gesetz zusammenschrauben lassen. Aber was unternimmt er gegen die Egg-Storms? Die sind ja auch nicht gerade ungefährlich.

Hass-Kommentare haben jedenfalls noch keinen Auffahrunfall verursacht.

Und ein hartes Vorgehen gegen Eierwerfer wäre im Interesse großer gesellschaftlicher Gruppen:

Das Problem tritt in den Fußballstadien auf:

Und eigentlich ist es ein Wunder, dass aus der Wirtschaft noch niemand ein neues Gesetz gefordert hat. Denn die sind ja auch betroffen:

Aber vielleicht kommt das noch, und bald sehen wir den ersten Referenten-Entwurf der neuen Eier-Bewegungs-und-Beförderungs-Verordnung. Oder es gelingt sogar der, ähm, nun ja, ganz große Wurf: Ein bundesweites Eierhandels-Gesetz (EiHG), das in einem Unterparagraphen auch die von rohen Eiern ausgehenden Gefahren regelt.

Viel wäre da zwar nicht zu erwarten, denn Christian Schmidt versteht sich in seiner Bundeslandwirtschaftsminister-Rolle ja so ein bisschen auch als Sprecher der Agrar-Lobby. Andererseits ist er natürlich in der CSU, und Eier im öffentlichen Raum — das zeigt die Vergangenheit — gefährden die Sicherheit der Menschen.

Was also tun? Mehr Überwachung? Härtere Strafen? Rigorose Vorschriften, die nach dem Vorbild des Waffenscheins eine staatliche Erlaubnis zur Voraussetzung für das Mitführen von rohen Eiern machen?

Oder wäre das gar nicht möglich, weil der Eierwurf doch im Grunde ein Akt der freien Meinungsäußerung ist? Der letzte große Angriff auf dieses Grundrecht ist schließlich so krachend gescheitert, dass er heute immer noch mit einem Jahrestag gefeiert wird.

Man muss allerdings auch sagen: Der Eierwurf als solcher ist zwar eine wunderbar geradlinige Form der Meinungsbekundung, die keinerlei Zweifel daran lässt, wie die werfende zu der beworfenen Person steht. Als Argument geht die Tat aber nicht durch.

Und daran gibt es Kritik:

Sollten diese Kritiker sich durchsetzen, werden stark reglementierende gesetzliche Vorschriften immer wahrscheinlicher. Denkbar wäre zum Beispiel Folgendes.

Ralf Heimann hat vor ein paar Jahren aus Versehen einen Zeitungsbericht über einen umgefallenen Blumenkübel berühmt gemacht. Seitdem lassen ihn abseitige Meldungen nicht mehr los. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Jörg Homering-Elsner “Bauchchirurg schneidet hervorragend ab — Perlen des Lokaljournalismus”. Fürs BILDblog kümmert er sich um all die unwichtigen Dinge, die in Deutschland und auf der Welt so passieren.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)

Das Beschädigen oder Zerstören von rohen Eiern außerhalb von Gebäuden könnte mit hohen Geld- oder Freiheitsstrafen belegt werden.

Was dann passieren würde, kennt man allerdings schon aus dem Straßenverkehr, wo Menschen wie Kriminelle behandelt werden, weil ihnen die Glühbirne vom Rücklicht durchgebrannt ist. Die Polizei würde sich vor Supermärkten postieren, und wenn dann einer alten Dame das Frühstücksei aus der Einkaufstasche fällt — Zugriff!

Oder der Handel mit rohen Eiern würde eben ganz verboten. Das Problem dann wäre allerdings, dass irgendwer die Eier vor dem Verkauf kochen müsste. Natürlich zum Mindestlohn. Das würde die Eierpreise sicher um zwei bis drei Cent in die Höhe treiben, was auf einem preisempfindlichen Markt wie diesem enorme Umsatzeinbußen zur Folge hätte. Das macht das Szenario sehr unwahrscheinlich.

Wie auch immer es ausgeht, eines steht fest: Irgendwas muss passieren, denn das Problem droht völlig außer Kontrolle zu geraten. Eierwerfer machen deutsche Städte unsicher:

Menschen leben in Angst und Schrecken:

Kulturelle Veranstaltungen müssen wegen der ständigen Bedrohung abgesagt werden:

Und um welche Dimensionen es hier geht, zeigt unter anderem dieses Bild:

Allerdings soll hier nicht der Eindruck entstehen, dass gar nichts unternommen würde. Die Polizei erscheint in ihren Bemühungen zwar manchmal etwas hilflos …

… aber zwischendurch gelingt auch der ein oder andere Erfolg:

Dazu setzen die Behörden modernste Methoden ein:

Und fahnden großflächig nach Verdächtigen:

Nur oft stellt sich am Ende heraus: Das Problem ist einfach zu groß. Es ist ein aussichtsloser Kampf gegen einen übermächtigen Gegner, in dem einfache Beamte nichts ausrichten können. Das ist ein Fall für Heiko Maas — oder den Verfassungsschutz:

“BILD ist hier nichts vorzuwerfen”

Ernst Elitz ist Ombudsmann der “Bild”-Zeitung. Er schaltet sich ein, wenn Leser ihre politischen Ansichten falsch oder verzerrt dargestellt finden. Aber auch, wenn sie Zweifel an Fakten haben.

Seine erste Kolumne erschien am Donnerstag. Am Wochenende schrieb er gleich die nächste. Diesmal fand er sogar einen berechtigten Kritikpunkt. Nur leider schickte er die fertige Kolumne an die falsche E-Mail-Adresse. Sie landete bei uns. Wir veröffentlichen sie hier. Exklusiv bei BILDblog.

Liebe BILD-Leser,

zunächst muss ich Ihnen sagen: Julian Reichelt hat mich für meine erste Kolumne sehr gelobt. Darüber freue ich mich ganz besonders. Denn das zeigt: Er nimmt die kritische Auseinandersetzung mit BILD ernst. Aber kommen wir gleich zu den Zuschriften.

Ralf Heimann hat vor ein paar Jahren aus Versehen einen Zeitungsbericht über einen umgefallenen Blumenkübel berühmt gemacht. Seitdem lassen ihn abseitige Meldungen nicht mehr los. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Jörg Homering-Elsner “Bauchchirurg schneidet hervorragend ab — Perlen des Lokaljournalismus”. Fürs BILDblog kümmert er sich um all die unwichtigen Dinge, die in Deutschland und auf der Welt so passieren.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)

Ich bin den folgenden Fällen nachgegangen.

► BILD-Leser Maik Warschnitz schreibt: “Ich habe von verschiedenen Seiten gehört: Zu Karneval sind mehrere Pärchen in der Öffentlichkeit beim Liebesspiel gefilmt worden. Warum finde ich die Videos nicht bei Bild.de?”

Meine Antwort: Dafür habe ich leider keine Erklärung. Wir haben alle Aufnahmen veröffentlicht. Prominent auf unserer Startseite. Ich habe in der Chefredaktion recherchiert. Der Browser-Verlauf zeigt: Auch dort wurden sie gefunden.

Mein Urteil: BILD ist hier nichts vorzuwerfen.

► BILD-Leser Ferdinand Huhn fragt: “Früher habe ich immer gern die BILD-Korrekturspalte gelesen. Leider finde ich sie nicht mehr. Warum hat die Redaktion sie abgeschafft?”

Die Redaktion sagt: “Diese Frage hören wir oft. Die Antwort überrascht viele Leser: Wir haben die Korrekturspalte nicht abgeschafft. Im Gegenteil: Oft würden wir Fehler gern berichtigen. Aber leider ist unser Platz begrenzt. Unsere Aufgabe ist es, die wichtigsten Themen des Tages auszuwählen. Wenn dazu unserer Meinung nach ein Fehler zählt, werden wir die Korrekturspalte auch weiterhin nutzen. Sie bleibt also ein ebenso fester Bestandteil der BILD wie das kritische Urteil von Ernst Elitz.”

Mein Urteil: Stark!

► Bei der Berichterstattung über Verbrechen wirft BILD-Leser Gisbert Holunder uns vor, oft einen Teil der Wahrheit zu verschweigen. So würden in vielen Fällen lediglich Fotos veröffentlicht, die das Opfer vor der Tat zeigen.

Meine Antwort: BILD-Reporter sind auch nur Menschen. Sie können nicht gleichzeitig überall sein. Vor allem bei Verbrechen sind wir auf Augenzeugen angewiesen. Und dabei dürfen wir nicht vergessen: Das sind keine Profis. Diese Menschen sind meistens von der Situation überfordert. In ihrer Panik vergessen sie, vom Tatort ein Foto zu machen. Und oft holen sie zunächst Hilfe, statt unsere Reporter zu kontaktieren.

Mein Urteil: BILD trifft keine Schuld!

► BILD-Leser und Türkei-Kenner Hans-Eberhard Müller aus Torgau (Sachsen) fordert “deutliche Worte” zu den “Mätzchen” des türkischen Präsidenten Erdogan.

Meine Antwort: BILD hat dazu deutliche Worte gefunden. Wir werden auch weiter über die Türkei und Präsident Erdogan berichten.

Mein Urteil: BILD hat alles richtig gemacht.

► BILD-Leser Kevin Knoblikowsky möchte wissen: “Warum hat das BILD-Girl eine Hose an?”

Meine Antwort: Sie haben vollkommen Recht. Das muss nicht sein! BILD steht für transparenten Journalismus. Diese Frage müssen wir uns gefallen lassen.

Die Redaktion sagt: “Die Fotos werden uns zugeliefert. Mit Photoshop ist da nichts zu machen. Aber wir bleiben an der Sache dran.”

Mein Urteil: Hier muss sich dringend etwas ändern.

► Stichwort Kommentar!

Manche Leser sind unzufrieden mit Berichten und Formulierungen, die ihrer eigenen Vorstellung von Anstand und Redlichkeit zuwiderlaufen.

Meine Empfehlung: Stellen Sie sich nicht so an!

PS: Sind Sie bei Facebook? Werden Sie Fan von BILDblog!

Herzlichst,

Ihr BILD-Ombudsmann
Ernst Elitz

Bestürzende Sturzgeburt

Michael Martens hat in der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” die Inhaftierung des “Welt”-Korrespondenten Deniz Yücel kommentiert. Aber er kann das unmöglich ernst gemeint haben. Vermutlich ist beim Schreiben etwas schiefgelaufen. Vielleicht war es ja so.

Ralf Heimann hat vor ein paar Jahren aus Versehen einen Zeitungsbericht über einen umgefallenen Blumenkübel berühmt gemacht. Seitdem lassen ihn abseitige Meldungen nicht mehr los. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Jörg Homering-Elsner “Bauchchirurg schneidet hervorragend ab — Perlen des Lokaljournalismus”. Fürs BILDblog kümmert er sich um all die unwichtigen Dinge, die in Deutschland und auf der Welt so passieren.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)

Michael Martens hatte am Wochenende eine schlaflose Nacht. Der “FAZ”-Südosteuropa-Korrespondent hatte gehört, dass sich sein Kollege Deniz Yücel in Istanbul in Polizei-Gewahrsam befindet. Yücel hat zwei Pässe. Er ist nicht der erste Journalist mit einem türkischen Ausweis, dem so etwas passiert, aber der erste mit einem deutschen. Martens fragte sich: Hätte man das irgendwie verhindern können?

Zwei Stunden lag er schon da und grübelte. Aber noch war ihm das alles nicht so klar. Er wälzte sich von der einen Matratzenseite zur anderen, zum hundertsten Mal schon, doch es wollte weder Schlaf kommen noch eine Antwort. Und dann wälzte er sich wieder, nur dieses Mal ein kleines Stückchen zu weit.

Rumms!

Martens rutschte ab, versuchte noch, sich im Fallen am Bettlaken festzuhalten, aber das Laken glitt ihm aus der Hand. Er knallte mit dem Hinterkopf gegen den Nachttisch und war kurz bewusstlos. Als er wieder zu sich kam, hatte er eine Idee.

Ja. Eigentlich war doch alles ganz klar, dachte sich Martens: Vor einem halben Jahrhundert hatten die Deutschen sich die Türken ins Land geholt. Als die dann endlich ein paar Sätze verstanden, sagte man ihnen, was zu tun ist. Das erledigten sie. Und das wurde über die Jahre so beibehalten.

Nun sind wir allerdings inzwischen sehr gut mit Gemüseläden versorgt und müssen den Kindern und Enkeln der Türken daher in anderen Branchen Beschäftigungen zuweisen. Und da lässt man sie doch am besten das machen, wovon sie ihrem Namen nach wohl am meisten verstehen dürften. Irgendwas mit Türkei eben.

So war es wohl zu erklären, dass dieser Yücel jetzt in Istanbul einsaß.

All jene, die gegen jeden guten Rat Journalisten werden müssen, bekommen einen Korrespondenten-Job am Bosporus, denn was soll man sonst mit ihnen machen? Sie über Innenpolitik schreiben lassen? Das wäre ja wohl absurd — bei dem Nachnamen.

Aber sie in die Türkei zu schicken, ist natürlich auch nicht viel besser, denn da liefert man sie dem Despoten ans Messer, der sie dann umgehend einbuchtet, wie man nun wieder einmal gesehen hat.

Und das ist doch die Erklärung, wurde es Martens auf einmal ganz klar: Wer trägt also die Schuld? Natürlich. Die Verlage.

Wenn die sich bei der Zuordnung ihrer Korrespondenten zu den frei werdenden Stellen auch nur ein Minimum an Gedanken machen würden, säße dieser Yücel jetzt nicht im Gefängnis — und er selbst nicht hier in Griechenland.

Immer noch leicht benommen, setzte er sich an seinen Schreibtisch. Der verdammte Nachtschrank, fluchte er, aber immerhin hatte es aufgehört zu bluten, und der Schmerz ließ langsam nach.

Martens prüfte noch einmal, ob seine These so auch stimmte: Haben denn wirklich so viele Türkei-Korrespondenten deutscher Medien türkische Wurzeln?

Na egal. Es war jedenfalls schon öfter vorgekommen, dass Deutsch-Türken auf Deutsch über die Türkei geschrieben hatten. Und bei Deniz Yücel war es offenbar noch schlimmer. Das sei “einer, der die Türkei liebt”, hatte er gelesen.

Als Journalist. Das muss man sich mal vorstellen.

Dass er selbst das liebte, worüber er schrieb, war bei ihm in all den Jahren nur ein einziges Mal vorgekommen. Aber welche Hollywood-Schauspielerin würde sich schon mit einem Journalisten abgeben? So war das nun mal. Und jetzt saß er auch noch in Griechenland fest.

Der Text floss ihm nur so aus den Fingern.

Natürlich darf man die Türkei, Deutschland, Nordkorea oder Hintertupfingen “lieben” — aber ist es gut, ein Land zu lieben, über das man berichtet?

… formulierte er und las den Satz laut. Er gefiel ihm — besonders die Passage mit “Nordkorea oder Hintertupfingen”.

Als er den letzten Satz geschrieben hatte, ging Martens den Text noch einmal durch und war im Großen und Ganzen zufrieden. Er fand noch kleine Fehler, aber nichts, was den Eindruck getrübt hätte. Der Kopf tat schon gar nicht mehr weh. Aber an dieser einen Stelle blieb er doch immer wieder hängen. Und plötzlich war ihm etwas unwohl. Irgendwas stimmte da nicht.

