Berichten über Israel, Meta beugt sich, “Wir sind Papst” geschützt

1. Wie ausgewogen berichten deutsche Medien über Israel?
(uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 26:31 Minuten)
Holger Klein hat sich mit dem Kommunikations- und Politikwissenschaftler Kai Hafez über die Berichterstattung über den Nahen Osten, speziell über Israel, unterhalten: “Welche Themen fehlen in der Berichterstattung über Israel? Was müsste sich in deutschen Redaktionen ändern, damit die Berichterstattung ausgewogener wird? Und was haben die Hierarchien in Verlagen und Sendern damit zu tun?”

2. Meta beugt sich dem Bundeskartellamt
(netzpolitik.org, Thomas Rudl)
Nach jahrelangem Widerstand habe sich der Social-Media-Konzern Meta einer Entscheidung des Bundeskartellamts gebeugt, die das Unternehmen wegen unzulässiger Zusammenführung von Nutzerdaten und Missbrauch von Marktmacht kritisiere. Meta habe zugestimmt, Nutzerinnen und Nutzern verbesserte Wahlmöglichkeiten zur Verknüpfung ihrer Daten über verschiedene Dienste wie Facebook und Instagram zu bieten. Thomas Rudl ordnet den Fall bei netzpolitik.org ein, auch hinsichtlich seiner Folgen.

3. Pressefreiheit gefährdet: GFF unterstützt FragDenStaat-Chefredakteur Arne Semsrott am 16. und 18. Oktober vor Gericht
(freiheitsrechte.org)
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) unterstützt Arne Semsrott, Chefredakteur der Transparenz- und Rechercheplattform “FragDenStaat”, der sich ab dem 16. Oktober vor dem Berliner Landgericht verantworten muss. Der Vorwurf: Semsrott habe Gerichtsbeschlüsse zu Durchsuchungen bei Mitgliedern der “Letzten Generation” veröffentlicht. Benjamin Lück, Jurist bei der GFF, kommentiert: “Absolute Veröffentlichungsverbote, wie das in § 353d, verstoßen gegen die Pressefreiheit. Selbst einzelne Zitate aus Strafakten können in einem Strafverfahren gegen die Journalist*innen enden. Das atmet den Geist von vorgestern.”

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4. Traditionelle Medien zu wenig divers
(verdi.de, Bärbel Röben)
Mitte September fand in Berlin eine Fachtagung zu “Diversität und Geschlecht im Journalismus” statt. Bärbel Röben fasst die wichtigsten Ergebnisse zusammen: Trotz Bemühungen um mehr Diversität würden Diskussionen und Analysen zeigen, dass die Vielfalt in der Berichterstattung durch strukturelle Mängel und eine Verschiebung des Meinungsspektrums gefährdet sei, besonders in traditionellen Medien.

5. “Hinz & Kids”: (Straßen)Magazin für Kinder
(deutschlandfunk.de, Magdalena Neubig, Audio: 5:05 Minuten)
Seit mehr als 30 Jahren können obdach- und wohnungslose Menschen in Hamburg das Straßenmagazin “Hinz&Kunzt” verkaufen und so etwas Geld verdienen. Jetzt gibt es einen Ableger: “Hinz&Kids”, das Kindern zwischen sechs und zwölf Jahren das Thema Obdach- und Wohnungslosigkeit erklären will, ohne zu moralisieren oder Ängste zu schüren. Magdalena Neubig hat sich das neue Straßenmagazin an- und im Verlag in Hamburg vorbeigeschaut.

6. “Wir sind Papst” urheberrechtlich geschützt
(wbs.legal, Christian Solmecke)
Der Axel-Springer-Konzern habe einen Rechtsstreit um die “Bild”-Schlagzeile “Wir sind Papst” gewonnen, die seit der Wahl Joseph Ratzingers zum Papst 2005 als geflügeltes Wort gelte und die das Oberlandesgericht Hamburg nun als urheberrechtlich geschütztes Sprachwerk anerkannt habe. Die Schlagzeile gelte aufgrund ihrer sprachlichen Prägnanz und der schöpferischen Leistung des Autors Georg Streiter als individuell und schutzfähig.

Tod eines Kulturguts, Verzerrte Welt, Reporter und Wirbelstürme

1. Tod eines Kulturguts
(taz.de, Georg Seeßlen)
Georg Seeßlen argumentiert in seiner Kolumne, dass das Verschwinden gedruckter Zeitungen nicht nur ein einfacher Medienwechsel sei, sondern einen tiefgreifenden Wandel in der Art und Weise bedeute, wie Nachrichten in der Demokratie funktionierten. Zeitungen seien mehr als bloße Informationsquellen; sie hätten den öffentlichen Raum geprägt, den Dialog zwischen Regierung und Gesellschaft beeinflusst und eine gewisse Form von Macht und Teilhabe symbolisiert. Mit ihrem Sterben würden nicht nur nostalgische Rituale verloren gehen, sondern auch eine spezifische Kulturtechnik.

2. Was haben Reporter und Wirbelstürme gemeinsam? – Sie rasen nicht.
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Stefan Niggemeier kritisiert bei “Übermedien” die häufige journalistische Formulierung, dass Wirbelstürme auf die Küsten “zurasen”, obwohl sie sich in Wirklichkeit trotz ihrer hohen Windgeschwindigkeiten langsam fortbewegen. Niggemeier weist darauf hin, dass die tatsächliche Geschwindigkeit eines Hurrikans oft kaum die eines Fahrradfahrers übersteigt, was allerdings die Gefahr der anhaltenden Verwüstung nicht schmälere.

3. Verzerrte Welt: Wie sich unbewusste Denkfehler in der Berichterstattung vermeiden lassen
(fachjournalist.de, Kathrin Boehme)
Kathrin Boehme beschreibt, wie kognitive Verzerrungen wie der Bestätigungsfehler, die Verfügbarkeitsheuristik und der Negativitätsbias die journalistische Berichterstattung unbewusst beeinflussen können. Diese Denkfehler würden dazu führen, dass bestimmte Informationen überbetont und andere ignoriert würden. Boehme empfiehlt Strategien wie das gezielte Hinterfragen eigener Annahmen und die Berücksichtigung unterschiedlicher Perspektiven, um zu einer ausgewogeneren und faireren Berichterstattung zu gelangen.

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4. Telegram liefert Daten an Ermittler
(tagesschau.de, Manuel Bewarder & Florian Flade)
Der Messagingdienst Telegram, der sich bisher geweigert hatte, mit deutschen Ermittlungsbehörden zusammenzuarbeiten, habe nun damit begonnen, behördliche Anfragen nach IP-Adressen und Telefonnummern von Nutzerinnen und Nutzern zu beantworten, insbesondere in akuten Gefahrensituationen. Dies könnte mit der Verhaftung des Telegram-Gründers Pawel Durow in Frankreich zusammenhängen, der nach Zahlung einer Kaution wieder frei sei, sich nun regelmäßig bei der französischen Polizei melden und eine mögliche Haftstrafe fürchten müsse.

5. US-Regierung droht Google mit Zerschlagung
(spiegel.de)
Die US-Regierung erwäge, Google im Rahmen eines laufenden Wettbewerbsverfahrens aufzuspalten, um das mutmaßliche Monopol des Unternehmens im Suchmaschinenmarkt zu begrenzen. In Gerichtsunterlagen spreche das US-Justizministerium von möglichen “strukturellen Maßnahmen”, die eine erzwungene Aufteilung von Google betreffen könnten. Eine Entscheidung darüber solle bis zum 20. November getroffen werden. Google plane, dagegen Berufung einzulegen, und bezeichne eine Zerschlagung als “radikale” Maßnahme.

6. Führungsfrauen in den Medien – Wie Care-Arbeit und fehlende Förderung den Weg nach oben erschweren
(pro-quote.de)
Eine neue Studie des Vereins ProQuote Medien (PDF) komme zu dem Ergebnis, dass trotz eines steigenden Frauenanteils im Journalismus nach wie vor Männer die Führungspositionen deutscher Redaktionen dominieren. Die Untersuchung zeige, dass journalistische Karrieren von Frauen oft durch Care-Arbeit und mangelnde Förderung behindert werden, während Männer häufig in den entscheidenden Jahren ihrer Karriere Führungspositionen besetzen können.

ÖRR-Reform, Medien über Migration, Schwierige Neuanfänge

1. Bitte mehr kürzen!
(taz.de, Ann-Kathrin Leclère)
In ihrem Essay in der “taz” fordert Ann-Kathrin Leclère mutige Reformen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, um im digitalen Zeitalter relevant zu bleiben. Sie plädiert für eine Zusammenlegung von 3sat und Arte, um Ressourcen zu sparen und eine modernere Ausrichtung zu ermöglichen. Dabei betont sie, dass Reformen nicht bedeuten dürfen, Inhalte oder Arbeitsplätze zu opfern.

2. Anhörung zur ÖRR-Reform: Das sagen Verbände und Sender
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Timo Niemeier fasst die Stimmen zur öffentlichen Anhörung zur Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zusammen. Es gebe sowohl Lob als auch Kritik aus der Branche. Verbände wie der VAUNET und der BDZV würden die geplanten Kürzungen und eine stärkere Fokussierung auf das Programm begrüßen, aber die aus ihrer Sicht unklare Umsetzung kritisieren und weitere Einschränkungen für die Onlineaktivitäten der Sender fordern.

3. Wie Medien über Migration berichten
(deutschlandfunk.de, Fanny Buschert, Audio: 43:33 Minuten)
Im Deutschlandfunk (DLF) kommen regelmäßig Hörerinnen und Hörer zu Wort. Manchmal liefern sie sogar die Idee für eine ganze Sendung und tauschen sich darin mit Expertinnen und Experten aus. In dieser Folge des Podcasts “Nach Redaktionsschluss” geht es um die Berichterstattung über Migration. Mit Moderatorin Fanny Buschert diskutieren DLF-Hörer Michael Philips, Michael Watzke, DLF-Korrespondent für Bayern, und der Kommunikationswissenschaftler Pablo Jost.

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4. Schwierige Neuanfänge für Exiljournalisten
(verdi.de, Ulrike Wagener)
Journalistinnen und Journalisten im Exil hätten es schwer, in der deutschen Medienlandschaft Fuß zu fassen. Viele Medienschaffende hätten auch im Exil mit Bedrohungen und fehlenden Arbeitsmöglichkeiten zu kämpfen. Zudem würden sprachliche und berufliche Hürden, Sicherheitsrisiken und struktureller Rassismus ihre Lage erschweren, berichtet Ulrike Wagener.

5. Wie reaktionär ist Stefan Raab, Anja Rützel?
(laeuft-programmschau.podigee.io, Alexander Matzkeit, Audio: 24:56 Minuten)
Alexander Matzkeit spricht im Podcast “Läuft” mit der Fernsehkritikerin und Trash-Edelfeder Anja Rützel über das Comeback von Stefan Raab. Es geht um Raabs neues Fernsehformat bei RTL+, um Fernsehen im Influencer-Zeitalter und um die Frage,ob Raab reaktionär ist.

6. YouTube sperrt offenbar Kanal von Kayvan Soufi-Siavash
(spiegel.de)
Wie der “Spiegel” unter Berufung auf einen (lesenswerten) Artikel bei t-online.de berichtet, habe Youtube offenbar den neuen Kanal von Kayvan Soufi-Siavash, besser bekannt als Ken Jebsen, gesperrt. Soufi-Siavash habe versucht, die Sperrung seines alten Kanals zu umgehen, was gegen die Richtlinien von Youtube verstoße. Zudem sollen seine Aktivitäten hinter einem undurchsichtigen Geflecht von Briefkastenfirmen verborgen gewesen sein, was zu seiner kurzen Rückkehr auf die Plattform geführt haben könnte.

“Bild am Sonntag” ändert Unfallhergang

Am 20. September kam es auf einer Landstraße in Niedersachsen zu einem Unfall zwischen einer Autofahrerin und einem Motorradfahrer. Der Mann verletzte sich dabei so schwer, dass er später an den Unfallfolgen starb.

Vorgestern berichteten die “Bild”-Medien über den Fall und über die Familie, die der Motorradfahrer hinterlässt. Bei Bild.de auf der Startseite:

Screenshot Bild.de - Sechs Kinder weinen um ihren Papa - Fahrlehrer Juri (34) stirbt bei Motorrad-Unfall

Und groß in “Bild am Sonntag”:

Ausriss Bild am Sonntag - Helena (39) steht jetzt mit sechs Kindern alleine da
(Die “Bild”-Redaktion hat das Foto der Familie unverpixelt veröffentlicht und scheint auch eine entsprechende Erlaubnis zu haben. Wir haben für die Veröffentlichung hier bei uns eine Unkenntlichmachung hinzugefügt.)

Zum Unfallhergang schrieben die beiden Autorinnen:

So vielen Menschen hatte Juri, der Fahrlehrer, beigebracht, am Steuer alles richtig zu machen. Die 29-jährige Frau auf der Landstraße bei Kirchlinteln (Niedersachsen) macht an diesem 20. September alles falsch, als sie das Steuer nach links reißt, um abzubiegen. Sie achtet nicht auf Juri, der ihr entgegenkommt.

Das ist ein heftiger Vorwurf an die 29-jährige Autofahrerin, erst recht im Zusammenhang mit dem sehr emotionalen Bericht der “Bild”-Medien. Dieser Vorwurf deckt sich allerdings kaum mit den Informationen, die die zuständige Polizeiinspektion zu dem Unfall veröffentlicht hat. Die schrieb am 21. September:

Nach bisherigen Erkenntnissen fuhr eine 29-jährige Fahrerin aus Kirchlinteln mit ihrem VW auf der Verdener Straße in Richtung Südkampen und stand in Höhe der Einmündung zur Neddener Straße hinter weiteren Fahrzeugen, um anschließend nach links abzubiegen. Von hinten näherte sich der 34-Jährige aus Verden auf seinem Motorrad und setzte zum Überholen an, als die 29-Jährige mit ihrem Fahrzeug nach links abbog.

Laut Polizei kam der Motorradfahrer der Frau also gar nicht entgegen, als sie links abbog, sondern überholte sie von hinten.

Die “Bild”-Redaktion hat ihren Artikel bei Bild.de inzwischen geändert. Dort steht nun:

So vielen Menschen hatte Juri, der Fahrlehrer, beigebracht, am Steuer alles richtigzumachen. Doch an diesem 21. September läuft etwas schrecklich falsch, als er auf einer Landstraße bei Kirchlinteln (Niedersachsen) in den Wagen einer abbiegenden 29-Jährigen kracht.

Einen Hinweis darauf, dass die Beschreibung des Unfallhergangs von der Redaktion verändert wurde, gibt es nicht.

Mit Dank an Eva für den Hinweis!

“Radfahrerin erfasst”, Kampf gegen Deepfakes, Bombendrohung

1. Kampf gegen Deepfakes
(journalist.de, Sonja Peteranderl)
“Welche Folgen haben KI-Politiker*innen oder Robocalls mit KI-Stimmen – und wie gehen soziale Netzwerke mit Deepfakes um?” Sonja Peteranderl thematisiert die zunehmende Gefahr von Deepfakes, besonders in politischen Kontexten, und die Frage, wie sie zur Desinformation und Manipulation von Wahlen genutzt werden können.

2. Warum wir nie wieder etwas von “Radfahrerin erfasst” lesen wollen!
(berlin.adfc.de)
Der Sozialwissenschaftler Dirk von Schneidemesser beschäftigt sich beim Potsdamer Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit mit der Verkehrswende und bringe bald einen Leitfaden zur Berichterstattung über Verkehrsgewalt heraus. Im Gespräch mit dem ADFC Berlin erklärt er, “warum Sprache in Polizeimeldungen und Artikeln die Wahrnehmung von Unfällen beeinflusst und dadurch Maßnahmen für mehr Verkehrssicherheit verhindert werden.”

3. Im Wilden Westen nichts Neues
(lto.de, Lucas Brost)
Rechtsanwalt Lucas Brost kritisiert in seinem Gastbeitrag für “Legal Tribune Online”, dass der Digital Services Act (DSA) zwar klare Regeln für den Umgang mit schädlichen Online-Inhalten aufstelle, in der Praxis aber zu langsam greife. Er fordert Nachbesserungen wie konkrete Fristen für Plattformen und eine schnellere Rechtsdurchsetzung, um den DSA effektiver zu machen.

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4. Uigurischer Journalist im Exil verfolgt
(reporter-ohne-grenzen.de)
Die Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) berichtet, dass der uigurische Journalist Kasim Abdurehim Kashgar, der im Exil in den USA lebt, weiterhin vom chinesischen Regime verfolgt werde. Nachdem er sich geweigert habe, seine Berichterstattung über die Unterdrückung der Uiguren einzustellen, seien mindestens zwölf seiner Bekannten in China verhaftet und verhört worden. ROG kritisiert diese transnationale Repression und fordert einen besseren Schutz für Exiljournalisten und -journalistinnen.

5. Wer sind die Journalistinnen und Journalisten des Jahres 2024?
(mediummagazin.de)
Das “medium magazin” sucht zum 21. Mal die besten Journalistinnen und Journalisten Deutschlands und ruft zur Nominierung auf. Dies betrifft hauptberufliche Medienschaffende, die im Zeitraum vom 1. November 2023 bis 1. November 2024 herausragende Leistungen erbracht haben. Die Ergebnisse der Wahl werden im kommenden Dezember veröffentlicht. Nominierungen sind bis zum 15. November möglich.

6. MDR-Landesfunkhaus wegen Bombendrohung geräumt
(mdr.de)
Wie der MDR berichtet, wurde das Landesfunkhaus in Sachsen-Anhalt am Samstagnachmittag wegen einer Bombendrohung geräumt. Die Polizei habe den Bereich abgesperrt und nach etwa zwei Stunden Entwarnung gegeben. Bombendrohungen könnten strafrechtlich mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden, zudem würden den Tätern hohe Kosten für den Polizeieinsatz drohen.

Schlecht hören, gut schleichen

Thomas Gottschalk hat wirklich Glück. Er bekomme …

nun ein Super-Hörgerät von Geers, das KI-gestützt ist und 4500 Euro kostet.

Das berichtete Chefreporter Stephan Kürthy am vergangenen Mittwoch in der gedruckten “Bild”. Und auch bei Bild.de schreibt Kürthy über die tolle Hilfe, die das Unternehmen Geers Gottschalk biete:

Der Entertainer hat kein Problem damit, diese Hilfe auch anzunehmen. Am Dienstag bekam er in München bei Geers World of Hearing den Prototypen der Zukunft angepasst und erklärt: den KI-gestützten Phonak Audeo Sphere Infinio (Kosten ab 4000 Euro).

Thomas Gottschalk hat wirklich Glück. Er ist rein zufällig auch das offizielle Werbegesicht des Hörgeräteherstellers Geers und dürfte dafür eine ordentliche Stange Geld bekommen.

Und dann hat Thomas Gottschalk noch einmal wirklich Glück: Dass die “Bild”-Redaktion kein Problem damit hat, diese Schleichwerbung als ganz normalen Artikel zu veröffentlichen, ohne “Anzeige” darüber zu schreiben und ohne irgendeinen Hinweis auf Gottschalks Werbetätigkeit für Geers. Stattdessen tarnt sie das Ganze als Beziehungsschmonzette:

Screenshot Bild.de - Thomas Gottschalk über sein Ohr-Problem - Ich höre immer auf Karina

Thomas Gottschalk (74) und seine Frau Karina (62) haben ein kleines Streitthema: die Fernseh-Lautstärke im gemeinsamen Schlafzimmer.

Hach, diese herrlich normalen Gottschalks.

Die Nummer erinnert uns an etwas: Erst im März dieses Jahres bekam die “Bild”-Redaktion vom Deutschen Presserat eine Rüge für einen Artikel mit der Überschrift “So kloppe ich meine Kilos weg!” In dem Beitrag ging es um “die FETT-WEG-TIPPS” von Fußballtrainer Jürgen Klopp:

Der Star-Trainer selbst nutzt ein Peloton-Bike, bei dem digital an voraufgezeichneten sowie Live-Kursen teilgenommen werden kann, die von Trainern angeleitet werden.

Dass Klopp zu dieser Zeit auch Peloton-Werbebotschafter war, hat die “Bild”-Redaktion im Artikel nicht erwähnt. Der Presserat wertete die Veröffentlichung als Schleichwerbung.

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Verschwiegener Geldgeber, “Bild” macht arm, Reformstaatsvertrag

1. Die Millionen des verschwiegenen Geldgebers
(t-online.de, Lars Wienand & Jonas Mueller-Töwe)
Bei t-online.de berichten Lars Wienand und Jonas Mueller-Töwe, dass Ex-“Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt mit seinem politischen Krawallportal “Nius” offenbar in den Fernsehmarkt einsteigen will. Sowohl bei diesem Vorhaben als auch ganz generell sei das Projekt stark vom Investor Frank Gotthardt abhängig. Gotthardt, in der Berichterstattung stets als Milliardär geführt, dessen Vermögen in den vergangenen Monaten allerdings um 900 Millionen Euro geschrumpft sein soll, habe bereits Millionen in “Nius” gesteckt. Seine anderen, eher regionalen Medienprojekte führen allerdings Verluste ein, und Gotthardt verliere das Interesse an ihnen. Es wird spekuliert, dass “Nius” ein ähnliches Schicksal drohe, sollte das Projekt ein Zuschussgeschäft bleiben.

2. BILD Lesen macht arm – Wärmepumpe wird am günstigsten
(volksverpetzer.de, Philip Kreißel)
Philip Kreißel kritisiert in seinem Artikel beim “Volksverpetzer” die Fehlinformation von Medien wie “Bild” und “Welt” über das Heizen mit Wärmepumpen. Er zeigt auf, dass die Wärmepumpe langfristig die günstigste und effizienteste Heizmöglichkeit sei, und weist darauf hin, dass die Strompreise durch den Ausbau der erneuerbaren Energien gesunken seien. Gas werde durch geopolitische Entwicklungen und den Emissionshandel hingegen teurer. Die oft durch Beiträge großer Medienkonzerne beeinflusste Entscheidung für fossile Heizmethoden sei finanziell unklug.

3. Reformstaatsvertrag: was sich bei ARD und ZDF ändern soll
(br.de, Jonathan Schulenburg, Audio: 20:57 Minuten)
Bei “BR24 Medien” sprechen Heike Raab, Staatssekretärin und Koordinatorin der Rundfunkkommission, Hubert Krech, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse, und Gudrun Riedl, Redaktionsleiterin von BR24, über die Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Hauptthemen sind die zukünftige Finanzierung, mögliche Streichungen von Radio- und TV-Spartensendern sowie die Fokussierung auf digitale Video- und Audioinhalte statt Text. Außerdem wird über eine gemeinsame technische Plattform diskutiert, auf der die Inhalte von ARD, ZDF und möglicherweise auch privaten Anbietern gebündelt werden könnten.

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4. Schmitz-Portrait: Griff nach den Sternen
(clap-club.de, Bijan Peymani)
“Clap”-Reporter Bijan Peymani schreibt über Gregor Peter Schmitz, Chefredakteur des “Stern”, und dessen ehrgeizige Aufgabe, das Magazin mit Unterstützung von RTL neu zu positionieren und ein digitales Geschäftsmodell zu etablieren. Schmitz betont, dass er für dieses Vorhaben ein Maximum an Ressourcen und Freiheiten zur Verfügung habe, doch trotz der finanziellen Unterstützung bleibe das Projekt herausfordernd: “Das ist echt anspruchsvoll, und ja, wir sind spät dran.”

5. EuGH verlangt von Facebook Verfallsdatum für Werbedaten
(spiegel.de)
Der Europäische Gerichtshof habe entschieden, dass Facebook personenbezogene Daten nicht unbegrenzt und unterschiedslos für Werbezwecke speichern dürfe. Vorausgegangen war eine Klage des Datenschutzaktivisten Max Schrems, der kritisiert habe, dass Facebook aus seinen Daten Rückschlüsse auf seine sexuelle Orientierung ziehe. Das Urteil könne weitreichende Auswirkungen auf die gesamte Online-Werbebranche haben, da es alle Unternehmen betreffe, die ähnliche Datenpraktiken anwenden.

6. Inszenierung mit gefährlichen Nebenwirkungen
(netzpolitik.org, Vincent Först)
Vincent Först beschreibt, wie politische Videos auf TikTok Politikerinnen und Politiker als starke Symbolfiguren inszenieren, oft auf Kosten der Inhalte und mit gefährlichen Botschaften. Diese stark emotionalisierenden Videos würden durch gezielte Schnitttechniken und Musik dramatische Effekte erzeugen, populistische Botschaften verbreiten und dabei Millionen von Klicks generieren.

KW 40/24: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Wochenendausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. Es ist kompliziert … – Der Osten in den Medien
(ardmediathek.de, Tino Böttcher, Video: 1:29:53 Stunden)
Die MDR-Doku untersucht, wie die Berichterstattung über den Osten Deutschlands in den vergangenen drei Jahrzehnten geprägt wurde, und welche Klischees dabei entstanden sind. Anhand prominenter Mediengeschichten wird gezeigt, wie diese Bilder das heutige Bild der Ostdeutschen prägen, die häufig als ältere, widerständige Menschen in problematischen Milieus dargestellt würden. Expertinnen und Experten sowie KI-Analysen beleuchten, wie sich diese Zuschreibungen entwickelt haben und wie sie bis heute wirken.
Weiterer Hörtipp: Berichte aus einem fernen Land? Wie Medien auf den Osten Deutschlands schauen (sr.de, Florian Mayer & Michael Meyer, Audio: 15:44 Minuten).

2. Wie der Like-Button das Internet zerstört
(youtube.com, Sascha Pallenberg, Video: 18:07 Minuten)
Sascha Pallenberg zeigt sich in seinem Vortrag auf der DMEXCO, einer Fachmesse für digitales Marketing, überzeugt: “Der Like-Button ist die Wurzel allen Übels und anstatt, dass diese Form der Anerkennung uns näher bringt, entzweit sie unsere Gesellschaften wie keine andere Technologie zuvor. Diese Gier nach Bestätigung durch Likes, nach ‘du siehst so toll aus’, hat uns nicht nur zehntausende ‘die Welt ist rosarot’-Konten beschert, sondern vor allen Dingen auch eine Verrohung unserer Diskussionskultur!”

3. Was die AfD auf Social Media erfolgreich macht
(youtube.com, Johannes Korsche, Audio: 23:16 Minuten)
Die Wahlerfolge der AfD werden häufig mit ihrer starken Präsenz in Sozialen Netzwerken in Verbindung gebracht. “Warum hat die AfD auf diesen Plattformen so einen Vorteil – und was macht politische Kommunikation im Internet erfolgreich?” Darüber spricht die Kommunikationsberaterin Carline Mohr in dieser Folge des “SZ”-Podcasts “Auf den Punkt”.

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4. Lokale Medienberichterstattung in der Zukunft
(youtube.com, Alex Berlin, Video: 28:04 Minuten)
Auf dem Lokaljournalismus-Kongress der ostdeutschen Landesmedienanstalten wurde über die Zukunft der regionalen Berichterstattung diskutiert: Wie kann zukünftig eine mediale Vielfalt im Lokalen gesichert werden? Welche Ideen und Projekte gibt es, lokale Medien nachhaltig zu stärken? Darüber diskutierten Jochen Fasco (Direktor der Thüringer Landesmedienanstalt), Eva Flecken (Direktorin der Medienanstalt Berlin-Brandenburg), Tobias Krohn (Leiter Unternehmensentwicklung Schwäbischer Verlag) und Frank Überall (Chefreporter bei “KiVVON”).

5. Ein Wahlkampf im Rabbithole (mit Nilz Bokelberg)
(hakendran.podigee.io, Gavin Karlmeier, Audio: 1:01:39 Stunden)
Ist Rechtsradikalismus häufig auch nur ein Geschäftsmodell? Wie viel Entertainment passt in eine große Wahl? Was sind “Trusted Flagger”? Wie hoch mag der Restwert von X (vormals Twitter) sein? Und macht Flickr jetzt ernst? Darüber und vieles Weitere spricht Gavin Karlmeier bei “Haken dran” mit seinem Gast Nilz Bokelberg.

6. Rappelvoll auf dem Oktoberfest
(youtube.com, Sebastian Puffpaff, Video: 9:59 Minuten)
“In München herrscht dank des Oktoberfests nach wie vor Ausnahmezustand. Der (Voll-)Rausch geht auch an vermeintlich unschuldigen Reportern nicht spurlos vorbei.” Ein erheiternder “TV-total”-Zusammenschnitt fremdschämbehafteter Momente.
Und apropos erheiternder Zusammenschnitt: Für “Übermedien” hat Boris Rosenkranz sich die Oktoberfest-Berichterstattung des Bayrischen Rundfunks angeschaut: Baggern, Bechern, Blasmusik (uebermedien.de, Video: 2:11 Minuten).

Lifestyle Faschismus, Campact vs. “Nius”, Interview? Nein, danke!

1. “Faschismus ist heute Lifestyle”
(taz.de, Katrin Tominski)
Die “taz” hat mit Simon Strick gesprochen, der zu digitalem Faschismus forscht. Der Medienwissenschaftler stellt nüchtern fest: “Die Neue Rechte ist seit Langem keine Subkultur mit Glatze und Spingerstiefeln mehr. Sie ist eine leicht erreichbare Mediensphäre, die den klassischen Öffentlichkeiten Konkurrenz macht. Neofaschismus ist heute Lifestyle, Gegenkultur und Parallelöffentlichkeit. Er greift nicht als totalitäre Struktur von oben, im Gegenteil: Er wird in sozialen Netzwerken von Influencern, Alternativmedien und NutzerInnen von unten gebildet.”

2. The Kids Are Alright
(mailchi.mp/krautreporter, Bent Freiwald)
“Die vergangenen beiden Tage waren ein Musterbeispiel an schlechter Berichterstattung über vermeintlich gewalttätige Kinder und Jugendliche. Das kann ich so nicht stehen lassen.” Bent Freiwald kritisiert in seinem Newsletter, dass viele Medien unkritisch eine dpa-Meldung übernommen hätten, die suggeriere, dass Gewalt und Mobbing unter Schülern und Schülerinnen zugenommen hätten, obwohl die zugrunde liegenden Daten auf subjektiven Einschätzungen von Lehrern und Lehrerinnen beruhen. Andere Zahlen würden zeigen, dass die Gewalt an Schulen im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie sogar abgenommen habe.

3. Interview? Nein, danke!
(fachjournalist.de, Gunter Becker)
Gunter Becker beschäftigt sich mit dem Phänomen, dass es für Medienschaffende immer schwieriger werde, Gesprächspartnerinnen und -partner zu finden. Er hat dazu die Erfahrungen von drei Journalistinnen zusammengefasst. Sein Fazit: “Journalist:innen müssen sich auf eine zunehmende Medienskepsis – teilweise Medienaggression – einstellen, nicht nur in regionalen Hotspots. Sie sollten Gesprächspartner:innen auf Augenhöhe gegenübertreten und sich die Zeit nehmen, ihre Position, ihr Vorhaben und ihre Arbeitsweise zu erklären.”

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4. Nius-Urteil: Erfolg für Campact
(campact.de)
Wie die Kampagnenorganisation Campact mitteilt, habe das Landgericht München I dem rechten Krawallportal “Nius” verboten, mehrere Falschbehauptungen über Campact zu verbreiten. Campact-Geschäftsführer Felix Kolb kommentiert: “Das Urteil bestärkt uns darin, uns gegen die Diffamierungen aus dem rechtsradikalen Umfeld zur Wehr zu setzen. So sehr Julian Reichelt, AfD und Co. auch versuchen, demokratische zivilgesellschaftliche Organisationen einzuschüchtern, werden wir nicht leiser.”

5. RSF startet Propaganda Monitor
(reporter-ohne-grenzen.de)
Die Organisation Reporter ohne Grenzen hat den “Propaganda Monitor” gestartet, um weltweit Propaganda unter dem Deckmantel des Journalismus aufzudecken und die Öffentlichkeit für Manipulationsstrategien autoritärer Regime zu sensibilisieren. Der Monitor biete investigative Recherchen, Analysen und Experteninterviews und wolle aufzeigen, wie Propaganda entsteht und wer davon profitiert.

6. 3sat und Arte zusammenlegen? “Da fehlt mir die Fantasie”
(dwdl.de, Uwe Mantel)
3sat-Koordinatorin Natalie Müller-Elmau könne sich die geplante Zusammenlegung von 3sat und Arte derzeit noch nicht vorstellen, wie sie in einem Interview mit dem Deutschlandfunk gesagt habe: “Mir fehlt noch so ein bisschen die Fantasie, wie das alles funktionieren soll. Ein Tag hat nur 24 Stunden und sowohl Arte als auch wir haben ausreichend Programm für 24 Stunden. Was dann wegfällt und wie das integriert werden soll, ist uns zum jetzigen Zeitpunkt nicht klar.”

Ist TikTok schuld?, Assange äußert sich erstmals, Instagram-Hassliebe

1. TikTok ist schuld, oder?
(netzpolitik.org, Carla Siepmann)
Derzeit fragen sich viele, warum die AfD gerade bei jungen Wählerinnen und Wählern so erfolgreich ist. Als Grund wird oft die massive Präsenz der Partei in den Sozialen Medien angegeben. Doch ist dem wirklich so? Carla Siepmann plädiert für Differenzierung: “Ja, es ist wichtig, dass demokratische Parteien ihre Social-Media-Präsenz verbessern, um mehr junge Menschen zu erreichen. Am Wichtigsten wäre jedoch, Politik für junge Menschen zu machen – eine Politik, die ihre Lebensrealitäten konkret verbessert und ihnen das Gefühl gibt, wahr- und ernstgenommen zu werden.”

2. Assange äußert sich erstmals öffentlich
(verdi.de)
Julian Assange hat erstmals öffentlich über seine Haftbedingungen und die Auswirkungen seiner Verfolgung auf die Menschenrechte gesprochen (Video). Vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarates kritisierte er die britische und US-amerikanische Justiz und forderte Journalistinnen und Journalisten auf, weiter für die Pressefreiheit zu kämpfen. Die dju-Bundesvorsitzende Tina Groll betont die Notwendigkeit einer juristischen Aufarbeitung des Falles, um das Assange widerfahrene Unrecht und die Einschränkung der Pressefreiheit zu thematisieren.

3. “Das mit Instagram und mir ist eine Hassliebe”
(journalist.de, Annkathrin Weis)
Beim “journalist” spricht die Journalistin und Moderatorin Helene Reiner über ihre Hassliebe zu Instagram. Sie reflektiert ihre Erfahrungen mit der preisgekrönten “News-WG”, die sie nach sechs Jahren verlässt, und betont die Herausforderungen, die der Social-Media-Journalismus heute durch Algorithmen und den Kampf um Aufmerksamkeit mit sich bringe.

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4. ORF-III-Chef weist Vorwürfe zurück, Schädlinge & Feuer
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Timo Niemeier berichtet in seinem “Austria-Update”, dass gegen ORF-III-Chef Peter Schöber schwere Vorwürfe, darunter Mobbing und Antisemitismus, erhoben wurden, Schöber diese aber entschieden zurückweise. Außerdem dabei: Kabelbrand bei Canal+, Schädlinge in der ORF-Kantine und “heute-show”-Einsatz bei der FPÖ. Insgesamt eine schöne Übersicht für alle, die sich einen kompakten Überblick über das derzeitige Mediengeschehen in Österreich wünschen.

5. Kritische Stimme in Haft
(taz.de, Sven Hansen)
Der kambodschanische Investigativjournalist Mech Dara, der für seine Enthüllungen über Internetkriminalität und Menschenhandel bekannt ist, wurde laut “taz” ohne offizielle Begründung von der Militärpolizei verhaftet. Seine Verhaftung werde als weiterer Schritt zur Unterdrückung der Pressefreiheit in Kambodscha gesehen, wo kritische Medien zunehmend zum Schweigen gebracht würden.

6. Neues UN-Nachhaltigkeitsziel zu Medienfreiheit: dju unterstützt Initiative18
(dju.verdi.de)
Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union unterstützt die Kernforderungen der sogenannten Initiative18: “Wie die Initiative18 teilen wir die Forderungen, Journalist*innen und Medienorganisationen vor Einschüchterung, Gewalt und rechtlicher Verfolgung zu schützen, urheberrechtlich geschützte journalistische Leistungen von Medienschaffenden anzuerkennen und fair zu vergüten sowie Medienkompetenz in allen Altersgruppen und sozialen Schichten zu fördern, um kritisches Denken und den bewussten Umgang mit Medien zu stärken.”

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Schreck lass nach!

Die Pointe kommt am Schluss.

Die Feuerameise hingegen kommt aus den Feuchtgebieten des brasilianischen Pantanal …

… und ist in den USA ein Problem. Vor ungefähr einem Jahr stand in der NZZ mal ein interessanter Artikel, der sich mit dem Schaden und Nutzen (!) der Solenopsis invicta (engl.: fire ant) befasste, die “Zeit” weiß momentan auch Aufschlussreiches zu berichten. Außerdem haben sich internationale Wissenschaftler ausführlich mit der möglichen Verbreitung der Ameisenart befasst, die nur unter bestimmten klimatischen Bedingungen überleben kann, und u.a. herausgefunden, dass die Tiere rein theoretisch auch rund ums Mittelmeer, in einigen Gebieten nahe des Schwarzen und des Kaspischen Meeres, entlang der Südwestküste Frankreichs sowie an manchen Stellen Südenglands überleben könnten. “Möglich, aber eher unwahrscheinlich” sei es zudem, dass sie in Städten oder an anderen künstlich beheizten Orten überleben und sich während ungewöhnlich warmer Jahre auch mal in die Umgebung ausbreiten. Insgesamt aber sei es in Europa schlicht zu kalt für die Feuerameise.
(Soweit der aktuelle Forschungsstand.)

“Bild” allerdings hält das nicht davon ab, in ihrer Dienstagsausgabe groß, sehr groß (und online) folgende Überschrift zu dichten:
Feuerameisen überfallen Europa
Weiter heißt es in “Bild” recht vage und pauschal:

“Jetzt schlagen Forscher Alarm: Die winzigen Killer (1–6 mm) sind auf dem Sprung nach Europa.”

Und nachdem “Bild” sogar einen “Grund” für ihre Schreckensmeldung gefunden hat (O-Ton: “die globale Klimaerwärmung”), wird noch ein Satz aus einem Aufsatz des Zoologen Michael Kaspari von der University of Oklahoma herbeizitiert, der mit den Worten “Wo sie eingeschleppt werden…” beginnt und entsprechend allgemein gehalten ist. Gleichwohl ist der Feuerameisen-Experte Kaspari für “Bild” eine gute Wahl, denn er ist wirklich einer.

Befragt man jedoch Michael Kaspari von der University of Oklahoma persönlich, ist er verblüfft über die “Bild”-Feuerameisenberichterstattung und seine Rolle als “Bild”-Kronzeuge. Er sagt:

Ich weiß von keiner Erhebung, wonach Feuerameisen Europa überfallen. Unsere Studien legen zwar nahe, dass eine massive globale Klimaerwärmung im Laufe der Zeit – durch die daraus resultierende Abnahme der Ameisengröße und Zunahme der Ameisenzahl einer Kolonie – ihre Verbreitung begünstigen könnte. Aber es gibt meines Wissens keinerlei unmittelbare Gefahr für Europa.

Schluss.

Die Sonne scheint?

Ein Aussagesatz ist ein “Satz, der einen Sachverhalt einfach berichtend wiedergibt”. Der Duden nennt als Beispiel: “Die Sonne scheint”. Anderes Beispiel: “Minister und andere Politiker sollen bei der Versorgung mit virenhemmenden Mitteln und Impfungen bevorzugt werden”.

Unser Beispielsatz 2 steht heute auf der Titelseite der “Bild”-Zeitung. Allerdings hat er in der “Bild”-Version am Ende keinen Punkt, sondern ein Fragezeichen, lautet also:

“Minister und andere Politiker sollen bei der Versorgung mit virenhemmenden Mitteln und Impfungen bevorzugt werden?”

Und im eigentlichen Artikel (verfasst von Dirk Hoeren und Stefan Schneider) heißt es dann unter der Überschrift “Vogelgrippe – Empörung über Extra-Wurst für Politiker”:

“Bund und Länder haben zwar Arznei-Vorräte angelegt. (…) Sie sollen bei einem Ausbruch der Grippe nach dem Notfallplan von Bund und Ländern vor allem an Personen ausgeben werden, die für die medizinische Versorgung zuständig, und an ‘Entscheider’, die für ‘die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung’ verantwortlich sind.”

Dabei ist völlig unklar, was “Bild” mit “Notfallplan von Bund und Ländern” meint. In dem (landläufig als solcher bezeichneten) “Nationalen Influenzapandemieplan” jedenfalls fehlt das Wort Entscheider ebenso wie die von “Bild” als Wortlaut zitierte Formulierung von der “Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung”. (Was dort eigentlich steht, haben wir hier mal zusammengestellt.) Stattdessen steht bei “Bild”:

“Sind mit ‘Entscheider’ auch Minister und Staatssekretäre gemeint?”

Das ist immerhin eine richtige Frage. Eine Antwort bleibt “Bild” jedoch abermals schuldig. Unter Berufung auf “unbestätigte Angaben aus Regierungskreisen” und den Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums heißt es bloß, dass die Bundesregierung “vorbeugend wirkende Virenhemmer” für “Mitarbeiter des Robert-Koch-Instituts” und “eine ganz begrenzte Anzahl von Mitarbeitern” des Ministeriums zurückgelegt habe.* “Bild” weiter:

“Ob dazu beispielsweise auch Ministerin Ulla Schmidt gehört, konnte der Sprecher nicht sagen.”

Aha. Der Rest des Artikels enthält dann noch das Wort “Extrawurst” sowie ein paar Was-wäre-wenn-Spekulationen…

… und wir fassen zusammen: “Bild” hat offensichtlich nicht den blassesten Schimmer, ob im Falle einer Grippe- oder Vogelgrippe-Welle auch nur ein einziger Politiker zuerst geimpft würde, was “Bild” auf ihrer heutigen Titelseite mit folgendem Aussagesatz zusammenfasst:

Vogelgrippe - Politiker werden zuerst geimpft

*) Gegen eine bevorzugte Behandlung von Politikern spricht übrigens nicht zuletzt der Gleichbehandlungsgrundsatz im Grundgesetz, der laut Pandemieplan ausdrücklich nur durch “sachliche Gründe” (“z. B. der Aufrechterhaltung der Patientenversorgung und der Öffentlichen Ordnung”) eingeschränkt werden darf.

Wer “Bild” nicht liest, spart künftig mehr

ALLES TEURER! Rentner leiden am meistenSo titelte “Bild” am Dienstag, und es stimmt ja: Denn “Bild” kostet bald mehr. Vom kommenden Montag an zum Beispiel in Stuttgart 60 statt 50 Cent. Das entspricht einer Preissteigerung von zwanzig Prozent, was die vieldiskutierten Preiserhöhungen bei Brot und Milch vergleichsweise läppisch wirken lässt.

Gegenüber den Stuttgarter Einzelhändlern begründete der Verlag nach unseren Informationen die Preiserhöhung mit den allgemeinen Kostensteigerungen und den “umfangreichen Investitionen in das Blatt”. Der Schritt sei die “notwendige Folge der fortgesetzten Qualitätssteigerung des Titels”, denn “auch weiterhin” würden über 800 Journalisten jeden Tag für “exklusive Nachrichten, die besten Storys und die bewegendsten Fotos” sorgen.

Was 2007 alles teurer wird

“Bahn erhöht die Preise! … und Fliegen wird auch teurer” — “Autofahren immer teurer!” — “Schweinefleisch 30% teurer!” — “SCHLUCK! Bier wird teurer” — “PREIS-SCHOCK! Lebensmittel deutlich teurer” — “Apfelsaft 50 Prozent teurer” — “Strom wird noch teurer!” — “Immobilien werden teurer” — “Käse bald teurer” — “Milchprodukte teurer” — “Schuhe werden teurer” — “Süßigkeiten teurer” –“Heizöl sauberer und teurer” — “Margarine wird teurer” — “Möbel deutlich teurer”

(Seite-1-Überschriften aus “Bild”)

Da der Verlag sich offenbar nach eigenen Angaben zu Fragen der Preispolitik grundsätzlich nicht äußert (ebenso wie übrigens zu Personalfragen, juristischen Fragen, interessanten Fragen und unangenehmen Fragen), wissen wir nicht, an welchen Orten außer Stuttgart von Montag an der erhöhte Preis gilt.

Aber vielleicht kriegen wir das mit vereinten Kräften heraus. Fragen Sie einfach den Kioskbesitzer Ihres Vertrauens, schicken Sie uns eine Mail, und wir tragen die Ergebnisse zusammen.

Zwischenstand: Die Lage ist unübersichtlich. Die Preiserhöhung von 50 auf 60 Cent gilt außer für Stuttgart wohl auch für Hamburg, Frankfurt und die Bundesausgabe. In Chemnitz wurde der Preis offenbar von 30 auf 40 Cent erhöht. U.a. in Berlin, Aachen und Mecklenburg-Vorpommern scheint “Bild” nach wie vor 50 Cent zu kosten.

Mit Dank an Bastian D., M.P., Christiane H., Stephan F., Thomas C., Tim W., Michael H. und Heiner H.!

Die Cyberduckz-Ente von Bild.de

Seit dem Wochenende führt Bild.de die Leser in die Irre.

Auf der Startseite erscheint für wenige Sekunden eine vermeintliche Störung: Anstelle einer redaktionellen Schlagzeile ist kurzzeitig das unscharfe Foto einer Quietscheente und der Schriftzug “In wenigen Tagen schalten wir diese Website ab!!!” zu sehen — versehen mit dem Hinweis “Hacked by Cyberduckz”.

Es handelt sich dabei jedoch offensichtlich nicht — wie vielerorts spekuliert — um eine Hacker-Attacke, sondern nur um eine harmlose (wegklickbare!) Overlay-Flash-Animation, abgelegt auf dem Server der Falk AG*, einem Dienstleister für die Werbeeinblendungen auf Bild.de.

BILDblog-Leser Kevin W. schreibt uns, dass man ihm bei Bild.de auf die Frage, warum eine Ente die Startseite ziert, mitgeteilt habe, “dass Bild.de in Kürze einen ‘Relaunch’ haben wird und es so gewollt ist”.

*) Weitere “Störungen” hier und hier.

Mit Dank auch an die vielen, vielen Hinweisgeber.

Nachtrag, 11.12.2007: Heise Online zitiert inzwischen aus einer Mail des “Bild”-Leserservices, in der es heißt:

Unsere Webseite erlebt in den nächsten Tagen eine komplette Renovierung (…). Sollten Sie in den nächsten Tagen kleinere “Störungen” auf unserer Website bemerken, seien Sie unbesorgt: Diese sind völlig harmlos, selbstverständlich auch für Ihren Computer. Mit dieser Aktion wollen wir unsere Leser auf das bevorstehende Ereignis aufmerksam machen.

Nachtrag, 13.12.2007: Unter der Titelschlagzeile “Wir sind neu!” präsentiert Bild.de heute den neu gestalteten Online-Auftritt. Neu ist u.a., dass der Hinweis auf den (Noch-)Partner T-Online aus dem Bild.de-Logo verschwunden ist. Und auch die Werbeidee, auf den Relaunch durch angebliche Störaktionen aufmerksam zu machen (s.o.), wird durch Einbindung der albernen bisherigen “Cyberduckz”-Layer öffentlich als solche eingestanden.

“Bist du noch ein ganz kleines bisschen wach?”

Es sind aufregende Tage für “Bild”-Reporter Sebastian Rösener und seine Kollegen aus Bremen. Nicht nur die Polizei, auch “Bild” sucht diejenigen, die vor zwei Wochen durch den Wurf eines Holzklotzes von einer Autobahnbrücke eine Frau töteten. Einen kleinen Einblick in die Arbeitsweise der “Bild”-Leute gibt der folgende Bericht, den uns Manuela, eine Mutter, geschickt hat:

Tja, das “Hilfe, ich bin in ‘Bild'” habe ich ein klitzekleines bisschen zu spät gelesen… da hatte sich “Hallo, hier ist Sebastian…” schon wieder bei meiner Tochter gemeldet.

Gegriffen hat er sich das Mädel am Tag nach dem Holzklotzwurf auf der A29, als sie mit unseren Hunden unterwegs war — wir wohnen dort. Nicht auf der A 29, aber daneben und ungefähr 500 Meter Fluglinie vom ursprünglichen Einschlagsort entfernt…

Marie kam nach Hause an dem Tag: “Ich muss unbedingt sofort Fynn anrufen…” Ich habe gefragt, wieso, und sie erzählte mir, dass Reporter sie ausgequetscht hatten. Erst wusste sie nicht mal, von welcher Zeitung (oder mochte mir das nicht sagen, kann auch sein). War aber schon zu spät, weil sie nämlich auf Jens [Name von uns geändert] hingewiesen hatte. Nach einer Erklärung, was ich davon halte und dass gerade die Blödzeitung nicht grad zur Aufklärung beiträgt, hat sie das auch schnell verstanden, Fynn wurde nicht angerufen.

Am nächsten Tag hat Marie (15 und blond) die Zeitung gekauft und sich den Artikel durchgelesen… Fand sie erst nicht schlimm, aber als ich ihr dann ein paar Sachen erklärt habe, hat sie es so langsam begriffen, das da ziemlich viel verkehrt läuft.

Jens, mittlerweile auch Telefonopfer von “Sebastian von der ‘Bild’-Zeitung”, hat recht schnell die Nase voll gehabt und beschlossen, nichts mehr mit “Bild” zu tun haben zu wollen.

Tja, dann kam das Fahndungsfoto raus — und sofort klingelte abends um kurz vor zehn nicht nur das Handy meiner Tochter, nein, auch Jens wurde wieder belästigt. “Bist du noch ein ganz kleines bisschen wach? Dann würde ich vorbei kommen und dir das Bild zeigen!” Jens gab an, Kopfschmerzen zu haben, und so wurde ihm das Fahndungsbild am Telefon geschildert. Jens hat aber dazu nichts mehr gesagt.

Als Marie von “Sebastian” angerufen wurde, hat sie ihn an mich verwiesen und mir das Handy gegeben. Und es war echt ein klasse Gespräch, ich wusste gar nicht, das Reporter so dermaßen arme Socken sein können, zu blöd, um zu kapieren, dass die Aufklärung der Straftat eine Sache der Polizei ist und sachdienliche Hinweise viel besser bei Herrn Weiß oder Herrn Krüder, dem Kontaktpolizisten von Maries Schule aufgehoben sind. Dann wollte man mir sachliche und faire Berichterstattung weis machen — und mit Herrn Wagner nichts zu tun haben. “Der sitzt in Berlin, mit dem haben wir nichts zu tun, WIR sind sachlich und objektiv!” Soso, warum dann die gezielte Wortwahl im Artikel, konnte er mir auch nicht erklären. Dumm gelaufen.

Ob ich denn die letzten Tage die “Bild”-Zeitung gekauft hätte — nein habe ich nicht. “Wie schade! Da hätten Sie mal sehen können, wie sachlich wir berichtet haben!” Jupp…

Gestern musste ich dann Marie wegen Kopfschmerzen von der Schule abholen, und nachdem ich wegen eines Fernsehteams vor der Schule quasi eine Vollbremsung hingelegt habe, um denen nicht durchs Bild zu fahren, stand an der Bushaltestelle ein rotbrauner alter Kombi, Ford oder so mit Bremer Kennzeichen. Meine Tochter: “Das sind die ‘Bild’-Reporter!”, und man sah auch einige sehr glückliche Mädels mit irgendwelchen Blättern vom Auto weggehen…

Hm, irgendwie war ich etwas schusselig, ich hätte den Wagen fotografieren sollen. Da der sicherlich nicht das letzte Mal dort auftaucht, werde ich Marie und friends bitten, das zu tun. Die nächste Schülerzeitung kommt bestimmt — und dann könnte man ja in “Bild”-Manier über die “Bild” berichten… ich schreibe auch gerne einen Gastkommentar…

Flugs kopiert

Joar, Mensch, das ist ja mal gar nicht schlecht, dass das “Abendblatt” dabei war, “als die finnische Fluggesellschaft ‘Finnair’ als erste Fluggesellschaft den Airbus A350 übernahm.” Glückwunsch!

Warum das überhaupt bemerkenswert ist? Weil dieser Screenshot nicht von abendblatt.de stammt, sondern von Bild.de:

Das Portal berichtet heute über einen “SONDERFLUG DES LUFT-GIGANTEN”, denn der “Mega-Airbus besucht Hamburg”:

Der neue Lufthansa-Airbus A350-900, das weltweit modernste Langstreckenflugzeug, besuchte am Donnerstag-Vormittag mit einem Sonderflug die Hansestadt.

Wie da nun die frohe “Abendblatt”-Kunde reingerutscht ist? Vermutlich hat irgendein Bild.de-Mitarbeiter beim Text-Klauen nicht aufgepasst und beim Copyandpasten eben auch die Passage mit “Finnair” übernommen. Auf abendblatt.de steht nämlich ebenfalls (Link mit Bezahlschranke):

Für die Lufthansa sei der Neuzugang eines der wichtigsten Ereignisse des Jahres. Die A350-900 für 293 Passagiere sei das modernste und umweltfreundlichste Langsteckenflugzeug. Es verbrauche 25 Prozent weniger Treibstoff und sei beim Start wesentlich leiser als vergleichbare Flugzeugtypen.

Das Abendblatt war dabei, als die finnische Fluggesellschaft Finnair als erste Fluggesellschaft den Airbus A350 übernahm.

Die Bild.de-Redaktion mopst also einfach zwei Absätze beim “Abendblatt”, inklusive Rechtschreibfehler (“Langsteckenflugzeug”), und vergisst, die Spur zu verwischen. Wir wollen an dieser Stelle nur noch mal daran erinnern: Bild.de geht derzeit mit einer wettbewerbs- und urheberrechtlichen Klage gegen “Focus Online” vor, weil man sich nicht länger bieten lassen wolle, dass das “Burda”-Portal “systematisch exklusive Bezahl-Inhalte von BILDplus abschreibt”. Nun ist das Ausmaß, mit dem “Focus Online” sich bei “Bild plus” bedient, sicher noch mal ein anderes. Aber auch bei den zwei “Abendblatt”-Absätzen handelt es sich um Bezahl-Inhalte. Und abschreiben bleibt abschreiben.

Nachdem ein Twitter-User auf den Textdiebstahl hingewiesen hat, hat Bild.de die Passagen gelöscht.

Mit Dank an @DonTimoteoHH für Hinweis und Screenshot!

Focus-Regierungssprecherin, Fitness-Hack, Islamzugehörigkeit

1. Martina Fietz: Neue Regierungssprecherin kommt von “Focus Online”
(kress.de, Marc Bartl)
In hilflosem Entsetzen machen wir uns gerne lustig darüber, welch seltsames Personal Donald Trump als Presse- und Regierungssprecher beschäftigt. Kellyanne Conway hatte es mit ihrem Begriff von den „alternativen Fakten“ in Deutschland sogar zum Unwort des Jahres geschafft. Nun hat sich die Bundesregierung als Regierungssprecherin die bisherige Chefkorrespondentin von “Focus Online” geholt, gewissermaßen dem Fachblatt für alternative Fakten.
Weiterer Lesetipp: Gesundheitsminister Jens Spahn vertraut auf „Bild“ und macht den „Bild“-Parlamentsreporter zu seinem Sprecher (meedia.de, Marvin Schade)

2. Kolumnisten muss man sich auch leisten können
(deutschlandfunk.de, Silke Burmester)
Lange Zeit war die Zusammenarbeit der „Zeit“ mit ihrem Kolumnisten, dem ehemaligen BGH-Richter Thomas Fischer eine Erfolgsgeschichte. Dach dann kam die Causa Dieter Wedel. Fischer warf der „Zeit“ (verkürzt gesagt) unsaubere Arbeit vor, die „Zeit“ ihrem Kolumnisten Illoyalität. Darauf trennten sich die Wege … Silke Burmester kommentiert den Vorgang und holt dabei in geradezu Fischerscher Brachialität die Streitaxt heraus. Gegen Fischer und „diese Sorte männlicher Publizisten“.

3. In der Studenten-App Jodel kann man jetzt Werbung buchen – Wir verraten, was das kostet
(omr.com, Roland Eisenbrand )
Die Studenten-App „Jodel“ ist in vielerlei Hinsicht ein Sonderfall. In dem studentischen Digitalzusammenschluss existieren weder Profilseiten noch Nutzernamen: Alle posten anonym. Dennoch (oder vielleicht gerade deswegen) ist die App sehr erfolgreich. Bis auf die monetäre Seite, aber das wollen die Betreiber nun angehen.

4. Das Märchen von der magischen Manipulation
(spiegel.de, Sascha Lobo)
Sascha Lobo beschäftigt sich in seiner „Spiegel“-Kolumne mit dem Thema Online-Werbung. Das ist insofern interessant, dass Lobo selbst in der Werbung gearbeitet hat und eine „grundsolide Hassliebe“ zu diesem Thema pflegt. Lobo stellt die Messbarkeit von Werbung generell in Frage: „Es ist unzweifelhaft, dass Werbung wirkt und folglich auch Propaganda oder Manipulation wirken können – aber man kann anhand der Faktenlage leicht zum Schluss kommen, dass ehrlicherweise niemand mehr als eine sphärische Ahnung hat wie, wann und bei wem. Daran hat das ach so messbare Internet überraschend wenig geändert.“

5. Das schwierige Problem der Zugehörigkeit
(spektrum.de, Matthias Warkus)
Die Frage, ob „der Islam zu Deutschland gehört“, wird seit Jahren thematisiert. Auch die Politik hat sich dazu geäußert, ob Wolfgang Schäuble 2006 als Innenminister („Der Islam ist Teil Deutschlands.“), der seinerzeitige Bundespräsident Christian Wulff („Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.) oder jüngst Heimatminister Horst Seehofer mit seiner Aussage, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, die hier lebenden Muslime aber selbstverständlich schon.
Der Philosoph Matthias Warkus hält einen Satz über eine (vorhandene oder nicht vorhandene) Zugehörigkeit des Islam zu Deutschland für wenig zielführend: „Er hat seinen Sinn, wenn überhaupt, nicht als Behauptung, sondern als Aufforderung oder vielleicht bloß als Gefühlsäußerung. Wir sollten die Absichten diskutieren, die mit ihm unterlegt werden. Ihn auf Wahrheit zu prüfen, ist Zeitverschwendung.“

6. Hacker fangen Fitnessdaten von 150 Millionen App-Nutzern ab
(zeit.de)
Es ist noch gar nicht so lange her, dass die Fitnesstracking-App „Strava“ für negative Aufmerksamkeit sorgte, indem sie sensible Daten auf einer globalen Heatmap veröffentlichte. 
Nun stellt sich heraus, dass die Ernährungs- und Kalorienzähler-App “MyFitnessPal” des US-Sportartikelherstellers „Under Armour“ gehackt wurde. Dies betrifft die Daten von immerhin 150 Millionen Nutzern.

Rechte Abmahnwellen, Bildvergleich, Zynischer Armuts-Voyeurismus

1. Abmahnwelle setzt kritische Journalisten unter Druck
(uebermedien.de, Felix Huesmann)
Über Rechtsextremismus zu berichten, muss man sich leisten können: Die Gegenseite reagiert oft mit einer oder gleich mehreren Abmahnungen, deren Abwehr beträchtliche Kosten verursacht. Oftmals handelt es sich noch nicht mal um inhaltliche Fragen, sondern um Formalitäten. Das Ziel: Kritische Journalisten und Journalistinnen einzuschüchtern und mundtot zu machen. Felix Huesmann schreibt über ein Phänomen, das kleine wie große Verlage trifft und das für die Beteiligten existenzbedrohend sein kann.

2. Bildausfall
(spiegel.de, Arno Frank)
Als die USA 2011 einen Militäreinsatz gegen Osama bin Laden durchführten, gab es ein Foto von Barack Obama und seinem engsten Team aus dem sogenannten Situation Room. Als die USA unter Donald Trump eine ähnliche Aktion gegen den Anführer des sogenannten Islamischen Staats, Abu Bakr al-Baghdadi, durchführten, veröffentlichte das Weiße Haus ebenfalls ein Bild aus dem Situation Room. Arno Frank hat beide Bilder miteinander verglichen, die Unterschiede könnten nicht größer sein.
Weiterer Lesehinweis: Bei “Newsweek” erklärt der frühere Cheffotograf des Weißen Hauses unter Barack Obama, warum das Bild mit Trump inszeniert sein könnte.
Außerdem lesenswert: der Kommentar von Bernd Graff bei Süddeutsche.de: “Wenn man Zivilisation und Kultur für einen hauchdünnen Firnis über einer kaum gebändigten, rohen Natur hält, kann man in Trumps archaischer Schmährhetorik allem Geist, Idealismus und Humanismus beim Abblättern zusehen.”

3. Axel Springer: Üppige Vorstandsboni trotz Sparkurs
(kress.de, Markus Wiegand)
Mitarbeiter rausschmeißen und gleichzeitig exorbitante Vorstandsboni ausschütten — für den Axel-Springer-Verlag anscheinend kein Problem. “kress pro”-Chefredakteur Markus Wiegand kommentiert: “Man stelle sich allerdings nur kurz vor, was die hauseigene “Bild” über ein Management schreiben würde, das im nationalen Mediengeschäft Leute rauswirft, um 50 Millionen Euro zu sparen, und gleichzeitig schon mal eine ähnlich hohe Summe als Boni erfasst. Schön wär’s nicht.”
Zu den Springer-Vorstandsgehältern auch aus unserem Archiv: Unerwähnt, was der Springer-Boss pro Jahr verdient.

4. Facebook-Pläne sorgen für Skepsis
(deutschlandfunk.de, Annika Schneider, Audio: 4:57 Minuten)
Facebook will demnächst ein neues Nachrichtenangebot namens “Facebook News” starten. Dort soll es “ausschließlich Newsangebote geben von Partnern, die sich ausweisen können als akkreditierte journalistische Organisationen”. Für Verlage kann dies Vor- und Nachteile bringen: Kurzfristig könnten sie von eventuellen Ausschüttungen profitieren. Langfristig könnte sich das neue Angebot als weitere Bedrohung ihres Geschäftsmodells erweisen. Von möglicher übler Nachbarschaft ganz abgesehen: In den USA habe Facebook auch das ultrarechte Newsportal “Breitbart” als Quelle aufgenommen.

5. Wer schlampt, sieht Rot?
(taz.de, Alexander Graf)
Kann man ein journalistisches Gütesiegel ernst nehmen, bei dem Bild.de einen grünen Haken für “glaubwürdigen und transparenten Journalismus” bekommen hat? Obwohl die “Bild”-Journalistinnen und -Journalisten Informationen nicht “verantwortungsbewusst recherchieren und veröffentlichen”, wie in einer Unterkategorie festgestellt wird? Das muss wohl jeder für sich selbst entscheiden. Wobei Experten wie der Kommunikationswissenschaftler Philipp Müller von der Universität Mannheim eh bezweifeln, dass viele Menschen das Gütesiegel-Tool NewsGuard installieren werden.

6. Die Darstellung von Armut ist einfach nur zynisch
(tagesspiegel.de, Bernd Gäbler)
Mit als “Sozialreportagen” verkleideten Trash-TV-Stücken machen RTL und RTL2 Quote auf Kosten von Menschen, die es eh schon schwer im Leben haben. Bernd Gäbler hat sich die verantwortungslosen und voyeuristischen Formate näher angeschaut. Darunter Sendungen wie die mit dem ehemaligen Neuköllner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky und dem Ex-Comedy-Star Ilka Bessin (“Cindy aus Marzahn”).

KW10: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. Bromance auf dem Schrottkahn
(deutschlandfunkkultur.de, Timo Grampes, Audio: 9:18 Minuten)
In vier Folgen kann man derzeit auf Netflix verfolgen, wie der Heimwerker-Youtuber Fynn Kliemann und der Entertainer Olli Schulz das alte Hausboot des verstorbenen Sängers Gunter Gabriel wieder flottmachen. Die Medienwissenschaftlerin Maren Haffke hat sich die Mini-Serie angeschaut und legt einen Verriss zum Niederknien hin. Absolute Hörempfehlung!

2. Wolfgang M. Schmitt & Ole Nymoen, welche Ideologie verkörpern Influencer?
(influence.podigee.io, Alina Ludwig, Audio: 1:45:19 Stunden)
Wolfgang M. Schmitt und Ole Nymoen betreiben den kapitalismuskritischen Podcast “Wohlstand für alle”. Vor wenigen Tagen ist ihr Buch über Influencer erschienen: “Influencer – Die Ideologie der Werbekörper”. Die Expertin für Influencer-Marketing und Podcasterin Alina Ludwig hat sich die beiden in ihren Podcast eingeladen und spricht mit ihnen über die Kernthesen ihres Buchs.

3. Rechte Propaganda im Bürgerblatt
(youtube.com, Zapp, Video: 11:41 Minuten)
Ein ehemaliger Bundesvorsitzender des NPD-Jugendverbandes Junge Nationalisten und selbsternannter Nationalsozialist verteilt in seiner Gemeinde eine harmlos wirkende Postille: Das “Groß Kramser Blättchen”. Was ist die Strategie dahinter? Und was passiert, wenn die Nachbarn sich wehren? “Zapp”-Reporter Hans Jakob Rausch hat sich auf den Weg nach Groß Krams gemacht und mit den verschiedenen Seiten gesprochen.

Bildblog unterstuetzen

4. Geht der Clubhouse-Boom zu Ende?
(youtube.com, Christian Jakubetz, Video: 32:24 Minuten)
Die Chat-App Clubhouse erlebte für einige Zeit einen unglaublichen Hype. Viele Medien und Medienschaffende entdeckten Clubhouse für sich, die künstliche Verknappung durch das “Invite”-System steigerte die Attraktivität. Inzwischen hat sich die Aufregung etwas gelegt. Wie wird es mit der App weitergehen? Was dürfen wir generell von Social Audio erwarten? Darüber hat sich Christian Jakubetz mit dem Onlinejournalisten und Technologie-Experten Martin Hoffmann unterhalten. Nicht auf Clubhouse, sondern geradezu klassisch via Webcam.

5. Was macht gute Podcasts aus?
(netzpolitik.org, Ingo Dachwitz & Serafin Dinges, Audio: 45:02 Minuten)
Beim Hintergrund-Podcast von netzpolitik.org geht es – ganz metamäßig – um das Thema Podcasts: Was ist der Unterschied zwischen Feature-Podcasts und Laber-Podcasts? Wie unterhaltsam dürfen Info-Podcasts sein? Und welche Auswirkungen hat Spotify auf die freie Podcast-Szene?

6. So lächerlich blasen Medien das Interview auf
(youtube.com, Walulis Daily, Video: 7:39 Minuten)
Philipp Walulis schaut sich die Medienreaktionen auf das Oprah-Interview mit Meghan und Harry an. Wie immer mit dem satirischen Blick aufs Absurde.

Laschet beschäftigt Koch, “False Balance”, Trumps Deplatforming

1. Laschet engagiert Tanit Koch als Wahlkampfberaterin
(spiegel.de)
Der CDU-Vorsitzende und Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet hat die frühere “Bild”-Chefredakteurin Tanit Koch als Wahlkampfberaterin angeheuert. Sie soll nach dpa-Informationen Laschets Wahlkampfkommunikation leiten und dessen Pressearbeit koordinieren. Koch stand von 2016 bis 2018 an der Spitze der “Bild”-Zeitung, hatte sich jedoch mit ihrem Co-Chefredakteur Julian Reichelt überworfen und war zu RTL gewechselt. Wegen “unterschiedlicher Auffassungen über die künftige Struktur und den weiteren Weg” des Senders laufe ihr Vertrag dort Ende Juni aus.

2. Journalisten sollen einordnen
(deutschlandfunk.de, Marina Weisband, Audio: 4:08 Minuten)
Marina Weisband beschäftigt sich in ihrer aktuellen Kolumne mit dem Phänomen der “False Balance” und dem Schaden, den diese vermeintliche Ausgewogenheit anrichten kann: “Journalisten bemühen sich, alle Aspekte einer Sache zu beleuchten und verschiedene Seiten zu Wort kommen zu lassen – und können im Zweifel zu einer ‘False Balance’ beitragen. Das geschieht, wenn sie einen anderen Teil ihres Jobs vernachlässigen: das Einordnen. Es ist ihre Aufgabe, einzuordnen, wer von wissenschaftlichem Konsens gedeckt ist, wer echte Expertise und Relevanz im Konflikt hat – und wer nur Bücher verkaufen will.”

3. Fair und transparent im digitalen Wahlkampf
(verdi.de, Julia Hoffmann)
Ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis fordert die Parteien dazu auf, im Bundestagswahlkampf 2021 die Vorgaben eines “Leitfadens für Digitale Demokratie” einzuhalten. Zu den Unterzeichnern zählen Organisationen wie der DGB, die dju, Reporter ohne Grenzen, Transparency International, LobbyControl, Wikimedia Deutschland und die Stiftung Neue Verantwortung (SNV). Julian Jaursch, Projektleiter “Stärkung digitaler Öffentlichkeit” bei der SNV, erläutert die Vorschläge für einen demokratischen und fairen Digitalwahlkampf.

Bildblog unterstuetzen

4. Anglizismen sind besser als ihr Ruf
(jetzt.de, Leonie Sanke)
Englischsprachige Begriffe in deutschen Sätzen sind bei vielen verpönt, um nicht zu sagen: ein No-Go. Dabei machen sie unsere Sprache einfach nicer, findet Leonie Sanke. Und für alle, die das nicht so sehen, hat sie einen Tipp: “Vielleicht versöhnt es ja manche, die sich um die Reinheit der deutschen Sprache gebracht fühlen, daran zu erinnern, dass englischsprachige Menschen sich auch gerne mal deutsche Wörter ausleihen: ‘Weltschmerz’, ‘Schadenfreude’ oder ‘Hinterland’ zum Beispiel. Tolle Wörter sollten einfach allen gehören.”

5. Trump erreicht nur noch selten die alte Lautstärke
(netzpolitik.org, Markus Reuter)
Die “New York Times” ist der Frage nachgegangen, wie sich das Deplatforming im Fall von Donald Trump ausgewirkt hat. Die Redaktion hat in einer Datenanalyse untersucht, wie Trump vor und nach seiner Sperre seine Botschaften in den Sozialen Medien verbreiten konnte. Markus Reuter fasst die Ergebnisse zusammen und stellt am Ende fest: “Die oft rassistischen, hetzerischen und inhaltlich falschen Botschaften von Trump haben genügend Anlass geboten, die eine Sperrung nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Plattformen rechtfertigen. Trump war vor seiner Sperrung von diesen Regeln ausgenommen und wurde damit anders behandelt als gewöhnliche Nutzer:innen.”

6. Khaby Lame – ein Influencer ohne Filter
(rnd.de, Geraldine Oetken)
Zum Schluss noch etwas leichte Kost: Der 21-jährige Khaby Lame entwickelte sich dank seiner komischen Kurzvideos mit persiflierten Lifehacks binnen kürzester Zeit zum Influencer mit dem weltweit größten Zuwachs. Geraldine Oetken stellt ihn vor.

K.

Dies ist die Geschichte von Christoph K. In “Bild” trägt sie die Überschrift: “Ich wurde krank gemobbt”, aber sie könnte genauso gut heißen: “Diese Deppen haben einfach meinen Namen genannt”.

Die Geschichte geht laut “Bild” so: Christoph K. war Beamter. Als ein Kollege im Dienst private Geschäfte erledigte, erstattete K. Anzeige beim Arbeitsamt und bat um Vertraulichkeit. Doch das Arbeitsamt schrieb an seine Dienststelle und nannte seinen Namen. Und Christoph K. wurde gemobbt, erkrankte, wurde aus dem Staatsdienst entlassen. “Heute lebt er allein und ohne Perspektive”, schreibt “Bild”.

Jetzt hat er sich offenbar gegenüber “Bild” geäußert. Die Zeitung zeigt ihn groß im Bild, nennt ihn aber immer nur Christoph K. Wir wissen nicht, warum sie das tut. Ob das rechtliche Hintergründe hat. Oder ob er ausdrücklich darum gebeten hat. Aber wenn es etwas gibt, in dem “Bild” ganz besonders schlecht ist, dann ist es bekanntlich, Namen nicht zu nennen.

“Bild” dokumentiert in Auszügen den Brief, in dem sich der Bundesbeauftragte für den Datenschutz dafür entschuldigt, dass der Name von Herrn K. bekannt gemacht wurde. In dem großen Ausriss, den “Bild” zeigt, steht gleich zweimal der Nachname von Herrn K.: komplett, nicht abgekürzt und in keiner Weise unkenntlich gemacht.

Man könnte sagen, dass keine Fehler so schlimm sind wie mangelhafte Anonymisierungen von Opfern oder Beteiligten — weil sie nicht korrigiert werden können. Man könnte deshalb annehmen, dass Redaktionen sich besondere Mühe geben, diese Art von Fehlern zu vermeiden. Bei “Bild” gibt es keine Anzeichen für solche Sorgfalt, im Gegenteil.

