KW 46/25: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Wochenendausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

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1. Was tun, wenn KI-Bots falsche Informationen über dein Leben verbreiten?
(uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 24:54 Minuten)
Im “Übermedien”-Podcast “Holger ruft an” spricht Holger Klein mit den “Tamedia”-Journalisten Celina Euchner und Oliver Zihlmann. Euchner berichtet, wie KI-Seiten sie fälschlicherweise zur Frau des Rappers Kontra K ernannt hätten. Ihr Kollege Zihlmann erklärt, dass über die Hälfte der Artikel im Internet inzwischen “KI-Schrott” sei, und die Chatbots auch mit diesen Falschinformationen trainiert würden, wodurch ein Teufelskreis entstehe.

2. Der Medienleitfaden – wie besser zu Femiziden berichten?
(bonjourno.de, Olivia Samnick, Audio: 37:27 Minuten)
Im Podcast “Bonjourno” geht es um die problematische Berichterstattung über Femizide, bei der oft verharmlosende Begriffe wie “Beziehungsdrama” verwendet würden, anstatt die Morde als strukturelles Problem zu benennen. Sonja Peteranderl berichtet von ihren Recherchen zu geschlechtsspezifischer Gewalt in Lateinamerika und stellt einen Leitfaden vor, den sie für andere Journalistinnen und Journalisten mitentwickelt hat. Den zweiten Teil der themenspezifischen Gesprächsreihe gibt es hier. Dort ist Christine Meltzer zu Gast: “Sie ist Juniorprofessorin für Kommunikationswissenschaft an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover und hat gleich zwei große Reports zur Femizid-Berichterstattung herausgebracht. Was hat sich seit dem letzten Femizide Report 2021 bis 2024 getan?” (bonjouro.de, Audio: 39:44 Minuten)

3. Wie gelingt gute Content Moderation?
(leibniz-hbi.de, Kristina Kobrow, Audio: 34:33 Minuten)
Beim “BredowCast” hat Moderatorin Kristina Kobrow den Wissenschaftler Matthias Kettemann vom Leibniz-Institut für Medienforschung zu Gast. Die beiden diskutieren darüber, was Content-Moderation ist, also welche Inhalte auf Plattformen wie TikTok oder Facebook gelöscht, versteckt oder verstärkt werden. Kettemann erläutert, warum es einen Mix aus automatisierten Systemen (Künstliche Intelligenz) und menschlichen Moderatoren brauche, und stellt einen neuen “Code of Conduct” vor, den er mitentwickelt hat.

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4. Was Wut im Netz mit uns macht
(deutschlandfunknova.de, Nina Bust-Bartels & Hanna Klimpe, Audio: 56:50 Minuten)
In ihrem Vortrag erklärt die Kommunikationswissenschaftlerin Hanna Klimpe, dass Empörung in Sozialen Medien zwar wichtige Debatten wie #MeToo gestärkt habe, die Plattformlogik aber auch rechtsextreme Inhalte belohne. Diese ständige Flut negativer Beiträge führe bei vielen zu “Newsfatigue” (Nachrichtenmüdigkeit) und verstärke ein Gefühl der Ohnmacht, anstatt Handlungsfähigkeit zu mobilisieren. Klimpe fordert daher, die “demokratische Empörung” aus dem Netz in reale Strukturen zu überführen.

5. Mit 15 Jahren täglich Einschaltquoten verfolgt: EndemolShine-Chef über Reality Shows und KI im TV
(youtube.com, Philipp Westermeyer, Video: 1:04:57 Stunden)
Fabian Tobias, Geschäftsführer der Produktionsfirma EndemolShine, ist zu Gast im “OMR”-Podcast von Philipp Westermeyer. Sie sprechen über die aktuelle Lage der Fernsehbranche und die großen EndemolShine-Produktionen wie “Wer wird Millionär?”, “The Masked Singer” und “Kitchen Impossible”. Außerdem geht es um die Neuausrichtung von “Die Höhle der Löwen” sowie die aktive Suche nach einem neuen Investor für die Sendung.

6. Jimmy Wales, Wikipedia’s founder/co-founder
(youtube.com, Jung & Naiv, Tilo Jung, Video: 3:22 Minuten)
Bei “Jung & Naiv” kam es zu einem ungewollten Rekord: Kaum hatte das Interview mit Wikipedia-Gründer Jimmy Wales begonnen, war es auch schon wieder vorbei. Die harmlose Einstiegsfrage “Gründer oder Mitbegründer?” reichte aus, um Wales derart in Rage zu bringen, dass er die Diskussion als “dumm” bezeichnete und das Set nach kurzer Zeit schon wieder verließ.

Springers US-Expansionsgelüste, Exilmedien unverzichtbar, Deep Nudes

1. Expansion in den USA: Axel Springer hat es auf CNN und “Wall Street Journal” abgesehen
(tagesspiegel.de, Philipp Blanke)
Der Axel-Springer-Konzern prüfe laut US-Medienberichten eine massive Expansion in den USA. Das Unternehmen habe Interesse an einer Übernahme von CNN sowie dem “Wall Street Journal”. Springer-Chef Mathias Döpfner wolle den Firmenwert durch große Zukäufe verdoppeln, da er das deutsche Mediengeschäft als weniger relevant und zukunftsträchtig ansehe. Döpfner suche in den USA zudem gezielt die Nähe zu wichtigen Tech-Bossen.

2. BBC bittet Trump um Entschuldigung
(spiegel.de)
Die BBC habe US-Präsident Donald Trump für einen irreführenden Schnitt in einer Dokumentation um Entschuldigung gebeten. Die Doku habe fälschlicherweise den Eindruck erweckt, Trump habe in einer Rede direkt zur Gewalt aufgerufen. Der BBC-Vorsitzende habe in einem Brief sein Bedauern ausgedrückt. Gleichzeitig habe der öffentlich-rechtliche Sender die rechtliche Grundlage für die von Trump angedrohte milliardenschwere Verleumdungsklage entschieden zurückgewiesen.

3. RSF: Exilmedien als Quelle
(verdi.de)
Die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) betone in einem neuen Bericht, dass Exiljournalismus unverzichtbar sei, um Zensur, Kriegsverbrechen und Desinformation in autoritären Regimen aufzudecken. Als Beispiele für diese wichtige Arbeit werden Enthüllungen von Exilmedien wie “The Insider” über russische Propaganda, den Wirecard-Manager Jan Marsalek oder die Ausbeutung politischer Gefangener durch einen AfD-Politiker in Belarus genannt. RSF fordere demokratische Regierungen daher dringend auf, diese Medienschaffenden besser zu schützen und nachhaltig zu unterstützen.

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4. “Jemand macht Geld mit Fake-Nacktbildern”: Ja, die Heute-Zeitung!
(kobuk.at, Sophia Ţigănaş)
Sophia Ţigănaş kritisiert die Berichterstattung des österreichischen Boulevardportals Heute.at über sogenannte Deep Nudes. Ihr Fazit: “Bei der Berichterstattung über die Verbreitung von KI-generierten Nacktbildern im Internet ist Heute.at Teil des Problems, über das die Zeitung berichten will: Sie verbreitet ungewollte Sexualisierung und verletzt zusätzlich die Intimsphäre realer Menschen.”

5. Wie steht es um den Klimajournalismus?
(deutschlandfunk.de, Sascha Wandhöfer, Audio: 39:56 Minuten)
Vom 10. bis zum 21. November findet im brasilianischen Belém die UN-Klimakonferenz COP 30 statt. Damit rückt auch der Zustand des Klimajournalismus in den Fokus. Im Deutschlandfunk diskutieren Alexandra Endres (“Table.Media”) und Torsten Schäfer (FH Darmstadt) mit Moderator Sascha Wandhöfer darüber, welche Rolle das Klima im Alltag in deutschen Medien spielt.

6. Immer mehr Werbung im Fernsehen?! Ein Realitäts-Check
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Uwe Mantel analysiert bei “DWDL” den weit verbreiteten Eindruck, dass die Werbung im Privatfernsehen überhandnehme, und stellt klar, dass dieser täusche – jedenfalls wenn man auf die klassische Werbung schaut. Die dafür vorgesehene Zeit sei gesetzlich streng auf 20 Prozent, also zwölf Minuten pro Stunde, begrenzt und habe sich nicht erhöht. Die Wahrnehmung längerer Pausen entstehe durch eine flexiblere Verteilung der Werbeblöcke sowie durch zusätzliche Programmtrailer, Eigenwerbung und Spendenaufrufe, die nicht zur offiziellen Werbezeit zählen würden.

Trump vs. BBC, AfD-Aussteiger Ahrens, “Servicemagazin”

1. Einlenken oder dagegenhalten?
(tagesschau.de, Gabi Biesinger)
Nach dem Rücktritt der gesamten Führungsspitze wegen einer irreführend geschnittenen Dokumentation über Donald Trump stecke die BBC in einer tiefen Krise. US-Präsident Trump drohe dem Sender nun mit einer Milliardenklage. Bis morgen Abend müsse zudem eine Richtigstellung und eine persönliche Entschuldigung erfolgen.
Weiterer Hörtipp in eigener Sache: Bei radioeins kommentiert der “6-vor-9”-Kurator: “Die BBC sieht gerade nicht aus wie die würdigste Verteidigerin der Pressefreiheit. Deshalb hat sie etwas gutzumachen. Also nicht zahlen, liebe BBC, nicht einknicken. Um sich und allen anderen zu zeigen: Wir lassen uns nicht einschüchtern.” (radioeins.de, Lorenz Meyer, Audio: 4:18 Minuten)


2. So plante Erik Ahrens die TikTok-Strategie der AfD
(ndr.de, Tom Fugmann, Video: 26:16 Minuten)
Das NDR-Medienmagazin “Zapp” beschäftigt sich mit Erik Ahrens, dem ehemaligen digitalen Vordenker der AfD und selbsternannten Aussteiger aus der rechtsextremen Szene. Der Beitrag zeigt Ahrens’ widersprüchlichen Weg vom linken Aktivisten zum rechtsextremen Strippenzieher, der AfD-Politiker Maximilian Krah auf TikTok groß gemacht habe. Ob es sich bei Erik Ahrens’ jüngster Wandlung um echte Reue, Selbstinszenierung oder Wichtigtuerei handele, bleibe jedoch offen.

3. Welche Rolle spielt Brandenburg?
(taz.de, Ann-Kathrin Leclère)
In Brandenburg finde in wenigen Tagen die entscheidende Abstimmung über den Reformstaatsvertrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks statt. Der Vertrag, der bereits von den Ministerpräsidentinnen und -präsidenten beschlossen wurde, sehe Einschnitte bei Programmen und strengere Regeln, zum Beispiel bei der “Presseähnlichkeit”, vor, müsse aber von allen 16 Landtagen bestätigt werden. “taz”-Redakteurin Ann-Kathrin Leclère hat die wichtigsten Fragen und Antworten dazu zusammengestellt.

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4. “Autofocus” – Wie das Werbeformat einer Industrielobby zum “Servicemagazin” im ORF wurde
(kobuk.at, Hans Kirchmeyr)
Hans Kirchmeyr kritisiert das ORF-Format “Autofocus” als getarnte PR-Sendung für die österreichische Automobilindustrie. Die Sendung, die als “Servicemagazin” bezeichnet werde, sei ursprünglich von der Autolobby initiiert und finanziert worden. Kirchmeyr belegt mit Beispielen, wie “Autofocus” kritiklos die Interessen der Industrie bedient.

5. Fokus auf die Timelines – Dokumentarfilm und Internetkultur
(54books.de, Lennart Rettler)
Der Autor Lennart Rettler lobt aktuelle deutsche Dokumentarfilme wie “Lord of the Toys”, “Goldhammer” und “Soldaten des Lichts” dafür, dass sie die Mechanismen und Abgründe der Internetkultur präzise abbilden. Die Filme würden auf einordnende Experten verzichten. Stattdessen würden sie auf reine Beobachtung setzen und zeigen, wie ihre problematischen Protagonisten (YouTuber, Influencer, Reichsbürger) rassistische oder verschwörungsideologische Inhalte als Geschäftsmodell nutzen.

6. Reality-TV: Von wegen Unterschichtenfernsehen
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Entgegen dem weit verbreiteten Mythos des “Unterschichtenfernsehens” seien Reality-TV-Formate längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen und würden alle Bildungsschichten erreichen. Daten der AGF Videoforschung sollen zeigen, dass das Publikum der Top-10-Reality-Shows im Schnitt sogar einen höheren Bildungsabschluss habe. Sender wie RTL würden betonen, dass sich diese Formate vom “Guilty Pleasure” zum “Talk of Town” gewandelt hätten, weil sie Eskapismus, soziale Erlebnisse und Diskussionsstoff bieten.

Übernimmt die KI?, Schwarzes Portal mit roten Zahlen, Frauenfeindlichkeit

1. Wie viel Künstliche Intelligenz verkraftet Social Media?
(dwdl.de, Simon Pycha)
Simon Pycha beschreibt bei “DWDL”, wie KI-generierte Inhalte wie “Slops” oder “Sludge-Videos” Social Media dominieren, weil sie billig zu produzieren sind. Plattformen wie TikTok würden diesen Trend sogar aktiv fördern, indem sie KI-Skripte anbieten, um die Monetarisierung zu steigern. Diese Entwicklung erhöhe jedoch das Risiko für die Verbreitung von Desinformation, die für das Publikum kaum noch als künstlich zu erkennen ist.
Weiterer Gucktipp: Auf YouTube erklärt Mats Schönauer, “wie KI-Kanäle YouTube übernehmen”: “In diesem Video zeige ich euch, wie YouTube mit AI-Slop überflutet wird – von pseudowissenschaftlichen KI-Kanälen wie ‘Sleepless Historian’ bis hin zu Fake-Videos, die politische Propaganda verbreiten – und wie aufwendig produzierte Kanäle wie ‘Kurzgesagt’ von der KI-Flut bedroht werden.” (youtube.com, Video: 23:42 Minuten)

2. Haben wir eigentlich alle ADHS?
(journalist.de, Julia Belzig)
Die Journalistin Julia Belzig stellt in ihrem Text die These auf, dass der Journalismus aufgrund seiner Struktur überdurchschnittlich viele Menschen mit ADHS anziehe. Sie warnt jedoch davor, das Krankheitsbild als “Superkraft” zu romantisieren, da der Alltag für Betroffene oft von Chaos, emotionalen Problemen und dem Gefühl, an Kleinigkeiten zu scheitern, geprägt sei. Belzig kritisiert zudem, dass Social Media ein falsches Bild der Krankheit vermittele.

3. Burkhard Ewert über digitale Erfolge, politische Vorwürfe und historische Vergleiche
(youtube.com, Markus Trantow, Audio: 46:17 Minuten)
Burkhard Ewert, Chefredakteur der “Neuen Osnabrücker Zeitung” (“NOZ”), berichtet im “turi2”-Podcast, dass seine Redaktion nun allein durch digitale Abos finanziert werde, was er als “Meilenstein” bezeichnet. Angesprochen auf den Vorwurf eines Rechtsrucks der “NOZ” verteidigt Ewert etwa Interviews mit der AfD, da diese einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung repräsentiere und man nicht “pauschal diffamieren” dürfe. Die Bedrohung durch Google-KI-Zusammenfassungen und dadurch ausbleibenden Klicks sieht er als Ansporn für Journalistinnen und Journalisten, wieder mutigere und schnellere Geschichten zu schreiben, “die eine KI nicht kann”.

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4. Schwarzes Portal mit roten Zahlen: Bilanzverlust beim “Exxpress” steigt
(derstandard.at, Oliver Mark)
Das rechte österreichische Portal “Exxpress” habe seinen Bilanzverlust für das Jahr 2024 auf 6,92 Millionen Euro ausgeweitet, nachdem er im Vorjahr bereits 4,38 Millionen Euro betragen habe. Mehrheitseigentümerin des Mediums sei das deutsche Unternehmen “Vius”, das auch hinter dem Portal “Nius” von Ex-“Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt stehe.

5. Gema erzielt Auftakterfolg gegen ChatGPT
(spiegel.de)
Die Verwertungsgesellschaft Gema habe einen juristischen Auftakterfolg gegen den ChatGPT-Entwickler OpenAI erzielt. Das Landgericht München habe entschieden, dass die Verwendung von Texten bekannter Lieder (wie von Herbert Grönemeyer oder Reinhard Mey) eine unerlaubte Vervielfältigung darstelle, und OpenAI zu Schadensersatz verurteilt. Das Urteil in diesem Grundsatzverfahren sei noch nicht rechtskräftig. Es gelte als wahrscheinlich, dass der Rechtsstreit weitergeht.
Weiterer Gucktipp: Auf YouTube prognostiziert Anwalt Chan-jo Jun: “Die Entscheidung wird die KI-Szene in Aufruhr versetzen.” (youtube.com, Video: 13:13 Minuten)

6. Nicht alles ist Unterhaltung
(taz.de, Laura Verseck)
Laura Verseck kritisiert in ihrem Kommentar das RTL-Format “Temptation Island” dafür, dass die Produktion das übergriffige Verhalten eines Kandidaten unkommentiert ausgestrahlt habe. Der Teilnehmer Aleks Petrović habe in der Sendung offen erzählt, wie er seine Partnerin nach der Verlobung zum Sex gedrängt habe. Verseck argumentiert, dass “nicht alles Unterhaltung ist”. Eine Redaktion, die solche sexualisierten Grenzüberschreitungen ohne Einordnung sendet, trage eine Mitverantwortung für deren Normalisierung.

Rechte Buchmesse, Grundrechte-Kahlschlag, Protest gegen Entlassung

1. Ein Besuch auf der rechten Buchmesse
(belltower.news, Jan Tölva)
Jan Tölva berichtet über die rechte Buchmesse “Seitenwechsel” in Halle, die Tausende Besucherinnen und Besucher angezogen und ein breites Spektrum extrem rechter Verlage und Akteure versammelt habe. Die Bandbreite habe von der Neuen Rechten (“Antaios”) und der “Identitären Bewegung” über das “Compact”-Magazin bis hin zu geschichtsrevisionistischen Verlagen gereicht. Tölva wertet die Messe als wichtigen Vernetzungserfolg für die Szene, auch wenn sie gesamtgesellschaftlich eine Randerscheinung bleibe.

2. Max Schrems kritisiert Grundrechte-Kahlschlag
(netzpolitik.org, Ingo Dachwitz)
Ingo Dachwitz schreibt bei netzpolitik.org über die scharfe Kritik des Datenschutzexperten Max Schrems an einer überraschenden DSGVO-Reform der EU-Kommission, die er als “Grundrechte-Kahlschlag” bezeichnet. Laut Schrems würfen die Pläne “40 Jahre europäische Grundrechtsdoktrin über den Haufen”. Er kritisiere das überhastete Vorgehen als “Trumpsche Gesetzgebungspraktiken” und mache die deutsche Bundesregierung mitverantwortlich, die zuvor weitreichende Einschnitte bei der DSGVO angeregt habe.

3. Italien: Protest gegen Entlassung von EU-Korrespondent
(verdi.de)
Der italienische EU-Korrespondent Gabriele Nunziati sei von seiner Nachrichtenagentur Agenzia Nova entlassen worden, nachdem er bei einer EU-Pressekonferenz eine kritische Frage gestellt habe. Nunziati habe gefragt, ob Israel für den Wiederaufbau des Gazastreifens aufkommen solle, ähnlich wie es von Russland für die Ukraine erwartet werde. Sowohl italienische als auch internationale Journalistenverbände hätten die Entlassung scharf verurteilt und sie eine “eklatante Missachtung der Grundprinzipien der Pressefreiheit” genannt.

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4. Fragwürdiges Antenne-Kärnten-Interview mit Missbrauchsopfer
(kobuk.at, Andrea Gutschi)
Andrea Gutschi kritisiert ein Interview von Antenne Kärnten mit einem ehemaligen SOS-Kinderdorf-Kind, das sich freiwillig beim Sender gemeldet habe, um über seine Missbrauchserfahrungen zu sprechen. Die Redakteurin habe einfühlsam gewirkt, durch bohrende Detailfragen jedoch die Gefahr einer Retraumatisierung des Opfers in Kauf genommen. Die Anonymisierung sei schlampig gewesen, die Stimme nicht verfremdet worden und die Journalistin habe am Ende versehentlich den echten Vornamen des Betroffenen genannt.

5. Geschlechtergerechte Sprache: Wie deutsche überregionale Tageszeitungen nicht-binäre Personen darstellen
(de.ejo-online.eu, Allegra Knobloch)
Allegra Knobloch stellt eine Bachelorarbeit vor, die untersucht hat, wie überregionale Tageszeitungen aus Deutschland über nicht-binäre Personen berichten. Die quantitative Inhaltsanalyse von 61 Artikeln aus “taz”, “SZ”, “Welt”, “FAZ” und “Bild” habe ergeben, dass die Betroffenen trotz bekannter Wünsche in über der Hälfte der Beiträge (52 Prozent) fälschlicherweise mit männlichen oder weiblichen Bezeichnungen versehen worden seien. Die Untersuchung zeige außerdem, dass konservative Medien mehr als doppelt so oft misgendern wie progressive Medien.

6. Fake-KI-News über Basel: Die Spur führt zu einer Fitness-Kette aus Grossbritannien
(fairmedia.ch, Jeremias Schulthess)
Eine Recherche von “Fairmedia” und “Prime News” hat sich mit der Website basel-zeitung.com beschäftigt. Dabei handele es sich um ein KI-gestütztes “Fake-News”-Portal, das Artikel von seriösen Medien kopiere und Falschinformationen sowie erfundene Autoren veröffentliche. Obwohl die Seite kein Impressum angebe, würden alle Spuren auf eine internationale Fitness-Kette aus Großbritannien deuten. Ein Marketing-Professor vermute dahinter eine “Performance-Marketing-Kampagne”.

Frauenanteil stagniert, Leitplanken für Medienvielfalt, BBC-Rücktritt

1. BBC-Chef Davie tritt nach Kritik an Trump-Doku zurück
(dwdl.de, Alexander Krei)
BBC-Generaldirektor Tim Davie und Nachrichtenchefin Deborah Turness seien nach massiver Kritik an einer “Panorama”-Dokumentation über Donald Trump zurückgetreten. Der Vorwurf laute, dass die Doku eine Rede Trumps vom 6. Januar 2021, dem Tag des Sturms auf das Kapitol, irreführend geschnitten habe. Zwei Sätze, die in der Originalrede minutenlang auseinander gelegen hätten, seien direkt aneinandergefügt worden, um einen Aufruf Trumps zur Gewalt zu suggerieren.

2. Anteil von Journalistinnen in Führungspositionen stagniert
(spiegel.de)
Laut einer Studie des Vereins ProQuote Medien sei der Anteil von Frauen in Führungspositionen bei deutschen Leitmedien ins Stocken geraten und sogar auf 37,8 Prozent gesunken, ein Prozentpunkt weniger als im Vorjahr. Obwohl es sich um einen starken Anstieg seit 2012 (damals 14 Prozent) handele, verfehle der aktuelle Wert das 50-Prozent-Ziel recht deutlich. Bei den Leitmedien übertreffe nur die “taz” (65 Prozent) diese Marke.

3. Leitplanken für digitale Medienvielfalt
(taz.de, Ann-Kathrin Leclère)
Wie Ann-Kathrin Leclère in der “taz” berichtet, arbeiten die deutschen Bundesländer an einem neuen Digitale-Medien-Staatsvertrag, um US-Tech-Plattformen klare Regeln nach dem Vorbild einer “Straßenverkehrsordnung” zu geben. Ein zentraler Vorschlag zur Stärkung der Medienvielfalt sei die Prüfung einer Digitalabgabe, bei der Tech-Konzerne für die Nutzung journalistischer Inhalte bezahlen müssen.

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4. Dänemark plant Social-Media-Verbot für Kinder unter 15 Jahren
(zeit.de)
Dänemark plane als eines der ersten EU-Länder, ein Mindestalter von 15 Jahren für die Nutzung der größten Sozialen Medien einzuführen. Das Gesetz solle es Eltern jedoch nach einer Prüfung erlauben, ihren Kindern bereits ab 13 Jahren den Zugang zu gewähren. Die EU-Staats- und Regierungschefs würden eine solche Altersgrenze ebenfalls befürworten. Ein ähnlicher Vorstoß sei in Deutschland jedoch politisch umstritten.

5. Journalisten erinnern an Medien-Einfluss beim Mauerfall
(hna.de, Kristin Weber)
Die Journalisten Markus Pfromm und Robin Lautenbach haben im Grenzmuseum Schifflersgrund als Zeitzeugen von ihren Erlebnissen bei der Grenzöffnung 1989 berichtet. Im Mittelpunkt habe die Frage gestanden, wie die Live-Berichterstattung der Medien den Verlauf dieser historischen Nacht entscheidend mitgeprägt habe. Maßgeblich dafür sei die von Günter Schabowskis verkündete “sofortige” Reisefreiheit über das Westfernsehen, das auch in der DDR gesehen wurde.

6. «Eine beängstigende Entwicklung»: Wie KI-Artikel das Internet mit Fake News überfluten
(tagesanzeiger.ch, Oliver Zihlmann & Celina Euchner)
Der Schweizer “Tagesanzeiger” berichtet, dass bereits 52 Prozent aller Internetartikel KI-generiert seien, da automatisierte Webseiten massenhaft Inhalte produzieren, um mit Werbung Einnahmen zu erzielen. Außerdem zeige eine Studie, dass 45 Prozent der KI-Antworten auf Nachrichtenanfragen fehlerhaft seien.

KW 45/25: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Wochenendausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

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1. ZEIT-Journalistin Rieke Havertz über Trump und die Medien in Amerika
(youtube.com, Cornelia Lüers & Helmut Loerts-Sabin, Video: 1:34:48 Stunden)
Rieke Havertz, internationale Korrespondentin der “Zeit”, berichtet, dass die gesellschaftliche Spaltung in den USA unter Donald Trump ein gefährliches Ausmaß erreicht habe. Diese Spaltung werde von Trump strategisch genutzt, um die Presse als “Fake News” zu diskreditieren, was die Arbeitsbedingungen für Journalistinnen und Journalisten massiv erschwere. Trump-Anhänger würden die etablierten US-Medien boykottieren. Gleichzeitig setze die Regierung kritische Reporterinnen und Reporter durch Klagen, den Entzug von Akkreditierungen und die Verkürzung von Arbeitsvisa unter Druck.

2. KI im Journalismus
(youtube.com, Svea Eckert, Video: 1:34:50 Stunden)
Anlässlich der “Woche der Pressefreiheit” fand am 3. November an der Lüneburger Leuphana Universität eine Podiumsdiskussion statt: Tech-Journalistin Svea Eckert diskutierte dort mit Fachleuten von ARD, “Hamburger Abendblatt” und aus der Wissenschaft über die Chancen und Risiken von generativer Künstlicher Intelligenz für den Journalismus. Im Mittelpunkt stand die Frage, wie KI die gesellschaftliche “Wachhund”-Rolle der Medien verändert und wie viel Automatisierung möglich ist, ohne die Glaubwürdigkeit zu verlieren.

3. Demokratie und Journalismus – Verantwortung in Zeiten des Wandels
(youtube.com, Michel Friedman, Video: 59:43 Minuten)
Beim SWR-“Demokratieforum” auf dem Hambacher Schloss diskutiert Michel Friedman mit Anette Dowideit (“Correctiv”), Peter Müller (ehemaliger Verfassungsrichter) und Carsten Knop (“FAZ”) über die Verantwortung des Journalismus in Zeiten, in denen antidemokratische und rechtsextreme Bewegungen auf dem Vormarsch sind. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie Medien aufklären können, ohne diesen Kräften eine Bühne für deren Propaganda zu bieten.

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4. Wie Medien die Vergangenheit im Westbalkan erzählen
(youtube.com, Barbara Oertel, Video: 1:41:05 Stunden)
Beim “taz Talk” spricht Moderatorin Barbara Oertel mit Dinko Gruhonjić, Journalist und Dozent aus Novi Sad, Getoarbë Mulliqi, Journalistin und Direktorin eines kosovarischen Journalistenverbands, und Alexander Vojvoda von der Organisation Pro Peace über die Rolle der Medien im Westbalkan bei der Aufarbeitung der Kriege der 1990er-Jahre. Die Gäste diskutierten über die schwierige politische Lage, die massive Verschlechterung der Pressefreiheit in Serbien und Kosovo sowie die Gefahren, denen Journalistinnen und Journalisten durch Angriffe, Polizeigewalt und Hetzkampagnen ausgesetzt sind.

5. Ende eines Hypes – Wohin steuert Social Media?
(sr-mediathek.de, Katrin Aue & Michael Meyer, Audio: 19:05 Minuten)
Nach Jahren des Wachstums würden aktuelle Zahlen zeigen, dass sich weltweit die Zeit, die Menschen mit Social Media verbringen, verringere. Viele Leute zögen sich von den Plattformen zurück. Besonders auffällig sei dies bei Nutzerinnen und Nutzern unter 30 Jahren. Handelt es sich um eine langfristige Entwicklung? Was sind die Ursachen? Und wie reagieren die Plattformbetreiber? Darüber sprechen Katrin Aue und Michael Meyer mit Simon Berlin vom “Social Media Watchblog”.

6. Innenansichten: Die Selbstkritik der Medien
(youtube.com, Tanjev Schultz & Markus Wolsiffer, Video: 37:42 Minuten)
Im Podcast “Die Medienversteher” sprechen Tanjev Schultz und Markus Wolsiffer über die Notwendigkeit des Medienjournalismus, also der kritischen Selbstbeobachtung der Medienbranche. Sie analysieren, dass diese Selbstkritik oft schwierig sei, da Journalistinnen und Journalisten aus Kollegialität oder Karriereangst oft zögern würden, Fehler der eigenen Zunft aufzudecken.

Verzerrtes Körperbild, Mythos 14 bis 49, Bedrohte Synchronlandschaft

1. Generative KI verzerrt unser Körperbild
(netzpolitik.org, Paula Clamor)
Eine Studie der Universität Cambridge zeige, dass generative KI diskriminierende Körperbilder reproduziere. Die Untersuchung belege, dass KI-Bildgeneratoren unrealistisch dünne Menschen als Standard darstellen. Größere Körper würden oft anatomisch fehlerhaft und mit negativen Gesichtsausdrücken dargestellt. Paula Clamor warnt davor, dass diese Flut an KI-generierten Bildern in den Sozialen Medien die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper und Essstörungen verstärken kann.

2. Wieso sollten Synchronstimmen nicht mit KI erzeugt werden?
(uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 28:45 Minuten)
Im “Übermedien”-Podcast “Holger ruft an” hat Holger Klein mit dem Synchronsprecher Sven Plate gesprochen. Plate äußert seine große Sorge über den zunehmenden Druck von Filmfirmen, Künstliche Intelligenz in der Synchronbranche zuzulassen. Er erklärt, warum er KI im Kreativbereich grundsätzlich problematisch findet, und spricht über eine Petition von Synchronsprecherinnen und -sprechern, die eine verbindliche Regulierung für künstliche Stimmen fordert.

3. Wie KI Medien revolutioniert, herausfordert, neu definiert
(blog.medientage.de, Petra Schwegler)
Bei den Medientagen München sei über Künstliche Intelligenz als “kulturelle Zeitenwende” diskutiert worden, die Redaktionen umkrempele und neue Risiken schaffe. Experten hätten vor einer Monopolstellung weniger Tech-Konzerne sowie einem massiven Verlust von Such-Traffic durch neue KI-Suchfunktionen gewarnt. Tenor der Veranstaltung sei gewesen, dass KI nur als “Co-Pilot” dienen könne.

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4. dju fordert Schutz für Medienschaffende
(verdi.de)
Nach einem von ihr als zu milde empfundenen Urteil fordert die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in Verdi einen staatlich garantierten Schutz für Medienschaffende. “Wer Journalist*innen angreift, greift Artikel 5 unseres Grundgesetzes an und damit die Demokratie selbst”, so der dju-Co-Vorsitzende Lars Hansen: “Pressefreiheit ist kein persönliches Privileg, sondern Voraussetzung für das Funktionieren unserer demokratischen Gesellschaft”.

5. Fachjournalismus: Wie viel Expertise gehört in die Redaktionen?
(deutschlandfunk.de, Sören Brinkmann, Audio: 32:04 Minuten)
In dieser Folge des Medienpodcasts “Nach Redaktionsschluss” geht es um die Frage, ob der Fachjournalismus in einer Krise steckt. Hintergrund sind die seit Jahren laufenden Sparmaßnahmen in den Verlagen und Sendern und der damit verbundene Stellenabbau in den Redaktionen. Moderator Sören Brinkmann diskutiert darüber mit Markus Bickel von “Table.Media” und Steffen Wurzel aus dem Deutschlandfunk-Hauptstadtstudio.

6. Mythos 14-49: Wer ist eigentlich “werberelevant”?
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Die einst von den Privatsendern definierte “werberelevante Zielgruppe” der 14- bis 49-Jährigen passe nicht mehr zur Realität, führt Uwe Mantel bei “DWDL” aus. Die Gesellschaft sei älter geworden. Führende Vermarkter von ARD, ZDF, RTL und Seven.One seien sich einig, dass alle Generationen werberelevant und starre Altersgrenzen durch die zersplitterte Mediennutzung überholt seien. Einen Benchmark brauche man trotzdem: “Ob man dafür als Maßstab 14-49, 14-59 oder 14-29 hernimmt, kann man diskutieren – doch obsolet sind solche Ausweisungen nicht.”

Inhalte vom Rand bevorzugt, Wenig Raum für Verbote, Finanz-Bubble

1. Algorithmen bevorzugen extrem rechte Inhalte
(taz.de, Marco Fündt)
Eine neue Studie der Universität Potsdam und der Bertelsmann-Stiftung zeige, dass die Algorithmen Sozialer Medien im Bundestagswahlkampf 2025 Parteien an den politischen Rändern stark bevorzugt hätten. Beiträge der AfD und der Linkspartei seien den Nutzerinnen und Nutzern überproportional häufig empfohlen worden. Die Inhalte der SPD und insbesondere der Union (CDU/CSU) seien hingegen deutlich seltener angezeigt worden. Reaktionsstarke Inhalte würden besser zu den wirtschaftlichen Interessen der Plattformbetreiber passen.

2. BVerwG lässt wenig Raum für ver­eins­recht­liche Medi­en­ver­bote
(lto.de, Paula Rhein-Fischer)
Die Juristin Paula Rhein-Fischer analysiert die nun veröffentlichten Urteilsgründe zur Aufhebung des “Compact”-Verbots durch das Bundesverwaltungsgericht. Dieses habe entschieden, dass das Vereinsrecht zwar grundsätzlich für Medienverbote genutzt werden könne, die Hürden dafür aber extrem hoch seien. Das Urteil sei auch relevant für ein mögliches AfD-Verbotsverfahren, da das Gericht die von “Compact” verbreitete “Remigrations”-Forderung als klaren Verstoß gegen die Menschenwürde gewertet habe.

3. “Wir bewegen uns in einer großen Bubble”
(journalist.de, Catalina Schröder)
Im “journalist”-Interview spricht Catalina Schröder mit Saidi Sulilatu, dem Chef des gemeinnützigen Portals “Finanztip”. Das Thema Finanzen sei durch Corona und Social Media zwar populärer geworden, bewege sich aber immer noch in einer “Bubble”. Sulilatus Strategie: “Wir versuchen bewusst, eine möglichst alltagsnahe Sprache zu verwenden. Um Finanzen eben nicht mit einer Aura des Expertentums zu umgeben.”

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4. Warum auch junge Zielgruppen für das Fernsehen nicht verloren sind
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Entgegen dem Mythos, junge Menschen würden kein Fernsehen mehr schauen, würden aktuelle Zahlen belegen, dass TV für diese Zielgruppen weiterhin relevant sei. Zwar sinke die tägliche Sehdauer zugunsten von Streaming und Social Media, die monatliche Reichweite bleibe aber sehr hoch. Sender wie RTL und ProSieben hätten ihre linearen Reichweiten mit den eigenen Streamingdiensten wie RTL+ und Joyn gebündelt, um Werbekunden eine Gesamtreichweite anzubieten.

5. Klagsfalle Social-Media-Posting : Fünf Tipps, damit HC Strache Sie nicht zur Kasse bitten kann
(falter.at, Florian Klenk)
“Falter”-Herausgeber Florian Klenk warnt davor, dass Personen wie der österreichische Politiker HC Strache derzeit massenhaft Social-Media-Nutzerinnen und -Nutzer verklagen würden, die angeblich ehrenrührige Zeitungsartikel über sie teilen. Entschädigungsforderungen in oft fünfstelliger Höhe seien die Folge. Klenk gibt fünf konkrete Tipps, wie man vor dem Posten prüfen könne, ob ein Artikel (nach österreichischem Recht) die journalistische Sorgfalt, zum Beispiel die Unschuldsvermutung oder die Privatsphäre, verletzt.

6. Unsicherheit in der Medienlandschaft
(verdi.de, Irene Gronegger)
Die Einführung von KI-Zusammenfassungen (AI Overviews) bei Google sorge für massive Unsicherheit in der Medienlandschaft. Sie entziehe den Websites spürbar Traffic und gefährde somit die Werbeeinnahmen der Verlage. Als Reaktion würden die Medienhäuser versuchen, die Leserbindung durch Newsletter zu stärken oder auf den Trend der “Creator Economy” zu setzen.

Mehrheit wackelt, Autoritäre Tech-Netzwerke, Keine Horrorszenarien

1. Mehrheit für Reformstaatsvertrag wackelt auch in Brandenburg
(dwdl.de, Alexander Krei)
Dem Reformstaatsvertrag für ARD und ZDF drohe in Brandenburg das Aus, da das BSW seine Zustimmung verweigere. Die Partei kritisiere die Reformen als unzureichend sowie als eine “Verengung des Meinungskorridors”. Alexander Krei schreibt: “Theoretisch könnte der Brandenburger Landtag den beiden Mediensstaatsverträgen trotzdem zustimmen – mit einer Mehrheit aus SPD und CDU. Noch ist allerdings unklar, was das für die Zukunft der Koalition [aus SPD und BSW] bedeuten würde, immerhin sieht der Koalitionsvertrag vor, dass beide Parteien nicht mit wechselnden Mehrheiten abstimmen.”

2. Wie autoritäre Tech-Netzwerke die europäische Souveränität gefährden
(netzpolitik.org, Markus Reuter)
Markus Reuter berichtet über die neue interaktive Website authoritarian-stack.info, auf der gezeigt werde, wie in den USA private Tech-Konzerne wie Palantir zunehmend staatliche und militärische Funktionen übernehmen. Das Projekt kartiere die personellen und finanziellen Verbindungen dieses Netzwerks, das laut den Forscherinnen und Forschern staatliche Souveränität in private Plattformen umwandele. Die Website warne davor, dass dieses autoritäre Modell nach Europa exportiert werde.

3. “Wir malen kein Horrorszenario an die Wand, sondern zeigen Lösungen”
(uebermedien.de, Annika Schneider, Audio: 37:20 Minuten)
Bei “Nice & Nötig” hat Annika Schneider mit Miriam Richter, Redakteurin des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlags (sh:z), gesprochen. Sie diskutierten darüber, warum die Klimaberichterstattung bei Richters Lokalzeitung überraschend erfolgreich ist. Der Ansatz bestehe darin, keine Horrorszenarien zu zeichnen, sondern lösungsorientiert über konkrete Klimaschutzmaßnahmen vor Ort zu berichten.

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4. Tödliches Mäzenatentum
(kulturundkontroverse859.substack.com, Johannes Franzen)
Johannes Franzen erörtert in seinem Essay anhand eines konkreten Beispiels die Bedeutung des investigativen Journalismus, der skrupellose Machenschaften von mächtigen Unternehmerfamilien aufdeckt. Franzen schlussfolgert, dass aggressiver Journalismus und künstlerischer Aktivismus notwendig seien, um die Komplizenschaft zwischen Institutionen und skrupellosen Mächtigen aufzudecken.

5. “Jetzt” will Journalismus neu erfinden
(taz.de, Florian Bayer)
Nach einer langwierigen Kampagne sei in Österreich das neue, rein digitale Medium “Jetzt” mit 5.900 zahlenden Mitgliedern an den Start gegangen. Es setze nach dem dänischen Vorbild “Zetland” auf ein reines Abo-Modell. Unter Chefredakteurin Hatice Akyün wolle die Redaktion einen Nachrichtenüberblick und ein bis zwei vertiefende Texte pro Tag bieten, die alle auch als Audioversion verfügbar sein sollen.

6. Co-Regis­seur von “Kau­litz & Kau­litz” muss genannt werden
(lto.de, )
Pablo Ben Yakov habe erfolgreich gegen den Deutschen Fernsehpreis geklagt, weil er bei der Nominierung der Netflix-Serie “Kaulitz & Kaulitz” nicht namentlich als Co-Regisseur genannt worden sei. Die Nichtnennung eines Miturhebers stelle eine Leugnung der Urheberschaft dar und verletze das Recht auf Urheberbenennung. Die Veranstalter hätten den Eintrag daraufhin korrigiert und Ben Yakovs Namen ergänzt.

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BILDblog-Klassiker

Britische Studien sind ja so 2009

Bei Bild.de gehört es offensichtlich zum Standardprogramm, die britischen Boulevard-Zeitungen “Daily Mail” und “The Sun” regelmäßig nach neuen Artikeln über unsinnige Studien – im Idealfall aus den Bereichen Sex, IQ oder einer Mischung aus Sex und IQ – zu durchforsten.

Sobald man fündig geworden ist, werden die erstaunlichen Erkenntnisse mehr oder weniger unfallfrei ins Deutsche übersetzt, wobei Bild.de die Tatsache großzügig ignoriert, dass sich britische Verhältnisse nicht 1:1 auf deutsche übertragen lassen. Das Ergebnis wird mit einer knackigen Überschrift versehen und dann veröffentlicht.

Beispiele gefällig? Bitteschön:

Kluge Männer haben mehr Sex

Narben machen Männer sexy

Studie: Reiche Männer sexen besser

Guter Sex erhöht Fruchtbarkeit

Teenager sollen Sex üben

Bikini-Mädchen-Gucken macht schlau

Handys machen Schüler dumm

Cabrios können taub machen

Linkshänder werden schneller wütend

Manchmal werden aus einer einzigen Studie sogar zwei Artikel. Besonders dann, wenn Bild.de einmal selbst darüber schreibt und sich dann noch von den Kollegen von der “B.Z.” beliefern lässt:

 Intelligente Mä¤nner sind treu

Fremdgeher haben einen niedrigeren IQ!

Apropos “B.Z.”: Ein ganz besonders schönes Beispiel, wie die Verwertungskette bei Bild.de funktioniert, versteckt sich hinter diesem Artikel von Mittwoch:

Drei Viertel aller Paare betrinken sich vor dem Sex: Sind Sie auch ein "Promille-Popper"?

Dort heißt es:

Eine Studie aus Großbritannien ergab jetzt: 75 Prozent aller Paare trinken Alkohol bevor sie Sex haben. Nüchtern betrachtet läuft also ohne Wein, Bier, Sekt oder Schnaps einfach nichts in unseren Betten.

Dumm nur, dass die Studie nicht “jetzt” erschienen ist, sondern vor über einem Jahr, wie man auf “Mail Online” seit dem 23. September 2009 nachlesen kann. Schon am 24. September 2009 berichtete die Onlineausgabe der “B.Z.” darüber: “Drei Viertel aller Paare betrinkt sich vor dem Sex. Sie auch?”

Bild.de übernahm den Artikel und veröffentlichte ihn ebenfalls am 24.9.2009 unter der etwas direkteren Überschrift “Sind Sie auch ein Promille-Popper?”.

Das, was Bild.de seinen Lesern am Mittwoch als aktuell verkaufte, ist derselbe alte Artikel — nur etwa ein Jahr später unter neuem Datum.

Das ist aber noch nicht alles: Abgesehen davon, dass fraglich ist, inwiefern britische Gewohnheiten Rückschlüsse auf “unsere Betten” zulassen, ist das, was seit einem Jahr auf bz-berlin.de, auf Bild.de und jetzt wieder auf Bild.de behauptet wird, auch einfach falsch.

Auf “Mail Online” steht nämlich folgendes zum Sexualverhalten geschlechtsreifer Briten zur Paarungszeit:

Vier von zehn Frauen gaben an, “immer” leicht angetrunken gewesen zu sein, wenn sie zum ersten Mal mit einem Partner geschlafen haben. Erstaunliche 48,5 Prozent sagten sogar, sie zögen Sex im alkoholisierten Zustand vor. Die Studie kam außerdem zu dem Ergebnis, dass 75 Prozent der befragten Frauen es mögen würden, etwas zu trinken, bevor sie mit ihrem Mann oder Freund ins Bett gehen.
(Übersetzung von uns.)

Wir halten fest: 75 Prozent der befragten Frauen mögen es laut Studie, etwas vor dem Sex zu trinken bzw. 48,5 Prozent finden, sie hätten alkoholisiert mehr Spaß bei der Sache. Dass sich deshalb 75 Prozent “aller Paare” vor dem Sex betrinken, lässt sich aus solchen Angaben beim besten Willen nicht ableiten.

Man darf gespannt sein, mit welchen faszinierenden Erkenntnissen britische Forscher uns demnächst überraschen. Und dank Bild.de müssen wir auch keine Angst haben, etwas zu verpassen — spätestens in einem Jahr wird’s ja wiederholt.

Vergessene Themen, Rechtsextreme, Dominatoren-Orakel

1. Journalistinnen
(freitag.de, Katja Kullmann)
Passend zum heutigen Weltfrauentag stellt die stellvertretende Chefredakteurin des “Freitag” einige berühmte Journalistinnen in einem “Kolleginnenlexikon” vor. Die Liste reicht von historischen Figuren aus dem Beginn des Print-Zeitalters bis hin zu zeitgenössischen “Fernsehfrauen” wie Anja Reschke und Dunja Hayali.

2. Blinde Flecken in der Berichterstattung
(de.ejo-online.eu, Susann Eberlein)
Die “Initiative Nachrichtenaufklärung” (INA) veröffentlicht jedes Jahr eine Liste mit zehn in den Medien vergessenen Themen. Susann Eberlein hat sich mit dem Geschäftsführer des Vereins über die Arbeit des Vereins, die Auswahl der Themen und den Einfluss der Liste auf die Medienberichterstattung unterhalten. Die ersten drei Plätze der vernachlässigten Nachrichten belegen übrigens die Finanzierung von Nuklearwaffen durch deutsche Finanzinstitute, das millionenschwere EURATOM-Abkommen zur Förderung der Atomkraft und die Tatsache, dass K.O.-Tropfen nahezu unkontrolliert über das Internet bestellbar sind.

3. „Die New York Times der Millennials“
(netzoekonom.de, Holger Schmidt)
Wenn man sich das Durchschnittsalter von Tagesschau-Zuschauern (63), CNN-Sehern (63) oder Fans der konservativen Fox-News anschauen würde, könnte man denken, dass junge Menschen nicht an Nachrichten interessiert seien. Dass dem nicht so ist, beweise u.a. die amerikanische Webseite “Mic”, die auch als “New York Times der Millennials” bezeichnet werde. Um Geschichten “relevant” zu machen, würden sie aus der Perspektive von jungen Menschen erzählt. Außerdem seien die Inhalte für Smartphones optimiert. Autor Holger Schmidt beschreibt die Vorgehensweise der erfolgreichen News-Seite und liefert einige interessante Daten über Nachrichtenmedien im Allgemeinen.

4. Einfach mal dreißig Minuten Zeit
(faz.net, Gina Thomas)
Gegen den Trend der Zeit ist in Großbritannien eine neue Tageszeitung erschienen. Das Blatt heißt “The New Day”, und es richtet sich an eine Zielgruppe im Alter zwischen 35 und 55 Jahren. Mit einem Team von 25 Redakteuren will man leichtverdauliche Nachrichtenkost anbieten. In großzügiger Aufmachung und in, was die wesentlichen Nachrichten anbelangt, flapsig formulierten Zehnzeilern.

5. Rechtspopulistische Gesprächsstrategien – Eine Übersicht
(netz-gegen-nazis.de, Simone Rafael)
Rechtsextreme bedienen sich in der Diskussion in sozialen Netzwerken oft rhetorischer Tricks und Kniffe. Wie man den Gesprächsstrategien von Rechtsaußen nicht auf den Leim geht, verrät die Übersicht mit den neun häufigsten Strategien der Gegenseite und Empfehlungen für argumentative Konter.

6. Jan Böhmermann macht die meisten Schlagzeilen / Kai Diekmann auf Platz 2
(horizont.net, Tim Theobald)
Die Medienplattform “Recherchescout” hat 300 Journalisten orakeln lassen, welche Medienschaffende dieses Jahr die Schlagzeilen beherrschen werden und ein Top-10-Ranking der zukünftigen News-Dominatoren erstellt.

“TV Movie” sieht Gespensterfilm

Eine der wichtigeren Fragen dieser Tage lautet ja: Wie wird eigentlich der zweite Teil von “Fifty Shades of Grey”, der in knapp einer Woche in die Kinos kommt?

Hm, mal sehen — wer könnte da eine Antwort liefern? Ah, hier, die “TV Movie” hat den Film offenbar schon gesehen:

TV MOVIE MEINT Wenn es um die filmische Umsetzung ihrer erotische (sic) Fantasien geht, versteht “Grey”-Autorin E.L. James keinen Spaß — der Streit um die kreative Kontrolle führte zum Beispiel zum Zerwürfnis mit der Regisseurin und Drehbuchautorin des ersten Teils. Die Fortsetzung inszenierte James Foley (“House of Cards”), das Drehbuch schrieb ihr Ehemann Niall Leonard. Ebenso wie der Vorgänger bietet auch Teil 2 stylishe Bilder und geschmackvoll inszenierte Sexszenen, inhaltlich aber mehr: Die Thriller-Handlung sorgt für Düsternis und Spannung. Nicht zuletzt dank Kim Basinger, die als mysteriöse Schmerzexpertin “Mrs. Robinson” ein belebendes Element darstellt.

Ja, gut, klingt jetzt etwas austauschbar: “stylishe Bilder”, “geschmackvoll inszeniert”, “Düsternis und Spannung”. Und auch die Posse mit dem Zerwürfnis konnte man sicher schon irgendwo nachlesen. Und auch die Infos aus der Inhaltsangabe im Absatz davor (“sechs harte Schläge auf den nackten Po”, “ein geheimes Verlangen nach dem Mann”, “Schatten der Vergangenheit lassen Christian nicht los” und so weiter) könnte der anonyme Autor dieser Kritik natürlich gar nicht aus dem Film haben, sondern aus dem dazugehörigen Buch.

Aber die “TV Movie”-Redaktion — nach eigenen Angaben immerhin “Europas härteste Filmredaktion” — wird den neuen “Fifty Shades of Grey” bestimmt schon gesehen haben. Wie sollte sie sonst auf diese abschließende Bewertung kommen?

Jetzt gibt es bloß so ein doofes Gerücht: Auf der Facebookseite von “TV Spielfilm” steht, dass “der Film noch gar keinem Journalisten gezeigt worden ist”. Und ein Anruf beim Verleiher “Universal Pictures” bestätigt das: Der Kritiker der “TV Movie” kann den Film noch gar nicht gesehen haben.

Auf dieser Grundlage hier mal die Bewertung von Europas härtester Filmkritikredaktion — uns — zur aktuellen “TV Movie”:

Kackdreiste Kritik: noch unehrlicher, unjournalistischer — dafür mit ganz viel Unverschämtheit!
Fantasie

Ehrlichkeit
 
Chuzpe

Ausdenfingernsaugen

Journalismus
 
Leserverarsche

Mit Dank an Peter M. für den Hinweis!

Nachtrag, 18:15 Uhr: Was die “Bauer Media Group”, bei der die “TV Movie” erscheint, zu dem Vorfall sagt, steht übrigens bei “DWDL” (Spoiler: Die Unternehmenssprecherin bestreitet nicht, dass die Redaktion den Film gar nicht gesehen hat).

Nachtrag, 31. Januar: “Viel nackte Haut”, “aufregendes Kribbeln”, “etwas mehr Tiefgang und einen Extraschuss Thrillerspannung” — auch die Hellseher Filmseher von “TV direkt” haben sich eine Allgemeinplatz-Kritik zum zweiten Teil von “Fifty Shades of Grey” ausgedacht:

Mit Dank an Horst S. und @ChristianZiVers für die Hinweise!

Und dann noch was über die AfD

Wir stellen uns das Gespräch im Newsroom von Welt.de in etwa so vor …

Redakteur 1:

Wir sollten was über die AfD machen. Das gibt immer irre Klicks!

Redakteur 2:

Jo. Und vielleicht noch was über die AfD?

Redakteur 1:

Gute Idee!

Redakteur 3:

Wie wär’s mit einem Beitrag über die AfD?

Redakteure 1 und 2:

Logo!

Redakteur 4:

Aber die AfD sollten wir nicht vergessen!

Redakteur 2:

Auf keinen Fall. Machst Du da was?

High fives im ganzen Newsroom.

Das Ergebnis sieht dann so aus:

Screenshot von der Welt.de-Startseite von gestern Abend, auf der vier Artikel über die AfD ganz oben auf der Seite zu sehen waren. - Überschriften: AfD will Deutschland kurz vor der Wahl das Fürchten lehren - Ökonomen warnen vor AfD, aber es könnte noch schlimmer kommen - Was von Merkels Kanzlerschaft bleiben wird, die AfD - Ich kann nichts Ekliges an unseren Forderungen erkennen
(Für eine größere Version auf den Screenshot klicken.)

Um auf dieses AfD-Quartett zu stoßen, musste man gestern Abend bei Welt.de nicht lange nach unten scrollen, bis man irgendwo in einer versteckten Rubrik landete, in der alle aktuellen AfD-Beiträge gesammelt werden. Das waren die ersten vier Beiträge, die man ab ungefähr 21 Uhr und bis nach 22 Uhr ganz oben zu sehen bekam, wenn man Welt.de ansteuerte. Auf der kompletten Startseite gab es zu diesem Zeitpunk noch vier weitere Artikel mit AfD-Bezug (“Was sind die ‘Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen’?”, “‘Auch ich liebe Deutschland, aber anders als Gauland'”, “‘Diese Schweine sind nichts anderes als Marionetten der Siegermächte'”, “‘Jetzt geht es um das Rennen FDP – AfD'”).

Natürlich kann und muss man mitunter über ein Phänomen wie die AfD berichten. Man sollte es auf keinen Fall totschweigen. Manche Redaktionen müssen sich aber auch fragen, was am Anfang eigentlich höher war: die Umfragewerte und Wahlergebnisse dieser Partei oder die Anzahl der Berichte über sie?

Und ja, schon klar: Auch wir haben nun wieder über die AfD berichtet.

Mit Dank an @doktordab für Hinweis und Screenshot!

Glyphosat-Zensurheberrecht, “Buzzfeed” vs. KfW, Geld-Umarmung

1. Zensurheberrecht: Landgericht Köln zwingt FragDenStaat, staatliches Glyphosat-Gutachten zu löschen
(fragdenstaat.de, Arne Semsrott)
Das Landgericht Köln hat dem Transparenz-Portal “FragDenStaat” per einstweiliger Verfügung untersagt, ein Glyphosat-Gutachten des Bundesinstituts für Risikobewertung zu veröffentlichen. “FragDenStaat” will dies nicht hinnehmen und hat angekündigt, nötigenfalls bis zum Europäischen Gerichtshof zu ziehen: “Das Glyphosat-Gutachten ist staatlich finanziert und von Beamten erstellt worden. Dass das Urheberrecht als Zensurheberrecht missbraucht wird, ist ein Angriff auf die Pressefreiheit!” Das Portal fordert alle Menschen dazu auf, ihr Recht auf Informationsfreiheit zu nutzen und ebenfalls das Glyphosat-Gutachten beim Bundesinstitut anzufragen. Obwohl das Dokument nicht veröffentlich werden darf, müsse es die Behörde nämlich jedem Interessierten zukommen lassen. Die Anfrage ist dank vorbereitetem Formular mit einem Mausklick möglich und wurde binnen weniger Stunden schon mehr als 20.000 Mal durchgeführt (Stand: 8:30 Uhr).

2. Steuerfahnder haben schon eine Milliarde Euro zurückgeholt
(sueddeutsche.de, Frederik Obermaier & Bastian Obermayer)
Da sage einer, Journalismus habe keine Wirkung: Drei Jahre nach der Veröffentlichung der sogenannten “Panama Papers” haben sich Steuerbehörden weltweit mehr als eine Milliarde Euro an Steuergeldern zurückgeholt. Auf Deutschland entfallen davon etwa 150 Millionen Euro. Ins Rollen gekommen war der Skandal, nachdem ein Whistleblower der “Süddeutschen Zeitung” ein Konvolut von mehr als 11,5 Millionen Dokumenten zugespielt hatte. Für die Aufarbeitung hatten sich neben der “SZ” noch das Internationale Konsortium für Investigative Journalisten (ICIJ) sowie über 100 Medien in rund 80 Ländern zusammengeschlossen.

3. In eigener Sache: Wir gehen gerichtlich gegen die KfW vor, weil sie uns Unterlagen zum WWF nicht geben will
(buzzfeed.com, Marcus Engert)
Anfang März hatte “Buzzfeed” schwere Vorwürfe gegen den WWF und die Bundesregierung erhoben: In einem vom Entwicklungsministerium geförderten WWF-Projekt im Kongo sei es zu Folter, Massenvergewaltigungen und Mord gekommen. Die deutsche Förderbank KfW habe dies durch die Bereitstellung von etlichen Millionen indirekt mitfinanziert. “Buzzfeed” wollte Licht ins Dunkel bringen und hat bei der KfW die Einsicht in Dokumente gemäß Informationsfreiheitsgesetz verlangt. Obwohl die KfW wie eine staatliche Stelle auftritt, verweigerte sie die Auskünfte. Sie übe “als Bank ihre Aufgaben grundsätzlich privatrechtlich (…) aus” und könne “deshalb nicht als Behörde (…) eingeordnet werden.” Dagegen geht “Buzzfeed” nun juristisch vor.

4. Anwaltskanzlei von Cristiano Ronaldo unterliegt gegen den SPIEGEL
(spiegel.de, Rafael Buschmann & Nicola Naber & Christoph Winterbach & Michael Wulzinger)
Ein sich über Jahre hinziehendes “Eilverfahren” hatte es dem “Spiegel” unmöglich gemacht, über die “Football Leaks” zu berichten, in denen es um das Finanzgebaren und die Steuertricks diverser Fußball-Weltstars geht. Nun ging der Rechtsstreit zu Ende — zugunsten des Magazins. Damit sind nun wieder folgende Reportagen frei zugänglich:
Der Fall Mourinho: “José Mourinho ist der Star unter den Startrainern — und einer, der auch abseits des Platzes alle Tricks kennt. Wie Football Leaks enthüllt, hat er eine Briefkastenfirma in der Karibik genutzt, um Millionen zu verschleiern.”
“Das sieht richtig übel aus”: “Anderthalb Jahre lang trieben die spanischen Finanzbehörden den deutschen Nationalspieler Mesut Özil vor sich her. Dann verdonnerten sie ihn zu einer Millionenzahlung.”
Die Dose des Ronaldo: “Ihr schwerster Gegner war das Finanzamt: Superstar Cristiano Ronaldo und Trainerlegende José Mourinho haben für ihre Werbemillionen Briefkastenfirmen in der Karibik benutzt.”

5. Facebook unterstützt lokale Verlage mit 2 Mio. Euro
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Insgesamt 300 Millionen Euro hat Facebook zur Unterstützung lokaler Medien angekündigt, zwei Millionen davon sollen an deutsche Lokalzeitungsverlage gehen. Die Medienhäuser sollen das Geld für den “Aufbau nachhaltiger Geschäftsmodelle” verwenden. Von Facebooks Geldsegen profitieren die Funke Mediengruppe, MHS Digital, Mediengruppe Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung, Rheinische Post Digital, Nordbayern Infonet, Oberpfalz Medien, Verlag und Druckerei Main-Echo, DuMont, Ippen Digital, Mediengruppe Main-Post, Mediengruppe Oberfranken und Lensing Media.
Weiterer Lesehinweis: t-online.de-Chef Florian Harms kommentiert unter Scheinheiligkeit, wohin man schaut: “Die Kunst, Gegner zu Gefolgsleuten umzupolen, beherrscht Herr Zuckerberg aus dem Effeff. Daran dürfen wir uns erinnern, wenn wir den nächsten Leitartikel zu einem Digitalthema aus einem dieser Verlagshäuser aufgetischt bekommen.”

6. Blick muss wegen «Fall Spiess-Hegglin» vor Gericht: Deshalb könnte es richtig teuer werden
(tagblatt.ch, Pascal Hollenstein)
Die Schweizer Ringier-Gruppe droht die Herausgabe des Gewinns, den es mit den Print- und Onlineartikeln über die Netzaktivistin und Feministin Jolanda Spiess-Hegglin erwirtschaftet hat. Dabei könnte einiges zusammenkommen, denn der Medienkonzern hat mit mehr als 200 Artikeln Klicks und Kasse gemacht. Ein Experte spricht von weit mehr als einer Million Franken, die Ringier mit der publizistischen Ausbeutung von Spiess-Hegglin verdient habe. Und nun dank “Gewinnabschöpfung” eventuell wieder herausgeben muss.

Weißt du noch, im letzten Jahr?

Bild.de berichtete gestern:

Screenshot Bild.de - Putins Corona-Krise - Russland und USA Seuchen-Hotspots der Welt - Mai-Partys mit Grillen und Trinken - Hat Präsident Putin Fehler gemacht?

Tatsächlich sind laut Statistik der Johns Hopkins University die USA (etwa 1,4 Millionen gemeldete Fälle) und Russland (etwa 252.000) aktuell die Länder mit den meisten gemeldeten Covid-19-Fällen weltweit (wobei solche Rankings, als ginge es um den Medaillenspiegel bei den Olympischen Spielen, mit Vorsicht zu betrachten sind — wer viel testet, findet auch viel, und wer kaum testest, findet kaum was; dazu kommt, dass die Zahl der Infizierten nicht automatisch etwas darüber aussagt, wie dramatisch die Lage im jeweiligen Land ist). Im Bild.de-Artikel geht es dann allerdings nur um die Situation in Russland, die USA und die dortigen Probleme werden nicht weiter erwähnt.

Als Aufmacherfoto für den Beitrag wählte die “Bild”-Redaktion eine Aufnahme, auf die man eigentlich nur reagieren kann mit: Na, kein Wunder, dass in Russland so viele infiziert sind.

Screenshot Bild.de - die bereits zitierte Überschrift und dazu ein Foto, das sehr viele Menschen auf einem Haufen bei einer Feierlichkeit. In der Bildunterschrift steht: Russland am Tag des Siegen: Tausende drängen sich bei den Feierlichkeiten zum 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs am 9. Mai auf Moskaus Straßen

Das Foto entstand allerdings nicht vor fünf Tagen, “bei den Feierlichkeiten zum 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs”, sondern bereits vor einem Jahr, bei den Feierlichkeiten zum 74. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs. In diesem Jahr gab es wegen der Corona-Pandemie keine vergleichbaren Veranstaltungen und Paraden in Moskau.

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Die “Bild”-Redaktion hat das Foto inzwischen gegen ein anderes ausgetauscht. Einen Hinweis auf den Fehler, im Sinne der Transparenz, hat sie dem Artikel nicht hinzugefügt.

Mit Dank an Konni K., Mike C. und @airporttourist für die Hinweise!

Nachtrag, 16:46 Uhr: Die Onlineredaktion des “Bild”-Schwesternblatts “B.Z.” hat dasselbe Foto mit derselben Bildunterschrift veröffentlicht. Dort ist das alles noch online.

KW 14/22: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. quoted. der medienpodcast
(sueddeutsche.de, Nadia Zaboura & Nils Minkmar, Audio: 32:57 Minuten)
“quoted. der medienpodcast” ist ein Gemeinschaftsprojekt der Stiftung CIVIS und der “Süddeutschen Zeitung”. In der ersten Folge sprechen die Kommunikationswissenschaftlerin Nadia Zaboura und “SZ”-Autor Nils Minkmar über die mediale Berichterstattung über den Ukraine-Krieg – auch im Vergleich zu vorherigen geopolitischen Konflikten.

2. Wie sollen Medien mit Kriegsbildern umgehen?
(deutschlandfunk.de, Pia Behme, Audio: 41:25 Minuten)
Wie sollen Redaktionen mit den grausamen Kriegsbildern aus der Ukraine umgehen? Darüber diskutieren ein Deutschlandfunk-Hörer, die Medienwissenschaftlerin Petra Grimm, Kendra Stenzel vom “Kölner Stadt-Anzeiger” und Pia Behme aus der DLF-Medienredaktion.

3. Katapult Ukraine: Bis an die Schmerzgrenze
(ndr.de, Inga Mathwig, Video: 20:26 Minuten)
Das “Katapult Magazin” aus Mecklenburg-Vorpommern hat mehrere ukrainische Medienschaffende eingestellt und eine Ukraine-Redaktion gegründet. Das verlangt der Belegschaft einiges ab, sowohl Mehrarbeit als auch Gehaltsverzicht. “Zapp” ist nach Greifswald gefahren und hat dort mit “Katapult”-Chef Benjamin Fredrich sowie einigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch über die neu entstandenen Konflikte hinter den Kulissen gesprochen.

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4. “Meduza” – regierungskritische Medienstimme im Exil
(deutschlandfunkkultur.de, Jenny Genzmer & Dennis Kogel, Audio: 18:11 Minuten)
In Russland gibt es de facto keine Pressefreiheit mehr. Viele Medienhäuser mussten den Betrieb einstellen, anderen wurde die Arbeit verboten. Die Redaktion von “Meduza” ist ins lettische Riga abgewandert und berichtet von dort über die russische Politik. Möglich wird dies auch durch die Unterstützung der deutschen Plattform “Krautreporter”.

5. Dr. Astrid Plenk: Programmgeschäftsführerin KiKA
(wiesoweshalbwarum.podigee.io, Thomas Hartmann, Audio: 52:02 Minuten)
Astrid Plenk ist Programmgeschäftsführerin des KiKA von ARD und ZDF. Anlässlich des 25-jährigen Bestehens des Senders hat Thomas Hartman mit ihr über die Herausforderungen bei der Arbeit für den Kinderkanal gesprochen: Wie entstehen die Inhalte für eine überaus vielfältige Zielgruppe, und welchen Einfluss haben die Kinder selbst darauf? Wie verändern die neuen Medien die Angebote? Und fühlt man sich als Programmverantwortliche eher der Innovation oder der Tradition verpflichtet?

6. Sollte man Karl Lauterbach mal Twitter wegnehmen?
(uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 12:54 Minuten)
Wie kaum einen anderen Politiker zieht es Gesundheitsminister Karl Lauterbach in die Öffentlichkeit. Er sitzt in Talkshows, gibt Interviews und twittert. Das Kommunikationsverhalten des SPD-Politikers ist nicht unumstritten. Zuletzt revidierte er eine politische Entscheidung bei “Markus Lanz” und schob den dazu gehörenden Twitter-Post nachts um 2:37 Uhr hinterher. Holger Klein hat sich mit dem Kommunikationsberater Hendrik Wieduwilt über Lauterbachs Medienarbeit unterhalten.

Konsequenzen in Kiel, Schönreden ist Quatsch, Lindners Porscheproblem

1. Konsequenzen in Kiel
(sueddeutsche.de)
Nach den Vorgängen beim rbb, gibt es nun – in einem etwas anders gelargerten Fall – auch personelle Konsequenzen beim ebenfalls öffentlich-rechtlichen NDR. Nach öffentlich gewordenen Beschwerden von Mitarbeitern im Landesrundfunkhaus in Kiel seien zwei Führungskräfte auf eigenen Wunsch vorerst von ihren Aufgaben entbunden worden. Zuerst hatte “Übermedien” darüber berichtet. Dort gibt es auch einen Ausschnitt aus einem NDR-Regionalmagazin zu sehen, in dem sich die Redaktion angesichts neuer Vorwürfe “fassungslos” zeigt. In einer weiteren Regionalsendung hatte das ganze Team aus Protest kurzzeitig das Studio verlassen und sich draußen versammelt.

2. Christian Lindners Porscheproblem
(netzpolitik.org, Alexander Fanta)
Als eine “Transparenzverweigerung auf höchster politischer Ebene” bezeichnet netzpolitik.org die Weigerung von Finanzminister Christian Linder und dessen Ministerium, die SMS-Kommunikation Lindners mit dem Porsche-Chef herauszugeben. Der Fall werde vermutlich vor Gericht landen, das diesbezügliche Urteil könnte richtungsweisend sein, schreibt Alexander Fanta: “Wenn Richter:innen über die SMS und ihre Relevanz entscheiden, könnte daraus eine Grundsatzentscheidung mit dramatischen Folgen für die Verwaltung werden. Bislang landen selbst offenkundig bedeutende Nachrichten von Minister:innen nicht bei den Akten, sind weder für die Öffentlichkeit noch für die Nachwelt verfügbar.”

3. Prozess gegen ehemaligen MDR-Unterhaltungschef beginnt
(mdr.de)
Heute beginnt der Strafprozess gegen den ehemaligen MDR-Unterhaltungschef Udo Foht. Die Staatsanwaltschaft Leipzig werfe Foht in 13 Fällen Betrug, Untreue, Bestechlichkeit beziehungsweise Steuerhinterziehung vor. Bemerkenswert: Die Vorwürfe existieren seit mehr als zehn Jahren und hatten 2011 dazu geführt, dass Foht gekündigt wurde.

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4. “Schönreden ist jedenfalls Quatsch!”
(journalist.de, Jan Freitag)
“Berichterstattung, die beschreibt, was ist, wie es sich verbessern lässt und was das Einzelnen ebenso wie allen anderen bringt, ist zielführende Berichterstattung.” Im Interview mit dem “journalist” spricht Politökonomin Maja Göpel darüber, was Medien bei ihrer Klima­berichterstattung besser machen können. So sei es wichtig, Narrative zu hinterfragen, Begrifflichkeiten zu klären und gegebenenfalls die geeigneten Vokabeln zu finden.

5. Selbstjustiz vs. Glückloser staatlicher Kampf gegen den Hass
(belltower.news, Simone Rafael)
Wegen seiner laxen beziehungsweise kaum vorhandenen Kontrolle sei der Instant-Messaging-Dienst Telegram in Deutschland vor allem als Tummelplatz für Verschwörungsgläubige, Rechtsextreme und andere Demokratiefeinde bekannt. Nun lasse Telegram seine Nutzer und Nutzerinnen darüber abstimmen, ob man zukünftig mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten soll. Simone Rafael kommentiert: “Unklar bleibt, was Telegram mit der Umfrage bezwecken will: Will sich die Plattform zukünftige Entscheidungen bestätigen lassen? Soll hier Verantwortung auf die Nutzer*innen abgewälzt werden, die bei der Plattform liegt: Nämlich, wie sicher sich Menschen auf der Plattform fühlen dürfen? Ist das Basisdemokratie oder die Unterstützung von Selbstjustiz, weil andere Justiz ausgeschlossen wird? So oder so: An der Rolle Telegrams als Verbreitungsort für Hass wird sich so schnell wohl nichts ändern.”

6. “Katar will die Plattform Fußball politisch nutzen”
(deutschlandfunkkultur.de, Vera Linß & Marcus Richter, Audio: 8:03 Minuten)
Am 20. November beginnt die stark umstrittene Fußball-WM der Männer in Katar. Sportjournalist Ronny Blaschke erinnert die Redaktionen an ihre Verantwortung und macht eine einfache Rechnung auf: “Je schwärmerischer wir über Tore und Titel berichten, desto weniger Zeit haben wir letztlich für die Thematisierung von Menschenrechtsverletzungen.”

“Bild” schrumpft sein TV-Angebot, KI-Pornos, “Mieses Medien-Spiel”

1. 80 Stellen betroffen: Bild TV stellt tägliche Live-Strecken ein
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
Was sich vor zwei Wochen bereits abzeichnete (“Bild” will TV-Angebot schrumpfen, spiegel.de), werde nun laut dem Branchendienst “Medieninsider” (nur mit Abo lesbar) zur Gewissheit: Der Springer-Konzern verabschiedet sich anscheinend von seinem Plan, mit “Bild TV” einen Nachrichtensender zu etablieren. Der Ausstieg aus dem Live-Betrieb soll schätzungsweise 80 Personen und deren Stellen betreffen. Der Deutsche Journalisten-Verband hat bereits mit einer Pressemitteilung reagiert und fordert einen sozialverträglichen Stellenabbau: “Springer muss seiner Verantwortung als Arbeitgeber gerecht werden und den betroffenen Kolleginnen und Kollegen alternative Arbeitsplätze im Konzern anbieten”.

2. “Spiegel” nimmt mehrere Beiträge von der Webseite
(tagesspiegel.de, Kurt Sagatz)
Der “Spiegel” habe nach eigenen Angaben mehrere Beiträge zum Todesfall eines fünfjährigen syrischen Flüchtlingsmädchens vorläufig von der eigenen Website entfernt. Stattdessen ist dort ein redaktioneller Hinweis zu lesen: “Mittlerweile gibt es Zweifel an der bisherigen Schilderung der damaligen Geschehnisse. Wir haben daher mehrere Beiträge zu diesem Thema vorläufig von unserer Website entfernt. Wir überprüfen unsere Berichterstattung und entscheiden nach Abschluss der Recherchen, ob die Beiträge gegebenenfalls in korrigierter und aktualisierter Form erneut veröffentlicht werden.”

3. Juso-Vorsitzende und weitere Politikerinnen fordern Vorgehen gegen KI-Pornos
(spiegel.de, Max Hoppenstedt)
Deepfake-Pornografie ist laut Wikipedia ein “Pornografie-Segment, das das durch Computer berechnete Einfügen von Gesichtern realer Personen in pornografische Bilder oder Filme zum Inhalt hat”. Opfer von derartigen Videofälschungen sind oftmals Politikerinnen und Prominente. Wie Max Hoppenstedt berichtet, hätten sich Betroffene an Digitalminister Volker Wissing gewandt und Maßnahmen gegen die Fakes gefordert.

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4. Das miese Medien-Spiel mit der Fußball-WM
(georgstreiter.de)
“Zwölf Jahre nach der skandalösen Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft nach Katar am 2. Dezember 2010 entdecken die Medien, dass die Vergabe ein Skandal war. Dabei ist die Skandal-WM auch ein Medien-Skandal. Vor allem ein öffentlich-rechtlicher.” Georg Streiter über das “miese Medien-Spiel” mit der Fußball-WM.

5. Denkfabriken – nicht immer unabhängig
(deutschlandfunk.de, Annika Schneider, Audio: 2:50 Minuten)
Denkfabriken beziehzungsweise Thinktanks werden in Medien überraschend oft als Quellen zitiert. Dabei bleibe oft unklar, wie neutral sie wirklich sind und vom wem sie finanziert werden. Es reiche daher nicht, den Namen einer Denkfabrik zu nennen. In der Berichterstattung müsse klar werden, für welche Interessengruppen die jeweilige Organisation stehe, so Annika Schneider im Deutschlandfunk.

6. Social-Media-Benimmkolumne: Wie man sich unmöglich macht – Nonmentions und Snitchtagging
(54books.de, Franziska Reuter)
Franziska Reuter erklärt zwei Kommunikationsphänomene, die typischerweise auf Social Media anzutreffen sind: Die sogenannten Nonmentions und das sogenannte Snitchtagging. Unterhaltsam, anschaulich und lehrreich beschrieben.

KW 51/22: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich (langes Weihnachts-)Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Wochenendausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

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1. Der RBB-Skandal um Patricia Schlesinger
(macht-und-millionen.podigee.io, Business Insider, Solveig Gode & Kayhan Özgenç, Audio: 43:27 Minuten)
Bei “Macht und Millionen” von “Business Insider” rollen Solveig Gode und Kayhan Özgenç regelmäßig spektakuläre Wirtschaftsverbrechen auf. Diesmal beschäftigen sie sich mit dem RBB-Skandal um Ex-Intendantin Patricia Schlesinger, den die “Business-Insider”-Redaktion durch ihre Recherchen aufgedeckt hat. Auch wenn man meint, bereits viel über den Fall zu wissen, lohnt dieser Podcast unbedingt, weil er noch einmal die vielen kleinen Details nennt und gleichzeitig das große Ganze im Auge behält.

2. Wie macht man einen Jahresrückblick?
(omrmedia.podigee.io, Pia Frey, Audio: 45:42 Minuten)
Bei “OMR” ist Malte Müller-Michaelis zu Gast, “Spiegel”-Redakteur und Verantwortlicher für die alljährliche “Chronik”, den großen Jahresrückblick. Im Gespräch geht es unter anderem um folgende Fragen: Wie kollektiviert man Erinnerungen? Wie läuft der redaktionelle Prozess hinter den Kulissen ab, bevor Hunderte kuratierte Seiten und Geschichten den Weg ins Internet und in die Zeitschriftenregale finden? Und welche Auswahlkriterien müssen die Chronik-Geschichten erfüllen?

3. Wie funktioniert Journalismus auf TikTok?
(newsfluence.podigee.io, Audio: 1:15:26 Stunden)
Im “Newsfluence”-Podcast erzählen die Medienprofis Louisa Schneider (SWR), Amelie Marie Weber (Funke), Tom Klein (HR) und Yannic Lipp (“Chip”), warum es aus ihrer Sicht bei TikTok Journalismus braucht, und wie dieser für das dort anzutreffende Publikum verständlich aufbereitet werden kann. Man wolle zeigen, “dass Journalismus auf dieser Plattform nicht nur seine Daseinsberechtigung hat, sondern sich auch finanzieren kann.”

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4. Ungewollt auf Twitch – Plötzlich im Livestream von MontanaBlack
(podcast04b645.podigee.io, David Geßner, Audio: 26:22 Minuten)
Medienanwalt David Geßner unterhält sich mit seiner Kollegin Nadine Mannshardt über einen Fall aus der Praxis: Der bekannte Youtuber und Twitch-Streamer “MontanaBlack” habe Ende Oktober in einem Wildpark bei Hamburg einen Live-Stream produziert, in dem eine Frau und ihr minderjähriges Kind unverpixelt zu sehen waren, ohne dass eine entsprechende Einverständniserklärung vorgelegen habe. Eine auch über den konkreten Fall hinausgehende interessante Podcast-Folge, weil sie grundsätzliche Fragen des Persönlichkeitsrechts behandelt.

5. Wie war 2022?
(sueddeutsche.de, Nadia Zaboura & Nils Minkmar, Audio: 26:06 Minuten)
Beim Medienpodcast “quoted” steht in der aktuellen Ausgabe der große Jahresrückblick an. Nadia Zaboura und Nils Minkmar erinnern sich an die Themen des Jahres sowie deren mediale Aufarbeitung und versuchen, Einsichten und Erkenntnisse daraus abzuleiten.

6. Was Buchdruck und Digitalisierung gemeinsam haben
(deutschlandfunknova.de, Katja Weber, Audio: 52:41 Minuten)
“Ende 1522 erscheint das Neue Testament zum ersten Mal auf Deutsch, übersetzt von Martin Luther. Er ist quasi einer der Bestseller-Autoren des 16. Jahrhunderts und profitiert von einem Medienwandel, der fast sechs Jahrhunderte her ist und trotzdem sehr an heutige Zeiten erinnert: dem Buchdruck.” Bei Deutschlandfunk Nova erklärt der Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann, was der typografische Medienwandel von damals und der Medienwandel von heute gemein haben.

Verstörung, Ernüchterung, Aufheiterung

1. Die schrecklich-nette Homophobie der „Zeit“
(nollendorfblog.de, Johannes Kram)
In der “Zeit” konnte man letzte Woche einen auch im Kontext verstörenden Satz lesen: “Homophobie ist nicht zuletzt eine Reaktion auf die enormen Emanzipationsgewinne der Schwulen und Lesben.” Nollendorfblogger Johannes Kram ordnet das Geschriebene ein (“Dieser Satz ist ein Hammer.”) und führt aus, warum ihm die seit Jahren weiterschreitende Martensteinisierung der “Zeit” nicht gefällt.

2. Ernüchterung bei lokalen Online-Zeitungen
(ndr.de, Charlotte Horn)
In den letzten Jahren haben freie Journalisten und Blogger eigene Stadtteilzeitschriften und Regionalmagazine fürs Netz entwickelt. Viel Geld, Zeit und Liebe wurde verwendet, doch nun macht sich Ernüchterung breit: Der Zuspruch ist groß, aber es fehlt schlicht an Einnahmen.

3. Frankfurter Allgemeine bringt das Premiummagazin „Frankfurter Allgemeine Quarterly“ an den Kiosk
(verlag.faz.net)
Die “FAZ” kündigt in einer Pressemitteilung ein neues Magazin an, das den “analytischen Scharfsinn und den intellektuellen Anspruch der F.A.Z. mit Opulenz, Sinnlichkeit und Eleganz verbindet”. Das Magazin “richtet sich an kluge, vielseitig interessierte und einkommensstarke Leserinnen und Leser, die auf hohem Niveau informiert und unterhalten werden möchten.” Nun ja, zumindest “einkommensstark” kann man bislang bestätigen: Das Heft soll 12 Euro kosten.

4. Von mächtigen Politikern und Vaterlandsverrätern: Pressefreiheit in Nordeuropa
(de.ejo-online.eu, Clemens Bomsdorf)
Island belegt auf dem Demokratieindex der Zeitschrift “The Economist” den dritten Platz. Seit einiger Zeit nimmt die Politik aber immer mehr Einfluss auf die Medien, berichtet Clemens Bomsdorf. Aktuellstes Beispiel sei der Vorstoß des Premiers Gunnlaugsson, die Ausstrahlung eines Interviews, in der er auf seine Panama-Konten angesprochen wurde, zu verhindern. Doch der Vorstoß missglückte und das Interview hätte Gunnlaugsson letztlich zum Rücktritt gezwungen. Am 25. Juni werde in Island nun ein neuer Präsident gewählt. Der Artikel berichtet, wie es derzeit um die isländische Medienlandschaft bestellt ist.

5. Justizminister wollen Whistleblower schützen
(journalist.de, Monika Lungmus)
Die Justizminister der Bundesländer apellierten auf ihrer Konferenz an die Bundesregierung, das Thema “Whistleblower” wie angekündigt noch in dieser Legislaturperiode aufzugreifen und entsprechende Schutzregeln einzuführen. Angesichts der gesellschaftlichen Bedeutung von frühzeitigen Hinweisen auf Missstände in Unternehmen, Behörden und Organisationen und im Hinblick auf internationale Vorgaben solle die Bundesregierung prüfen, “ob der Schutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern einer gesetzlichen Regelung bedarf”. Das Land Brandenburg habe darauf hingewiesen, dass es für Whistleblower wegen der derzeit fehlenden gesetzlichen Regelung keine Rechtssicherheit gäbe. Sie könnten nur im Nachhinein durch Arbeitsgerichte feststellen lassen, ob ihr Handeln rechtmäßig war.

6. Komik in der Depression
(sueddeutsche.de, Matthias Kolb)
Auf der Suche nach einem neuen Podcast? Vielleicht geben Sie dem englischsprachigen “Trumpcast” eine Chance, in dem jede Woche über die neuesten Wunderlichkeiten von Präsidentschaftsbewerber Donald Trump berichtet wird. Ohne dass es bislang zu Racheaktionen des Geschmähten gekommen sei, wie “SZ”-Autor Matthias Kolb anmerkt.

Drogen-Doku, Facebook-Klage, Fake-News-Spezialist Franziskus

1. Drogen-Doku: Mit Kamera und Polizei zum Dreh
(ndr.de, Aimen Abdulaziz-Said)
Eine „Sat-1“-Reporterin hat sich undercover in ein illegales Psycholyse-Seminar geschlichen, bei dem es um Heilung durch den Konsum harter Drogen ging. Vorher hat sie jedoch der Polizei einen Besuch abgestattet und von ihren Recherchen und ihrem Vorhaben berichtet. Man einigte sich auf eine Zusammenarbeit zum beiderseitigem Vorteil: Im Gegenzug für die spektakulären Aufnahmen von der Razzia hätte die Reporterin versprochen, der Polizei das Drehmaterial zur Verfügung zu stellen. Die Ermittler hätten im Gegenzug Diskretion bis zur Ausstrahlung des Films zugesichert. Die Medienrechtlerin Dorothee Bölke kritisiert den Deal: “Wenn das Schule macht, was wir in diesem Beitrag gesehen haben, diese Form der Zusammenarbeit, verliert Presse Glaubwürdigkeit“.

2. “Facebook weiß, wer wie lange welchen Porno anschaut”
(sueddeutsche.de, Simon Hurtz)
Seit sieben Jahren klagt der Österreicher Max Schrems gegen Facebook. Schrems wirft dem Unternehmen mangelhaften Datenschutz vor und fügte dem Social-Media-Riesen 2015 bereits eine empfindliche Niederlage bei. Jetzt treffen sich David und Goliath erneut vor dem höchsten EU-Gericht. Im Interview erklärt Schrems, worum es in dem Verfahren geht und warum er auch nach sieben Jahren nicht müde wird, Facebook zu verklagen.
Weiterer Lesetipp: “Besser mit dem Bösen rechnen” (spiegel.de, Patrick Beuth).