Klang ja schon ein bisschen so, als wären türkischstämmige Journalisten hierzulande so etwas wie willenloses Verfügungsvieh. Dabei war es, wenn auch unwahrscheinlich, doch immerhin theoretisch möglich, dass es bei anderen Verlagen nicht ganz so war wie bei dem, der ihn nach Griechenland geschickt hatte. Wäre ja möglich, dass Yücel freiwillig in die Türkei gegangen war, dachte er, konnte es sich dann aber doch nicht vorstellen und verwarf den Gedanken wieder.

Er überlegte hin und her, und letztlich überwogen die Zweifel. Er hatte die E-Mail an die Redaktion zwar schon geschrieben, aber beschloss, den Text doch nicht abzusenden. Es war ein gutes Gefühl. Es war die richtige Entscheidung.

Als Martens von seinem Schreibtischstuhl aufstand, um sich ein Bier aus dem Kühlschrank zu holen, blieb er mit dem linken Fuß am Ladekabel seines Laptops hängen. Das Kabel zog den Computer in Zeitlupe vom Tisch. Martens schlug mit der flachen Hand zu, um das sich der Tischkante nähernde Gerät zu stoppen.

Es gelang ihm so gerade. In dieser Pose, das Ladekabel am ausgestreckten Bein und die Tastatur unter dem ausgestreckten Arm, sah er seine E-Mail im Ordner Postausgang verschwinden.

In Panik schlug er ein weiteres Mal zu, um die Verbindung vielleicht doch noch zu kappen. Doch der Postausgang war schon leer, die E-Mail in Frankfurt angekommen. Der Bildschirm wurde schwarz. Der Computer ließ sich nicht mehr einschalten. Er versuchte es noch drei- oder viermal. Dann gab er auf.

Was für ein Ärger. Ein Telefon existierte nicht in diesem malerischen Drecksnest, wo er seine Wochenenden verbrachte. Zurück in Athen würde er erst am Sonntag sein. Dann könnte er die Redaktion anrufen. Aber dann war der Text längst erschienen. Statt des Biers aus dem Kühlschrank holte Martens die Flasche Metaxa aus dem Regal. Er setzte sich ans Fenster, schaute aufs Meer und schlief eine Stunde später ein.

Zurück in Athen, fand Martens in seinem Postfach eine E-Mail. Ein Kollege aus Frankfurt hatte geschrieben. Interessanter Text. Sei unter den Kollegen kontrovers diskutiert worden. Die Herausgeber seien allerdings durchweg sehr angetan. Besonders von diesem einen Satz:

Natürlich darf man die Türkei, Deutschland, Nordkorea oder Hintertupfingen “lieben” — aber ist es gut, ein Land zu lieben, über das man berichtet?

“Nordkorea oder Hintertupfingen” — tolle Formulierung, schrieb der Kollege. Die Herausgeber würden sich auch noch bei ihm melden.

Moment. Bei ihm melden?, dachte Martens. Warum das? In all den Jahren war das nicht ein einziges Mal vorgekommen. Wobei. Doch. Ein einziges Mal schon. Als er in der Konferenz ein bisschen die Fassung verloren und über die Kollegen aus dem Sport hergezogen hatte — denn wenn er eins wirklich hasst, dann ist es ja Sport. Das hatte er so auch gesagt. Und jetzt klingelte tatsächlich das Telefon. Waren das die Herausgeber?

Das waren sie. Guten Tag. Was wollten sie ihm sagen? Nein, umstrukturiert hatten sie. Wie schön. Aber warum erzählten sie das ihm? Roman aus dem Sport ins Literatur-Ressort? Wegen des Vornamens? Wer kommt denn auf so was? Ach so. Anregung aus dem Kommentar. Na dann. Und die freie Stelle im Sport? Was wird aus der? Ach, da suchen Sie wen? Jemanden, der garantiert nicht im Verdacht steht, den Sport zu lieben? Haha. Ja, das ist gut. Da werde er sich mal umhören, sagte Martens.

Aber dann hörte er: Sie dachten an ihn. Das Gespräch damals in der Konferenz. Da hätten sie sich erinnert. Und jetzt brauchten sie eben jemanden, der diese Aufgabe übernimmt. Vor allem eben Spielberichte über den Hamburger Sportverein schreiben. Darum ging es. Das hatte Roman ja bislang gemacht.

“Hamburg?”, fragte Martens.

“Genau, Hamburg”, hörte er am Telefon.

Martens war erleichtert. Hamburg kannte er gut. Da war er ja geboren. Das erwähnte er nebenbei. Die Herausgeber verstanden gleich: Damit kam er für die Stelle wohl nicht in Frage. Da hatte er also wirklich noch einmal Glück gehabt.

(Nur zur Sicherheit: Abgesehen von den Tatsachen, dass sich Deniz Yücel in Istanbul in Polizeigewahrsam befindet, Michael Martens den Kommentar geschrieben, und die “FAS” ihn gedruckt hat, ist all das hier erfunden.)

Die ungeschriebenen Gesetze des Journalismus – nun aufgeschrieben

Der Pressekodex sieht vor, dass Journalisten die Wahrheit achten, die Menschenwürde wahren und die Öffentlichkeit wahrhaftig informieren. Das steht ganz am Anfang des Regel-Katalogs. Alles weitere wird unter 16 Ziffern in aller Ausführlichkeit erklärt. Und dann gibt es noch ein paar ungeschriebene Gesetze, die man eigentlich auch noch anfügen wollte, aus zwei Gründen aber doch weggelassen hat. Zum einen dachten die Verfasser: Diese Regeln kennt ja nun wirklich eh jeder Journalist. Zum anderen war es schon Freitag und gerade 14 Uhr durch.

Ralf Heimann hat vor ein paar Jahren aus Versehen einen Zeitungsbericht über einen umgefallenen Blumenkübel berühmt gemacht. Seitdem lassen ihn abseitige Meldungen nicht mehr los. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Jörg Homering-Elsner “Bauchchirurg schneidet hervorragend ab — Perlen des Lokaljournalismus”. Fürs BILDblog kümmert er sich um all die unwichtigen Dinge, die in Deutschland und auf der Welt so passieren.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)

Inzwischen gibt es Zweifel daran, ob diese Entscheidung richtig war. Heute würden viele Menschen lieber einem mehrfach vorbestraften Trickbetrüger ihre gesamten Ersparnisse anvertrauen als einem Journalisten eine wichtige Information. Um das Vertrauen zurückzugewinnen, müssen Journalisten die Regeln, nach denen sie arbeiten, transparent machen. Und weil alle anderen Kollegen gerade mit “wichtigen Recherchen” beschäftigt sind, blieb am Ende nur ich für diese undankbare Aufgabe.

Leider kenne ich selbst gar nicht alle ungeschriebenen Gesetz und auch nicht die richtige Reihenfolge. Daher kann ich hier nur einige vorstellen. Aber ein Kollege sagte mir: Vieles kann man sich herleiten, wenn man nur einfach mal hinsieht. Und das stimmt. Diese Regel hier ist nun ziemlich offensichtlich:

Leser sind grundsätzlich nicht in der Lage, die Qualität des vor ihnen liegenden Produkts selbst zu erkennen. Deswegen muss man sie auf vorhandene Qualität hinweisen, wo immer es möglich ist. Wichtig: Vorhandene Qualität ist keine Voraussetzung für den Hinweis. Und: Der Hinweis kann auf unterschiedliche Weise erfolgen:

a) durch vom eigenen Haus, Berufsverbände oder andere Institutionen in Auftrag gegebene Studien, die absichtlich oder zufällig zu dem Ergebnis kommen, dass Print-Produkte sich weiterhin größter Glaubwürdigkeit und Beliebtheit erfreuen. Bei Studien mit einem gegenteiligen Ergebnis ist im Sinne des Pressewesens von der Veröffentlichung abzusehen.

b) durch den Hinweis auf Exklusivität. Wenn Journalisten früher als andere an eine Information gelangen, sollten sie das unabhängig von der Wichtigkeit der Information deutlich hervorheben. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Leser den Hinweis erst bei der dritten Erwähnung wahrnehmen. Daher sollte sichergestellt sein, dass im Text ausreichend oft auf die Exklusivität hingewiesen wird.

Man muss allerdings dazusagen: Dieses Forschungsergebnis ist höchst umstritten. Viele Journalisten wissen das und beschränken sich daher in ihren Artikeln nicht auf die empfohlenen drei Erwähnungen.

Neben diesem sehr allgemeinen ehemals ungeschriebenen Gesetz gibt es aber auch sehr spezielle Regeln. Zum Beispiel diese hier:

Wenn ein Pressesprecher, der mit vollem Namen im Text erscheint, während des Gesprächs den Satz gesagt hat “Aber das haben Sie jetzt nicht von mir”, dann ist der Journalist dazu angehalten, die nach dem Satz gesagte Information im Artikel unterzubringen, und zwar unter Verweis auf “Insider-Kreise”.

Das ist aus gleich mehreren Gründen sinnvoll. Zum einen liegt diese Erwähnung im Interesse des Verlages, denn durch den Eindruck, der Journalist hätte die Fakten in einer umfangreichen Recherche bei top-geheimen Quellen verifiziert, gewinnt sein Artikel an Glaubwürdigkeit. Und das bei gleichbleibenden Kosten. Das sichert die Existenz des Unternehmens und damit auch die des im Interesse des Gemeinwohls stehenden Pressewesens.

Gleichzeitig — und das darf man hier auch ruhig erwähnen — hat es angenehme Nebeneffekte für den Journalisten. Sein Ansehen unter Lesern und Kollegen wächst. Und das bei gleichbleibender Arbeitszeit. Die Kollegen, die wirklich mit top-geheimen Quellen sprechen, bringen ihre Informationen nämlich auf die gleiche Weise in ihren Artikeln unter, gehen aber zwei Stunden später nach Hause. Das wiederum schadet dem Verlag, denn früher oder später fallen sie mit der Diagnose Burnout für mehrere Wochen aus, während ihre Bezüge weiter fällig werden.

Vor allem diese Regel macht deutlich, dass Journalisten heute auch wirtschaftliche Verantwortung tragen. In ihrem eigenen Interesse und im Interesse der Allgemeinheit sind sie dazu verpflichtet, sich selbst zu einer Marke zu transformieren. Darauf zielt das folgende in diesem Augenblick noch ungeschriebene Gesetz ab:

Mit der Nominierung zu einem Journalistenpreis, dem Beginn eines Buchprojekts oder der schriftlichen Zusage für ein beliebiges Stipendium (möglichst im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit) tritt unverzüglich die zeitgeschichtliche Bedeutung des Journalisten ein. Dadurch ergibt sich unmittelbar die Notwendigkeit eines eigenen “Wikipedia”-Eintrags. Wenn sich niemand dazu bereiterklärt, einen solchen zu verfassen, ist der Journalist selbst dazu verpflichtet, dies zu übernehmen. Im Falle von bedeutsamen Ereignissen (Auslandsaufenthalte, weitere Nominierungen, kontroverse Meinungen zu irgendwelchen Themen) hat der Journalist die Pflicht, seinen Eintrag innerhalb eines Tages zu aktualisieren.

Die erschreckend geringe Anzahl von Journalisten mit eigenem Wikipedia-Eintrag zeigt, dass einige der ungeschriebenen Gesetze, anders als von den Verfassern des Pressekodexes angenommen, noch immer erstaunlich unbekannt sind.

Andere dagegen haben sich erfreulicherweise etabliert, ohne je niedergeschrieben worden zu sein. Zum Beispiel das heute in nahezu jeder Redaktion bekannte Gesetz vom Texteinstieg bei einem vertrauten Ereignis:



Die goldene Regel zur Ereignissimulation in statischen Gesprächssituationen:




Und, vielleicht am bekanntesten von allen bis gerade noch ungeschriebenen Gesetzen: das Gebot vom ersten Satz einer Ärgernis-Berichterstattung in Verbindung mit dem Geheiß einer nachgestellten Verstärkung.









Trump = Friedrich x -1

In den letzten Tagen habe ich mir ein bisschen Sorgen um unsere Welt gemacht. Es ging um Donald Trump. Aber dann las ich diesen Tweet hier und war fürs Erste doch wieder beruhigt:

Wenn Hans-Peter Friedrich Donald Trump einen Hinweis gibt, wird der darauf ja wohl hören, dachte ich. Hans-Peter Friedrich wird er doch kennen. Aber dann interessierte mich, um welchen Hinweis es sich handelte. Und das war offenbar dieser hier:

Ich glich das noch mal mit den Nachrichten der vergangenen Tage ab. Zum Thema transatlantische Freundschaft hatte ich das hier gelesen:

Zur Kulturförderung das:

Und dann kamen gestern ja auch noch diese Meldungen rein:

Trump hat das “TTP” gekündigt. Oder das “TPP”. Da sind die Medien sich nicht ganz einig. Aber dass es ein Handelsabkommen ist, sehen doch offenbar alle so.

Und das würde bedeuten: Hans-Peter Friedrich scheint einen enormen Einfluss auf Donald Trump zu haben. Allerdings mit dem kleinen Makel, dass Trump anscheinend immer das Gegenteil von dem macht, was Friedrich ihm rät.

Da wäre es natürlich interessant zu erfahren, wie lange das schon so geht. Vielleicht hat Friedrich die ganze Sache ja erst losgetreten, als er Trump damals die Kandidatur ausreden wollte (“Da wärst du wirklich der Falsche”). Und womöglich war der CSU-Politiker es, der dem jetzigen US-Präsidenten vor langer Zeit mal die Sozialen Netzwerke erklärt hat:

“Bei Twitter ganz wichtig: Keine Beleidigungen. Nicht alles gleich raushauen. Und zwei Tweets pro Tag reichen vollkommen aus.”

Wenn sich irgendjemand in Deutschland rechtzeitig für eine vernünftige Vorratsdatenspeicherung eingesetzt hätte, könnte man das alles jetzt nachvollziehen. Aber so müssen wir weiter spekulieren. Zum Beispiel darüber, welche “wohlmeinenden Hinweise” Friedrich Trump zu seiner Steuererklärung gegeben haben könnte.

“Da würde ich alles sofort offenlegen.”

Oder zu den Interessenkonflikten wegen der Firmen.

“Mach, was du willst. Aber überschreib sie bloß nicht deinen Söhnen.”

Möglicherweise ging es auch um die Fernsehduelle.

“Bereite dich gut vor. Und lass dich nicht provozieren.”

Vielleicht auch um die Spionage-Vorwürfe gegen die Russen.

“Es gibt keinen Grund, an den Geheimdiensten zu zweifeln.”

Oder über die Nacht in dem russischen Hotel.

“Warum sollten wir nicht davon erzählen?”

Und wenn man dann noch wüsste, wie eng der Kontakt zwischen Friedrich und Trump ist, könnte man sich vielleicht sogar die Geschehnisse der vergangenen Tage zusammenreimen — also vor allem die Diskussion um die Zuschauerzahlen. Kann ja sein, dass die beiden noch vor Trumps Vereidigung telefoniert haben und Friedrich bei der Gelegenheit gesagt hat: “Ab morgen kümmerst du dich dann um die wichtigen Dinge.”