Vorgestern berichtete die Zeitung über einen anderen Fall: Ein Mann mit tragischem Schicksal hat sich das Leben genommen. Auch bei Bild.de erschien der Artikel. Anscheinend zum Schutz der Angehörigen war der Nachname des Mannes abgekürzt, der Vorname seiner Freundin “von der Redaktion geändert”, ihr Gesicht auf einem gemeinsamen Foto unkenntlich gemacht. Und mitten in diesen Artikel setzte Bild.de einen Kasten, der dazu aufforderte, einen neun Monate alten Text aus dem Bild.de-Archiv zu lesen. Und darin steht auch jetzt noch alles: Der Nachname, der richtige Vorname der Freundin, dasselbe Foto von den beiden zusammen, nur ohne jede Verfremdung.

Danke an Torsten W. für Hinweis und Scan!

Mangels journalistischem Können

Vielleicht hatte dieser BILDblog-Eintrag einfach zu viele Fremdwörter. Vielleicht enthielt er zu viele Kommas, vielleicht waren die Sätze zu lang. Bild.de hat es jedenfalls immer noch nicht begriffen. Versuchen wir es also einfacher.

Hallo? Bild.de? Dieser Artikel von Euch aus der vorigen Woche ist falsch.

Der neue James-Bond-Darsteller Daniel Craig hat — anders als Ihr schreibt — kein Problem mit seinem neuen Aston Martin DBS. Sondern mit dem alten Aston Martin DB5. Der hat nämlich nur Schaltgetriebe. Und Daniel Craig fährt nur Automatik. Er bekommt aber — anders als Ihr schreibt — deshalb jetzt keine Fahrstunden. Nein: Der alte DB5 wird umgebaut.

Wir kommen nur deshalb auf diese alte Geschichte zurück, weil Bild.de gestern in einem Artikel auf die unkorrigierte Falschmeldung von letzter Woche verwies. Und es dabei schaffte, den Fehler von damals mit gleich mehreren neuen Fehlern zu kombinieren. Bild.de schreibt,

daß der neue Bond – mangels fahrerischem Können (wir berichteten) – von einem schnittigen Aston Martin auf eine Familienkutsche (einen Ford Mondeo) umsteigt.

Die Formulierung “mangels fahrerischem Können” ist nicht nur grammatisch falsch. James Bond fährt im neuen Film deshalb einen Ford Mondeo, weil Ford dafür sehr, sehr, sehr viel Geld bezahlt. (Die britische Boulevardzeitung “The Sun” behauptet, es seien fast 14 Millionen Pfund, umgerechnet rund 20 Millionen Euro.) Auch der Mondeo muss laut “Sun” für den Automatik-Fahrer umgebaut werden, was die Formulierung von Bild.de endgültig absurd macht. Und schließlich wird Craig in dem Bond-Film den Mondeo nicht statt der Aston Martins fahren, sondern zusätzlich.

Ah, sorry…

Hallo? Bild.de? Einfach gesagt: Auch dieser Artikel von Euch ist falsch.

Nachtrag, 13.15 Uhr. Na also. Man muss es nur einfach genug erklären. Bild.de hat aus dem aktuellen Artikel den Satz über die Autos ersatzlos gestrichen. Im alten Artikel hat Bild.de wenigstens die falsche Modellbezeichnung “DBS” in “DB5” geändert, alle anderen Fehler aber belassen.

Über die Kreditwürdigkeit von “Bild”

Das Schöne an exklusiven Vorabmeldungen der “Bild”-Zeitung für nachrichtenhungrige Agenturen und Online-Medien ist, dass sie aus ihnen regelmäßig zwei Geschichten machen können. Eine, in der sie die “Bild”-Informationen weiterverbreiten. Und kurz darauf eine weitere, in der sie die “Bild”-Informationen richtigstellen.

Das hier ist auch so ein Fall. Gestern berichtete “Bild”-Chefreporterin Verena Köttker:

188 Milliarden Risiko-Kredite bei deutschen Banken!

Bonn — Bei den Banken in Deutschland schlummern Risiken in dreistelliger Milliardenhöhe! Nach internen, vorläufigen Zahlen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) beliefen sich die “faulen Kredite” im vergangenen Jahr insgesamt auf rund 188 Milliarden Euro. (…)

Die Nachrichtenagenturen AP und ddp machten daraus schon am Sonntagmittag Meldungen. Die “Bild”-Behauptung wurde wie üblich ungeprüft von diversen OnlineMedien übernommen und fand sich am Montag unter anderem in der “Financial Times Deutschland” — ohne den relativierenden Zusatz von AP: “Bei der BaFin war am Sonntag zunächst niemand für eine Stellungnahme erreichbar.”

An der “Bild”-Meldung stimmt nicht viel. Die 188 Milliarden Euro beziehen sich nicht auf das vergangene Jahr, sondern auf 2005. Es handelt sich nicht um eine “interne, vorläufige Zahlen”, sondern eine Angabe aus dem BaFin-Geschäftsbericht 2006 (Seite 131, pdf). Der ist bereits im Mai dieses Jahres veröffentlicht worden, und auch die 188 Milliarden Euro sind seitdem nicht unentdeckt geblieben: Der NDR zum Beispiel nannte sie in einem Bericht am 30. Mai 2007.

Und auch der Eindruck, den “Bild”, AP und ddp wecken, dass es sich bei den 188 Milliarden um eine besonders hohe Zahl handele, ist falsch. Der BaFin-Geschäftsbericht (siehe Ausriss) zeigt, dass sie einem deutlichen Rückgang gegenüber den Vorjahren entspricht.

Am Montagvormittag hatten die Agenturen dann endlich jemanden bei der BaFin für eine Stellungnahme erreicht. Eine Sprecherin sagte, dass sich die “faulen Kredite” nach vorläufigen Berechnungen 2006 sogar nur noch auf 150 Milliarden Euro beliefen — das ist der niedrigste Stand seit acht Jahren.

Und AP und ddp meldeten plötzlich, irgendwie unter Bezug auf “Bild” und gleichzeitig als Korrektur: “Volumen notleidender Kredite bei deutschen Banken gesunken” und “Weniger faule Kredite bei deutschen Banken”.

Mit Dank an Alexander N. und die “Süddeutsche Zeitung”.

Verpixelte Panik

Was haben diese drei gemeinsam? Wer sie kennt, erkennt sie sofort.

Soviel dazu. Und Schluss mit lustig.

Denn “Bild” berichtet heute in großer Aufmachung und mit vielen Fotos von einem “Amoklauf im Berliner Hauptbahnhof”:

Ein 26-jähriger Mann hat gestern dem Kellner eines Cafés zwei Stunden lang ein Messer an die Kehle gedrückt. (…) Der panische Blick der Geisel auf die scharfe Klinge lässt viele Augenzeugen erschaudern.

TODESANGST!

So steht’s im Pressekodex
 
(…) Bei der Berichterstattung über Unglücksfälle, Straftaten, Ermittlungs- und Gerichtsverfahren (…) veröffentlicht die Presse in der Regel keine Informationen in Wort und Bild, die eine Identifizierung von Opfern und Tätern ermöglichen würden.

(…) Immer ist zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen abzuwägen.

(…) Liegen Anhaltspunkte für eine mögliche Schuldunfähigkeit eines Täters oder Tatverdächtigen vor, sollen Namensnennung und Abbildung unterbleiben.

(…) Die vom Unglück Betroffenen dürfen grundsätzlich durch die Darstellung nicht ein zweites Mal zu Opfern werden.

(Aus den Richtlinien 8.1 und 11.3)

Ein Großteil der Fotos, die den ganzseitigen Artikel illustrieren, dokumentiert das Beschriebene. Wir sehen: einen Mann mit einem Messer, der einen anderen Mann im Würgegriff hat. Und auf allen Fotos zeigt “Bild” den Mann mit dem Messer, ohne ihn irgendwie unkenntlich zu machen, was nicht schön, aber laut Pressekodex gerechtfertigt sein könnte (siehe Kasten) oder auch nicht (siehe Kasten). Schließlich hatte der Mann laut “Bild” “offenbar Kokain geschnupft” und wurde “in eine Psychoklinik eingewiesen”.

Aber die Anonymisierungspraxis in “Bild” ist ohnehin undurchschaubar. Und einfallsreich zugleich: mal Verpixelungen, mal kleine, mal größere schwarze Balken über der Augen- oder schwarze Kreise über der Gesichtspartie, mal vollständiges Weißen kompletter Silhouetten… Doch wer heute anonymisiert wird, muss schon morgen damit rechnen, dass “Bild” darauf verzichtet, und umgekehrt. Und es vergeht kaum ein Tag, an dem “Bild” nicht Menschen zur Schau stellt (Opfer, Täter, Betroffene), obwohl berechtigte Zweifel bestehen, ob “Bild” das darf. Erfahrungsgemäß zeigt “Bild” lieber zu viel als zu wenig. Zudem gab es in der Vergangenheit wiederholt Fälle, in denen “Bild”-Anonymisierungen vom Presserat als unzureichend beanstandet wurden.

Und den Mann im Würgegriff des Geiselnehmers am Berliner Hauptbahnhof (“Bild” nennt nicht nur seinen Beruf, sondern auch Vornamen, Alter und Arbeitsplatz) hat “Bild” auf den vielen Fotos, die ihn in “Todesangst” zeigen, unkenntlich gemacht — und zwar ziemlich genau so, wie wir das auf obigen Fotos demonstrieren.

Nachtrag, 23.11.2007: Auch heute zeigt “Bild” wieder Fotos der Geiselnahme — diesesmal jedoch ohne jegliche Unkenntlichmachung, die ja für gewöhnlich dem Schutz der Persönlichkeit des Abgebildeten dienen soll. Was das Opfer anbelangt, ist “Bild” deswegen heute (anders als gestern bei der weniger als halbherzigen Verpixelung seiner Augenpartie) wohl nichts vorzuwerfen, denn: “In BILD spricht er jetzt exklusiv über den Horror, über die wirren Gedanken des Täters, über die Liebe, die ihn stark machte.” Über den Täter wird inzwischen berichtet, dass er möglicherweise wegen Wahnvorstellungen, die eventuell durch Betäubungsmittel verstärkt worden waren, schuldunfähig gewesen und vom Ermittlungsrichter in eine psychiatrische Klinik eingewiesen worden sei. Grund genug also, noch einmal aus dem Pressekodex zu zitieren: “Liegen Anhaltspunkte für eine mögliche Schuldunfähigkeit eines Täters oder Tatverdächtigen vor, sollen Namensnennung und Abbildung unterbleiben.”

“Bild” setzt spezielle Schwerpunkte

Frau und Mann lernen sich kennen. Frau schickt Mann Nacktfotos. Mann droht, Nacktfotos ins Internet zu stellen. Frau zahlt Geld, damit das nicht passiert. Frau zeigt Mann an. Es kommt zum Prozess. Das Urteil: 15 Monate auf Bewährung wegen Erpressung.

So nüchtern könnte man den Fall beschreiben, der vor wenigen Tagen vor dem Amtsgericht Dresden verhandelt wurde. Ob der Mann und die Frau groß oder klein sind, dick oder dünn, kurze Nasen und große Füße oder kleine Hände und ein orangenes Gesicht haben, ist dabei völlig irrelevant. Große und Dicke können genauso wie Dünne und Kleine Nacktfotos machen, sie verschicken, drohen, sie ins Internet zu stellen, Leute damit erpressen.

Die Fat-Shaming-Abteilung bei Bild.de und der Dresden-Ausgabe der “Bild”-Zeitung fanden die Figuren der beiden Protagonisten aber offenbar doch ziemlich wichtig im Zusammenhang mit der Verhandlung.

Die dämlichen Witzeleien fangen schon in der Dachzeile an …

ERST DICKE LIEBE, DANN FETTE ERPRESSUNG - ER wollte IHRE Sex-Bilder ins Internet stellen

… gehen im Artikeleinstieg direkt weiter …

Eine dicke Internet-Liebe endete am Dienstag in einem schmutzigen Prozess vor dem Amtsgericht Dresden.

… und schaffen es bis in die Bildunterschrift:

Einst dicke verliebt, jetzt einfach nur dicke Feinde: Ingmar K. (36) und Renate M. (43, Name geändert)

Eine weitere Bildunterschrift nutzen “Bild” und Bild.de, um den Lesern noch einmal klarzumachen, wie die Figur des Angeklagten zu bewerten ist:

Schwergewicht Ingmar K. (36) entschuldigte sich bei seiner Ex-Freundin

Und für alle, die es bis hierhin immer noch nicht geschnallt haben, schreibt der Autor im Text:

2014 hatte Ingmar K. die ebenfalls arbeitslose Renate M.* (43, Name geändert) aus Dresden im Internet kennen gelernt. Beide sind schwer übergewichtig, bringen locker zusammen über 300 Kilo auf die Waage.

Komisch — wir wussten bisher gar nicht, dass auch das Körpergewicht einer angeklagten Person bei einem Gerichtsprozess eine Rolle spielt.

Mit Dank an Thomas A. für den Hinweis!

Hessische Depesche, Inszenierte Scheiße, “Bilds” Abschiebefeier

1. Netzwerk in Unruhe
(journalist-magazin.de, Lars Radau)
Im umstrittenen, rechtslastigen “Depeschen”-Netzwerk mit Ausgaben für Hessen, Sachsen, Bayern und das Gebiet um die Saar rumore es gewaltig: Zuständigkeiten würden wechseln, Fake-Autoren verschwinden, und eine dubiose Firma hätte die Mehrheit übernommen. Lars Radau hat näher hingeschaut.

2. Wirkt der Kampf gegen Fake News auf Facebook überhaupt?
(wired.de, Benedikt Plass-Fleßenkämper)
Im Kampf gegen die sogenannten “Fake News” hat Facebook externe Faktenprüfer mit der Begutachtung beauftragt. Falsche Inhalte sollen von den Prüfern mit Fake-News-Markierungen gekennzeichnet werden (in Deutschland erledigt dies das Portal “Correctiv”.) Nun hat eine neue Studie der Yale University ergeben, dass diese Markierungen praktisch keinen Einfluss hätten. Die Fake-News-Initiative habe ganz im Gegenteil eine negative Auswirkung, denn sie führe zu einem höheren Vertrauen der Nutzer in unmarkierte Inhalte.

3. Lokaljournalismus, diese inszenierte Scheiße
(der-freigeber.de, Jens Brehl)
Der freie Journalist Jens Brehl schreibt sich den Frust von der Seele. Während manche Journalisten sich die Mühe machen würden, Pressetermine von Unternehmen wahrzunehmen und danach aus eigener Perspektive zu berichten, würden sich einige Kollegen die Arbeit leicht machen und ungeprüft PR-Texte übernehmen: “Mich widert diese Praxis zunehmend an. Mit einher schwingt mein Groll, wenn ich bei einer Veranstaltung Stunden verbringe, Interviews führe, Vorträge komplett verfolge und hinterher andere Medien in ihrem Bericht nicht erwähnen, dass sie gerade einmal eine halbe Stunde oder eben gar nicht vor Ort waren.”

4. Auf welche Medien verlinken die Parteien?
(faktenfinder.tagesschau.de, Fiete Stegers)
Auf welche Medien verlinken die Parteien? Der “Faktenfinder” der “Tagesschau” hat die von den Facebook-Seiten der sieben Parteien AfD, CDU, CSU, FDP, Grüne, Linke und SPD veröffentlichten Einträge analysiert und sich die Posts von jeweils fünf Spitzenpolitikern je Partei angeschaut. Die Auswertung zeige, dass “Welt”, “Spiegel” und “Focus” bei den Parteien vorn liegen. Auch die “Junge Freiheit” sei unter den ersten zehn Medien — dank der AfD.

5. Hetze klickt sich gut
(taz.de, Anna Böcker)
Gestern gab es wieder Abschiebungen nach Afghanistan, acht Personen sind nach Kabul ausgeflogen worden. Bei “Bild” konnte man von einem “Abschiebe-Flieger voller Sex-Täter” lesen. Anna Böcker kommentiert in der “taz”: “Bei der Bild wird aus einer Handvoll Straftäter ein Flugzeug voller “Sex-Täter”. In den Kommentaren wird lamentiert, dass zu wenige Flüchtlinge abgeschoben würden. Das nennt man dann wohl gelungene Leser-Blatt-Bindung.”

6. Deutscher Yellowpress-Verlag muss Millionen an Rebel Wilson zahlen
(spiegel.de)
Der Medienkonzern “Bauer” wurde in Australien zu einer Entschädigungssumme von drei Millionen Euro verdonnert. Dies sei die größte Entschädigungszahlung, die in der Rechtsgeschichte Australiens jemals verfügt wurde. Der Hintergrund: Australische Yellow-Press-Gazetten aus dem Hause “Bauer” hatten verleumderische Artikel über die australische Schauspielerin, Drehbuchautorin und Filmproduzentin Rebel Wilson veröffentlicht.

Das Seemannsgarn der Rechten, Kein Recht auf Vergessen, Hetzersperre

1. Ich war selbst an Seenotrettungen beteiligt – Glaubt nicht diesen 6 Lügen der Rechten
(volksverpetzer.de, Johann Pätzold)
Johann Pätzold war selbst an Seenotrettungen beteiligt und weiß insofern, wovon er spricht, wenn er kompakt und gut lesbar mit den sechs am stärksten verbreiteten politischen Mythen dazu aufräumt. Seine persönliche Geschichte hat Pätzold in längerer Form hier aufgeschrieben.

2. Kein Recht auf Vergessen
(taz.de, Christian Rath)
Die zwei Halbbrüder, die 1993 wegen Mordes an dem bekannten bayerischen Schauspieler Walter Sedlmayr zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt wurden, haben ihre Klage beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof verloren: Die Online-Archive von Rundfunkanstalten und anderen Medien sind nicht verpflichtet, nachträglich die Namen der beiden 2007 und 2008 aus der Haft entlassenen Männer zu tilgen.

3. Google muss Ein-Sterne-Negativ-Bewertung löschen
(zeit.de)
Online abgegebene Ärzte-Bewertungen sind immer wieder Gegenstand juristischer Auseinandersetzungen. Im vorliegenden Fall muss Google eine Ein-Sterne-Bewertung streichen lassen, die auch bei Google Maps erscheint. Die nicht näher begründete Bewertung sei geeignet, das Ansehen des Arztes negativ zu beeinflussen.

4. Verbrechen gegen Journalisten verfolgen
(reporter-ohne-grenzen.de)
Reporter ohne Grenzen (ROG) fordert die künftige mexikanische Regierung auf, Verbrechen gegen Journalisten konsequenter zu verfolgen: “Die Kultur der Straflosigkeit führt dazu, dass die Täter sich zu immer neuen Verbrechen gegen Journalisten ermutigt fühlen. Pressefreiheit ist nur gewährleistet, wenn Journalisten in Sicherheit und ohne Angst vor Gewalt arbeiten können.” Hintergrund sind die vielen Gewalttaten gegen Journalisten vor der anstehenden Präsidentschaftswahl. Zwischen Januar und Mai 2018 seien 45 Journalisten in Zusammenhang mit ihrer Wahlberichterstattung angegriffen worden. Fünf Medienschaffende seien gewaltsam ums Leben gekommen.

5. Facebook darf Hetzer aussperren
(spiegel.de)
Ein Facebook-Nutzer hat in mindestens hundert Fällen unter anderem Postings von Politikern und Medien mit folgendem Satz kommentiert: “Flüchtlinge: So lange internieren, bis sie freiwillig das Land verlassen!” Als er von Facebook für 30 Tage gesperrt wurde, klagte er dagegen mit dem Standardargument aller Hasskommentierer: Er mache nur vom Grundrecht der Meinungsfreiheit Gebrauch. Das Landgericht Karlsruhe hat seinen Antrag jedoch zurückgewiesen, die Sperre war rechtens. 


6. Wohnungen statt Zeitungsredaktionen
(fr.de, Claus-Jürgen Göpfert)
Claus-Jürgen Göpfert schreibt über einen bevorstehenden Einschnitt in der Frankfurter Stadtgeschichte: Das alte Zeitungsviertel steht vor der Auflösung. 2021 wird die “FAZ” mit ihren rund 1000 Beschäftigten ins Europaviertel umziehen. Doch der Umbruch vom früheren Industrieviertel hin zum modernen Dienstleistungsquartier sei schon jetzt in vollem Gange.

Die differenzierte Abschiebe-Debatte in “Bild” – wenn es um Deutsche geht

Bei kaum einem Thema ist die “Bild”-Redaktion so leidenschaftlich wie bei der Abschiebung von Gefährdern, Terrorverdächtigen und Terroristen aus Deutschland in deren jeweilige Herkunftsländer. Wobei, genauer: Vor allem bei Problemen bei diesen Abschiebungen wird sie richtig energisch.

Ausriss Bild-Titelseite - Warum darf so einer bleiben? Schiebt den Bin-Laden-Leibwächter jetzt endlich ab
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)

… allerdings, das nur am Rande, ist nie endgültig bewiesen worden, dass Sami A. tatsächlich Leibwächter von Osama bin Laden war.

Oder bei diesen Fällen:

Ausriss Bild-Titelseite - Nach Bin Ladens Leibwächter der nächste Abschiebe-Skandal um einen Terroristen - Und wir werden sie einfach nicht los

Screenshot Bild.de - Neuer Abschiebe-Skandal - Auch dieser Gefährder genießt Schutzstatus

Ihn haben die Behörden als Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung eingestuft — und dennoch darf er bei uns bleiben. Ein neuer Abschiebe-Skandal, der wütend macht! (…)

Der Vorwurf gegen ihn: Er soll ISIS-Mitglied sein.

Screenshot Bild.de - Obwohl sie ausreisepflichtig sind - NRW kann 16 Dschihadisten nicht abschieben
Ausriss Bild-Zeitung - Und diese Gefährder sind immer noch hier!

Es müssen aber gar nicht unbedingt Gefährder oder (mögliche) Terroristen sein — es reichen kriminelle Ausländer. Klappen deren Abschiebungen aus Deutschland nicht, wird die “Bild”-Redaktion sogar zur Aktivisten-Truppe:

Screenshot Bild.de - Unterschreiben sie hier die Bild-Petition - Merkel soll Abschiebung zur Chefsache machen! Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, erklären Sie Abschiebungen von ausreisepflichtigen Kriminellen jetzt zur Chefsache

Eines der wichtigsten Probleme sind die Abschiebungen von ausreisepflichtigen Kriminellen. Das Problem: Jedes Bundesland handhabt die Abschiebung unterschiedlich – während einige Länder die Lage im Griff haben, scheinen andere überfordert.

Deshalb fordert BILD: Das muss Chefsache im Kanzleramt werden!

Wenn Sie das auch wollen: Schreiben Sie eine E-Mail an BILD ([email protected]) mit Ihrem Namen und Ihrer Adresse.

BILD wird Ihre Botschaften im Kanzleramt überreichen. Und Druck machen.

… was ja übersetzt so viel heißt wie: Schiebt die endlich ab!

Wenn dieses Vorhaben dann an den Herkunftsländern scheitert, weil diese nicht wollen oder die Vorgänge verzögern, sind sie bei “Bild” genervt, beleidigt oder sauer:

Screenshot Bild.de - Innere Unsicherheit - Kein Pass, keine Abschiebung

Bis zu 1000 deutsche Bundeswehr-Soldaten sind in Mali stationiert.

Sie helfen wie selbstverständlich, das afrikanische Land zu sichern. Will Deutschland aber Asylbewerber in ihre malinesische Heimat abschieben, stellt sich das Land quer, dauert eine Abschiebung Monate!

(Nur nebenbei: Es heißt “malische Heimat”.)

Ein anderer Fall:

Ausriss Bild-Zeitung - Der Asylantrag von Mortaza D. wurde bereits 2010 abgelehnt - Afghanistan schickt Verbrecher zurück nach Deutshcland

Einmal Kabul — und zurück!

Afghanistan hat einen Straftäter, der aus Deutschland abgeschoben wurde, wieder zurückgeschickt.

Screenshot Bild.de - Kommentar - Afghanistan und Abschiebungen

Es mag eine Ausnahme sein, dass Afghanistan einen Verbrecher nach Deutschland zurückschickt, der schon nach Kabul abgeschoben worden ist.

Keine Ausnahme ist, dass sich das Land am Hindukusch regelmäßig bei Abschiebungen querstellt.

Nun sitzen derzeit in Nord-Syrien und im Irak mehrere Dutzend Deutsche, die sich einst dem sogenannten “Islamischen Staat” angeschlossen haben, in Gefängnissen. Und bei Bild.de ist es plötzlich nicht mehr so glasklar, dass ein Herkunftsland Terroristen oder Terrorverdächtige oder Gefährder oder kriminelle Ausländer zurücknehmen muss. Stattdessen soll erstmal diskutiert werden:

Screenshot Bild.de - Zurückholen oder dort lassen? Was tun mit deutschen ISIS-Mitgliedern?

Die “Bild”-Leserinnen und -Leser, die bei Facebook jede abgebrochene Abschiebung aus Deutschland mit “Raus mit denen” oder “Ab in den nächsten Flieger” kommentieren, sehen die Sache auf einmal auch etwas anders: Die Umfrage am Ende des Bild.de-Artikels “Sollen wir die deutschen ISIS-Mitglieder zurückholen?” beantworten über 70 Prozent mit: “Nein, sie dürften unter keinen Umständen zurück”.

Unter Beschuss, Warten auf die Elche, Klimadatenjournalismus

1. Berichterstattung unter Beschuss
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers & Tim Aßmann & Sebastian Wellendorf, Audio: 6:25 Minuten)
Die Arbeitsbedingungen für Korrespondentinnen und Korrespondenten, die aus Israel berichten, haben sich seit den aktuellen Raketenangriffen der Hamas massiv verändert. Tim Aßmann, Leiter des ARD-Hörfunkstudios in Tel Aviv, erinnert sich an eine ähnliche Situation im Jahr 2014, doch die aktuellen Angriffe würden eine “neue Qualität” darstellen: “Auch für uns ist das eine außergewöhnliche Situation.”
Weiterer Lesetipp: Der Journalistenverband Foreign Press Association und die Organisation Reporter ohne Grenzen kritisieren den israelischen Luftangriff auf Medienbüros in Gaza (rnd.de).

2. Warten auf die Elche
(taz.de, Reinhard Wolff)
In Schweden und Norwegen erfreut sich das sogenannte Slow-TV großer Beliebtheit. Darunter fallen Dauersendungen aus dem Wald und abgefilmte Fahrten mit Bahn sowie Schiff. In Norwegen habe es bislang 27 solcher Slow-TV-Sendungen gegeben: Vom 18-stündigen Lachsfischen, bei dem es drei Stunden dauerte, bis der erste Lachs anbeißen wollte, über einen Strick­abend bis zum Zug einer Rentierherde. Und auch die Schweden finden Gefallen an der Langsamkeit und produzieren ähnliche Langformate. Reinhard Wolff geht der Frage nach, warum Slow-TV gerade in den skandinavischen Ländern so beliebt ist.

3. Dokus im Dritten: So geht gutes Regionalfernsehen, macht mehr davon!
(dwdl.de, Peer Schader)
Aufbruch im Osten, Geflüchteten-Integration in Hessen, Kampf mit der Armut in Baden-Württemberg … Peer Schader stellt in seiner “DWDL”-Kolumne einige besonders gelungene Regional-Reportagen und Dokus der (öffentlich-rechtlichen) dritten Fernsehprogramme vor: “Alle diese Sendungen sind Beispiele dafür, was regionales Fernsehen zu leisten vermag, wenn es nicht bis zur Unkenntlichkeit durchformatiert worden ist und Autorinnen bzw. Autoren die Freiheit lässt, Menschen einfach erzählen zu lassen; und zwar nicht bloß, weil die vorher am lautesten geschrien haben.”

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4. Klimadatenjournalismus
(klimajournalismus.substack.com, Lorenz Matzat)
Für Lorenz Matzat stellt die Covid-19-Pandemie eine Zäsur für den Datenjournalismus dar: “Markierten die Afghanistan War Logs von 2010 quasi die Geburtsstunde des data-driven-journalism, hat er es zehn Jahre später tagtäglich auf die Start- und Titelseiten geschafft. Waren zuvor Graphen und Tabellen nur im Sport und bei der Börse sowie Kartenvisualisierungen im Wetter täglich wiederkehrender Bestandteil, sind jetzt Dashboards, Graphen, Diagramme und Karten zu Infektionszahlen & Co. normal geworden.”

5. Reporter der Deutschen Welle zu Haftstrafe verurteilt
(sueddeutsche.de)
In Belarus ist ein freier Journalist und Korrespondent der Deutschen Welle zu 20 Tagen Haft verurteilt worden. Alexander Burakow habe über einen Prozess gegen Oppositionspolitiker berichten wollen und mit anderen Medienvertretern vor einem Gerichtsgebäude gewartet. Dies sei ihm als verbotene und “erneute Teilnahme an einem nicht autorisierten Ereignis” ausgelegt worden.

6. Fünf Tipps für Ihr Fernseh-Fest: Nicht nachmachen!
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Das ARD-Servicemagazin “Live nach neun” hat dieser Tage Geburtstag gefeiert. Dabei spielten sich einige, nun ja, befremdliche Szenen ab. Boris Rosenkranz versucht bei “Übermedien”, dem Ganzen etwas Gutes abzugewinnen, und hat daraus fünf (nicht ganz ernst gemeinte) “Tipps für Ihr Fernseh-Fest” gebastelt.

Bild  

“Im Folgenden hören Sie einen Kommentar von Julian Reichelt”

Das war schon praktisch für die selbsternannten “Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes”, kurz: “Pegida”. Sie mussten bei ihren islamfeindlichen Veranstaltungen einfach nur ausgeschnittene Seiten aus der “Bild”-Zeitung aufhängen und konnten sich den Plakatdruck sparen:

Screenshot eines Tweets von Patrick Bahners - Plakatdruck gespart: Pegida München hängt die Bild-Zeitung aus.

Das ist schon praktisch für die selbsternannten “Querdenker”. Sie müssen bei ihren Demonstrationen gar nicht selbst Reden halten, sondern können einfach die “Bild-TV”-Kommentare von Chefredakteur Julian Reichelt abspielen.

Gestern gab es in Dresden einen kleinen “Querdenker”-Aufmarsch. Eine Szene wurde in einem kurzen Video festgehalten: Ein Redner erzählt erst einen, tja, Witz übers Impfen und sagt dann:

Im Folgenden hören Sie einen Kommentar von “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt vom 12.08.2021.

Und dann legt Reichelt los:

Der Staat hat kein Recht mehr, zu regulieren, wie wir leben.

Die Videoaufnahme ist dann leider schon zu Ende. Es klingt aber so, als werde der Reichelt-Kommentar von den “Querdenkern” noch weiter abgespielt – es ist zu hören, wie Reichelt zum nächsten Satz ansetzt. Offenbar handelt es sich dabei um die Tonspur eines Videos, das im “Bild”-Youtube-Kanal zu finden ist, ein Zusammenschnitt eines “Bild-live”-Auftritts von Reichelt und “Bild”-Meinungschef Filipp Piatov.

Julian Reichelt erzählt darin, dass man “uns” “zwingt und gängelt”, dass der Staat mit “uns” “wie mit Verfügungsmasse” umspringe, dass Angela Merkel “das große Projekt Impfen” vor allem für “ihre Rolle in den Geschichtsbüchern” angehe. Filipp Piatov behauptet, dass man “bei der Bundesregierung” den Eindruck habe, “man will gar nicht heraus” aus der Corona-Pandemie. Stattdessen erzähle die Regierung “Märchen”.

Zwischendruch blendet die “Bild”-Redaktion einen Bildtrenner ein: “Wir sagen, was Deutschland denkt”. Zumindest bezogen auf diese “Querdenker”-Demo gestern in Dresden stimmt das.

Dazu auch:

Bildblog unterstuetzen

neu  

Die halbe Geschichte vom tierlieben Schläger

Es ist eine herzerweichende Geschichte, die die “Bild”-Zeitung am Freitag ihren Lesern erzählt. Es ist die Geschichte von einem Mann, einem tierlieben, herzensguten Mann, der selbst “Echsen, Vögel, Fische und Schildkröten” hält, aber einen Schäferhund mit der bloßen Faust erschlagen “mußte”, um den kleinen Chihuahua seiner Tochter zu retten.

Der freilaufende Schäferhund hatte sich auf das viel kleinere Tier gestürzt und ihm Verletzungen zugefügt, an denen es später starb. “Bild” zitiert den Mann mit den Worten:

“Ich packte den Schäferhund am Hals, drückte zu. Dann schlug ich mit der rechten Faust immer wieder genau oben auf seinen Kopf, bis er sich nicht mehr bewegte.”

Soweit ist der Tathergang unstrittig. “Bild” kennt zudem angeblich sogar Größe und Gewicht des Schäferhundes und schreibt, dass er nur mit Leine und Maulkorb hätte herumlaufen dürfen. Der “Bild”-Artikel endet mit den Worten:

Besitzerin Angie H. (70) hatte sich nicht daran gehalten. Statt sich bei Hans-Werner Arp zu entschuldigen, zeigte sie ihn an …

Vielleicht sollen die drei Pünktchen am Ende des “Bild”-Artikels andeuten, dass bis hier die Geschichte nur halb erzählt wurde. Denn in der Pressemitteilung der Polizei und den Berichten der Nachrichtenagenturen ddp, AP und AFP (nachzulesen auch beim NDR und der “Rheinischen Post”) steht noch etwas nicht ganz Unwesentliches, das auch die Anzeige der Frau ein klitzekleines bisschen weniger absurd erscheinen lässt: Nachdem der tierliebe Mann den Schäferhund erschlagen hatte, nahm er sich nämlich noch dessen 70-jährige Besitzerin vor und “verpasste ihr mehrere Hiebe ins Gesicht“, so dass sie sich “ein Hämatom und eine starke Schwellung an der Nase” zuzog, wie die Polizei mitteilte.

Diese Kleinigkeit fand die “Bild”-Zeitung ebenso zu vernachlässigen wie die Möglichkeit, dass der Mann den Schäferhund keineswegs töten “musste”, sondern aus Rache und Wut handelte, wie alle Nachrichtenagenturen mutmaßen.

Danke an Charalampos T. und Stefan S. für die Hinweise!

“Bild” verzählt sich bei Rechtsextremen (2)

Diese Tabelle zeigt, wie dramatisch Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund in Deutschland im vergangenen Jahr zugenommen haben. Die Zahl der Körperverletzungen zum Beispiel ist um 27,5 Prozent auf 816 gestiegen. Die Zahl der Sachbeschädigungen hat sogar um über 80 Prozent zugenommen.

Quelle für die Angaben ist das Bundeskriminalamt. Die Statistik stammt aus dem Verfassungsschutzbericht des Landes Niedersachsen, der gestern veröffentlicht wurde. Die Nachrichtenagentur AP berichtete darüber (ähnlich wie andere, siehe Ausriss) gestern nachmittag unter dem Titel: “Polizei registriert drastischen Anstieg rechtsextremer Gewalttaten”.

Damit ist offiziell, was sich bereits am Wochenende abzeichnete: Die Zahlen, die die “Bild”-Zeitung am Samstag veröffentlichte und die von mehreren Agenturen verbreitet wurden (siehe Ausriss), sind falsch. “Bild” hatte behauptet, dass “die Zahl der Gewalttaten mit einem rechtsextremen bzw. fremdenfeindlichen Hintergrund 2005 offenbar zurückgegangen ist”. Die tatsächliche Zahl der Gewaltverbrechen liegt um 63 Prozent über der von “Bild” genannten, die der Straftaten insgesamt um 50 Prozent darüber.

Man könnte sagen: Das Gegenteil dessen, was “Bild” berichtet hat, ist wahr.

Und nun kann man vielleicht noch verstehen, dass die “Bild”-Zeitung in ihrem Eifer, Exklusivmeldungen zu produzieren, sich manchmal verrechnet — auch wenn das im konkreten Fall niemand geringerem als Einar Koch passierte, der im Impressum “Chefkorrespondent” genannt wird. Aber würde eine seriöse Zeitung diesen Fehler in einem so gravierenden Fall und bei einem so heiklen Thema nicht im Nachhinein korrigieren? Entweder aus Verantwortung der Wahrheit oder ihren Lesern gegenüber? Oder wenigstens, weil es der Pressekodex in Ziffer 3 fordert:

Veröffentlichte Nachrichten oder Behauptungen (…), die sich nachträglich als falsch erweisen, hat das Publikationsorgan, das sie gebracht hat, unverzüglich von sich aus in angemessener Weise richtigzustellen.

In der “Bild”-Zeitung haben wir bis heute keine Korrektur der Falschmeldung oder wenigstens unauffällige Vermeldung der richtigen Zahlen gefunden. Der Artikel mit den falschen Angaben ist bei Bild.de weiter online.

Nachtrag, 23. Mai. Heute endlich hat “Bild” die richtigen Zahlen gemeldet.

Merkels Strenggeheimsphäre

geheim: (1.) der “Bild”-Zeitung erst seit Kurzem bekannt; (2.) der “Bild”-Zeitung und ihren Lesern schon länger bekannt; (3.) weltweit lange bekannt; (4.) irgendwas mit Hitler; (5.) öffentlich; (6.) falsch; (7.) öffentlich und von “Bild” gefälscht; (8.) von “Bild” bis heute nicht verstanden; (9.) von “Bild” aus anderen Zeitungen abgeschrieben.
(Zitiert aus dem großen BILDblog-“Bild”-Wörterbuch)

Beginnen wir also das neue Jahr mit einem Quiz und fragen: Wie geheim ist eigentlich “Merkels Geheimurlaub”, dem die “Bild am Sonntag” in ihrer aktuellen Ausgabe fast die komplette letzte Seite widmete (siehe Ausriss)?

    A: streng geheim
    B: nicht geheim

Glaubt man dem “BamS”-Kolumnisten Martin S. Lambeck, lautet die Antwort selbstverständlich: A. Denn laut Martin S. Lambeck “entdeckte” die “BamS” Merkel im “streng geheimen Winterurlaub” im schweizerischen Pontresina (bei St. Moritz) beim Verlassen des Hotels “Schweizerhof”.

Richtig ist aber natürlich Antwort B.

Denn nachdem beispielsweise die “NZZ” bereits vor einem Jahr berichtet hatte, dass Merkel “seit Jahren regelmässig im Viersternehotel ‘Schweizerhof’ in Pontresina” logiere, und die Nachrichtenagentur dpa noch zwei Tage vor Erscheinen der aktuellen “BamS” ganz nebenbei vermeldete, dass sich Merkel “in ihrem Urlaubsort in der Gegend von St. Moritz” aufhalte, müssen wir unseren eingangs zitierten “Bild”-Wörterbuch-Eintrag wohl leider um eine zehnte Bedeutung erweitern:

geheim: (1.) der “Bild”-Zeitung erst seit Kurzem bekannt; (2.) der “Bild”-Zeitung und ihren Lesern schon länger bekannt; (3.) weltweit lange bekannt; (4.) irgendwas mit Hitler; (5.) öffentlich; (6.) falsch; (7.) öffentlich und von “Bild” gefälscht; (8.) von “Bild” bis heute nicht verstanden; (9.) von “Bild” aus anderen Zeitungen abgeschrieben; (10.) privat.

Zu sexy, um nicht wahr zu sein

Auf sueddeutsche.de gibt es ja heute dieses Interview mit dem Paartherapeuten Ragnar Beer, aus dem wir mal kurz zitieren:

sueddeutsche.de: Eine Tageszeitung titelte kürzlich: “Jede zweite Ehefrau geht fremd” …

Beer: Woher wissen die das?

sueddeutsche.de: Die berufen sich auf Ihre Theratalk-Studie.

Beer: Dann haben die wohl etwas falsch verstanden.

sueddeutsche.de: Moment, in dem Artikel steht, dass 55 Prozent der Frauen und 49 Prozent der Männer schon einmal eine Affäre hatten.

Beer: An unserer Studie nahmen aussschließlich Untreue teil. Davon sind 55 Prozent Frauen, 45 Prozent Männer. Mit dem Anteil der Untreuen in der Gesamtbevölkerung hat das nichts zu tun.

Aus der “Abendzeitung”

“55 Prozent der Frauen, auch verheiratete, gaben an, dass sie in ihrer Partnerschaft einen Seitensprung begangen haben. Männer (49 Prozent) leisten sich demnach zwar etwas weniger oft eine Affäre, sind dafür aber häufiger Wiederholungstäter (…).”

Aber wenn Sie jetzt glauben, Sie wüssten längst, welche “Tageszeitung” da wohl gemeint war… Irrtum: Es war die Berliner “Bild”-Schwester “B.Z.”. Und sie war nicht einmal allein. Auch der “B.Z.”-Konkurrent “Berliner Kurier” berichtete: “Jede 2. Ehefrau geht fremd”. Und die “Augsburger Allgemeine”. Und Oe24.at. Und “Men’s Health”. Und alle hatten die falschen und falsch interpretierten Zahlen offensichtlich aus der Münchner “Abendzeitung” abgeschrieben, die bereits vorgestern über Beers Studie berichtet und sogar (anders als “B.Z.” und “Kurier”) mit Beer gesprochen zu haben scheint — und dennoch schrieb: “Jede zweite Frau betrügt ihren Partner” (siehe Kasten).

“Bild” wäre jedoch nicht “Bild”, wenn man sich so eine Geschichte entgehen ließe und den Unsinn nicht wenigstens online ebenfalls ungeprüft weiterverbreitete:

Männer, ihr müsst jetzt stark sein. Eine Umfrage enthüllt: Jede zweite Frau betrügt ihren Partner! Häufigster Grund: Sex-Frust.

Über diese Studie berichten die Berliner “B.Z.” und die Münchener “Abendzeitung”: Der Psychotherapeut Dr. Ragnar Beer (Universität Göttingen) ließ für die Treue-Studie “Theratalk” 5934 Männer und Frauen, viele verheiratet oder in langjährigen Partnerschaften lebend, zu ihrer Treue-Einstellung befragen.

Ergebnis: Die Frauen treiben’s schlimmer als die Männer. 55 Prozent gaben an, schon einmal ihren Partner betrogen zu haben. Das sagte bei den Männern nicht mal jeder Zweite (49 Prozent).

Mit Dank an Carsten K. für den Hinweis.

Erdogan, Putin, Lierhaus

1. Türkische Regierung schließt Fernsehsender
(tagesschau.de)
Die türkische Regierung hat den Ausnahmezustand um weitere drei Monate verlängert und verfolgt weiterhin ihr unbequem erscheinende kritische Medien und Journalisten. Nun stürmten Polizisten in Istanbul die Redaktion des prokurdischen Senders “İMC TV” und stoppten den Betrieb. Als Grund sei der Verdacht der Verbindung zur verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK genannt worden. Die Journalisten sollen vor Abschaltung des Senders noch “Ihr werdet niemals die freie Presse zum Schweigen bringen” gerufen haben.

2. „What’s the story?“ – NPR-Moderatorin Kelly McEvers über einen guten Podcast
(blogs.deutschlandradio.de, Boris Bittner)
Beim “MIZ Radio Innovation Day 2016” in Potsdam gab es prominenten Besuch: Die mehrfach ausgezeichnete Journalistin Kelly McEvers erzählte, was eine gute Sendung ausmacht. Boris Bittner vom Deutschlandradio hat die wichtigsten Erkenntnisse ihres Vortrags zusammengefasst.

3. Moskau muss ukrainischen Journalisten freilassen
(reporter-ohne-grenzen.de)
Der Frankreich-Korrespondent der ukrainischen Nachrichtenagentur “Ukrinform” Roman Suschtschenko ist während eines privaten Aufenthalts in Russland festgenommen worden. Er wurde im Schnellverfahren wegen angeblicher Spionage zu zwei Monaten Untersuchungshaft im Moskauer Lefortowo-Gefängnis verurteilt. Der Journalist durfte bisher nicht mit seinem Anwalt sprechen. “Reporter ohne Grenzen” fordert die russischen Behörden auf, Suschtschenko unverzüglich freizulassen.

4. “Frontal21”-Doku Dienstag um 21 Uhr zu “Putins geheimes Netzwerk”: Wie Russland den Westen spalten will
(kress.de, Bülend Ürük)
Gestern lief im “ZDF” die “Frontal21”-Doku “Putins geheimes Netzwerk – Wie Russland den Westen spaltet”. Im Gespräch mit “kress.de” erklärt einer der Doku-Autoren, wie russische Internet-Trolle in Deutschland und Europa Meinung machen und Angst schüren. Hintergrund der Sendung ist ein Leak von 10.000 Nachrichten aus dem E-Mail-Account der Informationsministerin in Donezk: “Bei der Auswertung der E-Mails ist klar erkennbar geworden, dass die Administration der Separatisten weisungsabhängig von den russischen Beratern ist. Aus dem Kommunikationsverlauf lässt sich entnehmen, dass sie gemeinsame Projekte von Geheimdienst, Rebellenarmee und lokalen Medien organisieren.”

5. Ethik-Untersuchung und neuer Kodex für die PR-Branche in Österreich
(netzwerk-medienethik.de, Alexander Filipovic)
Der österreichische PR-Ethik-Rat hat in einer Studie die ethischen Probleme der Kommunikationsbranche herausgearbeitet. Dazu hat man 16 PR-PraktikerInnen in sogenannten Tiefeninterviews befragt sowie im Vorfeld Gespräche mit ExpertInnen aus Medienethik und Branche geführt. Die Studie „Ethik im Alltag. Qualitative Befragung und Analyse über ethische Herausforderungen, Dilemmata und Probleme österreichischer PR PraktikerInnen“ (Gabriele Faber-Wiener, Sabine Einwiller) sowie der „Kodex des Österreichischen Ethik-Rats für Public Relations ‚Ethik in der Digitalen Kommunikation‘“ sind verlinkt und herunterladbar.

6. RTL führt Monica Lierhaus als bloßes Opfer vor
(welt.de, Antje Hildebrandt)
Sieben Jahre ist es her, dass bei Sportmoderatorin Monica Lierhaus während eines Routineeingriffs ein Aneurysma im Gehirn platzte. Nach vier Monaten im Koma erwachte Lierhaus als Pflegefall und musste alles wieder neu lernen. Nun hat RTL eine Doku über Lierhaus gedreht, in der sie regelrecht vorgeführt wurde, wie Antje Hildebrandt in der “Welt” schreibt: “Man kann Monica Lierhaus nur wünschen, dass dies der letzte Rückschlag auf ihrem Weg zurück ins Leben war. RTL „Exclusiv“ ist zwar ein Starmagazin und nicht das Magazin der Aktion Mensch. Und Frauke Ludowig ist eine abgebrühte Quotenjägerin und nicht Mutter Teresa. Aber gibt das dem Fernsehen das Recht, eine schwerbehinderte Heldin als Opfer zu verkaufen?”

WDR  

WDR verbreitet wilde Wilders-Verschwörung

Es gibt gute Gründe, gegen Geert Wilders zu sein. Zum Beispiel die Hetze gegen den Islam und die Hassparolen, die der niederländische Politiker bei seinen Auftritten immer wieder verbreitet. Er will den Koran verbieten, Moscheen schließen, früher wollte Wilders auch mal eine Steuer auf Kopftücher einführen. Dennoch könnte der Rechtspopulist mit seiner “Partei für die Freiheit” (PVV) bei der heutigen Parlamentswahl stärkste Kraft in den Niederlanden werden (auch wenn die PVV, aufgrund der zersplitterten Parteienlandschaft des Landes, dabei vermutlich nicht mal 20 Prozent der Stimmen bekommen wird).

Anlässlich der Wahl im Nachbarland hat der WDR vor einer Woche die Dokumentation “Holland in Not — Wer ist Geert Wilders?”* gezeigt:

Der 44-minütige Film ist zum größten Teil schon einige Jahre alt, er basiert auf einem längeren BBC-Beitrag von 2011. Vereinzelt sind neu gedrehte Passagen dazwischen geschnitten, nur selten wird so richtig klar, welche Aufnahmen nun aktuell sind und welche nicht.

Obwohl die meisten Szenen bereits einige Jahre alt sind, ist die Dokumentation über weite Strecken ganz interessant. Reporter Joost van der Valk spricht mit Wilders-Anhängern, begleitet sie beim PVV-Flyer-Verteilen, folgt dem Politiker zu Wahlkampfveranstaltungen.

Im letzten Drittel des Films gibt es allerdings neun Minuten (ab Minute 29:21) zu sehen, die ausgesprochen seltsam und problematisch sind: Auf einmal geht es nicht mehr um Geert Wilders’ politische Forderungen oder seine Auftritte. Der Beitrag beleuchtet plötzlich Wilders’ Verbindungen zum Judentum, zu jüdischen Geldgebern und zu Israel. Van der Valk und der WDR setzen verschiedene Versatzstücke so zusammen, dass der Zuschauer am Ende die vermeintliche Enthüllung sehen könnte: Geert Wilders’ Kampf gegen den Islam sei eigentlich der Kampf Israels gegen den Islam. Hinter Wilders Islam-Hetze steckten die Juden.

Aus allen möglichen Ecken schnappt sich der Film Hinweise auf angebliche oder tatsächliche Verbindungen: Wilders’ Großmutter sei Jüdin gewesen, seine Frau sei Jüdin, er selbst habe häufig das israelische Konsulat in Den Haag besucht. Außerdem habe Wilders, der eindeutiger Israel-Unterstützer ist, als junger Mann ein Jahr in dem Land gelebt. Joost van der Valk reist sogar dorthin, um nach Spuren und Verbindungsleuten von Geert Wilders zu suchen.

In den Niederlanden spricht der Reporter mit einem Anhänger der “Jewish Task Force”, einer extremen kahanistischen Organisation, der bekennender Wilders-Wähler ist:

Außerdem besucht van der Valk Chaim Ben Pesach in den USA, der auch Victor Vancier heißt und Gründer der “Jewish Task Force” ist:

Chaim Ben Pesach saß mehrere Jahre im Gefängnis, weil er an 18 Sprengstoffanschlägen beteiligt war. Das war seine Art des Protests gegen den Umgang der Sowjetunion mit Juden. Diese Haftstrafen erwähnt auch der WDR-Beitrag. Und es wird schnell klar, dass dieser Terrorist Geert Wilders ebenfalls bewundert. Der Subtext dabei: Wenn selbst diese zwei jüdischen Extremisten Wilders toll finden, dann muss doch auch der niederländische Politiker jüdischer Extremist sein — als wäre es möglich, sich all seine Anhänger auszusuchen.

Dazu kommen zwei Unterstützer, die Wilders finanziell geholfen haben und die der WDR-Beitrag nun als eine Art Beleg für die Verbindung des niederländischen Politikers zu jüdischen Geldgebern in den Raum wirft: Daniel Pipes übernahm mit seinem “Middle East Forum” Kosten in sechsstelliger Höhe, die bei einem Prozess gegen Wilders angefallen waren. Mit dem “David Horowitz Freedom Center” gebe es “einen weiteren großen amerikanischen Sponsor”. Horowitz stammt genauso wie Pipes aus einer jüdischen Familie.

Der dämlichste Aspekt zur Verbindung von Geert Wilders nach Israel, der in der WDR-Dokumentation genannt wird, ist dieser hier:

Wenn man Geert Wilders und Israel im Internet sucht, ergibt das über eine halbe Million Einträge.

Wenn man WDR und Fake News bei Google sucht, ergibt das 370.000 Einträge, was genauso wenig aussagt wie das Suchergebnis im WDR-Beitrag. Dort wird es aber als weiteres Indiz genannt, dass irgendwie irgendwas zwischen Geert Wilders und Israel laufen könnte.

Und auch die Auswahl der Bilder für den Beitrag unterstützt den Eindruck möglicher Seilschaften. Bei der Überleitung zu den Finanziers aus den USA ist ein religiöser Jude auf New Yorks Straßen zu sehen:

Es wird ein altes Foto von Geert Wilders ausgegraben, das ihn mit Kippa vor der Klagemauer zeigt:

Sein Gesicht wird vor eine israelische Flagge montiert:

All die Punkte, die in den neun Minuten der WDR-Dokumentation vorkommen, sind mehr oder weniger starke Indizien, die auch in klassische Verschwörungstheorien zur jüdischen Weltherrschaft passen könnten. Klischees werden bedient. Es fehlt eigentlich nur noch die Andeutung einer Verbindung zur Familie Rothschild.

An keiner Stelle behauptet der Beitrag konkret, dass Geert Wilders in irgendeinem Auftrag oder als Marionette handele. Dem Zuschauer wird alles immer nur als interessante Information präsentiert, über die man sich ja mal Gedanken machen könnte. Das Zusammenführen der einzelnen Puzzleteile überlässt Joost van der Valk dem muslimischen Prediger Scheich Khalid Yasin. Im WDR-Beitrag wird Khalid Yasin als “muslimischer Lehrer” eingeführt, der bei jungen Muslimen extrem beliebt sei und sich gegen radikale Ideen einsetze. Dabei fällt er tatsächlich immer wieder mit hasserfüllten Aussagen auf, gegen Nichtgläubige, gegen Andersgläubige, gegen Homosexuelle. Nachdem die BBC den Beitrag im Februar 2011 gezeigt hatte, gab es eine Beschwerde, in der es auch um die Rolle von Khalid Yasin ging:

Complaint
A viewer complained that the programme was biased against Geert Wilders, inaccurately portrayed him as guilty of wrongdoing, and misleadingly portrayed Sheikh Khalid Yasin as someone engaged in de-radicalising youth whereas he is known to hold and preach extreme views.

Outcome
The programme was neither biased nor inaccurate in relation to Geert Wilders, but did give the misleading impression that Sheikh Khalid Yasin was a man of moderate views.
Partly upheld

Als Konsequenz beschloss der Sender:

the programme will not be re-broadcast without appropriate editing.

Dieses “appropriate editing” hat sich der WDR offenbar geschenkt. In der Doku vom vergangenen Mittwoch darf Khalid Yasin über Wilders und den “modernen Zionismus” sagen:

“Ich glaube, er hat die Idee des modernen Zionismus begriffen und angenommen. Er benutzt den modernen Zionismus, um die gleichen Ansichten über Muslime und über den Koran zu verbreiten, die sich die Juden in Israel nicht trauen zu sagen. Aber Herr Wilders kann ihnen einen Gefallen tun. Er kann außerhalb Israels die Palästinenser so charakterisieren, wie es die Zionisten tun, um ihre Macht zu rechtfertigen. Herr Wilders kann den Islam auf die gleiche Weise beschreiben.”

Es gibt gute Gründe, gegen Geert Wilders zu sein. Die Vermutung, dass eine jüdische Verschwörung hinter seinen Parolen stecken könnte, gehört nicht dazu.

Mit Dank an @bjoernstritzel für den Hinweis!

Nachtrag, 19:06 Uhr: Der WDR hat inzwischen bei Twitter auf eine kritische Nachfrage von @hanvoi reagiert:

*Nachtrag, 16. März: Obwohl der WDR gestern noch schrieb, dass der Film “grundsätzlich nicht zu beanstanden” sei (siehe Nachtrag weiter oben), hat der Sender ihn aus der Mediathek genommen:

Hinweis
Der Film ist derzeit aus redaktionellen Gründen nicht abrufbar.

Nachtrag, 17. März: Gestern Abend äußerte sich die WDR-Presseabteilung bei Twitter erneut zu dem Fall:

Die WDR-Dokumentation über Geert Wilders ist inzwischen also wieder online, allerdings knapp vier Minuten kürzer als noch vor zwei Tagen. Die Aussagen des Hass-Predigers Khalid Yasin wurden komplett rausgeschnitten. Außerdem hat der Sender einen Hinweis hinzugefügt, der in weiten Teilen dem Tweet von gestern ähnelt:

Arte-Kritik, Exekutors Lieblingsdieb, Sexistisches Nudelholz

1. Programmdirektor Schuster
(taz.de, Marlene Halser)
Der Fernsehsender “Arte” steht erneut in der Kritik. Die 15-minütige Reportage „Gaza: Ist das ein Leben?“ unterschlage wesentliche Informationen, so der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland Josef Schuster und solle aus dem Programm genommen werden. Tatsächlich liefere die Reportage über das Schicksal einer palästinensischen Familie so gut wie keine Hintergrundinformationen zu dem seit Jahrzehnten schwelenden Konflikt, den Umständen des Angriffs oder den Aktivitäten der Hamas im Gazastreifen, findet Marlene Halser in der “taz”. Dies sei aber auch nicht der Anspruch gewesen, rechtfertige sich der Fernsehsender. Damit gibt sich der Zentralratspräsident nicht zufrieden und fordert “Arte” im Interview mit der “Faz” zum Handeln auf.

2. Der Exekutor und sein Lieblingsdieb
(kanzlei-hoenig.de, Carsten R. Hönig)
Vor knapp 17 Jahren wurde ein Geldtransporter gestohlen. Einer der Täter flüchtete mit seiner Millionenbeute über verschiedene Stationen nach Südafrika. Nach einiger Zeit wurde er dort gefasst, nach Deutschland überstellt und saß seine Strafe ab. (Die “Bild” hatte den Vorfall genüsslich ausgeschlachtet und sich sogar mit dem Mann in Kapstadt getroffen.) Mittlerweile habe sich der Mann, der zwischenzeitlich erkrankt war, wieder berappelt und einen Job angenommen. Den hat er nicht mehr, was mit daran liegen könnte, dass der „Bild“-Reporter Josef Ley anscheinend einen Narren an Täter und Story gefressen habe und einfach nicht loslasse. Rechtsanwalt Hönig: “Josef Ley reichte es nicht aus, dass der Mann für seine Tat drei Jahre lang im Knast saß, sich danach in der Psychiatrie mit „therapeutischen Parksparziergängen“ behandeln lassen musste und nun versucht, sich wieder auf die eigenen Füße zu stellen. Er musste ihn wieder hinrichten.”

3. Kritik an Gastro-Zeitschrift “Rolling Pin”
(facebook.com, Mary Scherpe)
“Rolling Pin” (englisch für “Nudelholz”) ist ein deutschsprachiges Fachmagazin für Gastronomie, Hotellerie und Kreuzfahrtbranche, das eine Onlineabstimmung über die besten Köche veranstaltet und zu einer Gastrokonferenz einlädt. Laut Bloggerin Mary Scherpe befänden sich unter den “50 besten Köchen Deutschlands” 49 Männer und nur eine Frau. Auf der “Gastro-Konferenz” spreche nicht eine einzige Frau. Und online verbreite die Zeitschrift Bildtafeln mit geschmacklosen und sexistischen Sprüchen. Mary Scherpe fasst ihre Kritik zusammen: “Rolling Pin ist die Spitze eines frauenfeindlichen Eisberges in der Food Szene, Gastro-Sexismus ist allgegenwärtig, deswegen überrascht es mich nicht, aber es bleibt widerwärtig. Dieses Medium spiegelt einen traurigen Status Quo, und arbeitet hart daran, genau diesen zu erhalten. Und es geht hier nicht nur um Frauen, auch people of color kommen bei Rolling Pin weder im Heft, noch auf der Konferenz, noch in der Abstimmung in bedeutender Zahl vor.”

4. Wetterdaten sind jetzt Open Data
(golem.de)
Eine Gesetzesänderung macht es möglich, dass Daten des Deutschen Wetterdienstes künftig kostenlos und von jedermann genutzt werden können. Dies betrifft unter anderem Modellvorhersagen, Radardaten sowie aktuelle Mess- und Beobachtungsdaten und Klimadaten. Softwareentwickler und Hobbymeteorologen dürfen die Daten in ihre Anwendungen einbauen, müssen jedoch die Quelle angeben.

5. Silicon-Valley-Mäzene und ihre Liebe zu traditionsreichen Medien
(sueddeutsche.de, Karoline Meta Beisel)
Manche Silicon-Valley-Unternehmer schaffen sich neben Yacht, Flugzeug und Golfplatz auch Medien an bzw. investieren in sie. Ob Ebay-Gründer Pierre Omidyar mit der Seite “The Intercept”, Facebook-Mitgründer Chris Hughes bei “The New Republic” oder Amazon-Gründer Jeff Bezos mit seiner “Washington Post”. Nun hat Laurene Powell Jobs, die Witwe von Apple-Gründer Steve Jobs, die Zeitschrift “The Atlantic” erworben. Das sei bemerkenswert, denn das prosperierende Magazin habe gar keinen Gönner nötig. Der vergangene Mai sei für “theatlantic.com” ein Rekordmonat mit 42 Millionen Lesern gewesen, eine Expansion nach Europa stehe unmittelbar bevor.

6. Kommt das Emoji vor oder hinter das Satzzeichen?
(blog.wdr.de, Dennis Horn)
Kommt das Emoji vor das Satzzeichen, kommt das Emoji hinter das Satzzeichen oder ersetzt das Emoji das Satzzeichen? Verbindlichen Regeln dazu gibt es noch nicht, aber Dennis Horn hat für sich eine Lösung gefunden.

Troll vom Tegernsee, Dichtes Sportressort, Politkrimi um Assange

1. NDR erstattet Strafanzeige
(tagesschau.de, John Goetz & Antonius Kempmann & Elena Kuch & Reiko Pinkert & Martin Kaul)
Wie sich herausstellt, wurde der WikiLeaks-Gründer Julian Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London umfangreich und systematisch ausgespäht und abgehört. Mit im Visier: Alle seine Kontakte, Besucherinnen und Besucher, zu denen auch deutsche Journalisten gehörten. Unter den mutmaßlich betroffenen Journalisten sollen sich auch drei Mitarbeiter des Norddeutschen Rundfunks befinden. Der NDR hat deshalb Strafanzeige erstattet. Nach Lektüre des Beitrags fühlt man sich an einen Politkrimi erinnert.

2. So links ist das Publikum von “Tagesschau” und “heute” wirklich
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Bedient der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland tatsächlich bevorzugt ein linkes Publikum, wie in zahlreichen Medien unter Bezug auf eine Studie zu lesen war? Nein, sagt Medienjournalist Stefan Niggemeier. Es handele sich um eine Fehlannahme, die wahrscheinlich auf die Fehlinterpretation einer Grafik zurück zu führen sei.

3. Der Troll vom Tegernsee
(taz.de, Juri Sternburg)
Juri Sternburg beschäftigt sich mit der Vorgehensweise des “Welt”-Kolumnisten und “barocken Landschaftsgärtners der rechten Ideologien” Don Alphonso. Aufschlussreich sei auch das Verhalten des “Welt”-Chefs Ulf Poschardt, der bei Deutschlandfunk Kultur die Alphonso-Kritiker in einem Atemzug mit Despoten und faschistoiden Hetzern genannt habe. Sternburg kommentiert: “Deutschland und Springer 2019 bedeutet eben immer noch: Wer Hetzer kritisiert, wird selbst zu einem gemacht. Wer rechte Menschenfeinde bekämpfen möchte, dem werden die angeblich gleichen Methoden vorgeworfen. Und wer sich in seinem Blatt einen Rainer Meyer leistet, um vermeintlich die Meinungsfreiheit zu schützen, der ist mitverantwortlich für die für viele offenbar immer noch unvorstellbaren Auswüchse dieser Politik.”

4. Sportressort dicht, Textkorrektur automatisiert: Wie Springer die “Welt”-Gruppe weiter umbaut
(meedia.de, Gregory Lipinski)
Der Axel-Springer-Konzern steht vor einer gewaltigen Schrumpfungskur, zumindest im Bereich “News Media National”. Dort sollen 50 Millionen Euro eingespart werden. Allein der “Welt”-Gruppe werden voraussichtlich rund fünf Millionen Euro entzogen, was erhebliche Auswirkungen für Blatt und Onlineauftritt haben dürfte: Manche Ressorts werden zur Kostensenkung zusammengelegt, manche, wie das Sportressort, ganz dichtgemacht. Und bei der Textkorrektur soll zukünftig nur noch auf Maschinenintelligenz gesetzt werden.

5. Nach Kritik: Twitter ändert Pläne, Accounts zu löschen
(heise.de, Eva-Maria Weiß)
Als Twitter unlängst ankündigte, inaktive Konten löschen und anderweitig vergeben zu wollen, regte sich vielfältiger Protest. Eine besonders häufig geäußerte Kritik betraf das damit einhergehende Verschwinden der Konten von Verstorbenen. Nun wolle Twitter seine Pläne ändern.

6. [aus rechtlichen Gründen gelöscht]

Lust am Missverstehen, Verpasste Gelegenheit, Zombie-Exzess

1. Die nervige Lust am Missverstehen
(t-online.de, Nicole Diekmann)
Nicole Diekmann rät, sich nicht in den Online-Empörungsstrudel ziehen zu lassen, und führt dazu zwei Beispiele aus der jüngeren Zeit an: “Es ist ein anstrengender Trend, den auch die mitmachen, die sich so gern auf der richtigen Seite sehen und auch den so wichtigen Kampf gegen Hassrede führen. Ihre Verantwortung, oder sagen wir es weniger pädagogisch, ihre Chance, die Spaltung der Gesellschaft wenigstens nicht weiter mit voranzutreiben, übersehen sie dabei. Die Anlässe werden immer nichtiger, die Hämmer immer härter.”
Dazu passend ein weiterer Lesehinweis: Die Empörung der Anderen. So startest du deine private Entpörungs-Welle (dirkvongehlen.de).

2. Hey, Auslandsberichterstattung – Wir müssen reden!
(journalist.de, David Schraven & Bassel Alhamdo & Frederik Richter & Marcus Bensmann)
Laut Recherchen von “Correctiv” und “journalist” würden in der ZDF-Auslandsberichterstattung arabische, russische sowie chinesische O-Töne und ihre Übersetzungen nicht immer übereinstimmen. Es gehe um eine grundsätzliche Praxis bei Fernsehinterviews in fremden Sprachen: “Müssen der gesendete Ausschnitt und die deutsche Übersetzung einander entsprechen? Oder darf der Korrespondent sich frei aus verschiedenen Stellen des Gesprächs bedienen — und die Übersetzung einfach mit einem sprechenden Gesicht bebildern?”

3. Es gibt nicht DIE Objektivität im Journalimus.
(planet-interview.de, Jakob Buhre)
Jakob Buhre war beim nur noch einmal im Jahr stattfindenden ZDF-Pressegespräch in Berlin und hat wie immer aufmerksam zugehört. Zum Beispiel bei den Lobpreisungen von ZDFneo, die Buhre in dieser Form nicht nachvollziehen kann: “Meiner Beobachtung nach hat ZDFneo (Jahresbudget 41,2 Mio.) den Anteil an selbst-produzierten, also originären ZDFneo-Formaten zurückgefahren. Sowohl Pressesprecher Alexander Stock als auch Intendant Thomas Bellut bestreiten das, doch wie mir die ZDF-Pressestelle später auf Anfrage mitteilte, gab es in der vierten Kalenderwoche 2020, in der das Pressegespräch stattfand, genau 45 Erstsendeminuten von neuem, selbst-produziertem Neo-Programm. Auf die 168-Stunden-Woche gerechnet sind das 0,45 Prozent (…). Die restlichen 99,55% bestehen aus Wiederholungen und Lizenzeinkäufen.”
Siehe auch Buhres mit einem Blick erfassbare Analyse des ZDFneo-Programms in Kalenderwoche vier (PDF).

4. Verpasste Gelegenheit für die Pressefreiheit
(reporter-ohne-grenzen.de)
Als eine “verpasste Gelegenheit für die Pressefreiheit” bezeichnen die Reporter ohne Grenzen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zum Verbot der Internetplattform “linksunten.indymedia”. “Leider hat sich der Senat weitgehend auf die formale Frage beschränkt, ob die mutmaßlichen Betreiber als Einzelpersonen überhaupt berechtigt waren, gegen das Vereinsverbot zu klagen. Die grundrechtliche Abwägung, ob die inkriminierten Inhalte ein pauschales Verbot der ganzen Plattform rechtfertigen, bleibt damit offen”, so ROG-Vorstandssprecher Michael Rediske.
Weiterer Lesehinweis: Was ist eigentlich Linksunten.indymedia? (spiegel.de)

5. Ärger um Talkshow mit Thilo Sarrazin: Es hagelt Absagen anderer Gäste
(rnd.de)
Gestern Abend wurde in der Talkshow “Talk im Hangar-7” des österreichischen Senders Servus TV die Debattenkultur diskutiert. Als ein Beispiel für einen Vertreter einer “unbequemen Meinung” hatte man Thilo Sarrazin eingeladen. Und sich damit die Absagen diverser anderer Gäste eingehandelt. Hasnain Kazim veröffentlichte seine Absage auf Twitter: “Es freut mich, dass Sie grundsätzlich Interesse an meiner Arbeit und auch an meinen Standpunkten zum Thema Debattenkultur haben. Einer davon ist, dass nicht jede ‘Meinung’ eine Meinung ist. Und auch, dass man nicht jedem Bullshit, jedem Rassismus, jeder Menschenverachtung, die im Deckmantel einer ‘Meinung’ daherkommt, eine Bühne bieten sollte. Man bietet ‘Identitären’ für ihre neonazistischen Ansichten keine Plattform. Man gibt Rechtsextremisten keine Redezeit. Und man lädt auch nicht Thilo Sarrazin in eine Talkshow ein.”

6. Programmierter Zombie-Exzess: Radikalisierungsmaschine Youtube
(medienwoche.ch, Adrian Lobe)
Adrian Lobe berichtet über eine Studie der Nichtregierungsorganisation Avaaz mit dem Titel “Why is YouTube Broadcasting Climate Misinformation to Millions?” (PDF). Das Geschäftsmodell von Youtube und die verwendete algorithmische Mechanik spiele Extremisten in die Hand: “Für jedes Klima-Desinformationsvideo, das jemand anschaut oder likt, werden ähnliche Inhalte in den Empfehlungen angezeigt, sodass der Nutzer in die Online-Blase der Desinformation tappt”, so das Autorenteam der Studie.

Bringt Julian Reichelt die Familien der Bundesliga-Mitarbeiter in Gefahr?

Was haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fußball-Bundesligaklubs FC Bayern München, Borussia Dortmund, Borussia Mönchengladbach, RB Leipzig und Hertha BSC gemeinsam? Ihre Familien sind seit dieser Woche in Gefahr – jedenfalls nach Logik von Julian Reichelt.

Als das Medienmagazin “kress” 2017 Reichelts Gehalt schätzen wollte, sagte der “Bild”-Chef, dass er das nicht wolle, weil – so schrieb “kress” – “eine Schätzung seines Gehalts das Risiko finanziell motivierter Straftaten gegen seine Familie erhöhen würde”.

Doch was laut Julian Reichelt für Julian Reichelt gilt, muss aus Sicht von Julian Reichelt ja nicht für andere Menschen gelten. Und so gibt es seit Montag eine neue “Bild”-Serie: “DIE GEHEIMEN GEHÄLTER DER BUNDESLIGA”. Bisher waren die fünf oben genannten Klubs dran. “Bild” verrät, was die Team-Managerin des FC Bayern München oder der Stadionsprecher von Hertha BSC oder der Jugendkoordinator des BVB oder der Busfahrer von RB Leipzig oder der Chef-Greenkeeper von Borussia Mönchengladbach pro Monat “nach BILD-Informationen” so verdienen:

Screenshot Bild.de - Die geheimen Gehälter der Bundesliga - Bei welchem Job man neben den Stars schläft - Wie viel Team-Managerin Kathleen Krüger bekommt - In welchem Bereich Ex-Soldaten für zwölf Euro arbeiten - Das verdient man bei Bayern!
Screenshot Bild.de - Die geheimen Gehälter der Bundesliga - Für welchen Job es 11000 Euro gibt - Wer mit 70 noch 8000 Euro kriegt - 6500 Euro für ein Sprach-Wunder - Was Lars Ricken bekommt - Das verdient man beim BVB
Screenshot Bild.de - Die geheimen Gehälter der Bundesliga - Was der Stadionsprecher kassiert - Wofür man 7000 Euro im Monat kriegt - Was 24 Euro für 90 Minuten gibt - Das verdient man bei Gladbach!
Screenshot Bild.de - Die geheimen Gehälter der Bundesliga - Das kriegen Physio, Busfahrer und Zeugwart - In welchem Bereich die Gehälter gekappt wurden - Welche ungewöhnliche Mitarbeiter-Prämie es gab - Das verdient man bei RB Leipzig!
Screenshot Bild.de - Die geheimen Gehälter der Bundesliga - Was die Stadionsprecher pro Spiel kriegen - Welches Urgestein knapp 5000 Euro kassiert - Wieviel man schon als U9-Trainer bekommt - Das verdient man bei Hertha!

Bei den übrigen 13 Bundesligaklubs gibt es noch reichlich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, deren Familien die “Bild”-Redaktion nach Logik ihres eigenen Chefs in den kommenden Tagen in Gefahr bringen kann.

Bildblog unterstuetzen

Wen Julian Reichelt nach Julian-Reichelt-Logik sonst noch in Gefahr gebracht haben könnte:

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Routine

Zuerst ein kurzes Quiz: Überlegen Sie sich mal, wie wohl die Frage gelautet haben könnte, auf die die folgende Antwort der Schauspielerin Sophie Schütt passt:

“Der ganze Schönheitswahn nervt, weil er uns Frauen enorm unter Druck bringt. Wir können dem kaum standhalten. (…) Jede Frau hat Körperzonen, die ihr nicht besonders gefallen und die sie gerne verändern würde. Natürlich geht mir das auch so. Ich würde allerdings nur an mir etwas verändern wollen, wenn ich selbst darunter leide, aber nicht wenn es der Schönheitswahn oder mein Beruf von mir abverlangt. (…) Eine natürliche Frau mit Ausstrahlung ist doch viel attraktiver als eine künstlich geschnitzte Barbie. Ich bin eine ganz normale Frau und das sind meine Zuschauerinnen auch.“

Und? Sind Sie auch auf so Larifarifragen wie “Frau Schütt, fühlen Sie sich eigentlich schön?”, “Frau Schütt, sind Ihre Brüste echt?” oder “Frau Schütt, was halten Sie grundsätzlich vom Schönheitswahn?” gekommen? Gut.

