“Ein Jahr des Chaos”, Kampf um Warner, Beleidigter Bundeskanzler

1. “Ein Jahr des Chaos”: Die trimediale Diversifizierung von Bild (2020-2023)
(inlibra.com, Volker Lilienthal)
In einer auf Interviews mit 43 Redaktionsmitgliedern basierenden Studie analysiert Volker Lilienthal (Universität Hamburg) das Scheitern des Versuchs, die Marke “Bild” zwischen 2020 und 2023 um einen eigenen Fernsehsender zu erweitern. Als zentrale Ursachen für den Misserfolg macht der Autor den überhasteten Start während der Pandemie, unzureichende personelle Ressourcen sowie einen Führungsstil, der die Belegschaft massiv überfordert habe, aus.

2. Rolle von Trumps Schwiegersohn im Kampf um Warner Bros. stößt auf Kritik
(spiegel.de)
Die finanzielle Beteiligung von Donald Trumps Schwiegersohn Jared Kushner am Übernahmeangebot von Paramount für Warner Bros. werde von Experten als massiver Interessenkonflikt kritisiert. Da Trump zuvor angekündigt habe, den konkurrierenden Deal von Netflix streng kartellrechtlich prüfen zu wollen, entstehe der Eindruck einer möglichen Begünstigung.
Weiterer Hörtipp in eigener Sache: Bei radioeins kommentiert der “6-vor-9”-Kurator: “Das hier ist mehr als eine Firmenübernahme. Das ist ein Testlauf. Ein Testlauf dafür, wie weit ein Präsident gehen kann. Der bestimmen will, wer welche Geschichten erzählen darf. Und im Moment sieht es so aus, als würde ihn mal wieder niemand stoppen.” (radioeins.de, Lorenz Meyer, 5:02 Minuten)

3. Touristen sollen Social-Media-Aktivität preisgeben
(tagesschau.de, Samuel Jackisch)
Nach Plänen der US-Grenzschutzbehörde sollen Touristen künftig verpflichtet werden, im Rahmen des ESTA-Antrags ihre Social-Media-Aktivitäten der vergangenen fünf Jahre offenzulegen. Die US-Behörden würden diesen Schritt mit der notwendigen Abwehr von Terrorismus und Spionage begründen. Der von Datenschützern kritisierte Vorschlag sei noch nicht rechtskräftig, könne aber nach Ablauf einer zweimonatigen Kommentierungsfrist bereits ab Februar in Kraft treten.

Bildblog unterstuetzen

4. Medien und Nahost: Die Sprache der Gewalt
(schantall-und-scharia.de, Fabian Goldmann)
Fabian Goldmann analysiert in seiner Untersuchung von über 11.000 Beiträgen deutscher Leitmedien, wie sprachliche Verzerrungen die Wahrnehmung des Nahostkonflikts beeinflussen können, indem Gewalt gegen Israel systematisch dramatisiert und entkontextualisiert würde. Israelische Angriffe würden durch Begriffe wie “Gegenschlag” oder “Reaktion” häufig als legitime Antwort auf vorangegangene Ereignisse gerahmt. Eine solche Einordnung bleibe bei palästinensischer Gewalt meist aus.

5. Über Künstliche Intelligenz berichten: Wie viel KI-Wissen braucht der (Fach-)Journalismus?
(dfjv.de, Gunter Becker)
Journalistinnen und Journalisten aus dem Technikbereich stünden vor der komplexen Herausforderung, Künstliche Intelligenz (KI) nicht nur als Werkzeug nutzen zu können, sondern auch ihre technischen Funktionsweisen tiefgreifend zu verstehen. Expertinnen und Experten wie Erkan Kasap und Sabrina Harper würden betonen, dass ein fundiertes Vokabular unerlässlich sei, um Marketing-Hype von Fakten trennen und die Gefahr von KI-Halluzinationen in der Recherche minimieren zu können.

6. Beleidigter Bundeskanzler: Wie viel “Arschloch” darfs denn sein?
(netzpolitik.org, Markus Reuter)
Medienberichten zufolge gehe Bundeskanzler Friedrich Merz seit seiner Zeit als Oppositionsführer systematisch mit hunderten Strafanträgen gegen mutmaßliche Beleidigungen im Internet vor. Dabei habe es auch Hausdurchsuchungen gegeben. Kritiker würfen Merz vor, den Straftatbestand der Beleidigung von Politikerinnen und Politikern (§ 188 StGB) als Instrument des “Cyber-Bullying” zu missbrauchen. Ziel sei es, kritische Stimmen durch finanzielle und emotionale Belastung aus dem Diskurs zu drängen.

Tödliche Arbeitsplätze, Lebenslanges Ruhegeld, Australiens Experiment

1. Gazastreifen und Mexiko sind die gefährlichsten Orte für Journalisten
(zeit.de)
Laut der aktuellen Jahresbilanz von Reporter ohne Grenzen sei der Gazastreifen im Jahr 2025 mit 29 von weltweit 67 getöteten Journalistinnen und Journalisten der gefährlichste Arbeitsplatz für Medienschaffende gewesen, gefolgt von Mexiko mit neun Opfern. Zudem befänden sich weltweit über 500 Journalistinnen und Journalisten wegen ihrer Arbeit in Haft. Neben tödlicher Gewalt und Gefängnisstrafen seien Reporterinnen und Reporter auch zunehmend durch Entführungen in Konfliktgebieten sowie staatliche Repressionen bei Protesten bedroht.

2. RBB muss Ex-Programmdirektorin Nothelle lebenslang Ruhegeld zahlen
(spiegel.de)
Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin, dass der RBB seiner ehemaligen Programmdirektorin Claudia Nothelle lebenslang ein Ruhegeld von monatlich über 8.400 Euro zahlen muss, sei nun rechtskräftig. Obwohl Nothelle inzwischen als Professorin tätig sei, könnten sich die Gesamtkosten für die Rundfunkanstalt laut einer Anwaltsberechnung des Senders auf bis zu vier Millionen Euro summieren. Transparenzhinweis: In einer früheren Version hatten wir behauptet, der Sender habe eine Frist verpasst. Das war falsch.

3. Nach Millionenstrafe gegen Musk-Plattform: Prominente und NGOs fordern Bundesregierung zum Verlassen von X auf
(tagesspiegel.de)
Ein Bündnis aus Prominenten und zivilgesellschaftlichen Organisationen habe die Bundesregierung in einer Petition aufgefordert, ihre Kommunikation von der Plattform X abzuziehen und auf gemeinwohlorientierte Alternativen zu verlagern. Hintergrund seien die jüngste 120-Millionen-Euro-Strafe der EU-Kommission wegen Verstößen gegen den Digital Services Act sowie die aggressive Reaktion des X-Eigentümers Elon Musk, der die Abschaffung der EU gefordert habe.

Bildblog unterstuetzen

4. EU-Kom­mis­sion ermit­telt wegen KI-Ant­worten
(lto.de)
Die EU-Kommission habe ein Wettbewerbsverfahren gegen Google eingeleitet. Es bestehe der Verdacht, dass der Konzern Onlineinhalte von Verlagen sowie Urheberinnen und Urhebern rechtswidrig und ohne Vergütung nutze, um seine KI-basierten Suchantworten zu generieren. Zudem würden die Wettbewerbshüter prüfen, ob Google seine Marktmacht missbrauche, indem es Webseitenbetreiber faktisch zwinge, ihre Daten bereitzustellen, um in der Suche sichtbar zu bleiben. Gleichzeitig verwehre der Konzern seinen KI-Konkurrenten den Zugang zu Trainingsdaten wie YouTube-Videos.

5. Australiens Experiment an Heranwachsenden
(taz.de, Johannes Drosdowski)
Als “Experiment an Heranwachsenden” bezeichnet “taz”-Redakteur Johannes Drosdowski Australiens heute startendes Social-Media-Verbot für alle, die unter 16 Jahre alt sind: “Jugendliche werden das Verbot umgehen. Wenn die sich den Zugang zu den Plattformen nicht ergaunern wie bei Alkohol oder Clubs, werden sie alternative Social-Media-Plattformen nutzen, die sich gegen das Gesetz sträuben. Willkommen im rechtsfreien und damit gefährlicheren Raum.”

6. Wir gratulieren
(reporter-forum.de)
Am Montag wurden in Berlin die “Reporter:innen-Preise” 2025 verliehen, bei dem eine 42-köpfige Jury in elf Kategorien herausragende journalistische Arbeiten ausgezeichnet hat. Die prämierten Beiträge decken ein breites Spektrum des Erzähljournalismus ab und reichen von investigativen Recherchen zur Nord-Stream-Sprengung über Reportagen aus der Jugendhilfe bis hin zu Podcasts über den Bosnienkrieg. Tipp: Auf der Webseite sind alle Beiträge, sowohl die nominierten als auch die Gewinnertexte, als PDF abrufbar.

Kampf um Warner, Funke sammelt Geld ein, Die Newsfluencer kommen

1. “Mir lässt Ungerechtigkeit keine Ruhe”
(journalist.de, Sonja Peteranderl)
Sonja Peteranderl spricht mit Ronen Steinke, Jurist und Redakteur der “Süddeutschen Zeitung”, über die Aushöhlung von Rechtsstaat und Pressefreiheit in den USA und die daraus resultierenden Warnsignale für die deutsche Demokratie. Nicht nur die AfD, sondern auch andere Parteien untergrüben durch populistische Debatten rechtsstaatliche Prinzipien. Abschließend erklärt Steinke, warum er den Journalismus nutzt, um juristische Herrschaftssprache zu übersetzen und Ungerechtigkeiten im System sichtbar zu machen.

2. Paramount macht feindliches Gegenangebot für Warner
(tagesschau.de)
Der Unterhaltungskonzern Paramount Skydance wolle die geplante Übernahme von Warner Bros. durch den Streaminganbieter Netflix verhindern. Das Unternehmen habe hierfür ein eigenes Angebot über rund 108 Milliarden US-Dollar vorgelegt, das auch die Kabelsparte Global Networks umfasse. Damit überbiete Paramount die Offerte von Netflix. Zusätzliche Brisanz erhalte der Wirtschaftskrimi durch Äußerungen von US-Präsident Donald Trump, der jedoch nur eingeschränkt neutral sei: “Paramount wurde erst vor wenigen Monaten von der Familie des als Trump-Unterstützer bekannten Software-Milliardärs Larry Ellison übernommen.”

3. “Fotografieren gilt in der Türkei als politischer Akt”
(taz.de, Derya Türkmen)
Im Interview mit der “taz” beschreibt der türkische Fotojournalist Yasin Akgül nach seiner Festnahme einen historischen Bruch: Die Führung in Ankara habe erkannt, dass Bilder eine stärkere internationale Wirkung haben als Worte. Inzwischen werde schon das bloße Fotografieren von der Regierung als politischer Akt gewertet. Der staatlich kontrollierte Presseausweis habe seine Schutzfunktion verloren und diene nun als Instrument, um unerwünschten Journalismus zu verhindern.

Bildblog unterstuetzen

4. Funke Mediengruppe sammelt 100 Millionen Euro ein
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Die Funke Mediengruppe habe sich über ein Schuldscheindarlehen erstmals 100 Millionen Euro am Kapitalmarkt beschafft, um damit künftiges Wachstum zu finanzieren. Mit dem frischen Kapital wolle der Konzern nicht nur die digitale Transformation vorantreiben, er plane ausdrücklich weitere gezielte Zukäufe von Medienmarken.

5. Die Newsfluencer kommen
(verdi.de, Lars Lubinetzki)
Laut einer Untersuchung des Reuters Institute würden sogenannte Newsfluencer traditionellen Medien zunehmend Konkurrenz machen. Dabei würden hierzulande vor allem männliche und politisch eher rechts-konservative Akteure das Feld dominieren. Um in diesem Umfeld zu bestehen, empfehle die Studie klassischen Medienhäusern, eine verständlichere Sprache zu wählen, Nischenthemen zu besetzen und sich durch fundierte Recherchen qualitativ abzugrenzen oder gezielt mit Newsfluencern zu kooperieren.

6. Die Streamawards 2025!
(youtube.com, Reved, Audio: 4:32:12 Stunden)
Wer interessehalber einen Blick in die Streaming-Welt werfen will, sollte mindestens kurz in den Videomitschnitt der “Streamawards 2025” klicken. In der über viereinhalbstündigen Show wurden die Höhepunkte des vergangenen Streaming-Jahres nachgezeichnet und Auszeichnungen in vielfältigen Kategorien vergeben, von “Bester Gaming-Moment” bis hin zu “Bester Newcomer”. Dank der im Beschreibungstext angegebenen Zeitmarken kann man sich dabei gezielt auf die interessanten Themen fokussieren.

120-Millionen-Strafe gegen X, KI vs. Realität, Ende der Vielfalt?

1. EU-Kommission verhängt 120-Millionen-Euro-Strafe gegen X
(netzpolitik.org, Anna Ströbele Romero)
Die EU-Kommission habe gegen die Plattform X (vormals Twitter) eine Strafe in Höhe von 120 Millionen Euro verhängt, da das Unternehmen gegen das Gesetz über digitale Dienste verstoße. Konkret würden die irreführenden “blauen Haken”, eine unzureichende Werbedatenbank sowie der mangelhafte Datenzugang für die Forschung kritisiert. X müsse diese Mängel nun innerhalb von 90 Tagen beheben, sonst würden weitere Sanktionen drohen.
Weiterer Lesetipp: Bei digitalpolitik.de kommentiert Markus Beckedahl: “Seit der Machtübernahme durch Musk herrscht in der politisch-medialen Bubble eine absurde Situation: Politiker:innen und Journalist:innen bleiben – und erhöhen damit die Relevanz einer Plattform, die sie zugleich für gefährlich halten.”
Auf Bluesky schreibt der “6-vor-9”-Kurator: “Liebe Europäische Kommission, liebes EU-Parlament: Wie lange wollt ihr noch Content für einen Kanal liefern, dessen Eigentümer euch auflösen will und der eure Reichweite drosselt? Dieser Ort ist eine Jauchegrube. Raus da! Geht lieber dahin, wo Demokratie kein Hassobjekt ist.”

2. Freiheit verpflichtet
(taz.de, Tobias Bachmann)
In seinem Kommentar kritisiert Tobias Bachmann, dass “Bild”-Vizechefredakteur Paul Ronzheimer nach den Anfeindungen gegen ihn keine echte Selbstkritik zum Beitrag seines eigenen Blattes an der gesellschaftlichen Polarisierung geübt habe: “Halten Menschen es für illegitim, kann es sein, dass sie sich dagegen auflehnen. Das kann man skandalisieren – muss man manchmal sogar. Aber man sollte sich auch fragen, was man selbst tun kann, um die Legitimität wieder herzustellen – für sich und alle anderen: Wem die Pressefreiheit am Herzen liegt, der sollte sich an den Pressekodex halten.”

3. Das Ende der Vielfalt?
(journalist.de, Sonja Peteranderl)
Beeinflusst durch den politischen Druck in den USA und wirtschaftliche Sparzwänge würden derzeit auch deutsche Unternehmen und Medienhäuser ihre Diversity-Initiativen abbauen. Vielfalt gelte oft fälschlicherweise als verzichtbares Extra, schreibt Sonja Peteranderl. Medien verlören dadurch langfristig an Relevanz und Vertrauen beim Publikum. Trotz einzelner Fortschritte durch Quoten oder Monitoring-Tools fehle es meist an tiefgreifenden strukturellen Veränderungen.

Bildblog unterstuetzen

4. 15,5 Milliarden Euro – aber nur ein Bruchteil von den Streamern
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Um die deutsche Film- und Serienproduktion finanziell zu stärken, setze Kulturstaatsminister Wolfram Weimer statt auf eine gesetzliche Investitionspflicht für Streamingdienste auf freiwillige Selbstverpflichtungen der Branche. Die insgesamt zugesagten 15,5 Milliarden Euro bezeichne die Produktionsallianz allerdings als “Mogelpackung”. Der Großteil dieser Summe stamme von den ohnehin investierenden deutschen TV-Sendern und nicht von den eigentlich gemeinten US-Streamern.