Ralf Heimann hat vor ein paar Jahren aus Versehen einen Zeitungsbericht über einen umgefallenen Blumenkübel berühmt gemacht. Seitdem lassen ihn abseitige Meldungen nicht mehr los. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Jörg Homering-Elsner “Bauchchirurg schneidet hervorragend ab — Perlen des Lokaljournalismus”. Fürs BILDblog kümmert er sich um all die unwichtigen Dinge, die in Deutschland und auf der Welt so passieren.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)

Dann läge die Vermutung nahe, dass sie fast täglich miteinander sprechen, vielleicht sogar mehrmals täglich — und wahrscheinlich auch vor der legendären Pressekonferenz.

“Hör mal, Hans-Peter, hier gibt’s ein Problem. Die Presse sitzt nebenan. Die haben Bilder, die belegen, dass der Platz bei der Amtseinführung fast leer war. Was soll ich dem Pressesprecher sagen?”

“Also gut, Donald. Zwei Dinge. Am allerwichtigsten ist: Er darf auf keinen Fall lügen. Fast genauso wichtig: Er soll aufpassen, dass er sich nicht im Ton vergreift. Und dann vielleicht noch ein kleiner Tipp von mir: Er soll am Ende Fragen zulassen.”

“Alles klar. Bis später dann.”

Natürlich fragt man sich: Wie hält eine Freundschaft das aus? Beziehungsweise: Wie hält Hans-Peter Friedrich das aus? Oder: Ist ihm das überhaupt schon aufgefallen?

Falls nicht, muss man es ihm sagen. Mit ein paar fingierten Tipps kann er ja unter Umständen wirklich schlimme Dinge verhindern:

  • “Mit Diskrimierung machste nichts falsch.”
  • “Ein Handelskrieg wär doch was Feines.”
  • “Diese Knöpfe da im Koffer, die würde ich alle mal drücken.”

Das einzige Problem ist: So richtig verlassen kann man sich auf Donald Trump eben nicht. Und wahrscheinlich müsste man damit rechnen, dass er sich irgendwann sagt: “Och, das mit den Knöpfen klingt ja gut. Das könnte ich tatsächlich mal ausprobieren.”

Verkehrte Welt

Zwei Tage nach Bekanntwerden der Strafanzeige gegen Kai Diekmann wegen eines möglichen sexuellen Übergriffs hat “Springer”-Vorstandschef Mathias Döpfner die Öffentlichkeit dazu aufgerufen, die Persönlichkeitsrechte und die Privatsphäre des “Bild”-Herausgebers zu respektieren. Anlass dazu war ein Vorfall am Samstagabend in Potsdam: Zwei Personen hatten Kai Diekmann vor seinem Privathaus aufgelauert, ihn fotografiert und die Bilder anschließend ins Internet gestellt.

Ralf Heimann hat vor ein paar Jahren aus Versehen einen Zeitungsbericht über einen umgefallenen Blumenkübel berühmt gemacht. Seitdem lassen ihn abseitige Meldungen nicht mehr los. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Jörg Homering-Elsner “Bauchchirurg schneidet hervorragend ab — Perlen des Lokaljournalismus”. Fürs BILDblog kümmert er sich um all die unwichtigen Dinge, die in Deutschland und auf der Welt so passieren.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)

In einer auf Bild.de veröffentlichten Videobotschaft nannte Döpfner den Vorfall “schändlich und niederträchtig”. Er sprach von einer “regelrechten Hetzjagd” auf Diekmann, die man so nicht hinnehmen werde. “Wir sollten nicht vergessen, dass in Deutschland auch weiterhin die Unschuldsvermutung gilt”, sagte Döpfner. Ein schwerwiegender Vorwurf, wie der hier im Raum stehende, bleibe “in irgendeiner Weise immer am Beschuldigten hängen”, sagte er. Daher gebiete es schon der Anstand, sich in einer solchen Situation mit entsprechenden Veröffentlichungen zurückzuhalten, bis geklärt sei, was wirklich passiert ist.

Kai Diekmann soll im Sommer vergangenen Jahres nach einer Klausur-Tagung in Potsdam eine Mitarbeiterin beim Baden sexuell belästigt haben. Er selbst bestreitet das. Der “Spiegel” hatte den Vorwurf am Freitag öffentlich gemacht.
Am Wochenende gerieten die “Bild”-Medien selbst wegen ihrer zurückhaltenden Berichterstattung über die Ermittlungen in die Kritik. Sie hatten sowohl bei Bild.de als auch in der Zeitung nur eine knappe “dpa”-Meldung veröffentlicht. Politiker und Journalisten kritisierten das.

“Grünen”-Chefin Simone Peter warf der Zeitung in einem Radio-Interview vor, sich unbequemen Wahrheiten zu verschließen. “Wir dürfen nicht vergessen, dass zum ganzen Bild auch die Dinge gehören, die nicht in unser Weltbild passen”, sagte sie.

“Tagesschau”-Chefredakteur Kai Gniffke bezichtigte “Bild” in einem Blog-Beitrag für tagesschau.de des “Tendenz-Journalismus” und attestierte der Redaktion “falsche Correctness”: “Wenn ein derartiger Vorwurf in der Welt ist, ist es die Aufgabe von Journalisten, alle zur Verfügung stehenden Informationen öffentlich zu machen — und nicht, sie unter den Teppich zu kehren”, schrieb er.

Lediglich der Presserat nahm die Zeitung in Schutz: “Wir sind der Auffassung, dass die ‘Bild’-Zeitung hier absolut richtig handelt, wenn sie darauf verzichtet, einen Verdächtigen unnötig an den Pranger zu stellen”, hieß es in einer Mitteilung des Gremiums. Man hoffe, diese Entscheidung werde auch wegweisend für die Zukunft sein.

Bei Twitter fielen die Reaktionen auf die Anschuldigungen verhalten aus. “Erst mal abwarten, was die Ermittlungen bringen #Diekmann”, schrieb @krawallzwerg1314. Der Nutzer @anarchoklaus78 kommentierte: “Es ist einfach noch zu früh, um dazu irgendetwas zu sagen. #Diekmann #Ruhigbleiben #Abwarten.” Die beiden Tweets blieben die einzigen Einträge zum Thema.

Chefredakteure und Intendanten dagegen überschütteten Kai Diekmann mit Spott und Häme. “Sicherlich nur Umkleide-Kabinen-Gefummel”, schrieb Heribert Prantl von der “Süddeutschen Zeitung”. “Zeit”-Chef Giovanni di Lorenzo veröffentlichte bei Facebook ein Foto, das einen kopulierenden Esel zeigt, auf dessen Hals Diekmanns Kopf montiert ist. “FAZ”-Herausgeber Jürgen Kaube kommentierte: “Hahaha! Genau mein Humor!!!1111“.

“AfD”-Chefin Frauke Petry warnte indes vor Schnellschüssen. “Wir dürfen einen Menschen nicht nur aufgrund seiner beruflichen Herkunft vorverurteilen”, sagte sie und mahnte zur Besonnenheit. In die gleiche Richtung verlief eine Diskussion unter einem Facebook-Posting des “Kopp”-Verlags. Der Tenor dort: Die Behörden werden die Wahrheit schon ans Licht bringen.

Kai Diekmann selbst hatte sich gleich nach Bekanntwerden der Vorwürfe öffentlich geäußert. Bei einer Pressekonferenz in der 19. Etage des “Springer”-Hochhauses bezeichnete er die Berichte als “Kampagnen-Journalismus der übelsten Art” und beteuerte seine Unschuld.

“Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort — ich wiederhole: mein Ehrenwort, dass die gegen mich erhobenen Vorwürfe haltlos sind”, sagte er. Nachfragen ließ er nicht zu. Nach der Pressekonferenz verschwand Diekmann wortlos. Mit einer “Bild”-Zeitung in der Hand fuhr er nach unten — im gleichen Fahrstuhl, in dem er gekommen war.

(Nur zur Sicherheit: Abgesehen von der Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft Potsdam gegen Kai Diekmann ermittelt, und von der zurückhaltenden “Bild”-Berichterstattung über den Fall, ist all das hier erfunden.)

Der Stammbaum des Verbrechens

Der CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer hat vor ein paar Tagen den Vorschlag gemacht, den Pressekodex zu ändern. Er möchte, dass Journalisten nicht länger verschweigen, aus welchem Land Straftäter kommen. Bislang verzichten sie auf derartige Angaben, weil der Pressekodex sie dazu auffordert, die Herkunft von Tätern nur dann zu erwähnen, wenn diese Information für das Verständnis der Tat von Bedeutung ist — wenn also zum Beispiel ein Wohnwagen-Gespann einen Fußgänger überfährt und sich im Nachhinein herausstellt: Es war ein Holländer.

Ralf Heimann hat vor ein paar Jahren aus Versehen einen Zeitungsbericht über einen umgefallenen Blumenkübel berühmt gemacht. Seitdem lassen ihn abseitige Meldungen nicht mehr los. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Jörg Homering-Elsner “Bauchchirurg schneidet hervorragend ab — Perlen des Lokaljournalismus”. Fürs BILDblog kümmert er sich um all die unwichtigen Dinge, die in Deutschland und auf der Welt so passieren.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)

Ich hoffe, ich hab’ das richtig verstanden.

Die Richtlinie 12.1 im Pressekodex lautet:

In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht.

Diese Richtlinie soll verhindern, dass Minderheiten diskriminiert werden. Und nachdem man sie gelesen hat, sieht man schon: Wenn wir sie streichen, müssen wir auch konsequent sein. Wir können uns schlecht darauf beschränken, nur die Nationalität zu nennen. Wir müssen alle Minderheiten gleich behandeln. Deswegen müssen wir auch alle erwähnen. In den Nachrichten würde das dann in etwa so klingen:

Ein kleinwüchsiger Wallone aus Lüttich hat am Mittwochmittag in Bochum einen Auffahr-Unfall verursacht. Der Mann ist Veganer.

Oder:

Eine 36-jährige Diabetikerin aus Hof hat am Dienstag eine Sparkasse in Nürnberg überfallen. Bei der Täterin handelt es sich um eine fettleibige Atheistin.

Oder vielleicht auch:

Ein koptischer Christ aus Kirgisistan ist vom Landgericht Stuttgart wegen Geldwäsche zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden. Der Mann leidet an einer Hausstaubmilben-Allergie und ist Anhänger von RB Leipzig.

Ja, das müsste man der Vollständigkeit halber dazusagen.

Wobei man ja schon bei der Herkunft nicht so recht wüsste, wo man am besten die Grenze zieht. Wenn ein in Berlin lebender Brite in einer Münchener Kneipe die Zeche prellt, wäre dann von Bedeutung, ob er aus England kommt oder aus Schottland? Und wäre es ein weiterer Hinweis, wenn er nicht in Berlin-Mitte leben würde, sondern im schwäbischen Teil von Kreuzberg? Und was, wenn er zwar Brite ist, aber in Zypern geboren wurde? Kann man das einfach so verschweigen?

Da müsste man vielleicht mal Andreas Scheuer fragen. In dem Fall wäre ja vielleicht sogar von Bedeutung, auf welchem Teil der Insel er zur Welt gekommen ist: auf dem türkischen oder dem griechischen? Wahrscheinlich dann wohl auf dem griechischen. Die haben ja die Probleme mit dem Geld. So war das doch, oder? Und dann kann man sich auch schon denken, was das für einer ist. Die Zeche geprellt in München. Und das mit dieser Vorgeschichte. Unglaublich.

Mal angenommen, es gäbe jetzt noch einen Großvater aus Russland. Was wäre dann? Wäre das nicht auch eine interessante Information? Die Affinität zu Hochprozentigem läge nähe. Und das könnte eine Erklärung für die Tat sein.

Überhaupt sind Eltern und Großeltern doch eigentlich ein viel wichtigeres Indiz, wenn es um Straftaten geht. So eine Staatsbürgerschaft kann ja auch Zufall sein: Man war halt gerade in Los Angeles, als man geboren wurde. Aber beide Eltern Libanesen. In der Zeitung stand nur: “Der Dreifach-Mörder war US-Amerikaner.” Tja, so entsteht fälschlicherweise schnell ein vertrauenserweckender Eindruck.

Bei der Nachbarin im dritten Stock hört man die italienischen Wurzeln sogar noch durch die gedämmten Innenwände heraus. Das ist jedenfalls mein Empfinden. Der dumpfe Knall neulich, das war sicher ein Nudelholz, und wenn die mal im falschen Moment ein Messer in die Hand bekäme — ich würde für nichts mehr garantieren.

Aber kann man das wirklich alles berücksichtigen? Wie sähe dann die Berichterstattung aus?

Bei einem Familienstreit in Münster ist am Samstagmorgen ein 55-jähriger Mann erstochen worden. Die 53-jährige Täterin hat eine belgische Mutter und einen norwegischen Vater. Wichtig dürfte in diesem Zusammenhang aber vor allem der sizilianische Großvater sein. Nach Polizeiangaben ging es in dem Streit um Drogen. Der getötete Mann war Jamaikaner.

Dann ist ja alles klar. Aber kurz darauf stellt sich heraus: Die Großmutter der Täterin war Schwedin, was in der Sache vielleicht auch nicht ganz unwichtig ist. Um zu sehen, was bei denen verbrechenstechnisch so los ist, muss man ja im Prinzip nur einmal durch eine Buchhandlung laufen. Und dann meldet die Polizei zwei Tage später: Die Frau war auf Speed, aber der Mann hatte überhaupt nichts genommen. Die totale Verwirrung.

Es ist alles sehr kompliziert. Aber wenn wir nichts verschweigen wollen, müssen wir uns die Mühe machen, dann müssen wir alle bekannten Fakten nennen. Nur dann müssen wir auch konsequent sein. Und wenn kurz nach Weihnachten am Düsseldorfer Rheinufer ein Flüchtling von einem Betrunkenen zusammengeschlagen wird, müssen wir, wenn die Fakten eben so sind, in der Polizei-Meldung auch dazuschreiben: “Bei dem betrunkenen Täter handelte es sich um ein CSU-Mitglied. Der Mann stammte aus Bayern.”

“Verkehrskontrolle. Keinen Führerschein, bitte!”

Am Wochenende haben sie wieder einen erwischt. 26 Jahre alt. Auf der Bundesstraße 301 in der Nähe von Freising. Der Mann hatte eigentlich nichts angestellt. Keinen Unfall verursacht. Nichts getrunken. Keine Drogen im Blut. Aber irgendwas war da. Das spürten die Polizisten. Irgendetwas, das die Kollegen aus der Pressestelle sehr glücklich machen würde. Auch das ahnten sie.