Aber der Reihe nach: Am 20. und 21. Dezember zeigt Sat.1 den Zweiteiler “Schöne Witwen küssen besser”, und damit der TV-Movie auch gebührend ankündigt werden kann, hat Sat.1 (wie üblich) vorab ein paar Videokassetten an Medien-Redaktionen verschickt, auf denen (das kommt vor) nicht die endgültige Endfassung zu sehen ist. Im Fall des Sat.1-Zweiteilers etwa gibt es auf der Vorab-VHS Szenen, die in der endgültigen Endfassung nicht mehr auftauchen, weil der Film am Ende zu lang wurde, und deshalb Szenen weggelassen wurden, die für die Handlung nicht so wichtig sind. Eine der weggelassenen Szenen zeigt Hauptdarstellerin Sophie Schütt nackt. Und hier beginnt unsere Geschichte.

Denn am gestrigen Mittwoch sah die “Bild”-Titelseite so aus:

Im dazugehörigen Artikel hatte “Bild” auf die Titelfrage sogar eine Antwort. Sie lautete (wie könnte es anders sein): Nein, sie ist nicht “nicht schön genug fürs TV”. Und in “Bild” lautete sie ähnlich, nämlich so:

“‘Der Zweiteiler wurde am Ende zu lang. Wir haben diese Szenen weggelassen, weil sie für die Handlung nicht so wichtig sind’, so SAT1-Sprecherin Kristina Faßler gestern.”

Und man hätte es dabei belassen (oder die ganze Story lassen) können: kein Skandal nirgends, nur Routine – weshalb bei “Bild”, garniert mit ein paar Splitterfasernacktbildern, auch noch steht:

BILD erfuhr: Der Produktion kamen nach den Dreharbeiten Zweifel, ob die Nacktszenen für die Schauspielerin vorteilhaft sind. Deshalb wurden sie später rausgeschnitten.”

Die Formulierung “BILD erfuhr” ist natürlich ein wenig schwammig und unglaubwürdig so ganz ohne Hinweis, wer das wo und wann zu wem gesagt haben könnte. Aber sie ist noch nichts gegen das, was “Bild” heute, noch riesengrößer als am Vortag, auf die Titelseite schreibt. Nämlich dies:

Und mal abgesehen davon, dass von der angeblichen “Nackt-Zensur” überhaupt keine Rede sein kann (s.o.), ist auch die Formulierung “Jetzt wehrt sich Sophie Schütt” irgendwie übergeigt. Denn zitiert wird Schütt in “Bild” ausschließlich mit den bereits eingangs zitierten Worten. Und dass sie sich darin auch nur ein klitzekleines Bisschen gegen die rausgekürzten Szenen “wehrt”, wie “Bild” behauptet, ist Schütts Worten überhaupt nicht anzumerken – womöglich, weil es gar nicht stimmt. Fairer formuliert: Falls sich Schütt unwahrscheinlicherweise wirklich gegen die gekürzte Szene “wehrt”, wie “Bild” behauptet, dann jedenfalls nicht in “Bild”.

Nachtrag, 12.12.04: Der Netzeitung sagte eine Sat.1-Sprecherin übrigens, Schütts Bemerkungen in “Bild” seien eine Kritik am allgemeinen Schönheitswahn, nicht am Sender.

Koalitionen

Wer ist eigentlich verdammtnochmal Schuld daran, dass bald auch auf Computer Rundfunkgebühren fällig werden könnten?

Vor drei Wochen hatte “Bild” schon eine ganze Reihe Schuldiger gefunden: Die “TV-Dinos”! Also die ARD-Intendanten, die laut “Bild” “jetzt” das Internet “zum Abkassieren” “entdeckt” haben. Das war ein bisschen schief, denn die ARD-Intendanten haben das Internet nicht jetzt zum Abkassieren entdeckt. Die Gebührenpflicht steht schon seit 1997 im Rundfunkstaatsvertrag und wurde seitdem nur ausgesetzt. Und Staatsverträge konnte die ARD damals schon so wenig unterschreiben wie heute. Sie kann allenfalls Vorschläge machen.

Heute nimmt “Bild” einen neuen Anlauf: Die Bundesregierung ist schuld! Rolf Kleine, Leiter des “Bild”-Haupstadtbüros, schreibt:

Die von der Koalition geplante Einführung von GEZ-Gebühren auf PCs…

Und:

Die Koalition plant, von 2007 an GEZ-Gebühren für PCs zu erheben — wahrscheinlich 5,52 Euro im Monat.

Okay, das ist ganz falsch. Rundfunk ist in Deutschland Ländersache, und “die Koalition” im Bund hat mit der Rundfunkgebühr überhaupt nichts zu tun.

Aber die Ministerpräsidenten der Länder tagen erst nächste Woche, um sich u.a. mit den Gebühren auf PCs zu beschäftigen. Bis dahin kriegt “Bild” es bestimmt noch hin, den wahren Schuldigen zu finden.

PS: Der heutige “Bild”-Bericht steht unter der Überschrift:

Juristen sicher -
GEZ-Gebühren für Computer verfassungswidrig

Im Artikel selbst heißt es schon nur noch, sie sei “wahrscheinlich” verfassungswidrig. Und es sind nicht irgendwelche unparteiischen Juristen, sondern die Hausjuristen des Deutschen Industrie- und Handelskammertages DIHK. Der läuft schon seit Monaten Sturm gegen die Gebühren. Und fragt man beim DIHK nach, was genau die Basis für dieses juristische Urteil ist, erfährt man, dass sich die DIHK-Leute einfach ein paar Gedanken gemacht haben.

Und so schnell wird aus der Vermutung einer Lobby-Organisation in “Bild” eine Tatsache und eine Schlagzeile auf Seite 1.

Danke an Carlos K., Martin B. und Ulf-Erik W.!

“Bild”-WM-Knaller explodiert mit Verspätung

Deutschland vor einem Jahr. Erinnern Sie sich? Wir waren schwarz-rot-geil, wegen der Hitze wollten alle einander nur noch duzen, und die “Bild”-Zeitung machte mit dem Angebot auf, für 99 Cent bei Lidl ein “köstliches Grafenwalder Premium-Pils”, “eine große Tüte knackige Erdnuß-Flips” und eine Deutschland-Fahne zu bekommen. “WM-Knaller” hieß es. Alle waren ganz besoffen vor Glück, und der Presserat erklärte Beschwerden über die Aktion, die Verbraucherschützer einen “besonders krassen Fall von unlauterer Werbung” nannten, kurzerhand für “offensichtlich unbegründet”.

Doch auch der geilste Sommer endet irgendwann, und ein hartnäckiger Beschwerdeführer legte beim Presserat Widerspruch gegen die Entscheidung ein. Er wies das Gremium auf diverse rechtsgültige Urteile in Sachen Schleichwerbung hin und erwähnte das Schleichwerbungsverbot im Gesetz. Eine relevante Täuschung liege bereits vor, wenn dem Leser eine entgeltliche Anzeige als redaktioneller Beitrag präsentiert werde, argumentierte er; Anzeigen müssten sich in Stil und Aufmachung von redaktionellen Beiträgen absetzen.

Das muss den Presserat irgendwie beeindruckt haben. Es wurde Herbst, und der Beschwerdeausschuss beschloss, die Sache zu behandeln. Es wurde Winter, und der Beschwerdeausschuss beschloss, die Sache doch lieber an das Plenum des Presserates abzugeben. Es wurde Frühling, und das Plenum des Presserates beschloss, die Beschwerde wieder an den Beschwerdeausschuss zurückzugeben.

Und nun ist es wieder Sommer, und der Beschwerdeausschuss hat sich zu einer Entscheidung durchgerungen. Sie ist einstimmig gefallen und lautet: “Bild” hat mit der Veröffentlichung gegen die Ziffern 6 und 7 des Pressekodex verstoßen.

Nach Meinung des Gremiums gerät im vorliegenden Fall das Ansehen der Presse (Ziffer 6 des Pressekodex) in Gefahr, wenn eine werbliche Veröffentlichung, die redaktionell gestaltet ist, den redaktionellen Aufmacher auf der Titelseite ersetzt. Der Leser erwartet dort weder einen Eigenmarketingbeitrag noch Werbung.

Dadurch, dass an einer Stelle, an der sonst redaktionell berichtet wird, ein Eigenmarketingbeitrag veröffentlicht wurde, wird zudem die in Ziffer 7 des Pressekodex geforderte klare Trennung von Werbung und Redaktion aufgehoben.

Eine klare Kennzeichnung als “Anzeige” habe gefehlt.

Noch im Jahr 2004, als “Bild” mit Lidl in ähnlicher redaktioneller Aufmachung wie den “WM-Knaller” auf Seite eins einen “Sommer-Knaller” anbot (“Doppelschlecken” / “Heute Eis für alle — Eins kaufen, eins geschenkt!”), hatte der Presserat anders entschieden. Damals urteilte das Gremium, es sei “klar erkennbar, dass es sich bei dem Beitrag nicht um eine redaktionelle Berichterstattung, sondern um reine Werbung handelt”.

Weil der Presserat jetzt von der “bisherigen Spruchpraxis” abwich, konnte er wegen der “WM-Knaller”-Schleichwerbung keine Rüge, sondern nur einen “Hinweis” aussprechen.

Die Pressestelle der Axel-Springer-AG hat die Öffentlichkeit im vergangenen Jahr in einer Pressemitteilung informiert, dass die Beschwerde gegen die “Bild”-Lidl-WM-Aktion als “offensichtlich unbegründet” zurückgewiesen worden sei. Die Information, dass der Presserat sein Urteil jetzt revidiert hat, scheint nicht ganz so dringlich zu sein.

Betr.: Wiederholungsterror

Es ist wieder so weit! Wir schreiben den 3. August 2007 und auf Seite 4 der “Bild” heißt es:

"Gebühren-Skandal: 865 Minuten Wiederholungen am Wochenende"

Wie gut, dass die Meteorologen fürs Wochenende besseres Wetter vorausgesagt haben! Denn im Fernsehen erwartet uns nur Langeweile…

Die öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF präsentieren den TV-Zuschauern von heute bis Sonntag in der Hauptsendezeit geschlagene 865 Minuten Wiederholungen!

Im Klartext: Mehr als 14 Stunden Gähn-TV! (…)

Und wir nutzen erneut die Gelegenheit für einen Blick ins “Bild”- und “BamS”-Archiv der vergangenen zehn Jahre:

1997:

Fernsehen fällt drei Monate in Sommerschlaf

Nur noch Wiederholungen — Frechheit! Noch 21 Tage bis zum Sommeranfang! Doch das Fernsehen geht schon jetzt in Urlaub, fällt in einen dreimonatigen Tiefschlaf. Sommerzeit, Wiederholungszeit! Der Blick ins TV-Programm wird zum Ärgernis. Wohin man auch zappt — fast alles schon gesehen. (…)
(“Bild am Sonntag” vom 1.6.1997)

1999:

Das Fernsehen fällt in den Sommerschlaf

Ab Juni fast nur noch Wiederholungen. (…) Das Fernsehen macht Sommerpause, fällt vom Juni an für über drei Monate in den Tiefschlaf. Der Blick ins sogenannte Programm — ein Dauerärgernis. (…) Gähn-TV in den schönsten Monaten des Jahres. (…)
(“Bild am Sonntag” vom 30.5.1999)

2000:

Der trostlose TV-Sommer — Noch nie sendete das Fernsehen so viele Wiederholungen wie in den kommenden Wochen

Auf die Gebührenzahler kommt ein trostloser TV-Sommer zu — noch nie griff das Fernsehen so tief in die Mottenkiste, wie es in den kommenden Wochen der Fall sein wird. (…) Gähn-TV! Sogar an den Talkshows und Comedy-Sendungen, die bei Gags und Gästen ja eigentlich von der Aktualität leben, geht der Sommerschlaf nicht vorbei. (…)
(“Bild am Sonntag” vom 2.7.2000)

2001:

Gähn-TV: Wofür zahlen wir im Sommer eigentlich Gebühren? (…) Politiker fordern weniger Gebühren wegen Gähn-TV
(“Bild am Sonntag” vom 28.7.2001)

Gähn-TV immer schlimmer: Das Sommer-Gähn-TV. Nur Wiederholungen, fast alle Show- und Talkmaster im Urlaub.
(“Bild am Sonntag” vom 3.8.2001)

2002:

Wiederholungsterror im Fernsehen — Politiker fordert: TV-Gebühren im Sommer halbieren!

Jeden Sommer der gleiche Ärger über Wiederholungen im TV.
(“Bild am Sonntag” vom 14.7.2002)

2003:

Zum Gähnen! Der TV-Sommer der Wiederwiederwiederholungen

TV-GÄHN! Egal, wohin man zappt — fast nur noch Wiederholungen. Gähnende TV-Langeweile. Bei dem Programm droht akute Einschlafgefahr! Falls Sie sich z. B. heute auf einen tollen Fernsehabend freuen, ein gutgemeinter Tipp: Verabreden Sie sich lieber zu einer Grillparty. Denn im TV verpassen Sie nichts! (…) Wofür zahlen wir eigentlich noch TV-Gebühren!
(“Bild” vom 16.7.2003)

2004:

Schlimmste Fernseh-Woche… Wiederholung, Wiederholung, Wiederholung…
(“Bild” vom 23.6.2004)

Weniger Gebühren für Gähn-TV im Sommer
(“Bild” vom 8.7.2004)

2005:

Das ist der Gipfel aller TV-Unverschämtheiten!

Dieses Wochenende über 44 Stunden Wiederholungen Und dafür zahlen wir auch noch TV-Gebühren! Erst im April wurden die Gebühren fürs öffentlich-rechtliche Fernsehen um 88 Cent auf monatlich 17,03 Euro erhöht. Und jetzt bekommen wir von ARD und ZDF trotzdem einen TV-Sommer voller Wiederholungen. Allein an diesem Wochenende bringen es die beiden Anstalten fertig, an drei Tagen 2669 Minuten aus dem Altfilm-Lager zu füllen. Das sind 44 Stunden und 29 Minuten!
(“Bild” vom 30.7.2005)

Immerhin: Es gibt Unterschiede. Viele Jahre lang schimpften “Bild” und “BamS” auch über Pro7, Sat.1 und RTL, errechneten ominöse Prozentanteile, ließen sich von unterschiedlichen Sendersprechern die Gründe (Urlaubszeit) erläutern usw. Vor zwei Jahren* hatte “Bild” zumindest noch das gesamte ARD- und ZDF-Programm “durchleuchtet” — statt, wie in diesem Jahr, nur irgendeine (nicht näher benannte) “Hauptsendezeit”. Wer, bitte schön, käme da auf die aberwitzige Idee, von “Wiederholungsterror” zu sprechen?

*) 2006 waren “Bild” und “BamS” offenbar zu “schwarz-rot-geil” für “Gähn-TV”. Ob (und wenn ja, warum) auch 1998 die Empörung ausblieb, wissen wir nicht.

Nachtrag in eigener Sache: Auch das BILDblog fällt bis Sonntag ins Sommerloch. Wir freuen uns trotzdem über Hinweise, wünschen bis dahin aber gute Unterhaltung.

Vom Nutzen der Homestory für die Demokratie

In einem Beitrag für das Jahrbuch 2007 des Deutschen Presserates schreibt “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann unter dem Titel “Boulevard und Persönlichkeitsrechte — wie weit darf die Neugierde gehen?” unter anderem über einen Fall wie den von Horst Seehofer:

Wenn ein Minister der Partei für freie Liebe ein außereheliches Verhältnis hat, liegt das im Rahmen des Programm- wie Lebensentwurfs, ist stimmig und allein seine Angelegenheit; wenn der Minister allerdings einer Partei angehört, die sich ausdrücklich zum christlichen Familienbild bekennt, ist die Verletzung eines Sakraments von ganz anderer Qualität, wenn auch allein nicht notwendig ausreichend, um die Publizierung zu rechtfertigen.

Kommt jedoch hinzu, dass jener Politiker sein vordem mustergültiges Eheleben zu Wahlen plakatiert, das weniger dauerhafte Familienglück der politischen Gegner als Ausweis charakterlicher Defizite bespöttelt, darf schon aus Gründen der Waffengleichheit die öffentliche Neugier sehr weit gehen1) — zumal wenn sich der Minister um den Vorsitz eben jener christlichen Partei bewirbt.2)

Die entgegengesetzte Ansicht, wonach Privatangelegenheiten grundsätzlich nichts in den Medien zu suchen hätten, muss die Frage beantworten, ob nicht gerade dieser Weg zu einer Verfälschung des Wählerwillens führt, wenn dem Wähler die Integrität des Kandidaten wichtiger ist als irgendein Parteiprogramm. Dass Voten auf der Grundlage charakterlicher Profile darüber hinaus weitaus lebensklüger sind als nach programmatischen Vorgaben, ist zudem offensichtlich. (…) Auch dies ist ein Grund, nicht allzu hochmütig auf Homestories3) und Familienportraits herabzublicken, die Aufschluss über den wahren persönlichen Wertekanon geben. Für das Votum des Wählers, dessen souveräne Entscheidung auch hinsichtlich seiner Informationsquellen ohne Dünkel geachtet werden sollte, ist dieses Genre der Berichterstattung vermutlich wichtiger als politische Analysen.

______________

Anmerkungen von uns:

1) Erstaunlicherweise nannte die “Bild”-Zeitung die Enthüllungen über Seehofers Privatleben, die nach Ansicht des Chefredakteurs geradezu staatsbürgerliche Pflicht waren, zunächst “schmutzig”:
Machtkampf in der CSU wird schmutzig

2) Notfalls finden sich aber offenbar auch andere Vorwände Gründe, um über das Privatleben von Politikern zu berichten. So berichtete SPD-Politiker verschweigt Babydie “Bild am Sonntag”, deren Herausgeber Diekmann ist, am 12. August in großer Aufmachung darüber, dass ein führender SPD-Politiker von seiner Frau getrennt lebe und die Scheidung laufe; mit einer anderen Frau habe er vor einigen Monaten ein Kind bekommen. Der “BamS”-Artikel rechtfertigte die Veröffentlichung damit, dass auf der offiziellen Homepage des Bundestages nicht die richtige Zahl der Kinder des Politikers angegeben gewesen sei.

3) Ob damit Diekmanns frühere Selbstverpflichtung hinfällig ist, vor dem Hintergrund des sogenannten Caroline-Urteils in Zukunft auf Homestorys über Politiker zu verzichten, um sich nicht den Vorwurf der “Hofberichterstattung” auszusetzen, wissen wir nicht.

Zwangsweise, Sprechweise, Schätzungsweise

1. Der Mann, der gegen alles kämpft, was links ist
(welt.de, Kathrin Spoerr)
Einige Journalisten kennen seinen Namen. Als “Der Kampfschlesier” bombardiert er sie mit wütenden Mails. “Journalistenpack” nennt er sie, “Linksgrün versifft”, “verlogen”, “widerlich”, “dreckig”… Auch “Welt”-Redakteurin Kathrin Spoerr ist ins Visier des Leserbriefschreibers geraten. Statt die Mails zu löschen, hat sie Kontakt aufgenommen und ihn bei sich zu Hause besucht. Herausgekommen ist der Versuch einer Näherung und ein wohltuend leises und zartes Stück Journalismus.

2. Wie Menschen, nur anders
(zeit.de, Mely Kiyak)
“Wir wollten Arbeitskräfte und Menschen kamen.” Haben Sie auch gedacht, dieses Zitat käme vom ehemaligen Arbeitsminister Norbert Blüm? Fehlanzeige! “Zeit”-Kolumnistin Mely Kiyak rückt die Sache gerade und ordnet das Zitat der richtigen Person zu: Max Frisch. Dazu hat sie sich nochmal in die Originallektüre vertieft: “Bei jeder Zeile liest man und denkt, ja ja, genau so ist das, das sollte der Gauland mal lesen! Aber dann besinnt man sich und denkt: Oh Gott, die sind alle so blöd, dass sie wirklich denken, dass Norbert Blüm von selbst zu einer so poetischen und präzisen Aussage gekommen sei, na ja, jedenfalls – und nur darum sollte es heute gehen: Es war der Frisch und nicht die Lärsche von Rüüselshaaaim.”

3. Nachrichtennutzung der 18- bis 24-Jährigen geht zurück
(hans-bredow-institut.de)
Das Hans-Bredow-Institut für Mediennutzung an der Uni Hamburg hat die deutschen Ergebnisse des „Reuters Institute Digital News Report 2016“ veröffentlicht. Demnach ist die Nachrichtennutzung in der Gruppe der 18- bis 24-Jährigen im Vergleich zum Vorjahr in allen Gattungen zurückgegangen, ob Fernsehen, Radio, Print oder Online. Erstaunlich: Die Hälfte der befragten Internetnutzer über 18 Jahren nennen weiterhin das Fernsehen als die wichtigste Nachrichtenquelle, für etwa ein Viertel ist es das Internet. Damit spiele das Internet für die Deutschen im internationalen Vergleich in Sachen Nachrichten die geringste Rolle.

4. Die Berichterstattung zu dem Orlando-Attentat
(radioeins.de, Stefan Niggemeier, Audio 4:54)
Das Attentat von Orlando war ein Hassverbrechen gegen Schwule und Lesben. Dies ist von vielen ausländischen Politikern und Medien auch von Beginn an so benannt worden, nur die deutsche Regierung blieb in ihrer Stellungnahme im Allgemeinen. “radioeins” hat mit dem Medienjournalisten und “Übermedien”-Macher Stefan Niggemeier gesprochen und gefragt: “Musste die Kanzlerin wirklich ausdrücklich betonen, dass es um eine Homosexuellen-Bar in Orlando ging?”

5. Hunderte, Tausende, Zehntausende – eine kleine Demozahlenlehre
(metronaut.de, John F. Nebel)
Teilnehmerzahlen von Demonstrationen sind ein Politikum und jeder geht anders mit ihnen um, ob Veranstalter, Medien oder Polizei. John F. Nebel beschreibt in seinem Artikel die Problematik und arbeitet einige Zahlen auf. Außerdem beschreibt er die Fallen, in die man als Veranstalter bei der Nennung von Zahlen tappen kann. Journalisten gibt er den Tipp, nicht die ersten Agenturzahlen oder die reinen Polizeizahlen zu übernehmen, sondern immer auch die Zahl des Veranstalters kommunizieren und gegebenenfalls eine eigene Einschätzung zu liefern.

6. Walulis’ Medientypen: Der Sportreporter
(ndr.de, Video, 2:44)
“Glanz und Elend eines Sportreporters – oder: Wollen Sie etwa für immer einen 19-Jährigen danach fragen, wie er den Ball reingemacht hat?”

“tz” macht der sichersten Großstadt Deutschlands Angst

128.141 Straftaten hat die Polizei München im vergangenen Jahr registriert. Das seien zwölf Prozent weniger als ein Jahr zuvor, sagte Münchens Polizeipräsident Hubertus Andrä gestern bei seiner Präsentation der neuesten Kriminalstatistik. München sei damit zum 41. Mal die sicherste Millionenstadt Deutschlands.

Die “Süddeutsche Zeitung” macht ihren München-Teil heute so auf:

Die Münchner Boulevardzeitung “tz” berichtet auf ihrer Titelseite heute ebenfalls über die neue Kriminalstatistik, setzt dabei aber einen etwas anderen Schwerpunkt:

Beide Schlagzeilen — mit ihrem jeweils gewählten Ausschnitt der Statistik — stimmen. Denn tatsächlich nimmt nicht in jedem Bereich die Zahl der Delikte ab. 2016 gab es in der Stadt und dem Landkreis München mehr Sexual- und Gewaltverbrechen und mehr Einbrüche als ein Jahr zuvor. Diesen Aspekt hat sich die “tz” für ihre Titelschlagzeile gegriffen.

Bei der “Süddeutsche Zeitung” gibt es diese Infos auch bereits in der Unterzeile:

Im Text jubelt die “SZ”-Redaktion nicht nur über die Sicherheitsspitzenposition in Deutschland. Sie schreibt auch, dass aus dem Zwölf-Prozent-Rückgang schnell ein Sechs-Prozent-Zuwachs im Vergleich zu 2015 wird, wenn man bei beiden Jahren die illegalen Einreisen von Asylbewerbern herausrechnet:

Jede illegale Einreise schlägt sich in der Statistik als Straftat nieder. Inzwischen kommen nur noch etwa fünf Asylbewerber pro Tag neu in der Stadt an, es waren mal Tausende.

Rechnet man die Einreiseverstöße heraus, landet man bei 110 399 Straftaten. Das sind zwar immerhin sechs Prozent mehr als im Vorjahr, im langjährigen Vergleich ist es aber dennoch ein guter Wert. 2007 waren es rund 121 000 Straftaten, 1997 sogar 125 000. Obwohl die Bevölkerungszahl seitdem stark zugenommen hat, ist die Zahl der Delikte kontinuierlich gesunken.

Diese differenzierte Betrachtung der Zahlen, für die auf einer Boulevard-Titelseite natürlich kein Platz ist, widerspricht dann doch der Angst-und-Panik-Schlagzeile der “tz”.

Gefunden bei @alex_ruehle.

Whatsapp an Strache, Maaßen-Analyse, Mockridge vs. Fernsehgarten

1. Chronologie einer Enthüllung: Whatsapp an H.-C. Strache
(derstandard.at, Bastian Obermayer & Frederik Obermaier)
Die beiden “SZ”-Journalisten Bastian Obermayer und Frederik Obermaier waren an der Aufdeckung des Ibiza-Skandal um FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache beteiligt. Beim österreichischen “Standard” erzählen sie, wie sie Kurz und dessen Adlatus mit den Vorwürfen konfrontierten und was danach passierte. Ein Bericht, der sich streckenweise wie ein Krimi liest.

2. Angeblicher Auflagen-König ist in Wahrheit König der Kopierer
(uebermedien.de, Mats Schönauer)
Nahezu alle Zeitschriften machen Verluste, doch ein Verlag scheint davon auf wundersame Weise nicht betroffen zu sein: der Alles Gute Verlag. Sein Erfolgsrezept beruhe auf einem simplen Trick, so Mats Schönauer auf “Übermedien”: Die sich mehrheitlich um Klatschblätter handelnden Postillen würden vornehmlich bei sich selbst abschreiben. Die fantastischen Zahlen hätten etwas mit der Abrechnungsweise der IVW bei den Remissionen bestimmter Titel zu tun: “Für ihre Analysen haben die Branchendienste bei der “Freizeit Heute” nicht die verkaufte Auflage betrachtet, wie bei anderen Zeitschriften, sondern die Druckauflage, die immer deutlich höher ist. Das Blatt gehört also nicht an die Spitze des Rankings, sondern vermutlich irgendwo ins Mittelfeld.”

3. Warum wir weiterhin darüber aufklären, wen Maaßens Anhängerschaft retweetet
(netzpolitik.org)
Netzpolitik.org hat die Twitter-Anhängerschaft des früheren Verfassungsschutz-Präsidenten Hans-Georg Maaßen analysiert. Dies hat teilweise heftige Kritik ausgelöst, die Netzpolitik.org wie folgt beantwortet: “Wir stehen zu unserem Bericht über die Datenanalyse. Deswegen lassen wir uns weder von Klageandrohungen noch von Shitstorms einschüchtern, die mit persönlichen Angriffen, Beleidigungen und Verleumdungen eine Änderung unserer Berichterstattung einfordern. Beides stellt einen Angriff auf die Pressefreiheit dar.”

4. Wo sich der Populismus unterhält
(tagesspiegel.de, Oliver Weber)
Oliver Weber hat sich die Entwicklung der Polittalks in den vergangenen Jahrzehnten näher angeschaut. Anfangs habe es an den Sendungen häufiger Kritik von rechts gegeben, heutzutage eher von links: “Führt man sich einmal vor Augen, wie irritationsresistent politische Talkshows funktionieren, wird auch klarer, inwiefern sie zum Aufstieg der AfD beigetragen haben können. Wenn sich der Personenkreis der häufig geladenen Gäste auf gut dreißig bekannte Gesichter reduziert, wird auch das populistische Vorurteil plausibler, in Berlin regiere eine kleine Clique von Politikern, die zur Lösung der Probleme im Land nichts beitrage.”

5. Wie Neonazis ihren Lifestyle auf Instagram verbreiten
(belltower.news, Samira Alshater)
Viele Rechtsextreme haben Instagram für sich entdeckt: “Auch sie nutzen die Plattform zur Darstellung ihres rechten Lifestyles. Dabei verwischen sie gezielt die Grenzen zwischen Propaganda und Privatleben.” Samira Alshater zeigt mit zahlreichen Beispielen, welcher Bildsprache sich Rechtsextreme und Neonazis bedienen.

6. Kiewel rügt Mockridge nach Gaga-Auftritt im “Fernsehgarten”
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
Am Sonntag war der Comedian Luke Mockridge beim ZDF-“Fernsehgarten” zu Besuch und hat dort augenscheinlich versucht, mit einem absichtlich schlechten Auftritt voller schlechter Witze die Sendung zu “pranken”. Nach vier quälend langen Minuten hatte die Regie genug und schaltete zu Fernsehgarten-Moderatorin Andrea Kiewel rüber, die dem Spuk ein Ende bereitete. Etwas später richtete Kiewel sich live an ihr Publikum: “Ich moderiere diese Sendung jetzt seit 19 Jahren und das was Luke Mockridge hier gerade abgeliefert hat, übertrifft alle Vorstellungen an Unkollegialität, die ich jemals erlebt habe.”
Kommentar des “6 vor 9”-Kurators: Wenn überhaupt bezieht der Vorgang seine Komik aus einem Aspekt, der sicherlich nicht beabsichtigt war: Ein glattgebügelter und gefälliger Unterhaltungskünstler für den Massengeschmack arbeitet sich an einem glattgebügelten und gefälligen Unterhaltungsformat für den Massengeschmack ab.

Wissenschaftsgefahr “Bild”, Lisas Judenwitze, Deutsche Welle

1. Infamer “Bild”-Artikel: Im Stil von Fox News gegen die Wissenschaft
(riffreporter.de, Christian Schwägerl)
Unter der Überschrift “Die Lockdownmacher” (Unterzeile: “Experten-Trio schenkt uns Frust zum Fest”) bildete die “Bild”-Redaktion Fotos von drei Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen ab. Dazu wurden in der Print-Version drei weihnachtliche Geschenkpakete mit den Aufschriften “Geschenke-Kauf 2G”, “Familienfest nach Corona-Regeln” und “Kino-Verbot für Ungeimpfte” gezeigt. Der Beitrag sei auf vielen Ebenen falsch, so Christian Schwägerl und besorgniserregend: “Was ‘Bild’ macht, wird vor dem Hintergrund der Radikalisierung der Szene der Coronaleugner zur Gefahr für die Wissenschaft in Deutschland.”
Weiterer Lesetipp: Beim “Tagesspiegel” schreibt Medien-Experte Joachim Huber: “Ob Blatt, online oder Bild-TV, ‘Bild’ hat nur die Macht, die ihr zugestanden wird. Also müssen sich ein Bundeskanzler Olaf Scholz und seine Koalitionäre genau überlegen, in welcher Nähe, mit welcher Distanz sie mit diesem zum Niedermachen bereiten Medium umgehen.” Und bei der “Süddeutschen” kommentiert Willi Winkler die Anwesenheit von Spitzenpolitikerinnen und -politikern bei Springers Spendengala im ZDF: “Der leider Gottes verstorbene Wiglaf Droste hat einmal gesagt: ‘Ich habe tote Fische gesehen, die es ablehnten, sich in Bild einwickeln zu lassen.’ Olaf Scholz, Annalena Baerbock und Robert Habeck haben damit kein Problem.”

2. Deutsche Welle stellt Mitarbeiter frei
(faz.net, Kim Maurus)
Mitarbeiter der Arabisch-Redaktion der “Deutschen Welle” sollen sich in Sozialen Medien antisemitisch geäußert haben. Der deutsche Auslandssender habe sie daraufhin für die Zeit einer Untersuchung freigestellt. Geleitet werde die Untersuchung von der ehemaligem Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und dem deutsch-israelischen Psychologen und Autor Ahmad Mansour.

3. Lisa Eckhart und die Judenwitze
(juedische-allgemeine.de, Philipp Peyman Engel)
“Braucht es wirklich öffentlich aufgeführte Judenwitze, um auf das Problem des Judenhasses in diesem Land hinzuweisen?” Philipp Peyman Engel beschäftigt sich in der “Jüdischen Allgemeinen” mit dem Programm der Kabarettistin Lisa Eckhart. Diese sei keine Antisemitin, “aber sie ergeht sich, und das ist schlimm genug, genüsslich in judenfeindlichen Pointen, ohne jegliche ironische oder andere künstlerische Brechung. Sie reproduziert judenfeindliche Bilder, die in unserer Gesellschaft ohnehin schon massenhaft zirkulieren, und trägt zu ihrer weiteren Verbreitung bei.”

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4. Bündnis will EU-Sanktionen gegen NSO Group
(reporter-ohne-grenzen.de)
In einem offenen Brief drängt Reporter ohne Grenzen zusammen mit mehr als 80 gemeinnützigen Organisationen und unabhängigen Fachleuten auf die Einführung von EU-Sanktionen gegen die NSO Group, die Herstellerfirma der Spähsoftware Pegasus. Die EU müsse “angemessene Schritte ergreifen, um die Nutzung und den Handel von NSO-Technologie zu verbieten, bis ein wirksamer Schutz von Menschenrechten gewährleistet sei”. Seit den ersten Enthüllungen des Pegasus-Projekts im Juli dieses Jahres seien mehr als 220 Journalistinnen und Journalisten als mögliche Spähobjekte identifiziert worden.

5. Bis zu 13 Millionen Zuschauer: Interesse an “Tagesschau” steigt in Pandemie wieder
(rnd.de)
Ähnlich wie zur gleichen Zeit des vergangenen Jahres erleben Fernsehnachrichten sowie Informations- und Diskussionssendungen im TV einen deutlich erhöhten Zuspruch. Den Corona-Entwicklungen geschuldet, würden derzeit bis zu 13 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer die 20-Uhr-Ausgabe der “Tagesschau” einschalten. Ein normaler Wert über alle Kanäle hinweg seien zehn Millionen.

6. Pirinçci muss Neu­bauer 6000 Euro zahlen
(lto.de)
Das Landgericht Frankfurt hat entschieden: Nach einer sexistischen Beleidigung auf Facebook muss der Autor und Blogger Akif Pirinçci der Klima-Aktivistin Luisa Neubauer eine Entschädigung in Höhe von 6000 Euro zahlen. Neubauer wolle die Summe an die Organisation Hate Aid spenden, eine Beratungsstelle für Betroffene digitaler Gewalt. Pirinçci habe jedoch angekündigt, in Berufung zu gehen.

Nächste Runde, “NZZ” redet Diktatur schön, Text-zu-Bild-Generierung

1. Nächste Runde
(sueddeutsche.de, Anna Ernst)
Die ARD kommt nicht zur Ruhe. Erst der Skandal beim rbb, nun ist die Landesfunkhausdirektorin des MDR in Sachsen-Anhalt, Ines Hoge-Lorenz, wegen mangelnder Transparenz von ihrem Amt zurückgetreten. Und auch beim NDR gärt es. Nach Berichten von “Business Insider” (hier eine Erwiderung des NDR) und “Stern” erhöben NDR-Redakteure schwere Vorwürfe gegen die Senderleitung des Landfunkhauses Schleswig-Holstein. Von einem “politischen Filter”, einem “Klima der Angst” und “Hofberichterstattung” sei die Rede.
Weiterer Lesehinweis: Laut “Übermedien” diskutierten Mitarbeiter und Funkhauschefs beim NDR Schleswig-Holstein die Vorwürfe gegen den Sender: “Hier wird ein Bild gezeichnet, was nicht das wahre Bild des NDR ist”.

2. Die NZZ redete die Diktatur in Saudi-Arabien schön
(infosperber.ch, Urs P. Gasche)
Beim Lesen der “NZZ” ist Urs P. Gasche etwas Interessantes aufgefallen: “Die NZZ nennt autoritäre Herrscher, die geopolitisch als Feinde gelten, häufig ‘Diktator’ oder ‘Machthaber’. Wenn es sich aber um autoritäre Herrscher handelt, die dem Werte-Westen geopolitisch nützlich sind, hält sich die NZZ meistens an deren offiziellen Funktionen und bezeichnet sie beispielsweise als ‘Präsident as-Sisi’ oder eben ‘Kronprinz bin Salman’.”

3. Königshaus hält Familie von Exil-Journalisten fest
(reporter-ohne-grenzen.de)
Sechs Familienmitglieder des Journalisten Yusuf Omran Abdulla werden seit über einer Woche gegen ihren Willen in Bahrain festgehalten, berichtet Reporter ohne Grenzen: “Die Behörden in Bahrain versuchen offenbar, Druck auf einen ihrer Kritiker auszuüben. Auch aus dem Exil war Yusuf Abdulla weiter eine kritische Stimme zur politischen Lage in Bahrain. Deshalb will ihn die Regierung von König Hamad bin Isa al-Chalifa zum Schweigen bringen.” Der Fall hat auch eine politische Dimension: Seit 2020 besitzen alle sieben Familienmitglieder die deutsche Staatsbürgerschaft.

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4. Der Anfang von etwas Großem
(netzpolitik.org, Sebastian Meineck)
Sebastian Meineck zeigt sich angetan von den Ergebnissen der Software “StableDiffusion” und spricht gar von einer bevorstehenden Medienrevolution: “Jetzt isses soweit: Ich glaube, Text-zu-Bild-Generierung wird ein großes Ding. Die Technologie wird verändern, welche Bilder wir in unserem Alltag sehen und wie wir mit Bildern kommunizieren. Sie wird unsere Fantasie auf das nächste Level bringen und künftige Generationen werden uns belächeln, wenn sie hören, dass wir tatsächlich ein Leben ohne diese Technologie geführt haben.”

5. Jammern als Identität
(taz.de, Andreas Speit)
Das Magazin “Compact” wolle das “Flaggschiff der alternativen Medien” sein, habe sich jedoch längst zum “strömungsübergreifenden Kampfblatt der Extremen Rechten” entwickelt, befindet Andreas Speit. Mit der “Querdenken”-Bewegung habe die Redaktion zudem eine neue Zielgruppe ­gefunden. Gelegentlich gerate “Compact” jedoch auch ins Stolpern. So musste eine Autobiographie von Chefredakteur Jürgen Elsässer sowie eine Interview-DVD zurückgezogen werden. Dies jedoch nicht aus inhaltlichen Gründen – das verwendete Logo habe dem Logo eines bekannten Buchverlags zum Verwechseln ähnlich gesehen.

6. Games: Leitmedium des 21. Jahrhunderts?
(wdr.de, Steffi Orbach, Audio: 55:11 Minuten)
In den vergangenen Tagen fand in Köln die Computerspielemesse Gamescom statt. Der Radiosender WDR 5 hat der “europäischen Leitmesse für digitale Spielekultur” eine ganze Sendung gewidmet: Was sind die großen Themen dieses Jahres, und sind Games das Leitmedium des 21. Jahrhunderts? Wie ist es um den Jugendschutz bestellt? Wo lauern Kostenfallen? Und wie ist der aktuelle Stand beim Games-Journalismus?

“Bild” wirkt (2)

Dass ein mutmaßlicher “Nackt-Test für Ausländer” nach niederländischem Vorbild, über den “Bild” gestern groß zu berichten wusste (siehe Ausriss), zumindest in den Niederlanden kein “Nackt-Test” ist, sollte inzwischen eigentlich jedem klar sein, weil viele Medien die Null-Meldung der “Bild”-Zeitung zum Anlass nahmen, selbst darüber zu berichten.

Stellvertretend sei hier nicht Zeit.de, sondern Süddeutsche.de zitiert:

“Von einem ‘Nackt-Test’, auf den die Bild-Zeitung sich fragend bezieht, kann also keine Rede sein. Es geht offenbar darum, einbürgerungswilligen Ausländern ein umfassendes Bild von der Gesellschaft zu vermitteln, in der sie leben möchten — mit allen Facetten.”

Ebenfalls herumgesprochen haben sollte sich eigentlich auch, was beispielsweise die niederländische Regierung über das Einbürgerungsprojekt “Naar Nederland” bzw. über die dazugehörigen Bilder einer barbusige Frau zu sagen hat, die “Bild” und Bild.de so aufgeilte offenbar gar nicht oft genug zeigen konnten:

1.) “Zu den Bildern werden keine Fragen gestellt.”

2.) “Die Auftraggeber haben beschlossen, zwei Versionen des Films herauszugeben. Eine usprüngliche Version, in der die Offenheit niederländischen Zusammenlebens explizit zu sehen ist (Bilder eines Strandes mit einer Frau mit entblößtem Oberkörper, ein Popkonzert und zwei sich küssende Männer), und eine ‘gekürzte’ Version, in der diese drei Bilder nicht vorkommen, weil der Besitz solchen Bildmaterials in einigen Ländern Strafverfolgung nach sich ziehen kann.”
(Übersetzung von uns.)

So ähnlich stand es immerhin am vergangenen Dienstag (nachdem zuvor die “FAS” das Thema in einem Interview mit Innenminister Wolfgang Schäuble aufgebracht hatte) auch bei Spiegel Online:

“Vorbereiten auf den Test und das Leben im einst so liberalen Land hinter den Deichen können sich die Einwanderer mit einem Buch, das es in 14 Sprachen gibt, und mehreren CD-Roms, die auch Videoaufnahmen enthalten. Weil dabei nackt badende Frauen und Schwule zu sehen waren, die sich in der Öffentlichkeit küssen, kam es zu Protesten von Muslimen. Seitdem gibt es eine keusche und eine unkeusche Version – beide kosten stolze 63,90 Euro.”

In “Bild” steht das natürlich nicht. Dort heißt es über das niederländische Projekt bloß:

“Dort bekommen Ausländer, z. B. aus muslimischen Ländern, schon vor der Einreise eine DVD zugeschickt (Kosten: 63,90 Euro), die das typische Leben in den Niederlanden darstellt.

Zu sehen sind unter anderem küssende Schwulen-Paare und Urlauberinnen, die ‘oben ohne’ am Strand planschen.”

Und würden wir uns kritisch mit der Berichterstattung von Spiegel Online auseinandersetzen, müssten wir uns jetzt wohl fragen, warum Spiegel Online am Tag der “Nackt-Test”-Meldung in “Bild” plötzlich nichts mehr zu wissen scheint von den zwei unterschiedliche “keuschen” Versionen und stattdessen (O-Ton Spiegel Online: “einem Zeitungsbericht zufolge”) nur pauschal behauptet, es seien dort “unter anderem Frauen, die in der Öffentlichkeit ‘oben ohne’ baden, und sich küssende Homosexuelle” zu sehen.

Die traurige Antwort würde lauten: weil offenbar auch Spiegel Online irgendwelchen irreführenden “Bild”-Behauptungen mehr traut als den eigenen Berichten.

Mit Dank an Jürgen K. und viele andere für den Hinweis.

“Staunen über Daunen”

Nette Idee eigentlich von Bild.de, die heutige Titelschlagzeile der “Bild”-Zeitung (“Loriot – Rührender Abschied vom TV!”) mit einer Bilderschau (“Loriot: Seine schönsten Sketche in Bildern”) anzureichern. So gehört sich das für die “multimediale Erweiterung von BILD”, auch wenn “Bild” sich bei Bedarf gern mal von Bild.de distanziert.

Problematisch wird das Ganze allerdings, wenn Bild.de unter einen der “schönsten Sketche” schreibt:

Staunen über Daunen! In "Pappa ante Portas" schenkt Loriot einer älteren Dame - wie übrigens auch die übrige Verwandschaft -- wärmende Bettwäsche

Denn offenbar hat der zuständige Fotobetexter bei Bild.de den Film “Pappa ante Portas” nie gesehen. Die abgebildete Szene zeigt nämlich etwas derart anderes, dass sich nicht einmal aufzuschreiben lohnt, was eigentlich. Deshalb nur soviel: Loriot (rechts im Bild in seiner Rolle als “Heinrich Lohse”) “schenkt” darin keiner “älteren Dame” wärmende Bettwäsche. Ebensowenig handelt es sich bei den übrigen drei Personen um “die übrige Verwandschaft”, sondern um Lohses Haushälterin (links im Bild) und zwei Hausierhändler für handgefertigte Wurzelbürsten und Badezusatz (Bildmitte).

Mit anderen Worten: Bild.de hat sich bei der Betextung des Fotos einfach was ausgedacht, zurechtfantasiert, ja, man könnte auch sagen: die Bild.de-Leser belogen. Das ist in diesem Fall natürlich nicht sonderlich schlimm, aber natürlich mal wieder gut zu wissen.

Mit Dank an Le-Grex und Joachim W. für den Hinweis.

Nachtrag, 15.07 Uhr: Wie kommt’s? Plötzlich heißt es bei Bild.de zu dem Foto nur noch:

Loriot in einer Szene aus "Pappa ante Portas"

Nachtrag, 15.20 Uhr: Ach ja, und dann sei an dieser Stelle (mit Dank an Henning B. für den Hinweis) vielleicht doch noch nachgetragen, dass auch die Betextung eines weiteren Fotos (Bild.de schreibt: “Poetische Panne! Im Film ‘Pappa ante Portas’ spielt Loriot u.a. einen Schriftsteller mit Sprachfehler — wir hatten Lach-Tränen in den Augen”) so nicht richtig ist. Loriot, hier in der Rolle des Schriftstellers Lothar Frohwein, hat mitnichten einen Sprach- oder besser Sprechfehler, sondern einen lästigen Schluckauf. Als Alternativtext empfehlen wir deshalb auch hier: “Loriot in einer Szene aus “Pappa ante Portas”.

Nachtrag, 16.30 Uhr (und abermals mit Dank an gleich mehrere Hinweisgeber): In einem “Damenhut-Geschäft” spielt diese in der Kulisse einer Damenunterwäsche-Abteilung gedrehte Szene aus “Pappa ante Portas” auch nicht.

Hugo Müller-Voggs Liebe zu den Fakten

“Ha!”, könnte “Bild”-Kolumnist Hugo Müller-Vogg gerufen haben, als er vor zwei Wochen die ARD-Sendung “Hart aber fair” sah. Oskar Lafontaine, Parteivorsitzender der Linken und einer der Lieblingsgegner Müller-Voggs, ließ sich auch durch gutes Zureden von Moderator Frank Plasberg nicht dazu bringen, einen Fehler zuzugeben. Lafontaine hatte am 1. Juni 2008 in der Talkshow “Anne Will” behauptet, Bundeskanzlerin Angela Merkel habe in Moskau studiert. Tatsächlich hat sie zwar offenbar an einem Jugendaustausch mit Physikstudenten dort teilgenommen, aber nicht regulär studiert. Lafontaine beharrte aber darauf, bei Anne Will die Wahrheit gesagt zu haben.

“Ha! Schon wieder!”, könnte Hugo Müller-Vogg also gerufen und sich auf die Schenkel gehauen haben, denn den Fehler hatte er ihm damals schon in seiner “Bild”-Kolumne vorgeworfen. Und so verfasste er einen neuen Text mit der Überschrift “Lafontaine wiederholt die Mär von Merkels Moskau-Studium” und schrieb:

Das war dumm, um nicht zu sagen: falsch. Vielleicht hatte sich Müller-Vogg ein bisschen zu triumphierend auf die Schenkel gehauen, aber genau das hatte Lafontaine nicht gesagt. Im Gegenteil: Trotz allen Beharrens hatte Lafontaine seine Aussage über Merkel relativiert und ausdrücklich betont, Merkel habe als Austauschstudentin kein “reguläres Semester” in Moskau absolviert. Das kann man sich sogar im Original auf der Internetseite zur Sendung ansehen.

Anstelle einer Berichtigung veröffentlichte “Bild” am vergangenen Dienstag eine Gegendarstellung Lafontaines:

Bei Bild.de ist Müller-Voggs fehlerhafter Text ohne eine Erklärung entfernt worden.

Bei dem Hugo Müller-Vogg, der Lafontaine (möglicherweise nicht zu unrecht) vorwarf, dass ihm Fakten egal seien und er keine Fehler eingestehen könne, handelt es sich nach unseren Recherchen übrigens um denselben Hugo Müller-Vogg, der seinen Text mitsamt dem groben Fehler bis heute uneingestanden und unkorrigiert auf seiner Homepage verbreitet.

Nachtrag, 26. September, 13:00 Uhr. Der Artikel ist von Hugo Müller-Voggs Homepage verschwunden.

Nachtrag, 26. September, 15:50 Uhr. Hugo Müller-Voggs Internetseite gibt es in den drei Geschmacksrichtungen “classic”, “bold” und “modern”, was ihm die Möglichkeit zu einem differenzierten Umgang mit seinen Fehlern gibt. Anders gesagt: In der Variante “modern” hält er noch an seiner falschen Darstellung fest.

Mit Dank an Christopher und Lothar W.!

Wie haben die Fake-Promis reagiert?

Zum klassischen Journalismus-Abspulprogramm nach Großereignissen gehört auch die Antwort auf die Frage: “Wie haben Promis reagiert?” Die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten ist ohne Zweifel so ein Großereignis.

Also, express.de und berliner-kurier.de, wie haben denn nun die Promis reagiert?


Puh, ziemlich heftig. Die Aussage “‘F*** deine Eltern'” soll von der Sängerin Cher stammen:

Besonders heftige Reaktionen kamen von Cher. Sie setzte mehrere Tweets voller Verachtung ab. Die Sängerin fühlte sich gar an das Deutsche Reich erinnert: “So wie in Deutschland in den 30ern haben Ärger und Wut die USA erfasst.” Am Ende wurde die 70-Jährige ganz schön ausfällig: “Fick deine Eltern, Trump!”

Den Tweet mit “Deutschland in den 30ern” hat Cher tatsächlich geschrieben:

Die wüste Beschimpfung in Richtung der Trump-Eltern stammt hingegen von einem anderen Account. Den Tweet haben die beiden Schwester-Portale express.de und berliner-kurier.de dankenswerterweise sogar in ihren Artikeln eingebettet:

Nun könnte der Name “PARODY CHER ACCOUNT” schon ein Hinweis darauf sein, dass es sich nicht unbedingt um den offiziellen Twitter-Kanal von Cher handelt. Ziemlich sicher ist die Sache dann, wenn man sich die Beschreibung des Accounts ansieht:

*I AM NOT CHER* PARODY ACCOUNT Please Follow CHER HERE @Cher

Bei shz.de ist das falsche Cher-Zitat ebenfalls aufgetaucht:

Nach der Entscheidung in der Nacht zu Mittwoch twitterte Cher beinahe im Minutentakt — mit zum Teil heftigen Reaktionen. “Fick dich, Donald Trump” schrieb sie ebenso wie “Fick deine Eltern, Trump”.

Unter den Artikeln von express.de und berliner-kurier.de steht als Quelle übrigens “dpa”. In weiten Teilen stimmt das auch — die “dpa” hat tatsächlich eine Zusammenstellung mit Promi-Reaktionen auf Trumps Sieg rausgeschickt. Die Stelle mit der falschen Cher haben die beiden Redaktionen aber selber hinzugefügt.

Mit Dank an Michael W. für den Hinweis!

Ausblick, Recht auf Vergessen, Wortwahl

1. Was 2017 zählt
(ploechinger.tumblr.com)
Der Chef der “Süddeutschen Zeitung” Stefan Plöchinger hat für das Medienmagazin “journalist” einen längeren Essay zur Zukunft des Journalismus verfasst, den er vorab auf seinem privaten Blog veröffentlicht hat. Er schreibt darin über 2016 und die Folgen und zieht “fünf Lehren aus einem schwarzen Jahr für die Auseinandersetzungen, die uns Journalisten noch bevorstehen”. Der Text ist eine Mischung von Bestandsaufnahme, Medienkritik und Appell und liefert viele Denkanstöße.

2. «NZZ am Sonntag» verbreitet Fake News
(infosperber.ch)
Die “Washington Post” sprach von angeblichen Behördenhinweisen, nach denen russische Hacker angeblich einen Computer einer Elektrizitätsgesellschaft angegriffen hätten, schob aber ein Dementi hinterher: Das betroffene Notebook hatte gar keine Verbindung zum Netz des Versorgers. Schweizer Medien wie “NZZ am Sonntag” und “Schweiz am Sonntag” übernahmen die vage Meldung als Tatsachen-Darstellung und versahen das Ganze mit knalligen Überschriften wie “Russen hacken US-Stromversorger” und “Cyber-Angriff auf Stromversorger”. Der Schweizer “Infosperber” schreibt dazu: “In Zeiten des neuen Kalten Krieges zwischen der Nato und Russland sollten Medien mit Informationen aus Regierungs- und Geheimdienstkreisen aller Seiten besonders vorsichtig umgehen, die ursprünglichen Quellen genau nennen und vorsichtigerweise den Konjunktiv verwenden.”

3. Peter T. versucht zu verschwinden
(taz.de, Christian Rath)
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entscheidet dieses Jahr über den sogenannten “Appolonia-Fall”, bei dem es um das „Recht auf Vergessen“ geht. Im Kern geht es um die Frage, ob Straftäter verlangen können, dass ihr Name – nach einigen Jahren – in digitalen Presse-Archiven anonymisiert wird. Ein Straftäter will den “Spiegel” dazu zwingen, seinen Namen aus den Archiven zu entfernen. Er habe seine Haft verbüßt und sei bereits vor 20 Jahren aus der Haft entlassen worden. Das Oberlandesgericht Hamburg urteilte zunächst zu seinen Gunsten, die öffentliche Berichterstattung verletze sein Persönlichkeitsrecht. Doch der BGH hob das Urteil wieder auf. Nun liegt die Sache dem Bundesverfassungsgericht vor.

4. Darf man schreiben, dass Donald Trump “lügt”?
(sueddeutsche.de, Karoline Meta Beisel)
Unwahrheiten, Falsches oder Lügen? Amerikanische Zeitungen diskutieren die richtige Wortwahl in der Berichterstattung über den künftigen US-Präsidenten. Der Chefredakteur des “Wall Street Journal” plädiert für Zurückhaltung. Das Verb “lügen” impliziere viel mehr, als nur etwas Falsches zu sagen. Es impliziere die bewusste Absicht, in die Irre zu führen: “Wenn du jemandem eine moralische Absicht unterstellst, besteht sonst die Gefahr, dass du so aussiehst, als wärest du nicht objektiv.”

5. Auswärtiges Amt muss Auskunft über ‘Schmähgedicht’-Gutachten geben
(lto.de)
Die Auskunftsklage der Berliner Zeitung “Der Tagesspiegel” gegen das Auswärtige Amt hatte Erfolg: Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg hat das Amt dazu verdonnert, auf bestimmte Fragen zu antworten und die seinerzeitigen Dokumente, Vermerke und Gutachten offenzulegen. Das Auswärtige Amt hatte bislang gemauert, u.a. mit Hinweis auf den Schutz von Böhmermann. Dieses hatte der Entertainer jedoch unterlaufen, indem er in einer Erklärung auf die Rechte aus seiner gesetzlichen Unschuldsvermutung verzichtet hat.

6. Auf diese Serien freuen wir uns 2017
(welt.de, Jamin Schneider)
Der frühere “Serienjunkies”-Redakteur Jamin Schneider nennt in der “Welt” die kommenden Serien-Highlights.

Strache vs. Wolf, AfD-Medienzentrum, Patriotische Glücksbesoffenheit

1. Fake-News-Vorwurf nur Satire?
(faktenfinder.tagesschau.de)
In Österreich gibt es einen Konflikt zwischen FPÖ und ORF, der mit zweifelhaften Mitteln ausgetragen wird. So hat Parteichef Strache einen Facebook-Eintrag veröffentlicht, in dem er auf einem Fake-Plakat in feinstem Wutbürger-Deutsch gegen den Journalisten und Moderator Armin Wolf geätzt hat. Unter Verwendung dessen Fotos. Später löschte Strache den Beitrag, es sei nur eine „Satire-Reaktion“ gewesen. Armin Wolf will den Vorfall nicht auf sich beruhen lassen. Eine Medienanwältin sieht gute Chancen für Wolfs Klage gegen Strache.

2. Im Raster
(faz.net, Laura Meschede)
Etwas Zeit sollte man mitbringen, wenn Laura Meschede sich auf die Suche nach den über uns gespeicherten Informationen macht, aber die Zeit ist gut angelegt. Meschede spricht mit Technologie-Experten und Unternehmensberatern und berichtet über unseren Hang zur freiwilligen Überwachung und die damit einhergehenden Folgen. Am Ende ihrer zweimonatigen Recherche sieht ihr Rechner anders aus als zuvor: Statt Google erscheint dort startpage.com als Startseite, Cookies von Drittanbietern werden blockiert und sie verwendet den anonymen „Tor“-Browser.

3. Ungefiltert im Schmutz wühlen
(taz.de, Andreas Speit)
Die AfD bereitet eine eigene Abteilung vor, in der 20 Mitarbeiter rund um die Uhr und mit eigenem TV-Studio die AfD-Positionen und Themen verbreiten sollen. Laut Bundespressesprecher Christian Lüth ginge es darum, „eine Art War Room aufzubauen, der für uns unsere Inhalte ungefiltert an den Mann bringt“. Als Vorbild hat man sich anscheinend die FPÖ genommen, die seit Jahren ein professionelles Video-Team beschäftige.
Weiterer Lesetipp: Nathan Mattes hat unter der Domain www.wir-sind-afd.de umkommentiert einige Zitate von AfD-Politikern veröffentlicht. Nun ist er von der AfD verklagt worden, die die Domain für sich beansprucht. Eine Sache, die ihn im wahrsten Sinne des Wortes teuer zu stehen kommt und bei der man ihn unterstützen kann.

4. Warum bei ARD und ZDF nicht alles Gold ist
(haz.de, Imre Grimm)
„Katarina Witt könnte als letzte Überlebende zwischen brennenden Trümmern stehen, während es giftige Frösche vom Himmel regnet — sie wäre trotzdem blendender Laune.“ Imre Grimm schreibt in einer tollen Kombination aus Information und herzhaftem Rant über patriotische Glücksbesoffenheit und eskalierende Randsportexperten bei der Olympia-Berichterstattung.

5. Deutschland: NetzDG mangelhafter Ansatz gegen Online-Vergehen
(hrw.org)
„Human Rights Watch“ wendet sich ausdrücklich gegen das Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Es könne zu ungerechtfertigter Zensur führen, ohne dass dagegen Widerspruch möglich sei. Das Gesetz sollte deshalb umgehend aufgehoben werden. Außerdem stelle es einen gefährlichen Präzedenzfall für andere Länder dar, welche die Meinungsfreiheit im Netz einschränken wollen.

6. I like this guy.
(twitter.com, Jonathan Goldsbie)
Erik Haddad wurde während eines Flugs Augenzeuge einer technischen Panne. Von seinem Platz hatte er gute Sicht auf ein ramponiertes Triebwerk. Also zückte er sein Handy und stellte die Fotos samt Kurzvideo auf Twitter ein. Sofort meldeten sich Medien, welche um Überlassung des Materials baten. Einer Bitte, der er immer, sorry FAST immer entsprach …

Halbmarathon, ganzer Fehler, Der Fall Methadon, “Monitoring”

1. Berliner Halbmarathon: Anschlagsmeldung auf Verdacht
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Hat die Polizei einen Terror-Anschlag auf den Berliner Halbmarathon verhindert, wie „Welt“ und später „Bild“ berichteten? Nein, hat sie nicht. Das liegt aber daran, dass keiner geplant war. Stefan Niggemeier berichtet von einer „Anschlagsmeldung auf Verdacht“.

2. US-Heimatschützer planen weltweites Monitoring von Journalisten
(netzpolitik.org, Constanze Kurz)
Das amerikanische Heimatministerium beabsichtigt nach Medienberichten, eine Datenbank mit Überwachungs-Informationen zu annähernd 300.000 Journalisten, Bloggern, Korrespondenten und Herausgebern anzulegen. Bedenken von Kritikern weist das Heimatschutzministerium via Twitter als „Verschwörungstheorien“ von „Aluhutträgern“ zurück.

3. Der Fall Methadon
(deutschlandfunk.de, Martina Keller, Audio, 27:33)
Wenn man manchen Erzählungen Glauben schenkt, wirkt Methadon in der Krebsbehandlung wahre Wunder. Doch ist die Substanz wirklich der erhoffte Krebskiller? Der womöglich aus Profitinteressen der Pharmaindustrie kleingehalten wird, wie im Wirtschaftsmagazin „Plusminus“ (ARD) angedeutet? Medizinjournalist Marcus Anhäuser hat untersucht, wie sich die Methadon-Berichterstattung von „Plusminus“ ausgewirkt hat. Außerdem hat der „Deutschlandfunk“ in seiner halbstündigen Produktion Mediziner und die „Plusminus“-Redaktion selbst zu Wort kommen lassen. Eine nachdenklich machende Sendung über Schwierigkeiten und Besonderheiten der Berichterstattung bei Medizinthemen.

4. Twitter, ich bin es so leid…
(couchblog.de, Nico Brünjes)
Couchblogger Nico Brünjes hat sich den Frust von der Seele gerantet über Twitters Ankündigung, den Third-Party-App-Entwickler die Schnittstellen zu entziehen.

5. Ohne Ergebnis
(djv.de, Hendrik Zörner)
Gestern Abend trafen sich der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) und der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) zur vierten Runde der Tarifverhandlungen. Zuletzt hätten die Verleger für die nächsten beiden Jahre je 1,3 Prozent mehr geboten. Ein Angebot, das unter der Inflationsrate läge und deshalb abgelehnt worden sei. Ende des Monats will man sich erneut zusammensetzen.

Weiterer Lesetipp: Patrick Guyton schreibt in der „taz“ über den Streik der Zeitungsredakteure in Bayern: „Frustration hoch, Stimmung gut“

6. Die »alternativen Fakten« für Österreichs Medien
(noemix.twoday.net, Michael Nöhrig)
Im Konkurrenzkampf der beiden größten österreichischen Gratis-Tageszeitungen prahlt „ÖSTERREICH“ mit Auflagenzahlen, die um ein Drittel höher sind als die Gesamtleserzahl. Michael Nörig hat den Krieg der Balkengrafiken aufgedröselt.

“Bild” duldet schwulenfeindliche Hetze

In Russland wird der Film über das Leben von Elton John offenbar nur in einer zensierten Version zu sehen sein, wenn er diese Woche dort in die Kinos kommt. Das berichten Journalisten, die “Rocketman” vorab sehen konnte. Demnach seien unter anderem “alle Szenen mit Küssen, Sex und Oralsex zwischen Männern” von der Vertriebsfirma herausgeschnitten worden.

Bild.de berichtet auch über diesen Vorgang und hat den Artikel zum Thema bei Facebook geteilt. Im Kommentarbereich auf der “Bild”-Facebookseite gibt es seitdem größtenteils Jubel: “Richtig!”, “Gut so!”, “Gute Idee”, “Ich verstehe die Russen.”, “Sollte aber komplett verboten werden”. Von “Homowahn” ist da die Rede, von “schwuppen kamelle”, von “Homo scheisse”. “Schwule-nein danke!” kommentieren “Bild”-Leserinnen und -Leser und: “Das ist die Version die ich mir ansehen würde. Danke! Spart mir den Kotzkrampf!”

Manche gehen aber noch ein bisschen weiter. Ein Nutzer bringt den inzwischen abgeschafften Paragraphen 175 des Strafgesetzbuches ins Spiel, der noch bis 1994 sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte und das Leben vieler, vieler Menschen zerstörte:

Screenshot eines Facebook-Kommentars - gut anders gesagt ich muss keinerlei Verständnis für solche Neigungen haben. Schließlich handelt es sich hier um eine spezielle Lebensweise und die war in Deutschland schon seit langem fragwürdig. Warum gab es sonst den Paragraphen 175. Da hat sich jemand was bei gedacht.

Ein anderer bezeichnet Homosexualität als “trend krankheit”:

Screenshot eines Facebook-Kommentars - Also meine kinder haben verstanden das homosexualität wine trend krankheit ist.

Und einer will “DIESE KRANKHEIT” gleich ganz “VERNICHTEN”:

Screenshot eines Facebook-Kommentars - RICHTIG SO!!!! DIESE KRANKHEIT MUSS VERNICHTET WERDEN

Diese Kommentare sind seit Tagen online, ohne dass die “Bild”-Redaktion eingreift.

Mit Dank an Fabian für den Hinweis!

Nachtrag, 4. Juni: Auf die Nachfrage eines BILDblog-Lesers hat die “Bild”-Redaktion nun reagiert und den größten Teil der homophoben Kommentare gelöscht. Sie schreibt dazu im Kommentarbereich der “Bild”-Facebookseite:

Nein, solche Kommentare sind nicht normal, zutiefst verachtenswert und werden von uns nicht geduldet. Hier haben wir auf jeden Fall zu spät reagiert, zumal bei einer überschaubaren Gesamtzahl an Kommentaren. Wir sind dabei, Kommentare zu löschen und auch Nutzer zu bannen. Liebe Grüße.

Mit Dank an Marco S. und Sebastian K.!

Zum Würfeln: Schwangerschaften in der Regenbogenpresse

Zeitknappheit, Personalmangel, begrenzte Ressourcen …

Wir kennen die Probleme der Redaktionen nur allzu gut und haben dafür die Lösung: Mit unserem Würfelspiel “Kurz vor Redaktionsschluss” lassen sich, jawoll, auch kurz vor Redaktionsschluss auf die Schnelle druckreife Teaser, kurze Artikel und regenbogentauglicher Promi-Klatsch erstellen.

Folge 8 unserer 16-teiligen Serie: Schwangerschaften in der Regenbogenpresse.

Das neue BILDblog-Würfelspiel Kurz vor Redaktionsschluss - nur viermal würfeln, schon haben Sie frei erfundenen Schwangerschaftsklatsch beisammen - Schritt 1: Würfeln Sie die Obendrüberzeile! Schritt 2: Würfeln Sie die erweiterte Einleitung! Schritt 3: Würfeln Sie den Spannungserzeuger! Schritt 4: Würfeln Sie den Lese-Auslöser! - Variante 1: Da wölbt sich doch was! Schüchtern versteckt sie ihren Bauch. Doch eine Frage steht im Raum: War es ein Wunschkind oder ein Arbeitsunfall? - Variante 2: Spätes Mama-Glück! Keiner sollte es wissen. Nun rätseln alle: Benutzte sie eine Fruchtbarkeits-App - Variante 3: Sie hat es selbst verraten! Die Freude ist grenzenlos! Verunsicherung beim Ehemann: Wird sie je wieder instagrammen können? - Variante 4: Hurra! Endlich ist es soweit! Ein Traum wird Wirklichkeit! Der Manager würde gern wissen: Stammt es von der Samenbank? - Variante 5: Süßes Geheimnis gelüftet! Schon lange kursierten Gerüchte. Jetzt fragt sich die Familie: Werden es Siebenlinge? - Variante 6: Ganz England im Babyrausch! Endlich platzt die Bombe! Nur das Schicksal kennt die Antwort: Zeigt das Ultraschallbild Umrisse von Atlantis?

Hier gibt es ein größeres JPG und hier ein PDF zum Ausdrucken.

Bisher erschienen:

Facebooks Werbe-Diskriminierung, Kino-Crash-Kurs, Hitzebilder

1. So geschah der Mord an Maks Levin
(faz.net)
Die Organisation Reporter ohne Grenzen hat die Umstände des To­des des ukrainischen Fotojournalisten Maks Levin untersucht (PDF, englisch). Das Ergebnis: Levin und dessen Begleiter seien von russischen Soldaten am 13. März in einem Waldstück nahe dem Dorf Guta Mezhyhirska, dreißig Kilometer nördlich von Kiew, “kaltblütig” hingerichtet worden.

2. Ferda Ataman und der Umgang mit der eigenen Social-Media-Geschichte
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers & Stefan Fries, Audio: 6:32 Minuten)
Ferda Ataman, designierte Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, hat bei Twitter die meisten ihrer Tweets gelöscht, was auf Kritik stößt. Stefan Fries vom Deutschlandfunk hat den Social-Media-Experten Simon Hurtz um eine Einschätzung von Atamans Vorgehen gebeten, für und gegen das es gute Gründe gibt.

3. Im Spaßbad der Hitzebilder
(uebermedien.de, Florian Kappelsberger)
Bei der Bebilderung von Hitzewellen und den damit einhergehenden Problemen, tritt oft das Phänomen der Text-Bild-Schere auf: Ernste Beiträge über die verheerenden Folgen der Extremtemperaturen werden mit Fotos vom sommerlichen Badespaß oder der Schlange vor der Eisdiele versehen. Florian Kappelsberger hat herausgearbeitet, was genau daran problematisch ist, und einen vergleichenden Blick nach Frankreich geworfen.

Bildblog unterstuetzen

4. Viele Pflichten, wenig Löschung
(lto.de, Martin Gerecke & Anne-Kristin Polster)
Immer wieder ist beim Musikdienst Soundcloud rechtsradikale Musik frei zugänglich. So habe das Bundeskriminalamt mehr als eintausend Inhalte gemeldet, in denen gewaltverherrlichendes, rechtsextremistisches beziehungsweise terroristisches Gedankengut verbreitet werde. Der Jurist Martin Gerecke und die Rechtsreferendarin Anne-Kristin Polster fragen sich: “Nach der geltenden Rechtslage werden die Plattformen durchaus in die Pflicht genommen. Woran liegt es, dass illegale Inhalte trotzdem in solchem Umfang im Netz kursieren können? Und inwieweit lassen die geplanten EU-Gesetze eine Verbesserung der Problematik erwarten?”

5. Und wieder verkündet Facebook das Ende diskriminierender Werbung
(netzpolitik.org, Tomas Rudl)
Einmal mehr habe Facebooks Mutterkonzern Meta verkündet, dass es künftig mehr Fairness im Werbegeschäft geben solle, und man diskriminierende Anzeigen für Wohnungen unterbinden wolle, berichtet Tomas Rudl. Er bleibt allerdings skeptisch: “So schön die erneute Ankündigung vor dem Hintergrund akuter Wohnungsnot in den USA auch klingt, bleibt dennoch Skepsis angebracht. Facebook selbst dämpft die Erwartungen und spricht von einer ‘noch nie dagewesenen Entwicklung in der Werbebranche’.”

6. Crash-Kurs für Film-Einsteiger*innen
(out-takes.de)
Die Filmemacher Simon Pilarski und Konstantin Korenchuk teilen bei Youtube ihre Erfahrungen zum Dreh ihres ersten langen Films: “In 14 Folgen erklären Korenchuk und Pilarski am Making-of ihres Kinofilms die einzelnen Produktionsschritte, verraten Hintergrundwissen, Geheimtipps, Zahlen, Budgets und geben Einblicke in finanzielle und künstlerische Prozesse.”

Kurz korrigiert (29/30)

In der “Bild am Sonntag” schreiben heute Ulrich Deupmann und Martin S. Lambeck zu der Frage “Wem mißtraut Merkel? … und mit wem trinkt sie gern eine Tasse Tee?” über den Kanzleramtsminister Thomas de Maizière:

Merkels engster Vertrauter im Kabinett! Thomas de Maizière ist der Vetter ihres großen Förderers Lothar de Maizière (letzter DDR-Ministerpräsident) und eine Art Jugendfreund. Da Merkel auf langjährige Vertrauensverhältnisse setzt, zog sie den bisherigen sächsischen Innenminister dem Rheinländer Norbert Röttgen als Kanzleramtsminister vor. De Maizière ist ähnlich verschwiegen und lebt ähnlich abgeschirmt wie Merkel.

Aha, “eine Art Jugendfreund” also… Na klar! Logo! Schließlich sind der in Westdeutschland großgewordene Thomas de Maizière und die in Ostdeutschland groß gewordene Angela Merkel beide 1954 geboren und kennen sich, wie es z.B. im “Handelsblatt” heißt, “bereits aus den Zeiten der letzten DDR-Regierung 1990”.

Bei Bild.de hingegen schreiben heute Ulrich Deupmann und Martin S. Lambeck zu der Frage “Wem mißtraut Merkel? Und mit wem trinkt sie gern eine Tasse Tee?” über den Kanzleramtsminister Thomas de Maizière etwas ganz anderes:

Merkels engster Vertrauter im Kabinett! Thomas de Maizière ist der Sohn ihres großen Förderers Lothar de Maizière (letzter DDR-Ministerpräsident) und eine Art Jugendfreund. Da Merkel auf langjährige Vertrauensverhältnisse setzt, zog sie den bisherigen sächsischen Innenminister dem Rheinländer Norbert Röttgen als Kanzleramtsminister vor. De Maizière ist ähnlich verschwiegen und lebt ähnlich abgeschirmt wie Merkel.

Und abermals könnte man die Frage stellen, inwiefern bei Leuten, die sich ja, wie beispielsweise die “Süddeutsche Zeitung” ausführlich referiert, im Alter von über 35 Jahren kennengelernt haben, von einer Art Jugendfreundschaft reden kann. Aber das haben wir ja schon, weshalb wir hier nur erwähnen wollen, dass Merkels Förderer Lothar de Maizière bei der Geburt seines Vetters Thomas 13 Jahre alt war, und uns fragen, wann und wie Bild.de das wohl korrigiert…

Mit Dank an Friedrich B. und Frank für den Hinweis.