5. Macht der Reformstaatsvertrag ARD und ZDF jetzt besser?
(uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 28:49 Minuten)
Im “Übermedien”-Podcast unterhält sich Holger Klein mit dem Rundfunkexperte und ehemaligen ZDF-Verwaltungsrat Leonhard Dobusch über die Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: “Worin genau sieht er die Probleme? Welche Änderungen findet er gut? Und wie steht es im Vergleich dazu beim ORF in Österreich?”

6. KI vs Realität: Jetzt beweisen Videos wirklich nichts mehr
(youtube.com, Julia von Buddenbrook & Raja Khadour, Video: 12:42 Minuten)
Das NDR-Medienmagazin “Zapp” thematisiert die zunehmende Verbreitung von täuschend echten KI-Videos in Sozialen Netzwerken. Diese würden das Vertrauen in Bildbeweise erschüttern und Desinformation Tür und Tor öffnen. Am Beispiel des KI-Charakters “Hakim Decoded” und dessen Schöpfer Leon zeigen Julia von Buddenbrook und Raja Khadour, wie aufwendig solche Videos produziert werden und wie wichtig dabei eine transparente Kennzeichnung ist.

KW 49/25: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Wochenendausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. Wie Journalisten mit eigenen Positionen in Erscheinung treten
(deutschlandfunk.de, Sören Brinkmann, Audio: 32:04 Minuten)
Bei “Nach Redaktionsschluss”, dem Medienpodcast des Deutschlandfunk (DLF), geht es um die Frage, wie viel eigene Meinung und Haltung Journalistinnen und Journalisten zeigen dürfen und ob völlige Neutralität überhaupt möglich ist. Anhand von Beispielen erörtern DLF-Hörer Paul Stoop, Medienjournalist Steffen Grimberg und Elena Gorgis aus der DLF-Redaktion “Meinung & Diskurs”, welche Verantwortung Medienschaffende bei Äußerungen in Sozialen Netzwerken tragen und wie dies deren Glaubwürdigkeit beeinflusst.

2. Wissenschaft im Netz der Desinformation: Die Rolle von digitalen Medien und KI
(youtube.com, Ennio Brandt, Video: 22:51 Minuten)
Ennio Brandt warnt in seinem Vortrag vor den Gefahren wissenschaftsbezogener Desinformation, die zunehmend durch KI-Tools wie Deepfakes und automatisierte Textgeneratoren sowie durch populistische Akteure verbreitet werde. Er zeigt anhand von Beispielen aus Telegram-Kanälen und Social Media, wie Themenfelder wie Klimawandel oder Covid-19 gezielt mit Verschwörungsnarrativen verknüpft würden, um eine vermeintliche “Gegenwissenschaft” zu etablieren und gesellschaftliche Spaltung voranzutreiben.

3. Yasmine M’Barek & Nils Minkmar: Welche Zukunft hat Journalismus in digitalen Zeiten?
(youtube.com, Rüdiger Fries, Video: 2:07:45 Stunden)
Nils Minkmar und Yasmine M’Barek diskutieren im “Digital Fight Club” über die Bedrohung des Qualitätsjournalismus durch Algorithmen, Desinformation und eine zunehmend polarisierte Debattenkultur. Beide sind sich einig, dass unabhängige Medien nur durch eine stärkere Regulierung der Digitalkonzerne sowie die Bereitschaft der Gesellschaft, für glaubwürdige Berichterstattung zu bezahlen, eine Zukunft hätten.

Bildblog unterstuetzen

4. Die Liebe zum Spiel (mit Mara Pfeiffer)
(youtube.com, Tanjev Schultz & Markus Wolsiffer, Video: 1:12:12 Stunden)
In einer Sonderfolge ihres Podcasts “Die Medienversteher” sprechen Tanjev Schultz und Markus Wolsiffer mit der Sportjournalistin Mara Pfeiffer über deren Erfahrungen in der noch immer stark männlich dominierten Fußballbranche, in der sie sich trotz massiver Online-Anfeindungen und sexistischer Kritik einen Platz erkämpft habe. Pfeiffer versteht den Sportjournalismus weniger als reine Spielberichterstattung, sondern als Schnittstelle zu gesellschaftlichen Themen wie Rassismus, Sexismus und Demokratie.

5. Ankäufe, Video, Events: Was die ARD mit Podcasts vorhat
(laeuft-programmschau.podigee.io, Alexander Matzkeit, Audio: 32:06 Minuten)
Im Podcast “Läuft” beschreibt Leiterin Cathrin Jacob die Arbeit der neuen “Podcast-Unit” der ARD als vernetzenden “Service-Satelliten”, der durch engere Kooperation der Sender Doppelstrukturen vermeiden und hochwertigen “Hero Content” fördern solle. Angesichts eines veränderten Marktes setze die ARD verstärkt auf externe Partnerschaften und experimentiere mit Video-Podcasts.

6. Die Margen der Kunst
(youtube.com, Michael Seemann, Video: 24:47 Minuten)
Michael Seemann erklärt in seinem Vortrag, dass Macht in der Musikindustrie davon abhänge, wie schwer jemand zu ersetzen ist. Aktuell würden wenige große Musikverlage das Geschäft dominieren. Künstlerinnen und Künstler würden durch das Überangebot im Streaming und kommende KI-Konkurrenz immer austauschbarer und damit machtloser. Seemann empfiehlt den Kreativen, sich nicht auf das Urheberrecht zu verlassen, sondern sich in Gewerkschaften zu organisieren.

Preis für von der Tann, Meta sperrt Konten, Haftbefehl vor Merz

1. Nach Vorwurf der Einseitigkeit: ARD-Israel-Korrespondentin von der Tann mit Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis ausgezeichnet
(tagesspiegel.de)
Die ARD-Korrespondentinnen Sophie von der Tann und Katharina Willinger seien mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis geehrt worden. Die Verleihung sei von Protesten überschattet gewesen, die sich explizit gegen von der Tann gerichtet hätten. Diese habe die Vorwürfe einer einseitigen Gaza-Berichterstattung zurückgewiesen und dabei Unterstützung von der Organisation Reporter ohne Grenzen erhalten.

2. Meta startet mit Ausschluss von unter 16-Jährigen
(taz.de)
Ab dem 10. Dezember gelte in Australien ein striktes Social-Media-Verbot für Personen unter 16 Jahren. Der Meta-Konzern habe bereits damit begonnen, betroffene Konten von Plattformen wie Instagram und Facebook präventiv zu sperren. Ein Sprecher habe den Jugendlichen jedoch zugesichert, dass ihre Daten gespeichert und die Profile vollständig wiederhergestellt würden, sobald sie das geforderte Mindestalter erreicht haben. Das Gesetz sehe bei Zuwiderhandlung hohe Millionenstrafen für die Unternehmen vor. Es schließe auch Dienste wie TikTok oder Snapchat ein.

3. Ein Plädoyer fürs Zuhören
(verdi.de, Till Schmidt)
Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen wirbt für eine “innere Gastfreundschaft” des Zuhörens. Er unterscheidet dabei zwischen dem bloßen Verstehen, dem empathischen Verständnis und dem tatsächlichen Einverständnis als Voraussetzungen für einen echten Dialog. Pörksen kritisiert zudem einen durch Soziale Medien befeuerten “Kult der Kurzfristigkeit”. Um die Qualität des unabhängigen Journalismus langfristig zu sichern, sei neben der Regulierung der Tech-Giganten vor allem eine umfassende Bildungsanstrengung notwendig.

Bildblog unterstuetzen

4. Zentrale Kontrollinstanz für den ÖRR: Neuer Medienrat kommt nach Weimar
(flurfunk-dresden.de)
Die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten der Länder hätten beschlossen, die Geschäftsstelle des neu geschaffenen Medienrates zur Kontrolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks an der Bauhaus-Universität in Weimar anzusiedeln. Das unabhängige, sechsköpfige Expertengremium solle künftig systemübergreifend überprüfen, inwieweit ARD, ZDF und Deutschlandradio ihren im Reformstaatsvertrag definierten Auftrag erfüllen.

5. Wie mit KI-Bildern von einem Weihnachtsmarkt Unsicherheit erzeugt wird
(correctiv.org, Kimberly Nicolaus)
Ein auf TikTok und anderen Plattformen verbreitetes Sharepic, das einen idyllischen Weihnachtsmarkt von 2014 einer angeblichen Hochsicherheits-Szenerie im Jahr 2025 gegenüberstelle, sei von Faktencheckern als KI-Fälschung entlarvt worden. Sie hätten anhand typischer Fehler wie unleserlicher Polizeiaufschriften oder unlogischer Architektur nachgewiesen, dass es sich nicht um reale Orte handele. Mit dem Verweis auf das von Bundeskanzler Friedrich Merz thematisierte “Stadtbild” solle der Beitrag in Sozialen Medien gezielt Unsicherheit schüren und migrationsfeindliche Narrative bedienen.

6. Google-Trends: Netflix dominiert bei Serien, RTL bei Reality
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Laut dem Google-Jahresrückblick 2025 dominiere der Streaminganbieter Netflix das Suchinteresse der Menschen, wobei die Serie “Monster” und der deutsche Film “Babo – Die Haftbefehl-Story” die Spitzenplätze bei den Serien beziehungsweise Filmen belegt hätten. Der mediale Erfolg von “Babo” habe zudem dazu geführt, dass Rapper Haftbefehl noch vor Bundeskanzler Friedrich Merz zur meistgesuchten deutschen Persönlichkeit avanciert sei. Im Reality-Segment habe sich RTL mit dem “Dschungelcamp” als Marktführer behauptet, Amazon Prime mit “Maxton Hall” bei den Serien einen Achtungserfolg erzielt.

Kahlschlag bei RTL, Polizei behindert Presse, Wire­card-Berich­t­er­stat­tung

1. Der Deutsche Journalisten-Verband ist schockiert über die geplanten Stellenstreichungen bei RTL
(djv.de, Hendrik Zörner)
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) zeigt sich “schockiert” über den geplanten Personalabbau bei RTL, der 600 Stellen betreffen soll. “Das ist eine Katastrophe für die Kolleginnen und Kollegen bei RTL und ihren Töchtern”, so der DJV-Bundesvorsitzende Mika Beuster: “Es dürfte für die Redaktionen mindestens schwierig werden, das jetzige Niveau mit noch weniger Personal zu halten”.
Weiterer Hörtipp in eigener Sache: Bei radioeins kommentiert der “6-vor-9”-Kurator: “Hätte man sich die neunzig Millionen für Stefan Raab gespart, hätte man jedem dieser 600 Mitarbeiter ein Monatsgehalt von über 6.000 Euro zahlen können. Und zwar Monat für Monat. Volle zwei Jahre lang. Aber die Senderbosse wollten sich ja unbedingt den vermeintlichen König Midas gönnen. Nur dass der nichts mehr zu Gold macht, sondern alles in Rauch aufgehen lässt, was er anfasst.” (radioeins.de, Lorenz Meyer, Audio: 4:01 Minuten)
Weiterer Lesetipp: Auch beim österreichischen öffentlich-rechtlichen ORF herrsche Spardruck, doch die Auswirkungen sind vergleichsweise gering: Hier sollen lediglich 50 Jobs von 4.000 wegfallen und das auch nur über Nicht-Nachbesetzungen. (dwdl.de, Timo Niemeier)

2. Polizei behindert Presse bei Protesten in Gießen
(netzpolitik.org, Markus Reuter)
Bei den Protesten gegen die Gründung der AfD-Jugend in Gießen habe die Polizei die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten massiv behindert, indem sie Presseausweise ignoriert und den Zugang zu polizeilichen Maßnahmen, beispielsweise Räumungen, verwehrt habe. Betroffen gewesen seien unter anderem Reporter der “taz” sowie des Bundesverbands Freier Radios. Innerhalb der Veranstaltungshalle seien Medienschaffende durch die AfD eingeschränkt worden. Man habe deren Bewegungsfreiheit durch Wachpersonal unterbunden und den Pressebereich eingezäunt.

3. An den Online-Pranger gestellt
(taz.de, Johannes Drosdowski)
Das Weiße Haus habe auf seiner Website eine offizielle Liste eingerichtet, auf der kritische Medienschaffende wie die CBS-Chefkorrespondentin Nancy Cordes als vermeintliche “Media Offender of the Week”, also “Medientäter der Woche”, öffentlich an den Pranger gestellt würden. Cordes werde vorgeworfen, über Appelle der Demokraten an das Militär berichtet zu haben, illegale Befehle zu verweigern, was die Trump-Regierung in begleitenden Propagandavideos als aufrührerisch diffamiere. Neben dieser digitalen Hetzkampagne sehe sich die preisgekrönte Journalistin auch direkten Angriffen Donald Trumps ausgesetzt.

Bildblog unterstuetzen

4. Spiegel siegt vor BVerfG wegen Wire­card-Berich­t­er­stat­tung
(lto.de, Felix W. Zimmermann)
Das Bundesverfassungsgericht habe einem Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) München widersprochen und dem “Spiegel” in einem Rechtsstreit um die Berichterstattung über einen mutmaßlichen Wirecard-Hintermann Recht gegeben. Das Gericht habe klargestellt, dass Redaktionen bei komplexen Wirtschaftsstraftaten auch schon bei einem bloßen Anfangsverdacht identifizierend berichten dürfen. Das OLG München müsse den Fall nun neu bewerten, da es laut Bundesverfassungsgericht die Bedeutung der Meinungsfreiheit grundlegend verkannt und fälschlicherweise journalistische Rechercheergebnisse an rein strafrechtlichen Maßstäben gemessen habe.

5. “Mafia-Themen gehören in Italien zum ganz normalen journalistischen Tagesgeschäft”
(dfjv.de, Ralf Falbe)
Ralf Falbe hat mit der seit über 30 Jahren in Italien lebenden Journalistin Petra Reski gesprochen, die intensiv über die Mafia berichtet. Die italienische Mafia sei laut Reski in Deutschland längst tief verwurzelt. Deutsche Gerichte und Verlage würden die Gefahren für berichtende Journalistinnen und Journalisten oft unterschätzen oder diese im Stich lassen. In dem Interview schildert Reski auch ihre persönlichen Erfahrungen mit Drohungen und juristischen Klagen. Angesichts der prekären finanziellen Lage und einer fehlenden Rechtssicherheit rät sie Berufseinsteigern heute davon ab, sich als Freiberufler auf solch riskante Themen zu spezialisieren.

6. Wie wachsen Kinder und Jugendliche in einer mediatisierten Welt auf?
(leibniz-hbi.de, BredowCast, Audio: 42:22 Minuten)
Im “BredowCast” sprechen die Forscherinnen und Forscher Claudia Lampert, Rudolf Kammerl und Katrin Potzel über die Langzeitstudie “Connected Kids”, deren Ergebnis eine deutliche Verjüngungstendenz aufzeige, da Kinder immer früher Zugang zu Smartphones und digitalen Angeboten erhalten. Zudem konnten die Experten beobachten, dass Jugendliche bereits erste Erfahrungen mit KI-Tools wie ChatGPT sammeln und künftig vermehrt interaktives, KI-gestütztes Spielzeug in den Alltag einziehen könnte.

Schulterschluss gegen Tech-Riesen, Gnade vor Recht, Dichtung lose

1. ARD und Verleger fordern Regulierung von Tech-Riesen und KI
(dwdl.de, Uwe Mantel)
In einem gemeinsamen Appell an die Politik hätten sich die ARD und die Verlegerverbände BDZV und MVFP für eine strengere Regulierung von Tech-Monopolen und Künstlicher Intelligenz (KI) ausgesprochen. Intransparente Algorithmen und KI-Systeme würden zunehmend darüber entscheiden, welche Informationen die Menschen erreichen. Angesichts der Gefahr von Desinformation und Manipulation würden die Unterzeichner faire Rahmenbedingungen fordern. Ziel sei es, die digitale und publizistische Souveränität sowie die Auffindbarkeit journalistischer Qualitätsinhalte sicherzustellen.

2. Böh­m­er­manns Ver­wirr­spiel mit Stefan Aust bleibt ver­boten
(lto.de, Felix W. Zimmermann)
Der Bundesgerichtshof habe die Nichtzulassungsbeschwerde des ZDF im Rechtsstreit mit dem Journalisten Stefan Aust um ein satirisches Fahndungsplakat in Jan Böhmermanns “ZDF Magazin Royale” abgewiesen. Damit sei ein Urteil bestätigt worden, wonach Böhmermann Aust nicht mit dem Foto des Schauspielers Volker Bruch (in dessen Rolle als Stefan Aust im Film “Der Baader Meinhof Komplex”) darstellen dürfe. Felix W. Zimmermann kritisiert in seinem Text, dass die Entscheidung, die eine klare Erkennbarkeit von Satire in jedem Detail verlange, das gesamte künstlerische Konzept Böhmermanns bedrohe. Es sei offen, ob das ZDF wegen der grundsätzlichen Bedeutung für die Kunstfreiheit noch vor das Bundesverfassungsgericht ziehe.