3. Mut, Hass, Zusammenbrüche: Was bleibt nach fünf Jahren #aufschrei?
(broadly.vice.com, Yasmina Banaszczuk)
Vor fünf Jahren starteten Anne Wizorek, Jasna Strick und Nicole von Horst einen Hashtag, der wesentlichen Einfluss auf die Feminismus-Debatte hatte: #aufschrei. Yasmina Banaszczuk hat die drei Frauen zum Interview getroffen. Im Gespräch ging es unter anderem darüber, inwieweit die Aktion das Leben der Initiatorinnen veränderte und was sie womöglich heute anders machen würden.

4. Don’t be stupid: Die Twitter-Leitlinien der Deutschen Presse-Agentur
(kress.de, Froben Homburger)
Froben Homburger, Nachrichtenchef der „Deutschen Presse-Agentur“ hat im internen Blog “dpa think“ Leitlinien zur Twitter-Benutzung von „dpa“-Mitarbeitern aufgestellt. Darin geht es auch um etwaige Auswirkungen auf das Erscheinungsbild des Unternehmens: „Natürlich sollt Ihr Euren Arbeitgeber nicht verheimlichen, aber: Wer sich in seinem Profil mit dem Kürzel schmückt, muss ganz besonders berücksichtigen, dass jeder Tweet direkt mit dpa in Verbindung gebracht werden kann. Und da spielt es auch keine Rolle, ob Ihr Eurem Account das “Bin hier privat unterwegs”-Schild umhängt oder nicht. Im Gegenteil: Der “Privat”-Disclaimer gaukelt im Zweifel eine in Wahrheit trügerische Sicherheit vor und verführt zum twitternden Leichtsinn. Wenn Ihr Euch nicht hinter Fake-Accounts versteckt, ist Privatheit im digitalen Leben immer nur relativ.“

5. Leiden Frauen oder Männer?
(faz.net, Patrick Bernau)
Am Samstag schrieb die „FAZ“ nach einem Interview mit dem Oxford-Ökonomen Carl Benedikt Frey: „Computer kosten vor allem Männer ihre Stellen“. Zwei Tage später schrieb der „Spiegel“: „Digitalisierung gefährdet vor allem Jobs von Frauen“. Wie konnte es zu diesen gegensätzlichen Überschriften kommen? „FAZ“-Redakteur Patrick Bernau erklärt den Fall und versucht die Aussagen miteinander zu versöhnen.

6. »Die Wahrheit wird euch befreien« (Joh 8,32). Fake News und Journalismus für den Frieden
(press.vatican.va, Papst Franziskus)
Papst Franziskus hat sich in einer offiziellen Nachricht zum Thema „Fake News“ geäußert, die es zu bekämpfen gelte. Als ersten Fake-News-Verbreiter sieht er die biblische Schlange an, die mittels Desinformation den ersten Sündenfall ausgelöst habe. Ein Narrativ, das man wohl zu den „alternativen Fakten“ zählen kann, aber vielleicht wollte der Stellvertreter Gottes ja auch nur Gleiches mit Gleichem bekämpfen.

Verschwörungsbusiness, Rosa müffelt, Trainingscamp für “Hasis”

1. „Verschwörungstheorien sind ein Riesengeschäft“
(wiwo.de, Niklas Dummer)
Michael Butter ist Professor für Amerikanistik an der Universität Tübingen und hat ein Buch über Verschwörungstheorien verfasst. Im Gespräch mit der „Wirtschaftswoche“ erklärt er, wie Verschwörungstheorien funktionieren und wie damit Geld verdient wird.

2. Video: Pink stinks – Geschlechterklischees
(daserste.de, Christiane Steckfuß, Video, 6:16 Minuten)
Die Hersteller von Kinderspielzeug haben erkannt, wie gut man daran verdienen kann, wenn man Spielzeug in blauen und und rosafarbenen Varianten auf den Markt wirft. „Gendermarketing“ heißt das Ganze und richtet sich schon an Grundschulkinder bzw. deren Eltern. Stevie Meriel Schmiedel von „Pinkstinks“ sieht das besonders kritisch. Durch die Genderisierung des Spielzeugs würden alte Geschlechterrollen unreflektiert weitergegeben. Doch Gendermarketing beschränkt sich nicht nur auf Spielzeug, erklärt Schmiedel, und weist auf einen interessanten Aspekt hin: „Wenn Sie mal auf Duschgel oder andere Produkte für Kinder gucken: Mädchen gucken immer den Betrachter an, ob sie jetzt Cartoon oder reell sind, und lächeln, und die Jungs schauen irgendwo in die Weite und sind gerade in Aktion begriffen. Und diese zwei Klischees, es ist unfassbar, findet man überall.“

3. YouTube schaltet weiterhin Werbung vor extremistischen Inhalten
(heise.de, Tilman Wittenhorst)
YouTube hat weiterhin mit einem peinlichen Problem zu kämpfen: Schlimm genug, dass auf der Plattform rassistische oder antisemitische Videos erscheinen. Doch diese werden von YouTube oftmals auch noch mit Werbeclips seriöser Unternehmen wie Adidas, Amazon und Netflix versehen.

4. Muss es immer pompös sein?
(faz.net, Oliver Jungen)
In Köln trafen sich die Filmbranche zum „Serien-Summit“, in der es um die Zukunft der deutschen Serie ging. Von drei Serienmachern aus dem Ausland konnte man lernen, dass auch mit verhältnismäßig kleinen Budgets gute Ergebnisse erzielbar sind.

5. Ein Trainingscamp für “Hasis”
(sueddeutsche.de, Ulrike Schuster)
Jahrelang soll ein WDR-Korrespondent junge Frauen sexuell belästigt haben, die er in einem von ihm veranstalteten Journalismus-Seminar traf. Die Geschichte beginnt bereits in den Neunziger Jahren und der Sender hatte lange Kenntnis von den Vorwürfen, doch eine tatsächlich wirksame Reaktion gab es erst jetzt.

6. Wahnsinnig unsympathisch, ne?
(uebermedien.de, Video, 0:52 Minuten)
In einer Folge von „Germany’s Next Topmodel“ konfrontiert die Online-Chefredakteurin von „Bunte“ Julia Bauer die Kandidatinnen mit vermeintlich „dunklen Geheimnissen“ aus ihrer Vergangenheit und stellt ihnen eine Frage, die sie, nun ja, auch ihrem Spiegelbild hätte stellen können.

Facebooks Löschzentrum Essen, AfD-Newsroom, Twitter lässt NPD hetzen

1. Exklusiver Einblick: So funktionieren Facebooks Moderationszentren
(netzpolitik.org, Markus Reuter & Ingo Dachwitz & Alexander Fanta & Markus Beckedahl)
Erstmals hat netzpolitik.org einen detaillierten Einblick in die Abläufe im Facebook-Löschzentrum des Dienstleisters CCC in Essen bekommen. Dort bearbeiten etwa 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Dreischichtbetrieb Inhalte, die auf Facebook und Instagram gemeldet wurden. Einer dieser Mitarbeiter hat sich anonym zu den Strukturen, Hierarchien, Abläufen, Arbeitsbedingungen des Facebook-Dienstleisters geäußert, für den weltweit 7.500 Angestellte arbeiten. Die anstrengende Arbeit werde übrigens in der untersten Stufe mit 10,65 Euro je Stunde entlohnt.

2. Was ist aus dem AfD-Newsroom geworden?
(n-tv.de, Benjamin Konietzny)
Vergangenes Jahr hatte die AfD ein ehrgeiziges Projekt angekündigt, das in den Medien für viel Aufmerksamkeit sorgte: Von einem eigenen Newsroom mit rund 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern war die Rede, mit denen die Partei rund um die Uhr eigene Nachrichten produzieren wollte. n-tv-Parlamentsreporter Benjamin Konietzny hat sich umgehört, was aus dem Projekt geworden ist. Spoiler: nicht allzu viel.

3. Wissenschaftler: Fake-News haben den Journalisten sogar geholfen
(schwaebische.de, Sebastian Heinrich)
Die “Schwäbische” hat mit Journalismus-Professor Klaus Meier über die Glaubwürdigkeitskrise der Medien gesprochen. Meier kann der aktuellen Lage auch etwas Positives abgewinnen: Die ganzen Debatten mit Stichworten wie “Fake News” und “postfaktisches Zeitalter” hätten “dem Journalismus in Deutschland eigentlich sogar geholfen. Den Menschen ist viel bewusster geworden, was sie von einer unabhängigen, überprüften Informationsaufbereitung haben. Und dass sie ohne Journalismus politischen Interessen wie ein Spielball ausgeliefert wären.”

4. Der Vorreiter der Nachrichtenpodcasts ist immer noch einer der besten
(uebermedien.de, Sandro Schroeder)
Bei “Übermedien” erscheint ab sofort alle zwei Wochen “Die Podcast-Kritik”. Den Anfang macht Sandro Schroeder mit einer Rezension des werktäglich erscheinenden “The Daily”-Podcasts der “New York Times”. Der Nachrichtenpodcast hat Maßstäbe gesetzt und erreicht weltweit ein Millionenpublikum.

5. Die NPD hetzt, Twitter bleibt stumm
(zeit.de, Henrik Merker)
Wenn etwas Hass und Hetze ist, dann wohl diese Aktion: Einige NPD-Funktionäre haben auf Twitter zum Abschieben von Menschen mit tatsächlichem oder vermeintlichem Migrationshintergrund aufgerufen, indem sie die “Abschiebe-Challenge” starteten. Doch es gibt noch einen weiteren Skandal: Twitter lässt die Neonazis gewähren und löscht die gemeldeten Inhalte nicht (“kein Verstoß gegen die Nutzungsbedingungen”), obwohl sich das Unternehmen nach außen hin gegen Hatespeech positioniert.

6. “Die Suppe steht auf dem Herd. Allmählich brennt sie an.”
(facebook.com, Leo Fischer)
Wie würden führende liberale Medienhäuser auf eine anbrennende Suppe reagieren? Leo Fischer sieht die entsprechenden Meldungen schon vor sich.

Bild  

Gibt es eine Korrelation zwischen Arbeitsplatz und Tweetidiotie?

Beim ständig laufenden Wettbewerb “Welcher “Bild”-Mitarbeiter bietet die traurigste Performance bei Twitter?” hat es Chefreporter Michael Sauerbier gestern am späten Abend mit dieser Einsendung versucht:

Screenshot eines Tweets von Bild-Chefreporter Michael Sauerbier - Jan Böhmermann und eine sehr dicke Frau erzählen uns heute, Medizin und Forschung würden Frauen vernachlässigen. Kurz vor der Empörung fällt mir ein: Frauen leben fünf Jahre länger als Männer! Erwähnen beide nicht. P.S. Es gibt eine Korrelation zwischen Lebenserwartung und Übergewicht

Sauerbier bezieht sich auf einen Beitrag in der neuen Folge des “Neo Magazin Royale”. Jan Böhmermann und Giulia Becker sprechen dort über das Thema “geschlechtsspezifische Medizin”. Und das ist tatsächlich ganz informativ: Man erfährt etwa, dass Medikamente bei Männern und Frauen unterschiedlich wirken, und dass das ein Problem sein kann, weil Medikamente häufig nur an männlichen Mäusen oder männlichen Menschen getestet werden; dass beispielsweise ein häufig verschriebenes Herzmedikament laut einer Studie das Leben der herzkranken Frauen verkürzte, das der Männer aber nicht; und dass neben der Wirksamkeit auch die Verträglichkeit von Medikamenten bei Männern und Frauen sehr unterschiedlich sein kann, was wegen der starken Fokussierung der Forschung auf Männer wiederum zum Problem von Frauen werden kann.

Und was fällt “Bild”-Chefreporter Michael Sauerbier dazu ein? Er zieht über “eine sehr dicke Frau” her und bekommt es nicht mal hin, den Namen der lustigen und erfolgreichen Giulia Becker zu nennen. Aber auch inhaltlich ist sein Tweet ziemlich schief: Soll das also heißen, dass man nur mit einem bestimmten Körpergewicht über ein gesellschaftlich relevantes medizinisches Thema sprechen darf? Und ist es laut Sauerbier nicht so schlimm, dass “Medizin und Forschung” “Frauen vernachlässigen”, weil Frauen ja eh “fünf Jahre länger” leben als Männer? Dass Frauen trotz dieser Vernachlässigung eine höhere (oder andersrum: Männer eine niedrigere) Lebenserwartung haben, hat auch nichts mit dem zu tun, was Böhmermann und Becker in ihrem Beitrag ansprechen — Sauerbier wirft diesen scheinbaren Zusammenhang einfach mal so hin. Für die verschiedenen Lebenserwartung sorgen stattdessen biologische Faktoren und unterschiedliche Verhaltensmuster.

Nach mehreren Hundert Antworten hat Michael Sauerbier seinen Tweet kommentarlos gelöscht.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

“Bild” zeigt ohne Rücksicht Fotos getöteter Kinder

In Dresden läuft derzeit ein Prozess gegen einen Mann, der seine beiden Kinder getötet haben soll. Die “Bild”-Medien berichten seit mehreren Wochen über Fall und haben für den Angeklagten, der bei der Tat Bauschaum verwendet haben soll, auch schon eine boulevardtaugliche Bezeichnung gefunden: Es handele sich um “den mutmaßlichen Bauschaum-Killer”.

Ebenfalls “Bild”- und boulevardtypisch zeigt die Redaktion wiederholt Fotos der Kinder, die getötet wurden, ohne jegliche Unkenntlichmachung. Als Quelle gibt sie an: “Foto: Privat”.

Wir haben bei “Bild”-Sprecher Christian Senft nachgefragt, ob die Mutter (oder der Vater) einer Veröffentlichung der unverpixelten Kinderfotos zugestimmt hat. Bisher haben wir keine Antwort erhalten. Wir wollten von Senft auch wissen, woher die “Bild”-Medien die Fotos haben. Darauf gab es ebenfalls keine Antwort.

Im Artikel zum dritten Prozesstag berichtet Bild.de über die Aussage der Mutter vor Gericht. Auch in diesem Beitrag zeigt die Redaktion wieder unverpixelte Fotos der Kinder. Außerdem veröffentlicht sie ein Foto der Frau “auf dem Weg ins Gericht”, aufgenommen von einem “Bild”-Fotografen, ungeachtet der Tatsache, dass die Frau versucht, sich mit einem Schal vor Aufnahmen zu schützen. Am Ende des Textes erfährt man über sie:

M[.] ist schwer traumatisiert, befindet sich in Therapie.

Wir haben bei Christian Senft nachgefragt, ob die “Bild”-Redaktion abgewägt hat, die Fotos der getöteten Kinder aus Rücksicht auf die Mutter, die laut Bild.de “schwer traumatisiert” sei und sich “in Therapie” befinde, nicht zu veröffentlichen. Der “Bild”-Sprecher hat darauf nicht geantwortet.

Gestern erschien der neueste Artikel zum Thema, sowohl bei Bild.de als auch in der Dresden-Ausgabe der “Bild”-Zeitung. Die Redaktion verknüpft darin den einen Fall mit einem anderen, bei dem ebenfalls zwei Kinder getötet wurden, und der Vater bereits verurteilt wurde. Die Kinder und die Mütter hatten sich, auf der Flucht vor den Vätern, in einem Frauenhaus kennengelernt und angefreundet:

Ausriss Bild-Zeitung - S. und M. und M. und L. - Alle tot! Warum die vier Freunde von ihren Vätern ermordet wurden
(Unkenntlichmachungen durch uns.)

Auch hier haben wir bei “Bild”-Sprecher Christian Senft nachgefragt, ob der Redaktion eine Erlaubnis vorliegt, die Fotos der zwei anderen Kinder ohne Unkenntlichmachung zu drucken. Eine Antwort haben wir nicht bekommen. Als Fotocredit ist einmal der Name des bereits erwähnten “Bild”-Fotografen angegeben und: “FACEBOOK”.

Die vermeintliche Antwort auf die Frage in der Unterzeile, “warum die vier Freunde von ihren Vätern ermordet wurden”, liefert der Text direkt im ersten Satz:

Die schrecklichen Doppelmorde von Dresden — Väter töteten ihr Liebstes, weil die Mutter der Kleinen sie verlassen hatte.

Damit übernimmt “Bild” eins zu eins die Perspektive des bereits verurteilten beziehungsweise des mutmaßlichen Täters.

Kurz-Bilder, Bolsonaro-System, Sobessernicht-Interview mit Meuthen

1. Warum Sebastian Kurz beim EU-Gipfel auf den Fotos in Österreichs Medien so gut aussieht
(moment.at, Tom Schaffer)
Wenn der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz auf Fotos eine gute Figur abgibt, liege dies oft an seinem Mitarbeiter, dem Fotografen Arno Melicharek, der seinen Chef und Auftraggeber geschickt in Szene setze. Und daran, dass Agenturen und Redaktionen die Bilder des Kanzleramts-Fotografen nur allzu gern übernähmen, weil es Geld und Aufwand spare: “Wohlgemerkt ist all das kein Fehler von Melicharek, sondern einer von weiten Teilen der österreichischen Medienlandschaft. Die hat nicht nur keine journalistischen FotografInnen mitgeschickt, keine vor Ort beauftragt und viel zu oft auch keine anderen Bilder von anderen Agenturen übernommen, sondern uns dann auch noch (einmal mehr) PR-Fotos als unabhängige Berichterstattung verkauft.”

2. “Bild”, “Welt” und “FAZ” brechen ein, “Zeit” mit Rekord
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Die Print-Auflagenentwicklung im zweiten Quartal dieses Jahres verlief einmal mehr unerfreulich für viele Verlage: Zum generellen Abwärtstrend sei bei manchen Titeln der coronabedingte Wegfall der “Bordexemplare” hinzugekommen, die kostenfrei auf Flügen verteilt werden. Beim “Focus” seien allein durch den “Bordexemplar”-Effekt über 65.000 Exemplare, nun ja, abhanden gekommen, was das gewaltige Auflagen-Minus von 30,5 Prozent zumindest teilweise erkläre. Auch die Auflagen von “Bild”, “Welt” und “FAZ” seien eingebrochen, während die “Zeit” einen neuen Allzeit-Rekord aufgestellt habe.

3. Mehr als aus der Zeit gefallen
(deutschlandfunkkultur.de, Timo Grampes, Audio: 6:51 Minuten)
Bei Deutschlandfunk Kultur geht es um den ersten Kinofilm des Komikers Otto Waalkes aus dem Jahr 1985. “Otto – Der Film” wirke “mehr als aus der Zeit gefallen” und enthalte Szenen, die von vielen als rassistisch empfunden würden. Der Politikwissenschaftler und Menschenrechtsaktivist Joshua Kwesi Aikins erklärt, warum das so sei: “Rassismus soll und muss thematisiert werden. Er darf gerne auch persifliert werden, denn er ist ja nicht nur tödlich und gewaltvoll, sondern auch extrem lächerlich.” Dies müsse jedoch passieren, ohne den Rassismus “einfach nur plump zu wiederholen”.

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4. Prozessauftakt gegen Stephan B. – Die Verantwortung der Medien
(mdr.de, Roland Jäger)
Gestern hat der Prozess gegen Stephan B. begonnen, der am ersten Prozesstag unter anderem den Anschlag auf eine Synagoge in Halle gestanden hat. Während andere Angeklagte die öffentliche Aufmerksamkeit eher scheuen, wolle der von rechtsextremen Gedanken getriebene B. mit vollem Namen genannt werden und dürfe gern unverpixelt gezeigt werden. Auf diese Selbstinszenierung und politische Vermarktung der Tat sollten sich die Medien nicht einlassen, findet Roland Jäger vom MDR: “Weil er diese Theorien und Einstellungen nach wie vor versucht weiterzutragen, dauert das Attentat an. Es liegt in der Verantwortung von uns Prozessberichterstattern, den Opfern und Betroffenen gerecht zu werden – und die Ansichten des Angeklagten nicht weiterzuverbreiten. Nur so kann das Attentat wirklich enden.”

5. RSF-Quartalsbericht: Hetze und Desinformation
(reporter-ohne-grenzen.de)
Dass Brasilien in der Rangliste der Pressefreiheit lediglich auf Platz 107 von 180 Staaten steht, hat laut Reporter ohne Grenzen mit dem sogenannten Bolsonaro-System zu tun: “Während Brasilien so schwer von der Corona-Krise getroffen ist wie kaum ein anderes Land der Welt, sehen sich Journalistinnen und Journalisten mit einer beispiellosen Welle des Hasses konfrontiert. Anfang des Jahres hetzte vor allem Präsident Jair Bolsonaro selbst gegen Medienschaffende, in den vergangenen drei Monaten taten sich vor allem seine Familie, seine engsten Regierungsmitglieder und seine treue Online-Anhängerschaft hervor.”

6. Sommerinterview mit Jörg Meuthen: So besser nicht
(ndr.de, Sebastian Friedrich)
“Das Sommerinterview mit Jörg Meuthen ist ein Lehrstück, wie man besser nicht mit einem AfD-Politiker spricht”, so Sebastian Friedrichs Urteil über das 25-minütige Gespräch der ARD mit dem Bundessprecher der AfD. Der Interviewer habe es Meuthen zu leicht gemacht, zu wenig nachgefasst und ihm altbekannte Zitate von Parteikollegen vorgelegt, die ihn zu wenig herausgefordert hätten.

MeToo-Recherchen, Hasspostings, Porno-Portalen droht Abschaltung

1. “Was ist das für eine Unternehmenskultur?”
(journalist.de, Jan Freitag)
Juliane Löfflers Recherche trug maßgeblich dazu bei, dass “Bild”-Chef Julian Reichelt gehen musste. Der “journalist” hat sich mit Löffler zum Gespräch getroffen und sie gefragt, wie sie heute auf die Vorgänge im Oktober schaut, was bei #MeToo-Recherchen und Verdachtsberichterstattung wichtig ist und wie lange es wohl noch dauern werde, bis entsprechende Recherchen in Medienhäusern ernst genommen werden: “Noch heute höre ich von Kolleg*innen, dass ihre Recherchen zu Missbrauchsthemen in den Verlagen kein Gehör finden. Es könnten also noch viele Jahre sein.”

2. Polizei geht deutschlandweit gegen Onlinehetzer vor
(spiegel.de)
Am nunmehr siebten Aktionstag zur Bekämpfung von Hasspostings ist die deutsche Polizei bundesweit gegen strafbare Posts im Internet vorgegangen. Bei der vom Bundeskriminalamt koordinierten Aktion hätten die Polizeibehörden in allen 16 Bundesländern insgesamt 90 polizeiliche Maßnahmen durchgeführt, darunter Wohnungsdurchsuchungen und Vernehmungen.

3. ZDF auf Rekordkurs: 15,2 Prozent Marktanteil
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Das als “Rentnerfernsehen” verschrieene ZDF hat im November mit 15,2 Prozent Marktanteil einen Rekordmonat hingelegt. Was macht das Zweite so viel besser als andere Sender? Joachim Huber hat sich auf die Suche nach den Gründen für den Erfolg begeben, und die lägen vor allem am bunten ZDF-Programm, das mit “heute-show” und Jan Böhmermanns “Magazin Royale” auch jüngere Zielgruppen bedient.

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4. Porno-Portalen droht Abschaltung
(sueddeutsche.de)
Mehrere in Deutschland sehr erfolgreiche Porno-Portale haben ihren Firmensitz auf Zypern, um von dort aus, jenseits von für sie lästigen Einschränkungen, frei agieren zu können. Doch damit könnte es bald zu Ende sein: Das Düsseldorfer Verwaltungsgericht habe die Auffassung der Landesanstalt für Medien NRW bestätigt, dass sie in Fragen des Jugendschutzes auch für Verfahren gegen ausländische Portale zuständig sei. Die Anbieter könnten sich nicht auf das sogenannte Herkunftslandprinzip berufen, das strenge deutsche Jugendmedienschutzrecht müsse Anwendung finden.

5. Peta erstattet Strafanzeige gegen NDR-Moderator Heinz Galling
(rnd.de)
Die Tierrechtsorganisation Peta hat Strafanzeige gegen den NDR-Moderator Heinz Galling erstattet. In einer Folge der TV-Sendung “Rute raus, der Spaß beginnt” soll der Moderator verbotenerweise einen lebenden Fisch als Köder genutzt haben. Galling streitet die Vorwürfe ab. Laut Peta beschäftigt sich nun die Staatsanwaltschaft Schwerin mit dem Fall.

6. ARD-Text zeigt Teletext-Seiten aus den 80ern und 90ern
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Die ARD zeigt aktuell jeden Tag historische Teletextseiten aus den 80ern und 90ern, die von alten VHS-Bändern gerettet werden konnten. Der Teletext-Fan Christian Handwerck hatte seinerzeit seinen VHS-Rekorder dazu verwendet, die Seiten mitzuschneiden. Wie sich nun, Jahrzehnte später, herausstellt, eine gute Idee. Wer sich auf Zeitreise begeben will, kann dies bis Weihnachten im ARD-Text ab Seite 801 tun.

KW 27/22: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

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1. Woher kennen wir uns? Susan Link
(lukasheinser.de, Audio: 1:05:43 Stunden)
Lukas Heinser hat ein neues Podcastprojekt gestartet: Er unterhält sich mit Menschen, mit denen er in Sozialen Netzwerken befreundet ist (Zitat bei Twitter: “Ihr kommt natürlich alle der Reihe nach dran”). In der Auftaktfolge ist Susan Link vom ARD-“Morgenmagazin” und dem “Kölner Treff” zu Gast: “Wir unterhalten uns über Aufstehzeiten und darüber, was man müde nicht tun sollte. Sie erzählt, dass sie ursprünglich Kriminalkommissarin werden wollte und wie sie stattdessen beim Radio gelandet ist; was Social Media mit Hauswänden gemein hat und was in den Interview-Handwerkskasten gehört – denn von ihr möchte ich lernen, wie man so Interviews überhaupt führt.”
Transparenzhinweis: Lukas leitete von 2010 bis 2014 das BILDblog und ist uns immer noch freundschaftlich verbunden (Zitat aus seiner Twitter-Bio: “BILDblog forever”).

2. Videos im Auftrag des Kreml?
(ardmediathek.de, Daniel Laufer, Video: 8:25 Minuten)
Mittlerweile hat sich herausgestellt, wer sich gegenüber verschiedenen europäischen Politikerinnen und Politikern – darunter Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey – fälschlicherweise als Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko ausgegeben hat: Die Fake-Anrufe wurden vom einem russischen Comedy-Duo durchgeführt. Doch wer steckt tatsächlich dahinter? Und von wem wird das Ganze finanziert?

3. 20blue minutes #06: Journalist Arndt Ginzel
(twenty.blue, Anja Mutschler, Audio: 27:44 Minuten)
Im “TwentyBlue”-Podcast begrüßt Anja Mutschler den Journalisten Arndt Ginzel, der für das ZDF eine Reportage über die Kriegsverbrechen in der Ukraine gedreht hat (Die Straße des Todes, ZDF, Video: 44:40 Minuten). In dem Gespräch geht es “um seine Erfahrungen in der Ukraine, aber auch außerhalb davon und warum er sich eigentlich nicht als Kriegsreporter sieht, sondern diese Art der Berichterstattung für ihn manchmal einfach zum Journalismus dazugehört”.

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4. Netzausbau, Medien, Cybersicherheit: Aspekte der geplanten Digitalstrategie der Bundesregierung
(br.de, Sissi Pitzer, Audio: 23:43 Minuten)
Ganze 226 Mal befinde sich das Wort “digital” im aktuellen Koalitionsvertrag (PDF), doch wegen des Kriegs gegen die Ukraine sei der beabsichtigte “digitale Aufbruch” der Regierungsparteien nicht im vorgesehenen Maß vollzogen worden. Im “MedienMagazin” des Bayerischen Rundfunks geht es um den aktuellen Stand der Dinge: Was ist geplant, was bereits angeschoben?

5. Twitter, Insta & Facebook: Zerstört Social Media unsere Demokratie?
(zdf.de, Jo Schück, Video: 42:30 Minuten)
Soziale Medien können Positives bewirken, bergen jedoch auch Gefahren. Bei “13 Fragen” geht es um das Gefährdungs- und Bedrohungspotential der großen Plattformen: “Brauchen wir ein öffentlich-rechtliches Facebook? Eine Alternative zu werbefinanzierten sozialen Plattformen? Mit demokratischem Auftrag? Zerstört Social Media unsere Demokratie?”

6. Wie Funk “recherchiert” – Ein Blick hinter die Kulissen
(youtube.com, Rezo, Video: 26:55 Minuten)
Rezo und dessen Podcastpartner Julien Bam hatten das öffentlich-rechtliche Content-Netzwerk “Funk” scherzhaft herausgefordert, jene Unternehmen aufzulisten, die aktuelle Kooperationspartner der beiden sind. Der “Funk”-Kanal “offen un’ ehrlich” hat die Herausforderung angenommen, Rezo einen Fragenkatalog zukommen lassen (den dieser per Video beantwortet hat) und ein entsprechendes Video veröffentlicht. Mit dem Ergebnis ist Rezo nicht zufrieden, vor allem, was die Ehrlichkeit und Vorgehensweise des “Funk”-Kanals anbelangt. “offen un’ ehrlich” hat zumindest in den Kommentaren bei sich reagiert: “Hey Leute, wir haben uns Rezos Video natürlich angeschaut und nehmen die Vorwürfe sehr ernst. Wir arbeiten das auf und werden ein Antwortvideo produzieren!”

Offener Klau

In “Bild am Sonntag” ist gestern unter anderem diese Seite erschienen:

Ausriss Bild am Sonntag - Zu sehen ist die komplette Seite 6 der Bild am Sonntag von gestern - Überschrift des Aufmachers - 7800 Euro netto sind eher wenig für einen Bürgermeister

Rechts ein bisschen was zum rbb, die Wahlumfrage “Sonntagstrend” sowie eine Aussage des Bundesbank-Präsidenten zur Inflation. Den größten Teil der “BamS”-Seite macht aber eine Geschichte über einen Bürgermeister einer ostdeutschen Kreisstadt aus, der anonym von seinem Verdienst im Amt erzählt.

Auf der Website der “Leipziger Volkszeitung” (“LVZ”) ist am Freitag dieser Artikel erschienen (nur mit Abo lesbar):

Sreenshot der Leipziger Volkszeitung - Kassensturz - Bürgermeister verdient 10.000 Euro im Monat - und findet das zu wenig für den Job

Darin erzählt ein Bürgermeister einer ostdeutschen Kreisstadt anonym von seinem Verdienst im Amt. “LVZ”-Reporter Josa Mania-Schlegel hat für seinen Beitrag die journalistische Form des Protokolls gewählt: Man spricht mit einer Person und gießt das daraus entstandene Interview in einen Fließtext in der Ich-Form. Es entsteht also eine lange zusammenhängende Aussage des Protagonisten. Meist folgt dann noch eine Autorisierung durch die Person, mit der man gesprochen hat. Es ist einiges an Arbeit, ein journalistisches Protokoll zu schreiben.

“Bild am Sonntag” hat das Protokoll, das zuvor online bei der “LVZ” erschienen ist, einfach zu einem “offenen Brief” des Kommunalpolitikers umgewidmet und sich daran bedient. Und das nicht nur punktuell mit ein paar Zitatfetzen, die die Redaktion in einem eigenen Fließtext eingebettet hat; der “BamS”-Artikel besteht zu über 80 Prozent aus dem “LVZ”-Protokoll. Dutzende Zeilen hat die Redaktion wortwörtlich übernommen. Bei den von uns gelb eingefärbten Stellen handelt es sich um die Aussage des Bürgermeisters, die ursprünglich bei der “LVZ” erschienen ist:

Ausriss Bild am Sonntag - Zu sehen ist erneut die komplette Seite 6 der Bild am Sonntag von gestern dieses Mal mit Markeirung der von der LVZ übernommenen Stellen

Das “BamS”-Team hat lediglich eine kurze Einleitung verfasst (darin auch ein Verweis auf die “Leipziger Volkszeitung”), zwei knappe Anmerkungen eingefügt und das Protokoll an manchen Stellen etwas gekürzt. Das war’s. “LVZ”-Chefredakteurin Hannah Suppa sieht im Vorgehen der “BamS”-Redaktion einen “Klau unserer Protokoll-Form”:

Sreenshot eines Tweets von Hannah Suppa - So kriegt man Seiten in der Bild am Sonntag auch voll: Einfach mal den Text von Josa Mania-Schlegel von der Leipziger Volkszeitung wörtlich kopieren und so tun als sei der Klau unserer Protokoll-Form ein Zitat. Aber freut uns, dass der Text anscheinend gefallen hat.

Bildblog unterstuetzen

Verkehrte Welt

Zwei Tage nach Bekanntwerden der Strafanzeige gegen Kai Diekmann wegen eines möglichen sexuellen Übergriffs hat “Springer”-Vorstandschef Mathias Döpfner die Öffentlichkeit dazu aufgerufen, die Persönlichkeitsrechte und die Privatsphäre des “Bild”-Herausgebers zu respektieren. Anlass dazu war ein Vorfall am Samstagabend in Potsdam: Zwei Personen hatten Kai Diekmann vor seinem Privathaus aufgelauert, ihn fotografiert und die Bilder anschließend ins Internet gestellt.

Ralf Heimann hat vor ein paar Jahren aus Versehen einen Zeitungsbericht über einen umgefallenen Blumenkübel berühmt gemacht. Seitdem lassen ihn abseitige Meldungen nicht mehr los. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Jörg Homering-Elsner “Bauchchirurg schneidet hervorragend ab — Perlen des Lokaljournalismus”. Fürs BILDblog kümmert er sich um all die unwichtigen Dinge, die in Deutschland und auf der Welt so passieren.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)

In einer auf Bild.de veröffentlichten Videobotschaft nannte Döpfner den Vorfall “schändlich und niederträchtig”. Er sprach von einer “regelrechten Hetzjagd” auf Diekmann, die man so nicht hinnehmen werde. “Wir sollten nicht vergessen, dass in Deutschland auch weiterhin die Unschuldsvermutung gilt”, sagte Döpfner. Ein schwerwiegender Vorwurf, wie der hier im Raum stehende, bleibe “in irgendeiner Weise immer am Beschuldigten hängen”, sagte er. Daher gebiete es schon der Anstand, sich in einer solchen Situation mit entsprechenden Veröffentlichungen zurückzuhalten, bis geklärt sei, was wirklich passiert ist.

Kai Diekmann soll im Sommer vergangenen Jahres nach einer Klausur-Tagung in Potsdam eine Mitarbeiterin beim Baden sexuell belästigt haben. Er selbst bestreitet das. Der “Spiegel” hatte den Vorwurf am Freitag öffentlich gemacht.
Am Wochenende gerieten die “Bild”-Medien selbst wegen ihrer zurückhaltenden Berichterstattung über die Ermittlungen in die Kritik. Sie hatten sowohl bei Bild.de als auch in der Zeitung nur eine knappe “dpa”-Meldung veröffentlicht. Politiker und Journalisten kritisierten das.

“Grünen”-Chefin Simone Peter warf der Zeitung in einem Radio-Interview vor, sich unbequemen Wahrheiten zu verschließen. “Wir dürfen nicht vergessen, dass zum ganzen Bild auch die Dinge gehören, die nicht in unser Weltbild passen”, sagte sie.

“Tagesschau”-Chefredakteur Kai Gniffke bezichtigte “Bild” in einem Blog-Beitrag für tagesschau.de des “Tendenz-Journalismus” und attestierte der Redaktion “falsche Correctness”: “Wenn ein derartiger Vorwurf in der Welt ist, ist es die Aufgabe von Journalisten, alle zur Verfügung stehenden Informationen öffentlich zu machen — und nicht, sie unter den Teppich zu kehren”, schrieb er.

Lediglich der Presserat nahm die Zeitung in Schutz: “Wir sind der Auffassung, dass die ‘Bild’-Zeitung hier absolut richtig handelt, wenn sie darauf verzichtet, einen Verdächtigen unnötig an den Pranger zu stellen”, hieß es in einer Mitteilung des Gremiums. Man hoffe, diese Entscheidung werde auch wegweisend für die Zukunft sein.

Bei Twitter fielen die Reaktionen auf die Anschuldigungen verhalten aus. “Erst mal abwarten, was die Ermittlungen bringen #Diekmann”, schrieb @krawallzwerg1314. Der Nutzer @anarchoklaus78 kommentierte: “Es ist einfach noch zu früh, um dazu irgendetwas zu sagen. #Diekmann #Ruhigbleiben #Abwarten.” Die beiden Tweets blieben die einzigen Einträge zum Thema.

Chefredakteure und Intendanten dagegen überschütteten Kai Diekmann mit Spott und Häme. “Sicherlich nur Umkleide-Kabinen-Gefummel”, schrieb Heribert Prantl von der “Süddeutschen Zeitung”. “Zeit”-Chef Giovanni di Lorenzo veröffentlichte bei Facebook ein Foto, das einen kopulierenden Esel zeigt, auf dessen Hals Diekmanns Kopf montiert ist. “FAZ”-Herausgeber Jürgen Kaube kommentierte: “Hahaha! Genau mein Humor!!!1111“.

“AfD”-Chefin Frauke Petry warnte indes vor Schnellschüssen. “Wir dürfen einen Menschen nicht nur aufgrund seiner beruflichen Herkunft vorverurteilen”, sagte sie und mahnte zur Besonnenheit. In die gleiche Richtung verlief eine Diskussion unter einem Facebook-Posting des “Kopp”-Verlags. Der Tenor dort: Die Behörden werden die Wahrheit schon ans Licht bringen.

Kai Diekmann selbst hatte sich gleich nach Bekanntwerden der Vorwürfe öffentlich geäußert. Bei einer Pressekonferenz in der 19. Etage des “Springer”-Hochhauses bezeichnete er die Berichte als “Kampagnen-Journalismus der übelsten Art” und beteuerte seine Unschuld.

“Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort — ich wiederhole: mein Ehrenwort, dass die gegen mich erhobenen Vorwürfe haltlos sind”, sagte er. Nachfragen ließ er nicht zu. Nach der Pressekonferenz verschwand Diekmann wortlos. Mit einer “Bild”-Zeitung in der Hand fuhr er nach unten — im gleichen Fahrstuhl, in dem er gekommen war.

(Nur zur Sicherheit: Abgesehen von der Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft Potsdam gegen Kai Diekmann ermittelt, und von der zurückhaltenden “Bild”-Berichterstattung über den Fall, ist all das hier erfunden.)

Nichtige BKA-Listen, Falsches von der Polizei, 50 Jahre “Aktenzeichen”

1. BKA-Listen waren nicht rechtskonform
(faktenfinder.tagesschau.de, Patrick Gensing)
Beim G20-Gipfel in Hamburg wurden einige Medienvertreter von der Polizei nicht ins Medienzentrum gelassen und somit an ihrer Arbeit gehindert. Als Grundlage dienten damals Namenslisten des Bundeskriminalamtes. Nun stellt sich raus: Das BKA hatte diese Listen wieder zurückgezogen, sie durften also gar nicht mehr verwendet werden. “Diese Information erreichte aber nicht die eingesetzten Polizisten am Medienzentrum. Die Beamten beschlagnahmten dort Akkreditierungen von Journalisten, einem wurde sogar Urkundenfälschung vorgeworfen”, so Patrick Gensing. Die “taz” schreibt ebenfalls über “Pannen der Polizei beim G20-Gipfel”.

2. Wenn die Fake News von der Polizei kommen
(rbb24.de, Markus Pohl)
Oft gibt es Lob für Polizeistellen, die über Einsätze twittern und selbst in Breaking-News-Situationen noch besonnen darauf hinweisen, man möge doch bitte keine Fotos vom Einsatzort in die Welt jagen. Manchmal verbreiten Accounts der Polizei über Twitter aber auch blanke Falschmeldungen: hier sei vermeintlich eine “benzingefüllte Flasche” geflogen, dort ein Türknauf “unter Strom gesetzt” worden. Rechtsexperten hielten diese Praxis “für schlicht rechtswidrig”, schreibt Markus Pohl.

3. Der verlängerte Arm der Kripo
(deutschlandfunk.de, Klaus Deuse, Audio, 5:13 Minuten)
Von Raub bis Mord, von Eduard Zimmermann bis Rudi Cerne: Klaus Deuse blickt im “Deutschlandfunk” auf 50 Jahre “Aktenzeichen XY … ungelöst” zurück.

4. Was zur Hölle geht eigentlich mit der ‘Heute’?
(vice.com, Verena Bogner)
Das Knallportal oe24.at (Onlineableger der Zeitung “Österreich”) hat sie sich bereits genauer angeschaut, mit der “Kronen Zeitung” ist sie ebenfalls durch — nun hat sich Verena Bogner an Österreichs drittes Boulevardmedium gemacht, die Gratis-Tageszeitung “Heute”: “Dass die Heute in der heiligen Dreifaltigkeit des österreichischen Boulevards tatsächlich der ‘gute’ ist, mag stimmen. Im Gegensatz zu Österreich und Krone wirkt das Blatt beinahe gemäßigt und harmoniebedürftig. Außerdem wird immer wieder der Anschein der Kritikfähigkeit und Selbstreflexion geweckt.”

5. Pfft-pfft to go
(spiegel.de, Anja Rützel)
Seit vorgestern hat Reality-TV-Star Daniela Katzenberger ein eigenes Printmagazin. Der “Bauer”-Verlag hat’s uns eingebrockt möglich gemacht. Anja Rützel rützelt dazu: “Aufs erste Blättern sind das lauter Einlassungen zu einer Lebensführung, die wie ein quietschrosa Luftkissenboot immer eine gute Gürtelbreite über dem Eigentlichen schwebt, die Oberfläche niemals berührt, geschweige denn ankratzt.” Mehr Rezensionen des neuen Katzenberger-Hefts: “Vice” mit “Ich habe das ‘Daniela Katzenberger’-Magazin gelesen, damit ihr es nicht müsst” und süddeutsche.de mit “Ich über mich”.

6. 17 Leute, die komplett am Postillon scheitern
(buzzfeed.com, Phil Jahner)
Jacqueline “kanns nich fassen” — da renkt sich ein Flüchtling den Unterkiefer aus, um ein blondes deutsches Kind zu verspeisen. “Und sowas lassen die hier rein langsam reichts”, kommentiert sie zu dem Link, den sie bei Facebook gepostet hat. Der stammt allerdings von den lieben Kollegen des “Postillon”. Phil Jahner hat Jacquelines und 16 weitere Fälle gesammelt, in denen Satire nicht als Satire erkannt wurde.

Thesaurus-Journalismus, Fußball-Unsummen der ÖR, Kampf ums Vong

1. 930 Journalisten seit 2006 getötet
(tagesschau.de)
Nach UN-Angaben wurden in den letzten zehn Jahren weltweit 930 Journalisten wegen ihrer Arbeit getötet. Von den zwischen 2006 und Ende 2016 registrierten Fällen sei nur jede zehnte Tat aufgeklärt worden, teilte die Kultur- und Bildungsorganisation UNESCO anlässlich des “Internationalen Tags gegen die Straflosigkeit für Verbrechen an Journalisten” mit. Allein im vergangenen Jahr seien mehr als 100 Journalisten getötet worden — die meisten davon in Afghanistan und Mexiko.

2. Verkörperung der Macht
(detektor.fm, Eva Weber & Julia Rosner, Audio, 8:50 Minuten)
Im aktuellen Teil der Serie zum Dokumentar- und Animationsfilmfestival “DOK Leipzig” geht es um Politikinszenierung und die Macht der Bilder. Und es geht um die Bildsprache früher und heute. Dabei tun sich interessante Parallelen auf. “DOK Leipzig”-Programmchef Ralph Eue: “Wenn man sich den Trump-Wahlkampf und die Ikonografie anschaut, also die Bildlichkeit seiner Person, dann stellt man fest, dass es große Ähnlichkeiten gibt, in der Ikonografie von Trumps Wahlkampf zu dem Auftreten von Lenin in der Zeit zwischen Februar- und Oktoberrevolution.”

3. So berichten österreichische Medien über den mutmaßlichen Doppelmörder von Graz
(vice.com, Verena Bogner)
Bei der Berichterstattung über den mutmaßlichen Doppelmörder von Graz hatten die österreichischen Medien so ihre Schwierigkeiten. Vor allem, wenn es um die Beschreibung von Tat und Tatverdächtigem ging. Verena Bogner hat sich in den Medien umgeschaut und einige der Attribute zusammengetragen. Sie plädiert für mehr Zeit und Sorgfalt: “Umso wichtiger ist es, in der Eile nicht dem Thesaurus komplett die Macht zu übergeben; Wörterbüchern und Nachschlagewerken ist es nämlich egal, wie gut Beschreibungen wirklich zu einer konkreten Situation passen und was man mit Synonymen für Bilder in den Köpfen auslöst. Medien sollte das schon viel weniger egal sein.”

4. “Eine Frau ändert den Ton in der Redaktionsrunde”
(deutschlandfunk.de, Brigitte Baetz)
Nur fünf von 100 Chefsesseln in deutschen Regionalzeitungen sind mit Frauen besetzt. Das gehört geändert, findet Hanna Suppa, Chefredakteurin der “Märkischen Allgemeinen Zeitung”. Im “Deutschlandfunk” verrät sie, warum sie trotzdem nichts von einer Frauenquote hält und wie sie den Regionaljournalismus voranbringen möchte.
Weiterer Lesetipp: “Reden wir bei einem Kaffee darüber” in der “taz”. Die 35-jährige Journalistin Linda Tutmann blickt zurück auf die vergangenen zehn Jahre ihrer Journalistentätigkeit und befindet: In der Derbatte “über strukturellen Sexismus sollten die Journalisten bei sich selbst anfangen”.

5. Um jeden Preis
(taz.de, Jürn Kruse)
Als “ein Zeichen der Verzweiflung” bezeichnet Jürn Kruse das millionenschwere Investment von ARD und ZDF in die Übertragungsrechte für die “Uefa Nations League”: Bis zu 122 Millionen Euro seien für maximal zwölf Spiele der deutschen Nationalmannschaft fällig. “Und das für einen Wettbewerb, den kein Schwein versteht; von dem überhaupt nicht absehbar ist, ob er angenommen wird; bei dem man das Gefühl hat, dass es der Uefa schlicht darum ging, aus den Freundschaftsspielen (denn die werden durch die Nations League ersetzt) doch noch ein bisschen mehr herauszupressen.”

6. I bims, 1 geschützte Marke – Wie findige Geschäftemacher mit der „Vong-Sprache“ Geld machen
(omr.com, Roland Eisenbrand)
“I bims, 1 cooler Dude vong Niceigkeit her” — die Vong-Sprache erfreut sich im Netz immer noch großer Beliebtheit und lädt zum Business ein. So haben sich findige Geschäftemacher die Namensrechte gesichert und sichern damit die Vermarktung der Sprüche auf Tassen und T-Shirts. “Online Marketing Rockstars” hat einen Blick hinter die Kulissen des Geschäfts geworfen. Es ist ein wenig schöner Kampf, der im Vong-Universum ausgefochten wird, von der Niceigkeit her.

Demenz-PR im SWR?, WDR-Duckmäuser, Flop-Parade 2017

1. Verdeckte PR im SWR? Demenz-Doku des ARD-Senders verbreitet falsche Fakten und Heilversprechen der Industrie
(meedia.de, Cornelia Stolze)
Die Wissenschaftsjournalistin Cornelia Stolze ist entsetzt über eine 45-minütige Demenz-Doku des SWR. Der Film enthalte falsche Fakten und zeichne ein völlig verzerrtes Bild von Demenz. Der Autor des Beitrags, Lothar Zimmermann, übernehme un­hin­ter­fragt das Narrativ der Arzneimittelindustrie: “Unklar ist, ob Zimmermanns Irreführung allein auf mangelnder Recherche basiert. Fest steht nur: In dem gesamten 45-minütigen Beitrag kommt kein einziger unabhängiger Experten zu Wort. Alle Mediziner und Forscher, die Zimmermann interviewt und um die Vermittlung von Patienten gebeten hat, weisen enge Verbindungen zur Pharmaindustrie und damit massive Interessenkonflikte auf.”

2. Wenn Medien Täter machen
(deutschlandfunk.de, Manfred Götzke)
Die Berichterstattung über Pädophilie wird von Experten als problematisch erachtet. Viele Journalisten würden Pädophilie mit Kindesmissbrauch gleichsetzen. Das sei falsch und könne fatale Folgen haben. Aus der klinischen Erfahrung sei bekannt, dass 60 Prozent der Kindesmissbrauchstäter nicht pädophil seien. Umgekehrt sei nicht jeder Pädophile potentiell ein Kindesmissbrauchstäter. Wünschenswert sei eine unvoreingenommenere, differenziertere Berichterstattung.

3. Zu hoch, zu schnell, zu weit?
(de.ejo-online.eu, Felix Simon)
Das “Reuters Institute for the Study of Journalism” hat die Situation digitaler Medienunternehmen wie “BuzzFeed” und “Vice” untersucht. Trotz des rasanten Wachstums in der Vergangenheit sehe die Zukunft für die Unternehmen eher düster aus, auch wegen der starken Abhängigkeit von digitaler Werbung als Haupteinnahmequelle. Der digitale Journalismus ähnele einer Blase, in der die meisten Anbieter weiterhin unter Verlusten operieren würden: “Die Blase wird schlussendlich platzen, wenn diese Unternehmen keine nachhaltigeren Geschäftsmodelle finden.”

4. In der Welt mitreden
(taz.de, Daniel Bouhs)
Deutsche Medien spielen im internationalen Journalismus kaum eine Rolle. Daniel Bouhs berichtet über die Anstrengungen einiger deutscher Medienhäuser, den Anschluss an das globale Geschäft zumindest nicht ganz zu verlieren.

5. Die große Online-Defensive des WDR
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Der WDR reduziert in einer Art freiwilligen Selbstverpflichtung die Textanteile seiner Internetseiten und kommt damit einem Wunsch der Zeitungsverleger nach. Stefan Niggemeier kommentiert: “Es ist eine merkwürdig duckmäuserische Haltung und eine merkwürdige Missachtung der Beitragszahler. Denn die haben ein Recht, für das Geld, das sie zahlen, den bestmöglichen öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu bekommen — und nicht eine Version, die unter Berücksichtigung kommerzieller Interessen entsprechend abgespeckt ist.”

6. Flop-Parade 2017: Die größten Misserfolge des Jahres
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Auf stolze 80 TV-Misserfolge ist Uwe Mantel in seiner “Flop-Parade 2017” gekommen. Es ist eine Galerie des Grauens geworden, durch die man sich durchklicken kann. Entsprechende Leidensbereitschaft vorausgesetzt.

Doppelter Auftragsmord, Söders Sidekick, Von der AfD lernen

1. „Doppelter Auftragsmord“
(taz.de, Alexandra Mostyn)
In der Slowakei sind der Investigativjournalist Ján Kuciak und seine Freundin Martina K. durch Auftragsmörder regelrecht hingerichtet worden. Kuciak hatte über Klüngeleien zwischen Politik und Wirtschaft recherchiert und sich mit Immobilienspekulanten angelegt. Er war seit 2015 Redakteur des Newsportals aktuality.sk, welches zu Ringier Axel Springer Slovakia gehört. 

Weiterer Lesetipp: Bastian Obermayer weist in der „SZ“ darauf hin, dass mit Ján Kuciak erneut ein Journalist ermordet wurde, der an den Panama Papers mitgearbeitet hat: „Die slowakische Politik muss nun zeigen, dass sie derartige Verbrechen nicht duldet. Sie muss mit aller Entschlossenheit den oder die Täter zur Verantwortung ziehen. In einem Land, in dem sowohl der Regierungschef als auch ein Minister sich abfällig über recherchierende Journalisten geäußert haben, ist dies leider nicht selbstverständlich. Auch in diesem Punkt gibt es also Parallelen zu Malta, wo noch immer vollkommen unklar ist, wer Daphne Caruana ermorden ließ und warum.“

2. Die AfD und ihr Newsroom
(buggisch.wordpress.com, Christian Buggisch)
Als die AfD ankündigte, einen Newsroom einzurichten, gab es teilweise empörte Reaktionen. Christian Buggisch kann die Empörung nicht teilen, sondern ermuntert die anderen Parteien an dieser Stelle von der AfD zu lernen: „Durch die Professionalisierung ihrer Kommunikation mittels Newsroom-Organisation könnte die AfD ihren Reichweiten-Vorsprung gegenüber anderen Parteien weiter ausbauen. Anstatt wie das Kaninchen auf die Schlange zu starren und der AfD beleidigt Propaganda vorzuwerfen, sollten sich diese Parteien einen Ruck geben und ihre Kommunikation ebenfalls professionalisieren, modernisieren und an den Zielgruppen ausrichten – und sei es, indem sie das Newsroom-Modell ebenfalls adaptieren.“

3. Microsofts Nachrichtenzentrale
(wuv.de, Holger Schellkopf)
Vom Berliner “MSN”-Newsroom aus bespielt ein internationales Team die Nachrichtenangebote von Microsoft in zehn Ländern. Seit August 2017 werkeln dort etwa 70 Mitarbeiter aus den verschiedensten Ländern an den News von “MSN”, “Bing”, “Edge” und den Inhalten diverser Apps. Holger Schellkopf erklärt auf wuv.de wie das Ganze funktioniert.

4. Von der Redaktion in den Bundestag
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers)
Manchmal engagieren sich Journalisten neben ihrer eigentlichen Arbeit auch parteipolitisch, und manchmal werden sie sogar Berufspolitiker wie im Fall von Tabea Rößner (Grüne) und Ralf Kapschack (SPD). Im „Deutschlandfunk“-Beitrag geht es um Fragen wie: Dürfen sich Journalisten politisch einbringen? Und wie wirkt sich ihre frühere Tätigkeit auf den späteren Job als Politiker aus?

5. Spiegel online fragt nach Zweifeln am Journalismus und liefert gleich Anlass
(stefan-fries.com)
Bei „Spiegel Online“ hat man die Leser zu ihrer „Haltung zu deutschen Medien“ befragt („Ich vertraue Ihnen weitgehend / Ich misstraue ihnen eher.“) und zu ihren Informationsquellen. Stefan Fries erklärt, warum diese Art der Befragung aus seiner Sicht genau den Zweifel an der journalistischen Arbeit aufkommen lässt, den man eigentlich abfragen will.

6. Söders Sidekick: Sat.1-Moderator auf CSU-Tour
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Wenn ein Moderator von „Sat.1 Bayern“ auch bei der CSU und großen Unternehmen moderiert, wirft dies Fragen z.B. zu seiner journalistischen Unabhängigkeit oder der Glaubwürdigkeit der Nachrichtensendung auf. Boris Rosenkranz hat versucht, Antworten auf diese Fragen zu bekommen. Es war ein beschwerlicher Weg, denn Moderator, Produzent und Sender sahen an keiner Stelle Probleme. Zum Glück kann sich Rosenkranz an einen alten Moderationsausschnitt aus dem Jahr 2009 erinnern, der seine Fragen gewissermaßen beantwortet.

Das Buch lebt, Dunkle Forenwelt, Der Heilige Sankt Spekulatius von n-tv

1. Im Netz mordet kein Terrorist allein
(sueddeutsche.de, Max Hoppenstedt & Simon Hurtz)
Max Hoppenstedt und Simon Hurtz nehmen ihre Leserinnen und Leser mit in die Parallelwelt der anonymen Onlineforen, in denen sich bevorzugt junge weiße träfen, um dort in missverstandener Redefreiheit und ohne Rücksicht auf Anstand und Gesetze “alles sagen zu dürfen”. “Dieses Selbstverständnis dient oft als Vorwand für rechtsradikale, rassistische und antisemitische Hetze. Auch Frauenfeindlichkeit und Schwulenhass sind weit verbreitet. Die Nutzer wandeln ständig auf der Grenze zwischen anarchischem Humor und offener Menschenverachtung. Memes werden zu Mordaufrufen, aus sarkastischen Insider-Witzen wird purer Hass. Das erschwert die Arbeit für Ermittler: Oft lässt sich nicht unterscheiden, wo der “Spaß” aufhört und der Ernst beginnt.”

2. Ganz dünnes Eis: Terror in Halle, live bei n-tv
(uebermedien.de, Video: 3:20 Minuten)
Anlässlich des Terroranschlags in Halle (Saale) unterbrach der Fernsehsender n-tv sein reguläres Programm und berichtete live vom Geschehen in Sachsen-Anhalt. Da es kaum gesicherte Informationen zu Tathergang und Motivlage gab, waren eigentlich nur Spekulationen möglich. Spekulationen, vor denen der Sender seine Zuschauerinnen und Zuschauer jedoch ausdauernd und über Stunden warnte. “Übermedien” hat daraus einen dreiminütigen Spekulationsfilm gemacht.

3. Neuer “Tagesschau”-Newsroom: Die Kleingärtner im Nacken
(dwdl.de, Alexander Krei)
Ganze zwei Jahre hat die ARD an ihrem neuen “Nachrichtenhaus” mit dem topmodernen Newsroom gebaut. Der Neubau hat 16 Millionen Euro gekostet. Angesichts des rasanten Wandels der Digital- und Medienwelt, ist es fast niedlich, wie NDR-Intendant Lutz Marmor das Investment rechtfertigt: Das Nachrichtenhaus soll nämlich 30 Jahre lang genutzt werden. “Mindestens”.

4. Eingesperrte Bücher: Warum E-Books nicht die Zukunft des Lesens sind
(rnd.de, Imre Grimm)
Wenn es nach manchen Technik-Propheten ginge, müsste das E-Book schon längst das klassische Buch abgelöst haben. Doch nichts dergleichen: Trotz verbesserter Geräte stagniert der Markt für Digitalbücher seit Jahren. Imre Grimm kommentiert: “Fünf Jahre Stillstand — in digitaler Währung ist das eine Ewigkeit. Warum ist das so? Warum stagnieren E-Books, obwohl digitale Medien insgesamt boomen? Warum lesen unverändert etwa 80 Prozent der Deutschen gedruckte Bücher, aber die Buchbranche macht nur 6 Prozent ihres Umsatzes mit E-Books? Weil es beim Genuss eines Buches um etwas anderes geht als beim Lesen von Nachrichten. Der “Verzehr” eines guten Buches ist hirntechnisch ein anderer Vorgang als das interessierte Scannen von Neuigkeiten. Über die Qualität des aktuellen Literaturangebots sagt das zwar wenig aus — technisch aber scheint die Sache entschieden. Das Buch ist tot. Es lebe das Buch.”

5. Das sind die wichtigsten Ergebnisse der ARD/ZDF-Onlinestudie 2019
(blog.wdr.de, Dennis Horn)
Dennis Horn fasst die wichtigsten Ergebnisse der ARD/ZDF-Onlinestudie 2019 zusammen und macht daraus vier Themenblöcke: “Erstens: Es gibt in den Zahlen keine großen Sprünge mehr. Zweitens: Nur jeder Zehnte hat die “Wanze im Wohnzimmer”. Drittens: Facebook ist weiter die Nummer eins. Viertens: Die Leute nutzen das Netz länger zum Hören.”

6. Zu gut, um wahr zu sein? Wie man Bilder und Videos verifiziert
(fachjournalist.de, Bernd Oswald)
Im Internet tauchen schon zu Normalzeiten unzählige manipulierte oder gefälschte Bilder auf. In Ausnahmesituationen mit ungeklärter Faktenlage sind diese besonders gefährlich. Bernd Oswald erklärt, wie man als Journalistin oder Journalist Bilder und Videos verifizieren kann. Vieles davon ist nicht nur für Leute aus der Medienbranche interessant, sondern sollte zur allgemeinen Medienkompetenz und in den Schulunterricht gehören.

Greta in vollen Zügen, Suizide der K-Pop-Stars, Nuhr Andersdenkende

1. Greta genießt’s in vollen Zügen
(taz.de, Gereon Asmuth)
Das Foto der auf dem Boden eines ICE sitzenden Greta Thunberg sorgt für Schnappatmung in den Sozialen Medien. Das liegt vor allem an einer unglücklichen Antwort der Deutschen Bahn, die Thunberg wohl zu Unrecht in ein schlechtes Licht rückt. Gereon Asmuth schreibt über ein PR-Desaster der besonderen Art. Oder wie Julia Reda auf Twitter sagt: “Die @DB_Presse erweckt den Eindruck, @GretaThunberg hätte ihr ICE-Foto gefaked und liefert damit Futter für Klimaleugner. Dass es um 2 verschiedene Züge ging, wird sich nie dort rumsprechen. So funktioniert Desinformation, herzlichen Glückwunsch.”
Weitere Lesetipps: Bei “Spiegel Online” fragt Arno Frank in seiner “Analyse einer Blamage”: “Liebe Bahn, wie kann man das so verbocken?” Und Martin Hoffmann erklärt in einem Twitter-Thread, warum “der Umgang mit dem Greta-Foto” ein Lehrstück darüber ist, “was in vielen Medien falsch läuft.”

2. SPD-Chefin Esken geht juristisch gegen Berichterstattung vor
(tagesspiegel.de, Georg Ismar)
Im ARD-Magazin “Kontraste” wurden schwerwiegende Vorwürfe gegen die neue SPD-Vorsitzende Saskia Esken erhoben, die sich auf ihre Zeit als Vizechefin des Landeselternbeirats Baden-Württemberg beziehen. Es geht vor allem um das angebliche Ausspionieren einer Mitarbeiterin und eine umstrittene Kündigung. Esken sei mit der Darstellung nicht einverstanden und habe laut “Redaktionsnetzwerk Deutschland” “presserechtliche Schritte auf Unterlassung, Widerruf und Gegendarstellung” gegen den RBB eingeleitet.

3. “Die Jüngeren sind unterversorgt”
(sueddeutsche.de, Stefan Mayr & Claudia Tieschky)
Die “Süddeutsche” hat sich mit SWR-Intendant Kai Gniffke über dessen Pläne mit dem Sender unterhalten. Dabei geht es um die Schwierigkeit, ein junges Publikum anzusprechen, ohne das alte zu verprellen, und das geplante Innovationszentrum: “Das wird eine Hexenküche sein, ein Inkubator für Ideen aus dem SWR, es soll mit Start-ups und Wissenschaft gemeinsame Projekte realisieren. Und es soll konkrete Aufträge angehen. Zum Beispiel: Bitte macht mal ein Konzept, wie wir dieses und jenes Milieu künftig erreichen, in dem wir Defizite haben.”

4. Kein Witz: Dieter Nuhr möchte die Debattenkultur retten
(nollendorfblog.de, Johannes Kram)
Der Kabarettist Dieter Nuhr hat sich in einem Interview mit der “Rheinischen Post” (beim Bonner “General-Anzeiger” auch ohne Paywall) über die seiner Meinung nach unzureichende Debattenkultur beklagt (“Andersdenkende werden nicht mehr respektiert”). Johannes Kram kommentiert: “Das Interview hat einen seltsamen Beigeschmack, weil Dieter Nuhr hier unwidersprochen den Eindruck erwecken darf, er hätte mit dem, was er da beschreibt, nichts zu tun. Dabei ist es ja gerade Nuhr, der mit seiner Aggressivität verbunden mit seiner enormen Social-Media-Reichweite genau die Debattenkultur vergiftet, die er hier vorgibt, retten zu wollen. Und das in einer bemerkenswerten Perfidie.”

5. Twitter sperrt Polizei-Accounts in NRW
(blog.wdr.de, Dennis Horn)
Am Wochenende hat Twitter eine ganze Reihe von offiziellen Polizei-Accounts gesperrt. Bei den Sperren könne es sich um einen technischen Fehler handeln, so Dennis Horn, und dennoch sei es “offensichtlich, dass Twitter ein Problem mit Overblocking hat — und die Frage, wie gut es ist, dass private Unternehmen über Kanäle entscheiden, die für die Öffentlichkeit wichtig sind, bleibt aktuell.”

6. Wenn der mediale Druck zu groß wird
(deutschlandfunk.de, Kathrin Erdmann, Audio: 4:51 Minuten)
Innerhalb kurzer Zeit haben sich in Südkorea drei K-Pop-Stars das Leben genommen. Der Erfolg der Musikerinnen und Musiker scheint mit extrem hohem Druck verbunden zu sein. Das Management schreibe ihnen zum Beispiel ein Maximalgewicht von 50 Kilogramm vor und mische sich auch ansonsten in intimste Dinge ein. Der Chef einer K-Pop-Agentur: “In den Verträgen einer unserer Girlbands stand auch, dass sie keine Jungs treffen dürfen, aber es ist schwer, sie daran zu hindern, denn sie werden es trotzdem versuchen. Man muss sie dann kontrollieren, das kostet viel Geld. Größere Agenturen lassen ihre Manager sogar mit denen in einem Zimmer schlafen, damit sie keinen Blödsinn machen.”
(Solltest Du Suizid-Gedanken haben, dann gibt es Menschen, die Dir helfen können, aus dieser Krise herauszufinden. Eine erste schnelle und unkomplizierte Hilfe bekommst Du etwa bei der “TelefonSeelsorge”, die Du kostenlos per Mail, Chat oder Telefon (0800 – 111 0 111 und 0800 – 111 0 222 und 116 123) erreichen kannst.)

Bei Bild.de hat Respektlosigkeit Tradition

Auf der Insel North Sentinel im Indischen Ozean leben die Sentinelesen, eines der letzten von der Außenwelt gänzlich isolierten indigenen Völker. Den Kontakt mit Außenstehenden lehnen sie ab. Im rund 55 Kilometer Luftlinie entfernten Port Blair, einige Inseln weiter östlich, gab es kürzlich mehrere Corona-Fälle.

Darüber berichtete gestern auch Bild.de. Die Redaktion hat sogar mit einem Vertreter der Menschenrechtsorganisation Survival International gesprochen, die sich allgemein für indigene Völker und speziell für die Sentinelesen einsetzt:

Niklas Ennen von der Menschenrechtsorganisation Survival Internaltional [sic] sagt zu BILD: “Von einer Corona-Infektion auf der Insel der Sentinelesen gibt es bislang noch keine gesicherten Hinweise. In einer gefährlichen Situation befinden sich aber alle unkontaktierten Völker, für die ein Kontakt mit der Mehrheitsgesellschaft lebensbedrohlich sein kann.”

Auch die Sentinelesen seien “extrem anfällig für eingeschleppte Krankheiten”, so Ennen. Während einer globalen Pandemie sei “das Risiko einer folgenschweren Infektion noch größer.” Daher brauche es eine “angemessene Überwachung” der um North Sentinel herum befindlichen Gewässer. Und dann, schreibt Bild.de, habe Ennen über die Sentinelesen noch gesagt:

“Wir versuchen den Begriff ‘Steinzeitmenschen’ zu vermeiden, da er suggeriert dass diese Menschen einer früheren Entwicklungsstufe angehören. Das stimmt aber nicht. Auch indigene und unkontaktierte Völker entwickeln sich – wenn auch in einer anderen Art und Weise, als wir dies tun.”

Welche Überschrift hat die “Bild”-Redaktion wohl für ihren Artikel gewählt, in dem sich dieser Appell gegen die respektlose Bezeichnung befindet? Genau:

Screenshot Bild.de - Indigene Völker in Gefahr - Auch das noch – Corona-Alarm bei den Steinzeitmenschen!

Diese Respektlosigkeit hat bei Bild.de Tradition.

Mit Dank an @julianzado und sven für die Hinweise!

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KW 35: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. Wie krass manipuliert die ARD?
(uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 36:00 Minuten)
Die Öffentlich-Rechtlichen haben kurz hintereinander für zwei Aufreger gesorgt: Das WDR-Wissensmagazin “Quarks” hat in einem zweifelhaften Parteien-Ranking die FDP zunächst als Top-Klimaretter eingestuft, dann aber mehr oder weniger willkürlich herabgestuft. In einem Nachrichtenbeitrag des MDR-“Sachsenspiegel” wurde das “Bild”-Logo von einem Mikrofon retuschiert. Holger Klein hat sich mit dem Medienkritiker Stefan Niggemeier über die beiden Vorgänge unterhalten, die wahrlich keine Glanzleistungen der öffentlich-rechtlichen Sender waren und sogar gefährliche Folgen haben könnten.

2. Noise, Folge 1: Bild im Bild – Wenn Boulevard Politik macht
(noise-podcast.podigee.io, Audio: 32:50 Minuten)
Von den Machern und Macherinnen der erfolgreichen Podcast-Produktion über Ken Jebsen (“Cui Bono – WTF happened to Ken Jebsen“) gibt es einen neuen Mehrteiler, von dem die erste Folge nun online ist: Bei “Noise” geht es im Wortsinn um Lärm. Um medialen Lärm, der oft aus Falschinformationen, Irreführungen, Desinformation und “Fake News” besteht. In der ersten Episode geht es um den schädlichen Einfluss der “Bild”-Medien auf die Gesellschaft. Als Experten kommen der ehemalige und der jetzige BILDblog-Leiter zu Wort.

3. Kunstfreiheit! Müssen wir die Kunst von den Kunstschaffenden trennen?
(zdf.de, Salwa Houmsi & Stefan Münker, Video: 37:32 Minuten)
Bei dem TV-Format “13 Fragen” wird eine Diskussion über ein strittiges Thema auf ein Spielfeld verlagert: Auf aufgemalten Feldern stehen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gegenüber, können sich aber während der Debatte noch stärker voneinander weg- oder aufeinander zu bewegen. In der aktuellen Folge geht es um die schwierige Frage, ob wir Kunst von Künstlerinnen und Künstlern, die sich etwas zu Schulden haben kommen lassen, unsere Aufmerksamkeit entziehen sollten, oder ob man Kunst und die Person dahinter trennen sollte.

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4. Made to Measure: Eine digitale Spurensuche
(ardmediathek.de, Moritz Riesewieck & Hans Block & Cosima Terrasse, Video: 44:18 Minuten)
Vorbemerkung: Der verlinkte Film enthält laut Warnhinweis “Szenen, die für Zuschauer:innen, die an Depressionen oder an einer Essstörung leiden sowie für Menschen in labilen Zuständen möglicherweise belastend sein können”.
Ist es möglich, alleine anhand der persönlichen Google-Daten einer Person ihre Doppelgängerin zu erschaffen? Ihre Persönlichkeit, Verhaltensmuster und verborgenen Wünsche zu rekonstruieren? Zusammen mit einem ehemaligen Youtube-Entwickler, einem Google-Marketer, einer Expertin für personalisierte Werbung sowie mehreren Datenschützerinnen und -schützern geht “Made to Measure” der Frage nach, welche Potenziale und Risiken in der algorithmischen Persönlichkeitsermittlung und Verhaltensvorhersage stecken.

5. Bilanz: Falsche Prophezeiungen zu Corona
(ardaudiothek.de, Tagesschau Faktenfinder, Michail Paweletz & Carla Reveland, Audio: 32:02 Minuten)
Im “Faktenfinder”-Podcast der “Tagesschau” geht es um die falschen Prophezeiungen aus dem Umfeld der Corona-Leugner, “Querdenker” und Verschwörungsideologen: Was davon ist nach anderthalb Jahren übrig geblieben? Wie konnte es passieren, dass sich Leute wie Attila Hildmann immer mehr radikalisierten? Unter anderem darüber sprechen Moderator Michail Paweletz, Faktenfinderin Carla Reveland und “Tagesspiegel”-Redakteur Sebastian Leber.

6. Warum Disney es keinem recht machen kann
(youtube.com, Philipp Walulis, Video: 12:19 Minuten)
Der Disney-Konzern will für familientaugliche und harmlose Unterhaltung stehen, in den alten Filmen stecken jedoch einige rassistische Karikaturen und überkommene Klischees. Der Konzern ist sich dessen auch bewusst und verspricht Aufklärung und Verbesserung. Das Walulis-Team hat sich angeschaut, was davon zu halten ist: “Wird Micky Maus jetzt zum Social Justice Warrior, oder ist das nur woke PR-Propaganda? Wir haben genauer hingesehen, warum der Wandel schleppend läuft.”

“Give Peace A Chance”, Drosten wehrt sich, Klare Kante

1. Das verbotene Wort
(tagesspiegel.de, Frank Herold)
Die Einschränkungen von Medien in Russland gehen weiter. Nun droht auch der “Nowaja Gaseta” das Aus durch die russische Zensurbehörde. Die Lage ist Ernst, wie Frank Herold berichtet: “Gerade ist in das russische Parlament ein Gesetz eingebracht worden, das jedem bis zu 15 Jahren Lagerhaft androht, der ‘Fake News’ über die Invasion in der Ukraine verbreitet.”

2. Protest gegen Schließung
(djv.de, Hendrik Zörner)
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) protestiert gegen die Schließung des kremlkritischen Radiosenders Echo Moskau und die Löschung des dazugehörigen Onlineportals. DJV-Chef Frank Überall bezeichnet die Maßnahme als den “Willkürakt eines verzweifelten Regimes, das nicht mal mehr ansatzweise Kritik duldet”.

3. ARD in der Kritik: Man kann den Krieg nicht vom Tellerrand bewerten
(meedia.de, Tobias Singer)
Tobias Singer kritisiert, dass die ARD zeitweise nicht mit eigenen Korrespondenten und Korrespondentinnen vom Angriffskriegs auf die Ukraine berichtet habe. So habe man nur über, aber nicht aus der Ukraine berichten können. Das werfe ein schlechtes Licht auf die ARD.

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4. Drosten wehrt sich juristisch
(tagesschau.de, Markus Grill & Georg Mascolo)
Der Virologe Christian Drosten muss sich während der Corona-Pandemie viel an Beschimpfungen und Unterstellungen anhören. Der Physiker Roland Wiesendanger zum Beispiel warf Drosten im “Cicero” vor, die Öffentlichkeit über den Ursprung des Coronavirus gezielt getäuscht zu haben. Dagegen wehrt sich Drosten nun auf juristischem Wege und verlangt von Wiesendanger und dem “Cicero” jeweils die Abgabe einer Unterlassungserklärung.

5. klare Kante
(journalist.de, Sebastian Pertsch & Udo Stiehl)
Sebastian Pertsch und Udo Stiehl werfen im Rahmen ihres Projekts “Floskelwolke” einen sprach- und medienkritischen Blick auf vielbenutzte Formulierungen. Diesmal zeigen sie klare Kante und nehmen sich die Floskel “klare Kante” vor.

6. Hunderte Radiosender spielen Freitagmorgen “Give Peace A Chance”
(rnd.de)
Am heutigen Freitagmorgen haben sich europaweit unzählige Radiosender für eine Aktion zusammengeschlossen und um 8:45 Uhr John Lennons Friedenslied “Give Peace A Chance” gespielt. Allein in Deutschland sollen sich mehr als 200 Programme aus allen Senderfamilien und allen Genres beteiligt haben.

Mensch ärgere dich

Boris Palmer, der Oberbürgermeister von Tübingen, hat neulich auf seiner Facebook-Seite zum Neujahrsempfang der Stadt eingeladen. Normalerweise muss man sich bei der Stadt dafür anmelden. Aber Palmer akzeptierte als Anmeldung auch ein schlichtes “ich komme” auf seiner Facebookseite.

Das klingt spontan nicht nach dem Material, aus dem großen Aufreger sind, nicht einmal in der schwäbischen Provinz. Mit ein bisschen Mühe kann man aber einen draus machen, oder besser: ohne jede Mühe.

So sah das Ergebnis in der “Bild” vom vergangenen Montag aus:

PALMER: Ärger wegen seiner Facebook-Einladung

Tübingens grüner Oberbürgermeister Boris Palmer (41) hat mal wieder Ärger wegen seiner Internetaktivitäten. Im November stellte er Falschparker an den Facebook-Pranger, jetzt lädt er auf seiner privaten Seite zu städtischen Veranstaltungen ein. (…)

Verboten, sagt ein Medienrechtler. Auf seiner privaten Facebook-Seite dürfe er das nicht. Deshalb hat jetzt sogar die Kommunalaufsicht eine Stellungnahme von der Stadtverwaltung verlangt.

Den Namen des Medienrechtlers nennt “Bild” nicht. Genauso wenig wie die Quelle, aus der sie nicht nur dessen Urteil, sondern auch alle weiteren Informationen in ihrem Text abgeschrieben hat, bis hin zur Schlusspointe, dass Palmer die Karten angeblich nur über eine offizielle, städtische Facebook-Seite anbieten dürfe, dafür aber das Geld fehle. Das alles stand zwei Tage vorher im “Schwäbischen Tagblatt”.

Was dort nicht stand und mangels eigener Recherche auch zwei Tage später in der “Bild”-Zeitung fehlte: Das Regierungspräsidium hat zwar nach dem Anruf der “Tagblatt”-Journalistin den Fall prüfen lassen. Es ist aber längst zu einem Ergebnis gekommen. Bereits am Freitag vergangener Woche entschied es, dass kein Rechtsvorstoß vorliegt. Der Pressesprecher der Behörde teilte uns auf Anfrage mit: Die Stadt Tübingen habe versichert, dass die Leute, die sich über die Facebook-Seite Palmers anmelden, nicht bevorzugt werden, sondern ihre Anmeldungen nur im offiziellen Verfahren der Stadt mit berücksichtigt werden.

Palmers “Ärger” bestand also im Wesentlichen aus, dass die “Bild”-Zeitung ihm recherchefrei unterstellte, “Ärger” zu haben.

Mit Dank an Sandra M.!

Nichts ist so alt wie die falsche Burkini-Meldung von vor vier Monaten

Als der Axel-Springer-Verlag im September 2015 für viele Millionen US-Dollar die Mehrheit an “Business Insider” erwarb und gut zwei Monate später verkündete, auch eine deutsche Version der Nachrichtenseite für Wirtschaftsthemen an den Start gebracht zu haben, waren die Versprechen ziemlich vollmundig: von “innovativem digitalem Journalismus” war da die Rede, von “kompetent und unkonventionell”, vom “typischen Business-Insider-Stil mit seiner unverwechselbaren Erzählweise”.

Dieser “typische Business-Insider-Stil” kommt einem nach eingehender Prüfung vor allem wie eins vor: Clickbait (gut möglich, dass wir bald mal unsere Clickbait-Taskforce dort vorbeischicken). Drei zufällig ausgewählte Facebook-Posts der Redaktion von heute, die zeigen, wie “Business Insider Deutschland” in dem Sozialen Netzwerk auf Leserfang geht:

Der Konzern verlegte die internationale Zentrale von Luxemburg nach London.

Bremerhaven, Gelsenkirchen, Köln, Duisburg und Frankfurt am Main (gemessen wurde das Einkommen im Verhältnis zu den tatsächlichen Lebenshaltungskosten).

Vermutlich hat er in einer Bibel gelesen.

Gestern postete das “Business Insider”-Team diesen Artikel bei Facebook:

“Zum Äußersten” bedeutet in diesem Fall, dass die Polizisten die Frau gezwungen haben sollen, den Burkini auszuziehen.

Und, nein, in Frankreich liegen die Leute nicht im Dezember am Strand. “In den vergangenen Tagen” ist schlicht grob irreführend. Denn die ganze Geschichte — einige werden sich bestimmt erinnern — stammt aus dem August. Genauso der verlinkte “Business Insider”-Text:

Nun ist der Artikel aber nicht nur alt, sondern auch falsch. Die Frau trug nach eigener Aussage gar keinen Burkini, sondern eine Leggins, eine Tunika und ein Tuch um den Kopf. Aber solche Details interessieren die Clickjäger von “Business Insider” natürlich nicht.

Das ständige Neuposten von Clickbait-Artikeln hat übrigens “Focus Online” schon vor einiger Zeit perfektioniert. Wer weiß — vielleicht soll sowas ja auch fester Bestandteil des “unkonventionellen” “Business-Insider-Stils” werden.

“Bild” im Reggae-Rasta-Klischee-Rausch

In Schleswig-Holstein dürfte bald eine sogenannte Jamaika-Koalition die Regierung bilden. Die Vertreter von CDU, Grünen und FDP haben sich am Dienstagabend auf einen gemeinsamen Koalitionsvertrag geeinigt. Und weil in der Nationalflagge von Jamaika eben die Farben Schwarz, Grün und Gelb vorkommen, spricht man von einer Jamaika-Koalition.

Die erfolgreichen Verhandlungen in Schleswig-Holstein brachten die “Bild”-Zeitung auf die Idee, in der gestrigen Ausgabe der Frage nachzugehen, ob ein solches Dreierbündnis auch in der Bundespolitik klappen könnte. Da müssen sie im Axel-Springer-Hochhaus in der Redaktionskonferenz zusammengesessen und überlegt haben, wie man das illustrieren könnte. Und dann dürften ungefähr solche Vorschläge gekommen sein:

Lass uns dem Lindner mal einen Joint in den Mund shoppen!

Ja, geil! Und die Merkel machen wir so’n bisschen exotisch, mit Ketten und Blumenkleid und Rastas und so.

Ha, genau. Und der Özdemir spielt wie so ein Wilder Trommel!

Pahaha! Und dann färben wir alle drei noch dunkler, sollen ja Jamaikaner sein.

Super! Und in die Überschrift packen wir noch irgendeine Kiffer-Anspielung!

Haben sie dann auch genau so gemacht:

Ausriss Bild-Zeitung - Nach Schwarz-Geld-Grün in Schleswig-Holstein - Kommt für Merkel die Jamaika-Koalition in die Tüte?

Auf der Startseite von Bild.de war diese “BILD-Montage” gestern ebenfalls erschienen:

Ausriss Bild.de - Nach Schwarz-Geld-Grün in Schleswig-Holstein - Kommt für Merkel die Jamaika-Koalition in die Tüte?

Im Text geht das volle Stereotypenprogramm dann weiter:

Auch in Berlin wird offen über ein Dreier-Bündnis spekuliert. Reggae, Rausch und Rasta — kommt das für Merkel (und die anderen Parteien) in die Tüte?

So stellt sich die “Bild”-Redaktion eben einen typischen Jamaikaner vor: jointrauchend, trommelspielend, rastazöpfig.

Wir können nur hoffen, dass nicht irgendwo bald wieder eine sogenannte Kenia-Koalition aus CDU, SPD und Grünen entsteht. Sonst muss der bemitleidenswerte “Bild”-Photoshopper noch Angela Merkel digitalen Massai-Schmuck um den Hals binden, Martin Schulz einen Speer in die Hand drücken und beim Blackfacing voll aufdrehen, nur um das Klischeeverlangen seiner Kollegen zu stillen.

Nachtrag, 18. Juni: Bei “SpiegelKritik” gibt es Kritik an diesem Beitrag.

Ende der Drohbriefe, AfD-Maier muss zahlen, Reporter gegen die Mafia

1. Keine Drohbriefe mehr
(faz.net, Constantin von Lijnden)
Medienrechtsanwälte haben eine pfiffige Strategie entwickelt, um ihre prominenten Mandanten vor Erwähnungen in der Presse zu schützen: Vorauseilende Drohbriefe, die sie euphemistisch als “presserechtliche Informationsschreiben” bezeichnen. Allein bei der “FAZ” seien von der bekannten Medienrechtskanzlei Schertz Bergmann zwischen Ende 2012 und Mitte 2016 mehrere Dutzend solcher Schreiben eingegangen, ungefragt und zuletzt ausdrücklich unerwünscht. Die “FAZ” hat sich gegen diese Praxis juristisch gewehrt — bis zum Bundesgerichtshof (BGH), der die “Informationsschreiben” grundsätzlich für zulässig hält. Anders sieht es der BGH, wenn ein solches Schreiben “keine Informationen enthält, die dem Presseunternehmen die Beurteilung erlauben, ob Persönlichkeitsrechte durch eine etwaige Berichterstattung verletzt werden.” Das Faxen derartiger Schreiben ist mit dem Urteil des BGH nun untersagt.

2. AfD-Rechtsaußen muss Noah Becker Schmerzensgeld zahlen
(spiegel.de, Ansgar Siemens)
Vor einem Jahr erschien auf dem Twitter-Profil des AfD-Bundestagsabgeordneten Jens Maier ein Tweet, in dem der Künstler Noah Becker wegen dessen dunkler Hautfarbe rassistisch beleidigt wurde. Maier, selbst gelernter Richter, gab sich unschuldig: Ein Mitarbeiter habe den Tweet ohne Absprache veröffentlicht, was der Mitarbeiter auch offiziell zugab. Becker verklagte den AfD-Politiker daraufhin auf 15.000 Euro Schmerzensgeld. Sein vorheriges Angebot, 7.500 Euro an eine karitative Organisation zu spenden und den Streit damit zu beenden, hatte Maier abgelehnt. Nun hat das Landgericht Berlin Becker Recht gegeben und Maier zur Zahlung der vollen 15.000 Euro plus Zinsen verurteilt.

3. Re: Der Tod im Auge – Reporter gegen die Mafia
(arte.tv, Chiara Sambuchi, Video: 30 Minuten)
Wer in Italien über die Mafia berichtet, muss sehr mutig sein und setzt unter Umständen sein Leben aufs Spiel. Die Arte-Reportage “Re: Der Tod im Auge” begleitet den unter permanenter Bewachung stehenden Journalisten Paolo Borrometi bei dessen Arbeit für den Fernsehsender TV2000, bei dem er mit Staatsanwälten, Richtern und Kronzeugen Interviews über die Mafia führt.

4. „Politik setzt gezielt auf Framing“
(fr.de, Ruth Herberg)
Die “Frankfurter Rundschau” hat sich mit den beiden “Floskelwolke”-Betreibern Sebastian Pertsch und Udo Stiehl über Wortmacht, Medienkompetenz und politisches Framing unterhalten.