Nachtrag, 19:30 Uhr:
Okay, der Genealogie-Beauftragte von Bild.de ist im Laufe des Nachmittags zum Dienst erschienen und hat den falschen “Sohn” durch “Vetter” ersetzt. Der Jugendfreundschafts-Beauftragte hingegen macht heute offensichtlich blau. (Oder er wartet bis nächste Woche, um die irreführende Formulierung, der sog. “West-de Maizière” sei “eine Art Jugendfreund” von Merkel, in der “Korrekturen”-Rubrik der “BamS” richtigzustellen.)

Propaganda mit toten Kindern

“Bild” steht im gegenwärtigen Nahost-Krieg uneingeschränkt hinter der israelischen Armee. Ob das eine gute Voraussetzung für eine Zeitung ist, um ihre Leser unvoreingenommen und umfassend über die Vorgänge im Krieg zu informieren, darüber kann man streiten. Die “Bild”-Zeitung aber geht in ihrer Parteinahme soweit, dass sie Tatsachen verdreht, übertreibt und verfälscht. Und darüber kann man eigentlich nicht streiten.

“Bild” berichtet heute über die vor allem in vielen Blogs aufgeworfenen Zweifel daran, was während und nach dem Angriff der israelischen Armee auf die libanesische Stadt Kana wirklich geschah. “Bild” schreibt:

Hat die Terror-Organisation Hisbollah diese Bilder etwa perfide inszeniert — um mit toten Kindern Propaganda gegen Israel zu machen?

Renommierte Blätter wie “Süddeutsche” und FAZ sprechen von “Propaganda” und “Zweifeln” an den genauen Umständen des Angriffs. Die “Neue Zürcher Zeitung” nennt das Chaos aus Schutt und Leichen vor dem zerstörten Haus “eine bloße Darbietung für angereiste Journalisten!”

Alle drei Zitate aus “renommierten Blättern” sind falsch. SZ und FAZ berichten zwar beide über “Verschwörungstheorien” (SZ) und “Spekulationen” (FAZ) über die Umstände des Angriffs auf Kana. Weder in der SZ, noch in der FAZ tauchen in diesem Zusammenhang jedoch die Wörter “Propaganda” oder “Zweifel” auf.

Und die NZZ spricht zwar von “Propaganda” und “Zweifeln”, nennt das Chaos aber keineswegs selbst, wie “Bild” behauptet, “eine bloße Darbietung für angereiste Journalisten”, sondern zitiert diese Meinung nur — als “Vermutung” von “Beobachtern”.

Den gleichen Trick wendet “Bild” noch einmal an und schreibt:

Die FAZ berichtet über einen noch abscheulicheren Verdacht:

Unter Berufung auf die libanesische Internetseite “Libanoscopie” heißt es, dass die Hisbollah einen Raketenwerfer auf das Dach des Hauses gestellt und behinderte Kinder in das Gebäude gebracht habe.

“Bild” tut so, als habe die FAZ den Vorwurf übernommen, dabei referiert die FAZ ihn nur in indirekter Rede. Warum zitiert “Bild” nicht einfach die Originalquelle? Warum versucht sie, diese Originalquelle über den Umweg der FAZ aufzuwerten, wenn die FAZ keine Aussagen darüber trifft, ob sie dieser Quelle glaubt oder nicht?

Die “Bild”-Redakteure Julian Reichelt und Sebastian von Bassewitz fragen heute: “Wurde die ganze Welt durch die Hisbollah-Terroristen getäuscht?” Ganz anders als die von ihnen zitierten “renommierten Blätter” beantworten sie die Frage aber auch sogleich: “Wie die Terroristen der Hisbollah mit toten Kindern Propaganda machen”, “Auch den Ort ihrer schauderhaften Inszenierung wählte die Hisbollah geschickt”, “Das Kalkül der Hisbollah ging auf”.

Die “Bild”-Zeitung setzt der “Propaganda” der Hisbollah etwas entgegen, das sie “Fakten” nennt, und schreibt:

Fakt ist aber: Ausgerechnet aus Kana feuerte die Hisbollah unmittelbar vor dem jüngsten Angriff 150 Raketen auf Nordisrael — dadurch lenkten die Terroristen den Luftschlag der Israelis bewusst und gezielt auf den symbolträchtigen Ort.

Der zweite Teil dieses “Fakts” ist eine Vermutung. Und der erste Teil ist falsch. Laut Untersuchungsbericht der israelischen Armee wurden aus Kana und der Umgebung “seit 12. Juli” über 150 Raketen abgefeuert, also nicht “unmittelbar vor dem jüngsten Angriff”, sondern seit Beginn des Krieges. Dass die israelische Armee in dieser Hinsicht untertreibt, darf man ausschließen.

“Bild” schreibt weiter:

Fakt ist auch: Obwohl libanesische Behörden anfangs 56 Tote meldeten, fand das Rote Kreuz “nur” 28 Leichen.

Ähnlich hatte die Zeitung bereits gestern formuliert:

Die Menschenrechtsorganisation “Human Rights Watch” korrigierte die Zahl der Opfer, die am Wochenende im Dorf Kana bei einem israelischen Luftangriff getötet wurden, auf 28 Tote. Arabische Quellen hatten von 56 Toten gesprochen.

“Bild” verschweigt nicht nur die massive Kritik, die “Human Rights Watch” bei der gleichen Gelegenheit an dem israelischen Vorgehen geübt hat, sondern vor allem auch, dass laut “Human Rights Watch” die Zahl von 28 Todesopfern eine “vorläufige” Zahl ist. 13 Menschen würden noch vermisst und liegen womöglich unter den Trümmern, die Bergungsarbeiten könnten aber nicht fortgesetzt werden. Der Unterschied zu den ursprünglichen Schätzungen rühre daher, dass mehr Menschen, die sich im Keller des bombadierten Hauses aufgehalten hatten, lebend entkommen seien als angenommen.

“Bild” suggeriert (möglicherweise zurecht), dass ursprünglich bewusst eine zu hohe Opferzahl genannt wurde. Und nennt stattdessen eine Zahl, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu niedrig ist, weil sie die Vermissten komplett verschweigt.

Keine Frage: Es ist fast unmöglich für die Medien, in einem Krieg wie diesem die Wahrheit von den Propagandalügen zu unterscheiden. Aber man kann versuchen, seine Leser so gut wie möglich zu informieren: Man kann Quellen angeben und korrekt zitieren. Man kann es vermeiden, sich Behauptungen einer der Parteien zu eigen zu machen. Man kann Spekulationen und Gerüchte als solche kennzeichnen. Und man kann darauf verzichten, den Verdrehungen der Beteiligten noch eigene hinzufügen.

Aber das müsste man erst einmal wollen.

Danke vor allem an Erich B.!

Kurz korrigiert (327 — 413)

"BILD hat nachgemessen: (...) Nikolai Valuev (30) bringt es auf 2,17 m." (O-Ton "Bild" vom 24.7.2004)

Nun, da der als “Russen-Riese” bekannte, größte und schwerste Box-Champion aller Zeiten, Nikolai Valuev, in der Nacht zum heutigen Sonntag seinen Weltmeistertitel im Schwergewicht verlor, ist es vielleicht eine gute Gelegenheit, kurz darauf hinzuweisen, dass er — anders als “Bild” am 17.4.2004, am 27.6.2004, am 24.7.2004, am 26.7.2004, am 8.10.2004, am 9.10.2004, am 11.10.2004, am 12.10.2004, am 5.11.2004, am 20.11.2004, am 22.11.2004, am 4.12.2004, am 6.12.2004, am 23.12.2004, am 6.1.2005, am 20.1.2005, am 22.1.2005, am 7.2.2005, am 8.2.2005, am 9.2.2005, am 11.2.2005, am 12.2.2005, am 14.2.2005, am 7.3.2005, am 20.4.2005, am 30.4.2005, am 14.5.2005, am 17.5.2005, am 27.5.2005, am 24.8.2005, am 22.9.2005, am 29.9.2005, am 1.10.2005, am 17.11.2005, am 26.11.2005, am 9.12.2005, am 13.12.2005, am 14.12.2005, am 16.12.2006, am 17.12.2005, am 19.12.2005, am 4.1.2006, am 4.1.2006, am 16.1.2006, am 21.1.2006, am 17.3.2006, am 31.5.2006, am 2.6.2006, am 3.6.2006, am 6.6.2006, am 17.6.2006, am 26.6.2006, am 23.8.2006, am 25.8.2006, am 29.8.2006, am 4.10.2006, am 6.10.2006, am 7.10.2006, am 9.10.2006, am 10.10.2006, am 11.10.2006, am 13.11.2006, am 14.11.2006, am 20.11.2006, am 23.10.2006, am 19.1.2007, am 20.1.2007, am 3.3.2007, am 12.4.2007 und am 14.4.2007 sowie die “Bild am Sonntag” am 14.11.2004, am 21.11.2004, am 19.12.2004, am 13.2.2005, am 15.5.2005, am 29.5.2005, am 12.6.2005, am 25.9.2005, am 2.10.2005, am 11.12.2005, am 18.12.2005, am 4.6.2006, am 28.8.2006, am 19.11.2006, am 3.12.2006, am 21.1.2007 und am heutigen Sonntag behaupten* — nicht 2,17 Meter groß ist, sondern “nur” 2,13 Meter.

Mit Dank auch an Ole J. und Axel B.

*) Abgesehen von den fast 90 falschen Angaben seit 2004 stand Valuevs echte Körpergröße am 24.1. und 12.3.2007 auch schon mal in “Bild” sowie am 25.3. und 1.4.2007 in der “BamS”.

Nachtrag, 16.4.2007: Heute berichtet auch “Bild” über den Boxkampf vom Samstag — und schreibt zwar nicht ausdrücklich, Valuev sei “2,17 Meter” groß, dafür aber, dass er “31 Zentimeter größer” als sein 1,86 Meter großer Gegner sei…

“Bild” verliert gegen Ex-Terroristin

Nach Informationen aus Justizkreisen plant eine ehemalige RAF-Terroristin, sich einen neuen Namen zuzulegen. Darüber berichtete eine große deutsche Tageszeitung – rein sachlich, ohne Nennung des neuen Namens. Schon das verstieß nach Ansicht des Landgerichts Hamburg gegen ihr Recht auf Privatsphäre. (…) Genau deshalb darf auch in diesem Artikel der Name der Terroristin nicht genannt werden – da eine Nennung klar machen würde, um wen es sich handelt.

O-Ton Nicolaus Fest:

“(…) Gesetzt den Fall, daß auch Hitler oder Himmler den Krieg überlebt hätten und vor deutsche Strafgerichte gestellt worden wären – hätten auch sie eine „zweite Chance“ erhalten, sich bei guter Führung erneut in die Gemeinschaft der deutschen Volksgenossen einzufinden?

(…) Möchte man wirklich mit den Mördern seines Vaters oder seines Ehemannes ein paar freundliche Worte an der Kasse wechseln? Möchte man sich von ihnen die Haare schneiden, anfassen, bequatschen lassen? (…) Nicht wenigen ekelt es bei dieser Vorstellung.

Abhilfe könnte eine Regelung schaffen, die zumindest die vorzeitige Aussetzung der Strafverbüßung an die Zustimmung der Hinterbliebenen knüpft. (…) Zudem sollte die Möglichkeit der Namensänderung aus Gründen der Resozialisierung deutlich eingeschränkt oder abgeschafft werden. (…)”

Wenn man sich anschaut, was für Gedanken Nicolaus Fest in seiner aktuellen “Hieb- und stichfest”-Kolumne sonst noch so verbreitet (siehe Kasten), ist es geradezu erstaunlich, wie sachlich* er den Anlass dafür zusammenfasst.

Wir wüssten allerdings nicht, dass das Gericht auch untersagt hätte, den Namen der “großen deutschen Tageszeitung” zu nennen, die am 10. August 2007 über die Ex-Terroristin berichtet hatte. Und dass Nicolaus Fest nicht wüsste, um welche Zeitung es sich handelt, halten wir für ausgeschlossen. Er könnte den Zeitungsnamen nicht nur in den Meldungen verschiedener Nachrichtenagenturen und anderen Medien nachlesen (deren Berichte über den angeblichen Namenswechsel der Ex-Terroristin mit Quellenangabe bis heute leicht zu finden sind); der Zeitungsname steht, weiß auf Rot, auch unmittelbar über der Kolumne, die ihn verschweigt.

Was aber ist dann die Argumentation eines leitenden “Bild”-Mitarbeiters wert, wenn er sich in eigener Sache über einen verlorenen Gerichtsprozess empört, aber die eigene Involviertheit verleugnet?

*) “Bild” berichtete übrigens nicht nur über die angebliche Namensänderung, sondern nannte u.a. auch den Namen der Bewährungshilfeorganisation und machte Andeutungen über den mutmaßlichen Arbeitsplatz der Ex-Terroristin.

Oh, leever Photoshop, jev uns ein passendes Bild!

In Köln hat es schon länger nicht mehr ordentlich geregnet. Der Kölner “Express” warnt auf Seite 1:

Ausriss der Express-Titelseite - Köln trocknet aus - Kaum Regen seit Wochen - Wiesen werden zur Steppe - Die Folgen der Dürre - Dazu ein Foto der Kölner Bastei sowie dem Rasen vor der Bastei

Das war das Titelblatt von gestern. Auf der letzten Seite der Ausgabe zeigt die Redaktion das Foto, auf dem die Bastei und vor allem der ausgedörrte Rasen davor zu sehen sind, ein weiteres Mal:

Ausriss Express- Oh, leever Jott, jev uns Wasser! Dazu erneut das Foto der Kölner Bastei sowie dem Rasen vor der Bastei

Im Artikel steht gleich zu Beginn:

Auch die kurzen Schauer am Dienstagabend und in der Nacht, die zusammen mit einzelnen Gewittern kamen, halfen nicht: Seit gut vier Wochen kaum ein Tröpfchen. Die andauernde Dürre zeigt er(n)ste Folgen: Steppe, wo Wiese war, gelbe statt grüne Blätter an den Bäumen, der Rheinpegel sinkt täglich.

Und dazu die Bildunterschrift:

Gelbe statt grüne Wiesen — wie hier an der Bastei

BILDblog-Leser Norbert E. ist gestern an der Wiese vor der Bastei vorbeigekommen. Das Foto, das er um 16:23 Uhr mit einem herkömmlichen Smartphone und der darin beinhalteten Belichtungsautomatik aufgenommen und uns geschickt hat, sieht nun nicht unbedingt nach blühenden Landschaften aus. Es sieht aber auch nicht so aus, als würde sich die Grünanlage vor der Bastei gerade in eine Steppe verwandeln:

Foto von BILDblog-Leser Norbert E. - Darauf zu sehen: Die Bastei und die Wiese davor, nun allerdings nicht so ausgedörrt wie im Express und mit deutlich mehr grünen Stellen

Zum besseren Vergleich hier noch einmal beide Aufnahmen gegenübergestellt:

Gegenüberstellung der Express-Titelseite und der Aufnahme des BILDblog-Lesers von der Wiese vor der Bastei

Mit Dank an Norbert E. für Hinweis und Foto!

Nachtrag, 13. Juli: Mehrere Leserinnen und Leser weisen darauf hin, dass auch der zweite Teil der Titel-Optik — die abgestorbene Platanenrinde — Unsinn sei. Schließlich würfen Platanen regelmäßig ihre Rinde ab, nicht nur bei großer Hitze oder Dürre.

Der “Express” schreibt dazu:

Die Platanen werfen zudem ihren Bast (abgestorbene Rinde) ab. Für manche Experten Zeugnis der Trockenheit. [Sachgebietsleiter beim Kölner Gründflächenamt] Schmidt hält dagegen: “Das Frühjahr war feucht und warm, ideal für die Vegetation. Alles ist stark gewachsen. Auch die Stämme der Platanen, die dicker wurden. Jetzt passt die Rinde nicht mehr und fällt ab. Wie bei einem zu engen Korsett.”

Die “Express”-Redaktion klärt die Sache also im Text auf. Dass sie trotz dieses Wissens das Foto mit der Platanenrinde auf den Titel packt, ist natürlich recht bescheuert.

“Nicht von Deutschland aus betrieben oder verwaltet”

Diese “Bild”-Titelschlagzeile vom vergangenen Freitag …

Ausriss Bild-Titelseite - Granaten auf deutschen Öl-Tanker

… klingt ja so, als wären bei den Angriffen auf zwei Schiffe im Golf von Oman “GRANATEN” auf einen “deutschen Öl-Tanker” geschossen worden.

Nun ist es schon nicht wirklich sicher, ob es sich tatsächlich um Granaten handelte oder um Torpedos oder um Haftminen oder um wasauchimmer, das zu den Explosionen führte. Aber eigentlich soll es hier sowieso um was anderes gehen: War das wirklich ein “deutscher Öl-Tanker”? Das behaupten ja auch andere Medien.

Zwei Schiffe wurden vergangenen Donnerstag circa 26 Kilometer vor der iranischen Küste angegriffen. Das eine heißt “Front Altair”, fährt unter der Flagge der Marshallinseln, gehört zur norwegischen Reederei Frontline und war vergangenen Freitag brennend auf der “Bild”-Titelseite zu sehen. Mit dem “deutschen Öl-Tanker” meint die Redaktion allerdings das andere angegriffene Schiff namens “Kokuka Courageous”. So richtig deutsch ist es aber nicht: Die Reederei Kokuka Sangyo ist ein japanisches Unternehmen, das Schiff fährt unter der Flagge Panamas, die Besatzung kommt von den Philippinen, die Klassifikationsgesellschaft ist aus Frankreich, die Hauptmaschine aus Japan, es wurde in China gebaut. Die einzige Verbindung zu Deutschland: Der Vertragsreeder, der die Bereederung des Schiffs (das ihm aber nicht gehört) als Dienstleistung übernimmt, also den Betrieb managt, sitzt in Singapur und ist, oha!, eine Tochtergesellschaft der Hamburger Reedereigruppe Schulte Group.

Auch die Hamburger Staatsanwaltschaft sagt: “Das Schiff wird nicht von Deutschland aus betrieben oder verwaltet”. Und sogar Welt.de widerspricht indirekt den Springer-Kollegen von “Bild” und deren Titelschlagzeile:

Bei der “Kokuka Courageous” von einem deutschen Schiff zu sprechen trifft nicht zu.

Mit Dank an Niclas für den Hinweis!

Schlagzeile zur Umfrage auf Rekordtief

Seit Wochen schon fährt die “Bild”-Redaktion einen Kurs gegen die Corona-Maßnahmen von Angela Merkel. Nur: So richtig fruchten will das offenbar nicht — die Umfragewerte der Bundeskanzlerin sind so gut wie lange nicht mehr.

So auch in einer aktuellen Befragung, die Bild.de heute präsentiert. Das Meinungsforschungsinstitut Insa sollte “in einer exklusiven Umfrage für BILD” herausfinden, wie zufrieden die Menschen mit der Arbeit der Großen Koalition sind. Eines der Ergebnisse:

Die Zufriedenheit mit der Arbeit der Bundesregierung bleibt hoch und legt sogar um einen Punkt auf 50 Prozent zu.

50 Prozent — das ist der höchste Wert “seit Beginn der Messung vor einem Jahr”.

Die “Bild”-Redaktion könnte also sowas titeln wie: Zufriedenheit mit der Bundesregierung auf Rekordhoch! Oder: Menschen mit Merkel und Co. so zufrieden wie noch nie!

Sie hat sich dann aber doch für einen etwas anderen Spin entschieden:

Screenshot Bild.de - Corona sei Dank - Unzufriedenheit mit Merkel & Co auf Rekordtief!

Durch die Negativ-Dopplung (“Unzufriedenheit (…) auf Rekordtief”) dürfte nicht jeder Leserin und jedem Leser sofort klar werden, dass die Schlagzeile eigentlich eine sehr gute Nachricht für die Bundeskanzlerin und die Bundesregierung ist. Und da es sich um einen “Bild plus”-Artikel handelt, kann auch nicht jeder und jede dieses mögliche Missverständnis auflösen. Wie praktisch.

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Bemerkenswert ist auch die Dachzeile “CORONA SEI DANK”, die “Merkel & Co.” zu Corona-Krisengewinnlern erklärt. Im Text wiederholt Bild.de diese Behauptung noch einmal:

Die Große Koalition profitiert noch immer von der Corona-Krise.

Ebenfalls ein besonderer Spin. Denn letztlich profitiert die Große Koalition nicht von der Corona-Krise, sondern von ihrem Handeln in der Corona-Krise, das den Befragten offensichtlich gefällt. Aber das würde natürlich nicht so gut zum “Bild”-Kurs gegen die Kanzlerin passen.

Mit Dank an Vincent, @AkD20205 und @polenz_r für die Hinweise!

Scheuers Tricks, Aufnahmen aus Beirut, Mediales Wellenbad

1. Ausgebufft: Wie das Scheuer-Ministerium Journalisten austrickst
(ndr.de, Daniel Bouhs & Martin Kaul, Video: 5:25 Minuten)
Unternehmen fühlen sich vornehmlich ihrem eigenen Interesse verpflichtet. Solch hehre Werte wie Wahrheit, Transparenz und Aufklärung fallen da schon mal hinten über. Dementsprechend wird in den Presse- und Kommunikationsabteilungen gerne mal getrickst und getäuscht. Doch sollte ein Ministerium ein derartiges Verhalten an den Tag legen? Laut “Zapp” “torpedierte” das Bundesverkehrsministerium wiederholt mit Tricks die Arbeit von kritischen Journalistinnen und Journalisten.

2. Aufnahmen aus Beirut in tagesschau und tagesthemen
(blog.tagesschau.de, Marcus Bornheim & Helge Fuhst & Juliane Leopold)
Der ARD wurde verschiedentlich vorgeworfen, der Berichterstattung über die Explosionen in Beirut am Dienstagabend nicht genügend Raum gegeben zu haben. Im Blog der “Tagesschau” räumt die ARD-aktuell-Chefredaktion das Versäumnis ein (“journalistische Fehleinschätzung”) und gelobt Besserung: “So ein Abend wie gestern nagt an unserem Selbstverständnis.”

3. “Schlag ins Gesicht der Meinungsfreiheit”
(faz.net)
“Nationalspieler Joshiko Saibou verliert seinen Job beim Basketballklub aus Bonn.” Was sich zunächst wie eine klassische Sportmeldung anhört, hat in diesem Fall auch etwas mit Medien zu tun: Saibou habe “wiederholt auf Social-Media-Kanälen seine Haltung zur [Corona-]Pandemie oder zum Virus an sich geäußert und am vergangenen Wochenende bei einer Großdemonstration auch praktiziert, indem er vorsätzlich gegen die bekannten Schutzregeln verstieß”, so eine Pressemitteilung seines bisherigen Arbeitgebers, den Telekom Baskets Bonn. Saibou und dessen Freundin, die Leichtathletin Alexandra Wester, hatten am Wochenende in Berlin an der Demo gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie teilgenommen und sich auch in Sozialen Netzwerken mehrfach gegen die Schutzmaßnahmen ausgesprochen.

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4. “Schädliche” Falschinformation – Facebook und Twitter gehen gegen Trump-Beitrag vor
(spiegel.de)
Seit Jahren verbreitet der US-amerikanische Präsident Donald Trump nahezu täglich Falsches und Unwahres über die Sozialen Medien. Zumindest einige seiner haltlosen Behauptungen über das Coronavirus wollen Twitter und Facebook anscheinend nicht mehr hinnehmen und schreiten ein. Das reicht von der Kommentierung bis zur Löschung von Beiträgen.

5. Whistleblower umfassend schützen
(reporter-ohne-grenzen.de)
Mehrere Organisationen haben die Bundesregierung dazu aufgerufen, die EU-Richtlinie zum Schutz von Whistleblowerinnen und Whistleblowern umfassend in nationales Recht umzusetzen: “Reporter ohne Grenzen sowie die anderen unterzeichnenden Organisationen setzen sich dafür ein, Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber umfassend und unter Einbeziehung nationalen Rechts zu schützen. Kohärenz, Klarheit und Rechtssicherheit sind für Whistleblowerinnen und Whistleblower nur dann gegeben, wenn sie sich bei ihren Hinweisen darauf verlassen können, dass diese auch von nationalem Recht gedeckt sind.”

6. Im Wellenbad der Gefühle
(uebermedien.de)
Seit Wochen und Monaten warnen Redaktionen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie vor der sogenannten “zweiten Welle”. Doch was ist das eigentlich? Und bietet sich ein derartiger Begriff überhaupt an? Boris Rosenkranz schreibt über die Lust vieler Medien an düsteren Prophezeiungen und eindringlichen Bildern.

CDU-Parteitag, Blick in die Glaskugel, Unwort “Kampfkandidatur”

1. Wie über eine Wahl berichten, die auf dem Sofa entschieden wird?
(uebermedien.de, Anne Haeming)
Heute und morgen treffen sich 1.001 Delegierte zum 33. Parteitag der CDU. Der Termin wird mit großer Spannung erwartet, denn dort soll entschieden werden, wer neuer Parteichef wird: Friedrich Merz, Norbert Röttgen oder Armin Laschet. Die Berichterstattung über das wichtige Ereignis ist nicht einfach, denn es handelt sich um eine digitale Veranstaltung. Anne Haeming hat sich mit verschiedenen Medienvertreter:innen über die schwierige Versuchsanordnung unterhalten.

2. Darum ist “Kampfkandidatur” der falsche Begriff
(deutschlandfunk.de, Stefan Fries, Audio: 1:50 Minuten)
Und noch einmal zum CDU-Parteitag: Es sollte eigentlich der Idealfall sein, dass bei einer Wahl mehrere Kandidatinnen oder Kandidaten antreten. Trotzdem ist bei Wahlen oft von einer “Kampfkandidatur” die Rede. Medien sollten diesen Begriff nicht verwenden, findet Stefan Fries beim Deutschlandfunk-“Sprachcheck”: “Sie problematisieren also, dass es jemand wagt, gegen einen als gesetzt geltenden Kandidaten anzutreten. Und bemänteln damit das eigentlich größere Problem, dass Parteigremien manchmal eine echte Wahl verhindern, indem sie nur einen Kandidaten aufstellen. Eine Wahl haben die Wähler dann nämlich nicht.”

3. Datenboulevardjournalismus der taz zu Corona
(datenjournalist.de, Lorenz Matzat)
Datennjournalist Lorenz Matzat kritisiert eine “taz”-Grafik zu einer Corona-Mutation: “Das Boulevardeske an dieser Titelgrafik ist, dass sie – um Alarmismus zu betreiben – eine Datenentwicklung zeigt, ohne sie analytisch in einen Kontext zu stellen.”

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4. Thomas Knüwer rät Medienprofis: Sei ein Büffel!
(kress.de, Thomas Knüwer)
Medienexperte Thomas Knüwer hat seine Glaskugel herausgeholt und schaut in die Medienzukunft des Jahres 2021. Knüwer hat dabei sieben Entwicklungen im Blick: Zoom, Livestreaming, Social Commerce, Twitch, Instant Messaging, Peloton und Podcasts.

5. Shoot the Messenger
(netzpolitik.org, Ingo Dachwitz)
WhatsApp zwingt seinen Nutzern und Nutzerinnen neue Geschäftsbedingungen auf, die in vielerlei Hinsicht bedenklich sind. Ingo Dachwitz kommentiert: “Nach all den Skandalen und all den Versprechen, es in Zukunft besser machen zu wollen, versucht Facebook wieder, uns an der Nase herumzuführen. Statt klarer Kommunikation und echter Transparenz über die Datennutzung setzt uns der Marktführer unverständliches Kauderwelsch und widersprüchliche Angaben vor. Der Konzern geht davon aus, dass die Nutzer:innen die Bedingungen schon schlucken werden, auch ohne sie zu verstehen.” Wer den Artikel liest, dürfte nicht umhinkommen, eine der dort genannten Alternativen zu installieren.

6. Happy Birthday, Reparierer
(taz.de, Steffen Grimberg)
Das medienkritische Online-Magazin “Übermedien” feiert sein fünfjähriges Bestehen – und von überall kommen Glückwünsche (hiermit natürlich auch von uns). Steffen Grimberg, Medienredakteur der “taz”, schließt sich den Glückwünschen an: “Mensch, ihr seid schon fünf. Wehe, ihr werdet neunmalklug und ernst, wenn ihr nächstes Jahr in die Schule kommt. In diesem Sinne: Reingehauen!”

Politische Werbung, Rechte Bilderwelten, Der Hund ist eine Ente

1. Politische Werbung soll transparenter werden
(netzpolitik.org, Alexander Fanta)
Die EU-Kommission möchte das Thema politische Werbung europaweit einheitlich regeln und schlägt Transparenzvorgaben für alle Institutionen und Werbetreibenden vor, ob Werbeagenturen, Parteien, Soziale Netzwerke, Online-Nachrichtenseiten oder Zeitungen. Man wolle damit eine offene und faire politische Debatte stärken und Desinformation sowie illegale Wahlbeeinflussung bekämpfen. netzpolitik.org-Autor Alexander Fanta rechnet wegen des heiklen Themas mit einem eher langwierigen EU-Gesetzgebungsprozess.

2. Verlegerverband akzeptiert Mathias Döpfners Distanzierung
(tagesspiegel.de, Kurt Sagatz)
Kann jemand privat alle Journalistinnen und Journalisten des Landes (bis auf Ex-“Bild”-Chef Julian Reichelt) als “Propaganda Assistenten” eines “neuen DDR-Obrigkeitsstaats” herabsetzen und gleichzeitig Präsident des Zeitungsverlegerverbands BDZV sein? Ja, das funktioniert sogar ausgezeichnet, wie der Fall Döpfner beweist.

3. “Das ist schockierend und völlig inakzeptabel”
(faz.net)
Zwei Journalisten des norwegischen Staatsfernsehens NRK haben im Vorfeld der anstehenden Fußball-WM im arabischen Emirat Katar recherchiert. Als sie ausreisen wollten, sind sie am Flughafen von Sicherheitskräften über 30 Stunden lang festgehalten worden. Dabei ging es auch um die Filmaufnahmen, die sie in einem Arbeitsmigrantenlager aufgenommen hatten. Sowohl die norwegische Journalistengewerkschaft als auch der norwegische Fußballverband haben die Verhaftung der Journalisten kritisiert.

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4. Der Kampf der Bilder
(sueddeutsche.de, Sabina Zollner)
Unter dem Hashtag “fashwave” verbreiten rechtsextreme Nutzerinnen und Nutzer ihre Inhalte beispielsweise bei Instagram. Das Besondere daran sei die poppige Aufmachung und die Retro-Optik, die einer neuen Ästhetik folgt. Sabina Zollner erklärt, wie der Onlinetrend funktioniert, und hat sich mit Experten und Expertinnen über die neue bunte Rechtspropaganda unterhalten.

5. Das Netflix-Geheimnis: Warum Streaming­dienste ihre Aufrufzahlen unter Verschluss halten
(rnd.de, Matthias Schwarzer)
Die großen Streamingdienste halten ihre Abrufzahlen in der Regel sorgfältig unter Verschluss, nur Netflix ist neulich leicht von dieser Praxis abgewichen. Matthias Schwarzer erklärt, was hinter der Geheimniskrämerei der Plattformen steckt, durch die häufig noch nicht mal die Film-Produzen­tinnen und -Produzenten die Zahlen ihrer eigenen Werke kennen sollen.

6. Schäferhund ist reichste Ente der Welt
(uebermedien.de, Frederik von Castell)
Seit mittlerweile Jahrzehnten kursiert in vielen Medien die Geschichte von Schäferhund Gunther, der dank einer Millionenerbschaft in Saus und Braus lebe. Frederik von Castell hat die Fährte von Gunther aufgenommen und festgestellt: Der Hund ist eine Ente.

“Bild” macht sich einen Sport aus Beleidigungen

Die Sache war “Bild” auch außerhalb des Reviers eine große Ankündigung oben auf der Titelseite (Ausriss rechts) wert: Die “Bild”-Reporter Christian Kitsch und Peter Wenzel berichteten, dass Marcelo Bordon, der Kapitän von Schalke 04, nach dem Spiel gegen Borussia Dortmund im Kabinengang ausgerastet sei:

Der Brasilianer beleidigte Schiri Lutz Wagner (45, Hofheim) als “Hure”. Schimpfte zuerst Richtung Journalisten: “So ein Schiri. Fragt ihn, was los ist.” Dann brüllte er zweimal das Wort “puta”, portugiesisch für Hure.

Es scheint sich um eine exklusive Information der “Bild”-Zeitung gehandelt zu haben. Sie machte Furore. Am nächsten Tag konnte “Bild” melden, dass der DFB nun “wegen der Pöbel-Attacken” gegen Bordon ermittle, zeigte noch einmal die eigenen Schlagzeilen vom Vortag und wiederholte:

Bordon hatte Schiri Lutz Wagner im Kabinengang auf Portugiesisch als “Hure” beleidigt.

Aber irgendwann im Lauf des gestrigen Mittwochs verschwanden die beiden Artikel und ein weiterer zum Thema kommentarlos aus dem Online-Angebot der “Bild”-Zeitung. Es scheint, als hätte “Bild” schon vor der heute stattfindenden Verhandlung des DFB nicht mehr an die eigene Geschichte geglaubt; womöglich half ein bisschen Druck durch den Verein nach (ohne Not löscht Bild.de nach unserer Erfahrung auch falsche Artikel nicht). Üblicherweise bietet “Bild” in solchen Fällen an, quasi zum Ausgleich ein großes, freundliches Stück zu bringen.

Einen Anlass hätte “Bild” morgen dazu ohnehin. Denn der DFB-Kontrollausschuss hat das Verfahren gegen Bordon (ebenso wie eines gegen seinen Mitspieler Mladen Krstajic) heute mangels Beweisen eingestellt. Bordon bestritt den von “Bild” erhobenen Vorwurf. Der Manager von Schalke 04, Andreas Müller, sagte, die als Beweismittel ausgewerteten Fernsehbilder hätten deutlich gemacht, “dass Marcelo absolut nichts gesagt hat, was als Beleidigung aufgefasst werden kann. Er hatte sich völlig unter Kontrolle.”

Für die Fußballzeitung “Kicker” ging es in dem Verfahren gegen die Schalker Spieler heute auch um eine grundsätzliche Frage. Der “Kicker” kommentierte (noch vor der Entscheidung):

Sicher, der Kontrollausschuss muss ermitteln, wenn Bild titelt: “Bordon beleidigt Schiri als Hure.” Und wenn aus Krstajics Aussage “zum Schluss haben wir neun gegen 14 gespielt” ein “klarer Vorwurf der Parteilichkeit” abgeleitet wird. Dass Krstajic Referee Lutz Wagner bei dessen erwiesenen Fehlentscheidungen damit Absicht unterstellte, ist freilich ebenso konstruiert wie Bordons Attacke.

Als Bordon und Kollegen Richtung Kabine stapften, fiel aus deren Kreis das Wörtchen “puta”, das “Hure” bedeutet. Wem der Fluch und ob er überhaupt einem konkreten Adressaten galt, bleibt Interpretation. (…) Der Tatbestand der Beleidigung lässt sich so nicht erfüllen. Konkretere Angriffe auf Unparteiische gab es schon zuhauf, die nur nicht Gegenstand journalistischer “Anklage” wurden. (…) Der Ausgang des “Falls” Bordon/Krstajic beantwortet also auch die Frage, ob im deutschen Fußball die Gewaltenteilung zwischen Medienmacht und Sportgerichtsbarkeit weiter intakt ist.

Die Einstellung der Verfahren gegen die Schalker Spieler war nicht die einzige Niederlage, die “Bild” heute vor dem Sportgericht erlitt. Der Kontrollausschuss stellte auch das Verfahren gegen den Trainer des VfL Osnabrück, Claus-Dieter “Pele” Wollitz, ein. Der DFB teilte mit:

Wollitz stand unter dem Verdacht, sich unsportlich geäußert zu haben. In einer Stellungnahme an den Kontrollausschuss bestreitet er diesen Vorwurf.

Auch in diesem Fall war es die “Bild”-Zeitung, die den Verdacht geäußert hatte (natürlich auch in diesem Fall als Tatsachenbehauptung) und die Ermittlungen des DFB auslöste. Sie berichtete gestern unter der Überschrift “Ganz übel! Wollitz beschimpft Oral” über einen Auftritt Wollitz’ vor den Kameras des DSF:

Im gleichen Filmausschnitt wütet der herum und schreit in Richtung FSV-Trainer Tomas Oral “Was ist das denn für’n Wichser?”. Der Ausschnitt liegt BILD vor.

Uns auch (Szene ab 6:00), nur wären wir uns nicht so sicher, das Wollitz darin das sagt, was “Bild” sagt, was er sagt. Und der DFB erklärte nun bündig:

Nach Auswertung der vorliegenden Beweismittel hat sich der Tatverdacht nicht bestätigt.

Mit Dank an Joern T., Torsten B., Tobias L. und Irene!

Berichterstattung aus dem Krieg, Gegenrede, Trump-Verarbeitung

1. Warum wir Männer wie Fadi brauchen
(tagesschau.de, Volker Schwenck)
Die unabhängige Berichterstattung aus Orten wie dem belagerten Ostteil von Aleppo in Syrien ist nur mit Menschen möglich, die Schleichwege und Rebellen-Kommandanten kennen, so Volker Schwenck, Leiter des ARD-Studios in Kairo. Das ARD-Studio arbeite daher mit Männern wie dem Kameramann Fadi zusammen, der im Ostteil der Stadt lebt und über Umwege Bilder aus der Kriegszone schmuggelt. Warum setzt man auf Männer wie Fadi? “Weil die Alternative wäre: gar keine Berichterstattung oder nur noch fremdes Material, das wir nicht beeinflussen können und dessen Autoren wir nicht kennen. Selber hingehen, mit eigenen Augen sehen – das ist leider, weltfremden Aufforderungen erboster Kommentatoren im Internet zum Trotz, nur unter extremen Risiken möglich, die ich nicht einzugehen gewillt bin und die ich auch keinem Kollegen zumuten kann.”

2. Im digitalen Höhenflug
(de.ejo-online.eu, Stephan Russ-Mohl)
Seit dem Einstieg von Amazon-Gründer Jeff Bezos wurde die Redaktion der “Washington Post” um 140 Mitarbeiter erweitert und 35 IT-Spezialisten wurden eingestellt. Das Engagement zahle sich zumindest in Ansehens- und Reichweiten-Zugewinn aus. Stephan Russ-Mohl fragt in seinem Artikel über den digitalen Höhenflug der “WaPo”, welche Strategie Bezos verfolgt und ob die Zeitung wirklich unabhängig ist.

3. Mehr öffentlich-rechtliches Fernsehen!
(wdr.de, Georg Restle)
“Monitor”-Chef Georg Restle antwortet “Spiegel”-Kolumnist Georg Diez auf dessen jüngste Kolumne, in der dieser das öffentlich-rechtliche Fernsehen als “Simplifizierungsmaschine” bezeichnete. Restle zu Diez: “Also ja: Reform tut Not. Die Frage ist nur: Welche? Leider hat es Ihnen hier wohl die Sprache verschlagen, so simpel klingt Ihr Plädoyer am Ende. „Was wir brauchen, ist ein grundsätzlich anderes öffentlich-rechtliches Fernsehen, anders strukturiert, anders organisiert, anders ausgerichtet“, schreiben Sie. Ja, um Himmels Willen, was wollen Sie uns damit nur sagen? Mehr oder weniger Unterhaltung? Mehr oder weniger Pluralismus? Mehr oder weniger Unabhängigkeit?”

4. Nach Medienreform: Polen beanstanden Zensur im TV
(digitalfernsehen.de, Natalie Skrzypczak)
Seit Anfang des Jahres wirkt in Polen die sogenannte “Medienreform”. Von diesem Zeitpunkt an sehen sich die Zuschauer im öffentlich-rechtlichen Fernsehen Zensur und Propanda ausgesetzt. Vor allem bei der Sendung “Wiadomosci” (Nachrichten) sei der Einfluss der nationalkonservativen Warschauer Regierung nicht zu übersehen, berichtet Natalie Skrzypczak. Die Folge sei eine dramatische Zuschauerabwanderung. Im letzten halben Jahr seien die Werte des öffentlich-rechtlichen Senders TVP auf ein historisches Tief gefallen, die Nachrichtensendung “Wiadomosci” hätte 1,5 Millionen Zuschauer verloren.

5. ZEIT-Appell: Demokraten, kauft Zeitungen!
(jensrehlaender.com)
Jens Rehländer setzt sich mit einem der zehn Gebote auseinander, die in der “Zeit” unter der Überschrift “Was ich tun kann, um die Demokratie zu stärken, in der ich lebe” aufgelistet wurden. Dort heiße es unter Ziffer 4: „Ich informiere mich. Ich höre, lese oder sehe Nachrichten, kaufe gute Zeitungen (zahle für sie auch im Internet), damit erhalte ich die selbstbewusste und kritische Presse, die unsere Demokratie vor autoritären Einflüssen schützt (…)“. Rehländer tut sich in mehrfacher Hinsicht schwer mit dieser Aussage und konstatiert: “Der gutgemeinte Appell wird also jene, die sich der Zeitung (und dem öffentlich-rechtlichen System) verweigern, nicht auf den Pfad der Tugend zurückführen – weil der Appell sie nicht erreicht, so lange er nur in der ZEIT gedruckt wird. Denn ZEIT-Leser müssen nicht bekehrt werden. Die haben ja schon eine „gute Zeitung“ gekauft.”

6. Truth or Trump – Wie ernst nehmen ihn US-Medien?
(dwdl.de, Christian Fahrenbach)
Christian Fahrenbach hat sich für “dwdl.de” mit der US-amerikanischen Berichterstattung über Präsidentschaftsbewerber Trump beschäftigt. Sein Fazit: “US-Medien bringen sich mit neuen Formaten zwar in Stellung, nehmen den Kandidaten aber insgesamt ernster als es häufig in Deutschland ankommt.”

Springerbeschwerde, Olympia-Peinlichkeiten, AfD-Hass-Klima

1. Fall Kachelmann: Springer streitet weiter
(evangelisch.de)
Der Rechtsstreit zwischen dem Wettermoderator Jörg Kachelmann und dem Medienkonzern Axel Springer geht weiter. Nach Informationen des Evangelischen Pressediensts (epd) legte der Konzern gegen das Urteil des OLG Köln Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof ein. Der Springer-Sprecher begründet dies mit der schädlichen Wirkung von Strafzahlungen: “Dies würde eine einschüchternde Wirkung auf die freie Presse haben.”

2. Can Dündar tritt zurück
(faz.net)
Der Chefredakteur der regierungskritischen Zeitung “Cumhuriyet”, Can Dündar, ist von seinem Posten zurückgetreten und bleibt vorerst in Europa. Vertrauen in die türkische Justiz hat er nicht mehr. Wer kann es ihm verdenken: Dündar und der Hauptstadtbüroleiter der “Cumhuriyet”, Erdem Gül, waren im Mai zu fünf Jahren und zehn Monaten beziehungsweise fünf Jahren Haft verurteilt worden. Drei Monate saß er in Untersuchungshaft.

3. Stimmungslos
(begleitschreiben.net, Gregor Keuschnig)
Bei Gregor Keuschnig mag keine rechte Olympia-Stimmung aufkommen, was an den Fernsehmoderatoren und der medialen Inszenierung liege: “Wie man sich bei ARD und ZDF den medienkompatiblen Sportler vorstellt, konnte man am Sonntag bei einer Schaltung zum »Deutschen Haus« sehen. Elf Medaillengewinner saßen da nebeneinander und nun wollte der Reporter von jedem wissen, wie sie gefeiert haben, was es zu trinken gab, wie die Nachtruhe war, usw. Die Szenerie war an Peinlichkeit kaum zu überbieten; die Sportler, noch gezeichnet von den Feiern, als Pönitenten. Und dann wundert man sich, wenn keine Olympia-Stimmung vor dem Fernseher aufkommt.”

4. “Unterschichtenorientierte Medienberichterstattung über Straftaten”
(deutschlandfunk.de, Karin Beindorff)
“Zeit”-Kolumnist und Vorsitzender BGH-Richter Thomas Fischer im Interview mit dem “Deutschlandfunk”. Es geht unter anderem um Vorurteile und Vorverurteilungen in Strafrechtsprozessen. Diese seien darauf zurückzuführen, dass in den Medien oft sehr unwissend über solche Themen berichtet werde. Aber auch die Justiz tue das ihre dazu, weil sie sich abschotte. Frank Überall, Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbands, wehrt sich im Gespräch mit “kress.de” gegen die Kritik des Karlsruher Richters.

5. Stellungnahme der DW zu Anschuldigungen gegen Korrespondent Juri Rescheto
(dw.com)
Der Moskau-Korrespondent der “Deutschen Welle” Juri Rescheto hat auf Einladung des Verbands der Auslandspresse in Moskau eine Reise auf die Krim unternommen. Nachdem in den sozialen Medien Kritik aufkam, bei der es auch um ein von Rescheto gegebenes Interview für “Russia Today” und die Verwendung von Hashtags geht, hat die “Deutsche Welle” nun eine Stellungnahme veröffentlicht.

6. “Sehr hässliche Hassmails”
(sueddeutsche.de, Martina Scherf)
Der Physiker Harald Lesch hat sich mit den Aussagen des AfD-Programms zum Klimawandel beschäftigt und in einem zehnminütigen Video die Dinge richtiggestellt. Darauf folgten wütende Kommentare von Klimawandelleugnern und AfD-Anhängern, aber auch von der Gegenseite. Nun ließ er ein “Terra X”-Video über die “Psychologie hinter Hass” folgen.

Franz Josef Wagner findet diese stolzen, coolen “Mädchen” ganz toll

Es gibt einen neuen Werbespot der Commerzbank mit dem deutschen Fußballfrauennationalteam. Knapp drei Wochen vor der Weltmeisterschaft in Frankreich rechnen die Spielerinnen darin auf starke, selbstironische Weise mit den blödesten Vorurteilen ihnen gegenüber ab. Und sagen unter anderem: “Wir brauchen keine Eier. Wir haben Pferdeschwänze.”

Das sorgt natürlich für Aufsehen — sogar bei “Bild”-Briefonkel Franz Josef Wagner, der gestern schrieb:

[D]as Tolle an Eurem TV-Spot ist, dass Ihr so unglaublich frei seid. Überhaupt nicht verbissen erzählt Ihr die Geschichte des Frauenfußballs. (…)

Dieser TV-Spot erzählt von den Vorurteilen. Frauen sind zum Kinderkriegen da, gehören in die Waschküche.

Genau. Ein weiteres Klischee, das in dem 90 Sekunden langen Werbeclip eingeblendet wird: Es handele sich ja nur um “#mädchenfußball”.

Screenshot des Commerzbank-Werbespots mit eingeblendeten klischeebeladenen Tweets zum Frauenfußball. Darunter auch ein Tweet mit mädchenfußball

Und als wollte Wagner noch einmal unter Beweis stellen, wie bitter nötig dieser Spot auch heute noch ist, überschreibt er seinen Brief an die Fußballerinnen nicht etwa mit “Liebe deutsche Fußballfrauen” oder mit “Liebe Nationalelf” oder mit “Liebe DFB-Frauen”, sondern mit:

Ausriss Bild-Zeitung - Post von Wagner - Liebe DFB-Pferdeschwanz-Mädchen

Und am Ende schreibt er:

Wir sehen wilde Mädchen. Coole Mädchen. Mädchen, die stolz darauf sind, Fußballerinnen zu sein.

Wild, cool, stolz. Aber keine Frauen, sondern nur “Mädchen”, die von einem Mann mal ein Lob bekommen.

Ganz anders sieht das aus, wenn Franz Josef Wagner den Fußballnationalspielern — also: den männlichen — schreibt. Wenn die bei der WM in Russland als Gruppenletzte ausscheiden, schreibt Wagner an die “Liebe Nationalelf”. Wenn die Spieler besonders jung sind, schreibt er an die “Liebe junge Nationalelf”. Schreibt er anderen Sportlern, etwa den Eishockeynationalspielern, steht über seinem Brief: “Liebe Eishockey-Männer”.

Schreibt er hingegen den deutschen Fußballerinnen, egal wie alt oder jung diese sein mögen, richtet er sich an die “Lieben WM-Mädels”.

Mit Dank an Olli für den Hinweis!

Organisierte Kriminalität, bitte hier entlang!

Nach BILD-Informationen sollen die libanesischen Clans mit Hilfe von tschetschenischen Gruppen mehrfach versucht haben, Capital Bra aufzulauern und zu finden.

schrieb Bild.de im vergangenen November. Es gehe “um Millionen”, “die Polizei sieht eine konkrete Gefahr für den Rapper.” Die Überschrift des Artikels damals:

POLIZEI: RAPPER IN LEBENSGEFAHR
Kriminelle Clans bedrohen Capital Bra

Die “libanesischen Clans” und die “tschetschenischen Gruppen” hätten den erfolgreichen Musiker allerdings nicht finden können, schreibt Bild.de noch.

Das könnte sich jetzt ändern — dafür haben die “Bild”-Medien gesorgt:

Screenshot Bild.de - Rap-Star Capital Bra ist umgezogen - Versteckt er sich hier etwa vor den Clans?

Online und in der entsprechenden Regionalausgabe der gedruckten “Bild” verrät die Redaktion Capital Bras neuen Wohnsitz. Bild.de teasert:

Das ist mal ein “capitaler” Neuzugang!

Derzeit gibt ER in der deutschen Musikszene den Ton an wie kein Zweiter: Was Capital Bra (25) rappt, geht in den Charts auf Platz 1, seine Konzerte sind ausverkauft.

Wie BILD erfuhr, ist der Rap-Star umgezogen (…). Erfahren Sie mit BILDplus, wo und wie Capital Bra jetzt wohnt — und was die Gründe für sein Umzug sein könnten!

Die “Bild”-Medien nennen nicht nur das Bundesland und die Stadt; sie schreiben auch, welches Bundesamt direkt um die Ecke des Hauses liegt, in dem Capital Bra nun wohnen soll. Und damit man das dann auch wirklich findet, veröffentlichen sie noch ein Foto davon. Außerdem nennen sie den bürgerlichen Namen des Rappers, und Bild.de zeigt eine Aufnahme des Klingelschildes, auf dem der Nachname zu sehen ist.

Sollte sich Capital Bra dort tatsächlich “vor den Clans” verstecken, kann er sich dank “Bild” und Bild.de ein neues Versteck suchen.

Dazu auch:

Mit Dank an Olli D. für den Hinweis!

Bild.de bringt Klinik mit Falschmeldung ans Limit

Gestern, um 10:54 Uhr, erschien im Bild.de-Corona-Liveticker diese Meldung:

Das Klinikum Offenburg sucht händeringend Helfer! - Das Klinikum Offenburg (Baden-Württemberg) ist am Limit - und richtet diesen Appell an die Öffentlichkeit: Dringender Appell an euch!

Wir benötigen im Klinikum Offenburg dringend helfende Hände. Ob mit oder ohne medizinische Erfahrung spielt keine Rolle. Es gibt Bedarf in der Küche, an der Pforte, Essen verteilen, Betten schieben. Und wer medizinische Kenntnisse hat im pflegerischen Bereich.

Wer jemand kennt, der jetzt zum Beispiel in Kurzarbeit ist, bitte melden. Per E-Mail: […] oder telefonisch […]

Bitte weiterleiten. Vielen Dank und bleibt gesund.

Die “Bild”-Redaktion nannte auch eine E-Mail-Adresse und eine Telefonnummer, die man anschreiben beziehungsweise anrufen soll, wenn man helfen möchte. Das Problem dabei: Das Ortenau Klinikum in Offenburg sucht derzeit gar nicht “händeringend Helfer”. Es handelt sich um “Fake News”, die Bild.de verbreitet hat.

Zuvor kursierte bei WhatsApp der vermeintliche Appell der Klinik samt Kontaktdaten. Während die “Bild”-Redaktion das Rundschreiben blind eins zu eins abgeschrieben hat, hat das Team von Hitradio Ohr recherchiert und bei der Klinik mal nachgefragt, was es mit dem Aufruf überhaupt auf sich hat:

Auf HITRADIO OHR-Anfrage hieß es heute (Sonntag) vom Ortenau Klinikum, das sei wohl Fake News.

Es gebe Überlegungen, ob das irgendwann nötig sei und intern gebe es beim Ortenau Klinikum die Überlegung, ob man sich — wenn sich die Situation verschlechtere — auch an die Öffentlichkeit wende. Das sei aber nur eine Idee und momentan KEIN Aufruf an die Bevölkerung. Beim Klinikum stehe wegen des “Fake-Aufrufs” das Telefon nicht mehr still.

Nun ist es eine Sache, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Klinik auf “rund 1000 Anfragen” (Stand: Sonntagmittag) reagieren mussten und damit von ihrer wichtigen Arbeit abgehalten wurden. Vielleicht noch gefährlicher: Der gefakte Appell, den Bild.de verbreitet hat, vermittelt den falschen Eindruck, dass das Klinikum in Offenburg die Situation nicht mehr im Griff habe und “am Limit” sei. Daher hat das Klinikum mit einer Stellungnahme reagiert:

Zur Zeit kursiert in verschiedenen Medien ein Aufruf, das Ortenau Klinikum Offenburg-Kehl würde sofort dringend “helfende Händen” benötigen. Das ist gut gemeint, aber nicht zielführend! Aktuell laufen alle Prozesse in unseren Häusern im Rahmen der Planungen. […]

Derzeit ist das Ortenau Klinikum hinsichtlich Personal und Intensivbetten bestens ausgestattet.

Erst nach mehreren Stunden löschte Bild.de die Falschmeldung klammheimlich aus dem Liveticker. In einer späteren Meldung im selben Liveticker, die davon berichtet, dass ein gefälschter Appell des Klinikums Offenburg im Umlauf ist, erwähnte die Redaktion mit keinem Wort, dass sie kräftig mitgemischt hat.

Mit Dank an Fabian, @MatthiasJundt und @Maxi_FR1904 für die Hinweise!

Geldsegen für Verlage, Nazi-Tattoo, Upskirting und Unfallfotos

1. Verlage bekommen 200 Millionen Euro Fördergelder
(wuv.de, dpa)
Die Große Koalition will die deutschen Zeitungs- und Zeitschriftenverlage in den nächsten Jahren mit maximal 220 Millionen Euro fördern. Das gehe aus einem Entwurf der Fraktionen für den zweiten Nachtragshaushalt 2020 hervor, der dieser Tage beschlossen worden ist. Hintergrund sei die “Förderung der digitalen Transformation des Verlagswesens zur Förderung des Absatzes und der Verbreitung von Abonnementzeitungen, -zeitschriften und Anzeigenblättern”. Die für dieses Jahr ursprünglich geplanten Förderung der Zeitungszustellung mit 40 Millionen Euro solle es stattdessen doch nicht geben.
Weiterer Lesehinweis: ver.di fordert “klare Kriterien und Bedingungen für die Verteilung der am 2. Juli vom Deutschen Bundestag beschlossenen staatlichen Fördergelder für Verlage in Höhe von 220 Millionen Euro. ‘Wer von öffentlichen Geldern profitieren will, der muss auch die Einhaltung tariflicher Standards, gute Arbeitsbedingungen und eine angemessene Vergütung nachweisen’, verlangte ver.di-Bundesvorstandsmitglied Christoph Schmitz.” – Geldsegen für Verlage nicht bedingungslos (verdi.de).

2. WDR zeigt Urlauber mit Nazi-Tattoo
(rnd.de, Matthias Schwarzer)
Ein WDR-Team ist nach Mallorca geflogen, um sich anzuschauen, unter welchen Bedingungen deutsche Durchschnitts-Touristinnen und -Touristen dort derzeit urlauben. Natürlich musste auch ein Interview vom Ballermann dabei sein, und an dieser Stelle beginnt das Problem: Ein interviewter deutscher Tourist trug deutlich sichtbar Tätowierungen aus dem rechtsextremen Umfeld – darunter ein Symbol, dessen Verwendung teilweise strafbar sei. Das RedaktionsNetzwerk Deutschland hat beim WDR nachgefragt, wie es dazu kommen konnte.

3. Helden der Informationsfreiheit
(reporter-ohne-grenzen.de)
Reporter ohne Grenzen hat eine Liste der “Heldinnen und Helden der Informationsfreiheit” (PDF, englisch) veröffentlicht. Dort werden Medienschaffende gewürdigt, die sich in der Corona-Krise in besonderem Maß für freie Berichterstattung eingesetzt haben. Die Liste umfasse exemplarisch 30 Journalistinnen, Whistleblower, Medien und Vereinigungen, die mit besonderem Mut und Hartnäckigkeit über die Pandemie berichtet hätten.

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4. Wo Ziesel wetzen und Vögel fischen
(faz.net, Kai Spanke)
“FAZ”-Redakteur Kai Spanke hat in die gestern ausgestrahlte Arte-Naturreportage “Die Moldau – Der goldene Fluss” reingeschaut und war wenig begeistert. Als störend empfand Spanke die geringe Sorgfalt beim Umgang mit dem Material und die offensichtlichen Schummeleien: “Hat wirklich ein Adler den Fisch fallen gelassen oder ein Mitglied des Filmteams? Wie viel Zeit verging zwischen den einzelnen Teilen der Sequenz? Ist sie überhaupt an der Moldau gedreht worden? Gerade mal die Hälfte der Dokumentation haben wir zu diesem Zeitpunkt geschafft, ihre Glaubwürdigkeit ist jedoch schon verloren.”

5. Bundestag stellt Upskirting und Unfallfotos unter Strafe
(spiegel.de)
Der Bundestag hat eine Gesetzesverschärfung verabschiedet, die das sogenannte Upskirting unter Strafe stellt. Darunter versteht man heimliche Fotos unter den Rock oder in den Ausschnitt. Auch das Fotografieren und Filmen von Unfalltoten ist nun verboten – die bisherigen Regeln bezogen sich nur auf lebende Unfallopfer. Zudem habe der Bundestag nach jahrelangen Diskussionen die Werbung fürs Rauchen beziehungsweise für Tabakprodukte weiter eingeschränkt.

6. Offen­sicht­liche Wer­bung muss nicht gekenn­zeichnet werden
(lto.de)
Die Rechtsprechung zur Kennzeichnung von Influencer-Werbung ist an deutschen Gerichten nicht einheitlich. Dies mag daran liegen, dass die Materie neu und die Lage nicht immer eindeutig ist. In einem aktuellen Urteil habe das Oberlandesgericht Hamburg entschieden, dass offen­sicht­liche Wer­bung nicht unbedingt und in jedem Fall gekennzeichnet werden müsse. Anlass war eine Instagrammerin mit 1,7 Millionen Followerinnen und Followern, die verschiedene Anpreise-Posts nicht als Werbung gekennzeichnet hatte und deswegen von einem Wettbewerbsverband abgemahnt worden war.

“Bild” und die “vermeintliche Polizeigewalt”

Bei “Bild” knöpfen sie sich jetzt Minderjährige vor:

Ausriss Bild-Zeitung - Polizei-Opfer hat Lehrer verprügelt - das Wort Opfer ist in Anführungszeichen geschrieben
(Augenbalken von “Bild”, weitere Unkenntlichmachung durch uns.)

Der Jugendliche, über den sich die “Bild”-Redaktion vergangenen Donnerstag in ihrer Hamburg-Ausgabe hermachte, ist der 15-Jährige, der in mehreren Videosequenzen zu sehen war, die vor zwei Wochen in den Sozialen Medien auftauchten und für eine erneute Diskussion über Polizeigewalt sorgten. Was in den Videos passiert, lässt sich grob so zusammenfassen: Der Junge steht in Hamburg mit dem Rücken zu einer Hauswand, er ist umzingelt von vier Polizisten. In den ersten paar Sekunden ist zu sehen, wie er mit den Beamten ringt, diese von sich wegschubst. Die Polizisten weichen daraufhin etwas zurück, einer von ihnen zieht seinen Schlagstock. Man hört Sirenen. Verstärkung kommt, und nun sind es acht Polizisten, die vor dem Jungen stehen. Die Beamten schreien mehrmals: “Auf den Boden!” Der Jugendliche bleibt aber stehen und wird schließlich niedergerungen, als er sein T-Shirt ausziehen will, bis er ruft: “Ich krieg’ keine Luft!” Ausgangspunkt war eine Polizeikontrolle, nachdem der Junge mit einem E-Scooter in Hamburg-Neustadt auf dem Gehweg gefahren war. Er konnte oder wollte sich nicht ausweisen, dann eskalierte die Situation.

Über das Vorgehen der Polizisten wurde daraufhin viel diskutiert, vor allem in den Sozialen Medien: War es übertrieben? War es angemessen? Mussten die Beamten derart rabiat vorgehen? Konnten sie gar nicht anders? War das unangemessene Polizeigewalt?

Laut “Bild” nicht. Laut “Bild” handelte es sich nur um “vermeintliche Polizeigewalt”:

Vergangene Woche war er Mittelpunkt eines Videos, das vermeintliche Polizeigewalt dokumentieren sollte. Hobby-Boxer K[.] geriet nach einer E-Scooter-Kontrolle mit acht Beamten aneinander (BILD berichtete). Doch nun sieht es weniger nach Polizeigewalt aus – K[.] gerät wegen Übergriffen selbst in den Fokus.

In dem letzten Satz steckt der ganze Ekel dieser “Bild”-Geschichte: Weil der Jugendliche zwei Monate zuvor wegen vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt worden sein soll, soll das Vorgehen der Polizisten (in einer davon völlig unabhängigen Situation) weniger schlimm gewesen sein? Weil er “selbst in den Fokus” gerät, sieht es nun “weniger nach Polizeigewalt aus”? Als würde es einen Unterschied machen bei der Bewertung eines Polizeieinsatzes, wessen Körper da gerade unter dem Knie eines Polizisten liegt – der eines vorbestraften Jugendlichen oder der eines Jugendlichen, der sich noch nie etwas hat zu Schulden kommen lassen. Es ist ein gruseliges Verständnis vom Rechtsstaat, in dem eigentlich jeder und jede das Recht hat, dass ihm oder ihr keine unnötige Polizeigewalt angetan wird. Auch frühere Straftäter, auch E-Scooter-Fahrer, die unerlaubterweise auf dem Gehweg fahren.

Der “Bild”-Artikel dient gleich zwei Zielen: Er verteidigt einerseits die Hamburger Polizei, indem er es so klingen lässt, als hätten die Beamten gar nicht anders gekonnt – der Junge habe schließlich auch mal seinen “LEHRER VERPRÜGELT”. Und er lenkt andererseits ab von einer legitimen Diskussion über Gewalt durch Polizisten. Er verschiebt den Fokus auf die in diesem Fall völlig unerhebliche Vergangenheit des möglichen Opfers. Er diskreditiert das mögliche Opfer, indem er einstige Vergehen rauskramt – als hätte das eine (der Polizeieinsatz gegen den Jungen) mit dem anderen (mögliche Vorstrafen des Jungen) etwas zu tun. Die “Bild”-Redaktion geht sogar so weit, dass sie das Wort “Opfer” in ihrer Überschrift hämisch nur in Anführungszeichen schreibt.

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Bereits eine Woche zuvor ging es bei “Bild” nicht weniger hämisch und geschmacklos zu. In Hamburg standen solche Werbeaufsteller vor Kiosken:

Screenshot eines Tweets, der einen Bild-Aufsteller in Hamburg zeigt - darauf ist die Schlagzeile zu lesen: Kontrolle in der Neustadt eskaliert - Boxer (15) verliert gegen acht Polizisten
(Diese und alle folgenden Unkenntlichmachungen durch uns.)

In der Hamburg-Ausgabe der “Bild”-Zeitung erschien ein großer Artikel mit wortgleicher Überschrift. Auch hier ging es bereits darum, den Jungen zu diskreditieren.

Erstmal zum “Boxer”, was lediglich ein sprachlicher Kniff der Redaktion ist. Vielleicht findet sie es auch irgendwie lustig. Der 15-Jährige geht noch zur Schule, ist also erst einmal Schüler. In seiner Freizeit boxt er im Sportverein. Ihn als “Boxer” zu präsentieren, als hätten es die Polizisten mit einem durchtrainierten Profisportler zu tun gehabt, ist, vorsichtig ausgedrückt, unangebracht. Außerdem schließt sich die “Bild”-Redaktion damit dem Framing der Hamburger Polizei an: Diese hatte in einer Pressemitteilung gleich zweimal geschrieben, der Jugendliche sei “sehr groß und stark” gewesen. Die Betonung der Attribute “groß” und “stark” lenkt von dessen Minderjährigkeit ab. Die “Bild”-Redaktion steigert dieses Framing noch, indem sie den 15-Jährigen zum “Boxer” erklärt.

Dass der Junge gegen die Polizisten “verloren” habe, wie “Bild” titelt, zieht die ernste Angelegenheit endgültig ins Lächerliche. Die Redaktion macht damit aus einer Situation, in der ein unbewaffneter Jugendlicher mehreren bewaffneten Vertretern der Staatsgewalt gegenüberstand, einen sportlichen Wettkampf, bei dem es ums Gewinnen oder Verlieren geht. Und auch in diesem Artikel stürzt sich “Bild” auf mehrere angebliche Ermittlungsverfahren, die schon gegen den Jungen gelaufen sein sollen. Auch diese haben rein gar nichts mit dem Vorfall, um den es eigentlich geht, zu tun.

Diese “Bild”-Masche – sich lieber auf mögliche Opfer von Polizeigewalt und deren kriminelle Vergangenheit zu konzentrieren, statt auf die Polizeigewalt selbst – konnte man zur selben Zeit bei einem weiteren Fall beobachten:

Screenshot Bild.de - Umstrittener Polizeieinsatz von Düsseldorf - Schon im Alter von 13 Jahren fiel er als brutaler Schläger auf - Die Strafakte von M. (15)

In einem Video, das den Polizeieinsatz in Düsseldorf zeigt, sieht man, wie ein Polizist einen Jugendlichen am Boden fixiert. Das Knie des Beamten befindet sich auf dem Kopf des Jungen. Das schockierte viele, zwischenzeitlich auch Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul. Die “Bild”-Redaktion ging hingegen schnell dazu über (wie auch manch andere Redaktion), sich den 15-Jährigen unter dem Polizistenknie vorzunehmen. Sie machte eine Reihe von früheren Vergehen des Jungen öffentlich, die dieser teils begangen haben soll, als er noch nicht strafmündig war. Und wieder klingt es nach irgendwas zwischen “Ach, sieh mal einer an: Der war aber auch kein Engel” und “Na also, da hat es ja genau den Richtigen getroffen”. Dabei schreibt selbst der Autor des Bild.de-Artikels:

Wenn man seine Polizeiakte liest, ist der junge Mann kein unbeschriebenes Blatt. Was natürlich nicht bedeutet, dass er nicht selbst ein Opfer von Gewalt sein kann.

Das hindert die “Bild”-Redaktion freilich nicht daran, so eine Story zu bringen.

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Social-Media-Wahlkampf, Facebooks späte Reaktion, Falsche Prioritäten

1. Wie der Wahlkampf 2021 auf Social Media geführt wird
(tagesspiegel.de)
Welche Partei postet am meisten? Was sind die am häufigsten verwendeten Hashtags? Welche Politiker haben die meisten Follower? Was sind die meistgenutzten Emojis? Der “Tagespiegel” hat zusammen mit Democracy Reporting International den Wahlkampf auf Facebook, Twitter, Instagram und Youtube ausgewertet und die Ergebnisse in interaktiven Grafiken aufbereitet.

2. “Die Sternstunden des Journalismus stehen noch bevor”
(journalist.de, Henning Kornfeld)
Otto-Kommunikationschef Thomas Voigt diskutiert im “journalist”-Interview über die Herausforderungen des Journalismus beim Thema Klima und über die Frage, wo bei Projekten wie “Now”, einer Kooperation von Otto und “Geo”, die Probleme liegen.

3. Über 100 afghanische Journalisten bitten um Hilfe
(reporter-ohne-grenzen.de)
Mehr als 100 afghanische Journalistinnen und Journalisten haben anonym über Reporter ohne Grenzen einen dringenden Appell an die internationale Gemeinschaft gerichtet. Ihr Aufruf ist mit “Der Journalismus in Afghanistan ist vom Aussterben bedroht” überschrieben. Unterzeichnet haben ihn insgesamt 103 Medienschaffende: “Wir sind afghanische Journalistinnen und Journalisten verschiedener politischer Überzeugungen und Ethnien. Einige von uns sind noch arbeitsfähig. Andere verstecken sich in Kabul oder anderswo in Afghanistan. Andere sind bereits ins Ausland geflohen oder stehen kurz vor der Ausreise. Wir alle sind gezwungen, bei diesem Aufruf anonym zu bleiben. Wir wollen nicht, dass der Journalismus in Afghanistan wie von 1996 bis 2001 ausstirbt. Die Zeit drängt.”

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4. Warum jetzt, Facebook?
(zeit.de, Lisa Hegemann)
Eine Woche vor der Bundestagswahl hat Facebook 150 “Querdenken”-Kanäle gelöscht. Der Gedanke dahinter sei richtig, aber der Weg falsch, findet Lisa Hegemann: “Wieso reagiert die Plattform erst jetzt, so kurz vor der Bundestagswahl und zu einem Zeitpunkt, an dem die Bewegung deutlich an Zulauf und Bedeutung verloren hat? Tatsächlich erinnert das Vorgehen stark an den Umgang des sozialen Netzwerks mit US-Präsident Donald Trump: Jahrelang durfte er die Community-Standards ignorieren und Falschinformationen sowie Hetze in den Newsfeed von Nutzerinnen und Nutzern hineinblasen. Erst nach dem Sturm auf das Kapitol im Januar, als er die US-Präsidentschaftswahl schon verloren hatte und sein Abgang nahe war, reagierte Facebook und sperrte ihn.”

5. “Tagesschau” revidiert Bericht über AfD
(faz.net)
Die AfD hat eine Unterlassungsverpflichtung gegen die “Tagesschau” erwirkt. Die Nachrichtensendung muss einen Bericht über das Abstimmungsverhalten der AfD-Bundestagsfraktion zur Fluthilfe nachträglich umarbeiten. Es habe der Eindruck entstehen können, die AfD-Fraktion habe gegen den Aufbau des Fluthilfefonds gestimmt, “tatsächlich hatte sie in 2. Lesung einstimmig dafür votiert.” Ein Beitrag des “Tagesschau”-“Faktenfinders”, der auf den Einwand der AfD geantwortet hatte, ist derzeit offline und werde nach Angaben des NDR überarbeitet.

6. Möbelhaus schlägt Herzzentrum? Die falschen Doku-Prioritäten des ZDF
(dwdl.de, Peer Schader)
Peer Schader erinnert die Programmzuständigen der Öffentlich-Rechtlichen daran, mehr gesellschaftsrelevante Themen aufzugreifen: “Ich hab nicht den Eindruck, dass in Mainz, München und andernorts, wo Fernsehen für die Realitäten des Jahres 2021 gemacht werden soll, schon ausreichend verstanden worden ist, wie viele Beitragszahlende sich nach einem öffentlich-rechtlichen Rundfunk sehnen, der seine Prioritäten sehr viel besser zu ordnen versteht als das in den zurückliegenden Jahren der Fall war.”

Feldbett ade, Döpfners autoritärer DDR-Staat, Wetten, dass nicht

1. Ende der Feldbett-Geschichten
(taz.de, Erica Zingher)
Der Axel-Springer-Konzern hat sich von “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt getrennt (offizielle Pressemitteilung). Der Entscheidung vorausgegangen war ein Beitrag in der “New York Times” über die zweifelhafte Unternehmenskultur im Hause Springer und der “Bild”-Redaktion. Auch das Investigativteam der Ippen-Verlagsgruppe, zu der unter anderem die “Frankfurter Rundschau” und der “Münchner Merkur” gehören, hatte zu den Vorwürfen gegenüber Reichelt recherchiert. Die Veröffentlichung war jedoch von Verleger Dirk Ippen gestoppt worden (einige der Ergebnisse flossen in einen neuen Beitrag beim “Spiegel” (nur mit Abo lesbar) mit ein). Erica Zingher fasst den Vorgang zusammen, der viele bemerkenswerte Nebenaspekte hat.

2. BDZV-Präsident hält Deutschland für neuen autoritären DDR-Staat
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
Der Rauswurf Reichelts bei “Bild” dürfe nicht ablenken von dem, was für die “New York Times” der eigentliche Grund für ihre Berichterstattung gewesen sei: Das zwielichtige Bild, das der Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner an der Spitze von Axel Springer abgebe. Von diesem war eine Nachricht bekanntgeworden, in der er Reichelt wie folgt verteidigt hatte: “Er ist halt wirklich der letzte und einzige Journalist in Deutschland der noch mutig gegen den neuen DDR Obrigkeitsstaat aufbegehrt. Fast alle anderen sind zu Propaganda Assistenten geworden.” Lückeraths Kommentar: “Der Kapitän lässt den für ihn wichtigsten Mann über die Planke laufen und alle grölen vor Freude über das Spektakel. Dabei sollte man nicht vergessen, wer auf dem Schiff das Sagen hat.”

3. Offener Brief an die Intendanten, Geschäftsführer und Chefredaktionen von ARD, ZDF, PRO7/SAT1, RTL und N-TV
(klimajournalismus.de)
Das “Netzwerk Klimajournalismus” wendet sich mit einem offenen Brief an die Verantwortlichen von ARD, ZDF, ProSieben/Sat.1, RTL und n-tv, in dem es die Trielle kritisiert: “Wir haben die von einem Millionenpublikum verfolgten und vermutlich die Wahlen mitentscheidenden Trielle analytisch ausgewertet und kommen zu dem Schluss, dass kein Moderator und keine Moderatorin den Ernst der Lage adäquat dargestellt hat.”