3. Gnade vor Recht
(taz.de, Glafira Zhuk)
Die belarussische Journalistin Ksenia Lutskina, die für ihre journalistische Arbeit zu acht Jahren Haft verurteilt worden sei, lebe nach ihrer Begnadigung und Evakuierung heute in Berlin, kämpfe aber immer noch mit den gesundheitlichen Folgen der Haft. In dem Porträt der “taz” schildert Lutskina die brutale Festnahme im Dezember 2020, die haltlosen Vorwürfe der “Verschwörung” und die unmenschlichen Haftbedingungen in verschiedenen Gefängnissen.

Bildblog unterstuetzen

4. Verlage reagieren zurückhaltend: Verurteilter Ex-Mann von Gisèle Pelicot will Buch veröffentlichen
(tagesspiegel.de)
Der zu 20 Jahren Haft verurteilte Serienvergewaltiger Dominique Pelicot suche derzeit einen Verleger für mehrere Romane, Gedichte und eine Biografie, die er während seiner Haft verfasst habe. Laut seiner Anwältin wolle er darin seine Sicht der Dinge schildern. Dies stoße bei Verlagen bisher jedoch auf große Zurückhaltung. Im Gegensatz dazu werde seine Ex-Frau Gisèle Pelicot, die durch den Prozess zur Symbolfigur gegen sexualisierte Gewalt geworden sei, ihre Memoiren im Februar 2026 weltweit in 20 Sprachen veröffentlichen.

5. Fakten, Fame und Follower
(verdi.de, Bärbel Röben)
Medienexperten würden kritisieren, dass selbst öffentlich-rechtliche Formate wie “Funk” zunehmend auf fragwürdige Methoden wie “Truth Baiting” zurückgreifen, um auf den von Algorithmen dominierten Plattformen Reichweite zu erzielen. Da Soziale Medien inzwischen die Hauptinformationsquelle für junge Menschen seien, verlören Journalistinnen und Journalisten ihre Gatekeeper-Rolle an Influencer. Fachleute würden daher eine strengere Regulierung der Tech-Plattformen sowie eine gezielte Unterstützung demokratischer “Newsfluencer” fordern.

6. Was sich reimt, ist niemals ungereimt
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Stefan Niggemeier betrachtet in seinem “Notizblog” die lyrischen Ambitionen des ehemaligen SWR-Intendanten Peter Voß, der in einem Branchen-Newsletter das politische Geschehen wöchentlich in Reimform kommentiere. Die lyrischen Ergüsse würden inhaltlich von Rentenpolitik bis zur “Woke-Schelte” reichen und stellenweise sogar rassistische Klischees bedienen. Zum Schluss bietet Niggemeier zwei Möglichkeiten an: Entweder man interpretiere gemeinsam die Voß-Gedichte, “oder wir versuchen einfach wieder zu vergessen, dass er Woche für Woche in einem Newsletter Gedichte schreibt.”

Versuchte Einschüchterung, RTL baut ab, Attentat auf Maus

1. RSF kritisiert Einschüchterungsversuche gegen Sophie von der Tann und weitere Journalist*innen
(reporter-ohne-grenzen.de)
Die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) zeigt sich solidarisch mit der ARD-Korrespondentin Sophie von der Tann und übt scharfe Kritik an Vertretern des israelischen Staates, die versuchen würden, Journalistinnen und Journalisten durch gezielte persönliche Angriffe in Sozialen Netzwerken einzuschüchtern. “Selbstverständlich soll und darf journalistische Arbeit sachlich kritisiert werden. Wenn jedoch offizielle Vertreter*innen eines Staates ihre Rolle, ihre Reichweite und ihren Einfluss dazu nutzen, einzelne Medienschaffende namentlich zu diffamieren, überschreiten sie eine Grenze”, so RSF-Geschäftsführerin Anja Osterhaus.

2. RTL Deutschland baut Stellen im höheren dreistelligen Bereich ab
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
Nach Informationen des Medienmagazins “DWDL” plane RTL Deutschland den größten Stellenabbau der Unternehmensgeschichte. Aufgrund des anhaltend schwierigen Werbemarktes und der Transformation hin zum Streaming seien voraussichtlich mehr als 600 Arbeitsplätze von der Maßnahme betroffen. Da auch ganze Geschäftsbereiche abgewickelt werden könnten, würden trotz der Einigung mit dem Betriebsrat betriebsbedingte Kündigungen drohen.

3. Harald Martenstein ersetzt toten Franz Josef Wagner
(taz.de)
Nach dem Tod von Franz Josef Wagner werde Harald Martenstein ab Februar dessen täglichen Kolumnenplatz in der “Bild”-Zeitung übernehmen. Unter dem Titel “Mail von Martenstein” solle das neue Format künftig montags bis freitags erscheinen. Seine bestehende Kolumne in der “Welt am Sonntag” werde er parallel fortführen. Martenstein selbst habe angekündigt, er wolle versuchen, auf seine eigene Art “völlig verrückt” zu sein.
Anmerkung des “6-vor-9”-Kurators: Damit endet laut der “Zeit”-Chefredakteure Giovanni di Lorenzo und Jochen Wegner auch Harald Martensteins Tätigkeit für die “Zeit”: “Harald Martenstein ist eine Säule des ZEITmagazins und einer der bekanntesten Autoren der @zeit. Nach 24 gemeinsamen Jahren sind wir über seinen Wechsel zur BILD-Zeitung mehr als traurig, aber auch dankbar für das, was er geleistet hat.” (Wegners Facebook-Post ist nur für Personen freigeschaltet, die dort mit ihm befreundet sind.)
Und ein Hinweis in eigener Sache: Vor ein paar Jahren hat der “6-vor-9”-Kurator im Rahmen eines Promi-Weihnachtskalenders die Weihnachtsgeschichte im Stil von Harald Martenstein geschrieben: “Nennen Sie mich altmodisch, aber für mich ist es keine Familie, wenn die Mutter eines Kindes eine Pipette oder der Vater ein ‘Heiliger Geist’ ist.” (uebermedien.de, Lorenz Meyer)

Bildblog unterstuetzen

4. Digitale Mobilität als Machtfaktor
(verdi.de, Bärbel Röben)
Auf der Tagung “Gender, Macht & Mobilität” hätten Medienforscherinnen und -forscher darüber diskutiert, wie mobile Technologien über Sichtbarkeit entscheiden und dabei Macht- sowie Geschlechterverhältnisse im digitalen Raum neu aushandeln. Die Beiträge hätten verdeutlicht, dass Plattformen zwar marginalisierten Gruppen wie Migranten oder Feministinnen wichtige Räume für ein Empowerment böten, diese jedoch oft durch algorithmische Unsichtbarkeit oder Überwachung bedroht seien. Umgekehrt sei analysiert worden, wie rechtsextreme Akteure gezielt Künstliche Intelligenz und traditionelle Frauenbilder nutzen würden, um ihre Ideologie im Mainstream zu normalisieren.

5. Sieben stolze Preisträgerinnen und Preisträger: Jugendredaktion Salon5 zeichnet die beliebtesten Jugendbücher aus
(correctiv.org)
Die Jugendredaktion “Salon5” habe sieben Jugendbücher ausgezeichnet, die zuvor von einer jungen Jury in Kategorien wie “Aktivismus”, “Humor” oder “Gefühle” ausgewählt worden seien. Ziel des Preises sei es, die echten Leseinteressen der jungen Generation in den Fokus zu rücken und deren Engagement zu würdigen: “Für den Salon5-Jugendbuchpreis reichen Jugendliche aus ganz Deutschland die Bücher ein, die ihnen wirklich gefallen. Diese liest die Jury, die aus 13- bis 19-Jährigen besteht, und wählt in einem intensiven Prozess die Bücher aus, die in verschiedenen Kategorien ausgezeichnet werden.”

6. Der Elefant war es nicht
(spiegel.de)
Nach der Veröffentlichung von Fahndungsfotos zum Brandanschlag auf die Maus-Statue vor dem WDR-Gebäude seien bei der Kölner Polizei am Wochenende erste Hinweise eingegangen. Gesucht werde ein Unbekannter, der im Juli über eine Stunde lang versucht habe, die beliebte Figur in Brand zu setzen, bevor er auf einem Fahrrad vom Tatort geflüchtet sei. Die durch das Feuer beschädigte Figur stehe nach einer umfassenden Reparatur inzwischen wieder an ihrem angestammten Platz.

ARD streicht Programm, Junger Journalismus, Wandel in Polen

1. Wegen Reformstaatsvertrag: ARD reduziert Radiosender und Onlinetexte
(tagesspiegel.de)
Aufgrund des neuen Reformstaatsvertrags streiche die ARD zahlreiche Radiosender wie “BR Schlager” oder “MDR Klassik”. So solle die festgesetzte Obergrenze von 53 Programmen eingehalten werden. Auch im Internet gälten bald strengere Regeln: Bei tagesschau.de und in der “Tagesschau”-App müssten Texte künftig deutlich hinter Audio- und Videoinhalten zurückstehen. Der Senderverbund befürchte, dass diese Einschränkungen zu einem Verlust an Schnelligkeit und einer geringeren Reichweite in Suchmaschinen führen werden.

2. Zwischen Einfluss und Reform: Zwei Jahre medienpolitischer Wandel in Polen aus der Perspektive junger Medienschaffender
(de.ejo-online.eu, Ilka Gartner)
Zwei Jahre nach dem Regierungswechsel in Polen habe sich die Situation der Pressefreiheit zwar verbessert, doch der öffentlich-rechtliche Rundfunk bleibe ein politisch umkämpftes Feld. Junge Medienschaffende würden die Reformen als Neustart begrüßen, jedoch wegen fehlender rechtlicher Absicherung und der Sorge vor erneuter politischer Einflussnahme skeptisch in die Zukunft blicken. Die jüngere Generation ziehe ihre Informationen zunehmend aus Sozialen Netzwerken statt aus dem Fernsehen.

3. Pressefreiheitspreis 2025 geht an Koelbl und Ronzheimer
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Der “Medienverband der freien Presse” habe die “Spiegel”-Korrespondentin Susanne Koelbl und den stellvertretenden “Bild”-Chefredakteur Paul Ronzheimer für ihre “herausragende Auslands-, Kriegs- und Krisenberichterstattung” mit dem Pressefreiheitspreis 2025 ausgezeichnet. Die mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung würdige den Mut der beiden, die Weltöffentlichkeit unabhängig und direkt vor Ort über komplexe Konflikte zu informieren.

Bildblog unterstuetzen

4. Ein Funken Hoffnung für die Pressefreiheit
(taz.de, Mirco Keilberth)
Die bekannte tunesische Anwältin und TV-Kommentatorin Sonia Dahmani sei überraschend vorzeitig aus der Haft entlassen worden, nachdem sie wegen einer regierungskritischen Äußerung verurteilt worden war. Ihr Fall gelte als Symbol für die Unterdrückung der Meinungsfreiheit in Tunesien durch eine umstrittene Gesetzesvorschrift, die im Land oft gegen Journalisten und Kritiker eingesetzt werde. Beobachter würden Dahmanis Freilassung als vorsichtigen Hoffnungsschimmer für die Zivilgesellschaft und Pressefreiheit in Tunesien werten.

5. Newsletter Netzwerk Recherche 251 vom 28.11.2025
(netzwerkrecherche.org, Greta Linde & Margherita Bettoni)
Wie immer eine Empfehlung wert, nicht nur für investigativ arbeitende Journalistinnen und Journalisten: der Newsletter des Netzwerk Recherche. Die aktuelle Ausgabe beginnt mit einigen Worten von Margherita Bettoni, die an Kolleginnen und Kollegen appelliert, öfter über geschlechtsspezifische Gewalt und Femizide zu berichten. Darüber hinaus gibt es einen Überblick über medienrelevante Nachrichten, Veranstaltungen, Preise und Stipendien.

6. Junger Journalismus: Lernen, vernetzen und schützen
(verdi.de, Linda Niedermüller)
Bei der “YouMeCon” in Dresden hätten junge Medienschaffende durch Redaktionsbesuche und Workshops praktische Erfahrungen in Recherche, Interviewführung und Investigativjournalismus gesammelt. Neben dem Handwerk habe bei der Veranstaltung die Verteidigung der Pressefreiheit im Mittelpunkt gestanden. Linda Niedermüller fasst zusammen, was dort noch alles passiert ist.

Blättern: 1 2 3 4 ... 1177

BILDblog-Klassiker

Hinter vorgehaltener Hand

Nein, wir haben keinen Gegenbeweis. Nein, die 150 Euro, die das Hamburger Büro der Fotoagentur Colourpress von uns verlangen würde, wenn wir ein Paparazzifoto von Kurt Russell aus dem Colourpress-Angebot abdrucken wollten, sind uns zuviel.

Zu sehen ist Russell auf dem unscharfen Foto übrigens nackt.

Zu sehen ist er so auch auf der letzten Seite der heutigen “Bild”-Zeitung (fotografiert beim privaten Sonnenbad mit Frau Goldie Hawn auf der Terrasse einer Palafito Master Suite des Hotelito Desconocido im mexikanischen Puerto Vallarta). Und weil Russell auf dem Paparazzifoto bis auf eine Baseballkappe wirklich ganz nackt ist, hat “Bild” ein anderes Foto aus der selben Serie derart geschickt montiert, dass Hawns linke Hand Russells Gemächt verdeckt. Und so steht’s auch in “Bild”:

“Kurt Russell (…) und sein Kurti (hinter Goldies Hand) unter mexikanischer Sonne”

Betextet sind die Fotos von Christiane Hoffmann. Und Hoffmann weist noch einmal darauf hin, dass Russells Geschlechtsteil (O-Ton: “sein faltiger Kurti”) “in BILD schamvoll unter Goldies Hand versteckt” sei. Allerdings hat Hoffmann das Foto offenbar auch ohne Goldies Hand gesehen, denn sie schreibt:

“(…) dahinter befindet sich deutscher Durchschnitt,
ca. 14,67 Zentimeter”

Und schon deshalb, weil Russell unseres Wissens auf dem ohnehin unscharfen Paparazzifoto nicht mit einem eregierten Penis abgelichtet wurde, hat Christiane Hoffmann wahrscheinlich (in Anspielung auf diese oder jene “Bild”-Meldung) nur einen Witz machen wollen. Man könnte auch sagen: Sie hat gelogen. Hat ohne Grund, ohne Not, ohne nachzudenken die Wahrheit einer überflüssigen Pointe geopfert! Saß also bei der Arbeit und füllte ihre “Ich weiß es”-Kolumne mit Wörtern, die keinen Sinn haben!! Mit Zeilen, die sie sich einfach nur ausgedacht hat!!! Oder, nun ja, mit mindestens einem Halbsatz, von dem wir ziemlich sicher wissen, dass er überhaupt nicht stimmt – auch wenn wir uns diesmal den Gegenbeweis (nicht nur aus Kostengründen) sparen.

Frannie Avery beim Sex – jetzt auf DVD!