5. Hoher Anspruch, rote Zahlen
(deutschlandfunk.de, Brigitte Baetz, Audio: 5:32 Minuten)
Unglaubliche 3,5 Millionen Franken sammelten der Journalist Constantin Seibt und seine Kollegen an Spendengeldern ein, um vor etwa einem Jahr mit dem Schweizer Online-Magazin “Republik” starten zu können. Die Medienjournalistin Brigitte Baetz gibt dem Startup durchwegs gute Noten. Allein finanziell laufe es nicht so gut: Laut Geschäftsbericht sei das Online-Magazin im ersten Jahr auf ein Minus von rund 2,5 Millionen Euro gekommen.

6. Wann Ihr einen Blogbeitrag als Werbung kennzeichnen müsst
(fitfuerjournalismus.de, Bettina Blaß)
Viele Youtuber, Instagrammer, Facebooker und Blogger sind verunsichert, ob sie ihre Beiträge als Werbung kennzeichnen müssen, wenn sie dort zum Beispiel mit Markenware zu sehen sind oder ein Produkt empfehlen. Zum Glück gibt es die Kennzeichnungsmatrix der Landesmedienanstalten und Bettina Blaß, die Licht ins Kennzeichnungsdunkel bringen.

Frauenaufstand im Vatikan, Apples Pläne, Abgeschminkte “Welt”-Auflage

Vorbemerkung: Aus aktuellem Anlass folgt im Lauf des Tages eine Sonderausgabe zur umstrittenen EU-Urheberrechtsreform.

1. Frauenaufstand im Vatikan
(sueddeutsche.de, Matthias Drobinski)
Die vatikanische Frauenzeitschrift “Donne Chiesa Mundo” hat sexuelle Gewalt von Priestern und Ordensmännern gegen Nonnen angeprangert. Papst Franziskus musste einräumen, dass dieses Problem existiert. Trotzdem ist die komplette Redaktion aus elf Frauen zurückgetreten. Chefredakteurin Lucetta Scaraffia: “Wir werfen das Handtuch, weil wir uns von einem Klima des Misstrauens und einer fortschreitenden Delegitimierung umgeben sehen.” Auch andere Vatikan-Journalisten würden darüber klagen, dass ausgerechnet unter Papst Franziskus die Freiräume für sie enger geworden seien.
Weiterer Lesetipp: In Australien drohen 23 Journalisten Geldstrafen und Haft. Ihr “Vergehen”: Sie hatten trotz Berichterstattungsverbot über den Missbrauchsprozess gegen den ehemaligen und mittlerweile zu sechs Jahren Haft verurteilten Vatikan-Finanzchef George Pell berichtet (sueddeutsche.de).

2. “Die Welt” kündigt Ende der Auflagen-Kosmetik an
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Keine andere überregionale Tageszeitung habe eine derartige Auflagenkosmetik betrieben wie die “Welt”, so Uwe Mantel bei “DWDL”: Rechne man alle kosmetischen Maßnahmen heraus, bleibe weniger als die Hälfte übrig. Das soll sich nun ändern, halb freiwillig, halb durch die Umstände gezwungen.

3. Wenn alle sehen, wie man pinkelt
(taz.de, Finn Holitzka)
Das Fotoprojekt #DeinKindAuchNicht wirbt mit provozierenden Bildern dafür, die Privatsphäre von Kindern in sozialen Netzwerken zu wahren. Die Botschaft richtet sich dabei vor allem an die stolzen Eltern, die oft gedankenlos die Bilder ihrer Sprösslinge ins Netz stellen.

4. Bevor Sie als Verleger in Apple News+ die Zukunft für Ihre digitalen Medien sehen, sollten Sie das hier lesen
(meedia.de)
Anfang der Woche hat Apple seinen neuen Dienst Apple News+ vorgestellt, ein Flatrate-Angebot für Magazine und Zeitungen, das gerne auch als “Netflix für News” bezeichnet wird. Was bedeutet dies nun für die Verlage? Wird Apples neuer Dienst gar den weltweiten Medienmarkt umkrempeln? Bei “Meedia” gibt es eine spannende Analyse mit allen wichtigen Hintergrundinformationen und einigen Argumenten für und gegen Apples neuen digitalen Zeitungsstand.

5. Kommentar: Apple TV+ ist viel heiße Luft
(heise.de, Ben Schwan)
Apple hat am Montag nicht nur seinen neuen Dienst Apple News+ vorgestellt, sondern auch den Streamingdienst Apple TV+ für den Herbst angekündigt. Ben Schwan äußert sich zurückhaltend: “Alles in allem bleibt von Apple TV+ bislang nicht viel mehr als heiße Luft — das zu verbergen gelang nicht einmal den vielen Promis auf der Bühne. Wenn man bedenkt, wie lange die Vorbereitungszeit war, die Apple für den Streamingdienst hatte, ist das enttäuschend. Apple versucht offensichtlich angesichts all der Ankündigungen der Hollywood-Studios und TV-Channel, eigene Streamingdienste zu starten, Claims abzustecken.”

6. Meisterwerke nach ihren schwarzen Modellen umbenannt
(diepresse.com)
Für die Ausstellung “Das schwarze Modell — Von Gericault bis Matisse” im Pariser Musée d’Orsay sind Meisterwerke nach ihren schwarzen Modellen umbenannt worden. Dem ging eine aufwändige Recherche voraus, so die Kuratorin. Zwar hätten Schwarze bei der Entstehung moderner Kunst in Paris eine wichtige Rolle gespielt, doch seien ihre Namen unerwähnt geblieben und ihr Einfluss in der Kunstgeschichte wegen Rassismus und Stereotypen in den Hintergrund gedrängt worden.

Darum ist der Besuch bei Bild.de so gefährlich

Vergangene Woche gab es in den “Bild”-Medien eine Serie zum Thema Sportwetten: “Die Welt der Wetten”. Zum Start am Dienstag “packte” ein Buchmacher aus. Am Donnerstag erzählte “EIN PROFI-ZOCKER”, wie man Profi-Zocker wird. Am Freitag gab es von der Redaktion “Vier Tipps für Wett-Einsteiger”. Und am Sonntag erklärte einer, wie er “mit Sportwetten 20.000 Euro im Monat” verdient.

Das klingt ja erstmal alles so, als wären Sportwetten eine ganz tolle Sache. In der “Bild”-Serie wurden aber auch die problematischen Seiten thematisiert: Zu jedem Artikel veröffentlichte die Redaktion einen Infokasten mit der Überschrift “Spielsucht? Hier bekommen Sie Hilfe!” (dass so etwas nötig ist, um der eigenen Verantwortung wenigstens etwas nachzukommen, hätte für das “Bild”-Team vielleicht ein Hinweis darauf sein können, dass das Thema Sportwetten für eine Serie nicht unbedingt das passendste ist). Außerdem “PACKTE” am Samstag “EIN SPIELSÜCHTIGER” “AUS”. Und am Mittwoch warnte ein “Sucht-Experte” …

Screenshot Bild.de - Sucht-Experte warnt - Darum sind Live-Wetten so gefährlich

Im Interview sagte “Suchtforscher” Tobias Hayer:

BILD: Sind Sportwetten gefährlich? Was kann daran süchtig machen?

Hayer: “Da muss man ein wenig unterscheiden. Eine Sportwette unter Freunden ist in der Regel unproblematisch. Das Gefährliche sind die Live-Wetten im Internet. Davon geht eine hohe Suchtgefahr aus. Die sind 24 Stunden lang verfügbar, und es kann ja wirklich auf alles gewettet werden. Ein Gewinn kann sofort reinvestiert werden, und bei einem Verlust wird versucht, ihn sofort wieder reinzuholen. Diese hohe Ereignisdichte kickt und steht im Zusammenhang mit hohen Suchtgefahren.”

Jaja, diese Live-Wetten. Die sind so gefährlich, dass die Bild.de-Redaktion den Sucht-Experten davor lieber mal auf ihrer Startseite warnen lässt. Also dort, wo sonst, wenn Fußball läuft, der Wettanbieter bwin an prominenter Stelle für seine Live-Wetten werben darf:

Screenshot der Bild.de-Startseite mit den Live-Ergebnissen der gerade laufenden DFB-Pokalspiele und darunter eine Anzeige des Wettanbieters bwin mit den Live-Wettquoten für die jeweiligen Spiele

Klickt man auf eine der Quoten, landet man direkt auf der bwin-“livebetting”-Seite. Wie würde der Suchtforscher sagen? Dort kickt die hohe Ereignisdichte dann so richtig rein.

Mit Dank an Jeanette S. für den Hinweis!

Durchgesteckt und durchgestochen, SW-Denken, Merkwürdiges Porträt

1. Kommunikation in der Krise
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers, Audio: 5:57 Minuten)
In der politischen Berichterstattung scheinen Kontakte alles zu sein, denn sie erhöhen die Wahrscheinlichkeit, vor allen anderen mit Informationen versorgt zu werden. Aktuelles Beispiel sei die “Beschlussvorlage” für den gestrige Corona-Krisengipfel von Angela Merkel mit den Ministerpräsidenten. Dieses Papier sei bereits einen halben Tag bei bestimmten Medien zirkuliert. Wer es durchgestochen hat, sei unbekannt. Auffällig sei jedoch, dass zu Themen der Unionsparteien und der Bundesregierung Medien wie “Welt” und “Bild” bevorzugt in den Genuss von Vorabinformationen kämen.

2. Nazi oder Gutmensch – und nichts dazwischen: Warum das Schwarz-Weiß-Denken zunimmt
(rnd.de, Imre Grimm)
Anlässlich der bevorstehenden US-Wahl macht sich Imre Grimm Gedanken über die zunehmende Polarisierung, das fortschreitende Schwarzweiß-Denken und die verhärteten Fronten der Debattierenden: “In einer komplexen Welt aber sind es die Zwischentöne, die der Wahrheit noch am nächsten kommen. Denn so wie kein Mensch eine Insel ist, ist keine Meinung die reine Lehre. Doch Zwischentöne und Komplexitäten passen nicht in die 280-Zeichen-Logik der digitalen Welt, die nur die grellsten Radikalpositionen mit Aufmerksamkeit und Reichweite belohnt. Dabei ist Ambiguitätstoleranz einer der wichtigsten Grundpfeiler der Demokratie. Sie bedeutet immer Kompromiss, Annäherung, Interessenausgleich auf der Basis eines stabilen Wertesystems. Das ist anstrengend. Dazu gehört die Bereitschaft, anderer Leute Bedürfnisse, die Realität der Welt sowie evidenzbasierte Fakten anzuerkennen.”
Weitere Lesehinweise: Der Kolumnist Ben Smith von der “New York Times” spricht im Interview mit der “Süddeutschen” über die Bedeutung von Skandalen für den Erfolg des “Mediengeschöpfs Donald Trump”. Und das “Social Media Watchblog” beschäftigt sich in einer frei zugänglichen Ausgabe mit der Frage, wie sich das Silicon Valley auf die US-Wahl vorbereitet. Das ernüchternde Fazit der lesenswerten und mit vielen Verweisen gespickten Analyse: “Die Plattformen rechnen mit dem Schlimmsten, die USA sind auf dem Niveau von Kriegs- und Krisenstaaten angekommen.”

3. Das merkwürdige Holger-Friedrich-Porträt von Spiegel-Reporter Alexander Osang
(kress.de, Markus Wiegand)
Im “Spiegel” erschien Anfang des Monats ein äußerst langes Porträt über Holger Friedrich (Bezahlartikel), den Verleger der “Berliner Zeitung”. Der Beitrag sorgte bei einigen Leserinnen und Lesern für Verwunderung, weil er seltsam einseitig und wohlwollend klang. Als ob es eine Nebensächlichkeit sei, erwähnte “Spiegel”-Autor Alexander Osang gegen Ende seiner Geschichte, dass seine Frau bei der “Berliner Zeitung” beschäftigt sei. Markus Wiegand kommentiert: “Man kann die Kritik an Osang wegen seines Interessenkonflikts natürlich kleinlich finden. Ganz so einfach ist es aber nicht: Auffällig an dem Osang-Porträt ist nämlich, dass überhaupt keine Kritiker zu Wort kommen, die in Redaktionskreisen nicht schwer zu finden sind. Entweder hat Osang schlampig recherchiert oder er wollte wegen Befangenheit nicht mit solchen Leuten sprechen. Beides ist so mäßig cool.”

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4. Was im Diversitäts-Diskurs fehlt
(mdr.de, Judyta Smykowski)
Judyta Smykowski setzt sich bei Leidmedien.de regelmäßig dafür ein, dass Medienschaffende für klischeefreie Sprache und Bildsprache sensibilisiert werden. In ihrem Gastbeitrag für das “Altpapier” verrät sie, was aus ihrer Sicht im Diversitätsdiskurs fehlt, was an “Inspiration Porn” problematisch ist, und warum wir mehr authentische Bilder von Menschen mit Behinderung brauchen. In Sachen Diversität lohne ein Blick auf US-amerikanischen Serien: “An dieser Stelle seien Serien wie Good Wife, Stranger Things, Sex Education und vor allem Game of Thrones positiv erwähnt. Ihnen gelingt es, Menschen mit authentischen Erkrankungen und Behinderung zu zeigen und sie als selbstbestimmte Menschen auftreten zu lassen, die weder ihre Behinderung überwinden oder verneinen müssen, noch ständig leiden.”

5. Minden: Lynchaufruf gegen die “Covid-Presse”
(ndr.de, Nils Altland & Tim Kukral, Video: 5:18 Minuten)
In Minden haben Unbekannte eine unbekleidete männliche Schaufensterpuppe mit einem Strick um den Hals an einer Brücke aufgehängt – vor dem Bauch ein Pappschild mit der Aufschrift “Covid-Presse”. Das Medienmagazin “Zapp” ist nach Minden gereist, hat sich in der Stadt umgehört und mit Benjamin Piel über den Fall gesprochen, dem Chefredakteur des “Mindener Tageblatts”.

6. Türkei kündigt Schritte gegen “Charlie Hebdo” an
(faz.net)
Die Türkei hat juristische und diplomatische Schritte gegen die aktuelle Erdoğan-Karikatur der französischen Satirezeitung “Charlie Hebdo” angekündigt. Erdoğans Sprecher Fahrettin Altun schreibt dazu auf Twitter: “Die antimuslimische Agenda des französischen Präsidenten Macron trägt Früchte! Charlie Hebdo hat gerade eine Reihe sogenannter Karikaturen veröffentlicht, die voller verachtenswerter Bilder sein sollen, die angeblich unseren Präsidenten darstellen. Wir verurteilen dieses äußerst verabscheuungswürdige Bemühen dieser Publikation, ihren kulturellen Rassismus und Hass zu verbreiten.”
Weiterer Lesehinweis: Für die “Süddeutsche Zeitung” ordnet Joseph Hanimann den Vorgang weltpolitisch ein: “Angesichts des Konflikts um Berg-Karabach und der griechisch-türkischen Kontroverse auf Zypern ist die türkische Regierung aber bemüht, Politik, Militäroptionen und Medienaspekte in einem einzigen Stimmungstopf zu verrühren. Der Boykott französischer Produkte, zu dem Erdoğan zu Beginn dieser Woche aufgerufen hatte, wird Charlie Hebdo etwa nicht weh tun. Manche Industrielle, Handwerker und Landwirte in Frankreich lachen aber womöglich etwas verkniffen über die neue Karikatur.”

Zuckerberg angeklagt, “Top Gun 2”, Stigmatisierende Nachrichten

1. Jetzt ist Zuckerberg dran
(netzpolitik.org, Alexandra Conrad)
Der Datenskandal um die Firma Cambridge Analytica kostete Facebook 2019 fünf Milliarden US-Dollar. Nun klagt der Generalstaatsanwalt von Washington D.C. Facebooks Firmenchef Mark Zuckerberg an. “Um was geht es in dem aktuellen Prozess und wieso wird Zuckerberg erst jetzt angeklagt?” Alexandra Conrad hat für netzpolitik.org die wichtigsten Fragen und Antworten zusammengetragen.

2. “Die Fakten müssen auf den Tisch”
(deutschlandfunk.de, Annika Schneider)
“Die Medien können die Klimakrise nicht lösen, aber es ist ihre Verantwortung, die Zusammenhänge zwischen menschlichem Handeln und den Folgen für Mensch, Natur, Wirtschaft und unsere Lebensweise wissenschaftlich fundiert, verständlich und in angemessenem Umfang darzustellen”, so der ZDF-Meteorologe Özden Terli in einem jüngst erschienenen Leitfaden. Terli plädiert dafür, nicht nur über das aktuelle Wettergeschehen, sondern auch über die Zusammenhänge mit dem Klimawandel zu berichten. Darüber spricht er im Interview mit dem Deutschlandfunk.

3. Affenpocken, voll schwul ey
(uebermedien.de, Frederik von Castell)
In der Berichterstattung zum Affenpockenvirus kam es zu Stigmatisierungen von homosexuellen Männern, kritisiert Frederik von Castell in seinem Kommentar. Eine bedeutende Rolle spiele dabei “Medizinkorrespondent” Christoph Specht, der Auftritte bei RTL und im ZDF hatte. Von Castell erklärt die tatsächliche Faktenlage und zeigt, wie es zu den stigmatisierenden Beiträgen und Nachrichten kam.

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4. Wo bleibt ein #medienmetoo, Juliane Löffler?
(druckausgleich.podigee.io, Annkathrin Weis & Luca Schmitt-Walz, Audio: 56:16 Minuten)
“Wir brauchen eine Debatte über Sexismus innerhalb der Medienbranche. Denn während wir über andere, korrupte oder missbräuchliche Systeme berichten und Machenschaften aufdecken, scheinen wir ausgerechnet die eigene Branche nicht ausreichend zu beachten. Woran liegt es, dass wir als Branche noch immer nicht an dem Punkt sind, solche Missstände und Fehlverhalten untereinander anzusprechen?” Darüber diskutieren Annkathrin Weis und Luca Schmitt-Walz mit Juliane Löffler, die maßgeblich an der Recherche zu den Machtmissbrauchsvorwürfen gegen den damaligen “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt beteiligt war.

5. Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 209
(netzwerkrecherche.org, Annelie Naumann & Albrecht Ude)
Wie immer eine Empfehlung wert, nicht nur für Journalistinnen und Journalisten aus dem Investigativbereich: der Newsletter des Netzwerk Recherche (nr). Die neueste Ausgabe liefert neben ein paar Worten zur Causa Kliemann einen aktuellen Überblick über Nachrichten, Veranstaltungen, Seminare, Stipendien und Preise. Außerdem gibt es Informationen zur alljährlichen nr-Jahreskonferenz, die am 30. September und 1. Oktober dieses Jahres in Hamburg stattfindet. Im Pressespiegel gibt es zudem wertvolle Lesetipps zu ausgesuchten Themen.

6. Top Gun 2: So trickst dich das US-Militär aus
(youtube.com, Walulis Story, Video: 11:04 Minuten)
Es hat bereits Tradition, dass Kriegsfilme aus Hollywood vom US-Militär unterstützt werden. Der diese Woche anlaufende Film “Top Gun 2” bildet da keine Ausnahme. Das Walulis-Team erklärt mit satirischen Mitteln, warum es sich dabei um ein Geschäft handelt, das auf Gegenseitigkeit beruht.

Iran-Berichterstattung, Viel Wind um Eiffeltürme, Putins “Atomzug”

1. “Das ist eine Revolution”
(deutschlandfunk.de, Annika Schneider & Gilda Sahebi & Sebastian Wellendorf, Audio: 5:45 Minuten)
Die Journalistin Gilda Sahebi kritisiert die deutschen Medien für ihre Berichterstattung über die aktuellen Geschehnisse im Iran. Die Angriffe des iranischen Regimes auf Studierende seien einmalig. Es sei angemessen, bei den Protesten von einer “Revolution” zu sprechen. Man müsse sich dem, was im Iran passiere, so gut wie möglich annähern: “Sonst bleibt es im Dunkeln, was dort passiert.”
Weiterer Hörtipp: Bei “Übermedien” unterhält sich Holger Klein mit der ARD-Journalistin Natalie Amiri, die ähnlicher Ansicht wie Gilda Sahebi ist: “Es gab ja noch nicht einmal einen einzigen ‘Brennpunkt’, und die Menschen sind seit drei Wochen auf der Straße.” (uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 38:08 Minuten)

2. Fördert endlich Anti-Zensur-Tools!
(netzpolitik.org, Markus Beckedahl)
Angesichts der Ereignisse im Iran setzt sich Markus Beckedahl auf netzpolitik.org für den Ausbau und die Förderung von “Anti-Zensur-Tools” ein. Eine “menschenrechtszentrierte Außenpolitik” müsse diese Werkzeuge fördern, “indem bestimmte Open-Source-Werkzeuge in die Richtung weiterentwickelt werden, dass sie einfacher von vielen Menschen zu nutzen sind. Und Werkzeuge zur digitalen Selbstverteidigung nicht nur privilegierten und gebildeten Menschen zur Verfügung stehen, sondern möglichst allen, die sie in solchen Krisensituationen benötigen.”

3. Ein Zug voller Atompanik
(uebermedien.de, Gerald Hensel)
Seit Anfang der Woche schreiben einige deutsche Medien über Wladimir Putins “Atomzug”. Gerald Hensel ist der Sache nachgegangen und hat sich zuallererst die Frage gestellt, wovon genau die Rede ist: “Die Definition und die Einschätzung, was so ein ‘Atomzug’ ist und tut, variierten beträchtlich. Man raunte, spekulierte, vermutete – wie man das dieser Tage gerne macht.”

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4. In der @BILD wurde gestern behauptet …
(twitter.com, Bundesverband WindEnergie e.V.)
Der Bundesverband WindEnergie betätigt sich auf Twitter als Faktenchecker in eigener Sache: “In der @BILD wurde gestern behauptet, es gäbe nicht genug Stahl für die Windenergie. Wir bräuchten ‘5 Eiffeltürme jeden Tag’. Daran stimmt schlichtweg nichts.” Mittlerweile ist der von “Bild” ins Spiel gebrachte Präsident des Chemieverbands zurückgerudert und hat seine Angaben auf Twitter korrigiert: “Dass 4000 Tonnen Stahl für nur eine Windkraftanlage benötigt werden, ist falsch. Diesen Fehler bedauere ich sehr, weil ich damit meinen eigenen Anspruch an die Faktentreue nicht erfüllt habe.”

5. Aktuelle Nutzung leicht unter Coronajahr 2021
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
ARD und ZDF haben eine neue Studie zu den aktuellen Trends bei der Mediennutzung vorgestellt: die “ARD/ZDF-Massenkommunikation Trends 2022” (PDF). “Die Mediennutzungsdauer nimmt nur geringfügig ab und bleibt mit sieben Stunden täglich weiterhin hoch. Die meiste Zeit wird mit Bewegtbild verbracht, dahinter folgen Audio und Text. Die Reichweiten von Fernsehen und Radio liegen stabil an der Spitze. Digitale Ausspielwege gewinnen bei Audio und Video weiter an Bedeutung”, so eine Erkenntnis der Untersuchung.

6. Richterin setzt Elon Musk Frist für Twitter-Übernahme
(zeit.de)
Im Streit um die Twitter-Übernahme hat Tech-Milliardär Elon Musk eine erstaunliche Kehrtwende hingelegt. Nachdem er von seinem ursprünglichen Kaufangebot nichts mehr wissen wollte, will er den Deal nun anscheinend doch. Twitter sei jedoch skeptisch, was die Verbindlichkeit und Zuverlässigkeit Musks anbelangt. Eine Richterin sieht das anscheinend ähnlich und hat Musk für die Abwicklung der Übernahme eine vergleichsweise enge Frist gesetzt.

Kranke Debatte

Was braucht die “Bild”-Redaktion alles, um eine angeblich große, bedeutende “Debatte” zu konstruieren und Millionen von Menschen Sorgen um ihr Geld und ihre Gesundheit zu bereiten?

Sie braucht 1) einen Professor, der gern mit steilen Thesen zu allerlei sozialpolitischen Themen von Medien zitiert wird, und, ja, das wär’s dann eigentlich auch schon.

Am vergangenen Mittwoch schrieb Jan W. Schäfer, Politik-Ressortleiter bei “Bild” und Mitglied der Chefredaktion, über einen “brisanten Vorstoß”:

Ausriss Bild-Zeitung - Experte wagt brisanten Vorstoß - Patienten sollen beim Arzt bis zu 2000 Euro selbst zahlen

Es geht um die die gesetzliche Krankenversicherung. “Kassen-Patienten (und Arbeitgeber) überweisen vom Gehalt heute so viel wie nie an Krankenkassen. Im Schnitt 16,2 Prozent”, schreibt Schäfer:

Bis 2035 könnte der Beitrag sogar auf 22 Prozent hochschnellen, warnt Gesundheitsexperte Prof. Bernd Raffelhüschen (65, Uni Freiburg): “Wir können uns das System nicht mehr leisten.”

Raffelhüschen hat daher einen brisanten Reformplan entwickelt: Kassen-Patienten sollen künftig einen Teil der Arzt- und Klinikkosten aus eigener Tasche bezahlen. Das Ziel: die Kosten-Explosion dämpfen.

Konkret sollen gesetzlich Versicherte gestaffelt zunächst bis zu 50 Prozent ihrer Arztkosten (maximal 500 Euro), dann bis zu 20 Prozent der Kosten (maximal 500 Euro) selbst zahlen. Insgesamt maximal 1500 bis 2000 Euro im Jahr. Geringverdiener soll der Staat mit Zuschüssen unterstützen.

Zum “brisanten Plan gegen die Kosten-Explosion” zählen noch weitere Ideen Raffelhüschens: Raucher an möglichen Folgekosten extra beteiligen, höhere Selbstbeteiligung für Übergewichtige, die Behandlungskosten für einen Beinbruch beim Skifahren soll der Skifahrer komplett selbst tragen, 30 bis 40 Prozent der Kliniken sollen dicht gemacht werden.

Da hat also ein Professor eine mehr oder weniger grobe Bierdeckel-Rechnung aufgemacht. Neben Bernd Raffelhüschen kommt in dem Artikel niemand zu Wort. Aber einen Tag später, “Bild”-Titelseite:

Ausriss Bild-Titelseite - Debatte um höhere Selbstkosten für Kassenpatienten - Kann ich mir Kranksein bald nicht mehr leisten?

Raffelhüschen habe mit seinen Reform-Vorschlägen “in ein Wespennest gestochen!” Und es ist laut “Bild” auch nicht nur eine “Debatte”, sondern eine:

Ausriss Bild-Zeitung - Riesen-Debatte nach Experten-Forderung zur Selbstbeteiligung

Diese von “Bild” aufgestöberte “Riesen-Debatte” sieht so aus: Bernd Raffelhüschen sagt etwas, alle anderen sagen: “Nein”, Ende der Debatte. Ausnahmslos alle Personen, die neben Raffelhüschen in dem “Bild”-Artikel zitiert werden, halten dessen Vorschlag für gar keine gute Idee: CDU-Politiker Dennis Radtke nicht (“Es ist Konsens, dass jedem die bestmögliche medizinische Versorgung ermöglicht wird”), Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach nicht (“Für die große Mehrheit der Bevölkerung nicht” bezahlbar), Andreas Storm, Vorstandsvorsitzender der Krankenkasse DAK-Gesundheit, nicht (“Die Vorschläge sind unsolidarisch und völlig inakzeptabel”), CSU-Politikerin Emmi Zeulner nicht (“Ein solches Bestrafungssystem verschärft die soziale Ungleichheit”) und auch CDU-Politiker Peter Liese nicht (“Skifahren z. B. ist in der Regel gesünder als auf dem Sofa sitzen und Chips essen”). Nach diesem Schema lässt sich zu wirklich jedem Thema eine “Debatte” inszenieren: Man muss nur eine Person finden, die beispielsweise meint, Delfine sollten aufgrund ihres IQ berechtigt sein, bei der Bundestagswahl zu kandidieren, alle anderen sagen: “Auf gar keinen Fall!”, “Wespennest” und “Riesen-Debatte” drüberschreiben – fertig ist die nächste Seite 1.

Gewinner dieser Journalismus- und Debattensimulation sind Bernd Raffelhüschen, der Publicity bekam, und die “Bild”-Redaktion, die zwei Tage lang Zeilen und eine Titelseite füllen konnte. Verlierer sind all jene, die “Bild” glauben und sich auf dieser Grundlage um ihre gesundheitliche und finanzielle Zukunft sorgen.

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Echo-Kammern, Konjunktive, 1 Life

1. Wie sich eine Lüge trotz Dementi rasant verbreitet
(infosperber.ch, Urs P. Gasche)
Am Tag nach der amerikanischen Präsidentenwahl machte eine ungeheuerliche Meldung die Runde: Angeblich würden in Austin bezahlte Trump-Gegner für Proteste mit Bussen in die Innenstadt gekarrt. Urs P. Gasche beschreibt Entstehung und Verbreitung der Lügengeschichte: Vom Erst-Tweeter mit lediglich 40 Followern bis hin zum Tweet von Donald Trump höchstpersönlich. Das Erschreckende: Weder Dementi noch spätere Richtigstellung konnten die Verbreitung stoppen.

2. Ein Chefredakteur für Facebook? Auf keinen Fall!
(welt.de, Christian Meier)
Facebook hat dauerhafte Probleme mit dem Umgang mit Hasskommentaren und Falschnachrichten. Diese Woche forderte die Medienkolumnistin der “Washington Post”, Margaret Sullivan, das Netzwerk auf, einen mit Macht, Finanzmitteln und Personal ausgestatteten Chefredakteur anzuheuern.
“Welt”-Medienredakteur Christian Meier hält dies für den falschen Weg: “Was Facebook und alle seriösen Medien brauchen, ist kein Ober-Chefredakteur für die Plattform. Sondern eine intensive Arbeit an einem Netzwerk, das Presse- und Meinungsfreiheit als höchstes Gut behandelt, die redaktionelle Hoheit seiner Medienpartner achtet und dabei Desinformation und Ressentiments effektiv aussortiert.”

3. Justizberichterstattung: „Eine große Kiste Konjunktive“
(fachjournalist.de, Katharina Pencz)
Der langjährige Gerichtsreporter der “Berliner Morgenpost” Michael Mielke spricht im Interview über ethische Grundsätze, den Journalisten als Übersetzer und jede Menge Konjunktive: “Man muss wirklich bei allen Sachen, bei denen es Zweifel gibt, wo etwas nicht sicher ist, den Konjunktiv benutzen. Wenn der Angeklagte aber ein umfassendes Geständnis ablegt, dann schreibe ich nicht mehr “er soll das getan haben”, auch wenn es noch nicht vom Gericht festgelegt wurde. Wenn er es vor Gericht selbst sagt, dann schreibe ich auch, dass er die Tat begangen hat.”

4. Der Kampf gegen Fakenews – und die Ideen, die es bisher gibt
(blog.wdr.de, Dennis Horn)
Konzerne wie Facebook ziehen sich gerne auf den Standpunkt zurück, sie seien reine Infrastrukturanbieter und wollen die Verantwortung für Inhalte gerne auf die Nutzer abwälzen. Bei Hasskommentaren sollen die Nutzer zum Beispiel von der Gegenrede Gebrauch machen. Für Facebook ist diese Empfehlung mehr als praktisch: Sie spart Arbeit und sorgt für weiteren gewinnbringenden Traffic. Was Fake-News anbelangt, gibt es jedoch eine Vielzahl anderer Möglichkeiten. Dennis Horn liefert einen übersichtlichen Abriss der bisherigen Ideen.

5. Fuchs: Die AfD umgeht kritische Nachfragen
(ndr.de, Liane Koßmann, Audio, 5:32 Minuten)
“Lügenpresse”, “Systempresse”, “Pinocchiopresse”: Die AfD geht auf Distanz zu den etablierten Medien und setzt stattdessen auf eigene Verbreitungskanäle. Mit Erfolg: Auf Facebook hat sie mehr Fans als CDU und SPD zusammen. Der Politikberater Martin Fuchs analysiert auf “NDR Info” die Abkapselungsstrategie: “Auf Facebook und in sozialen Netzwerken gibt es das Phänomen der sogenannten Echo-Kammern. Das bedeutet, wenn man Menschen jeden Tag mit denselben Nachrichten bespielt, teilweise auch Fake-Nachrichten, dann glauben die das irgendwann.”

6. Wir haben den Satz “Was ist das für 1 Life?” mit Sprach-Experten untersucht
(vice.com, Lea Albring)
Lea Albring stellt ihrem sprachanalytischen und sprachkritischen Beitrag über die derzeit alles beherrschende Frage “Was ist das für 1 life?” eine Warnung voran: “Wenn euch wegen der 1fältigen Schreibweise schon jetzt das Kotzen kommt: Aussteigen. Dieser Text wird den Scheiß—all1ne schon aus metareflexiven Gründen—richtig hart durchexerzieren!!!!eins11”

Alfred Draxlers 84 Cent zu den “Zwangsgebühren”

Alfred Draxler hat eine Meinung. Immer wieder und zu vielen Themen. Diese Woche hat der “Sport Bild”-Chefredakteur eine Meinung zu “ARD”, “ZDF” und der Vergabe der Übertragungsrechte für Olympia. Bei sportbild.de fordert er:

In der gedruckten “Sport Bild” ist er etwas zurückhaltender:

Dass die Olympischen Winter- und Sommerspiele 2018 bis 2024 nicht, wie bisher, live bei den öffentlich-rechtlichen TV-Sendern zu sehen sein werden, sondern bei “Eurosport”, nutzt Draxler für eine Abrechnung mit “ARD”, “ZDF” und den “17,50-Euro-GEZ-Zwangsgebühren”:

Als Sport-Fan frage ich mich auf der anderen Seite aber mehr und mehr, warum man mir unverändert die 17,50-Euro-GEZ-Zwangsgebühr abverlangt.

Dass es die GEZ seit vier Jahren nicht mehr gibt — geschenkt.

Was Alfred Draxler seinen Lesern nicht verrät: Welcher Anteil des monatlichen Rundfunkbeitrags von 17,50 Euro überhaupt in die TV-Sportberichterstattung fließt. Nehmen wir als Beispiel die “ARD”, die mit 12,37 Euro den größeren Part dieser Summe bekommt. Davon gehen 8,41 Euro an die “ARD”-Landesrundfunkanstalten wie WDR und NDR, und 3,96 Euro an die “‘ARD’-Gemeinschaftsaufgaben”, zu denen auch “Das Erste” zählt. Bei den Landesrundfunkanstalten sind 14 Cent für Sport vorgesehen, beim “Ersten” 70 Cent. Insgesamt also 84 Cent pro Monat (PDF). Zusammen mit dem “ZDF”-Anteil dürfte die Sportberichterstattung jeden Gebührenzahler monatlich knapp einen Euro kosten. Wohlgemerkt: für Sport allgemein auf allen “ARD”-Sendern und im “ZDF”, nicht nur für die Olympischen Spiele im “Ersten” und “Zweiten””.

Das ist also der Grund, warum der “Sport Bild”-Chef gegen die “Zwangsgebühren” der Öffentlich-Rechtlichen wettert: ein Bruchteil von einem Euro pro Monat.

Das einzige inhaltliche Argument, das Draxler in seinem Kommentar zum seiner Meinung nach zu hohen Rundfunkbeitrag bringt:

Schon immer ärgere ich mich zum Beispiel darüber, dass ARD und ZDF bei Olympischen Spielen beide in Mannschaftsstärke angerückt sind und sich täglich mit der Berichterstattung abwechselten. Ein Tag Arbeit, ein Tag frei! Das nenne ich Gebühren-Verschwendung!

Nun kann man es sicher kritisch sehen, dass zwei Sender zweimal den gleichen großen Aufwand betreiben, um über dieselbe Sportveranstaltung zu berichten. Mit “Ein Tag Arbeit, ein Tag frei!” liegt Intensiv-Rechercheur Alfred Draxler aber schlicht daneben. Wenn beispielsweise “Das Erste” in diesem Sommer Olympia aus Rio im TV übertragen hat, hat das “ZDF” im Internet viele kommentierte Livestreams angeboten — und umgekehrt:

Was kümmern einen schon Fakten, wenn man eine richtig starke Meinung hat?

Nachtrag, 7. Dezember: In der aktuellen “Sport Bild”-Ausgabe hat sich Alfred Draxler für seinen Irrtum entschuldigt:

Satire-Sprachrohr, Vergoldete Kamera, Kimperator-Notizen

1. Erdogan bezeichnet Deniz Yücel als Terror-Helfer
(faz.net)
Die jüngsten Äußerungen des türkischen Präsidenten Erdogan über den inhaftierten “Welt”-Journalist Deniz Yücel lassen Schlimmes befürchten. Jedenfalls ist die Hoffnung auf eine baldige Freilassung Yücels erstmal in weite Ferne gerückt. Yücel sei ein Terror-Helfer und werde vor Gericht gestellt: „Gott sei Dank ist er festgenommen worden.“

2. Entschieden für die Kekse
(taz.de, Morgane Llanque)
Seit 2015 moderiert Trevor Noah die amerikanische “Daily Show”, eine erfolgreiche Satiresendung. Anlässlich des Erscheinens von Noahs Biographie erklärt “taz”-Autorin Morgane Llanque, warum die Sendung auch als eine Art Sprachrohr der Linken betrachtet werden kann: “Das Format ist das Vorbild der „heute-show“, doch die deutschen Komiker wie Oliver Welke oder auch Jan Böhmermann sind gegen die US-amerikanische Politsatire bloß leicht verdauliche Kopien. Die Originale sind nicht nur wesentlich scharfzüngiger und investigativer, sie beeinflussen auch in viel größerem Maße die politische Meinung der US-amerikanischen Linken. Fast mehr als die nicht satirischen Medien, sagen kritische Stimmen. Bei einer Befragung im Jahr 2010 gaben immerhin 10 Prozent der „Daily Show“-Zuschauer an, sie sähen die Sendung wegen der Nachrichten.”

3. Wenn das öffentliche Interesse schwerer wiegt
(faz.net, Reiner Burger)
Staatliche oder kommunale (bzw. teilstaatliche/teilkommunale) Unternehmen lassen Journalisten bei Rechercheanfragen gerne mal abblitzen und verweigern die Antwort. Damit ist nun Schluss wie der BGH in der Causa “Gelsenwasser” befand: „Dem vom Kläger verfolgten Informationsinteresse kommt ein größeres Gewicht als dem Interesse der Beklagten und der betroffenen Dienstleistungsunternehmen an der Geheimhaltung der Vertragskonditionen zu. Im Hinblick auf die sachgerechte Verwendung öffentlicher Mittel und die politischen Aktivitäten eines kommunal beherrschten Unternehmens besteht ein gewichtiges öffentliches Informationsinteresse.”

4. „Goldene Kamera“ ist Hamburg und dem ZDF einen Preis wert
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Nach der letzten Übertragung der Fremdschäm- und Peinlichkeitsgala “Die Goldene Kamera” (samt Ryan-Gosling-Prank) haben Sie gedacht, es könne nicht schlimmer werden? Dann lesen Sie, was Boris Rosenkranz herausgefunden hat: Die veranstaltende Funke-Mediengruppe kassiert von der Stadt Hamburg je ausgestrahlter Werbe-Revue 150.000 Euro, entnommen aus den Mitteln der Kulturtaxe.

5. Speed Watching ist das neue Binge Watching
(sueddeutsche.de, Julian Dörr)
Fernsehserien können regelrecht süchtig machen und so konsumieren manche Fans ihre Lieblingsserien per Bingewatching und schlingen ihre Serie gleich staffelweise herunter. Nun sollen sich Hardcore-Seriengucker in den USA auf “Speedwatching” verlegt haben und spielen die Videos zum Beispiel in der 1,25-fachen Geschwindigkeit ab. Julian Dörr merkt dazu kritisch an: “Serienschauen stand einmal für Entschleunigung, für die Verlangsamung des Alltags. Wider das neoliberale Effizienzdenken. Für die Ausschweifung und das Laissez-faire. Verschwende deine Zeit. Wer ewig lange Serien schaut, der ist nicht produktiv. Steckte in der Völlerei des “Binge Watching” noch der rebellische Akt der Maß-, Ziel- und Regellosigkeit, ist der “Speed Watcher” nichts anderes als ein systemkonformer Selbstoptimierer.”

6. Why is Kim Jong-un always surrounded by people taking notes?
(bbc.com, englisch)
Die nordkoreanische Nachrichtenagentur “KCNA” hat Dutzende von Fotos von Diktator Kim Jong-un an den unterschiedlichsten Orten herausgegeben, die allesamt etwas gemeinsam haben: Der Kimperator ist umgeben von Offiziellen und Generälen, die eifrig in ihre (identischen) Notizbücher schreiben. Wieso, weshalb, warum?

“… sieht die Redaktion keinen Anlass für weitere Berichterstattung”

Was viele ja nicht wissen: Die “Bild”-Medien wollen mit ihrer realistischen Skandal-Berichterstattung eigentlich nur aufrütteln, im besten Fall jene, um die es darin geht. Zum Beispiel Jan Ullrich. “Bild”, “Bild am Sonntag” und Bild.de haben Artikel um Artikel über den früheren Rad-Profi rausgehauen, allein bei Bild.de waren es 43 Beiträge in 17 Tagen. Ist der oder die Betroffene durch die ganzen Details aus seinem oder ihrem Privatleben, die “Bild”-Mitarbeiter genüsslich der Öffentlichkeit präsentieren, dann endlich aufgerüttelt, macht die Redaktion auch direkt Schluss.

In etwa so verteidigte “Bild”-Ombudsmann Ernst Elitz am 20. August jedenfalls die vielen, vielen Artikel über Jan Ullrich:

BILD berichtete am Beispiel von Jan Ullrich über die Hölle, die ein Drogensüchtiger durchläuft, bis er sich zum Entzug entscheidet. Leser Bennop Jonas fand diese Berichterstattung “untragbar”.

Aber sie war höchst realistisch und rüttelte auf. Nachdem der Ex-Profisportler sich für den Entzug entschieden hat, sieht die Redaktion keinen Anlass für weitere Berichterstattung.

So schaut es in der Praxis aus, wenn eine “Redaktion keinen Anlass für weitere Berichterstattung” sieht:

Screenshot Bild.de - Bild-Besuch in der Betty-Ford-Klinik - So geht es Ullrich im Drogenentzug - Ich werde täglich auf Substanzen getestet
(Bild.de am 23. August)
Screenshot Bild.de - Seit der Ex-Radstar in Drogen-Therapie ist - Drei Einbrüche in Ullrichs Villa!
(Bild.de am 24. August)
Screenshot Bild.de - Monate nach der Trennung - Ullrich trägt noch immer seinen Ehering - seine Frau Sara nicht mehr
(Bild.de am 25. August)
Screenshot Bild.de - Ullrich über sein Liebes-Leben in der Klinik - Ich brauche halt Sex
(Bild.de am 29. August)
Screenshot Bild.de - Entzug vorbei - Ullrich zurück auf Mallorca
(Bild.de am 2. September)

Entweder verarschen die “Bild”-Mitarbeiter den viel zu leichtgläubigen “Bild”-Ombudsmann bei seinen Nachfragen zur “Bild”-Berichterstattung. Oder der “Bild”-Ombudsmann verarscht die Leserinnen und Leser, die ihm schreiben, weil er eigentlich weiß, dass es Unsinn ist, was er ihnen antwortet. Schwer zu sagen, was trauriger wäre.

Von den fünf Bild.de-Artikeln über Jan Ullrich, die erschienen sind, seit bei Bild.de eigentlich keine Artikel mehr über Jan Ullrich erscheinen, kann man drei nur mit einem “Bild plus”-Abo lesen. Von den 43 Artikeln über Ullrich, die Bild.de zuvor veröffentlicht hat, befinden sich 22 hinter der Bezahlschranke. Dass es bei der Ullrich-Dauerberichterstattung auch ums Geldmachen mit dem tragischen Absturz einer Person geht, die dringend Hilfe braucht — das wäre mal ein Thema für einen Ombudsmann.

Dazu auch:

RWE und die Meinungsfreiheit, Phantom-Telefonat, Düstere Honorare

1. RWE fordert 50.000 Euro für Aufruf per Tweet
(deutschlandfunk.de, Henning Hübert)
Der Energieversorgungskonzern RWE verlangt vom 24-jährigen Pressesprecher des Aktionsbündnisses “Ende Gelände” die stolze Summe von 50.000 Euro. Der Sprecher habe auf Twitter und bei einer Veranstaltung zu “massenhaft zivilem Ungehorsam” aufgerufen. Der WDR-Journalist Jürgen Döschner sieht in der Forderung einen massiven Eingriff in die Meinungsfreiheit: “Man muss das ja nicht nur auf Pressesprecher beschränken. Ich bin öfter in der Gegend und berichte über Aktionen — wenn ich dann dort aufgegriffen werde, vielleicht von RWE auch eine solche Unterlassungserklärung zugeschickt bekomme, und dann äußere ich mich in einem Kommentar, wie ich das 2015 gemacht habe, mit Verständnis für Aktionen wie zum Beispiel eine Tagebaus — schon hätte ich potenziell auch eine Erklärung auf dem Tisch, eine solche Androhung von 50.000 Euro Strafe.”

2. Hanseat von Stil
(sueddeutsche.de, Hans Hoff)
Der ehemalige “Tagesschau”-Sprecher Wilhelm Wieben ist gestern im Alter von 84 Jahren gestorben. Hans Hoff erinnert in seinem Nachruf an die Fernsehlegende.

3. Das Telefonat, das nie geführt wurde
(wienerzeitung.at, Heinz Fischer)
Als der ehemalige österreichische Bundespräsident Heinz Fischer im Rahmen der Regierungskrise gefragt wurde, ob er bereit wäre, vorübergehend das Amt des Bundeskanzlers zu übernehmen, verneinte er unter Hinweis auf sein Alter. Trotzdem machten einige Medien (unter anderem der “Spiegel”) mit der Behauptung auf, er würde sich um das Amt bemühen und verwiesen auf Telefonate und SMS-Nachrichten, die es laut Fischer jedoch nie gab. Seinen Gastbeitrag mit der Schilderung der Vorgänge will Fischer auch an den Presserat schicken. Ohne sich all zu viel davon zu versprechen: “Er wird voraussichtlich nichts tun, aber sich vielleicht wenigstens wundern, was in Qualitätsmedien alles möglich ist.”

4. Freischreiber-Report 2019: Wer verdient was?
(wasjournalistenverdienen.de, Katharina Jakob & Michel Penke)
Der Berufsverband Freischreiber hat bei freien Journalistinnen und Journalisten rumgefragt, wie hoch ihr Honorar bei verschiedenen Medien ist. Herausgekommen sind der Honorarreport 2019 und die Erkenntnis, dass “das gemittelte Zeichenhonorar aller Medien” derzeit “bei 40 Euro pro 1000 Zeichen” liege. Ein Fazit der Freischreiber: “Guter Journalismus sollte überall ähnlich viel wert sein. Ist er aber nicht. Und es ist vielerorts ziemlich düster.”

5. Jetzt ist Schluss!
(spiegel.de, Jan Fleischhauer)
“Spiegel”-Kolumnist Jan Fleischhauer verabschiedet sich mit seiner letzten Kolumne bei den “Spiegel”-Lesern. Auf stolze 438 Kolumnen hat er es insgesamt gebracht. “Haben mich alle im SPIEGEL geliebt? Ganz sicher nicht, aber darauf kommt es auch nicht an. Meine Chefs haben alles gedruckt, was ich am Kolumnentag an sie geliefert habe, selbst wenn ich damit quer zur Mehrheit der Redaktion lag. Mehr kann man als Journalist nicht erwarten.” Ab August wird man Fleischhauer beim “Focus” lesen können: “Solange sich Zweidrittel der in Deutschland tätigen Journalisten politisch links der Mitte verorten, bleibt für jemanden wie mich genug zu tun.”

6. 10 Tipps, wie du deine Podcast-Reichweite noch heute verbessern kannst
(podigee.com, Mati Sojka)
Als Podcast-Hoster kennt sich Mati Sojka von Podigee naturgemäß gut mit den technischen Aspekten von Podcasts aus. In seinem Beitrag verrät er Podcast-Anbietern zehn bewährte Methoden zur Reichweitensteigerung.

Mysteriöser AfD-“Wahlhelfer“, Filterblasen, Netflix-Blasphemie?

1. “Radikalisierung ist nicht erst durch das Internet entstanden”
(zeit.de, Lisa Hegemann)
Kommunikationswissenschaftlerin Merja Mahrt forscht seit Jahren zu Filterblasen und Echokammern. Im Interview mit “Zeit Online” erklärt sie unter anderem, wie Empfehlungsalgorithmen zur Entstehung von Filterblasen beitragen: “Schauen Sie sich ein Video auf YouTube an, schlägt Ihnen das Portal vor, was Sie sich als Nächstes anschauen könnten, oder startet vielleicht sogar automatisch den nächsten Clip. Solche Empfehlungsalgorithmen sind in der Regel darauf trainiert, mehr vom Gleichen zu zeigen — sie sind nicht darauf programmiert, einen breiten Überblick zu geben. Dadurch bestätigen auch sie uns möglicherweise in unseren Meinungen.”

2. Wer hinter dem “Wahlhelfer” in Thüringen steckt: Der Mr. X der “freien” Medien
(correctiv.org, Till Eckert & Marcus Bensmann & Ulrich Stoll)
T-online.de berichtete jüngst über eine AfD-nahe und äußerst dubiose Wahlkampfzeitschrift in Thüringen, bei der es sich um verdeckte Parteienfinanzierung beziehungsweise Wahlkampffinanzierung handeln könnte. “Correctiv” und “Frontal21” haben den Fall weiterverfolgt und sich auf die Suche nach dem im Impressum angegebenen Herausgeber “Hanno Vollenweider” gemacht. Keine einfache Aufgabe, denn “selbst gegenüber seinen Vertrauten soll der Mann nicht seinen tatsächlichen Namen preisgeben. In der an Irrungen und Wirrungen inzwischen reichen Spendenaffäre der AfD dürfte das ein Novum sein. ”

3. Nikolaus Blome verlässt “Bild”
(taz.de, Steffen Grimberg)
Die “taz” beschäftigt sich mit dem Ausscheiden des stellvertretenden Chefredakteurs Nikolaus Blome bei “Bild”. Ein Rückzug aus “persönlichen Gründen”, bei dem viele über die wahren Hintergründe spekulieren würden. Eine kleine Spitze hat die “taz” in der Bildzeile versteckt, in der es heißt: “Nicht gerade die intellektuelle Spitze des deutschen Politjournalismus: Nikolaus Blome”.

4. Sind Serien über Gott, Teufel und Paradies Blasphemie?
(evangelisch.de, Till Frommann)
Auf der Suche nach neuen Filmstoffen und frischem Serienmaterial kommen Streaminganbieter wie Netflix und Amazon auch auf Geschichten mit im weitesten Sinn religiöser Thematik. Sind solche Serien blasphemisch? Tragen sie gar zur Trivialisierung des christlichen Glaubens und der Bibel bei? Till Frommann hat sich mit Pfarrer Sascha Heiligenthal über Gott, die Welt und Popkultur unterhalten.

5. Freie Journalisten beklagen erschwerte Recherche
(deutschlandfunk.de, Annika Schneider, Audio: 5:13 Minuten)
Vor einigen Wochen hat sich der Journalist Christian Gesellmann bei Facebook die Wut über das prekäre Leben als freier Journalist von der Seele geschrieben: “Wenn vom Zustand der Pressefreiheit in Deutschland die Rede ist, dann geht es meist um Bedrohung von Journalisten durch Neonazis oder Diskriminierung durch Behörden. Das gibt es alles, und es ist ein Problem. Aber was das viel größere, viel mehr Autoren und andere freie Berufe betreffende Problem ist: unanständig niedrige Honorare und die Arschloch-Zahlungsmoral unserer Auftraggeber.” Der Deutschlandfunk hat die Thematik aufgegriffen und lässt Fachleute wie die Journalistikprofessorin Wiebke Möhring sowie Carola Dorner von der Gewerkschaft Freischreiber zu Wort kommen.

6. Das Märchen vom royalen Märchen
(spiegel.de, Patricia Dreyer)
Als Meghan Markle sich in den britischen Prinz Harry verliebte, sei sie von ihren Freunden gewarnt worden: “Als ich meinen Mann kennenlernte, waren meine Freunde wirklich happy für mich, weil ich so glücklich war. Aber meine britischen Freunde sagten: ‘Er ist bestimmt ganz toll — aber du solltest ihn nicht heiraten, die Boulevardpresse wird dein Leben zerstören.'” Patricia Dreyer beschreibt bei “Spiegel Online”, welchem medialen Psychoterror und welchen Angriffen durch die Boulevardpresse das royale Paar ausgesetzt ist.

“Bild” kürzt “Bild”-Kritik

Mit einem einzigen Tweet versetzt er Fans und TV-Zuschauer in Sorge.

schreibt Bild.de über den TV-Moderator Walter Freiwald. Auf der Startseite steht:

Screenshot Bild.de - Fans in Sorge um TV-Moderator Walter Freiwald - Der Krebs wird mich töten

Bei Twitter hat Freiwald seine Followerinnen und Follower über seine Krebserkrankung informiert. Er sagt, er werde die Krankheit nicht überleben. Die “Bild”-Redaktion zitiert den Tweet dann auch wörtlich im Artikel:

Auf Twitter postete der RTL-Moderator Walter Freiwald (65) am Mittwochabend: “Bevor irgendwelche Unwahrheiten über meine Person verbreitet werden, will ich selbst mitteilen, dass ich unheilbar krank geworden bin und diese Krankheit nicht überleben werde.”

Und weiter: “Der Krebs ist ein Arschloch und wird mich töten. Ich liebe meine Frau und meine Kinder.”

Allerdings fehlt da was — Freiwalds Tweet ist noch ein bisschen länger. Und es kann kein Zufall sein, dass sie bei Bild.de genau die Stelle rausgelassen haben, in der Freiwald klar sagt, von wem er mögliche “Unwahrheiten über meine Person” erwartet:

Screenshot eines Tweets von Walter Freiwald - Bevor die Bild oder RTL irgendwelche Unwahrheiten über meine Person verbreitet, will ich selbst mitteilen, dass ich unheilbar krank geworden bin und diese Krankheit nicht überleben werde. Der Krebs ist ein Arschloch und wird mich töten. Ich liebe meine Frau und meine Kinder.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Nachtrag, 21:18 Uhr: Die Redaktion hat ihren Artikel inzwischen überarbeitet und die Stelle mit dem Zitat von Walter Freiwald geändert. Sie lautet nun:

Auf Twitter postete der RTL-Moderator Walter Freiwald (65) am Mittwochabend, dass er selbst mitteilen wolle: “… dass ich unheilbar krank geworden bin und diese Krankheit nicht überleben werde.”

Die eventuellen “Unwahrheiten” sind nun kein Thema mehr. Und die Leserinnen und Leser von Bild.de erfahren auch nicht, dass der Artikel mal anders aussah: Einen Hinweis auf die Änderung gibt es nicht.

Antifa-Rechercheplattformen, Corona-Empathie, Schnuckelchen

1. Vorsicht vor “antifaschistischen Rechercheplattformen”!
(welt.de, Ricarda Breyton)
Die “Welt”-Politikredakteurin Ricarda Breyton warnt vor “antifaschistischen Rechercheplattformen”: “Im Internet kursierten zuletzt fragwürdige Meldungen über den inzwischen zurückgetretenen Sprecher der Werte-Union sowie den Ostbeauftragten der Regierung. Die wurden in die Nähe von Rechtsradikalen gerückt. Diese Art der Gerüchteverbreitung muss verhindert werden.”
Auf Twitter antwortet der AfD- und Faschismus-Experte Andreas Kemper: “Ausgerechnet die WELT warnt vor antifaschistische Rechercheplattformen? Für die WELT war von 2012 bis 2015 G. Lachmann als Chefreporter in Sachen #AfD zuständig. Seit seinem Rauswurf ist er Medienberater für Höcke. Sie nahm Don Alphonso auf, als die FAZ ihn nicht mehr wollte.” Der Journalist Henrik Merker schreibt: “Antifaschistische Rechercheplattformen liefern Material von Neonazi-Versammlungen, zu denen sich manche @welt-Leute nicht auf 10km rantrauen würden. (…) Dass Journalisten das Material prüfen müssen, bevor sie drüber schreiben, sollte klar sein.” Und ergänzt in einem weiteren Tweet: “Und ne, als potentielle Quelle darf man als Journalist antifaschistische Rechercheplattformen niemals ausschließen, wie das in der @welt gefordert wird. Vielmehr sollte man häufiger mal dort nachschauen, um rechtsextreme Netzwerke frühzeitig erkennen und publik machen zu können.”

2. Trusted Brands: Kündigen Sie das Abo von Steingarts “Morning Briefing” – so wird Ihr Newsletterkonsum klimaneutral
(meedia.de, Mike Kleiß)
Gabor Steingart hat in seinem Newsletter “Morning Briefing” vor wenigen Tagen dazu aufgefordert, diverse Zeitungen und Magazine zu kündigen. Mike Kleiß kommentiert ironisch: “Gut, dass der ‘Spiegel’ darauf bisher nicht eingeht, nicht zurückschießt. Etwa mit einem Cover auf dem Steingart als Kapitän zu sehen ist. An Deck der Pioneer One. Mit der Zeile: ‘Kündigen Sie einfach das Abo von Steingarts ‘Morning Briefing’ — So wird wenigstens Ihr Newsletterkonsum klimaneutral.'”

3. Influ­encer sollen über Pro­dukte “infor­mieren” dürfen
(lto.de, Annelie Kaufmann)
Das Bundesjustizministerium hat einen Vorschlag zur Kennzeichnung von Social-Media-Posts erarbeitet. Demnach müssen Äußerungen auf Sozialen Medien nicht als Werbung gekennzeichnet werden, “wenn sie ohne Gegenleistung erfolgen und vorrangig der Information und Meinungsbildung dienen”. Ein möglicher Gesetzentwurf müsse jedoch eng mit der Europäischen Kommission abgestimmt werden.

4. Die 1,4 Milliarden-Dollar-Wette inmitten der Streaming Wars: Wie viel Potenzial hat Quibi?
(omr.com, Tobi Bauckhage & Jon Hanschin)
Mehr als eine Milliarde Dollar lassen sich zwei amerikanische Unternehmer angeblich den neuen Streamingdienst Quibi kosten. Auf dem zahlungspflichtigen Kanal soll es Kurzvideos (“Quick Bites”) mit einer Länge von maximal zehn Minuten geben. Zielgruppe: Handynutzer und -nutzerinnen. Tobi Bauckhage und Jon Hanschin erklären, was es mit dem Kurzfilm-Netflix auf sich hat.

5. Wo bleibt die Empathie?
(taz.de, Fabian Kretschmer)
Die europäische Berichterstattung über das Coronavirus mache viele Chinesen und Chinesinnen wütend, so der China-Korrespondent Fabian Kretschmer. Der Mangel an Empathie gegenüber der Bevölkerung sei erschreckend. Zumal die derzeitige Situation mit einer Quarantäne für rund 60 Millionen Menschen bislang einmalig und Schuldzuweisungen unangebracht seien.

6. Schnuckeliger Vater von Sportschau-Moderatorin trainiert Schalke.
(twitter.com, Günter Klein)
Der Chefreporter Sport des “Münchner Merkur” antwortet auf eine “Focus Online”-Schlagzeile …

Fotoscheue “Querdenker”, Kirsten Boies VDS-Absage, Durchgestochen

1. Polizei soll Presse unterstützen
(deutschlandfunk.de, Annika Schneider & Sascha Borowski, Audio: 5:55 Minuten)
Bei den “Querdenker”-Demos wollen viele Teilnehmende nicht gefilmt oder fotografiert werden. Da wird gepöbelt, geschubst, gespuckt und geschlagen. Das Recht ist jedoch auf Seiten der Medien: Bilder von Demonstrationen dürfen auch ohne Einwilligung der Betroffenen veröffentlicht werden, solang es um die Darstellung des Geschehens geht und die Aufnahmen nicht aus dem Kontext gerissen werden. Medienverbände fordern von der Polizei, die Pressefreiheit entschiedener durchzusetzen. Der Deutsche Presserat hat dazu einen Entwurf mit Verhaltensgrundsätzen für Medien und Polizei (PDF) veröffentlicht – “zur Vermeidung von Behinderungen bei der Durchführung polizeilicher Aufgaben und der freien Ausübung der Berichterstattung”.

2. Warum werden so viele Interna aus den Corona-Runden publik?
(uebermedien.de, Jürn Kruse)
Immer wieder beraten die Kanzlerin und die 16 Ministerpräsidentinnen und -präsidenten der Länder über die Anpassung der Corona-Maßnahmen. Und immer wieder dringen vertrauliche Zwischenstände aus den Beratungen an die Öffentlichkeit. Florian Gathmann ist Korrespondent im “Spiegel”-Hauptstadtbüro und kennt das Geschäft mit den durchgestochenen Informationen: “Wenn Akteure im politischen Raum nicht ohne Hirn agieren – und davon sollte man immer ausgehen -, dann ist mit dem Durchstechen von Informationen grundsätzlich ein Interesse verbunden.” Auffällig oft würden die “Bild”-Medien Zugang zu Infos über den Fortschritt der Verhandlungen haben und die Zwischenstände über ihre Kanäle verbreiten.

3. “Barack Obama Book”: Mit simplem SEO und Fake Reviews zu Tausenden von Amazon-Buch-Sales
(omr.com, Roland Eisenbrand)
Der erste Teil der Autobiografie von Barack Obama dürfte sich zum weltweiten Bestseller entwickeln. Allein die Startauflage in den USA beträgt drei Millionen Exemplare. Entsprechend hoch ist die Medienaufmerksamkeit, was wiederum die Verkäufe fördert … Ein dubioser Verlag hat sich an den Erfolg des Originals angehängt und, vermutlich auf Verwechslung spekulierend, eine inoffizielle Biografie auf den Markt gebracht, die gerade mal 61 Seiten lang ist. Dabei hat der Schmu-Publisher wahrscheinlich allerlei Suchmaschinentricks und gefälschte Bewertungen verwendet, wie Roland Eisenbrand erklärt.

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4. Grundbuchamt nennt Kaufpreis für Spahns Millionen-Villa in Berlin-Dahlem
(tagesspiegel.de, Jost Müller-Neuhof)
Das Berliner Amtsgericht Schöneberg hat dem “Tagesspiegel” Informationen über den Erwerb einer Villa durch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und dessen Ehemann zukommen lassen und dabei auch den Preis der Immobilie genannt. Dennoch wehrt sich Spahn mit Unterlassungsklagen gegen die Nennung des Preises in Medien. Für Jost Müller-Neuhof kommen dafür verschiedene Gründe in Betracht.

5. Urheberrechtsreform: Künstler laufen Sturm gegen freie Inhalte-Schnipsel
(heise.de, Stefan Krempl)
Der Entwurf des Bundesjustizministeriums zur Urheberrechtsreform führt zu einem klassischen Konflikt verschiedener Interessen: Auf der einen Seite eine Allianz von Künstlerinnen und Künstlern, die sich per Brief gegen die geplante Bagatellausnahme für nicht-kommerzielle Nutzungen wehren. Auf der anderen Seite Youtuber, Social-Media-Größen und Verbraucherschützer, die gegen Uploadfilter zu Felde ziehen.

6. Kirsten Boie lehnt Preis des Vereins Deutsche Sprache ab
(zeit.de)
Kirsten Boie ist eine herausragende Autorin von Kinder- und Jugendliteratur. Sie hat rund 100 Bücher veröffentlicht, von denen viele in diverse Sprachen übersetzt wurden. Nun wollte der Hamburger Landesverband des Vereins Deutsche Sprache (VDS) sie mit einem Preis auszeichnen, doch Boie lehnte ab. Sie störe sich an den rechtspopulistischen Äußerungen des VDS-Bundesvorsitzenden Walter Krämer. In ihrer Absage heißt es weiter: “Aber mehr noch als die verkürzte und realitätsfremde Vorstellung von Sprache, die sich in vielen Äußerungen zeigt, erschreckt mich, wie genau sie sich ausgerechnet in einer Zeit, in der wir mit Sorge einen Rechtsruck in Teilen der Bevölkerung beobachten müssen, in deren Argumentationsgänge einfügt”.

Wie die Blackout-Gefahr einmal durch den Springer-Kosmos gereicht wird

Bis vergangenen Mittwoch, also bis die “Bild”-Redaktion sich einschaltete, war es eine Geschichte von einem Behördenchef, der merkwürdig unsachkundige Dinge sagt, und den “Welt”-Medien, die daraus klick- und verkaufsträchtige Überschriften basteln. Dann kam eben “Bild” dazu und verdrehte das Ganze zu einem möglichen Polit-Vertuschungsskandal.

Angefangen hat es alles mit einem Interview in der “Welt am Sonntag”. Auf die Frage “Rechnen Sie angesichts der Energieknappheit mit Blackouts?” antwortete Ralph Tiesler, Präsident des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK):

Wir müssen davon ausgehen, dass es im Winter Blackouts geben wird. Damit meine ich eine regional und zeitlich begrenzte Unterbrechung der Stromversorgung. Wobei die Ursache nicht nur Energieknappheit sein wird, sondern auch das gezielte, zeitweise Abschalten der Netze durch die Betreiber, mit dem Ziel, die Netze zu schützen und die Gesamtversorgung nicht zu gefährden.

Das Risiko dafür steigt ab Januar und Februar, sodass wir davon ausgehen, dass es von da an stellenweise für eine gewisse Zeit zu Unterbrechungen der Stromversorgung kommt.

Das ist eine bemerkenswerte Aussage, weil sie a) vom “obersten Katastrophenschützer” des Landes kommt und b) dessen Verständnis von einem Blackout ziemlich genau das Gegenteil der Blackout-Definition einer anderen Bundesoberbehörde, der Bundesnetzagentur, darstellt. Die Bundesnetzagentur, die für die Energieinfrastruktur in Deutschland zuständig ist, versteht unter einem Blackout:

ein unkontrolliertes und unvorhergesehenes Versagen von Netzelementen. Das führt dazu, dass größere Teile des europäischen Verbundnetzes oder das gesamte Netz ausfallen (sogenannter Schwarzfall). Ein solches Ereignis könnte beispielsweise auftreten, wenn in einer angespannten Last- und Erzeugungssituation zusätzlich schwere Fehler an neuralgischen Stellen des Übertragungsnetzes auftreten. Ein Blackout ist also grundsätzlich kein durch eine Unterversorgung mit Energie ausgelöstes Ereignis, sondern bedingt durch Störungen im Netzbetrieb.

Das, was Ralph Tiesler im “WamS”-Interview beschreibt – ein regional und zeitlich begrenztes, mitunter gezieltes Abschalten der Netze, um diese zu schützen -, klingt hingegen nach einem Brownout. Auch dafür hat die Bundesnetzagentur eine Definition:

Demgegenüber steht der sogenannte (kontrollierte) Brownout. Dieser kann notwendig werden, wenn im Vergleich zur nachgefragten Menge zu wenig Strom produziert werden kann, z.B. aufgrund eines Brennstoffmangels für Kraftwerke oder einer allgemein zu geringen Erzeugung, beispielsweise auch durch Nichtverfügbarkeiten von Erzeugungsanlagen. In diesem Fall ist es notwendig, die Nachfrage soweit zu reduzieren, dass das Angebot die Nachfrage wieder vollständig decken kann. Nur so kann die Versorgung mit Strom weiterhin stabil und zuverlässig gewährleistet werden.

Tiesler scheint das eigentlich auch zu wissen. Gleich eine Antwort später sagt er:

Wie gesagt, wir rechnen eher mit kurzfristigen, sogenannten Brownouts als mit lang anhaltenden, großflächigen Blackouts. Gute Vorbereitung ist aber auch dafür wichtig.

Er liefert also im gleichen Interview die Auflösung zur Verwirrung, die er eine Antwort zuvor selbst gestiftet hat.

Wie kann eine Redaktion mit diesem Durcheinander nun umgehen? Sie könnte im Interview schon nach der ersten Antwort widersprechen und sowas sagen wie: “Moment, Herr Tiesler, Sie meinen doch gar keinen Blackout, sondern einen Brownout, oder?” Oder sie erklärt der Leserschaft nachträglich in einem Zusatztext, dass Tieslers Aussage “Wir müssen davon ausgehen, dass es im Winter Blackouts geben wird” mit der darauffolgenden “Damit-meine-ich”-Definition nicht zusammenpasst. Oder sie macht es so, wie die “Welt”-Medien es machen, isoliert und überbetont Tieslers Warnung vor einem eher unwahrscheinlichen Blackout und steigert damit bei einer ohnehin schon verunsicherten Bevölkerung die Verunsicherung:

Ausriss Welt am Sonntag - Katastrophenschutz erwartet Strom-Blackouts im Winter
Screenshot Welt.de - Oberster Katastrophenschützer - Müssen davon ausgehen, dass es im Winter Blackouts geben wird

Mit der ersten Schlagzeile auf der Titelseite lag die “Welt am Sonntag” in ganz Deutschland an Kiosken, Tankstellen und in Bäckereien. Die zweite Schlagzeile schaffte es auf die Welt.de-Startseite. Die große Blackout-Winter-Warnung konnte also von vielen gesehen werden, das dazugehörige Interview mit all den Brownout-Einschränkungen in Ralph Tieslers Antworten konnte hingegen nur jener Bruchteil mit einem “Welt-plus”-Abo lesen.

Bereits an dem Sonntag schaltete sich auch Tieslers Behörde ein. Bei Twitter erklärte sie in einer “Klarstellung des BBK”:

Ein großflächiger Stromausfall in Deutschland ist äußerst unwahrscheinlich. Das elektrische Energieversorgungssystem ist mehrfach redundant ausgelegt und verfügt über zahlreiche Sicherungsmechanismen, um das Stromnetz bei Störungen zu stabilisieren.

Ebenso wird die Wahrscheinlichkeit als gering angesehen, dass es regional und zeitlich begrenzt zu erzwungenen Abschaltungen kommt, um die Gesamtversorgung weiter sicherzustellen.

Auf ein solches Szenario hatte sich BBK-Präsident Ralph Tiesler in seinem Interview mit der “Welt am Sonntag” bezogen, um die grundsätzliche Bedeutung von Vorsorgemaßnahmen hervorzuheben.

Die missverständliche Formulierung bedauert das BBK und stellt diese hiermit klar.

Das rief die “Bild”-Redaktion auf den Plan:

Screenshot Bild.de - Rückzieher vom Katastrophenschutz - Will Faeser die Blackout-Warnung vertuschen?

Die “Bild”-Autoren Johannes C. Bockenheimer und Nikolaus Harbusch schreiben:

Versucht das Innenministerium, die Energiekrise zu beschönigen?

Innenpolitiker diskutieren, warum eine Behörde des Ministeriums von Nancy Faeser (52, SPD) Warnungen vor Stromausfällen im Winter kurz darauf zurücknahm. (…)

War Faeser beziehungsweise ihren Beamten die Stromausfall-Warnung des BBK-Chefs also zu heikel?

Bockenheimer und Harbusch geben sich große Mühe, der eigenen Leserschaft möglichst wenig zu dem Fall zu erklären. Sie lassen all das, was gegen ihre Vertuschungsthese spricht, großzügig weg. Im “Bild”-Text erfährt man weder, dass Tiesler im “WamS”-Interview mit einer alternativen Blackout-Definition arbeitet, noch, dass er eine Antwort später seine Aussage selbst relativiert und von Brownouts spricht.

Das “Bild”-Duo könnte ganz einfach erzählen, “warum eine Behörde des Ministeriums von Nancy Faeser (52, SPD) Warnungen vor Stromausfällen im Winter kurz darauf zurücknahm.” Man muss davon ausgehen können, dass sie als Springer-Mitarbeiter Zugang zu “Welt-plus”-Artikeln oder zur “Welt am Sonntag” haben. Im Interview mit Ralph Tiesler hätten sie die Antwort gefunden. Sie hätten es auch in einem Tweet von Malte Kreutzfeldt nachlesen können oder in einem Text vom “Volksverpetzer”. Dort steht überall, dass Tiesler eine erfundene Blackout-Definition verwendet hat, was die “Klarstellung” des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe erklärt. Und das wiederum ist auch die Antwort auf die Frage aus den Überschriften von “Bild” und Bild.de, ob Nancy “Faeser die Blackout-Warnung vertuschen” will: Es geht schlicht um die Richtigstellung einer verhunzten Interviewaussage. Johannes C. Bockenheimer, Nikolaus Harbusch und die “Bild”-Redaktion können das alles nicht nicht gewusst haben.

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Treibjagd auf Veganerin, Sinnloses Factchecking, Apples affige Appshow

1. Wed Feb 15 2017
(blog.fefe.de)
Fefe macht auf seinem Blog auf den Artikel Wie wir die Wahl vor russischem Einfluss schützen können auf “Zeit Online” aufmerksam und äußert in Fefe-typischer Direktheit Kritik an den Inhalten (“Komplett herbeihalluziniert. Ein Hit Piece. Wer schreibt sowas?”). Besonders angetan haben es ihm die Autoren bzw. deren Tätigkeiten: ein politischer Redenschreiber und Vorstandsmitglied eines von Alumni der Atlantik-Brücke gegründeten Vereins und ein Direktor des “German Marshall Fund of the United States”. Fefe lässt im Abschlusssatz einen seiner Leser zu Wort kommen: “Da kann die ZEIT künftig auch Shell-Mitarbeiter über den “Ökologischen Einfluss von Ölbohrungen auf das Ökosystem der Arktis” schreiben lassen.”

2. Medienjagd gegen die Veganerin aus Limburg – Dabei war es ein Scherz
(mimikama.at, Thomas Laschyk)
Vor ein paar Tagen wurde über den Fall einer Veganerin berichtet, die sich angeblich an den tierfeindlichen Inhalten des Lieds „Fuchs, du hast die Gans gestohlen“ gestört hätte, das im Glockenspiel des Limburger Rathauses gespielt wurde. Sie hätte deshalb den Bürgermeister gebeten, das Lied aus dem Glockenspiel-Repertoire zu entfernen, was dieser auch tat. Die Meldung darüber ging um die ganze Welt, die Kommentarspalten glühten und tausende von Menschen empörten sich. Vor allem über die Frau und teilweise sehr massiv: Sie bekam Gewalt- und Morddrohungen und musste aufgrund des Drucks ärztliche Hilfe aufsuchen. Die traurige Pointe der Geschichte: Das Ganze geht auf ein mehr oder weniger flachshaftes Geplänkel zurück und bekam erst die mediale Wirkung, nachdem es der Bürgermeister bei einer Büttenrede als scherzhafte Anekdote erwähnt hatte.

3. „Ein politischer Begriff“
(taz.de, Peter Weissenburger)
Die “taz” hat mit der BBC-World-Chefin Francesca Unsworth über Fake News gesprochen. Die BBC hat den “Reality Check” gestartet, der mit sechs Mitarbeitern noch eine recht kleine Abteilung sei, aber ausgebaut werden solle. Unsworth ist sich der eingeschränkten Möglichkeiten bewusst, will aber die Kräfte der BBC bündeln: “Wir können nicht das Internet überwachen. Vielmehr müssen wir beobachten, welche Behauptungen diese Zugkraft entwickeln. Dann geht es darum, sie zu überprüfen – wie wir es ohnehin gemacht hätten, aber mit vereinten Kräften. Die BBC ist groß, früher hätten verschiedene Redaktionen möglicherweise verschiedene Schwerpunkte gesetzt. In Zukunft soll das zentralisierter ablaufen.”

4. «Coup Magazin» – ein Mini-Team vor einer Mega-Aufgabe
(tageswoche.ch, Matthias Oppliger)
Im crowdgefundeten “Coup Magazin” erscheint genau eine Geschichte pro Monat. Gerade ist Geschichte Nummer sieben erschienen, eine Reportage über den Wahnsinn, der mit der Kommerzialisierung des Skirennsports in lauschige Wintersportorte wie Adelboden in der Schweiz eingezogen ist. Damit ist das “Coup Magazin” ein halbes Jahr alt geworden. Die “Tageswoche” hat sich mit dem Mitgründer Pascal Sigg unterhalten und ihn um eine Zwischenbilanz gebeten.

5. Klare Sicht dank Factchecking? Wohl nicht!
(meta-magazin.org, Nikolai Promies)
Viele Medien wollen Fake News mit Factchecking und dem öffentlichen Richtigstellen von falschen Behauptungen bekämpfen. Doch sind solche Mittel überhaupt geeignet, um gegen Fake News vorzugehen? Philipp Müller, Medienforscher an der Uni Mainz, ist nicht besonders optimistisch. Widerspruch helfe nicht viel. Aussichtsreicher sei es, das Weltbild, das von Falschmeldungen unterstützt wird, ernst zu nehmen: “Man muss das wachsende Unbehagen mit Globalisierung und Digitalisierung ernst nehmen. Man muss eingestehen, dass die gesellschaftlichen Eliten tatsächlich Fehler gemacht haben im Umgang mit diesen Entwicklungen und so eine wachsende ökonomische Ungleichheit auf der Welt ermöglicht haben. Nur wenn man diese Punkte offen anspricht, kann man Populisten und die aus ihrem Lager gestreuten Falschmeldungen ihrer Wirkungskraft berauben.”

6. Planet der affigen Fernsehshows
(zeit.de, Eike Kühl)
“Planet of the Apps” ist Apples erste eigene TV-Show. Sie erfüllt alle Voraussetzungen, um krachend zu scheitern, findet Eike Kühl auf “Zeit Online”: ein trashiges Format, viel Bullshit und Gwyneth Paltrow.

Mesale Tolu, Fotojournalismus, Keine Haselnüsse für Aschenbrödel

1. Mesale Tolu muss in Untersuchungshaft bleiben
(faz.net, Michael Martens & Rüdiger Soldt)
Seit mehr als fünf Monaten befindet sich die deutsche Journalistin Mesale Tolu in türkischer Untersuchungshaft. Der Antrag ihrer Anwälte, sie wenigstens bis zum Urteil auf freien Fuß zu setzen, wurde nun vom türkischen Gericht abgelehnt. Tolu bleibt bis zur Fortsetzung der Verhandlung am 18. Dezember in Haft. Ihr drohen bis zu 15, nach anderen Einschätzungen sogar bis zu 20 Jahre Haft.
Weitere Lesetipps: “In der Türkei beginnt der Prozess gegen Mesale Tolu” von der “SZ” sowie der BR-Bericht “‘Erdogans Geisel’ muss vor Gericht”, in dem auch Mesale Tolus Vater zu Wort kommt.

2. Leipziger Abhörskandal: 360 Gespräche mit Berufsgeheimnisträgern belauscht
(lvz.de)
Bei ihren Ermittlungen im Umfeld des Fussballklubs „Chemie Leipzig“ hat die sächsische Justiz mehr als 360 Gespräche mit Berufsgeheimnisträgern abgehört. Allein 130 Mal soll ein Journalist der „Leipziger Volkszeitung“ (“LVZ”) von den Behörden belauscht worden sein, während er mit Vertretern des Fußball-Regionalligisten sprach. “LVZ”-Chefredakteur Jan Emendörfer: „Wir waren schon entrüstet, als wir von dem Vorgang hörten. Aber jetzt, diese hohe Zahl an abgehörten Telefonaten, steht erst recht in keinem Verhältnis zum Ermittlungsgegenstand.“

3. Fotojournalisten zwischen den Fronten
(deutschlandfunk.de, Ralf Hutter, Audio, 5:11 Minuten)
Der Fotojournalist Ralf Hutter denkt anlässlich der G20-Diskussion an seine Erfahrungen mit der Polizei bei einer Demo beim Kohlekraftwerk Schwarze Pumpe in Brandenburg zurück und fragt: “Wie normal ist es, dass die Polizei ohne Not Journalisten belästigt, oder gar schädigt? Und inwieweit ist es erlaubt, dass ein Journalist Menschen bei einer Gesetzesübertretung begleitet und so selbst das Gesetz bricht, sei es beim Eindringen auf ein Privatgelände oder beim Überschreiten einer Staatsgrenze?”

4. Gesundheitsjournalismus: Gegen das schlechte Image
(de.ejo-online.eu, Heini Maksimainen)
Heini Maksimainen ist eine finnische Journalistin, die sich auf Gesundheitsthemen spezialisiert hat. Mit ihrer Studie zur Qualität im Gesundheitsjournalismus will sie zeigen, wie man verantwortungsvollen und glaubwürdigen Journalismus im Bereich Gesundheit macht, der von vielen gelesen und zudem in den sozialen Medien geteilt wird. Ihre Erkenntnisse gibt sie in zehn praktischen Tipps weiter.

5. Der rechnende Reporter
(sueddeutsche.de, Sebastian Jannasch)
Vor drei Jahren sorgte der Begriff “Roboterjournalismus” noch für weltweite Schlagzeilen. Mittlerweile ist er in bestimmten Segmenten bereits Realität geworden. So lässt die US-Nachrichtenagentur “AP” beispielsweise Quartalsberichte von Unternehmen vollautomatisch in Meldungen umwandeln. Hierzulande plant ein Viertel der befragten Verlage, Roboterjournalismus zu nutzen. Am besten ließe sich das zur Zeit bei Börsenberichten, Wetterprognosen und Sportnachrichten umsetzen.

6. Warum falsche Termine für “Aschenbrödel” im Netz kursieren
(morgenpost.de, Lars Wienand)
Viele Medien verbreiteten geradezu euphorisch die neuen Sendetermine für den Kult-Märchenfilm “Drei Haselnüsse für Aschenbrödel” im Internet. Das Problem: Es handelt sich um die Sendetermine des vergangenen Jahres, welche die Medien falsch von einer privaten Website übernommen hatten. “Morgenpost”-Autor Lars Wienand: “Das ist wie eine Einladung zum Ball, und dann entpuppt sich die Tanzpartnerin als fiese, in die Jahre gekommene Stiefschwester der Traumfrau.” Nachtrag, 11:48 Uhr: Felix Beilharz, auf dessen Website weihnachtsfilme.de die Verwirrung um die “Aschenbrödel”-Sendertermine zurückzuführen ist, hat sich zu der ganzen Sache geäußert: “#Aschenbrödelgate — Wie ich einmal aus Versehen Fake News produziert habe”.

Alter schützt vor “Bild”-Geilheit nicht

Die Mitarbeiter von “Bild” und Bild.de gucken sich gern Aufnahmen von jungen Mädchen an und zeigen sie dann rum. Sie betrachten die Fotos, bewerten das Aussehen der Minderjährigen und schreiben darüber. 15 Jahre alt? 16 Jahre alt? 17 Jahre alt? Diese Jugendlichen können doch auch schon “heiße Kurven” haben und “Hotchen” sein. Und manchmal haben auch schon Neunjährige einen Schlafzimmerblick, wenn die “Bild”-Redaktion das findet.

Besonders ausgeprägt ist derzeit die Leidenschaft der “Bild”- und Bild.de-Mitarbeiter für Kaia Gerber. Die Tochter von Cindy Crawford ist aktuell 16 Jahre alt. Schon im Januar 2012 schrieb Bild.de über ihre “Rehaugen und die brünetten Locken”. Kaia Gerber war damals zehn. Mit 13 Jahren war sie für die Bild.de bereits:

Screenshot Bild.de - Crawford-Tochter Kaia Gerber (13) - So wunderwunderschön wie Mama!

“Im zarten Alter von gerade einmal 14 Jahren” war Kaia dann reif für das “Bild”-Prädikat “hot”. Oder in der etwas niedlicheren Variante und zusammen mit ihrer Mutter:

Screenshot Bild.de - Cindy Crawford und Tochter Kaia - Das doppelte Hotchen

In den dazugehörigen Artikel hat Bild.de solche Sätze über das “unverschämt gute Aussehen” des Teenagers geschrieben:

Dunkle Walla-Walla-Mähne, mandelbraune Augen, sinnliche Lippen und Beine bis zum Himmel! Ihr unverschämt gutes Aussehen hat der 14-jährige Teenie definitiv von Model-Mama Cindy geerbt.

Im Februar dieses Jahres schmachtete das Bild.de-Team erneut die “Beine bis zum Himmel” der damals 15-Jährigen an. Anfang September vermeldete die Redaktion, dass Gerbers Beine 87 Zentimeter lang seien. Und vor zwei Tagen ging es mal wieder — oh Wunder — um die Beine der inzwischen 16-Jährigen:

Screenshot Bild.de - Crawford-Tochter Kaia Gerber (16) - Gehen zwei Streichhölzer bummeln

Die Leidenschaft für die “sinnlichen Lippen”, die “Beine bis zum Himmel” und die “Rehaugen” von Kaia Gerber teilen die “Bild”-Mitarbeiter übrigens mit ihren “Springer”-Kollegen von der “B.Z.”.

Kaia Gerber ist nicht die einzige Minderjährige, die die “Bild”-Medien sexualisiert. Im Januar dieses Jahres zeigte Bild.de ein Foto von “Beach-Babe” Sasha Obama und schrieb über deren “heiße Kurven” im Strandoutfit. Die Tochter von Barack Obama war zu der Zeit 15 Jahre alt. Vergangenes Jahr im Juli war Lionel Richies Tochter Sofia dran. Auch der damals 17-Jährigen attestierte Bild.de “heiße Kurven”:

Screenshot Bild.de - Lionel Richies Tochter Sofia (17) - Achtung, gefährlich heiße Kurven!

Endgültig irre wurde es vorgestern bei “Bild”. Auf der letzten Seite, beim “HINGUCKER des Tages” schrieb das Blatt über Elvis-Tochter Lisa Marie Presley:

Mit ihr schauten ihre Tochter Riley (28) sowie ihre Zwillinge Harper und Finley (9) mit typischem Presley-Schlafzimmerblick in die Kameras.

Zwei Neunjährige mit “Schlafzimmerblick”?