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4. Statement zur Frankfurter Buchmesse 2021
(twitter.com, Jasmina Kuhnke)
Die Autorin und Schriftstellerin Jasmina Kuhnke sieht sich als Schwarze Frau seit Längerem Bedrohungen durch Rechtsextreme ausgesetzt. Bei der Frankfurter Buchmesse 2021 sollte sie, wie sie auf Twitter schreibt, als Überraschungsgästin bei der ARD-Buchnacht und der Diskussionsrunde “Die Streiterinnen” auftreten. Nun habe sie erfahren, dass in unmittelbarer Nähe ein Verlag ausstelle, dessen Leiter bereits verkündet habe, sie “gehöre abgeschoben”. Kuhnke sieht angesichts dieses Umfelds und des möglichen Bedrohungspotenzials keinen anderen Weg, als der Buchmesse fernzubleiben: “Ich möchte den Verantwortlichen damit aufzeigen, dass die hier getroffene Entscheidung, Nazis den Raum zu bieten sich darzustellen, vor allem Konsequenzen für Betroffene wie mich hat.”

5. Mörder endlich zur Rechenschaft ziehen
(reporter-ohne-grenzen.de)
Kurz vor dem vierten Jahrestag der Ermordung der Journalistin Daphne Caruana Galizia sind Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Organisationen nach Malta gereist: “Wir fordern umfassende Reformen im Bereich der Pressefreiheit, die Anerkennung des Journalismus als vierte Säule der Demokratie und die Schaffung eines sicheren Umfelds für alle in Malta arbeitenden Journalistinnen und Journalisten – durch Gesetze und in der beruflichen Praxis.”

6. Zweitverwertung
(sueddeutsche.de, David Denk)
Am 6. November strahlt das ZDF eine neue Folge der eigentlich lange verabschiedeten Sendung “Wetten, dass..?” mit Thomas Gottschalk aus. In seiner Kolumne kritisiert David Denk: “Wer keine Abos verkaufen muss, sondern sich aus zuverlässig sprudelnden Gebührengeldern bedienen kann, sieht offenbar nicht die Notwendigkeit einer Erneuerung, die diesen Namen auch verdient. So wenig Ehrgeiz kann sich noch nicht mal ein Kommissar im Ruhestand am Bodensee erlauben.”

Symbolbild am Sonntag (Wiedervorlage)

Was stand denn nun wirklich auf dem ominösen Zettel, den Nationaltorwart Jens Lehmann beim WM-Viertelfinal-Elfmeterschießen gegen Argentinien aus dem Stutzen zog?

Gute Frage eigentlich, die Kinonews.de heute (zum bevorstehenden Kinostart von Sönke-Wortmanns WM-Doku “Deutschland. Ein Sommermärchen”) auf einer mit dem Wort “Anzeigensonderveröffentlichung” überschriebenen “BamS”-Seite stellt.

Neu allerdings ist die Frage nicht. Vor einer Woche schon stand sie ganz ähnlich auch im “Spiegel”:

Was stand drauf auf jenem Zettel, den Torhüter Jens Lehmann während des Elfmeterschießens gegen Argentinien studierte?

Seltsam ist sie allerdings schon, die ganze Fragerei jetzt — vor allem für “BamS”-Leser. Hatte ihre Zeitung doch bereits vor einem Vierteljahr auf der Titelseite — zwischen den Worten “BamS enthüllt” und “Lehmanns Elfer-Spickzettel” — ein handbeschriebenes, zerknittertes Stück Papier abgebildet, das bei Bild.de (siehe Ausriss) bis heute mit den Worten “Das stand auf dem Zettel von Lehmann” verlinkt ist.

Okay, wir wissen längst: Der “BamS”-Zettel damals war “nicht echt” (“Berliner Zeitung”) bzw. “nachempfunden” (“BamS”) und “völlig falsch” (Jens Lehmann). Wie falsch, wissen wir allerdings erst, seit der “Spiegel” vor einer Woche exklusiv Auszüge aus einem Begleitbuch zu Wortmanns WM-Film abdruckte* — und “Bild”-Leser immerhin seit Freitag.

Zum Vergleich:

Aber zum Glück gibt es ja in der “Bild am Sonntag” eine “Korrektur”-Rubrik. Und deshalb wissen “BamS”-Leser seit heute immerhin, dass…

… ähm, dass die zweite Belagerung Wiens durch türkische Heere nicht 1668, sondern 1683 stattfand.

*) Weil Lehmann den zerknitterten Zettel direkt in die Wackelkamera von Sönke Wortmann hält, können sich demnächst auch alle “Sommermärchen”-Zuschauer davon überzeugen, dass zumindest die Zerknitterung des “BamS”-Zettels dem Original täuschend echt nachempfunden ist!

Polizei findet “Bild”-Bericht grenzwertig

Es ist nicht das erste Mal, dass “Bild”, nachdem jemand von der Polizei mit einem Fahndungsfoto gesucht und gefunden worden war, anschließend ein großes, identifizierbares Foto des mutmaßlichen Täters zeigte.

Auch der Presserat hatte sich noch im Juni mit einem ähnlichen Fall (damals zeigte “Bild”, wie berichtet, das Foto einer jungen Frau) befasst — und, wie berichtet, die “Bild”-Veröffentlichung missbilligt, da “kein öffentliches Interesse” zu erkennen sei, “das die Persönlichkeitsrechte der Frau überlagert hätte”. Daran habe auch die Tatsache nichts geändert, dass nach der Betroffenen mit Hilfe einer Kameraaufnahme gefahndet wurde:

Mit dem Auffinden der jungen Frau erlosch jedenfalls das Fahndungsinteresse der Polizei (…). Danach hätte die Zeitung auf eine erkennbare Darstellung der Betroffenen verzichten müssen.

Wie wenig diese Missbilligung die “Bild”-Zeitung beeindruckt hat, zeigt ein aktueller Fall:

Es geht dabei um einen Mann, der von der Polizei Bremen wegen “schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes” gesucht und am vergangenen Mittwoch festgenommen wurde. Laut Polizei konnten zwar weitere mutmaßliche Opfer “noch nicht namentlich ermittelt” werden, doch sei der Mann, “ein 38-jähriger Lehrer aus Cuxhaven”, inzwischen teilweise geständig, der Fall “aufgeklärt”.

Die Bremer “Bild”-Zeitung, die zuvor auch den Fahndungsaufruf verbreitet hatte, nahm die nun erfolgte Festnahme am Samtag zum Anlass für einen neuen, großen Artikel — und nannte darin nicht nur den (abgekürzten) Namen und Details zum Familienstand, sondern auch den Namen der Schule, an der er unterrichtet. Dominiert wird der Artikel jedoch (siehe Ausriss) vom einem großen Foto, das “Bild”, wie uns die Schule mitteilt, unerlaubterweise von deren Homepage hat und das “Bild” ohne jegliche Unkenntlichmachung zeigt.

Ein Sprecher der Polizei Bremen betonte auf Anfrage von uns, dass das Foto “kein Fahndungsfoto” und auch “nicht von der Polizei herausgegeben” wurde. Obwohl nicht auszuschließen sei, dass der “Bild”-Bericht bei der Suche nach den Opfern behilflich sein könnte, hält die Polizei die Veröffentlichung des Fotos mit Hinweis auf die Persönlichkeitsrechte des mutmaßlichen Täters für “sehr grenzwertig”.

Mit Dank an Christopher und andere für den Hinweis.

“Bild” stützt Althaus mit “raschen, festen Schritten”

“Mediale Kumpanei” – Unter diesem Titel fasst das NDR-Medienmagazin “Zapp” Merkwürdigkeiten in der “Bild”-Berichterstattung über den Thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus zusammen, der sich seit nunmehr sieben Wochen in einer Klinik von den Folgen eines schweren Skiunfalls erholt und dessen Vater kürzlich verstarb.

Von der Beerdigung des Vaters nämlich, zu der laut “Zapp” für die zahlreichen Journalisten ein “Fotoverbot” angeordnet worden war, berichtete “Bild”-Reporter Jan Wehmeyer über Althaus:

Ganz vorsichtige Schritte macht er, zu sehr geschwächt ist er nach seinem schweren Skiunfall (…). Gestützt von Ehefrau Katharina (47) nahm der Politiker auf der Bank Platz. Blasses Gesicht, die linke Hand ist verbunden. Ein Reporter der Nachrichtenagentur AP beschreibt, wie Althaus sich mehrfach nach vorne beugte, “als werde er vom Schmerz übermannt; auch musste er sich oft hinsetzen”. Bei Gesängen bewegte Althaus nur die Lippen. (…)

Und ähnlich war auch die quasi einhellige Einschätzung anderer Medien (die zudem vom Bruder des Ministerpräsidenten Bernd Uwe Althaus in einem ungewöhnlich ehrlich wirkenden MDR-Interview bestätigt wird).

Dennoch stand bereits einen Tag nach obigem “geschwächt”-Artikel etwas ganz anderes in “Bild”. Unter der Überschrift “Rückkehr! Althaus will Ministerpräsident in Thüringen bleiben” und illustriert mit einem Exklusiv-Foto am Grab seines Vaters (ohne Quellenangabe) schrieb wiederum “Bild”-Reporter Wehmeyer:

(…) Kurz darauf verlässt Althaus (schwarzer Wollmantel, breitkrempiger Hut) mit festen, raschen Schritten den Friedhof, wird wieder in die Reha-Klinik nach Allensbach zurückgefahren. Die Genesung des Ministerpräsidenten von seinem Schädel-Hirn-Trauma macht weiter Forschritte. (…) Mittlerweile ist klar: Dieter Althaus wird schon bald in die Politik zurückkehren. (…)

Laut “Zapp” ist das Exklusiv-Foto “offenbar kein heimlicher Schnappschuss”. So hält es ein Redakteur der “Thüringer Allgemeinen” für “sehr gut inszeniert”, und Christiane Kohl von der “Süddeutschen Zeitung” wiederholt noch einmal, was sie (wie auch “Spiegel Online”) bereits aufgeschrieben hatte: dass ihr nämlich aus CDU-Parteikreisen bestätigt wurde, Althaus habe das Foto in der “Bild”-Zeitung “bestellt”.

Déjà Vu?

Ob Althaus oder Schröder, Steinmeier oder Friedbert Pflüger, ob RWE, Lufthansa, E.on, McDonalds oder bloß (und immer) “Pop-Titan” Dieter Bohlen – es scheint, als bedeute “unabhängig” und “überparteilich” für die “Bild”-Zeitung nur, dass es ihr letztlich egal ist, für wessen Interessen sie sich einspannen lässt.

Bei entsprechender Gegenleistung ist “Bild” offenbar bereit, sogar die Beschreibung der Wirklichkeit entsprechend anzupassen – und sei es, wie im Fall Althaus, von einem Tag auf den anderen um 180 Grad.

Journalismus-Irrsinn: Berichten mit Augenmaß!

In Köln ist ein Sack Reis umgefallen eine Waage unbenutzbar. Oder:

„Focus Online“: „WDR-Kantinen-Irrsinn“
„Focus Online“

„Kölner Express“: „Kantinen-Gate Wirbel um Salat-Waage beim WDR: Darum wird der Preis nur geschätzt“
„Kölner Express“

Was steckt dahinter? Nicht viel: Julien Bickelmann, Moderator Reporter bei 1LIVE, war vorgestern in der Kantine des WDR. Dort schoss er ein Foto einer Waage und twitterte:

Wie erklärt man anderen Menschen deutsche Bürokratie am besten? (Gesehen @WDR Kantine)

Ein kleiner Scherz über die deutsche Bürokratie. Dann passierte, was eben manchmal passiert, wenn man lustige interessante irre Dinge ins Internet postet. Bickelmanns Tweet erhielt über 1.000 Retweets und gefällt inzwischen mehr als 1.400 Mal. Dann stolperte der „Kölner Express“ über den Tweet.

Der „Express“ griff die Geschichte den Zwischenfall den Tweet gestern auf und schrieb fünf Absätze dazu, die nicht viel mehr Information enthielten als der ursprüngliche Tweet. Dabei ließ er es sich natürlich nicht nehmen, das Bild ohne Erlaubnis von Bickelmann zu verwenden. Auch das „Süddeutsche Zeitung Magazin“ „berichtete“ auf seiner Facebook-Seite. Abends gesellte sich „Focus Online“ dazu:

„Mit einem Bild auf Twitter hat der Reporter Julien Bickelmann für großen Wirbel gesorgt: Er fotografierte die Salat-Waage der WDR-Kantine, die derzeit außer Betrieb ist. Der Grund dafür: Bürokratie-Irrsinn, über den das Netz nun lacht.“

Ein bisschen lachen über den „Bürokratie-Irrsinn“ der Deutschen, was ist schon dabei? Oder, in den Worten der Kommentatoren auf „Focus Online“:

Jeden Tag fluten Zehntausend Menschen zu großen Teil ohne gültige Ausweispapiere und aus sicheren Drittstaaten nach Deutschland und die machen sich in die Hose wegen einer zu spät durchgeführten Eichung? Wenn nichtmal mehr Merkel und Kollegen sich an Gesetze halten, dann dürfte doch eine ungeeichte Waage jetzt nicht so das Problem sein, oder?

Deutsche Dummheit die überall das Land regiert. Teilweise aufgrund von über 100 Jahre alten Gesetzen, die mit der Realität nix zu tun haben. Aber unsere Regierer haben ja nix im Kopp, außer immer neuen Unsinn zu verzapfen, statt den Saustall mal auszumisten. Der „schlanke Staat“ wird ja immer wieder versprochen, schlanker werden aber nur die Geldbörsen der Bürger.

Aber, und jetzt kommt der Knaller die erwartbare Auflösung: Das Ganze ist kein „Bürokratie-Irrsinn“. Denn wer in das total irre „Gesetz über das Inverkehrbringen und die Bereitstellung von Messgeräten auf dem Markt, ihre Verwendung und Eichung sowie über Fertigpackungen (Mess- und Eichgesetz – MessEG)“ schaut, liest:

„Hat der Verwender die Eichung mindestens zehn Wochen vor Ablauf der Eichfrist beantragt und das zur Eichung seinerseits Erforderliche getan oder angeboten, steht das Messgerät trotz des Ablaufs der Eichfrist bis zum Zeitpunkt der behördlichen Überprüfung einem geeichten Messgerät gleich. Hat der Verwender die Eichung zu einem späteren Zeitpunkt beantragt und ist der Behörde eine Eichung vor Ablauf der Eichfrist nicht möglich, so kann sie das weitere Verwenden des Messgeräts bis zum Zeitpunkt der behördlichen Überprüfung gestatten. Die Behörde soll die Eichung nach Ablauf der Eichfrist unverzüglich vornehmen.“

Wenn die Kantine also mindestens zehn Wochen vor Ablauf der Eichfrist die Eichung beantragt hat, aber noch kein Prüfer gekommen ist, erlaubt das Gesetz, die „ungeeichte“ Waage weiter zu verwenden. So lange, bis der Prüfer kommt.

Hat die Kantine diese Zehn-Wochen-Frist verpasst und der Prüfer kann vor Ablauf der Eichfrist nicht kommen, kann das Eichamt der Kantine erlauben, die Waage weiter zu betreiben.

In beiden Fällen kann die Kantine die Waage also weiter betreiben. Die Bürokratie schützt die Kantine also vor genau dem „Irrsinn“, der ihr jetzt nachgesagt wird.

Daraus ergeben sich nun drei spannende Folgefragen:

  1. Hat die Kantine die Eichung vor mehr als zehn Wochen beantragt?
  2. Wenn die Eichung vor mehr als zehn Wochen beantragt wurde, warum ist die Waage dann nicht in Betrieb?
  3. Sie haben echt bis hier unten gelesen? Respekt.

So. Ein Gutes hat die Geschichte aber: Dass der „Irrsinn“ keiner ist, haben auch einige Kommentatoren schon angemerkt. Jemand, dessen Vater „Experte für Waagen“ ist, hat sogar einen Blogpost zu dem Bild geschrieben. Die deutsche Bürokraten-Ehre ist nochmal gerettet.

Bestürzende Sturzgeburt

Michael Martens hat in der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” die Inhaftierung des “Welt”-Korrespondenten Deniz Yücel kommentiert. Aber er kann das unmöglich ernst gemeint haben. Vermutlich ist beim Schreiben etwas schiefgelaufen. Vielleicht war es ja so.

Ralf Heimann hat vor ein paar Jahren aus Versehen einen Zeitungsbericht über einen umgefallenen Blumenkübel berühmt gemacht. Seitdem lassen ihn abseitige Meldungen nicht mehr los. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Jörg Homering-Elsner “Bauchchirurg schneidet hervorragend ab — Perlen des Lokaljournalismus”. Fürs BILDblog kümmert er sich um all die unwichtigen Dinge, die in Deutschland und auf der Welt so passieren.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)

Michael Martens hatte am Wochenende eine schlaflose Nacht. Der “FAZ”-Südosteuropa-Korrespondent hatte gehört, dass sich sein Kollege Deniz Yücel in Istanbul in Polizei-Gewahrsam befindet. Yücel hat zwei Pässe. Er ist nicht der erste Journalist mit einem türkischen Ausweis, dem so etwas passiert, aber der erste mit einem deutschen. Martens fragte sich: Hätte man das irgendwie verhindern können?

Zwei Stunden lag er schon da und grübelte. Aber noch war ihm das alles nicht so klar. Er wälzte sich von der einen Matratzenseite zur anderen, zum hundertsten Mal schon, doch es wollte weder Schlaf kommen noch eine Antwort. Und dann wälzte er sich wieder, nur dieses Mal ein kleines Stückchen zu weit.

Rumms!

Martens rutschte ab, versuchte noch, sich im Fallen am Bettlaken festzuhalten, aber das Laken glitt ihm aus der Hand. Er knallte mit dem Hinterkopf gegen den Nachttisch und war kurz bewusstlos. Als er wieder zu sich kam, hatte er eine Idee.

Ja. Eigentlich war doch alles ganz klar, dachte sich Martens: Vor einem halben Jahrhundert hatten die Deutschen sich die Türken ins Land geholt. Als die dann endlich ein paar Sätze verstanden, sagte man ihnen, was zu tun ist. Das erledigten sie. Und das wurde über die Jahre so beibehalten.

Nun sind wir allerdings inzwischen sehr gut mit Gemüseläden versorgt und müssen den Kindern und Enkeln der Türken daher in anderen Branchen Beschäftigungen zuweisen. Und da lässt man sie doch am besten das machen, wovon sie ihrem Namen nach wohl am meisten verstehen dürften. Irgendwas mit Türkei eben.

So war es wohl zu erklären, dass dieser Yücel jetzt in Istanbul einsaß.

All jene, die gegen jeden guten Rat Journalisten werden müssen, bekommen einen Korrespondenten-Job am Bosporus, denn was soll man sonst mit ihnen machen? Sie über Innenpolitik schreiben lassen? Das wäre ja wohl absurd — bei dem Nachnamen.

Aber sie in die Türkei zu schicken, ist natürlich auch nicht viel besser, denn da liefert man sie dem Despoten ans Messer, der sie dann umgehend einbuchtet, wie man nun wieder einmal gesehen hat.

Und das ist doch die Erklärung, wurde es Martens auf einmal ganz klar: Wer trägt also die Schuld? Natürlich. Die Verlage.

Wenn die sich bei der Zuordnung ihrer Korrespondenten zu den frei werdenden Stellen auch nur ein Minimum an Gedanken machen würden, säße dieser Yücel jetzt nicht im Gefängnis — und er selbst nicht hier in Griechenland.

Immer noch leicht benommen, setzte er sich an seinen Schreibtisch. Der verdammte Nachtschrank, fluchte er, aber immerhin hatte es aufgehört zu bluten, und der Schmerz ließ langsam nach.

Martens prüfte noch einmal, ob seine These so auch stimmte: Haben denn wirklich so viele Türkei-Korrespondenten deutscher Medien türkische Wurzeln?

Na egal. Es war jedenfalls schon öfter vorgekommen, dass Deutsch-Türken auf Deutsch über die Türkei geschrieben hatten. Und bei Deniz Yücel war es offenbar noch schlimmer. Das sei “einer, der die Türkei liebt”, hatte er gelesen.

Als Journalist. Das muss man sich mal vorstellen.

Dass er selbst das liebte, worüber er schrieb, war bei ihm in all den Jahren nur ein einziges Mal vorgekommen. Aber welche Hollywood-Schauspielerin würde sich schon mit einem Journalisten abgeben? So war das nun mal. Und jetzt saß er auch noch in Griechenland fest.

Der Text floss ihm nur so aus den Fingern.

Natürlich darf man die Türkei, Deutschland, Nordkorea oder Hintertupfingen “lieben” — aber ist es gut, ein Land zu lieben, über das man berichtet?

… formulierte er und las den Satz laut. Er gefiel ihm — besonders die Passage mit “Nordkorea oder Hintertupfingen”.

Als er den letzten Satz geschrieben hatte, ging Martens den Text noch einmal durch und war im Großen und Ganzen zufrieden. Er fand noch kleine Fehler, aber nichts, was den Eindruck getrübt hätte. Der Kopf tat schon gar nicht mehr weh. Aber an dieser einen Stelle blieb er doch immer wieder hängen. Und plötzlich war ihm etwas unwohl. Irgendwas stimmte da nicht.

Klang ja schon ein bisschen so, als wären türkischstämmige Journalisten hierzulande so etwas wie willenloses Verfügungsvieh. Dabei war es, wenn auch unwahrscheinlich, doch immerhin theoretisch möglich, dass es bei anderen Verlagen nicht ganz so war wie bei dem, der ihn nach Griechenland geschickt hatte. Wäre ja möglich, dass Yücel freiwillig in die Türkei gegangen war, dachte er, konnte es sich dann aber doch nicht vorstellen und verwarf den Gedanken wieder.

Er überlegte hin und her, und letztlich überwogen die Zweifel. Er hatte die E-Mail an die Redaktion zwar schon geschrieben, aber beschloss, den Text doch nicht abzusenden. Es war ein gutes Gefühl. Es war die richtige Entscheidung.

Als Martens von seinem Schreibtischstuhl aufstand, um sich ein Bier aus dem Kühlschrank zu holen, blieb er mit dem linken Fuß am Ladekabel seines Laptops hängen. Das Kabel zog den Computer in Zeitlupe vom Tisch. Martens schlug mit der flachen Hand zu, um das sich der Tischkante nähernde Gerät zu stoppen.

Es gelang ihm so gerade. In dieser Pose, das Ladekabel am ausgestreckten Bein und die Tastatur unter dem ausgestreckten Arm, sah er seine E-Mail im Ordner Postausgang verschwinden.

In Panik schlug er ein weiteres Mal zu, um die Verbindung vielleicht doch noch zu kappen. Doch der Postausgang war schon leer, die E-Mail in Frankfurt angekommen. Der Bildschirm wurde schwarz. Der Computer ließ sich nicht mehr einschalten. Er versuchte es noch drei- oder viermal. Dann gab er auf.

Was für ein Ärger. Ein Telefon existierte nicht in diesem malerischen Drecksnest, wo er seine Wochenenden verbrachte. Zurück in Athen würde er erst am Sonntag sein. Dann könnte er die Redaktion anrufen. Aber dann war der Text längst erschienen. Statt des Biers aus dem Kühlschrank holte Martens die Flasche Metaxa aus dem Regal. Er setzte sich ans Fenster, schaute aufs Meer und schlief eine Stunde später ein.

Zurück in Athen, fand Martens in seinem Postfach eine E-Mail. Ein Kollege aus Frankfurt hatte geschrieben. Interessanter Text. Sei unter den Kollegen kontrovers diskutiert worden. Die Herausgeber seien allerdings durchweg sehr angetan. Besonders von diesem einen Satz:

Natürlich darf man die Türkei, Deutschland, Nordkorea oder Hintertupfingen “lieben” — aber ist es gut, ein Land zu lieben, über das man berichtet?

“Nordkorea oder Hintertupfingen” — tolle Formulierung, schrieb der Kollege. Die Herausgeber würden sich auch noch bei ihm melden.

Moment. Bei ihm melden?, dachte Martens. Warum das? In all den Jahren war das nicht ein einziges Mal vorgekommen. Wobei. Doch. Ein einziges Mal schon. Als er in der Konferenz ein bisschen die Fassung verloren und über die Kollegen aus dem Sport hergezogen hatte — denn wenn er eins wirklich hasst, dann ist es ja Sport. Das hatte er so auch gesagt. Und jetzt klingelte tatsächlich das Telefon. Waren das die Herausgeber?

Das waren sie. Guten Tag. Was wollten sie ihm sagen? Nein, umstrukturiert hatten sie. Wie schön. Aber warum erzählten sie das ihm? Roman aus dem Sport ins Literatur-Ressort? Wegen des Vornamens? Wer kommt denn auf so was? Ach so. Anregung aus dem Kommentar. Na dann. Und die freie Stelle im Sport? Was wird aus der? Ach, da suchen Sie wen? Jemanden, der garantiert nicht im Verdacht steht, den Sport zu lieben? Haha. Ja, das ist gut. Da werde er sich mal umhören, sagte Martens.

Aber dann hörte er: Sie dachten an ihn. Das Gespräch damals in der Konferenz. Da hätten sie sich erinnert. Und jetzt brauchten sie eben jemanden, der diese Aufgabe übernimmt. Vor allem eben Spielberichte über den Hamburger Sportverein schreiben. Darum ging es. Das hatte Roman ja bislang gemacht.

“Hamburg?”, fragte Martens.

“Genau, Hamburg”, hörte er am Telefon.

Martens war erleichtert. Hamburg kannte er gut. Da war er ja geboren. Das erwähnte er nebenbei. Die Herausgeber verstanden gleich: Damit kam er für die Stelle wohl nicht in Frage. Da hatte er also wirklich noch einmal Glück gehabt.

(Nur zur Sicherheit: Abgesehen von den Tatsachen, dass sich Deniz Yücel in Istanbul in Polizeigewahrsam befindet, Michael Martens den Kommentar geschrieben, und die “FAS” ihn gedruckt hat, ist all das hier erfunden.)

Meine Stylingtipps für meinen Ehemann und Co.

Als stellvertretende Chefredakteurin hat Dagmar Rosenfeld einiges mitzureden, wenn es darum geht, was bei Welt.de erscheint, und welche Themen in der “Welt” landen. Da kommt dann zum Beispiel sowas hier zustande:

Screenshot Welt.de - Meinung - Bundestagswahl - Meine Stylingtipps für Christian Lindner und Co. - von Dagmar Rosenfeld

Das Ganze soll wohl recht lustig sein. Jedenfalls könnte man das meinen, wenn man sich den Artikeleinstieg bei Welt.de und in der “Welt” anschaut:

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kann sich sehen lassen, ein Sahneschnittchen, wie man an Frauenstammtischen so sagt. Nun wurde bekannt, dass Macron in den ersten drei Monaten seiner Amtszeit 26.000 Euro für eine Visagistin ausgegeben hat. Weil Angela Merkel und Martin Schulz derzeit so viele Fernsehauftritte haben, dass sie in der Maske der TV-Studios quasi ein Dauerabpuder-Abo haben, wollen wir an dieser Stelle die kleinen Parteien mit ein paar Stylingtricks unterstützen — kostenlos und wunderschön oberflächlich.

Der Spitzenkandidatin der Linken, Sahra Wagenknecht, verrät Rosenfeld solche “Stylingtricks” (“Leichtigkeit wagen, etwa durch eine Kombi aus Jackett und Jeans.”), genauso dem Grünen-Spitzenkandidat Cem Özdemir (“Koteletten wieder wachsen lassen, Haare mit Glitzerpomade zur Tolle formen, E-Bike in Cadillac Pink lackieren und während der Fahrt laut „Brumm, brumm“ rufen.”) und natürlich dem in der Titelzeile bereits erwähnten Christian Lindner von der FDP:

CHRISTIAN LINDNER (FDP)

Der Spitzenkandidat der FDP mit Haut und Haaren für den Wiedereinzug in den Bundestag, dafür zeigt er sich in Wahlwerbespots schon mal im Unterhemd. Liberalismus ist für ihn auch eine Kopfsache: Um liberales Wachstum zu generieren, ließ er sich erst einmal Haare transplantieren.

Stiltipp: Bei der Wahl der Oberbekleidung für Werbespots künftig vorher die Ehefrau fragen.

Duft: Comme des Garçons, Amazingreen (riecht nach schwarz-gelb-grüner Regierung).

Christian Lindners “Ehefrau”, die Dagmar Rosenfeld erwähnt, heißt Dagmar Rosenfeld-Lindner und ist stellvertretende Chefredakteurin der “Welt”. Für das klitzekleine Detail, dass die Autorin gerade über ihren eigenen Ehemann schreibt, der sich mitten im Wahlkampf befindet und der mit seiner Partei in wenigen Wochen in den Bundestag einziehen will, muss bei Welt.de und “Welt” kein Platz mehr gewesen sein. Jedenfalls steht im Artikel nirgendwo etwas davon.

Gesehen bei @HATEMAGAZIN.

#wirsindmaaßen-Hysterie, “Time”, Privateigentum vs. Pressefreiheit

1. #wirsindmaaßen: Welche Twitter-Accounts sich vor den Verfassungsschutzchef stellen
(netzpolitik.org, Chris Köver)
Große Teile der AfD und ihr Umfeld stellen sich hinter Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen. netzpolitik.org hat ausgewertet, welche Twitter-Accounts hinter dem Hashtag #wirsindmaaßen stehen. Eine große Rolle spielt dabei Vera Lengsfeld, die einen bemerkenswerten Wandel von der DDR-Dissidentin zur AfD-Sympathisantin durchmachte und zunächst für die Grünen und später für die CDU im Bundestag saß.
Weiterer Lesehinweis: Im “Verfassungsblog” beschäftigt sich der Professor für Öffentliches Recht Jörn Reinhardt mit der Frage, was Maaßen aus juristischer Sicht sagen durfte und was nicht.

2. Salesforce-Gründer kauft Time-Magazine
(faz.net, Marc Benioff)
Vor fünf Jahren übernahm Amazon-Chef Jeff Bezos die “Washington Post”. Nun wird ein weiterer Internet-Milliardär zum Medienbaron: Salesforce-Gründer Marc Benioff und seine Frau Lynne kaufen sich für 190 Millionen Dollar das “Time Magazine”. Es handelt sich um eine Privatanschaffung: Der Kauf des Wochenmagazins habe nichts mit dem Unternehmen zu tun.

3. Schrott-Seiten kopieren Instagram komplett und erreichen Millionen-Reichweiten
(omr.com, Martin Gardt)
Reich werden mit Instagram, ohne selbst auf der Plattform zu sein? Das gelingt, wenn man das Selbstdarstellernetzwerk einfach spiegelt samt aller Fotos, Beschreibungen, Hashtags, Kommentare und Likes. Martin Gardt erklärt die Vorgehensweise dubioser Seiten wie “Websta”, “Pikbee”, “Webstagram” oder “Instahu”, die mittels Datenklau riesige Reichweiten erzielen und über Google Adsense jede Menge Geld verdienen.

4. “Filmteam an der Arbeit gehindert”
(taz.de, Bert Schulz)
In Berlin gibt es an zentralen Orten wie dem Potsdamer Platz mehrere Privatstraßen, die als solche nicht gleich zu erkennen sind. Das kann ein Problem für die Berichterstattung werden, denn das Platzmanagement kann dort Demonstrationen untersagen oder Drehverbote erteilen. Der Journalistenverband Berlin-Brandenburg hat nun einen Brief an den Regierenden Bürgermeister geschrieben: Der Regierungschef möge sicherstellen, dass Pressefreiheit Vorrang hat vor Privateigentum.

5. Whatsapp und Youtube – schnell die rechte Szene erreichen
(deutschlandfunk.de, Jan Rähm)
Die extrem rechte Szene in Deutschland ist gut vernetzt und äußerst effektiv, wenn es um die Mobilisierung geht, wie man unlängst bei den “Trauermärschen” in Chemnitz und Köthen erlebt hat. Eine wichtige Rolle dabei spielen klassischerweise die sozialen Netzwerke Facebook und Twitter, doch auch Youtube und Whatsapp sind wichtige Werkzeuge.

6. Digital ist besser
(sueddeutsche.de, Karoline Meta Beisel)
Beim ZDF haben sie sich was vorgenommen: Dort sollen 400.000 Sendebänder in Dateien umgewandelt und für die Nachwelt gesichert werden. Das Projekt “Massenumcodierung” ist immerhin zur Hälfte abgeschlossen: Gerade hat das sechsköpfige Projektteam Bergfest gefeiert, die restlichen 200.000 Bänder will man bis 2021 überspielt haben. Karoline Meta Beisel berichtet vom herausfordernden Wettlauf gegen die Zeit, der auch bei anderen Sendern stattfindet.

Waldorf-Salat des SWR, Rettet den “Weltspiegel”, Grenzüberschreitung

1. “Weltspiegel”-Streit: Brief an die Intendanten im Wortlaut
(dwdl.de, Alexander Krei & Thomas Lückerath)
In der ARD wird diskutiert, den “Weltspiegel” auf einen anderen (ungünstigeren) Sendeplatz zu verlegen. “DWDL” veröffentlicht zwei Schreiben, in denen sich die ARD-“Weltspiegel”-Redaktion und Korrespondentinnen sowie Korrespondenten “gegen die Marginalisierung” der Sendung aussprechen.

2. SWR-Doku: Eine Autorin und ihre Nähe zu Waldorfschulen
(ndr.de, Sebastian Asmus, Video: 5:55 Minuten)
Zum hundertjährigen Bestehen der Waldorfschulen hat der SWR zur besten Sendezeit eine weitgehend unkritische und als beschönigend empfundene Doku der Autorin Esther Saoub ausgestrahlt, die, so die Kritik, einer Werbesendung gleichkam. Auch in den “Tagesthemen” erschien ein Beitrag von ihr zum Thema, der als “Werbeunterbrechung” kritisiert wurde. Die Unausgewogenheit ist nicht zufällig: Die Autorin des Films ist eng mit der Waldorf-Welt verbunden, tritt auf Waldorf-Podien auf und war als Waldorf-Festrednerin gebucht — was einer neutralen Berichterstattung im Wege steht, wie auch Volker Lilienthal, Professor für “Praxis des Qualitätsjournalismus” an der Uni Hamburg, feststellt: “Die Autorin Saoub ist ja im öffentlich-rechtlichen Rundfunk sozialisiert, sie kennt die professionellen Standards, da hätte sie selbst verzichten müssen.”
Weiterer Lesetipp: Waldorf-Dokumentation im SWR: Und nun tanze einen „deskriptiven“ Film (uebermedien.de, Boris Rosenkranz).

3. Eine Radtour mit dem Chefredakteur
(deutschlandfunk.de, Vera Linß, Audio: 5:27 Minuten)
Der Chefredakteur des “Tagesspiegel” Lorenz Maroldt ist unter anderem für seinen Berlin-Newsletter “Checkpoint” bekannt. Und für seine ungewöhnlichen Aktionen zur Leserbindung und Leserbetreuung. Das aktuellste Projekt: eine gemeinsame Radtour durch Berlin. Vera Linß war für den Deutschlandfunk dabei.

4. Vollehalle, Gala und eine Party! Am Freitag feiern wir Geburtstag
(netzpolitik.org, Markus Beckedahl)
Netzpolitik.org feiert am Freitag seinen 15. Geburtstag mit einer Konferenz in der Berliner Volksbühne und einer anschließenden Party. Als ebenfalls 15-Jährige gratuliert das BILDblog-Team und wünscht den Kolleginnen und Kollegen alles Gute für die nächsten 15 Jahre.

Weiterer Lesetipp: Interview mit Markus Beckedahl, dem Gründer der Plattform: “Man darf nicht gleich den Untergang der Demokratie verkünden” (spiegel.de, Judith Horchert).

5. Mit zwölf Schritten in die Verschwörungsgalaxie
(spiegel.de, Sascha Lobo)
Warum lassen sich Menschen auf Verschwörungstheorien ein? Sascha Lobo hat die Entwicklung zum Verschwörungstheoretiker in zwölf Phasen unterteilt: Von der Sinnsuche bis zum kompletten Persönlichkeitsumbau, der eine normale Diskussion unmöglich mache: “Wer solche Verschwörungsweltbilder als Teil seiner neuen Persönlichkeit verinnerlicht hat, sieht in jedem Diskussionsversuch über die Verschwörungstheorie zwingend einen Angriff auf die eigene Person.”

6. Das ist eine Grenzüberschreitung.
(twitter.com/florianklenk)
Als BILDblog-Kurator hat man schon einiges an Schmutz gesehen und müsste entsprechend abgehärtet sein. Aber hier gerate auch ich an meine Grenzen: Was ein Kolumnist der größten österreichischen Tageszeitung “Krone” über den “Falter”-Chef Florian Klenk schreibt, ist von besonderer Widerwärtigkeit.

Zum Würfeln: Theaterkritiken

Zeitknappheit, Personalmangel, begrenzte Ressourcen …

Wir kennen die Probleme der Redaktionen nur allzu gut und haben dafür die Lösung: Mit unserem neuen Würfelspiel “Kurz vor Redaktionsschluss” lassen sich, jawoll, auch kurz vor Redaktionsschluss auf die Schnelle druckreife Teaser, kurze Artikel und ganze Besprechungen von Theaterstücken (auch wenn die momentan gar nicht stattfinden) erstellen.

Folge 7 unserer 16-teiligen Serie: Theaterkritiken.

Das neue BILDblog-Würfelspiel Kurz vor Redaktionsschluss - nur viermal würfeln, schon haben Sie eine Theaterkritik beisammen - Schritt eins: Würfelns Sie den Einleitungssatz - Schritt zwei: Würfeln Sie das erste Kritikelement - Schritt drei: Würfeln Sie das zweite Kritikelement - Schritt vier: Würfeln Sie den Schlusssatz - Variante eins: Die kongeniale Fragmentierung der Romanvorlage voller explosiver Selbstermächtigung ist ein eindringliches Stück Gegenwartsdramatik: ein Kabinettstück mythischer Gewalt! Variante zwei: Der prekäre Bühnenkosmos sinistrer Gestalten voller anarchischer Euphorie aus Lametta, Wut und Freude bietet eine überbordende Bilder-Lust, die schwindelig macht: in zwei Stunden gepresste Ambivalenz. Variante drei: Das präfeministische Festspiel der Generation Queer voller vor sich hin dialogisierender Figuren gleicht dem Anrennen gegen psychologische Sinngefüge: ein unbekömmliches Gebräu aus Scham, Angst und Reue! Variante vier: Die atemberaubend fluide und polyphone Inszenierung voller unbedingter Unbedingtheit spielt in einem geschlossenen Diorama: ein Ringen um die existenziellen Gründe des Daseins! Variante fünf: Das postmoderne Spiel um die Mythen der Jetztzeit voller Handlungsstränge und Motivsträhnen entspringt dem Maschinenraum unserer Gesellschaft: Sieht so das Theater der Zukunft aus? Variante sechs: Der Genremix aus Revolutionsperformance und Gendertheater voller mäandernder Assoziationsräume trägt enigmatsichen Tiefsinn wie eine Monstranz vor sicher her: ein Schauspiel von eklatanter Offenheit!

Hier gibt es ein größeres JPG und hier ein größeres PDF zum Ausdrucken.

Am Dienstag folgt Ausgabe 8.

Bisher erschienen:

Kontaktschuld, Kontrollversuche im Lokaljournalismus, Techjournalismus

1. Damit ist jedes Ihrer Argumente wertlos.
(planet-interview.de, Jakob Buhre)
Jakob Buhre nimmt sich eines moralisch-ethischen Themas an, das vor allem in den Sozialen Medien immer wieder für Streit und Diskussionen sorgt: der sogenannten “Kontaktschuld”. Macht man sich schuldig, wenn man Kontakt zu jemandem hat, der zum Gegner erklärt wurde? Über diese schwierige Thematik hat Buhre mit einer betroffenen Person gesprochen. Das Interview sei anonymisiert worden, weil die interviewte Person selbst Opfer von Kontaktschuldvorwürfen sei und sich daraufhin mit dem Arbeitgeber darauf verständigt habe, sich in betreffender Causa bis auf Weiteres nicht zu äußern. Das Gespräch (sowie Buhres empfehlenswerter Begleittext) liefert viel Stoff zum Nachdenken und für etwaige weitere Diskussionen.

2. Warum der Bund mit der Presse-Förderung einen gewaltigen Fehler begeht
(meedia.de, Gregory Lipinski)
Die Große Koalition wolle in den nächsten Jahren die Zeitungsbranche mit 220 Millionen Euro fördern. Eigentlich eine gute Idee, findet Gregory Lipinski, doch die Sache habe einen Haken: Das Geld solle mehrheitlich in die Digitalisierung fließen, von den ursprünglich eingeplanten 40 Millionen Euro Zuschuss für die Auslieferung von Printprodukten sei keine Rede mehr. Ein Fehler, so Lipinski. Zusammen mit dem steigenden Mindestlohn mache es der Bund den Verlagschefs quasi unmöglich, die Zustellung ihrer Zeitungen dauerhaft wirtschaftlich zu betreiben: “Vor allem in vielen ländlichen Regionen drohen rasch weiße Flecke. Denn hier sind die Zustellkosten aufgrund größerer Wegstrecken am höchsten.”

3. Kontrollversuche im Lokaljournalismus
(ndr.de, Daniel Bouhs)
Der Wunsch, Berichterstattung zu kontrollieren, zeigt sich unter anderem in der Autorisierungspraxis von Interviews. Viele Promis, Politikerinnen und Politiker lassen sich nach einem Gespräch mit überregionalen Medien oder Magazinen das jeweilige Interview zur Freigabe vorlegen. Diese Praxis scheint sich auch im Lokaljournalismus auszubreiten. “Wir haben es ständig mit Leuten zu tun, die den Text vorher lesen wollen – wohlgemerkt: Amateure, ganz normale Bürger”, so der Chefredakteur der “Ostfriesen-Zeitung”, Joachim Braun, gegenüber dem Medienmagazin “Zapp”. “Das nimmt seit zwei, drei Jahren zu.”

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4. Der traurige Zustand des deutschen Techjournalismus am Beispiel Shopify
(indiskretionehrensache.de, Thomas Knüwer)
Der deutsche Gründer Tobias Lütke hat mit Shopify ein Unternehmen geschaffen, das einen Marktwert von Daimler und Volkswagen habe – wohlgemerkt: zusammen. Dennoch werde über diese Erfolgsgeschichte in deutschen Medien so gut wie nicht berichtet. Ein Versäumnis, für das Thomas Knüwer deutliche Worte findet: “So lange die versammelte Autorenschaft der großen Medienmarken solch ein Thema verschläft, muss sie sich die Frage gefallen lassen, wofür die Redakteure bezahlt werden – und wofür der Leser sie bezahlen sollte.”

5. Schlechte Zeiten für fiktionales Fernsehen?
(uebermedien.de, Wilfried Urbe)
Die Corona-Krise ist auch eine Krise des fiktionalen Fernsehens und Films. Laut dem europäischen Film- und TV-Produzentenverband CEPI hätten zwei Drittel aller Produktionsfirmen in Europa ihre Produktionen zumindest vorübergehend stoppen müssen. Außerdem erlitten die privaten Sender erhebliche finanzielle Verluste durch den Rückgang der Werbeeinnahmen. Bei der ProSiebenSat.1-Gruppe ist von einem Minus von 40 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum die Rede. Wilfried Erbe hat sich in der angeschlagenen Branche umgesehen, dabei aber auch Krisengewinnler entdeckt.

6. Kritik an SWR-Sportsendung: Freundschaftsinterview mit Jürgen Klopp
(ondemand-mp3.dradio.de, Christoph Sterz, Audio: 2:07 Minuten)
Im SWR-Fernsehen wurde ein Interview mit dem Fußballtrainer Jürgen Klopp ausgestrahlt, bei dem es recht freundschaftlich und fast privat zuging. Kein Wunder, denn die Reporterin Lea Wagner und Klopp kennen sich gut: Wagner ist die Tochter des Fußballtrainers David Wagner, die Familien Klopp und Wagner seien miteinander befreundet (Jürgen Klopp ist laut “FAZ” sogar der Patenonkel von Lea Wagner). Im Hinblick auf kritische Distanz sind derlei persönliche Verflechtungen problematisch. Doppelt problematisch wird es, wenn die Beziehung, wie im vorliegenden Fall, nicht angesprochen wird.

Gute Zitate, selbstgemacht

In großer Aufmachung berichtet “Bild” heute erneut über den “Gier-Banker”, den “feinen Herrn Welteke”, der vor Gericht eine Erhöhung seiner Bundesbank-Pension von 8000 auf rund 12.500 Euro im Monat durchsetzte. “Bild” dokumentiert mit mehreren Zitaten, dass auch in anderen deutschen Zeitungen “Riesenempörung” über die “fette Pensions-Erhöhung” herrsche. An erster Stelle steht dieses:

Süddeutsche Zeitung: "Zynisch gegenüber jenen, die jeden Cent umdrehen müssen. Der Mann hat immer noch nicht verstanden, dass der Umgang mit viel Geld auch ethisch und intellektuell verpflichtet."

Bemerkenswert an diesem Zitat ist, dass es kein Zitat ist — trotz der Anführungszeichen, die das Gegenteil suggerieren. Das Wort “zynisch” etwa kommt in dem “SZ”-Kommentar nicht vor.* Wenn man den Original-Text der “SZ” liest, kommt man auch ins Grübeln, ob er wirklich als Beleg für die “Riesenempörung über Weltekes fette Pensions-Erhöhung” taugt:

(…) Dass ein ehemaliger Bundesbankpräsident und Landesminister 12 500 Euro im Monat erhält, sollte die Debatte über das Verhältnis von Gehalt und späterer Pension bei Politikern beflügeln — unmoralisch hoch ist das aber nicht, verglichen mit vielen Manager-Abfindungen.

Warum also die Empörung über den angeblichen Raffke Welteke? Weil der Mann immer noch nicht verstanden hat, dass der Umgang mit viel Geld auch ethisch und intellektuell verpflichtet. Mit 33 Prozent des alten Gehaltes könne man nicht leben, hat er gesagt. Das ist schwer zu vermitteln gegenüber jenen, die jeden Cent umdrehen müssen. Und es eignete sich trefflich für jene Boulevard-Kampagne, die ihn 2002 den Posten bei der Bundesbank kostete. (…)

*) Nachtrag, 14. Dezember. Wir müssen uns korrigieren. Von dem Kommentar sind in verschiedenen Ausgaben der “Süddeutschen Zeitung” verschiedene Versionen erschienen. Die eine ist die, aus der wir oben zitieren. In einer anderen kommt tatsächlich das Wort “zynisch” vor. Im Kontext liest sich das so:

Mit 33 Prozent des alten Gehaltes könne man nicht leben, hat er gesagt. Das ist zynisch gegenüber jenen, die jeden Cent umdrehen müssen, und unbedarft gegenüber den Mechanismen des Boulevardjournalismus. 2002 kostete ihn das den Chefposten bei der Bundesbank; nun schrieb sich wieder einmal die Schlagzeile über Welteke wie von selber.

(Übrigens trat Welteke nicht 2002 zurück, wie die “SZ” schreibt, sondern 2004.)

Haiders Brille als offiziell verkauft

Wenn die Polizei Polizeifotos veröffentlicht und die “Bild”-Zeitung sie nachdruckt, schreibt sie für gewöhnlich dazu:

"Foto: Polizei"

Haider-Details

“Bild” vom 27.10.2008:

  • “Haiders Schuh: Der rechte Schuh der Edelmarke ‘Ludwig Reiter’ wurde aus dem Wagen geschleudert”
  • “Haiders Brille: Das Gestell der Marke ‘Donna Karan’ liegt auf der Straße”

“BamS” vom 26.10.2008:

  • “Ein schwarzer Schuh Haiders der Luxusmarke Ludwig Reiter sowie eine Brille (Donna Karan)…”

Außer am vergangenen Montag. Da druckte “Bild” mehrere sorgfältig beschriftete Detail-Fotos vom Autowrack und der Unfallstelle des tödlich verunglückten österreichischen Politikers Jörg Haider (siehe Kasten) und schrieb:

Mehr als zwei Wochen nach dem tödlichen Unfall wurden jetzt Bilder des Horror-Crashs veröffentlicht (…) Offizielle Beweisfotos — freigegeben von der Polizei.

Und die “Bild am Sonntag”, wo dieselben Fotos schon tags zuvor zu sehen waren, wurde fast noch deutlicher:

"Polizei veröffentlicht die Fotos aus dem Unfallbericht"

Die Polizei hat sie freigegeben. Fotos des Grauens vom völlig zerstörten Wrack (…).

In den Fotonachweisen jedoch sucht man den Hinweis auf die “Polizei” vergeblich.

Wie jetzt herauskam, ist das kein Wunder. Denn anders als von “Bild” und “BamS” behauptet, sind die Wrack-Fotos keine “offiziellen Beweisfotos” “aus dem Unfallbericht”: Ein Polizeibeamter hatte sie offenbar in der Unfallnacht mit seiner Privatkamera gemacht, anschließend verschiedenen Medien angeboten und auch verkauft. Erschienen sind sie nach Angaben der Nachrichtenagentur APA “bei einem österreichischen Nachrichtenmagazin” – aber vorgestern eben auch in der “Bild am Sonntag” sowie gestern in “Bild”.

Weil der (geständige) Polizeibeamte “widerrechtlich gehandelt” habe, wurde er nun suspendiert. Laut diepresse.com hat er sich “durch den Verkauf der Fotos nämlich der Verletzung des Amtsgeheimnisses schuldig gemacht, was ein Disziplinar- und höchstwahrscheinlich auch ein Gerichtsverfahren nach sich ziehen wird”.

Aber darüber werden ja “Bild” und “BamS” sicherlich auch zum nächstmöglichen Zeitpunkt berichten und nicht nur erklären, unter welchen Umständen sie an die privaten Aufnahmen des Polizisten gelangt sind, sondern auch, warum sie behaupteten, die Fotos seien offiziell.

P.S.: Auf oe24.at, dem Online-Angebot der Zeitung “Österreich”, wo die Fotos ebenfalls seit Sonntag zu sehen sind, heißt es perfiderweise unter der Überschrift “Polizei legt Bilder vom Unfalltod offen”: “Haiders Familie ist nun entsetzt darüber, dass die Bilder (…) ohne Rücksprache an die Öffentlichkeit weitergegeben wurden.”

neu  

Heute anonym XXIII

Es ist nicht so, dass sich die “Bild”-Zeitung um sonderlich große Objektivität bemüht hätte, als sie gestern über den Gerichtsprozess eines Mannes berichtet, der im März 2008 mit einem Schulbus wegen defekter Bremsen einen Unfall verursachte, bei dem 14 Kinder z.T. schwer verletzt wurden.

Der “Bild”-Artikel über den “Schulbus-Horror” im “Horror-Bus” beginnt mit den Worten:

Ihr hübsches Gesicht ist für immer entstellt: Melissa R. (14) saß im Horror-Bus von Friedersreuth!

Weiter heißt es:

Beim Prozess gestern in Weiden sah sie zum ersten Mal den Mann wieder, der sie und 13 Mitschüler ins Verderben fuhr:

(…) Doch vor Gericht redete er sich raus: “Von defekten Bremsen hab ich nix gemerkt, da brannte nie ein Licht. Für die Kinder tut es mir leid.”

Das hilft Melissa nichts mehr: Mit Salben verdeckt sie notdürftig ihre Narben. Zu BILD sagte sie: “Die Wunden tun noch immer weh. Ich verstehe nicht, wie man mit kaputten Bremsen fahren kann.”

“Bild” nennt den Angeklagten “Senior-Chef” des Bus-Unternehmens, kürzt seinen Namen jedoch als “Anton M.” ab und macht auch sein Gesicht mit einem schwarzen Balken halbwegs unkenntlich…

… um dann aber direkt daneben ein Foto des verunglückten Busses zu zeigen, auf dem in großen Lettern der komplette Name des Bus-Unternehmers nebst Ort und Telefonnummer steht.

Wer “Bild”-Leser kennt, weiß, dass das keine gute Idee ist.

P.S.: Auch Bild.de zeigte gestern das Busfoto mit Namen und Telefonnummer ohne jede Unkenntlichmachung. Erst nachdem wir die Bild.de-Redaktion auf den mangelhaften Schutz der Identität des Mannes aufmerksam gemacht und um Stellungnahme gebeten hatten, wurde die Busbeschriftung nachträglich verpixelt. Eine Antwort erhielten wir (wir kennen das) nicht.

Mit Dank an Marcus F. für den sachdienlichen Hinweis sowie an Birgit S. und Nicole K. für den Scan!

Wolf, Du hast die Gans gestohlen

Liebe “Bild Hamburg”,

zu Deiner Schlagzeile “Erster Wolf 30 km vor dem Gänsemarkt!” fallen uns gleich mehrere Fragen ein:

1.) Warum gerade vor dem “Gänsemarkt” in Hamburg und nicht vor Rathaus, Alster oder Michel? Weil der Gänsemarkt nur 500 Meter von Eurem Büro am “Axel-Springer-Platz” entfernt ist und ihr dort mittags beim Italiener einkehrt? Oder weil neben dem Wolf noch ein anderes Tier in der Schlagzeile vorkommen sollte? (Dann vielleicht ein kleiner Tipp: Das Lied heißt “FUCHS, Du hast die Gans gestohlen”.)

2.) Ihr gebt die Entfernung mit “nur rund 30 Kilometer Luftlinie” an:

Euch ist schon bewusst, dass Wölfe laut “Brehms Tierleben” und im Gegensatz zu beispielsweise Möwen vier Beine haben und sich nicht fliegenderweise fortbewegen, oder? (Powertipp fürs Ermitteln der korrekten Distanz “Wolf — Gänsemarkt”: Google Routenplaner, Einstellung “Fußgänger”.)

Und wo wir gerade beim Thema Entfernungen sind: Warum gebt Ihr die Entfernung in Eurer gedruckten Version mit 30 Kilometern und online mit 36 Kilometern an? Weil Eure Onliner ein Herz für Tiere haben und noch einen 6-Kilometer-Umweg für ‘nen Besuch beim Futtermitteldiscounter eingerechnet haben?

3.) Wie kommt man damit klar, seinen Lesern mittels alarmistischer Überschrift Angst vor dem bösen Wolf zu machen, wenn man im (dünnen) Artikel einen Experten zu Wort kommen lässt, der keinerlei Bedrohungslage sieht:

Wölfe bald auch in Hamburg? Glaubt Schmidt nicht: “Die Tiere sind scheu und meiden Menschen.”

Okay, das war vielleicht etwas naiv … wir ziehen die Frage zurück.

Als Bonus hier noch ein paar Vorschläge für weitere, alarmgetriebene Schlagzeilen:

  • Erstes Krokodil x Kilometer vor Alster-Schwimmhalle
  • Erster Tiger x Kilometer vor Kindertagesstätte
  • Erstes Faultier x Kilometer vor Axel-Springer-Büro Hamburg

Den Ausgangspunkt haben wir Euch schon mal markiert. Wie man die Kilometer misst, haben wir Euch ja bereits weiter oben erklärt.

Mit Dank an Thorsten H.!

Der schlechteste gute “Tatort” aller Zeiten

Schauen Sie gerade den “Tatort” aus Ludwigshafen mit dem Titel “Babbeldasch” und Ulrike Folkerts als Lena Odenthal?

Wenn nein: gut so!
Wenn ja: unser Beileid!

Denn das muss ja wirklich ein schreckliches Stück Fernsehen sein — zumindest wenn man der “Bild”-Kritik von gestern glaubt. Schon auf der Titelseite schoss die Redaktion mit Superlativen um sich:

Der Fall “Babbeldasch” (Plaudertasche) ist ein Tatort wie kein anderer — leider!

Im Innenteil gab es die “BILD-Einschaltwarnung” obendrauf:

Und dazu deutliche Worte:

Wenn Sie den Sonntagabend lieben, mit einem spannenden Tatort, guten Schauspielern und auch noch den Inhalt verstehen wollen …

… dann schalten Sie morgen um 20.15 Uhr unter keinen Umständen das Ludwigshafener Machwerk um TV-Kommissarin Lena Odenthal ein!

Kawumm!

Falls es einen Preis für den schlechtesten Tatort aller Zeiten (noch schlechter als der Saarland-Tatort “Eine Handvoll Paradies” von 2013) gibt, dann ist Favorit der Quatsch mit dem Titel “Babbeldasch”.

Boing!

Regisseur Axel Ranisch (33), offenbar ganz auf Selbstverwirklichungs-Trip

Peng!

Doch die einzigen Profis passen sich leider auch dem Rest der Laienspielschar an.

Krach!

Todschick finden es die TV-Kritiker, tödlich schlecht ist es für normale Krimi-Fans.

Rumms!

Krimi-Kunst? Kinderkram!

Und zum Abschluss noch einmal in aller Deutlichkeit:

Regisseur Axel Ranisch erzählt in der “Süddeutschen Zeitung” von den lustigen Dreharbeiten: “Die allgemeine Stimmung war: Wir hauen jetzt mal auf die Kacke.” Und die Ka … sollen wir uns Sonntagabend ansehen?

Nein! Nehmen Sie diese BILD-Warnung bitte ernst.

Im TV-Porgramm auf Seite 8 wird “Babbeldasch” dann auch noch mal von “Bild” bewertet, mit zwei von drei möglichen Sternen. “Der schlechteste Tatort aller Zeiten” ist laut TV-Redaktion immer noch “gut”:

Mit Dank an Mirko G., Torsten G. @HauschkeJ und @WiewarderTatort für die Hinweise!

Belästigt & Verklagt, “Handelsblatt” vs. Tichy, Jeremy Corbyn gelinkt?

1. Per Facebook belästigt, dann verklagt
(spiegel.de, Hasnain Kazim)
Als die ehemalige österreichische Grünen-Abgeordnete Sigi Maurer via Facebook zutiefst beleidigende und obszöne Facebook-Nachrichten erhält, macht sie den Vorgang öffentlich. Doch der Besitzer des Accounts, von dem die Nachrichten stammen sollen, bestreitet, der Verfasser zu sein (wenn auch einige Indizien gegen ihn sprechen), und verklagt nun Maurer wegen “Kreditschädigung” und “übler Nachrede”. Rund 60.000 Euro verlangt er von Maurer. Plus die Übernahme der Kosten für das Verfahren.

2. Wie die britische Labour-Partei ihren eigenen Parteichef mit Microtargeting linkte
(netzpolitik.org, Leo Thüer)
Man mag es fast nicht glauben, so ungeheuerlich klingt es: Im britischen Parlaments-Wahlkampf 2017 soll Oppositionsführer Jeremy Corbyn von seiner eigenen Partei per Social Media manipuliert worden sein. Führende Funktionäre in der Labour-Parteizentrale hätten Werbeanzeigen auf Facebook im Wert von ein paar Tausend Pfund eingekauft, die ausschließlich für Corbyn und seine engsten Vertrauten ausgespielt wurden. Angebliches Ziel der Labour-Parteiführung: Ihren eigenen Kandidaten von einem allzu linken Wahlkampf abzuhalten.

3. Klarstellungen des „Handelsblatt“ zum Bericht von Fritz Goergen auf „Tichys Einblick“
(twitter.com/handelsblatt)
Das “Handelsblatt” und “Tichys Einblick” tragen ein öffentliches Duell aus. Zunächst hatte das “Handelsblatt” von einem Streit um den Vorsitzenden der Ludwig-Erhard-Stiftung Roland Tichy berichtet (Eklat in der Ludwig-Erhard-Stiftung – Friedrich Merz lehnt Preis ab, Bezahlartikel).
Daraufhin warf der Autor Fritz Goergen auf Tichys Internet-Plattform “Tichys Einblick” dem “Handelsblatt” unter anderem “billige Agitation” vor. Worauf das “Handelsblatt” auf Twitter nun mit seinen “Klarstellungen” reagiert.
Weitere Lesehinweise: Die Analyse des “SZ”-Autors Detlef Esslinger: Um keinen Preis auf einer Bühne mit Tichy stehen.
Und wer mit “Tichys Einblick” so überhaupt nichts anfangen kann, freut sich vielleicht über die Einordnung auf “Übermedien”. Sie stammt zwar aus dem Jahr 2016, ist jedoch auf gewisse Weise zeitlos: Sperrfeuer aus dem Schützengraben der Nachdenklichkeit (Michalis Pantelouris).

4. So spielt Horst Seehofer mit den Medien | WALULYSE
(youtube.com, Video, 9:05 Minuten)
Fernsehsatiriker Philipp Walulis hat sich angeschaut, wie Horst Seehofer mit den Medien spielt. Es geht um Horserace-Journalismus, tröpfelnde Infos, Rücktritts-Rücktritte, Stimmungsmache und Framing sowie die Unterstützung durch “Bild”.

5. Der Krawallmodus wird ihr nicht helfen
(deutschlandfunkkultur.de, Peter Zudeick)
Im politischen Feuilleton bei “Deutschlandfunk Kultur” widmet sich Peter Zudeick in einem Kommentar der “Bild”-Zeitung. Dank fetter Schlagzeilen, dünner Storys und Skandalen, die keine sind, sei “Bild” wieder ganz das alte Krawallblatt. Letztlich würde das jedoch nicht helfen, den negativen Auflagentrend zu stoppen, so Zudeick. (Leider dabei die großen Digtalzuwächse außer Acht lassend, wie Dennis Horn auf Twitter kommentiert.)

6. Liebe Focus-Redaktion, unsere STERN-Kollegen sitzen gerade an der Titelgeschichte “Die 100 besten Ideen fürs Sommerloch”.
(twitter.com/grunerundjahr)
Das Verlagshaus “Gruner & Jahr” legt auf Twitter den hauseigenen “Stern” und das Burda-Magazin “Focus” nebeneinander: Beide titeln, wenig einfallsreich, mit den “50 Traumzielen” in Deutschland/vor der Haustür. Humorig schreibt der “Gruner & Jahr”-Twitter-Beauftragte im meta-ironischen Höhöhö-Sound: “Liebe Focus-Redaktion, unsere STERN-Kollegen sitzen gerade an der Titelgeschichte “Die 100 besten Ideen fürs Sommerloch”. Wollen wir bei der Recherche 50/50 machen?” Das könnte lustig sein, wenn es nicht so traurig wäre: Was das penetrante Perpetuieren der ewig gleichen Sommerlochgeschichte anbelangt, ist der “Stern” nämlich ein unverbesserlicher Serientäter.

Die Verbindungen von “Compact” zu Rechtspopulisten und Rechtsradikalen

Eine der obskursten Behauptungen, die die “Compact”-Redaktion immer wieder verteidigt: Ihr Magazin stehe politisch nicht weit rechts. Sie verlinkt in ihrer Selbstbeschreibung auf eine eigens dafür vorgesehene FAQ, in der die Redaktion versucht zu erklären, sie sei weder rechtspopulistisch noch rechtsradikal. Zuletzt empörte sie sich im Mai darüber, in die Sonderausstellung “Nie wieder. Schon wieder. Immer noch. Rechtsextremismus in Deutschland seit 1945” des NS-Dokumentationszentrums München als Exponat aufgenommen worden zu sein. Geht es nach “Compact”, ist diese Verortung in der rechten Ecke eine bösartige Verleumdung.

Die Münchner Kuratoren nannten das Cover der Oktober-Ausgabe von 2016 “rassistisch”. Hier im BILDblog hatten wir ausführlich über das Heft berichtet. Unter anderem riss die “Compact”-Redaktion darin Bilder aus einer Aufklärungsbroschüre aus dem Zusammenhang und behauptete fälschlicherweise, es handele sich um eine an Geflüchtete gerichtete Anleitung für Vergewaltigungen. Derartige Hetze ist wahrlich keine Ausnahme bei “Compact”.

Neben der inhaltlichen Analyse lässt sich die weit rechte Ausrichtung des Blatts noch auf anderem Wege nachweisen: über personelle Verbindungen. Das Magazin “gilt als AfD- und Pegida-nah”, hieß es unter dem Cover in der Ausstellung in München. “Compact” entgegnete:

Der Kommentar der Kuartoren (sic) lautet lediglich: “Rassistisches Cover des rechtspopulistisches (sic) und verschwörungstheoretischen Magazins ‘COMPACT’, 2016”. Darunter noch der Hinweis, dass es AfD- und “Pegida”-nah gelte. Die üblichen Zuschreibungen also. Nichts weiter. Was für eine erbärmliche Recherche für eine geschichtswissenschaftliche Ausstellung.

Tatsächlich ist die Formulierung “gilt als”, die die Kuratoren gewählt haben, nicht ganz angebracht. Sie ist unnötig vage und defensiv. Mit etwas mehr Platz als nur drei Zeilen Museumstext lässt sie sich aber konkretisieren: “Compact” ist definitiv AfD- und “Pegida”-nah. Das Magazin pflegt enge Verbindungen zu Rechtspopulisten und Rechtsradikalen.

AfD-Mitarbeiterinnen mit Nebenjob

Zu sehen ist das zum Beispiel in der Sendung “Die Woche Compact”, die bei Youtube läuft. Das etwa 20-minütige Format ist eine Werbesendung für “Compact”, die mit einer Studio-Optik und Video-Einspielern zu Themen aus dem Heft wie eine Nachrichtensendung gestaltet ist. Eine von drei Moderatorinnen ist Lisa Lehmann:

Screenshot eines Compact-Videos - Moderatorin laut Bauchbinde: Lisa Lehmann

Dass Lehmann auch stellvertretende Vorsitzende der Jungen Alternative Sachsen-Anhalt ist, könnte Zuschauer interessieren. Sie ist außerdem die Lebensgefährtin von André Poggenburg, Mitbegründer der völkischen AfD-Gruppierung “Der Flügel”, und Tochter von Mario Lehmann, AfD-Landtagsabgeordneter in Sachsen-Anhalt. Dass Poggenburg seine Partnerin als Auszubildende in die Landtagsfraktion holte, hielten selbst Parteikollegen für Vetternwirtschaft.

Lisa Lehmann ist nicht die einzige AfD-Frau mit direkter Verbindung zu “Compact”, deren Parteizugehörigkeit das Magazin nicht transparent macht. Einzelne Folgen von “Die Woche Compact” moderierte Linn Kuppitz, die sich auf Twitter selbstironisch “Frontfrau” der AfD-Landesliste Nordrhein-Westfalen für die Bundestagswahl 2017 nennt. Sie trat, hinter 22 Männern, auf dem vorletzten Listenplatz an und arbeitet als Büroleiterin des AfD-Bundestagsabgeordneten Johannes Huber.

Screenshot eines Compact-Videos - Moderatorin laut Bauchbinde: Linn Kuppitz

Und dann ist da noch die Frau, die in den meisten “Compact”-Videos als Moderatorin auftritt, Katrin Nolte. Auch sie ist mit einem AfD-Politiker liiert, Jan Nolte, Vorsitzender der Jungen Alternative Hessen. Seit der Wahl 2017 sitzt er als Abgeordneter im Bundestag. Und auch seine Frau hat einen Platz in Berlin gefunden, als Mitarbeiterin von Noltes Fraktionskollegen Martin Hohmann.

Screenshot eines Compact-Videos - Moderatorin laut Bauchbinde: Katrin Nolte

Somit arbeiten alle drei “Compact”-Moderatorinnen für die AfD. Sie sind selbst AfD-Politikerinnen, mit AfD-Politikern familiär verbandelt oder beides gleichzeitig. Mehr Nähe zur Partei geht kaum. “Compact” aber nennt die Videos “unabhängige Nachrichten”. 57.000 Youtube-User haben den Kanal, in dem die Sendung läuft, abonniert.

Die AfD hat sich mit “Compact” bestens arrangiert — und umgekehrt.

“Compact” betreibt gewissermaßen Content-Marketing für AfD-Inhalte und nutzt selbst wiederum Parteiveranstaltungen als Werbefläche für sich. Etwa die von der AfD getragene “Merkel muss weg”-Demonstration Ende Mai in Berlin. Stolz kündigte “Compact”-Chefredakteur Jürgen Elsässer vorher an, dass die von seinem Blatt im April zur “Schönen des Monats” gekürte Marie-Thérèse Kaiser eine Rede halten werde. Auch sie ist AfD-Mitglied. Die Demo selbst begleitete Elsässer schließlich mit seinen Moderatorinnen und weiteren Sympathisantinnen in “Compact”-T-Shirts, unter ihnen die AfD-Politikerinnen Jessica Bießmann und Jeannette Auricht. Er nannte sie die “Compact-Frauenbrigade”.

Screenshot Compact-Online - Einsatz für die COMPACT-Frauenbrigade mit „Sieg für Deutschland“-Shirt: Jessica Bießmann und Jeannette Auricht, AfD-Abgeordnete in Berlin

Bei einem von der AfD Falkensee organisierten Public Viewing des WM-Spiels Deutschland gegen Mexiko präsentierte “VIP-Gast” Elsässer sein Magazin. Im Februar sprach er beim politischen Aschermittwoch der AfD ein Grußwort, bevor André Poggenburg dort Türken als “Kümmelhändler” und “Kameltreiber” beleidigte.

Am Abend der Bundestagswahl hatte “Compact” eine Liveübertragung von der Party der AfD organisiert. Wohlgemerkt: Elsässer berichtete ausschließlich von der AfD-Wahlparty. Die Partei war dann auch das zentrale Thema der über drei Stunden langen Sendung. Elsässer sprach mit verschiedenen AfD-Politikerinnen und -Politikern sowie Vertretern des Vereins “Ein Prozent”, den Elsässer persönlich unterstützt und der die AfD auch mit Gruppen rechts von ihr vernetzt. Bei der Übertragungen ebenfalls dabei war Michael Stürzenberger, den “Compact” als Journalisten und “Pegida”-Redner bezeichnete:

Screenshot Compact-Video - Bauchbinde: Michael Stürzenberger, Journalist

Stürzenberger ist Autor des islamfeindlichen Blogs “Politically Incorrect”. Für seine Hetze bei “Pegida”-Veranstaltungen wurde er in Deutschland und in Österreich verurteilt. Auch bei den mitunter rechtsextremen “Hooligans gegen Salafisten” war er zugange. Im bayerischen Verfassungsschutzbericht wird Stürzenberger namentlich erwähnt (PDF, ab Seite 189).

“Compact”-Veranstaltungen als Plattform für Rechtspopulisten

Bei einem solchen Umfeld ist es kein Wunder, dass der völkisch-nationalistische Flügel der AfD die jährlichen “Compact”-Konferenzen gerne als Forum nutzt. Ohne befürchten zu müssen, kritisiert zu werden, konnten dort in den vergangenen Jahren Alexander Gauland (2014), André Poggenburg (2015, 2016) und Björn Höcke (2017) Reden halten. Hinterher werden diese unkommentiert in “Compact” abgedruckt. So lassen sich ohne aufwändige journalistische Arbeit billig Heftseiten füllen.

Aktive Führungsfiguren anderer deutscher Parteien, die in Landtagen oder im Bundestag sitzen, treten bei “Compact”-Konferenzen nicht auf, allenfalls dürfen sich ehemalige Mitglieder als Dissidenten gerieren. Stattdessen lädt “Compact” Vertreter europäischer rechtspopulistischer Parteien ein: Oskar Freysinger von der Schweizer SVP (2014, 2016) beispielsweise oder Susanne Winter, deren Auftritt bei der “Compact”-Konferenz 2015 wohl ihr letzter als Mitglied der FPÖ war. Am Wochenende darauf hieß sie öffentlich einen antisemitischen Facebook-Kommentar, der von Europa bedrohenden “Geldjuden” sprach, mit den Worten “schön, dass Sie mir die Worte aus dem Mund nehmen” gut. Daraufhin wurde sie aus der Partei ausgeschlossen. Heute ist Winter Mitglied der europäischen Neonazi-Partei “Allianz für Frieden und Freiheit”, an der unter anderem die NPD beteiligt ist.

“Pegida”-Gründer Lutz Bachmann sprach 2016 und 2017 auf “Compact”-Konferenzen. Martin Sellner, einer der Köpfe der rechtsextremen “Identitären Bewegung Österreich”, tritt seit 2015 jährlich auf, zudem schreibt er regelmäßig für “Compact” die Kolumne “Sellners Revolution”. Bevor er für die “IBÖ” aktiv wurde, war Sellner Teil der österreichischen Neonazi-Szene. Er leugnet das alles nicht, tut es aber als Jugendsünde ab. Der deutsche und der österreichische Verfassungsschutz (PDF, ab Seite 52) beobachten die “Identitäre Bewegung”.

AfD-Mitglieder als Moderatorinnen. AfD-Politikerinnen als “Compact-Frauenbrigade”. Auftritte des Chefredakteurs bei AfD-Veranstaltungen. Anti-Islam-Hetzer als Studiogäste. Gastredner, die heute in Neonazi-Parteien aktiv sind. Ein Mitglied der “Identitären Bewegung” als Kolumnist. Aber rechtspopulistisch oder rechtsradikal wollen sie bei “Compact” nicht sein.

Auf die Straße gegen Uploadfilter!, Thüringer Rückzug, Ängstliche AfD-JA

1. Uploadfilter: Jetzt hilft nur noch Protest auf der Straße
(netzpolitik.org, Markus Reuter)
In wenigen Wochen stimmt das Europaparlament über die Einführung von verpflichtenden Uploadfiltern und damit über eine automatisierte Inhaltskontrolle ab. Markus Reuters eindringlicher Appell: “Mit den Uploadfiltern wird Europa eine Technik einführen, die schnell in eine Kontroll- und Zensurinfrastruktur umzubauen ist. Noch können wir dieses gefährliche Projekt stoppen. Hashtags und Petitionen sind ganz nett. Aber um Uploadfilter noch zu verhindern, braucht es mehr: Verbündet Euch und geht für Demokratie und freie Gesellschaft auf die Straße.”
Weiterer Lesetipp: Aufbruch ins unfreie Internet (zeit.de, Lisa Hegemann).