Kurz darauf hielten sie den Wagen an. Und tatsächlich, es war, wie sie vermutet hatten. Ihr Verdacht bestätigte sich. Die Kollegen aus der Pressestelle brachen am Telefon in Jubel aus. Sie versprachen, bei der Weihnachtsfeier am Freitag dafür einen auszugeben. Dann legten sie auf und machten sich an die Arbeit. Endlich konnten sie den Journalisten das liefern, was die unbedingt haben wollten: Meldungen von Menschen, die ohne Führerschein Auto fahren:

Die Nachricht fiel kurz aus. Dem Mann war sonst wirklich nichts vorzuwerfen. Schade eigentlich, fand man in der Pressestelle. Da hatten die Kollegen in Oldenburg anderthalb Wochen zuvor mehr Glück gehabt. Und sie hatten nicht mal jemanden anhalten müssen. Der Mann war zu ihnen gekommen. Er hatte sich am Eingang gemeldet und dabei gleich zugegeben, dass er gar nicht mit dem Auto hätte fahren dürfen. Den gierigen Journalisten hätte das bestimmt schon gereicht. Aber dann erzählte der Mann auch noch, dass er gekommen sei, um sich bei der Polizei zu bewerben. Kurz danach stellte sich heraus, dass er auch noch Drogen genommen hatte. Ein Hauptgewinn:

Als Polizei-Pressesprecher erlebt man so etwas nicht alle Tage. Als Journalist schon gar nicht. Dabei sind Menschen, die ohne Führerschein ein Auto in Bewegung setzen, eigentlich gar nicht so selten. Es kommt sogar öfter vor, dass die fehlende Fahrerlaubnis gar nicht das einzige Problem ist:

Oder noch besser:

Es muss gar nicht zwingend Alkohol sein:

Die Journalisten nehmen ja alles. Der Fahrer kann auch stocknüchtern sein. Dann braucht er eben ein anderes Problem:

Und sei es nur ein kleines:

Am besten ist natürlich, wenn alles zusammenkommt:

Journalisten kriegen nie genug von dem Zeug. Sie müssen nur das Wort “Führerschein” lesen, schon läuft ihnen der Speichel aus dem Mundwinkel.

Auf der Journalistenschule haben sie gelernt: Eine Nachricht muss wie ein Küchenzuruf sein. Jemand ruft aus dem Esszimmer in die Küche, und gleich erscheint ein Kopf zwischen den Türrahmen und fragt ungläubig: “Wirklich?” Ein Satz, der alle Aufmerksamkeit an sich reißt — das ist ein Küchenzuruf. Und wenn “Autofahrer fährt ohne Führerschein” keiner sein soll, dann weiß man’s wirklich auch nicht mehr.

Ralf Heimann hat vor ein paar Jahren aus Versehen einen Zeitungsbericht über einen umgefallenen Blumenkübel berühmt gemacht. Seitdem lassen ihn abseitige Meldungen nicht mehr los. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Daniel Wichmann “Hier ist alles Banane — Erich Honeckers geheime Tagebücher 1994 – 2015”. Fürs BILDblog kümmert er sich um all die unwichtigen Dinge, die in Deutschland und auf der Welt so passieren.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)

Das kann jeder zu Hause ausprobieren. Abends aus dem Esszimmer ein paar Neuigkeiten in die Küche rufen. Aber immer dran denken: Wichtig ist der Führerschein. Ohne den kann man’s vergessen. Den Satz “Mann fährt jahrelang ohne Verbandskasten” kann man in die Küche rufen, so oft man will. Da erscheint zwischen den Türrahmen niemand.

Wobei — das muss man dazusagen — man immer Pech haben kann. Führerschein hin oder her. Der Mensch gewöhnt sich an alles sehr schnell. Und wer ständig die gleichen Geschichten in die Küche ruft, darf sich nicht wundern, wenn irgendwann niemand mehr da ist, der antworten könnte.

Das wissen natürlich auch die Journalisten. Sie haben sich längst darauf eingestellt. Irgendwann haben sie sich an einen Tisch gesetzt und zusammen über die Frage nachgedacht: “Wie fesseln wir eigentlich sonst unsere Leser?”

Ratlose Gesichter sahen sich an, bis irgendwer zögerlich fragte: “Mit Meldungen über Jubiläen und runde Geburtstage?”

“Genau. Mit Meldungen über Jubiläen und runde Geburtstag”, sagte der Chefredakteur.

Die anderen nickten. Seitdem wenden sie das Prinzip auch auf die FührerscheinMeldungen an:





Ab dem 40. Jahr — viele wissen das gar nicht — überreichen die Polizisten bei der Kontrolle eine Flasche Sekt:

Ab dem 50. Champagner:

Und ab dem 55. trinken sie sogar mit. Daher ist dieser Fall in den Archiven kaum dokumentiert, denn nach dem gemeinsamen Umtrunk kommt es oft gar nicht mehr zu einer Meldung an die Pressestelle.

Die Journalisten — das sollte man hier auch noch erwähnen — stoßen in der Redaktion schon ab dem fünften Jubiläum mit einem Prosecco an. Wahrscheinlich erklärt das überhaupt erst die große Begeisterung für die Führerschein-Meldungen.

Beim 60. Jubiläum öffnen sie schon nach der Mittagspause eine Flasche Schnaps. Und vielleicht ist das dann eine Erklärung für diese Gewichtung:

Hauptsache Hauptstadt

Neulich habe ich nach dem Schwimmen den besten Freund meines Sohns nach Hause gefahren. Die Jungs, beide in der achten Klasse, saßen hinten im Auto, und irgendwie kamen wir auf das Thema Erdkunde zu sprechen. Das heißt, ich kam auf das Thema. Die Jungs wollten lieber auf dem Rücksitz in den Gurten hängen und dösen. Aber wenn man sie nicht ganz verloren geben will, muss man mit den pubertierenden Kindern ja in Kontakt treten. Und da dachte ich: Die finden das sicher cool, wenn ich etwas Wissen abfrage.

An der Ampel drehte ich mich also nach hinten und sagte:

Ralf Heimann hat vor ein paar Jahren aus Versehen einen Zeitungsbericht über einen umgefallenen Blumenkübel berühmt gemacht. Seitdem lassen ihn abseitige Meldungen nicht mehr los. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Daniel Wichmann “Hier ist alles Banane — Erich Honeckers geheime Tagebücher 1994 – 2015”. Fürs BILDblog kümmert er sich um all die unwichtigen Dinge, die in Deutschland und auf der Welt so passieren.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)

Wisst ihr denn, was die Hauptstadt von Frankreich ist?

Ohne die Lippen zu bewegen oder mich überhaupt anzusehen, antwortete der Freund meines Sohnes:

Paris.

Das ist dann wohl zu einfach, dachte ich und fragte:

Und die von Australien?

Keine Ahnung.

Das ist Canberra. Und die von Dänemark?

“Papa, das nervt”, sagte mein Sohn.

Ich dachte: Wie undankbar ihr doch seid. Als wir selbst in dem Alter waren, sind wir gleich nach der Schule durch die Fußgängerzone in die Stadtbücherei gerannt, um da die Hauptstädte, Gebirge und Flüsse auswendig zu lernen. Damals wären wir froh gewesen, wenn unsere Eltern uns abgefragt hätten. Glaube ich jedenfalls.

Ich sah mich noch mal um. Der Freund meines Sohnes war eingeschlafen.

Ein paar Tage darauf saß ich am Schreibtisch, klickte mich durch die Nachrichtenseiten und geriet in einen Artikel über Designer-Brillen. Danach glaubte ich zu wissen, warum die Begeisterung für Hauptstädte bei Jugendlichen so nachgelassen hat.

Die Erklärung ist einfach: Die Welt ist zu komplex geworden. Früher konnte man sich noch merken: Italien — Rom. England — London. Frankreich — Paris. Heute ist das nicht mehr so leicht. Kennen Sie zum Beispiel die Hauptstadt der Brillen?

Oder die der Witwen?

Die der Taschendiebe?

Oder die der Singles?

Sehen Sie.

Eigentlich gilt überhaupt nur noch eine Regel: Alles, was existiert, braucht auch eine Hauptstadt. Das Problem ist: So viele Städte gibt es gar nicht – oder jedenfalls nicht so viele, die sich für diesen Zweck eignen.

Nehmen wir das Beispiel Sex. Auf welche Hauptstadt könnte man sich da einigen? Würselen? Delmenhorst? Unterschleißheim? Die einen wollen Bad Godesberg — die anderen rufen: “Natürlich Illertissen!” Aber letztlich fällt die Wahl dann doch auf eine Stadt, bei der alle sagen können: Kennen wir, und das passt auch vom Image her einigermaßen. Und so ist es dann Wien geworden. Warum, das kann man hier nachlesen.

Kleine Städte haben in diesem Wettbewerb oft schlechte Chancen. Eigentlich ist es nur einmal einer kleineren Stadt gelungen, Hauptstadt von etwas Größerem zu werden. Das war Bonn. Davon habe ich neulich auch im Auto erzählt, aber der Freund meines Sohns schlief fest, und mein Sohn selbst hatte von einer deutschen Hauptstadt namens Bonn noch nie etwas gehört.

“Hä? Das ist doch Berlin”, sagte er.

“Ja, aber früher war das anders. Da war Berlin noch die Hauptstadt der DDR — also jedenfalls die eine Hälfte”, sagte ich.

Mein Sohn sagte nichts mehr, und ich sah: So einfach war das früher wohl doch nicht. Und heute ist alles noch viel komplizierter. Früher konnte man sich wenigstens darauf verlassen, dass die Hauptstadt der DDR nicht auch noch zusätzlich einem anderen Land in der gleichen Funktion dienen musste.

Heute nimmt auf so was niemand mehr Rücksicht. Wenn für irgendetwas eine Hauptstadt gesucht wird, ist vor allem eins wichtig: dass es schnell geht. Und meistens muss dann Berlin herhalten.

Hauptstadt der Kiffer? Ja, mein Gott. Dann das halt auch noch.

Das Ergebnis ist fürchterlich verwirrend.















Wie soll man sich das noch merken? Ich habe wirklich keine Ahnung.

Die Kinder habe ich damit dann auch in Ruhe gelassen. Sie müssen das heute ja alles auch gar nicht mehr wissen. Eigentlich müssen sie gar nichts mehr wissen. Sie haben ihre Smartphones. Wenn sie etwas suchen, können sie es googeln. Und im Prinzip genügt es schon, wenn sie sich das merken. Sie sollten halt nur möglichst nicht nach Barcelona ziehen. Da könnten sie dann ein Problem kriegen:

Härter gegen das “Pinkel-Phantom”

An manchen Tagen plagt man sich mit schrecklichen Gedanken, weil man sich schlecht fühlt und die Befürchtung hat, das könnte was Schlimmeres sein. Bei Google sprechen die Symptome gleich für mehrere tödliche Krankheiten, und es wird von Stunde zu Stunde unerträglicher. In der Nacht bekommt man kein Auge zu. Morgens bestellt man zum letzten Mal in seinem Leben ein Taxi und lässt sich zwei Straßen weiter zum Hausarzt fahren. Unterwegs schaut man sich durchs Fenster etwas wehmütig noch einmal die Gegend an, in der man gewohnt hat. Und nach endlosen Stunden im Wartezimmer reicht dem Arzt schon ein flüchtiger Blick in den Rachen, um sagen zu können: “Das ist wohl ein leichter Infekt. Ich schreib’ Ihnen hier mal was auf. In zwei, drei Tagen ist alles wieder in Ordnung.” Und augenblicklich geht es einem besser.

Ralf Heimann hat vor ein paar Jahren aus Versehen einen Zeitungsbericht über einen umgefallenen Blumenkübel berühmt gemacht. Seitdem lassen ihn abseitige Meldungen nicht mehr los. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Daniel Wichmann “Hier ist alles Banane — Erich Honeckers geheime Tagebücher 1994 – 2015”. Fürs BILDblog kümmert er sich um all die unwichtigen Dinge, die in Deutschland und auf der Welt so passieren.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)

So funktionieren Menschen. Der gegenwärtige Zustand ist oft gar nicht das Problem. Es ist eher die Angst davor, dass alles noch schlimmer werden könnte und dann womöglich außer Kontrolle gerät. Das macht viele Menschen wahnsinnig. Leider kann der Hausarzt da nicht immer helfen. Oft kann niemand helfen. Und für den Fall gibt es Politiker.

Zum Beispiel die Sache mit den Grusel-Clowns. Mittlerweile schon seit ein paar Wochen verbreiten vor allem “Bild” und Bild.de Angst und Schrecken, indem sie unter dem Deckmantel der Trend-Berichterstattung Menschen dazu ermuntern, sich als Clown zu verkleiden und auf den Straßen andere zu erschrecken.

“Bild”-Leser müssen offenbar nur “Trend aus den USA” lesen, schon denken sie: Hier kann man mal vorne dabei sein, und dann machen sie auch den größten Unfug mit, es muss eben nur ein Trend sein. Die “Bild”-Medien könnten vermutlich auch das Gerücht verbreiten, aus den USA schwappe gerade ein neuer Trend rüber, der darin bestehe, dass Menschen sich in aller Öffentlichkeit laut grunzend einnässen und danach unerkannt verschwinden. Auch da würden sich wahrscheinlich “Bild”-Leser finden, die das für so positiv verrückt hielten, dass sie unbedingt mitmachen wollten. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich davon irgendwer in der Öffentlichkeit belästigt fühlen und zuschlagen würde, wäre recht groß. Schon hätte man die nächste Schlagzeile.

Solche Trends werden schnell zum Selbstläufer. In jeder weiteren Meldung sehen viele Menschen nur eine Botschaft, nämlich: So kommen Sie in die Zeitung. Und dann tauchen immer mehr “Bild”-Leser auf, die in U-Bahn-Stationen und Kaufhäusern stehen und grunzen, während ihnen der Urin aus der Hose läuft.

Auch darüber wird selbstverständlich berichtet, denn das ist ja irgendwie auch ein Spektakel. In anderen Redaktionen fällt während der Morgenkonferenz der Satz: “Das können wir nicht einfach ignorieren.”

Von da an gibt es jeden Tag mindestens einen neuen Fall. Die “Bild”-Zeitung erfindet das Wort “Pinkel-Phantom”, und irgendwann sprechen sie darüber auch in politischen Gremien, wo man das Problem zwar nicht so ganz ernst nimmt, aber doch die Gefahr sieht, dass in der Bevölkerung der Eindruck entstehen könnte, man habe die Lage nicht mehr unter Kontrolle.

Und wenn dieses Stadium erreicht ist, tritt meistens irgendwer mit Verantwortung vor Journalisten an ein Mikrofon und sagt den entscheidenden Satz: “Wir werden härter dagegen vorgehen.”

In der Sache mit den Clowns hat Bayerns Innenminister Joachim Herrmann seine Erklärung schon vor über einer Woche abgegeben:

Kurz darauf hat auch die Polizei noch mal versichert, dass sie ein härteres Vorgehen für notwendig hält:

Und wenn man darüber nachdenkt, was den Menschen sonst noch Angst machen könnte, und das mal googelt, weiß man gar nicht, ob man es beruhigend oder doch eher beängstigend finden soll, dass dieser Medien-Mechanismus anscheinend so verlässlich funktioniert, dass er immer wieder zum Einsatz kommt.

Um nur mal in Bayern zu bleiben. Keine Woche zuvor ging es um die Reichsbürger. Da hatte Herrmann das hier gesagt:

Und die Reichsbürger sind in Bayern ja nicht die Einzigen, zu denen man noch viel zu nett ist:

Hinzu kommen die Kriminellen im Internet:

Nicht zu vergessen die an der Grenze:

Oder die Wirtschaftsflüchtlinge:

Selbstverständlich will Joachim Herrmann auch gegen Islamisten härter vorgehen:

Nicht ganz so häufig liest man später Meldungen wie: “Härteres Vorgehen gegen Horror-Clowns führt zu spektakulären Erfolgen.”