Die härtesten Sex-Szenen der schönen Meg Ryan

Heißer Sex in den wildesten Stellungen – so sexy und nackig haben wir Meg Ryan bislang nur im Kino sehen können! Doch ab heute gibt es den Film “In the Cut” mit Hollywood-Schauspielerin (“Harry & Sally”) auf DVD. Und nicht nur das: BILD zeigt Bilder der schärfsten F***-Szenen und verrät, wie Sie sich den Weg in die Videothek sparen und den Sex-Thriller sogar online ausleihen und ungestört auf dem Computer ansehen können. (…)

Schon möglich, dass die hier vorangestellten Sätze den Eindruck erwecken, “Bild” mache darin Werbung für eine DVD und eine Online-Videothek. Doch der Eindruck trügt. Die vorangestellten Sätze stammen nämlich gar nicht aus der “Bild”-Zeitung. Stattdessen sind sie frei erfunden, um zu demonstrieren, wie es hätte aussehen können, wenn eine Boulevardzeitung wie “Bild” Ihren Lesern mitteilen möchte, dass Kopien des Kinofilms “In the Cut” aus dem Jahr 2003 ab heute käuflich zu erwerben und (bereits seit dem 10. Februar) auszuleihen oder online herunterzuladen sind. Das hätte dann zwar immer noch verdammt nach einem unlauteren Deal mit dem DVD-Vetrieb EuroVideo und dem Internet-Videoverleih Amango.de ausgesehen, widerspräche womöglich dem Pressekodex Ziffer 7, dem Mediendienstestaatsvertrag § 13 und/oder den im Abschnitt “Werbung” formulierten journalistischen Leitlinien des Axel Springer Verlags, wäre aber zumindest sachlich richtig.

In Wirklichkeit hat sich “Bild” jedoch für die mutmaßlich irreführende Überschrift “So hart liebt’s die schöne Meg Ryan” entschieden und die Werbung Berichterstattung online mit einer, ähm, vielversprechenden Bilderschau (ähm, siehe Ausriss) angereichert, die ebenfalls den sinnfälligen Unterschied zwischen Schauspielerin (Meg Ryan) und Rolle (Frannie Avery) ignoriert und sich “So liebt die schöne Meg Ryan” nennt, obwohl das natürlich völliger Quatsch ist.

Was kann denn “Bild” dafür?

In der gestrigen “Bild”-Zeitung fand sich ja (wie berichtet) eine Fotomontage, die den Boxer Lamon Brewster am Grab von Max Schmeling zeigte. In manchen Ausgaben (z.B. Berlin) war die Montage mit dem Hinweis “Foto: BILD-Fotomontage” gekennzeichnet, in der Hamburg-Ausgabe hingegen stand darunter “Foto: action press” (weil die Agentur action press den ans Grab montierten Brewster bei einem PR-Termin fotografiert hatte), und in kleinerer, man könnte sagen, ziemlich kleiner Schrift, hochkant am Rand des Fotos stand zudem: “Montage: Lars Wolter” (siehe Ausriss).

Nun berichtete die Website des NDR übereinstimmend mit der Online-Ausgabe der “Rheinischen Post”, Brewster habe sich “vor dem Grab von Schmeling ablichten” lassen. Genauer gesagt, veröffentlichten der NDR und die “Rheinische Post” eine entsprechende Meldung des Sport-Informations-Dienstes SID.

Fragt man schließlich beim SID den Autor der Meldung, woher er denn wisse, dass Brewster sich “vor dem Grab von Schmeling ablichten” ließ, sagt er zunächst: “Na, aus der gestrigen ‘Bild’-Zeitung…”

PS: Der NDR hat sich mittlerweile entschieden, die falsche Behauptung ersatzlos aus dem Text zu streichen. Bei der “Rheinischen Post” steht sie nach wie vor. Aber da hatten wir ja auch nicht nachgefragt.

Nachtrag, 28.9.2005:
Nachdem ein BILDblog-Leser die “Rheinische Post” auf ihren Irrtum hinwies, hat man sich dort entschieden, die Meldung mit einer “Anmerkung der Redaktion” zu versehen:

“Die ursprüngliche Textversion wurde geändert, weil sich nicht verifizieren lässt, dass Lamon Brewster sich vor dem Grab von Schmeling ablichten ließ. Wir haben darum die entsprechende Passage aus dem Text, der von einer Nachrichtenagentur geliefert wurde, gestrichen.”

In der “Frankfurter Neuen Presse” indes (und wer weiß, wo sonst noch) steht die falsche Passage weiterhin unkorrigiert…

Nachtrag, 28.9.2005, 12:20:
Nach unserer Veröffentlichung teilt uns nun auch die “Frankfurter Neue Presse” mit, sie habe “ebenfalls die Textkorrektur der Kollegen der ‘Rheinischen Post’ übernommen und an den Text angefügt“. Und jetzt ist auch mal gut.

…auch wenn “Bild” das Gegenteil behauptet

Der Presserat hat eine Missbilligung gegen die “Bild”-Zeitung ausgesprochen, weil sie im vergangenen Juli ein Foto zeigte, auf dem zwei junge Männer zu sehen sind, während sie gehenkt werden. Nach Ansicht des Presserates war die Veröffentlichung “unangemessen sensationell”.

Nichts zu beanstanden hatte der Presserat daran, dass “Bild” behauptete, hier würden zwei Kinderschänder hingerichtet. Tatsächlich wurde den Jugendlichen aber wohl nur ihre Homosexualität zum Verhängnis. In ihrer Rechtfertigung vor dem Presserat berief sich die “Bild”-Zeitung darauf, dass die Kinderschänder-Version, die der iranischen Propaganda entspricht, von der französischen Nachrichtenagentur AFP verbreitet worden sei. Aus dieser Meldung sei auch nicht hervorgegangen, dass es sich bei den Hingerichteten um Minderjährige gehandelt habe.

Der Presserat meint, eine Zeitung müsse die Meldung einer Nachrichtenagentur nicht mehr nachrecherchieren. Und der Axel-Springer-Konzern findet das auch. Allerdings gab das Justiziariat des Verlages in dem Verfahren an, dass sich “Bild” ganz besonders viel Mühe gegeben habe. Der Presserat gibt die Stellungnahme von Springer so wieder:

Dennoch hätte sich der zuständige Redakteur bemüht, über den Agenturserver weitere Informationen zu diesem Fall zu erhalten. Es habe jedoch keine einzige weitere Agenturmeldung gegeben.

Das ist schwer zu glauben. Es gab an jenem Tag eine weitere Agenturmeldung über den Fall. Die Katholische Nachrichtenagentur KNA verbreitete am 26. Juli 2005 um 14.45 Uhr folgende Meldung:

EU-Protest gegen Hinrichtung von Jugendlichen im Iran

Brüssel (KNA) Die EU hat gegen die Hinrichtung zweier Jugendlicher im Iran protestiert. Einer der Hingerichteten sei sowohl zur Tatzeit als auch bei der Vollstreckung des Todesurteils jünger als 18 Jahre gewesen, klagte die britische EU-Präsidentschaft in einer am Dienstag in Brüssel veröffentlichten Erklärung. Die EU warf dem Iran vor, mit den vollstreckten Todesurteilen gegen die Internationale Konvention für bürgerliche und politische Rechte und die UN-Kinderrechtskonvention verstoßen zu haben.

(…) Die beiden Jugendlichen waren laut Medienberichten vor einer Woche in der Stadt Mashad wegen Raubes, Alkoholkonsums und homosexueller Übergriffe öffentlich hingerichtet worden.

Die “Bild”-Zeitung ist Kunde der KNA und hätte also im Voraus wissen können, dass ihre Veröffentlichung problematisch ist. Auch wenn das Springer-Justiziariat gegenüber dem Presserat das Gegenteil behauptet.

Wie “Bild” gegen den Mindestlohn kämpft II

Es war eine besondere Demonstration, die gestern in Berlin stattfand. Rund 1000 Mitarbeiter von mehreren privaten Postanbietern demonstrierten gegen höhere Löhne. Genauer gesagt: gegen einen Mindestlohn von bis zu 9,80 Euro pro Stunde.

Wie besonders die Umstände der Demonstration waren, kann man in vielen Berliner Zeitungen nachlesen. Der “Tagesspiegel” berichtet unter Bezug auf die Agentur ddp, Mitarbeiter des zweitgrößten Postanbieters PIN seien anscheinend von der Firma dazu gedrängt worden, an der Kundgebung teilzunehmen. Die Gewerkschaft Ver.di spreche von “blankem Zynismus”, weil die Mitarbeiter nur Dumpinglöhne bekämen, obwohl das Unternehmen mittlerweile “satte Gewinne” einfahre. Die “Berliner Zeitung” zitiert die Leiterin eines PIN-Briefdepots, sie habe ihre Mitarbeiter zu der Demonstration “im Auftrag von ganz oben” zusammengetrommelt. Die “taz” nennt die Kundgebung eine “Demo von oben”.

“Bild”-Leser ahnen nicht einmal etwas davon.

Dabei berichtet die Zeitung in ihrer Berliner Ausgabe heute groß über die Demo:

Die Menschen in grün auf den Fotos, das sind übrigens die Mitarbeiter der PIN-AG, einer Tochterfirma der Axel Springer AG, die die “Bild”-Zeitung herausgibt. Aber auch diese Verbindung, die vielleicht erklärt, warum “Bild” einige Besonderheiten der Demonstration verschweigt und selbst so massiv gegen den Mindestlohn kämpft, verschweigt “Bild” (anders als z.B. das Schwesterblatt “Berliner Morgenpost”).

Stattdessen schreibt “Bild” den erstaunlichen Satz:

[Einen Mindestlohn von] 9,80 Euro pro Stunde aber können sich private Anbieter nicht leisten — ihre Geschäftstätigkeit müssten sie aufgeben.

Für “Bild” ist der Verlust von Arbeitsplätzen durch den Mindestlohn nicht nur eine Möglichkeit, ein Szenario, eine Drohung oder eine von mehreren widersprüchlichen Erwartungen. Für “Bild” ist es eine Tatsache: Kommt der Mindestlohn, müssen private Briefzusteller dicht machen.

Und zum vierten Mal innerhalb von zwei Wochen wettert heute auch der “Bild”-Kommentar gegen die Mindestlöhne. Hans-Werner Sinn, Präsident des “angesehenen” (“Bild”) Ifo-Instituts München, wiederholt darin, was “Bild” bereits viele Male behauptet hat:

Mindestlöhne Gift für den Arbeitsmarkt

(…) Gesetzliche Mindestlöhne sind immer Gift für den Arbeitsmarkt und setzen gerade Geringverdiener verstärkt dem Risiko der Arbeitslosigkeit aus.

Nach unseren Berechnungen vernichtet ein bundesweiter Mindestlohn von 7,50 Euro die Stunde insgesamt 1,1 Millionen Arbeitsplätze (…).

Am Freitag berät der Bundesrat, ob ein Schwesterunternehmen der “Bild”-Zeitung in Zukunft auf Dumpinglöhne verzichten muss der Mindestlohn für die privaten Postanbieter gelten soll.

Nachtrag. Kein Tag mehr ohne Anti-Mindestlohn-Berichte:

“Bild”, 11.10.2007:

Neue Gewerkschaft gegen Mindestlohn

(…) Der Präsident des Arbeitgeberverbandes der neuen Post- und Zustelldienste, Florian Gerster, sagte gestern: “Es gibt empörte Arbeitnehmer, die sich nicht von Ver.di vertreten fühlen. Nicht auszuschließen, dass es dieser Tage zu einer Gewerkschaftsgründung kommt.” Mit dieser neuen Gewerkschaft will Gerster Gespräche über einen Tarifvertrag führen.

“Bild”, 12.10.2007:

BILD-Interview mit dem Wirtschafts-Nobelpreisträger Prof. Edmund Phelps (74)*
Mindestlohn hilft euch Deutschen nicht!

(…) Prof. Phelps: Ich war nie ein Freund gesetzlicher Mindestlöhne und rate dringend davon ab!

In eigener Sache: “Bild” erklärt BILDblog

Andreas Wiele, der im Vorstand der Axel-Springer-AG für die “Bild”-Zeitung zuständig ist, hat sich in einem Interview mit dem Branchendienst turi2.de über BILDblog geäußert:

[audio:https://www.bildblog.de/wiele.mp3]

Viel Feind, viel Ehr. Das ist ein Thema, was sich an ein paar obskure Online-Blogger wendet. Ich glaube, wir richten uns an zwölf Millionen Leser. Die wissen die journalistische Qualität der “Bild”-Zeitung zu schätzen. Und ich muss ganz ehrlich sagen, die Kritik, die in BILDblog an “Bild” geübt wird – wenn das alles ist, was man uns vorwerfen kann, dann können wir in der Tat zu Recht stolz auf die Qualität der “Bild”-Zeitung sein.

Dazu gäbe es zweierlei zu sagen.

Erstens ist das, was in BILDblog steht, keineswegs alles, was man der “Bild”-Zeitung vorwerfen kann. Wir haben nicht den Anspruch, sämtliche Verfehlungen der “Bild”-Zeitung aufzuschreiben, die ganzen kleinen Schlampigkeiten und großen Ungeheuerlichkeiten — und wenn wir diesen Anspruch hätten, könnten wir ihn nie erfüllen. So manche schlimme Erfahrung, die Menschen vor allem in Stunden größter persönlicher Not mit “Bild” machen, steht hier nicht. Weil sich diese Menschen nicht bei uns melden. Weil sie andere Sorgen haben, als sich auch noch mit der “Bild”-Zeitung anzulegen. Weil wir diese Menschen nicht auch behelligen wollen. Oder weil sie uns bitten, ihre Erfahrungen nicht aufzuschreiben. So manche schlimme Verdrehung der Wahrheit steht hier deshalb nicht, weil es uns unmöglich ist, sie zu beweisen, wenn Aussage gegen Aussage steht. So manche schlimmen Persönlichkeitsrechtsverletzung steht hier nicht, weil es unmöglich ist, sie zu dokumentieren, ohne zweifelhafte Aussagen selbst zu wiederholen, zweifelhafte Aufnahmen selbst zu zeigen.

Aber zweitens: Selbst wenn sich die Qualität der “Bild”-Zeitung tatsächlich daran messen ließe, was BILDblog an “Bild” kritisiert — selbst dann würden wir uns schämen, zu behaupten, darauf stolz zu sein.

“Bild” bietet Rainer Wendt Plattform für Generalverdacht

Rainer Wendt durfte bei “Bild” und Bild.de mal wieder was sagen. Der Bundesvorsitzende der “Deutschen Polizeigewerkschaft” ist immer schnell zur Stelle/immer schnell angerufen, wenn irgendwo etwas passiert, das mit den Themen Sicherheit und/oder Polizei zu tun hat. Erst im August, als sein Buch “Deutschland in Gefahr” erschien, machten die “Bild”-Medien groß Werbung für Wendts Werk.

Nachdem am Wochenende bekannt wurde, dass die Polizei den mutmaßlichen Vergewaltiger und Mörder einer 19-jährigen Studentin aus Freiburg gefasst hat und dass dieser Tatverdächtige ein 17-jähriger Junge ist, der vor einem Jahr als Flüchtling aus Afghanistan nach Deutschland gekommen ist, fragt “Bild” heute:

Mit Ausnahme von einigen wenigen Feststellungen (etwa: “Es ist ein grausames Verbrechen. Und es birgt enorme politische Brisanz.” oder: “Fakt ist: Unter Gewaltkriminellen sind sie [unbegleitete minderjährige Flüchtlinge] keine besonders auffällige Gruppe.” oder: “Fakt ist aber auch: Wäre der mutmaßliche Täter 2015 nicht nach Deutschland gekommen, hätte er hier nicht töten können.”) bezieht die Redaktion gar nicht selbst groß Stellung, sondern lässt andere Leute “MIT DIESER WAHRHEIT” umgehen. Bild.de hat die Aussagen ebenfalls veröffentlicht:

So sagt zum Beispiel Wolfgang Huber, der frühere Ratsvorsitzende der “Evangelischen Kirche in Deutschland”, zu dem Fall:

“Menschengruppen pauschal zu verdächtigen, hilft dagegen nicht weiter.”

Oder Julia Klöckner, die stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU:

“Solche Grausamkeiten werden leider von In- wie Ausländern begangen, das ist leider kein neues Phänomen.”

Oder der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel:

“Auch deshalb dürfen wir es nicht zulassen, dass diese abscheuliche Tat jetzt für Hetze und Verschwörungspropaganda missbraucht wird.”

Oder der CSU-Innenpolitiker Stephan Mayer:

“Ich habe vollstes Verständnis für die Empörung und Entrüstung der Bürger. Dennoch wäre es grundlegend falsch, alle Migranten und Flüchtlinge unter Generalverdacht zu stellen.”

(Dies sind nur Auszüge aus den Stellungnahmen. In den beiden Artikeln von “Bild” und Bild.de sind die jeweiligen Aussagen länger.)

Alles recht besonnene Aussagen bei einem Thema, das für hitzige Debatten sorgt. Der gemeinsame Tenor: Ruhe bewahren, nicht verallgemeinern, kein Generalverdacht gegen Geflüchtete.