2. AfD-Jugendorganisation verweigert taz Akkreditierung
(blogs.taz.de)
Am Wochenende findet in Magdeburg der Bundeskongress der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative statt. Während andere Medien dort zugelassen sind, verweigert die JA der “taz” die Akkreditierung. Der Organisation würden anscheinend die Kommentare der zuständigen “taz”-Korrespondentin nicht gefallen.
Weitere Lesetipps: Sabine am Ordes “taz”-Kommentar Überwachung allein reicht nicht (“Der Verfassungsschutz macht die AfD als Ganze zum Prüffall in Sachen Rechtsextremismus. Ein wichtiger Schritt, aber kein Grund zum Aufatmen.”) und ihr Beitrag Mitgliederschwund beim AfD-Nachwuchs: Exodus bei der Jungen Alternative.

3. Der Kampf um Bayern
(faktenfinder.tagesschau.de, Patrick Gensing)
Vor der Landtagswahl in Bayern hat es nach Angaben des britischen Institute for Strategic Dialogue massive Kampagnen von Rechtsextremen in sozialen Medien gegeben. Dabei setzten die Rechts-Aktivisten Strategien aus Handbüchern um, bei denen es um hetzerische Bildmontagen, Troll-Aktionen und das Verwenden von Fake-Accounts geht. Insgesamt erkennten die Forscher bei den Manipulationsversuchen im Wahlkampf eine wachsende internationale Vernetzung von Rechtsradikalen.

4. Immer mehr Schikanen gegen Korrespondenten
(deutschlandfunk.de, Steffen Wurzel, Audio: 5:16 Minuten)
Ständige Kontrollen, intensive Beschattungen, Schikanen und Repressionen: Für ausländische Reporter wird es in China immer schwieriger. Der Pekinger Auslandskorrespondenten-Club hat für seinen neuen Jahresbericht etwa einhundert ausländische Medienvertreter in China befragt. Mehr als die Hälfte habe angegeben, dass sich die Arbeitsbedingungen in China 2018 verschlechtert hätten. Neun von zehn der befragten Auslandskorrespondenten würden davon ausgehen, dass ihre Smartphones angezapft werden. Außerdem werde es immer schwieriger, an Gesprächspartner zu kommen.

5. Bloggen wieder cool: «Medium» is the message
(medienwoche.ch, Adrian Lobe)
Zwischen Amazon-Chef Jeff Bezos und dem amerikanischen Boulevardblatt “National Enquirer” läuft eine heftige Fehde. Die Hintergründe dazu lesen sich wie ein Netflix-Plot (Erpressungsversuch gegen Amazon-Chef: Trumps Feind ist unser Feind, taz.de, Jürn Kruse). Bezos verfasste eine Art offenen Brief an den “Enquirer”-Verlagschef David Pecker, den er auf der Blogging-Plattform Medium publizierte. Für Adrian Lobe ein Anlass, sich mit der zuletzt etwas angeschlagenen Plattform zu beschäftigen.

6. Rückzug auf Raten
(faz.net, Stefan Locke)
Die Funke-Mediengruppe besitzt in Thüringen mit der “Thüringer Allgemeine”, der “Thüringischen Landeszeitung” und der “Ostthüringer Zeitung” quasi ein Monopol. Nun hat der Konzern mit einer zunächst harmlos wirkenden Pressemitteilung für Aufregung gesorgt: “Für die Thüringer Titel werden Szenarien erarbeitet, wie eine Versorgung der Leserinnen und Leser in ländlichen Gebieten mit digitalen Angeboten gewährleistet werden kann.” Werde dieser Plan umgesetzt, könne dies das Ende der Papierzeitung bedeuten, so die Befürchtung. Damit wäre Thüringen das erste Bundesland, in dem keine gedruckte Tageszeitung mehr erschiene.
Dazu entfernt passend ein weiterer Lesetipp: Deutschlands größter Buchgroßhändler ist insolvent — über die Pleite des 185 Jahre alten Traditionshauses KNV, das mit 2000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern den Buchhandel mit Ware versorgt hat.

Update: Ein BILDblog-Leser merkt an: “Hr. Locke irrt, wenn er meint, dass nach dem möglichen Print-Rückzug von Funke keine Tageszeitung mehr in Thüringen erscheinen würde – immerhin gibt es noch das “Freie Wort” aus Suhl mit lt. Wikipedia rund 60.000er-Auflage (inkl. “Meiniger Tageblatt”) und die “Südthüringer Zeitung” mit 11.000er-Auflage. Lustig ist der Fehler Lockes natürlich vor dem Hintergrund des Zitats von Sergej Lochthofen: “Aber in Essen haben sie keine Vorstellung davon, wie die Orte in Thüringen heißen, wer die Leser überhaupt sind und was die hier so machen. Thüringen ist offensichtlich unwichtig.“ In Dresden offenbar genauso wenig…”

Neurechte Schmähgemeinschaft, Mordmetropole, “Homo-Milieu”

1. Berlin doch nicht Mordmetropole Europas
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Ist Berlin tatsächlich die “Hauptstadt der Tötungsdelikte”, wie es kürzlich in den Blättern des Berliner Verlags hieß? Stefan Niggemeier ist der Meldung nachgegangen und kommt, so viel kann verraten werden, zu einem gänzlich anderen Schluss.

2. Die Schmähgemeinschaft der neuen Rechten
(netzpolitik.org, Daniel Laufer)
Über mehrere Jahre habe der Sprachwissenschaftler Joachim Scharloth Artikel und Kommentare rechter Internetportale gesammelt und ausgewertet. Die neue Rechte definiere sich vor allem über Beleidigungen und herabwürdigende Sprache und könne daher als “Schmähgemeinschaft” bezeichnet werden. Allein für Angela Merkel habe Scharloth über 1000 Beschimpfungen gefunden. Insgesamt habe er bei seiner Bestandsaufnahme mehr als 30.000 unterschiedliche Schimpfwörter erfasst.
Weiterer Lesehinweis: Soleimani: «Tot» und «Tötung» oder «Mord» und «ermordet»: “Der Sprachgebrauch deckt auf, welche Medien nicht im Klartext informieren, wenn es um die befreundeten USA geht.” (infosperber.ch, Urs P. Gasche).

3. Im ZDF ist das “Homo-Milieu” noch lebendig
(queer.de)
Obwohl seit Jahren kritisiert, tauchen in Medienberichten und Pressemitteilungen immer noch Begriffe wie “Homo-Milieu”, “Homosexuellen-Milieu” oder “Schwulen-Milieu” auf. Jüngst sei der Begriff in einer (laut queer.de ansonsten empfehlenswerten) ZDF-Doku über den Mord an Walter Sedlmayr verwendet worden.

4. Ohne bösen Vorsatz
(deutschlandfunk.de, Mirjam Kid & Annika Schneider, Audio: 7:29 Minuten)
Der Deutschlandfunk hat mit “Buzzfeed”-Redakteur Marcus Engert über eine Falschmeldung beziehungsweise ungenaue Meldung der Leipziger Polizei und deren Folgen unterhalten. Engerts Rat: Journalistinnen und Journalisten sollten die Social-Media-Accounts der Polizei nicht als privilegierte Quellen betrachten und entsprechende Meldungen gegenrecherchieren.

5. Stimmungsmache im Netz: “Die Empörungsmaschinerie sprang an”
(t-online.de, Nicole Diekmann)
Eine offensichtlich ironisch gemeinte Bemerkung bescherte der ZDF-Korrespondentin Nicole Diekmann vor einem Jahr einen gewaltigen Shitstorm. Gerade haben wir mit dem Satireliedchen von der Oma als “Umweltsau” einen ähnlichen Vorgang erlebt. Diekmann attestiert den Sendern Fehleinschätzungen und eine katastrophale Krisenkommunikation: “Keine Frage danach, ob womöglich eine Agenda hinter einem Shitstorm steckt. Ob im Netz dazu aufgerufen wurde, in Zuschauerredaktionen anzurufen. Stattdessen hektischer Aktionismus, der eben denen in die Hände spielt, die die Algorithmen verstanden haben und sie zu ihren Zwecken zu nutzen wissen. Noch immer fällt man auf sie herein und macht im Zweifel alles nur noch schlimmer mit aussichtslosen Versuchen, die neuen Dynamiken mit den traditionellen Instrumenten in den Griff zu kriegen. In etwa so, als würde man ein Pferd vor ein liegengebliebenes Auto spannen.”

6. Glaskugelige Kaffeesatzlesereien 2020
(indiskretionehrensache.de, Thomas Knüwer)
Thomas Knüwer hat turnusgemäß die Glaskugel aus dem Schrank geholt und wirft einen Blick auf mögliche Medienentwicklungen des bevorstehenden Jahres. Er geht dabei auch schonungslos seine Prognosen des Vorjahres durch: Knüwer kommt auf einen Endstand von 1,5 zu 7,5 Punkten (“So, verzeihen Sie das Wort, beschissen daneben lag ich noch nie”). Wie auch immer die nächste Auswertung ausfällt: Seine aktuellen Prognosen sind dennoch lesenswert.

Bedrohter “Weltspiegel”, Drehtage runterrocken, Orbán-Propaganda

1. Jux und Dollerei
(kontextwochenzeitung.de, Jörg Armbruster)
ARD-Programmdirektorin Christine Strobl will den “Weltspiegel” von seinem über Jahrzehnte angestammten Sendeplatz am frühen Sonntagabend auf Montag, kurz vor Mitternacht, verlegen. Das seien “Informationen, die uns schockieren”, klagen die ARD-“Weltspiegel”-Redaktionen und die Fernseh-Auslandskorrespondenten in einer gemeinsamen Stellungnahme. Und auch Jörg Armbruster, einst Moderator der Sendung, protestiert: “Sollte es so kommen, dann betreibt des Ministers Gattin Kahlschlag bei der Auslandsberichterstattung der ARD und das in einer Zeit, in der erklärt werden muss, warum so viele Flüchtlinge lieber ihr Leben auf dem Mittelmeer riskieren als in ihrer Heimat zu bleiben, weshalb politische Krisen und Kriege anderswo sich auch auf Europa auswirken oder ganz einfach, wie Menschen in entfernten Winkeln dieser Erde leben.”

2. Handreichung an Journalisten & Journalistinnen für die Wahlkampf-Berichterstattung. Ein Thread.
(twitter.com, Nadia Zaboura)
Die Kommunikationswissenschaftlerin und Linguistin Nadia Zaboura fasst in einem Twitter-Thread die wichtigsten Fragen zusammen, die sich Journalistinnen und Journalisten in Zusammenhang mit ihrer Wahlkampf-Berichterstattung stellen sollten. Der kleine Fragenkatalog ist auch für Medienkonsumierende interessant, da er zur Bewertung politischer Berichterstattung verwendet werden kann.

3. Wie deutsche Medien mit der Genderfrage umgehen
(mdr.de, Jenni Zylka & Steffen Grimberg)
Wie halten es die deutschen Medien mit dem Gendern? Jenni Zylka und Steffen Grimberg haben sich einige Beispiele aus Print, Online und TV herausgesucht, die das volle Spektrum von Akzeptanz bis Ablehnung abbilden. Ihr Kompromissvorschlag: “Wenn alle in sich den Großmut suchen und finden könnten, das Gegenüber so sprechen und schreiben zu lassen, wie es möchte. Und sich, anstatt ‘Sprachdiktatur’ und ‘Unlesbarkeit’ zu nölen, über mehr hübsche Sternchen freuen würde.”

Bildblog unterstuetzen

4. “Ein Runterrocken von Drehtagen”
(sueddeutsche.de, Stefan Fischer)
Mittlerweile haben sowohl Hörspielautoren und Drehbuchautorinnen als auch Filmregisseurinnen und -regisseure in offenen Briefen gegen die sich verschlechternden Rahmenbedingungen protestiert, insbesondere mit Blick auf die ARD. Im persönlichen Gespräch seien die Initiatoren des offenen Briefes, den der Bundesverband Regie am 1. Juli veröffentlicht hat, deutlich geworden: “Das ist kein Geschichtenerzählen mehr mit den Mitteln des Films”, habe einer von ihnen gesagt, “sondern nur noch ein Runterrocken von Drehtagen.”

5. Eine ganze Seite Propaganda
(deutschlandfunk.de, Marina Weisband, Audio: 4:08 Minuten)
Ungarn hat in der “Bild”-Zeitung eine ganzseitige Anzeige mit Vorschlägen über die “Zukunft der Europäischen Union” geschaltet. Im Deutschlandfunk kommentiert Marina Weisband: “Wenn Zeitungen sich als bloße Plakatwände für die Propagandaposter autoritärer Staaten missbrauchen lassen, läuft etwas schief.”

6. Zu viele Experten, zu wenig Distanz: Warum die TV-Berichterstattung zur EM nicht funktioniert hat
(rnd.de, Imre Grimm)
Imre Grimm zieht eine (Zwischen-)Bilanz der TV-Berichterstattung zur Fußball-Europameisterschaft und entdeckt dabei einige Parallelen zwischen dem Zustand der deutschen Nationalmannschaft und dem öffentlich-rechtlichen Sportjournalismus: “Beide halten Erfolg für ein Naturgesetz, zehren zu sehr von altem Ruhm und erwecken mit altbackenen Konzepten den Eindruck, nicht mehr mit letzter Leidenschaft bei der Sache zu sein.”

Wir müssen leider draußen bleiben

Michel Friedman und Bärbel Schäfer haben geheiratet.

“‘Ja, es stimmt – wir haben geheiratet’, bestätigte der Bräutigam gestern Nachmittag gegenüber BILD. Dabei sollte erst alles ganz geheim bleiben…”

schrieb die “Bild” am Samstag über ihr “Protokoll der überraschendsten Hochzeit des Jahres”, das bei genauerem Hinsehen eher das Protokoll einer berichterstatterischen Niederlage ist. Sieben Namen stehen in der Autorenzeile, darunter auch der von Kitti Pohl. Mindestens drei Stunden war die Co-Reporterin offenbar um ein Lokal gestromert, in das die Frischvermählten zu einem Umtrunk geladen hatten. Doch weil die “Bild” nicht auf der Gästeliste stand, war die Ausbeute vor Ort mehr als mäßig:

“Aus dem Lokal ertönte lautes Klatschen, als Friedman sagte: ‘Bärbel ist das größte Geschenk meines Lebens.'”

Naja. “Um 16 Uhr war die Feier bereits zu Ende”, schrieb “Bild” sichtlich enttäuscht dazu, was allerdings die “BamS” nicht davon abhielt, tags drauf auf einer halben Seite abermals über Friedmanns “glücklichsten Tag seines Lebens” zu berichten, obwohl sie besagtem Satz vom “größten Geschenk” nichts als ein paar weitere (O-Ton “BamS”) “wenig überraschende Worte” aus o.g. Friedman-Ansprache hinzuzufügen wusste, die Kitti Pohl, diesmal alleinige Autorin, in der “Bild” nicht untergebracht hatte: “So, das war es jetzt. Auf euer Wohl. Danke, dass ihr da seid!” zum Beispiel.

PS: Noch besser Bescheid weiß die “BamS” nur über Jürgen Trittin. Der mache aus seinem Geburtstag am kommenden (!) Sonntag nämlich “ein Staatsgeheimnis”, behauptet Martin S. Lambeck unter der (ähm, etwas missverständlichen) Überschrift “Pssst! Trittin feierte heimlich seinen 50.” – “Früher”, so Lambeck, “gab’s an Trittin-Geburtstagen eine Feier in seiner Wohnung in Niederschönhausen. Was diesmal (…) passiert, weiß niemand.”

“Bild” berichtet anders

Das Verhältnis zwischen “Bild” und der ARD ist ein ganz besonders — das zeigt nicht nur der Fall des von “Bild” als “versaut” bezeichneten “Tatorts” vom vergangenen Sonntag, den die ARD daraufhin zensierte.

“Bild” und “Bild am Sonntag” berichten über die ARD sehr viel kritischer als andere Boulevardzeitungen, als andere überregionale Zeitungen und sogar als andere Springer-Zeitungen: Fast jeder zweite “Bild”-Artikel, in dem es in diesem Jahr konkret um die ARD ging, war negativ — in anderen Boulevardzeitungen war es nur etwa jeder fünfte Artikel, in der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” und der “Süddeutschen Zeitung” war es jeder vierte*.

Das Institut aserto hat im Auftrag des NDR untersucht, wie sich die Berichterstattung von Springer-Zeitungen und Zeitungen anderer Verlage über ARD, ZDF und ProSiebenSat.1 unterscheidet. Hintergrund ist der Plan der Axel Springer AG, mit der ProSiebenSat.1 Media AG zu fusionieren. Dann wären die “Bild”-Zeitung und die Fernsehsender Sat.1, Pro Sieben, Kabel 1, N24 und Neun Live hundertprozentige Schwesterunternehmen. Und Geschwistern fühlt sich “Bild” verbunden — das spürte vor einem halben Jahr zum Beispiel die Schauspielerin Alexandra Neldel.

Nach der Fusion hätten Springer-Zeitungen und Springer-Sender in einem noch viel stärkeren Maße die Möglichkeit, sich die Bälle zuzuspielen — auch zu Lasten der anderen Sender. Das Kartellamt prüft derzeit den geplanten Zusammenschluss.

Mehr als die Hälfte der negativen Artikel in “Bild” über die ARD hat deren Schleichwerbeskandal zum Thema. Der brachte der ARD natürlich auch in anderen Zeitungen schlechte Presse — allerdings nicht im gleichen Maße. “Bild” und “Bild am Sonntag”, so die Studie, “berichten erheblich häufiger und weichen auch in der Tonalität deutlich von vergleichbaren Medien wie dem ‘Express’ oder dem ‘Berliner Kurier’ und auch der ‘B.Z.’ ab.” “Bild” veröffentlichte u.a. eine “Liste der Schande”, sprach vom “Saustall ARD” und vom “ARD-Sumpf” und forderte personelle Konsequenzen.

Als Ende September bekannt wurde, dass bei Sat.1 über Jahre systematisch Schleichwerbung betrieben wurde, war das Echo in “Bild” anders: Nur drei Artikel erschienen seitdem zu diesem Thema, der letzte mit der versöhnlichen Überschrift: “Sat.1 gibt alles zu”. Die “Bild am Sonntag”, die besonders heftig die ARD wegen der Schleichwerbefälle angriff, hat bis Ende Oktober kein einziges Mal über die Vorwürfe gegen Sat.1 berichtet.

*In der Auswertung sind alle Artikel enthalten, die vom 1. Januar bis 31. Oktober 2005 erschienen sind und die ARD oder einen ihrer Sender als Institution thematisieren — also keine reinen Programmhinweise oder Kritiken von einzelnen Sendungen.

“Bild” spielt Foul

Was denkt sich Ashkan Dejagah (21) nur dabei?

Das fragt “Bild” heute, weil der im Iran geborene Bundesliga-Profi seine Teilnahme am Länderspiel der deutschen U21-Mannschaft in Israel abgesagt hat. Aus “politischen Gründen”, wie er erklärt: “Jeder weiß, dass ich Deutsch-Iraner bin…”

Was denkt sich Ashkan Dejagah (21) nur dabei?

“Bild” schlägt folgende Antwort vor:

(…) die Absage legt den Eindruck nahe, dass Dejagah mit dem iranischen Machthaber Mahmud Ahmadinedschad sympathisiert. Der “Irre von Teheran” droht Israel mit der nuklearen Vernichtung. Außerdem hat er iranischen Sportlern ausdrücklich verboten, gegen israelische Athleten anzutreten.

Angesichts dieser Interpretation ist es natürlich kein Wunder, dass “Bild” zu dem Schluss kommt:

BILD meint: Wer ein Länderspiel in Israel aus politischen Gründen absagt, darf nie wieder für Deutschland spielen!

Was “Bild” nicht schreibt: Ashkan Dejagah hat Verwandte, die im Iran leben; sein Bruder spielt bei Paykan Teheran*. Es ist nicht auszuschließen, dass sie mit Sanktionen rechnen müssten, wenn Dejagah in Israel spielt. Er hat nicht nur einen deutschen, sondern auch einen iranischen Pass, und der Iran verbietet seinen Staatsbürgern die Einreise nach Israel. Dejagah muss damit rechnen, nicht mehr in den Iran zu seiner Familie reisen zu dürfen, wenn er an dem Spiel der U21 teilnimmt.

An all dem ändert sich nichts, wenn der Berliner CDU-Fraktionsvorsitzende Friedbert Pflüger ihm laut “Bild” verspricht, für ihn “würde in Israel alles für seine Sicherheit getan werden”.

Natürlich kann man Dejagahs Absage trotzdem falsch finden und von ihm eine schnelle Entscheidung verlangen, ob er in der deutschen oder der iranischen Nationalmannschaft spielen will. Aber man sollte diese Fakten kennen, bevor man sein Urteil fällt. Die “Bild”-Zeitung verschweigt sie und verhindert, dass ihre Leser überhaupt eine Grundlage haben, um die Frage fair zu beantworten:

Was denkt sich Ashkan Dejagah (21) nur dabei?

Mit Dank an farry2003.

*) Korrektur, 14. Oktober. Dejagah betont in einem Interview mit stern.de, dass sein Bruder nicht für den Teheraner Verein Paykan spielt, sondern in Berlin lebt. Wir sind einer offenbar weit verbreiteten Fehlinformation aufgesessen und bitten dafür um Entschuldigung.

Der Pop-Titan bleibt PR-Titan

Die Medienevolution Videoreporter-Aktion von “Bild” ist bislang offenbar noch kein richtiger Knüller. Und da hilft es auch wenig, dass “Bild” heute den 7-jährigen Marvin Pfützner, erster “Gewinner der Video-Aktion von BILD”, für ein vernuscheltes Laien-“Dingsda” zum “Gewinner” des Tages macht.

Aber es geht ja auch anders auch anders auch anders:

"Dieter Bohlen bloggt für Bild.de: Der Pop-Titan ist jetzt Blog-Titan"

Mit anderen Worten: Es gibt seit heute auch ein kurzes Wackelvideo auf Bild.de, in dem Dieter Bohlen zu sehen ist, wie er von jemand anderem mit einer offenbar nicht besonders brauchbaren Kamera gefilmt wird. “Bohlen liest BILD, Bohlen im Auto, Bohlen im Hotel, Bohlen hinter den Kulissen, Bohlen gratuliert ‘Supertalent’-Gewinner Michael Hirte zu seinem grandiosem Erfolg”, heißt es dazu auf Bild.de.

Und das alles ist wörtlich zu nehmen: Bohlen sitzt “Bild”-lesend im Auto (28 Sekunden) und gratuliert anschließend irgendwo hinter den Kulissen eines Castings für die RTL-Show “Deutschland sucht den Superstar” dem Gewinner der RTL-Show “Das Supertalent”, Michael Hirte, zu seinem dessen Erfolg (67 Sekunden) – in Abwesenheit Hirtes, versteht sich. Wir dokumentieren das trotzdem mal:

Ja, hier sitzen gleich die Kandidaten – alles natürlich top secret. Aber ich möchte einem Menschen natürlich von ganzem Herzen und von euch allen erstmal Glückwunsch sagen. Das ist hier dieser Mann [hält die aktuelle CD von Michael Hirte in die Kamera]: Michael Hirte. [Kamera zoomt auf das Cover; es folgt ein kurzer Einspieler des “Ave Maria”-spielenden Hirte]. Seit gestern abend, 18 Uhr, Nummer 1 in Deutschland. Und ich glaube, wir haben eigentlich noch nie einen gefunden, glaube ich, der’s so verdient hat wie dieser Michael Hirte. Ich habe mich gestern wirklich unheimlich gefreut für ihn. Er ist mittlerweile schon Gold und Platin und ich weiß nicht was. Und wir hatten, glaube ich, noch nie ‘nen “Superstar”* oder ‘n “Supertalent”** oder überhaupt irgend jemand, der das so verdient hat. Und ich glaub’, für den Michael Hirte hier, für ihn [hält wieder die Hirte-CD in die Kamera] wird das ‘n ganz, ganz schönes Weihnachten, und der kann sich endlich mal ‘n paar warme Bratkartoffeln leisten und vielleicht auch noch ‘ne Currywurst dabei. Michael, erstmal herzlichen Glückwunsch – und die vielen Leute, die ihm geholfen haben***, natürlich auch: Vielen Dank! Tschüß.

Es folgt ein 44-sekündiger Einspieler (“exklusiv hier auf Bild.de”), wie Michael Hirte “Stille Nacht” auf der Mundharmonika spielt. Dann ist Schluss. Außer für uns, denn wir hätten da ja noch ein paar Anmerkungen:

*) Dieter Bohlen sitzt seit 2002 in der DSDS-Jury, schrieb und (co-)produzierte u.a. die Musik der DSDS-Gewinner Alexander Klaws und Mark Medlock.
 
**) Dieter Bohlen sitzt seit 2007 in der “Supertalent”-Jury; sein Co-Produzent Joachim “Jeo” Mezei produzierte u.a. die Musik des “Supertalent”-Gewinners 2007, Ricardo Marinello.
 
***) Dieter Bohlens Co-Produzent Mezei ist an der Produktion des Albums von “Supertalent”-Gewinner Hirte beteiligt, auf dem sich u.a. auch die Mundharmonikaversion eines Bohlen-Songs aus DSDS findet. Wer sich hinter Hirtes Produzenten-Team “Dreamfactory” verbirgt, wollte uns Hirtes Plattenfirma bislang auf Anfrage nicht verraten.

P.S.: Bild.de zeigt seinen Lesern auch noch ein zweites Wackelvideo mit Bohlen. Darin geht’s dem “Blog-Titan” zwar nicht nur um seinen Hirte – aber auch.

Schweine-Ärger mit Ansage

"Schon wieder so ein brandgefährlicher Kinderschänder frei -- JUSTIZ LÄSST ******* LAUFEN (Schwein darf BILD nicht schreiben, sonst gibt es Ärger mit dem Presserat)"

Vielleicht kamen sie sich besonders clever vor bei “Bild”, als sie im vergangenen Oktober diese Schlagzeile formulierten (wir berichteten); vielleicht auch nur besonders witzig.

Jedenfalls schaffte es die Überschrift geschickt, sich doppelt zu empören über den deutschen (Un-)Rechtsstaat, der angeblich nicht nur “Kinderschänder” laufen lässt, sondern es anständigen Zeitungen wie “Bild” auch noch verbietet, diese Menschen wenigstens “Schweine” zu nennen.

Ziffer 1 Pressekodex

Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse.

Jede in der Presse tätige Person wahrt auf dieser Grundlage das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Medien.

Dabei hatte niemand “Bild” verboten, den Mann ein “Schwein” zu nennen — es verstößt nur gegen seine Menschenwürde und damit das, was der Pressekodex eines der “obersten Gebote der Presse” nennt (siehe Kasten rechts).

Das bekam die Zeitung nun auch schriftlich. Aufgrund einer Beschwerde von BILDblog sprach der Presserat eine “Missbilligung”* gegen “Bild” aus und erklärte:

(…) dass die Bezeichnung “Schwein” wie wirklich geschrieben zu bewerten ist, da sie trotz der Tatsache, dass das Wort durchgestrichen wurde, klar zu erkennen ist. Diese Gleichsetzung des betroffenen Mannes mit einem Tier verletzt seine Menschenwürde.

Der Beschwerdeausschuss stellt zudem fest, dass die Redaktion durch diese Veröffentlichung der Verantwortung, die die Presse hat, nicht gerecht wird. Es verletzt das Ansehen der Presse nach Ziffer 1 Pressekodex, wenn eine Zeitung — wenn sie selbst offensichtlichen Zweifel daran hat, ob ein Begriff aus ethischer Sicht verwendet werden kann — diese Bezeichnung dann doch in vorliegender Form verwendet.

Die Rechtsabteilung der Axel Springer AG teilte dem Presserat mit, dass sie auch diese Beschwerde von uns für einen Missbrauch dieses Gremiums hält (mehr zur Vorgeschichte dieses Streites). Zur Sache werde man sich daher nicht einlassen.

*) Missbilligungen sind für die betroffenen Zeitungen folgenlos. Der Presserat “empfiehlt” ihnen zwar, sie zu veröffentlichen — “als Ausdruck fairer Berichterstattung”. Die “Bild”-Zeitung verzichtet aber naturgemäß in der Regel darauf.

Kaufjournalismus, Kinoflops, Kifferbombe

1. „Grundsätzlich geht alles“
(taz.de/Morgane Llanque)
“Vice” bietet sein Online-Frauenmagazin “Broadly” nun auch in Deutschland an. International will man sein und in Vice-typischer „junger“ Tonart über Tabuthemen wie Abtreibung und Menstruation schreiben. Morgane Llanque ordnet den Start des in den USA von erstaunlich vielen Männern gelesenen Angebots ein und kommt zum Schluss: “Wenn Broadly es schafft, auch in Deutschland mehr Männer für feministische Themen zu interessieren, wäre allein diese Tatsache ein Gewinn.”

2. Das eigentliche Problem mit dem Pressekodex
(rnd-news.de, Ulrike Simon)
Die „Tagesschau“ verbreitet Irreführendes von „Bild“-Chefin Tanit Koch, mancher Journalist ist offensichtlich überfordert, und die „Rhein-Zeitung“ ärgert sich in Wahrheit über die Polizei, so Ulrike Simon in ihrem Beitrag über die Entscheidung des Presserats in Sachen Herkunftsnennung. Am Ende kommt die Autorin zur ernüchternden Feststellung: “Die ganzen Debatten um Ziffer 12.1 hätte man sich sparen können. Sie haben das tatsächliche Problem weder erkannt noch gelöst.”

3. Ehemaliger NDR-Redakteur erhält Bewährungsstrafe
(dwdl.de, Andre Gärisch)
Ein EX-NDR-Journalist ist vom Landgericht Kiel wegen Bestechlichkeit in 77 Fällen zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt worden. Er soll Verbänden und Firmen vorgetäuscht haben, er könne ihre Interessen in Sendungen wie dem “Schleswig-Holstein-Magazin” geltend machen und Sendezeiten beschaffen. Das aufsummierte Schmiergeld soll sich auf 366.000 Euro belaufen.

4. Was macht einen Film zu einem Flop?
(netzpiloten.de, Suman Ghosh)
Die amerikanische Filmdozentin Suman Gosh plaudert über Kino-Flops und warum sie zu solchen geworden sind. Mit diversen Trailern angereicherter Streifzug durch diverse cineastische Investoren- und Produzenten-Alpträume. Von 1924 (“The Thief of Bagdad”) bis in die Neuzeit (“Lincoln” aus dem Jahr 2012).

5. In eigener Sache: SPIEGEL-ONLINE-Korrespondent muss Türkei verlassen
(spiegel.de)
Der “Spiegel” mit einer Meldung in eigener Sache. Seit Jahren hätte Hasnain Kazim als Korrespondent für “Spiegel” und “Spiegel Online” aus Istanbul berichtet. Weil er von den türkischen Behörden keine Verlängerung seiner Presse-Akkreditierung bekommen hätte, müsse er das Land nun verlassen. Chefredakteur Florian Harms: “Das Verhalten der türkischen Behörden lässt für uns keinen anderen Schluss zu, als dass unser Korrespondent aufgrund seiner journalistischen Berichterstattung vor Ort nicht mehr erwünscht ist.”

6. Kiffer legt keine Rohrbombe vor Flüchtlingsheim
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Anfang der Woche kursierte die Meldung, in Eisenach sei eine “Rohrbombe” vor einem Flüchtlingsheim explodiert. Nun stellt sich heraus: Die vermeintliche Bombe war eine Wasserpfeife mit Cannabis-Resten – und nicht explosiv. Übermedien rekonstruiert, wie es zu der Falschmeldung kommen konnte.

Presserat, Breitbart Germany, Angezündet

1. Der Presserat nimmt Journalisten die Verantwortung nicht ab
(sueddeutsche.de, Carolin Gasteiger)
Der Presserat kümmert sich um die Einhaltung presseethischer Standards und ist Anlaufstelle für Leserbeschwerden. Nun feiert die freiwillige Instanz publizistischer Selbstkontrolle ihren 60. Geburtstag. Carolin Gasteiger nimmt dies zum Anlass über die Möglichkeiten und Grenzen der Institution nachzudenken und stellt die Frage, ob Twitter nicht das geeignetere Medium sei: “Viele Medien spüren, dass sich das Publikum entfernt. Wer hier den Dialog sucht, tut viel dafür, diese Lücke zu schließen. Journalisten müssen die Scheu davor verlieren, mit kritischen Lesern über ihre Entscheidungen zu diskutieren. Viele Journalisten tun das auf Twitter, weswegen manche in dem sozialen Netzwerk auch den geeigneteren Presserat sehen.”

2. 99 Gedanken zur Entwicklung von Social Media und Journalismus
(medium.com, Martin Giesler)
Martin Giesler ist Journalist und Fachmann für alles, was mit “Social Media” zusammenhängt. In dieser Doppelfunktion hat er die Kristallkugel bemüht und in einer knackigen Liste von Diagnosen und Thesen notiert, wie und wohin sich Social Media und Journalismus seiner Einschätzung nach entwickeln werden.

3. “Die Grundrechte schützen auch Breitbart”
(rbb-online.de)
Die US-amerikanische Nachrichten-Website “Breitbart” gilt als das Sprachrohr der sogenannten “alt-right”-Bewegung: der “alternativen Rechten”. Hetze und Verleumdungen sowie krude Verschwörungstheorien gehören zum Erscheinungsbild der vom rechtskonservativen Unternehmer Andrew Breitbart gegründeten Nachrichtenseite. Nun will “Breitbart” offenbar nach Deutschland expandieren. Der aggressive Kampagnenjournalismus wäre in Deutschland oft justitiabel. Ist die Justiz dafür gewappnet? Medienrechtler Ansgar Koreng antwortet mit einem “Jein”.

4. „Ich bin nur ein Zeitungsleser“
(taz.de, Markus Sehl)
Der deutsche Ableger der türkischen Tageszeitung “Zaman” galt als die auflagenstärkste türkische Tageszeitung in Deutschland. Nach dem Putschversuch in der Türkei wurde die Mutterredaktion geschlossen, in Kürze wird der deutsche Ableger eingestellt: Der Grund: Das Blatt steht der Bewegung des islamischen Predigers Fetullah Gülen nahe, der von der Türkei für den gescheiterten Putsch im Juli 2016 verantwortlich gemacht wird. Die “taz” begleitet die Redaktion in ihren letzten Wochen mit verschiedenen Beiträgen. Aktuell hat man sich mit einem langjährigen Abonnent der Tageszeitung unterhalten.

5. «Trump im Titel gab Millionen Klicks»
(tagesanzeiger.ch, Sacha Batthyany)
Sacha Batthyany hat für den Schweizer “Tagesanzeiger” mit dem amerikanischen Journalist, Blogger und Buchautor Jeff Jarvis über die Rolle der Medien während des US-Wahlkampfs gesprochen. Jarvis kritisiert die sogenannte horserace-Berichterstattung: “Das Pferderennen ist zu einem chronischen Problem im US-Journalismus geworden. Dieses Jahr aber geriet alles außer Kontrolle, was an Donald Trump lag. Die Medien waren überfordert. In den ersten Monaten seiner Kandidatur war er ein Clown, danach ein Schlagzeilengarant. Trump im Titel ergab millionenfache Klickzahlen, von Zürich über Tokio bis New York. Man hat ihn kritisiert, gleichzeitig aber von ihm profitiert — wie zynisch ist das? Der Fernsehdirektor von CBS sagte, Trump sei vielleicht schlecht für Amerika, aber gut fürs Geschäft. Das sagt alles.”

6. Boris wollte mich verbrennen
(cms.falter.at, Florian Klenk)
Florian Klenk erzählt auf sehr lesenswerte Weise von seinem Besuch bei dem Mann, der ihn anzünden wollte: „Kann den wer anzünden bitte?“, schrieb Boris auf einer FPÖ-Facebook-Seite. Er meinte mich. Ich fuhr zu ihm und lernte, wie heute Politik und Propaganda funktionieren.”

Nicht gerade “The Best” Recherche

Man würde doch meinen, dass Redaktionen etwas vorsichtig sind und Distanz wahren, wenn bei “Betrugsvorwürfen” und angeblichen “Unregelmäßigkeiten” eine der zentralen Quellen ein Twitter-Account ist, der vor wenigen Tagen noch nicht existierte, der weder vor noch nach dem Tweet, auf dem die aktuelle Aufregung basiert, irgendetwas veröffentlicht hat, dem gerade mal 15 andere Accounts folgen und der nicht offiziell von Twitter verifiziert ist. Würde man meinen.

Sudan-Coach Zdravko Logarusic twitterte ein Foto seines Stimmzettels, auf dem das Erststimmen-Kreuz neben dem Namen des Ägypters Mohamed Salah vom FC Liverpool gesetzt ist. Laut der offiziellen Fifa-Liste ging die Stimme jedoch an Messi.

… schreibt die dpa heute.

Es geht um eine Wahl des Weltfußballverbands FIFA, die am Montag stattfand und bei der Trainer, Spieler, Journalisten und Fans “The Best” wählen konnten. Bei den Männern gewann der Argentinier Lionel Messi. Auch Zdravko Logarusic, Nationaltrainer des Sudan, durfte abstimmen. Laut offizieller FIFA-Liste (PDF) stimmte er mit seiner Erststimme für Messi, mit seiner Zweitstimme für Virgil van Dijk und mit seiner Drittstimme für Sadio Mané.

Vorgestern tauchte allerdings ein Tweet auf, in dem ein Zdravko Logarusic behauptet, gar nicht für Messi, van Dijk und Mané gestimmt zu haben, sondern für Mohamed Salah, Mané und Kylian Mbappé.

Weil viele Redaktionen die Meldungen der dpa automatisch übernehmen, steht die oben zitierte Passage, in der keinerlei Zweifel daran besteht, dass diese Aussage wirklich von Logarusic stammt, nun etwa bei Süddeutsche.de, FAZ.net, NOZ.de und NZZ.ch. Unabhängig von der dpa berichtete “Sport Bild” bereits gestern und berief sich dabei auf den angeblichen Logarusic-Tweet. Und auch Bild.de schreibt über die “Betrugsvorwürfe”:

Screenshot Bild.de - Betrugsvorwürfe von Trainer und Spieler - Hat die FIFA Messi zum Weltfußballer geschummelt?

Zudem wirft Sudan-Trainer Lugarisic dem Weltverband vor, dass sein veröffentlichter Stimmzettel nicht dem entspreche, was er tatsächlich gewählt habe. Auch Lugarisic will Salah auf Platz 1 gewählt haben. Mit einem Foto seines Stimmzettels, das er bei Twitter postete, will er das beweisen. In der Fifa-Auflistung unter seinem Namen auf Platz 1: Lionel Messi.

Es ist zweifelhaft, ob hinter dem Twitter-Account tatsächlich Zdravko Logarusic steckt. Wie bereits erwähnt, ist er erst im September 2019 erstellt worden, offenbar nur für diesen einen Tweet, der nun überall zitiert und eingebettet wird. Schaut man sich das Foto von dem Stimmzettel, das Logarusic getwittert haben soll und das Bild.de auf der Startseite zeigt, etwas genauer an, fallen einem Merkwürdigkeiten auf: Es sieht so aus, als seien in den Kästchen bei Lionel Messi, Virgil van Dijk und Sadio Mané — also bei der offiziellen Erst-, Zweit- und Drittstimme von Logarusic — mal Kreuze gewesen, die wegretuschiert wurden:

Screenshot einer Nahaufnahme des Stimmzettels von Logarusic
(Draufklicken für größere Version.)

Inzwischen haben auch manche Redaktionen mitbekommen, dass mit dem Twitter-Logarusic etwas nicht stimmen könnte. Bei n-tv.de beispielsweise steht nun unter der dpa-Meldung:

In einer früheren Version dieser Meldung haben wir einen vermeintlichen Tweet des Nationaltrainers des Sudans, Zdravko Logarusic, eingebettet. Darin war ein Foto eines Stimmzettels zu sehen, das eine Wahlmanipulation suggerieren sollte. Da weder die Echtheit der Behauptung noch des Fotos bewiesen sind, haben wir uns dazu entschieden, beides zu entfernen. (Anm.d.Red.)

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Nachtrag, 28. September: Die dpa hat auf unseren Beitrag reagiert und wie folgt dazu Stellung genommen:

Wir haben unsere Berichterstattung überprüft und berichtigt. Zwar soll der sudanesische Nationaltrainer sich in gleicher Weise auch beim TV-Sender Al Arabija geäußert haben. Es bestehen aber so erhebliche Zweifel an der Echtheit des Accounts, dass wir die Berichterstattung korrigiert haben.

Nachtrag, 29. September: Wir konnten inzwischen Zdravko Logarusic per Telefon erreichen und mit ihm bei WhatsApp schreiben. Auf unsere Frage, ob der Twitter-Account @ZLogarusic sein eigener ist, sagte er: “No, I never use Twitter.”

Über die FIFA-Wahl und seinen Stimmzettel wollte Logarusic noch nicht mit uns sprechen, da es dazu nach seiner Aussage am heutigen Sonntag noch eine Besprechung mit dem sudanesischen Fußballverband geben soll, die er abwarten möchte.

Wendler-Wandlung, Tendenzschutz, Politik der leeren Gesten

1. Wendler-GAU bei Pocher: “Als wäre Merkel zurückgetreten”
(dwdl.de, Alexander Krei)
Anfangs zog man noch einen geschmacklosen Scherz oder einen verabredeten PR-Stunt in Betracht, aber es scheint sich als ernst gemeint herauszustellen: Der Schlagersänger Michael Wendler hat in einem wirren Rundumschlag seinen Job als Juror bei “Deutschland sucht den Superstar” gekündigt, seinen Haussender RTL als “politisch gesteuert” bezeichnet und allerlei Verschwörungsgeschwurbel zur “angeblichen Corona-Pandemie” losgelassen. Wendlers Manager Markus Krampe hatte zeitweilig mit den Tränen zu kämpfen, als er über die unerquickliche Wendler-Wandlung sprach: “Für mich ist er krank. Tatsächlich krank.”

2. ARD/ZDF-Onlinestudie: Instagram löst Facebook ab, Facebook bereitet sich auf die US-Wahl vor
(socialmediawatchblog.de, Simon Hurtz)
Simon Hurtz hat sich die aktuelle ARD/ZDF-Onlinestudie durchgelesen und die wichtigsten Erkenntnisse für das (sonst kostenpflichtige) “Social-Media-Briefing” zusammengefasst. Er hat sich dabei schwerpunktmäßig auf Social Media konzentriert, geht aber auch auf die Ergebnisse ein, die eher klassische Medien betreffen – wie stets in übersichtlicher und gut strukturierter Form.

3. Muss guter Journalismus am Spielfeldrand bleiben?
(medienpolitik.net, Ortlieb Fliedner)
Der “Stern” wurde vielfach für seine Kooperation mit Fridays for Future gescholten. Das Standardargument dabei: Guter Journalismus dürfe sich nicht mit einer Sache gemein machen, auch nicht mit einer guten. Der Jurist Ortlieb Fliedner bringt ein Gegenargument in die Debatte ein. Zur Pressefreiheit gehöre auch der sogenannte Tendenzschutz, der parteiische Berichterstattung ausdrücklich zulasse: “Das bedeutet, dass der Verleger für seine Zeitung oder Zeitschrift eine publizistische Tendenz festlegen und diese gegenüber seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, also den Journalistinnen und Journalisten, auch durchsetzen kann.”

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4. Politik der leeren Gesten
(taz.de, Steffen Grimberg)
CSU-Chef Markus Söder hat sich öffentlich impfen lassen. Den Medienjournalisten Steffen Grimberg erinnert dies an andere PR-Aktionen von Politikern: So schwamm der damalige Umweltminister Klaus Töpfer öffentlichkeitswirksam im Rhein, und der britische Landwirtschaftsminister John Gummer verspeiste zu BSE-Zeiten vor laufenden Kameras einen Rindfleisch-Burger (“absolutely delicious”). Grimbergs Kommentar: “Trotz braver Berichterstattung der Medien sind das eben keine Heldengeschichten, sondern durchsichtige Inszenierungen.”

5. Viele Zahlen, wenig Kontext?
(deutschlandfunk.de, Isabelle Klein & Annika Schneider, Audio: 7:23 Minuten)
In ihrer Corona-Berichterstattung würden sich viele Medien oftmals nur auf die Zahl der Neuinfektionen fokussieren. Kritiker könnten einwenden, dass die Zahlen in einen Kontext eingebettet werden müssen, um Einordnung und Interpretation zu ermöglichen. Auf welche Aussagen und Zahlen sollen sich Journalisten und Journalistinnen konzentrieren? Und haben die Redaktionen in den vergangene Monaten genug dazugelernt? Darüber spricht Isabelle Klein mit ihrem Deutschlandfunk-Kollegen, dem Wissenschaftsjournalisten Volkart Wildermuth.

6. Facebook löscht Hunderte Profile dubioser Trump-Förderer
(zeit.de)
Diese Woche hat Facebook schon bei den QAnon-Anhängern aufgeräumt und verkündet, dass man alle Seiten und Gruppen mit Verbindung zu der Bewegung entfernen werde. Nun hat die Social-Media-Plattform dem Treiben einer politischen Marketingfirma ein Ende bereitet und 200 Nutzerkonten mit gefälschten Identitäten sowie 55 Gruppen entfernt, die für US-Präsident Donald Trump Stimmung machten. Die Zahlen mögen klein klingen, aber den Angaben nach seien insgesamt rund 373.000 Facebook-Profile den gefälschten Konten oder Gruppen gefolgt.

Spitzenkräfte verlassen “SZ”, Wer macht mit?, Desinformationskrieg

1. Immer mehr Spitzenkräfte verlassen “SZ”
(deutschlandfunk.de, Michael Watzke, Audio: 5:10 Minuten)
“Aktuell ist es grauenvoll bei der ‘Süddeutschen’. Ich kenne kaum einen, der oder die mit Freude in die Hultschiner Straße fährt. Auf den Redaktionsfluren herrscht Misstrauen und Pessimismus. Jeder fragt sich: wer geht als nächstes?” Mit diesen Worten zitiert der Deutschlandfunk einen Redakteur der “Süddeutschen Zeitung”, der anonym bleiben will. Was passiert da gerade in München? Und warum verlassen so viele Spitzenkräfte das angesehene Blatt?

2. Im Desinformationskrieg
(journalist.de, Michael Kraske)
Die Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine ist auch deshalb so schwierig, weil er von Desinformation und Propaganda begleitet wird. Im Kampf um die Wahrheit über Bombardierungen und Kriegsverbrechen müsse der Journalismus sein ganzes Können aufbieten, so Michael Kraske in einem ausführlichen Text beim “journalist”. Dies reiche von “detektivischer Kleinarbeit bis zur großen Analyse”.

3. Russisches Satelliten-TV zeigt offenbar Antikriegsbotschaften
(spiegel.de)
Einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters zufolge haben Hacker Antikriegsbotschaften ins russische Fernsehen geschmuggelt – und das ausgerechnet am für das Putin-Regime so wichtigen Jahrestag des Sieges der Sowjetunion über Nazideutschland. Eine der Formulierungen habe “Ihr habt Blut an euren Händen” gelautet, eine andere: “Das Fernsehen und die Behörden lügen. Nein zum Krieg.”

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4. “Mit Militarismus hat das nichts tun”
(tagesspiegel.de, Senta Krasser)
Seit drei Jahren leitet Helge Fuhst die “Tagesthemen”-Redaktion bei ARD-aktuell in Hamburg. Senta Krasser hat ihm ein Porträt gewidmet und ihn gefragt, ob sich so etwas wie Kriegsmüdigkeit ausbreitet, wie Fuhst mit den schnellen News-Zyklen umgeht und wie er den Live-Auftritt der Band Die Ärzte bei den “Tagesthemen” einordnet.

5. Neues Handbuch zur Informationsfreiheit: Wer macht mit?
(fragdenstaat.de, Hannah Vos)
Die Transparenzinitiative “FragDenStaat” bittet um Unterstützung: “Gemeinsam mit der Initiative für offene Rechtswissenschaft OpenRewi suchen wir Interessierte, die an einem digitalen Publikationsprojekt zur Informationsfreiheit mitarbeiten wollen! Wir werden ein Handbuch planen, schreiben und diskutieren, das sich sowohl an Jurist*innen richtet, die im Bereich der Informationsfreiheit arbeiten, als auch eine Hilfestellung für Nicht-Jurist*innen bei der Erlangung von Informationen bieten soll.”

6. “Washington Post” gewinnt Pulitzer-Preis für Berichte über Sturm auf Kapitol
(sueddeutsche.de)
Die “Washington Post” hat für ihre Berichterstattung über den Sturm auf das Kapitol in der US-Hauptstadt im Januar 2021 den Pulitzer-Preis gewonnen. Eine besondere Erwähnung gab es für die Journalistinnen und Journalisten der Ukraine “für ihren Mut, ihre Ausdauer und ihr Engagement für wahrheitsgemäße Berichterstattung während Wladimir Putins so rücksichtsloser Invasion ihres Landes”.

“Dumm gelaufen”

“Bild” macht heute den Schriftsteller Andreas Maier in 28 schmalen Zeilen zum “Verlierer” des Tages und bezieht sich dabei auf eine Meldung der Nachrichtenagentur dpa vom gestrigen Donnerstag um 14.02 Uhr.

Es geht darin um ein neues Literaturstipendium der Stadt Potsdam, das nicht zuletzt darin besteht, dass einem von einer Jury ausgewählten Autor eine Zeit lang “ein angemessener Wohnraum” zur Verfügung gestellt wird. Darüber, dass sich der Wohnraum indes in einem Plattenbau befinden soll, hatte sich die Jury beschwert, woraufhin dann die Wohnungsunternehmen, die den Wohnraum zur Verfügung stellen wollten, ihr Angebot zurückzogen. Stipendiat für das Jahr 2004 ist übrigens besagter Andreas Maier, der laut dpa “äußerte, dass man Stipendiaten in der Regel in einem Schloss, einer Villa an der Ostsee oder einem aufgearbeiteten Bauernhaus, nicht aber in der ‘Platte’ wohnen lasse”. Und ganz ähnlich steht’s heute auch in “Bild”:

“Doch der Autor meckerte laut dpa: Stipendiaten lasse man in der Regel in einem Schloß oder einer Villa wohnen, nicht aber in der ‘Platte’. Da zogen die Wohnungsunternehmen ihr Angebot zurück.”

Dass dpa gestern bereits um 17.45 Uhr meldete, die Wohnungsunternehmen hätten “die der Stadt gegebene Zusage erneuert”, steht (anders als Oliver Kahns “Amoklauf” gegen 22.33 Uhr) nicht in “Bild”. Erstens. Zweitens “meckerte” Maier nicht. Wie bereits vor einer Woche in den “Potsdamer Neusten Nachrichten” nachzulesen war, reagierte er vielmehr “durchaus noch sehr humorvoll” bzw. “freundlich, mit allenfalls leicht ironischer Note” (“FAZ”) oder “zurückhaltend” (FAZ.net): Dem Potsdamer Blatt (auf das sich übrigens auch dpa bezog) sagte Maier nämlich auch, das umstrittene Wohnraum-Angebot habe ihn “erstaunt”. Nachdem aber selbst ein Schloss für Stipendiaten “nicht immer das Ideale” sei, sehe er “schon die Möglichkeit, sich auf die Platte am Stadtrand einzulassen”, denn:

Vielleicht leide ich da, vielleicht auch nicht. Aber es könnte ebenso gut auch sein, dass ich eine geräumige Altbauwohnung in der Innenstadt habe (…) und ich mich dort auch nicht wohl fühle.“

Dass das alles nicht in 28 schmale “Verlierer”-Zeilen passt, ist klar. Dass “Bild” die ganze Sache ja ohnehin bloß mit dem Hinweis “laut dpa” verbreitet hatte, auch. Nur schrieb doch “Bild”-Chef Kai Diekmann kürzlich an seine Mitarbeiter:

“Wer sich bei heiklen Themen auf andere verläßt und keine eigenen Recherchen anstellt, paßt nicht zu uns. (…) Wer bei anderen abschreibt und dabei nicht mal in der Lage ist, Namen oder Fakten richtig abzuschreiben, gehört nicht zu BILD!”

Bleibt also die Frage, weswegen Maier überhaupt zum “Verlierer” wurde – und der Anfang des “Verlierer”-Textes. Er lautet:

“Dumm gelaufen”

Autojournalismus

Der Autohersteller Audi ist begeistert von seinen neuen LED-Scheinwerfern und ihren Möglichkeiten. “Spiegel Online” auch.

Wie weit die gemeinsame Begeisterung geht, entdeckt man, wenn man eine Pressemitteilung von Audi mit “umfangreichem Hintergrundmaterial zum Thema ‘LED-Technologie und Licht-Design'” mit einem “Spiegel Online”-Artikel zum “Techniktrend LED-Licht” vergleicht:

Audi-PR: “Spiegel Online”-Artikel:
Die Erfolgsstory begann vor 5 Jahren in Detroit. Audi präsentierte auf der North American International Auto Show die Konzeptstudie Pikes Peak quattro. Das elegante SUV, Vorbild für den späteren Audi Q7, beeindruckte mit den ersten Nebelscheinwerfern der Welt, die mit Hochleistungs-Leuchtdioden bestückt waren. Vor rund fünf Jahren zeigte Audi in Detroit die Studie Pikes Peak Quattro, aus der später der Geländekoloss Q7 wurde. Die Studie verfügte über die weltweit ersten Nebelscheinwerfer mit LED-Technik.
Ein gutes Frontbild mit markanten Leuchten macht das Auto, seinen Charakter und die Marke auf den ersten Blick unverwechselbar. (…) Nun aber lassen die unterschiedlichen Formen des LED-Tagfahrlichts auch eine Unterscheidung der einzelnen Modelle zu – und das sogar bei Nacht. (…) Das wohl bekannteste Beispiel im Heckbereich sind die Rückleuchten des Audi A6 Avant. Die ringförmig angeordneten Leuchtdioden haben sich genauso zum prägnanten Wiedererkennungsfaktor entwickelt wie das geschwungene LED-Tagfahrlicht in der Front des Audi A4. Ob bei Konzeptautos wie einer kürzlich gezeigten A1-Studie oder Serienfahrzeugen – die LED-Technik soll Audi-Modelle insbesondere bei schlechten Sichtverhältnissen oder bei Nacht unverwechselbar machen. Das gelingt zum Beispiel durch den feschen Schwung des Tagfahrlicht-LED-Bandes beim Audi A4 oder durch die charakteristischen Leuchtquader in den Heckleuchten des Audi A6.
Licht emittierende Dioden – kurz LEDs genannt – sind einen Quadratmillimeter kleine Halbleiter (…) und unschlagbar effizient, wenn es um den Energieverbrauch geht. Bereits heute haben Xenon- und LED-Scheinwerfer eine 4-fach höhere Energieeffizienz als Halogenschweinwerfer. (…) Zudem glänzen LEDs durch eine fast unbegrenzte Lebensdauer (…). Licht emittierende Dioden, kurz LEDs genannt, sind besonders klein, haltbar und sparsam. Im Vergleich zu Halogenscheinwerfern weisen aktuelle LEDs eine etwa viermal höhere Energieeffizienz aus.
Doch LEDs vermögen noch mehr. Sie können auch den Kraftstoffverbrauch des Fahrzeugs reduzieren. Wenn im Mai 2011 in ganz Europa die Tagfahrlichtpflicht eingeführt wird, haben Audi-Modelle mit LED-Technologie an Bord die Nase vorn. (…) Dabei verbrauchen klassisches Abblendlicht, Rückleuchten und Kennzeichenbeleuchtung rund 200 Watt Leistung, welche die Lichtmaschine ständig erzeugen muss. Zum Vergleich: Das moderne LED-Tagfahrlicht des neuen Audi A4 braucht nur 15 Watt Leistung (…) Unter dem Strich entspricht das einer Ersparnis von rund 0,2 Liter Benzin pro 100 km und somit rund 4 g weniger CO2-Emission pro km. Letztlich, so die Audi-Techniker, helfe LED-Licht beim Spritsparen. Vor allem, wenn ab Mai 2011 in ganz Europa die Tagfahrlichtpflicht eingeführt wird. Wer dann mit klassischem Abblendlicht, Rücklicht und Kennzeichenbeleuchtung unterwegs ist, benötigt stetig rund 200 Watt Leistung, die von der Lichtmaschine des Autos erbracht werden müssen. Das LED-Tagfahrlicht eines Audi A5 jedoch komme mit 15 Watt aus. “Unter dem Strich entspricht das einer Ersparnis von 0,2 Liter Benzin pro 100 Kilometer sowie rund 4 Gramm weniger CO2-Emission pro Kilometer”, heißt es bei Audi.
Neben dem markanten Design ist die Energieeffizienz ein weiterer Grund sich für das Hightech-Licht zu entscheiden. So ordern inzwischen mehr als die Hälfte aller Käufer eines Audi A3 oder A4 das Tagfahrlicht mit LED-Technik. Spritverbrauch und Schadstoffausstoß des Wagens sinken, das ist lobenswert. Was Audi jedoch noch mehr freuen dürfte ist, dass der Umsatz klettert. Denn LED-Tagfahrlicht, das inzwischen von mehr als der Hälfte aller Käufer eines neuen Audi A3 oder A4 bestellt wird, ist natürlich aufpreispflichtig.
Die nächste Generation weißer Hochleistungs-LED, die im kommenden Jahr auf den Markt kommt, wird mit gigantischen 100 Lumen pro Watt aufwarten und erstmals die Effizienz des Xenonlichts schlagen. Dahinter verbirgt sich eine rasante Entwicklung. “Leuchtdioden sind vergleichbar mit Computerchips. Alle 2 Jahre gibt es eine Leistungssteigerung von rund 30 Prozent”, sagt Berlitz (…). Die nächste Generation weißer Hochleistungs-LED, die im kommenden Jahr auf den Markt kommt, werde erstmals die Effizienz des Xenonlichts schlagen, erklärt Stephan Berlitz, Leiter der Lichttechnik und Elektronik bei Audi. “Leuchtdioden sind vergleichbar mit Computerchips. Alle zwei Jahre gibt es eine Leistungssteigerung von rund 30 Prozent”, sagt Berlitz.
Digitales Licht, wie Berlitz die neue Lichttechnologie nennt, lässt sich mit Hilfe der Elektronik in seiner Helligkeit flexibel verändern und exakt an die Bedürfnisse des Autofahrers anpassen. (…) So befindet sich bereits ein Fernlicht in der Vorserienentwicklung, das Autofahrer blendfrei über nächtliche Straßen führen soll. Es funktioniert über eine variable Lichtverteilung: Die Elektronik erkennt den Abstand zum entgegenkommenden Fahrzeug und sorgt dafür, dass die Fläche davor permanent optimal ausgeleuchtet ist. Er spricht im Zusammenhang mit den kommenden Lichtquellen gern von “digitalem Licht”. Das soll sich künftig in seiner Helligkeit flexibel steuern lassen und stets den Sichtverhältnissen in der jeweiligen Situation des Autofahrers angepasst werden. Bereits in der Vorentwicklung befindet sich ein LED-Fernlicht, das Autofahrer blendfrei durch die Nacht führen soll, weil entgegenkommende Fahrzeug von der Steuerelektronik erkannt und die Lichtintensität entsprechend variiert wird.
Die Gestaltung des Lichtstreifens unterstreicht dabei den Charakter der Fahrzeuge wie der Lidstrich bei einem Auge. Damit ändert sich die “Körpersprache” der Audi-Modelle grundlegend: “Früher wirkte das Lichtschema, also der Kühlergrill in Kombination mit den runden Leuchten, eher wie das Gesicht eines freundlichen Bären”, sagt André Georgi, Senior Designer Lichtsysteme. Heute: “(…) das LED-Tagfahrlicht beim R8 zeichnet die Hörner eines Stiers (…)” Die Modelle erhielten durch die neuen Scheinwerfer eine ganz andere Körpersprache, sagt André Georgi, Lichtsystem-Designer in Ingolstadt. “Früher wirkte das Lichtschema, also der Kühlergrill in Kombination mit den runden Leuchten, eher wie das Gesicht eines freundlichen Bären.” Das sei nun anders geworden. Georgi. Im LED-Tagfahrlicht des R8 erkennt er einen Stier.

Erstaunlich ist allerdings, dass der LED-Artikel bei “Spiegel Online” schon am vergangenen Freitag veröffentlicht wurde, die LED-Pressemappe von Audi mit denselben Zitaten von Audi-Mitarbeitern sowie teils wortgleichen Formulierungen und Erklärungen aber erst gestern. So ganz genau mag Audi-Pressesprecher Tilman Schneider das nicht erklären. Es sei aber nicht so, dass man “Spiegel Online” die fertige Pressemappe für den Artikel vorab zur Verfügung gestellt habe, sagt er uns auf Anfrage. Es sei eher so, dass sich halt beide für das Thema interessiert hätten.

Wie auch immer: Der einzige Gedanke in dem ganzen “Spiegel Online”-Artikel, der nicht in der Pressemappe von Audi vorkommt, ist der kurze Hinweis, dass durch die tollen neuen LEDs auch der Umsatz von Audi steigt, weil das Tagfahrlicht Aufpreis kostet.

Mit Dank an Medienrauschen!

“Bild” macht Wessi aus Sandmännchen

Jürgen Helfricht, der Mann, der für “Bild” aus Katzen Benzin macht, kennt sich damit aus, anderen Sand in die Augen zu streuen.

Und so schrieb Helfricht gestern unter der (insbesondere in den ostdeutschen “Bild”-Ausgaben, in denen die folgende Geschichte ausschließlich zu lesen war) berückenden Überschrift…

"Sandmann in den Westen verkauft"

… dass “der Osten” ab 1. April “die Lizenz für seinen größten TV-Liebling” verliere:

Generationen von Kindern brachte Sandmännchen (…) seit 1959 ins Bett. Und bis heute schalten ihn täglich 1,5 Mio. Fans ein. Genauso erfolgreich ist der TV-Knirps als Märchenfigur auf den Bühnen zwischen Rügen und Fichtelberg.

Doch damit ist jetzt Schluss. Ausgerechnet zum 50. Sandmann-Geburtstag hat der RBB die Sandmann-Lizenz in den Westen verkauft. Und zwar an das Kölner Theater Cocomico.

(…) Der Vertrag läuft vorerst zwei Jahre. Danach können wir wieder auf unseren Sandmann hoffen!

Schnüff. Beziehungsweise so irreführend, dass der öffentlich-rechtliche RBB gestern bei Helfricht anrief, um ihn darauf hinzuweisen.

“Sächsische Zeitung” vom 21.2.2009:

“Der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) hat die Lizenz an den Aufführungsrechten neu vergeben. (…) Die Ausstrahlung im Fernsehen bleibt von den Aufführungsrechten unbeeinflusst.”

Denn “verkauft” (im Sinne von neu vergeben) hat der Sender, wie uns heute ein RBB-Sprecher auf Anfrage sagt, “ausschließlich die Musical-Rechte” fürs Sandmännchen, mehr nicht. Für Figur, Sendung usw. bleibt alles wie gehabt – was, wie offenbar auch “Bild”-Mann Helfricht wusste, zwei Tage vor “Bild” auch schon in der “Sächsischen Zeitung” stand (siehe Kasten). Statt bislang jährlich 10 Sandmännchen-Aufführungen im Osten Deutschlands soll es ab August 60 Aufführungen in zwei Jahren geben – in Bonn und Bergisch Gladbach, aber auch in Potsdam, Berlin, Neubrandenburg, Frankfurt/Oder, Gera, Rostock, Schwerin, Dresden …

Genutzt hat der RBB-Anruf bei Helfricht wenig.

Denn heute berichtet er in “Bild” wieder über das Sandmännchen:

Der schnelle Verkauf unseres Sandmännchens in den Westen – Tausende Kinder zwischen Rügen und Fichtelberg sind traurig. (…) “Die Entscheidung, die Lizenz nach Köln zu geben, ist uns nicht leicht gefallen”, räumt RBB-Sprecher Ralph Kotsch (48) ein.

Letzteres sei übrigens, wie uns der RBB-Sprecher glaubhaft versichert, ein Satz, den “Bild”-Mann Helfricht “komplett frei erfunden” habe. Er selbst habe das “nie gesagt” – nicht zuletzt deshalb nicht, weil das Sandmännchen im Westen ohnehin längst so beliebt ist wie, ähm, “zwischen Rügen und Fichtelberg” und 20 Jahre nach dem Mauerfall eigentlich nicht zum Ost-West-Konflikt tauge.

Compact, Polishing, Bollywood

1. Scheue Angstmacher
(taz.de, Erik Peter)
Erik Peter hat sich mit einem der Mitgründer und ehemaligen Gesellschafter des Monatsmagazin „Compact“ getroffen, dem deutschen Konvertiten und Herausgeber der Islamischen Zeitung Andreas Abu Bakr Rieger. Anlass war die Erfolgsgeschichte des umstrittenen Blatts, dessen Auflage sich in den letzten zwei Jahren mehr als verdoppelt hat (zurzeit 80.000). Außerdem hat er das Magazin auf der Buchmesse besucht und im Nachgang dazu mit einem Soziologen über das Phänomen gesprochen.

2. Die Internationale der Schnüffler
(nzz.ch, Ronnie Grob)
Bisher hätten sich meist Einzeltäter einen Namen als Enthüller von Missständen gemacht. Nun würden investigative Journalisten vermehrt im Kollektiv arbeiten. Was sie schlagkräftiger mache, aber auch Risiken berge, so Ronnie Grob in seinem Artikel für die “NZZ”. Darin äußert sich der Leiter des Schweizer Recherche-Desks Oliver Zihlmann auch zum vielfach erhobenen Vorwurf, die Panama-Papers würden Amerikaner ausklammern: “In den ‹Panama Papers› sind viele Hinweise auf kriminelle Aktivitäten in den USA, sogar wesentlich mehr als in vielen anderen Ländern. US-Politiker dagegen sind tatsächlich kaum dabei, denn die nutzen eigene Steueroasen wie zum Beispiel Delaware.”

3. Michael Klarmann: „Für Rechtsextreme ein personifiziertes Feindbild“
(augenzeugen.info, Anna-Maria Wagner & Frank Überall)
Der Journalist Michael Klarmann berichtet seit vielen Jahren vor allem über die rechtsextreme Szene in Nordrhein-Westfalen. Auch in Vorträgen gibt er seine Erfahrungen weiter und berichtet über die zunehmenden Schwierigkeiten in diesem speziellen Feld der Berichterstattung. Im Interview spricht er über die Herausforderungen seiner Arbeit, zu denen Bedrohungen und körperliche Übergriffe zählen.

4. Die Grenze im Kopf
(taz.de, Anne Fromm & Jürn Kruse)
Die Autoren berichten von einer besorgniserregenden Entwicklung in unserem Nachbarland: Seit in Polen die Regierung die öffentlich-rechtlichen Medien umbaue, ginge bei polnischen Journalisten die Angst um. Ende 2015 hätte die neue Regierung ein Gesetz durch das polnische Unterhaus und den Senat gepeitscht, nach dem öffentlich-rechtliches Radio und Fernsehen künftig „nationale Kulturinstitute“ werden, an deren Spitze ein vom Schatzminister ernannter Chef stehe. Die Regierung könne die Medien so direkt kontrollieren.

5. „Nach der Fußball-EM holen wir uns die Frauen“
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
Die milliardenschwere indische Essel Group startet im Juni In Deutschland einen frei empfangbaren Bollywood-Sender. “Zee One” soll der Kanal heißen, der sich vor allem an Frauen im Alter von 19 bis 59 Jahren richtet. Die Pläne des Senders sind ambitioniert. Man habe einen Programmschatz von 3.500 Bollywood-Filmen und damit den größten Filmbestand dieses Genres. Jeden Tag gebe es drei Filme in Erstausstrahlung. Derzeit laufe die Synchronisation auf Hochtouren. Man habe gleich mehrere Studios in Deutschland beauftragt.

6. Beliebte Instagram-Accessoires – #faceswap
(dailybreadmag.de)
Das “DailyBreadMag” hat erstmals die Gesichtertausch-Apps für sich entdeckt und stellt einige gelungene und weniger gelungene Faceswaps von Instagram-NutzerInnen vor.

Twitterfakes, Die Affäre Silberstein, ARD-ZDF-Fusion erstrebenswert?

1. Zahlreiche Fake News auf Twitter
(faktenfinder.tagesschau.de, Patrick Gensing)
Bei Extremsituationen wie Anschlägen, Naturkatastrophen oder Unglücksfällen dient Twitter oft als Kommunikationskanal, um beispielsweise wichtige Informationen von Polizei oder Feuerwehr zu verbreiten. Doch gleichzeitig kursieren Gerüchte, Halbwahrheiten und Lügen. So auch beim gestrigen Massaker in Las Vegas. Patrick Gensing hat sich nach dem Attentat auf Twitter umgesehen.
Weiterer Lesetipp: Auch bei “Spiegel Online” hat man sich mit der “Fake-Flut” nach dem Attentat in Las Vegas beschäftigt.

2. Die Affäre Silberstein
(falter.at, Barbara Toth & Florian Klenk & Josef Redl & Nina Horoczek)
Ein SPÖ-Berater soll in Österreich mit einer geheimen “Spezialeinheit” im Auftrag seiner Partei auf Facebook eine Schmutzkampagne gegen ÖVP-Spitzenkandidat Sebastian Kurz betrieben haben. Der “Falter” hat versucht, mit allen Beteiligten zu sprechen. Anschließend hat man den Skandal in 20 Fragen und Antworten aufgearbeitet. So gut es nach jetzigem Kenntnisstand ging.

3. Interpol muss politischen Missbrauch abstellen
(reporter-ohne-grenzen.de)
“Reporter ohne Grenzen” fordert die internationale Polizeiorganisation Interpol zu schnellen Reformen auf, um den zunehmenden Missbrauch ihrer Fahndungsaufrufe durch repressive Regierungen zu verhindern: “Niemand sollte in ein Land ausgewiesen werden, in dem ihm ein unfairer Prozess oder gar Folter drohen, und kein kritischer Journalist sollte wegen eines willkürlichen Fahndungsaufrufs bei jeder Auslandsreise in ständiger Angst vor Verhaftung leben müssen. Interpol darf sich nicht zum Handlanger autoritärer Regime bei der Verfolgung unliebsamer Journalisten machen lassen.” Dazu auch ein Lesetipp aus dem Jahr 2015 vom “SZ-Magazin”: “Der viel zu lange Arm des Gesetzes”.

4. Google kommt Verlagen bei Bezahl-Artikeln entgegen
(zeit.de)
Viele Paywalls lassen sich derzeit über eine Google-Suche umgehen. Das soll sich nun ändern, denn Google will die Verlage selbst entscheiden lassen, wie viele bezahlpflichtige Artikel Nutzern kostenfrei zur Verfügung gestellt werden. Das neue Modell habe Google zusammen mit vielen Verlagen entwickelt, auch mit der “New York Times” und der “Financial Times”.

5. Warum ARD und ZDF fusionieren sollten
(handelsblatt.com, Hans-Peter Siebenhaar)
ARD und ZDF haben Sparvorschläge vorgelegt, doch für Handelsblatt-Kolumnist Hans-Peter Siebenhaar handelt es sich nur um kosmetische Korrekturen. Die Politik sei gefordert, das “verkrustete und ineffektive” Rundfunksystem zu reformieren. “Im digitalen Zeitalter braucht niemand mehr eine mediale Grundversorgung durch staatsnahe Rundfunkanstalten mit einem beamtenähnlichen Pensionssystem.” Eine Möglichkeit, die Rundfunkgebühr nachhaltig zu senken, sei die Zusammenlegung von ARD und ZDF.

6. Mehr als 500 Podcasts von und mit Frauen in Deutschland
(netzpolitik.org, Markus Reuter)
Sind Podcasts vor allem eine Männerdomäne? Weit gefehlt! Die Medienforscherin Nele Heise pflegt eine Datenbank, in der mehr als 500 aktive Podcasts und Podcastformate gelistet sind, an denen Frauen beteiligt sind. Die Angebote der öffentlich-rechtlichen Sender seien dabei noch nicht einmal mitgezählt. Leider würden Podcasts von Frauen im medialen Diskurs weitgehend unberücksichtigt werden. Podcasterinnen kämen kaum als Interviewpartnerinnen, kaum bei Vorstellungen des Formats Podcast und selten in Bestenlisten vor.

Frauenstimmen, US-Zoll-Harakiri, “Emma” und der Beifall von rechts

1. “Ich würde mich an ihrer Stelle nicht verbiegen”
(spiegel.de, Julia Köppe)
Dass Sportreporterin Claudia Neumann Spiele der Fußball-WM kommentiert, empfinden manche Männer geradezu als einen Frevel. Weil sie Frauen wie Neumann grundsätzlich die Kompetenz absprechen, andererseits weil sie angeblich ihre Stimme nicht mögen. Im Interview mit “Spiegel Online” erklärt ein Sprachforscher und Spezialist für den Stimmapparat, welche Rolle Sexismus dabei spielt. Und rät der Moderatorin bei ihrer Stimme zu bleiben und nicht absichtlich tiefer zu sprechen: “Auf keinen Fall, denn das wäre nicht authentisch und davon leben doch die Live-Kommentare. Die Zuschauer würden den Unterschied sehr schnell spüren. Frau Neumann würde dadurch weniger glaubwürdig, und das ist ja genau das, was ihr einige Kritiker vorwerfen. Ich würde mich an ihrer Stelle nicht für einige Hörererwartungen verbiegen.”