Vielleicht ist das alles aber auch nur Gleichberechtigung: Warum sollten neun-, 15- oder 17-jährige Mädchen von der “Bild”-Redaktion nicht genauso auf ihr Äußeres reduziert werden wie erwachsene Frauen?

Mit Dank an Matthias L. für den Hinweis!

Bild  

Erzähl deinem Erdkunde-Lehrer bloß nicht von diesem “Bild”-Quiz

Die “Bild”-Redaktion will ja nicht nur Erwachsene mit falschen Fakten versorgen informieren, sondern auch junge Leute. Deswegen ist sie auch auf den Plattformen aktiv, die junge Leute eben so nutzen, zum Beispiel Snapchat.

Und wie ließe sich Wissen komprimiert besser vermitteln als in einem Quiz?

Screenshot aus dem Bild-Snapchat-Kanal - Erzähl deinem Erdkunde-Lehrer von diesem Quiz

Ähm, ja, nee. Besser du erzählst niemandem von diesem Quiz. Und erst recht nicht deinen Erdkunde- und Politik-Lehrern.

Denn während die “Bild”-Redaktion es noch hinbekommt, den Kölner Dom in Nordrhein-Westfalen zu verorten, Nürnberg als zweitgrößte Stadt in Bayern zu nennen und Helgoland, Föhr sowie Sylt nicht zu den Ostfriesischen Inseln zu zählen, geht bei dieser Usedom-Frage schon mal alles schief:

Screenshot aus dem Bild-Snapchat-Kanal - Frage: Der größte Teil der Insel Usedom gehört zu - die vier Antwortmöglichkeiten: Polen, Niederlande, Österreich, Dänemark - laut Bild richtig: Polen

Es verläuft zwar ein Stück der deutsch-polnischen Grenze auf Usedom — die Insel gehört also zum Teil zu Polen. “Der größere Teil der Insel Usedom gehört” allerdings zu Mecklenburg-Vorpommern — und damit zu Deutschland.

Bei einer anderen Frage in ihrem Erzähl-das-mal-deinem-Lehrer-Quiz gibt die Redaktion ein noch traurigeres Bild ab:

Screenshot aus dem Bild-Snapchat-Kanal - Frage: Der Berliner Amtssitz des Bundespräsidenten ist ... - die vier Antwortmöglichkeiten: das Berghain, Schloss Bellevue, der Bundestag, Schloss Charlottenburg - laut Bild richtig: Schloss Charlottenburg

In den Jahren 2004 bis 2006 wurde das Schloss Charlottenburg tatsächlich mal vom Bundespräsidenten genutzt, allerdings nur als Zwischenlösung, als der eigentliche Amtssitz, Schloss Bellevue, renoviert wurde.

Wenn das Schloss Charlottenburg aktuell “der Berliner Amtssitz des Bundespräsidenten” sein soll, dann ist das Axel-Springer-Hochhaus der Berliner Amtssitz versierter Quizmaster.

Mit Dank an @politischernate, @PatKloe und für die Hinweise!

Bild  

“Bild” wählt Zitat des Tages vom SS-Sturmbannführer

Ausriss Bild-Zeitung - Zitat des Tages - Es ist mein Job, nie zufrieden zu sein - Wernher von Braun, deutscher Raketeningenieur (1912 - 1977)

“Deutscher Raketeningenieur” schreibt die “Bild”-Redaktion in der ganz kurzen Biografie über Wernher von Braun, der das heutige “ZITAT” des Tages auf der Titelseite des Boulevardblatts liefert. Dabei war von Braun viel mehr: Vater der Raumfahrt, in leitender Position bei der NASA, ausgestattet mit 25 Ehrendoktortiteln, großes Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland, Goldene Medaille der Humboldt-Gesellschaft und so weiter.

So jemanden kann man zitieren.

Vorher war Wernher von Braun NSDAP-Mitglied. Er machte Karriere bei der SS, bis zum Sturmbannführer. Adolf Hitler ernannte ihn persönlich zum Professor. 1944 bekam von Braun das Ritterkreuz des Kriegsverdienstkreuzes mit Schwertern verliehen. Er forderte immer wieder KZ-Häftlinge als Arbeitskräfte an, war an ihrer Ausbeutung beteiligt. Wernher von Braun war im Konzentrationslager Buchenwald und suchte dort selbst Häftlinge aus, die in der Raketenproduktion arbeiten mussten. Er sah nach eigener Aussage die “Hungergestalten”, die bei der unterirdischen Produktion in einem Stollen eingepfercht waren. Rund um den Bau von von Brauns V2-Rakete sollen nach SS-Akten 12.000 Zwangsarbeiter gestorben sein, manche Schätzungen gehen von mehr als 20.000 Toten aus. Zeitzeugen berichten, dass von Braun die Leichen bei seinen Inspektionen nicht habe übersehen können.

Will man wirklich ein Zitat dieses Mannes auf der eigenen Titelseite haben?

Denn die Frage ist doch auch: Womit war Wernher von Braun “nie zufrieden”? Mit seiner eigenen Leistung und der seiner NASA-Kollegen beim Wettlauf um die erste Mondlandung? Oder mit den sich zu Tode schuftenden Zwangsarbeitern aus den Konzentrationslagern? Sowohl als auch?

Man kann sich nicht mit der einen Seite von Wernher von Braun auf der eigenen Titelseite schmücken, ohne die andere dazuzubekommen.

Mit Dank an @paulschm und @_marc_baumann für die Hinweise!

Rechtsdrehend, “Bunte”-Botschafter, Zu Besuch beim Compact Verlag

1. Debatte oder Protest: Wie weiter gegen rechts?
(blaetter.de, Volker Weiß)
Der Historiker Volker Weiß diskutiert in seinem Aufsatz die Neue Rechte und einen möglichen Umgang mit ihr: „Gewachsen ist diese Neue Rechte, die in erheblichem Umfang noch immer die alte ist, somit weniger an ihren Gegnern als an deren Gesprächsangeboten, die sie erst zu akzeptablen Partnern machten. Gewachsen ist sie auch an den unzähligen Reportern, die zu Kubitscheks „Rittergut“ Schnellroda pilgerten und sich fasziniert den Ziegenstall zeigen ließen. Jede unkritische Homestory und jedes Dialogangebot haben stärker zur Verbreitung des Neofaschismus à la Antaios beigetragen als die Protestschreie auf den Buchmessen.“

2. Mein Freund, Seine Exzellenz
(uebermedien.de, Mats Schönauer)
Kaum war Richard Grenell als neuer US-Botschafter in Deutschland im Amt, fiel er mit markigen, wenig diplomatischen Worten auf. Nach Gesprächen mit „Breitbart“, „Bild“ und „Focus“, hat er sich nun von der „Bunten“ zur Homestory besuchen lassen. Und die verschweigt ein kleines, aber feines Detail: Daniel Funke, Leiter des „Bunte“-Hauptstadtbüros und Verfasser des Interviews, ist privat mit dem Botschafter befreundet.

3. „Macht die Politik den Journalismus kaputt?“
(journalismustage.at, Marietta Slomka)
In Wien fanden die „Österreichischen Journalismustage“ statt, die sich diesmal schwerpunktmäßig mit dem Einfluss der Politik auf die Medien beschäftigte: „Macht die Politik den Journalismus kaputt?“ Die Keynote wurde von der deutschen Journalistin und Fernsehmoderatorin („heute-journal“) Marietta Slomka gehalten. Die Rede wurde nun auf der Webseite dokumentiert, ein längeres Lesestück mit einigen interessanten Gedanken.

4. Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Von A nach B
(titanic-magazin.de, Stefan Gärtner)
Stefan Gärtner kritisiert bei seinem „kritischen Sonntagsfrühstück“ bei “Titanic” die Berichterstattung um das Gewaltverbrechen an der 14-jährigen Susanna: „Auf dem Kreuz, das jemand am Fundort der Leiche aufgestellt hat, steht: „Susanna, 14 Jahre, Opfer der Toleranz“. Sosehr das Fernsehen hier auch applaudiert: Nein. Susanna, 14 Jahre, ist das Opfer eines Verbrechens.“

5. „Interessant und vielfältig“
(taz.de, Maike Brülls)
Die SPD Berlin hat auf ihrem Landesparteitag eine Filmförderung für feministische Pornofilme beschlossen. Die „taz“ hat sich darüber mit Laura Méritt unterhalten, die sich als Vertreterin des „sexpositiven Feminismus“ für feministische Pornos einsetzt: „Mainstreamporn ist eine extreme Leistungs-Show, bei der alles als pervers oder Fetisch kategorisiert wird, was nicht heterosexuell ist. Um davon wegzukommen und zu zeigen, dass es viele verschiedene Wirklichkeiten und nicht nur ein SexSkript gibt, ist progressiver Porno wichtig. Nicht nur für Jugendliche.“

6. Die guten Menschen vom Compact Verlag
(sueddeutsche.de, Benedikt Peters)
Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Verlag mit allerlei Titeln zu Lernen und Weiterbildung, Ratgebern und Kinderliteratur. Und wie es der Zufall will, erscheint plötzlich ein rechtes Magazin, das so ähnlich klingt wie der Name Ihres Verlags. So geht es der Chefin und den etwa 30 MitarbeiterInnen des „Compact Verlags“, der sich keinen anderen Rat weiß, als in Bälde umzufirmieren.

“Bild live”: “Das wissen wir noch nicht”, aber eine Sondersendung kann man ja schon mal bringen

Am vergangenen Donnerstag war großer Messer-Tag bei den “Bild”-Medien. Die “Bild”-Zeitung verkündete auf ihrer Titelseite, dass die “Messer-Gewalt” “immer schlimmer” werde:

Ausriss Bild-Titelseite - großes Titelthema: Messer-Gewalt immer schlimmer! Neue, erschreckende Zahlen - Innenminister warnt - Polizisten schlagen Alarm - Opfer sprechen in Bild - Heute große Sondersendung bei Bild.de

Und bei Bild.de lief am Morgen die auf der Titelseite angekündigte “große Sondersendung”.

Ein paar Stunden später, am frühen Nachmittag, gab es noch eine “Bild live”-Sendung. Denn es gab einen “NEUEN MESSERANGRIFF”:

Screenshot der Bild-live-Sendung - Bild live zur Messerattacke in Rottweil - Breaking News - Neuer Messerangriff - Motiv noch unklar

Im baden-württembergischen Rottweil hatte ein Mann eine Mitarbeiterin des örtlichen Jobcenters mit einem Messer attackiert und schwer verletzt. Die Frau musste per Hubschrauber ins Krankenhaus gebracht werden. Die Polizei konnte noch vor Ort einen Tatverdächtigen festnehmen. Und “Bild” berichtete mit einer Messer-Sondersendung.

Diese Sendung dürfte ein weiterer Testballon der Redaktion und ein Vorgeschmack darauf gewesen sein, wie das von Chefredakteur Julian Reichelt und dem Axel-Springer-Verlag geplante “Bild TV” aussehen könnte. Wenn das “Bild”-Team mehrere Stunden am Tag durchgängig senden möchte, muss es auch kurzfristig Sendungen zu aktuellen Themen auf die Beine stellen können. Durch die gut 16-minütige “Bild live”-Sendung vom Donnerstag konnte man einmal mehr erahnen, wie schrecklich das alles werden dürfte.

Das größte Problem war, dass es diese Sendung überhaupt gab; dass ein singuläres Ereignis, das eher von lokalem Interesse ist, durch “Bild” zu einer “BREAKING NEWS” von angeblich deutschlandweiter Relevanz aufgeblasen wurde. So schlimm der Angriff im Jobcenter in Rottweil war, bleibt es ein Vorfall von begrenzter Bedeutung. Die “Bild”-Redaktion aber schnappt ihn sich und schaltet zwei, drei Alarmgänge hoch: Hier, schaut her! Schon wieder ein Messerangriff! Überall Messergewalt! Und wie ist es beim nächsten Vorfall und beim übernächsten — berichtet “Bild live” dann wieder? Vermutlich nicht. Nicht einmal die “Bild”-Redaktion schafft es, aus jedem Messerangriff in Deutschland eine angstverbreitende TV-Sendung zu machen.

Ein möglicher Grund, warum gerade der Angriff in Rottweil zu einer “Bild live”-Sendung führte: Ein Plan von Julian Reichelt soll sein, plattformübergreifende Themenschwerpunkte zu setzen, mit denen er dank “Bild”-Zeitung, Bild.de und eben “Bild TV” bis zu 40 Millionen Menschen erreichen will. Wenn man zufällig sowieso schon eine Titelseite zur “Messer-Gewalt” an den Kiosken liegen hat, und dann ein aktueller Fall reinkommt, kann man doch wunderbar mit einer Messer-Sondersendung testen, wie das klappen könnte. Auch Moderatorin Juliane Bauermeister sagte gleich zu Beginn der Sendung:

Ein Mann greift eine Frau mit dem Messer an und verletzt sie schwer. Ja, dieser furchtbare Angriff passierte heute Vormittag. Das Opfer: eine Mitarbeiterin des Jobcenters in Rottweil in Baden-Württemberg. Ja, und wir haben ja erst heute morgen in unserer 8-Uhr-Sendung über den Anstieg von Messerangriffen in Deutschland berichtet. Nun also dieser neueste tragische Fall.

Durch diese Aktualitätshechelei begibt sich die “Bild”-Redaktion in einen selbst auferlegten Breaking-News-Modus, der dazu verpflichtet, irgendetwas zu erzählen und irgendetwas zu zeigen, auch wenn kaum bis gar nichts zu erzählen und zu zeigen ist. Das führt etwa dazu, dass Moderatorin Bauermeister dann einen Tweet wie diesen der Polizei Konstanz vorliest:

Screenshot von Bild live, wo ein Tweet der Polizei Konstanz eingeblendet wird - Am Tatort im Jobcenter hat unsere Kriminalpolizei die Ermittlungen übernommen. Ein Hintergrund der Tat ist bisher noch nicht bekannt.

Bauermeister: “Da müssen wir also abwarten, was jetzt die Ermittlungen dazu bringen.” Diesen Tweet, der eigentlich nur sagt, dass es noch nichts zu sagen gibt, liest sie später in der Sendung noch ein zweites Mal vor. Viel weniger kann man nicht zu berichten haben.

Und auch “Bild”-Redakteur Frank Klauss, der mit der Moderatorin im Studio steht, kann nicht viel mehr beitragen als: Mann, Messer, Jobcenter, Mitarbeiterin, Hubschrauber, Krankenhaus, Polizei, Festnahme. Ansonsten sagt er Dinge wie:

Ob sie in Lebensgefahr schwebt, ist derzeit noch nicht bekannt. Wir warten da auch noch auf weitere Nachrichten von Seiten der Polizei.

Und: Angriffe in Jobcentern kämen immer wieder vor …

so dass viele Jobcenter auch mittlerweile einen Sicherheitsdienst haben und auch ihre Mitarbeiter schulen. Ob das hier in Rottweil der Fall war, das wissen wir noch nicht. Aber das ist sicherlich auch eine interessante Frage, der wir noch nachgehen werden.

Dazu noch ein paar Allgemeinplätze: Die Polizei sei jetzt damit beschäftigt, Spuren zu sichern und mit Zeugen zu sprechen. Außerdem werde der Tatverdächtige nun vernommen. Schau an. Zum möglichen Motiv des Mannes sagt Klauss:

Über das Motiv können wir bislang erst noch spekulieren.

… und spekuliert dann über einen möglichen Streit um Leistungskürzungen.

Noch trauriger ist nur die Schalte zu “Bild”-Reporter Frank Schneider, der aus irgendeinem Grund vor einer Burger-King-Filiale steht, aber nicht in Rottweil. Schneider erzählt von der Statistik aus Nordrhein-Westfalen, die die Grundlage für die “Bild”-Titelseite mit der “immer schlimmeren” “Messer-Gewalt” ist:

Naja, die wichtigste Nachricht ist natürlich: Die Attacken nehmen deutlich zu. Es gibt ja wenige Zahlen in der Vergleichbarkeit, weil natürlich viele Bundesländer sie noch nicht erheben. Aber wir haben zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen seit einem Jahr diese Erhebung. Und man sieht ja schon: Vom ersten zum zweiten Halbjahr nimmt die Zahl der Attacken deutlich zu.

Das ist deswegen bemerkenswert, weil nur kurz darauf von der “Bild”-Redaktion ein morgens aufgezeichnetes Interview mit Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul eingespielt wird, der gewissermaßen Herausgeber der Statistik ist, zu der “Bild”-Reporter Schneider behauptet, dass das alles “deutlich” steige. Reul sagt:

Man muss da behutsam sein, weil wir es das erste Mal machen, aber auch die einzigen sind in Deutschland, die das gemacht haben. Aber die Zahlen sind erschreckend. Wir können jetzt nicht sagen, ob sie wirklich gestiegen sind. Aber mein Gefühl ist, das nimmt zu, da tut sich was, da müssen wir achtsam sein. Das muss man vor allen Dingen ernst nehmen. Und das ist auch nicht einfach mit billigen Parolen zu lösen, sondern da muss man ganz genau hinschauen: Warum passiert das? Und welche Möglichkeiten haben wir als Polizei oder als Staat oder als Gesellschaft?

Aber zurück zu “Bild”-Mann Schneider, der noch mal sagen will, auf wen die Gesellschaft da besonders schauen muss: die Ausländer:

Es sind hauptsächlich männliche Tatverdächtige, es sind junge Männer. Es sind nicht nur Jugendliche, es sind auch viele Erwachsene, aber junge Männer, dabei. Es sind relativ viele Nicht-Deutsche dabei. Von den Deutschen haben viele auch noch Migrationshintergrund. Es ist offenbar auch ein kulturelles Problem. Der Psychologe hat es heute morgen ja auch noch mal erklärt: Das ist so ein Männlichkeitssymbol. Und das kommt eben diesem archaischen und patriarchalischen Männerbild von vielen Zuwanderern nahe. Man hat das Messer dabei, um seine Ehre, seine Männlichkeit zu verteidigen. Und das ist sicherlich die Aussagekraft dieser Statistik bisher.

Auch zu dieser billigen Parole zu diesem Aspekt gibt es eine Aussage von NRW-Innenminister Reul. Auf die Frage, wie “das Täterprofil von solchen Menschen” aussehe, sagt er im Interview:

Sie haben es richtig beschrieben: Vorrangig Männer. Vorrangig Männer und vorrangig Deutsche. Und das heißt zum Beispiel, dass die einfache Erklärung ‘Das sind nur diejenigen, die aus dem Ausland kommen’ falsch ist und nicht reicht. Aber auch da gibt es 40 Prozent. Und deswegen sind beide Sachverhalte ernst zu nehmen.

Inzwischen steht fest, dass der 58-jährige Tatverdächtige in Rottweil Deutscher ohne Migrationshintergrund ist.

Am Ende der “Bild live”-Sondersendung sagt Moderatorin Juliane Bauermeister:

So viel zu dem, was wir wissen über den heutigen Messerangriff.

Und:

Wir halten Sie natürlich weiterhin auf dem Laufenden.

Das kann man durchaus als Drohung verstehen.

Mit Dank an @panajotaki für den Hinweis!

“Goldene Kartoffel” für “Spiegels” Clan-TV, Drogen-Dossier, Freigefunkt

1. NdM-Medienpreis “Goldene Kartoffel” 2020
(neuemedienmacher.de)
Der Negativpreis “Goldene Kartoffel” der “Neuen Deutschen Medienmacher*innen” geht dieses Jahr an “Spiegel TV” für die Berichterstattung über die sogenannte Clan-Kriminalität: “Die Berichterstattung über Organisierte Kriminalität in deutschen Medien und insbesondere bei SPIEGEL TV ist unterm Strich verzerrt, stigmatisierend und rassistisch. Der fast ausschließliche Fokus auf ‘Clans’ erweckt den Anschein, mafiöse Vereinigungen in Deutschland seien vornehmlich arabische Familien oder Rom*nja. Das BKA ordnet aber nur etwa acht Prozent der Verfahren zur Organisierten Kriminalität der so genannten ‘Clan-Kriminalität’ zu.” Die Präsidentin der Jury Sheila Mysorekar hat sich für ein etwa sechsminütiges Video in die Kulisse einer Shisha-Bar gesetzt und kommentiert einige der beanstandeten “Spiegel TV”-Szenen. Optisch toll umgesetzt, informativ und unterhaltsam.
Weiterer Lesehinweis: Mysorekar über die tendenziöse Berichterstattung von “Spiegel TV” und anderen Medien über Clan-Kriminalität: Viel Rauch um nichts (neues-deutschland.de).

2. Herr Friedrich Merz hat mir über seine Anwälte eine Abmahnung übermittelt
(facebook.com, Fabio De Masi)
Der Linken-Politiker Fabio De Masi hat einen Tweet über den CDU-Politiker Friedrich Merz verfasst, in dem auch dessen Abstimmungsverhalten zur Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe vorkommt. Daraufhin habe ihm Merz eine Abmahnung samt Unterlassungserklärung zukommen lassen, so De Masi. Auf Facebook erklärt er, warum er seinen Tweet nicht löschen werde: “Da bin ich hart wie Granit oder ein Black Rock.”
Weiterer Lesehinweis: Der Vollständigkeit halber ein Merz-Statement aus dem März, dem dieser “Correctiv”-Faktencheck gegenübersteht.

3. Der Journalist Javier Valdez kann nicht mehr recherchieren, weil er erschossen wurde. Aber wir können
(zeit.de, Kai Biermann & Amrai Coen & Hauke Friederichs & Holger Stark & Fritz Zimmermann)
Laut Reporter ohne Grenzen werden in keinem anderen Land, das sich nicht im Krieg befindet, so viele Journalisten und Journalistinnen ermordet wie in Mexiko. Eines der Opfer ist der Journalist Javier Valdez, der über das Sinaloa-Drogenkartell berichtete, eine der mächtigsten Organisationen im Drogenhandel weltweit. In einer aufwändigen Recherche haben Redaktionen aus vielen Ländern Valdez’ Arbeit fortgesetzt. Die Aktion wurde koordiniert und unterstützt vom Netzwerk Forbidden Stories, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Arbeit getöteter Reporterinnen und Reporter fortzuführen. Ein Ergebnis ist das lesenswerte Dossier der “Zeit”, die in Mexiko und Israel, aber auch in Deutschland recherchiert hat.

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4. Mit Händen und Worten
(deutschlandfunk.de, Kevin Barth, Audio: 5:30 Minuten)
Ob Audiodeskription, Untertitel, Gebärdensprache, leichte Sprache oder Bildbeschreibungen: Die Barrierefreiheit im Fernsehen ist oftmals noch ausbaufähig, vor allem bei den privaten Sendern. Nun gibt es eine Zentrale Anlaufstelle für barrierefreie Angebote (ZABA), an die sich Betroffene wenden können. Ein Portal, auf dem alle Öffentlich-Rechtlichen sowie die privaten Rundfunk- und audiovisuellen Medienanbieter in Deutschland gebündelt werden: “Die Aufgabe der ZABA-Webseite ist es, alle Beschwerden oder Fragen bezüglich barrierefreier Angebote direkt an die jeweiligen Medienanbieter weiterzuleiten. Der Vorteil für Sie liegt auf der Hand: Ihr Anliegen erreicht sofort die richtige Stelle, unter Beachtung aller datenschutzrechtlichen Vorschriften.”

5. Freifunk wird endlich gemeinnützig
(netzpolitik.org, Markus Beckedahl)
Im netzpolitik.org-Newsletter geht es unter anderem um die (nach Ansicht vieler längst fällige) Gemeinnützigkeit der bundesweiten Graswurzelbewegung Freifunk. Die nichtkommerzielle Initiative widmet sich seit langem dem Aufbau und Betrieb eines freien Netzes. Die Freifunk-Community sorgt mit ihren WLAN-Netzwerken dafür, dass man auch an unterversorgten Orten ins Internet kommt. Seit Jahren sei der Initiative die Gemeinnützigkeit in Aussicht gestellt beziehungsweise versprochen worden. Nun habe der Finanzausschuss den entsprechenden Änderungsantrag beschlossen, der nur noch von Bundestag und Bundesrat abgesegnet werden müsse. Markus Beckedahl kommentiert: “Mit diesem Beschluss sollte die Politik aber nicht zufrieden sein. Was weiterhin fehlt ist ein Bewusstsein dafür, dass man solche Infrastrukturen auch besser durch finanzielle Mittel fördern könnte.”

6. Belarus: Wie Journalisten “mundtot” gemacht werden
(ndr.de, Joe Angerer, Video: 4:44 Minuten)
Die Entfernung von Berlin nach Minsk ist in etwa so groß – oder klein – wie die von Flensburg nach Garmisch-Partenkirchen. Dennoch bleibt für viele von uns Belarus ein unbekanntes und wenig beachtetes Land. Das liegt auch daran, dass es für Medien immer schwerer wird, von dort zu berichten. Ausländische Medienschaffende werden kaum noch zugelassen und inländische Journalisten und Journalistinnen auf vielfältige Weise bekämpft. “Zapp” lässt Betroffene zu Wort kommen, die von den Demonstrationen gegen Präsident Alexander Lukaschenko berichtet haben und dabei ihre Freiheit und ihre körperliche Unversehrtheit riskierten.

“Bild” stürmt, Deutschlandstart von “Facebook News”, Die Meteorologin

1. “Bild” stürmt auf Polizisten los, die angeblich Koch-Abend gestürmt haben sollen
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Immer öfter stellt “Bild” den Staat als einen autoritären Herrscher dar, der in Corona-Zeiten seine Bürger und Bürgerinnen angeblich mit allerlei unsinnigen Maßnahmen drangsaliert und terrorisiert. Da passt die Geschichte vom harmlosen Koch-Abend zweier Freunde, der von der Polizei gestürmt worden sei, bestens ins Bild. Boris Rosenkranz hat sich den Vorgang angeguckt und eine ganz andere Geschichte dahinter entdeckt.

2. Facebook holt (fast) alle an Bord
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers & Annika Schneider, Audio: 4:59 Minuten)
Ab Mai will Facebook in Deutschland ein kuratiertes journalistisches Nachrichtenangebot starten. Bei “Facebook News” sind einige namhafte Medienpartner wie “Spiegel”, “FAZ” und “Zeit” mit an Bord, aber auch kleinere Medien wie die “Nordwest-Zeitung” (“NWZ”) aus Oldenburg. Der Deutschlandfunk hat sich mit “NWZ”-Geschäftsführerin Stephanie von Unruh über die geplante Kooperation unterhalten.

3. Augustus Intelligence klagt gegen Herausgabe von Lobbyschreiben an abgeordnetenwatch.de
(abgeordnetenwatch.de, Martin Reyher)
Das im Zuge der Amthor-Affäre bekanntgewordene Unternehmen Augustus Intelligence wolle unbedingt verhindern, dass die Initiativen “Abgeodnetenwatch” und “FragDenStaat” in den Besitz eines Lobbyschreibens kommen, und habe dazu Klage gegen das Bundeswirtschaftsministerium eingereicht, berichtet Martin Reyher. In dem Schreiben habe der CDU-Abgeordnete Philipp Amthor bei Wirtschaftsminister Peter Altmaier (ebenfalls CDU) um politische Unterstützung für Augustus geworben.

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4. Ein Palast für Frauen
(taz.de, Simone Schmollack)
Silke Burmester hat als freie Journalistin und Autorin bereits für viele Medien gearbeitet. In der “taz” schrieb sie zum Beispiel als “Kriegsreporterin” sieben Jahre lang wöchentlich über die Medienbranche. Nun hat Burmester ein Solo-Projekt gestartet: Palais F*Lu­xx, ein virtueller “Palast für Frauen ab 47 Jahren”, die sich dort auch mit eigenen Texten einbringen können. Simone Schmollack hat sich die Seite näher angeschaut.

5. Guter Film braucht einen guten Ton
(verdi.de, Tilmann P. Gangloff)
Der Ton sei seit Jahrzehnten das Stiefkind der Filmproduktion, findet Medienjournalist Tilmann P. Gangloff, doch nun bekomme das Problem eine besondere Brisanz: Die Zuschauerinnen und Zuschauer von ARD und ZDF würden immer älter, entsprechend wichtiger sei ein guter Ton. Verschiedene ARD-Sender wollen im Rahmen von Pilotprojekten die Sprachverständlichkeit des Fernsehens verbessern, doch das Thema ist komplexer, als man ahnt.

6. Die Meteorologin
(sueddeutsche.de, Willi Winkler)
Nahezu dreißig Jahre lang trug die Meteorologin Karla Wege im ZDF den Wetterbericht vor, nun ist sie im Alter von 90 Jahren in München gestorben. Die “Süddeutsche” erinnert an eine Frau, die sich ganz dem Wetter verschrieben hatte und dafür verantwortlich ist, dass Wetterlagen auch in Deutschland einen Namen tragen.
Weiterer Hinweis: Sogenannte Wetterpatenschaften, die eben auch auf Karla Wege zurückzuführen sind, für das Jahr 2022 können ab dem 8. September beim Institut für Meteorologie beantragt werden.

“BILD ist mitgelaufen”, leider

“Wir betreiben hier keinen Elends-Tourismus, Drogenkranke werden nicht vorgeführt.”

Das sagen die zwei Männer, die in Frankfurt am Main für Interessierte eine Führung durch das Bahnhofsviertel anbieten, durch jene Gegend also, die auch und vor allem für ihre offene Drogenszene bekannt ist. Der Titel der Tour: “Crack, Koks, Heroin im Bahnhofsviertel – Warum Frankfurt auch ‘Crack-City’ heißt”.

Das Zitat der beiden stammt aus einem großen Artikel, der am vergangenen Freitag in der Frankfurt-Ausgabe der “Bild”-Zeitung und bei Bild.de erschienen ist. Der Ansatz, vorhandene Probleme sichtbar zu machen und die üble Situation der Drogenkranken zu thematisieren, dabei aber keinen Elends-Tourismus fördern und niemanden vorführen zu wollen, ist sehr lobenswert. Ob die “Bild”-Redaktion den gleichen Ansatz verfolgt, da haben wir allerdings Zweifel.

Bereits in der Überschrift klingt es stark nach Elends-Tourismus:

Ausriss Bild-Zeitung - Neue Tour führt in den Drogensumpf im Bahnhofsviertel - Ausflug ins Elend
Screenshot Bild.de - Neue Tour in den Frankfurter Drogensumpf - Crack, Koks, Heroin! 25-Euro-Ausflug ins Elend - Bild ist mitgelaufen

Im Artikel gibt es mehrere Fotos, auf denen Süchtige entweder gerade Drogen konsumieren oder anscheinend kürzlich konsumiert haben und nun benommen auf der Straße sitzen. Was gut ist: Die “Bild”-Redaktion hat alle Gesichter verpixelt oder so fotografiert, dass sie verdeckt sind (wobei wir vermuten, dass das nähere Umfeld der Personen sie durch andere, nicht verpixelte Merkmale trotzdem identifizieren können dürfte). Was hingegen schlecht ist und doch stark nach Vorführen von Drogenkranken aussieht: die dazugehörigen Bildunterschriften. Zu einem Foto eines Mannes, der in einem Hauseingang liegt, schreibt Bild.de beispielsweise:

Das Frankfurter Bahnhofsviertel: Elends-Gestalten, wo man hinblickt

Und noch etwas hämischer zu einem Foto eines Mannes, der offenbar zugedröhnt auf einer Treppe liegt:

Crack-Süchtiger am Ziel seiner Träume…

Einer der zwei Tour-Guides sagt gegenüber “Bild” noch: “Wir wollen eine Lanze für diese Leute brechen.” Auch das ist sehr lobenswert. Aber vielleicht sollte man dann beim nächsten Mal nicht “Bild” mit auf Tour nehmen.

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Jeder Schütze ein Treffer

Wer bin ich? Wo komme ich her? Wo gehe ich hin? Das sind Fragen, die uns alle bewegen. Etwas profaner ist da schon die Frage, die sich “RP Online” am vergangenen Freitag stellte:

Wer schießt das 3000. Tor? Düsseldorf (RPO). Seit Beginn der Bundesliga am 24. August 1963 sind 2997 Tore gefallen. Der bis heute letzte erfolgreiche Schütze heißt Mario Götze von Borussia Dortmund. Wer erzielt den 3000. Treffer? Ein Hoffenheimer oder Schalkes neues Sturmdo?

3.000 Tore sollen also in den letzten 47 Jahren Bundesliga gefallen sein. Klingt erst mal nach viel, ist es aber nicht. Allein in der letzten Saison wurden 866 Tore erzielt und in der davor 894. Tatsächlich sind in der Geschichte der Bundesliga bereits über 44.000 Tore gefallen. Selbst den Lesern kam das spanisch vor:

Kommentare

Dass an der Sache irgendwas faul ist, hat dann auch “RP-Online” im Laufe des Tages bemerkt und sich einer höchst unsportlichen Methode der Fehlerkorrektur bedient: der sang- und klanglosen Löschung. Auf dem Portal “News Aktuell” kann man den Artikel allerdings immer noch lesen.

Aber eine Frage bleibt. Nein, nicht die, wer denn jetzt das 3.000. Tor schießt, sondern diese: Wie kommt “RP Online” auf so einen Unfug?

Auch wenn am Anfang des Artikels “(RPO)” steht, ist es sehr wahrscheinlich, dass hier eine Meldung des Bundesliga-Portals von t-online.de weiterverarbeitet wurde. Dort heißt es jedoch “Wer wird der 3000. Torschütze?” und das macht den ganzen Unterschied: Wenn jeder Torschütze nur einmal gezählt wird, also auch ein Gerd Müller mit 365 Toren, dann dürfen wir uns tatsächlich schon bald auf den 3.000. Torschützen freuen. Der “RP Online”-Redakteur, der den t-online.de-Artikel als Vorbild genommen hat, hat das leider nicht verstanden – genausowenig übrigens wie derjenige, der die Bildergalerie für t-online.de mit weiteren Jubiläumsschützen erstellt hat.

Jetzt aber doch noch: Hat sich am vergangenen Wochenende jemand als 3.000. Torschütze in die Annalen der Geschichte eintragen können?

Nein. Wir haben bei der DFL nachgefragt und uns sagen lassen, dass ihrer Statistik zufolge der Kölner Taner Yalçin am Sonntag gegen den FC St. Pauli (1:0) als 2997. Torschütze getroffen hat.

Mit Dank an Frank B.

Nachtrag, 17. September: Unser Leser Fabian K. hat uns darauf aufmerksam gemacht, dass ein kurzer (und korrekter) Artikel des ‘kicker’ vom 9. September den Berichten von t-online.de und “RP Online” zugrunde lag.

Wirklich unfassbar ist allerdings das, was unser Leser Marcus beim Sportwettanbieter bwin.com entdeckt hat. Dort konnte man heute tatsächlich darauf wetten, welcher Spieler das 3000. Bundesligator erzielt – auf ein Tor also, das bereits vor Jahrzehnten gefallen ist. “Cisse, Gekas, Altintop – sie alle können Geschichte schreiben” heißt es da. Dabei hatten die drei noch nicht einmal die Chance der 3000. Torschütze zu werden, da sie alle schon einmal getroffen haben. Wenn das mal kein juristisches Nachspiel hat…

Nachtrag, 18. September: Und es geht munter weiter. Arne B. und Sebastian M. weisen uns darauf hin, dass in den Live-Tickern der App iLiga 3.0 und von Bild.de Maximilian Nicu als Schütze des 3000. Bundesligatores gefeiert wurde:

Da ist doch tatsächlich noch das 3000. Bundesligator und es hätte nicht zählen dürfen. Nicu steht bei Kopfballverlängerung von Cissé klar im Abseits. Er geht diagonal auf das Tor zu und passt dann überlegt nach rechts. Dort ist ROSENTHAL mitgelaufen und schiebt souverän ein.

Nein. Es war nicht das 3000. Bundesligator und Nicu kann auch nicht der 3000. Torschütze der Liga sein, da er in der vergangenen Saison bereits drei Treffer erzielte. Mal sehen, wer noch alles in die Geschichte eingeht.

Nachtrag/Korrektur, 19. September: Diesmal habe ich mich selbst anstecken lassen: Das Freiburger Tor am Freitag hat natürlich nicht Nicu, der nur die Vorlage gab, erzielt, sondern Jan Rosenthal. Dennoch wurde erst am Samstag Luiz Gustavo von TSG 1899 Hoffenheim mit seinem Treffer zum 1:0 gegen Kaiserslautern zum 3000. Torschützen erklärt. Damit sollte das Thema jetzt endgültig erledigt sein – zumindest bis in gut zehn Jahren der 4000. Torschütze gesucht wird.

Was, wenn Bild.de den Flüchtlingsdeal platzen lässt?

Stellen Sie sich mal Folgendes vor:

  • Die Türkei kündigt den sogenannten “Flüchtlingsdeal” mit der EU.
  • Zehntausende Geflüchtete ziehen bedrohlich von der Türkei aus Richtung Deutschland.
  • Bilder von Geflüchteten, die die Grenze zwischen der Türkei und Griechenland durchbrechen.
  • Die USA schalten sich ein. Türken verbrennen bei Demonstrationen US-Flaggen.
  • Die bulgarische Polizei entdeckt bei einem Geflüchteten Spuren von Sprengstoff.
  • Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán schließt nicht mehr aus, auf Geflüchtete zu schießen.
  • Europäische Regierungen brechen auseinander.
  • In Österreich wird FPÖ-Mann Norbert Hofer zum Bundespräsidenten gewählt.
  • Die AfD erreicht in einer Umfrage 28 Prozent. Inzwischen ist Rechtsaußen Alexander Gauland der Vorsitzende der Partei.
  • 5000 Geflüchtete stehen vor Passau, Hundertschaften der Polizei sind vor Ort, Hubschrauber kreisen über der Region.
  • Innenminister Thomas de Maizière schließt den Einsatz von Soldaten im Bundesgebiet nicht mehr aus.

Was wie der große Wunschzettel von Rechtspublizist Jürgen Elsässer und seinem Wirrmagazin “Compact” für noch mehr Hetzmöglichkeiten klingt, stammt von Bild.de. Autor Albert Link hat dort gestern ein “BILDplus-Szenario” entworfen:

In Kurzform geht das Szenario so: Keine Visafreiheit für die Türken. Die Türkei stellt “ihre Maßnahmen zur Eindämmung der Migration” ein und löst Flüchtlingslager im Süden des Landes auf. Bus-Konvois machen sich auf zum Drei-Länder-Eck Bulgarien-Griechenland-Türkei. Bulgarien lässt die Geflüchteten durch. Serbien lässt die Geflüchteten durch. Kroatien lässt die Geflüchteten durch. Slowenien lässt die Geflüchteten durch. Österreich lässt die Geflüchteten durch. Tausende Geflüchtete stehen vor der deutschen Grenze. Und dazu noch all die anderen Punkte von oben.

Kurz gesagt: Sodom und Gomorra in Europa.

Es gab mal eine Zeit, da haben sich Julian Reichelt und Kai Diekmann und einige andere “Bild”-Mitarbeitern — zumindest theoretisch — bei den vielen Flüchtlingshelfern in diesem Land untergehakt und “refugees welcome” und “Wir helfen” geschrien. Diese Zeit ist offensichtlich vorbei. Inzwischen schüren die “Bild”-Medien wieder die Angst vor Zuwanderern.

Nun also das bedrohliche Szenario, “WENN DER FLÜCHTLINGSDEAL PLATZT”. Und diese Panikmache in einer Zeit, in der eine Versachlichung dieser komplexen weltpolitischen Lage eine der größten Leistungen von Journalisten sein dürfte.

In der Einleitung zum “BILDplus-Szenario” schreibt Bild.de übrigens:

Was wirklich passiert, wenn die Türkei ihre Drohung wahrmacht, kann niemand präzise vorhersagen. Das Szenario, das BILD hier beschreibt, ist nur eine Option unter vielen.

Die Redaktion hat sich für eine der Optionen mit den dramatischsten Auswirkungen entschieden.

Kinderlied, Symbolfotos, Lyrics

1. Warum macht Herr Enzinger das? Warum macht die „Krone“ das?
(diepresse.com, Sibylle Hamann)
Sibylle Hamann berichtet von einem Vorgang, der eigentlich ein Happy End verdient gehabt hätte: In der ersten Klasse einer Salzburger Volksschule gibt es ein neues Kind. Aref heißt es und es stammt aus Syrien. Die Lehrer thematisieren das im Unterricht und führen beim Schulschlussfest mit den Kindern einen syrischen Tanz und ein einstudiertes syrisches Lied auf. Alles klappt vorzüglich und und alle sind zufrieden, bis Politik und Presse davon Wind bekommen. Fremdenfeindliche Äußerungen und Artikel, die das Geschehen bösartig verdrehen, folgen. Schließlich fällt auch noch der entfesselte Online-Mob über die Salzburger Kinder und Lehrer her. Sibylle Hamann in ihrem Kommentar: “Rational verstehe ich, was FPÖ und „Kronen Zeitung“ antreibt: Wählerstimmen maximieren, Leserzahlen maximieren, Aufmerksamkeit maximieren, man hofft halt, dass das mit Hetze funktioniert, und häufig funktioniert es ja leider auch. Aber manchmal möchte ich in die Köpfe dieser Menschen hineinschauen, möchte wissen, wie sich das anfühlt: immer nur Böses zu sehen, selbst dort, wo gar nichts Böses ist. Immer wütend zu werden, wenn anderen etwas gelingt. Immer alles sofort kaputtschlagen, zündeln wollen, und sich erst freuen, wenn es rundherum brennt.”

2. Bildsprache der Verblödung
(bilanz.de, Bernd Ziesemer)
In den letzten Tagen beherrschten Bilder von Hamstern die Berichterstattung: Anlass: Die politische Diskussion über ein neues Zivilschutzprogramm. Bernd Ziesemer ist genervt von den ewig gleichen platten Fotos aus den Bilddatenbanken (“stock photos”) und spricht in seiner Kolumne von einer “Bildsprache der Verblödung”.

3. WikiLeaks bringt Unschuldige in Gefahr
(zeit.de, Patrick Beuth)
Die Enthüllungsplattform Wikileaks hätte zu ihren besten Zeiten die Mächtigen genervt und bloßgestellt, doch mittlerweile würden sich die Kollateralschäden summieren, so Patrick Beuth in der “Zeit”. Die Plattform habe zahlreiche medizinische Unterlagen von normalen Bürgern sowie private, finanzielle und andere Informationen Hunderter anderer veröffentlicht, heiße es in einem Bericht der Nachrichtenagentur “AP”. Zudem seien Hunderte der Dateien aus dem Türkei-Leak mit Malware verseucht. Wikileaks habe den AP-Bericht auf Twitter als “lächerlich” abgetan und auf Fragen der “Zeit” bislang nicht reagiert.

4. Schnapp den Teenie
(sueddeutsche.de, Sebastian Jannasch)
Den klassischen Medien laufen die jungen Leser davon. Also geht man dorthin, wo man die jungen Zielgruppe vermutet und das ist z.B. die quietschige Knips-App “Snapchat”, die in Deutschland 2,5 Millionen Nutzer haben soll. Doch lassen sich mit bunt verzierten Videoschnipseln wirklich Nachrichten vermitteln? Das ist nicht einfach. Außerdem fehlen Kontrolle und Monetarisierungsmöglichkeiten, so Sebastian Jannasch auf “sueddeutsche.de”. Zudem sei es möglich, dass die umworbenen Teenies eh bald weiterziehen: Instagram und Facebook würden versuchen, die jungen Nutzer mit neuen Funktionen zu sich rüberzulocken.

5. Geringe Hemmschwelle – “Vice” und die Drogen
(ndr.de, Sabine Schaper)
“Zapp” hat sich mit dem Lifestyle- und Jugendmagazin “Vice” beschäftigt. Dort würden regelmäßig Tipps für den Drogenkonsum erscheinen, von Mischkonsum-Rezepten bis hin zu Tricks für den Drogenschmuggel. Der Leiter des Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am Uniklinikum Eppendorf in Hamburg bezeichne derlei Artikel als einen “Schlag ins Gesicht” all derer, die täglich mühsam Suchtprävention betreiben: Eine seriöse Berichterstattung im Sinn von “Safer Use” habe nüchtern und sachlich zu sein. Ob und inwiefern das Angebot von “Vice” den Richtlinien des Jugendmedienschutzes entspricht, werde nun ein Prüfverfahren zeigen.

6. Songlyrics-Seiten im Web: Einmal Goldrausch und wieder zurück
(onlinemarketingrockstars.de, Roland Eisenbrand)
Spannender Hintergrundbericht, wie findige Website-Macher und teilweise blutjunge Kids seit Jahren Songtexte auf ihren Lyrics-Seiten ausbeuten.

Umstrittene Buh-Rufe, Fake Pornos, Plumper Verschwörungs-Schmöker

1. Buhrufe gegen Trump
(blog.tagesschau.de, Kai Gniffke)
„Bild“-Oberchef Julian Reichelt echauffierte sich auf Twitter: “Die @tagesschau hilft ein bisschen nach, damit Buh-Rufe gegen Trump lauter und deutlicher zu hören sind. Klare Grenzüberschreitung bei einer Nachrichtensendung, lieber @KaiGniffke. Und schwer vorstellbar, dass Sie dasselbe bei Applaus getan hätten.“ Der angesprochene Kai Gniffke (Erster Chefredakteur von „ARD-aktuell“ und „EinsExtra“) hat im Blog der „Tagesschau“ auf den Vorwurf von Wahrheitskämpfer Reichelt geantwortet.

2. Machtkampf um die Urheberschaft
(taz.de, Jens Mayer)
Die Macher des „Deutschen Fernsehpreis“ hatten zur Preisverleihung gebeten. Dabei wurde an viele gedacht: Regisseure, Produzenten, Redakteure, Schauspieler… Eine Berufsgruppe wurde jedoch übergangen: Die der Autoren. Angeblich aus „Platzmangel“. Die Einladungspolitik rief Proteste hervor. Die Teilnahme an einer Festveranstaltung ist das eine, die verweigerte Anerkennung und Missachtung der Kreativen das andere. Drehbuchautorin Annette Hess: „Ich habe gerade von einem erfolgreichen Kollegen gehört, dass ein Produzent allerorts fälschlich behauptet, die Idee zu einer Serie sei von ihm. Und gleichzeitig hat er dem Autoren geraten, keine Interviews zu geben. Mit sehr fadenscheinigen Begründungen. Es ist ein Machtkampf um die Urheberschaft, da darf man sich nichts vormachen.“

3. Auf Fake News folgt Fake Porn
(zeit.de, Eike Kühl)
Die Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz sind rasant, was einige Porno-Enthusiasten für sich nutzen. Mittels Software lassen sich beispielsweise Gesichter von Pornodarstellern durch die von Prominenten ersetzen. Das Ergebnis nennt sich dann „Deepfake“ und findet als Videoclip Verbreitung in entsprechenden Foren. „Zeit“-Autor Eike Kühl: „Pornografie mag einmal mehr der Katalysator für eine neue Technik sein und FakeApp die Spielerei eines Enthusiasten. Doch die Implikationen von maschinellem Lernen, neuronalen Netzwerken und künstlicher Intelligenz sind weit größer, wenn es um gefälschte Inhalte geht. Nach der Schrift und dem Foto muss im Zeitalter von Fake News und “alternativen Fakten” immer häufiger auch die Authentizität von Ton- und Videoaufzeichnungen hinterfragt werden.“ Philipp Walulis hat sich in einem sehenswerten Video (6:49 Minuten) ebenfalls mit dem Thema beschäftigt.

4. Verschwörungstheorien bedrohen die Demokratie
(sueddeutsche.de, Alex Rühle)

Seit zwei Wochen steht ein angebliches Enthüllungsbuch des Kopp-Verlags im Sachbuchbereich auf dem dritten Platz der Spiegel-Bestsellerliste. Das „plumpe Buch voller scheinlogischer Argumente“ sei ein Symptom für eine tief liegende gesellschaftliche Krise, so Alex Rühle in der „Zeit“. Und in der Tat: Was man dort an pyramidalem Freimaurer-Verschwörungsunfug zu lesen bekommt, lässt einem die Haare zu Berge stehen.

5. Der “pseudo-kritische” Böhmermann
(detektor.fm, Philipp Weimar, Audio, 8:29 Minuten)
Worin unterscheiden sich Satiresendungen wie „Die Anstalt“, das „Neo Magazin Royal“ und die „heute show“? Welches Format hat den größeren politischen Einfluss? Zwei Sozialwissenschaftler haben dafür 154 Sendungen mit mehr als 1.600 Beiträgen untersucht und ausgewertet. „Vor allem die „heute-Show“ hat uns überrascht. Denn sie hat hinsichtlich des Politik-Gehalts tatsächlich noch mehr Gewicht als „Die Anstalt“. Warum das „Neo Magazin Royal“ eher pseudo-kritische Satire bringt und dennoch nicht die schlechtere Sendung ist, erklärt der Mitautor der Studie, Dennis Lichtenstein, im Gespräch mit „detektor.fm“.

6. „Öffnen Sie Ihre Herzen und Ihre Geldbörsen!“
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Der Dresdner Semperopernball war für den „MDR“ ein voller Erfolg: Die Live-Übertragung soll einen Marktanteil von stolzen 21,6 Prozent gehabt haben. Rund drei Millionen Zuschauer sollen mit Live-Übertragung und Wiederholung erreicht worden sein. Boris Rosenkranz hat eine dreiminütige Zusammenfassung des Ball-Spektakels geschnitten, aus der man einen Wettbewerb unter Freunden machen kann: Wer schafft es länger zuzusehen, ohne sich mit Grausen abzuwenden oder sich die Ohren mit Watte zuzustopfen. (Der “6vor9”-Kurator hat im ersten Anlauf gerade mal zwei Minuten geschafft.)

Getarnt als Gamer, Kehrtwende, “heute-Show” und AfD

1. Getarnt als Gamer: Einblicke in eine rechtsradikale Troll-Armee
(netzpolitik.org, Markus Reuter, Anna Biselli)
„Discord“ ist eigentlich eine Anwendung, die für die gleichzeitige Nutzung während des Spielens von Computerspielen entwickelt wurde. Doch in dem Gaming-Chat-Dienst tummeln sich auch zwielichtige Gestalten. Netzpolitik.org berichtet über die rechtsradikale Formation „Reconquista Germanica“, die von dort aus eine als Gamer getarnte Troll-Armee befehlige.

2. Geil, ein echter Krimi!
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
In der „Ostsee-Zeitung“ wird der Fall eines aus bislang ungeklärter Ursache verbrannten Mannes wie folgt eingeleitet: „Eine Nacht nach der Ausstrahlung des jüngsten Teils der Stralsund-Krimireihe im ZDF läuft die Polizei am Sonntag in der Hansestadt wieder zur Form auf: Diesmal nicht im Film, sondern in Wirklichkeit. Das hier ist keine Fiktion.“ Boris Rosenkranz berichtet über eine Reportage, „die einerseits die Wirklichkeit betont, diese andererseits aber als Krimi-Szene schildert“.

3. Österreichs Rundfunk sagt „Nein“ zu Facebook
(handelsblatt.com, Hans-Peter Siebenhaar)
Wie „Medien-Kommissar“ Hans-Peter Siebenhaar in seiner Kolumne berichtet, fordert der österreichische ORF-Manager Thomas Prantner eine Kehrtwende im Umgang mit Facebook. Der öffentlich-rechtliche Sender wolle nicht gratis zum Aufstieg des Konzerns beitragen. „Sollte der ORF mit seinem Vorhaben in Europa Schule machen, hätte das für Facebook durchaus ernste Folgen. Denn im Newsfeed von Facebook sollen künftig vor allem qualitative Medieninhalte erscheinen, die von den Mitgliedern des sozialen Netzwerkes geteilt werden. Gibt es aber weniger Inhalte der wichtigen Medienplattformen zu teilen, fehlen dem Newsfeed spannende und exklusive Inhalte.“

4. “Weißer Rauch” über dem Bundestag?
(deutschlandfunk.de, Christoph Sterz)
Der „Deutschlandfunk“ hat sich mit dem Experten für Phrasen, Binsen und Wortgeklingel Udo Stiehl über Politiker-Floskeln und Politikberichterstattung unterhalten. Stiehl haben es besonders die schiefen Bilder angetan: „Wenn Sie eine “Mietpreisbremse” nehmen – das ist ja alleine schon ein konstruiertes Wort von der Politik: Die “Mietpreisbremse” bremst angeblich was, nun soll sie verändert werden, weil sie gar nicht so wirklich bremst. Und dann heißt es, die “Mietpreisbremse wird verschärft”. Mit einer scharfen Bremse haben Sie gar nichts davon, weil dann quietscht die allenfalls.“

5. Weil uns keine Zeit mehr für Scheinheiligkeit bleibt – Unser offener Brief an die Konrad-Adenauer-Stiftung
(genderequalitymedia.org)
Die Konrad-Adenauer-Stiftung hatte in ihrem „politischen Salon“ zu einer umstrittenen Veranstaltung eingeladen: “Gender, Instrument der Umerziehung? (PDF) Bereits in der Einladung tauchten Formulierungen auf wie „Wer heute Mann ist, kann sich morgen als Frau definieren. Dass diese auf Selbstoptimierung ausgerichtete Ideologie, die in ihrer verkürzten Logik die Familie negiert, mit dem christlichen Menschenbild nichts zu tun hat, ist offenkundig.“ Dies hat die Initiative „Gender Equality Media“ auf den Plan gerufen, die sich mit einem offenen Brief an die Veranstalter wendet: „Drei Tage sind vergangen liebe Konrad-Adenauer-Stiftung, die wollten wir euch geben, damit ihr angemessen reagieren könnt, euch eine Antwort ausdenken könnt. Gekommen ist nichts. Daher nun hier, unser offener Brief an euch, mit viel Gefühl statt nur mit Zahlen, weil ihr hier kein wissenschaftliches Thema, sondern Menschenleben angegriffen habt.“

6. Sollte wohl lustig sein – ist es aber nicht
(ndr.de, Video, 0:51 Minuten)
„Zapp“ kritisiert einen Beitrag der “heute-Show“, in dem diese sich über den stotternden AfD-Sachverständigen Dieter Amann lustig macht. Amann hatte die Anwesenden zuvor über seinen Sprachfehler aufgeklärt. Mittlerweile hat sich Oliver Welke für die „heute-Show“ bei dem AfD-Sachverständigen entschuldigt. Die Redaktion habe keine Kenntnis von der Sprachbehinderung gehabt. Die AfD fordert eine öffentliche Entschuldigung in der nächsten Sendung und nutzt den Vorgang zur Stimmungsmache gegen das öffentlich-rechtliche Fernsehen.

Der “MDR” und der grausige Tweet, Abgehefteter Hass, Bahnbabo

1. MDR-Sendung platzt nach rassistischem Tweet
(tagesspiegel.de, Matthias Meisner)
“Darf man heute noch “Neger” sagen? Warum Ist politische Korrektheit zur Kampfzone geworden?” So lautete die verstörende Ankündigung einer Radiodiskussion mit der früheren AfD-Chefin Frauke Petry, dem Moderator Peter Hahne, der sächsischen Linke-Landtagsabgeordneten Kerstin Köditz und dem Leipziger Politikwissenschaftler Robert Feustel. Nachdem es auf Twitter zu einem Shitstorm kam und zwei Diskussionspartner absagten, sagte der MDR die Sendung ab.

Für alles Weitere zum Ablauf des Geschehens samt unglücklicher MDR-Kommunikation siehe unseren Beitrag: MDR diskutiert mit Weißen über Rassismus gegenüber Schwarzen (bildblog.de, Moritz Tschermak).


2. Schreit es weg!
(sueddeutsche.de, Willi Winkler)
“National Enquirer” heißt das Klatschblatt, das in ganz Amerika strategisch günstig neben der Supermarktkasse ausliegt. Sämtliche Promis müssen damit rechnen, irgendwann einmal ins Visier der Boulevardzeitung zu geraten. Nur einer scheint sicher: Donald Trump. Und das liegt an der engen Freundschaft von Trump und David J. Pecker, dem Verleger des Revolverblatts.

3. Virtueller Hass, säuberlich sortiert
(spiegel.de, Melanie Amann & Marcel Rosenbach)
Wer rechtswidrige Posts in sozialen Netzwerken entdeckt und vergeblich versucht hat, eine Löschung zu bewirken, kann sich an das Bundesamt für Justiz in Bonn wenden. Melanie Amann und Marcel Rosenbach vom „Spiegel“ haben die Behörde besucht, bei der die Beschwerden fein säuberlich in blauen Aktenmappen landen. Und mussten als externe Besucher zunächst die vorgeschriebene Sicherheitseinweisung für den Paternoster überstehen.

4. Der Mann, der kein Spion war: Wie sich das Leben des Baslers nach falschen Vorwürfen verändert hat
(bzbasel.ch, Annika Bangerter)
Der türkischstämmige Basler Y. S. soll als Polizeiassistent für Erdogan spioniert haben, doch die Vorwürfe erwiesen sich als haltlos. Die öffentliche Wahrnehmung war jedoch eine andere, auch durch die Medienberichte. „bz Basel“ hat mit Y.S. darüber gesprochen, wie die falsche Spitzel-Geschichte sein Leben verändert hat: „Der Spion bleibt an mir haften, ich bin abgestempelt. Bis heute meide ich deshalb Örtlichkeiten, an denen sich viele Menschen aufhalten. Ich will nicht, dass sich jemand durch meine Anwesenheit provoziert fühlt oder gar das Gefühl hat, sich beweisen zu müssen. Im Sinne von: «Jetzt zeigen wir es dem Spion.» Eine solche Situation eskaliert schnell.“

5. Investigative Filmemacher und die Haftungsfrage
(ndr.de, Sabine Schaper)
Bei den in der ARD ausgestrahlten investigativen Dokumentationen, auf die der Sender so stolz ist, handelt es sich um Auftragsproduktionen, hinter denen freie Produzenten stecken. Als kleine Firmen legen sie sich oft mit den großen Playern aus Politik und Wirtschaft an und setzten sich einem erheblichen Risiko aus, verklagt und in den finanziellen Ruin getrieben zu werden. Was helfen könnte: Neue Verträge.

6. Alles gechillt beim Bahnbabo
(fr.de, Kathrin Rosendorff)
Peter Wirth (57) ist Straßenbahnfahrer, Social-Media-Star und eine Berühmtheit in Frankfurt: Er ist der durchtrainierte, muskelgestählte und von allen geliebte „Bahnbabo“.

Bild.de ballert die falscheste Dachzeile raus

Schon sprachlich ist die Dachzeile, naja:

Screenshot Bild.de - Annegret Kramp-Karrenbauer ballert das meiste Geld raus - Regierung gibt halbe Milliarde für Berater aus

Inhaltlich ist sie schlicht falsch.

In ihrem Artikel über die Ausgaben der verschiedenen Bundesministerien für externe Berater bezieht sich die Bild.de-Redaktion auf “eine Antwort des Finanzministeriums auf Anfragen des Linken-Abgeordneten Matthias Höhn”. Zu der “halben Milliarde” schreibt sie:

Die eigentlichen Ausgaben könnten noch viel höher liegen, da bisher vier der insgesamt 15 Ressorts nur Zahlen für das erste Halbjahr 2019 meldeten.

Auch das Bundesverteidigungsministerium hat bisher nur die Beraterausgaben der ersten sechs Monate präsentiert. Trotzdem liegt das Ressort von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer mit 154,9 Millionen Euro an der Spitze.

Das mag stimmen. Aber in den “ersten sechs Monaten” des Jahres 2019 war nicht Annegret Kramp-Karrenbauer Verteidigungsministerin, sondern Ursula von der Leyen. Kramp-Karrenbauer, die das Amt erst am 17. Juli übernahm, konnte im ersten Halbjahr 2019 also gar nichts im Namen des Verteidigungsministeriums “rausballern”. Natürlich ist es möglich, dass “AKK” die Praxis ihrer Vorgängerin beibehalten und ebenfalls viel Geld an Beraterfirmen zahlen lassen hat. Die Antwort des Finanzministeriums, die Bild.de heranzieht, sagt darüber aber rein gar nichts aus.

Es ist ja nicht so, als könnten Redaktionen so etwas nicht vor Veröffentlichung rausfinden. Süddeutsche.de beispielsweise zeigt als Aufmacherfoto eines, auf dem Ursula von der Leyen zu sehen ist.

Mit Dank an @Der_Postillon für den Hinweis!

Nachtrag, 12:26 Uhr: Inzwischen hat auch Bild.de mitbekommen, wer wann Verteidigungsministerin war und was in Auftrag gegeben hat. Die Dachzeile lautet nun: “VERTEIDIGUNGSMINISTERIUM BALLERT AM MEISTEN RAUS”. Am Ende des Artikels steht:

In einer vorherigen Version des Artikels hieß es fälschlicherweise, AKK habe das meiste Geld rausgeballert. Tatsächlich war es nur ihr jetziges Ministerium. Bis Juli 2019 war noch Ursula von der Leyen Verteidigungsministerin, erst dann übernahm AKK.

Riesen-Zweifel an “Bild”-Artikel

Es geht um den Begriff “Ausgangsbeschränkungen”. Und wer jetzt befürchtet, es wird hier allzu wortklauberisch, der oder die sei beruhigt: Es geht um deutlich mehr. Es geht darum, wie die “Bild”-Redaktion ein Urteil eines Verfassungsgerichts falsch wiedergibt und so die eigene Agenda in der Corona-Krise vorantreibt.

“Bild”-Redakteur Filipp Piatov schrieb vergangene Woche über einen Beschluss des saarländischen Verfassungsgerichtshofs. Dieser hatte entschieden, dass die wegen der Corona-Pandemie im Saarland geltenden Ausgangsbeschränkungen außer Vollzug zu setzen seien:

Am Dienstag entschied der saarländische Verfassungsgerichtshof, dass die Landesregierung die strengen Ausgangsbeschränkungen sofort lockern muss. Die Entscheidung des saarländischen Verfassungsgerichtshofs hat Signalwirkung für die gesamte Republik.

Denn die Richter begründen ihre Entscheidung mit massiven Zweifeln an der Wirksamkeit von Ausgangsbeschränkungen, wie sie überall in Deutschland — wenn auch in verschiedenen Ausprägungen — eingeführt wurden.

“Aus einem Vergleich der Infektions- und Sterberaten in den deutschen Bundesländern mit und ohne Ausgangsbeschränkung”, so die Richter, lasse sich “kein Rückschluss auf die Wirksamkeit der Ausgangsbeschränkung ziehen”.

Es herrscht eine merkwürdige Diskrepanz zwischen Piatovs eigener Behauptung zu den “Ausgangsbeschränkungen, wie sie überall in Deutschland — wenn auch in verschiedenen Ausprägungen — eingeführt wurden” und der einen Absatz später von Piatov zitierten Aussage des Gerichts zu “den deutschen Bundesländern mit und ohne Ausgangsbeschränkung”.

Was denn nun: Gibt es Ausgangsbeschränkungen “überall in Deutschland”? Oder gibt es in Deutschland “Bundesländer mit und ohne Ausgangsbeschränkung”?

Schaut man in den Beschluss des saarländischen Verfassungsgerichtshofs (PDF), erkennt man, dass das Gericht zwischen Ländern mit Ausgangsbeschränkungen und Ländern mit Kontaktverboten unterscheidet. Wie viele Bundesländer mit (den strengeren) Ausgangsbeschränkungen es neben dem Saarland aus Sicht des Gerichts noch gibt? Eins.

Mit Ausnahme von Bayern kennen andere Bundesländer gegenwärtig keine vergleichbare Ausgangsbeschränkung.

Eine ähnliche Entwicklung des Infektionsgeschehens hat sich in diesem Zeitraum in allen anderen Ländern vollzogen, wobei — bis auf den Freistaat Bayern — in keinem Land Ausgangsbeschränkungen, sondern lediglich Kontaktverbote auch außerhalb des öffentlichen Raums angeordnet worden waren.

Wenn die Richter aus dem Saarland also “ihre Entscheidung mit massiven Zweifeln an der Wirksamkeit von Ausgangsbeschränkungen” begründen, dann hat das erstmal nur Auswirkungen für das Saarland und vielleicht noch eine “Signalwirkung” für Bayern. Mehr nicht. In allen anderen Bundesländern sieht das Gericht schließlich überhaupt keine vergleichbaren “Ausgangsbeschränkungen”.

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Bis zu dem Beschluss galten im Saarland strengere Regeln als in anderen Ländern. Das Verlassen der Wohnung war nur aus “triftigen Gründen” gestattet. Darunter fielen unter anderen die berufliche Tätigkeit, Arztbesuche oder der Einkauf von Lebensmitteln. Diese Strenge sei inzwischen nicht mehr nachvollziehbar, so das Gericht, da bei der Entwicklung der Corona-Pandemie kein klarer Unterschied auszumachen sei zwischen Ländern mit Ausgangsbeschränkungen und Ländern mit Kontaktverboten:

Die Betrachtung der Infektions- und Sterberaten in den deutschen Bundesländern mit und ohne Ausgangsbeschränkungen zeigt keine belastbaren Gründe für die Notwendigkeit der Fortdauer der saarländischen Regelung.

Daher kippte das Gericht die Ausgangsbeschränkungen im Saarland, oder genauer: Es ließ § 2 Absatz 3 der Verordnung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie (VO-CP) teilweise außer Vollzug setzen.

Es reichte der “Bild”-Redaktion aber nicht, eine Entscheidung von gerade mal regionaler Bedeutung zu einer mit möglichen Auswirkungen für ganz Deutschland aufzublasen. Obwohl es bei dem Gerichtsbeschluss nur um eine Maßnahme ging, zog sie in der Überschrift ihres Artikels gleich alle “Corona-Maßnahmen” in “Riesen-Zweifel”:

Screenshot Bild.de - Nach Saarland-Urteil - Riesen-Zweifel ob Corona-Maßnahmen wirklich helfen

Auch das widerspricht dem Beschluss des saarländischen Gerichts. Zu den verschiedenen Maßnahmen im Saarland neben den Ausgangsbeschränkungen steht darin:

Die in der VO-CP enthaltenen vielfältigen Freiheitsbeschränkungen — die in ähnlicher Form in allen Bundesländern gelten — haben Wirkung gezeigt.

Außerdem werden die Maßnahmen als Möglichkeiten angeführt, die ein künftiges Infektionsrisiko vermindern könnten:

Es ist nicht auszuschließen, dass die Aussetzung der Ausgangsbeschränkungen mit einer allerdings geringen Wahrscheinlichkeit das Infektionsrisiko erhöhen kann. Dieses Risiko wird — dem System der infektionsschutzrechtlichen Regelungen entsprechend — vermindert, wenn durch Kontakt- und Abstandsgebote sowie durch eine im Saarland neuerdings geltende Maskentragungspflicht Übertragungswege und Übertragungsweiten verringert werden und durch Verbote von zahlenmäßig nicht beschränkten Zusammentreffen weiter bekämpft werden.

Aus dem teilweisen Außervollzugsetzen eines Absatzes eines Paragrafen einer Verordnung eines Bundeslandes versuchen Filipp Piatov und die “Bild”-Redaktion, eine Diskussion über alle “Corona-Maßnahmen” in der “gesamten Republik” zu kreieren. Seinen Artikel, in dem er so ziemlich alles falsch darstellt, was man falsch darstellen kann, beginnt Piatov übrigens mit dieser Frage:

War es ein Fehler, die Ausgangsbeschränkungen gegen die Corona-Pandemie einzuführen?

Auch darauf findet man eine Antwort in dem Gerichtsbeschluss, den der “Bild”-Redakteur eigentlich ins Feld führt, um gegen Corona-Maßnahmen zu argumentieren: Die Entscheidung der saarländischen Landesregierung sei zu dem damaligen Zeitpunkt “Teil einer mit Blick auf die betroffenen Grundrechte verantwortungsvollen Politik” gewesen.

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Geschlechtsspezifische Gewalt, Publikum im Studio, Neues Dashboard

1. AfD nicht mehr im MDR-Rundfunkrat
(deutschlandfunk.de, Alexander Moritz)
Die AfD sehe sich als Opfer einer “Intrige”, die anderen Parteien sprächen von einer Stärkung der Opposition: Am Freitag hat der sächsische Landtag drei Mitglieder des neuen MDR-Rundfunkrats gewählt. Entsandt werden je ein Abgeordneter der Regierungsparteien CDU und SPD sowie eine Vertreterin der Linken. Die AfD als zahlenmäßig größte Oppositionskraft ging leer aus und wittert finstere Absichten – man prüfe eine Klage.

2. Warum wir unser Corona-Dashboard überarbeitet haben
(blog.zeit.de, Christian Endt)
“Zeit Online” bietet bereits seit Längerem eine umfangreiche Coronavirus-Karte für Deutschland mit vielen Zusatzinformationen an, die auf den Daten von 400 Kreisen basiert und täglich aktualisiert wird. Nun haben die Macherinnen und Macher des komplexen Datenwerks einige Änderungen vorgenommen und unter anderem einen neuen Wert hinzugefügt: die Hospitalisierungsinzidenz. In einem Blogbeitrag erklärt “Senior Data Analyst” Christian Endt, welche Änderungen sonst noch vorgenommen wurden, und schreibt über die Beweggründe dahinter.

3. Geschlechtsspezifische Gewalt im TV: Betroffene kommen selten zu Wort
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Eine Studie der Hochschule Wismar und der Universität Rostock, initiiert und gefördert durch die MaLisa Stiftung sowie die UFA, (PDF), hat die Darstellung von geschlechtsspezifischer Gewalt im deutschen Fernsehen untersucht. In 34 Prozent der betrachteten Sendungen habe es diese Form von Gewalt gegeben, dabei handele es sich vor allem um schwere Gewalt gegen Frauen und Kinder. Studienleiterin Christine Linke kommentiert: “Geschlechtsspezifische Gewalt ist vielfach im deutschen Fernsehen sichtbar, die Perspektive von Betroffenen steht aber nur selten im Zentrum. Besonders ernüchternd ist, dass Möglichkeiten der Prävention und Hilfsangebote kaum vermittelt werden. Die Studie zeigt klar: Es besteht Handlungsbedarf. Über geschlechtsspezifische Gewalt im deutschen Fernsehen müssen wir diskutieren.”

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4. Transparenz gefordert
(djv.de, Hendrik Zörner)
Nachdem bekannt geworden ist, dass Google mehreren großen Verlagen, darunter “Zeit” und “Spiegel”, Zahlungen in bislang unbekannter Höhe gemäß dem neuen Urheberrecht hat zukommen lassen, fordert der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) Transparenz: “Es ist das gute Recht der Autorinnen und Autoren”, so der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall, “dass sie die Summen kennen, an denen sie partizipieren.” Es sei befremdlich, dass es bisher kein Übereinkommen zwischen Google und der zuständigen Verwertungsgesellschaft Corint Media gebe. Corint fordere 420 Millionen Euro, Google halte diese Summe für überzogen.

5. Taliban verbieten Serien mit Frauen
(taz.de)
In Afghanistan haben die regierenden, militant-islamistischen Taliban weitreichende Einschränkungen für Fernsehinhalte verhängt: TV-Sender sollen keine Filme oder Serien mehr zeigen dürfen, in denen Frauen eine Rolle spielen oder die der islamischen Scharia widersprechen, heiße es in einer Anweisung des Ministeriums “für die Förderung der Tugend und Verhütung des Lasters”, die am Sonntag an Fernsehsender ausgegeben worden sei.

6. Welche Talkshows lassen Publikum ins Studio?
(tagesspiegel.de, Markus Ehrenberg)
Ein Sender, zwei Produktionen und offenbar zwei verschiedene Ansichten: Während das “ZDF Magazin Royale” mit Jan Böhmermann am vergangenen Freitag auf Publikum im Studio verzichtete, gab es bei der “heute show” mit Oliver Welke volle Zuschauerränge. Auch das Vorgehen der anderen Talk- und Show-Produktionen sei höchst uneinheitlich, so Markus Ehrenberg in seiner kleinen Bestandsaufnahme.

“Das ist völlig falsch”

Gestern Abend war “Bild”-Reporter Paul Ronzheimer in der Talksendung “maischberger” zu Gast. Er diskutierte dort mit Kerstin Palzer aus dem ARD-Hauptstadtstudio und Kabarettist Urban Priol. Und entweder hat Ronzheimer, trotz seiner Rolle als stellvertretender Chefredakteur, nicht mitbekommen, was und wie sein Blatt in letzter Zeit berichtet hat. Oder er hat es mitbekommen und tut so, als wüsste er es nicht besser. Jedenfalls hat er es bei “maischberger” geschafft, in gerade mal zweieinhalb Minuten die “Bild”-Berichterstattung zweimal falsch darzustellen.

Moderatorin Sandra Maischberger zitiert in der Sendung den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder: “Eine Fortsetzung der rot-rot-grünen Regierung” in Berlin wäre angesichts des Wahlergebnisses “eine grobe Missachtung der Demokratie”. Dazu sagt Kerstin Palzer (ab Minute 4:55):

Also mich hat’s sehr geärgert, weil ich finde, das klingt total nach diesem “Wahl-Klau”, diese Kampagne da auch, das klingt letztendlich so wie Trump.

Maischberger fragt nach: “Welche Kampagne?” Darauf Palzer:

“Wahl-Klau”? Von der “Bild”-Zeitung.

Übergabe an Paul Ronzheimer:

Das war keine Kampagne, sondern wenn man sich mal anschaut, wie die SPD nach der Bundestagswahl argumentiert hat, und man gesagt hat: Armin Laschet hat die Wahl haushoch verloren, und die SPD, die damals zwei Prozentpunkte ungefähr vor der Union war, gesagt hat: Wir haben den klaren Auftrag und sonst niemand, da hat man alle platt gemacht, die was anderes gesagt haben. Deswegen finde ich es besonders lächerlich von der SPD, dass man sich daran nicht mehr erinnern will. Und wenn man jetzt mit Argumenten von 2001 kommt und sagt: Mensch, der Schill damals, also dass die SPD sich jetzt Herrn Schill als Beispiel nimmt, um zu sagen, dass das doch irgendwie geht, diese Koalition. Und man muss doch mal eins klar sagen: Also, Franziska Giffey hat ihr Direktmandat verloren. Die ganzen, also die große Mehrheit hat kein Direktmandat bekommen der SPD, in den Bezirken hat man keine Mehrheit mehr. Und Sie sagen, Herr Priol, es sei da vor allem um Gender-Gaga und andere Dinge gegangen. Nein, es waren ernste Themen.

Urban Priol grätscht rein: “Von Söders Seite.” Wieder Ronzheimer:

Ja, gut aber wenn wir uns Berlin anschauen, dann geht’s um innere Sicherheit, um Verwaltungschaos, um etwas, wo die SPD hier insgesamt über Jahrzehnte regiert hat. Und ich glaube, der Wähler hat klar gezeigt, dass man will, dass die SPD in die Opposition geht.

Paul Ronzheimer sagt also recht viel, aber so gut wie nichts zur “Wahl-Klau”-Geschichte von “Bild”. Kerstin Palzer hakt noch mal nach:

Ich will auch gar nicht argumentieren, ob es wirklich das Beste wäre, wenn diese Regierung Rot-Rot-Grün bliebe. Das ist ja noch mal ein anderes Thema. Aber zu behaupten, es wäre quasi ein Verlust an Demokratie, wenn sich die Regierung Rot-Rot-Grün wieder zusammenfände – das ist doch einfach falsch. Und dass die “Bild”-Zeitung dann titelt: Das ist ein “Wahl-Klau”, also quasi wie Trump argumentiert.

Ronzheimer:

Das war ja der Vorwurf, der aus der Union kam. Darauf bezog sich das.

Diese Behauptung Ronzheimers stimmt schlicht nicht. Seine Darstellung, dass ein Vorwurf des “Wahl-Klaus” von CDU/CSU kam, und “Bild” ihn lediglich aufgegriffen habe, ist Unsinn. Vor einer Woche erschien die “Bild”-Geschichte – mit “Bild”-Überschriften

Screenshot Bild.de - Am Sonntag wählt die Hauptstadt - Rot-Grün bereitet Wahl-Klau gegen die CDU vor
Ausriss Bild-Zeitung - Am Sonntag wählt die Hauptstadt - Rot-Grün bereitet Wahl-Klau gegen die CDU vor

… und einem “Bild”-Text, in dem vom “Wahl-Klau” die Rede war – ohne Anführungszeichen oder einen anderen Hinweis auf ein Zitat, ohne Bezug auf eine Aussage aus der Union:

Erst das Wahl-Debakel! Und jetzt auch noch Wahl-Klau? (…)

Im Klartext: Rot-Rot-Grün will der CDU den Sieg klauen!

In dem “Bild”-Artikel kommen drei Unionspolitiker mit kurzen Aussagen zu Wort: CDU-Generalsekretär Mario Czaja (“Der Regierungsauftrag liegt bei der stärksten Kraft. Punkt.”), Thorsten Frei, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion (“Für eine Koalition der Verlierer haben die Bürger kein Verständnis.”), und Kai Wegner, Berliner Spitzenkandidat der CDU (“Ich bin mir sicher, dass alle Parteien den demokratischen Wählerwillen respektieren werden.”). Keiner von ihnen spricht von einem “Wahl-Klau”. Das macht nur die “Bild”-Redaktion (später löschte sie klammheimlich alle “Wahl-Klau”-Stellen). Und Paul Ronzheimer behauptet bei “maischberger” einfach irgendwas anderes.

Dort greift kurze Zeit später Urban Priol einen anderen Aspekt aus der “Bild”-Berichterstattung auf:

Aber wir müssen jetzt nicht bis 2001 zurückgehen. 2021 nach der Bundestagswahl war es auch die “Bild”-Zeitung, die gesagt hat: Moment mal, es könnte ja auch Jamaika sein.

Dazu Ronzheimer:

Nein, Herr Priol, das ist völlig falsch.

Urban Priol:

Nein, das ist nicht falsch. Das habe ich vorgestern erst gelesen.

Und Ronzheimer:

Doch, das ist falsch. Ich habe in der Nacht der Wahl einen Kommentar geschrieben und gesagt: Wer sagt es endlich Herrn Laschet, dass er verloren hat? Also: Die “Bild”-Zeitung hat sich da sehr klar positioniert und hat gesagt: Die SPD hat diese Wahl gewonnen.

Tatsächlich gab es kurz nach der Bundestagswahl einen Videokommentar von Ronzheimer mit der Überschrift: “BILD-Vize Paul Ronzheimer: ‘Warum sagt da keiner ‘Hallo Armin, aufwachen!””. Aber das war natürlich nicht der einzige “Bild”-Beitrag zum Thema. Dass Ronzheimer Urban Priols Aussage als “völlig falsch” bezeichnet, ist völlig falsch. Priol hat nämlich völlig Recht: Nach der Bundestagswahl 2021 erklärte die “Bild”-Redaktion ihrer Leserschaft:

Screenshot Bild.de - Auch der Zweitplatzierte kann eine Regierung bilden - wie einst Helmut Schmidt

Fakt ist: Das Jamaika-Bündnis kommt wie die Ampel auf eine klare Mehrheit im Parlament – Union und FDP bevorzugen diese Koalition. Fakt ist auch: Kein Gesetz verbietet es dem Zweitplatzierten, sollte es so kommen, eine Regierung anzuführen. (…)

Die SPD wird den Regierungsauftrag für sich beanspruchen. Dennoch hat auch Laschet weiter Chancen auf das Kanzleramt.

Es ist schon ganz beeindruckend, mit welcher Überzeugung Paul Ronzheimer irgendwas behauptet, ohne wirklich zu wissen – oder wissen zu wollen -, wie es tatsächlich war.

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Staatliche Pressetrojaner, Herkunftsnennung, RTL2-Rekruten

1. Schutz vor staatlichen Hackerangriffen
(reporter-ohne-grenzen.de)
“Reporter ohne Grenzen” wendet sich gegen den geplanten Einsatz von Staatstrojanern. Da keine Schutzrechte für Journalisten geplant seien, könnten Ermittler über eingeschleuste Trojaner vertrauliche Gespräche und Chats von Journalisten mit Informanten abfangen. Die Organisation dazu: „Journalisten sind auf Verschlüsselung angewiesen, um sich vertraulich mit Kollegen und Informanten auszutauschen. Die Pläne von Heiko Maas bewirken, dass es in Deutschland kein digitales Kommunikationsmittel mehr gibt, mit denen Journalisten zweifelsfrei vor Überwachung geschützt sind. Die Große Koalition muss im Gesetz klarstellen, dass Journalisten bei ihrer Arbeit nicht abgehört werden dürfen. Ein Staatstrojaner hat auf dem Handy eines Journalisten nichts verloren.“
Link zur ausführlichen Stellungnahme zur Einführung der Quellen-TKÜ und Online-Durchsuchung (PDF)

2. Ist die Herkunft von Tätern und Verdächtigen wirklich von öffentlichem Interesse?
(sueddeutsche.de, David Denk)
Immer wieder wird darüber diskutiert, ob Medien bei Straftaten die Herkunft des Täters nennen dürfen beziehungsweise sollen. Der Presserat hat dazu nun Leitsätze mit aktuellen Beispielen formuliert, die für schnellere und bessere Entscheidungen im Redaktionsalltag führen sollen. Ergänzend führt der Presserat aus, dass weder “Neugier” oder “Gruppeninteressen”, noch die “Nennung einer Gruppenzugehörigkeit durch Quellen, etwa durch Behörden” die Redaktionen von ihrer “eigenständigen presseethischen Verantwortung” entbinde.
Die Praxisleitlinie (Richtlinie 12.1 des Pressekodex) kann beim Presserat eingesehen werden (PDF).

3. Eine ganz andere Sicht
(taz.de, Volkan Agar)
“taz”-Autor Volkan Agar stellt in einem Überblicksartikel die wichtigsten linken Medien der Vergangenheit und Gegenwart vor. Mit dabei sind der Liebling der Sponti-Szene “Pflasterstrand”, die teilweise massiv verfolgte und beschlagnahmte “Agit 883”, die autonome, feministische Zeitschrift “Courage”, das Magazin “konkret”, “analyse & kritik”, die anarchistische “Graswurzelrevolution”, das linksradikale und antifaschistische Newsportal “Indymedia”, die linke Wochenzeitung “Jungle World” und die linksalternative, österreichische Zeitschrift “malmoe”.

4. Hatespeech ist nicht, wenn Journalisten mit Kritikern skypen
(broadly.vice.com, Yasmina Banaszczuk)
Was hat die “Tagesschau” mit ihrer Aktion “Sag’s mir ins Gesicht – für eine bessere Diskussionskultur im Netz” erreicht? Live wollte man sich von den Zuschauern die Meinung sagen lassen und für das Thema Hass im Netz sensibilisieren. Doch auf Hater und Trolle wartete man vergeblich, der Großteil der Anrufer trat höflich bis freundlich auf. Nicht überraschend wie Yasmina Banaszczuk im Gespräch mit Social-Media-Profis herausgefunden hat. “Ich glaube, die wahren Trolle, die wirklichen Hater, sind nirgendwo zu Wort gekommen, weil das gar nicht das ist, was sie wollen.”, befand die Journalistin Katrin Weßling. Ähnlich sah es die Autorin Ninia LaGrande. Und der Blogger Ali Schwarzer störte sich bereits an der Grundidee: “Als hätten Trolle und Hater nicht schon genug Raum, bekommen sie jetzt auch noch ein weiteres Podium.”

5. „Unsere Denkweise war ganz simpel“
(verguetungsregeln.wordpress.com, Martin Schreier)
Vor einigen Tagen hat der Journalist Martin Schreier mit einem Vertreter des “Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger” (BDZV) über die Kündigung der Gemeinsamen Vergütungsregeln für hauptberuflich freie Journalisten an Tageszeitungen gesprochen (6vor9 berichtete). Mittlerweile hat er weitere Stellungnahme-Interviews geführt und zwar mit dem Justitiar des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV) Benno Pöppelmann, dem dju-Tarif-Sekretär Matthias von Fintel und der Vorstandsvorsitzenden der Freischreiber Carola Dorner.

6. RTL2 will Werbefilme für Bundeswehr senden
(deutschlandfunk.de, Brigitte Baetz & Sebastian Wellendorf)
Die von der Bundeswehr für die Verteilung über Youtube produzierte Werbereihe “Die Rekruten” hat mittlerweile mehr als 44 Millionen Views. Nun hat sich “RTL2” die Fernsehrechte an der 90-teiligen Bundeswehr-Reality-Soap gesichert. Das könnte ein Fall für die Medienaufsicht werden. Die Medienjournalistin Brigitte Baetz kritisiert im Deutschlandfunkgespräch, dass Grenzen zwischen Berichterstattung und PR verschwimmen, wenn der Gegenstand der Berichterstattung selbst zum Berichterstatter wird. Im Zweifel müsse es eine Einblendung geben, die anzeigt, dass es sich um eine Art Sonderwerbeform handelt.

Türkei-Jubelanzeigen, Jagdtrieb, Peilsender für Chefredakteur

1. Ein Umstand mit Geschmäckle
(taz.de, Silke Burmester)
Die Entwicklungen in der Türkei mit den zahlreichen Repressionen gegen Journalisten, Juristen und Andersdenkende haben dem Image des Landes naturgemäß geschadet. Türkische Wirtschaftsorganisationen klappern nun die Anzeigenabteilungen deutscher (und ausländischer) Medienhäuser ab und winken mit Geld für großformatige Imageanzeigen mit propagandistischem Einschlag. Im Falle der “Welt”, deren Korrespondent Deniz Yücel sich seit Februar in der Türkei in Haft befindet, besonders problematisch. Selbst wenn man sich auf eine Trennung von Redaktion und Anzeigenabteilung berufe: “Die Bigotterie, dass Verlage, die sich für Demokratie und Pressefreiheit einsetzen, die noch dazu für die Freilassung ihrer Mitarbeiter kämpfen, an den Imagebeilagen der undemokratischen Staaten verdienen, bleibt.” Ergänzung (11:32 Uhr): Beim “Deutschlandfunk” hat Silke Burmester noch mal zum Thema nachgelegt.