Das kann unterschiedliche Gründe haben. Möglicherweise ist das härtere Vorgehen oft zwar sensationell erfolgreich, aber die Politiker vergessen regelmäßig, das mitzuteilen, und die Journalisten fragen einfach nicht nach, weil sie entweder froh sind, über die Sache nichts mehr schreiben zu müssen, oder weil sie vergessen haben, dass es das Thema überhaupt irgendwann gab.

Vielleicht erreicht man mit noch mehr Härte aber auch einfach nicht ganz so viel. Und es gibt kaum einen Menschen, der wieder aus seinem Clown-Kostüm steigt, weil er denkt: “Noch unfreundlichere Polizisten? Noch härtere Strafen? Nee, das tu ich mir nicht an. Da erschreck’ ich lieber die Kaninchen im Garten.”

Es gibt aber noch eine weitere Möglichkeit. Es kann auch sein, dass die Erfolge in Wirklichkeit egal sind und es am Ende bei diesem Spiel von Medien und Politik um etwas ganz anderes geht — um den Eindruck, dass es jemanden gibt, der sich die Sache mal eben anschaut und dann relativ schnell sagen kann: “Ich verschreib’ Ihnen mal dieses Mittel hier. In zwei, drei Tagen ist alles wieder in Ordnung.”

Zement gehört nicht in die Salsa

Eine Textform, die nur wenige Journalisten beherrschen, ist die Korrekturmeldung. Und das liegt auch an der fehlenden Übung. Wenn der Lehrer in der Journalistenschule morgens an die Tafel schreibt: “Heute üben wir Korrekturen”, wird die Klasse gleich unruhig und die Schüler murren: “Bringen Sie uns lieber was Vernünftiges bei. In der Praxis brauchen wir das ja eh nie.” Und dann üben sie Reportagen.

Ralf Heimann hat vor ein paar Jahren aus Versehen einen Zeitungsbericht über einen umgefallenen Blumenkübel berühmt gemacht. Seitdem lassen ihn abseitige Meldungen nicht mehr los. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Daniel Wichmann “Hier ist alles Banane — Erich Honeckers geheime Tagebücher 1994 – 2015”. Fürs BILDblog kümmert er sich um all die unwichtigen Dinge, die in Deutschland und auf der Welt so passieren.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)

In den Redaktionen sehen die Journalistenschüler später: Sie haben recht gehabt. Wieder einmal. In der Praxis müssen sie keine Korrekturen schreiben. Immer haben sie recht. Es ist fast schon unheimlich. Aber so ist es nun mal. Und wenn dann ein Leser anruft und behauptet, in die Reportage auf der dritten Seite sei wohl ein dicker Bock geraten, legen sie auf und rufen: “Wieder so ein Verrückter!” Bis dann auch anderen auffällt: Ecuador liegt wirklich nicht in Afrika.

Tja, und dann rätseln sie in der Redaktion: Wie schreibt man jetzt so eine Korrektur? Ein Politik-Redakteur sagt: “Ich glaub’, ich hab’ da mal was gelesen.” Dann lassen sie ihn das machen, und in der Zeitung steht am nächsten Tag: “Aufgrund eines technischen Defekts hat sich in unsere gestrige Ausgabe ein Fehler geschlichen.”

Georg Mascolo, der Chef der gemeinsamen Recherche-Abteilung von “NDR”, “WDR” und “Süddeutscher Zeitung”, hat am vergangenen Donnerstag beim “Evangelischen Medienkongress” in Hamburg die Fehlerkultur im deutschen Journalismus kritisiert und gesagt, in Amerika sei das alles etwas anders.

In den USA sind Fehler auch nicht viel beliebter als in Deutschland, aber irgendwie haben die Amerikaner es geschafft, hier die Überzeugung zu verbreiten, dass Fehler dort nicht ganz so verpönt seien. Und wenn man in die “New York Times” schaut, könnte da tatsächlich was dran sein. Die “NYT”-Korrektur-Meldungen sind manchmal so lang wie ein ganzer Artikel.

In Deutschland wird auch korrigiert. Aber oft einfach Dinge, bei denen jeder denkt: Ach so, das, ja — nicht der Rede wert. Falsche Namen zum Beispiel:

Aber auch dabei fällt immer wieder auf: Den Journalisten in Deutschland fehlt einfach die Übung.

Natürlich korrigieren auch amerikanische Zeitungen Namen …

… aber sie stellen auch größere Dinge richtig:

In Deutschland geht man mit größeren Fehlern anders um. Intelligenter. Man hofft, dass sie am nächsten Tag vergessen sind. Ein weit verbreitetes Dogma in deutschen Redaktionen lautet: “Wir korrigieren nur, wenn einer anruft.” Damit kommt man eigentlich immer ganz gut durch.

Redaktions-Dogma Nummer zwei: “Der Leser hat kein Archiv.” Das war ja irgendwann wirklich mal so. Da konnte man als Redakteur so gut wie gar nichts falsch machen, wenn man überhaupt nichts korrigierte. Denn selbst, wenn dann wirklich mal ein Leser anrief, der zur Überraschung aller doch über ein Archiv verfügte, fehlte ihm immer noch etwas anderes: der Zugang zur Öffentlichkeit. Und den gab ihm dann auch die Zeitung einfach nicht.

Kleine Ausnahme vielleicht: Lokalprominenz mit Archiv. Ganz unangenehme Konstellation. Da musste man anders vorgehen.

Wenn es in dem fehlerhaften Bericht um den Prominenten selbst ging, konnte man sagen: “Wissen Sie was, wir kommen morgen vorbei und machen die Geschichte aus Ihrer Perspektive. Dann können Sie selbst noch mal erklären, wie Sie das Ganze sehen.” Damit entfiel die Notwendigkeit einer Korrektur.

Ging es um etwas anderes als den Prominenten, blieb einem nichts übrig, als darauf zu hoffen, dass er sich mit der Ankündigung zufrieden gab, dass man in den nächsten Tagen noch mal über das Thema berichten werde. “Dann schreiben wir das noch mal so, wie es war. Und dann steht’s ja richtig in der Zeitung.” Dass jemand noch zusätzlich eine Korrektur-Meldung einforderte, kam so gut wie nie vor.

Seit aber jeder Leser nicht nur ein Archiv hat, sondern auch noch eine verdammte Suchfunktion, funktionieren die alten Mechanismen nicht mehr so wie früher. Niemand ruft mehr an und bittet freundlich um eine Richtigstellung. Wozu auch? Man kann’s ja selbst gleich twittern. Und das machen eben auch die meisten. Ein falsches Wort, und schon weiß es die ganze Welt.

Da ist es auch fast egal, ob später eine Korrektur in der Zeitung steht. Aber es ist natürlich eine gute Gelegenheit, um noch mal klarzustellen, dass hier kein Redakteur, sondern die Technik versagt hat:

Und die Technik versagt ja schnell mal. Es genügt schon ein falscher Buchstabe, den die defekte Tastatur in ein Wort gemogelt hat, und schon bekommt die Geschichte einen vollkommen anderen Spin. In diesem Fall zum Beispiel hätte man den ja gar nicht vermutet:

In seltenen Fällen kann man Fehler sogar schmecken:

Aber zum Glück wird das ja alles korrigiert, zumindest in Amerika. Dann sieht man immerhin hinterher: Zwei Teelöffel Zement schmecken schlechter als zwei Teelöffel Koriander. Aber man überlebt auch das. Und wieder hat man aus der Zeitung gelernt.

Wenn aber nun alles korrigiert werden kann — das muss man auch sagen –, leidet möglicherweise auch die Sorgfalt. Natürlich auch die in den Korrekturen selbst. Aber zum Glück gibt es ja auch dafür die Spalte mit den Richtigstellungen:

Der Tod steckt in der Krise

Die meisten Menschen fürchten sich vor dem Tod, nur die wenigsten sehen seine Vorteile: Nie wieder an kalten November-Morgen vom Wecker aus dem Bett gescheucht werden. Nie wieder durchnässt im Regen warten. Nie wieder Post vom Finanzamt. Und kein Chef mehr, dem am frühen Freitagabend einfällt, dass er für seinen Vortrag am Montag noch dringend eine Präsentation braucht, um die er sich aber wegen des nahenden Wochenendes unmöglich selbst kümmern kann.

Der Tod könnte so schön sein, wenn er nicht leider auch einige Nachteile hätte. Zum Beispiel: die Langeweile.

Ja, was tun? Die Frage wäre überhaupt neu, denn natürlich gäbe es auch keine Wochenenden mehr, die am Freitagnachmittag mit Stress beginnen und fünf Minuten später, am Sonntagabend um Mitternacht völlig überraschend enden, weil die Zeit zwischen den Powerpoint-Folien für den Chef einfach zerrieselt ist — und der Vortrag an sich natürlich auch noch gemacht werden musste.

Ralf Heimann hat vor ein paar Jahren aus Versehen einen Zeitungsbericht über einen umgefallenen Blumenkübel berühmt gemacht. Seitdem lassen ihn abseitige Meldungen nicht mehr los. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Daniel Wichmann “Hier ist alles Banane — Erich Honeckers geheime Tagebücher 1994 – 2015”. Fürs BILDblog kümmert er sich um all die unwichtigen Dinge, die in Deutschland und auf der Welt so passieren.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)

Nur noch Faulheit, Trägheit, Müßiggang. Nur noch Zeit, die wie ein endloses Bächlein vorbeiplätschert.

Vielleicht muss man sich den Tod einfach so vorstellen: Man liegt irgendwo herum und wartet schlaflos auf einen Morgen, der niemals kommen wird. Ein fürchterlicher Zustand, der nur durch den Gedanken erträglich wird, dass man immerhin vom Finanzamt nichts mehr zu befürchten hat. Aber dann wälzt man sich auf die andere Seite, schaut noch mal hin, und da liegt plötzlich dieser Brief, auf dem man in Umrissen das Landeswappen erkennt.

In Sarzeau im Westen Frankreichs muss man mit so etwas inzwischen rechnen. Das Finanzamt dort hat vor ein paar Tagen eine Steuerforderung an eine Tote zugestellt. Der Bote kam vermutlich dreimal, fand aber weder Klingel noch Briefkasten, und auch die Nachbarn zeigten sich wenig kooperativ, was die Adresse hätte erklären können. Die lautete: “Friedhofsweg, Reihe E, Grab 24”.

Die Anschrift ist entweder übersehen worden, oder in den Finanzbehörden ist längst eine neue Zeit angebrochen, in der nicht nur die Unterschiede zwischen Männern und Frauen eingeebnet werden, sondern auch die zwischen Lebenden und Toten.

Nachdem schon die Erbschaftssteuer geflossen ist, kämen dann trotzdem weiter die Vorauszahlungsbescheide, und die Einkommensteuer würden wir auch in der Ewigkeit einfach weiterzahlen. Ständig riefe der Steuerberater an, weil noch irgendwelche Belege fehlten. Dabei wollten wir einfach nur untätig in der Hölle schmoren, wie wir es verdient haben.

Das ganze System ist marode. Es fängt schon bei den Bestattern an, die ihre Kunden skrupellos über den Tisch ziehen, statt sie dort einfach, wie es ihre Aufgabe wäre, zu waschen und nett anzukleiden. 

In Gießen gab es gerade wieder so einen Fall. Ein Ehepaar hat das Geld für die eigene Feuerbestattung per Vorkasse überwiesen. Dann starb die Frau, und der sonst nicht an Kundenbewertungen gewöhnte Bestatter hatte offenbar vergessen, dass ein Vertragspartner — was in der Regel nicht vorkommt — nach getaner Arbeit noch lebt. Die eigentlich schon bezahlten Rechnungen gingen an ihn. Der Mann hat den Bestatter nun angezeigt.

Da kann einem die Lust aufs Sterben schon vergehen. Und anscheinend ist man mit diesem Gefühl nicht allein: 


Quelle: “Mindener Tageblatt”

Wenn die Bestatter nicht aufpassen, wird es ihnen irgendwann genauso ergehen wie den Kutschen-Bauern und den Zeitungsverlagen. Die Kunden werden sich was Neues suchen, vielleicht irgendwas im Internet. 

Es gibt ja schon heute kaum noch Menschen, die mit ihrer eigenen Bestattung so zufrieden waren, dass sie sagen würden: Empfehle ich uneingeschränkt weiter. Was aber auch kein Wunder ist. Wer will schon mit einer Branche zu tun haben, die ihre Kunden erst abzockt und dann in einem Loch verscharrt? Anscheinend sind nicht mal die Beschäftigten selbst bereit, das länger mitzutragen:

Der letzte Bestatter wird vermutlich auch am Wochenende nach seinem Tod noch arbeiten müssen, um sich selbst unter die Erde zu bringen. Und solche Arbeitsbedingungen sind wirklich niemandem zuzumuten. 

Dabei ist das Sargtragen an sich eine attraktive Tätigkeit mit vielen Aufstiegschancen. Und natürlich spielt die Digitalisierung auch hier eine große Rolle. Die Terminabstimmung erfolgt heute oftmals per Smartphone. Viele Jugendliche wissen das gar nicht.

Und das wiederum ist symptomatisch für diese Branche. Es ist nicht alles so schlecht, wie es auf den ersten Blick erscheint. Das gesamte Bestattungswesen bräuchte vor der Reform vermutlich erst mal eine Image-Kampagne. Der Tod muss endlich wieder attraktiv werden. Nicht nur für die Dienstleister, auch für die Kunden. Aber wie verklickert man das den Leuten?

Man müsste da mal eine Werbeagentur beauftragen, die einen Claim entwirft, der alles auf den Punkt bringt. Dieses Gefühl, dass sich etwas zum Besseren verändert. Die Aufbruchstimmung. Den frischen Wind. Wobei, vielleicht braucht man doch gar keine Werbeagentur. Vielleicht nimmt man einfach diese Überschrift:

Mit dem Frühstücksei in die Schlagzeilen

Neulich gab es in der Sportredaktion der “dpa” eine kleine Diskussion. Irgendeiner der Kollegen wollte gehört haben, dass es im Fußball nur noch ums Geld geht. Hatte der ehemalige Bundesliga-Torhüter Frank Rost so erzählt. In der Redaktion hatten sie dieses Gefühl ja schon länger. Aber hatte das nicht irgendjemand so ähnlich schon mal ausgesprochen? Man war sich nicht ganz sicher. Vorsichtshalber schrieb man eine Meldung:

Frank Rost hätte natürlich auch sagen können: “Das Wetter ist auch nicht mehr das, was es mal war.” Oder: “Die da oben — immer auf den kleinen Mann.” Es hätte ungefähr den gleichen Informationsgehalt gehabt, aber in den Politik-Teil kommt man leider nicht ganz so leicht. Da braucht man schon ein Mandat, eine Funktion oder die allseitige Vermutung, dass man auf einem bestimmten Gebiet über sehr viel Fachwissen verfügt, in anderen Worten: einen akademischen Titel.