2. Titel-Framing, Facebook und die Medien
(deutschlandfunk.de, Stefan Koldehoff, Audio, 23:23 Minuten)
Beim “Deutschlandfunk” gibt es die komplette Mediensendung “mediasres” zum Nachhören. Unter anderem mit Beiträgen über die AfD und die Medien, das Titel-Framing der letzten “Spiegel”-Ausgabe, das Verhältnis von Facebook und den Medien und die mittlerweile ins dreißigste Jahr gehenden ZDF-Sommerinterviews.


3. Das ist eine spannende Frage, aber ich werde mich dazu nicht äußern.
(planet-interview.de, Jakob Buhre)
Jakob Buhre hat auf “Planet Interview” eine Pressekonferenz der ARD zusammengefasst und in Teilen dokumentiert. Gegenstand der Pressekonferenz waren u.a. der Telemedienauftrag, gemeinsame Plattformen mit privaten Anbietern, Sponsoring, Rundfunklizenzen, Angela Merkels erneutes Solo bei Anne Willm und warum die ARD von der FIFA die WM-Übertragunsrechte kauft.

4. “Die Zölle werden Entlassungen quer durch die amerikanische Zeitungslandschaft zur Folge haben”
(sueddeutsche.de, Beate Wild)
Weil sich eine amerikanische Papiermühle über die Subventionierung von Papierherstellern im benachbarten Kanada beschwerte, hat die US-Regierung kanadisches Papier mit Zöllen von bis zu 32 Prozent belegt. Wie so oft, ohne die Folgen zu bedenken, denn durch den Kostenanstieg droht einigen amerikanischen Tageszeitungen das Aus.

5. „Emma“ und der Beifall von rechts
(uebermedien.de, Laura Lucas)
Der Kommunikationswissenschaftler Luca Hammer hat sich für den Verein “Fearless Democracy” mit der Frage beschäftigt, ob die Zeitschrift “Emma” auch ein rechtes Publikum bedient, ob gewollt oder ungewollt. Dazu hat er sich die Follower von @EMMA_Magazin auf Twitter angesehen und ausgewertet. Zum Vergleich hat er feministische Magazine wie das “Missy Magazine” oder das österreichische “an.schläge” herangezogen. Der Datenanalyst konnte nachweisen, dass es ein rechtes Interesse an “Emma” gibt, das zudem wachse. Laura Lucas macht als einen Grund dafür die Berichterstattung der “Emma” verantwortlich und schreibt: “Eben weil gerade Rechtspopulisten die einfachen Antworten so lieben, sollten Medien differenziert berichten — auch feministische. Das schützt zwar nicht vor einer Vereinnahmung von rechts. Was in die Agenda passt, das wird instrumentalisiert. Umso mehr aber sollte es die Aufgabe eines feministischen Magazins sein, die Strategien der Rechtspopulisten zu entlarven.”

6. Robin Alexander ist gerade der wohl krasseste Politikreporter Deutschlands und hier steht warum
(buzzfeed.com, Karsten Schmehl)
Karsten Schmehl hat eine Theorie entwickelt, wie der allgegenwärtige Politikreporter Robin Alexander Deutschlands wichtigsten Politikern so nah kommen kann. Und er kann sie auch noch teen-gerecht im “Buzzfeed”/”Bento”-Style erklären: “Ich mache oft Spaß hier auf BuzzFeed, aber dieser Post ist kein Spaß. Ernsthaft: Der WELT-Reporter Robin Alexander ist aktuell der wohl krasseste Politikreporter, den Deutschland hat — und hoffentlich kann ich dir hier klar machen, warum.”

Seevetaler Sockenpuppen, Melange des Grauens, Verpushtes vom ZDF

1. Er wäre gern Karl May
(faz.net, Andrea Diener)
Der Schweizer “Tagesanzeiger” hat herausgefunden, dass sich jemand mit mehreren Fake-Accounts über die Wikipedia-Seite des “Spiegel”-Fälschers Claas Relotius hergemacht hat. Das durchsichtige Ziel des “Sockenpuppen-Kartells”: Die Taten des Fälschers zu relativieren, gar zu glorifizieren. Einiges deute darauf hin, dass der Wikipedia-Fälscher mit seinen Fake-Accounts vom norddeutschen Seevetal aus operierte, nur wenige Kilometer entfernt von Tötensen, dem Heimatort von Claas Relotius.

2. Was wir wollen
(berliner-zeitung.de, Silke und Holger Friedrich)
Mit dieser Leseempfehlung tue ich mich etwas schwer: Einerseits ist es spannend zu erfahren, was das Verlegerpaar Silke und Holger Friedrich mit seiner Neuerwerbung “Berliner Zeitung” vorhat. Andererseits ist der Text eine krude Mischung aus Schüleraufsatz, Regierungserklärung und naivem bis zweifelhaften Politmanifest, dem ein straffes Redigat gutgetan hätte. Die “Salonkolumnisten” bezeichnen den Text gar als “ostdeutsche Melange des Grauens aus Mahnmalstolz, Rammsteinpromo, Diktatorendank und Politikerbeleidigung”: “Die fünf dämlichsten Sätze aus dem komplett bekloppten Manifest von Holger und Silke Friedrich”.

3. “Meinungsfreiheit muss man benutzen”
(sueddeutsche.de, Theresa Hein)
Im Interview mit dem ZDF-Journalisten Claus Kleber geht es um das angeblich bedrohte Recht auf freie Meinungsäußerung und die Freude an Dialog, Widerspruch und Streit. Und es geht um die Debatte um Begriffe, die Kleber für partiell unnötig hält: “Wir streiten, ob man Studierende sagt oder noch besser Studentinnen und Studenten, anstatt zum Beispiel tatsächlich etwas gegen die Benachteiligung vor allem von weiblichen Studierenden im Universitätsalltag zu tun. Man streitet sich gerne über die Worte, wo man sich eigentlich um die Sache kümmern sollte.” Man möchte Claus Kleber entgegnen, dass es durchaus möglich ist, das eine zu tun, ohne das andere zu lassen.

4. Keynote: Ingrid Brodnig . Wie wir die Macht im Netz zurückerobern
(zuendfunk-netzkongress.de, Ingrid Brodnig, Video: 45:24 Minuten)
Wie ist es dazu gekommen, dass der Facebook-Algorithmus das mächtigste journalistische Medium der Welt wurde? Ein Algorithmus, der entscheidet, was 1,5 Milliarden Menschen jeden Tag zu sehen bekommen. In dem Vortrag von Ingrid Brodnig geht es um “Walled Gardens”, Herden- und Netzwerk-Effekte, die Sicherung von Marktdominanz durch Firmenübernahmen und die Frage, mit welchen Tricks die marktbeherrschenden Unternehmen sonst noch arbeiten. 45 Minuten, die sich lohnen.

5. “Dann wird Ihre linkisideologische Propaganda ein Ende finden”
(bliq-journal.de, Fabian Goldmann)
Es gibt bestimmte Themen, bei denen Journalistinnen und Journalisten besonders viel Ablehnung entgegenschlägt. Eines dieser Themen ist die Berichterstattung rund um den Islam. Als das Online-Medium “Thüringen 24” beispielsweise über den Moscheebau in einem Erfurter Gewerbegebiet berichtete, füllten sich die Kommentarspalten augenblicklich mit Hass und Hetze. In Thüringen habe sich eine islamfeindliche Gruppe gebildet, die von “Diffamierungen der Lügen- und Lückenpresse” spricht und ihre Mitglieder gegen die Medien aufhetze.

6. Liebes @ZDFheute, macht sowas bitte nie wieder
(twitter.com, Helge Braun)
Kanzleramtsminister Helge Braun bekam den Schreck des Jahres: Das ZDF meldete ihm (und vielen anderen) per Push-Nachricht, dass Kanzlerin Angela Merkel ihr neues Kabinett vorstellt: “Blöd, wenn man Kanzleramtsminister ist und davon nix weiß.” Was war passiert? Das ZDF hatte versehentlich die alte Meldung “Merkel stellt Kabinett-Kandidaten vor” auf die Handys der “ZDFheute”-Nutzer gepusht. Für den Minister war es ein heftiger, aber kurzer Schreck: Das ZDF schickte schnell eine weitere Meldung hinterher und stellte den Fehler auf seiner Korrekturseite richtig.

Burdas Gegenverdarstellung, EuGH-Urteil, Gegen Rechtsextremismus

1. “Mit diesem Urteil ist es nicht vorbei”
(zeit.de, Lenz Jacobsen)
Ein türkisches Gericht hat den “Welt”-Journalisten Deniz Yücel in Abwesenheit zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Yücel hatte wegen seiner journalistischen Arbeit bereits 2017 in der Türkei in Haft gesessen und konnte nach einem Jahr endlich nach Deutschland ausreisen. “Zeit Online” hat mit ihm über das Gerichtsurteil, das türkische Rechtssystem und die vielen anderen politisch motivierten Gerichtsprozesse in der Türkei gesprochen.
Weiterer Lesehinweis: Anlässlich des gegen ihn ergangenen Hafturteils schreibt Yücel in der “Welt”: “Mich schmerzt es, dass dieses großartige Land unter diesem autoritären, islamistisch-nationalistischen, vor allem aber kriminellen Regime leidet. Ich bin frei; Hunderte Journalisten und andere aus politischen Gründen Inhaftierte sind es nicht. Und Millionen in diesem Freiluftgefängnis Tayyipistan sind es auch nicht.”

2. Streit um Gegendarstellung – Burda verliert erneut vor Gericht
(badische-zeitung.de, Hubert Röderer)
Der Burda-Verlag und die dort erscheinende “Freizeit Revue” haben die Gerichte zweimal in derselben Sache beschäftigt. Beide Male ging sie zu Ungunsten von Burda aus: In Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Schlagersängerin Helene Fischer war die “Freizeit”-Postille zum Abdruck einer Gegendarstellung gezwungen worden. Doch damit war die Angelegenheit nicht vom Tisch, denn Burda hatte die Gegendarstellung mit einem Zusatz versehen. Nun müsse die “Freizeit Revue” ein weiteres Mal gegendarstellen oder beim Oberlandesgericht Rechtsmittel einlegen.

3. Diese irreführenden Cookiebanner habe ich auch echt satt.
(twitter.com, Caspar M. Mierau)
Websitebetreiber müssen sich bei ihren Nutzerinnen und Nutzern das Einverständnis für Cookies holen beziehungsweise sie über deren Einsatz informieren. Viele Seiten, darunter auch renommierte Medienseiten, verwenden dazu Dialogfenster, bei denen man fast Täuschungsabsicht unterstellen könnte. Caspar M. Mierau zeigt dazu auf Twitter ein Beispielbild: “Diese irreführenden Cookiebanner habe ich auch echt satt. Vorauswahl: essenzielle Banner. Großer grüner Knopf darunter aktiviert aber alle. Man muss statt dessen den grauen darunter benutzen. Gezielte Irreführung durch UX-Antipattern. Dieser hier ist von @DIEZEIT.”

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4. EuGH kippt Privacy Shield
(taz.de, Christian Rath)
Der Europäische Gerichtshof hat in seiner jüngsten Entscheidung das EU-US-Datenschutz-Abkommen Privacy Shield gekippt. Auf dieser Grundlage dürften Unternehmen wie Facebook nun keine Daten mehr in die USA transferieren, so der rechtspolitische “taz”-Experte Christian Rath. In seinem Artikel ordnet Rath das Urteil ein, das es ohne die Klage des österreichischen Datenschutz-Aktivisten Max Schrems nicht gegeben hätte.

5. Es kann keine ideologiefreien Filme geben – Im Gespräch mit Wolfgang M. Schmitt
(diefreiheitsliebe.de, Julius Jamal)
Wolfgang M. Schmitt ist ein Filmkritiker, dessen Besprechungen sowohl in althergebrachten Medien als auch auf seinem Youtube-Kanal “Filmanalyse” erscheinen. Im Interview erzählt Schmitt von seiner Funktion als Ideologiekritiker und spricht über Mainstreamproduktionen, Law and Order, Diversität und den Kampfplatz Youtube.

6. Wie Online-Plattformen gegen Rechtsextremismus vorgehen
(deutschlandfunk.de, Isabelle Klein)
Von “Deplatforming” ist die Rede, wenn Social-Media-Netzwerke bestimmten Personen oder Gruppen die Plattform entziehen, also deren Konten, Profile oder Kanäle sperren beziehungsweise löschen. In der letzten Zeit passierte dies vor allem bei rechtsextremen Accounts wie denen der “Identitären Bewegung”. Isabelle Klein ist für den Deutschlandfunk der Frage nachgegangen, welche Auswirkungen die Sperr-Strategie im Kampf gegen Rechtsextremismus hat.

“Closed Loop System”, “schlimmer Fehler” der “Welt”, Top-Strände

1. Olympische Spiele in Peking: Zu Gast im Überwachungsstaat
(derstandard.at, Lukas Zahrer)
Lukas Zahrer ist für den österreichischen “Standard” in Sachen Olympiaberichterstattung in China. Er erzählt von seinen Lebens- und Arbeitsbedingungen im “Closed Loop System”, wo ihm jeder Kontakt mit der Außenwelt verboten ist. Seinen Kollegen und Kolleginnen vor Ort gehe es nicht anders: “Andere Journalisten wohnen so nahe beim Pressezentrum, sie können es vom Hoteleingang aus sehen. Trotzdem dürfen sie nicht die 200 Meter zu Fuß gehen, sondern müssen den Bus nehmen. Darin befinden sich vier Überwachungskameras, die Fahrerkabine ist mit einer transparenten Wand aus Plastik vom Gästebereich abgetrennt. Kommunikation mit dem Fahrer ist nicht erwünscht.”

2. “Welt” entschuldigt sich für “schlimmen Fehler”
(sueddeutsche.de)
In einem Kommentar von Chefredakteur Ulf Poschardt stand in einer früheren Version bei Welt.de: “unbescholtene Bundeswehr-Offiziere wie Marcel Bohnert” müssten sich “von super Holocaust-Überlebenden und deren PR-Abteilungen” in die braune Ecke treiben lassen. Als sich gegen diese Formulierung Protest erhob, erklärte die “Welt”-Redaktion, es habe “von superlinken Aktivistinnen und deren PR-Abteilungen” heißen sollen, und erklärte das Ganze mit Fehlern bei der digitalen Produktion.

3. Australiens “best beaches” und der Sinn und Unsinn von Top-10-Listen
(riffreporter.de, Julica Jungehülsing)
Julica Jungehülsing arbeitet als freie Journalistin in Australien und erlebt dort eine besondere Begeisterung von Medien für Top-10-Listen. Am Beispiel einer Aufzählung von tollen Stränden macht sie deutlich, wie zweifelhaft das Genre ist und welche fatalen Folgen daraus erwachsen können, zum Beispiel für den kleinen Küstenort Hyams in New South Wales und die 100 Menschen, die dort leben: “Täglich (wenigstens in Zeiten, in denen Grenzen offen sind) ergießen sich Busladungen von Touristen an ihrem kleinen Strand, um per Instagram oder sonstigem Foto vom ‘Weißesten Strand der Welt’ zu grüßen. Besonders clever ist das nicht, gut für die Umwelt auch nicht.”

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4. Joe Rogan erneut in der Kritik
(taz.de)
Der bei Spotify für eine Rekordsumme von 100 Millionen US-Dollar unter Vertrag stehende Podcaster Joe Rogan war in den vergangenen Tagen wegen der Verbreitung von Falschinformationen zur Corona-Pandemie in die Kritik geraten. Nun hat er für die Verwendung rassistischer Äußerungen in seinen Sendungen um Entschuldigung gebeten. Das Spotify-Team soll laut einem Bericht der “New York Times” mehr als 70 Folgen seines Podcast-Superstars entfernt haben.

5. Praxisbeispiel: Wie die New York Times die digitale Transformation meistert
(konradweber.ch)
Die “New York Times” investiert bereits seit Längerem in Onlinegames, zuletzt durch die Übernahme des beliebten Ratespiels “Wordle”, das sich binnen kurzer Zeit zum viralen Hit entwickelt hat. Konrad Weber wirft einen Blick auf die digitale Strategie und den Transformationsprozess des altehrwürdigen Blatts: “Wie ist es gelungen, dass das Medienhaus in vergleichsweise kurzer Zeit einen solch fundamentalen Wandel realisieren konnte?”

6. 8 Dinge, die sich bei “Wer stiehlt mir die Show?” abgucken lassen
(dwdl.de, Peer Schader)
“Was genau macht die Sendung eigentlich zu so einer Ausnahme?” TV-Experte Peer Schader analysiert in seiner Kolumne den Erfolg von Joko Winterscheidts Sendung “Wer stiehlt mir die Show?” Dabei hat Schader acht Dinge festgestellt, die sich andere von der Show abgucken können, “und eins, das lieber nicht.”

Wetterkatastrophen, Metas Drohkulisse, Presseausweise

1. Berichterstattung bei Wetterkatastrophen: “Wir verharren zu oft im Programmschema”
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers & Mike Herbstreuth, Audio: 6:30 Minuten)
Die Flutkatastrophe im Ahrtal hat über 130 Menschen das Leben gekosten und Schäden in Milliardenhöhe angerichtet. Der ARD-Meteorologe Karsten Schwanke hatte dem SWR zuvor noch eine warnende Sondersendung angeboten, fand jedoch kein Gehör. Im Deutschlandfunk spricht Schwanke über die Schwierigkeiten bei der Berichterstattung über Wetterkatastrophen.

2. Meta-Konzern bringt Aus von Facebook und Instagram in Europa ins Spiel
(zeit.de, Jakob von Lindern & Johannes Süßmann)
Meta, der Mutterkonzern von Facebook, Instagram und WhatsApp, erwägt in seinem Jahresbericht, “einige unserer wichtigsten Produkte und Services, darunter Facebook und Instagram”, in Europa nicht mehr anzubieten, sollte es keine neue Übereinkunft zum Datenschutz geben. Der SPD-Europaabgeordnete Tiemo Wölken kommentiert auf Twitter: “Abgesehen davon, dass ich das für eine leere Drohung von Facebook/Meta halte (Europa ist einer der wichtigsten Märkte) – ein Unternehmen, das unsere Gesetze nicht respektieren will und kein Geschäftsmodell entwickeln kann, das ohne Spionage auskommt, braucht es dann auch nicht.”

3. Einheitliche Linie fehlt
(djv.de, Hendrik Zörner)
Immer wieder sollen Rechtsextremisten Fantasie-Presseausweise verwenden – und in vielen Bundesländern damit durchkommen. Das liege daran, dass die Polizeibehörden immer noch keine einheitliche Linie gefunden hätten, wie mit diesem Problem umzugehen ist. Hendrik Zörner vom Deutsche Journalisten-Verband hat “einen Tipp an alle Ministerialen”: “So sieht der Presseausweis der Profis aus.”

Bildblog unterstuetzen

4. Deutsche Welle trennt sich von fünf Mitarbeitern
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
In Zusammenhang mit den vor wenigen Wochen erhobenen Antisemitismus-Vorwürfen trennt sich die Deutsche Welle von fünf Mitarbeitern ihrer Arabisch-Redaktion. Sie folge damit den Empfehlungen einer externen Kommission, die in ihrer Untersuchung in der betroffenen Redaktion jedoch “keinen strukturellen Antisemitismus” festgestellt habe.
Gleicher Sender, anderes Thema: Deutsche-Welle-Rat fordert von Moskau Rückgabe der Akkreditierungen (meedia.de).

5. Telegrams eigenartiger Versuch Geld zu verdienen
(netzpolitik.org, Sebastian Meineck & Anna Biselli)
Der umstrittene Messengerdienst Telegram will sich anscheinend im großen Stil über Werbung finanzieren und sucht dazu Werbepartner. Dafür sei eine “Vorauszahlung von mindestens 2.000.000 Euro nötig”. Sebastian Meineck und Anna Biselli haben sich das Ganze im Detail angeschaut und einen Experten gefragt, für wie attraktiv er die Werbemöglichkeiten hält. Spoiler: Für nicht sehr.

6. Jetzt oder nie
(sueddeutsche.de, Holger Gertz)
“Womit hat Peking einen Song wie das ARD-Olympia-Lied von Helene Fischer verdient?” Holger Gertz kämpft und ätzt sich in seiner Glosse durch das olympische Liedgut.

Von gut informierter Seite informiert

Ob Brad Pitt und Angelina Jolie zur Verleihung der “Goldenen Kamera” kommen würden, sorgte im Vorfeld für viele Spekulationen. Spiegel Online beispielsweise behauptete sogar,”von gut informierter Seite” erfahren zu haben, dass die beiden Schauspieler “als Laudatoren” aufträten. Tatsächlich war es eine schlecht informierte Seite – Pitt und Jolie kamen nicht.

Unglaublich! Brad Pitt verzichtet auf Millionenspende für WaisenkinderUnd die “Bild am Sonntag” erklärt sogar wieso. “Nach BamS-Informationen” (siehe Ausriss) verhält es sich nämlich folgendermaßen :

Der Schauspieler Brad Pitt, der sich vergangene Woche mit seiner Freundin Angelina Jolie privat in Berlin aufhielt, sei für die Verleihung der “Goldenen Kamera” am Donnerstag “in der Auswahl der Kandidaten für die Kategorie ‘Schauspieler international'” gewesen, hätte also einen Preis verliehen bekommen können – und sollen. Aber:

“Pitt hatte für sein Erscheinen eine Million Dollar gefordert. Das Geld sollte in die Stiftung seiner Freundin Angelina fließen (Jolie-Stiftung), die sich unter anderem um Waisenkinder kümmert.

Vor diesem Hintergrund gelang es den Verantwortlichen des Medienpreises, die geforderte Summe mit Hilfe eines englischen Sponsors aufzutreiben.

Doch Brad Pitt lehnte überraschend ab – ihm soll plötzlich der Sponsor nicht gepaßt haben.”

Dazu vielleicht dreierlei:

1.) Die “Goldene Kamera” ist ein Medienpreis der TV-Illustrierten “Hörzu”, die wie “Bild” und “BamS” vom Axel-Springer-Konzern herausgegeben werden. Die Verleihung fand in der Berliner Springer-Dependance statt. Einziger Kronzeuge der “BamS”-Geschichte über Pitt ist ein gewisser Thomas Garms, Chefredakteur der “Hörzu”.

2.) Eine Kategorie “Schauspieler international” gab es in diesem Jahr nicht. Und es gab sie auch in den vergangenen zwei Jahren nicht – ebensowenig wie einen Hinweis darauf, dass in diesem Jahr Brad Pitt und/oder andere internationale Schauspieler nominiert gewesen wären.

3.) Richtig verwunderlich wird der “BamS”-Bericht am Ende. Dort heißt es:

“BamS fragte Cindy Guagenti, die persönliche Sprecherin des Schauspielers. Die antwortete ausweichend: ‘Brad Pitt war im Rahmen einer persönlichen Geschäftsreise vor und nach der Verleihung in Berlin. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.'”

Die “BamS” verrät nicht, was sie Guagenti gefragt hat, um diese angeblich ausweichende und knappe Antwort zu bekommen.

Wenn wir bei Cindy Guagenti nachfragen, was es mit der “BamS”-Berichterstattung auf sich habe, dauert es hingegen nicht lange, bis wir eine weitaus ausführlichere Antwort bekommen – und eine überraschende dazu. Unter anderem teilt uns nämlich Guagenti zu dem “BamS”-Bericht mit:

“Der Artikel ist komplett unwahr.”

Pitt, der Preise wie die “Goldene Kamera” grundsätzlich ablehne, habe “niemals irgendeine Gegenleistung für den Preis verlangt“. Vielmehr seien ihm, so Guagenti weiter, von den Veranstaltern eine “Goldene Kamera” und darüber hinaus tatsächlich auch “eine Million Dollar für einen wohltätigen Zweck seiner Wahl” angeboten worden. Allerdings habe sich herausgestellt, dass “die Spende nicht das war, was sie zunächst schien”. (Laut Pitts Sprecherin hatten die Veranstalter bezüglich ihrer Gegenleistungsforderungen “die ursprüngliche Abmachung geändert”.) Und daraufhin habe Pitt dann dankend abgelehnt.

Natürlich fragen wir morgen auch noch mal bei den Veranstaltern der Preisverleihung und bei der “BamS” nach, bitten um Stellungnahme zu Vorwürfen und Ungereimtheiten und hoffen auf keine ausweichende Antwort. Und vielleicht erfahren wir ja auch was “von gut informierter Seite”, wer weiß.

Mehr dazu hier.

Wie Michael Naumann in die “Bild”-Zeitung kommt

Wenn “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann heute abend im Berliner Restaurant Sale e Tabacchi sein neues Buch “Der große Selbstbetrug” vorstellt, hat er als Laudator Michael Naumann an seiner Seite. Das ist ein bisschen überraschend. Denn der ehemalige Kulturstaatsminister hat über den “Bild”-Chef noch im Januar 2006 im “Tagesspiegel” gesagt:

Herr Diekmann ist ja offenkundig nur zu zwei Gefühlsregungen in der Lage: Enthusiasmus – “Wir sind Papst” – und Verachtung: vor allem für seine Leser und vielleicht auch für seine Kritiker. (…) Wir haben uns mal getroffen, ich fand ihn keineswegs unsympathisch. Meine Verachtung richtet sich gegen die altbekannten publizistischen Schweinereien. Inklusive dieser frauenverachtenden Unterstützung von Zwangsprostitution, die vorne als Skandal vorgeführt und hinten verkauft wird. “Bild” ist entschieden schlimmer geworden. Darum verliert sie Auflage.

Und im Juni 2004 schrieb Naumann in der “Zeit”:

Bild ist das Geschlechtsteil der deutschen Massenmedien.

Dass die Gazette kraft ihrer 3,8 Millionen Käufer auch eine politische Macht ist, verdankt sie der falschen Vermutung vieler Berufspolitiker, Bild gebe Volkes Stimme wieder. Doch hier spricht lediglich der Gesamtkleinbürger, der in allerlei Nachrichtenplunder Aufklärung simuliert. Dabei zählt das Blatt im Halbschlaf nur die wechselnden Stimmungen, die gleich Schafswölkchen über die deutsche Gemütslandschaft ziehen.

(…) Werbewirksame Einschaltquoten und Auflagehöhen, also rein wirtschaftliche Faktoren, wurden zu Determinanten des politischen Prozesses, weil die Politiker ihre selbst verursachte Entmachtung durch die Massenmedien akzeptierten, mehr noch: weil sie paradoxerweise glaubten, in ihnen Verbündete im Kampf um die Macht zu finden. Ein Auftritt bei Sabine Christiansen oder ein Zitat in Bild gelten inzwischen als politischer Existenznachweis im eigenen Wahlkreis.

Warum also wird Michael Naumann heute abend das neue Buch von Kai Diekmann vorstellen? Es gibt eine recht plausible Erklärung. Naumann ist neuerdings Spitzenkandidat der SPD für die Bürgerschaftswahl in Hamburg, die im kommenden Februar stattfindet. Und dabei ist es ein bisschen unpraktisch, dass er — wie verschiedene Beobachter meinen — von Diekmanns Zeitung weitgehend ignoriert wird. Die “Hamburger Morgenpost” schrieb:

Er kam in der ‘Bild’ so selten vor wie ein Delfin in der Ostsee.

Das “Hamburger Abendblatt”, das wie “Bild” aus dem Haus Axel Springer kommt, formulierte es so:

(…) die Abneigung war bisher so tief, dass Naumann sich gewünscht hatte, in “Bild” nicht vorzukommen — und Diekmann dem Wunsch wochenlang entsprach. Um den Beginn einer wunderbaren Freundschaft dürfte es sich kaum handeln, eher um einen taktischen Friedensschluss. Denn schon Naumann-Vorbild Gerhard Schröder wusste: Wer regieren will, muss nicht nur im Bilde, er muss auch in “Bild” sein.

Der große Selbstbetrug:
heute, 19.30 Uhr, Sale e Tabacchi, Berlin (nur auf Einladung).

Nachtrag, 23.10.2007: Stern.de berichtet ausführlich über den “Abend mit zwei Männern, die sich eigentlich nichts zu sagen haben”: “Diese beiden Männer werden keine Freunde mehr. Nicht in diesem Leben. Zu monströs sind die Unterschiede. Hier der grobe Klotz im offenen, lachsfarbenen Hemd, der brutalstmöglich auf die 68er-Generation einprügelt. Dort der distinguierte, graumelierte Herr, der mit feinsinniger Textexegese kontert. Der eine Chef der ‘Bild’, des größten Boulevardblatts in Europa. Der andere derzeit beurlaubter Herausgeber der ‘Zeit’ und Spitzenkandidat der SPD in Hamburg. Würde man Kai Dieckmann und Michael Naumann zwei Wochen in einen Raum sperren, sie würden randalieren.”

Laut Stern.de hat Naumann die Einladung als Diekmanns “Laudator” aus Gründen einer “gewissen Rachsucht” angenommen, doch sein Verhältnis zur “Bild” sei nun keinen Deut besser als vorher. Diekmann habe gesagt, das Verhältnis habe sich normalisiert. Außerdem schreibt Stern.de, die “Bild”-Zeitung werde keine Werbung für Diekmanns Buch machen.

Die Nachrichtenagentur dpa berichtet ebenfalls über Diekmanns Buchvorstellung (siehe z.B. Welt.de) — und sueddeutsche.de ausführlich über “Die Rache des Kulturministers”.

Mehr dazu hier.

“Welt”: Pseudoseriöses Unken über Mesut Özil in “Bild”

Fußballprofi Mesut Özil schlägt derzeit enorm viel Hass entgegen. Insofern ist die heutige “Welt”-Titelseite durchaus bemerkenswert:

Ausriss Welt-Titelseite - Deutschland hat Mesut Özil viel zu verdanken

Redakteur Christoph Cöln kommentiert im Blatt:

Seit Özils dummen, falschen Fotos mit Recep Tayyip Erdogan hat eine noch dümmere Hetzjagd auf den Fußballer eingesetzt. Er scheint in Deutschland Staatsfeind Nummer eins zu sein.

Cöln erwähnt “endlose Tiraden in den sozialen Netzwerken und Kommentarspalten”, den dumpfbackigen Auftritt des dumpfbackigen Mario Basler bei “Hart aber fair” am späten Montagabend und er schreibt über Lothar Matthäus:

Ähnlich pseudoseriös und verschwörerisch unkte Weltmeister Lothar Matthäus kürzlich. Özil fühle sich im Nationaltrikot nicht wohl, so Matthäus. Das ist infam.

Bei Welt.de ist die Passage zu Matthäus noch etwas länger:

Ähnlich pseudoseriös und verschwörerisch unkte Weltmeister Lothar Matthäus kürzlich. Özil fühle sich im Nationaltrikot nicht wohl, so Matthäus. Das ist infam. Die Aussage suggerierte, dass der in Gelsenkirchen geborene Sohn türkischer Einwanderer Identitätsprobleme hat, dabei spielt Özil seit seiner Jugend in der Nationalmannschaft, er ist einer ihrer verdientesten Repräsentanten.

Doch auch hier: kein Hinweis darauf, wo Lothar Matthäus “pseudoseriös und verschwörerisch” rumunken darf. Welche Redaktion ermöglicht sowas Infames? Wo kann Matthäus suggerieren, Özil habe Identitätsprobleme?

So sah die Titelseite der “Bild”-Zeitung gestern aus:

Ausriss Bild-Titelseite - Zwei Sätze, die uns bewegen - Lothar Matthäus knallhart: Özil fühlt sich nicht wohl im DFB-Trikot

Matthäus’ infames Rumunken bewegt die “Bild”-Mitarbeiter — und zwar so sehr, dass sie die unfundierte Fernanalyse auf Seite 1 gepackt haben.

Das Matthäus-Zitat auf der Titelseite ist allerdings nur der zwischenzeitliche Höhepunkt einer “Bild”-Kampagne gegen Mesut Özil. Die Redaktion lässt in letzter Zeit keine Möglichkeit aus, den Nationalspieler runter- und rauszuschreiben. Eine Auswahl aus den vergangenen Tagen:

10. Juni:
Screenshot Bild.de - Kritik an Nationalspieler - Mario Basler würde auf Mesut Özil verzichten

12. Juni:
Screenshot Bild.de - Nachgehakt - Özil denkt an sich, nicht an das Team!

13. Juni:
Screenshot Bild.de - Klartext von Effe - DFB hätte Özil & Gündogan rauswerfen müssen!
Screenshot Bild.de - Erste DFB-Pressekonferenz aus Russland - Wird Özil nur WM-Ersatz, Herr Löw?
Screenshot Bild.de - Wir haben Konkurrenzkampf - Löw will sich nicht auf Özil festlegen
Screenshot Bild.de - Protokoll zum ersten Training in Russland - Nachdenklicher Auftritt von Özil

14. Juni:
Screenshot Bild.de - Rekord-Nationalspieler stellt seine DFB-Startelf auf - Matthäus setzt zwei Jogi-Stars auf die Bank

Für Mesut Özil ist dagegen kein Platz!

15. Juni:
Screenshot Bild.de - Verpiss dich du Idiot - Theaterchef beschimpft Özil auf Twitter

16. Juni:
Screenshot Bild.de - Fifa-Pressekonferenz im Livestream - Bringt Jogi Reus für Özil?

17. Juni:
Screenshot Bild.de - 0:1 gegen Mexiko - Diese Pleite macht uns WM-Angst

Und Löw setzt auf seinen Liebling. Trotz Erdogan-Affäre, trotz der Pfiffe der eigenen Fans und der fehlenden Spielpraxis steht Mesut Özil (29) in der Startelf – wie in all seinen 26 WM- und EM-Spielen.

Screenshot Bild.de - Bild-Kommentar - Ich habe auf dem Platz keine Weltmeister gesehen

Und Özil?

Er ist ja seit dem Erdogan-Foto abgetaucht und zog das konsequent durch.

18. Juni:
Screenshot Bild.de - Zwei Weltmeister auf die Bank! So muss Jogi gegen Schweden aufstellen

ÖZIL RAUS! Seit 2009 hält Löw seinem Spielmacher Mesut Özil (29) die bedingungslose Treue! Belohnt wurde er dafür zuletzt nur noch sehr selten.

19. Juni:
Screenshot Bild.de - Körpersprache eines toten Froschs - Basler vernichtet Özil!

Und dann eben das bereits erwähnte Mätthäus-Zitat:
Screenshot Bild.de - Lothar Matthäus knallhart: Özil fühlt sich nicht wohl im DFB-Trikot

“Welt”-Chefredakteur Ulf Poschardt twitterte gestern Abend:

Screenshot des Tweets von Ulf Poschardt - Mesut Özil ist mit seiner introvertierten Melancholie und seiner existenziellen Sorge (Heidegger) deutscher und europäischer als die reaktionären Widerlinge, die ihn jetzt anzählen.

Auf unsere Frage, ob er dabei an bestimmte Leute oder auch Redaktionen denke, hat Poschardt leider nicht geantwortet.

Ebenfalls zum Thema:

Hass benennen, Kneifzangen-Institut, “Labaule & Erben”

1. Den Hass benennen
(spiegel.de, Margarete Stokowski)
Anlässlich der beiden jüngsten Gewaltverbrechen aus rassistischen beziehungsweise frauenfeindlichen Motiven kritisiert Margarete Stokowski die Medien. Diese würden oft die Taten verharmlosen und den Hass und die Opfer ausblenden: “In beiden Fällen wurden Taten, die ohne Rassismus und Sexismus nicht passiert wären, verharmlost, entpolitisiert, psychologisiert. Es ist ein Geschenk an die Täter und Gleichgesinnte, ihren Hass auszuklammern und ihre Gewalt als Sonderfall darzustellen. Auch wenn es hart ist, in einer Welt zu leben, die immer noch von Rassismus und Frauenhass geprägt ist, hilft es nicht, wenn Journalistinnen und Journalisten die Taten, die daraus entstehen, kleinreden.”

2. “Bild” freut sich zu früh
(taz.de, Steffen Grimberg)
Die “Bild”-Zeitung feiert sich aktuell als “meistzitiertes Medium”. 1.203-mal sei das Blatt laut des “angesehenen Zitate-Rankings von Media Tenor” im vergangenen Jahr mit Nachrichten, Berichten, Interviews von anderen Medien zitiert worden und damit häufiger als die Zweit- und Drittplatzierten “Spiegel” und “New York Times”. Problematisch ist jedoch eben jenes Zitate-Ranking besagter Firma, so Steffen Grimberg: “Denn bei Media Tenor handelt es sich um einen Laden, der mit der Kneifzange anzufassen ist.”

3. Einschalten zum Gebet
(sueddeutsche.de, Carolin Werthmann)
Sind angesichts des dramatischen Rückgangs von Kirchenmitgliedern kirchliche Verkündigungssendungen überhaupt noch zeitgemäß? Mit diesen und anderen Fragen zur medialen Präsenz von Kirchen beschäftigt sich Carolin Werthmann bei Süddeutsche.de.

4. Türkisches Gericht verurteilt Journalistin wegen Diffamierung
(faz.net)
Die türkische Journalistin Pelin Ünker war an der internationalen Recherche über Briefkastenfirmen und Steueroasen (“Paradise Papers”) beteiligt. Ihre Arbeit an dem Projekt führte unter anderem dazu, dass der damalige Ministerpräsident Binali Yildirim aufflog. Nun ist Ünker in der Türkei zu rund einem Jahr Haft verurteilt worden — wegen “Beleidigung”.

5. Nach mir die Sintflut
(kontextwochenzeitung.de, Willi Germund)
Der Journalist und Auslandskorrespondent Willi Germund wundert sich nicht über den Fall “Claas Relotius”: “Die Relotius-Methode ist zumindest in der Auslandsberichterstattung weder neu noch eine Erfindung des tiefgestürzten Lieblings der deutschen Lobpreisungs-Industrie und Talkshows. Sie wurde spätestens an dem Tag geboren, an dem Printmedien beschlossen, Reporter aus der Heimatredaktion bei Krisenfällen oder speziellen Geschichten loszuschicken.”

6. “Niveau ist kein Maßstab”
(deutschlandfunk.de, Sebastian Wellendorf, Audio: 8:24 Minuten)
Für die satirische TV-Serie “Labaule & Erben” hat Harald Schmidt die Welt der fiktiven Verlegerfamilie Labaule ersonnen (zu sehen in der ARD-Mediathek). Im “Deutschlandfunk” spricht Schmidt über sein Erfolgsrezept als TV-Unterhalter und erzählt, wie er reagierte, als er vom Betrugsfall “Claas Relotius” hörte (der Ähnlichkeiten mit einem Betrugsfall in Schmidts Miniserie hat): “Ich sank auf die Knie, entzündete eine Kerze und dankte dem Seriengott für dieses einmalige Geschenk.”
Weitere Leseempfehlung: Die TV-Kritik von Joachim Huber beim “Tagesspiegel”: Die ganze Welt ist Ärger.

Herr Grindel Herr Grindel, Rape Day auf “Steam”, Dialog für Störer?

1. DFB-Präsident Grindel sorgt mit Interview-Abbruch für Wirbel
(dw.com, Joscha Weber)
DFB-Präsident Reinhard Grindel spricht im “Deutsche Welle”-Interview über die Zukunft des Weltfußballs und mögliche neue Wettbewerbe. Doch plötzlich findet das Gespräch ein jähes Ende: Anscheinend verärgert wegen der Nachfragen zu einer 25-Milliarden-Dollar-Offerte für die FIFA, knöpft sich Grindel das Mikro ab und stürmt davon … Im Netz hagelt es Kritik und Spott.
Weiterer Lesehinweis: Das Interview in voller Länge gibt es hier: DFB-Präsident Reinhard Grindel: “Wenn wir die Klub-WM nicht veranstalten, machen es kommerzielle Anbieter” (dw.com, Florian Bauer).

2. “Dieses Urteil ist für mich ein Signal”
(deutschlandfunk.de, Isabelle Klein, Audio: 9:15 Minuten)
Im “Deutschlandfunk” geht es um die Aufhebung des Urteils gegen die österreichische grüne Ex-Abgeordnete Sigi Maurer, die mit obszönen Privatbotschaften via Facebook belästigt worden und trotz vorliegender Beweise vom Inhaber des Accounts unter anderem wegen übler Nachrede verklagt worden war. Der für den “Spiegel” arbeitende Korrespondent Hasnain Kazim begrüßt die Entscheidung. Kazim hat im Laufe seiner Karriere schon unzählige Hassmails bekommen. Einige davon hat er in seinem Buch “Post von Karlheinz” verarbeitet. Kazim kündigte auf Twitter an, verstärkt gegen die Verfasser von Hassbriefen vorgehen zu wollen. Auch wenn er vor Gericht nicht unbedingt mit einem Erfolg rechnen könne. Außerdem kommt Christian-Oliver Moser, Anwalt für Presserecht, zu Wort, der Noah Becker, den Sohn von Boris Becker, bei seiner Klage gegen den AfD-Bundestagsabgeordneten Jens Maier vertreten hatte.

3. Lasst sie ihre Arbeit machen!
(taz.de, Finn Holitzka)
Im ZDF-“Morgenmagazin” ist gestern eine zeternde Zuschauerin vor laufenden Kameras aus dem Publikum aufgestanden und hat sich rabiat zwischen die Moderatoren gedrängt. Das “Morgenmagazin”-Moderatorenduo ist ruhig geblieben. Die Moderatorin Dunja Hayali hat der pöbelnden Störerin sogar ein Gespräch angeboten. “taz”-Autor Finn Holitzka lobt in seinem Kommentar die “souveräne und deeskalierende Coolness der Moderatoren”, gibt jedoch zu bedenken: “Dialogbereitschaft gegenüber Personen, die drängeln, pöbeln, blaffen, dürfte als Einladung gesehen werden: Wer laut genug krächzt, kriegt ein Mikro hingehalten.”

4. «Alle meine heiklen Artikel werden im Ausland publiziert»
(medienwoche.ch, Benjamin von Wyl)
Der afghanische Investigativjournalist und Menschenrechtsaktivist Hassan Hakimy schreibt zu Themen wie Korruption, Vergewaltigung und Zwangsverheiratung von Kindern. Während einer Europareise hat er sich mit der “Medienwoche” unterhalten. Es geht um Medienfreiheit in Afghanistan, die afghanischen Flüchtlinge in Europa und Drohungen gegen ihn: “Wenn ich in Afghanistan bin, habe ich konstant Angst: Vielleicht sterbe ich jetzt; vielleicht bringt mich in einer Stunde jemand um.”
Weiterer Lesetipp: Soziale Medien im Nahen Osten: Tipps für Journalisten (de.ejo-online.eu, Damian Radcliffe & Payton Bruni).

5. Die Diskussion um diese Autorinnen-Liste zeigt, wie unsichtbar Frauen auf Wikipedia sind
(vice.com, Lisa Ludwig)
Die Autorin Theresa Hannig wollte auf Wikipedia eine Liste deutschsprachiger Science-Fiction-Autorinnen anlegen. Das Normalste auf der Welt, möchte man meinen, aber weit gefehlt: Ein wahrscheinlich männlicher Wikipedia-Editor reichte umgehend einen Löschantrag ein. Lisa Ludwig erklärt den Vorgang, der nicht nur konkrete, sondern grundsätzliche Fragen aufwirft.

Update: In ihrem Blog schreibt Theresa Hannig in einem Nachtrag: “Nach der überwältigenden Unterstützung vieler, vieler Leute auf Twitter und in der Löschdiskussion, wurde der Löschantrag heute Nachmittag zurückgezogen.”

6. Aus Spaß belästigen, vergewaltigen und töten
(zeit.de, Thomas Lindemann)
Kulturjournalist Thomas Lindemann schreibt über die Vorankündigung eines “Vergewaltigungsspiels” auf der Spieleplattform Steam und deren ungenügende Abgrenzung gegenüber gewaltverherrlichendem Digitalschund: “Am Ende scheitert also auch die weltgrößte Spieleplattform daran, klare Grenzen zwischen Sex, Sexualität, Sexismus und Gewalt zu definieren. Dabei ist Rape Day nur ein Teil eines größeren Problems. Seit vergangenem Sommer können Entwickler und Entwicklerinnen ihre Spiele auf Steam veröffentlichen, ohne dass diese vorher geprüft werden. Seitdem finden sich dort Nazi-Spiele, Pornos aller Art, auch Fakes, die gar nicht spielbar sind. Überall wird derzeit gegen Uploadfilter gewettert — hier würde man sich welche wünschen.”

Bild.de macht Greta Thunberg zur Atomkraft-Aktivistin

Wie man aus der angeblich “ehrlichsten Antwort” die verlogenste Zusammenfassung macht, zeigt heute “Bild”-Autor Josef Nyary.

Nyary schaut sich regelmäßig Polit-Talkshow im Fernsehen an und fasst sie anschließend für “Bild” und Bild.de zusammen. Gestern lief im Ersten “Anne Will”, Thema: “Streiken statt Pauken — ändert die Generation Greta die Politik?” Mit der titelgebenden Greta Thunberg hatte Moderatorin Anne Will zuvor ein Interview geführt, von dem ein längerer Ausschnitt auch in der Sendung zu sehen war. Josef Nyary schreibt dazu:

Screenshot Bild.de - Ehrlichste Antwort - Sind Sie für Atomkraft?, fragt die Talkmasterin als nächstes. Die Zuschauer sind gespannt und Klima-Greta lässt sie nicht lange warten: Atomkraft ist nicht die Zukunft, meint sie. Aber die Atomkraft kann ein kleiner Teil einer Lösung ohne fossile Brennstoffe sein. Rumms! Was sagt Habeck dazu? Der Grünen-Chef macht keinen Mucks.

Das ist eine bemerkenswert freie Zusammenfassung von Thunbergs Antwort. Tatsächlich sagte die 16-Jährige (ab Minute 23:36):

Anne Will: Zuletzt hieß es, Sie seien für Atomkraft. Stimmt das?

Greta Thunberg: Persönlich: nein. Aber ich meine, Atomkraft ist nicht die Zukunft. Sie ist nicht erneuerbar. Aber nach Meinung des Weltklimarats, nicht meiner Meinung nach, nach Meinung des Weltklimarats kann Atomkraft ein kleiner Teil einer großen Lösung für Energie ohne fossile Brennstoffe sein in Ländern, in Regionen, in denen die Option 100 Prozent erneuerbarer Energie nicht besteht. Aber ich meine, Atomkraft ist sehr gefährlich, teuer und zeitaufwendig.

Sie zitiert also nur das häufig als “Weltklimarat” bezeichnete Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC). Und sie betont extra noch mal, dass das nicht ihre Meinung ist. Bei Bild.de machen sie daraus:

Screenshot Bild.de - Schulstreik-Zoff bei Anne Will - Klima-Greta - Atomkraft kann Teil der Lösung sein

In der längeren, englischen Originalversion des Interviews ist Thunbergs Antwort (ab Minute 18:50) noch etwas ausführlicher:

Anne Will: Recently, it has been said that you are in favor of nuclear power. Are you?

Greta Thunberg: Personally, no. I mean nuclear power is not the future. It’s not renewable. But according to the IPCC, not according to me, according to the IPCC nuclear power can be a small part of a very big new fossil free energy solution in countries, in areas that lack the possibility of 100 percent renewables. But I mean nuclear power is very dangerous, expensive and time consuming. I mean just ask a scientist if we were to replace fossil fuels with nuclear power: How many new nuclear power plants we will have to build each week within the time frame of the Paris Agreement to reach the Paris Agreement? And how much money that will cost? How much time it takes to build nuclear power? And how much it takes from our remaining carbon budgets? But if we should talk about these things, we should talk about energy efficiency and especially reducing our energy demand. But still we can’t keep focussing on these small things. We need to realize that there are no solutions within these current systems. And we need to see the whole picture and to have a holistic view on climate crisis.

Anne Will: Let me follow up. If one wants to stop the emissions — and that is what you want: not to lower them but to stop the emissions — is it then possible to avoid nuclear energy in your understanding?

Greta Thunberg: Ask scientists. That is something I can’t speak out on because I don’t have that scientific education. That is such a big decision that we need to have scientific evidence and scientific based recommendations on what we should do. So, I can’t say what we should do.

Diese komplette Verzerrung von Greta Thunbergs Aussage passt ganz gut zu Josef Nyarys gesamter “TALK KRITIK”: Höhnisch schreibt er, eine “Fridays for Future”-Aktivistin komme “aus der Schülervertretungsszene”, Thunberg sei “ein Milchgesicht aus Pipi-Langstrumpf-Land”, ZDF-Moderator Harald Lesch (den Nyary fälschlich bei der ARD einsortiert) sei ein “Angstmann”, und die Grünen seien die “erfolgreichste deutsche Bevormundungspartei”.

Interessant ist auch Nyarys Seitenhieb Richtung Grünen-Chef Robert Habeck (“Rumms! Was sagt Habeck dazu? Der Grünen-Chef macht keinen Mucks.”). Was Nyary nicht schreibt: Habeck konnte gar keinen “Mucks” machen, schließlich war das eingespielte Interview mit Thunberg aufgezeichnet und lief nach der Frage zur Atomenergie noch einige Zeit weiter. Aber wie soll man sowas als “Bild”-Talkshow-Kritiker auch mitbekommen, wenn man zu diesem Zeitpunkt schon damit beschäftigt ist, Aussagen aus dem Zusammenhang zu reißen?

Dazu auch:

Mit Dank an Andreas P., Farid A. und @EvaStegen für die Hinweise!

Nachtrag, 3. April: “Bild”-Polittalk-Kritiker Josef Nyary hat es schon häufiger auf Grünen-Chef Robert Habeck abgesehen. Bei einer früheren “TALK KRITIK” aus dem Juli 2018 etwa hieß es in der Dachzeile: “AUSRASTER BEI ‘ILLNER'”, in der Überschrift: “Grünen-Chef Habeck brüllt CSU-Staatssekretärin nieder” und in einer Zwischenüberschift: “Brüll-Attacke des Jahres”. Nyary schreibt:

Da ist der nette Herr Habeck auf einmal gar nicht mehr souverän. “Sie vergiften den Diskurs!”, donnert er die Staatsministerin an. (…) “Bleiben Sie doch bei der Wahrheit!” brüllt er die CSU-Frau an.

Das ist alles ziemlicher Unsinn — von “niederbrüllen”, “anbrüllen” oder der “Brüll-Attacke des Jahres” findet man in der Sendung (ab Minute 59:00) nichts. Daher gab es wegen des Verstoßes gegen das Wahrhaftigkeitsgebot auch einen Hinweis vom Deutschen Presserat für Nyarys Text.

Mit Dank an Johannes K. für den Hinweis!

Was Grüne und AfD und alle anderen gemeinsam haben

In der “Bild”-Zeitung gab es am Dienstag einen bemerkenswerten Vergleich:

Ausriss Bild-Zeitung - Mit Gefühlen zum Erfolg - Was Grüne und AfD gemeinsam haben

WIE sie für ihre Themen kämpfen, WIE sie den Gegner attackieren und WIE sie in bestimmten Teilen Deutschlands von der GroKo-Müdigkeit profitieren — das haben beide Parteien gemeinsam. Vor allem die Betonung von GEFÜHLEN.

Damit ihre These irgendwie passt, greifen die “Bild”-Autoren Nikolaus Blome und Florian Kain zu fragwürdigen Mitteln. Zum Beispiel beim Punkt “WIE sie den Gegner attackieren”. Blome und Kain schreiben dazu:

AfD wie Grüne verteufeln sich gegenseitig, leben aber auch von der gemeinsamen Feindschaft. Die AfD verunglimpft die Grünen als verantwortlich für eine (vermeintlich) “rot-grün versiffte” Republik. (…) Viele Grüne meinen die AfD, wenn sie “Nazis raus” rufen, und mobilisieren mit dem “Kampf gegen Rechts”. Grünen-Chefin Annalena Baerbock sprach wegen der AfD-Wahlerfolge vom “Dammbruch für Demokratie und Rechtsstaat”.

Das Zitat der Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock reißt das “Bild”-Duo für seine Beweisführung ordentlich aus dem Zusammenhang: Baerbock hat tatsächlich mal von einem “Dammbruch für Demokratie und Rechtsstaat” gesprochen. Sie meinte damit allerdings nicht, wie Blome und Kain behaupten, die Wahlerfolge der AfD, sondern eine mögliche Koalition der CDU mit der AfD. Komplett lautete ihre Aussage in einem Interview mit dem “Tagesspiegel”:

Was würde es für die Chancen von Schwarz-Grün im Bund bedeuten, wenn die CDU im Osten mit der AfD koalierte?

Die CDU hat einstimmig — mit den Stimmen der Delegierten aus den ostdeutschen Bundesländern — Koalitionen mit der AfD ausgeschlossen. Da nehme ich die Partei beim Wort, namentlich die Parteichefin und die Kanzlerin. Alles andere wäre ein Dammbruch für die Demokratie und den Rechtsstaat — Österreich zeigt das. Das muss den Verantwortlichen in der Union klar sein.

Und was ist das angebliche grundlegend verbindende Element “MIT GEFÜHLEN ZUM ERFOLG” überhaupt für eine Kategorie? Welche Partei versucht nicht, Gefühle anzusprechen? Was anderes macht etwa die CDU, wenn sie zum Europawahlkampf plakatiert: “Wir wählen Sicherheit. Du auch?”?

Natürlich sprechen Parteien Gefühle an, auch die AfD, auch die Grünen. Die Frage ist dann, wie irrational dieses Vorgehen ist. Und ist der Kern der heutigen Klimaschutzbewegung nicht ausgesprochen wissenschaftsbetont? Es macht doch einen Unterschied, ob man vor einer drohenden Klimakatastrophe warnt, vor der auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit warnen, und damit Gefühle anspricht, oder ob man vor einer angeblichen Islamisierung Deutschlands warnt und damit Gefühle anspricht. Für die “Bild”-Autoren ist das aber alles gleichwertig:

Die Grünen und ihre Anhänger warnen vor dem Untergang der Welt und rechtfertigen damit maximalen (“Es gibt nichts Wichtigeres!”) Klimaschutz. Die AfD und ihre Anhänger warnen vor dem Untergang des “christlichen Abendlandes” und rechtfertigen damit maximalen Grenzschutz vor jedweder Zuwanderung.

Nun haben Blome und Kain ja auch einen Professor gefunden, der sie in diesem Punkt bestärkt:

Professor Eckhard Jesse (Uni Chemnitz) zu BILD: “Wer Klimawandel ignoriert und wer die Massenzuwanderung zum Maß aller Dinge macht, lässt sich ebenso von Gefühlen treiben wie derjenige, der Klimawandel zum Maß aller Dinge macht und Massenzuwanderung ignoriert.”

Eckhard Jesse setzt auch gern mal die rechtsradikalen Ausschreitungen in Chemnitz, bei denen es unter anderem Angriffe auf Journalisten von hitlergrüßenden Neonazis gab, mit linken Waldbesetzern im Hambacher Forst gleich, die Polizisten mit Exkrementen beschmeißen (was wahrlich eklig und bescheuert, aber eben nicht lebensbedrohlich ist). Und Jesse schrieb — zugegebenermaßen vor knapp 30 Jahren — unter anderem, dass Antisemitismus und Rechtsextremismus teilweise “mehr Phantom als Realität” seien und dass jüdische Organisationen “Antisemitismus in einer gewissen Größenordnung” bräuchten, “um für ihre Anliegen Gehör zu finden und ihre legitimen Interessen besser zur Geltung zu bringen.” Und: “Auf Dauer dürfte Judenfeindlichkeit nicht zuletzt gerade wegen mancher Verhaltensweisen von Repräsentanten des Judentums an Bedeutung gewinnen”. Wie passt so ein Experte zur “Bild”-Redaktion, die am Montag noch eine Kippa zum Ausschneiden auf ihre Titelseite druckte, um ein Zeichen gegen den wachsenden Antisemitismus in Deutschland zu setzen?

Aber das ist dann vielleicht auch alles egal, wenn man auf Biegen und Brechen einen Vergleich zwischen Grünen und AfD hinbekommen will.

Mit Dank an Eva für den Hinweis!

Interessenkonflikte bei Strobl? Deutscher Comedypreis, Audio

1. Der Deutsche Comedypreis ist ein schlechter Witz
(uebermedien.de, Stefan Stuckmann)
Jetzt frei abrufbar auch ohne Abo: Was Stefan Stuckmann über den alljährlich verliehenen Deutschen Comedypreis berichtet, klingt in der Tat wie ein schlechter Witz. Hinter dem Ausrichter verberge sich eine selbst im Comedy-Geschäft tätige und höchst befangene Filmproduktionsgesellschaft, was teilweise zu seltsamen Ergebnissen führe. “Das Problem ist aber natürlich nicht nur, dass hier unter dem Deckmantel von Offenheit und Partizipation die ewige Günstlingswirtschaft fortgesetzt wird – sondern auch, dass hier wieder die mangelnde Diversität sichtbar wird, die die Branche seit Jahrzehnten nicht überwindet.” Wer jemals bei der Verleihung des Comedy-Preises lachen konnte: Spätestens nach der Lektüre von Stuckmanns Text wird es einem vergehen.

2. Interessenkonflikte bei Christine Strobl?
(deutschlandfunk.de, Daniel Bouhs, Audio: 5:10 Minuten)
Christine Strobl soll neue Programmdirektorin der ARD werden. Sie ist CDU-Mitglied, Tochter von Wolfgang Schäuble und mit dem Innenminister von Baden-Württemberg verheiratet. Kann diese Konstellation gutgehen? Oder drohen Interessenkonflikte? Daniel Bouhs ordnet die Personalie ein.

3. Wir verabschieden uns
(bento.de, Viktoria Bolmer & Julia Rieke)
Der “Spiegel” stellt sein Jugendportal “Bento” ein. Die Ressortleiterinnen Viktoria Bolmer und Julia Rieke verabschieden sich mit einigen aus ihrer Sicht besonders lohnenswerten Lese- und Guckempfehlungen. All diese Texte und Videos würden weiter existieren und in das Archiv bei Spiegel.de wandern. Was auch noch von “Bento” bleibe: Der Podcast, der zukünftig im neuen Karriere-Ressort des “Spiegel” zu finden sei.

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4. “In Krisenzeiten eigentlich immer am besten”
(message-online.com, Volker Lilienthal)
“Message”-Herausgeber Volker Lilienthal hat sich mit Christian Tretbar vom “Tagesspiegel” über die Herausforderungen der Corona-Krise unterhalten. Die Zeitung sei relativ früh von einem Corona-Fall betroffen gewesen, dementsprechend ernst nehme man dort die Pandemie. Ein interessanter Blick hinter die Kulissen von Berlins größter Tageszeitung, der sowohl die logistischen als auch die inhaltliche Fragen behandelt.
Hörempfehlung: Bei radioeins spricht Joachim Huber, Ressortleiter Medien beim “Tagesspiegel”, über seine Corona-Erkrankung. Huber hatte sich im März infiziert, erlitt eine Lungenembolie, Nierenversagen sowie einen Herzinfarkt und lag fünf Wochen im Koma (Audio: 4:50 Minuten).

5. WDR-Umfrage zu Audioverständlichkeit
(sueddeutsche.de, Theresa Hein)
Der WDR will die Hörverständlichkeit seines Programms verbessern und arbeitet mit dem Fraunhofer-Institut an einem technisch optimierten Audiokanal. Auf der Website des WDR kann man an einem Hörtest teilnehmen, bei dem man zwischen dem Original und dem “sprachverbesserten Dialog+ Audiokanal” wechseln kann.

6. Wie Sascha Lobo vom “irgendwas mit digital”-Typ zur deutschen Internet-Instanz wurde
(omr.com, Philip Westermeyer & Christian Cohrs, Audio: 1:19 Stunden)
Im “OMR”-Podcast packt “Spiegel”-Kolumnist und Digital-Experte Sascha Lobo viele unterhaltsame Anekdoten aus seiner langen Karriere aus: von seinem Studium mit 38 Semestern, seiner Arbeit als Kreativdirektor in einer Berliner Digitalagentur, seinem kalkulierten Haarschnitt. Und er erzählt die Geschichte, wie er einmal wegen der Teilnahme an einer Werbeaktion 40.000 empörte E-Mails und automatisierte Beleidigungen erhielt.

Goldenes Podcast-Zeitalter, AfD-Sprachtricks, Wagenknechts Betten

1. Das Goldene Zeitalter des Podcasts beginnt erst jetzt
(spiegel.de, Sascha Lobo)
Die Audio-App Clubhouse habe das Thema Social Audio stark vorangetrieben, findet Sascha Lobo, doch der eigentliche Innovationstreiber könne Apples Ankündigung einer Bezahlfunktion für Audio-Inhalte sein: “Mit rund einer Milliarde aktiver Geräte rund um den Planeten gibt die schiere Masse den Ausschlag. Der Kopfhörer ist das Wahrzeichen der Millennials, das Smartphone ihr Alltagsmittelpunkt und Social Audio mit Podcasts als Kern sind ihre ständige Begleitung. So, wie es das Dudelradio für die Babyboomer war. Nur größer.”

2. Wie die AfD versucht, Wähler sprachlich zu überlisten
(migazin.de, Clara Herdeanu)
Die AfD hat einen neuen Wahlkampfslogan: “Deutschland. Aber normal.” Was ist davon aus linguistischer Sicht zu halten? Welcher sprachlicher Mechanismen bedient sich die Partei in ihrem Wahlspruch und ihrer begleitenden Kommunikationskampagne? Auf den ersten Blick gebe es daran zwar nichts zu beanstanden, findet Linguistin Clara Herdeanu, aber: “Auf den zweiten Blick ist der Slogan und die dazugehörige Kampagne ein Paradebeispiel für ein unter rechten Populisten beliebtes Sprachmuster – die aufgesetzte und bewusste eingesetzte Harmlosigkeit als Tarnung: Denn Populisten kommunizieren nicht nur mit provokanten Äußerungen, die ihnen Aufmerksamkeit in der breiten Öffentlichkeit versichern. Genau so wichtig in ihrem Werkzeugkoffer sind die Wörter mit Code-Potenzial und Doppeldeutigkeit (beispielsweise ‘Rothschilds’) sowie die vermeintlich harmlosen, einlullenden Formulierungen.”

3. Pressekodex für polizeiliche Arbeit
(verdi.de, Karin Wenk)
Baden-Württemberg führt einen Pressekodex für die polizeiliche Arbeit ein, der landesweite Standards festlege und den Rahmen für eine professionelle Zusammenarbeit mit den Medien abstecke. Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, findet Verdi-Redakteurin Karin Wenk angesichts der in letzter Zeit gestiegenen Zahl von Angriffen auf Medienschaffende.

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4. Video von Sahra Wagenknecht: Intensivbetten-Statistik erneut falsch interpretiert
(correctiv.org, Sarah Thust)
Im Zuge der Corona-Diskussion taucht in Sozialen Netzwerken immer wieder die Behauptung auf, dass Intensivbetten in Deutschland abgebaut worden seien. Der Gedanke dahinter: Die Betten seien aus der Statistik sozusagen verschwunden, um den Lockdown oder die Corona-Maßnahmen zu begründen. Auch die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht nahm sich des Themas in einem ihrer Videos an und argumentierte mit Zahlen aus dem offiziellen DIVI-Register, die ihre Aussagen angeblich beweisen würden. “Correctiv” hat etwas genauer hingeschaut: “Die Daten aus dem DIVI-Intensivregister belegen nicht, dass bundesweit tausende Intensivbetten ‘abgebaut’ wurden oder ‘verschwunden’ sind. Die Daten stellen lediglich ein Bild der aktuellen Lage dar. Belege, dass ein Rückgang der Intensivbetten-Zahlen absichtlich herbeigeführt wurde, gibt es nicht.”

5. “Man hat mir die Zusammenarbeit systematisch verweigert”
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers, Audio: 6:16 Minuten)
Der Völkerrechtsprofessor Nils Melzer hat ein Buch über seine Zeit als UN-Sonderberichterstatter zum Fall Assange geschrieben. Darin beschreibt er, wie der Wikileaks-Gründer staatlicher Willkür und psychischer Folter ausgesetzt sei. Melzer wolle mit seiner Veröffentlichung die Öffentlichkeit alarmieren, da er im System selbst nicht weitergekommen sei: “Während meiner Arbeit über die diplomatischen Kanäle, die mir zur Verfügung stehen, hat man mir leider die Zusammenarbeit in diesem Fall systematisch verweigert. Und das hat mich ja auch so schockiert, weil ich es hier nicht mit irgendwelchen Diktaturen zu tun habe, sondern mit westlichen Rechtsstaaten.”

6. Im eigenen Film
(sueddeutsche.de, Jürgen Schmieder)
Der Beraterkonzern Deloitte hat eine neue Ausgabe der “Digital media trends” vorgelegt. Jürgen Schmieder hat einige interessante Kennziffern herausgesucht, die einen Medienumbruch ankündigen: “Hinter diesen Zahlen verbergen sich Trends, die bald zu Veränderungen führen dürften. Sie zeigen, dass sich gerade die Vorstellung davon, was Unterhaltung ist, grundsätzlich wandelt – und das hängt mit einem unterschiedlichen Gebrauch des Internets in den verschiedenen Generationen zusammen.” Eine lohnende Lektüre, weil sie die veränderte Mediennutzung verdeutlicht.

KW 04/22: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. Wild Wild Web – Der Pornhub Effekt
(br.de, Audio, 5 Episoden)
In der ersten Staffel von “Wild Wild Web” hatten die Podcast-Macherinnen und -Macher ein höchst unterhaltsames und informatives sechsteiliges Feature über Kim Dotcom abgeliefert, einen der schillerndsten deutschen Internetunternehmer und Medienfiguren. Die zweite Staffel dreht sich erneut um einen Deutschen, der das Internet umgekrempelt hat: den Pornhub-Gründer Fabian Thylmann.

2. Bedroht, verfolgt, angegriffen – wir brauchen mehr Schutz!
(journalist.de, Annkathrin Weis und Luca Schmitt-Walz, Audio: 48:31 Minuten)
Beim “Druckausgleich”-Podcast für junge Medienschaffende geht es um Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten in Zusammenhang mit der Corona-Berichterstattung: “Viele junge Journalist:innen erleben solche Situationen nun zum ersten Mal. Hat man sie darauf vorbereitet? Der ebenfalls noch junge Journalist Julius Geiler erzählt von seinen Erfahrungen auf Demos und erklärt, weshalb der Schutz von Reporter:innen nicht mit ihrem Einsatz vor Ort endet.”

3. #diepodcastin über Auszeichnungen
(diepodcastin.de, Isabel Rohner & Regula Stämpfli, Audio: 49:13 Minuten)
Im feministischen Wochenrückblick der “Podcastin” sprechen Isabel Rohner und Regula Stämpfli gleich über mehrere Themen mit Medienbezug: über die italienische “Vogue”, den besten “Guerilla-Girl-Account auf Instagram” im deutschsprachigen Raum, einen “Machttext” zum Treffen von Annalena Baerbock mit dem russischen Außenminister Sergei Lawrow und die Attacken des Chef-Europakorrespondenten von “Politico” gegen die Historikerin Annika Brockschmidt.

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4. studioM: Julian Assange – Staatsfeind oder Journalist?
(wdr.de, Georg Restle, Video: 58:07 Minuten)
Anhand des Falls Assange diskutiert Georg Restle mit seinen Gästen über die Frage, was wichtiger ist: Der Schutz von Menschenrechten und Pressefreiheit oder der Schutz von Staatsgeheimnissen eines Machtapparates? Dazugeschaltet sind: Nils Melzer (UN-Sonderberichterstatter über Folter), John Kornblum (ehemaliger US-Botschafter in Deutschland), Herta Däubler-Gmelin (ehemalige Bundesjustizministerin) und Constanze Kurz (Sprecherin des Chaos Computer Clubs).

5. Wie funktioniert Lokaljournalismus für Millennials, Alexandra Haderlein?
(wasmitmedien.de, Daniel Fiene & Sebastian Pähler, Audio: 1:11:28 Stunden)
Die Plattform “Relevanzreporter Nürnberg” will “unabhängigen, konstruktiven Lokaljournalismus für Nürnberg und die Region” bieten. Bei “Was mit Medien” erzählt Chefredakteurin Alexandra Haderlein, wie das gelingt, wie es zu der Idee kam, und was sie und ihr Team noch vorhaben.

6. Presse mit Laura Müller Double reingelegt
(youtube.com, Marvin, Video: 17:03 Minuten)
Youtuber Marvin Wildhage hat ein Experiment gestartet: Was würde passieren, wenn er das Gerücht streut, die Influencerin Laura Müller sei schwanger? Er hat dazu eine Doppelgängerin, einen Paparazzo namens “Ulkig” und eine angebliche Zeugin namens “Verkohlen” engagiert/erfunden, um seinen Lockstoff unter das Medienvolk zu bringen. Das Ergebnis: Einige Redaktionen schauten nicht genau hin und sprangen nur all zu gerne auf die Geschichte an.

neu  

Zunehmendes Rumpeln

Man hätte es sich auch als Laie der Seismologie denken können: Wenn die “Bild”-Zeitung schreibt, dass die Zahl der Erdbeben zunimmt, ist sie in Wahrheit konstant, Tendenz: fallend.

Aber der Reihe nach.

Auch bei uns bebt die Erde immer öfter

lautet die Überschrift über der heutigen Folge der aktuellen Erduntergangs-Serie von “Bild”. Diese Behauptung wird im zugehörigen Artikel allerdings nicht wiederholt, geschweige denn belegt, also vergessen wir sie einfach. (Okay, nach der neuen “Null Toleranz”-Politik von “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann wäre das ein klassischer Fall von “übergeigter” Überschrift, die vom Text nicht gehalten wird, und es müssten Köpfe rollen, aber wir wollen da mal nicht so sein.)

Tatsächlich behauptet Dr. Paul C. Martin in seinem “Bild”-Artikel allerdings, dass die Zahl der Beben weltweit steigt:

Heute ist unser Planet von ca. 8000 Meß-Stationen überzogen. Sie melden täglich mindestens 50 Beben.
Tendenz? Leider steigend! (…)
Ist das zunehmende Rumpeln ein Alarmsignal?

Klare Antwort: Nö. Bzw.: Welches zunehmende Rumpeln?

“Bild” belegt seine These, dass “unser Planet aus dem Gleichgewicht” sei, mit einer Statistik, die eindeutig scheint: Danach hat sich die Zahl der aufgezeichneten Erdbeben 2003 gegenüber 1990 fast verdoppelt. Als Quelle gibt “Bild” das US-Erdbebenüberwachungszentrum NEIC an.

Auf dessen Internetseite finden sich zwar die von “Bild” verwendeten Daten. Dort findet sich aber auch ein Satz, der die Zunahme erklärt:

As more and more seismographs are installed in the world, more earthquakes can be and have been located. However, the number of large earthquakes (magnitude 6.0 and greater) have stayed relatively constant.

Mit anderen Worten: Es werden mehr Erdbeben gemessen, weil es mehr Erdbebenmessgeräte gibt. Die Zahl der schweren Erdbeben aber hat sich kaum verändert. Betrachtet man Erdbeben von mindestens der Stärke 5, hat die Zahl sogar eher abgenommen als zugenommen.

neu  

“Bild” findet Sexualstraftäter sexy

Dass Erwachsene mit Minderjährigen Sex haben, ist nach deutschem Recht unter Umständen erlaubt. Entscheidend ist dabei u.a. dass der/die Minderjährige mindestens 14 Jahre alt ist und der/die Erwachsene dabei nicht “die fehlende Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung ausnutzt”. Anderfalls droht — je nach dem — eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren (siehe § 176 und § 182 StGB).

In den USA gelten andere Gesetze. Dort sind Erwachsenen sexuelle Handlungen mit Unter-18-Jährigen verboten und können schlimmstenfalls mit 30 Jahren Gefängnis bestraft werden (siehe Protect Act of 2003).

Man könnte auch sagen, die Gesetzeslage in Deutschland und den USA ist gar nicht so verschieden — außer, dass man hierzulande schon ab 14 Jahren juristisch nicht mehr als “Kind” gilt, in den USA jedoch erst ab 18.

Man könnte auch vermuten, dass “Bild” mit der deutschen Regelung nicht vertraut nicht einverstanden ist: Als “Bild” im Sommer 2004 in Erfahrung brachte (und aufschrieb), dass in Cottbus ein 42-jähriger Mann völlig legal mit einer 14-Jährigen zusammenlebte, und die Geschichte im Frühjahr 2005 abermals an die Öffentlichkeit zerrte, nannte die “Bild”-Zeitung (die immerhin auch sog. “Serien-Vergewaltiger” und “Kinderschänder” gerne mal als “Sexmonster” bezeichnet) den Mann aus Cottbus ein “tätowiertes Liebesmonster” — und behauptete wahrheitswidrig, “Sex zwischen einem Erwachsenen und einer 15jährigen” sei “verboten.”

Völlig anders sieht der Fall für “Bild” offenbar aus, wenn es sich nicht um den 42-jährigen “Manfred W.” aus Cottbus handelt, sondern um die 24-jährige Debra Lafave aus Florida, die als Lehrerin Sex mit einem 14-jährigen Schüler hatte (was – wie gesagt – in den USA strafbar ist und u.U. sogar hierzulande gemäß § 174 StGB als “sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen” strafbar wäre). Denn, obwohl auch die jetzt verurteilte Lafave eine Tätowierung trägt, nennt “Bild” sie vergangenen Donnerstag keineswegs ein “tätowiertes Liebesmonster”, sondern “sexy Debra”, “Blondine”, “Amerikas schönste Lehrerin” oder “Verführungsbiest” und schreibt online unter der merkwürdigen Überschrift “Die Lust-Schule der schönen Lehrerin” sogar:

“So schön ist die Sex-Lehrerin – hier klicken!”