2. „Die Medien haben sich danach gesehnt, dass es jemand spannend macht“
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Jetzt auch ohne Paywall lesbar: Das “Übermedien”-Interview mit dem legendären Wahlkampfberater Frank Stauss, der in den vergangenen 20 Jahren über 25 Wahlkämpfe begleitet hat: unter anderem für Klaus Wowereit, Kurt Beck, Gerhard Schröder, Malu Dreyer und Hannelore Kraft. Es geht über ein mögliches Comeback für Kanzlerkandidat Martin Schulz, den Bedeutungsverlust klassischer Medien — und wie die Befindlichkeit von Journalisten die Berichterstattung beeinflusst.

3. Gegen den medialen Jagdtrieb
(deutschlandfunk.de, Burkhard Schäfers, Audio, 4:30 Minuten)
Der “Deutschlandfunk” berichtet in einem Hörbeitrag über einen Workshop der Deutschen Journalistenschule zum richtigen Umgang mit Betroffenen von Amokläufen und Terroranschlägen. Es ist bezeichnend, dass es dabei auch um Selbstverständlichkeiten des menschlichen Miteinanders geht. Workshopleiter Unger: “Es ist eine Ausnahmesituation, auch für den Berichterstatter. Wir sollten vorsichtig, aber auch natürlich mit den Menschen ins Gespräch kommen. Sich vorzustellen, wer man ist und was man gerne möchte. Und auch so zurückhaltend zu fragen, dass es immer noch eine Ausweichmöglichkeit für die Protagonisten gibt.”

4. Deutschland im Zerrspiegel
(faktenfinder.tagesschau.de, Silvia Stöber)
Silvia Stöber beschäftigt sich mit der Deutschlandberichterstattung alternativer Medien aus Osteuropa. Es sei ein verzerrtes Bild, das dort vielmals gezeichnet werde. Mit Bezug auf die Geschichte würden diese Medien Ängste und Misstrauen schüren: “Sie berufen sich auf deutschsprachige Webseiten aus dem verschwörungstheoretischen Milieu, geben andere deutsche Medien falsch wieder oder stellen Online-Umfragen als repräsentative Meinung der Bevölkerung dar.” Als Reaktion hätte der Auswärtige Dienst der EU ein Strategisches Kommunikationsteam mit elf Mitarbeitern eingerichtet.

5. Missstände zudecken
(sueddeutsche.de, Thomas Hahn)
Hat die Landespolizei in Schleswig-Holstein im Zuge der sogenannten “Rocker-Affäre” tatsächlich Journalisten der “Kieler Nachrichten” bespitzelt, um an Informationen über Whistleblower aus den eigenen Reihen zu gelangen? Die Redaktion ist davon überzeugt. Es bestehe zum Beispiel der Verdacht, die Polizei habe einen Peilsender am Auto von Chefredakteur Longardt angebracht, um dessen Fahrten zu Informanten verfolgen zu können.

6. Es war Schleichwerbung. Aber: Muss ja keiner wissen.
(fair-radio.net, Sandra Müller)
Wenn die Radiomacher von “Fair Radio” irgendwo ein eklatantes Fehlverhalten eines Radiosenders entdecken, reichen sie schon mal Beschwerde bei der zuständigen Aufsichtsbehörde ein. So vor einem Jahr, als sie dem Radiosender “FFH” Schleichwerbung vorwarfen. Die gute Nachricht: Die zuständige Landesmedienanstalt Hessen (LPR) hat der Beschwerde stattgegeben. Die schlechte Nachricht: Das kam erst ein Jahr später raus und nur nach merhmaligem Nachfragen, denn der “aufsichtliche Hinweis” wird anscheinend wie ein Geheimnis gehütet: “Und niemand außer der Sender und die LPR-Verwaltung erfährt was davon. Nicht die Medienversammlung der Landemedienanstalt. Nicht die Öffentlichkeit. Nicht die Hörer.”

Guttenbergs Anwalt, bedrohte Journalisten, fehlende Tanit Koch

1. Wiedervereinigte Medienrepublik – was eint, was trennt?
(ndr.de, Video, 29:49 Minuten)
Passend zum Tag der Deutschen Einheit hat das Medienmagazin “Zapp” eine Schwerpunktsendung zur “wiedervereinigten Medienrepublik” zusammengestellt. In den drei Beiträgen geht es um “Medien-Klischees über den Osten”, “Zuschauerbindung beim MDR” und den “‘Neues Deutschland’-Fake”, dazu gibt es ein Interview mit Sergej Lochthofen, den früheren Chefredakteur der “Thüringer Allgemeinen”.

2. Guttenbergs Firma ist weltweit präsent – aber kaum zu finden
(morgenpost.de, Sebastian Geisler)
Fragt man Karl-Theodor zu Guttenberg nach einem möglichen politischen Comeback, verweist der frühere Verteidigungsminister gern auf sein “expandierendes Unternehmen” “Spitzberg Partners”. Fragt man nach “Spitzberg Partners”, meldet sich Guttenbergs Anwalt Christian Schertz. Sebastian Geisler von der “Berliner Morgenpost” hat sich von drohenden Gegendarstellungen und Unterlassungen nicht abschrecken lassen und weiterrecherchiert, auf der Suche nach “Spitzberg”-Dependancen und -Mitarbeitern. Sein Werkstattbericht handelt nicht nur von Guttenbergs Firma, sondern auch von dessen Umgang mit den Medien.

3. Morddrohungen gegen Journalisten
(taz.de, Marina Mai)
Trung Khoa Le betreibt von Berlin aus die zweisprachige Onlinezeitung thoibao.de. Dort hat er unter anderem über die Entführung des vietnamesischen Expolitikers Trinh Xuan Thanh berichtet — ausgesprochen erfolgreich, mit 1,5 Millionen Klicks allein im August, von denen 80 Prozent aus Vietnam gekommen sein sollen. Nun wird Le verfolgt. Fotos von ihm tauchen im Internet auf, genauso Informationen über seine Kinder und Morddrohungen gegen ihn. Verwandte von Le wurden bereits vom vietnamesischen Geheimdienst befragt.

4. Die Reise zum Mittelpunkt des Bebens
(newsroom.de, Christian Jakubetz)
“Vor ein paar Jahren”, schreibt Christian Jakubetz, habe er mal eine Idee gehabt, die nie über den Status einer Idee hinausgekommen sei: ordentlichen Lokaljournalismus ordentlich aufziehen. “Man geht raus, schreibt Geschichten aus der Lebenswirklichkeit der Menschen, immer unter der Fragestellung: Wie geht’s uns eigentlich in Deutschland gerade so? Das alles zum einen multimedial aufbereitet und zum anderen an und aus Orten erzählt, die sonst nicht so sehr im Fokus der medialen Aufmerksamkeit stehen.” Das Interesse von Redaktionen damals: ganz knapp über null. Plötzlich entdecken “taz” und “Zeit Online” den Lokaljournalismus wieder. Dass nun “eine nur leichte Abwandlung” seiner Idee “gerade als das wirklich heiße Ding im Journalismus gefeiert” werde, amüsiert Jakubetz.

5. Kleines Heft mit großen Zielen
(sueddeutsche.de, Oliver Meiler)
Das Magazin “Eastwest”, das seit kurzer Zeit auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz an den Kiosken liegt, hieß eigentlich mal “East” und war das PR-Blatt der italienischen Bank “Unicredit”. Heute steckt das Kreditinstitut teilweise zwar immer noch hinter dem Printprojekt, aber “Eastwest” ist ein durchaus ernstzunehmendes Politmagazin geworden. Oliver Meiler hat die kleine Redaktion, die inzwischen auf italienisch, englisch und deutsch publiziert und der Anfragen aus Spanien und Portugal vorliegen, in ihrer Produktionswohnung in Rom besucht.

6. Warum Tanit Koch im neuen “Bild”-Buch fehlt
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
Thomas Lückerath hat sich das große “Bild”-Buch aus dem “Taschen Verlag” genauer angeschaut, auch die Übersicht aller Chefredakteure des Boulevardblatts. Auffällig: In dem von Kai Diekmann und Julian Reichelt herausgegeben Werk lauten die letzten zwei Chefredakteure: Kai Diekmann und Julian Reichelt. Es fehlt: Tanit Koch, die aktuelle Chefredakteurin der gedruckten “Bild”, der im Februar dieses Jahres Reichelt als “Bild”-Oberchef vorgesetzt wurde. Lückerath fragt sich: “Warum ignoriert das Buch zur Geschichte der Bouevardzeitung aber ihre [Kochs] gut 13 Monate an der Spitze von ‘Bild’ von Anfang 2016 bis Februar 2017?” Die Antwort, die der Verlag ihm auf diese Frage liefert, hält er für “interessant”.

Von der ARD zur AfD, Brennpunkt brennt nicht, Hausbesuch vom Rapper

1. Von der ARD zur AfD: Journalisten, die den rechten Rand bevölkern
(uebermedien.de, René Martens)
“Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik gab es eine Partei, in der Journalisten derart wirkmächtig sind wie derzeit in der AfD.” Und in der Tat: Dafür, dass die AfD die Kommunikation mit der Presse oft verweigert, sie gar als “Lügenpresse” diffamiert, haben erstaunlich viele Journalisten den Weg zu ihr gefunden und bekleiden dort wichtige Funktionen. Wie konnte es dazu kommen? René Martens hat sich in einem längeren Essay auf die Suche nach den Gründen begeben.

2. EuGH-Urteil zu Facebook: Der freien Meinungsäußerung droht Schiffbruch
(netzpolitik.org, Alexander Fanta)
Alexander Fanta kommentiert für netzpolitik.org das Urteil des Europäischen Gerichtshofs, nach dem Facebook nicht nur einen hetzerischen Post, sondern auch “sinngleiche” Äußerungen entfernen müsse. Dies sei äußerst problematisch, so Fanta: “Wer darüber entscheidet, was sinngleich ist und was nicht, der schwingt sich zum Gericht über die Meinungsfreiheit auf.”
Weiterer Lesetipp: Die USA, Großbritannien und Australien fordern Hintertüren für die Facebook-Messenger-Verschlüsselung und begründen dies mit der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger. Eine Argumentation, die Lisa Hegemann in ihrem “Zeit Online”-Kommentar als perfide bezeichnet.

3. Fakten, Fakten, Fakten
(kreuzer-leipzig.de, Aiko Kempen & David Muschenich)
Eine “Focus TV”-Reportage über den angeblichen “Brennpunkt Leipzig” wird von den dort eingebundenen Protagonistinnen und Protagonisten kritisiert. Sie sehen sich vom Filmteam getäuscht. Der Film, so der Vorwurf, habe mit der Realität auf Leipzigs Straßen nicht viel zu tun. Die Filmemacher hätten mit falschen Zahlen operiert, die Situation tendenziös dargestellt und unnötig dramatisiert. Vorwürfe, zu denen sich Filmproduktion und Autoren augenscheinlich nicht äußern möchten: “Eine Anfrage des kreuzer zu den hier geschilderten Punkten ließ Focus TV bisher unbeantwortet. Auch Kontaktversuche mit den Autoren des Films waren erfolglos.”

4. Pressefreiheit für Seehofer kein Thema
(djv.de, Hendrik Zörner)
Bundesinnenminister Horst Seehofer hat sich mit türkischen Regierungsmitgliedern zu Gesprächen getroffen. Es ging vor allem um Sicherheitsfragen und finanzielle Hilfen für die Türkei in der Flüchtlingspolitik. Der Deutsche Journalisten-Verband kritisiert, dass bei den Gesprächen das Thema Presse- und Meinungsfreiheit ausgespart blieb: “Es ist nicht zu verstehen, dass Seehofer gut Wetter macht und seine türkischen Gesprächspartner in höchsten Tönen lobt, ohne auf die Verfolgung und Inhaftierung von Journalisten einzugehen. Das kann er gerade im Unrechtsstaat Türkei nicht ausblenden.”

5. Prinz Harry klagt gegen britische Zeitungen wegen Telefon-Hackings
(sueddeutsche.de)
Prinz Harry hat die Verlagshäuser von “Sun” und “Mirror” wegen illegalen Abhörens von Mailbox-Nachrichten verklagt. Der Vorgang erinnert an einen der größten Medienskandale Großbritanniens, als Murdoch-Journalisten Handygespräche von Verbrechensopfern und Prominenten abgehört hatten.
Weiterer Lesehinweis: Auch Herzogin Meghan wehrt sich und verklagt die britische Boulevardzeitung “Mail on Sunday” wegen der Veröffentlichung eines privaten Briefs (sueddeutsche.de).

6. Rapper Fler droht Journalisten
(tagesspiegel.de, Alexander Fröhlich)
Der Rapper Fler hat den “Tagesspiegel”-Reporter Sebastian Leber bedroht und versucht, ihn zu Hause zu “besuchen”. Leber hatte zuvor in Bushido gegen Fler — ein Streit in 54 Akten die Dauerfehde zwischen den beiden reimenden Straßensängern mit Aggressionsproblem nachgezeichnet.
 Außerdem hatte der “Tagesspiegel” ein von Flers Freundin aufgenommenes Handyvideo veröffentlicht, in dem er bei einer Fahrerlaubniskontrolle Polizeibeamte körperlich anging und bepöbelte.

Koste es, was es wolle (und wenn es Menschenleben sind)

Vor zehn Jahren starb Robert Enke. Zu diesem Anlass erzählen “Bild” und Bild.de heute noch einmal in einem Protokoll “DIE LETZTEN 50 STUNDEN” des Fußballtorwarts nach:

Screenshot Bild.de - Wie der Nationaltorwart alle täuschte - Die letzten 50 Stunden von Robert Enke

Für zahlende “Bild plus”-Kunden — denn mit dem Tod eines Menschen lässt sich ja immer noch ein bisschen Geld verdienen — rekonstruiert die Redaktion Enkes Suizid und lässt dabei kaum ein Detail aus: Methode, Ort, Vorbereitung, alles wird genannt.

Das ist extrem fahrlässig und kann Menschen in Gefahr bringen. Die “Bild”-Redaktion schreibt das alles auf, als hätte sie noch nie vom Werther-Effekt gehört; als würde sie die deutlichen Warnungen der Stiftung Deutsche Depressionshilfe (PDF) und der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention (PDF) sowie deren Hinweise für Medien nicht kennen; als würde die Wissenschaft nicht eindringlich beschreiben, dass diese Art der Berichterstattung Menschenleben kosten kann; als wäre in vielen Studien weltweit nicht längst nachgewiesen worden, dass das alles nicht nur Theorien sind, sondern reale Gefahren.

Vermutlich ist es aber noch schlimmer: Bei “Bild” wissen sie von all dem. Sie wissen, dass ausgiebige Nacherzählungen von Suiziden weitere Suizide nach sich ziehen können. Aber es kümmert sie nicht.

Sie schaffen es ja noch nicht mal, Minimalvorkehrungen zu treffen: Normalerweise bauen “Bild” und Bild.de in ihre Texte, in denen es um Suizide geht, einen Infokasten ein, in dem steht, an wen sich Menschen mit Depressionen wenden können (zum Beispiel an die TelefonSeelsorge unter 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222 oder 116 123). Das ist erstmal eine gute Sache, aber letztlich auch nicht mehr als eine Alibiaktion, wenn die Redaktion im selben Artikel Detail um Detail nennt und damit all die Aspekte missachtet, die Berichte über Suizide etwas weniger gefährlich werden lassen könnten. Im Artikel von heute über Robert Enke war nicht mal ein solcher Kasten mit Informationen zu Hilfsangeboten eingebaut. Erst nach Kritik hat die Redaktion ihn bei Bild.de hinzugefügt.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Bild  

Hauptsache negativ

Vergangenen Dienstag gab es für Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter in der München-Ausgabe der “Bild”-Zeitung die volle Breitseite. Der SPD-Politiker habe ein Versprechen gebrochen, stand über einem großen Artikel:

Ausriss Bild-Zeitung - Reiter bricht Versprechen - Sparkasse plant Strafzins und erhöht Gebühren

Noch im Dezember 2019 habe Reiter, der auch Vorsitzender des Verwaltungsrats der Stadtsparkasse München ist, gegenüber “Bild” gesagt: “Ich werde alles tun, um Negativzinsen für Bestandskunden zu verhindern.” Und nun, kein Jahr später, soll “BILD-Informationen” zufolge feststehen, dass genau diese Negativzinsen in München kommen werden:

Der nächste Gebühren-Hammer der Münchner Stadtsparkasse (SSKM) kommt: Ab dem 1. Januar 2021 plant “Die Bank unserer Stadt” einen sogenannten Strafzins auf Spareinlagen. (…)

Nach BILD-Informationen werden ab 100 000 Euro auf dem Sparbuch zwei bis fünf Prozent fällig. Stark betroffen sind 18 000 Kleinsparer.

Und was sagt Dieter Reiter dazu? “Bild”-Chefreporter Torsten Huber schreibt:

OB Dieter Reiter (62, SPD) ist Verwaltungsrats-Vorsitzender bei der Stadtsparkasse. Er will sich wegen seiner “Verschwiegenheitspflicht” nicht zu den SSKM-Plänen äußern.

In einem Kommentar mit der Überschrift “OB Reiter ist das wurscht” legt Huber nach. Die Stadtsparkasse München gehe den einfachsten Weg, “um an Geld zu kommen” und erhebe bald einen “Strafzins aufs Sparbuch”:

Als Verwaltungsrats-Chef der SSKM mit 18 000 Euro Aufwandsentschädigung im Jahr muss OB Reiter (62, SPD) davon gewusst haben. (…)

Statt die SSKM-Pläne zu stoppen, schweigt Reiter, versteckt sich hinter seiner “Verschwiegenheitspflicht”. Ihm kann es ja wurscht sein. Bei der Kommunalwahl 2026 ist er längst im Ruhestand.

Die Aussagen der “Bild”-Redaktion zur angeblichen Einführung eines Strafzinses – in der Branche auch Verwahrentgelt genannt – seien “völlig unzutreffend”, so die Stadtsparkasse München. In einer “Gegendarstellung zum BILD-Bericht” schreibt sie:

Die München-Ausgabe der BILD-Zeitung berichtet in ihrer heutigen Ausgabe vom 29.09.2020, dass die Stadtsparkasse entschieden hätte, ab Januar 2021 bei Privatkunden Verwahrentgelt ab einem Guthaben von 100.000 Euro zu berechnen. Die Stadtsparkasse München stellt hiermit klar, dass diese Behauptung völlig unzutreffend ist. Es gibt diesbezüglich weder Überlegungen, noch Planungen oder gar eine Entscheidung.

Auf Nachfrage bestätigt uns ein Sprecher der Münchner Stadtsparkasse, dass man dies der “Bild”-Redaktion vor Veröffentlichung des Artikels mitgeteilt habe.

Abgesehen von der grundsätzlich falschen Darstellung der Redaktion zur Einführung eines Strafzinses bei der Stadtsparkasse München, sind die “BILD-Informationen” auch im Detail falsch. Zur Erinnerung: “Nach BILD-Informationen werden ab 100 000 Euro auf dem Sparbuch zwei bis fünf Prozent fällig.” Banken dürfen allerdings auf Sparbücher gar gar keine Negativzinsen verlangen. Die Stadtsparkasse München schreibt in ihrer Gegendarstellung:

Auch die Behauptung, dass davon Sparbücher betroffen wären, wäre allein vertragsrechtlich unmöglich. Verwahrentgelt könnte aus vertraglichen und gesetzlichen Vorgaben grundsätzlich nur auf Guthaben von Girokonten erhoben werden.

Und dann auch noch ein vermeintlicher Strafzins in Höhe von “zwei bis fünf Prozent”, wie “Bild” schreibt? Das wäre ein überraschend hoher Wert. Das Finanzportal biallo.de hat für eine Untersuchung bei rund 1300 Banken und Sparkassen nachgeschaut, ob sie ein Verwahrentgelt einfordern und wie hoch dieses gegebenenfalls ist. Das Ergebnis: Der bislang höchste erhobene Strafzins liegt bei 0,75 Prozent. Der Negativzins, den die Europäische Zentralbank verlangt, wenn Banken bei ihr Geld parken, und den die Banken gern an die Kundschaft weitergeben, liegt aktuell bei 0,5 Prozent.

Auch die Behauptung, dass sich Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter hinter seiner Verschwiegenheitspflicht “versteckt”, wie “Bild”-Reporter Torsten Huber schreibt, ist interessant. Laut bayerischem Sparkassengesetz dürfen sich Mitglieder des Verwaltungsrats nicht zu “ihnen amtlich oder aus Anlaß ihrer Amtsführung bekanntgewordenen Tatsachen” äußern. Reiter hält sich also schlicht ans Gesetz. Dafür gibt es von “Bild” eins auf die Mütze.

Am Freitag veröffentlichte die München-Ausgabe der “Bild”-Zeitung eine “Berichtigung”, schön unauffällig platziert zwischen “CLUB-KRISE”, “KOKS-SKANDAL” und Anzeige:

Ausriss Bild-Zeitung - Übersicht der Seite vom vergangenen Freitag

“Bild” schreibt:

Berichtigung

BILD München berichtete am 29.9.2020 über Planungen der Münchner Stadtsparkasse, zum 1.1.2021 einen Strafzins auf Spareinlagen über 100 000 Euro einzuführen, wovon 18 000 Kleinsparer betroffen seien. Zur Einführung eines “Verwahrentgelts” für Privatanleger erklärt die Sparkasse: “Diese Behauptungen sind völlig unzutreffend. Es gibt diesbezüglich weder Überlegungen, noch Planungen oder gar eine Entscheidung.” Verwahrentgelt könne “nur auf Guthaben von Girokonten erhoben werden”. Zudem seien nicht 18 000 Kleinsparer betroffen.

Den ganzen Murks, den die Redaktion über Oberbürgermeister Dieter Reiter verbreitet hat, berichtigt sie nicht.

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Wilder Podcast-Westen, AfD-Beilage, Panoramafreiheit für Drohnen-Bilder

1. Plattformkapitalismus erobert den wilden Podcast-Westen
(deutschlandfunkkultur.de, Philip Banse, Audio: 54:49 Minuten)
Eines der spannendsten Mediengespräche des Jahres und ein absoluter Hörtipp für alle Podcast-Interessierten: Bei Deutschlandfunk Kultur unterhalten sich Dirk von Gehlen (“Süddeutsche Zeitung”) und Sandro Schroeder (Deutschlandradio) mit Philip Banse über den explodierenden Podcast-Markt und die Gefahren der Monopolisierung.

2. Offener Brief: Für eine Beteiligung gemeinnütziger digitaler Publisher und Organisationen
(correctiv.org)
Einen wahren Geldregen von mehr als 200 Millionen Euro will die Bundesregierung über Tageszeitungen, Zeitschriften und Anzeigenblättern ausschütten. Das Forum Gemeinnütziger Journalismus kritisiert den Verteilungsmechanismus, der die kleinen, unabhängigen Journalismus-Projekte außer Acht lasse. Man sei “in großer Sorge, dass diese Förderung zu einer Benachteiligung von gemeinnützigen digitalen Publishern führt, die in den vergangenen Jahren mit erheblichen Risiken neue journalistische Angebote aufgebaut haben. Wir fordern deswegen, dass die Bundesregierung auf eine Förderung ausgewählter Medien verzichtet oder alle neuen digitalen Akteure gleich behandelt.”

3. AfD Sonntagszeitung
(sbamueller.com, Sebastian Müller)
Die zur “Badischen Zeitung” gehörende kostenlose Zeitung “Der Sonntag” enthielt vor zwei Tagen eine Beilage der AfD, die sich die Anmutung einer eigenen Zeitung gab. Sebastian Müller hat sich die Polit-Postille mit dem Titel “Stadt im Blick Freiburg” angeschaut und macht einige Anmerkungen zu den Inhalten.
Weitere Lesehinweise: Bei Facebook kommentiert die Initiative Aufstehen gegen Rassismus in Freiburg: “Die Badische Zeitung hat mit dieser Verteilaktion starke Fahrlässigkeit gehandelt. Keine Krisensituation und keine wirtschaftlichen Faktoren können das verteilen von rechtspopulistischen Fake News als journalistische Einheit rechtfertigen.” Die “Badische Zeitung” hat noch am Sonntag eine Stellungnahme veröffentlicht, in der sie versucht zu erklären, “warum wir diese Werbung nicht abgelehnt haben.” Am Montag folgte eine Distanzierung: “Die Abwägung war im Ergebnis falsch”.

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4. Die großen Probleme des TV-Angebots der Bild-Zeitung
(berliner-zeitung.de, Kai-Hinrich Renner)
Die “Berliner Zeitung” hatte vergangene Woche über aktuelle Entwicklungen im Hause “Bild” berichtet, sieht sich jetzt jedoch zu einem Nachtrag veranlasst: “In einer vorherigen Version schrieben wir, am 17. November habe der Springer-Aufsichtsrat beschlossen, ‘Mittel in Höhe von mindestens 20 Millionen Euro für Bild Live’, würden ‘nicht fließen’. Inzwischen teilte Axel Springer mit, dass am 17. November in einer Vorstandssitzung ‘für das Jahr 2021 für Bild Live ein Investitionsvolumen von ca. 22 Millionen Euro bestätigt worden’ sei. Zudem ist uns im ursprünglichen Text eine Verwechslung unterlaufen: Nicht die Verleihung des Axel-Springer-Awards sahen bei Bild Live im Schnitt 260 Zuschauer. Tatsächlich hatte diese Quote ein Interview mit dem Tesla-Chef im Vorfeld der Preisverleihung.”

5. Ausverkauf
(sueddeutsche.de, Florian Hassel)
Die Verlagsgruppe Passau trennt sich von ihrer polnischen Tochter Polska Press. Das Paket aus 20 Regionalzeitungen, rund 120 Wochentiteln und 500 Internetportalen geht an Polens staatlichen Öl- und Tankstellenkonzern Orlen. “Ein schwarzer Tag für die Pressefreiheit und Medienpluralität”, so die unabhängige Tageszeitung “Gazeta Wyborcza”.

6. LG Frankfurt a.M.: Urheberrechtliche Panoramafreiheit gilt auch für von Drohnen angefertigte Fotos
(dr-bahr.com)
Das Landgericht Frankfurt hat entschieden, dass die urheberrechtliche Panoramafreiheit auch für von Drohnen angefertigte Fotos gilt. Der Entscheidung vorausgegangen ist ein Konflikt zwischen der Konstrukteurin der Lahntalbrücke Limburg und einem Fotografen, der Drohnenbilder verkauft hatte, auf denen das Bauwerk zu sehen ist.

Hildmann-Vertrauter packt aus, Rüge für “Bild”, Anti-Klimaschutz

1. Attila Hildmanns engster Vertrauter packt aus
(t-online.de, Lars Wienand)
Vor einigen Tagen hat die Hackergruppe Anonymous Telegram-Kanäle und Websites von Attila Hildmann vom Netz genommen. Der ehemalige Kochbuch-Autor hatte über den Messenger rechtsextremistische, antisemitische und verschwörungsideologische Inhalte an seine teilweise mehr als 100.000 Abonnenten ausgespielt. Die Anonymous-Aktion war nur deshalb möglich, weil ein ehemaliger Vertrauter und IT-Administrator Hildmanns die Daten an das Hackerkollektiv weitergegeben hatte. Jetzt hat dieser Mann vor Journalisten über die Zeit mit Hildmann, dessen Gedankenwelt und Netzwerk gesprochen.
Weiterer Lesehinweis: Facebook löscht Konten und Gruppen der Querdenken-Bewegung: “Facebook hat knapp 150 Accounts und Gruppen auf seinen Plattformen gelöscht, die zur umstrittenen Querdenken-Bewegung gehören sollen. Es ist nach Angaben des Unternehmens weltweit die erste gezielte Aktion, die sich gegen eine Gruppierung richte, die einen ‘koordinierten sozialen Schaden’ (coordinated social harm) hervorruft.” (zeit.de)

2. Erinnert ihr euch an das schreckliche Seilbahn-Unglück in Italien
(twitter.com, Niema Movassat)
Der Bundestagsabgeordnete Niema Movassat hat sich – neben einigen BILDblog-Leserinnen und -Lesern – beim Presserat über “Bild” beschwert und Zustimmung erhalten. Auf Twitter schreibt Movassat: “Erinnert ihr euch an das schreckliche Seilbahn-Unglück in Italien, bei dem ein Kind seine Familie verlor? Das Drecksblatt Bild hat nicht davor zurückgeschreckt, das Bild des Kindes abzudrucken. Ich habe mich beim Presserat beschwert – die Bild bekommt nun eine öffentliche Rüge.” In den Kommentaren wird berechtigterweise die Frage nach den Folgen diskutiert: “Wenn die Lehrerin immer nur Tadel einschreibt und das keine Konsequenzen hat, interessiert das die Jungs, die den Unterricht stören halt einen Scheiss. Also? Konsequenzen?”

3. „Nicht den Anschein erwecken, wir bevorzugen jemanden“
(deutschlandfunk.de, Sebastian Wellendorf, Audio: 6:08 Minuten)
Wie berichten die Sender des Deutschlandradios kurz vor der Bundestagswahl? Welche Politikerinnen und Politiker werden dann noch interviewt? Und wie steht es um journalistische Nebentätigkeiten? Im Gespräch mit @mediasres, dem Medienmagazin im Deutschlandfunk, spricht Friedbert Meurer, Leiter der Abteilung Aktuelles, über die Grundsätze des Senders bei der Berichterstattung kurz vor der Wahl.

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4. Warum der Fall Nemi El-Hassan die Krise des deutschen Journalismus aufzeigt
(berliner-zeitung.de, Hanno Hauenstein)
Hanno Hauenstein findet die Debatte um den WDR und die designierte “Quarks”-Moderatorin Nemi El-Hassan scheinheilig. Die Diskussion sei “Ausdruck einer inzwischen normalisierten deutschen Sehnsucht, die Deutungshoheit über Antisemitismus gegen Minderheiten in Anschlag zu bringen. Ob diese nun jüdisch, muslimisch oder links sind, scheint dabei kaum mehr eine Rolle zu spielen.” Der Beitrag ist auch deshalb empfehlenswert, weil er neue Gedanken und Perspektiven zur Bewertung des Konflikts einbringt.

5. Pressefreiheit: Wahlversprechen unter der Lupe
(reporter-ohne-grenzen.de)
Reporter ohne Grenzen hat die Parteien zu Kernthemen rund um die Pressefreiheit befragt. Die acht “Wahlprüfsteine” behandeln etwa den Umgang mit zunehmenden gewalttätigen Übergriffen auf Journalistinnen und Journalisten, das Sanktionieren mangelnder Rechtsstaatlichkeit in EU-Staaten und die Frage, wie zwischen staatlichen Überwachungsbefugnissen und dem Recht auf vertrauliche Kommunikation im Internet abzuwägen ist. Alle der im Bundestag vertretenen Parten haben geantwortet – abgesehen von der AfD.

6. Bild: Anti-Klimaschutz-Propaganda verbreiten
(klima-luegendetektor.de)
“Bild” sprach mit dem Vorsitzenden der IG Metall über allerlei aktuelle Themen, darunter auch die arbeitsmarktrelevanten Aspekte der Klimapolitik. Die Folge war ein “Bild”-Titel mit der verzerrenden und irreführenden Schlagzeile: “IG-Metall-Boss Hofmann warnt: Klima-Schutz kostet Hunderttausende Jobs!” (siehe dazu auch unseren gestrigen Beitrag “Bild”-Verzerrung kostet richtige Klimaschutz-Aussage). Den Experten und Expertinnen des “Klima-Lügendetektors” sind noch weitere bemerkenswerte Dinge zur “Bild”-Geschichte aufgefallen.

Gibt es bei “Bild” einen Zwang, in der Mittagspause Weißwurst zu essen?

Nein, gibt es nicht. Aber fragen kann man ja mal, auch wenn man es eigentlich besser weiß. So, wie hier:

Screenshot Bild.de - Live im Fernsehgarten - Deutet Andrea Kiewel hier Genderzwang im ZDF an?

… titelte die “Bild”-Redaktion gestern groß auf der Bild.de-Startseite. Zuvor sprach Moderatorin Andrea Kiewel im ZDF-“Fernsehgarten” von “Singer-Songwriter*innen”, also mit Gender-Pause. Und sagte anschließend mit Blick ins Publikum: “Nicht das Gesicht verziehen. Ich muss.”

Da war natürlich was los in den Sozialen Netzwerken: Schreibt das ZDF etwa das Gendern vor? Und auch Bild.de fragte auf der Startseite empört mit. Dabei weiß die Redaktion zu diesem Zeitpunkt schon längst, dass es einen derartigen “GENDERZWANG” nicht gibt – es steht eindeutig im dazugehörigen Artikel:

BILD fragte nach. Das ZDF dementierte: “Es gibt keine Anweisung zum Gendern im ‘ZDF-Fernsehgarten’. Andrea Kiewel ist es ein persönliches Anliegen, alle anzusprechen, daher verwendete Sie die Formulierung ‘Singer- und Songwriter*innen’ im Zusammenhang mit ‘muss’.”

Gegenüber BILD stellte Kiewel am Sonntag klar: “Niemand, nicht das ZDF und sonst auch niemand, sagt mir, dass ich gendern muss. Ich benutze den männlichen und weiblichen Plural schon seit langer Zeit, weil ich es unbedingt will und es mir sehr wichtig ist. Es liegt mir am Herzen. Und so meinte ich es auch in der Live-Sendung. Kann schon mal vorkommen, dass in einer zweistündigen Live-Sendung nicht jedes Wort maßgeschneidert passt. Aber es ist so. Ich will es. Ich muss es nicht.”

Kiewel trotzig: “Alles, was ich sage oder schreibe, mache ich aus tiefster Überzeugung. So bin ich. Eine Frau, der das -innen am Herzen liegt. Aber auch wichtig: Jeder soll es so machen, wie er oder sie es für richtig hält.”

Aber fragen (und auf der Wutwelle mitsurfen und so Klicks einsammeln) kann man ja mal.

Auf der Titelseite der heutigen “Bild”-Zeitung versucht die Redaktion übrigens noch einmal, möglichst zweideutig zu berichten:

Ausriss Bild-Titelseite - Andrea Kiewel über ihre Gender-Sprache im Fernsehgarten - Ich muss

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Ausblick auf Katar, Geschnittene Laudatio, Lust und Leid im Theater

1. Das umstrittenste Sportereignis der Geschichte
(journalist.de, Ronny Blaschke)
Der Journalist Ronny Blaschke recherchiert häufig zu politischen Themen im Sport. Für den “journalist” hat er seine Sicht auf die im November bevorstehende Fußballweltmeisterschaft in Katar aufgeschrieben. Der Staat verhalte sich auch Medienschaffenden gegenüber äußerst restriktiv und kontrollsüchtig. Blaschke fragt sich: “Kann die WM dafür sorgen, dass Sportredaktionen hierzulande politische Fragen mehr in den Blick nehmen? Oder führt sie zu orientalistischen Klischees und einem Überlegenheitsdenken gegenüber dem Nahen Osten?”

2. Was Pressefreiheit meint und was nicht
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Joachim Huber spannt im “Tagesspiegel” einen Bogen von der “‘Spiegel’-Affäre” im Jahr 1962 bis zur Situation der Pressefreiheit in der Jetztzeit sowie zur Diskussion um das Medienbuch der Autoren Richard David Precht und Harald Welzer: “Das Buch folgt der einer Emotionalisierungskultur, so wie die AfD jedwede Empörung aufgreift. All das fällt unter Meinungsfreiheit, die eine Schwester der Pressefreiheit ist. Aber wie Bilder der AfD-Anhänger und von Welzer/Precht in der Lanz-Show provozieren sie die Gegenbilder von 1962 herauf, als eben das fundamentiert wurde, worauf AfD und Precht/Welzer mit Lust herumspringen.”

3. So viel Widerspruch
(arminwolf.at)
Auch der österreichische Journalist und Fernsehmoderator Armin Wolf hat das Buch “Die vierte Gewalt” von Precht/Welzer gelesen. Auf seinem Blog veröffentlicht Wolf eine eigentlich als Twitter-Thread geplante Rezension: “In dem Buch finden sich etliche bedenkenswerte Beobachtungen und Diagnosen und es ist sehr gut und flüssig geschrieben. Aber: Die Kernthese von den sich ‘selbstangleichenden’ Leitmedien ist schlicht unsinnig und die Argumentation voller Widersprüche.”

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4. ZDF schneidet Kritik an “AfD-Sympathisanten” aus Laudatio
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Der Pianist Igor Levit wurde am Sonntag mit dem “Opus Klassik 2022” ausgezeichnet. Die Gala wurde vom ZDF übertragen, die Laudatio auf Levit hielt der Musiker Danger Dan, der unter anderem für sein Lied “Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt” bekannt ist. Seine Laudatio endete mit einer Bemerkung über “AfD-Sympathisanten” (“Ihr seid Vollidioten”), die das ZDF anscheinend als nicht von der Kunstfreiheit gedeckt ansah und aus der Aufzeichnung herausschnitt.

5. Queer, migrantisch, Perlenkette: Wo ist das Problem?
(uebermedien.de, Olivia Samnick)
In einer Instagram-Liveschalte berichtete Atay Küçükler, ein junger Journalist der “Hannoverschen Allgemeinen Zeitung”, über die Landtagswahlen in Niedersachsen. Es folgten wütende Reaktionen, Beleidigungen, Hass. Gegenstand der Kommentare waren jedoch nicht inhaltliche Aspekte, es ging um Küçüklers Aussehen: Zum schwarzen Sakko trug er Perlenkette und Ringe. Olivia Samnick hat sich mit Atay Küçükler über die unangenehme Resonanz, aber auch den Zuspruch unterhalten.

6. Nichts für Feiglinge
(sueddeutsche.de, Christine Dössel)
“Ich führe mit dem Theater jetzt schon eine sehr lange Beziehung. Sie ist kinderlos geblieben und nicht unkompliziert. Oft treibt sie mich in den Wahnsinn. Aber es gibt auch nichts Besseres.” Die Theaterkritikerin Christine Dössel berichtet in der “Süddeutschen” von Freud und Leid ihrer Tätigkeit. En lesenswerter Einblick in eine journalistische Nische.

Vertreten, Vermarktet, Verunfallt

1. Das ZDF hat jetzt Internet
(sueddeutsche.de, Jessica Binsch)
Leonhard Dobusch ist Jurist und Wirtschaftswissenschaftler und neuerdings auch Mitglied des ZDF-Fernsehrats. Er soll dort den Bereich “Internet” vertreten. So stünde es offiziell im Rundfunkstaatsvertrag. Dobusch will dort ein paar Themen voranbringen, bei denen seiner Ansicht nach bislang Ängste und Zurückhaltung vorgeherrscht hätten. “Mehr offene Lizenzen” ist eines dieser Themen. Weitere Informationen zum neuen, reformierten Fernsehrat im Kommentar von Boris Rosenkranz auf “Übermedien”.

2. Der “neue Journalismus”, Teil 2: Journalistenmarke schlägt Mittelmaß
(fachjournalist.de, Silke Liebig-Braunholz)
Im zweiten Teil der Reihe über den “neuen Journalismus” geht es um Journalistenmarken im Gegensatz zu Medienmarken. Die Entwicklung sei unaufhaltsam: Der Fachjournalist von morgen werde nicht mehr zwingend mit einer Medienmarke in Verbindung gebracht. Je früher er lerne, seine Geschichten auf eigenen Kanälen zu erzählen und zu seiner großen fachlichen Expertise hinzuführen, desto besser für seine persönliche Journalistenkarriere.

3. Die perfekte Journalistenausbildung
(vocer.org, Alexandra Stark)
Die Studienleiterin “Online und Multimedia” der Schweizer Journalistenschule muss im Rahmen ihrer Tätigkeit immer wieder digitale Gräben zuschütten oder zumindest Brücken darüber bauen, wie sie es beschreibt. Die Frage, wer mehr Recht hat, der Alltag oder die Zukunft, beantwortet sie mit dem Versuch, Zielkonflikte dingfest zu machen. Sie hat dazu eine Liste mit zehn Fragen erarbeitet.

4. EU verlassen? Gefällt mir, sagt Facebook
(faz.net, Adrian Lobe)
Bei der Brexit-Debatte könnte Facebook nach Aussage von Kritikern der „Leave“-Kampagne in die Hände gespielt haben. Adrian Lobe schreibt in der FAZ, was für diesen Verdacht sprechen könnte und endet mit: “Man erwartet von Facebook, dass es die Pluralität der Meinungen abbildet. Ohne selbst den geringsten Inhalt beizusteuern, avanciert Facebook zum größten Medienakteur der Welt. Daher ist es nur billig, dem Internetkonzern gewisse Publikationspflichten abzuverlangen. Dazu gehört, Nachrichten-Algorithmen, deren Funktion einer redaktionellen Entscheidung gleichkommt, transparent zu machen.”

5. Die Stimme aus dem Off
(sueddeutsche.de)
Hans Hoff widmet sich in seiner SZ-Medienkolumne dem Fernsehmoderator Frank Buschmann, der es als “Stimme aus dem Off” in der Pro-Sieben-Show “Schlag den Star” zu einiger Berühmtheit brachte.

6. Unfallwagen
(amacgarbe.de)
Der Fotograf Amac Garbe baut Miniaturautos im Maßstab 1:55 zu Unfallwagen um und lichtet sie auf deutschen Straßen ab. Auch als Kritik an den weit verbreiteten und fragwürdigen Unfallfotorubriken der Medien, wie er sagt.

Meinungsmacher-Hybris, Vollverschleiert, #crowdgezwitscher

1. Die Hybris der Meinungsmacher
(faz.net, Quyn Tran)
Viele Film- und Medienleute in Amerika hätten Donald Trump verhindern wollen, damit jedoch nur die Verlierer der Gesellschaft aus der Diskussion verdrängt und deren Hass gesteigert, so Quyn Tran in der “FAZ”. Der Autor sieht Parallelen zu der Entwicklung bei uns: “Vor einer solchen Entwicklung ist Deutschland nicht gefeit. Statt sich mit dem Ärger weniger Privilegierter zu beschäftigen, werden sie zum Schweigen gebracht und bisweilen lächerlich gemacht. Aber man sollte die Ängste, die jenen Ärger auslösen, ernst nehmen, weil sie sonst zur Hauptmotivation politischen Handelns wird. So wie es gerade in den Vereinigten Staaten ist, wo die Angst vor dem sozialen Abstieg Wähler zu Trump treibt, und die Angst vor Trump als Präsidenten diejenigen, die ihn nicht unterstützen, zu einer vielen verhassten Kontrahentin.”

2. Unverschleiert
(ndr.de, Annette Leiterer)
Eine vollverschleierte Konvertitin erklärte bei “Anne Will” ihre Sicht der Dinge in Sachen Religionsauslegung. Es hagelte Kritik. Zu Recht? Nein, findet Annette Leiterer, die bei “ZAPP” die Redaktion leitet. “Es bereitet Sorge, wenn der Auftritt einer vollverschleierten Frau im Ersten Deutschen Fernsehen am Sonntag als Affront aufgefasst wird, als Angriff auf unsere freiheitliche Gesellschaft. Denn es zeigt, dass die Angst davor, dass WIR uns anderen Regeln unterwerfen müssen, sich eingenistet hat. Aber gerade dieser Angst lässt sich gut begegnen mit der direkten Diskussion.”

3. Syrer Hadi Abdullah ist Journalist des Jahres
(reporter-ohne-grenzen.de)
“Reporter ohne Grenzen” zeichnet den Syrer Hadi Abdullah als Journalist des Jahres 2016 aus. „Durch seine mutige Berichterstattung eröffnet Hadi Abdullah der Weltöffentlichkeit wichtige Einblicke in die täglichen Nöte der Menschen in Syrien“, so der Geschäftsführer der Organisation. „In einem Land, in dem unabhängiger Journalismus gleichbedeutend mit Lebensgefahr ist, hat er sich durch Professionalität und Mut ausgezeichnet.“

4. Hin zu einem autoritären Medienregime in Ungarn
(de.ejo-online.eu, Gabor Polyak & Agnes Urban)
Vor kurzem wurde Ungarns führende Oppositionszeitung und Qualitätszeitung “Népszabadság” unter fragwürdigen Umständen eingestellt. Wenige Wochen später wurde der sie herausgebende Verlag “Mediaworks” wahrscheinlich an den milliardenschweren Oligarchen Lőrinc Mészáros verkauft. Dieser ist ein enger Freund des ungarischen Ministerpräsidenten Orbán. Ein weiterer Schritt zur vollständigen Regierungsherrschaft auf dem ungarischen Medienmarkt, finden die Autoren.

5. Presseverlage hoffen auf finanzielle Hilfe durch Journalisten
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Stefan Niggemeier berichtet auf “Übermedien” über den aktuellen Stand der VG-Wort-Kontroverse. Der Verband deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) wolle die deutschen Journalisten dazu drängen, auf einen Teil ihrer Tantiemen zu verzichten und den Verlagen zu überlassen. Tantiemen, auf die die Journalisten einen Rechtsanspruch hätten…

6. Die Plattform #crowdgezwitscher startet und dokumentiert rechtsradikale Demos in Sachsen
(correctiv.org, Alexej Hock)
“Correctiv” (ein Zusammenschluss von 16 investigativen Journalistinnen und Journalisten) hatte eine Crowdfunding-Kampagne für eine Informationsplattform über rechte Demos in Sachsen durchgeführt. Nun geht das Projekt “#crowdgezwitscher” online. Künftig berichtet ein Netz von mobilen Reporter und Bürgern auf einer eigenen Internetseite und unter einem einheitlichen Twitter-Suchbegriff über die zahlreichen fremdenfeindlichen Kundgebungen in Sachsen.

Sandsäcke, Silvesternacht, Kristallkugel

1. Sandsäcke gegen pseudo-psychologisches Blabla
(schräglage.org, Peter Teuschel)
Auf der rechtslastigen Seite “Tichys Einblick” erschien ein Artikel, der für breites Entsetzen und Empörung sorgte. Die “psychopathologisch gestörten grün-linken Gutmenschen”, so die Schmähung des Autors, seien Kranke, mit denen man nicht reden solle. Auf Twitter kündigten daraufhin viele Nutzer an, ihre Xing-Mitgliedschaften zu kündigen (Roland Tichy ist dort Herausgeber der News). Mittlerweile ist der Artikel auf dem Tichy-Portal zwar gelöscht, wegen der Brisanz des Vorgangs lohnt dennoch ein Blick in die Erwiderung von Peter Teuschel. Und auch Blogger stefanolix hat sich den Beitrag näher angeschaut und stellt am Ende die Frage: “Wie kann ein Mann so viele wunderbare Fachgebiete (inklusive Philosophie und Ethik!) studieren und dann so eine Scheiße schreiben?”

2. „Wir wissen nichts. Alles ist möglich“
(taz.de, Malte Göbel)
“Herr Kachelmann, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie im Spiegel lesen, dass dem Noch-Herausgeber der Bild-Gruppe Kai Diekmann von einer Springer-Mitarbeiterin vorgeworfen wird, sie im Sommer beim Baden belästigt zu haben?” Die “taz” hat mit dem Meteorologen Jörg Kachelmann über die Causa Diekmann gesprochen.

3. Warum wir über Racial Profiling reden müssen
(internet-law.de, Thomas Stadler)
Der Jurist Thomas Stadler hat sich mit den Kontrollen der Kölner Polizei in der Silvesternacht beschäftigt. “Das Verhalten der Kölner Polizei rüttelt an den Grundfesten unserer Verfassung. Wenn wir den Gleichheitssatz unseres Grundgesetzes ernst nehmen, dürfen wir derartige polizeiliche Maßnahmen nicht dulden.” Auch der Jurist Heinrich Schmitz findet bei den Kolumnisten, dass Fragen zum Verhalten der Polizei erlaubt seien.

4. Bunte-Nachbarschaft.de: „Man konnte Wahrheit und Lüge kaum noch unterscheiden“
(flurfunk-dresden.de)
Anfang 2015 startete Jan Pötzscher einen Nachbarschaftsblog, ein “Tagebuch über meine persönlichen Erfahrungen zum Vorhaben der Einrichtung eines Asylbewerberheims, zu den Diskussionen mit Politik und Behörden und dem Für und Wider der Unterbringung von Asylbewerbern – so wertfrei und objektiv wie möglich!” Im Interview mit “Flurfunk” berichtet er über seine Erfahrungen, die Reaktion der Nachbarn, Höhe- und Tiefpunkte und zieht eine persönliche Bilanz.

5. Drei Jahre Moscow Times – sowas wie ein Fazit
(kscheib.de, Katrin Scheib)
Fünf Jahre will Journalistin Katrin Scheib in Moskau arbeiten. Die ersten drei Jahre hat sie bei der “Moscow Times” verbracht. Nun zieht sie ein Zwischenfazit, das neugierig auf das Weiter macht. Aber auch der Blick zurück lohnt: Auf ihrem Blog gibt es viele interessante Beiträge über ihr Leben als Journalistin in Russland.

6. Was Social-Media-Experten von 2017 erwarten
(joca.me, Jörgen Camrath)
Jörgen Camrath hat Social-Media-Experten um einen Blick in die Kristallkugel gebeten und sie gefragt, was uns im neuen Jahr in Bezug auf die sozialen Medien erwartet. Die Antworten gehen erfreulicherweise oft über die üblichen Allgemeinplätze hinaus. Und einer der Befragten hat das Ganze etwas getrollt. Aber auch das liest sich ganz nett.

Bild  

Der Retweet-Gesinnungsfuror des selbstgerechten Julian Reichelt

Aus der beliebten Reihe “Die gelenkige Selbstgerechtigkeit des Julian Reichelt”: Wirft man dem “Bild”-Chef vor, dass er einen rechten Hetzaccount kommentarlos retweetet hat, fragt Reichelt: “Seit wann sind denn bitte Retweets gleich politische Unterstützungsbekundungen?”:

Screenshot eines Tweets von Julian Reichelt - Seit wann sind denn bitte Retweets gleich politische Unterstützungsbekundungen? Ich verstehe nicht, wieso Zitierungen hier gleich solche Wutwellen auslösen. Zitieren muss erlaubt sein, ohne dass gleich ein Gesinnungsnachweis beigefügt werden muss.

Die Kritik an einem Retweet (RT) sei laut Reichelt “schrecklicher RT-Gesinnungsfuror”:

Screenshot eines Tweets von Julian Reichelt - Meine Position ist, dass mein Retweet nichts mit der Person zu tun hat, dass ich in keiner Verbindung stehe und keine Agenda unterstütze. Herr Gensing sollte schlicht seine Sicht auf Feine Sahne Fischfilet erläutern. Der Screenshot wirft nunmal Fragen auf. Und dieser RT-Gesinnungsfuror ist schrecklich.

Retweetet hingegen “FAZ”-Journalist Patrick Bahners ein Gedicht des Satiremagazins “Titanic” über Sami A., in dem es unter anderem darum geht, dass der Tunesier doch mit einem Flugzeug ins Axel-Springer-Hochhaus fliegen könnte, will Julian Reichelt nichts mehr wissen von “Seit wann sind denn bitte Retweets gleich politische Unterstützungsbekundungen?” Keine Spur mehr davon, “dass mein Retweet nichts mit der Person zu tun hat, dass ich in keiner Verbindung stehe und keine Agenda unterstütze.” Und “zitieren muss erlaubt sein, ohne dass gleich ein Gesinnungsnachweis beigefügt werden muss”? Pah!

Für Reichelt ist Bahners Retweet nichts weniger als Propaganda für den Massenmord an Journalisten:

Screenshot eines Tweets von Julian Reichelt - Unter dem Deckmantel der Satire propagiert FAZ-Kollege Patrick Bahners den Massenmord an Journalisten.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Drei Verdächtige, zwei anonym, eine Vorlage für rechte Scharfmacher

An einer Gesamtschule in Dortmund sollen drei Schüler geplant haben, einen Lehrer zu töten. Bild.de berichtete am vergangenen Dienstag erstmals über den Fall:

Screenshot Bild.de - In Hinterhalt gelockt - Schüler wollten Lehrer mit einem Hammer töten

Ein weiteres Mal am vergangenen Mittwoch:

Screenshot Bild.de - Schüler wollten Lehrer mit Hammer erschlagen - Darum sind die Täter auf freiem Fuß!

Und vorgestern dann noch einmal:

Screenshot Bild.de - Erster Anlauf mit Hämmern war gescheitert - Dortmunder Schüler planten Lehrer-Mord ein zweites Mal

Der Plan der Schüler ging nicht auf. Beim ersten Versuch wurde der Lehrer misstrauisch, als zwei der Schüler ihn an einen abgelegenen Ort lockten, wo der dritte Schüler einen Kreislaufkollaps vortäuschte. Der Lehrer drehte den Schülern laut Staatsanwaltschaft zu keinem Zeitpunkt den Rücken zu und rief einen Krankenwagen. Die Schüler setzten die Hämmer, die sie dabei gehabt haben sollen, daraufhin nicht ein. Bevor es zum zweiten Versuch kommen konnte, hatte die Polizei die drei Tatverdächtigen bereits festgenommen.

Und obwohl es drei Verdächtige sind, nennen “Bild” und Bild.de wiederholt nur den Vornamen eines Verdächtigen:

Haupttäter Serkan wollte sich offenbar rächen, gewann zwei Mitschüler (17, 18) als Komplizen.

Im Verhör gaben zwei Schüler zu, dass der Lehrer an einer abseits gelegenen Raucherecke mit einem Hammer erschlagen werden sollte. Haupttäter Serkan (16) stritt dagegen alles ab.

Seit mehr als einer Woche ermittelt die Polizei gegen Serkan (16), einen Mitschüler (17) und einen Bekannten (18).

Dieses partielle Desinteresse der “Bild”-Mitarbeiter an Namen von Tatverdächtigen und Tätern ist bemerkenswert. Es kann nichts damit zu tun haben, dass sie Serkan für den Haupttäter halten und die anderen Namen damit nicht für nennenswert — in anderen Fällen nennen sie durchaus die Namen von Haupttätern und deren Komplizen. Wir haben bei “Bild”-Sprecher Christian Senft nachgefragt, warum in den “Bild”-Medien nur der Name eines Tatverdächtigen genannt wurde. Bisher haben wir keine Antwort von ihm erhalten.

Nun weist ein Name nicht automatisch auf eine Staatsangehörigkeit hin. Wir wollten aber gern wissen, ob die Vornamen der beiden anderen, von “Bild” und Bild.de nicht genannten Verdächtigen ebenfalls türkischstämmig oder arabisch klingen. Und siehe da: Wie uns der Sprecher der Dortmunder Staatsanwaltschaft auf Anfrage mitgeteilt hat, trägt der eine Tatverdächtige einen “urdeutschen Namen”, der andere einen, der nicht auf eine türkische oder muslimische Herkunft hindeute.

Dass die “Bild”-Medien nur den einen Namen nennen — und nicht etwa auch den “urdeutschen” –, ist ein gefundenes Fressen für alle rechten und noch rechteren Scharfmacher. Die Bild.de-Artikel drehen in den entsprechenden Kreisen derzeit die ganz große Runde: Neben Seiten wie “Widerstand für Deutschland”, “Patriotische Vernetzung – Wir wollen unser Land zurück” und “Meine Heimat Deutschland” haben auch die Accounts “AfD Nürnberg”, “AfD Chemnitz”, “AfD Freunde Kinzigtal”, “AfD Kyffhäuser-Sömmerda-Weimarer Land”, “AfD Weiden in der Oberpfalz”, “AfD Hannover Stadt”, “AfD Kreisverband Ravensburg”, “AfD Freunde Landkreis Hildesheim”, “AfD Kreisverband Augsburg-Stadt”, “AfD Cloppenburg/Vechta”, “AfD Südliche Ortenau – Kinzigtal”, “AfD Regionalgruppe Hoyerswerda”, “AfD OV Unteres Jagsttal”, “AFD-FANCLUB DEUTSCHLAND”, “AfD Wolfsburg”, “AfD Kreisverband Wittmund”, “AfD Freunde Ortenau”, “AFD Freunde Berlin”, “AfD – Kreisverband Weserbergland”, “AfD Gemeindeverband Großrosseln”, “AfD Waiblingen-Fellbach”, “AfD Burscheid” und “AfD Kreisverband Dachau” die Texte bei Facebook und Twitter geteilt. Hinzu kommen zahlreiche AfD-Freunde wie Erika Steinbach und AfD-Mitglieder wie Guido Reil. Und auch AfD-Fraktionschefin Alice Weidel verbreitete den Bild.de-Artikel von vergangenem Dienstag. Dazu schrieb sie bei Facebook:

Wie weit die Verrohung in Deutschland fortschreitet, beweist NRW. (…) Hauptbeschuldigter ist ein Schüler namens Serkan (16), der mit seiner Benotung in den Fächern Chemie und Deutsch offenbar nicht einverstanden war.

Ihm zu Hand gehen sollten zwei Bekannte (17 und 18 Jahre). (…) Die Martin-Luther-King-Gesamtschule ist für ihre Anti-Mobbing-Projekte bekannt. Gegen bestimmte Sozialisierungen kommen wohl auch die besten Präventivmaßnahmen nicht an.

Fast 3000-mal geliket, fast 1000-mal kommentiert, über 1500-mal geteilt.

Und auch in den Kommentaren auf der “Bild”-Facebookseite stürzten sich die Leserinnen und Leser vor allem auf einen Aspekt der Geschichte:

Collage mit Kommentaren von der Bild-Facebookseite - Viele Beispiel von Leserinnen und Lesern, die den Namen Serkan thematisieren

Mit Dank an Clemens für den Hinweis!

Nachtrag, 24. Mai: Der Lehrer hat sich in einem lesenswerten Facebook-Post zu der Sache geäußert. Und die “Bild”-Medien bleiben dabei, nur den Namen eines Tatverdächtigen zu nennen.

Künasts Teil­er­folg, Verklagter Seehofer, Täuschende Politwerbung

1. Künast mit Teil­er­folg gegen Hass­pos­tings im Netz
(lto.de, Markus Sehl)
Die Grünen-Politikerin Renate Künast hat einen juristischen Teilerfolg erzielt: Das Landgericht Berlin ist zu der (späten) Einsicht gekommen, dass bestimmte Äußerungen über Künast keinen Sachbezug haben, sondern Beleidigungen sind. Darunter so hübsche Aussagen wie “Schlampe”, “Drecks Fotze” und “Diese hohle Nuß gehört entsorgt, aufe Mülldeponie, aber man darf ja dort keinen Sondermüll entsorgen”. Die Bezeichnung “Stück Scheisse” sei ebenfalls eine Beleidigung, jedoch keine Formalbeleidigung, da im Nachsatz ein “Sachzusammenhang” hergestellt werde. Nun ja.

2. Die E-Mails des Ministers: Wir verklagen Innenminister Seehofer
(fragdenstaat.de, Arne Semsrott)
Es geht um nichts weniger als eine Grundsatzfrage: Bezieht sich das Informationsfreiheitsgesetz auch auf E-Mails von Ministern? Das Transparenzportal “FragDenStaat” verklagt Innenminister Horst Seehofer, nachdem dieser sich weigere, E-Mails aus einem bestimmten Zeitraum herauszugeben. Hintergrund ist eine Pressekonferenz im Juni 2018, in der der Minister von einem Artikel gesprochen habe, den er im Internet gelesen habe und in dem “die Bundesrepublik Deutschland so richtig ironisch eine Hinrichtung erfährt.” In der ersten Instanz seien für die Klage rund 2.000 Euro fällig, die man auch über Spenden abdecken wolle.

3. Die “Mopo” vor ungewisser Zukunft
(deutschlandfunk.de, Axel Schröder, Audio: 5:24 Minuten)
Die “Hamburger Morgenpost” ist schwer angeschlagen: Dramatischer Auflagenschwund, ein reduzierter Mitarbeiterstab und über all dem die Sorge, von Eigentümer DuMont abgewickelt beziehungsweise verkauft zu werden. Deutschlandfunk-Landeskorrespondent Axel Schröder hat das Hamburger Traditionsblatt mit der über 70-jährigen Geschichte besucht.

4. Neonazis verprügeln deutschen Korrespondenten
(reporter-ohne-grenzen.de)
Als Thomas Jacobi, freier Korrespondent für die Deutsche Welle, über eine Neonazi-Demo in Athen berichten wollte, wurde er brutal angegriffen und verprügelt. Dabei sei sein Handy zerstört und das Aufnahmegerät geraubt worden. Die anwesende Polizei sei nicht eingeschritten. Der Vorstandssprecher der Reporter ohne Grenzen kommentiert: “Rechtsextreme Angriffe auf die Medien werden in Griechenland viel zu oft ignoriert. Die Regierung muss dafür sorgen, dass die Polizei Journalistinnen und Journalisten auf Demonstrationen besser schützt und dass derartige Angriffe wirksam verfolgt werden.”

5. Native Advertising bei Tamedia: Politwerbung mit Täuschungspotenzial
(medienwoche.ch, Nick Lüthi)
Der Schweizer Medienkonzern Tamedia übertreibt es mit dem Native Advertising derart, dass sich sogar die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter per offenem Brief (PDF) dagegen aussprechen. Die Verschleierung von kommerziellen Inhalten schade der Glaubwürdigkeit der Medien. “Medienwoche”-Redakteur Nick Lüthi schreibt dazu: “Der kurzfristige Nutzen liegt auf der Hand: Werbung bringt Geld. Doch langfristig riskiert der Verlag, seinen Medien zu schaden.”

6. Wir dürfen Twitter und Facebook nicht dem Mob überlassen!
(journalist.de, Nicole Diekmann)
In der empfehlenswerten Serie “Mein Blick auf den Journalismus” kommt diesmal die couragierte ZDF-Hauptstadtjournalistin Nicole Diekmann zu Wort. Diekmann wünscht sich mehr Social-Media-Kompetenz in den Redaktionen: “Wenn an Wahlabenden in Sendungen Sätze fallen wie ‘Hat bei Facebook getwittert’, können wir ‘diese jungen Leute’ noch so sehr becircen — sie nehmen uns nicht für voll.”

Große und kleine Architekten, RTL und der Lynchmob, Location-Gambit

1. “Er zieht Ihr Niveau ins Unendliche hinab”
(sueddeutsche.de, Elisa Britzelmeier)
Auch große Architekten können zuweilen ganz klein sein: Weil einem Architekten des Berliner Stadtschlosses und Sitzes des Humboldt-Forums eine Kritik in der “FAZ” nicht gefällt, fordert er die “Entfernung” des Kritikers. Elisa Britzelmeier kommentiert: “Dass Kritisierte mitunter das Maß verlieren, kennen Journalistinnen und Journalisten. Beim Thema Humboldt-Forum sind die Emotionen besonders heftig, erst recht, wenn die Berichterstattung schlosskritisch ausfällt. (…) Es geht aber im Kern nicht um mehr oder weniger berechtigte Kritik, sondern darum, dass offensichtlich Außenstehende so weit gehen, Einfluss darauf nehmen zu wollen, wer in der Redaktion wie über sie schreibt.”

2. Warum die Nutzung von öffentlich-rechtlichen Videos schwierig bleibt
(deutschlandfunk.de, Annika Schneider, Audio: 5:23 Minuten)
Viele Schulen und Bildungseinrichtungen möchten gerne gebührenfinanzierte Inhalte aus dem ARD- oder ZDF-Portfolio nutzen – dem stehen jedoch oftmals rechtliche Hürden im Weg. So müsse jedes Mal überprüft werden, ob der Sender die hundertprozentigen Rechte besitzt. Fast alle Beiträge mit Archivbildern oder Musiken fallen dabei heraus. Das verhindere oft auch die Nutzung in der Online-Enzyklopädie Wikipedia.

3. Filmfolgen: Anklage gegen ein RTL-Team
(verdi.de, Eckhard Stengel)
Eine schier unfassbare Geschichte: RTL strahlte einen Bericht über “eine neue Masche von Pädophilen” aus und gab dabei indirekte Hinweise auf einen angeblichen Täter und den von ihm bewohnten Mietsblock. Daraufhin habe ein Lynchmob von fünf bis zehn Männern das Gebäude gestürmt, die Wohnungstür des vermeintlich Verdächtigen eingetreten und ihn halb totgeschlagen. “Was die Schläger nicht ahnten: Ihr Opfer war gar nicht der im Fernsehen verpixelt gezeigte Mann, sondern wohnte wohl nur im selben Haus. Aber auch der Mann aus dem Film war völlig unschuldig, wie die Ermittler schnell herausfanden. Eine doppelte Verwechslung also.”

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4. Es bleibt ein ze.tt!
(blog.zeit.de, Leonie Seifert)
Vor fünfeinhalb Jahren startete die “Zeit”-Verlagsgruppe ihr zunächst eigenständiges Jugendportal “ze.tt”. Nun wandert das Angebot ins Mutterhaus. Die “ökonomische Basis” habe sich in den vergangenen Jahren nicht so entwickelt, wie es sich der Verlag erhofft habe (Mitbewerbern ist es mit ihren Jugendangeboten ähnlich ergangen – siehe: “Spiegel” stampft junges Angebot “bento” ein). Die neuen Inhalte sind über zeit.de/zett erreichbar.

5. Irische Datenschützer verhängen Strafe gegen Twitter
(spiegel.de)
Mit Twitter wurde erstmals eine US-amerikanische Internetfirma wegen Verstößen gegen die Datenschutz-Grundverordnung zu einer Geldstrafe verdonnert. Anfang 2019 seien wegen eines Programmierfehlers zeitweilig einige geschützte Tweets für jedermann lesbar gewesen. Twitter hatte es damals versäumt, die irische Datenschutzbehörde innerhalb der vorgeschriebenen Frist von drei Tagen über das Problem zu informieren. Das kostet den Kurznachrichtendienst nun 450.000 Euro.

6. “Die Fassade passt”
(freitag.de, Thomas Abeltshauser)
Achtung, Spoiler-Gefahr zur Serie “Das Damengambit”: Im Oktober erschien auf Netflix die sechsteilige Drama-Miniserie “Das Damengambit”, die den Aufstieg einer Frau in die Schach-Elite nachzeichnet: Vom Wunderkind im Waisenhaus bis hin zur jungen Erwachsenen, die gegen Medikamenten- und Alkoholmissbrauch ankämpft. Die Serie punktet nicht nur mit guten Schauspielerinnen und Schauspielern sowie einer spannenden Geschichte, sondern auch mit ihrer äußerst liebevollen, detailversessenen Ausstattung und Nachempfindung der 50er-Jahre. “Der Freitag” hat sich mit Locationscout Stefan Wöhleke unterhalten, der die halbe Welt von Mexiko über Paris bis Moskau in einer einzigen Stadt gefunden hat: Berlin.
Tipp des “6 vor 9”-Kurators: Erst die (eh empfehlenswerte) Serie anschauen und dann, quasi als Auflösung, den Artikel lesen. Das verspricht doppelten Genuss.

KW 18: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. Un-Social: Wie soziale Medien unsere Gesellschaft bedrohen
(youtube.com, Frontal21, Nemi El-Hassan & Richard Gutjahr, Video: 28:32 Minuten)
“Warum haben verantwortliche PolitikerInnen sowohl auf EU-, als auch auf nationaler Ebene bis heute keine einheitlichen Regelungen und Gesetze zum Umgang mit sensiblen Daten der NutzerInnen erlassen? Und: Warum machen wir da eigentlich alle mit und sind sofort zur Stelle, sobald sich eine neue App auf dem Markt etabliert? Sind wir etwa süchtig nach Social Media und falls ja: Ist das ein unangenehmer Nebeneffekt oder gezielte Methodik, die dahinter steckt?” Um Antworten auf diese Fragen zu finden, haben sich Nemi El-Hassan und Richard Gutjahr auf eine Reise von Berlin nach Dublin und Brüssel begeben.

2. Wir müssen reden.
(youtube.com, maiLab, 21:03 Minuten)
“Liebe Freunde der Sonne! Und liebe Feinde der Sonne …” Wissenschaftsjournalistin und Youtuberin Mai Thi Nguyen-Kim geht auf die Meta-Ebene und denkt über problematische Kommentare im Spannungsfeld von Meinungsfreiheit und Toleranz-Paradoxon nach: Wie könnte ein verantwortungsvolles Community-Management aussehen? Neben den bewährten Methoden melden, löschen, blocken setzt Nguyen-Kim auf die “Geheimwaffe Ignorieren”.

3. Wie entsteht eine Sendung mit der Maus?
(wasmitmedien.de, Daniel Fiene & Sebastian Pähler, Audio: 1:06:01 Stunden)
In der neuen Ausgabe von “Was mit Medien” sind Heike Sistig und Ralph Caspers von der “Sendung mit der Maus” zu Gast und beantworten viele Fragen: Wie entsteht der TV-Klassiker? Warum hat sich die Sendung kaum verändert, schafft es aber trotzdem, modern zu bleiben? Und was bedeutet der Medienwandel für die Maus? Weitere Themen der Folge: Lokaljournalismus, Rückschläge für die Pressefreiheit und die sich verändernde Podcast-Welt.

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4. Freie Medien in der EU und der Welt stehen unter Druck
(youtube.com, Deutsche Welle, Video: 7:40 Minuten)
Anlässlich des Internationalen Tags der Pressefreiheit schaut die Deutsche Welle zunächst auf die Arbeitsbedingungen der Medien in Europa. Besonders düster sei die Lage für unabhängige Medienschaffende in Polen, Slowenien und Ungarn. Laut Reporter ohne Grenzen verschlechtere sich die Lage, die EU sei in der Pflicht, sich dem entgegenzustellen. Die EU-Kommission wende ein, dass sie kaum Möglichkeiten habe, auf die Regierungen einzuwirken. Wenig tröstlich: In anderen Regionen der Welt sieht es noch viel schlimmer aus.

5. Hinterfragen, aufklären, aufzeigen – die Aufgabe der Medien in schwierigen Zeiten.
(youtube.com, M94.5, Fanny Buschert, Video: 58:37 Minuten)
Alexandra Föderl-Schmid, stellvertretende Chefredakteurin der “Süddeutschen Zeitung”, erzählt von ihrer Sicht auf den Journalismus: “Wir dürfen uns nicht mit der bloßen Beschreibung von politischer Inszenierung und der Wiedergabe von Ankündigungen begnügen, wir müssen hinterfragen, Konsequenzen aufzeigen und aufdecken, was falsch läuft.” Das rund einstündige Interview wurde anlässlich der bayerischen Schülermedientage aufgenommen, ist aber auch für Personen interessant, die die Schule bereits hinter sich gelassen haben.

6. Jung, schön, sexy: So tickt der Instagram-Algorithmus
(youtube.com, Zapp, Inga Mathwig, Video: 20:05 Minuten)
Das Medienmagazin “Zapp” hat sich die schöne heile Instagram-Welt angeschaut, die teilweise so perfekt ist, dass darunter das Selbstwertgefühl von Jugendlichen leide. Hilft Instagram nach und blendet öfter Bikinifotos ein, um ein besseres Werbeumfeld zu schaffen? Und was macht die junge, schöne und ziemlich freizügige Parallelwelt mit jungen Menschen? “Zapp”-Reporterin Inga Mathwig hat sich dazu unter anderem mit einem Datenjournalisten von der NGO AlgorithmWatch getroffen.

Bleiben oder gehen?, EU-Sanktionen, Reitschuster endgültig draußen

1. In Moskau bleiben oder gehen? Deutsche Reporter reagieren uneins auf das neue russische Mediengesetz
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Nachdem Russland ein Gesetz gegen angebliche “Falschmeldungen” erlassen hat, das mit langjährigen Haftstrafen für missliebige Berichterstattung droht, ziehen sich viele Medien aus Moskau zurück. Einzelne Reporter von “Welt”, “Bild” oder RTL bleiben jedoch. Das wirft Fragen auf, wie Boris Rosenkranz findet.

2. EU-Kommission will offenbar Suchergebnisse und Social-Media-Inhalte zensieren
(netzpolitik.org, Markus Reuter)
“Eine E-Mail aus der EU-Kommission an Google erklärt, wie weitreichend das Verbot der russischen Propagandasender RT und Sputnik sein soll. Suchergebnisse und Social-Media-Inhalte sollen nicht nur zensiert werden, wenn sie von den Sendern kommen, sondern auch, wenn sie deren Inhalte wiedergeben.” Markus Reuter erklärt den Umfang und die Schwierigkeiten der EU-Sanktionen gegen russische Propaganda.

3. Boris Reitschuster aus der Bundespressekonferenz ausgeschlossen
(sueddeutsche.de, Aurelie von Blazekovic)
Die Bundespressekonferenz ist ein als Verein organisierter Zusammenschluss von etwa 900 hauptberuflichen Journalistinnen und Journalisten. Unter dem Begriff “Bundespressekonferenz” wird aber auch die von ihm regelmäßig veranstaltete Pressekonferenz verstanden, in der Medienschaffende vor allem Politikerinnen und Politiker befragen können. Nun hat der Verein eines seiner Mitglieder endgültig ausgeschlossen – Boris Reitschuster. Der Grund liegt nicht an Reitschusters politischer Haltung, wie dieser gerne in den Sozialen Medien streut, sondern an schlichten Formalien: Reitschusters Sitz befindet sich seit Kurzem in Montenegro, damit seien die Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft nicht mehr erfüllt.

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4. Belarus stuft Deutsche Welle als “extremistisch” ein
(dwdl.de, Alexander Krei)
Seit einigen Monaten blockiert Belarus die Newsseiten der Deutschen Welle (DW), nun hat das Land den deutschen Auslandssender als “extremistisch” eingestuft. Sogar das DW-Logo sei vom belarussischen Regime mit einem Zensur-Bann belegt worden.

5. “Jagdinstinkt sollte nicht zum Jagdfieber werden”
(journalist.de, Jan Freitag)
Holger Stark ist stellvertretender Chefredakteur der “Zeit” und leitet dort das Investigativ-Team. Im Interview mit dem “journalist” spricht er über die sensiblen Bereiche bei investigativen Recherchen und über die Frage, wie bei Fällen von Machtmissbrauch und #MeToo differenziert werden muss: “Ich betrachte investigativen Journalismus fast immer als Entwicklungsprozess nach bestem Wissen und Gewissen, der nur selten bei Weiß beginnt und bei Schwarz aufhört. Wir starten mit einem Verdacht, und wenn einem nicht gerade Verträge oder glasklare Fakten vorliegen, ist zu Beginn meist offen, wo eine Recherche endet. Auch das ist ein Argument gegen das erwähnte Jagdfieber”.

6. Journalismus fördern von unten
(taz.de, Steffen Grimberg)
“Katapult” ist eigentlich ein populärwissenschaftliches Magazin, das für seine Infografiken und Karten bekannt ist. Das würde das Unternehmen jedoch nur unzureichend beschreiben. Der umtriebige Firmengründer expandiert mit Lokaljournalismus, hat ehrgeizige Baupläne und will eine Journalistenschule gründen. Doch damit nicht genug: Gerade stellt “Katapult” für ein Newsteam 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Ukraine ein.

Trans als Trigger, Strafanzeige gegen Russland, Mediale Groteske

1. Trans als Trigger: Wie die “Welt” den Kampf gegen lästige, obskure Minderheiten befeuert
(uebermedien.de, Johannes Kram)
Bei “Übermedien” setzt sich Johannes Kram kritisch mit einem Artikel der “Welt” auseinander, in dem “fünf Gastautoren, Biologen und Mediziner”, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine “bedrohliche Agenda” vorwerfen (ursprüngliche Überschrift bei Welt.de: “Wie ARD und ZDF unsere Kinder sexualisieren und umerziehen”). Kram kommentiert: “Trans als Trigger funktioniert, und deshalb wird auch die in der ‘Welt’ verbreitete, über das trans Thema aufgeladene Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk funktionieren. Auch das ist Desaster. Denn anders als die Verfasser*innen behaupten, zeigen die im Dossier zusammengetragenen Programm-Beispiele nicht die Übermacht ‘woker’ Themen, sondern wie selten Vielfalt dort tatsächlich stattfindet.”
Weiterer Lesetipp: “Welt” ermöglicht mit Transfeindlichkeit das Mainstreaming rechter Narrative (volksverpetzer.de, Annika Brockschmidt).

2. RSF reicht fünfte Strafanzeige gegen Russland ein
(reporter-ohne-grenzen.de)
Seit Beginn der russischen Invasion sind in der Ukraine laut Reporter ohne Grenzen (RSF) acht Medienschaffende getötet und 14 weitere verletzt worden. Die Organisation dokumentierte mehr als 50 Angriffe, die mehr als 120 Journalistinnen und Reporter betreffen. Für eine genauere Untersuchung hat RSF beim Internationalen Strafgerichtshof Strafanzeige gegen Russland eingereicht – bereits zum fünften Mal.
Weiterer Lesehinweis: Wie der Deutsche Journalisten-Verband mitteilt, zählt das International Press Institute 412 Angriffe auf die Pressefreiheit, die von Informationsverweigerung über Inhaftierungen bis zu Tötungen von Berichterstattern reichen.

3. Youtube & Co. können als Täter:innen haften
(netzpolitik.org, Tomas Rudl)
Internetplattformen müssen laut einem neuen Urteil des Bundesgerichtshofs unter bestimmten Bedingungen Schadensersatz für Urheberrechtsverletzungen leisten. Dies könne auch gelten, wenn die Urheberrechtsverletzungen von Dritten begangen wurden.

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4. Gesiegt haben Tiktok und Twitter
(faz.net, Nina Rehfeld)
In der juristischen Auseinandersetzung zwischen Johnny Depp und Amber Heard entschied die Jury, dass beide Seiten die jeweils andere verleumdet haben. Alles in allem dürfte jedoch Depp als Sieger des aufsehenerregenden Prozesses gesehen werden. Für “FAZ”-Korrespondentin Nina Rehfeld gibt es jedoch noch weitere Gewinner: “Gewonnen haben Netzwerke wie Tiktok und Twitter, auf denen Hohn und Spott und Desinformationen zu einem enormen Nutzerengagement führten; opportunistische Publikationen wie der ‘Daily Wire’, die mit Anti-Amber-Werbespots Nutzer auf ihre Seiten lockten; und die wachsende Horde von Desinformationshändlern im Netz, die einmal mehr fruchtbaren Boden für wilde Verschwörungstheorien fanden.”

5. Die Queen und ihr schwieriges Verhältnis zu den Medien
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers & Pia Behme, Audio: 6:20 Minuten )
“Das britische Königshaus stand schon immer im Blickfeld der Öffentlichkeit. Auch zum 70. Thronjubiläum von Elizabeth II. berichten Medien wieder. Dabei hat die Monarchin selbst diese Aufmerksamkeit nie gesucht.” Beim Deutschlandfunk geht es um eine Frau, “die oft fotografiert wurde, aber kaum über sich sprechen wollte”.

6. Mehr Medienvielfalt für Konstanz (PDF)
(karla-konstanz.de)
Die Fundingsumme ist erreicht: Nun kann in Konstanz ein neues lokaljournalistisches Projekt namens “karla” an den Start gehen: “Neben dem Aufbau eines digitalen Stadtmagazins wird karla auch partizipativ arbeiten und ein Medienbildungsprogramm anbieten, um Demokratie zu fördern und Teilhabe zu ermöglichen.”

Bild, Bild.de  etc.

Wenn Rechte nach dem Rechten sehen

Am 5. Mai eröffnete das Museum “Keltenwelt am Glauberg” (Hessen) und nur wenige Stunden später gab es laut Bild.de einen “Skandal”, der für einige der Beteiligten noch Folgen haben sollte:

Skandal am Glauberg Hessen lässt Keltenschatz von Neonazis bewachen

Der Fall schien klar:

Wie BILD erfuhr sind die zwei Wachmänner bekannte NPDler. Einer ist Beisitzer im NPD-Landesvorstand, der andere aktiv bei der NPD im Wetterau-Kreis.

Ein schauriges Bild! Zwei Sicherheits-Männer in SA-ähnlichen Uniformen stehen neben dem angeleuchteten 230 Kilo schweren Keltenherrscher im 1. Obergeschoss des neuen Museums. Die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Braune Hemden, schwarze Krawatten, schwarze Kampfhosen, dicke Koppelschlösser.

Innerhalb kürzester Zeit zogen zahlreiche Nachrichtenportale nach und bereits am nächsten Tag gab es ein “Bild”-Verhör mit der hessischen Kunstministerin Eva Kühne-Hörmann sowie empörte Reaktionen aus der Politik:

Neonazi-Skandal im staatlichen Keltenmuseum Politiker sind entsetzt über Nazi-Wachmänner

Doch die Wirklichkeit lässt sich nicht so einfach in Schwarz und Weiß – oder in diesem Fall Braun und Weiß – aufteilen, wie Bild.de es gerne hätte.

Es beginnt damit, dass die NPD nach Bekanntwerden des Vorfalls die Darstellung dementierte, einer der beiden Wachleute wäre im Landesvorstand, was auch die Antifaschistische Bildungsinitiative vor Ort bestätigte.

Bei den “SA-ähnlichen Uniformen”, die nicht weniger und nicht mehr nach SA aussehen als viele andere Uniformen, handelt es sich laut Ilona Huth, der Chefin der Sicherheitsfirma, bei der die beiden Wachleute angestellt waren, um reguläre Dienstkleidung.

Huth erklärte gegenüber dem Mittelhessenblog:

“Wir beschäf­ti­gen neben Deut­schen  auch Ita­lie­ner, Marok­ka­ner, Tür­ken, Ukrai­ner, Arme­nier, Polen, Bul­ga­ren, Syrer, Koso­va­ren, bosnisch-herzegowinische, ägyp­ti­sche, kroa­ti­sche, ser­bi­sche und  fran­zö­si­sche Mit­ar­bei­ter. Ins­ge­samt sind es im Kern 60 Mit­ar­bei­ter mit Aus­hil­fen im Stamm, die für uns arbei­ten. Wir hat­ten, seit­dem wir 2006 am Markt sind, noch nie irgend­wel­che Pro­bleme mit einem unse­ren Mit­ar­bei­ter und spe­zi­ell unse­ren bei­den neuen Mit­ar­bei­ter sind bei uns nie durch irgend­eine Äuße­rung auf­ge­fal­len, die an eine Ver­bin­dung mit rechts­ex­tre­mis­ti­schem Gedan­ken­gut hätte den­ken las­sen kön­nen”, sagt Huth. Die­ses habe sie auch in ihrem Wider­spruch auf die frist­lose Kün­di­gung geschrieben.

Es gibt außerdem Hinweise darauf, dass das Foto auf Bild.de gestellt sein könnte:

In Stel­lung­nah­men, die dem Mit­tel­hes­sen­blog vor­lie­gen, wird ins­be­son­dere von Tobias B. der Vor­wurf erho­ben, dass Bil­der retu­schiert wor­den seien. Zudem habe es von einem Repor­ter, der sich als Bild-Mitarbeiter vor­ge­stellt habe, die Bitte um Auf­nah­men und ent­spre­chende Regie­an­wei­sun­gen gege­ben, die “ernste Bewa­chung” sym­bo­li­sie­ren soll­ten.

Auch die Entstehungsgeschichte eines Fotos der Nachrichtenagentur dapd, bei dem der Schatten so auf einen der beiden Wachleute fällt, dass der Eindruck eines nur allzu bekannten Seitenscheitels entsteht, ist mindestens interessant.

Christoph von Gallera vom Mittelhessenblog schreibt:

Sei­tens dapd wird ver­si­chert, der dapd-Fotograf habe die bei­den Wach­leute nicht in Szene gesetzt. Er habe aber, um ein “sei­ner Mei­nung nach inter­es­san­tes Foto zu machen”, einen von der Kamera aus­ge­lös­ten Blitz ein­ge­setzt. Dadurch sei der Schat­ten­wurf auf Wach­leute und Kel­ten­fürst ent­stan­den.

Eine weitere Eskalationsstufe war erreicht, als wenige Tage später bekannt wurde, dass einer der beiden Wachleute bereits vor der Eröffnung des Keltenmuseums den Holocaust geleugnet haben soll.

Die “FAZ” berichtete am 11. Mai:

(…) nun berichtete Wissenschaftsministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU), dass der Museumsleitung schon zuvor Hinweise auf eine rechtsextreme Gesinnung eines der Männer vorgelegen hätten. Dieser habe schon Tage zuvor in dem Museum den Massenmord der Nazis an den europäischen Juden geleugnet. Bei Aufbauarbeiten habe dies ein Mitarbeiter gehört und Museumsleiterin Katharina Kurzynski gemeldet.

Besagter Mitarbeiter hat diese Behauptung allerdings umgehend nach Bekanntwerden des Vorwurfs revidiert und konnte immerhin gegenüber der “Frankfurter Rundschau”, der “FAZ” und dem “Hessischen Rundfunk” seine Sicht der Dinge darlegen. Gegenüber BILDblog sagt er, es habe zwar ein Gespräch gegeben, in dem er einem der Männer “gedanklich eine rechte Gesinnung unterstellt” habe, aber:

Ich widerspreche (…), daß der Wachmann den Holocaust geleugnet habe, ich Mitarbeitern gegenüber behauptet hätte, von einer Holocaustleugnung des Wachmannes gehört zu haben und daß ich die Museumsleiterin informiert hätte.