In den Artikeln von “Bild” und Bild.de gibt es dann aber noch die bereits erwähnte Aussage von Polizeigewerkschafter Rainer Wendt:

“Dieses und viele andere Opfer würde es nicht geben, wäre unser Land auf die Gefahren vorbereitet gewesen, die mit massenhafter Zuwanderung immer verbunden sind. Und während Angehörige trauern und Opfer unsägliches Leid erfahren, schweigen die Vertreter der ‘Willkommenskultur’. Kein Wort des Mitgefühls, nirgends Selbstzweifel, nur arrogantes Beharren auf der eigenen edlen Gesinnung. Die grausame Seite dieser Politik wird abgewälzt auf die Opfer und auf eine seit Jahren kaputt gesparte Polizei und Justiz. Und so wachsen die Gefahren für unser Land beständig.”

(In “Bild” ist Wendts Aussage etwas kürzer.)

Wendt macht genau das, wovor Huber, Klöckner, Gabriel und Mayer warnen: Er verknüpft den tragischen Tod der 19-jährigen Studentin mit der “massenhaften Zuwanderung”. Er konstruiert aus einem Einzelfall einen Generalverdacht. Er spielt Zuwanderer und “viele andere Opfer” gegeneinander aus. Er beschwört wachsende “Gefahren für unser Land” herauf. Er schürt Ängste. Er macht Stimmung.

All das kann Rainer Wendt bei “Bild” und Bild.de ohne Einordnung, ohne redaktionellen Widerspruch tun. Die “Bild”-Medien bieten ihm eine Plattform.

Dass Wendts Aussagen nicht unproblematisch sind, haben die Leute bei Bild.de offenbar auch gemerkt. Inzwischen haben sie nach dem langen Zitat des Polizeigewerkschafters diese zwei Tweets des stellvertretenden SPD-Bundesvorsitzenden Ralf Stegner zitiert:

Da es in diesem Beitrag um grässliche Verallgemeinerungen geht, hier noch ein wichtiger Punkt: Rainer Wendt spricht als Bundesvorsitzender der “Deutschen Polizeigewerkschaft” nicht für alle Polizisten. Er spricht nicht einmal für alle gewerkschaftlich organisierten Polizisten. Es gibt neben der “DPolG” nämlich noch einige weitere Polizeigewerkschaften. Zum Beispiel die deutlich größere “Gewerkschaft der Polizei”. Deren Bundesvorsitzender Oliver Malchow hat Wendts Aussagen bereits kritisiert:

“Bild” erhöht Abgeordnetendiät auf 54.000 Euro pro Monat

In der “Bild”-Ausgabe von gestern und bei Bild.de schreibt “Bild”-Autor Kai Weise:

Screenshot Bild.de - Bläh-Bundestag kostet eine Milliarde pro Jahr

Im nächsten Jahr wird unser Parlament 973,7 Millionen Euro kosten, wie ein Bericht des Rechnungshofes darlegt: 100 Mio. mehr als im vergangenen Jahr!

137 Mio./Jahr für Miete und Unterhalt der Gebäude, 112 Mio. für die Fraktionen. Immer teurer aber werden vor allem unsere Abgeordneten: Nächstes Jahr kosten ihre Diäten rund 460 Mio.!

Grund: Der Bundestag hat 709 Sitze, fast 100 mehr als vor zehn Jahren.

Insgesamt 460 Millionen Euro für Diäten? Das wären bei den aktuell 709 Abgeordneten 648.801,13 Euro pro Jahr für jede Politikerin und jeden Politiker, die/der im Bundestag sitzt, beziehungsweise ein Monatsgehalt von 54.066,76 Euro pro Person. Das ist natürlich kompletter Unfug. Darauf weist auch der SPD-Abgeordnete Ulrich Kelber bei Twitter hin. Tatsächlich beträgt die Diät seit dem 1. Juli dieses Jahres monatlich 9.780,28 Euro.

Hinzu kommen noch weitere Posten, die jeder und jedem Bundestagsabgeordneten zustehen: etwas mehr als 20.000 Euro pro Monat für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bundestagsbüro zum Beispiel oder Erstattungen für Dienstreisen oder eine Kostenpauschale. Frank Schwabe (SPD) hat das auf seiner Website im Sinne der Transparenz mal aufgeschlüsselt.

Der Bericht des Rechnungshofes, auf den sich “Bild”-Autor Kai Weise bezieht, ist noch nicht veröffentlicht. Es gibt aber den gleichen Bericht für 2018. Dort findet man unter “Personalausgaben” den Punkt “Aufwendungen für Abgeordnete” (PDF, Seite 4). Im zweiten Haushaltsentwurf 2018 waren dafür 446,7 Millionen Euro vorgesehen — also nur etwas weniger als die 460 Millionen Euro, die Kai Weise für 2019 nennt. Diese “Aufwendungen für Abgeordnete” beinhalten auch die Diäten der Bundestagsabgeordneten, aber eben längst nicht nur.

Die falschen Diäten haben einige Redaktionen blind von “Bild” abgeschrieben. Beim Onlineauftritt der “Hannoverschen Allgemeinen” sind sie noch zu finden, genauso bei n-tv.de. “Spiegel Online” und Tagesspiegel.de hatten die Zahl ebenfalls übernommen, die Redaktionen haben sich aber inzwischen transparent korrigiert. Bei “Spiegel Online” steht nun am Ende des Artikels (ganz ähnlich bei Tagesspiegel.de):

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieser Meldung hieß es unter Berufung auf “Bild”, die Abgeordneten-Diäten würden sich 2019 auf 460 Millionen Euro summieren. Laut dem Entwurf des Bundeshaushalts für 2019 belaufen sich die Kosten für die Diäten der Bundestagsabgeordneten aber auf gut 81 Millionen Euro. Selbst wenn man Sach- und weitere Personalaufwendungen, die den Abgeordneten ebenfalls zustehen, addiert, kommt man laut Haushalt nicht auf 460 Millionen Euro für 2019. Wir haben die Stelle korrigiert.

Dennoch ist die falsche Diäten-Summe nun in der Welt. Wenn die Stammtischnörgler sich mal wieder über die da oben im Bundestag ärgern und dabei dann auch über die 460 Millionen Euro schimpfen, die die Politikerinnen und Politiker vermeintlich als Diäten kassieren, dann ist das der “Bild”-Redaktion zu verdanken.

Türkei-Festnahme, Shitstorm-Anatomie, Knausgårds Augen

1. Wenn Facebook-Beiträge zur Festnahme führen
(tagesspiegel.de, Claudia von Salzen)
Erneut ist ein Deutscher in der Türkei wegen des Verdachts der “Terrorpropaganda” festgenommen worden. Ihm wurden offenbar ältere Facebook-Beiträge vorgeworfen. Das Auswärtige Amt warne in seinen Reisehinweisen deshalb vor dem Verhaftungsrisiko bei Besuchen in der Türkei: “Ausreichend ist im Einzelfall das Teilen oder ‘Liken’ eines fremden Beitrags entsprechenden Inhalts.”
Weiterer Lesetipp: Anscheinend will die Türkei zahlreiche Webadressen sperren, darunter Social-Media-Konten von oppositionellen Politikern, Künstlern und linken Medien: Türkei will 136 Webseiten sperren (sueddeutsche.de, Christiane Schlötzer)
.

2. Anatomie eines deutschen Shitstorms
(spiegel.de, Sascha Lobo)
Sascha Lobo hat sich Gedanken über Entstehung und Ablauf eines typischen Shitstorms gemacht. Dazu hat er die Auseinandersetzung um die Aussagen eine Politikers in kleine Teile zerlegt: Von “Schritt 0: Die Ausgangslage” bis hin zu “Schritt 15: Das Finale”. Nicht wissenschaftlich belegt und überpointiert, dafür umso treffender.

3. Freies Wissen: EU-Kommission stellt ihre Publikationen unter offene Lizenzen
(netzpolitik.org, Maria von Behring)
Eine erfreuliche Nachricht für das freie Wissen: Die EU-Kommission gibt die meisten Veröffentlichungen unter einer sogenannten CC-BY-4.0-Lizenz frei. Damit darf jeder “das Material in jedwedem Format oder Medium vervielfältigen und weiterverbreiten und das Material remixen, verändern und darauf aufbauen und zwar für beliebige Zwecke, sogar kommerziell.” Die Bundesregierung hinke diesem fortschrittlichen Gedanken weiterhin hinterher: “Für die Publikationen und Dokumente von Ministerien, Behörden und Ressorts gibt es auf der Seite der Bundesregierung keinen Hinweis auf allgemein gültige, einheitliche Lizenzen. Die Rechte für Nutzung und Verbreitung der Inhalte hängen damit von den jeweiligen Herausgebenden ab.”

4. Frank Bsirske: An Demenz leiden
(klima-luegendetektor.de)
Lange Zeit machte sich Gewerkschaftsführer Frank Bsirske medial für Braunkohle stark und betrieb indirekt klimaschädliche Politik, nun unterstützt er Fridays for Future beim Kampf um einen besseren Klimaschutz. Ein Widerspruch, den die Betreiber vom “Klima-Lügendetektor” wie folgt kommentieren: “Natürlich billigen auch wir vom Klima-Lügendetektor Menschen die Einsicht auf dem Irrweg zu und begrüßen ihre Läuterung. Das allerdings setzt das Eingeständnis der Schuld voraus. Von Frank Bsirske ist davon nichts zu hören. Wenn er jetzt zu mehr Klimaschutz aufruft, will er offenbar die Fehler seiner Vergangenheit reinwaschen.”

5. Und niemand sagt “Heuschrecke”?
(freitag.de, Klaus Raab)
Der Finanzinvestor KKR will sich beim Axel-Springer-Verlag einklinken. Klaus Raab fragt sich, warum von Medien in diesem Zusammenhang nicht das beliebte Bild von der “Heuschrecke” verwendet wird, und mutmaßt: “Vielleicht passt aber ein anderes Bild heute besser als “Heuschrecke”: Finanzinvestoren sind wie ein Hybrid aus den grauen Herren aus Momo und Aufräum-Coach Marie Kondo. Sie konsumieren und misten aus. Und so werden sie dann Zahlen hochhalten und Friede Springer immer wieder fragen: ‘Willst du diese Puppe?’ Und zum klassischen Journalismusgeschäft: ‘Does it spark joy?'”

6. Knausgårds eisblaue Augen
(taz.de, Helena Werhahn)
Auf Twitter machen User und Userinnen einen Sport daraus, über Autoren zu schreiben, wie sonst Männer über Autorinnen schreiben. Das ist gleichzeitig lustig und entlarvend. Ein Beispiel gefällig? Güzin Kar fragt in einem fiktiven Intervieweinstieg den Thrillerautor Frank Schätzing: “Sie sehen blendend aus für Ihr Alter, Chapeau! Verraten Sie uns Ihre drei Must-Have-Körperpflege-Produkte, Frank Schätzing?”

Kritik an “Bild”, Gewalt und Übergriffe, Lauterbach

1. Wissenschaftsorganisationen üben scharfe Kritik an “Bild”
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Unter der Überschrift “Die Lockdownmacher” (Unterzeile: “Experten-Trio schenkt uns Frust zum Fest”) zeigte die “Bild”-Redaktion Fotos von drei Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen. Dazu wurden in der Print-Version drei weihnachtliche Geschenkpakete mit den Aufschriften “Geschenke-Kauf 2G”, “Familienfest nach Corona-Regeln” und “Kino-Verbot für Ungeimpfte” gezeigt. Darauf hat nun die Allianz der Wissenschaftsorganisationen mit einer Stellungnahme reagiert. Derartige Artikel könnten “zu einem Meinungsklima beitragen, das an anderer Stelle bereits dazu geführt hat, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sich physischer oder psychischer Gewalt ausgesetzt sahen oder mit ihr bedroht wurden. Solche Formen der Auseinandersetzung sind aus Sicht der Allianz in keiner Weise akzeptabel und widersprechen den Grundregeln einer freien und offenen Gesellschaft sowie den Grundprinzipien unserer Demokratie.”
Weiterer Lesehinweis: Auch die Berliner Humboldt-Universität hat mit einer Stellungnahme reagiert und zusätzlich beim Deutschen Presserat Beschwerde eingelegt.

2. Neue Normalität
(taz.de, Erica Zingher)
Journalistinnen und Journalisten haben es zunehmend schwerer, unbeschadet über “Querdenker”-Demos und Coronaleugner-Proteste zu berichten. Sie werden dort regelmäßig verbal und körperlich angegangen. Auch in den vergangenen Tagen gab es an verschiedenen Orten Attacken, teilweise aus dem rechtsextremen Spektrum. Erica Zingher kommentiert: “Wenn Jour­na­lis­t:in­nen von rechtsradikalen Gruppen gezielt angegriffen und bei ihrer Arbeit behindert werden, ist das nicht nur staatliches Versagen. Nicht nur die Polizei ist zu verurteilen, weil sie nicht ausreichend Schutz gewährleistete. Das Versagen fand schon viel früher statt, als es ein gewisser Teil der Gesellschaft akzeptabel fand, diese Menschen bei ihrem Protest mitlaufen zu lassen und ihre Anwesenheit ganz bewusst zu normalisieren.”
Weiterer Lesehinweis: Jörg Reichel von der Gewerkschaft DJU kritisiert, dass es bei Corona-Kundgebungen oft keine Konzepte zum Schutz der Berichterstattenden gebe, und nimmt die Polizei in die Pflicht: Hohe Risiken für Berichterstattende (deutschlandfunk.de, Christoph Sterz, Audio: 4:57 Minuten).
Außerdem: “Die ‘Querdenken’-Szene radikalisiert sich immer weiter. Gewalteskalationen bei den Demos der Maßnahmen-Kritiker:innen gehören mittlerweile zur Normalität. Bei einer Demo in Berlin am 4. Dezember griffen Neonazis wiederholt Journalist:innen an. In Wien waren Identitäre und Rechtsextreme treibende Kraft einer Demo mit mehr als 40.000 Teilnehmenden und griffen wiederholt Polizist:innen an” – Gewalt und Übergriffe bei Demos in Berlin und Wien (belltower-news.de, Stefan Lauer).

3. Wie Regierungssprecher Steffen Seibert die Pressefreiheit eingeschränkt hat
(freitag.de, Sebastian Friedrich)
Der scheidende Regierungssprecher Steffen Seibert hatte gestern seinen letzten Auftritt in der Bundespressekonferenz, bei dem er sich mit ein paar mahnenden Worten an die Hauptstadtpresse verabschiedete. Seibert erfährt für seine langjährige Tätigkeit viel Lob. Der Journalist Sebastian Friedrich hat jedoch ganz andere Empfindungen: “Für mich wird er als derjenige in Erinnerung bleiben, der 31 Kolleg*innen und mir 2017 die Presse-Akkreditierung für den G-20-Gipfel in Hamburg entzogen – und damit die Pressefreiheit eingeschränkt hat.”

Bildblog unterstuetzen

4. “Patriarchalisch geprägte Unternehmenskultur”
(sueddeutsche.de, Aurelie von Blazekovic)
In einem offenen Brief an den ZDF-Verwaltungsrat haben 200 Mitarbeiterinnen eine Parität in der Geschäftsleitung des Senders gefordert. “Süddeutsche”-Autorin Aurelie von Blazekovic ist der Frage nachgegangen, wie es bei den Spitzen der öffentlich-rechtlichen Sender um die Geschlechtergerechtigkeit steht.

5. Ampel-Koalition gegen Einschüchterungsklagen
(reporter-ohne-grenzen.de)
Ein Bündnis aus Medien- und Nichtregierungsorganisationen begrüßt das Vorhaben der Ampel-Koalition, europaweit Maßnahmen gegen Einschränkungen der Freiheitsrechte, zum Beispiel durch missbräuchliche Klagen (sogenannte SLAPPs), zu unterstützen. SLAPP ist die englische Abkürzung für eine strategische Klage gegen öffentliche Beteiligung (Strategic Lawsuit Against Public Participation). SLAPPs dienen dazu, Medienschaffende sowie Aktivistinnen und Aktivisiten einzuschüchtern und von ihrer Arbeit abzuhalten.