Ralf Heimann hat vor ein paar Jahren aus Versehen einen Zeitungsbericht über einen umgefallenen Blumenkübel berühmt gemacht. Seitdem lassen ihn abseitige Meldungen nicht mehr los. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Daniel Wichmann “Hier ist alles Banane — Erich Honeckers geheime Tagebücher 1994 – 2015”. Fürs BILDblog kümmert er sich um all die unwichtigen Dinge, die in Deutschland und auf der Welt so passieren.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)

In anderen Metiers ist es dann wieder so leicht. Da genügt es schon, irgendwann einmal in einem Spielfilm durchs Bild gelaufen zu sein, schon wird man mit den banalsten Trivialitäten auf der Panorama-Seite zitiert.
 
Würde Matthias Schweighöfer morgens am Frühstückstisch eine Prise Salz über sein Ei geben, dazu den Gedanken äußern, dass er Eier genau so am liebsten mag, und zufällig stünde draußen unter dem Fenstersims ein Reporter, ginge vielleicht noch am selben Tag eine Meldung für das Ressort Vermischtes raus, die ungefähr so aussehen würde:

Matthias Schweighöfer (35), isst sein Frühstücksei am liebsten mit Salz. “Früher mochte ich überhaupt keine Eier”, sagte der Schauspieler (“Vaterfreuden”) der “Gala”. Aber dann sei er irgendwann auf den Geschmack gekommen. Heute könne er sich ein Leben ohne Frühstücksei nicht mehr vorstellen.

Dem Schauspieler Daniel Brühl ist neulich etwas Ähnliches passiert. Im Dezember wird er Vater. Da hat er “Gala” gesteckt, dass er in Zukunft etwas weniger arbeiten will, um mehr Zeit fürs Kind zu haben. Und dann ist ihm noch rausgerutscht, dass er in Berlin eine zweite Bar eröffnen will.

Man kann sich ungefähr vorstellen, wie die Geschichte weiterging: Seine Frau schlug morgens die Zeitung auf, wusste überhaupt nichts von der Idee mit der Bar. In den beiden Nächten darauf schlief Brühl auf dem Sofa, und jetzt will er erst mal überhaupt nicht mehr mit der Presse reden.

Dabei hätte er natürlich auch einfach irgendwas anderes sagen können. Es ist ja im Grunde egal, was. Für eine Meldung reicht es immer:

Der Schauspieler Daniel Brühl möchte seinen Gartentisch gelb streichen.

Der Schauspieler Daniel Brühl kratzt sich manchmal am Rücken, während er über die Straße geht.

Der Schauspieler Daniel Brühl trinkt Rotwein nicht gerne aus Plastik-Bechern.

Der Schauspieler Daniel Brühl schläft am liebsten mit den Füßen am Kopfende.

Der Schauspieler Daniel Brühl mag gutes Wetter.

Der Schauspieler Daniel Brühl ist nicht gerne krank.

Und hätte Daniel Brühl im Interview mit “Gala” einfach nur gefragt, wie spät es ist, wäre die Meldung eben gewesen:

Daniel Brühl trägt keine Armband-Uhr.

Mit zunehmender Prominenz wird ausnahmslos alles interessant, was Menschen machen, sagen, glauben und meinen:

Daniel Brühl trägt Hausschuhe, wenn er abends nicht mehr vor die Tür muss.

Der Basketballer Chandler Parsons hat neulich einfach nur gesagt, dass er Hamburg mag, die Heimatstadt seiner Freundin, dem Model Toni Garrn. Auch das ging natürlich raus über die Ticker:

Vielleicht werden wir von Parsons demnächst noch weitere Meldungen lesen:

Der Basketballer Chandler Parsons reist aus den USA am liebsten mit dem Flugzeug nach Europa.

Der Basketballer Chandler Parsons spricht mit der Familie seiner Freundin auch über Privates.

Der Basketballer Chandler Parsons findet seine Freundin sehr sympathisch.

Wenn man nicht genug davon kriegen kann, Meldungen über seine eigenen Vorlieben auf Newsportalen zu lesen, ist so was natürlich eine tolle Sache. Andernfalls kann es auch lästig werden.

Der Schauspieler Miroslav Nemec zum Beispiel sieht seine Prominenz mittlerweile kritisch. Halb Deutschland kennt ihn aus dem Münchner “Tatort” als den Kommissar Ivo Batic. Dummerweise kennen ihn in München noch mehr Menschen als nur die Hälfte, und da wohnt er, was nicht immer ganz unproblematisch ist, denn manchmal muss er auch zum Einkaufen aus dem Haus, wenn er schlechte Laune hat. Dann besteht die Gefahr, dass irgendwann in den Klatschspalten steht:

Miroslav Nemec verprügelt im Supermarkt gerne Passanten.

Das ist ein Nachteil, aber was will man machen, wenn man seinen Beruf sonntagabends im Fernsehen ausübt? Man kann sich zurückziehen, wenn man nicht im Dienst ist, und vielleicht dann schlecht gelaunt einkaufen gehen, wenn an der Kasse nicht so viel los ist. Miroslav Nemec hat sich für einen anderen Weg entschieden, und der — das wäre unsere vorsichtige Prognose — wird das Problem nicht verbessern: Nemec hat einen Krimi geschrieben. Nicht unter Pseudonym, sondern unter seinem echten Namen. Nicht mal für den Ermittler hat er sich eine neue Figur ausgedacht. Auch das ist er selbst:

Und falls irgendwer bei “Gala” zu morgen noch unbedingt eine Meldung braucht, warum dann nicht einfach diese hier?

Der Schauspieler Miroslav Nemec macht gerne alles noch schlimmer, als es eh schon ist.

Beinahe eine Meldung wert

Neulich hätte ich mir beinahe eine Zeitung gekauft. Aber dann habe ich es doch nicht getan, und das hätte ich beinahe bereut, denn beinahe hätte ich deshalb nicht erfahren, dass Britney Spears beinahe nicht wohlbehalten aus ihrem Urlaub zurückgekehrt wäre. Aber zum Glück gibt es ja das Internet:

Dass sie beinahe ertrunken wäre, hat Britney Spears dem Sender “BBC Radio 1” erzählt. Jedenfalls so ähnlich. Eigentlich hat sie gesagt: “Ich bin wirklich fast ertrunken.” So wie man sagt: “Ich war so sauer, ich wäre wirklich fast Amok gelaufen.” Aber zum Glück ist ihr das nicht auch noch rausgerutscht. Wer weiß, was dann jetzt in den Zeitungen gestanden hätte.

Dabei könnte man es verstehen, wenn sie das gesagt hätte, denn ihre Security hat von der Beinahe-Katastrophe gar nichts mitbekommen. Und daher lässt sich auch nicht genau sagen, ob Britney Spears wirklich fünf Minuten lang unter Wasser um ihr Leben gestrampelt hat, wie sie behauptet — oder ob es ihr einfach nur sehr lang vorgekommen ist. Man kennt das ja selbst. Wenn man mit einem dringenden Bedürfnis vor einer verschlossenen Toiletten-Tür steht, können einem schon zehn Sekunden wie fünf Minuten vorkommen. Später denkt man, man wäre fast gestorben. Und Britney Spears wäre “wirklich fast ertrunken”. Sagt sie. Aber im Grunde ist nichts passiert. Die “Deutsche Presse-Agentur” hat die Geschichte dennoch aufgegriffen. Und jetzt steht es beinahe überall:


(mopo.de)


(stern.de)


(stuttgarter-zeitung.de)


(t-online.de)


(gala.de)

Wenn man genau hinsieht, ist natürlich doch etwas passiert, denn kaum war Britney Spears wieder einigermaßen bei Luft, erschien ihr neues Album — wie durch einen Zufall nur wenige Tage nach dieser Beinahe-Schreckensmeldung.

Ralf Heimann hat vor ein paar Jahren aus Versehen einen Zeitungsbericht über einen umgefallenen Blumenkübel berühmt gemacht. Seitdem lassen ihn abseitige Meldungen nicht mehr los. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Daniel Wichmann “Hier ist alles Banane — Erich Honeckers geheime Tagebücher 1994 – 2015”. Fürs BILDblog kümmert er sich um all die unwichtigen Dinge, die in Deutschland und auf der Welt so passieren.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)

Es gibt nun mehrere Möglichkeiten. Eine wäre: Es war alles tatsächlich so, wie Britney Spears behauptet. Eine andere ist: Am Abend nach dem großen Medienecho auf die Hawaii-Erzählung saß irgendwo am Strand von Malibu ein glücklicher Spin-Doctor in seinem Rattanstuhl und wäre vor lauter Freunde darüber, dass mal wieder alles wie am Schnürchen läuft, beinahe in seinem Daiquiri ertrunken. 

In dem Fall gab es wahrscheinlich auch diese Szene vier Wochen zuvor in einem Büro des New Yorker Plattenlabels “RCA Records”:

“Das Wichtigste ist, dass alle über Britney sprechen, wenn das neue Album dann kommt.” 

“Aber wie sollen wir das hinkriegen?” 

“Sie muss was gewinnen.”

“Keine Chance.” 

“Vielleicht irgendein Skandälchen? Alkohol? Drogen? Eine Affäre?” 

“Das bringt uns auch nicht weiter.”   

“Dann seh ich ehrlich gesagt nur eine Möglichkeit.”

“Und die wäre?”

“Die Drowning-Story.”

Die Drowning-Story muss in der Promi-PR-Branche ungefähr das sein, was für den Einbrecher der Dietrich ist. Sie funktioniert im Prinzip immer. Wenn einem sonst gar nichts mehr einfällt, kann man immer noch darauf zurückgreifen.

Und dieser Kniff hat sich entweder sehr weit herumgesprochen, oder die Unter-Wasser-Nahtod-Erfahrung ist mittlerweile eine notwendige Bedingung für eine halbwegs erfolgreiche Karriere in der Unterhaltungsbranche. 

Wim Wenders zum Beispiel hat seine als Kind im Rhein erlebt:

Guido Maria Kretschmer war möglicherweise nicht wirklich in Gefahr, als er mit 16 Jahren eine Böschung herunterstürzte und im Wasser landete. Aber er dachte immerhin einen Moment lang: Ich sterbe. Und das reichte schon für den Titel:

Über die Umstände des Unglücks, das Charlène von Monaco überstanden hat, ist nichts Näheres bekannt — außer eben, dass sie über sich sagt: “Ich wäre als Kind fast ertrunken.” In ihrem Fall ist das gleich doppelt interessant, denn sie wurde später Schwimmerin und holte dreimal Gold bei den Afrikaspielen.


 
Senta Berger ist das nicht gelungen. Dafür hat sie fast jeden anderen Preis gewonnen. Doch auch das wäre beinahe durch ein Unglück verhindert worden. Als sie fünf war, brach sie auf einem See ins Eis ein und wurde an den Zöpfen wieder herausgezogen:

Aber das steht in keinem Verhältnis zu dem, was die Schauspielerin Leah Rimini (bekannt aus irgendeiner Serie) während ihrer Zeit bei Scientology durchmachen musste: Auch sie wäre fast ertrunken. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, ist sie dabei auch noch “pitschnass” geworden.

Jason Statham, Schauspieler und laut “Wikipedia” ehemaliger Wasserspringer, musste sich bei den Dreharbeiten zu “The Expendables 3” von zwei Kampftauchern aus dem Wasser ziehen lassen: weil er sonst ertrunken wäre.  

Und Gerard Butler hatte das Pech, dass ihn in den Surf-Szenen des Films “Mavericks” kein Stuntman vertrat. Während der Dreharbeiten auf dem Meer geriet er, wie er später erzählte, zwischen zwei 15 Meter hohe Monster-Wellen und wäre — Sie ahnen es — beinahe ertrunken:

Bei Jonah Hill war die Geschichte noch etwas besser. Er hatte irgendwann mal eine Rolle in der Komödie “Das ist das Ende”, und wenn seitdem über ihn geschrieben wird, nennen die Journalisten ihn manchmal auch den “Das ist das Ende”-Schauspieler. Dieser “Das ist das Ende”-Schauspieler stieg also irgendwann vor ungefähr drei Jahren am Bondi Beach in Australien betrunken ins Wasser und tat das, was man bei diesem Namen vermuten würde: Er ließ sich von der Strömung aufs Meer treiben.

Natürlich wurde auch er gerettet. Und das gab ihm die Gelegenheit, die Geschichte später noch mal zu erzählen, als er in der Late-Night-Show von Conan O’Brien für seinen neuen Film “21 Jump Street” Werbung machen durfte:

Ein bisschen wundert man sich natürlich. Alle erzählen die gleiche Geschichte, und es funktioniert doch immer wieder. Aber so ist das wohl in Hollywood. Mit der Lovestory ist es ja auch nicht viel anders. Im Grunde seit Jahrhunderten. Und auch die Drowning-Story hat eine lange Tradition mit einer goldenen Zeit und großen Stars — als man nicht betrunken am Bondi Beach beinahe in den Wellen absoff, sondern wie Frank Sinatra vor der Kulisse des Wailua-Wasserfalls mit blauen Lippen aus dem Waser gezogen wurde

Und auch hier wird einer wohl für immer unübertroffen bleiben. Elvis Presley. Der King of Rock’n’Roll. Der erfolgreichste Musiker aller Zeiten. Er ist nicht fast in den reißenden Fluten eines Ozeans umgekommen. Er hat auch in diesem Metier etwas geschafft, das wahrscheinlich noch keinem Star vor oder nach ihm gelungen ist:

Was für ein Service!

Mähroboter sind nachts gefährlich. Ich wusste das gar nicht, aber es stand am Montag in der Zeitung, und dann wird es ja wohl stimmen:

Ich sah mir den kleinen blauen Kasten auf dem Foto noch mal etwas genauer an. Und wenn man von seiner Gefährlichkeit weiß, wird er einem gleich etwas unheimlich. Was wird er wohl anstellen, wenn es dunkel ist?

Ich hatte so ein Bild vor Augen. Wie man nachts durch den Vorgarten schleicht, weil man wieder mal irgendwo die Zeit vergessen hat. Gleich wird es hell. Die Grillen zirpen, und man vernimmt ein leises Surren. Von wo genau, kann man gar nicht sagen. Also läuft man weiter. Das Surren wird immer deutlicher. Dann kommt noch ein sprödes Rattern hinzu. Es ist ganz nah. Man dreht sich um, und im letzten Moment sieht man den Mähroboter noch aus dem Augenwinkel. Aber da ist es schon zu spät. Schnitt.

Vielleicht liest man aber auch erst mal die Meldung:

Mähroboter können Igeln und anderen Kleintieren im Garten gefährlich werden.

Ach so. Das klingt natürlich ganz anders. Aber so geht mir das oft mit den Zeitungsmeldungen auf der Service-Seite. Entweder auf den ersten oder auf den zweiten Blick stimmt irgendwas nicht. Vor ein paar Monaten habe ich zum Beispiel das hier gefunden:

Ich habe versucht, mir vorzustellen, wie es zu so einer Meldung kommt. Irgendjemand muss sich das ja ausdenken. Wahrscheinlich sitzen also Menschen zusammen in einem Konferenzraum und reden über Themen. Und dann sagt einer:

“Millionen von Deutschen stecken in großen Schwierigkeiten, weil sie ihre Wochenendeinkäufe nicht organisiert kriegen. Aber ich glaube, es gibt eine Lösung.”