Was also letztlich bleibt, ist viel Lärm um sehr wenig. Und obwohl erst kürzlich das Bundesarbeitsgericht die mit einer NPD-Mitgliedschaft begründete Kündigung gegen einen Behördenmitarbeiter gekippt hat, führte der mediale Wirbel um die Wachleute des Keltenmuseums zu folgenden Ergebnissen:

Nach dem Neonazi-Skandal: Wachfirma des Keltenfürsts gefeuert

Keltenwelt am Glauberg Konsequenzen für Museumsleiterin

Fakenews-Rapid-Response, GWB-Novelle, Twitter-Bots

1. “Wir müssen das stoppen”
(spiegel.de, Marcel Rosenbach)
Robby Mook arbeitet seit den Neunzigerjahren als Berater für die Demokratische Partei und war Hillary Clintons Wahlkampfmanager in ihrem Kampf ums Weiße Haus. Zur Zeit ist er auf einer Rundtour durch Berliner Parteizentralen. Im Gespräch mit dem “Spiegel” erzählt er von seinen Erfahrungen und erklärt, wie sich Parteien gegen Fake News wehren können. “Sie sollten “Rapid-Response”-Teams einrichten, schnelle Eingreiftruppen, die sämtliche relevanten Onlineplattformen ständig im Auge behalten und sehr schnell reagieren können. Wir hatten eine solche Abteilung, aber sie war nicht auf Fake News spezialisiert – das würde ich heute anders machen. Diese Teams müssen in engem Dialog mit den sozialen Netzwerken stehen und von ihnen einfordern, Fake News zu löschen.”

2. Was die 9. GWB-Novelle den Verlagen wirklich bringt (und was nicht)
(kress.de, Jochen Zenthöfer)
Das “Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen” (GWB) ist die zentrale Norm des deutschen Kartell- und Wettbewerbsrechts. Nun steht die 9. GWB-Novelle an, die es Verlagen in Zukunft erleichtert, in allen verlagswirtschaftlichen Bereichen zusammenzuarbeiten. Der Bundestag hat das Gesetz bereits beschlossen, noch im März soll die Bestätigung durch den Bundesrat folgen. Der Präsident des Bundeskartellamtes stört sich an der Freistellung vom Kartellverbot für Presseverlage: “Es ist nicht ersichtlich, dass eine solch weitreichende Privilegierung erforderlich wäre, um den legitimen Kooperationsinteressen von Presseverlagen angemessen Rechnung zu tragen. Die Freistellung, die auch Kernbeschränkungen wie Preisabsprachen erfasst, erscheint systemwidrig und sendet ein falsches Signal.” Und auch andere Experten sehen das Ganze skeptisch, insbesondere was die erhofften, positiven Folgen angeht.

3. Studie: Bis zu 15 Prozent aller aktiven, englischsprachigen Twitter-Konten sind Bots
(netzpolitik.org, Lennart Mühlenmeier)
Forscher der Universitäten von Indiana und Southern California in den USA haben ein Vorgehen zum Erkennen von Twitter-Bots entwickelt. Das Ergebnis ihrer Untersuchung: Hochgerechnet auf die gesamte Nutzerbasis würde es sich bei 48 Millionen Twitter-Konten um automatisierte, Interaktivität vorgebende Bots handeln.

4. “Kronen Zeitung”: Katzen retten, Frauen treten
(derstandard.at, Lisa Mayr)
Die österreichische “Kronen Zeitung” hat sich in kritikwürdiger Weise über die Literatin Stefanie Sprengnagel geäußert, indem Dinge aus dem Zusammenhang gerissen und skandalisiert wurden. Dies löste einen regelrechten Shitstorm gegen die Künstlerin aus und führte zu ihrer (mittlerweile aufgehobenen) Sperrung bei Facebook. Lisa Mayr findet im “Standard” deutliche Worte für die Causa “Krone”: “Bevor Frauen Opfer tätlicher Gewalt werden, werden sie praktisch immer verbal als Mensch abgewertet. Diesen Teil hat die “Krone” erledigt. Jede Partei und jede Firma, die die “Krone” über öffentliche Gelder, Inserate und Presseförderung mitfinanziert, muss sich bewusst sein, dass sie damit die Menschenhatz fördert.”

5. „Dokus sind nachhaltiger“
(taz.de, Daniel Bouhs)
Die “Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten” (KEF) hat das ZDF zum Sparen verdonnert. In der Folge trennte man sich von Magazinen wie „ZDF Reporter“, „ZDF Umwelt“ und „ML mona lisa“ und setzt stärker auf Dokus. Eine strategische Entscheidung wie ZDF-Chefredakteur Peter Frey im Interview zugibt: “In Magazinen laufen häufig dieselben Themen, nur anders aufbereitet. Dokumentationen bieten mehr Chancen zu Originalität und Vertiefung. Außerdem bleiben sie länger frisch und können so immer wieder eingesetzt werden – im Hauptprogramm, auf ZDFinfo, 3sat und Phoenix. Dokus sind nachhaltiger als Magazine.”

6. Peter Schilling, Gründer Media Partisans, im Video-Interview
(horizont.net, Video, 4:33 Minuten)
Im Interview erklärt der “Heftig.co”-Gründer Peter Schilling wie das erfolgreiche Clickbait-Portal funktioniert, welche “Verticals” man noch am Start hat und was für die Zukunft geplant ist.

Mord auf Malta, Der MDR und das “N”-Wort, Tschüss Neon

1. Wie man die Amok­fahrt von Münster mit dem IS in Verbindung bringt
(uebermedien.de, Katharina Wecker)
Die Journalistin Katharina Wecker bekommt eine Anfrage von der zweitgrößte Boulevardzeitung Großbritanniens, der „Daily Mail“: Ob sie die Online-Kollegen als sogenannte „Fixerin“ bei der Recherche zum Geschehen in Münster unterstützen könne? Sie sagt zu und erlebt, wie das recherchierte Material verdreht und falsch interpretiert wird, um einen Aufreger mit Verschwörungseinschlag zu produzieren: „Es war meine erste Zusammenarbeit mit „Mail Online“ und meine erste Tätigkeit als „Fixerin“. Es wird wahrscheinlich auch meine letzte sein. Nachdem ich den veröffentlichten Artikel gelesen und festgestellt habe, wie weit sich der Text teilweise von der Recherche entfernt hat, habe ich mich dazu entschlossen, auf mein Honorar zu verzichten und diesen Text zu schreiben.“

2. MDR will “vorsichtiger” mit dem “N-Wort” umgehen
(deutschlandradio.de, Sebastian Wellendorf, Audio, 4:48 Minuten)
Der MDR Sachsen hatte die Frage gestellt: “Darf man heute noch “Neger” sagen?” und dafür einen Shitstorm kassiert. Der “Deutschlandfunk” hat sich mit MDR-Radio-Sachsen-Chef Bernhard Holfeld über das Thema unterhalten. Das vierminütige Gespräch lohnt in zweierlei Hinsicht: Weil es einen Programmchef zeigt, der sich in alle Richtungen dreht und windet und nach Ausschlüpfen sucht, und mit Sebastian Wellendorf einen Journalisten, der ihm dies nicht durchgehen lässt.

3. Mord auf Malta
(projekte.sueddeutsche.de, Mauritius Much & Hannes Munzinger & Bastian Obermayer & Holger Stark & Fritz Zimmermann)
Im Oktober 2017 wurde die maltesische Investigativ-Journalistin Daphne Caruana Galizia durch ein Attentat mit einer Autobombe getötet. Nun arbeiten Reporter von 18 Medien wie der „New York Times“, des „Guardian“ oder „Le Monde“ zusammen daran, ihre Recherchen fortzusetzen und ihre Ermordung zu rekonstruieren. In Deutschland sind der Rechercheverbund aus „SZ“, „WDR“ und „NDR“ beteiligt die “Zeit” (Wer hat sie umgebracht?). Der Text zeichnet Daphne Caruana Galizias Leben auf der Insel nach und stellt die Frage nach den Hintermännern ihrer Ermordung.
 Dazu ein TV-Tipp: Die „ARD“-Sendung Monitor widmet sich in ihrer heutigen Sendung dem Thema Mord auf Malta: Der Fall Caruana Galizia (“Das Erste”, 19.04.2018, 21:45 Uhr)

4. Tschüss Neon!
(zeit.de, Dirk Peitz)
Vor 15 Jahren erschien die erste Ausgabe des Monatsmagazins „Neon“, ein Heft “für junge Leserinnen und Leser, die schon lange volljährig sind, aber ihre jugendliche Unbeschwertheit bewahren wollen”. Nun ist es Zeit Abschied zu nehmen, jedenfalls von der gedruckten Ausgabe. „Neon“ wird nur noch digital weiterleben, wie Print-Chefredakteurin Ruth Fend in einem Abschiedsbrief bekannt machte. Dirk Peitz blickt bei “Zeit Online” auf die vergangenen Jahre zurück.

Auch der Rest der Branche kondoliert, zum Beispiel hier: Die Neon leuchtet nicht mehr (sueddeutsche.de, Karoline Meta Beisel) oder hier: Abschied vom Ich-Journalismus (spiegel.de, Eva Thöne)

5. Medienwächter: Bild macht Rundfunk!
(wuv.de, Petra Schwegler)
Die Kommission für Zulassung und Aufsicht „ZAK“ hat drei „Bild“-Live-Streams mit TV-Sendern gleichgestellt. Die Folge: “Springer” benötigt eine Sendelizenz! Dem widerspricht der Konzern: Es handele sich nicht um zulassungspflichtigen Rundfunk im Sinne des Rundfunkstaatsvertrages. Amüsanter Nebenaspekt: Während die Verlage aufschreien, wenn Fernsehsender Textinhalte veröffentlichen und dies als Wildern in ihrem Revier beklagen, scheint dies umgekehrt nicht zu gelten. Jedenfalls nicht in diesem Fall.

6. Schöner Grüßen mit quoteSalute!
(dhd-blog.org, Stefan Dumontt & Frederike Neuber & Lou Klappenbach)
Ihnen sind die üblichen Grußformeln zu unpersönlich, primitiv und langweilig? Dann verabschieden Sie sich in der nächsten Mail doch einfach mal mit einem Textbaustein aus alten Zeiten. „quoteSalute“ hat Grußformeln aus verschiedenen frei verfügbaren historischen Briefeditionen zusammengetragen, die sich per Knopfdruck in die Zwischenablage kopieren lassen. In diesem Sinne empfehle ich mich mit der innigsten Ehrerbietung und Dankbarkeit als ihr gehorsamster Diener und 6-vor-9-Kurator Lorenz Meyer.

“Skandal-Reise”: “Bild”-Reporter führt Leserschaft in die Irre

Wenn ein Grünen-Politiker und ein Linken-Politiker in Russland sind, und dann auch noch ein AfD-Politiker eine Rolle spielt, dauert es nicht lange, bis die “Bild”-Medien “SKANDAL” schreien:

Ausriss Bild-Zeitung - Skandal-Reise - AfD-Politiker führt Trittin und Gysi durch Moskau
Screenshot Bild.de - Skandal-Reise - AfD-Politiker führt Trittin und Gysi durch Moskau

Diese Artikel erschienen am Montagabend bei Bild.de und am Dienstag in der “Bild”-Zeitung. Und es ist bemerkenswert, wie großzügig “Bild”-Chefreporter Peter Tiede entscheidende Informationen weglässt, um auf diesen Spin zu kommen.

Erstmal: Es handelt sich nicht, wie man bei den Überschriften von “Bild” und Bild.de direkt denken könnte, um irgendeine Reise eines AfD-Politikers, der sich Jürgen Trittin und Gregor Gysi überraschend angeschlossen haben. Es geht um einen offiziellen Besuch der Deutsch-Russischen Parlamentariergruppe (zu der mehr Leute gehören als nur die drei). Peter Tiede schreibt dazu:

Sieben Bundestagsabgeordnet aller Fraktionen für fünf Tage auf Russland-Besuch — organisiert vom AfD-Abgeordneten Robby Schlund (52), einem bekennenden Kreml-Lobbyisten und Putin-Fan!

Es ist der erste Russland-Besuch der Deutsch-Russischen-Parlamentsgruppe seit der Bundestagswahl. Dank Schlunds Planung: Der Besuch der Deutschen ist trotz Krim-Besetzung und Ukraine-Krieg ein Propaganda-Erfolg für Kreml-Führer Wladimir Putin (66)! Die Abgeordneten sind seit Sonntagabend in Russland, offiziell begann die Reise am Montag.

Ganz vorn dabei neben Schlund: Grünen-Urgestein Jürgen Trittin (64) und Linke-Ikone Gregor Gysi (71).

Das Besuchsprogramm fasst Tiede so zusammen:

Nach BILD-Informationen plante Schlund die wesentlichen Termine — an der deutschen Botschaft vorbei — mit Kreml-Hilfe!

Geplanter Propaganda-Höhepunkt ist der Donnertag (sic):

► Vormittags: Besuch beim Kreml-Konzern Gazprom (Nord-Stream/Altkanzler Schröder) — inklusive Mittagessen auf Gazprom-Kosten!

► Nachmittags: Staats-TV-Holding “Rossija Sewodnja” (betreibt u. a. den deutschen Hetzsender “Sputnik”). Generaldirektor Kisseljow (“Europa atomar Auslöschen!”) steht unter EU-Sanktionen! Trotzdem gibt die Bundestags-Truppe ausgerechnet dort ihre Pressekonferenz!

Da fehlt nun wirklich einiges.

Erstmal ein paar nicht ganz unwichtige Informationen zu den bi- und multilateralen Parlamentariergruppen: Von denen gibt es aktuell 47. Die Abgeordnete können frei wählen, zu welchen sie gehören möchten. Und so kommen dann zum Beispiel zustande: eine Deutsch-Schweizerische Parlamentariergruppe, eine Deutsch-Pazifische, eine Deutsch-Brasilianische, eine Deutsch-Indisch. Und eben auch eine Deutsch-Russische. Dort ist der AfD-Abgeordnete Robby Schlund Vorsitzender, was aber nicht auf eine Wahl oder ähnliches zurückzuführen ist. Bei den Parlamentariergruppen bestimmt der Ältestenrat des Bundestages “unter Berücksichtigung des Stärkeverhältnisses der Fraktionen”, wer Vorsitzende oder Vorsitzender wird. Aus jeder andere Fraktion wird eine Stellvertreterin beziehungsweise ein Stellvertreter festgelegt.

Für die Grünen ist Jürgen Trittin bei der Deutsch-Russischen Parlamentariergruppe stellvertretender Vorsitzender. Als Antwort auf den Artikel von “Bild”-Reporter Tiede schreibt er, dass das Programm “von allen stellvertretenden Vorsitzenden und dem Vorsitzenden in Kenntnis der Wünsche der russischen Seite vorbereitet” worden sei:

Verschiedenste Programmpunkte wurden im Vorfeld sehr strittig besprochen. Gegen den expliziten Wunsch der russischen Seite und teilweise auch des Vorsitzenden wurden von den stellvertretenden Vorsitzenden aus CDU, SPD, FDP, Linken und Grünen gemeinsam durchgesetzt:

Gespräch mit den deutschen politischen Stiftungen vor Ort — darin eingebettet ein ausführliches Gespräch mit der kriminalisierten russischen Zivilgesellschaft und Menschrechtsorganisationen.

Gespräch mit Pawel Grudinin, erfolgreichster Gegenkandidat zu Putin bei der Präsidentschaftswahl 2016

Teilnahme am Pressefest der deutschen Botschaft, zu dem auf unseren Wunsch hin auch oppositionelle Medien wie Meduza und deren Reporter Iwan Golunow eingeladen werden (auch wenn seine Teilnahme aus bekannten Gründen eher unwahrscheinlich ist). Die Delegation will sich so einen Eindruck den Bedrohungen für Presse, Journalist*innen und Blogger*innen machen. (…)

Außerdem standen auf dem Programm u.a. Gespräch mit der russischen Delegation der russisch-deutschen Parlamentariergruppe, dem Auswärtigen Ausschuss der Duma, dem stellv. Russischen Außenminister Titow und der Besuch des VW-Werkes in Kaluga sowie auf expliziten Wunsch der russischen Seite ein Besuch bei der Moskauer Niederlassung von Gazprom auf dem Programm.

Abgesehen von dem Besuch bei Gazprom ist von all diesen Punkten bei “Bild” nichts zu lesen.

Zur Pressekonferenz, die auch Peter Tiede thematisiert, schreibt Jürgen Trittin:

Unser expliziter Wunsch, dass die Pressekonferenz bei der Nachrichtenagentur TASS stattfinden solle, wurde von der russischen Seite abgelehnt. Ein Besuch in den Redaktionsräumen von Russia Today wurde von uns abgelehnt. Die jetzt beim Medienhaus Rossija Segodnya geplante Pressekonferenz wird deshalb ohne Beteiligung der stellvertretenden Vorsitzenden stattfinden.

Und der Grünen-Politiker liefert auch noch die Antwort auf eine Frage, die “Bild” ihm nie gestellt hat:

Die von der BILD aufgeworfene Frage, warum wir überhaupt in einer Delegation unter dem formellen Vorsitz eines AfD-Abgeordneten nach Moskau reisen, hätte ich der Redaktion gerne beantwortet — allerdings hat sie nie gefragt.

Aber die Antwort ist klar: wären alle stellvertretenden Vorsitzenden bzw. weiteren Mitglieder der Parlamentariergruppe zu Hause geblieben, hätte die Reise des Vorsitzenden trotzdem stattgefunden. Allerdings ohne Treffen mit Stiftungen, unabhängige Medien und Opposition — und mit mindestens einem Auftritt bei Russia Today. Das zu verhindern war die klare Übereinkunft aller weiteren Mitglieder der Delegation.

So eine Antwort hätte Peter Tiede und der “Bild”-Redaktion aber natürlich die Geschichte kaputtgemacht.

Mit Dank an Theo für den Hinweis!

Nachtrag, 21. Juni: Bei der Pressekonferenz, die am Donnerstagnachmittag stattfand, waren mit Doris Barnett, Michael Georg Link und Gregor Gysi doch stellvertretende Vorsitzende der Parlamentariergruppe dabei.

Rechte Hassattacken, Zweifel am Zweifel, Weggewischte Skandale

1. “Ich lasse mich nicht einschüchtern”
(spiegel.de, Sophie Madeleine Garbe)
“Ich glaube, es verträgt sich einfach nicht mit dem Weltbild der Rechten, dass es Frauen gibt, die klar und deutlich ihre Meinung vertreten.” Die bayerische Grünen-Politikerin Katharina Schulze ist besonders häufig das Ziel von AfD-Hassattacken. Im Interview erzählt sie, wie sie mit Hasskommentaren umgeht: “Inzwischen zeige ich alles an. Am Anfang habe ich viele Sachen einfach gelöscht, weil ich dachte, es ist egal oder zu aufwendig. Aber das ist es nicht. Erst wenn Hass in der Statistik sichtbar wird, wird das Problem auch als solches wahrgenommen. Viele Verfahren werden eingestellt. Aber immer mal wieder hat man Erfolg, dann bekommen die Verfasser eine Geldstrafe oder müssen sich entschuldigen. Ich finde das genau richtig, das Internet ist kein rechtsfreier Raum.”
Dazu passend ein weiterer Lesetipp: Im “Tagesspiegel” spricht Joachim Huber mit dem “Monitor”-Redaktionsleiter Georg Restle über die heftigen Anfeindungen gegen ihn durch Teile der rechtspopulistischen bis rechtsextremen Szene. Anfeindungen, an denen auch der AfD-Chef Jörg Meuthen eine Mitschuld trage: “Wer einen Journalisten wie mich öffentlich als “totalitären Schurken” bezeichnet, erklärt ihn bei solchen Leuten quasi für vogelfrei. Das gehört ja zur kruden Ideologie dieser Extremisten, dass sie sich bei ihren Taten auf ein übergesetzliches Widerstandsrecht beziehen — und das gilt in deren Denken ganz sicher gegenüber Menschen, die auf diese Art und Weise diffamiert werden. Ich gehe davon aus, dass Herrn Meuthen all dies bewusst ist. Daher halte ich seine Verurteilung der Morddrohung nicht gerade für glaubwürdig.”
In diesem Zusammenhang auch lesenswert: Wir haben mit drei Menschen gesprochen, die auf rechten Feindeslisten stehen (bento.de, Jan Petter & Marc Röhlig).

2. Zweifel am Zweifel
(sueddeutsche.de, Laura Hertreiter)
Die Bloggerin Marie Sophie Hingst ist nach Informationen der “Irish Times” tot. Hingst waren vor ein paar Monaten allerlei Betrügereien und Fälschungen nachgewiesen worden, vor allem vom “Spiegel”. Der Tod der Bloggerin werfe auch medienethische Fragen auf: Hätten Journalisten erkennen müssen, dass es sich hier um eine Frau in einer Ausnahmesituation beziehungsweise Notlage handelt? “Irish Times”-Reporter Derek Scally hatte sich nach einem Treffen mit Hingst gegen einen Bericht entschieden: “Das war keine News Story. Das war eine sehr aufgewühlte Frau, die Hilfe brauchte.”
Sein nachdenklicher und dem Menschen Hingst nachspürender Text ist unbedingt empfehlenswert: The life and tragic death of Trinity graduate and writer Sophie Hingst
.

3. «Einseitig und fiktiv»
(shaz.ch, Mattias Greuter)
Der Schweizer “Tages-Anzeiger” berichtete Anfang Juli von einem geschiedenen Vater, der verzweifelt um sein Besuchsrecht kämpft und den Behörden schwere Vorwürfe macht. Nun hat sich die Ex-Frau und Kindsmutter zu Wort gemeldet und legt Informationen vor, die den Konflikt in einem völlig anderen Licht erscheinen lassen. Doch auch ohne die Stellungnahme der Mutter hätte der “Tages-Anzeiger” sorgfältiger vorgehen müssen, findet Mattias Greuter: “Der Artikel von Claudia Blumer stützt die Version des Vaters und nimmt keine kritische Hinterfragung vor, die auch ohne eine Stellungnahme der Mutter möglich gewesen wäre.”

4. «Wenn die Demokratie attackiert wird, dann sollen die Medien nicht neutral sein»
(republik.ch Elia Blülle & Nick Lobeck)
Das Schweizer Onlinemagazin “Republik” hat sich mit dem US-amerikanischen Journalismus-Professor und Medienforscher Jay Rosen unterhalten. In dem Interview geht es auch um Objektivität im Journalismus und die sogenannte “False Balance”: “Wenn Objektivität heisst, die Unter­stützer sagen das, die Kritiker dies, und ich habe keine Ahnung, was die Wahrheit ist, dann habe ich damit ein Problem.”

5. “Medienwandel schreckt schnell ab”
(taz.de, Peter Weissenburger)
Die “taz” hat mit der Kommunikationswissenschaftlerin Julia Lück über Diversität in Redaktionen gesprochen. Das Problembewusstsein sei hoch, so die Forscherin, es sei jedoch nicht allein mit Einstellungsprogrammen zu bewältigen: “Wenn man unterschiedlichste Leute in der Redaktion hat, aber alles andere so macht wie immer, dann geht Vielfalt unter, in den etablierten Strukturen, in den Blattlinien, den Deadlines. Da muss man sich dann überlegen, wie man Vielfalt im Arbeitsalltag leben will. Sonst wird es für die Leute mit diverserem Hintergrund schnell frustrierend.”

6. Silberstein-Skandal, Ibiza-Gate oder die Schredder-Affäre: Warum wir Skandale wegwischen
(derstandard.at, Walter Müller)
Walter Müller fragt sich im “Standard”, warum die österreichischen Skandale so wenig Auswirkungen auf Wählervolk und Wählerverhalten haben. Ein Grund könnte in gruppenpsychologischen Effekten liegen, ein anderer in der Schnelligkeit des medialen Karussells: “Das Tempo des Newsflows killt die Bedeutung der Nachricht. Die News werden durchs Netz gejagt, was am Vormittag noch ein Skandal war, ist am Nachmittag eine Randnotiz. Das Gewicht der Nachricht nimmt im Sekundentakt ab. Für Leser, Hörer, User entschwindet die Orientierung bezüglich dessen, was wirklich wichtig, was wirklich von gesellschaftspolitischer Relevanz ist. Speed kills the message. Was natürlich die Tür für auf die eigene Gruppe zurechtgeschnittene Botschaften weit aufmacht. Denen wird vertraut.”

Kritik an Deutscher Welle, Björn Höcke will nicht, CC-Bilderfalle

1. Macht und Missbrauch
(taz.de, Peter Weissenburger)
Der Auslandssender Deutsche Welle (DW) kommt nicht zur Ruhe. Im Hintergrund schwelt ein noch nicht geklärter #Metoo-Fall. Nun berichtet ein Whistleblower im “Guardian” von weiteren Missständen: Dem Sender werden Rassismus, Mobbing und systematische Unterdrückung von Kritik vorgeworfen (worauf Angestellte der DW mit einem offenen Brief geantwortet haben). Die “taz” hatte in den vergangenen Monaten Kontakt mit verschiedenen ehemaligen und gegenwärtigen DW-Mitarbeiterinnen und -Mit­ar­bei­te­rn, die von Drohungen und Machtmissbrauch sprechen.

2. Björn Höcke will doch nicht reden
(n-tv.de, Benjamin Konietzny)
Björn Höcke, AfD-Fraktionsvorsitzender im thüringischen Landtag, beklage sich oft, dass viel über ihn, aber nie mit ihm geredet werde. Die Redaktion von RTL und n-tv hat sich nach eigener Aussage vier Monate lang um ein Interview mit Höcke bemüht, doch 48 Stunden vor dem abgesprochenen Termin sei überraschend die Absage erfolgt. Die habe vermutlich auch mit angekündigten Fragen zu Höckes Buch zu tun: “Auf Nachfrage, wann der Termin nachgeholt werden könne, heißt es, man werde ntv überhaupt keine Interviews mehr geben.”

3. “Kreative Rechnungen” – c’t-Artikel über Kostenfalle Creative-Commons-Bilder
(kanzleikompa.de, Markus Kompa)
In der Computerfachzeitschrift “c’t” haben sich der Verlagsjustiziar Joerg Heidrich und der Journalist Keywan Tonekaboni mit der Kostenfalle Creative-Commons-Bilder auseinandergesetzt. Urheberrechts-Anwalt Markus Kompa bewertet die Dinge teilweise anders. Pflichtlektüre für jeden, der Creative-Commons-Bilder einsetzt.

4. Leipziger Polizeisprecher mischte sich unter Pseudonym in Gewalt-Debatte ein
(tagesspiegel.de, Maximilian König)
Von einem Polizeisprecher erwartet man öffentliche Stellungnahmen, doch der Leipziger Polizeisprecher schaltete sich unter Pseudonym in die Debatte zur Gewalt in Connewitz ein. Nicht das erste Mal, dass er sich ungefragt einmische, wie Maximilian König feststellt: “Unter einem Artikel des Leipziger Stadtmagazins ‘Kreuzer’ zu einer Attacke von Kampfsportfans auf einen Club, kommentierte er 2016 unter dem Usernamen ‘Polizei Leipzig’ Vorwürfe an die Polizei.”

5. Journalistischer Kitsch über Soleimani
(nzz.ch, Rainer Stadler)
Rainer Stadler kritisiert Teile der Berichterstattung über den Anschlag der USA auf den iranischen General Kassem Soleimani: “Man mag Soleimani zu den brutalen Zeitgenossen zählen. Wer ihn jedoch zum schlechthin Bösen erklärt, macht aus der realen Welt, in der der Mensch aus krummem Holz geschnitzt ist, ein Disneyland. Mit journalistischem Kitsch missachtet man das mündige Publikum.”

6. Das Problem mit den Seichtreportagen im Fernsehen
(dwdl.de, Hans Hoff)
Hans Hoff hat sich eine ZDF-Reportage über deutsche Trucker angeschaut, in der es um Dinge wie einen verschwundenen Grillrost gehe. Anhand dieses Beispiels erklärt er, wie das Genre “Seichtreportage” funktioniere: “Man muss nur alle paar Minuten ein gewichtiges Problem andeuten, dann bleibt der Zuschauer dran. Mögen die Probleme auch noch so nichtig sein, sie müssen benannt werden.”

KW 25: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

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1. Kinder in Dokusoaps: Wie weit darf Reality-TV gehen?
(ndr.de, Lea Eichhorn & Désirée Fehringer, Video: 14:31 Minuten)
Über die (mittlerweile abgesetzte) Sat.1-Reality-TV-Show “Plötzlich arm, plötzlich reich” wurde in jüngster Vergangenheit einiges berichtet. Der Ballermann-Star Matthias Distel (alias Ikke Hüftgold) hatte seiner Aussage zufolge erst vor laufender Kamera davon gehört, dass bei den Dreharbeiten traumatisierte Kinder beteiligt seien, darauf habe er die Dreharbeiten abgebrochen und den Vorgang öffentlich gemacht. Doch nun scheint er eine 180-Grad-Wendung eingelegt zu haben. Ein Deal mit der Produktionsfirma Imago?

2. 13 Podcasts, 15 Stunden, ein Festival
(zeit.de)
Vergangenen Sonntag veranstaltete die “Zeit-Online”-Redaktion ein eigenes “Podcastfestival” mit allen bedeutenden Podcast-Formaten des Hauses. Das Festival fand auf zwei virtuellen Bühnen statt. Auf der Webseite gibt es alle Live-Podcasts zum Nachschauen beziehungsweise Nachhören, darunter “Verbrechen”, “Alles gesagt?”, “Was jetzt?”, “OK, America?”, “Unter Pfarrerstöchtern”, “Das Politikteil” unter “Servus. Grüezi. Hallo.”

3. Ep. 97: Die Zerstörung der INSM
(wohlstandfueralle.podigee.io, Ole Nymoen & Wolfgang M. Schmitt, Audio: 28:46 Minuten)
Unlängst sorgte eine Anzeigenkampagne für Aufsehen und Empörung: In ganzseitigen Inseraten renommierter Zeitungen war die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock als verkleidete Mosesfigur zu sehen – in den Armen zwei Steintafeln mit zehn angeblichen grünen Verboten. Auftraggeber der Kampagne ist die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Doch was verbirgt sich eigentlich hinter dieser “Initiative”? Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt schildern im Podcast ihre Sicht auf die wirtschaftsfreundlichen Lobbyisten: “Die Vorgehensweise dieser Propagandaorganisation des Neoliberalismus ist manchmal laut auftrumpfend, bisweilen aber geht man perfide subtil vor, um gewisse Positionen in der Öffentlichkeit zu lancieren. Auch Prominente lassen sich gern vor den Karren der Initiative spannen, die 1999 gegründet wurde und mit ihren Anzeigenkampagnen auch viele Zeitungsverleger glücklich macht.”

Bildblog unterstuetzen

4. Die Videos der re:publica 21 sind online. Wir haben eine Auswahl für Euch.
(netzpolitik.org, Markus Beckedahl)
Wegen der Corona-Pandemie fand die re:publica auch dieses Jahr nur im Netz statt. re:publica-Mitgründer und Netzpolitik-Experte Markus Beckedahl stellt eine aus netzpolitischer Sicht besonders interessante Auswahl von Youtube-Mitschnitten vor. Nahezu alle Vorträge berühren auch Medienthemen oder sind komplett medienrelevant.

5. Der CureVac-Absturz: Waren viele Medien in Deutschland zu unkritisch?
(uebermedien.de, Holger Klein, 21:10 Minuten)
Einst wurde der Corona-Impfstoff von CureVac als Hoffnungsträger und Heilsbringer gefeiert, heute sieht die Sache anders aus: Der Impfstoff ist laut Studienergebnissen weniger wirksam, der Aktienkurs des Unternehmens in der Folge deutlich gefallen. Holger Klein hat sich mit Andrej Reisin über den Fall unterhalten, der die Rolle des CureVac-Investors Dietmar Hopp und die Lobhudeleien vieler Medien bereits vor Monaten kritisch sah.

6. Fachjournalist-Podcast: Schätze in Archiven und Bibliotheken für die Recherche heben
(fachjournalist.de, Aenne Chalhoub, Audio: 18:34 Minuten)
Für Journalistinnen und Journalisten sind Archive und Bibliotheken eine ausgezeichnete Recherchequelle, bieten sie doch Zugang zu ganz unterschiedlichen Datenbanken und Fachmagazinen. Im “Fachjournalist”-Podcast unterhält sich Aenne Chalhoub mit der Leiterin des Archivs der Technischen Universität Berlin und mit dem Direktor der Uni-Bibliothek der TU Berlin über die besonderen Möglichkeiten der Archive für die journalistische Recherche.

7. Moritz Tschermak: “Ich will zeigen, wie Bild die Gesellschaft spaltet.”
(hr-inforadio.de, Christoph Scheffer, Audio: 26:35 Minuten)
Hörtipp in eigener Sache und daher als zusätzlicher Link: Am Mittwoch hat sich Christoph Scheffer vom Hessischen Rundfunk mit meinem BILDblog-Kollegen Moritz Tschermak über dessen “Bild”-kritisches Buch “Ohne Rücksicht auf Verluste” unterhalten.

KW 48: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

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1. Drogen spritzen bei “Hartes Deutschland”: Was darf Reality TV?
(ndr.de, Lea Eichhorn, Video: 18:97 Minuten)
In der RTL-Zwei-Serie “Hartes Deutschland” geht es um das “Leben im Brennpunkt”. In einer der Folgen zeigt die Sendung nicht nur, wie Suchtkranke im Frankfurter Bahnhofsviertel harte Drogen konsumieren, sondern filmt die Protagonisten auch in schweren körperlichen Notlagen und Krisen. Ist das nur problematisch und voyeuristisch? Oder kann das auch zur Aufklärung über das Thema dienen und Empathie und Verständnis für die Menschen wecken? Darüber hat “Zapp”-Reporterin Lea Eichhorn mit einer Frau gesprochen, die selbst bei dem Format mitgemacht hat.

2. WM in Katar: Kritische Berichterstattung unerwünscht
(ardmediathek.de, Video: 12:43 Minuten)
Die Redaktion der WDR-Sendung “Sport inside” geht der Vermutung nach, dass das katarische Fußball-WM-Organisationskomitee Berichterstattung über die Arbeitsbedingungen auf Stadionbaustellen verhindern wollte. Ihr lägen brisante Dokumente und interne Chatprotokolle vor, die erstmals Einblicke gäben, wie bei den WM-Strategen aus Katar wirklich gedacht wird und wie sie mit Medien umgehen.

3. Bessere Kommunikation in der Pandemie: Wie eine zündende Impfkampagne aussehen könnte
(br.de, Jasper Ruppert, Audio: 25:18 Minuten)
“Wie bringt man die Menschen zum Impfen? Eine großflächige Impfkampagne – auf Plakaten, mit Print-Anzeigen, Hörfunk- und Fernsehspots oder per Influencer auf Social Media – hat es bisher nicht gegeben. Warum eigentlich nicht?” Im “MedienMagazin” des bayerischen Rundfunks überlegt ein Kommunikationsprofi, wie man die Sache angehen könnte. Außerdem: Was bringt die Impf-Lotterie des ORF? Wie schwer haben es gefährdete Medienschaffende, aus Afghanistan rauszukommen? Und was macht das französische Startup “Guiti News”, um Geflüchteten eine Stimme zu geben?

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4. Alle glatt, strahlend, perfekt
(deutschlandfunkkultur.de, Julia Riedhammer, Audio: 30:25 Minuten)
Nahezu alle Kinder und Jugendlichen zwischen 10 und 18 Jahren unterhalten oder konsumieren Sociale-Media-Accounts und sind dort einer wahren Bilderflut ausgeliefert. Oft sind die Fotos geschönt und mit allerlei Filtern bearbeitet, was es schwierig machen kann, sich selbst zu akzeptieren: “Besonders Pubertierende neigen dazu, sich zu vergleichen. Die Schönheitsideale in den sozialen Medien verändern ihr Körperbild – mit teils drastischen Folgen.”

5. Mit Bildbeschreibungen Barrieren überwinden
(netzpolitik.org, Serafin Dinges & Chris Köver, Audio: 57:05 Minuten)
In Deutschland leben viele Menschen, die erblindet oder sehbehindert sind, aber gerne von den Vorteilen des Internets profitieren möchten. Eine der größten Barrieren seien fehlende Bildbeschreibungen, besonders in den Sozialen Medien. In der aktuellen Podcastfolge von netzpolitik.org kommen Betroffene zu Wort, die erklären, warum Bildbeschreibungen so wichtig sind und was das Internet für die gesellschaftliche Teilhabe bedeutet.

6. So verzweifelt greift Youtube Tiktok an
(youtube.com, Walulis Story – SWR3, Video: 14:21 Minuten)
In Reaktion auf TikToks großen Erfolg hat Youtube diesen Sommer seine “Shorts”-Funktion an den Start gebracht. Die Walulis-Redaktion hat sich das Ganze näher angeschaut. Es gehe darum, “warum Youtube jetzt einen auf TikTok macht, weshalb die Influencer da nicht mitziehen, und weshalb Shorts sowieso ‘ne ziemliche blöde Idee sind.”

Ukraine, Schmu in “Hörzu”, Atombomben-Tipps der “Bunte”

1. Was Medien beim Berichten zur Ukraine falsch machen
(volksverpetzer.de, Melina Borčak)
Melina Borčak hat beim “Volksverpetzer” die häufigsten Irrtümer und Fehler deutscher Medien zusammengetragen, die im Zusammenhang mit der Ukraine-Berichterstattung gemacht werden. Am Wichtigsten seien aus ihrer Sicht “Kritikbereitschaft und eine offene Fehlerkultur, die sich nicht gegen Korrekturen wehrt”.
Weiterer Lesehinweis: So entlarven Sie falsche Bilder und Videos (spiegel.de, Markus Böhm & Janne Knödler).
Außerdem lesenswert: Kampf gegen Propaganda: EU will russische Staatsmedien verbieten: “Die russischen Sender RT und Sputnik sollen in der EU verboten werden. Ziel ist es, keinen Platz für Propaganda zu lassen, wie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte” (dwdl.de, Manuel Weis). Stefan Niggemeier twittert dazu: “Das ist wahrscheinlich keine gute Idee”.

2. Doku über letzten unabhängigen TV-Sender Russlands
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
In Abänderung des geplanten Programms sendet das Erste heute am späteren Abend einen Dokumentarfilm über den russischen TV-Sender Doschd und dessen Gründerin Natascha Sindeewa. Wer nicht so lange warten will oder heute Abend keine Zeit hat: Der Film ist bereits in der ARD-Mediathek verfügbar (1:30:03 Stunden).

3. Cyberangriffe auf deutsche Medien: Unternehmen fürchten russische “Desinformationskampagne”
(rnd.de)
Laut “Redaktionsnetzwerk Deutschland” haben mehrere deutsche Tageszeitungen Cyberangriffe auf ihre Websites und Auftritte in den Sozialen Medien gemeldet und vermuten eine dahinterstehende “pro-russische Desinformationskampagne”. Betroffen seien die Internetseiten und Social-Media-Accounts der Zeitungen und Magazine der Funke Mediengruppe sowie der zur Ippen-Gruppe gehörenden “Frankfurter Rundschau”.

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4. Alle fühlen wie ich
(faz.net, Martin Andree)
In einem Gastbeitrag für die “FAZ” fasst Martin Andree zusammen, “wie Trumps Netzwerk ‘Truth Social’ im Namen der Freiheit die demokratische Grundordnung zu zersetzen droht und warum wir dem etwas entgegensetzen müssen”.

5. Schmu in “Hörzu”: Eine “Geschenk-Benachrichtigung” mit Haken
(uebermedien.de, Lisa Kräher)
Nachdem vielen Ausgaben der Fernsehzeitschrift “Hörzu” ein vermeintliches 300-Euro-Geschenk beilag, twitterte die Verbraucherzentrale: “Wer eine ‘Gewinn-Benachrichtigung’ als Zeitungsbeilage in seiner #Hörzu gefunden hat, sollte diese nicht wegwerfen, sondern sich bei der Verbraucherzentrale melden. Verbraucherschützer:innen prüfen, ob Verbraucher:innen Auszahlung des Geschenks fordern können.” Lisa Kräher ist dem obskuren Fall nachgegangen und hat beim dafür verantwortlichen Verlag nachgefragt. Der zeigt sich wenig einsichtig.

6. Überlebenstipps für “Bunte”-Leser
(noemix.wordpress.com, Michael Noerig)
Aus aktuellem Anlass hat Bunte.de einen vor zwei Wochen erschienenen Artikel mit einem Update versehen. In “Wie du eine Nuklear-Explosion überstehst” gibt es teilweise äußerst bizarre Tipps, um “einen Atomangriff unbeschadet zu überleben”.

KW 45/22: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Wochenendausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. Warum wird Klima oft als politisches Thema missverstanden, Sara Schurmann?
(newsfluence.podigee.io, Eva-Maria Schmidt, Audio: 31:30 Minuten)
Die freie Journalistin Sara Schurmann hat sich vor zwei Jahren mit einem offenen Brief an ihre Kollegen und Kolleginnen gewandt. Ihr Appell: Medienschaffende sollten bei jeder Berichterstattung die Auswirkungen auf das Klima mitdenken (hier die Dokumentation des Briefs). Im “Newsfluence”-Podcast erklärt Schurmann, weshalb konstruktiver Journalismus aus ihrer Sicht wichtig ist und wie Klimaberichterstattung aussehen sollte. Außerdem verrät sie, wem man auf Twitter folgen kann und auf welche Plattform sie selbst vielleicht bald wechselt.

2. Wie wird die WM in Katar den Sportjournalismus verändern?
(br.de, Linus Lüring, Audio: 23:14 Minuten)
In einer Woche beginnt die umstrittene Fußball-Weltmeisterschaft in Katar. Wie werden die Bedingungen vor Ort für Journalistinnen und Journalisten sein? Und wie wird diese WM die Sportberichterstattung verändern? Im BR24-Medienmagazin spricht Linus Lüring mit Sportreporterin Julia Metzner, Investigativjournalist Benjamin Best, Christopher Resch von Reporter ohne Grenzen und Ex-Nationalspieler Timo Hildebrand.

3. Die Twitter-Konferenz
(deutschlandfunkkultur.de, Christine Watty, Audio: 39:15 Minuten)
Seit der Twitter-Übernahme durch den Tech-Milliardär Elon Musk geht es auf der Plattform noch lebhafter zu als sowieso schon. Jeden Tag scheint Musk sich etwas Neues auszudenken, was jedoch oft wenig Bestand hat und kurze Zeit später wieder einkassiert wird. Deutschlandfunk Kultur hat sich mit drei Twitter-Größen über das derzeitige Chaos unterhalten: der Journalistin Nicole Diekmann, dem Satiriker Dax Werner und dem Literaturwissenschaftler und Autor Johannes Franzen.

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4. Warum sollte es einen überhaupt kümmern, was da gerade bei Twitter passiert?
(uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 33:12 Minuten)
Auch im “Übermedien”-Podcast “Holger ruft an” geht es um den aktuellen Wirbel bei Twitter. “Übermedien”-Mitgründer Stefan Niggemeier erklärt, warum er Twitter nach wie vor für sehr bedeutend hält: “Er findet, dass Twitter ‘ein toller Ort für Kommunikation’ sei. Und deshalb wichtig. Allgemein, aber auch ihm ganz persönlich. Weil er das ‘Megaphon’, das er da hat, nicht einfach so abgeben will.”

5. Buhrow privat zur ARD-Reform und Twitter unter Musk
(wdr.de, Steffi Orbach, Audio: 43:36 Minuten)
Im WDR5-Medienmagazin “Töne, Texte, Bilder” gibt es ein buntes Themenangebot: Es geht um die debattenauslösende Wirkung der letzten Rede des ARD-Vorsitzenden Tom Buhrow, um Geschichtsvermittlung in neuen Medien, um die Proteste im Iran und deren mediale Verbreitung sowie um katholische Medienarbeit.

6. Hauptsache Reichweite: Sind Influencer die neuen Journalisten?
(ndr.de, Zapp Medienmagazin, Video: 22:52 Minuten)
Influencerinnen und Influencer übernehmen immer öfter klassische Journalistenjobs und das teilweise sogar unter dem Dach des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Doch nicht nur sie übertreten die Grenze zum Journalismus, dies passiere auch in die andere Richtung. “Zapp” fragt: “Ist es ein Problem, dass die Grenzen verschwimmen?”

Bild.de und Express.de verwechseln Anthony Modeste nach China

Wenn in den europäischen Fußballligen Sommerpause ist, ist der (Sport-)Boulevard besonders aktiv. In diesen Wochen raten die Redaktionen von “Sport Bild”, “Bild”, “Express” und all den anderen Fachblättern fröhlich rum, ob Mittelfeldstratege A nicht vielleicht zu Verein B wechselt, und Außenverteidiger X an Klub Y ausgeliehen wird. Im Fall von Anthony Modeste lagen sie nun ordentlich daneben.

Spätabends am 19. Juni meldeten die Onlineportale von “Bild” und “Express” Vollzug: Modeste, bisher Stürmer beim Fußballbundesligisten 1. FC Köln, wechselt zum chinesischen Klub Tianjin Quanjian.

Ausriss Bild.de - Wechsel perfekt! Modeste stürmt nach China
Ausriss Express.de - FC-Star wechselt nach China - Anthony Modeste: Hammer-Transfer perfekt!

Bild.de schrieb dazu:

Wie BILD erfuhr, wird Anthony Modeste (29) den FC verlassen.

Und:

Der Modeste-Hammer!

Am vergangenen Wochenende hatten sich Sport-Boss Jörg Schmadtke (53) und Finanz-Chef Alexander Wehrle (42) mit Vermittlern von Tianjin Quanjian auf Ibiza (Spanien) getroffen. Eine Entscheidung wurde zunächst vertagt — jetzt soll sie gefallen sein.

Und:

Verkündet wird der Transfer wohl erst gegen Ende der Woche. Denn vorher will Sport-Chef Jörg Schmadtke noch mit dem Spieler persönlich in Köln reden.

Es wird ein Abschieds-Gespräch!

Bei Express.de war alles ähnlich eindeutig:

Der teuerste Transfer der Vereinsgeschichte ist perfekt!

Nach EXPRESS-Informationen wurde Einigung im Deal um den Wechsel von Anthony Modeste (29) nach China erzielt.

Die Ablöse für den 25-Tore-Mann beträgt 35 Millionen Euro — Modeste wechselt zu Tianjin Quanjian.

Am vergangenen Wochenende hatten sich Sportboss Jörg Schmadtke und Wehrle auf Ibiza mit den China-Vermittlern getroffen. Nun ist der Transfer durch.

Schmadtke wird noch ein finales Gespräch mit dem Publikumsliebling führen, doch am Montag war der Mega-Deal durch.

Alles durch. Bis der 1. FC Köln mit einer Mitteilung auf der Vereinshomepage heute alles durchkreuzte:

Der 1. FC Köln hat Verhandlungen über einen möglichen Transfer von Anthony Modeste zu Tianjin Quanjian abgebrochen.

FC-Stürmer Anthony Modeste wird nicht zum chinesischen Erstligisten Tianjin Quanjian wechseln, nachdem keine Einigung aller Parteien für einen möglichen Transfer erzielt wurde. Zwischen den Clubs war darüber hinaus keine den Verbandsstatuten entsprechende Einigung möglich. Der 1. FC Köln hat die Verhandlungen daher am heutigen Mittwoch abgebrochen. Der Vertrag von Anthony Modeste beim FC läuft bis 30. Juni 2021.

Inzwischen haben es auch die Kaffeesatzwechsler von Bild.de und Express.de eingesehen:

Ausriss Bild.de - Köln bricht Verhandlungen ab - Modeste-Wechsel nach China geplatzt
Ausriss express.de - FC-Hammer - Schmadtke bricht Modeste-Verhandlung ab

Mit Dank an @bastianpfahl für den Hinweis!

Nachtrag, 24. Juli: Es ging dann noch weiter.

Also doch ein Wechsel nach China:

Ausriss Bild.de - Jetzt also doch - Modeste für 35,7 Mio nach China

Oder doch nicht?

Ausriss Bild.de - Kölner Transfer-Theater immer irrer! China-Kohle da, aber jetzt zickt Modeste

Bleibt er etwa beim 1. FC Köln?

Ausriss Bild.de - Heute letzte Chance zur Einigung - Modeste will sich beim FC einklagen

Oder geht’s doch nach China?

Ausriss Bild.de - Neuer Vertragsnetwurf statt Gerichtsprozess - Wechselt Modeste heute doch noch nach China?

Ja, doch, jetzt ist alles “Perfekt!”:

Ausriss Bild.de - Transfer-Wahnsinn beendet - Perfelt! Modeste doch nach China

Mutlose Migrationsforscher, Gruner + Jahresvertrag, Instagram-abgemahnt

1. Warum die Ergebnisse der Migrationsforschung fast niemand zur Kenntnis nimmt
(sueddeutsche.de, Christian Gschwendtner)
Migrationsforscher produzieren gerade am laufenden Band wichtige Erkenntnisse — um sich dann mitsamt ihren Arbeiten wegzuducken, so der Vorwurf von Christian Gschwendtner. “Wer sich nicht einmischt, spielt irgendwann auch keine Rolle mehr. Und dass ausgerechnet beim so wichtigen Thema Migration, das Politiker längst als das Thema des kommenden Jahrhunderts ausgemacht haben. Ändern wird sich das nur, wenn die Forscher endlich auch dort hingehen, wo die eigentliche Diskussion stattfindet und wovor sie sich gern drücken: auf Facebook, in den Talkshows und auf den Wahlkampfpodien.”
Weiterer Lesetipp: Debatte über Journalismus und Migration: “Wir brauchen eine neue Sprache!” — ein Gespräch mit der US-Soziologin Saskia Sassen (deutschlandfunk.de, Vera Linß & Martin Böttcher).
Nachtrag: In diesem Beitrag aus dem Jahr 2015 weisen drei WissenschaftlerInnen auf ihre Forschungsergebnisse hin, die zu wenig Beachtung fänden. Auf Bundes- und europäischer Ebene, wo die großen Weichenstellungen für die Situationen von Flüchtlingen gestellt werden, fände die Flüchtlingsforschung kaum Gehör: Wir mischen uns in die Flüchtlingskrise ein (zeit.de, Claudia Engelmann, Olaf Kleist & Ulrike Krause).

2. Ein entscheidendes Wörtchen
(taz.de, Anne Fromm)
Um bloß keinen Mitarbeiter fest anstellen zu müssen, operieren manche Unternehmen mit kühnen arbeitsrechtlichen Konstruktionen. Viele Verlage beschäftigten ihre Mitarbeiter beispielsweise über lange Zeit als Scheinselbstständige. Nun gehen mehrere ehemalige Beschäftigte mit rechtlichen Schritten gegen den Gruner+Jahr-Verlag vor oder erwägen, dies zu tun. Ihr Ziel: Die “Entfristung” ihrer Arbeitsverträge.

3. Abzock-Fachzeitschriften: Wie groß ist das Problem?
(scilogs.spektrum.de, Markus Pössel)
Hat die deutsche Wissenschaft tatsächlich ein Problem mit Abzock-Journalen, oder handelt es sich um ein Randphänomen? Markus Pössel ist dieser Frage mit einer eigenen Recherche nachgegangen.

4. Abschied mit 64 Seiten und Todesanzeigen
(persoenlich.com)
Die größte Westschweizer Tageszeitung “Le Matin” hat sich im Alter von 125 Jahren mit einer letzten Ausgabe von den Leserinnen und Lesern verabschiedet. In den letzten zehn Jahren habe man mit der traditionsreichen Zeitung einen Verlust von 34 Millionen Franken eingefahren.

5. Das steckt hinter der Abmahnwelle des Verbands Sozialer Wettbewerb
(horizont.net, Katharina Brecht)
Der Verband Sozialer Wettbewerb beschäftigt sich laut Webseite mit der Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs und der Wirtschaftskriminalität. Das äußert sich wohl vornehmlich durch das Versenden von Abmahnungen an Instagram-Influencer, denen der Verband Schleichwerbung vorwirft. Mit teilweise fatalen Folgen für die Abgemahnten, die nun aus Vorsicht sogar Beiträge als Werbung kennzeichnen, bei denen sie keine Gegenleistung erhalten haben. Klärung kann wohl nur ein Gerichtsurteil bringen. Die Instagram-Berühmtheit Cathy Hummels will dafür bis zum BGH ziehen.
Weiterer Lesetipp: Hey, wie geht’s dir??? Sag schnell!!!, eine Glosse von Dirk Peitz bei “Zeit Online”.

6. Wie ein Nazi-Minister den Über­wa­chungs­staat durch­setzte
(lto.de, Martin Rath)
Hättest Du gewusst, dass ein Nazi-Minister über die “Verordnung über Kennkarten” die erste allgemeine Ausweispflicht in Deutschland einführte? Für den “LTO”-Autor Martin Rath der Beginn eines überwachungsstaatlichen Modells, das seitdem nur erweitert wurde.

Pressefreiheit à la FPÖ, Erdogan-Besuch, 18 Jahre Anfang vom Ende

1. Keine “Zuckerln” für Wiener Presse
(sueddeutsche.de, Oliver Das Gupta)
Der Sprecher des österreichischen Innenministers hat in einer geleakten Mail die Polizeibehörden aufgefordert, “kritische Medien” künftig bei der Versorgung mit Informationen zu benachteiligen. Namentlich nennt er die Wiener Blätter “Standard”, “Kurier” und “Falter”, bei denen er von einer “einseitigen und negativen Berichterstattung” ausgehe.
Weiterer Lesehinweis: “Zeit Online” hat mit Florian Klenk, dem Chefredakteur des “Falters”, gesprochen. Die FPÖ nutze ihren Einfluss auf die Polizei für politische Zwecke und bedrohe die Pressefreiheit: “Eine Karotte für die Braven, einen Stock für die Kritischen” (Interview: Carolin Ströbele).
Update: Nachdem der österreichische Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) fast 24 Stunden zu der internen Mail aus seinem Ministerium geschwiegen hatte, ließ er mitteilen, dass er die “Formulierungen zum Umgang mit ‘kritischen Medien’ nicht teile”. (derstandard.at, Michael Möseneder & Günther Oswald).

2. Morddrohungen gegen Deutsche Welle
(faz.net, Thilo Thielke)
Der Sudan ist äußerst rückständig, was Frauenrechte anbelangt: Frauen und Mädchen werden auf unterschiedlichste Weise diskriminiert und mit Scharia-Strafen drangsaliert. Die Sendung “Shababtalk” der Deutschen Welle griff das Thema auf, was zu einer hitzigen Debatte und Morddrohungen führte.

3. Pressefreiheit in Gefahr?
(faktenfinder.tagesschau.de, Patrick Gensing)
Die Pressefreiheit gerät international unter Druck, stellt Patrick Gensing beim “Faktenfinder” fest und schlägt einen Bogen von Amerika nach Europa.

4. Öffentlich Freilassung von Journalisten fordern
(reporter-ohne-grenzen.de)
“Reporter ohne Grenzen” (ROG) fordert die Bundesregierung auf, in ihren Gesprächen mit dem türkischen Präsidenten die verheerende Lage der Pressefreiheit in der Türkei zu thematisieren. “Dialog darf kein Selbstzweck sein. Die Bundesregierung und der Bundespräsident müssen in ihren Gesprächen mit dem türkischen Präsidenten Erdogan öffentlich konkrete Namen von in der Türkei inhaftierten Journalisten nennen und ihre Freilassung fordern”, so ROG-Geschäftsführer Christian Mihr.
Weiterer Lesehinweis: So werden Erdogan-Kritiker in Deutschland per App denunziert (faz.net).

5. Wie machen es die anderen?
(taz.de, Jürn Kruse & Anne Fromm)
Die “taz”-Medienredaktion hat sich bei den Mitbewerbern umgeschaut: Wie gehen die Kollegen von der Konkurrenz mit dem digitalen Wandel um? Wie organisieren sie ihre Redaktionen? Welche Bezahlschranken-Politik verfolgen sie? Wie aufgeschlossen ist man gegenüber neuen Formaten wie Podcasts?

6. Der Anfang der Ära Merkel war der Anfang vom Ende der Ära Merkel
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Der Anfang vom Ende der Ära Merkel lasse sich, wenn man den deutschen Medien glaube, ziemlich exakt auf den Anfang der Ära Merkel datieren, stellt Stefan Niggemeier auf “Übermedien” fest und präsentiert die schönsten Merkel-Abgesänge und politischen Todeserklärungen der vergangenen 18 Jahre.

“Bild” spaltet mit Hartz-IV-Vergleich

Wenn die “Bild”-Medien über die vermeintlich hohen Hartz-IV-Bezüge mancher Familien berichten, sammelt sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in den dazugehörigen Facebook-Kommentaren die Wut: “Wenn ich sowas lese! Wozu gehe ich überhaupt noch arbeiten?” oder “Da werd’ ich morgen dran denken, wenn um 5 Uhr der Wecker klingt!” ist dann häufig zu lesen. Manchmal richtet sich der Ärger gegen den Staat, manchmal gegen die Hartz-IV-Empfänger, manchmal beides.

Das liegt auch daran, dass “Bild” und Bild.de solche Rechnungen anstellen:

Ausriss Bild-Zeitung - Wie viel Schikane steckt in Hartz IV?

Für Hartz IV flossen 2017 insgesamt rund 46 Milliarden Euro/Jahr, 416 Euro/Monat für einen Single plus Miete und Heizung. Eine vierköpfige Familie bezieht (je nach Miethöhe) bis zu 2500 Euro. Wer arbeitet und Steuern zahlt, muss deutlich über 3000 Euro brutto verdienen, um dasselbe zu haben.

Dass Hans-Jörg Vehlewald, Larissa Krüger, Peter Tiede und Ralf Schuler in ihrem Beispiel die zwei Worte “bis zu” verwenden, ist ausgesprochen trickreich. Möglicherweise kennt das “Bild”-Autorenteam eine vierköpfige Familie, die 2500 Euro Hartz-IV-Leistungen im Monat bezieht. Die Regel ist das ganz sicher nicht.

Jeder der zwei erwachsenen Partner bekommt aktuell 374 Euro — zusammen also 748 Euro. Dazu kommen im “Bild”-Beispiel zwei Kinder. Nehmen wir einen für “Bild” günstigen Fall: Die Kinder sind 15 und 17 Jahre alt. Dann bekommt die Familie pro Monat pro Kind 316 Euro (wären die Kinder beispielsweise beide jünger als sechs Jahre, gäbe es je Kind nur 240 Euro). Die gesamte Familie bekommt monatlich also 1380 Euro Hartz-IV-Regelleistungen. Allerdings, und das erwähnt das “Bild”-Autorenteam nicht, wird das Kindergeld von insgesamt 388 Euro pro Monat, das der Familie für die zwei Kinder zusteht, als Einnahme komplett angerechnet. Dadurch verringern sich die monatlichen Hartz-IV-Regelleistungen auf 992 Euro.

Hinzu kommen die vom Jobcenter anerkannten Wohnkosten. Für eine vierköpfige Familie betrugen diese deutschlandweit im Juli dieses Jahres im Schnitt 672,30 Euro für 76,46 Quadratmeter (Excel-Tabelle, Tabelle 2b). Natürlich gibt es in den verschiedenen Bundesländern und je nach Stadt- oder Landlage deutliche Unterschiede bei der Höhe der anerkannten Mietkosten.

Durchschnittlich erhält eine vierköpfige Familie also Leistungen in Höhe von 1664,30 Euro pro Monat. Das ist ein gutes Stück entfernt von den 2500 Euro, von denen Vehlewald, Krüger, Tiede und Schuler sprechen. Hinzu kommt bei beiden Beispiel-Familien, ob nun Hartz-IV-empfangend oder arbeitend und steuerzahlend, Kindergeld für zwei Kinder in Höhe von 388 Euro.

Mit diesem Durchschnittswert kann man nur nicht so geschmeidig einen Keil in die Gesellschaft treiben wie mit der “bis zu”-Behauptung der “Bild”-Redaktion.

Mit Dank an Marc W. für den Hinweis!

Stimmung ohne Limit

Wie könnte die Bild.de-Redaktion über das Ergebnis einer Forsa-Umfrage berichten, nach dem sich eine Mehrheit der Befragten (57 Prozent) für ein generelles Tempolimit auf Autobahnen ausspricht, ohne dabei ihre Stimmungsmache gegen ein generelles Tempolimit auf Autobahnen aus den Augen zu verlieren?

Sie probiert es mal so:

Selbst vor dem Auto macht der Klima-Wahn nicht halt!

Jetzt will der “Klima-Wahn” uns schon das Rasen wegnehmen! Es kommt im Moment aber auch eine ganze Menge für die “Bild”-Leute zusammen: Im Insa-Meinungstrend “verdrängen die Grünen die Union vom ersten Platz, Supermärkte schmeißen Plastik aus ihren Regalen und jeden Freitag trommeln Schüler für den Klimaschutz.” Und “plötzlich”:

Screenshot Bild.de - Umfrage-Hammer - Mehrheit der Deutschen plötzlich für ein Tempolimit

Ganz so überraschend, wie Bild.de hier tut, ist dieser “UMFRAGE-HAMMER” dann aber doch nicht. Erstmal: Die Forsa-Umfrage fand nicht etwa vor ein paar Tagen oder vor einer Woche statt, sondern schon vor zwei Monaten, zwischen dem 5. und 15. April. Da lagen beispielsweise die Grünen noch in keinem bundesweiten Meinungstrend vor der Union. Außerdem gab es bereits im Januar dieses Jahres mehrere Umfragen zum Thema Tempolimit, bei der sich eine Mehrheit für eine generelle Beschränkung ausgesprochen hat (bei Welt.de sogar “eine klare Mehrheit von 63 Prozent”). 2012 gab es eine Umfrage von infratest dimap, bei der 53 Prozent für eine “Einführung eines generellen Tempolimits von 120 oder 130 km/h auf den deutschen Autobahnen” waren. Und bereits 2007, als ein generelles Tempolimit ebenfalls diskutiert wurde, war in verschiedenen Umfragen eine Mehrheit “zwischen 54 und 60 Prozent” für eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 130 km/h.

Diese Mehrheiten, die es also seit mindestens zwölf Jahren gibt, versucht die Bild.de-Redaktion heute als neueste Auswüchse des “Klima-Wahns” abzutun.

Mit Dank an David M. für den Hinweis!

Nachtrag, 17. Juni: Vom “Klima-Wahn”, der “selbst vor dem Auto” nicht halt mache, ist bei Bild.de inzwischen nicht mehr die Rede. Stattdessen:

Selbst vor dem Auto macht das Klima-Bewusstsein nicht halt!

Mit Dank an @MeiersKaettche für den Hinweis!

“Deutschlandstrategie” der NZZ, Die Gemälde des Bob Ross, Un-“Bunte”

1. Die neuen Freunde der NZZ
(republik.ch, Daniel Binswanger)
Daniel Binswanger kommentiert die “Deutschland­strategie” des Schweizer Traditionsblattes “NZZ”, die besonders von AfD-Anhängern gefeiert wird: “Es ist verblüffend, wie shitstorm­getrieben die Positionierung der NZZ geworden ist. Man könnte den Eindruck bekommen, sie sei nicht mehr eine Publikation mit klaren publizistischen Linien, sondern ein Unternehmen zum Austesten der Grenzen des politischen Anstands. Wenns brenzlig wird, macht man einen taktischen Rückzieher.”

2. Leider wurde mein lieber Freund…
(facebook.com, Friederike Werner)
Friederike Werner war mit dem unlängst verstorbenen Filmproduzent David Groenewold befreundet, der 2013 in Zusammenhang mit der sogenannten “Wulff-Affäre” angeklagt und freigesprochen wurde. Sie ist schwer getroffen von der Berichterstattung durch die “Bunte” und deren Redakteurin Tanja May: “Die Tatsache, dass Frau May das Haus inklusive Polizeisiegel an der Wohnungstür von David Groenewold hat fotografieren lassen, sowie das illegale Beschaffen von Polizeiakten werden ein juristisches Nachspiel haben. Ich werde außerdem niemals müde werden, die Menschen darauf hinzuweisen, wie unanständig Frau May und die BUNTE in einer solch schweren Situation für alle Angehörigen agiert haben.”

3. Hört endlich auf, euch an der Dummheit von Influencern aufzugeilen
(vice.com, Sebastian Meineck)
Immer wieder machen sich Medien über Influencer lustig, die es mit der Selbstdarstellung übertreiben. Das Bashing gehe jedoch am Thema vorbei, wenn gewöhnliche Instagrammer mit ein paar hundert Abonnenten zu Influencern aufgeblasen werden und wenn der vermeintliche Skandal bei näherer Betrachtung in sich zusammenfällt. Sebastian Meineck erzählt die Geschichte von den “dummen Influencern” und dem giftigen See.

4. DJV-Austritt aus Protest
(welchering.de)
Peter Welchering hat in einem offenen Brief seinen Austritt aus dem Deutschen Journalisten-Verband (DJV) verkündet. Er wirft dem Verband beziehungsweise dessen Vertretern unter anderem eine zu große CDU-Nähe vor. Außerdem habe der DJV von Facebook und Google Geld kassiert und betrachte PR als eine Unterart des Journalismus. (Sobald eine Antwort des Verbands vorliegt, werden wir sie an dieser Stelle verlinken.)

5. Die Journalistin, die Jeffrey Epstein überführte
(sueddeutsche.de, Alan Cassidy)
Der US-Milliardär Jeffrey Epstein hat wahrscheinlich mehr als 80 Mädchen missbraucht und wäre damit wahrscheinlich davongekommen, denn er hatte mächtige Freunde in Justiz und Regierung. Dass der Fall nun neu aufgerollt wird, ist der amerikanischen Lokaljournalistin Julie K. Brown zu verdanken, die das übernommen hat, was Sache der Justiz gewesen wäre: “Eineinhalb Jahre verbrachte Brown damit, Epsteins Opfern nachzuspüren, ihr Vertrauen zu gewinnen und sie zu überreden, ihr von den Übergriffen zu erzählen, die sie erlitten hatten. Sie sprach mit Polizisten, die gegen den Financier ermittelt hatten, aber von ihren Vorgesetzten ausgebremst wurden. Sie wühlte sich durch Berge von Akten, flog von Florida nach New York, um vor Gericht Einsicht in Dokumente zu erkämpfen, und bezahlte manche Reise aus eigener Tasche.”

6. Where Are All the Bob Ross Paintings? We Found Them.
(nytimes.com, Larry Buchanan & Aaron Byrd & Alicia DeSantis & Emily Rhyne, Video: 10:49 Minuten)
“The Joy of Painting” hieß der legendäre TV-Malkurs, in dem der US-amerikanische Maler Bob Ross mit sanfter Stimme erklärte, wie man ein Landschaftsbild malt. Wo sind all die Bilder geblieben, die im Rahmen der vielen hundert Fernsehsendungen entstanden? Die “New York Times” hat sich auf Spurensuche begeben und einen sehenswerten zehnminütigen Videobeitrag produziert.

7. Liebe “BILD”-Leute, hier liegen gleich mehrere Missverständnisse vor. Ich erkläre Euch das gerne.
(facebook.com, Lorenz Meyer)
Extralink außerhalb der Reihe, da vom Kurator selbst: Auf Facebook erkläre ich “Bild”, warum von einer “Zitter-Zensur” der CDU keine Rede sein kann und räume mit einigen Missverständnissen auf: “Das letzte Missverständnis betrifft Euch, Eure Arbeit und Euer Arbeitsethos. Was Ihr macht, hat nämlich weder was mit Journalismus, noch mit Anstand zu tun.”

Gangsta-Rap und Antisemitismus, “Ressort X”, Trumps eigenes Twitter

1. “Gangsta-Rap” könnte Antisemitismus fördern
(zdf.de)
Die Universität Bielefeld hat sich in einer Studie mit dem möglichen Zusammenhang von Gangsta-Rap und Antisemitismus beschäftigt (“Die Suszeptibilität von Jugendlichen für Antisemitismus im Gangsta Rap und Möglichkeiten der Prävention”). Studienergebnisse würden zeigen, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen dem Konsum der Musik und antisemitischen sowie frauenfeindlichen und chauvinistischen Einstellungen gebe. Die Antisemitismusbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, fordere deshalb: “Wir dürfen nicht zusehen, wie Musiker Antisemitismus propagieren und mit gewaltverherrlichenden und frauenfeindlichen Texten Jugendliche indoktrinieren”.

2. Viele Jugendliche können beim Lesen Fakten nicht von Meinungen unterscheiden
(deutschlandfunk.de)
Laut einer Sonderauswertung der neuesten Pisa-Studie seien in Deutschland weniger als die Hälfte der 15-jährigen Schülerinnen und Schüler in der Lage, beim Lesen Fakten von Meinungen zu unterscheiden. Der Fairness halber sei jedoch erwähnt, dass es bei Erwachsenen zuletzt ähnliche Ergebnisse gegeben hat: “Die digitale Nachrichtenkompetenz der deutschen Gesellschaft ist laut einer Studie mittelmäßig bis schlecht.”

3. Was Zeit-Online-Ressortleiter Philip Faigle zum führenden Deutschlandversteher macht
(kress.de, Rupert Sommer)
Im “Ressort X” widmet sich “Zeit Online” regelmäßig den großen Themen unserer Zeit – ob Wohnen oder Mobilität, Ungleichheit oder Klassenunterschiede, Geschlechterrollen oder psychische Gesundheit. Philip Faigle ist Redakteur für besondere Aufgaben bei “Zeit Online” und leitet das Schwerpunkt-Ressort. Im Interview mit “kress” spricht er unter anderem über die Arbeit seines Teams, die Themenwahl, den neuen Leserrat und die Aktion “Deutschland spricht”.

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4. Drei Länder, eine Mediathek
(sueddeutsche.de, Kathrin Müller-Lancé)
Kathrin Müller-Lancé hat sich “The European Collection” angeschaut, eine Programminitiative von Arte, ARD, ZDF, der Schweizer Radio- und Fernsehgesellschaft SRG sowie den französischen France Télévisions: “Ist das der Durchbruch der europäischen Öffentlichkeit? Die europäische Super-Digital-Plattform, von der der ehemalige BR-Intendant Ulrich Wilhelm immer träumte?”

5. Umfrage zur Sicherheit von Journalist*innen
(verdi.de)
Die Europäische Journalisten-Föderation will in einer Umfrage herausfinden, wie Medienschaffende Bedrohungen für ihre physische Sicherheit und psychische Gesundheit wahrnehmen und welche Maßnahmen sie als hilfreich und wirksam erachten. Das Ausfüllen der Umfrage soll maximal zehn Minuten in Anspruch nehmen.

6. Trump bastelt sich sein eigenes Twitter (oder lässt es zumindest so aussehen)
(spiegel.de)
Dass die großen Social-Media-Plattformen Donald Trump verbannt haben, wird von vielen als äußerst wohltuend empfunden. Doch es gibt mindestens eine Person, die sich partout nicht mit der reduzierten Aufmerksamkeit abfinden will – und das ist der US-amerikanische Ex-Präsident selbst. Trump hat deshalb eine Website aufsetzen lassen, die er mit Kurznachrichten füttert, die von seiner Gefolgschaft via Teilen-Funktion in die Sozialen Netzwerke getragen werden sollen. Ob die Plattformen dies zulassen, sei derzeit noch unklar.

KW 06/22: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

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1. Streitfall Kernenergie: Ein Kollegengespräch über Ausgewogenheit im DLF
(deutschlandfunk.de, Georg Ehring & Marco Bertolaso & Bettina Schmieding, Audio: 45:15 Minuten)
Wird im Deutschlandfunk (DLF) ausgewogen über das Streitthema Kernenergie berichtet? Georg Ehring, Leiter der DLF-Sendung “Umwelt und Verbraucher”, DLF-Nachrichtenchef Marco Bertolaso und Bettina Schmieding aus der DLF-Medienredaktion diskutieren mit Wiebke Rögener vom Institut für Wissenschaftsjournalismus der TU Dortmund.

2. #92: Daniel! Rosemann!
(podcastaeec30.podigee.io, Boll & Blasberg, Audio: 1:05:26 Stunden)
Wenn der TV-Experte, langjährige Medienmanager und einstige Senderchef von Tele 5 Kai Blasberg über das Medium Fernsehen spricht, ist das immer hörenswert. Das liegt auch daran, dass Blasberg schon in seinen aktiven Zeiten stets deutliche Worte fand und seiner Branche den Spiegel vorhielt. In der aktuellen Folge des Podcasts “Boll & Blasberg” ist nun Daniel Rosemann zu Gast, der bei Sat.1 und ProSieben die Geschäfte leitet. Ein Aufeinandertreffen geballter Privatfernseh-Kompetenz.

3. Ferngespräche: Marokko
(radioeins.de, Holger Klein, Audio: 53:45 Minuten)
Beim radioeins-Korrespondenteninterview hat sich Holger Klein mit der ARD-Korrespondentin Dunja Sadaqi unterhalten, die von Rabat aus über Nord- und Westafrika berichtet. Insgesamt umfasst ihr Berichtsgebiet 22 Länder, im Gespräch geht es jedoch im Wesentlichen um Sadaqis Schwerpunkt Marokko.

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4. Bitcoin-Influencer auf YouTube: Das Geschäft mit der Gier
(ndr.de, Video: 21:24 Minuten)
Bitcoin-Influencer machen auf Youtube Klicks und Kasse mit dem Traum vom schnellen Geld. “Zapp” hat dem Trend hinterherrecherchiert: “Wir fragen, wer hinter den Tipps und Tricks der Krypto-Influencer steckt. Und wie problematisch sind solche Kanäle auf YouTube?”

5. Stefan Niggemeier von Übermedien
(steady-growth-talks.podigee.io, Gabriel Yoran, Audio: 36:03 Minuten)
Stefan Niggemeier ist Mitgründer des medienkritischen Portals “Übermedien”. Bei der Finanzierung setzt er auf Mitgliedsbeiträge, deren Verwaltung der Dienstleister Steady übernimmt. Mit Steady-Gründer Gabriel Yoran spricht Niggemeier über seine Vermarktungsstrategie und “die Herausforderung, plötzlich nicht nur Journalist zu sein, sondern auch noch kräftig die Werbetrommel für sein eigenes Produkt rühren zu müssen”.
Dazu ein doppelter Transparenzhinweis: Stefan Niggemeier ist auch Mitgründer des BILDblog. Und wir hier beim BILDblog nutzen, wie “Übermedien”, auch die Dienste von Steady.

6. Internet im Snack-Format – warum TikTok so erfolgreich ist
(ardaudiothek.de, Christian Schiffer, Audio: 25:49 Minuten)
Das Videoportal TikTok soll weltweit bereits mehr als eine Milliarde Nutzerinnen und Nutzer haben, und auch in Deutschland ist die App äußerst beliebt. Die “Tagesschau” hat bei TikTok zum Beispiel mehr als 1,2 Millionen Fans. Aber was macht die Plattform so attraktiv? Christian Schiffer, Redakteur beim Bayerischen Rundfunk, hat es im Selbstversuch ausprobiert.

Mediale Inszenierung, Leben im Horrorfilm, Unterzeichneritis

1. Die mediale Inszenierung des russischen Militärs
(deutschlandfunk.de, Sebastian Wellendorf, Audio: 4:48 Minuten)
Die Glorifizierung der russischen und sowjetischen Armee, auch die mediale, sei ein wichtiger Bestandteil der Propagandastrategie von Wladimir Putin. Die Militärparade am 9. Mai in Moskau spiele dabei eine große, aber nicht die alleinige Rolle. Die Konstruktion von Parallelwelten und die Verherrlichung des russischen Militärs sei seit Jahren eine zentrale Aufgabe der russischen Fernsehlandschaft, so die Deutschlandfunk-Russland-Expertin Gesine Dornblüth.

2. Aufmerksamkeitsökonomie des offenen Briefs
(getrevue.co, Johannes Franzen)
In der aktuellen Ausgabe von “Kultur & Kontroverse”, dem Newsletter des Literaturwissenschaftlers Johannes Franzen, geht es unter anderem um die überall aufpoppenden offenen Briefe: “Die wahllose Unterzeichneritis ist eines der Grundmerkmale des Intellektuellenhabitus der Gegenwart. Das liegt vor allem daran, dass offene Briefe eine wichtige aufmerksamkeitsökonomische Funktion erfüllen. Wer auf der Liste steht, gehört zum Kanon derjenigen, die im Diskurs ihre Stimme erheben können. Er bringt sich in die Gesellschaft anderer wichtiger Menschen (z.B. Margaret Atwood) und partizipiert so an deren kulturellem Kapital. Zudem wird die eigene Sichtbarkeit erhöht, der eigene Name erklingt und wird dadurch einprägsamer.”

3. Die Weltretterinnen
(tagesspiegel.de, Markus Ehrenberg)
Das WDR-Fernsehmagazin “Frau tv” wird dieses Jahr 25 Jahre alt. Markus Ehrenberg fasst zusammen, warum es die Sendung aus seiner Sicht auch nach dieser langen Zeit noch braucht.

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4. »Ich lebe einen Horrorfilm«
(spiegel.de)
Unregelmäßige Bezahlung, unangemessene psychologische Unterstützung, Sabotage von Versuchen, sich gewerkschaftlich zu organisieren, Verletzungen von Privatsphäre und Menschenwürde – so beschreibt ein ehemaliger Content-Moderator in Kenia seine Arbeit für Facebook. Für 2,20 US-Dollar pro Stunde habe er Videos von Enthauptungen und von sexuellem Missbrauch an Kindern ansehen müssen, ohne dass man ihn darauf vorbereitet habe. Mehr Informationen über den Fall gibt es beim “Time”-Magazine (in englischer Sprache).

5. Ferngespräche: Griechenland
(ardaudiothek.de, Holger Klein, Audio: 1:00:43 Stunden)
In den radioeins-“Ferngesprächen” unterhält sich Holger Klein mit Korrespondentinnen und Korrespondenten rund um den Erdball. Diesmal spricht er mit der ARD-Reporterin Verena Schälter, die von Athen aus über Griechenland, aber auch über Italien, Malta und den Vatikan berichtet.

6. Elon Musk würde Trumps Verbannung auf Twitter aufheben
(zeit.de)
Kündigt sich womöglich Donald Trumps Twitter-Rückkehr an? Bald-Eigentümer Elon Musk hat sich auf einer Konferenz dazu aufgeschlossen geäußert. Er würde das Verbot aufheben, es sei “moralisch falsch” und “einfach nur dumm” gewesen. Trump hat sich zuletzt ablehnend zu einer möglichen Rückkehr geäußert, aber Aussagekraft und Haltbarkeit einer Trump-Äußerung sind bekanntermaßen begrenzt. So kann man wohl nur abwarten.

Achse der Intransparenz

Joachim Nikolaus Steinhöfel, geboren 1962 in Hamburg, ist einer der profiliertesten deutschen Juristen.

So, so.

Schon 2004 stelle das Handelsblatt fest: “Fast 200 Fälle hat er zum BGH hoch prozessiert, rund 70 Prozent davon gewonnen.”

Sieh an.

Er erwirkte die erste, jemals erlassene einstweilige Verfügung wegen Löschungen auf Facebook und hat sich wie kaum ein anderer Jurist um die Meinungsfreiheit verdient gemacht.

Aha.

Steinhöfel moderierte Sendungen für RTL und RTL 2, trat als Werbe-Testimonial für Europas größten Anbieter von Unterhaltungselektronik und als Sachverständiger im Bundestag auf.

Sag bloß.

1999 gewann er den Werbepreis “Effie” in Silber.

Oho.

Für BILD schreibt er im Abstand von zwei Wochen über die Abgründe von Gegenwart und Gesellschaft.

Okay.

Das da oben ist der Autorentext, der unter der “Bild”-Kolumne “RECHT KLAR!” von Joachim Steinhöfel zu finden ist. Auch unter der aktuellen Ausgabe:

Screenshot Bild.de - Eurowings und Co - Moral heucheln und Denunzianten gehorchen

Steinhöfel schreibt darin über Firmen, die aus freien Stücken die Ausspielung ihrer eigenen Online-Werbeanzeigen auf Websites gestoppt haben, nachdem Twitter-User diese Firmen auf die Inhalte der Websites aufmerksam gemacht hatten.

Oder wie Joachim Steinhöfel es ausdrückt: Es geht um Unternehmen, die sonst keine “Berührungsängste” beim “Geld von Kinderschändern, Vergewaltigern oder Antisemiten” hätten (“Man kann bei Millionen von Kunden schließlich nicht jeden überprüfen.”) und die nun vor “anonymen Verleumdern”, vor “anonymen Denunzianten mit rechtlich fragwürdigen Boykottaufrufen” einknicken würden.

Steinhöfel zitiert auch vier konkrete Fälle, wie diese Unternehmen bei Twitter reagiert haben:

“Wird sofort geprüft. Sind dran!”, Kaufland.

Es geht dabei um eine Werbeanzeige auf der Website “Achse des Guten”.

“…vielen Dank für den Hinweis. Wir haben die [Werbung] sofort gestoppt,” Aktion Mensch.

Es geht dabei um eine Werbeanzeige auf der Website “Achse des Guten”.

“…für alle Werbeaktivitäten geblacklisted”, Eurowings.

Es geht dabei um eine Werbeanzeige auf der Website “Achse des Guten”.

“Wir werden den Fall prüfen und unsere Blacklist überarbeiten”, Audi.

Es geht dabei um eine Werbeanzeige auf der Website “Achse des Guten”.

Dass es ausschließlich um die “Achse des Guten” geht, erwähnt Joachim Steinhöfel in seinem Text merkwürdigerweise nicht. Und es ist leider auch nirgends zu lesen, dass Steinhöfel selbst Autor der “Achse des Guten” ist und sie als Anwalt rechtlich vertritt. Auch im oben zitierten, recht ausführlichen Autorentext war für einen Transparenzhinweis kein Platz.

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Der Tod und die Titten

Carolin W. ist gestorben. Big-Brother-Fans und “Bild”-Leser kannten die 23-jährige Amateur-Pornodarstellerin wohl eher unter ihrem Künstlernamen “Sexy Cora”. Es ist nicht wichtig, ob sie letztendlich nach der fünften (“Mopo”) oder sechsten (“Bild”) Brust-OP gestorben ist, aber ein Blick auf den Umgang der Boulevardmedien mit operierten Frauen könnte sich lohnen:

2009 berichtete Bild.de erstmals über die wahlweise als “Porno Cora”, “Sexy Cora” oder einfach nur “Cora (Oberweite 70F, Maße 96-59-89)” betitelte Hamburgerin, weil sie an einem Tag gleich drei Mal in eine Polizeikontrolle geraten war.

Das nächste Mal rückte Cora in den Mittelpunkt, als sie im Januar 2010 in den “Big Brother”-Container zog. Die Sabberproduktion in der Redaktion, die jede Nacktduschszene bis ins kleinste Detail journalistisch begleitete, dürfte auf einem Allzeithoch gestanden haben. Es folgen einige Auszüge aus der Berichterstattung bei Bild.de:

14.1.2010:

Erotikdarstellerin sexy Cora (22) wird zum menschlichen Busenhalter! (…) Auf ihre Kurven scheint sie mächtig stolz (…)

28.1.2010:

Passt, wackelt und hat wenig Luft: Sexy Cora freut sich über ihre Busenbommel

29.1.2010:

Sexy Cora (22) duscht gleich mit drei Männern und strippt danach (…) als hätte noch niemand ihre Körbchengröße 75F ohne BH gesehen!

9.3.2010:

Sexy Cora (20) hat am Dienstag um 17.02 Uhr das “Big Brother”-Haus verlassen. NACKT-DUSCHEN, KURVEN GUCKEN, KUSCHELN – AUS UND VORBEI!

Die Frage, für wen sich Frauen wie “Sexy Cora” eigentlich immer wieder unters Messer legen, scheint Bild.de nicht ernsthaft zu beschäftigen. Dabei ist es nicht auszuschließen, dass die positiven und sicher auch karrierefördernden Reaktionen der Boulevardmedien eine Rolle gespielt haben, als Cora sich zu einem weiteren Eingriff entschloss — übrigens obwohl ihr der Leiter der Klinik, in der die vorherigen Eingriffe durchgeführt wurden, im Vorfeld davon abgeraten hatte (“es war anatomisch einfach das Maximum erreicht”). Wie wenig sich etwa “Bild” und Bild.de um Ursache und Wirkung scheren, zeigt sich dann auch darin, dass die Berichte vom Koma über die Feststellung von Hirnschäden bis hin zum Tod konsequent weiter mit Tittenbildern und anderem Unfug garniert sind — als gäbe es nichts Geileres, als sich auf eine Komabraut mit Hirnschäden einen von der Palme zu wedeln:

13.1.2011:

‘Sexy

Bonusmaterial: Videos Sexy Cora auf Malle – BB-Blondine zieht am Ballermann blank, Nie mehr Big Brother! – Sexy Cora freut sich über ihre Freiheit (Nacktfußball), Ratgeber Bauch, Busen, Nase -Welche Beauty-OPs zahlt die Kasse?, Bild erklärt – Alles über die Brustvergrößerung, Das wussten Sie nicht! – 33 Pralle Fakten über Brüste

13.1.2011:

Jetzt spricht der Busen-Arzt von sexy Cora!

Bonusmaterial: Wie bei vorherigem Artikel + 14-teilige Titten-Klickstrecke “Big Brother machte sie bekannt – Sexy Cora in Bildern”

14.1.2011:

Staatsanwalt ermittelt gegen Busen-Arzt von sexy Cora

Bonusmaterial: Wie bei vorherigem Artikel, statt 14-teiliger Titten-Klickstrecke 16-teilige Titten-Klickstrecke “Big Brother machte sie bekannt – Sexy Cora in Bildern”

16.1.2011:

Wird sexy Cora heute aus dem Koma geholt?