6. Die Talkshows müssen jetzt Trauer tragen…
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Joachim Huber beschäftigt sich in seiner Glosse mit dem Wechsel von Karl Lauterbach an die Spitze des Gesundheitsministeriums: “Die Talkshows müssen jetzt Trauer tragen. Ihr bester Gast, Publikumsliebling Karl Lauterbach, zieht aus den Fernsehstudios aus und im Gesundheitsministerium ein. Die Nachricht soll zu Panikattacken bei ‘Anne Will’ geführt haben, Markus Lanz will seiner Sendung am Dienstag im Karl-Lauterbach-T-Shirt vorsitzen, ‘Maybrit Illner’ ihren Talk am Donnerstag in ein Best-of-Karl verwandeln.”

“Bild” macht Neuanfang

“Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann greift hart durch: Er will bei der Beachtung der “journalistischen Standards” des Blattes in Zukunft kein Auge mehr zudrücken. Das sagte er anlässlich der Neubesetzung mehrerer Stellen in der Chefredaktion, die er als “Zäsur” bezeichnete. Seine “grundsätzlichen Überlegungen” waren ihm “so wichtig”, dass er sie zusätzlich per E-Mail an die “Bild”-Mitarbeiter schickte. In dem Brief, den die Fachzeitschrift “werben & verkaufen” veröffentlichte, lobt er die Bedeutung des Blattes, fährt aber fort:

Wo Licht ist, ist Schatten. Wo gearbeitet wird, da werden Fehler gemacht. Das heißt nicht, daß wo mit besonders großen Buchstaben gearbeitet wird, deshalb auch besonders große Fehler gemacht würden. Aber: In großen Buchstaben sind Fehler eben besonders eindrucksvoll und tun uns besonders weh. Gerade weil wir journalistischer Schrittmacher und Marktführer sind, werden wir sehr genau und kritisch beobachtet. Und deshalb müssen wir uns selbst und unsere Performance jeden Tag kritisch überprüfen.

Jeder Fehler ist ein Fehler zuviel! Lassen Sie mich ein paar Dinge unsortiert herausgreifen:

Wer sich bei heiklen Themen auf andere verläßt und keine eigenen Recherchen anstellt, paßt nicht zu uns. Übergeigte Überschriften, die vom Text nicht gehalten werden, haben in BILD nichts zu suchen. Texte, die man nicht versteht, Bildunterschriften, die lieblos hingerotzt werden, machen unsere Zeitung kaputt. Wer bei anderen abschreibt und dabei nicht mal in der Lage ist, Namen oder Fakten richtig abzuschreiben, gehört nicht zu BILD!

Was ich Ihnen hier beispielhaft sage, sind eigentlich selbstverständliche Standards. … Deshalb gilt bei der Beachtung unserer journalistischen Standards künftig: Null Toleranz! Qualität kommt von quälen. Und das erwarte ich von uns. Jeden Tag, immer wieder.

Wem die Bereitschaft fehlt, mit Lust, mit Liebe und mit Leidenschaft für BILD zu arbeiten, jeden Tag für das gesamte Blatt mitzudenken, der sollte sich prüfen, ob er bei uns wirklich richtig ist. In diese Kritik schließe ich jeden, der Führungsverantwortung trägt, vor allem und zu allererst mich, ein.

Der Antritt der neuen Mitglieder der Chefredaktion, fast vier Jahre, nachdem Diekmann “Bild”-Chefredakteur wurde, solle als ein “Neuanfang” begriffen werden, schrieb Diekmann:

Wenn alle mitmachen, werden die nächsten vier Jahre ganz sicher so erfolgreich wie die vergangenen vier Jahre.

Wir begrüßen den “Neuanfang”, weisen aber darauf hin, dass die verkaufte Auflage von “Bild” in den vergangenen vier Jahren um elf Prozent oder eine halbe Million Exemplare gesunken ist.

neu  

Recht und Gerechtigkeit

Gerechtigkeit ist für “Bild” eine wichtige Sache. Als am 30. Januar 1995 Walter Dräxler vom Vorwurf freigesprochen wurde, die 16-jährige Melanie aus Kulmbach ermordet zu haben, berichtete die “Bild”-Zeitung groß über den Fall und ließ wenig Zweifel daran, dass sie das Urteil für ungerecht hielt.

Melanie nach Disco erstochen -- Freispruch!

lautete eine “Bild”-Überschrift am 31. Januar 1995, die geschickt den Eindruck erweckte, als sei nicht ein Unschuldiger freigesprochen worden, sondern der Täter.

Am Tag darauf war das Thema der Aufmacher auf Seite 1 von “Bild”. Die Schlagzeile lautete:

Melanies Tod bleibt ungesühnt -- die Eltern: Gott, strafe ihren Mörder

Auf Seite 3 lautete die “Bild”-Überschrift:

Melanies Vater: “Wir haben auf Gerechtigkeit gehofft”

Auch im Artikel selbst erweckte “Bild” den Eindruck, man habe den Mörder laufen lassen müssen:

Jetzt steht fest: Kein Richter wird die Tat je sühnen. Der einzige Mordverdächtige mußte freigesprochen werden — aus Mangel an Beweisen.

Und was das Indiz angeht, das auf Dräxler als Täter hindeutete, war “Bild” an entscheidender Stelle ungenau:

Einziger Beweis: Faserspuren von Melanies Anorak klebten an seiner Jeansjacke. Ein Gutachter: “Sie könnten auch von einem anderen Anorak stammen.”

Tatsächlich klebten keine Faserspuren von Melanies Anorak an Dräxlers Jeansjacke. Der Freispruch war, auch wenn “Bild” damals den gegenteiligen Eindruck erweckte, richtig und gerecht. Walter Dräxler wurde Opfer eines Rufmordes, an dem nicht nur “Bild”, sondern auch die Polizei und andere Medien mitwirkten.

Das war vor zehn Jahren. Inzwischen hat ein anderer den Mord an Melanie gestanden: Stefan K. Gefasst wurde er, nachdem er im vergangenen Jahr ein weiteres junges Mädchen getötet haben soll: seine Nichte Julia. Beide Fälle werden seit gestern vor dem Landgericht Bayreuth verhandelt — und in “Bild” geht es deshalb wieder um Gerechtigkeit. In einem Kommentar schreibt Willi Schmitt:

Recht ist eine verzwickte Sache. Der Sache wird es manchmal nicht gerecht. Und zu oft leidet das Rechtsempfinden der normalen Menschen — sie verlieren allmählich das Vertrauen in die Justiz.

Für diesen angeblichen Vertrauensverlust ist die “Bild”-Zeitung maßgeblich mitverantwortlich. Diesmal deutet sie schon an, dass das Urteil nicht gerecht ausfallen werde, bevor es überhaupt gesprochen wurde. “Bild”-Kommentator Schmitt empört sich, dass der Fall vor der Jugendstrafkammer behandelt wird:

Also Jugendstrafrecht, höchstens 10 Jahre für zwei Morde.

Das ist falsch. Die Höchststrafe von zehn Jahren betrifft ausschließlich den Fall Melanie, zu dessen Zeitpunkt der Angeklagte noch ein Jugendlicher war. Um den Fall Julia wird es erst später im Prozess gehen, und auch eine Verurteilung nach Erwachsenenstrafrecht ist möglich. In diesem Fall droht ihm eine lebenslange Haft ohne Aussicht auf vorzeitige Entlassung. Erst in seinem Urteil entscheide das Gericht, welches Strafmaß den Angeklagten erwartet, sagte ein Gerichtssprecher: ob Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht angewandt wird oder eine Jugendstrafe plus eine Erwachsenenstrafe verhängt wird.

Die “Bild”-Zeitung ignoriert das: Sie hat das Wort “zunächst” im Zusammenhang mit der Verhandlung nach Jugendstrafrecht, das sich in fast allen anderen Berichten zum Prozess findet, in ihrem Kommentar und dem zugehörigen Artikel einfach weggelassen.

“Bild”-Kommentator Schmitt reimt zum Finale fröhlich:

Zu Ende gedacht hieße das doch: Stell als Jugendlicher was an, dann bist du später vor Gericht viel besser dran.

Das ist nicht nur falsch, das ist grotesk irreführend.

Die Überschrift über Schmitts Kommentar lautet übrigens:

Gerechtigkeit, aber für die Opfer!

Das ist ein merkwürdiges Verständnis von Gerechtigkeit. Es hätte vor zehn Jahren beinahe einen Unschuldigen ins Gefängnis gebracht.

Ungeprüft übernommen (1)

Okay, eigentlich ist es wohl ein Fehler der Nachrichtenagentur AFP. Deren deutschsprachiger Dienst berichtete nämlich am Dienstag über die (notwendige) “Entrümplung” britischer Gesetze. Einen aktuellen Anlass für die Meldung gab es nicht. Britische Medien hatten vor knapp einem Jahr über das 40-jährige Bestehen der für die “Entrümplung” zuständigen Law Commission berichtet und vor knapp zwei Monaten über eine sachdienliche Ausstellung der Law Society.

Dennoch übernahmen verschiedene deutschsprachige Medien die AFP-Meldung. Und darin heißt es u.a. (und mit Verweis auf das 2004 erschienene Buch “The Strange Laws of Old England” von Nigel Cawthorne) über den so genannten “Town Police Clauses Act”:

“Er verbietet es, Wäsche auf der Straße auszubreiten, Teppiche auszuschlagen, anzügliche Lieder zu singen, ohne Grund die Feuerwehr zu rufen, im Garten zu zündeln, Drachen steigen zu lassen, auf dem Eis zu laufen, ständig an der Türe anderer Leute zu klingeln oder öffentliche Lampen auszumachen.”

Und das ist so nicht ganz richtig. Denn der Act (von dem AFP zudem behauptet, er sei “von 1872”, obwohl er eigentlich aus dem Jahr 1847 stammt) verbietet nirgends, “ohne Grund die Feuerwehr zu rufen”, sondern Schusswaffen abzufeuern (wie vor drei Wochen auch noch die französische AFP korrekt zu berichten wusste).

Heute aber, mit drei Tagen Verspätung, findet sich das alles auch im Angebot von Bild.de wieder — in redaktionell bearbeiteter Form, also unter Verzicht auf jegliche Quellenangabe (und den Cawthorne-Verweis). Stattdessen behauptet Bild.de in der Rubrik “Zum Ablachen” über “Gesetze, die die Welt nicht braucht”:

Verrückte Gesetze der Briten -- Es ist ebenfalls untersagt, ohne Grund die Feuerwehr zu rufen. („Town Police Clauses Act“ von 1872)

Aber wer weiß: Womöglich liegen Bild.de-Redakteure auch bei der Lektüre von §145 StGB unterm Tisch und kriegen sich nicht ein vor Lachen.

Mit Dank an Beate T. und Nikolai S. für die Hinweise.

Nachtrag, 11.3.2006: Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass heute, einen Tag nach der verzögerten, fehlerhaften Berichterstattung bei Bild.de, auch Spiegel Online die fehlerhafte AFP-Meldung ungeprüft übernommen* hat.

*) Nur zur Info: Der Presserat ist der Ansicht, dass eine Zeitung darauf vertrauen können müsse, “dass das, was eine Nachrichtenagentur verbreitet, auch inhaltlich richtig ist. Die pressegemäße Sorgfalt verlangt demnach keine eigene Überprüfung des Wahrheitsgehaltes mehr.”

Heino ist tot (Arbeitstitel)

Die “Bild”-Zeitung arbeitet anders als andere Medien, und manchmal erschrickt sie ein bisschen, wenn sie es selbst merkt.

Gestern hat “Bild”-Redakteur Mark Pittelkau offenbar zum ersten Mal erfahren, dass bei anderen Medien vorbereitete Nachrufe auf diverse noch sehr lebendige Persönlichkeiten bereit liegen, die sie bei einem unerwarteten Todesfall schnell veröffentlichen können. Das ist Alltag in vielen Redaktionen, auch bei der von ARD-aktuell, die die “Tagesschau” und die “Tagesthemen” produziert. Die Personen, die so wichtig sind, dass für sie ein Nachruf zu Lebzeiten produziert wird, stehen dort auf der “XY-Liste”. “X” steht für Leute, bei deren Tod das Programm sofort unterbrochen wird (Bundespräsident, Kanzler), “Y” für Menschen, die nach ihrem Tod in den “Tagesthemen” gewürdigt werden sollen. Geheim ist die Existenz dieser Liste nicht; der “Stern” hat 1978 schon mal alle 250 damals dort verzeichneten Namen veröffentlicht.

Jedenfalls gilt auch der Schlagersänger Heino der ARD als wichtig genug für einen Nachruf, wovon dessen Manager in diesen Tagen erfuhr. Und weil Heino, wie die “Bild”-Zeitung ausführlich berichtete, vor drei Wochen einen Zusammenbruch hatte, im Krankenhaus liegt und angeblich sogar “Todesangst” hatte, rührte Mark Pittelkau daraus schnell einen hübschen Aufreger über die “makabere” und womöglich “pietätlose” Praxis der ARD an:

KRANKER VOLKSMUSIK-STAR ENTSETZT: ARD arbeitet schon an Heinos Nachruf!

“Ganz offenbar hat die Nachruf-Produktion bei der ARD Methode”, schrieb Pittelkau zutreffend, aber erstaunlich erstaunt. Und weil der zuständige NDR-Sprecher “Bild” dazu offenbar nichts sagen wollte, zitierte Pittelkau stattdessen aus einem Eintrag von ARD-aktuell-Chefredakteur Kai Gniffke im Tagesschau-Blog vor ein paar Monaten, in dem der die Praxis ausführlich erläuterte. (Trotz der schriftlichen Vorlage schaffte Pittelkau es übrigens nicht, Namen und Funktion Gniffkes korrekt abzuschreiben.)

Dafür, dass Heino “entsetzt” ist, gibt es in “Bild” übrigens keine Anzeichen. Er sei im Giftschrank mit den anderen vorproduzierten Nachrufen doch in bester Gesellschaft: “Ganz offensichtlich kommen da ja nur Hochkaräter rein”, sagte er laut “Bild”.

Außer Heino befinden sich dort nach unseren Informationen u.a. Madonna, Jogi Löw und sämtliche Ministerpräsidenten.

Kai Diekmann ist nicht dabei.

(Auch das Online-Medienmagazin DWDL staunt ausführlich über diesen “journalistischen Totalausfall”.)

Was Kai Diekmann nicht sagt

“Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann hat der Schweizer “Weltwoche” ein Interview gegeben. Es ist so mittelinteressant, aber auf die Frage, warum Diekmann im Jahr 2002 die vermeintlichen Enthüllungen über eine Sex-Affäre des damaligen Schweizer Botschafters Thomas Borer mit der Parfümverkäuferin Djamile Rowe abgelehnt habe, antwortet der “Bild”-Chef bloß:

Die Geschichte betraf Vorgänge, die ausschliesslich zwischen dem Botschafter und seiner Frau zu diskutieren waren.

Mehr hat Diekmann dazu nicht zu sagen.

Diekmann sagt nicht, dass — nachdem der Schweizer “Sonntags-Blick” am 31. März 2002 die angebliche Affäre Borers enthüllt hatte — auch “Bild” und “Bild am Sonntag” detailliert und groß berichteten (u.a. am 2., 3., 4., 5., 6., 7., 8., 11., 12., 13., 14., 15., 17., 25., 28. und 29 April). Diekmann sagt nicht, dass “Bild” immer wieder “Freunde” des Botschafterpaars zitiert und z.B. einen “BILD-Medizinexperten” zu einer mutmaßlichen Fehlgeburt von Borers Ehefrau Shawne Borer-Fielding befragt hat. Diekmann sagt nichts über “Bild”-Schlagzeilen wie “Botschafter-Affäre! Jetzt spricht die schöne Gattin” (“Martin S. Lambeck störte sie beim Urlaub auf Mauritius”) oder darüber, dass die “BamS” anschließend schrieb: “Als BamS Thomas Borer kurz nach seiner Ankunft zu Hause auf dem Handy erreichte, wirkte er resigniert.”