“Und die wäre?”

“Sie müssen einen festen Tag zum Einkaufen einplanen.”

“Das ist genial! Das hauen wir als Meldung raus.”

So kommt es aus den Agenturen in die Redaktionen, wo die Redakteure denken: “Irgendwer wird sich darüber schon Gedanken gemacht haben.” Und dann steht es in der Zeitung.

Ein anderes Mal sah ich auf den Service-Seiten das hier:

Der erste Gedanke ist natürlich: Wer fährt seine Katze betrunken ins Krankenhaus? Aber sogar, wenn man verstanden hat, dass nur die Katze nichts zu sich nehmen soll, bleibt immer noch die Frage: Wie viele Leser stehen gerade vor genau diesem Problem? Und sagt denen nicht vielleicht auch der Tierarzt, dass sie die Katze vor der Operation nicht füttern sollen? Und was wollen die anderen mit diesem Wissen?

Ralf Heimann hat vor ein paar Jahren aus Versehen einen Zeitungsbericht über einen umgefallenen Blumenkübel berühmt gemacht. Seitdem lassen ihn abseitige Meldungen nicht mehr los. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Daniel Wichmann “Hier ist alles Banane — Erich Honeckers geheime Tagebücher 1994 – 2015”. Fürs BILDblog kümmert er sich um all die unwichtigen Dinge, die in Deutschland und auf der Welt so passieren.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)

Vor allem aber: Wie kommt es zu dieser Meldung?

“Gestern ist meine Katze operiert worden. Vorher hab’ ich sie noch gefüttert.”

“Und?”

“Tot.”

“Oh, Shit. Ja. Dann schreib mal besser ‘ne Service-Meldung.”

Vielleicht ist es einfach so. Vielleicht ist es aber auch ganz anders, und es melden sich besorgte Tierärzte in der Service-Redaktion, weil ihnen die Katzen auf dem OP-Tisch reihenweise unter den Händen wegsterben, und sie flehen:

“Auf uns hören die Leute nicht. Bitte schreiben Sie eine Service-Meldung!”

Bis der Redakteur irgendwann ein Einsehen hat und sagt:

“Na, meinetwegen. Wir schreiben das jetzt. Aber nur, wenn Sie dann Ruhe geben.”

Sie geben dann aber trotzdem keine Ruhe, sondern rufen am nächsten Tag gleich wieder an, um mitzuteilen, dass man Axolotl bitte unter keinen Umständen in kochendem Wasser halten sollte. Man möge das melden.

Die unwahrscheinlichste Variante ist, dass sie sich das in den Redaktionen alles selbst ausdenken. Aber wahrscheinlich ist es genau so, und genau in diesem Moment sitzen sie da und überlegen wieder:

“Ich hab’ neulich meinen Nachbarn im Supermarkt getroffen. Und ich frage ihn: ‘Was machst du denn hier?’ Da sagt er: ‘Ich kaufe Ingwer für mein Pferd.’ Aber das hätte er wohl besser nicht getan.”

Wobei — diese Meldung gibt’s ja schon:

Dann reden sie vielleicht gerade über andere Tierprobleme:

“Haben wir schon drauf hingewiesen, dass man Hunden zu Silvester auf keinen Fall Mariacron ins Trockenfutter mischen sollte?”

“Ich glaube, letztes Jahr hatten wir die Meldung mit Dujardin. Nee, aber mit Mariacron noch nicht. Ich frag’ noch mal nach.”

“Und dass Hundehaufen nicht so beliebt sind?”

“Doch. Das hatten wir schon.”

Die Frage ist, ob Menschen, die solche Service-Meldungen nützlich finden, überhaupt Tiere halten sollten — oder ob man im Sinne der Tiere nicht vielleicht eher Dinge schreiben sollte wie: “Pferde sind kaum zu bezahlen.” Oder: “Wellensittich-Haltung nahezu unmöglich.”

Kann aber natürlich auch sein, dass das gar nicht nötig ist, weil diese Menschen einfach so sehr mit ihrem eigenen Leben und der Frage, ob sie endlich einen festen Tag zum Einkaufen benötigen, beschäftigt sind, dass da für Tiere überhaupt kein Platz bleibt.

Vielleicht ist aber auch das Gegenteil der Fall, und sie brauchen dringend einen tierischen Freund, weil sie die folgende Meldung nicht gelesen haben und keinen menschlichen finden:

Oder sie ahnen längst, dass der Kauf eines Haustieres ihrem Leben noch mal eine andere Qualität geben würde, aber sie stehen ratlos vor dem Geldautomaten, und die Karte kommt nicht mehr raus. Weil sie keine Lösung wissen, gehen sie nach Hause und beschließen, ihr Konto und die Sache mit dem Haustier zu vergessen. Dabei wäre es gar nicht so schwer gewesen:

Ja, dort in der Zeitung hätte die Lösung gestanden. Aber womöglich werden genau die Menschen, die dieses Wissen benötigen, davon nie erfahren. Vielleicht wissen sie nichts von diesen Service-Meldungen. Vielleicht bräuchten wir eine große Kampagne auf Litfaßsäulen. Oder irgendwer müsste mal im Fernsehen durchsagen, dass nützliches Wissen in der Zeitung steht.

Vollkommen normale Katastrophen

Mal angenommen, man würde einen ziemlich spektakulären Betrug planen. Wie ginge man vor?

Am wichtigsten wäre wohl, dass man nicht auffällt. Man müsste wie jemand erscheinen, der in ganz normaler Absicht ganz normale Dinge erledigt. Man müsste sich perfekt an die Umgebung anpassen, wie ein Schauspieler in eine Rolle schlüpfen und sich mit einer natürlichen Selbstverständlichkeit so verhalten, dass der Betrogene keine Chance hat, auch nur irgendeinen Verdacht zu schöpfen.

Ralf Heimann hat vor ein paar Jahren aus Versehen einen Zeitungsbericht über einen umgefallenen Blumenkübel berühmt gemacht. Seitdem lassen ihn abseitige Meldungen nicht mehr los. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Jörg Homering-Elsner “Lepra-Gruppe hat sich aufgelöst — Perlen des Lokaljournalismus”. Im August erscheint von Daniel Wichmann und ihm “Hier ist alles Banane — Erich Honeckers geheime Tagebücher 1994 – 2015”. Fürs BILDblog kümmert er sich um all die unwichtigen Dinge, die in Deutschland und auf der Welt so passieren.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)

In Amberg in der Oberpfalz ist ein 43-jähriger Mann am vergangenen Freitag in eine Bank gegangen, hat einen Barscheck über 150 Millionen Euro auf den Tisch gelegt und den Bankangestellten angewiesen, das Geld auf mehrere Konten im Ausland zu verteilen.

Als wäre das nicht schon genug, standen auf dem Scheck laut “Mittelbayerischer Zeitung” auch noch die gefälschten Unterschriften zweier Vorstände der Deutschen Bank. Man hätte von fast 82 Millionen Menschen in Deutschland einen beliebigen fragen können, wie dieser Fall ausgehen wird, und alle hätte richtig gelegen. Nur dieser eine Mann nicht. Und ausgerechnet der hatte den Scheck dabei.

Aber es ist ja nicht nur bei Betrügereien, sondern eigentlich immer sehr wichtig, dass man den Anschein von Normalität erweckt. Sonst können schlimme Dinge passieren. Diese Annahme ist jedenfalls weit verbreitet.

Ich weiß nicht genau, was Pressesprecher in ihrer Ausbildung lernen, aber ich stelle mir vor, dass in jeder Pressesprecher-Ausbildung irgendwann auch Situationen auf dem Lehrplan stehen, in denen man einfach nicht mehr weiter weiß. Irgendwas ist schiefgelaufen, das nicht nur auf den ersten Blick nach heilloser Trotteligkeit aussieht. Jemand aus der Belegschaft hat etwas von großer öffentlicher Wirkung angestellt, das schon im eigenen Laden niemand versteht. Oder ganz allgemein: Es ist etwas passiert, das kein Mensch, schon gar nicht man selbst erklären kann.

In diesen Situationen gibt es immer noch eine letzte Rettung. Dann sagt man einfach: “Es handelt sich um einen ganz normalen Vorgang.”

In Erharting sollten in dieser Woche zwei Polizisten einen Pflegeheim-Besucher begleiten. Letztlich haben sie ihn erschossen. Der “Münchner Merkur” zitiert den Polizei-Sprecher mit dem Satz:

Das Zitat bezieht sich darauf, dass die Staatsanwaltschaft nun prüft, ob die Polizisten richtig gehandelt haben.* Es können die größten Katastrophen passieren, trotzdem geht alles unbeirrbar seinen ganz normalen Gang. Außerirdische landen am Brandenburger Tor? Dass die Polizei da mal vorbeifährt, ist ja wohl ein ganz normaler Vorgang.

Die Formulierung ist so etwas wie das “Bitte gehen Sie weiter”-Schild der Kommunikationsbranche. Sie ist mittlerweile sehr populär, auch jenseits von Pressestellen.

Wenn ein Trainer nach zwei gewonnenen Spielen zurücktritt, Archäologen in einem Neubaugebiet auf ein 7000 Jahre altes Haus stoßen, oder Polizisten bei einem Kollegen 25.000 Kinderporno-Bilder finden, kann man sich ziemlich sicher sein, dass das alles letztlich nur Folge eines ganz normalen Vorgangs ist.

Deswegen habe ich mich auch sehr gewundert, dass die Formulierung fehlte, als am Montag die Meldung von dem Chinesen die Runde machte, der angeblich nur einen Diebstahl melden wollte, aber aus Versehen einen Asylantrag unterschrieb.

Es ist ja nicht das erste Mal, dass jemand Dokumente ungelesen unterzeichnet und sich nachher wundert, was er damit angerichtet hat. Ging Franz Beckenbauer damals wahrscheinlich ganz ähnlich. Plötzlich hat man die WM im eigenen Land.

Jetzt habe ich gerade mal gesucht. Und tatsächlich:

“Damals war das für uns ein ganz normaler Vorgang, weil wir dieses Konto von der Firma genannt bekommen haben, die damals das Ticketbüro der Fifa betrieb”, sagte der frühere DFB-Generalsekretär der Deutschen Presse-Agentur.

Aber noch mal zu dem Chinesen. Wer schon die Geschichte selbst unglaublich fand, hat die Bebilderung bei “Focus Online” wahrscheinlich noch nicht gesehen:

Schade eigentlich, dass die Leute bei “Focus Online” so wenig auf Zack sind. Mit dem Bild hätte sich aus der Story ja noch viel mehr machen lassen: Schnell alternder Chinese (31) unterschreibt aus Versehen Asylantrag und flüchtet auf fahrendem Koffer aus Flüchtlingsheim.

Das klingt doch gleich noch besser. Vielleicht hätte der Sachverhalt dann auch endlich alle Voraussetzungen erfüllt, um als ganz normaler Vorgang abgestempelt zu werden.

Diese Chance ist wohl vertan. Aber ich hätte hier noch was anderes. Das klingt jetzt wahrscheinlich weit hergeholt, aber haben Sie schon mal einen Seehund gefunden? Einen jungen Seehund?

Man weiß ja gar nicht, wie man sich verhalten soll, wenn so ein hilfloses Tier vor einem auf dem Boden liegt. Muss man es mitnehmen? Verhungert es sonst? Was, wenn die Mutter zurückkommt? So ein Seehund kann ja recht groß werden und ist wahrscheinlich auch nicht ungefährlich, wenn es um den Nachwuchs geht.

Aber das Baby einfach liegen lassen? Kann man das machen? Auf Anhieb schwer zu sagen. Doch keine Sorge. Die Polizeidirektion Osnabrück hat dazu am Montag eine Pressemitteilung herausgegeben:

Es ist natürlich alles ganz einfach. Fassen Sie den Seehund nicht an. Wählen Sie die Nummer der Seehundstation, wenn Sie sich nicht sicher sind, ob er Hilfe braucht, aber auf keinen Fall den Notruf, denn dazu gibt es keinen Anlass. Höchstwahrscheinlich ist alles in Ordnung. Vermutlich ist die Mutter nur schnell was zu essen holen und wird bald mit frischem Fisch zurück sein. Um es in den Worten der Osnabrücker Polizei zu sagen: “Es ist ein ganz normaler Vorgang”.

*Korrektur: Ursprünglich stand im Text, das Zitat des Polizeisprechers aus dem “Münchner Merkur” (“Ein ganz normaler Vorgang in einem solchen Fall”) beziehe sich darauf, dass die Polizisten sich gewehrt und geschossen haben. Es bezieht sich allerdings darauf, dass die Staatsanwaltschaft den Fall nun untersucht. Wir haben das korrigiert. Pardon für den Fehler!

Das Pokémon von Loch Ness

In der Stadt Burg in der Nähe von Magdeburg ist es seit zwei Wochen nicht mehr erlaubt, Bettwäsche am offenen Fenster auszuschütteln, wenn das Fenster weniger als drei Meter von der Straße entfernt liegt. Das Gleiche gilt für Teppiche, Tücher, Kleider und Polster. Auch streunende Katzen zu füttern, ist in Burg nun verboten. Nicht mal mehr auf Laternen klettern darf man.

Das alles regelt die neue Gefahrenabwehrverordnung, die in Burg seit dem 11. Juli gilt. Wer sich nicht an sie hält, riskiert ein Bußgeld von bis zu 5000 Euro.

Ralf Heimann hat vor ein paar Jahren aus Versehen einen Zeitungsbericht über einen umgefallenen Blumenkübel berühmt gemacht. Seitdem lassen ihn abseitige Meldungen nicht mehr los. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Jörg Homering-Elsner “Lepra-Gruppe hat sich aufgelöst — Perlen des Lokaljournalismus”. Im August erscheint von Daniel Wichmann und ihm “Hier ist alles Banane — Erich Honeckers geheime Tagebücher 1994 – 2015”. Fürs BILDblog kümmert er sich um all die unwichtigen Dinge, die in Deutschland und auf der Welt so passieren.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)

Damit auch klar ist, dass die Stadt es mit der neuen Regelung ernst meint, will sie nun vier “Ermittler” einstellen, die laut Stellenausschreibung sogar bereit sein müssen, Dienstkleidung zu tragen. Sie sollen die Einhaltung der neuen Verordnung überwachen.

Im Grunde ist das ja eine gute Nachricht, denn immer wenn man so etwas liest, kann man sich getrost noch mal auf die andere Seite drehen und zwei weitere Stündchen schlafen, weil offenbar alles in Ordnung ist. Nur ist im Moment genau das ja nicht der Fall.

Wir alle sind alarmiert. Es muss nur irgendwas passieren, und wir vermuten gleich das Schlimmste. Bei Twitter schrieb der Kollege Henning Sußebach, er hätte das Wort “Autokauf” gesehen und “Amoklauf” gelesen.

In Eschweiler in der Nähe von Aachen hat jemand den Notruf gewählt, weil er beobachtet hatte, wie ein Mann seine Frau vom Balkon stieß und die Frau dreieinhalb Meter kopfüber in die Tiefe stürzte. Polizei und Feuerwehr kamen mit Blaulicht, und normalerweise vergeht dann ja auch nicht mehr viel Zeit, bis die Reporter eintrudeln, und zum ersten Mal das unvermeidliche Wort “Familiendrama” fällt. Die Nachbarn sind natürlich bestürzt, und garantiert wird sich irgendwer finden, der bestätigen kann, dass es ja eigentlich ganz normale Leute waren.