Bonusmaterial: 66-teilige Titten-Klickstrecke “Big Brother machte sie bekannt – Sexy Cora in Bildern”

18.1.2011:

Coras Hirn nach Busen-OP für immer geschädigt

Bonusmaterial: 66-teilige Titten-Klickstrecke “Big Brother machte sie bekannt – Sexy Cora in Bildern”, Ratgeber Bauch, Busen, Nase -Welche Beauty-OPs zahlt die Kasse?, Bild erklärt – Alles über die Brustvergrößerung, Das wussten Sie nicht! – 33 Pralle Fakten über Brüste

20.1.2011:

"Big Brother"-Star Cora tot: Kurz vor der OP flüsterte sie ihrem Mann ins Ohr: "Ich will ein Kind von dir"

Bonusmaterial: Trauervideo, in dem “Sexy Cora” unter anderem nackt beim Fußballspielen gezeigt wird, 4-teilige Titten-Klickstrecke “”Big Brother”-Star Cora in Bildern”, Ratgeber Bauch, Busen, Nase -Welche Beauty-OPs zahlt die Kasse?, Bild erklärt – Alles über die Brustvergrößerung, Das wussten Sie nicht! – 33 Pralle Fakten über Brüste. Dazu besteht natürlich jederzeit die Möglichkeit, den Hinterbliebenen in den Kommentaren sein Beileid auszudrücken.

Um in “Bild” mit Würde zu sterben, muss man wohl der Hund von Kolumnist Norbert Körzdörfer sein:

Bild-Hund Ruby liegt im Sterben

PS: Coras Alter schwankt bei “Bild” schon immer um zwei Jahre hin und her. Glaubt man ihrem Wikipedia-Eintrag, so war “Sexy Cora” zum Zeitpunkt ihres Todes 23 Jahre alt.

Mit Dank an die zahlreichen Hinweisgeber!

Bild.de vs. “Focus Online”, falsche NPD-Eile, schwuleres Deutschland

1. Abkupfern mit System
(taz.de, Malte Göbel)
Manchmal dauert es nur wenige Minuten, da taucht eine Nachricht, die bei Bild.de hinter der Bezahlschranke liegt, bei “Focus Online” auf, frei zugänglich für alle. Das passiere immer wieder, habe System und greife das Geschäftsmodell einer ganzen Branche an, sagen sie bei Bild.de und wollen sich den Geschichten-Klau nicht mehr gefallen lassen. Deswegen klagt das Portal nun auf Unterlassung, Auskunft und Schadensersatzfeststellung. “Das Verfahren könnte ein Jahr oder länger in Anspruch nehmen”, schreibt Malte Göbel.

2. Etliche Medien meldeten fälschlicherweise NPD-Verbot
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Die rechtsextreme NPD wird nicht verboten. Und dennoch eilmeldeten viele Medien gestern, dass die Partei verboten werde: “Spiegel Online”, “Zeit Online”, “NZZ”, “Das Erste”, “Phoenix” … hach, ja. “Im besten Fall führt das nun zu intensiven Diskussionen in den Redaktionen, damit ähnliches nicht noch einmal passiert”, schreibt Timo Niemeier. Inzwischen haben sich sowohl “Spiegel Online” (“SPIEGEL ONLINE passiert ärgerlicher Fehler”) als auch “Zeit Online” (“Wie unsere falsche Eilmeldung zum NPD-Urteil zustande kam”) für ihre Fehler entschuldigt und erklärt, wie die falschen Eilmeldungen passieren konnten.

3. Deutschland soll doch nicht “schwuler” werden
(queer.de, mize)
“Schwule sind Abfallprodukte der Natur” oder “schwule Lügenpresse” — die Reaktionen auf eine Aussage von “Welt”-Chefredakteur Ulf Poschardt waren ziemlich übel. Der hatte, als Reaktion auf die Aussagen von Bald-US-Präsident Donald Trump im Interview mit “Bild”, geschrieben, Deutschland müsse sich “wehren und besser, mutiger, fleißiger, innovativer, freier, offener, schwuler, multikultureller werden.” Das erzeugte die eingangs erwähnte Wut im rechten Lager. Poschardt ließ sich beeindrucken, ersetzte in seinem Text bei Welt.de das “schwuler” durch “kreativer”. Dafür gibt es jetzt Kritik von queer.de. Zum gleichen Thema schreibt die “taz”: “Nicht nur, dass Poschardt und die Welt-Redaktion vor dem Shitstorm der Homo-Hasser einknicken. Sie tun es auch nur hier, nicht bei ihren anderen (von verschiedenen Seiten) beshitstormten Aussagen.”

4. Journalismus-ist-wenn-wir-es-sagen-Fabrik
(medium.com, Lorenz Matzat)
Vor drei Tagen wurden die Pläne für eine “Reporterfabrik” bekannt (siehe Punkt 5 der “6 vor 9” vom Montag), gestern folgte die Kritik daran. Lorenz Matzat nennt verschiedene Punkte, die ihn wundern oder nicht passen: vom Titel des Projekts bis zu ganz grundsätzlichen Aussagen im Konzept: “Geradezu aberwitzig wird es, wenn im ersten Halbsatz auf den Pressekodex (Sorgfaltspflicht usw.) verwiesen wird, um im folgenden Nebensatz ein Bild von ‘hundertausenden Hobby-Journalisten’ zu zeichnen, die desinformieren und verunglimpfen würden — ohne Quellenangabe für diese vage Zahlenangabe.” Wolfgang Michal hat auch noch ein paar Fragen zum Vorhaben (“Geht es der geplanten Reporter-Fabrik also um Bildung oder um Erziehung? Geht es um die Verteidigung der Demokratie oder um die Verteidigung des alten Mediensystems?”), aber auch Lob für die Idee.

5. Unglaubliche Dichte von Politikerlügen
(planet-interview.de, Julie Kirschner-Krohm)
Klaus Fiedler kennt sich mit Lügen aus. Nicht weil er andauernd flunkert, sondern weil er drüber forscht. Julie Kirschner-Krohm hat mit ihm über rücksichtsvolle Lügen, die Lügen des Donald Trump und lügende Politiker in TV-Talkshows gesprochen.

6. Heimvorteil
(sueddeutsche.de, Anna Dreher)
Übermorgen, wenn die Bundesliga wieder loslegt, kommt die “Fußball Bild” bundesweit auf den Markt, eine tägliche Fußballzeitung von “Bild”. Anna Dreher hat diesen Anlass für einen Besuch beim “Kicker” in Nürnberg genutzt und geschaut, wie die älteste Fußballzeitschrift des Landes auf die neue Konkurrenz reagiert.

“Bild” bringt Geflüchtete mit Clan-Kriminalität in Zusammenhang

Bei ihrem Versuch, Geflüchtete mit negativen Geschichten und Schlagzeilen in Verbindung zu bringen, entfaltet die “Bild”-Redaktion ihre ganze kreative Energie. Erst gestern wieder, in diesem Artikel:

Screenshot Bild.de - Bild fordert - Endlich null Toleranz gegenüber arabischer Clan-Kriminalität!

“BILD FORDERT” scheint die nächste Stufe zu sein nach “Das meint BILD”, dem Kommentar der gesamten Redaktion, den Julian Reichelt eingeführt und den Julian Reichelt für gut befunden hat. “BILD FORDERT” jedenfalls erstmal auf einer falschen faktischen Grundlage:

Die Clan-Kriminalität in der deutschen Hauptstadt und im ganzen Land ist außer Kontrolle.

Mehrere Hunderttausend (!) Menschen werden ihr zugerechnet. Sie hat sich zum Staat im Staat entwickelt.

Die Redaktion hat das ganz ähnlich schon mal behauptet:

Ausriss Bild-Zeitung - Ermittlungen des BKA - 200.000 kriminelle Clan-Mitglieder in Deutschland

Doch weder “mehrere Hunderttausend (!)” noch “200.000” stimmt. Stefan Niggemeier hat das bereits vor einem Monat drüben bei “Übermedien” ge- und erklärt. Und auch Martin Klingst erläuterte in der “Zeit” vom 9. August: Das Bundeskriminalamt schätzt nicht, dass 200.000 Clan-Mitglieder kriminell sind, sondern dass die Clans, die in Deutschland immer wieder kriminell auffällig sind, insgesamt etwa 200.000 Familienmitglieder haben. Ein Teil davon ist kriminell, ein anderer Teil nicht. “FORDERT” “Bild” etwa auch die Rückkehr zur Sippenhaft?

Apropos “Kennste einen, kennste alle” — “Bild” und Bild.de schrieben gestern weiter:

Die Entstehung der arabischen, organisierten Kriminalität in Deutschland war das Ergebnis von Flucht und Zuwanderung aufgrund eines Krieges in einem arabischen Land (Libanon).

Viele Politiker sehen solche Szenen [von Clan-Mitgliedern, die die Gesetze nicht achten,] einige wenige Male im Jahr, wenn sie — wie jetzt — in der Zeitung gedruckt sind.

Aber für viele Menschen in deutschen Großstädten gehören sie zum Stadtbild. Natürlich macht das Angst.

Natürlich schmälert das den Glauben an den Rechtsstaat und daran, dass wir weitere Hunderttausende Menschen, die bei uns Zuflucht gefunden haben, erfolgreich integrieren werden.

Krieg in einem arabisches Land, Flucht, Kriminelle in Deutschland. Das ist die dünne wie toxische Logik, die die “Bild”-Medien verbreiten: Wenn die Personen der Gruppe A als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen und hier kriminell geworden sind — wieso sollen dann die Personen der Gruppe B nicht auch kriminell werden? Die sind doch schließlich auch als Flüchtlinge gekommen.

Dazu passt dann auch die bemerkenswerte Verkürzung bei der Entstehungsgeschichte der Clan-Kriminalität: Als wäre zwischen der Flucht vor dem libanesischen Bürgerkrieg, der von 1975 bis 1990 dauerte, und dem Schutzgeldeintreiben, dem Drogengeschäft, dem Menschenhandel einiger Großfamilien Jahre und Jahrzehnte später nichts weiter passiert; als wäre das eine (Clan-Kriminalität) die unausweichliche Folge des anderen (Flucht).

Um die “Bild”-Redaktion zu zitieren: “Natürlich macht das Angst.”

Framing, “Musenalp”, Schubsbilanz

1. Alle reden über Framing – so funktioniert es
(spiegel.de, Elisabeth Wehling)
Die Wissenschaftlerin Elisabeth Wehling ist durch ihre Ausführungen zum politischen Framing bekannt geworden. In einem Gastbeitrag für “Spiegel Online” beschäftigt sie sich mit einer sprachlichen Falle, wenn es um Alltagssexismus und sexuelle Gewalt geht: der “sexualisierten Gewalt”. Der Begriff sei faktisch irreführend und nehme unseren Gehirnen die Chance auf Empathie und moralische Entrüstung.

2. Himmelhoch
(sueddeutsche.de, Burkhard Riedel)
Ältere werden sich vielleicht noch an den “Musenalp-Express” erinnern, eine kostenlos verteilte schweizerische Jugendzeitschrift. 1988 war dem Blattmacher ein sensationeller Coup gelungen: Das “Musenalp”-Magazin lag kostenlos in 17.500 bundesdeutschen Postfilialen aus, in der stolzen Auflage von einer Million Exemplare. Der ehemalige “Musenalp”-Mitarbeiter Burkhard Riedel erzählt vom Aufstieg und Fall des einzigartigen Projekts.

3. Alles Werbung? Ja, nein, vielleicht
(taz.de, Juliane Fiegler)
Instagram ist ein Ort, der sich gut für Schleichwerbung eignet. Dementsprechend aufmerksam beobachten Wettbewerbshüter und andere das Treiben der Influencer und mahnen bei Verstößen ab. Ob sie dabei über das Ziel hinausschießen, muss nun ein Gericht entscheiden: Das Model Fiona Erdmann wehrt sich gegen eine der Abmahnungen. Sie hatte ihren Fotografen verlinkt, was ihr als Werbung ausgelegt wurde.

4. Wann merken die letzten deutschen Medien endlich …
(twitter.com/martinhoffmann)
Mit Blick auf ein Sharepic des “Deutschlandfunks” fragt Martin Hoffmann bei Twitter: “Wann merken die letzten deutschen Medien endlich, dass es manchmal einfach keinen Sinn macht, Zitate auf Fotos zu klatschen und auf Facebook zu posten? Dass sie damit — im Gegenteil — nur die Arbeit von Populisten machen?”

5. Warum es «Vice» in der Schweiz wahrscheinlich nicht mehr schafft
(medienwoche.ch, Benjamin von Wyl)
Nachdem die österreichische “Vice”-Redaktion vor einigen Wochen ihren Abschied erklärte, hat nun der Schweizer Redaktionsleiter Sebastian Sele gekündigt. Wie lassen sich diese Auflösungserscheinungen erklären? Benjamin von Wyl hat selbst für die Schweizer “Vice” gearbeitet und bringt Licht ins Dunkel.

6. Tagesfazit und Schubsbilanz
(twitter.com/anettselle)
Die Reporterin Anett Selle hat es im Zusammenhang mit ihren Livestreams aus dem Hambacher Forst zu einiger Berühmtheit gebracht und ihrem Auftraggeber, der “taz”, einige neue Abonnenten beschert. Anlässlich der gestrigen Bayernwahl hat Selle aus München berichtet. Sie schließt den Tag mit einer Zusammenfassung und ihrer persönlichen “Schubsbilanz” (ab Minute vier).

“Bild”-Chef schafft “Weihnachten” ab

Wir wünschen entspannte und besinnliche Feiertage und ein erfolgreiches, gesundes Jahr 2020.

So lautet der Spruch in der Grußkarte von “Bild”, “Bild am Sonntag” und “B.Z.”, die die Medienjournalistin Ulrike Simon heute bei “Horizont” präsentiert. Aber fehlt da nicht was? Wo steckt denn “das wichtige Wort: Weihnachten”? Will Julian Reichelt, der als Chef der Chefredakteure für alle drei Blätter verantwortlich ist, etwa eines der zentralen christlichen Feste abschaffen?

Eigentlich wäre das alles nicht der Rede wert, wenn es für die “Bild”-Medien vor ziemlich genau einem Jahr nicht der Rede der Aufregung der Kampagne wert gewesen wäre, dass in einer Weihnachtskarte der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung Annette Widmann-Mauz das aus “Bild”-Sicht “wichtige Wort: Weihnachten” fehlte.

Mehrere Tage versuchten sie bei “Bild” und Bild.de, Widmann-Mauz fertigzumachen und aus dem Amt zu schreiben:

Collage mit Screenshots von Bild.de und Ausrissen aus der Bild-Zeitung - Peinliche Karte aus dem Kanzeramt - Integrations-Beauftragte schafft Weihnachten ab - Die peinliche Weihnachtskarte aus dem Kanzleramt - Integrationsbeauftragte drückt sich vor dem Wort Weihnachten - Kritik-Stum wegen beschämender Weihnachtskarte - Warum ist sie Integrationsministerin?

Filipp Piatov und Franz Solms-Laubach regten sich über die “peinliche Weihnachtskarte aus dem Kanzleramt” auf. Solms-Laubach kommentierte zusätzlich: “Instinktloser Unsinn!” Briefonkel Franz Josef Wagner schrieb an die “Liebe Integrationsministerin”. Und die Redaktion ließ den selbst initiierten “Kritik-Sturm wegen beschämender Weihnachts-Karte” über Widmann-Mauz ziehen. Es war eine typische “Bild”-Kampagne, in der Julian Reichelt und sein Team aus purer Lust auf Krawall eine Kleinigkeit zum großen Skandal aufbliesen. Und für alle ganz Rechten, die das Abendland untergehen sehen, war es ein gefundenes Fressen für Hass und Hetze.

Ulrike Simon schreibt bei “Horizont”, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Axel-Springer-Verlags das fehlende “Weihnachten” noch bemerkt haben sollen:

Glück gehabt, dass Bild den eigenen Faux-pas in diesem Jahr rechtzeitig erkannte. Pech, dass HORIZONT eine von mehreren tausend Karten vor dem Einstampfen retten konnte.

Mit Dank an Max für den Hinweis!

Nebengeschäfte, TV-Ausfallfonds, Oder soll man es lassen?

1. Mitgeliefert
(sueddeutsche.de, Anika Blatz)
Die Corona-Krise und die daraus resultierende wirtschaftliche Notlage befeuert in vielen deutschen Medienhäusern die Kreativität. Mit welchen “Nebengeschäften” lassen sich Auflagenschwund und Anzeigenverluste ausgleichen? Anika Blatz hat sich in der Branche umgehört und einige einfallsreiche Modelle entdeckt: von der Brötchen-Zustellung bis hin zur Einrichtung von mietbaren Online-Shops, der Kooperation mit Apotheken oder Hofläden und der “Same Day Delivery” für eine Vielzahl unterschiedlichster Partnerprodukte.

2. Vergrößern ist nicht spiegeln
(taz.de, Eliyah Havemann)
In einem Gastkommentar äußert sich Eliyah Havemann zum Streit über die Kabarettistin Lisa Eckhart: “[I]hr Publikum goutiert diese billigen Pointen, die sie auf Kosten der Juden, PoC, Homosexuellen und trans* Menschen sowie anderer Marginalisierter macht. Manche ihrer Fans behaupten, sie würde das tun, um der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten, etwa wie Sasha Baron Cohen mit seiner Figur Borat. Aber das ist Schönrederei. Denn ihrer Show fehlt die Distanz zur Figur. Der Spiegel wird zum Vergrößerungsglas.”

3. Oder soll man es lassen? Ja.
(uebermedien.de, Jürn Kruse)
Müssen öffentlich-rechtliche Medien “jeden zu Wort kommen lassen”? Oder sollte man gewissen Menschen und Positionen “keine Bühne bieten”? Das sind Fragen, die sich immer wieder stellen, zuletzt bei einem Interview des Deutschlandfunks mit Anselm Lenz, einem der Organisatoren der Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen. Jürn Kruse hat das Gespräch auf “Übermedien” analysiert. Er halte es für richtig, sich mit Verschwörungsideologen und ihren Erzählungen auseinandersetzen: “Das Interview ist als Darstellungsform dafür aber gänzlich ungeeignet, es ist das falsche Werkzeug. Es ist das Sieb, das man mit an den Strand nimmt, um Wasser zu schöpfen.”
Weiterer Lesehinweis: Auf “Planet Interview” reagiert Jakob Buhre mit einer Replik. Er halte Kruses Schlussfolgerung in ihrer Pauschalität für falsch. “Und zum Fall von Lenz: Man hätte mit ihm noch viel länger sprechen müssen.”

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4. Twitter kennzeichnet russische und chinesische Staatsmedien
(netzpolitik.org, Marie Bröckling)
Seit vergangener Woche versieht Twitter zahlreiche russische und chinesische Nachrichtenseiten mit einem Hinweis für “staatsnahe Medien”. Doch damit nicht genug: Die Tweets von Redaktionen wie “Russia Today” und “China Daily” würden ab sofort auch nicht mehr vom Algorithmus empfohlen, was ihre Reichweite erheblich drosseln dürfte. Eine Twitter-Sprecherin habe keine Angaben dazu machen wollen, wie viele und welche Accounts markiert wurden.

5. Gemeinsamer Appell für Ausfallfonds: “Handeln Sie jetzt!”
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Für Kinofilme und “hochwertige Serien” hat die Bundesregierung bereits einen mit 50 Millionen Euro ausgestatteten Corona-Ausfallfonds beschlossen. Seit geraumer Zeit werde ein ähnlicher, jedoch von den Bundesländern finanzierter, Fonds für Fernsehproduktionen diskutiert. Nun haben 39 Verbände und Organisationen einen eindringlichen Appell veröffentlicht: “Wir brauchen den Ausfallfonds für TV-Produktionen. Jetzt!”

6. Wo laufen sie denn?
(untergeschoss.wordpress.com, Harald Keller)
Eine Serie wie “House of Cards” wird von vielen Medien gerne als “Netflix-Serie” bezeichnet, wahrscheinlich, weil man sie dort gucken kann. Doch sie läuft auch auf anderen Plattformen wie Amazon, Chili, Google Play, iTunes, Joyn, Maxdome, Microsoft, Rakuten TV, Sky Ticket, Sky Go, Sony und Videoload. Ist es also gerechtfertigt, Netflix derart herauszustellen? In diesem Fall aus guten Gründen ja, so Harald Keller, aber das Prinzip müsse durchgehalten werden.

Zwei “Bild”-Autoren auf falscher Wackelrecherche

Man kann sich völlig korrekt verhalten, nichts falsch machen, den Gesetzen entsprechend handeln – und dennoch landet man am Pranger der “Bild”-Redaktion.

Am vergangenen Montag in der Bundesausgabe der “Bild”-Zeitung:

Ausriss Bild-Zeitung - Radfahrerin, was machst du da mit den Kindern?
(Gesichter der Kinder und der Mutter von “Bild” verpixelt, weitere Verpixelung durch uns.)

Und auch Bild.de berichtete:

Screenshot Bild.de - Irrer Transport mitten in Frankfurt - Drei Kinder auf Muttis Wackelrad

Zum “irren Öko-Eltern-Taxi” schreiben die zwei Autoren:

Mit drei kleinen Kindern auf dem Gepäckträger strampelt diese Mutter wackelig auf dem Drahtesel über die Eschersheimer Landstraße, eine der am stärksten befahrenen Verkehrsschlagadern in Frankfurts Stadtteil Nordend.

Bei “Bild” fühlen sie sich sogar, igittigitt, ans Ausland erinnert:

Es sind Bilder, die man sonst nur aus Thailand oder Indien kennt: völlig überladene Fahrräder. Dort stapeln sie aber meist Waren und nicht kleine Kinder.

Hier sitzen drei Kinder hinter der Fahrerin in einem Rohr-Rahmen. Erlaubt ist dieser neue Fahrradtyp zum Kindertransport. Für 1-2, so zeigen es Hersteller auf ihren Internetseiten.

Diese Behauptung ist schlicht falsch. Bei dem Fahrrad auf dem Foto handelt es sich um ein Lastenrad der Firma Yuba, Modell “Mundo LUX”. Das hat laut Herstellerangaben “Platz für bis zu zwei Teenager oder drei Kinder”. Der von den “Bild”-Autoren erwähnte “Rohr-Rahmen” ist eine offizielle Erweiterung mit dem Namen “Monkey Bars”. Auch dazu schreibt der Hersteller: “Das Kindergeländer ist für bis zu drei Kinder konzipiert”. Also: alles in Ordnung “auf dem Drahtesel”.

Das sieht das “Bild”-Duo anders:

Die Straßenverkehrsordnung kennt so einen Fall gar nicht! Ist es schon völlig verboten, ein Kind ohne Kindersitz auf dem Gepäckträger mitzunehmen, aber gleich drei – dafür fehlte den Gesetzgebern die Vorstellung.

Auch das stimmt nicht. In der Straßenverkehrs-Ordnung gibt es sehr wohl eine Stelle, die die Mitnahme von Kindern auf einem Fahrrad beziehungsweise Lastenrad regelt. In Paragraph 21, Absatz 3 findet man zwei Voraussetzung: Die Person, die das Rad fährt, muss mindestens 16 Jahre alt sein, und das Rad muss “zur Personenbeförderung gebaut und eingerichtet” sein:

Auf Fahrrädern dürfen Personen von mindestens 16 Jahre alten Personen nur mitgenommen werden, wenn die Fahrräder auch zur Personenbeförderung gebaut und eingerichtet sind. Kinder bis zum vollendeten siebten Lebensjahr dürfen auf Fahrrädern von mindestens 16 Jahre alten Personen mitgenommen werden, wenn für die Kinder besondere Sitze vorhanden sind und durch Radverkleidungen oder gleich wirksame Vorrichtungen dafür gesorgt ist, dass die Füße der Kinder nicht in die Speichen geraten können.

Ganz am Ende ihres Artikels haben die “Bild”-Autoren auch noch einen sehr “Bild”-typischen Vorschlag für die “Öko-Eltern-Taxi”-Mutter, die sie fälschlicherweise an den Pranger stellen:

Für solche Transporte gibt es übrigens ein anderes und völlig legales Fortbewegungsmittel: ein Auto.

Mit Dank an Thomas B. für den Hinweis!

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Feuer und Wasser, Geringes Interesse?, Fidel Castro beim ORF

1. “Wie Feuer und Wasser”
(sueddeutsche.de)
Die “Süddeutsche” hat fünf Personen aus der Medienbranche um ihre Meinung zu RTLs Übernahme von Gruner + Jahr gebeten. Die fällt meist vernichtend aus. Manfred Bissinger, Publizist und ehemaliger stellvertretender Chefredakteur des “Stern”, kommentiert beispielsweise: “Gruner + Jahr war einmal der publizistische Marktführer in Europa. Dass dieser Verlag nun in den Untiefen von RTL verschwindet, ist eine Riesenschande und ein herber Rückschlag für die freie Publizistik in Deutschland. Bewegtbilder und Magazine sind wie Feuer und Wasser – das passt nicht zusammen.”

2. TV-Meteorologen als Aufklärer
(deutschlandfunk.de, Heike Wipperfürth, Audio: 6:02 Minuten)
Die Wettermoderatorinnen und -moderatoren der 1.700 US-Fernsehstationen weisen zunehmend auf die Zusammenhänge von Wetter und Erderwärmung hin und thematisieren die Auswirkungen der Klimakrise. Ein Meteorologe eines gemeinnützigen Klimaforschungsinstituts erklärt, warum dem eine besondere Bedeutung zukommt: “In den USA haben die Zuschauer eine persönliche Beziehung zu den Wettermoderatoren in lokalen Fernsehstationen. Diese sind oft die einzigen Wissenschaftler, mit denen sie täglich in Kontakt kommen. Sie wollen die Meinung der Meteorologen über den Zusammenhang zwischen Klima und Wetter hören, weil sie ihnen vertrauen.”
Dazu auch aus unserem Archiv: Damals, als Julian Reichelt noch Wahlkampf für die Grünen machte.

3. ARD sucht Kommentatorinnen für die “Sportschau”: “Interesse ist nach wie vor gering”
(rnd.de)
Die ARD sagt, sie würde gern mehr Kommentatorinnen für ihre “Sportschau” einstellen, doch es bewerben sich angeblich nicht viele Frauen für den Job. Da fragt sich der “6-vor-9”-Kurator, ob das Stellenangebot ausreichend beworben wurde, und ob man dafür gesorgt hat, geeignete Arbeitsbedingungen zu schaffen.

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4. Parteien mischen mit
(taz.de, Ralf Leonhard)
Die Wahl des neuen ORF-Generaldirektors wird von manchen österreichischen Medien mit deutlichen Worten kommentiert. So sprechen das Magazin “profil” und die Wochenzeitung “Falter” nicht von einer Wahl, sondern von einer “Bestellung”. Laut “profil”-Herausgeber Christian Rainer habe der Vorgang “mit einer Wahl so viel zu tun wie die Bestellung von Fidel Castro zum Staatspräsidenten von Kuba hatte”.

5. Beleidigungen und Drohungen über “Telegram”
(urheberrecht.org)
Der Grünen-Politiker Volker Beck hat vor dem Landgericht Berlin ein Urteil gegen den ehemaligen Fernsehkoch Attila Hildmann erwirkt, das diesem untersagt, Drohungen und Beleidigungen gegen den Politiker zu äußern, wie er sie im vergangenen Sommer getätigt hatte. Das Urteil sei in Abwesenheit Hildmanns als Versäumnisurteil gesprochen worden, da sich Hildmann derzeit mutmaßlich in der Türkei aufhalte.

6. Die meistgehörten Podcasts im Juli
(media-control.de)
Media Control hat die aktuellen Podcast-Charts veröffentlicht: Zu den 20 meist gehörten Podcasts des Monats Juli gehören bewährte Unterhaltungsformate wie “Gemischtes Hack” und “Fest und Flauschig”, aber auch Informationsangebote wie “Cui Bono: WTF happened to Ken Jebsen” und die Aufarbeitung des Wirecard-Skandals.

Neue Facebook-Enthüllungen, Mai This klare Kante, Echt “cringe”

1. Neue Enthüllungen zu Facebooks Umgang mit Hass
(zeit.de)
Nach den Enthüllungen einer ehemaligen Facebook-Managerin geht es weiter mit den schlechten Nachrichten für das Soziale Netzwerk. Ein ehemaliger Mitarbeiter habe offenbar Beschwerde bei der Börsenaufsicht eingelegt. Facebook habe problematische Inhalte zugelassen, um Geschäftsinteressen zu schützen. Womöglich hätte der Konzern sogar den Sturm auf das US-Kapitol verhindern können, für den sich Anfang des Jahres Hunderte von militanten Trump-Unterstützern in Washington zusammengerottet hatten.

2. Döpfner bedauert – und bittet Zeitungsverlage weiter um Unterstützung
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Mathias Döpfner hat sich mit einem Rundschreiben an die deutschen Zeitungsverlage gewandt und auf die Forderung reagiert, er solle als Präsident des Zeitungsverlegerverbandes BDZV zurücktreten: “Sie alle wissen, dass meine kritisierten Äußerungen – Stichworte: DDR-Obrigkeitsstaat und PR-Assistenten – in einer privaten SMS gefallen sind. Sie war Teil eines vertraulichen Dialogs. Worte werden dabei gewöhnlich – Sie werden das nachempfinden können – nicht auf die Goldwaage gelegt.” Er bitte die Verlage darum, ihn weiter zu unterstützen.

3. YouTube serviert freiwillige Helfer:innen ab
(netzpolitik.org, Sebastian Meineck)
Seit Jahren helfen unbezahlte Freiwillige als Trusted Flagger auf Youtube bei der Löscharbeit. Millionen Videos haben sie schon gemeldet. Jetzt hat sich Youtube offenbar kommentarlos von einigen getrennt und setzt lieber auf automatische Erkennung von Videos durch Algorithmen. netzpolitik.org hat mit zwei Trusted Flaggern gesprochen und den Mutterkonzern Google zu dem Vorgehen befragt.

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4. Fürs kritische Denken
(sueddeutsche.de, Lena Reuters)
Die Wissenschaftsjournalistin und erfolgreiche Youtuberin Mai Thi Nguyen-Kim verbindet in ihrer neuen ZDF-Show Unterhaltung mit Aufklärung. Lena Reuters hat sich die erste Folge angesehen und war, von kleinen Schwächen abgesehen, recht angetan: “Klare Kante zeigen und unterhalten schließen sich nicht aus.”

5. Reportagen: Schluss mit dem journalistischen Selbstbetrug!
(mediummagazin.de, Manuel Stark)
Nach Ansicht von Manuel Stark hat der Reportagejournalismus in Deutschland ein gefährliches Problem: Er reduziere Menschen auf Schablonen, damit die Leserschaft redaktionelle Thesen besser schluckt. Starks Forderung: “Sobald ein Mensch nur als möglichst thesentreffende Schablone interessiert, ist es ehrenwerter, gleich eine Figur zu erfinden. Die Regeln ließen sich dann immer noch einhalten, indem man die erfundenen Passagen mit Transparenzphrasen wie ‘so oder ähnlich’ abschließt. Ehrlicher wäre das allemal.”

6. Echt “cringe”: So reagieren Dr. Oetker, McDonald’s und das Umwelt­ministerium auf das Jugendwort
(rnd.de, Inga Schönfeldt)
Das Jugendwort des Jahres lautet “cringe”. Eine Nachricht, auf die viele Institutionen und Unternehmen in den Sozialen Medien reagierten. Und das ist teilweise ganz lustig.

KW 34/22: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. Instagram – Das toxische Netzwerk
(arte.tv, Olivier Lemaire, Video: 1:26:34 Stunden)
Anfangs war es nur eine kleine App zum Teilen von Fotos, mittlerweile nutzen eine Milliarde Menschen Instagram. Was so vermeintlich positiv und harmlos daherkommt, hat seine Tücken, wie eine Arte-Doku filmisch analysiert: “Die ungebremste Inszenierung der eigenen Person, die im Ozean des Konsums illusorisch Glück verspricht, beeinflusst das Leben der Menschen schleichend. Die Flut an Bildern schlägt in Übersättigung um, in eine nie endende Pornografie aus Klamotten, Gegenständen, Essen und muskulösen, sonnengebräunten, eingeölten Körpern.” Der Film geht der Frage nach, welche Einflüsse Instagram auf Individuum und Gesellschaft hat.
Weiterer Gucktipp: Beim öffentlich-rechtlichen Jugendkanal “funk” gibt es einen zehnminütigen Beitrag über Douyin, das chinesische TikTok: “Warum Douyin in China so erfolgreich ist, und wie die kommunistische Partei vorgeht, wenn sich User zum Beispiel kritisch gegenüber der Regierung äußern.”

2. Publizist, Aktivist, Nonkonformist
(deutschlandfunk.de, Stefan Koldehoff, Audio: 54:52 Minuten)
Günter Wallraff gilt vielen als Legende des Investigativjournalismus. Er schlich sich in Industrieunternehmen ein, schlüpfte in verschiedene Rollen und Identitäten und war “der Mann, der bei ‘Bild’ Hans Esser war”. Im Deutschlandfunk spricht Wallraff über seine bekanntesten Recherchen, zum Beispiel in der “Bild”-Redaktion oder bei McDonald’s, und gibt Einblick in sein Inneres: “Ich fühle mich Menschen nahe, die geächtet sind.”
Transparenzhinweis und Werbung in eigener Sache: 44 Jahre nach seinem eigenen Buch über “Bild” hat sich Wallraff für “Ohne Rücksicht auf Verluste”, das Buch meiner BILDblog-Kollegen Mats Schönauer und Moritz Tschermak, ausgesprochen: “Eine überzeugende und erschütternde Beweisführung.”

3. Das neue YouTube für Rechte?
(deutschlandfunkkultur.de, Vera Linß & Tim Wiese, Audio: 7:05 Minuten)
“Lange konnten rechtsextreme Inhalte auf Plattformen wie YouTube und Facebook ungehindert veröffentlicht werden. Gesetzesänderungen erschweren das nun. Menschen aus dem rechten Spektrum suchen nach Alternativen und werden fündig”, schreibt die Redaktion von Deutschlandfunk Kultur zu einem Gespräch mit Paula Matlach, Analystin beim ISD Germany. Matlach untersucht dort die Verbreitung von Desinformation und extremistischen Ideologien in deutsch- und englischsprachigen Ländern. Im Interview spricht Matlach über die von Rechten und Rechtsradikalen immer öfter genutzte Youtube-Alternative Odysee.
Weiterer Hörtipp: Im “Übermedien”-Podcast geht es um den radikalen Frauenfeind Andrew Tate: “Gut vier Millionen Follower hatte er auf Twitter, noch mehr auf Insta, bei Tiktok wurden seine Clips rund zwölf Milliarden Mal aufgerufen, und auf Google wird häufiger nach ihm gesucht als nach Kim Kardashian und Donald Trump zusammen! Wer ist dieser vor Ego platzende Muskelmann namens Andrew Tate? Und was macht ihn so erfolgreich?” Holger Klein spricht darüber mit Samira El Ouassil (uebermedien.de, Audio: 23:03 Minuten).

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4. Rebecca Barth, Journalistin, berichtet u.a. für die ARD aus der Ukraine
(medienmacherin.podigee.io, Freddie Schürheck, Audio: 51:59 Minuten)
Beim “Medienmacherin”-Podcast trifft Freddie Schürheck die Journalistin Rebecca Barth, die unter anderem für die ARD aus der Ukraine berichtet. In dem Gespräch geht um Barths journalistische Arbeit im Kriegsgebiet, ihre Verarbeitungsstrategien und die Frage, was sie immer wieder in die Ukraine zurückzieht.

5. Morde in Mexiko: Frei berichten trotz Lebensgefahr?
(ndr.de, Zapp, Anna Mundt & Lisa Maria Hagen, Video: 26:15 Minuten)
Mexiko gilt für Medienschaffende als eines der gefährlichsten Länder der Welt. “Was passiert da? Und wie kann man in einem solchen Land noch frei berichten?” Für ihren “Zapp”-Beitrag haben Anna Mundt und Lisa Maria Hagenin Mexiko Angehörige von Opfern getroffen, sie thematisieren die kritikwürdige Politik des Präsidenten und zeigen, “wie unzureichend das staatliche Schutzprogramm für Journalist:innen ist.”

6. Klare Vision statt Trends und Hypes – mit Podigee-Gründer Mati Sójka
(omrmedia.podigee.io, Vincent Kittmann, Audio: 30:11 Minuten)
2013 hatten Mati Sójka und Ben Zimmer eine brillante Geschäftsidee: Sie gründeten die Podcast-Hosting-Plattform Podigee. Zunächst beherbergten sie nur einige wenige Hörformate, nun seien es etwa 15.000 aktive Podcasts mit insgesamt rund 150 Millionen Downloads pro Monat. Im aktuellen “OMR”-“Podtalk” unterhält sich Vincent Kittmann mit Podigee-Gründer Sójka über dessen Unternehmen und die Podcast-Welt.
Passender Hörtipp dazu: Im Podcast “turi2 Clubraum” ist Sebastian Esser zu Gast, der mit Steady ein Finanzierungsportal anbietet, das auch für die Vermarktung von Podcasts genutzt werden kann (Aline von Drateln & Markus Trantow, Audio: 44:20 Minuten). Auch hier ein Transparenzhinweis: Wir vom BILDblog nutzen ebenfalls Steady.

Fotoverbot, Revolverblatt, Fußballdoping

1. Wer auf sozialen Netzwerken Bilder von Polizeiaktionen gegen Burkini-Trägerinnen teilt, wird verklagt
(netzpolitik.org, Markus Reuter)
An einigen französischen Badeorten ist das Tragen von körperverhüllender muslimischer Schwimm-Bekleidung verboten. Nun sorgten Bilder für weltweite Empörung und Verwunderung, auf denen man sehen kann, wie eine Frau in Nizza von vier Polizisten am Strand gezwungen wird, Kleidung abzulegen. Zukünftig wollen die französischen Behörden klagen, wenn Bilder derartiger Polizeimaßnahmen in sozialen Medien verbreitet werden. Man begründet dies damit, dass die Aufnahmen der Polizeiaktion zu Beleidigungen und Drohungen gegen die Polizeibeamten geführt hätten.

2. Wieder über 50.000 Euro”
(taz.de, Ilija Matusko)
Die “taz” setzt bei ihren Bezahlmodell “taz.zahl ich” auf Freiwilligkeit und Solidarität. Über 8.000 Menschen würden mit ihren Unterstützungszahlungen dafür sorgen, dass es auf der Webseite keine Tagespässe oder Bezahlschranken gibt. Im Monatsbericht Juli werden die Zahlen genau aufgeschlüsselt.

3. Schritt für Schritt zur Webreportage: Adobe Spark
(get.torial.com, Peter Gardill-Vaassen)
Für Journalisten ist Mobilität immer wichtiger. Von unterwegs eine ansprechende Webreportage produzieren, das soll mit “Adobe Spark Page” gelingen. Peter Gardill-Vaassen hat sich das Tool angeschaut und eine kleine Reportage damit gebastelt. Das Fazit: Die kostenlose Software sei einfach zu bedienen und hinterlasse einen professionellen Eindruck, die fertigen Dateien würden jedoch auf Adobe-Servern liegen und müssten eingebunden werden.

4. Dopingberichterstattung im Fußball: Das Nähe-Distanz-Problem
(fachjournalist.de, Moritz Belmann & Paul Schönwetter)
Über Doping im Fußball wird wenig berichtet, man könne fast denken, dass die Deutschen keine kritische Fußballberichterstattung wollen, so Moritz Belmann und Paul Schönwetter. Für Journalisten sei es schwer, aus dem System von Abhängigkeiten auszubrechen: “Die Journalisten scheinen gefangen in einem System Fußball, dessen Selbstverteidigung immer besser wird. Einige versuchen sich als Dopingjäger und verlassen den objektiven Pfad im Sportjournalismus. Mit der professionellen Ausrichtung der Vereine, gerade im Bereich Öffentlichkeitsarbeit und PR, verstärkt sich die Abhängigkeit der Journalisten, um Informationen zu erhalten. Nur ein Insider, der auspackt und ein eventuelles System offenlegt, oder ein erster großer Dopingfall im Fußball können daran etwas ändern.”

5. Wahlkampf: Die BaZ ballert sich ins Abseits
(tageswoche.ch, Gabriel Brönnimann)
Gabriel Brönnimann kommentiert die Linie der “Basler Zeitung”, die sich derzeit im Wahlkampf-Modus befinde. Weil dem, wie er es bezeichnet, “Revolverblatt” der nötige Pulverdampf fehle, schieße man selber scharf und erkläre Basel mit alarmistischen Artikeln zur Gefahrenzone. Brönnimann hat sich die von der “Basler Zeitung” verbreiteten Zahlen angeschaut und kommt zum Schluss: “Der BaZ-Mix aus statistisch nichtssagenden Tatbeschreibungen und ausgewählten Beschreibungen der Herkunft der mutmasslichen Täter ist ein Gift-Cocktail, nichts weiter.”

6. Von wegen Altpapier!
(rnd-news.de, Ulrike Simon)
Da wo andere digitalisieren, dass der Scanner glüht, verlässt sich “RND”-Kolumnistin Ulrike Simon auf ihr analoges Archiv aus Dutzenden von Aktenordnern: “Mir ist klar, dass mich einige für meine altmodische Art, Unterlagen zu horten, auslachen. „Steht doch alles im Netz“, werden die einen sagen. Ach ja? Auch der vor Jahrzehnten verfasste Gesellschaftervertrag vom Spiegel-Verlag? „Kann man doch alles einscannen und auf Festplatte speichern“, werden die anderen sagen. Könnte man, ja. Aber würde es helfen, den Ellbogen beim Schreiben auf die Festplatte zu legen, um sich an sein Wissen zu erinnern?”

Satzbau-Hooligans, Medienquote, InTouch-TV

1. Gruppe “Hooligans gegen Satzbau” bekommt Facebook-Preis
(morgenpost.de, Lars Wienand)
Facebook hat Initiativen geehrt, die sich in sozialen Medien gegen Hasskommentare einsetzen. Den “Smart Hero Awards”-Publikumspreis hat die Gruppe “Hooligans gegen Satzbau” gewonnen, die ihr Preisgeld an die Initiative “Enough is Enough” abgetreten und die Bühne genutzt hat, um Kritik an Facebook zu üben. “Dass wir von Euch für unsere Arbeit ausgezeichnet werden, ist absurd, belief sich Euer Dank bisher doch auf unsere Sperrungen und Löschungen.”

2. Neuer Vorstand: Löst ProQuote sich auf?
(pro-quote.de)
Man würde es dem Verein “ProQuote Medien e.V.” gönnen, wenn er sich auflösen würde, denn dann wäre das Ziel erreicht: Mindestens 30 Prozent der journalistischen Führungspositionen in den deutschen Medien bis 2017 mit Frauen zu besetzen. Bis dahin will der neue Vorstand von ProQuote unter Beteiligung der mittlerweile fast 5000 Unterstützer und Unterstützerinnen weiterhin mit Druck und Kampagnen dafür sorgen, dass die Forderung nicht in Vergessenheit gerät.

3. “InTouch”-TV: Es gibt nichts zu berichten, kosten wir’s aus
(dwdl.de, Peer Schader)
Peer Schader hat sich für “DWDL” vor den Fernseher gesetzt und auf RTL II das neue “InTouch”-TV eingeschaltet. Seine Diagnose: “RTL II transferiert ein befreundetes Promilaberblättchen vom Kiosk ins Fernsehen und verspricht eine Mischung aus Star-Magazin und Redaktions-Doku. Die Premiere ging ordentlich daneben: Nicht mal Guido Maria Kretschmer hatte Bock auf ein Interview.”

4. Was gibt’s Neues, Resi?
(journalist.de, Matthias Daniel)
“Resi” nennt sich die Nachrichten-App von Martin Hoffmann, der seinen Job als Leiter der Social-Media-Redaktion bei der “Welt” gekündigt hat, um sich ganz auf sein Startup-Unternehmen zu konzentrieren: Einen Chatbot, der mit seinen Nutzern über die aktuellen Nachrichten “redet”. Im Interview spricht Hoffmann über gute und böse Bots, Kriterien bei der Nachrichtenauswahl und was man bei dieser Form des Messenger-Journalismus sonst noch beachten muss.

5. Aus Deutschlandradio Kultur wird Deutschlandfunk Kultur
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Aus “Deutschlandradio Kultur” wird “Deutschlandfunk Kultur”, “D-Radio Wissen” heißt künftig “Deutschlandfunk Nova”, doch “Deutschlandfunk” darf weiter “Deutschlandfunk” heißen.

6. Null Vulven gefunden
(spiegel.de, Margarete Stokowski)
“Spiegel”-Kolumnistin Margarete Stokowski hat das im Hotelzimmer vorgefundene “ZEITmagazin Mann” studiert: “Seit Jahrzehnten müssen sich Frauen an jeder Supermarktkasse von Magazinen beleidigen lassen, die ihnen Problemzonen einreden. Jetzt können endlich auch Männer über sich selbst lesen – und zum Glück nicht nur Unsinn.”

Talkshow-Terror, Höcke-Trick, Widersprüche bei Facebook-Prüfern

1. Talkshow-Terror mit Trump-Effekt
(deutschlandradiokultur.de, Bodo Morshäuser)
Die Themen der Polit-Talkshow im Fernsehen klingen so: “Bürger verunsichert — wie umgehen mit kriminellen Zuwanderern?” oder “Neues Deutschland: Bringt Härte gegen Zuwanderer mehr Sicherheit?” oder “Terror mit Ansage — was tun mit den Gefährdern?”. Bodo Morshäuser kommentiert, dass zu besten Sendezeiten nicht über Politik gesprochen, sondern das Sprechen über Politik simuliert werde. Und, mindestens genauso schlimm: “Unablässig wird von Angst geredet, und sie verbreitet sich desto schneller, je mehr von ihr geredet wird. Ob Maybrit Illner, Anne Will oder Frank Plasberg — alle haben an dieser Eskalation geschraubt.”

2. Herr Höcke und das Holocaust-Mahnmal
(zeit.de, Thomas Fischer)
Bundesrichter Thomas Fischer gewohnt wortreich und meinungsstark, dieses Mal zu “AfD”-Höcke und dessen “Mahnmal”-Rede in Dresden: “Wenn Herr Höcke zum Beispiel schriee: Das deutsche Volk muss aufstehen gegen die Vergiftung durch arabische Kichererbsen, so würde sich das auf keinen Fall gegen Arabien oder gegen die Kichererbse richten, sondern einzig und allein gegen die Lebensmittelvergiftung. Auf diesem intellektuellen Trick-Niveau, liebe Leser, ist die von Höcke angekündigte Weltrevolution leider angesiedelt.”

3. Facebook-“Wahrheitsprüfer” Correctiv verstrickt sich in Widersprüche
(heise.de, Paul Schreyer)
Es hat sich inzwischen rumgesprochen, dass Facebook etwas gegen “Fake News” unternehmen will. Eine Kennzeichnung soll her — in Deutschland soll “Correctiv” dieses Kennzeichnen übernehmen. Paul Schreyer kritisiert, dass sich “Correctiv”-Geschäftsführer David Schraven “schon vor Beginn seiner Arbeit für Facebook in Widersprüche” verstricke und nichts Handfestes liefern könne: “Correctiv hat noch keinerlei konkrete Kriterien für die hochsensible Arbeit entwickelt. Doch ohne diese wird es nicht gehen. Die zuständigen Mitarbeiter brauchen schriftlich fixierte Anleitungen, wie sie beim Kennzeichnen von “Fake News” vorgehen sollen. Entscheidend ist, wie diese Kriterien dann aussehen und — wohl am wichtigsten — ob sie transparent für die Öffentlichkeit sein werden.” (Nachtrag, 12:20 Uhr: Unabhängig von dem hier verlinkten Text kann und muss man Paul Schreyer, dessen Rolle und seine Veröffentlichungen sehr kritisch sehen. Danke für die Hinweise! Nachtrag, 26. Januar: Paul Schreyer hat bei sich auf der Seite über den ersten Nachtrag hier geschrieben. Wir wollten ihn nicht verleumden oder denunzieren und möchten ihn um Entschuldigung bitten, sollte dieser Eindruck entstanden sein.)

4. Geld könnte zum Problem werden
(taz.de)
Vor einigen Tagen startete das türkisch-deutsche Medienprojekt “taz.gazete” (siehe Punkt 4 unserer “6 vor 9” vom Montag), seit Montagabend gibt es nun auch das türkisch-deutsche Medienprojekt “Özgürüz”. Mit dem türkischen Journalisten und früheren “Cumhuriyet”-Chefredakteur Can Dündar hat es einen prominenten Leiter. Dündar sagt, “Özgürüz” solle “‘ein Exilmedium mit Basis in Berlin'” sein.

5. Keine Ermittlungen gegen Elmar Hörig
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Der frühere “SWR”-Radiomoderator Elmar Hörig hatte ekliges Zeug auf seiner öffentlichen Facebook-Seite gepostet, unter anderem eine Anspielung auf einen Ku-Klux-Klan-Mord. Eine Landtagsabgeordnete der rheinland-pfälzischen SPD hatte daraufhin Strafanzeige gestellt. Jetzt hat die zuständige Staatsanwaltschaft mitgeteilt, dass man keinen Anfangsverdacht sehe und es demzufolge keine Ermittlungen geben werde.

6. Beispiel DR: Konstruktiver Ansatz, bessere Quoten
(ndr.de, Carsten Schmiester)
Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten? Nicht überall gilt dieser Grundsatz — immer häufiger arbeiten Medien nach dem Prinzip des “konstruktiven Journalismus”. Dabei geht es unter anderem darum, nicht nur auf Probleme hinzuweisen, sondern Lösungsansätze mitzuliefern. Carsten Schmiester schreibt über Vor- und Nachteile der “constructive news” und über Ulrik Haagerup, Nachrichtenchef des “Dänischen Rundfunk” und Verfechter dieser Idee. Schmiesters Text ist Teil eines “NDR”-Dossiers zum Thema “konstruktiver Journalismus”.

Bild.de hat das Urteil bereits gesprochen

Die Polizei fahndet aktuell bundesweit nach einem Mann, der in der Nähe von Hannover eine Frau umgebracht haben soll. Soll. Es handelt sich erst einmal nur um einen Tatverdächtigen, einen mutmaßlichen Mörder, endgültig bewiesen ist noch nichts. Und so schreiben die meisten Medien auch, dass die Fahndung nach dem “mutmaßlichen Täter” laufe oder dass ein “Verdächtiger noch flüchtig” sei.

Nur für Bild.de stand bereits gestern Abend fest: Der Gesuchte ist kein mutmaßlicher Mörder, er ist ein “Killer”. Die Tatsachenbehauptung prangte dick und fett auf der Startseite:

Polizei fahndet nach diesem Krankenpfleger - Nach der Pilgerfahrt wurde er zum Killer
(Unkenntlichmachung durch uns.)

Da die Fahndung öffentlich ist, und die Polizei selbst ein Foto sowie den kompletten Namen des Mannes herausgegeben hat, ist nichts dagegen einzuwenden, dass auch Bild.de diese Informationen verbreitet. Dass die Redaktion aber jemanden zum “Killer” macht, bevor ein Gericht darüber entschieden hat, ob der Verdächtige schuldig ist, oder dieser ein Geständnis abgelegt hat, missachtet die Unschuldsvermutung. Wenn die Mitarbeiter von Bild.de das Gefühl haben, jemand hat ein Verbrechen begangen, dann sprechen sie ihr Urteil. Dass noch nichts bewiesen ist, scheint bei der Suche nach einer klickversprechenden Überschrift irrelevant zu sein.

Heute morgen veröffentlichte das Portal einen weiteren Artikel zu dem Fall. Inhaltlich ist er sehr ähnlich, es gibt kaum etwas Neues. Dieses Mal muss man allerdings ein “Bild plus”-Abo haben, um den Text lesen zu können.

In der zugehörigen Teasergrafik auf der Startseite ist Bild.de etwas vorsichtiger geworden — nun “soll” der Mann “gemordet” haben, hinter dem “Killer” steht ein Fragezeichen:

Kurz danach soll er gemordet haben - Pilgerten diese Frauen mit einem Killer?
(Unkenntlichmachung des Mannes durch uns, Unkenntlichmachug der Frauen durch Bild.de.)

Sowohl für den Artikel von gestern Abend als auch für den von heute gilt übrigens: Einen Zusammenhang zwischen der Pilgerreise des Gesuchten und dem Mord nahe Hannover scheint es nach aktuellem Kenntnisstand nicht zu geben.

Mit Dank an Tobi für den Hinweis!

Maaslos verkürzt

Bei Bild.de berichten sie heute schon mal vorab von einem Interview mit Außenminister Heiko Maas, das offenbar morgen erscheinen soll:

Maas sagte im Interview mit BILD (Montag): “Es schadet dem Bild Deutschlands, wenn der Eindruck entsteht, dass Rassismus bei uns wieder salonfähig wird. Dass sich Menschen mit Migrationshintergrund bedroht fühlen, dürfen wir nicht zulassen. Wir müssen gemeinsam sehr entschlossen für Vielfalt und Toleranz eintreten.”

Für ihre Startseite bastelt die Redaktion daraus:

Screenshot Bild.de - Maas im Bild-Interview - Özil-Debatte schadet unserem Ansehen

Wohlgemerkt: als Zitat gekennzeichnet!

Am Montag berichtete Bild.de über ein anderes Zitat von Heiko Maas. In dessen Aussage ging es um Fußballspieler Mesut Özil:

“Ich glaube auch nicht, dass der Fall eines in England lebenden und arbeitenden Multimillionärs Auskunft gibt über die Integrationsfähigkeit in Deutschland.”

Auf der Startseite klang das etwas anders:

Screenshot Bild.de - SPD-Minister Maas über Özil - Dieser Multi-Millionär hat nichts mit Integration zu tun

Auch hier wohlgemerkt: als Zitat gekennzeichnet!

Immerhin: In diesem Fall reagierte “Bild”-Chef Julian Reichelt auf Kritik und ließ die Zeile ändern:

Screenshot Bild.de - SPD-Minister Maas über Özil - Der Fall eines in England lebenden und arbeitenden Multimillionärs gibt keine Auskunft über die Integrationsfähigkeit in Deutschland

Mit Dank an @SandraKortig für den Hinweis!

Nachtrag, 30. Juli: Auf unsere Nachfrage, ob er und sein Team nicht auch im aktuellen Fall aktiv werden wollen, reagierte Julian Reichelt nicht. Aber: Seine Bild.de-Redaktion hat die Artikelüberschrift inzwischen geändert. Sie lautet nun:

Screenshot Bild.de - Heiko Maas im Bild-Interview über die Özil-Debatte - Es schadet uns, wenn Rassismus wieder salonfähig wird

Und auch auf der Startseite hat sie die Zeile angepasst.

Das hat er nicht gesagt

In der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” ist heute ein Interview zur Corona-Krise mit Lothar Wieler, dem Präsidenten des Robert-Koch-Instituts (RKI), erschienen. Für die Überschrift hat die Redaktion ein Zitat Wielers gewählt. Und das klingt ziemlich beunruhigend:

Ausriss Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung - Wir müssen mit Zuständen wie in Italien rechnen

Wenn schon der RKI-Chef sowas sagt. Bloß: Wieler hat das nicht gesagt, auch wenn die “Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung” (“FAS”) mit den An- und Abführungszeichen so tut.

Die entsprechende Passage im Interview geht so:

Kann es bei uns zu so schlimmen Zuständen wie in Spanien, Italien oder dem Elsass kommen, wo Ärzte entscheiden müssen, wem sie helfen und wen sie sterben lassen?

Wir können nicht ausschließen, dass wir hierzulande ebenfalls mehr Patienten als Beatmungsplätze haben. Ob es so kommt, ist Spekulation. Wir müssen jedenfalls damit rechnen, dass die Kapazitäten nicht ausreichen, ganz klar.

Lothar Wieler sagt, dass wir damit rechnen müssen, “dass die Kapazitäten nicht ausreichen”. Das ist etwas anderes als die Aussage: “Wir müssen mit Zuständen wie in Italien rechnen”. Das wörtliche Zitat aus der Schlagzeile ist im Interview nie gefallen.

FAZ.net hat die Überschrift inzwischen geändert. Sie lautet nun:

“Wir müssen damit rechnen, dass die Kapazitäten nicht reichen”

Mit Dank an @kungler und @Engel_Re für die Hinweise!

Nachtrag, 17:02 Uhr: Zahlreiche andere Redaktionen haben das Interview der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” mit Lothar Wieler in eigenen Artikeln aufgegriffen. Viele von ihnen, darunter Welt.de, Bild.de, bz-berlin.de, RTL.de und der Deutschlandfunk, haben den Tenor übernommen, dass der RKI-Präsident vor Verhältnissen wie in Italien warne. Die “heute”-Redaktion des ZDF verwendet sogar das erfundene Zitat eins zu eins.

Wortkarger Waffenkäufer, Nachgerufen, Hintergrundgespräche

1. “Auf unsere Nachfrage kam dann irgendwann gar nichts mehr”
(deutschlandfunk.de, Brigitte Baetz, Audio: 6:32 Minuten)
Vor allem der Hartnäckigkeit der “taz” ist es zu verdanken, dass Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier zugeben musste, sich eine Waffe bei mutmaßlichen Rechtsradikalen besorgt zu haben. Der Deutschlandfunk hat sich mit Christina Schmidt aus dem “taz”-Rechercheressort über den bedenklichen Fall unterhalten, den der CDU-Politiker als “Privatsache” verstanden haben will.

2. Einzelfälle
(journalist.de, Sebastian Pertsch & Udo Stiehl)
Wenn Medien und dienstliche Stellen in letzter Zeit von einem “Einzelfall” sprechen, so ist dies beileibe kein Einzelfall: Das Wort sei seit rund 20 Jahren ein Evergreen in den Nachrichtenmedien, schreiben Sebastian Pertsch und Udo Stiehl. In Ihrer Rubrik “Floskel des Monats” erklären die Autoren, was es mit dem Begriff auf sich hat, wann er sich anbietet, und welche Alternativen in Frage kommen.

3. “Informationen in den Vordergrund”
(taz.de, Christian Rath)
Jost Müller-Neuhof, Korrespondent des Berliner “Tagesspiegel”, hat ein Urteil gegen das Kanzleramt erwirkt. Danach haben Journalisten und Journalistinnen das Recht zu erfahren, mit wem sich die Kanzlerin zu sogenannten Hintergrundgesprächen getroffen hat und worum es dabei ging. Müller-Neuhof sei Transparenz wichtig: “Es muss für die Öffentlichkeit erkennbar sein, wenn die Kanzlerin von ihr ausgewählte Medien mit Regierungsinformationen versorgt, die diese dann als eigene Recherche verbreiten, ohne die wahre Quelle zu nennen.”

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4. Staatsnahe Besetzung
(sueddeutsche.de, Benedikt Frank)
Die Landesmedienanstalt Saarland hat im Januar die CDU-Politikerin Ruth Meyer zur neuen Direktorin gewählt. Eine Wahl, die umstritten ist: Ein juristisches Gutachten habe das Wahlprozedere als verfassungswidrig eingestuft. Benedikt Frank erklärt den Vorgang, bei dem es – wie sollte es anders sein – um Politik zu gehen scheint.

5. Die Frage des richtigen Formats
(verdi.de, Günter Herkel)
Auf der Konferenz “Formate des Politischen 2020” ging es auch um die Berichterstattung in der Corona-Pandemie. Neben zahlreichen Medienschaffenden war der Virologe Christian Drosten eingeladen, der von den Schwierigkeiten und Fallstricken der Wissenschaftskommunikation berichtete. Bei einer anderen Gesprächsrunde ging es um Verbesserungspotenziale in der Corona-Berichterstattung.

6. Französischer Radiosender erklärt versehentlich Hunderte Promis für tot
(spiegel.de)
Pelé, Königin Elisabeth II. und Brigitte Bardot – die Internetseite des französischen Radiosenders RFI war plötzlich voll von Texten über angeblich verstorbene Persönlichkeiten der Zeitgeschichte. Aufgrund eines technischen Fehlers seien Hunderte von vorbereiteten Nachrufen online gegangen.

KW 24: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

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1. Cui Bono: WTF happened to Ken Jebsen?
(ardaudiothek.de, Audio)
Wer wenig Zeit hat und nur eine Empfehlung von dieser Liste mitnehmen will: Hier ist sie! Die Produktion über die Verwandlung von Ken Jebsen vom aufstrebenden Radiomoderator zum berühmt-berüchtigten Verschwörungsideologen ist großartig umgesetzt. Die Macherinnen und Macher haben mit vielen Zeitzeugen gesprochen und sind erkennbar bemüht, ein möglichst facettenreiches Bild von der Person Jebsen zu zeichnen (jedenfalls in den ersten zwei bislang abrufbaren Folgen). Absoluter Hörtipp!

2. Verdacht: Kritische Artikel gegen Spenden gelöscht
(youtube.com, Zapp – Das Medienmagazin, Video: 9:20 Minuten)
Arndt Ginzel berichtet für das Medienmagazin “Zapp” über einen äußerst bemerkenswerten Fall: Ein Finanzjournalist soll Leuten, deren Produkte in seinen bewertenden Artikeln schlecht wegkommen, das Löschen der für sie nachteiligen Beiträge anbieten – gegen eine Spende an die Leipziger Tafel. Was sagen die Tafel-Verantwortlichen dazu? Was sagt der Deutsche Journalisten-Verband zu dem Fall? Und was ist strafrechtlich von der Sache zu halten?

3. Kanzlerduell auf YouTube mit REZO?
(youtube.com, Rezo, Video: 14:36 Minuten)
Die Youtuber Rezo und Tilo Jung wollten gemeinsam ein Online-Kanzlerduell organisieren und hatten dafür nach eigenen Aussagen bereits Unterstützungszusagen von Youtube und “Zeit Online” als technische Dienstleister beziehungsweise Ausrichter. Von Annalena Baerbock (Grüne) und Olaf Scholz (SPD) sei ebenfalls grünes Licht für die Veranstaltung gegeben worden, von Armin Laschet (CDU) sei hingegen eine Absage gekommen. Im Video erzählt Rezo den “Verhandlungsverlauf” zwischen den Beteiligten nach.

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4. Buchvorstellung: Influencer – Die Ideologie der Werbekörper
(youtube.com, AStA der Universität Bonn, Video: 1:55:50 Stunden)
Wolfgang M. Schmitt rechnet in seinem Buch “Influencer: Ideologie der Werbekörper” (Co-Autor: Ole Nymoen) mit – der Titel verrät es schon – dem Geschäftsmodell der Influencer ab. Auf Einladung des AStA der Universität Bonn stellt Schmitt sein Buch vor und analysiert die Ökonomie und Ideologie der Influencer.

5. Neue Boulevardmedien und parteiische Medien: Diskussion der Initiative Qualität im Journalismus
(youtube.com, IQ Journalismus, Video: 1:32:49 Stunden)
Die Initiative Qualität im Journalismus hat einen Livetalk über “Neue Boulevardmedien und parteiische Medien” veranstaltet. Es geht dabei um die Fragen: Was bedeutet Aktivismus für den Qualitätsjournalismus? Was bedeuten die Entwicklungen am Medienmarkt für den Qualitätsjournalismus? Und was verändert sich dadurch im Journalismus? Es diskutieren Alexandra Föderl-Schmid (stellvertretende Chefredakteurin der “Süddeutschen Zeitung”), Michael Roither (Professor für Digitale Medien und Kommunikation), Thomas Walach (Chefredakteur “ZackZack”) und Ivo Mijnssen (Korrespondent Zentral- und Osteuropa für die “NZZ”).

6. “Ein Sumpf aus systemischer Korruption”
(falter.at, Video: 41:31 Minuten)
Florian Klenk, Chefredakteur des österreichischen “Falter”, hat sich mit dem ehemaligen “Krone”-Ressortleiter Thomas Krems unterhalten. Wie funktioniert Österreichs auflagenstärkstes Boulevardblatt? Und wie schafft es Bundeskanzler Sebastian Kurz, das Blatt für sich einzuspannen? Krems packt in gnadenloser Offenheit aus und erzählt von seinen ersten Begegnungen mit dem heutigen Bundeskanzler, der Macht der Verlegerfamilie Dichand sowie der “Inseratenkorruption” in Österreich.

KW 30: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. ZAPP Spezial: Strategien im Online-Wahlkampf
(ndr.de, Nils Altland & Johannes Jolmes & Kim Kristin Mauch, Video: 28:43 Minuten)
94 Prozent der deutschsprachigen Bevölkerung sind laut Onlinestudie von ARD und ZDF zumindest gelegentlich online. Da drängt es sich geradezu auf, den Wahlkampf nicht nur offline, sondern auch online zu führen. Vielleicht war der Online-Wahlkampf sogar noch nie so entscheidend wie bei der kommenden Bundestagswahl. Wie gehen die Parteien vor? Welche Strategien verfolgen sie? Das Medienmagazin “Zapp” hat sich auf Social Media umgeschaut und mit verschiedenen Politikerinnen und Politikern gesprochen.

2. Pressefreiheit grenzenlos
(reporter-ohne-grenzen.de)
Im neuen Podcast von Reporter ohne Grenzen geht es um die Leute, für die sich die Organisation tagtäglich einsetzt. Welchen Gefahren sind Medienschaffende durch ihre Arbeit ausgesetzt? Und wie gelingt es, dass sie frei berichten können? Die aktuelle Folge von “Pressefreiheit grenzenlos” führt nach Belarus: Mit der Macht der Bilder gegen die Mächtigen.

3. Sabine Rückert, wie kamen Sie zum Verbrechen?
(zeit.de, Jochen Wegner & Christoph Amend, Audio: 7:31:15 Stunden)
Beim “Zeit”-Podcast “Alles gesagt?” wird so lange geplaudert, bis alle Fragen beantwortet sind und alles gesagt wurde, was zu sagen war. Auch wenn das, wie im vorliegenden Fall, siebeneinhalb Stunden dauert. Deswegen das Geständnis des Kurators: Ich habe diese Folge nicht komplett gehört, empfehle sie trotzdem. Zu Gast ist Sabine Rückert, stellvertretende Chefredakteurin der “Zeit” und erfolgreiche Podcast-Macherin (“Zeit Verbrechen”). Es geht unter anderem um ihren persönlichen Werdegang, auch um ihre Zeit bei “Bild”, ihren Blick auf den heutigen Feminismus sowie ihr Verhältnis zum Journalismus und zum Fall Kachelmann.

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4. Generation Praktikum: Kampf um den Lebenslauf
(druckausgleich.podigee.io, Annkathrin Weis & Luca Schmitt-Walz, Audio: 36:32 Minuten)
“Alle Praktika, die ich gemacht habe, waren eine mega Erfahrung. Aber …”, sagt die Journalistin Luisa Thomé. Um exakt jenes “Aber” geht es in der aktuellen Folge von “Druckausgleich”, dem Podcast über den Berufsstart in der Medienbranche. Der Talk dreht sich um Bezahlung, Einbindung und Wertschätzung für Praktikanten und Praktikantinnen im Medienbusiness.

5. Blick hinter die Fassade politischer Kampfbegriffe
(deutschlandfunkkultur.de, Arno Orzessek, Audio: 6:29 Minuten)
In David Ranans Sammelband “Sprachgewalt” dreht sich alles um missbrauchte Wörter und andere politische Kampfbegriffe. Arno Orzessek hat das Buch gelesen: “‘Sprachgewalt’ verknüpft Begriffsgeschichte mit Realgeschichte, blickt kritisch auf den Medienhype, in dem manche Wörter jeden präzisen Sinn verlieren, entlarvt die sprachpolitischen Strategien von Rechten und Linken, von Konservativen und Revoluzzern, von Israel-Freunden und -Feinden.”

6. Unsere Väter – die größten Showmaster Deutschlands
(ndr.de, Andreas Gerling & Christian Stöffler, Video 2:19:00 Stunden)
Wie haben die Kinder der größten Showmaster der deutschen Fernsehgeschichte ihre Väter erlebt? Wie sehen die Söhne und Töchter jetzt, aus der zeitlichen Distanz, das Werk und Schaffen ihrer Väter? Wie war es früher, das Kind eines berühmten Fernsehstars zu sein? Welche Schattenseiten, welche Brüche gab es im Leben und in der Karriere der Väter? In der mehr als zweistündigen Doku erinnern sich die Töchter und Söhne von Hans Rosenthal, Hans-Joachim Kulenkampff, Peter Frankenfeld, Wim Thoelke, Harald Juhnke, Dieter Thomas Heck, Kurt Felix, Rudi Carrell und Heinz Quermann sowie die Enkelin von Peter Alexander an die Zeiten von damals.

7. Was können wir von der BILD im Wahlkampf erwarten?
(wasmitmedien.de, Audio: 1:32:44 Stunden)
Als zusätzliche Empfehlung, weil in eigener Sache: In der neuen Ausgabe von “Was mit Medien” ist mein BILDblog-Kollege Moritz Tschermak zu Gast und spricht unter anderem über das von ihm und Mats Schönauer verfasste Buch “Ohne Rücksicht auf Verluste – Wie BILD mit Angst und Hass die Gesellschaft spaltet”.

Kennt “Bild” einen Clan-Einbruch, kennt “Bild” alle

Im November 2022 wurden bei einem Einbruch im Kelten-Römer-Museum im bayerischen Manching 483 keltische Goldmünzen und ein goldener Gusskuchen – der Kelten-Goldschatz von Manching – gestohlen. Seit dieser Woche, acht Monate nach dem Einbruch, sitzen vier Tatverdächtige in Untersuchungshaft. Zwei von ihnen wurden bei einer Übergabe von Goldstücken festgenommen, deren Legierung zum Kelten-Goldschatz passen soll. Alle vier Tatverdächtigen sollen bislang zu den Vorwürfen schweigen.

Bereits kurz nach der Tat hatte die “Bild”-Redaktion einen Verdacht, wer hinter dem Einbruch stecken könnte:

Screenshot Bild.de - Goldschatz im Manchinger Museum geklaut - Führt die Spur ins Clan-Milieu?

Auch andere Medien, etwa der “Tagesspiegel” oder die “Berliner Zeitung” (dort führten in der Überschrift die Spuren sogar ohne Fragezeichen “ins Berliner Clan-Milieu”), brachten eine mögliche Clan-Verbindung ins Spiel. Aber keine Redaktion gab sich dabei so viel Mühe wie “Bild”. In dem Artikel vom 23. November hieß es unter anderem:

Der Tatort ist neu, aber die Vorgehensweise der Einbrecher bei dem Raub des Goldschatzes erinnert an jüngste Clan-Coups …

Und:

Nach Angaben der Ermittler könnte die Spur ins Clan-Milieu führen.

Und:

Die Fahnder stehen im engen Kontakt mit Kollegen aus Berlin und Dresden. Sie erhoffen sich Hinweise zum Vorgehen der Täter bei ähnlichen Einbruchsdiebstählen 2017 im Bode-Museum und 2019 im Grünen Gewölbe. Damals wurden in beiden Museen Ausstellungsstücke im Wert von mehr als 100 Millionen Euro geklaut. Die Spuren führten zu Tätern aus dem Clan-Milieu.

Vor allem hat “Bild” einen KriminalKunstexperten aufgetan, der von “Barbaren” spricht und von Goldgeschäften, die sich “in der Hand von arabischen und türkischen Großfamilien” befänden:

“Da werden Erinnerungen an das Grüne Gewölbe wach”, erklärt auch Kunstexperte Robert Weis (54) vom Auktionshaus Hermann Historica BILD. “Auch in Dresden wurde zuerst die Alarmelektrik lahmgelegt. Da sind Leute am Werk, die wissen, was sie tun. Das werden Barbaren sein, die das Gold einschmelzen. Das ist kein Problem. Der Goldankauf ist in der Regel in der Hand von arabischen und türkischen Großfamilien. Die sind bestens vernetzt. In Berlin gab es keine Probleme, die große Münze kleinzumachen und weiterzuverkaufen. Es können auch Nachahmungstäter gewesen sein. Um in Museum einzubrechen, braucht man ein gewisses Maß an organisierter Kriminalität und Fachwissen. Da liegt der Gedanke nah, dass es sich bei den Tätern um Clans handeln könnte.”

Gestern gab es eine Pressekonferenz zur Festnahme der Tatverdächtigen in dem Fall. Die “Süddeutsche Zeitung” schreibt über die Erkenntnisse der Ermittler:

Zumindest die Theorie, wonach der Museumseinbruch im vergangenen November von einem kriminellen Berliner Clan begangen wurde, räumen sie am Donnerstag vom Tisch. Bei den vier festgenommenen Tatverdächtigen handelt es sich demnach um vier Deutsche “ohne Migrationshintergrund” zwischen 42 und 50 Jahren. “Berufseinbrecher”, sagt [Bayerns] Innenminister Herrmann. Drei von ihnen sollen jahrelang als kriminelle Bande umhergezogen sein und in mehreren Bundesländern sowie in Österreich Einbrüche begangen haben. Seit 2014 sollen sie in elf Fällen Casinos, Supermärkte und eine Kfz-Zulassungsstelle geplündert haben, berichtet der Ingolstädter Staatsanwalt Nicolas Kaczynski. Dabei sei ein Beuteschaden von mehr als einer halben Million Euro entstanden. […] Die Vierergruppe besteht aus einem Fernmeldetechniker, einem Buchhalter, einem Filialleiter im Einzelhandel und einem Mitarbeiter einer Abbruchfirma.

Auch Bild.de berichtet über die Festnahmen. In einem Artikel erfährt man, dass die vier Männer, die nun in Untersuchungshaft sitzen, Alexander, Robert, Jörn und Maximilian heißen sollen. Von der eigenen, falschen Clan-Verdächtigung erfährt man in dem Text hingegen nichts.

Mit Dank an @zeitungsboy für den Hinweis.

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Diversität, Popularität, Kriminalität

1. Alle zusammen gegen die Einfalt: Über Teilhabe in den Redaktionen
(vocer.org, Marianna Deinyan & Christian Fahrenbach)
In einem Dossier über die Zukunft der Journalistenausbildung geht es über Teilhabe in Redaktionen. Journalismus habe ein “Diversity-Problem”: zu mittelschicht, zu deutsch, zu blass. Die deutsche Gesellschaft finde kein Abbild mehr in den Redaktionen. Einige Initiativen würden zeigen, wie es ginge. Um weiter das gesamte Publikum zu erreichen, müsse jedoch mehr passieren. Von Quoten halten die Autoren nichts und fordern allgemein: “Geben wir einer anderen Art Nachwuchs eine Chance: Ohne Germanistik-Studium, aus dem Ausland oder aus einer ärmeren Familie. Sicher ist das anfangs aufwendiger in der Betreuung. Dafür gibt es plötzlich neue Themen, einen frischeren Blick und den Draht in bisher kaum in den Redaktionen vertretene Communities.”

2. Sieben Tage und Schluss? Mediatheken aufnehmen und Sendungen speichern
(irights.info)
Das Phänomen ist bekannt. Man will sich eine Sendung eines öffentlich-rechtlichen Senders im Internet anschauen, aber, zu spät, der Beitrag ist bereits gelöscht bzw. “depubliziert”. Die Urheberrechtsplattform “irights.info” stellt einige Angebote und Werkzeuge vor, die dabei helfen, Sendungen auch später sehen zu können.

3. Causa Lovoo: Was bisher geschah – und was den Verantwortlichen droht
(heise.de, Holger Bleich, Ronald Eikenberg)
Gegen die Dating-Plattform “Lovoo” wird ermittelt: Das LKA Sachsen durchsuchte bei einer Razzia insgesamt 16 Objekte, darunter die Lovoo-Geschäftsräume in Dresden, Berlin und Privatwohnungen. Gegen drei Personen hat die Staatsanwaltschaft Haftbefehle erwirkt. Auslöser der Ermittlungen soll ein “c’t”-Artikel aus dem Jahr 2015 gewesen sein. Der Redaktion war ein 50 Gbyte großes Datenpaket mit belastendem Material zugespielt worden. “Heise.de” berichtet vom neuesten Stand der Causa Lovoo.

4. Das Analysesystem von Die Welt deutet die Klicks um
(netzpiloten.de, Shan Wang)
Die “NiemanLab”-Redakteurin Shan Wang schreibt über das interne Bewertungssystem der “Welt”, das jedem veröffentlichten Artikel auf Basis von fünf Komponenten einen Wert zuweist. Bewertungskriterien seien Seitenaufrufe, Verweildauer auf der Seite, Video-Aufrufe, Social-Media-Traffic und Bounce Rate. Neben diesen technischen Aspekten erfährt man aber auch wie die “Welt” vorgeht, um ihre Talkshow-Zusammenfassungen klicktechnisch anzuschieben: Da es rechtliche Einschränkungen den Autoren schwermache, relevante Videos zu verlinken, produziere man kurze Video-Zusammenfassungen der Gäste und der diskutierten Themen. Was in einem Fall zu einem zweiten Platz bei den Artikelaufrufen geführt habe.

5. RBB Abendschau: viel Werbung für Aufstockung – und keine einzige kritische Stimme
(gleditschstrasse.de)
In Berlin Schöneberg wird ein Wohnkomplex modernisiert und Gebäude aufgestockt. Für die dort lebenden Mieter ist das mit viel Lärm, Dreck und Ärger, aber auch mit teureren Mieten verbunden. Nun hat die “RBB Abendschau” in einem Zweiminüter über das Aufstockungsprojekt berichtet. Die Mietergemeinschaft wirft dem Sender vor, ein einseitiges und eher werbendes Filmchen produziert zu haben, in dem ihre Kritik keine Berücksichtigung findet.

6. Online-Assistent Doliio: Zu klug, um wahr zu sein
(spiegel.de, Sebastian Meineck)
In den letzten Wochen machte die App “Doliio” von sich reden, die dank ausgeklügelter KI im Namen des Nutzers Kontakte pflegen, Geburtstagswünsche ausrichten und sogar Dates klarmachen sollte. Sebastian Meineck ist der Sache nachgegangen und hat nur einsilbige Antworten auf seine Nachfragen bekommen. Beim Lesen des Artikels ahnt man warum.

Republik-Analyse, lügende Bilder, Kandidatencheck

1. Brillant orchestriert aus dem Ex-Puff
(medium.com, Peter Hogenkamp)
Peter Hogenkamp hat den Crowdfunding-Erfolg des Schweizer Journalismusprojekts “Republik” analysiert (mehr als 10.000 Unterstützer, mehr als 2,5 Millionen CHF) und dabei viele Aspekte zusammengetragen. Und er hat einen Ratschlag an die Gründer: “Freut Euch ruhig noch paar Tage weiter unbändig, nagelt Euch danach einen Lorbeerkranz an die Wand zu, unter dem steht: «Memento moriendum esse», «Bedenke, dass du sterblich bist», wie es im alten Rom bei Triumphzügen dem siegreichen Feldherrn zugeflüstert wurde, damit dieser die Bodenhaftung nicht verlor — und dann versucht bitte, schnell wieder möglichst unbeschwert an das Zeug heranzugehen.”

2. Diese Bilder lügen schon
(spiegel.de, Martin U. Müller)
Bild.de war bereits vor dem Landgericht Köln unterlegen, nun kam es zur nächsten Niederlage: Das OLG Köln hat ein von Bild.de veröffentlichtes Video verboten, in dem Herbert Grönemeyer mit einem Kameramann und einem Fotografen am Flughafen Köln/Bonn aneinander gerät. Der Grund: Das Video suggeriere durch Weglassen des Vorgeschehens einen anderen Hergang des Vorfalls. Das Videomaterial sei “bewusst manipuliert”.

3. Lieber nicht verscherzen
(taz.de, Peter Weissenburger)
Der Schweizer “Tagesanzeiger” hat offenbar kurz vor Erscheinen ein Porträt über den Chefredakteur der “Neuen Zürcher Zeitung” zurückgezogen. Der Porträtierte hatte den Text vorher zu lesen bekommen und interveniert. Der Vorgang ist heikel, denn es geht nicht zuletzt um journalistische Distanz und die stets prekäre Grenze zur PR, wie Peter Weissenburger in der “taz” anmerkt.

4. Wenig Freude an Design-Ausgabe von «20 Minuten»
(persoenlich.com, Christian Beck)
Die kostenlose Schweizer Pendlerzeitung “20 Minuten” aus dem Hause “Tamedia” hat sich eine Werbeaktion einfallen lassen, die ihr viel Kritik beschert hat. Zum Verkaufsstart eines neuen Smartphones hat man breite Farbschlieren über Text und Bilder gelegt. Viele Leser haben sich über die schlecht lesbare “Designausgabe” geärgert. Die “20 Minuten”-Redaktion gibt sich geläutert und will das “Experiment” nicht wiederholen.

5. Schlank in die Zukunft
(sueddeutsche.de, Claudia Tieschky)
Die ARD hat laut einer Zwischenbilanz noch mehr gespart, als es die “Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten” (KEF) verlangt hat. Claudia Tieschky fragt sich auf süddeutsche.de, wieso das auf einmal geht und wieso die Haushaltsabgabe 2021 voraussichtlich trotzdem deutlich steigen wird.

6. Macht WDR Wahlwerbung für Rechtsextremisten?
(antimedien.de, Hektor Haarkötter)
Macht der WDR tatsächlich Wahlwerbung für Rechtsextremisten? Zumindest stellt er ihnen im Rahmen des “WDR-Kandidatenchecks” eine Plattform zur Verfügung, ihre Inhalte zu verbreiten. Journalismus-Professor Hektor Haarkötter dazu: “Was also den WDR geritten hat, Nazis und Rechtsextremisten eine Plattform zur Verfügung zu stellen, bleibt rätselhaft. Ein Sender treibt mit Entsetzen Scherz. Es ist die Aufgabe von JournalistInnen, Sachverhalte nicht nur wiederzugeben, sondern einzuordnen, kritisch zu hinterfragen und in einen gesellschaftlichen Zusammenhang zu setzen. Nichts von alldem geschieht beim WDR-Kandidatencheck: eine journalistische Minderleistung sondergleichen.”

Auskunftsperre, Zensurheberrecht zu Glyphosat, Vorsicht, Heimat!

1. Leipziger Richter stärken Rechte von Journalisten beim Schutz der privaten Adresse
(investigativ.welt.de, Uwe Müller)
Das Verwaltungsgericht Leipzig hat in einem Beschluss die Rechte von Journalisten gestärkt, die ihre Privatadresse schützen wollen: Die Verwaltungsrichter haben die Stadt Leipzig im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, zu Gunsten eines Investigativreporters der “Welt” für die Dauer von längstens zwei Jahren eine Auskunftssperre im Melderegister einzutragen.

2. Zensurheberrecht: Bundesinstitut gab 80.000 Euro gegen Glyphosat-Berichterstattung aus
(netzpolitik.org, Arne Semsrott)
Ende 2017 verlängerte die EU-Kommission die Zulassung des möglicherweise krebserregenden Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat um weitere fünf Jahre. Der damalige Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) hatte im Alleingang im Namen Deutschlands die Zustimmung erteilt, obwohl laut Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) eine Enthaltung vereinbart war. Der Fernsehsender MDR hatte regelmäßig über Gutachten des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) berichtet, die Kritikern zu industriefreundlich ausfielen. Daraufhin mahnte das BfR den MDR wegen der Veröffentlichung der Dokumente ab und verklagte ihn schließlich: Mit der Veröffentlichung der Gutachten habe der Sender das geistige Eigentum des BfR verletzt. Der MDR musste daraufhin sowohl die Gutachten als auch den Mitschnitt der Sendung löschen. In den kommenden Wochen wird der Europäische Gerichtshof über den Fall entscheiden.

3. Michael Obert: “Ich dachte: Jetzt sterbe ich.”
(daniel-bouhs.de)
Am Rande der Fachtagung “Krieg und Krise, Terror und Trauma — Emotionale Belastungen in der Arbeit von Journalistinnen und Journalisten” ergab sich für Daniel Bouhs die Gelegenheit für ein spannendes Gespräch mit einem freien Auslandsjournalisten: Michael Obert war für das “SZ-Magazin” mit einem Warlord vor der libyschen Küste unterwegs und ist von dort schwer verletzt zurückgekommen. Obert warnt junge Kolleginnen und Kollegen vor riskanten Einzelaktionen: “Ich nehme schon eher wahr, dass gerade jüngere Kolleginnen und Kollegen, weil man ihnen eine Geschichte in einem schwierigen Gebiet nicht zutraut, dann zunehmend auf eigene Kappe hinfahren, das selbst finanzieren und dann so im Backpacker-Style im Prinzip mit 20 Euro Tagesbudget sich da irgendwie durchkämpfen …”

4. Ennio Morricone will den deutschen “Playboy” wegen angeblichem Fake-Interview verklagen
(musikexpress.de)
Im deutschen “Playboy” erschien ein Interview mit der Filmmusik-Legende Ennio Morricone, in dem der 90-Jährige angeblich den Regisseur Quentin Tarantino heftig beschimpfte und über die alljährliche Oscar-Verleihung lästerte. In einer ersten Reaktion stritt Morricone zunächst ab, dem “Playboy” ein Interview gegeben zu haben. Dies hat sich inzwischen geändert: Nun will Morricone nur die umstrittenen Aussagen nicht getätigt haben. Die deutsche “Playboy”-Redaktion wehrt sich gegen Morricones Vorwürfe: Das Interview habe stattgefunden, und man sei irritiert darüber, “dass Teile der veröffentlichten Aussagen so nicht getroffen worden sein sollen.” Update: Inzwischen räumt “Playboy”-Chefredakteur Florian Boitin ein, dass Morricones Aussagen in dem gedruckten Interview wohl “in Teilen nicht korrekt wiedergegeben” worden seien.