Und Diekmann sagt nichts über Alexandra Würzbach. Wir schon:

Schließlich ist Alexandra Würzbach die Autorin des Artikels im “Sonntags-Blick”, der die vermeintliche Sex-Affäre öffentlich machte (siehe Ausriss) — und den die “NZZ” später als ein “mit perfidem ‘Textdesign’ und skrupellosen Verhörmethoden” angerichtetes “Schmierenstück” bezeichnen sollte. Aber der Reihe nach…

Würzbach hatte, wie übrigens auch ihr Mann Ralph Große-Bley, zuvor bei Axel Springer gearbeitet: Große-Bley bei “Bild”, Würzbach bei der Berliner “Bild”-Schwester “B.Z.”, wo sie vom damaligen Chefredakteur Franz Josef Wagner den Auftrag hatte, die Ehefrau des schweizer Botschafters “zur Society-Königin von Berlin hochzuschreiben”, wie es der heutige “BILD-Royal”-Kolumnist Alexander von Schönburg damals für die “Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung” formulierte. 2002 dann arbeiteten beide für den “Sonntags-Blick”: Große-Bley als stellvertretender Chefredakteur, Würzbach als Berlin-Korrespondentin. (Von Schönburg schrieb: “Das Ehepaar Borer-Fielding war eigentlich das einzige Thema, über das sie nach Zürich berichtete.”)

Und vielleicht erinnern wir uns kurz, dass die “Sex-Affäre” im Juli 2002 eine, nun ja, überraschende Wende nahm: Djamile Rowe, inzwischen zum “Botschaftsluder” avanciert, widerrief vor Gericht ihre Affären-Behauptung komplett und behauptete stattdessen, “Sonntags-Blick”-Reporterin Würzbach habe ihr “ständig ein solches Verhältnis einzureden” versucht (“Sie skizzierte für mich ein Horrorszenario, wenn ich eine sexuelle Beziehung in Abrede stellen werde.”) und viel Geld geboten, was anschließend wiederum Würzbach bestritt. (Mehr dazu siehe Kasten.)

Die “Bild”-Zeitung zitierte am 8. Juli 2002 unter der Überschrift “Alles Lüge” aus einer Eidesstattlichen Versicherung Rowes und drückte bereits fünf Tage später eine “Gegendarstellung” Würzbachs, in der es hieß:

“Richtig ist, dass ich nicht versucht habe, Frau Rowe ein Verhältnis mit Dr. Borer einzureden. Ich habe keinen psychischen Druck auf Frau Rowe ausgeübt und ihr auch keinen hohen Geldbetrag dafür angeboten.”

“Bild” kommentierte die Gegendarstellung damals mit den Worten:

“Das Presserecht verpflichtet uns zum Abdruck dieser Gegendarstellung. Egal, ob sie wahr oder unwahr ist.”

Übrig blieb von Würzbachs “Sex-Skandal” schließlich nur das öffentliche Eingeständnis des Ringier-Verlags, dass Würzbach mit Rowe ein “Informationshonorar” von 10.000 Euro ausgehandelt habe — und das Ende von Würzbachs Karriere beim “Sonntags-Blick”. Im Juli 2002 bat sie um Entlassung aus ihrem Arbeitsverhältnis. Denn “psychischer Druck” und “Informationshonorar” waren nicht die einzigen Vorwürfe gegen die Journalistin. Ringier gab außerdem zu, dass Würzbach sich einige Nacktfotos von Rowe, die zehn Jahre zuvor in der “Super-Illu” zu sehen waren, widerrechtlich (offenbar unter dem Vorwand, für eine Reportage über Ostdeutschland zu recherchieren) im “Super-Illu”-Archiv besorgt bzw. zur Bebilderung ihrer vermeintlichen Enthüllungen abfotografiert habe. Dem “Sonntags-Blick” habe sie jedoch anschließend gesagt, die Frage der Rechte der Bilder sei geklärt.

Und weiter? Weiter nichts: Anschließend bekam Alexandra Würzbach (wie übrigens auch ihr Mann Große-Bley) einen Job bei “Bild”.

Schon im Januar 2003 erschienen wieder Artikel unter ihrem Namen in “Bild”, Artikel mit Überschriften wie “Meine Nacht mit Paris Hilton: BILD-Reporterin Alexandra Würzbach feierte mit dem Party-Girl in Cannes” oder “Hat Paris Hilton ein Kleid von Berliner Mode-Designer geklaut?” Besonders beeindruckt hat uns jedoch auch diese kleine Fortsetzungsgeschichte aus dem vergangenen Jahr. Da berichtete Würzbach zunächst über “Deutschlands schönste Knast-Wärterin” und schrieb neben ein großes Nacktfoto von Nicole G., dass sich männliche Häftlinge vor ihr exhibitionieren, weibliche sie hingegen als “Nutte, Schlampe, Lesbe” beschimpfen würden, denn:

Seit 11 Jahren ist sie hinter Gittern. Aber jetzt packt sie aus!

(…) Nicole ist “Misses Schleswig-Holstein”, zeigt ihren Körper gern: “Ich will zeigen, dass auch ‘normale’ Frauen nach der Schwangerschaft wieder eine Top-Figur… [usw. usf.]

Besonders beeindruckt hat uns das, weil Würzbach zwei Tage später unter der Überschrift “So haben die BILD-Fotos mein Leben verändert” schrieb:

Elf Jahre hinter Gittern, das reicht. Deutschlands schönste Knastwärterin will endlich raus. Nicole G. (33) wandert aus.

Am Dienstag entblätterte sich die zweifache Mutter in BILD, berichtete von ihrem Arbeitsalltag als Justizvollzugsbeamtin im Hamburger Untersuchungsgefängnis. Nun packt sie die Koffer. “Ich ziehe nach Neuseeland, ans schönste Ende der Welt. (…) Ich habe meinen Arbeitgeber um Freistellung, also unbezahlten Urlaub, für sechs Jahre gebeten”, erklärt Nicole. “Ich (…) war lange genug der Prügelknabe für alle. Viele Insassen behandeln einen schlecht, beschimpfen die Wärter (…). Auf Dauer macht mich das krank.”

Vielleicht kommt Nicole G. mit der Auswanderung auch einer Kündigung zuvor. Denn: “Die Justizbehörde ist von solchermaßen geschaffenen ,nackten Tatsachen nicht begeistert. (…)

Aber worum ging’s noch mal eigentlich? Ach ja, darum, dass Diekmann im “Weltwoche”-Interview auf die Frage, warum er damals die Borer-Story ablehnt habe, nicht geantwortet hat:

Im Grunde hatten wir Glück. Die Geschichte betraf Vorgänge, die ausschliesslich zwischen dem Botschafter und seiner Frau zu diskutieren waren (lacht). Aber wir haben das Ganze ja auch so in aller gebotenen Ausführlichkeit begleitet und konnten uns, als sich die Sache als fatale Falschmeldung herausstellte, sogar guten Gewissens weit aus dem Fenster lehnen. Anschließend haben wir dann übrigens die für das Fiasko verantwortliche Autorin bei “Bild” eingestellt. Erst kürzlich ist sie ja mit mir ins indische Dharamsala gefahren, um den Dalai Lama zum BILD-Exklusiv-Interview zu treffen.

Aber vermutlich hätte das den Rahmen des “Weltwoche”-Interviews gesprengt. Schließlich geht’s darin ja eigentlich um Diekmanns neues Buch. Es trägt den Titel “Der große Selbstbetrug”.

Über das Wunder von Copy & Paste

“Bild am Sonntag”-Kolumnist Peter Hahne schreibt in seinen “Gedanken zum Sonntag” nicht nur zeitlose Zeilen. Nein, er schreibt sie auch immer wieder:

Über Fragen aus dem Strandkorb und die Antworten zu Pfingsten

(…) Die Bibel berichtet von der uralten Geschichte, die sich vor rund 2000 Jahren ereignete. Nach Tod und Auferstehung von Jesus Christus waren seine Anhänger verunsichert und zogen sich in Jerusalem in ihre Häuser zurück.

Doch dann, eben nach diesen fünfzig Tagen, kam die Wende. Die Jünger bekamen wieder Mut und wagten sich in die Öffentlichkeit. Das taten sie jedoch nicht aus eigener Kraft, sondern erfüllt vom Heiligen Geist, vom Geist Gottes.

Die Bibel fasst das in folgendes Bild: Vom Himmel kam ein Brausen, und über ihren Köpfen erschienen Feuerzungen. Die Menschen strömten zusammen und hörten die Jünger predigen. Das Wunder: Jeder Besucher der Multikulti-Hauptstadt Jerusalem hörte sie in seiner eigenen Sprache reden. (…)

(“BamS”-Pfingstausgabe 2003)

Über die Kirche an Pfingsten und ihren vergessenen Geburtstag

(…) Die Bibel erzählt die uralte Geschichte, die sich vor rund 2000 Jahren ereignete: Nach Tod und Auferstehung von Jesus Christus waren seine Anhänger verunsichert und zogen sich in Jerusalem in ihre Häuser zurück.

Doch dann – eben nach diesen 50 Tagen – die Wende: Die Jünger bekamen wieder Mut und wagten sich in die Öffentlichkeit. Das taten sie nicht aus eigener Kraft, sondern erfüllt vom Heiligen Geist – vom Geist Gottes.

Die Bibel zeichnet dazu folgendes Bild: Vom Himmel kam ein Brausen, und über ihren Köpfen erschienen Feuerzungen. Die Menschen strömten zusammen und hörten die Jünger predigen. Das Wunder: Jeder Besucher der “Multikulti-Hauptstadt” Jerusalem verstand sie in seiner eigenen Sprache! (…)

(“BamS”-Pfingstausgabe 2006)

Über den Sinn von Pfingsten und den Beginn einer Mission

(…) Die Bibel erzählt die uralte Geschichte, die sich vor rund 2000 Jahren ereignete: Nach Tod und Auferstehung von Jesus Christus waren seine Anhänger verunsichert und versteckten sich in ihren Häusern in Jerusalem.

Doch dann – eben nach diesen 50 Tagen – die Wende: Die Jünger bekamen wieder Mut und wagten
sich in die Öffentlichkeit. Das taten sie nicht aus eigener Kraft, sondern erfüllt vom Heiligen Geist – vom
Geist Gottes. Eine Kraft, die wir uns selber nicht geben können. Eine Kraft, die uns wieder auf die Beine hilft, wenn wir resignieren, die uns im Leid tröstet und in Verzweiflung
Zuversicht und Hoffnung schenkt.

Die Bibel zeichnet dazu folgendes Bild: Vom Himmel kam ein Brausen, und über ihren Köpfen erschienen Feuerzungen. Die Menschen strömten zusammen und hörten die Jünger predigen. Das Wunder: Jeder Besucher der “Multi-Kulti-Hauptstadt” Jerusalem verstand sie in seiner eigenen Sprache! (…)

 
(“BamS”-Pfingsausgabe 2007)

Über das Wunder von Pfingsten und den Zauber des Verstehens

(…) So kann es an Pfingsten vor 2000 Jahren auch gewesen sein. (…) Weniger zum Feiern zumute war den Jüngern von Jesus Christus, denn nach Karfreitag und Ostern waren seine Anhänger verunsichert und versteckten sich in ihren Häusern.

Doch dann, 50 Tage nach Ostern, die Wende: Die Jünger wagen sich in die Öffentlichkeit und haben plötzlich den Mut, von ihrem Glauben zu erzählen. Das taten sie nicht aus eigener Kraft, sondern erfüllt vom Heiligen Geist – vom Geist Gottes.

Die Bibel zeichnet ein plastisches Bild von diesem Pfingstwunder. Vom Himmel kam ein Brausen, und über den Köpfen der Jünger erschienen Feuerzungen. Tausende strömten zusammen, Menschen mit unterschiedlichen Sprachen, Hautfarben und Kulturen. Die Jünger erzählten in ihrem galiläischen Dialekt vom auferstandenen Jesus Christus. Doch was die Leute am meisten erstaunte: Jeder Besucher der Multi-Kulti-Hauptstadt Jerusalem verstand sie in seiner eigenen Sprache! (…)

(“BamS”-Pfingstausgabe 2008)

Da bekommt die “BamS”-Behauptung “BILD-am-SONNTAG-Leser wussten es zuerst!” doch eine ganz neue Bedeutung.

RTLs Pädophilie-Jagd auf Unschuldige, Bockige Satireopfer, Schul-Werbung

1. Lynchjustiz: Beide Männer sind unschuldig
(tagesspiegel.de, Eckhard Stengel)
Der Fernsehsender RTL hat mit seiner Lockvogel-Aktion zur Überführung von Pädophilen einiges angerichtet: Nicht nur der von selbsternannten Rächern in Bremen überfallene angebliche Täter sei völlig unschuldig, sondern offenbar auch derjenige Mann, der im RTL-Magazin “Punkt 12” unter Pädophilie-Verdacht gestellt wurde. Nun gibt es ein Vorermittlungsverfahren, aber nicht gegen irgendwelche angeblichen Pädophilie-Verdächtigen, sondern gegen die Verantwortlichen bei RTL.

2. Der “Grubenhund” der Titanic: Satire darf alles
(blog.ard-hauptstadtstudio.de, Marko Milovanovic)
Auf relativ unaufwendige Weise streute der “Titanic”-Mitarbeiter Moritz Hürtgen die Falschmeldung von der angeblichen Trennung von CSU und CDU. Nachdem sich das Ganze als Fake herausstellte, setzte bei einigen schludrig arbeitenden Medien nicht etwa Scham und Selbstkritik ein. Im Gegenteil: Es hagelte Kritik und Empörung wegen einer “Manipulation”, die weder “witzig” noch “Satire” sei. Marko Milovanovic erklärt, warum die Aktion durchaus Satire war, was die Medien daraus lernen sollten und empfiehlt den Betroffenen zu guter Letzt etwas mehr Humor.

3. „Ich kam mir wie ein Beichtvater vor“
(taz.de, Jan Pfaff & Ulrich Schulte)
Der Politikjournalist Günter Bannas war vierzig Jahre Parlamentskorrespondent der “FAZ”. Die “taz” hat sich mit der Koryphäe des politischen Journalismus über Freundschaft, Machtkämpfe und Auslandsreisen mit Kanzlern unterhalten.

4. „Denn sie wissen nicht, was sie tun“
(peter-hausmann.net)
Der Journalist Peter Hausmann war einige Jahre Sprecher der Bundesregierung und Chef des Bundespresseamtes sowie von 2008 bis 2014 Chefredakteur des “Bayernkurier” der CSU. Nach seinem Ausscheiden hat er sich nach eigener Aussage nicht mehr öffentlich zur CSU und ihrem Führungspersonal geäußert. Dieses sich selbst auferlegte Schweigegelübde hat Hausmann nun wegen der aktuellen Umstände gebrochen.

5. Dauerwerbesendung
(sueddeutsche.de, Christiane Schlötzer)
In der Türkei finden nächsten Sonntag die Präsidentschaftswahlen statt. Dementsprechend hochtourig und unausgeglichen läuft die Wahlpropaganda: Die regierende AKP und die nationalistische Partnerpartei MHP hatten in den ersten drei Wahlkampfwochen 37 Stunden Sendezeit, die gesamte Opposition gerade mal 3 Stunden. Christiane Schlötzer berichtet über eine Zeit in der Türkei, in der die Medien nur noch ein Thema und einen Kandidaten kennen.

6. Ist DIE ZEIT reif für Werbung an den Schulen?
(gutjahr.biz)
Werbung an Schulen ist in Deutschland verboten. Eigentlich. Doch uneigentlich mogeln sich Medien und Unternehmen trickreich in die Bildungsanstalten, wie Richard Gutjahr feststellte, als man ihn um eine Abdruckgenehmigung eines Artikels bat.

Tell him that they don’t like Mondays

Alfred Draxler hat’s nicht leicht.

Ausriss Bild-Zeitung - Ich fühle mich nur noch als Fan zweiter Klasse!

Der “Bild”-Sport-Chefkolumnist schrieb am Samstag:

Die 2. Liga hat beschlossen, ihr Montagsspiel, das seit 1993 zur Tradition geworden ist, wieder abzuschaffen.

Zurückzuführen ist dies auf massive Proteste der Fans in der Kurve, die Montagsspiele grundsätzlich ablehnen. Und kritisieren, dass die Anhänger der Auswärtsmannschaft aus logistischen Gründen benachteiligt werden.

Ich mag diese Spiele am Montagabend. Ich schaue sie mir zu Hause auf dem Sofa oder in einer Sky-Kneipe an. Aber ich bin wegen der Abschaffung nicht gefragt worden. Und deshalb fühle ich mich nur noch als Fan 2. Klasse.