Aber so weit kam es diesmal gar nicht, denn als die Frau unter ihrem Balkon gefunden wurde, konnte sie selbst sagen, was passiert war. Niemand hatte sie gestoßen. Sie war bei dem Versuch, einen Teppich aufzuhängen, über das Geländer gefallen. Und damit sieht alles ganz anders aus. Auch in Eschweiler ist die Welt doch noch in Ordnung. Nur im Rathaus müssten sie sich nun die unangenehme Frage gefallen lassen, warum es in der Stadt noch immer keine Gefahrenabwehrverordnung gibt. Mit der wäre das ja wahrscheinlich nicht passiert.

Nur wird diese Frage momentan vermutlich niemand stellen, denn eigentlich befinden wir uns ja mitten im Sommerloch, und da stellt niemand solche Fragen. Da bleibt normalerweise endlich Zeit, sich auf die unwichtigen Dinge zu konzentrieren, um hier und da auch mal einzuwerfen: Ach, und dafür ham’se Zeit.

Aber das ist noch nicht passiert. In diesem Jahr ist alles anders. Allein in den vergangenen Tagen sind so viele schreckliche Dinge passiert, dass man denken könnte, irgendwo da oben sitze Hiob ganz alleine am Newsdesk. Ein Montag reiht sich an den nächsten, und wir sind so sehr mit unserer Angst beschäftigt, dass wir nicht mal mitbekommen haben, wie das Huhn Gerda an der A4 in der Nähe von Dresdesn wochenlang mit der Autobahnpolizei Katz und Maus spielte. Es war nicht zu fassen — bis irgendwann ein Autofahrer anhielt und es einfach einfing:

Vielleicht hat diese Ignoranz aber auch gar nichts mit unserer Angst zu tun, sondern einfach damit, dass so ein Huhn, egal, wie es nun heißt, bei “Pokémon Go” keine Punkte bringt. Und darum scheint es in diesem Sommer ja eigentlich zu gehen. Vielleicht hat der Mann, der wegen des Huhns ausstieg, da einfach irgendwas verwechselt.

Immerhin ist sein Auto heil geblieben, und das ist ja auch schon mal was, denn wenn man sich die Warnungen der Polizei ansieht, dauert es vermutlich nicht mehr allzu lange, bis “Pokémon Go” auch in Unfallursachen-Charts an der Spitze steht. In den USA ist man da schon etwas weiter. Dort lassen sich bereits ganze Nachrichten-Spalten mit den mutmaßlichen Pokémon-Schäden füllen.

In Baltimore zum Beispiel ist ein Mann mit seinem Wagen in ein parkendes Polizeiauto gekracht, während ein Polizist danebenstand und das alles filmte. Man kann sich das Video ansehen.

Der Mann versucht nicht mal zu vertuschen, was er da gemacht hat. Als er aus seinem demolierten Wagen aussteigt, hält er sein Smartphone noch immer in der Hand und flucht: “Das hat man jetzt davon, wenn man dieses Spiel spielt.” Also in dem Fall: gar nichts. In Deutschland hätte man auch für dieses Manöver ja noch ein paar Punkte bekommen — wenn auch leider die falschen.

Die richtigen bekommt man anscheinend vor allem da, wo man bei klarem Verstand niemals hingehen würde. In Kalifornien sollen zwei Pokémon-Sammler 30 Meter in die Tiefe gestürzt sein, weil sie an einer Klippe hinter der Absperrung ein seltenes Pokémon vermuteten:

Bis in Bosnien etwas passiert, scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Dort suchen die fidelen Pokémon-Sammler offenbar sogar auf Landminen-Feldern. Dass ihr Jäger-Gruß lautet “Wir hören voneinander”, ist wiederum nur ein Gerücht.

“Pokémon Go” verbreitet sich wie eine Pandemie. Überall auf der Welt suchen Horden von Menschen in den Städten der Verzweiflung nahe nach imaginären Dingen, die dann doch nur auf Displays existieren. Das alles kommt einem so seltsam bekannt vor. Und natürlich, das gab es auch früher schon, aber da ging es nicht um Pokémons, sondern um freie Parkplätze.

Die Monsterjagd hat ja auch sonst etwas Vertrautes. Ich meine mich sogar zu erinnern, dass das Sommerloch damals extra für sie erfunden wurde. Früher verlief ja jedes Jahr sehr ähnlich (auch das eine vage Erinnerung). Kaum war im Sommer nichts mehr los, hatte relativ erwartbar wieder irgendwer das Ungeheuer von Loch Ness gesichtet, es aber durch einen unglücklichen Zufall nicht fotografieren können — oder wenn doch, dann nur so unscharf, dass das auf dem Bild abgebildete Ding auch ein Elefant, ein Auto oder ein Stück Holz in der Badewanne hätte sein können.

Über viele Jahre ging das so. Und während der erste “Pokémon Go”-Jäger schon nach gut drei Wochen behauptet, seine 142 Monster zusammen zu haben und mit dem Spiel damit durch zu sein, wartet Steve Feltham in den schottischen Highlands weiter auf sein zweites Erfolgserlebnis. Das erste war der Eintrag ins “Guinness-Buch der Rekorde” als ausdauerndster, aber eben auch erfolglosester Monsterjäger, von dem man jemals gehört hat.

Steve Feltham hat vor 25 Jahren seinen Job aufgegeben, um sich ganz seinem Hobby widmen zu können, der Suche nach Nessi. Um dieses Vorhaben zu finanzieren, verkauft er seit einigen Jahren kleine Figuren, die das im See vermutete Ungeheuer so zeigen, wie man sich so ein See-Ungeheuer vorstellt.

Das Geschäft scheint irgendwie zu laufen. Jedenfalls ist Feltham noch immer da. Seit einigen Wochen läuft es sogar etwas besser, und Feltham wundert sich nicht nur darüber, denn seitdem sieht er rund um den See immer wieder Menschen, die anscheinend etwas Ähnliches suchen wie er, das aber ganz anders anstellen. Sie schauen nicht auf den See, sondern auf dieses Gerät, das sie vor sich hertragen, und seltsamerweise sprechen sie auch nicht von Nessi. Sie nennen das Ding, das sie suchen, Lapras.

Das Pokémon Lapras sieht so aus wie die kleinen Figuren, die Feltham verkauft. Es wurde hier und da schon gefangen, gilt aber als sehr selten, und deshalb ziehen viele Monster-Jäger irgendwann entnervt wieder ab, ohne es gefunden zu haben. Einige von ihnen kaufen vorher als kleines Souvenir eine von Felthams Figuren. Und irgendwie schließt sich hier sehr schön der Kreis zwischen dem beschaulichen alten Sommerloch und dem globalisierten von heute.

Vielleicht kann man Felthams kleine Teilhabe am weltweiten Pokémon-Boom sogar als sein zweites Erfolgserlebnis bezeichnen. Das dritte wäre wahrscheinlich immer noch keine Nessi-Sichtung, aber es könnte ein neuer Geschäftszweig sein: Viel mehr Geld als mit seinen Figuren könnte Feltham wahrscheinlich mit dem Verkauf von Zweit-Akkus und Ladestationen machen, denn die Handy-Batterien von Pokémon-Jägern sind schneller leer als eine kleine Flasche Bier.

In Witten im nördlichen Ruhrgebiet haben sich vier junge Männer deshalb mit einer Kabeltrommel auf die Jagd begeben, die sie, als der Akku-Balken immer schmaler wurde, im Vorraum einer Sparkassen-Filiale an eine Steckdose schlossen. Im Übermut betrieben sie über die gleiche Steckdose auch eine Musik-Anlage, und nur das verriet sie.

Die Polizei kam leider zu spät. Die Akkus waren längst geladen. Die Beamten schrieben noch schnell eine Strafanzeige wegen illegalen Stromabzapfens. Doch danach mussten sie die vier Männer ziehen lassen und mitansehen, wie sie vor der Sparkassen-Filiale ihre Monster-Jagd fortsetzten. Dagegen kann bislang leider niemand etwas tun. Die Staatsgewalt ist vollkommen machtlos. Vielleicht braucht auch Witten eine neue Gefahrenabwehrverordnung.

Tomatendiebe in ganz Deutschland

Um den Plan vielleicht erst mal in zwei Sätzen zu erklären: In Deutschland passieren jeden Tag wichtige Dinge. Um die soll es in dieser Kolumne nicht gehen.

Ich würde hier gern über das sprechen, was abseits der Relevanz so los ist, weil das natürlich ebenfalls zum Gesamtbild gehört, und irgendwer muss sich ja auch darum kümmern.

Ralf Heimann hat vor ein paar Jahren aus Versehen einen Zeitungsbericht über einen umgefallenen Blumenkübel berühmt gemacht. Seitdem lassen ihn abseitige Meldungen nicht mehr los. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Jörg Homering-Elsner “Lepra-Gruppe hat sich aufgelöst — Perlen des Lokaljournalismus”. Im August erscheint von Daniel Wichmann und ihm “Hier ist alles Banane — Erich Honeckers geheime Tagebücher 1994 – 2015”. Er arbeitet unter anderem für das “SZ Magazin”. In seiner Freizeit schreibt er am liebsten Autorentexte in der dritten Person.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)

In Geislingen-Erlaheim ist zum Beispiel vor zwei Wochen eine Tomatenpflanze gestohlen worden. Der “Zollern-Alb-Kurier” berichtete. Die Zeitung sprach sogar mit dem Bürgermeister darüber. Der verurteilte die Tat, denn Tomatenpflanzen-Diebstahl ist natürlich kein Kavaliersdelikt. Inzwischen sind drei Wochen Wochen vergangen. Ich habe in der Redaktion nachgefragt: Aufgeklärt ist der Fall noch immer nicht, aber es wird spekuliert. Der Bürgermeister schrieb in der Facebook-Gruppe “Geislinger”, um einen Fußballfan könne es sich nicht handeln. Das stehe wohl fest. Die hätten ja zur Tatzeit alle das Spiel Deutschland gegen Polen gesehen. Bliebe natürlich die Frage, ob es auch Fußballfans mit Interesse an Tomaten gibt, die ihr Land nicht bei der EM sehen konnten. Aber wer sollte das sein?

Tomaten-Diebstahl ist jedenfalls offenbar ein so abwegiges Verbrechen, dass selbst Google die Anfrage kaum glauben kann (“Meinten Sie Automaten-Diebstahl?”). Aber dann findet man doch so einiges.

24. Juni 2016. Tatort Siershahn im Westerwald. Wenn man seine Ansprüche etwas herunterschraubt, klingt der Fall fast wie ein Thriller. Eine 35-jährige Frau buddelt im Schulgarten an der Schillerstraße Tomatenpflanzen aus, gräbt sie vor dem eigenen Haus wieder ein, wird dabei von einem Unbekannten beobachtet. Anonymer Hinweis. Zugriff. So schnell kann das gehen.

In Braunschweig verteilen Schüler ungefähr zur gleichen Zeit 60 Pflanzen in der Innenstadt. Kürbisse, Erdbeeren und eben auch Tomaten. Eine Woche später fehlt von den Pflanzen jede Spur.

Man kann weit zurückgehen, bis ins Jahr 2014, und man wundert sich, wozu Menschen bereit sind, wenn es darum geht, dieses rote Gewächshaus-Gold in ihren Besitz zu bringen.

27. April 2014. Im südhessischen Trebur schneiden “Schurken” ein Loch in die Folie eines Gewächshauses, um 46 Tomatenpflanzen aus der Erde zu ziehen und mitzunehmen. Eine Tomatenpflanze kostet im Internet 3,95 Euro. Die zerstörte Gewächshausfolie hatte einen Wert von 1000 Euro. Was man daraus schließen kann: Tomatenpflanzen-Diebe sind offenbar miserable Geschäftsleute. Hätten sie einfach die Folie mitgenommen und zu einem annehmbaren Preis verscherbelt, könnten sich nun vom Erlös über 200 Pflanzen bestellen. Aber das wäre vermutlich zu einfach.

Es ist ein schmutziges Geschäft. Am 23. April 2015 lässt eine 74-jährige Frau in einem Supermarkt an der Maximilianstraße in Speyer neun Kilogramm Tomaten im Wert von 15,21 Euro in einer von ihr mitgeführten Einkaufstasche verschwinden. Die Frau wird zu lebenslanger Haft verurteilt.

Und es gibt ganz aktuelle Fälle.

6. Juli 2016. Neudietendorf. In einem Lebensmitteladen an der Ingerslebener Straße stellt ein Mann eine Tomatenpflanze in einen Wäschekorb. Den Korb legt er in sein Auto und fährt einfach los. Und man muss sich unweigerlich vorstellen, wie er mit der Tomatenpflanze im Wäschekorb im Auto auf einen Autozug fährt, der Autozug in einer Fähre verschwindet, die kurz darauf vom Rumpf eines noch größeren Schiffes verschluckt wird, in dem der Mann schließlich festgenommen, vor Gericht gestellt und zu zehnjähriger Plantagenarbeit in einem holländischen Tomaten-Gulag verdonnert wird.

Je mehr Meldungen man liest, desto sicherer wird man sich: Neben schlimmen Krankenheiten, Armut und Terrorismus gibt es in Deutschland im Grunde nur ein nennenswertes Problem: Tomatenpflanzen-Diebstahl.

Wobei, ein anderes wäre da auch noch. Hier oben, über der Meldung mit der Tomatenpflanze im Wäschekorb:

Am 4. Juli will ein Mann aus Gotha sich in seiner Küche etwas Essen aufwärmen. Er holt eine Pfanne aus dem Schrank, stellt sie auf den eingeschalteten Elektroherd, wartet — und schläft ein. Die Feuerwehr weckt ihn, als die Pfanne gut durch ist.

Überall in Deutschland schlafen am hellichten Tag Menschen ein — auch, wenn die portugiesische Fußballnationalmannschaft gerade nicht spielt.

In Münster muss Ende Juni der Auftakt eines Strafprozesses wiederholt werden, weil ein Schöffe sich während der Verhandlung nicht wachhalten kann. Dabei ist der Fall eigentlich ganz spannend: Vor Gericht stehen zwei Männer, die mit einer Soft-Air-Pistole einen Supermarkt überfallen haben sollen.

Aber so aufregend Einbrechen auch sein mag, irgendwann wird alles zur Routine, und dann ist es wichtig, dass man ausgeschlafen zur Arbeit kommt. Sonst kann das böse enden. In Lilienthal hat die Polizei in der Nacht zu vorletztem Sonntag in einem Supermarkt einen Mann aufgelesen, der keine Payback-Karte hatte und offenbar auch kein Geld dabei. Der Mann lag irgendwo auf dem Gang und schlief. Mit letzter Kraft war es ihm noch gelungen, die Tür aufzubrechen und sich ins Trockene zu schleppen. Dann machte er Feierabend. Was er in dem Laden suchte, ist nicht bekannt. Möglicherweise Tomatenpflanzen. Aber das wird die Polizei in den nächsten Tagen … Hallo? Sind Sie noch wach?