Die Meldung über Lafaves Verurteilung* illustriert Bild.de zudem mit einem Foto aus dem “Makes & Models Magazine”, für das sich die Lehrerin in der Vergangenheit leicht bekleidet hatte ablichten lassen, während die gedruckte “Bild” sich lieber für ein Foto Lafaves in der Badewanne entschieden hat. Und dass sie aufgrund ihrer Sexualstraftat künftig nicht mehr als Lehrerin arbeiten darf, ist für “Bild” zum Schluss nur noch ein Anlass, schlüpfrig herumzuwitzeln:

Und das werden viele Schüler in Amerika sicher bedauern.

*) “Bild” schreibt, als Strafe müsse sie “nun drei Jahre jeden Abend um 22 Uhr zu Hause sein. Sie darf frühestens wieder um 6 Uhr morgens raus. Abendessen mit Freunden, Kino, private Verabredungen – alles verboten! Nur arbeiten darf sexy Debra.” Und in der Tat ist Lafave mit drei Jahren Hausarrest und sieben Jahren Bewährung glimpflich davongekommen. US-Medien weisen allerdings darauf hin, dass sich ihr Leben dennoch “dramatisch” ändern werde: So hat ihr die Erziehungsbehörde den Ausbildungsabschluss aberkannt, sie unterliegt der öffentlichen Meldefrist und gilt fürderhin als “sexual offender” (auf deutsch: Sexualstraftäterin).

Mit Dank an Rossi für die Inspiration.

Nachtrag, 28.11.05:
Um genau zu sein, ist in den USA Sex mit Unter-18-Jährigen in einigen Bundesstaaten verboten, Sex mit Unter-16-Jährigen generell.

Noch hat Bohlen nicht verloren

Manche Leute können einfach nicht verlieren.

Dieter Bohlen zum Beispiel. Als die Quoten von “Deutschland sucht den Superstar” im November 2005 richtig gut waren, war der Gewinner des Tages für “Bild”: Juror Dieter Bohlen. Als die Quoten von “Deutschland sucht den Superstar” im Dezember 2003 richtig mies waren, war der Verlierer des Tages für “Bild”: RTL-Chef Gerhard Zeiler.

Als die Firma Müller-Milch im Dezember 2004 einen Werbevertrag mit Bohlen für Buttermilch fristlos kündigte, weil er Buttermilch-Käufer als “50-jährige alternative Bio-Latschen-Trägerinnen” bezeichnet hatte, machte “Bild” deshalb nicht Bohlen zum Verlierer des Tages, sondern den Firmenchef Theo Müller.

Jetzt ist es amtlich: Wenn Dieter Bohlen (53) in der Jury von "Deutschland sucht den Superstar" Sprüche klopft, ist das Kunst! Sechs Stunden sah sich das Sozialgericht Köln Aufzeichnungen der RTL-Show an. Ergebnis: Der Sender muss 173 000 Euro an die Künstlersozialkasse zahlen. Der Richter: "Die Kommentare tragen zum Unterhaltungscharakter der Show bei!" BILD meint: Bohlen-Sprüche geadelt!Und auch heute ist Dieter Bohlen wieder Gewinner des Tages in “Bild”.

Gestern hat nämlich das Kölner Sozialgericht geurteilt, dass es sich bei dem, was die Juroren von “Deutschland sucht den Superstar” in der Show machen, um Kunst handele. Der Sender RTL hatte versucht, Sozialabgaben zu sparen, indem er erklärte, Shona Fraser, Thomas Bug, Heinz Henn und die anderen erbrächten keine eigene künstlerische Leistung. Die Künstlersozialkasse, die freie Künstler absichert, hatte deshalb gegen RTL geklagt und nun Recht bekommen.

Bohlen selbst betrifft das nur indirekt. Aber natürlich hat er es nun, wie “Bild” richtig schreibt, “amtlich”: Seine Sprüche in der Sendung sind Kunst. Und macht ihn das zum Gewinner?

BILD meint: Bohlen-Sprüche geadelt!

Ach ja? Ein nicht ganz unwesentliches Detail aus der Urteilsbegründung hat “Bild” bei seiner Gewinnererklärung weggelassen. Der Richter sagte, für die Einordnung als Kunst sei künstlerische Niveau egal: Schon ein sehr geringer Grad der schöpferischen Eigenleistung reiche aus, um eine Tätigkeit als künstlerisch einzustufen. Auf eine “hohe Qualität” oder das “Niveau des Gebotenen”, so der Richter wörtlich, komme es nicht an.

Der Mann, der bei “Bild” kein großer Esser war

Grundsätzlich lassen sich zwei Arten von “Bild”-Interviews unterscheiden. Die eine Art wird tendenziell eher mit Politikern geführt, die Steuern erhöhen oder Verbrecher laufen lassen wollen, und nennt sich “BILD-Verhör”. Die andere Art wird gerne mit Spitzenfunktionären großer Unternehmen geführt und hat keinen eigenen Titel, was vermutlich daran liegt, dass “Das offene Mikrofon”, “Der ungestörte Monolog” oder “Es geht auch ohne Nachfragen” nicht so rubriktauglich sind.

Und wenn Ihnen diese Sätze bekannt vorkommen, könnte das daran liegen, dass wir sie vor ziemlich genau einem Jahr schon einmal geschrieben haben, als wir zum ersten Mal über die besondere Art der Interviews berichteten, wie sie “Bild”-Wirtschaftschef Oliver Santen mit anderen Wirtschaftschefs führt.

Wir haben viele Zeilen geschrieben, von “Nichtverhören” und “Kuschelgesprächen” gesprochen und getitelt: “Das Santenmännchen ist da!”. Wir hätten uns die Mühe sparen können. Ein einziges Foto fasst die ganze kritisch-journalistische Haltung Santens zu seinen Gegenübern zusammen, und freundlicherweise zeigt es die “Bild”-Zeitung heute zu seinem neuesten Gespräch:

Eine treffendere Bildunterschrift unter dem Foto wäre natürlich: “Ach, das sind also diese leckeren Pommes Frites, die die Leute so gerne bei Ihnen essen?!” Aber vielleicht haben Sie, liebe Leser, ja noch bessere Ideen.

Nachtrag, 14. November. Auf die naheliegendste Bildunterschrift sind wir nicht gekommen, aber viele unserer Leser, als erster Boris H.:

“Auch Ihnen fress’ ich gern aus der Hand.”

Weitere Vorschläge, die uns gut gefallen haben:

Man beißt nicht die Hand, die einen füttert.
(Hauke H. und viele andere)

“Lecker Pommes! Und wenn ich die Hand so halte, kommt auch meine wunderschöne IWC-Uhr (10.000 Euro) voll zur Geltung.”
(Florian S.)

“Danke, Herr Skinner, ich habe an Ihrem Kartoffelstäbchen gerochen und tu’s jetzt wieder in die Pappschachtel!”
(Michael B.)

“Ein kleiner Bissen für mich, ein großer Artikel für die BILD-Zeitung!”
(Lukas H.)

“Wes ‘fries’ ich ess, des Lied ich sing!”
(Karim a.)

“Moment… was steht da drauf? – “Ihren Scheck finden Sie in der Apfeltasche”.
(Gingi)

Vielen Dank an alle fürs Mitmachen!

Wann ist ein Like ein Like, Hörsaal-Ablenkung, Bordexemplare

1. Vier Thesen zur Zukunft des Digitaljournalismus
(horizont.net, Mathias Müller von Blumencron)
Der Digital-Chef der “FAZ” macht sich Gedanken über die Zukunft des digitalen Journalismus. Neuen Angeboten gibt er keine großen Chancen, das Rennen würden die Qualitätsmarken machen. Gleichwohl werde es “eine Explosion journalistischer Formate” geben. Nichts weniger als eine “Exzellenzoffensive” sei zu erwarten. Angesichts von Angeboten wie “Focus Online” reichlich viel Optimismus, aber ohne den kommt ein “Chefredakteur Digitale Medien” wahrscheinlich nicht aus.

2. Was ist die “ganze Wahrheit”?
(facebook.com/arminwolf.journalist, Armin Wolf)
Facebook wird von manchen als Abraumhalde für industriell abgebaute Katzenfotos geschmäht. Dass dem nicht (immer) so ist, beweist ein längerer Beitrag des österreichischen TV-Journalisten Armin Wolf. In diesem setzt sich der Autor recht ausführlich mit der Frage auseinander, ob und wann Medien bei Verbrechen die Nationalität der Verdächtigen nennen sollen beziehungsweise dürfen.

3. Warum ein “Like” keine politische Meinungsäußerung ist
(derwesten.de, Katrin Figge)
“Der Westen” hat mit dem Medienökonom Prof. Jörg Müller-Lietzkow über das Likewesen auf Facebook gesprochen. Likes oder Hasskommentare seien demnach “weit von politischer Meinungsäußerung entfernt”. Der Medienwissenschaftler vergleicht die Klicks mit einem Ablassbrief: Man fühle sich danach gut, weil man etwas geleistet oder Wut kanalisiert habe. Mit politischer Artikulation habe all dies jedoch nichts zu tun.

4. Google: 25.000 Chromebooks für Flüchtlinge in Deutschland
(heise.de, Andreas Wilkens)
“Project Reconnect” heißt der Zusammenschluss von Google, Telekom und Arbeiter-Samariter-Bund, der für die Verteilung von 25.000 Chromebooks sorgen will. Alle Organisationen, die in der Flüchtlingshilfe tätig sind, könnten sich für die mobilen Computer bewerben (bei Interesse: Link im Artikel). Die Telekom will den kostenlosen WLAN-Zugang ermöglichen. Gute Idee, wobei böse Zungen behaupten, man hätte zunächst die verstaubte IT der deutschen Behörden auffrischen sollen.

5. Aufmerksamkeitskiller Smartphone
(taz.de, Ralf Pauli)
Ein Hochschullehrer zieht nach mehreren Experimenten ein trauriges Resümee: Die Aufmerksamkeit der Studierenden habe in den letzten Jahren massiv abgenommen. Schuld sei der ständige Blick aufs, na was wohl, Smartphone. “Wir schaffen es kaum mehr, die Aufmerksamkeit der jungen Leute für länger als fünf Minuten zu halten”, beklagt der Professor an der Hochschule Hof. “Danach sind sie sofort wieder bei ihren technischen Spielzeugen.”

6. Wie die Lufthansa meine Zeitungen klaut
(bilanz.de, Bernd Ziesemer)
Der frühere Chefredakteur des “Handelsblatts”, Bernd Ziesemer, jammert in seiner Kolumne über das Verschwinden der sogenannten Bordexemplare der Lufthansa. Der Verzicht auf die kostenlosen Zeitungen sei “der traurige Endpunkt einer langen Reihe stetiger Verschlechterungen” mit dramatischen Auswirkungen: “Die Masse der bisherigen Flugzeugleser verliert den letzten Kontakt zu Printmedien.” Warum sich die von Ziesemer angesprochene (gutgestellte) Klientel der treuen Vielflieger ihre Lektüre nicht einfach für ein paar Euro am Kiosk holen kann, bleibt leider offen.

Falsches über die Fälscher

Im Internet gibt es momentan ein wenig Aufruhr wegen eines Fotos, das die AfD in einem Flyer zum Thema “Innere Sicherheit im Landkreis Stade” veröffentlicht hat. Es zeigt eine Person, die gerade dabei ist, mit einer Fahne auf einen auf den Boden fallenden Polizisten einzuprügeln. Was das Foto besonders pikant macht — und vermutlich auch der Grund sein dürfte, warum die AfD es ausgesucht hat: Auf dem Rücken des Prüglers prangt das Logo der “Antifaschistischen Aktion”. Zum Foto schreibt die AfD Stade: “Rechtsstaat am Boden” und wirbt so für ihre rechtspopulistischen Positionen in Sicherheitsfragen. Eine Quellenangabe für das Bild gibt es nicht.

Nun kann man relativ schnell erkennen, dass es sich dabei um eine schlecht ausgeführte Bildmanipulation handelt und das “Antifa”-Logo lediglich reinmontiert ist. Und mit etwas mehr Aufwand findet man auch heraus, dass die Originalaufnahme (natürlich ohne “Antifa”-Logo) nicht von heute und nicht aus der Region um Stade stammt, sondern aus dem Jahr 2009 und bei Demonstrationen in Griechenland entstand. Urheber ist der Fotograf Milos Bicanski. Die Facebookseite “Hooligans Gegen Satzbau” hat sich diese Recherchemühe gemacht.

Die durchaus berechtigten Reaktionen im Internet lauten nun in etwa: “Ha, die ‘Lügenpresse’-Schreier von der AfD nutzen ein manipuliertes Foto, um Stimmung zu machen.” Medien nahmen sich den Fall ebenfalls vor. Das “Stader Tageblatt” berichtete sehr früh:

Stern.de sprang auf:

Mopo.de titelte:

Und die “taz” schrieb auf ihrer Internetseite dazu:

Für die “taz” ist klar, wer hinter der Bildmanipulation steckt: Lars Seemann, stellvertretender Vorsitzender der AfD Stade:

Auf dem Rücken des Schwarzgekleideten prangt ein Antifa-Logo. Nur, dass das Antifa-Logo da gar nicht hingehört — Seemann hat es per Bildbearbeitung in das Bild geschummelt.

Und damit verstoße die AfD “gleich gegen drei Paragrafen des Urheberrechts”:

Sie verschwieg den Namen des Urhebers, vervielfältigte das Foto ohne das Einverständnis des Künstlers und veränderte es ohne dessen Zustimmung.

Den Namen des Urhebers verschwiegen — völlig korrekt.
Das Foto ohne dessen Zustimmung vervielfältigt — ebenfalls korrekt.
Das Bild verändert — leider falsch.

Denn die “Antifa”-Manipulation ist schon älter als der AfD-Flyer und bereits auf anderen rechten Seiten aufgetaucht (auf eine Verlinkung zu den Knallköpfen verzichten wir bewusst). In einer Stellungnahme auf ihrer Homepage schreibt die AfD Stade, dass es sich bei dem Foto auf dem Flyer um ein “seit Jahren im Weltnetz” befindliches Bild handele. Wir würden zwar eher “Internet” dazu sagen, aber im Grunde stimmt die Aussage. Der NDR schreibt:

Tatsächlich stammt die Bildmanipulation nicht von der AfD, sondern wurde schon zuvor von rechtsgerichteten Web-Auftritten verbreitet.

Das ändert natürlich nichts daran, dass die AfD hier gegen Urheberrecht verstößt. Und es ändert auch nichts daran, dass sie auf dubiose Weise ein gefälschtes Foto für ihre populistischen Zwecke einsetzt. Aber es bringt in der nötigen kritischen Auseinandersetzung mit der AfD auch nichts zu behaupten, dass die “Lügenpresse”-Schreihälse ein Foto fälschen, damit selber falschzuliegen und diesen Leuten dadurch neues Futter für eine vermeintliche Medienverschwörung gegen ihre Partei zu liefern.

Mit Dank an Bernd für den Hinweis!

Warum neu recherchieren, wenn’s anderswo schon falsch steht?

Wir haben zwar vor einigen Jahren schon hier, hier und hier darüber gebloggt. Aber jetzt auch noch mal an dieser Stelle: Nein, der frühere FDP-Politiker Guido Westerwelle und der ehemalige Regierende Bürgermeister von Berlin Klaus Wowereit sind nie in ihrer Schulzeit sitzen geblieben.

Immer dann, wenn in irgendeinem Bundesland irgendeine Landesregierung an den Regularien zum Sitzenbleiben etwas ändern will, greifen deutschlandweit die Redaktionen in ihre Archive und kramen als kleinen Zusatz eine Übersicht mit “prominenten Sitzenbleibern” raus: Edmund Stoiber ist dann meist dabei, Harald Schmidt, Otto, Mehmet Scholl. Und so gut wie immer auch Guido Westerwelle und Klaus Wowereit. Dabei haben beide ihre Schullaufbahn regulär nach 13 Jahren beendet.

Am Montag hat “Spiegel Online” übers Sitzenbleiben geschrieben, ganz allgemein und nicht durch irgendeine Schulreform auf Landesebene ausgelöst:

Die Redaktion hat — Überraschung! — eine Fotostrecke mit “prominenten Sitzenbleibern” in den Artikel eingeblockt:

Diese Galerie stammt von 2014. Mit dabei — noch mal Überraschung : Guido Westerwelle und Klaus Wowereit.

Zu Wowereit schreibt “Spiegel Online”:

Auch Berlins ehemaliger Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) blieb während seiner Schullaufbahn einmal sitzen. Sein Bundesland war 2010 eines der Ersten, in denen das Wiederholen einer Klasse abgeschafft wurde. In den Berliner Sekundarschulen (ehemals Haupt- und Realschulen) gibt es seitdem keine “Ehrenrunden” mehr — es sei denn, die Eltern bestehen darauf.

Bei Westerwelle ist hingegen nicht ganz klar, warum er überhaupt in die Klickstrecke gerutscht ist. Vom Sitzenbleiben ist gar nicht die Rede:

Ex-Außenminister Guido Westerwelle (FDP) musste nach einem Jahr vom Gymnasium im rheinischen Königswinter auf die örtliche Realschule wechseln. Westerwelles schulische Leistungen waren nach der Trennung seiner Eltern eingebrochen. Er machte später seine mittlere Reife an der Bonner Freiherr-vom-Stein-Realschule und das Abitur am Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium. Westerwelle erinnert sich: “Mathe und Chemie waren meine Angstfächer.”

Mit Dank an Jörn J. für den Hinweis!

Nachtrag, 22:41 Uhr: “Spiegel Online” hat die Fotostrecke inzwischen angepasst und sowohl Klaus Wowereit als auch Guido Westerwelle aus der Zusammenstellung “prominenter Sitzenbleiber” entfernt.

“Bild”-Wutschäumer, SR-Facebook-Kapitulation, Burdas Siegelgeschäft

1. Ein Jammer, aber echt
(spiegel.de, Andreas Borcholte)
Die “Bild”-Zeitung bezeichnet Mesut Özils Rückzug aus der deutschen Nationalmannschaft als “Jammer-Rücktritt” und wirft ihm Selbstgerechtigkeit vor. Ignoranter geht es kaum, findet Andreas Borcholte: “… wie die “Bild”-Redakteure in ihrer sogenannten “Analyse”, beinahe jeden Satz, jede Aussage Özils diskreditieren, mit rhetorischem Schaum vor dem Mund immer wieder “kompletten Unfug”, “pures Selbstmitleid” oder “Starrsinn pur” einwerfen und dem Sportler ein Weltbild vorwerfen, das “gefährlich nah an Erdogan” sei, das ist infam.“
Dazu auch: Die «Bild» erklärt den Özil-Rücktritt — ohne das eigene Blatt nochmals zu lesen ¯\_(ツ)_/¯ (watson.ch, Christoph Bernet)

2. Saarländischer Rundfunk kapituliert vor Facebook-Mob
(uebermedien.de, Mats Schönauer)
Als der Saarländische Rundfunk (SR) einen einminütigen Bericht über eine Demo zur Seenotrettung auf Facebook stellte, ergoss sich dort ein Schwall unschöner Kommentare. Der Sender wusste sich nicht anders zu helfen, als den Beitrag komplett zu löschen, und wird dafür nun vom Veranstalter der Demo kritisiert: “Eine öffentlich-rechtliche Sendeanstalt darf der kleinen lauten Gruppe digital organisierter Rechter nicht so nachgeben. Keine Debatte ist unmoderierbar.”

3. Eichstätter Aufruf zu Achtsamkeit, Respekt und Wahrhaftigkeit beim Thema Flucht und Migration
(netzwerk-medienethik.de, Theresa Wasserer)
Das “Netzwerk Medienethik” macht auf den “Eichstätter Aufruf zu Achtsamkeit, Respekt und Wahrhaftigkeit beim Thema Flucht und Migration” vom Anfang des Monats aufmerksam. Dort heißt es unter anderem: “Wir fordern daher alle gesellschaftlichen Mitglieder, insbesondere aber die Eliten in Politik, Wissenschaft, Medien und Journalismus auf, sich ihrer Verantwortung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und das Gemeinwohl bewusst zu werden. Dazu ist Achtsamkeit in der Wahl der Worte ebenso notwendig wie Wahrhaftigkeit, also das wechselseitige Vertrauen in die Ehrlichkeit der Argumente.”

4. Nachrichtenchef Froben Homburger im Interview: Wie dpa Eilmeldungen vor Twitter-Fakes schützt
(kress.de, Bülend Ürük)
Der Nachrichtenchef der dpa Froben Homburger spricht im Interview über den Umgang der Agentur mit Tweets, die Breaking-News-Potenzial haben. Um nicht auf Fakes hereinzufallen, hat die dpa ihre internen Regeln überarbeitet. Das Dilemma: “Die Dynamik aufregender Newslagen hat immer das Potenzial, die Sorgfalt zu killen: Warum als einziger das Tempo-100-Limit beachten, wenn um mich herum alle ungestraft 220 fahren und beim Überholen auch noch triumphierend hupen?”

5. Ist der Guardian auf dem Weg zum Online-only-Titel?
(wuv.de, Franz Scheele)
Der renommierte britische Zeitungsklassiker “Guardian” ist nun auf eine Auflage von 138.000 geschrumpft und verkauft damit weniger Exemplare als so manche Regionalzeitung in Deutschland.

6. Burda News gelingt Trendwende dank “Siegelgeschäft”
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Die Verlagsgruppe Burda News (“Focus”, “TV Spielfilm”, “Playboy” etc.) gelingt gerade die Trendwende: Nach mehreren Verlustjahren, meldet der Konzern steigende Einnahmen. Das klassische Printgeschäft schrumpft zwar weiterhin, aber die Einnahmen aus anderen Erlösquellen wachsen. Hierzu zählt auch der Verkauf der teilweise umstrittenen Siegel, mit denen sich Unternehmen schmücken können.

Presserat rügt mal wieder, Wirrer Kunst-Coup, Schlagzeilen-Betrug

1. Presserat rügt “Bild”-Bericht über Drosten-Studie
(sueddeutsche.de)
Der Deutsche Presserat hat insgesamt zwölf neue “öffentliche Rügen” ausgesprochen, dabei handelt es sich um die härteste Sanktion der Beschwerdeausschüsse des Presserats. Ganz vorn bei den Gerügten mit dabei mal wieder die “Bild”-Zeitung, die in ihrer Berichterstattung über den Virologen Christian Drosten gleich mehrfach gegen die journalistische Sorgfaltspflicht verstoßen habe.
Weiterer Lesehinweis: Siehe dazu auch Julia Köppes Überblick aus dem Mai: “‘Bild’-Streit mit Virologen: Wie berechtigt ist die Kritik an der ‘Drosten-Studie’?” (spiegel.de).
Über eine Kampagne der “Bild”-Redaktion gegen Christian Drosten hatten wir ebenfalls im Mai berichtet: Wie die “Bild”-Redaktion mit schmutzigen Tricks versucht, Christian Drosten zu zerlegen.

2. Ich glaube, es ist noch etwas anderes …
(twitter.com, Sebastian Dullien)
Viel wurde darüber spekuliert, warum die “Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung” ein Interview mit Jan Böhmermann auf Geheiß von “FAZ”-Herausgeber Jürgen Kaube kurz vor Drucklegung aus dem Blatt geschmissen hat. “FAS” beziehungsweise “FAZ” hatten sich nicht zu den Gründen geäußert. War es der Unmut über das kurz davor erschienene Interview des Entertainers bei der “Süddeutschen Zeitung”? Sebastian Dullien hat eine andere Theorie und glaubt, die “FAS” sei in eine Falle Böhmermanns getappt. Die habe etwas mit dem deutschen Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel zu tun.

3. Schlagzeilen-Betrug mit falschem Merz-Versprechen
(georgstreiter.de)
“Es ist schon dreist, wie ‘Bild’ mit Schlagzeilen-Betrug versucht, neue Abonnenten für ‘bild.de’ zu keilen”, schimpft der Journalist und ehemalige stellvertretende Sprecher der Bundesregierung Georg Streiter in seinem Blog. Jüngstes Beispiel sei ein Teaser zur einem Interview mit Friedrich Merz auf der Startseite von Bild.de, der mit einer reißerischen Überschrift versehen sei, deren Aussage das Gespräch nicht hergebe. Streiter, früher selbst bei “Bild”, schreibt in seinem Fazit: “So betrügt ‘Bild’ seine Leser – und tut nebenbei Friedrich Merz einen Tort an”.

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4. Falsche Vorwürfe gegen Roth
(tagesschau.de, Patrick Gensing)
Zahlreiche Medien berichteten schier Skandalöses über die Vizepräsidentin des Bundestags: Mit einer in einem Bild festgehaltenen Daumen-runter-Geste hätte Claudia Roth ihrem Unmut über eine Rede von Innenminister Horst Seehofer Luft gemacht und dabei ihre Neutralitätspflicht verletzt. In Wirklichkeit hat es sich jedoch um ein Zeichen an CDU und CSU gehandelt, dass die vom Minister überzogene Redezeit von der Redezeit der Unionsfraktion abgezogen werde, so Patrick Gensing vom ARD-“Faktenfinder”.

5. Gegendarstellung: Spahn gegen jW
(jungewelt.de, Dennis Gabriel)
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und dessen Ehemann Daniel Funke würden von der “jungen Welt” Textlöschungen und die Abgabe von Unterlassungserklärungen verlangen. Dabei gehe es um die angeblich unzulässige Berichterstattung über den Erwerb einer Villa. Die “junge Welt” sieht sich im Recht und gibt sich entsprechend kämpferisch: “Das Vorgehen von Spahn und Funke ist der Versuch, unangenehme Berichterstattung und Kommentierung zu verhindern und Journalisten einzuschüchtern. Deshalb wird der Versuch, der Tageszeitung junge Welt einen Maulkorb zu verpassen, auch mit juristischen Mitteln zurückgewiesen.”
Weiterer Lesehinweis: Auch der “Business Insider” bekam Post von Spahn und Funke: Jens Spahn wollte Berichte über Hauskauf verbieten lassen und scheitert – Gericht untersagt nur die Nennung konkreter Summen (Business Insider, Romanus Otte).

6. Wirrer Kunst-Coup im “heute journal”: Was wollte die Gestalt in Blau?
(berliner-zeitung.de, Hanno Hauenstein)
Am Freitagabend gab es im “heute journal” des ZDF eine seltsame Szene: Hinter Moderator Claus Kleber tänzelte eine Person in Schutzkleidung durchs Bild, und Klebers Stimme wurde von einer zweiten Tonspur überlagert. Wie sich später herausstellte, handelte es sich um eine, natürlich abgesprochene, Aktion des Künstlers Christian Jankowski.

Diversität in Aufsichtsgremien, Absturz bei Jüngeren, Rolf Kauka

1. Wen vertreten eigentlich die Rundfunkräte von ARD und ZDF?
(uebermedien.de, Fabian Goldmann)
Die Neuen deutschen Medienmacher*innen haben eine Untersuchung über Diversität in Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks veröffentlicht (PDF). Es gehr dabei um die Fragen: Welche gesellschaftlichen Gruppen sind in den Gremien vertreten? Welche Stimmen bleiben ungehört? Welche informellen Faktoren wie Zugang zu Ressourcen oder politische Loyalitäten beeinflussen die Machtverhältnisse in den Gremien? Fabian Goldmann war für die Untersuchung als Autor verantwortlich. Bei “Übermedien” stellt er die wichtigsten Ergebnisse vor.
Kritik an der Auswertung kommt von “DWDL”-Chef Thomas Lückerath bei Twitter – wiederum mit Widerspruch zur Kritik in den Antworten.

2. “Mein Postfach muss nicht jede Beleidigung der Welt schlucken”
(mdr.de, Marc Zimmer)
Nach sieben Jahren nahezu täglicher Twitter-Präsenz hat die Ärztin und Autorin Natalie Grams-Nobmann ihren Account gelöscht. Im Interview mit dem MDR hat sie über ihre Beweggründe gesprochen, die mit dem Tod ihrer österreichischen Kollegin Lisa-Maria Kellermayr zu tun haben: “Ich ertrage es nicht mehr, in diese Hölle zu blicken, wo Menschen den Tod eines anderen Menschen, den Suizid eines anderen Menschen regelrecht feiern – und das als Schuldeingeständnis dieser wirklich bedrohten und verfolgten Ärztin sehen und sich so darüber erheben.”

3. Weiblicher Auslandsjournalismus weltweit: Berichterstattung aus dem Libanon
(fachjournalist.de, Julia Neumann)
Julia Neumann berichtet als Auslandskorrespondentin aus dem Libanon. In ihrem Beitrag für den “Fachjournalist” geht es um die Vorurteile hinsichtlich Gefahrenpotenzial und Diskriminierung. Neumann kann die gängigen Klischees nicht bestätigen. Das Gegenteil sei der Fall: “Tatsächlich erfahre ich im Libanon, aber auch in Jordanien oder in den Emiraten kaum Diskriminierung als Reporterin. Im Gegenteil: Ich kann unverblümt mit aus Syrien geflüchteten Frauen in einem Zelt sitzen und zuhören, wie sie über Genitalhygiene oder die Periode reden. Auch im Iran habe ich viele Frauen zu ihrer politischen Meinung bei den Wahlen befragen können. Als Reporterin habe ich einen direkten Zugang, vor allem zu Frauen in ländlichen Gegenden.”

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4. Absturz bei Jüngeren: So schnell altert das lineare Fernsehen
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Mit 59 Jahren habe das Durchschnittsalter des deutschen TV-Publikums im ersten Halbjahr 2022 einen neuen Höchststand erreicht, berichtet Uwe Mantel bei “DWDL”. Dies hänge mit der allgemeinen demografischen Entwicklung, mit dem Wandel der Mediennutzung und mit dem Umstand zusammen, dass TV-Geräte bei den Älteren immer länger laufen würden.

5. Neue Narrative für den Krieg
(taz.de, Barbara Oertel)
Zwei Handreichungen aus der russischen Präsidialverwaltung von Mitte Juli würden festlegen, wie staatstreue Medien über den Krieg, der so offiziell nicht heißen darf, berichten sollen. Barbara Oertel fasst zusammen, mit welchen Argumenten die Medien der Bevölkerung den Krieg mitsamt seiner Folgen erklären sollen.

6. Fix & Foxi als ewige Pimpfe
(kreuzer-leipzig.de, Stefan Pannor)
In seinem Buch “Fürst der Füchse” beschäftigt sich der Historiker Bodo Hechelhammer mit dem Leben des Comic-Verlegers Rolf Kauka (unter anderem “Fix & Foxi” und “Bussi Bär”), dessen Verstrickungen mit dem Bundesnachrichtendienst und Kaukas rechter Gesinnung. Für den Journalisten und Comic-Spezialisten Stefan Pannor ergibt sich nach Lektüre des Buchs folgendes Bild: “Kauka wie seine Comics waren Produkte bundesdeutscher Kontinuitäten über den NS-Staat zur Adenauer-Republik bis zur Kohl-Kanzlerschaft. Der Finanzminister Klaus Kinkel, ebenfalls Wessel-Intimus, besorgte Kauka das Bundesverdienstkreuz. Erster Klasse, natürlich. In Kaukas Lebensgeschichte, wie der vieler, die nach der NS-Zeit zu Ruhm und Geld gelangten, zeigt sich das Bild eines Menschen, der gleichzeitig unfassbar reich und mächtig war, der sich aber dennoch nach zwei verlorenen Weltkriegen als zu kurz gekommen sah, als ‘Herrenmensch’, der keiner sein durfte.”

Nö, mit Ausländerfeindlichkeit hat das nix zu tun

Metin Kaplan lebte von 1983 bis 2004 in Deutschland und erhielt von 1992 bis 2000 politisches Asyl. Nachdem Kaplan in Deutschland zur Tötung Ibrahim Sofus aufgerufen hatte und Sofu 1997 ermordet worden war, kam er 1999 in Untersuchungshaft und wurde 2000 wegen öffentlichen Aufrufs zu einer Straftat zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Nach seiner Haftentlassung 2003 wurde die Auslieferung Kaplans an die Türkei (wo er wegen des Versuchs des “gewaltsamen Umsturzes der Verfassungsordnung” angeklagt war) zunächst abgelehnt, weil ihm dort möglicherweise ein nicht rechtsstaatliches Strafverfahren und Folter drohten. 2004 wurde er dann doch ausgewiesen, in der Türkei festgenommen und 2005 wegen Hochverrats zu lebenslanger Haft verurteilt.

Es schadet nicht, sich das alles noch einmal in Erinnerung zu rufen, bevor man den heutigen “Bild”-Kommentar von Georg Gafron liest. Und nicht nur das, denn:

1987 erhielt auch Metin Kaplans Familie Asyl in Deutschland, weil sie in die drohende politische Verfolgung ihres Mannes hätte einbezogen werden können. Mit der Abschiebung Kaplans 2004 wurde jedoch Kaplans Ehefrau Belkis und Tochter Halise der Asylanspruch aberkannt, weil beide vor ihrer Ausreise nach Deutschland nicht politisch verfolgt worden seien und ihnen bei einer Rückkehr in die Türkei keine Verfolgung drohe. Die beiden Frauen hatten dagegen geklagt, ihre Klage wurde am gestrigen Freitag vom Kölner Verwaltungsgericht abgewiesen.

Und jetzt zu “Bild”. Denn dort schreib ja Georg Gafron über die gestrige Gerichtsentscheidung, lobt die Kölner Richter für ihr Urteil und hält es für eine konsequente Anwendung des Ausländerrechts. Weiter schreibt er:

Leider ist dies nicht die Regel: Haarsträubende Mißstände in deutschen Behörden machen es nach wie vor möglich, daß sich zum Teil schwerstkriminelle Ausländer trickreich den Schutz des deutschen Ausländer- und Staatsangehörigkeitsrechts erschleichen können.

Die Aberkennung des Asylstatus der Familie Kaplan in Köln zeigt: Es geht auch anders, wenn man nur will.

Es hat mit Ausländerfeindlichkeit nicht das geringste zu tun, wenn man fordert: Wer als Gast hier lebt und gegen die Gesetze verstößt, hat das Gastrecht verwirkt und muß gehen! Und zwar schnell.

Mit anderen Worten: Gafron verschweigt komplett, dass die Aberkennung des Asylstatus von Kaplans Ehefrau und Tochter mit der (behaupteten) trickreichen Schutz-Erschleichung schwerstkrimineller Ausländer nicht das Geringste zu tun hat. Stattdessen erweckt er den gegenteiligen Eindruck. Und obwohl das Gerichtsurteil, auf das sich Gafron bezieht, offenbar nicht einmal bedeutet, dass die beiden Frauen nun ausgewiesen werden können, druckt “Bild” das alles unter der Überschrift:

"Kriminelle Ausländer raus!"

Ein Spruch, mit dem übrigens auch die DVU im letzten Wahlkampf warb, obwohl doch für Gafrons Argumentation eine pauschalere “Ausländer raus!”-Überschrift fast präziser gewesen wäre. Und wer weiß: In “Bild”-Logik hätte wahrscheinlich auch die “mit Ausländerfeindlichkeit nicht das geringste zu tun”.

49,6 million ways to kill your lover

1975 glaubte der Musiker Paul Simon, es gebe doch bestimmt “50 ways to leave your lover”. Er selbst hat dann aber nicht einmal fünf gefunden, sondern, nun ja, diese:

1.) slip out the back
2.) make a new plan
3.) hop on the bus
4.) drop off the key

Aber damals gab es ja auch noch kein Google.

Sucht man mit der Internet-Suchmaschine heute nach “ways to leave your lover”, findet man in kürzester Zeit nicht nur dies, sondern auch fast 150.000 weitere Ergebnisse, woran Paul Simon natürlich nicht ganz unschuldig ist… Lässt man die Gänsefüßchen links und rechts der Wortfolge weg und sucht nach ways to leave your lover, sind es sogar weit über 60 Millionen Ergebnisse. Und ersetzt man die Gänsefüßchen durch einfache Anführungszeichen oder Apostrophe (‘ways to leave your lover’), ist die Ergebniszahl genau so riesig! (Was übrigens nicht weiter verwunderlich ist, weil die Google-Suchmaschine, der Apostrophe völlig schnurz sind, nur Ergebnisse findet, in denen irgendwo die Wörter ways, leave und lover vorkommen. Aber geschenkt: 60 Millionen ways sind knapp 60 Millionen mehr, als Paul Simon sich 1975 hätte träumen lassen, bzw. viel!)

Am gestrigen Sonntag nun berichtete die “Bild am Sonntag” über Robert James Petrick, der, wie in den Wochen zuvor auch schon hier und da zu lesen war, mit Hilfe der Internet-Suchmaschine Google den Mord an seiner Frau geplant haben soll. In der “BamS” liest sich das so:

Mordanleitung aus dem Internet - Tötete er seine Frau mit Google?

Und mal abgesehen davon, dass der Mann seine Frau gar nicht mit einer Internet-Suchmaschine, sondern mit einem Kissen umgebracht haben soll, hat die “BamS” weder Kosten noch Mühen gescheut, der Sache nachzugehen, und schreibt:

49,6 Millionen Hinweise spuckt die Internet-Suchmaschine bei “how to kill a man” (wie töte ich einen Menschen) aus.

Wie die “BamS” darauf kommt, dass es sich bei den gefunden Ergebnissen um “Hinweise” handelt, sei dahingestellt. Dass die “BamS” allerdings gar nicht nach der Wortfolge “how to kill a man” (knapp 650 Ergebnisse wie etwa dieses oder dieses) gesucht hat, sondern nach Internetseiten, auf denen irgendwo die Wörter how und to und kill und a und man zu finden sein sollen, zeugt allerdings von… zeigt sogar der in der “BamS” abgebildete Google-Screenshot: Die “BamS” hatte schlicht die falschen Anführungszeichen benutzt.

Daneben heißt es in der “BamS”:

Und das ist nun endgültig mehr als seltsam, wenn nicht gar völlig falsch. Wir jedenfalls haben keine anderen Quellen finden können, die berichten, dass Petrick selbst nach etwas so Dämlichem wie “how to kill a man” gesucht haben soll — zumindest fand sich nach Erscheinen der “BamS” bei entsprechender Google-Suche gerade mal ein einziger “Hinweis” — dieser.

Mit Dank an die zahlreichen Hinweisgeber bzw. reticon.de.

David Blieswood und seine Liebe zu Gillette

Der offizielle Berater des “Bild”-Chefredakteurs Kai Diekmann heißt Norbert Körzdörfer. Wenn er im Blatt schreibt, nennt er sich manchmal aber “David Blieswood” (ein Pseudonym, das er der “Süddeutschen Zeitung” so erklärte: “David ist unser Sohn, wir wohnen in Bliesdorf und träumten immer von Hollywood — so einfach ist das”).

Als Blieswood schrieb Körzdörfer auch schon für “Welt” und “Welt am Sonntag”. Und man könnte sagen, er ist sich über viele Jahre treu geblieben.

Blieswood am 25. September 2006 in “Bild”:

Ich nassrasiere mich mit einer Sensation: “Gillette Fusion” (5 + 1 Klinge). Ich bin ein Babypopo.

Blieswood am 29. März 2003 in der “Welt”:

Ein Milliardär hatte Geburtstag. Worüber freute er sich am meisten? Über neue Rasierklingen aus den USA. Ich komme ins Bad. Da liegt ein Geschenk meiner Frau: Die neuen “Gilette Mach3 turbo”-Anti-Friction- Klingen. Ein Mann braucht so wenig zum Glück.

Blieswood am 9. September 2002 in der “Welt”:

Mein Lieblings-Friseur, Gerhard Meir, empfahl mir jetzt ein Wunder-Öl: “Huile de Rasage” von “Clarins” (ca. 30 Euro). Man schmiert einige Tropfen Öl auf die nasse Gesichtshaut – und gleitet mit dem “Mach 3” von Gillette sanft drüber. Ein Gefühl wie beim Baby-Popo.

Blieswood am 23. August 1998 in der “Welt am Sonntag”:

Ich habe die Zukunft gespürt.

Sie heißt Gillette “Mach3”, kostet 7,99 Dollar. Es ist ein Quantensprung im jahrtausendalten Kampf Mann gegen Bart.

Angeblich über 500 Millionen Mark verschlang die Entwicklung der dreimesserigen Kompaktklinge. Blitztest: Das Gleiten ist wie Streicheln. Das Griffgefühl liegt zwischen Kartoffelschäler und Tapezierrolle.

Ein blauer Feuchtigkeits-Streifen löst die ewige Frage: Noch scharf oder fast schon stumpf? Wenn der Streifen weg ist, ist die Klinge verbraucht. Ein geniales Ding. Deutschland-Start: September. Preis: 13,99 Mark (Internet: www.gillette.com).

Danke an Nils M. für den Hinweis!

Nachtrag, 29. September. Aus David Blieswoods Buch “Das ABC der feinen Lebens-Art” (Ullstein, 1999), S.76:

Nur wer sich naß rasiert, fühlt sich wie früher. Seit 20 Jahren rasiere ich mich mit den Top-Modellen von Gillette. Da tritt Langeweile ein. Ich testete den neuen “Wilkinson FX Performer”. Sanfter, aber nicht besser. Rückkehr zu “Gillette Sensor Excel”.

Daum hält sich nicht an “Bild”-Wissen

Über Christoph Daum, Trainer des 1. FC Köln, schrieben “Bild” und Bild.de am Dienstag vergangener Woche überraschend dies:

"Daum -- Rücktritt!"
(…) Er wird zurücktreten. BILD weiß: Seine Entscheidung steht fest, auch wenn er sie (noch) nicht verkünden will.

(…) Spätestens Montag! Dann steht fest: Christoph Daum (54) wird den 1.FC Köln verlassen.

(…) Daum wird die Kölner trotz der Rückkehr in die Bundesliga zum Saisonende vorzeitig verlassen. Auch ein Vertrag bis 2010 kann Daum nicht halten (…). Der Absprung steht aufgrund seiner Ausstiegsklausel unmittelbar bevor.

Seit gestern abend steht wohl fest: Die “Bild”-Behauptungen sind falsch, Daum wird nicht zurücktreten. Oder, um’s mit der aktuellen “Bild” zu sagen:

"Daum bleibt!"

Allerdings liegt dazwischen eine turbulente Woche.

Unmittelbar nach dem “BILD weiß”-Bericht nämlich erklärte Daum im Kölner “Express”:

An dieser Stelle muss ich alle irren Spekulationen beenden: Selbstverständlich will ich weiter beim FC bleiben. (…) Das ist jetzt keine Pokerei (…).

“Welt Online” hielt Daums “Pokerei”-Dementi anschließend jedoch selbst für Pokerei und “eine Retourkutsche” auf die Rücktrittsmeldungen. Und auf die Frage, ob denn möglich sei, “dass der Trainer des 1.FC Köln in der kommenden Saison nicht Christoph Daum heißt”, antwortete Daum im Interview:

Ich kann diese Möglichkeit nicht gänzlich ausschließen.

“Welt Online” waren an diesem Tag nicht mal die einzigen mit einem Daum-Interview. Und als am selben Tag der “kicker” fragte, ob denn wohl jemand überrascht sein dürfte, wenn er tatsächlich Trainer bliebe, orakelte Daum:

Einen* gibt es wohl. Denjenigen, der mich hier weghaben will. Der wird überrascht sein.

*) Einen Tag nach dem “kicker”-Interview wollte Daum seine Aussage ausdrücklich “auf einen Medienvertreter” bezogen wissen.

Die “Bild”-Zeitung indes reagierte mit einer “BILD-Analyse” zum “Daum-Dilemma”:

Christoph Daum in einem “Express”-Video:

“Dass andere Themen jetzt, bevor die Saison zuende ist, in den Mittelpunkt kommen, dafür kann ich nichts. Das liegt an der Kölner ‘Bild’-Redaktion, das ist ‘ne persönliche Sache.”

“Daum weg”, schrieb BILD nach dem Aufstiegs-Finale gegen Mainz. (…) Der Trainer reagierte sauer und sprach von einer “persönlichen Sache” mit BILD-Köln [siehe Kasten].

Nun gut! (…) Gestern erklärte Daum in einem RPR1- Radio-Interview: “Es wird Gespräche (mit dem FC) geben, die vom Ergebnis her offen sind.”

Und später: “Es steht nichts fest…”

Daraus könnte man auch einen Rücktritt interpretieren.

Daraus, ähm, könnte man auch ein Zurückrudern interpretieren. Was allerdings das großspurige “BILD weiß” betrifft, mit dem das Hin und Her begann, gibt es im Nachhinein drei Möglichkeiten:

  • A: “Bild” hatte sich von irgendwem (oder Daum) irgendwas erzählen lassen und als Tatsache hinausposaunt.
  • B: “Bild” hatte sich für Daums Pokerei (inkl. Dementis, Beschimpfen-Lassen und Doof-Dastehen) einspannen lassen.
  • C: “Bild” hatte keine Ahnung und einfach irgendwas behauptet.

Unplausibel ist keine der Versionen. Nur…

…mit Journalismus haben sie alle drei nichts zu tun.

“Bild” schreibt Rechtschreibreform wieder mit Schl

Wegen Rechtschreibreform machen Schüler mehr Fehler

Der erste Satz des Artikels von der gestrigen “Bild”-Titelseite ist ein Rückfall in alte Zeiten.

Die 2005 verbindlich eingeführte “Schlechtschreibreform” hat den Schülern das Leben nicht leichter gemacht, sondern schwerer!

“Schlechtschreibreform” hatte “Bild” die Rechtschreibreform zwischen 2004 und 2006 genannt — also in dem Zeitraum, in dem sie die Änderungen, die sie 1997 begrüßt und 1998 selbst übernommen hatte, massiv und vergeblich bekämpfte und zeitweise sogar zur alten Rechtschreibung zurückkehrte.

Doch so ein Kulturkampf hinterlässt Spuren. Und wenn wegen einer solchen Reform nun die Schüler tatsächlich mehr Fehler machen als vorher, war sie sicher mehr schlecht als recht.

“Bild”-Redakteur Hans-Jörg Vehlewald bezieht sich auf die Forschungsgruppe Deutsche Sprache (FDS), die er immerhin zu Recht “reformkritisch” nennt, und schreibt:

Die Fehlerquote in Aufsätzen und Diktaten hat sich teilweise massiv erhöht. So stieg die Zahl falsch geschriebener Wörter in Aufsätzen (4. Klasse) um 80 %, in Diktaten der Unterstufe (Gymnasium) um 110 %, in Abituraufsätzen sogar um 120 % im Vergleich zu früheren Jahrgängen.

Die Fehlerzahl bei s-Lauten habe sich etwa verdoppelt, so die Auswertung vorliegender Studien. Bei Groß- und Kleinschreibung sei die Fehlerquote gar um 176 % angestiegen.

Das sind große Prozentzahlen — eindrucksvoll und ohne jede Aussagekraft, wenn man nicht dazu schreibt, worauf sie sich beziehen. Der Preis der “Bild”-Zeitung zum Beispiel ist um 566 Prozent gestiegen! (Verglichen mit 1965.) Was “Bild” nur als “frühere Jahrgänge” verbrämt, ist in Wahrheit entscheidend: Bei den Diktaten der Unterstufe handelt es sich konkret um die Jahre 1970/1972. Und um festzustellen, dass die Zahl falsch geschriebener Wörter in Abituraufsätzen “sogar um 120 %” gestiegen ist, hat die “Studie” deutsche Zahlen von 2000-2002 mit Schweizer Zahlen von 1962-1978 verglichen.

Der Linguist Anatol Stefanowitsch weist im FDS-kritischen Bremer Sprachblog darauf hin, dass es in den siebziger Jahren radikale Reformen im Deutschunterricht gab, die einen “drastischeren Einschnitt” in die Ausbildung von Schülern darstellte als die sogenannte Rechtschreibreform, und urteilt:

Es gibt deshalb keinen Grund anzunehmen, dass die Unterschiede bei den Fehlerquoten in Schülerdiktaten von damals und heute irgendetwas mit der Rechtschreibreform zu tun haben. Genausogut könnte man die Unterschiede auf die Ölkrise 1973, den Boykott der Olympischen Spiele in Moskau 1980, den Gewinn der Fußballweltmeisterschaft 1990 oder Roman Herzogs “Ruck”-Rede 1997 zurückführen.

Die Forschungsgruppe Deutsche Sprache selbst hat sich alle Mühe gegeben, diese Lücken in ihrer Argumentation zu verschleiern. Aber sowohl aus der am Montag veröffentlichten Kurzfassung der Studien, die offenbar die Grundlage für den “Bild”-Artikel ist, als auch aus einem Vortragsmanuskript ihres Autors Uwe Grund [pdf] hätte “Bild”-Redakteur Vehlewald erkennen können, dass seine Aussage “Wegen Rechtschreibreform machen Schüler mehr Fehler” nicht gedeckt ist.

Er hätte es natürlich wollen müssen.

Ehe für alle, MDR-Pate angeklagt, Abgehört

1. Merkels Privat-Audienz bei „Brigitte“
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Ausgerechnet ein Talk von Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Frauenzeitschrift “Brigitte” ermöglicht nun wahrscheinlich die Öffnung der “Ehe für alle”. Stefan Niggemeier fragt sich, was das über Bundeskanzlerin und “Brigitte” aussagt: “Ein Teil des Spotts, den man nun über die „Brigitte“ liest, ist in Wahrheit Ausdruck der Wut über die Kanzlerin, dass sie sich einer ernsthaften politischen Auseinandersetzung über das Thema selbst in dem Moment noch verweigert, in dem sie sich bewegt – auch dank der Bühne, die ihr die „Brigitte“ mit dem netten Plauschformat bietet.”

2. Aufgeflogen: Gespräch mit Journalisten abgehört
(ndr.de, Hendrik Maaßen)
In Sachsen wurden Gespräche von mindestens drei Journalisten im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens abgehört und jahrelang gespeichert. Das belegen Unterlagen der Polizei Sachsen, die dem “NDR” vorliegen. Entgegen der gesetzlichen Benachrichtigungspflicht wurden alle drei Journalisten nach eigenen Angaben nicht über die Überwachung informiert. Hintergrund: Die Generalstaatsanwaltschaft Sachsen hatte gegen Personen aus dem Umfeld des Leipziger Fußball-Oberligisten “BSG Chemie Leipzig e.V” wegen des Verdachts auf “Bildung einer kriminellen Vereinigung” ermittelt.

3. Betrogen und bestochen
(faz.net, Michael Hanfeld)
Es sind schwere Vorwürfe, mit denen sich der ehemalige Unterhaltungschef des Mitteldeutschen Rundfunks konfrontiert sieht. Das Landgericht Leipzig hat am Dienstag die Anklage gegen ihn zugelassen. Es geht um Betrug in dreizehn Fällen, Steuerhinterziehung in fünf Fällen sowie Untreue und Bestechlichkeit in je einem Fall. Wenn man den Beitrag liest, versteht man, warum der Mann auch als “der Pate des ARD-Unterhaltungsfernsehens” bezeichnet wird.

4. Das sind die größten Herausforderungen für Journalisten
(horizont.net, Katharina Brecht)
Die größten Herausforderungen für Journalisten sind Glaubwürdigkeit, Fake News und Unabhängigkeit. Dies ist jedenfalls das Ergebnis einer Umfrage unter mehr als 1.700 Journalisten. In der Umfrage ging es auch um den Umgang mit Social Media und wie es um das Verhältnis zu Pressesprechern bestellt ist.

5. „Facebook-Gesetz“ – Eine Ehrenrettung
(carta.info, Christian Humborg)
Das umstrittene Netzwerkdurchsetzungsgesetz* ist besser als sein Ruf, findet Christian Humborg in seiner Kolumne auf “Carta”. Es verteidige die Meinungsfreiheit, weil es die Meinung der anderen, also der Opfer von Hasskriminalität, zu schützen versuche.

6. Unkontrollierbare Scheißstrecke: Warum die Rocket Beans Erfolg haben
(wired.de, Max Biederbeck)
“Wired” war zu Gast bei einem der erfolgreichsten Internet-Kanäle: “Rocket Beans TV” in Hamburg. Die Produktionsfirma hat sich innerhalb von drei Jahren zu einem florierenden Unternehmen mit 90 Angestellten entwickelt. Im weitesten Sinn geht es um Unterhaltung und Nerdthemen: ob Computerspiele, Filme, Musik oder Brettspiele. Max Biederbeck zeichnet die Entwicklung der Firma nach und hat sich angeschaut wie die “Beans” arbeiten.

*Nachtrag, 6. Oktober: In einer früheren Version hatten wir fälschlicherweise vom “Netzwerkdurchsuchungsgesetz” geschrieben. Das ist natürlich Unsinn.

Bild  

Rechte Straftaten? Nicht in “Bild”

In den ersten drei Monaten dieses Jahres gab es in Hessen 115 Fälle von Straf- und Gewalttaten im sogenannten Phänomenbereich der politisch motivierten Gewalt – rechts; im Phänomenbereich der politisch motivierten Gewalt – links waren es von Januar bis März 52 Fälle. Das geht aus zwei Antworten des hessischen Innenministeriums (PDF und PDF) auf Kleine Anfragen der SPD-Fraktion hervor.

Vergleicht man die Zahlen zu linken und rechten Straftaten, gab es also mehr als doppelt so viele “Straf- und Gewalttaten mit rassistischem, antisemitischem, rechtsextremistischem und/oder ausländerfeindlichen Hintergrund”. Und was landet in der Frankfurter “Bild”-Ausgabe in der Überschrift?

Ausriss Bild-Zeitung - 52 linke Straftaten bis April in Hessen

Die rechten Straftaten erwähnt die Redaktion nicht mit einem Wort. Die komplette Meldung im Blatt lautet:

2018 gab’s in Hessen 227 Fälle linker Kriminalität, darunter 20 Gewaltdelikte. 2017 waren es noch 183 Fälle (20 Gewalttaten). In den ersten drei Monaten zählt das Innenministerium bereits 52 Fälle, darunter fünf Gewaltdelikte.

In 34 Fällen war Frankfurt der Tatort. Dahinter: Fulda (7) Wiesbaden (2).

30 Tatverdächtige wurden ermittelt, davon waren zehn weiblich. Bei den Gewalttaten handelt es sich überwiegend um Angriffe auf Polizeibeamte bei Demonstrationen.

Der Vollständigkeit halber: 2018 gab’s in Hessen 603 Fälle rechter Kriminalität, darunter 27 Gewaltdelikte. 2017 waren es 602 Fälle (18 Gewalttaten).

Mit Dank an @jnfrhlch für den Hinweis!

Nachtrag, 27. August: Vor rund zwei Wochen hatte die Frankfurter “Bild”-Redaktion doch auch über die rechten Straftaten berichtet — ohne dabei die linken Straftaten zu erwähnen. Das haben wir bei unserer Recherche übersehen, wofür wir um Entschuldigung bitten möchten.

Auch bei Bild.de sind diese Zahlen erschienen. Über dem Artikel steht:

115 POLITISCH MOTIVIERTE TATEN IN DREI MONATEN — Die Liste der Schande

… was nicht so wirklich stimmt, schließlich waren es in den drei Monaten Januar, Februar und März 115 rechte und 52 linke, insgesamt also 167 politisch motivierte Straftaten in Hessen.

Damals, als Julian Reichelt noch Wahlkampf für die Grünen machte

Die “Bild”-Redaktion hatte in der vergangenen Woche einen tollen Einfall, wie sie ihre Abneigung gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und ihre Abneigung gegen die Grünen in nur einem Artikel ausleben kann:

Ausriss Bild-Zeitung - Machen Wetterfrösche Wahlkampf mit Klima?

Ralf Schuler, Leiter des “Bild”-Parlamentsbüros, schreibt:

Eigentlich sollen sie nur das Wetter der nächsten Tage vorhersagen. Doch seit einiger Zeit erklären die Wettermoderatoren im Fernsehen immer öfter ausführlich die Temperaturkurven der letzten Jahre und den Klimawandel.

Als Beispiele nennt Schuler lediglich die Wettermoderatoren Karsten Schwanke (ARD) und Özden Terli (ZDF). Und fragt: “Sachliche Aufklärung oder heimlicher Klima-Wahlkampf?”

Die Antwort lässt er Hermann Binkert geben, einst selbst CDU-Politiker, zwischenzeitlich Mitglied der “Werteunion”, laut “Zeit Online” AfD-Spender und Chef des Meinungsforschungsinstituts INSA:

Fakt ist: “Je stärker das Thema Klimaschutz im Bewusstsein der Bevölkerung ist, desto eher werden die Grünen von der Kompetenz, die man ihnen hier zuspricht, profitieren”, sagt INSA-Chef Hermann Binkert.

Dazu drei Nebengedanken: 1. Wäre dann eine Zeitung, die ständig jene Themen auf der Titelseite platziert, die Rechtspopulisten in die Karten spielen, nicht genauso ein Wahlkampfblatt für die AfD? 2. Das klingt ja fast so, als würden die Grünen laut “Bild” als einzige Partei Antworten auf den Klimawandel haben. Und 3. Wenn Schuler nebulös von “seit einiger Zeit” spricht, ist schwer zu sagen, was er damit genau meint. Karsten Schwanke zum Beispiel hat im November 2018 für die ARD sehr anschaulich die Folgen des Klimawandels erklärt (und dafür eine Grimme-Preis-Nominierung erhalten). Damals war der Wahlkampf für die Bundestagswahl im September 2021 noch nicht so richtig im Gange.

Aber nehmen wir die “Bild”-Logik mal so hin.

Für unser Buch “Ohne Rücksicht auf Verluste” haben wir uns durch das gesamte Œuvre von Julian Reichelt gewühlt. Und dabei überraschende Seiten entdeckt. Denn vor einigen Jahren machte der heutige “Bild”-Chefredakteur und damalige “Bild”-Reporter Reichelt – jedenfalls nach “Bild”-Logik – selbst noch kräftig Wahlkampf für die Grünen. Am 10. April 2007 beispielsweise erschien in “Bild” dieser Artikel:

Ausriss Bild-Zeitung - Bild-Reporter Julian Reichelt mit dem WWF bei den Eisbären in der Arktis - Mensch, lass das Reich dieser Tiere nicht schmelzen

Schon nach dem Lesen des Einstiegs kann man gar nicht anders, als das Kreuz bei den Grünen zu setzten:

Durch arktischen Schnee, der unter meinen Polarstiefeln knirscht, stapfe ich auf ein Wunder zu.

Das Wunder des Lebens, das der eisigen Kälte trotzt (minus 20 Grad). 100 Meter schwere Schritte, 50 Meter, 10 Meter – und dann stehe ich vor ihnen. Zwei junge Eisbärbabys, die sich ins Fell ihrer Mutter kuscheln. Ich sehe das Blinzeln ihrer schwarzen Augen, die wie kleine Kohlestücke sind. Ich sehe das Zittern ihrer Nasen. Ich sehe, wie sich der Körper ihrer Mutter hebt und senkt.

Ich sehe den ganzen überwältigenden Zauber der Natur, der in den Händen des Menschen liegt. Den Zauber, den wir erhalten MÜSSEN.

Reichelts damalige “Lektion aus dem Eis”:

Die globale Erwärmung bedroht das, was unseren Planeten so einzigartig macht!

Warum überhaupt der Besuch beim Eisbär?

Weil sein Lebensraum langsam schmilzt, wurde der Eisbär zum traurigen Wappentier der Erderwärmung. Zum einsamen Helden der Klimakatastrophe. Deswegen hat BILD ihn besucht. Um zu zeigen, welch fantastische Natur wir riskieren, weil wir schneller Auto fahren, öfter fliegen, das Licht in der Wohnung länger brennen lassen wollen.

Als hätte er es direkt aus dem Wahlprogramm der Grünen abgeschrieben. Und so gibt es am Ende des Artikels noch mal einen eindringlichen Appell:

Aber schon am nächsten Tag werden wir eine Eisbärin ohne Junge finden. Ich werde mit meinen Händen das Fell berühren. Die dicken Strähnen, die rau sind vom Meerwasser.

Ich werde berühren, was wir bewahren müssen.

Acht Monate später legte Reichelt mit dem “erschütternden BILD-Report” nach:

Ausriss Bild-Titelseite - Der erschütternde Bild-Report - So machen wir unsere Erde kaputt

Die “Bild”-Redaktion startete zeitgleich die Aktion “RETTET UNSERE ERDE”, in Kooperation mit Greenpeace, dem BUND und WWF: “Darum müssen wir endlich handeln! ES GEHT UM DIE RETTUNG DER ERDE!”

Viel ist von alldem heute nicht mehr übrig. Stattdessen machen “Bild” und Julian Reichelt es nun schon zum Skandal, wenn Wettermoderatoren “ausführlich die Temperaturkurven der letzten Jahre” erklären.

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KW 50: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. Christian Wulff – der Fall des Bundespräsidenten
(ardaudiothek.de, Christopher Jähnert & Kilian Pfeffer, Podcast-Reihe mit sieben Folgen zwischen 17 und 31 Minuten)
Der Fall des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff gleicht einem Politkrimi: Anfangs von vielen Medien hochgejubelt, folgte der Sturz ins Bodenlose. Christopher Jähnert und Kilian Pfeffer haben die Geschichte in einem hörenswerten siebenteiligen Podcast aufgearbeitet, in dem sie sich auch kritisch mit Medien, insbesondere der “Bild”-Zeitung, befassen. Auch der ehemalige “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann und Christian Wulff selbst äußern sich zu den Vorgängen.

2. Wie recherchiert man als Journalist in pädokriminellen Foren?
(uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 42:09 Minuten)
Holger Klein hat mit Daniel Moßbrucker darüber gesprochen, wie man als Journalist in pädokriminellen Foren recherchiert. Aus gutem Grund ist dem Gespräch eine Warnung vorangestellt: “In diesem Gespräch zwischen Holger Klein und Daniel Moßbrucker wird sexuelle Gewalt gegen Kinder thematisiert. Einzelne Passagen können verstörend wirken. Weil Moßbrucker über Recherchen zu Foren mit pädosexuellen und pädokriminellen Inhalten spricht, ist dies unausweichlich.”

3. Viel reden, wenig sagen – Sind politische Interviews verzichtbar?
(ardaudiothek.de, Christoph Sterz, Audio: 40:54 Minuten)
Es werden viele politische Interviews geführt und veröffentlicht, doch der Erkenntnisgewinn hält sich oft in Grenzen. Welche Rollen Journalistinnen und Journalisten einerseits und Politikerinnen und Politiker andererseits in diesen Gesprächen einnehmen, diskutieren Deutschlandfunk-Redakteur Thielko Grieß, die Medientrainerin Sabine Appelhagen, Christoph Sterz aus der Medienredaktion des Deutschlandfunks (Dlf) und Dlf-Hörer Christoph Diekmann, der sich nicht nur bessere und kritischere Fragen wünscht, sondern vor allem insgesamt weniger Interviews.

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4. Olaf Scholz und die Medien: Viele Worte, wenig Inhalt
(ndr.de, Daniel Bouhs, Video: 12:45 Minuten)
Olaf Scholz ist bekannt für seinen besonderen Umgang mit Medien und seine ausweichenden Antworten auf konkrete Fragen. Seit seiner Kanzlerschaft zeigt sich Scholz nahbarer, war bei Joko und Klaas zu Gast, hatte Auftritte bei “Bild TV” und im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Daniel Bouhs fragt sich: “Hat Olaf Scholz etwa seine Medienstrategie geändert? Und was bedeutet das für uns Wählerinnen und Wähler?”

5. Kollegiales Streitgespräch über ein AfD-Interview
(deutschlandfunk.de, Sören Brinkmann, Audio: 28:12 Minuten)
Nach einem Deutschlandfunk-Interview mit der AfD-Politikerin Beatrix von Storch gab es Kritik von Hörerinnen und Hörern. In einem “kollegialen Streitgespräch” geht die Debatte weiter. Der wegen des Interviews kritisierte Tobias Armbrüster spricht mit Sina Fröhndrich aus der Dlf-Redaktion Meinung & Diskurs sowie mit Stephan Beuting und Sören Brinkmann aus der Medienredaktion über Interviewstrategien und gute Interviewführung.

6. Exposed: Wie Influencer sich an SHEIN verkaufen
(youtube.com, Simplicissimus, Audio: 12:05 Minuten)
“Shein ist derzeit der vielleicht schlimmste Modekonzern der Welt. Wie ist er so groß geworden und welche Rolle spielen Influencer dabei?” Das Team von “Simplicissimus” hat einen passenden Vergleich parat: “Shein ist das Polyester-Benzin für TikTok-Modecontent.” Ein interessanter Bericht über eine verstörende Parallelwelt voller Wegwerfklamotten.

ZDF vs. “Bild TV”, “Anmaßender Quatsch”, Kanye Wests Entgleisungen

1. RBB-Intendantin kündigt Trennung von Verwaltungsdirektor an
(epd.de)
Laut epd medien habe RBB-Interimsintendantin Katrin Vernau weitere personelle Konsequenzen aus der Affäre um mögliche Vetternwirtschaft und Verschwendung beim Rundfunk Berlin-Brandenburg angekündigt. Nach der Freistellung der Juristischen Direktorin sei nun auch geplant, den Vertrag mit dem Verwaltungsdirektor vorzeitig zu beenden und die Stelle neu auszuschreiben.

2. Bild TV durfte Ausschnitte aus “Berliner Runde” nicht live vom ZDF übernehmen
(rsw.beck.de)
Die 13-minütige Übernahme der “Berliner Runde” (ZDF) durch “Bild TV” am Abend der Bundestagswahl war urheberrechtswidrig. Dies habe das Oberlandesgericht Köln im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens entschieden. Auch unter Berücksichtigung des hohen Informationsinteresses der Öffentlichkeit sei diese “Live-Weitersendung” nicht erforderlich gewesen.

3. Wenn man plötzlich den Feind ins Haus lässt: Der Spiegel hat Bild-Chef Johannes Boie porträtiert
(kress.de, Marc Bartl)
Der “Spiegel” hat “Bild”-Chefredakteur Johannes Boie porträtiert. Beim kress.de gibt es eine Zusammenfassung des “Spiegel”-Artikels mit einigen interessanten Hintergrundinformationen aus dem Originalbeitrag, der hiermit ausdrücklich zur Lektüre empfohlen, allerdings nur mit Abo lesbar ist.

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4. Wenn ein “weißer, großer, deutscher” Reporter meint, er hätte Rassismus erlebt
(uebermedien.de, Lisa Kräher)
In einem Kurzbeitrag bei rbb24 Inforadio schildert Reporter und Moderator Hendrik Schröder, wie er bei einem Friseurbesuch in Berlin-Neukölln kurz erlebt habe, “wie es ist, ob seiner Herkunft ausgegrenzt zu werden”. Bei “Übermedien” kommentiert Lisa Kräher die behauptete Diskriminierungserfahrung: “Ich nehme dem rbb-Autor ja ab, dass er sich in dieser Situation nicht wohl oder gar erniedrigt gefühlt hat. Es aber als ‘lupenreinen Rassismus’ zu bezeichnen, wie er dort im Frisörsalon behandelt wurde, und damit zu behaupten, er könne nachempfinden, welche Erfahrungen People Of Color in Deutschland machen, wie es ist, strukturelle Abwertung, Ausgrenzung und Unterdrückung aufgrund bestimmter Merkmale zu erleben – das ist einfach nur anmaßender Quatsch.”

5. Warum ist Factchecking wichtiger denn je für den Journalismus, Stefan Voß?
(newsfluence.podigee.io, Eva-Maria Schmidt, Audio: 38:22 Minuten)
Im Podcast “Newsfluence” ist Stefan Voß zu Gast, der bei der Deutschen Presse-Agentur die Abteilung Verifikation leitet. Voß erklärt, warum journalistische Grundfertigkeiten und Teamarbeit unerlässlich für jede Behauptungsüberprüfung sind, welche Tools dabei nützlich sein können, und inwiefern Factchecking auch ein Stück weit Community Management ist.

6. Zentralrat der Juden: Adidas muss sich von Rapper Kanye West trennen
(zeit.de)
Der Rapper Kanye West, einer der weltweit erfolgreichsten Musiker mit einem geschätzten Vermögen in Milliardenhöhe, fällt bereits seit einigen Jahren durch kontroverse und bizarre Aussagen auf. In letzter Zeit waren es verstärkt antisemitische Entgleisungen. Dagegen wendet sich nun der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, und appelliert an den Sportartikelhersteller Adidas, die Geschäftsbeziehung mit West zu kappen. Auf Twitter und Instagram ist Kanye West bereits gesperrt.

Die treffende Überschrift

Bei langen Interviews kann es schon einmal schwer sein, eine knappe Überschrift zu finden, die dem ausführlichen Gespräch gerecht wird. Bei einem Kurz-Interview, das genau drei Fragen und Antworten umfasst, sollte das dagegen sogar ein “Bild”-Redakteur hinbekommen.

Testen wir das mal in der Praxis. Nehmen wir ein Interview, das “Bild” mit dem Finanzminister geführt hat.

BILD: Italien will eine SMS-Steuer einführen, um den Haushalt zu sanieren. Ein Modell für Deutschland?

Hans Eichel: Kommt nicht in Frage – wir wollen keine neue Steuer. Wo wir aber genauer hinsehen werden, ist der Internethandel. Da läuft zuviel an der Umsatzsteuer vorbei. Die Besteuerung des Internethandels muß auf europäischer Ebene geregelt und dann schärfer kontrolliert werden.

So, jetzt konzentrieren. Welche Überschrift würde passen?

(a) Eichel will neue Internet-Steuer
(b) Eichel will keine neue Internet-Steuer

Na? Okay, und hier ist die Antwort, die “Bild” gegeben hat:

Zum Hintergrund: Es geht darum, dass viele Händler im Internet keine Umsatz- oder Gewerbesteuer zahlen, obwohl dies ab einem gewissen Professionalisierungsgrad Pflicht wäre. Diese Grauzone will Eichel schließen — es geht aber keineswegs um eine “neue Steuer”, sondern um die klare Regelung und Durchsetzung längst bestehender Steuern. Das Finanzministerium hat inzwischen dementiert: “Bild” habe die Aussagen Eichels “verzerrt” wiedergegeben. Oder “übergeigt”, wie Kai Diekmann sagen würde.

Weil “Bild” die falsche Nachricht an die Agenturen gegeben hat, taucht die Meldung mit Quelle “Bild” auch in anderen Medien auf. Mit solchen Enten erhöht die “Bild”-Zeitung also ihren Status als meist zitierte und daher “mit Abstand wichtigste deutsche Tageszeitung”.

Danke an diverse Hinweisgeber! Mehr zum Thema auch bei “Spiegel Online”.

Da pimpt was nicht

Es gibt “Pimp Daddy”-T-Shirts, “Pimp Daddy”-Zigarettenpapiere und “Pimp Daddy”-Zigarettendrehmaschinen, “Pimp Daddy”-Goldkettchen, “Pimp Daddy”-Hüte, “Pimp Daddy”-Puppen, andere “Pimp Daddy”-Puppen und andere “Pimp Daddy”-T-Shirts – und es gibt (jedenfalls laut Bild.de) einen “neuen Trend aus Amerika”: das “Pimpen”!

Lesen wir doch mal rein, was Bild.de so schreibt:

(…) Der neue Protz-Trend kommt – logisch – aus den USA. Dort haben Rap-Ikonen wie Snoop Dogg, 50 Cent oder Namensgeber Pimp Daddy eine Pimp-Mania ausgelöst. (…)

Aha, möchte man da sagen. Oder doch lieber: Ach ja?

Denn selbst, wenn wir den Trendscouts von Bild.de nicht unterstellen wollten, dass sie womöglich was verwechselt und peinlicherweise nicht “Pimp Daddy” sondern Puff Daddy bzw. P. Diddy gemeint haben könnten (ja, sogar, wenn man nach längerem Suchen tatsächlich einen irrelevanten Rap-Musiker gleichen Namens ausfindig zu machen vermag), geht die angebliche “Pimp-Mania” natürlich mitnichten auf irgendeine namensgebende Rap-Ikone zurück, sondern – wie die “Pimpen”-Experten von Bild.de leider verschweigen – bloß auf die ursprüngliche Bedeutung des Wortes pimp, also “Zuhälter”, weshalb dann auch der Begriff Pimp Daddy nichts anderes bezeichnet als ein dazugehöriges (nicht nur in Rapper-Kreisen beliebtes) Klischee, das in den letzten Jahren durch Lieder wie dieses, TV-Sendungen wie diese und diese oder sowas noch populärer wurde.

Mit anderen Worten: Die Bild.de-Mär vom “Namensgeber Pimp Daddy” ist ebenso dumm wie dreist (insbesondere dort, wo dann auch noch von “weiblichen Pimps” und dem “Pimp-Doc” die Rede ist), wäre aber kaum der Rede wert, zeigte sie nicht, wie man im Hause “Bild” sogar bei unreif zusammengeschusterten Artikelchen ungeniert drauflosfantasiert.

Mit Dank an Perry für die Anregung.

Billiger geht’s nicht

So wie rechts sah gestern die Titelseite der “Bild”-Zeitung aus. In ihrem Aufmacherartikel warb sie für ein Angebot des einschlägig bekannten Discounters Lidl: Man solle in eine der “über 2600 Lidl-Filialen” gehen und einen Coupon aus der “Bild”-Zeitung an der Kasse abgeben, da