5. Serien suchten mit Martin Schulz und was Alexa mit einer Kaffeemaschine zu tun hat – 6 Erkenntnisse vom Vocer Innovation Day 2018
(zeitgeist.rp-online.de, Henning Bulka)
Das unabhängige Debattenforum “Vocer” hat nunmehr bereits zum fünften Mal deutsche und internationale Medienmacher zum “Vocer Innovation Day” nach Hamburg eingeladen. Henning Bulka war dabei und hat aufgeschrieben, welche Dinge ihm besonders in Erinnerung geblieben sind: Es geht unter anderem um Relevanz statt Lautstärke, die Macht von Sprache und den Umgang mit Populismus, Amazons Sprachassistentin Alexa und das Bingewatch-Verhalten des ehemaligen Kanzlerkandidaten Martin Schulz.

6. “Vorsicht, Heimat!”
(deutschlandfunk.de)
Die Sieger des 19. Deutschen Karikaturenpreises stehen fest: Greser & Lenz, Til Mette und Hauck & Bauer. Beste Newcomerin ist Sabine Winterwerber. Der “Deutschlandfunk” präsentiert die Karikaturen der Ausgezeichneten.

Mit Spatzen auf Polizisten schießen

Es könnte sein, dass bald fallschirmspringende Hasen, Schildkröten mit Gewehren und Hunde mit Kanonen die Polizei am oder im Hambacher Forst angreifen. Möglich, dass dann auch die Ameisen mit ihren Grubenhelmen dabei sind und für Bürgerrechte demonstrieren, und die Fledermäuse auf ihren Schildern einmal mehr klarmachen, dass nichts zu verkaufen ist. “Bild” und “Bild”-Redakteur Peter Poensgen sind jedenfalls einer ganz heißen Sache auf der Spur:

Ausriss Bild-Zeitung - Bildunterschrift - Eine Gruppe aus der Waldbesetzer-Szene studiert eine Art Schlachtplan gegen die Polizei

Das Foto und die Bildunterschrift stammen aus einem Beitrag, der am vergangenen Freitag in der Düsseldorf-Ausgabe der “Bild”-Zeitung erschienen ist. Und auch Bild.de zeigt die Aufnahme, mit einer leicht anderen Zeile darunter:

Screenshot Bild.de - Bildunterschrift - Gewaltschauplatz Hambacher Forst: Anhand einer riesigen Karte werden Strategien gegen die Polizei geplant

Überschrift in der Onlineversion: “Die ‘Gewalt-Uni’ der Hambach-Aktivisten” (die bereits im ersten Satz des Artikels nur noch “fast wie eine Uni für Gewalt und Krawall” sei). Gemeint sind die Skill-Sharing-Camps, in denen Aktivisten anderen Aktivisten auch Fähigkeiten vermitteln, die für zivilen Ungehorsam nützlich sein können.

In einem dieser Camps steht also ein Mann an einem großen Plakat und soll mit seinen Zuhörerinnen und Zuhörern “Strategien gegen die Polizei” planen. Doch dazu taugt die “riesige Karte” überhaupt nicht. Es handelt sich dabei nämlich um einen Druck des Wimmelbilds “The True Cost of Coal”, gezeichnet vom Beehive Design Collective. Dieses Netzwerk aus Künstlerinnen und Künstlern stellt Aktivisten große Illustrationen für deren Arbeit etwa in Skill-Sharing-Camps zur Verfügung. Auf dem Exemplar, das “Bild” und Bild.de zeigen, sind der fallschirmspringende Hase, die Schildkröte mit dem Gewehr, der Hund mit der Kanone, die Ameise mit dem Grubenhelm, die Fledermaus mit dem Protestschild und viele weitere Tiere zu sehen, deren Lebensraum vom Kohlebergbau, von Baggern und Planierraupen zerstört wird.

Das ist der “Gewaltschauplatz Hambacher Forst”, den “Bild” ausruft.

Mit Dank an @SoliFur für den Hinweis!

Wirres Manifest, Handke-Gedanken, Millionenschwere Abzock-App

1. Ein wirres Manifest
(neues-deutschland.de, Leo Fischer)
Leo Fischer kommentiert den “Welt”-Leitartikel (mittlerweile hinter der Paywall) von Springer- und Verlegerchef Mathias Döpfner zum Terror-Anschlag in Halle: “Jahrelang hat Springer gezündelt und im rechten Milieu gefischt. Nun soll ausgerechnet ein rechtsradikales Attentat dafür sorgen, dass hier die letzten eventuell noch vorhandenen Schranken fallen — mit Thesen zur Migration, die der Attentäter von Halle wahrscheinlich vollinhaltlich unterschreiben könnte. Springer braucht die Rechte — die Rechte aber braucht Springer nicht. Dort spürt man, dass da einer verzweifelt ist, und bastelt lieber weiter am eigenen Medienimperium.”
Auch im eigenen Haus bekommt Döpfner (leichten) Gegenwind. Deniz Yücel schreibt: “Die jeweiligen Probleme muss man präzise benennen, weil es ohne den richtigen Befund keine Lösungen geben kann. Aber nichts davon sollte man gegeneinander aufrechnen. Nicht, weil man es nicht darf. Sondern weil es der Sache nicht gerecht wird. Und nicht hilft.”
Weiterer Lesehinweis: Der Kinderarzt und Autor (“Erziehung prägt Gesinnung”) Herbert Renz-Polster schreibt über das, Was wir von einem “Loser” lernen können: “Schutz vor Hass bildet sich dort, wo Kinder lernen, anderen Menschen angstfrei, empathisch und zugewandt zu begegnen. Schutz vor Hörigkeit bildet sich dort, wo Kinder mündig und selbstbewusst werden können. Schutz gegen Vorurteile und Ausgrenzung bietet nur die gelungene menschliche Entwicklung.”

2. Bischof verschwieg rechtsextreme Texte
(tagesschau.de, Arnd Henze)
Fassungslos fragt man sich beim Lesen dieses Textes, wie es dazu kommen konnte, dass ein Mann wie Carsten Rentzing überhaupt sächsischer Landesbischof werden konnte. Nach Informationen des WDR habe Rentzing schon während seines Studiums als Redakteur einer extrem rechten Zeitschrift gearbeitet und dort antidemokratische Beiträge verfasst. Immer wieder fänden sich rassistische und völkische Gedanken in den Aufsätzen. Nachdem Rentzing zunächst eine förmliche Distanzierung abgelehnt hatte, ist er nun zurückgetreten — um “Schaden von meiner Kirche abzuwenden”.

3. Worum es bei Handke alles nicht geht
(medium.com, leonceundlena)
BloggerIn Leonceundlena sortiert, worum es bei der Nobelpreisverleihung an Peter Handke alles nicht und worum es tatsächlich gehe: “Soll einer Person, die Genozid und Kriegsverbrechen leugnet, die höchste Auszeichnung der Literaturwelt zugesprochen werden? Die Person ist hier wichtig, denn der Preis wird ausschließlich einem Menschen zugesprochen, der noch lebt. Wenn einem/r Genozide egal sind, sondern die Innerlichkeit und der Rückzug ins Private als Maßstab ausreicht: Wie kann es sein, dass die Akademie, deren Komitee aufgrund von Skandalen unter anderem um sexuellen Missbrauch sich neu zusammensetzen musste, einem Mann den Preis zuspricht, der frei zugibt, seine Partnerin geschlagen und getreten zu haben, um dann nachzulegen, dass er sich damit auch nicht so gut gefühlt hätte?”
Weiterer Lesehinweis: Michael Martens Essay in der “FAZ” endet mit den bitteren Worten: “Angesichts der jüngsten Stockholmer Entscheidung kann man jungen Dichtern, die Wert auf äußerlichen Erfolg legen, eigentlich nur raten: Fangt am besten gleich morgen an, öffentlichkeitswirksam Kriegsverbrechen in Syrien zu leugnen oder zu verharmlosen, besucht Assad und porträtiert ihn als großen Unverstandenen, der von einer unverständig-bösen Journalistenmeute gehetzt wird, kontrastiert solche Beobachtungen mit einer lyrischen Beschreibung der Farbe syrischer Äpfel, dem anderssüßen Geschmack syrischer Trauben auf dem Markt von Damaskus oder den sich in einer Benzinlache spiegelnden Wolken über Homs. Ein Vierteljahrhundert später winkt dann vielleicht der Nobelpreis.”

4. Pornhub und xHamster: Sexualisierte Gewalt bleibt erstmal online
(vice.com, Sebastian Meineck & Yannah Alfering)
Pornoseiten freuen sich, wenn Nutzer ihnen ihre Privatvideos zuschicken. Schließlich lässt sich aus dem Content bequem Profit schlagen. Ob es sich dabei um einvernehmliche Aufnahmen handelt, scheint erstmal sekundär zu sein. Und deswegen erscheinen auf den Plattformen voyeuristische Aufnahmen, geheime Sex-Videos oder gar Videos von Vergewaltigungen. Obwohl sich die Plattformen nach außen hin als moralisch und ethisch anständig geben. Die “Vice”-Reporter Sebastian Meineck und Yannah Alfering erzählen, was passierte, nachdem sie derartiges Material bei den Plattformen gemeldet hatten.
Weiterer Lesehinweis: Auf Facebook kritisiert Huschke Mau die mediale Verharmlosung oder gar Verklärung von Luxusprostitution und Escortwesen (dieser rbb-Beitrag dient ihr als Beispiel): “Wenn ihr demnächst wieder im Restaurant sitzt, schaut doch mal nach links oder rechts: ja, genau, der Typ da. Könnt ihr euch vorstellen, mit dem jetzt 3 Stunden essen und ins Theater zu gehen, ohne ihn merken zu lassen, dass er euch anekelt, langweilt, zuwider ist oder dass seine Meinung zu verschiedenen Dingen der euren diametral entgegensteht? Könnt ihr euch vorstellen, danach mit ihm ins Bett zu gehen, ohne ihn spüren zu lassen, dass euch das nicht gefällt? Nein? Tja. Dann ist Escort wohl doch nichts anderes als der übliche sexuelle Missbrauch, der in der Prostitution stattfindet.”

5. Warum darf der NDR zur besten Sendezeit beitragsfinanzierte Arbeitgeberpropaganda senden?
(norberthaering.de)
Der Wirtschaftsjournalist Norbert Häring bezeichnet einen “Panorama”-Beitrag (NDR) zur Rententhematik als “Schande für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk”: “Erzählt wird durchgängig eine Geschichte nach dem Geschmack und mit den Argumenten der Arbeitgeber mit einem Arbeitgeberökonomen als einzigem Experten, der aber nicht als solcher erkennbar gemacht wird. Der Beitrag lässt Wichtiges weg, verzerrt die Fakten und stellt sie in falsche Zusammenhänge. Viel schlimmer geht es eigentlich nicht.”

6. Coin Master – Abzocke mit Fun
(youtube.com, Neo Magazin Royale, Video: 19:59 Minuten)
Zahlreiche Promis und Influencer (unter anderem Dieter Bohlen und Youtube-Star Bibi) bewerben eine harmlos erscheinende Kinder-App, die sich bei näherem Hinsehen als riesige Abzocke herausstellt. Die “simulierte Glücksspiel-App” generiert hunderte Millionen von Umsatz. Geld, das oftmals aus den Sparschweinen Minderjähriger stammt. Die Böhmermann-Redaktion hat das ernste Thema in einem höchst unterhaltsamen Beitrag aufgearbeitet und fordert die Indizierung derartiger Apps bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien.

Bild.de-Panikorchester lässt Lira wegen Rede kollabieren

Gestern präsentierte der türkische Finanzminister Berat Albayrak, der auch der Schwiegersohn des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan ist, seinen Drei-Jahres-Plan für die Wirtschaft des Landes. Auf der Bild.de-Startseite werden die Folgen dieses Auftritts so zusammengefasst:

Screenshot Bild.de - Neuer Wirtschaftsplan für die Türkei - Lira kollabiert bei Rede von Erdogan-Schwiegersohn!

Wie liebevoll die “Bild”-Redaktion beim Schreiben und Redigieren ihrer Texte vorgeht, sieht man bereits im ersten Absatz des Artikels. Dort steht dieser Satz, den man durch eigenständiges Einfügen von “auf”, “dem” und “sowie dem” vermutlich sogar verstehen kann:

Die türkische Lira fiel ein neues Rekordtief gegenüber US-Dollar Euro.

Auch bei der Recherche grundlegender Mechanismen in der Wirtschaft klappte es nicht so ganz. Bild.de schrieb:

Dann wurde der Finanzminister gefragt, was er zur Kursentwicklung der türkischen Lira sage. Die ist mehr als besorgniserregend: Mitte März kostete ein Euro etwa 7 türkische Lira, am Montag stieg der Kurs auf über 9 Lira je Euro.

Die Folge: Verteuerte Exporte, was die Wettbewerbsfähigkeit vieler türkischer Kernbranchen hart trifft.

Das ist schlicht falsch. Es ist genau andersrum: Verliert eine Währung im Vergleich zu einer anderen an Wert, kann das der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft helfen (solange die Währung nicht völlig abrutscht, und die Wirtschaft zusammenbricht). Fällt der Lira-Kurs, können türkische Unternehmen ihre Produkte günstiger im Ausland anbieten. Allerdings werden Importe, etwa von Rohstoffen, für sie gleichzeitig teurer.

Den Absatz mit der falschen “Folge” hat die “Bild”-Redaktion inzwischen heimlich aus ihrem Artikel gelöscht.

Aber nun zum Großen und Ganzen: Bild.de behauptet, die Rede Albayraks habe die türkische Lira “kollabieren” lassen. Während der Finanzminister redete, “reagierten die Märkte – und zwar panisch”, steht im Artikel. Das ist stark übertrieben.

Dem Finanzportal “Onvista” zufolge war 1 Euro am Dienstag, dem Tag der Rede, um 0 Uhr 9,035 türkische Lira wert – der niedrigste Wert des Tages. Um 17 Uhr entsprach 1 Euro 9,208 Lira – der höchste Wert des Tages. Den Rest des Tages bewegte sich der Markt zwischen diesen Werten. Maximal 1,9 Prozent verlor die Lira im Vergleich zum Euro demzufolge am Dienstag. So sieht es also aus, wenn laut Bild.de Märkte “panisch” reagieren und eine Währung “kollabiert”.

Die türkische Lira verliert tatsächlich heftig an Wert – allerdings schon seit Monaten und nicht erst seit dem Auftritt Albayraks. Für den Wertverlust der vergangenen Tage sehen Analysten andere Gründe.

Mit Dank an Ahmet für den Hinweis!

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Ist das “nd” nah?, Gewinnspiel verliert, Mausgezeichnet

1. Ist das ND nah?
(taz.de, Anne Fromm)
Bei der schwer angeschlagenen linken Tageszeitung “Neues Deutschland” (“nd”) wird derzeit die Umwandlung in eine Genossenschaft diskutiert. Derartige Modelle haben bei “taz”, “Junge Welt” und “Krautreportern” einigermaßen gut geklappt, doch für die “nd” könnte die Situation schwerer sein, findet Anne Fromm: “Ihre LeserInnenschaft ist alt, älter vermutlich als die anderer Zeitungen. Den Großteil ihrer LeserInnen hat das Blatt in Ostdeutschland, viele von ihnen sind treu geblieben aus alter DDR-Verbundenheit, als die Zeitung noch Zentralorgan der SED war. Treten die noch in eine neue Genossenschaft ein?”

2. Gewinnspielportal der Funke Mediengruppe entblößt über 85.000 Datensätze
(heise.de, Jan Mahn)
Das Gewinnspielportal “funke.fun” der Funke Mediengruppe habe nach Informationen von “Heise” versehentlich die Einsicht in Daten von rund 85.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern ermöglicht. Ursache sei eine “schlampig umgesetzte” Prämienaktion. Funke habe den Fall als meldepflichtigen Datenschutzverstoß im Sinne der DSGVO eingestuft und erklärt, die zuständige Berliner Landesdatenschutzbeauftragte informiert zu haben. Außerdem wolle man die 85.664 Betroffenen über den Fall unterrichten.

3. Spiegel’s Digest
(sueddeutsche.de, Cornelius Pollmer)
In der aktuellen “SZ”-Medienkolumne “Abspann” schreibt Cornelius Pollmer über eine besondere Gunst, die gelegentlich “Spiegel”-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern zuteil wird: den werbeträchtigen Vorabdruck ihrer Bücher.

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4. Was es für den deutschen Streaming- und Fernsehmarkt bedeutet, wenn Hollywood-Studios zu Konkurrenten werden
(medienpolitik.net, Thorsten Hennig-Thurau, Ricarda Schauerte, Niko Herborg, Veronika Schneid, Nico Wiegand)
Die von WissenschaftlerInnen und einer Unternehmensberatung durchgeführte Studie “Angriff aus Hollywood” (PDF) beschäftigt sich mit dem Markteintritt der großen Hollywood-Studios ins Streaming-Geschäft und den daraus folgenden Auswirkungen auf den deutschen Streaming- und Fernsehmarkt. Interessant sind auch die Erkenntnisse zur derzeitigen Mediennutzung. So habe das Pay-TV trotz Wiederanpfiff der Bundesliga verloren, während Youtube Zuwächse verzeichnen könne.

5. Inflation berechnen? Lass uns mal Twitter fragen
(zeit.de, Henrik Oerding)
Für viele ist der Kurznachrichtendienst Twitter ein praktisches Instrument, um sich in kurzen Botschaften mit anderen auszutauschen oder den eigenen Standpunkt klarzumachen. Für die Wissenschaft ist Twitter darüber hinaus eine gigantische Datenquelle, die vielfältige, teilweise überraschende Erkenntnisse liefert. Henrik Oerding stellt einige der auf Twitter-Daten basierenden Studien vor. Dabei geht es unter anderem um Inflationserwartungen, die Messung von Erdbeben und eine “Zufriedenheitsforschung”.

6. Klingt komisch, ist aber so
(philomag.de, Matthias Warkus)
Am Sonntag wird “Die Sendung mit der Maus” (WDR) 50 Jahre alt. Im “Philosophie Magazin” huldigt Matthias Warkus dem kleinen TV-Nager und seinen Sachgeschichten: “Alles ist interessant, alles ist zugleich selbstverständlich und wundervoll, aber das heißt nicht, dass deswegen auch gleich alles gut wäre. Das ist nicht die schlechteste Sicht auf die Dinge, und ein hervorragender Ausgangspunkt für die Philosophie.”

Eigentum verharmlost

“Das Grundeigentum” ist laut Eigenbeschreibung eine “Zeitschrift für die gesamte Grundstücks-, Haus- und Wohnungswirtschaft”, also etwas vereinfacht ausgedrückt: eine Publikation für Vermieterinnen und Vermieter, vor allem für jene aus Berlin. Damit gehört sie inhaltlich nicht unbedingt zu den Medien, über die wir hier im BILDblog schreiben. Mit etwas mehr als 6.000 gedruckten Exemplaren pro Ausgabe (PDF) ist “Das Grundeigentum” auch nicht gerade das reichweitenstärkste Blatt Deutschlands. Doch wenn in der aktuellen Ausgabe ein Text veröffentlicht wird, der einen nur fassungslos zurücklassen kann, ist das auch ein Thema für uns.

Herausgeber Dieter Blümmel schreibt in seinem Kommentar “Vom Rechtsstaat zum Maßnahmenstaat” gleich über mehrere Themen: Er kritisiert die Entscheidung der Bundesregierung, die Vermieter zur Hälfte an den entstehenden CO2-Kosten zu beteiligen, den Beschluss des Bundestages, dass Vermieter künftig die TV-Kabelkosten nicht mehr einfach so auf die Mieter umlegen dürfen, das Baulandmobilisierungsgesetz, das es erschwert, Miet- in Eigentumswohnungen umzuwandeln, den inzwischen gekippten Berliner Mietendeckel, der den Vermietern Höchstgrenzen bei der Miete vorgab, sowie allgemein die Corona-Maßnehmen von Bund und Ländern. So weit, so vorhersehbar.

Aus seinen Beobachtungen folgert Blümmel:

Wir schlittern in ein politisches System hinein, das erschreckende Ähnlichkeiten mit dem von Ernst Fraenkel beschriebenen “Doppelstaat” aufweist. Fraenkel unterscheidet in seiner 1940/41 erschienenen Arbeit den an Normen gebunden Rechtsstaat, dessen Handeln sich an Gesetzen orientiert, vom Maßnahmenstaat, der sich an politischen Zweckmäßigkeitsüberlegungen ausrichtet.

Ernst Fraenkel schrieb in “Der Doppelstaat” über den NS-Staat. In seiner Studie geht es vor allem auch um die (fehlenden) Rechte von Juden und deren Verfolgung durch die Nationalsozialisten. Dieter Blümmel überträgt Fraenkels Analyse auf die heutige Lage der Vermieterinnen und Vermieter in Deutschland. Er sieht sie in einer ganz ähnlichen Situation wie Juden während des Nationalsozialismus:

Das Privateigentum [im NS-Staat] war geschützt – aber nicht das der Juden. Auch in der Bundesrepublik scheint das Privateigentum geschützt – aber nicht jedermanns.

Es ist eine beschämende Relativierung.

Gesehen bei @RonenSteinke.

Rechte Hetze beim Kirchenschloss, Balders Abschied, Erzwingungshaft

1. Duldet das Bistum Augsburg völkisches Denken?
(br.de, Johannes Reichart)
BR-Reporter Johannes Reichart ist einem äußerst verstörenden Fall nachgegangen: Ein im Besitz der katholischen Kirche befindliches Schloss werde zur Verbreitung von rechter Hetze und völkischem Denken genutzt. Unter anderem werde dort das sogenannte “Schloss-Kultur-Magazin” publiziert. Darin mische sich unter allerlei Artikel über Gartenarbeit und Strickkleidung auch abstruses Gedankengut und Esoterik, das Magazin verbreite Weltverschwörungserzählungen und traditionalistisch-religiöse Extrempositionen: Ein Erzbischof warnt vor dem “Great Reset”, der von den “Dienern Satans” betrieben werde, Priester der erzkonservativen Piusbruderschaft hetzen gegen Abtreibung, Homosexualität und Klimaschutz. Das Bistum bemühe sich als Vermieterin der Immobilie seit Längerem “um Klärung”.

2. “Viel konsequenter digital ausrichten”
(journalist.de, Anna Paarmann)
Anna Paarmann ist Online-Chefin bei der “Landeszeitung” für die Lüneburger Heide und dort für Redaktionsprojekte zuständig. In einem Gastbeitrag für den “journalist” macht sie sich Gedanken darüber, wie der Journalismus widerstandsfähiger gemacht werden kann. Wer noch nicht auf “Digital First” setze, möge dies schleunigst tun: “Es gilt, historisch gewachsene Strukturen und Denkweisen ad acta zu legen: feste Ressortgrenzen, Einzelbüros, die Skepsis gegenüber Online, autonome Themenplanung, den Anspruch, dass ein guter Redakteur von 10 bis 19 Uhr ‘den Laden hüten muss’.”

3. Neues aus der Anstalt
(taz.de, Steffen Grimberg)
Bei den Gegnern des Rundfunkbeitrags wird derzeit ein Mann gefeiert, der seit drei Monaten in Erzwingungshaft sitzt. Dort befinde er sich jedoch nicht wegen ausstehender Gebühren, sondern wegen einer verweigerten Vermögensauskunft, erklärt Steffen Grimberg. Derlei Details scheinen den Leuten, die immer noch auf die (längst abgeschaffte) GEZ schimpfen oder die sich, wie die AfD, mit der Forderung “ARD abschaffen” an den Fall hängen, jedoch egal zu sein. Grimberg rät: “Damit endlich Ruhe im Erzwingerclub einkehrt, müssen alle Anstalten und die Vollstreckungsbehörden zu besseren Lösungen kommen. Denn pro 100 Euro, die ARD, ZDF und Deutschlandradio geschuldet werden, entsteht ein Imageschaden von locker 100.000 Euro.”

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4. Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 198 vom 24.6.2021
(netzwerkrecherche.org, Daniel Drepper & Albrecht Ude)
Pflichtlektüre, nicht nur für Journalistinnen und Journalisten aus dem Investigativbereich: der Newsletter des “Netzwerk Recherche”. Die neueste Ausgabe liefert wie immer einen guten Überblick über aktuelle Nachrichten, Veranstaltungen Seminare, Stipendien und Preise. Im Pressespiegel gibt es zudem wertvolle Lesetipps zu ausgesuchten Themen.

5. Gute Medienpraxis für städtische Quartiere der Vielfalt
(netzwerk-medienethik.de, Jessica Heesen)
Das “Netzwerk Medienethik” weist auf einen interessanten Forschungsbericht der Initiative “Migration und Sicherheit in der Stadt” hin. In dem Papier geht es um “Aspekte einer guten Medienpraxis für städtische Quartiere der Vielfalt” (PDF). Der Forschungsbericht gebe einen Überblick “über die rechtlichen und normativen Anforderungen an den Journalismus, die mit dem öffentlichen Integrationsauftrag der Medien verbunden sind.”

6. “Sender in die Grütze gefahren”: Hugo Egon Balder nimmt Abschied von Sat.1
(rnd.de, Matthias Schwarzer)
Hugo Egon Balder kann auf eine lange Zusammenarbeit mit dem TV-Sender Sat.1 zurückblicken. Anfang der 2000er-Jahre fing es für Balder dort mit “Genial daneben” an, einer Sendung, die sich erstaunlich lange hielt und nach einer Sendepause 2017 neu aufgelegt wurde. Doch nun steigt der mittlerweile 71-jährige Balder aus. Im Interview spricht er offen über seine Gründe und erzählt, welche Versäumnisse er beim Sender sieht. Außerdem kommentiert er den angestrebten Imagewandel des Sat.1-Konkurrenten RTL: “Es scheint mir so, als wollte man hier eher den Öffentlich-Rechtlichen Konkurrenz machen. Vermutlich kein ganz falscher Schritt: Zuletzt war die Devise bei den Sendern immer ‘Wir müssen verjüngen’. Das ist aus meiner Sicht aber ein Trugschluss. Von den Jungen kommt keiner mehr zurück. Wer seinen Sender verjüngt, hat irgendwann gar keine Zuschauerinnen und Zuschauer mehr.”

WDR-Versäumnisse, Peng!-Razzia, Propagandaspiele in Tokio

1. WDR räumt Versäumnisse ein
(deutschlandfunk.de, Isabelle Klein, Audio: 6:44 Minuten)
In Zusammenhang mit der Unwetter-Berichterstattung gab es teilweise heftige Kritik am WDR. So warf “DWDL”-Chefredakteur Thomas Lückerath dem Sender “unterlassene Hilfeleistung” vor und sprach von einem “Totalausfall”. Im Deutschlandfunk konfrontiert Isabelle Klein den WDR-Verantwortlichen Stefan Brandenburg mit den Vorwürfen. Der verteidigt das Vorgehen, räumt aber auch Versäumnisse ein.
Weiterer Lesehinweis: Hochwasser flutet Wuppertaler Radiosender, Journalisten berichten trotzdem die ganze Nacht durch – anders als der WDR (rnd.de, Matthias Schwarzer).

2. Peter R. de Vries gestorben
(djv.de, Hendrik Zörner)
Der Deutsche Journalisten-Verband trauert um den niederländischen Journalisten Peter R. de Vries, der am gestrigen Donnerstag seinen schweren Verletzungen erlegen ist: “Mit Peter R. de Vries verliert der Journalismus einen engagierten, mutigen Kollegen, der Licht ins Dunkel krimineller Machenschaften gebracht hat und dafür mit dem Leben bezahlen musste.” Der Kriminalreporter war vergangene Woche Opfer eines Anschlags geworden, hinter dem die Drogenmafia stecken soll.

3. Razzia gegen Aktionskünstler wegen Online-Karte
(netzpolitik.org, Markus Reuter)
Die Polizei hat Büroräume des Peng!-Kollektivs und die Wohnungen von zwei Peng!-Mitgliedern durchsucht und dabei Computer, Festplatten und Aktenordner beschlagnahmt. Die Maßnahme habe im Zusammenhang mit der kolonialismuskritischen Website “Tear Down This Shit” gestanden, die Peng! gemeinsam mit der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland veröffentlicht hat.

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4. Vom Wert des Journalismus bei den Propagandaspielen in Tokio
(jensweinreich.de)
Jens Weinreich ist zu den Olympischen Spielen nach Tokio aufgebrochen, es sind seine mittlerweile achten Sommerspiele. In seinem Beitrag schreibt er über die Umstände einer Reise, bei der es, wie immer, auch um die Aufdeckung der Versäumnisse, Schwachstellen und Inszenierungsversuche des Veranstalters gehen wird. Man glaubt gerade Weinreich sofort, wenn er schreibt: “Olympia ist kein Tourismus, sondern ein Knochenjob, ziemlich brutal, wenn man es richtig macht.”

5. Fragwürdiger Verband im Rundfunkrat
(taz.de, Steffen Grimberg)
Im WDR-Rundfunkrat sitzt für die nächsten fünf Jahre der Verband kinderreicher Familien Deutschland, in dessen Umfeld sich auch einschlägig konservativ-rechtskatholisches Gedankengut tummele. Steffen Grimberg fragt: “Dass in den Rundfunkrat eine Organisation einzieht, die sich um die Belange von Kindern kümmert, ist ja eigentlich total positiv. Aber wieso erst ab drei an der Zahl? Warum wurde nicht der Kinderschutzbund ausgewählt, der auch auf der Vorschlagsliste stand?”

6. Dubai-Influencer: Wenn das Regime doch nicht so geil ist
(meedia.de, Luca Schallenberger)
In Jüngster Zeit gab es eine auffällige Abwanderung von deutschen Influencern und Influencerinnen nach Dubai. Jetzt kehren zwei der Youtube-Promis dem Emirat den Rücken zu. Luca Schallenberger spekuliert über die Gründe: “Ob die Dubai-Flucht der Influencer*innen mit dem Kauf von Steuer-Daten aus Dubai durch die deutsche Regierung zu tun haben? Unklar. Wie der ‘Spiegel’ berichtete, sollen ‘länderübergreifende Steuerstraftaten von erheblichem Ausmaß’ aufgedeckt werden. Letztendlich kann man nur hoffen, dass die Influencer*innen Dubai aufgrund der dortigen humanitären und nicht der eigenen finanziellen Lage verlassen. Letzteres wäre ein Armutszeugnis.”

Die Unfuglotsen von Bild.de lassen es wieder beinahe krachen

Puh, da hätte es beinahe mal wieder geknallt, also in der Fantasie der Bild.de-Redakteure.

Ein Amateurfilmer hatte ein, nun ja, Manöver von zwei Passagiermaschinen auf dem Flughafen in Birmingham aufgenommen und das Video bei Youtube hochgeladen. Bild.de hat die Aufnahmen zweimal hintereinandergeschnitten (weil die 21 Sekunden sonst nicht für den Sprechertext gereicht hätten) und ein kleines Drama daraus gestrickt:

Aber wie so oft im Beinahe-Journalismus hat Bild.de eine ganz eigene Interpretation des Beinahe-Geschehens.

Der erste Komplettquatsch steckt in der Behauptung “Zwei auf einer Landebahn”. Bild.de glaubt, dass beide Flugzeuge landen. Aber das stimmt nicht: Das hintere Flugzeug landet, das vorder startet. Der Flughafen in Birmingham hat nur einen “Runway” in Betrieb, der sowohl für Starts als auch für Landungen genutzt wird.

Der Sprecher im Bild.de-Video sagt über den Piloten der vorderen Maschine:

Weil hinter ihm ein Airbus A320 landen will, startet er kurzerhand durch. Mit seinem bedachten Handeln verhindert er vielleicht ein Unglück.

Um herauszufinden, dass er nicht durchstartet, sondern lediglich startet, hätte ein Blick in die Beschreibung des Originalvideos gereicht:

Landing Airbus A320 and Embraer 195 taking off at BHX showing that pilots and controllers sometimes don’t have very long to make decisions.

Und auch die angeblich gerade noch so verhinderte Kollision auf der Start- und Landebahn ist aller Wahrscheinlichkeit nach ein Gedankenspiel von Bild.de. Zunächst dürfte die Perspektive der Videoaufnahme — wahrscheinlich von einem relativ weit entfernten Punkt mit einem Teleobjektiv gefilmt — die Situation verzerren und den Abstand der Flugzeuge deutlich geringer erscheinen lassen.

Ein Fluglotse, der an einem deutschen Verkehrsflughafen arbeitet, erklärte uns, dass das Bildmaterial einen Vorgang zeige, “der völlig legal und sicher ist und in dieser Form mehrere hundert Mal täglich allein in Deutschland vorkommt”:

Vorne startet ein Flugzeug, kurz danach setzt dahinter ein landendes Flugzeug auf. Hat das vorausfliegende Flugzeug dabei das Pistenende noch nicht überflogen, spricht man von “Reduced Runway Separation”, also reduzierter Pistenstaffelung.

Um ihre Beinahe-Crash-These zu untermauern, hat sich die Bild.de-Videoredaktion noch einen Beleg ausgedacht. Der Sprecher sagt:

Der Tower hatte den Piloten zuvor mit einem Close Call vor der anderen Maschine gewarnt.

Einen “Close Call” gibt es in der Fluglosten-Sprache nicht. Der Ausdruck bedeutet “Beinaheunfall” oder “knappe Sache” — und steht einzig als Titel über dem Youtube-Video des Amateurfilmers.

Mit Dank an Christian G.!

Im Trüben fischen

Am Ende kann die Onlineredaktion der “Hamburger Morgenpost” sagen: “Na also, lagen wir doch richtig.” Und schon wirkt es gar nicht mehr so schlimm, wie die “Mopo”-Mitarbeiter vor zwei Tagen über den möglichen Tod eines Menschen spekuliert haben.

Donnerstagmorgen entdeckte der Schiffsführer einer Fähre im Hamburger Hafen einen leblosen Körper. Die Polizei barg die Wasserleiche, untersuchte ihr Gebiss und stellte fest, dass es sich um den seit elf Wochen vermissten Timo K. handelt. Gestern präsentierten die Beamten die Obduktionsergebnisse, es gab Gewissheit. Überregional hatten Medien seit Januar über K.s Verschwinden und die Suche nach ihm berichtet, nicht nur, aber auch weil er beim Fußballverein HSV arbeitete.

Bereits wenige Stunden nach Bekanntwerden des Leichenfunds begann bei mopo.de die Spekulation, ob es sich um Timo K. handeln könnte. Die Redaktion schlagzeilte am Donnerstagvormittag:


(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Artikel durch uns.)

Zu diesem Zeitpunkt stand noch nichts fest. Es gab Vermutungen, schließlich wurde K. ganz in der Nähe zum letzten Mal gesehen. Doch es gab auch Informationen, die gegen diese Vermutungen sprachen. “MOPO-Informationen”:

Nach ersten MOPO-Informationen sei allerdings unwahrscheinlich, dass es sich bei der Wasserleiche um K[.] handle. Kleidung und Erscheinungsbild würden laut Feuerwehrsprecher nicht zu dem Vermissten passen.

Diese Passage stammt aus demselben Artikel, der in der Überschrift noch rätselt, ob “der Tote der verschwundene HSV-Manager” ist. Die Redaktion widersprach sich selbst.

Gut anderthalb Stunden später berichtete auch “Focus Online” über den Fund im Hamburger Hafen. Dort wussten die Mitarbeiter zwar genauso wenig wie ihre “Mopo”-Kollegen, wählten für die Optik aber ein Foto von K. und brachten so seinen möglichen Tod ins Spiel:

Nach ersten Untersuchungen hatte die Polizei dann doch Hinweise gefunden, dass es sich bei der Wasserleiche um K. handeln könnte, dessen Personalausweis zum Beispiel. Bei mopo.de gab es nach Mutmaßüberschrift und Widerlegung im Text die nächste Wendung:

Die Onlineredaktion des “Hamburger Abendblatts” schrieb zwar, dass sich die Polizei nur “nahezu sicher” sei — für die Tatsachenbehauptung, dass man die “Leiche von Timo K[.] gefunden” habe, reichte das aber offenbar:

Inzwischen ist sich die Polizei also komplett sicher, dass es sich bei der Wasserleiche um Timo K. handelt. Die Medien lagen mit ihren Anfangsspekulationen richtig, ohne dass sie dafür eindeutige Anhaltspunkte hatten. Bei ihren redaktionellen Entscheidungen, ob sie eine vermisste Person mit dem Fund einer Wasserleiche in Verbindung bringen, obwohl noch nichts feststeht, scheint die mögliche Wirkung auf die Familie des Vermissten, auf dessen Freunde und Kollegen eine untergeordnete Rolle zu spielen. Hauptsache eine gut klickende Titelzeile.

Vor einigen Wochen gab es bei Bild.de diese Schlagzeile:

Am Ende stellte sich raus: Es stand nicht mal fest, ob das gesichtete Objekt überhaupt eine Wasserleiche war.

Mit Dank an Matthias H., Günther T. und @dermobby für die Hinweise!

AfD-Baiting, Print lebt (manchmal), Hexenverbrennung

1. Die AfD als Platzhalter für…alles Mögliche
(fr.de, Patrick Schlereth)
Bedient sich „Spiegel Online“ unseriöser Clickbating-Methoden, um mit reißerischen Überschriften Klicks zu erzeugen? Das könnte man unterstellen, wenn man sich einige Überschriften anschaut, die mit den Begriffen „AfD“ und „Alternative für Deutschland“ falsche Fährten legen.

2. “Das sind die größten Fachzeitschriften Deutschlands”
(horizont.net, Roland Karle)
Im Gegensatz zu Publikumsmedien brummt bei Fachzeitschriften das Anzeigengeschäft: Der Werbeumsatz der 150 größten deutschen Fachzeitschriften steigt laut „Horizont“-Erhebungen 2016 auf 626,5 Millionen Euro. Spitzenreiter ist das „Deutsche Ärzteblatt“ mit einem Bruttowerbeumsatz von 41,3 Millionen Euro. Die Top-150-Fachzeitschriften hätten mit 626,5 Millionen Euro 0,9 Prozent mehr an Anzeigengeld eingenommen hätten, bei den ersten zehn der Rangliste war es gar ein Plus von 3,9 Prozent.

3. “Correctiv”-Stellungnahme zur Einstweiligen Verfügung
(facebook.com/correctiv.org)
“Correctiv” wurde vom Landgericht Düsseldorf verboten, einen umstrittenen Artikel über eine AfD-Kandidatin in NRW weiter zu verbreiten. Dagegen will man Widerspruch einlegen: “Der Artikel hat auch innerhalb der CORRECTIV-Redaktion für große Diskussionen gesorgt. Mehrere Kolleginnen und Kollegen kritisierten die Veröffentlichung grundsätzlich, andere den Stil der Berichterstattung. Wir haben damit bereits in der vergangenen Woche auch den Ethikrat befasst und um ein Votum gebeten; und wir werden diese internen Debatten auch öffentlich machen, sobald sie abgeschlossen sind.”

4. Sich mit Deniz Yücel gemein machen? Aber ja!
(rnd-news.de, Ulrike Simon)
Die ARD konnte sich nicht zu einer Aktion für den inhaftierten Journalisten Denis Yücel durchringen und begründete dies mit dem oft strapazierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Zitat, wonach sich ein Journalist mit nichts gemein zu machen habe, auch nicht mit einer guten Sache. Medienkolumnistin Ulrike Simon hat einige der bekanntesten Kollegen, die Friedrichs gut kannten beziehungsweise sich in seiner Tradition sehen, um eine Stellungnahme gebeten. Darunter Thomas Roth, Claus Richter, Dagmar Reim, Nikolaus Brender, Stephan Lamby und Christoph Fröhder.

5. Bekommt Fox News Konkurrenz?
(sueddeutsche.de, Jürgen Schmieder)
Der amerikanische Medienkonzern „Sinclair Broadcast“ will seinen Rivalen „Tribune Media“ übernehmen, womit ein neuer Player rechts von „Fox News“ entstehen könnte. Momentan hätten die 139 regionalen und als erzkonservativ geltenden TV-Stationen von Sinclair nur eine geringe nationale Bedeutung. Durch den Zukauf würde das Unternehmen jedoch 42 Stationen in wichtigen Großstädten und Ballungsräumen dazu gewinnen und insgesamt 70 Prozent der amerikanischen Haushalte erreichen.

6. Hexen verbrennen fürs Klima? Journalisten entstellen AfD-Rede
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Derzeit geistert ein aus dem Kontext gelöstes Zitat des baden-württembergischen AfD-Abgeordneten Rainer Podeswa durch die Medien, das als Empfehlung zur Hexenverbrennung verstanden werden könnte. Um damit das Klima zu retten… Stefan Niggemeier hat sich die Rede des Abgeordneten angeschaut und kommt zum Schluss: „Wie auch immer man zu Podeswa und seinen haarsträubenden Schein-Argumenten und Vergleichen steht: Ihm zu unterstellen, er plädiere für das Verbrennen von Frauen oder glaube ernsthaft, dass das Verbrennen von Frauen den Klimawandel vor 500 Jahren gestoppt hat, ist falsch.“

Trump unbeschämbar, Untergang interessiert nicht, Insta-Repeat

1. “Journalisten werden die Öffentlichkeit selbst verteidigen müssen”
(zeit.de, Tobias Haberkorn & Dirk Peitz)
Jay Rosen ist einer der führenden Medienwissenschaftler der Vereinigten Staaten und derzeit im Rahmen seiner Arbeit in Deutschland. Die “Zeit” hat mit ihm über die “Washington Post”, Trump und die AfD gesprochen. In Bezug auf den medialen Umgang mit Rechts sieht Rosen die USA als mahnendes Beispiel: “Eine Lehre ist: Wer über Rechtspopulismus einfach nur berichtet, wird ein Teil von ihm. Es reicht nicht aus zu sagen: “Das ist passiert, also berichten wir darüber.” Eine andere Mahnung lautet: Weil Trump ein völlig schamloser Politiker ist, ist es unmöglich, ihn mit irgendetwas zu beschämen. Es bringt nichts, ihm vorzuhalten, wie viel negatives Feedback er für diese oder jene politische Maßnahme bekommen würde. Denn Trump lebt von der Kontroverse. Gewissermaßen lebt er sogar vom Hass gegen ihn, denn der hilft ihm, das Land weiter zu polarisieren. Wenn ein Medium nicht zu einem Teil der rechtspopulistischen Agenda werden möchte, dann muss es eine eigene reporting agenda entwickeln und öffentlich machen.”

2. Amazon nimmt Nazi-Symbole aus dem Sortiment
(wired.de)
Auf Druck von Anti-Rassismus-Vereinigungen dürfen Drittanbieter bei Amazon keine Produkte mehr verkaufen, die Symbole der Nazis und anderer Hassgruppen aufweisen. Amazon hat seine Regeln überarbeitet und will derlei Produkte zukünftig aus dem Angebot entfernen. Das wurde aber auch höchste Zeit, möchte man der Meldung hinterherseufzen.

3. Die Katastrophe hätte verhindert werden können
(spiegel.de, Georg Diez)
Georg Diez fragt sich in seiner aktuellen Kolumne über die Folgen des Klimawandels, wie es sein kann, “dass der Untergang der Menschheit so wenig Interesse erweckt und die Titelseiten sich in dieser Woche, wie in den Wochen und Jahren zuvor, eher mit der Partymetropole Berlin oder dem Elend der Patchwork-Familie beschäftigen als mit der im Grunde einzigen und überwölbenden und schrecklichen Realität unserer Zerstörung des Planeten”.

4. Zahlen, bitte!
(taz.de, Daniel Bouhs)
Google arbeitet schon seit Jahren intensiv mit Medien zusammen, unterstützt Verlage und Start-ups mit Millionensummen und spendiert Stipendien für DatenjournalistInnen. Natürlich nicht uneigennützig: JournalistInnen sollen ihre Datenbanken so aufbereiten, dass Google sie versteht. Wie es zum Beispiel bei der Zusammenarbeit mit dem deutschen Recherchebüro “Correctiv” geschah.

5. Feindselig
(faz.net, Ursula Scheer)
Ursula Scheer beschäftigt sich in der “FAZ” mit Trumps gebetsmühlenartig vorgetragener Medienschelte: “Fake News sind für Trump, was Trump zu Fake News erklärt. Die immer neuen Runden, in denen er mit solch tautologischen Manövern das Publikum und die Medienschaffenden wie am Nasenring durch die Manege führt, dienen seinem Zweck: Sie ermüden, sie verwirren, sie lassen es am Ende so aussehen, als wüsste wirklich niemand, was Fakt und was Fake ist, oder als wäre das letztlich ohnehin egal, weil der große Volkstribun immer recht hat. Dafür gibt es auch eine Bezeichnung, eine ganz sachliche. Sie lautet: “demokratiefeindlich”.”
Weiterer Lesehinweis: Horst Seehofer will künftig twittern — weil die Medien so gemein zu ihm sind (vice.com, Christina Hertel)

6. Das Bild kenn ich doch
(sz-magazin.sueddeutsche.de, Marc Baumann)
Viele Motive und Bildkompositionen auf Instagram wiederholen sich auf geradezu ernüchternde Weise: Ob die baumelnde Füße über der Schlucht, der Schuss aus dem Zelt oder der nachgestellte Caspar David Friedrich. Der Account “insta_repeat” stellt besonders beliebte Motive als Bildreihungen vor, was, wie Marc Baumann zu Recht anmerkt, zugleich traurig und sehr witzig ist.

Wie “Bild” mit falschen Überschriften den Hass auf den Islam füttert

Das Wörtchen “statt” kann ein sehr vergiftetes sein. Zum Beispiel wenn man es so falsch einsetzt wie die “Bild”-Redaktion vorgestern in ihrer Bundesausgabe …

Ausriss Bild-Zeitung - An Berliner Grundschule - Nur noch Islam-Kunde statt evangelischer Religion

… und bei Bild.de:

Screenshot Bild.de - An Berliner Schule - Islam-Kunde statt evangelischer Religion

Das “statt” ist in diesem Zusammenhang Unsinn. Es lässt die Leserinnen und Leser glauben, dass an einer Berliner Grundschule Islam-Kunde an die Stelle des evangelische Religionsunterrichts gerückt ist. Oder eine Ebene höher: Der Islam verdrängt das Christentum. Doch das stimmt nicht.

Tatsächlich gab es an der Teltow-Grundschule in Berlin-Schöneberg, über die die “Bild”-Medien schreiben, schon länger parallel christlichen Religionsunterricht, Islam-Kunde und Lebenskunde, wo es um Ethik geht. Die Kinder konnten mit ihren Eltern auswählen, worüber sie in zwei Schulstunden pro Woche etwas lernen möchten.

Diese Fächer werden allerdings nicht von Lehrern der Schule unterrichtet, sondern von Vertretern der religiösen oder humanistischen Träger. An der Teltow-Grundschule ist für den christlichen Religionsunterricht die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz zuständig. Und die hat seit einiger Zeit nicht mehr genug Personal, um den Unterricht an allen Berliner Schulen anzubieten, so auch an der Teltow-Grundschule.

Das wäre eigentlich auch schon die ganze Geschichte: Die Evangelische Kirche hat Personalmangel, daher können die Kinder aktuell nur zwischen Islam- und Lebenskunde wählen. Wäre da nicht ein Vater, der sich in “Bild” aufregt, dass etwas schieflaufe “‘im christlichen Abendland'”, “‘wenn in einer normalen Grundschule nur noch Islam-Unterricht, aber kein evangelischer Religionsunterricht mehr angeboten wird'”.

Sein neunjähriger Sohn habe nun “statt Religionsunterricht jeweils eine Freistunde”, schreiben die “Bild”-Medien. Das stimme allerdings nicht, wie uns die Schulleitung auf Nachfrage sagt. Der Junge und seine Eltern könnten derzeit zwischen Lebenskunde und Islam-Unterricht wählen. Auf dem Stundenplan des Kindes, den “Bild” und Bild.de zeigen, sieht man auch zumindest am Dienstag in der fünften Stunde neben dem Kürzel “Isl”, das wohl für Islam-Kunde stehen soll, auch das Kürzel “Lk”, das für Lebenskunde stehen dürfte:

Screenshot Bild.de - Stundenplan des Jungen, mit den Kürzeln Lk und Isl in der fünften Stunde am Dienstag

So richtig neu sei der Ausfall des christlichen Religionsunterrichts laut Schulleitung übrigens nicht. Das sei auch schon im vergangenen Schuljahr so gewesen, aus demselben Grund. Und die Eltern seien auch bereits früh informiert worden, etwa über die Elternvertretung.

Die Schulleitung bedauert es ebenfalls, dass der christliche Religionsunterricht derzeit nicht wie gewohnt angeboten werden kann. Sie hat schon vor einiger Zeit Maßnahmen ergriffen, damit er nicht für die komplette Schule ausfällt: Mit der Evangelischen Kirchengemeinde Alt-Schöneberg habe man vereinbaren können, dass diese Pfarrer schickt, die den christlichen Religionsunterricht für die Jahrgangsstufen 1 und 2 übernehmen. Für die Klassen 3 bis 6, also auch für den Jungen, dessen Stundenplan “Bild” abdruckt, werde es Projekttage zum Thema “Kinder begegnen Religionen” geben, geplant von der Evangelischen Kirche. Außerdem werde wie immer eine Weihnachtsfeier stattfinden, man werde wie immer einen großen Weihnachtsbaum aufstellen. Dass der Islam an der Teltow-Grundschule das Christentum verdrängt, kann man nun wirklich nicht sagen.

Von all diesen Bemühungen liest man in dem “Bild”-Artikel: nichts.

Immerhin schreiben auch die “Bild”-Medien, dass der Grund für den Ausfall der Personalmangel bei der Evangelische Kirche ist. Bloß: Bei Bild.de erfahren das nur die knapp 400.000 Personen, die ein “Bild plus”-Abo haben. Die anderen Millionen, die Bild.de besuchen, sehen lediglich die falsche Schlagzeile und ziehen mehr oder weniger empört weiter.

Dass die “statt”-Überschrift für Wut sorgt, kann man im Kommentarbereich auf der Facebook-Seite von “BILD News” sehen:

Screenshot eines Facebook-Kommentars - Wir werden noch mal aus dem eigenen Land geschmissen, wenn das so weitergeht.
Screenshot eines Facebook-Kommentars - Die Deutschen schaffen sich und ihre eigenen Identität ab um lieber eine andere zu leben
Screenshot eines Facebook-Kommentars - Traurig aber wahr. Es gibt mehr Islamisten als Evangelisten und Katholiken. Der Islam will Deutschland besetzen! Und wenn es so weitergeht, dann schaffen die das.
Screenshot eines Facebook-Kommentars - Chemnitz war erst der Anfang
Screenshot eines Facebook-Kommentars - Gibt bald Bürgerkrieg
Screenshot eines Facebook-Kommentars - Bald sind wie Deutsche fremd im eigenen Land.
Screenshot eines Facebook-Kommentars - Verabschiedet euch schon mal von Deutschland. Merkel und Co treiben uns in den Abgrund. Fehlt eine bestimmte Person, die Deutschland wieder zu Deutschland macht.

Nach dem falschen Weihnachtsmarktverbot, der vermeintlichen Politiker-Forderung, im Weihnachtsgottesdienst muslimische Lieder zu singen, und der nächsten falschen verbotenen Weihnacht ist “Islam-Kunde statt evangelischer Religion” das nächste Kapitel in der langen “Bild”-Erzählung vom scheinbaren Einknicken Deutschlands vor dem Islam.

“Spiegel” ohne Beweise, Tabuthema Politikerposts, Zivilisationsbruch

1. Nach 5 Jahren Mauern: “Spiegel” räumt ein, keinen Beweis für Enthüllung zu haben
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Es ist ein deprimierendes und unwürdiges Trauerspiel. Und es ist Wasser auf die Mühlen all der “Lügenpresse”-Rufer: Nach fünf Jahren des Mauerns und Herumlavierens hat der “Spiegel” eine unhaltbare Geschichte aus dem Netz genommen. Der Autor, den der “Spiegel” sogar zum Chef des Investigativressorts machen wollte, führte einen Facebook-Chat als Beweis an. Einen Beweis, den er jedoch nicht vorzeigen konnte, was er laut “Süddeutscher Zeitung” so begründet: “Der Chat mit dem Wettbetrüger habe sich vor seinen Augen aufgelöst. Dass er gehackt worden oder in eine Interpol-Operation gegen die Wettmafia geraten sei oder dass das Chatprogramm einen Bug gehabt habe? Alles sei möglich. Screenshots, die er in den sich selbst löschenden Chat hinein noch gemacht habe, seien verloren gegangen, als sein Handy in eine Pfütze gefallen sei.” Stefan Niggemeier kommentiert: “Der Fall wirft natürlich Fragen danach auf wie sehr dem “Spiegel”-Star-Investigativjournalisten Rafael Buschmann zu trauen ist. Er wirft aber auch Fragen auf nach der Arbeitsweise des “Spiegel” quer durch die Hierarchie. Wenn zwei Ressortleiter, das Justiziariat und die (damalige) Chefredaktion ausdrücklich der Veröffentlichung eines solchen Artikels zugestimmt haben — welchen ähnlich zweifelhaften Veröffentlichungen haben sie noch zugestimmt? Inwiefern war es allgemein akzeptabel beim “Spiegel”, heikle Behauptungen zu veröffentlichen, von denen man weiß, dass man sie nicht belegen kann?”

2. Facebook will Politikerposts nicht auf Fakten checken und auch nicht löschen
(heise.de, Eva-Maria Weiß)
Facebook müsste laut eigenem Anspruch eigentlich alle Posts entfernen, die gegen die Regeln verstoßen oder “Fake News” sind. Doch bei Aussagen von Politikerinnen und Politikern macht das Netzwerk eine Ausnahme, es wolle kein “Schiedsrichter” sein. Man ziehe jedoch die Grenze “bei Reden, die zu Gewalt und Schaden führen können.”

3. Google zeigt nur noch Überschriften von Medien an
(golem.de, Friedhelm Greis)
Durch die neue Gesetzgebung von Googles Erlösen profitieren — die Verlegerallianz hatte es sich so schön erträumt … Doch daraus wird nichts, denn Google passt einfach die Suchergebnisse an und kürzt bei Pressepublikationen die Snippets durch eine Reduktion auf die Überschrift ein. Ab dem 1. Oktober in Frankreich und bald danach wahrscheinlich in den anderen EU-Staaten.

4. Gleich an zweiter Stelle
(taz.de, Alexander Graf)
Regisseure und Schauspieler genießen im deutschen Filmbusiness Respekt, Ruhm und Anerkennung, doch Drehbuchautorinnen und -autoren stehen eher im Schatten der öffentlichen Wahrnehmung. Dieser Basiskonflikt zeigt gerade konkrete Auswirkungen: Der Verband Deutscher Drehbuchautoren und das Filmfest Hamburg zoffen sich. Vordergründig geht es um einzelne Formulierungen, doch dahinter steckt ein systemisches Problem.

5. Radiomachen 1200 Meter unter Tage
(faz.net)
Gestern wurden in der Hamburger Elbphilharmonie die Gewinner des Deutschen Radiopreises 2019 bekanntgegeben. Ein groß aufgezogenes Event mit rund 1400 geladenen Gästen und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier als Ehrengast. Der (undotierte) Radiopreis wurde in zwölf Kategorien vergeben. Die Auswahl aus den mehr als 400 Einreichungen besorgte eine unabhängige Jury des Grimme-Instituts. Beim Lesen der Gewinnerproduktionen bekommt man augenblicklich Lust, den Sendungen hinterher zu googeln und den Audioplayer anzuwerfen.

6. Wie der vom Verfassungsschutz beobachtete Rapper Chris Ares die Charts erobert – und was AfD-Funktionäre damit zu tun haben
(br.de, Stefan Sommer)
Stefan Sommer nennt es einen “popkulturellen Zivilisationsbruch”: Der deutsche Rechts-Rapper Chris Ares hat es in die Amazon-Charts geschafft. Wie konnte das passieren? Das BR-Jugendradio “Puls” ist der Sache in einer Recherche nachgegangen.

Atemschutzmasken-Wucherpreise im “Deal des Tages”

Unsere Redaktion durchforstet jeden Tag für Sie das Internet auf der Suche nach den besten Angeboten und präsentiert Ihnen an dieser Stelle den “Deal des Tages”. Egal, ob Sie ein echter Sparfuchs oder nur ein Hobby-Schnäppchenjäger sind, hier werden Sie jeden Tag auf das beste Angebot aufmerksam gemacht, das man zur Zeit im Internet finden kann.

Das ist doch mal ein toller Service, den die Redaktion der “Hamburger Morgenpost” bietet. Und was hat die “Mopo” heute für uns Hobby-Schnäppchenjäger und Sparfüchse?

Screenshot Mopo.de - Shoppingwelt - Mopo-Deal des Tages - FFP-2-Atemschutzmasken aus deutscher Online-Apotheke

Im Artikel steht dazu:

Atemschutzmasken sind in Zeiten von Corona zu einer echten Mangelware verkommen. Sie sind stets ausverkauft oder haben lange Lieferzeiten oder astronomische Preise.

Als Beleg für solch “astronomische Preise” bietet auch der “Mopo”-“Deal des Tages” einen: eine Maske soll 14,95 Euro kosten. Der Link, der zu der “deutschen Online-Apotheke” führt, ist ein Affiliate-Link. Das heißt: Die “Hamburger Morgenpost” dürfte an dem Wucher mitverdienen.

14,95 Euro ist noch einmal ein gutes Stück mehr als der Preis, den ein Team von WDR, NDR und “Süddeutscher Zeitung” genannt hat (13,52 Euro), um zu zeigen, dass FFP2-Atemschutzmasken sich in den vergangenen Wochen um circa 3000 Prozent verteuert haben. Eine Maske sei bis Mitte Februar für 45 Cent zu haben gewesen.

Die “Mopo”-Redaktion schreibt zu ihrem “Deal”:

Ein Deal im Sinne von einem echten Schnäppchen sind die Atemschutzmasken damit freilich nicht, aber in diesem Fall ist die Verfügbarkeit des Produkts schon eine Info wert.

Die Frage der Verfügbarkeit ist ja der nächste Punkt: In einer Zeit, in der deutschlandweit Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen verzweifelt auch nach solchen FFP2-Masken suchen, um ihr Personal bei der Arbeit schützen zu können, sollte eine Redaktion vielleicht nicht den privaten Kauf derartiger Masken promoten und dabei selbst noch ein bisschen abkassieren.

Bei Mopo.de kann man die teuren Atemschutzmasken immer noch finden, inzwischen allerdings nicht mehr als “Deal des Tages”. Die “Mopo”-Redaktion ist mit dem Angebot übrigens nicht allein: Auch beim Kölner “Express” und bei der “Kölnischen Rundschau” ist es online zu finden.

Mit Dank an Eric P. und @dan_hh für die Hinweise!

Nachtrag, 20:08 Uhr: Die “Mopo”-Redaktion hat bei Twitter mit mehreren Tweets auf unsere Kritik reagiert:

Screenshot eines Tweets der Mopo-Redaktion - Die Mopo-Redaktion findet diesen Deal genauso geschmacklos wie ihr, deshalb haben wir heute Nachmittag direkt interveniert, als uns der Artikel dazu von unserem Vermarktungspartner eingespielt wurde.
Screenshot eines Tweets der Mopo-Redaktion - Wir haben das Teaser-Element, das auf dieses mehr als zweifelhafte Angebot verweist, heute Nachmittag sofort von mopo.de entfernt. Der Artikel als solcher ist nach wie vor auch unter unserer Domain zu finden, weil er bei anderen Portalen nach wie vor online ist. Das ist technisch bedingt und ärgert uns wohl am meisten. Wir werden alles daran setzen, dass es in Zukunft zu so etwas nicht mehr kommt

Darf man wirklich nicht mehr für das Existenzrecht Israels eintreten?

“Eine Schande” sei dieses Urteil, “bitter für ganz Deutschland”. “Was für ein Irrsinn!”, ruft “Bild”-Autor Johannes C. Bockenheiemer in seinem Kommentar am vergangenen Mittwoch in der “Bild”-Zeitung und holt im letzten Absatz noch einmal ganz weit aus:

Dass Richter des Bundesverwaltungsgerichts unsere historische Verantwortung mit einem Maulkorb belegen, ist beschämend für ganz Deutschland.

In derselben “Bild”-Ausgabe und bei Bild.de hat Bockenheimer auch einen Artikel zu dem “Irrsinn” geschrieben, der ihn so aufwühlt:

Ausriss Bild-Zeitung - Weil er für das Existenzrecht Israels eintritt - Maulkorb für DIHK-Präsident Schweitzer

Für das Existenzrecht Israels eintreten?

Dem Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Eric Schweitzer, ist das ab sofort nicht mehr erlaubt!

Grund sei “ein (Skandal-)Urteil des Bundesverwaltungsgerichts”, so Bockenheimer:

Darin untersagt das Gericht dem Dachverein der 79 regionalen Industrie- und Handelskammern (3,5 Millionen Mitgliedsunternehmen) jegliche politische Äußerung.

Der “Bild”-Autor nennt den Namen des Klägers, ein “Windkraft-Unternehmer aus Münster”, und schreibt über ihn:

Der Kleinunternehmer nahm u. a. Anstoß daran, dass Schweitzer in der “Ostfriesen-Zeitung” gemahnt hatte, dass Israels Existenzrecht “unantastbar” sei. Zugleich beschrieb der DIHK-Chef die Menschenrechtslage im Iran als “nicht hinzunehmen”.

Das, was Johannes C. Bockenheimer und “Bild” machen, ist Desinformation. Sie stellen falsche Zusammenhänge her, lassen einordnende Fakten aus und wichtigen Kontext weg. Sie geben sich allergrößte Mühe, einen “Skandal” zu konstruieren.

Für ein besseres Verständnis erstmal ein paar grundlegende Dinge zur Industrie- und Handelskammer (IHK): Gewerbetreibende und Unternehmen wie das des Klägers sind in Deutschland per Gesetz verpflichtet, Mitglied in der jeweiligen regionalen IHK zu sein. Was die IHK darf und was nicht, regelt das IHK-Gesetz. Darin heißt es unter anderem:

Die Industrie- und Handelskammern haben (…) die Aufgabe, das Gesamtinteresse der ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden ihres Bezirkes wahrzunehmen, für die Förderung der gewerblichen Wirtschaft zu wirken und dabei die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend zu berücksichtigen

In Paragraph 1, Absatz 5 des Gesetzes steht ein für diesen Fall wichtiger Satz:

Nicht zu den Aufgaben der Industrie- und Handelskammern gehört die Wahrnehmung sozialpolitischer und arbeitsrechtlicher Interessen.

Die regionalen Industrie- und Handelskammern haben sich zu einem Verein zusammengeschlossen, dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK). Dessen Präsident Eric Schweitzer ist der Mann, der laut “Bild” vom Bundesverwaltungsgericht einen Maulkorb verpasst bekommen hat.

In den “Bild”-Medien klingt es so, als richte sich das Urteil des Gerichts gegen den DIHK beziehungsweise gegen DIHK-Präsident Schweitzer. Das ist aber gar nicht der Fall. Der Unternehmer aus Münster hatte gegen seine regionale IHK geklagt, die IHK Nord-Westfalen. Gegen diese IHK richtet sich auch das Urteil.

In den “Bild”-Medien klingt es so, als ginge es in dem Urteil um eine Aussage zum Existenzrecht Israels. Das ist aber gar nicht der Fall. Das Urteil besagt, dass die IHK Nord-Westfalen aus dem DIHK austreten muss – nicht wegen einer Aussage zu Israel, sondern “wegen fortgesetzter Kompetenzüberschreitungen”. Das Gericht schreibt in einer Pressemitteilung:

Das Mitglied einer Industrie- und Handelskammer (IHK) kann den Austritt seiner Kammer aus dem Dachverband Deutscher Industrie- und Handelskammertag (DIHK e.V.) verlangen, wenn dieser mehrfach und nicht nur in atypischen Ausreißerfällen die gesetzlichen Kompetenzgrenzen der Kammern überschritten hat und keine hinreichenden Vorkehrungen bestehen, um die Wiederholung von Kompetenzverstößen zuverlässig zu verhindern.

Bei der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts handelt es sich also nicht um ein Urteil, das ein Windkraft-Unternehmer aus Münster gegen DIHK-Präsident Eric Schweitzer erstritten hat, damit dieser sich nicht mehr zum Existenzrecht Israels äußern darf, sondern um ein Urteil, das ein Windkraft-Unternehmer aus Münster gegen seine IHK erstritten hat, damit diese die Mitgliedschaft im DIHK beendet.

Aber wie kommen “Bild” und Bockenheimer dann auf ihren Israel-Spin? Als einen Grund für seine Entscheidung nennt das Bundesverwaltungsgericht, dass der DIHK “mehrfach und nicht nur in atypischen Ausreißerfällen die gesetzlichen Kompetenzgrenzen der Kammern überschritten hat”. Das heißt in diesem Fall konkret: Der DIHK und dessen Vertreter haben sich wiederholt öffentlich zu allgemein- und sozialpolitischen Themen geäußert. Einer IHK wäre das laut IHK-Gesetz nicht erlaubt. Das ist die Grundlage für die Klage des Windkraft-Unternehmers: Er hat Dutzende Beispiele vorgelegt, in denen sich der DIHK, der DIHK-Präsident oder der DIHK-Hauptgeschäftsführer in Interviews oder Verbandspublikationen zu politischen Fragen äußern. In einem Beispiel geht es auch um Israel: In einem Interview mit der “Ostfriesen-Zeitung” sagte DIHK-Präsident Eric Schweitzer, wie von “Bild”-Autor Bockenheimer zitiert, dass das Existenzrecht Israels “unantastbar”, und dass die Menschenrechtslage im Iran “nicht hinzunehmen” sei. Alle anderen der vielen, vielen Aussagen, die der Kläger den Gerichten vorgelegt hat, haben nichts mit Israel zu tun. Stattdessen geht es darin um die Mütterrente, um den Mindestlohn, um Studiengebühren, um den Hochwasserschutz, um Leiharbeit, um befristete Arbeitsverhältnisse, um die Vergabe der Olympischen Spiele, um Hans-Georg Maaßen, um Karl-Theodor zu Guttenberg und so weiter.

Dass die ursprüngliche Klage überhaupt nichts mit einer Aussage zum Existenzrecht Israels zu tun haben kann, zeigt schon ein Blick in die die Geschichte des Urteils und auf die vorangegangenen Instanzen: Die ganze Sache ging 2007 los, also vor 13 Jahren. Der Unternehmer beschwerte sich damals, dass sich die eigene IHK und der DIHK gegen die Förderung von erneuerbaren Energien und für Atomkraft ausgesprochen hatten. Wegen des aus seiner Sicht einseitigen Statements verklagte er die IHK Nord-Westfalen: Sie solle erstens die Äußerung unterlassen und zweitens aus dem DIHK austreten. Ein erstes Urteil hat das Verwaltungsgericht Münster im Mai 2009 gesprochen. Es ging weiter zum Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, wo es im Mai 2014 ein Urteil gab. Von dort ging es ein erstes Mal zum Bundesverwaltungsgericht. Dieses verwies den Fall im März 2016 zurück ans Oberverwaltungsgericht. Das Interview von DIHK-Präsident Schweitzer in der “Ostfriesen-Zeitung” existierte bis dahin noch gar nicht. Es erschien am 4. Oktober 2016. Erst als der Fall wieder beim Oberverwaltungsgericht lag, brachte der Kläger auch die Israel-Aussage ein – erneut als eines von zahlreichen Beispielen. In den anderen ging es um den Brexit, um die Erbschaftssteuer, um die Ökostrom-Umlage, um eine Einschätzung zur Bundestagswahl 2017, um die durch die USA verhängten Einreisebeschränkungen für Menschen aus bestimmten muslimischen Ländern, erneut um den Brexit, um die Präsidentschaftswahl in Kenia, um die Befristung von Arbeitsverträgen, um die Große Koalition, um die Sicherung der EU-Außengrenzen, um die CO2-Emissionen von Autos. Und das seien die “hier nur exemplarisch aufgezeigten Kompetenzüberschreitungen” des DIHK, so das Oberverwaltungsgericht in seinem Urteil:

Schon in Anbetracht der großen Zahl der hier nur exemplarisch aufgezeigten Kompetenzüberschreitungen kann von atypischen “Ausreißern” keine Rede sein.

Anders gesagt: Der Windkraft-Unternehmer konnte bei seiner ursprünglichen Klage noch gar nicht von Schweitzers Aussage zum Existenzrecht Israels wissen.

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Interessant ist auch, wie “Bild”-Autor Johannes C. Bockenheimer Fetzen des Israel-Zitats für seine Zwecke aus dem Zusammenhang reißt. Die komplette Interviewantwort des DIHK-Präsidenten lautet (hier wortgleich bei NWZonline.de veröffentlicht):

Niemand arbeitet bedenkenlos mit dem Iran zusammen. Gerade für Deutschland ist das Existenzrecht Israels unantastbar. Und die Menschenrechtslage im Iran ist nicht hinzunehmen. Es ist richtig, dass Sigmar Gabriel diese Themen angesprochen hat, auch die Rolle des Iran im Syrien-Krieg. Konflikte lassen sich ohne Dialog und wirtschaftlichen Austausch nicht lösen. Meistens funktioniert Annäherung eben über Handel.

Den ganzen Teil, in dem sich Eric Schweitzer für eine Zusammenarbeit mit dem Iran ausspricht, weil “Annäherung eben über Handel” funktioniere, lässt Bockenheimer komplett unerwähnt. Schweitzers Plädoyer zur Kooperation mit den Terror-Mullahs, wie es bei “Bild” wohl heißen würde, passt natürlich auch so gar nicht zur eigentlichen Blattlinie. In weiteren Antworten erzählt Schweitzer übrigens von einer erfolgreiche Wirtschaftsreise in den Iran (“Wir sind ein gutes Stück vorangekommen. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit ist noch einmal vertieft worden”) und betont die Wichtigkeit des Iran für die deutsche Wirtschaft (“Der Iran ist für die deutsche Wirtschaft ein sehr bedeutsames Land, ein Zukunftsmarkt mit erheblichem Potenzial”). Der DIHK-Präsident spricht sich für eine Intensivierung der wirtschaftlichen Beziehungen aus (“Jetzt gilt es, die Marktanteile zurück zu gewinnen.”). Dass sich Eric Schweitzer so sehr über die Erfolge in der Zusammenarbeit mit einem Land freut, dessen Regime Israel vernichten möchte, nimmt seiner eigentlich wichtigen und richtigen Aussage zum Existenzrecht Israels deutlich an Kraft.

Dass sowohl das Oberverwaltungsgericht als auch das Bundesverwaltungsgericht betonen, dass es sich bei den politischen Äußerungen des DIHK nicht um “atypische Ausreißerfälle” handelt, und dass genau dieser Umstand auch zum Urteil führte, ist mit Blick auf die “Bild”-Berichterstattung ebenfalls wichtig. Gäbe es nur die Aussage von DIHK-Präsident Schweitzer zum Existenzrecht Israels (und all die anderen Aussagen von EU-Außengrenze bis Mindestlohn nicht), wäre es nicht zu diesem Urteil gekommen. Denn dann wäre die Kompetenzüberschreitung nur ein einzelner “Ausreißerfall”. Gut möglich, dass die Klage sogar von Anfang an als unbegründet abgelehnt worden wäre. Dennoch bezieht sich “Bild”-Autor Bockenheimer ausschließlich auf das Israel-Zitat. Nur ein klitzekleines “u. a.” in seinem Artikel lässt erahnen, dass es vielleicht auch noch um andere Aussagen des DIHK ging.

Anders als es Bockenheimer und “Bild” darstellen, war für die Gerichte auch gar nicht die Stoßrichtung des Zitats entscheidend (der Kläger hatte es dem Oberverwaltungsgericht ohne jegliche Kommentierung – etwa: “Der DIHK-Präsident darf sich nicht zu Israel äußern.” – vorgelegt). Es ging nur darum, dass sich Eric Schweitzer ein weiteres Mal allgemeinpolitisch geäußert hat. Nur mal theoretisch angenommen: Hätte der DIHK-Präsident sich nicht für, sondern gegen das Existenzrecht Israels ausgesprochen (was ein ordentlicher Skandal wäre), hätte der Kläger das Zitat genauso gut als Beispiel in den Prozess einbringen können.

Zur Erinnerung noch einmal die “Bild”-Schlagzeile:

Ausriss Bild-Zeitung - Weil er für das Existenzrecht Israels eintritt - Maulkorb für DIHK-Präsident Schweitzer

… mit völlig falschem “weil”.

Und so ging es vor dem Bundesverwaltungsgericht letztlich auch gar nicht um das Zitat zum Existenzrecht Israels. Personen, die bei der Verhandlung anwesend waren, bestätigen uns, dass das Wort “Israel” nicht ein einziges Mal gefallen ist. Dennoch machen “Bild” und Johannes C. Bockenheimer einen großen Skandal daraus. Sie stellen eine namentlich genannte Person und ein ganzes Gericht als Israelfeinde dar. Sie zeichnen ein falsches verheerendes Bild von der Justiz. Und sie verleihen der Angelegenheit eine höchstoffizielle Note: Im “Bild”-Artikel äußert sich der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung Felix Klein zu dem Fall. Er findet, das alles sei “ein Unding”.

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Palmer und das N-Wort, Drama in MV, Das Treiben der Tech-Giganten

1. Boris Palmer und das N-Wort
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers & Anatol Stefanowitsch & Bettina Schmieding, Audio: 8:15 Minuten)
Baden-Württembergs Grüne wollen ein Parteiausschlussverfahren gegen ihr Noch-Mitglied Boris Palmer anstrengen. Dem vorausgegangen war ein vielfach kritisierter obszöner Facebook-Kommentar des Tübingener Oberbürgermeisters, der das N-Wort enthielt. Die Kanzlerkandidatin der Grünen und Co-Parteivorsitzende Annalena Baerbock hatte sich bereits auf Twitter von Palmer distanziert: “Die Äußerung von Boris #Palmer ist rassistisch und abstoßend. Sich nachträglich auf Ironie zu berufen, macht es nicht ungeschehen. Das Ganze reiht sich ein in immer neue Provokationen, die Menschen ausgrenzen und verletzen. Boris Palmer hat deshalb unsere politische Unterstützung verloren.” Im Deutschlandfunk spricht Bettina Schmieding mit dem Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch über Palmers Entgleisung. Der Fall zeige auch, wie kompliziert die Berichterstattung über Grenzüberschreitungen ist.

2. Der Gute, der Böse, das Drama
(taz.de, Anne Fromm)
Das Startup “Katapult MV” will im Lokaljournalismus Mecklenburg-Vorpommerns mitmischen, der bislang von Teilnehmern wie dem “Nordkurier” geprägt ist. Anne Fromm wirft einen differenzierten Blick auf das Geschehen: “Die alte, rechte Lokalzeitung gegen das coole, linke Medien-Start-up, ganz so einfach ist es eben nicht. Hört man sich um unter denen, die in MV für die Demokratie kämpfen, Initiativen und Vereine gegen Rechtsextremismus, dann warten da einige gespannt auf Katapult MV. Auch sie stören sich am teils rechten, verschwörerischen Sound des Nordkurier. Aber sie sagen auch, dass sich ein­ige Redakteur*in­nen vor Ort zuletzt besonders bemüht hätten, linke Initiativen ins Blatt zu holen.”

3. “Wenn ich 26 wäre, würde ich mich selbstständig machen”
(journalist.de, Stephan Weichert)
Astrid Csuraji war lange in der Journalistenausbildung tätig, bis sie 2018 den Sprung in die Selbstständigkeit wagte. Mit ihrem Start-up bietet sie Medienhäusern innovative Ideen für Vermittlung und Aufbereitung journalistischer Inhalte an. Wie akquiriert sie neue Projekte und Gelder? Warum hält sie so sehr am Journalismus fest? Und wie kommt sie mit ihrem jungen Unternehmen durch die Krise? Unter anderem darum geht es im Gespräch mit dem Hamburger Journalisten und Medienwissenschaftler Stephan Weichert.

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4. Schweden: Immer mehr digitale Hetze gegen Journalisten
(de.ejo-online.eu, Anika Hinz)
Auch Schweden hat ein Problem mit Gewalt gegen Journalisten und Journalistinnen. Vor allem Online-Attacken hätten in letzter Zeit stark zugenommen, wie Reporter ohne Grenzen in einer Erhebung festgestellt habe. Um sich selbst zu schützen, würden immer mehr Medienschaffende den Weg der Selbstzensur gehen. Laut Tove Carlén vom schwedischen Journalistenverband würden sie sich immer öfter dazu entscheiden, ihre Profile in den Sozialen Netzwerken zu löschen.

5. Offensive gegen Frauenhass im Netz
(tagesschau.de, Michael Stempfle)
Die Frauen-Union, eine Vereinigung von Politikerinnen von CDU und CSU, will auf das Phänomen Frauenhass im Netz aufmerksam machen und hat dazu ein Beschlusspapier ausgearbeitet, das dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegt. Zur Initiative der Unionsfrauen um ihre Vorsitzende Annette Widmann-Mauz gehöre auch die Wiedereinführung der umstrittenen und derzeit ausgesetzten Vorratsdatenspeicherung.

6. Too Big To Regulate?
(gutjahr.biz)
Am Wochenende war es uns einen Gucktipp wert: Die Dokumentation “Un-Social: Wie soziale Medien unsere Gesellschaft bedrohen” von Nemi El-Hassan und Richard Gutjahr. Nun hat Gutjahr einen interessanten Beitrag zur Doku nachgeliefert, der das Treiben der Tech-Giganten beleuchtet. Die geballte Lobby-Power habe ihren Preis: “Knapp 20 Millionen Euro im Jahr lassen sich Facebook, Google, Microsoft, Apple und Amazon ihre Parlamentarier-PR in Brüssel kosten. Das ist doppelt so viel, wie die gesamte europäische Autoindustrie zusammen. Geld, mit dem man sich vielleicht nicht direkt Gesetze, sicherlich aber Wohlwollen erkauft.”

7. Toxisch und tendenziös
(sueddeutsche.de, Cornelius Pollmer)
In eigener Sache und deshalb als zusätzlicher Link: Cornelius Pollmer hat “Ohne Rücksicht auf Verluste – Wie BILD mit Angst und Hass die Gesellschaft spaltet” von unseren BILDblog-Autoren Mats Schönauer und Moritz Tschermak gelesen. Sein Fazit: “Der Boulevard, gerade der von Bild, kann vergnüglich und spielerisch sein, er kann mahnen und aufrütteln. Aber wer ihn regelmäßig konsumiert, dem wird beim Lesen dieses Buches wieder einmal bewusst, dass er damit Teil von etwas Toxischem ist, und dass Bild konsumieren mitunter mehr bedeutet, als einen Cheat-Day in die journalistische Diät einzubauen.”

Grimme-Preise, Spiegel der Machtverteilung, “Terrorbrutkasten”

1. Grimme-Preis geht an “Männerwelten” und “Drinnen”
(sueddeutsche.de)
Bei den diesjährigen Grimme-Preisen gingen 14 der 16 Auszeichnungen an Produktionen oder Akteure der ARD-Anstalten beziehungsweise des ZDF. Als einzige Netflix-Produktion wurde “Unorthodox” ausgezeichnet, außerdem wurden die Fernsehjournalistinnen Mai Thi Nguyen-Kim, Isabel Schayani und Caren Miosga mit Preisen bedacht. Der Beitrag liefert alle Preisträgerinnen und Preisträger und die damit in Zusammenhang stehenden Produktionen im Überblick.

2. Immer auf Sendung
(zeit.de, Judith Liere)
Dass viele Menschen mehr an der Meinung von Schauspielern und Schauspielerinnen als an der von Experten und Expertinnen interessiert zu sein scheinen, könnte an einem Missverständnis liegen, findet Judith Liere: “Dass jemand in guten, klugen Filmen mitspielt, als Seriendarstellerin Erfolg hat oder auf der Theaterbühne den Hamlet spektakulär verkörpern kann, bedeutet jedoch nicht, dass sie oder er dadurch automatisch zum scharfsinnigen Analytiker wird. Das ist eine Verwechslung von Rolle und Mensch und wahrscheinlich auch ein etwas realitätsfernes, ehrfürchtig überhöhtes Verständnis von Schauspielern.”
Weiterer Lesehinweis: Der “Tagesspiegel” bittet in einem Text in eigener Sache für seine Berichterstattung zu #allesdichtmachen um Entschuldigung: “Unsere Recherchen haben neue Hintergründe aufgezeigt – wir haben aber auch Fehler gemacht.” Einen der von der Redaktion angesprochenen Texte hatten wir auch in den “6 vor 9” verlinkt.

3. “Die Straße war mal für Kinder”
(taz.de, Anja Krüger)
Dirk Schneidemesser ist Verkehrsforscher am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung in Potsdam. Im Interview mit der “taz” kritisiert er die üblichen Formulierungen rund um das Verkehrsgeschehen als Spiegel der Machtverteilung: “Die Sprache zeigt, wer berechtigt ist, Platz für sich in Anspruch zu nehmen. Das ist der Kern der Machtfrage. Wir sagen: ‘Die Fußgängerin wurde angefahren’ statt ‘Die Autofahrerin fuhr die Fußgängerin an’. Oft werden Autos und Autofahrende als Naturphänomen dargestellt und Fußgänger oder Radfahrende als Ausnahmen, deren Berechtigung subtil infrage gestellt wird.” Mit anderen Formulierungen könnte man Menschen positiver auf die Verkehrswende einstimmen: “Meine These ist, wenn wir nicht von Parkplätzen reden, sondern von Autolagerflächen, ändern sich die Diskussionen. Das Gespräch darüber, ob wir diese Flächen für private Autos, für Radwege oder als Aufenthaltsraum für Anwohnerinnen und Anwohner brauchen, würde ganz anders verlaufen.”

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4. Wie PI-News mit Rassismus und Hass auf Muslime zum Terrorbrutkasten wurde
(belltower.news, Stefan Lauer)
Die islamfeindliche Website “Politically Incorrect” wird mittlerweile vom Verfassungsschutz als “erwiesen extremistisch” eingestuft und beobachtet, wie der “Spiegel” Ende April berichtete. Stefan Lauer stellt die Seite vor, die auf eine lange Tradition an Hass und Hetze zurückblicken könne: “Immer wieder ist sie Brutkasten und Nährboden für gesteuerte Empörungsstürme, Drohungen, ungezügeltem Hass, bis hin zum Mord. Und das seit 17 Jahren.” Die Seite kenne “keine Regeln, keine Verantwortung und keine Menschenwürde. Während die Artikel sich in der Regel im legalen Bereich bewegen, herrscht in den Kommentarspalten nur noch Dauerempörung und enthemmter Hass. Wie eine Symbiose zwischen der Website und ihren Kommentator*innen schaukeln sich Menschenfeindlichkeit, Beleidigungen und Abwertungen immer weiter hoch.”

5. »jW soll Wasser abgegraben werden«
(jungewelt.de, Stefan Huth)
Die Partei Die Linke wollte im Rahmen einer Kleinen Anfrage von der Bundesregierung wissen, warum die “junge Welt” im jährlichen Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz auftaucht. Die Linken-Co-Fraktionsvorsitzende Amira Mohamed Ali kommentiert: “Es ist nicht überraschend, dass eine Zeitung wie die jW, die die Regierungstätigkeit scharf von links kritisiert und entgegen dem neoliberalen Meinungsmainstream berichtet, nicht auf Gegenliebe dieser Regierung stößt. Das muss eine demokratische Gesellschaft allerdings nicht nur aushalten, sondern auch als inhärenten Bestandteil der pluralistischen Verfasstheit begreifen.”

6. “Für unsere Recherche zur offenbar problematischen Nachwuchsarbeit von Union Berlin …”
(twitter.com/Daniel Drepper)
Laut Recherchen von “BuzzFeed News Deutschland” und der “Märkischen Allgemeinen Zeitung” würfen zahlreiche Jugendliche und deren Eltern dem Bundesligaklub Union Berlin vor, minderjährige Spieler schlecht zu behandeln und vor allem Kinder mit türkischem und arabischem Migrationshintergrund zu benachteiligen. Im Zuge der Recherche habe man einen Fragenkatalog an den Verein geschickt, der von diesem jedoch auf der eigenen Website veröffentlicht wurde (PDF). “BuzzFeed”-Chefredakteur Daniel Drepper erklärt in einem Twitter-Thread, warum er diese Vorgehensweise für “extrem unprofessionell und problematisch” hält.

7. Kritik an “Bild”: “Ohne Rücksicht auf Verluste”
(ndr.de, Video: 7:42 Minuten)
In eigener Sache und deshalb als zusätzlicher Link: BILDblog-Chef Moritz Tschermak spricht im “Zapp”-Interview über sein neues Buch “Ohne Rücksicht auf Verluste – Wie BILD mit Angst und Hass die Gesellschaft spaltet”. Welche Schwerpunkte haben er und BILDblog-Kollege Mats Schönauer gesetzt? Hat “Bild” eine Mission? Gibt es Beispiele für eine besonders verwerfliche Berichterstattung? Welchen Einfluss hat “Bild”-Chef Julian Reichelt auf den Kurs des Boulevardmediums?