Hach ja, so ein gemütlicher Fernsehabend auf der Couch. Was beklagen sich die rund 2000 Anhängerinnen und Anhänger des FC St.Pauli beispielsweise eigentlich, die gestern bei wenigen Grad im Stadion in Bochum standen, nachdem sie tagsüber, an einem Montag, 350 Kilometer aus Hamburg bis in den Ruhrpott gefahren sind und bevor sie spätabends 350 Kilometer wieder zurück nach Hamburg fahren mussten, um es heute zur Arbeit zu schaffen?

Nun kann man gegen Alfred Draxlers Gefühlswelt erstmal nichts sagen. Aber gegen seine abenteuerliche Argumentation:

Dabei sind wir doch eindeutig in der Mehrheit. Das Spiel HSV gegen Köln haben an einem Montagabend bei Sky 505 000 Zuschauer gesehen. Die gesamte 2. Liga bringt es bei neun Partien pro Spieltag durchschnittlich “nur” auf 175 000 Stadionbesucher.

Weil viele Fußballfans am Montagabend den Fernseher einschalten, wenn dort die 2. Liga läuft, soll das automatisch bedeuten, dass sie es befürworten, dass die Spiele am Montagabend stattfinden? Es bräuchte mal eine Umfrage, in der Fans — ob nun Kurvensteher oder Draxlers Sofa-Kompagnons — sagen könnten, was sie von den Montagsspielen halten …

Moment, die gibt’s ja! Der Verein FC PlayFair!, der “kicker” und das Deutsche Institut für Sportmarketing haben im Februar dieses Jahres die Ergebnisse einer gemeinsamen Umfrage präsentiert. Und die waren eindeutig: Das Spiel am Montagabend um 20:30 Uhr lehnen 91,4 Prozent der 186.254 Fans, die teilgenommen haben, ab. Die restlichen 8,6 Prozent bilden Alfred Draxlers “eindeutige” “Mehrheit”.

Mit Dank an Patrick B. für den Hinweis!

Nachtrag, 16:46 Uhr: Die von uns verlinkte Umfrage von FC PlayFair!, “kicker” und dem Deutschen Institut für Sportmarketing bezieht sich auf die Anstoßzeiten in der 1. Fußball-Bundesliga. Es ist sicher nicht auszuschließen, dass unter den 186.254 Teilnehmern auch Anhänger von Vereinen der 2. Bundesliga waren. Die Montagsspiele in der 2. Bundesliga starten ebenfalls um 20:30 Uhr.

In Alfred Draxlers Text geht es außerdem auch um die beschlossene Abschaffung der Montagsspiele in der 1. Bundesliga.

Mit Dank an @gerth_micha für den Hinweis!

Neues armes Deutschland, Sein Name: Yannic Hendricks, Netflix-Codes

1. So kann es nicht weitergehen
(spiegel.de, Sascha Lobo)
“Spiegel Online”-Kolumnist Sascha Lobo macht es wütend, auf welche Weise viele Medien über Themen wie Brexit, Donald Trump oder die AfD berichteten: “Der Aufstieg der autoritären Kräfte weltweit wäre ohne Medien nicht möglich gewesen, und zwar sowohl sozialer wie redaktioneller Medien. Die Verantwortung für eine weitere Stärkung der Rechten, Rechtsextremen, Autoritären liegt zum guten Teil bei ebendiesen Medien.” Diese tappten in immer die gleichen Fallen: False Balance, Agenda Cutting und strukturelle Verharmlosung.

2. Armes Deutschland
(taz.de, Anne Fromm)
Um die linke Tageszeitung “neues deutschland” steht es bereits seit vielen Jahren schlecht, doch jetzt scheint die Lage ernst wie nie zuvor. Anne Fromm nimmt sich in der “taz” Raum und Zeit, um etwas von der Geschichte und der komplizierte Struktur des “nd” zu erzählen und die aktuellen Schwierigkeiten zu erklären.

3. BuzzFeed News darf den Namen von Abtreibungsgegner Yannic Hendricks weiterhin nennen
(buzzfeed.com, Juliane Loeffler)
Das Landgericht Düsseldorf hat eine Klage des Abtreibungsgegners Yannic Hendricks gegen “BuzzFeed News Deutschland” zurückgewiesen. Das Internetportal hatte den Namen des Mannes genannt, der viele Ärztinnen und Ärzte angezeigt hat, die auf ihrer Website angeben, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Hendricks wollte anonym bleiben und ging mit einer Unterlassungserklärung gegen die Namensnennung vor. Nun wurde der Antrag abgelehnt. “BuzzFeed News” hat die gesamte Urteilsbegründung in den Beitrag eingebettet. Ob es zu einem Berufungsverfahren kommt, sei derzeit noch offen.

4. Facebook investiert 300 Millionen Dollar in Journalismus
(heise.de, Andreas Wilkens)
300 Millionen US-Dollar will Facebook in den kommenden drei Jahren in Nachrichtenprogramme, Partnerschaften und Inhalte investieren, “mit einem großen Schwerpunkt auf Lokalnachrichten”. Dazu werde man mit Nachrichtenorganisationen zusammenarbeiten und diese mit Produkt- und Technikteams vernetzen, um bereits in einer frühen Phase der Produktentwicklung “den Bedürfnissen der Menschen auf Facebook besser gerecht zu werden”. Schließlich wolle man Verleger “nicht von uns abhängig machen, sondern unterstützen”.

5. Islamismus-Experte auf Abwegen
(faktenfinder.tagesschau.de, Volker Siefert)
Hat der Frankfurter Journalist Shams Ul-Haq, wie von ihm behauptet, undercover in mehr als 100 Moscheen die Radikalisierung von Muslimen aufgedeckt? Der ARD-“Faktenfinder” ist skeptisch und verweist auf die Widersprüche, in die sich Shams Ul-Haq verstrickt habe.

6. Ich will doch nur einen Film sehen!
(faz.net, Julia Bähr)
Die “FAZ”-Redakteurin Julia Bähr spricht vielen Netflix-Zuschauern aus dem Herzen, wenn sie die Nutzerführung des Streamingportals als “katastrophal” bezeichnet. Doch sie hat ein Gegenmittel parat: Die im Internet kursierenden Listen, mit deren Hilfe man das System überlisten kann.

Die “Österreich”-Affäre, Missstände im “Zockerhaus”, Lesch gendert

1. Die “Österreich”-Affäre
(falter.at, Florian Klenk)
Mögliche Scheinrechnungen und Chats legen den Verdacht nahe, dass Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz im Zusammenhang mit einem System steht, das die öffentliche Meinung mit frisierten Studien manipuliert und wohlwollende Berichterstattung in Boulevardmedien gekauft haben könnte. Dafür könnten über eine Million Euro Steuergeld verwendet worden sein. “Falter”-Chefredakteur Florian Klenk erklärt die Hintergründe eines “beispiellosen Kriminalfalls”, der derzeit Österreich erschüttert.

2. Schwulenfeindliche Entgleisungen
(sueddeutsche.de, Clara Meyer)
Die Realityshow “Das Zockerhaus” bei ZDFtivi soll eigentlich den Freundschaftsgedanken fördern, stecke jedoch voller sexistischer und schwulenfeindlicher Klischees, schreibt Clara Meyer: “Die Missstände in Das Zockerhaus werden in einem offenen Brief an das ZDF vom Verein klische*esc, der sich für Gleichberechtigung einsetzt, kritisiert. Die schwulenfeindlichen und sexistischen Bestrafungen hätten das ‘Ziel, die Männlichkeit der jungen Protagonisten in Frage zu stellen … Dadurch werden nicht nur die Protagonisten herabgesetzt, sondern insgesamt Frauen* und Homosexuelle’, heißt es in dem Brief. Dem ZDF droht nun der Negativpreis ‘Der Goldene Zaunpfahl’, den der Verein für ‘absurdes Gendermarketing’ verleiht.”

3. DW-Korrespondenten werden aufgenommen
(verdi.de)
Der Deutschen Welle ist es gelungen, neun Korrespondenten und eine Korrespondentin sowie deren Familien aus Afghanistan zu evakuieren. Nun stellen die Städte Köln und Bonn den Evakuierten Unterkünfte zur Verfügung, bis die Deutsche Welle Wohnungen für sie gefunden hat.

Bildblog unterstuetzen

4. Her mit Gesetzen!
(zeit.de, Heinrich Wefing)
Es reiche nicht, sich über den rücksichtslosen Konzern Facebook zu empören – Deutschland müsse dagegen vorgehen, findet Heinrich Wefing: “Die Bürgerrechte sichern, den digitalen Raum zivilisieren, die Menschen vor der Macht der Tech-Giganten schützen – das wäre ein lohnendes Projekt für eine Ampelkoalition. Gegen die Herrschaft der Konzerne, für Freiheit durch Regeln. Es könnte das Markenzeichen eines avantgardistischen Liberalismus werden.”
Weiterer Lesehinweis: Bundesjustizministerin Christine Lambrecht verlangt eine stärkere Regulierung Sozialer Netzwerke, und auch in der EU gebe es Pläne für strengere Regeln (spiegel.de).

5. Vielfalt im TV: Ein bisschen besser, aber noch nicht genug
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Am 5. Oktober hat Elizabeth Prommer vom Institut für Medienforschung der Universität Rostock die Ergebnisse einer aktuellen “Fortschrittsstudie zur audiovisuellen Diversität” (PDF) vorgestellt. Darin geht es nicht nur um Frauen, sondern auch um die Darstellung von Menschen mit Behinderungen, ethnischen Herkünften, Personen mit Migrationshintergrund sowie Menschen aus der LGBTQ-Community. Timo Niemeier fasst die wichtigsten Erkenntnisse zusammen.

6. “Mehr als Ideologie”: Harald Lesch entkräftet Argumente gegen das Gendern
(rnd.de)
“Man muss es schlicht anerkennen, dass es beim Gendern um mehr geht als Ideologie. Eine männlich geprägte Sprache trägt nachweislich zu einem männlich geprägten Blick auf die Gesellschaft bei.” In der neuesten Ausgabe des ZDF-Sendung “Leschs Kosmos” behandelt Harald Lesch das Thema Gendern und räumt mit einigen Vorurteilen auf, denn “Gendern in der Sprache wirkt sich nachweislich auf das Verhalten aus”.

Patchworken mit Christiane Hoffmann

Christiane Hoffmanns “Bild”-Kolumne heißt jeden Tag “Ich weiß es!”. Vermutlich weil es den Grafikern zu mühsam ist, das Logo je nach Bedarf gegen “Könnte ungefähr hinkommen!”, “Ziemlich grob geraten!” und “Frei erfunden!” auszutauschen.

Gestern hat die “Bild”-Kolumnistin den Weg gewählt, aus drei Ereignissen, die zu unterschiedlicher Zeit an unterschiedlichen Orten stattgefunden haben, ein einziges zu machen.

Christiane Hoffmanns Patchwork-Geschichte geht so:

So toben sich Kate Moss und ihr Drogenfreund nach dem Sex aus

(…) Heimlich trafen sich die beiden zu einer “Sauf- und Sexnacht”, wie die britische Zeitung “News of the World” berichtete.

Im Abstand von 90 Minuten verließen Pete [Doherty] und Kate das konspirative Haus eines befreundeten Künstlers. Tja, wurden dabei natürlich erwischt. Und zum Dank setzte es Prügel!

Pete ging mit Regenschirm auf das Auto eines Paparazzo los, zertrümmerte seine Scheibe. Kate schlug wie eine Furie mit ihrer Handtasche auf Fotografen ein. (…)

Richtig ist, dass laut “News of the World” Moss und Doherty eine gemeinsame Nacht mit “WILDEM SEX” verbrachten und das Haus im Abstand von 90 Minuten verließen, wobei sie von Fotografen erwischt wurden. Nur: von irgendeiner Schlägerei ist da nicht die Rede. Und die angebliche Wilde-Sex-Nacht fand schon von Freitag auf Samstag vergangener Woche stand.

Zum Handtaschen-Angriff von Kate Moss kam es erst drei Tage später, am Dienstag. Er hatte deshalb natürlich auch nichts mit der Sex-Nacht zu tun. Und er ereignete sich auch nicht vor dem Haus, in dem Doherty und Moss die Nacht verbracht haben sollen, sondern vor einem anderen Haus.

Dienstag war ebenfalls der Tag, an dem Pete Doherty einen Paparazzo mit einem Regenschirm angriff. Nicht vor dem Haus mit dem wilden Sex, auch nicht vor dem Haus mit dem Handtaschen-Zwischenfall, sondern auf offener Straße. Zwei Fotografen sollen ihn verfolgt haben, als er mit seinem frisch gekauften, angeblich achten Jaguar herumfuhr.

Und wenn man, wie Christiane Hoffmann, einfach nach Gutdünken Orte, Zeitangaben und Zusammenhänge verändert, sieht das so aus:

(Überschrift: Wilde-Sex-Geschichte, Foto rechts unten: Handtaschen-Geschichte, Fotoleiste oben: Regenschirm-Geschichte.)

Und als sei das noch nicht schlimm genug, vermischt Bild.de das alles unauffällig mit einer vierten Geschichte und illustriert Hoffmanns Kolumne mit Fotos, die Doherty bei einem wiederum ganz anderen Ausraster zeigen: vor einer Woche nach einer gerichtlichen Anhörung.

Danke an Michael K.!

Wenn der Kindersegen schief hängt

Der griechische Göttervater Zeus hat im Laufe seines Lebens mit Göttinnen, Halbgöttinen und Sterblichen viele, viele Kinder gezeugt. Gut, dass es auf dem Olymp noch keine “Bild” gab, denn die hätte bei den zahlreichen Nachfahren vermutlich noch mehr den Überblick verloren als die Geschichtsschreiber.

Keith Macdonald ist nicht der Typ, dem man einen Kampf gegen die Titanen zutraut. Bild.de bezeichnet ihn als “Englands nutzlosesten Vater” und beruft sich dabei natürlich auf die britische Presse, die ihn “ziemlich fies” so nennt.

Doch wer ist dieser Keith Macdonald?

Er ist arbeitslos! Er kassiert Stütze. Er findet keinen Job, weil er angeblich Rückenprobleme hat. Probleme beim Sex scheint Keith Macdonald (25) nicht zu haben. Er hat acht Kinder von acht Frauen – und sechs Mal Nachwuchs ist noch unterwegs…

Unter Berufung auf britische Medien erklärt Bild.de:

Die Berichte: Keith hat bereits acht Kinder von acht verschiedenen Frauen. Jetzt behaupten vier Exfreundinnen, von ihm schwanger zu sein. Und: Eine der Frauen erwartet sogar Zwillinge.

Vier schwangere Ex-Freundinnen, von denen eine Zwillinge erwartet, macht in der Summe fünf künftige Erdenbürger — da fehlt doch irgendwie noch ein Kind für “sechs Mal Nachwuchs”, der “noch unterwegs” ist.*

Doch Zahlen sind Schall und Rauch: Der “Daily Express”, auf den sich Bild.de beruft, zählt sowieso ganz anders:

Im Alter von 25 hat Keith Macdonald zehn Kinder mit zehn verschiedenen Frauen gezeugt und weitere fünf sind unterwegs. Es könnten noch fünf zusätzliche Nachkommen in der Gegend rumschwirren, zu deren Erzeugung er sich entweder nicht bekannt hat oder sich nicht sicher ist.

(Übersetzung von uns.)

Aber so richtig scheinen auch die britischen Medien nicht mehr durchzublicken: Anfang des Monats hatte Macdonald im “Daily Mirror” noch neun Kinder, eine Woche später sprach die asiatische Nachrichtenagentur ANI von 13 Kindern, die “Daily Mail” folgt der Zehn-Kinder-Theorie, die “Sun” überschlägt 17 Kinder und der “Daily Telegraph” verhedderte sich gestern in bester Bild.de-Manier völlig.

Aber womöglich ist das alles auch völlig egal, solang er arbeitslos ist.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

*) Nachtrag, 13.55 Uhr: Unser Leser Ronny K. hat zumindest eine Erklärung für den angeblich anstehenden sechsfachen Nachwuchs gefunden:

Keith’ aktuelle Freundin Amy (32, nach eigenen Aussagen ebenfalls schwanger von ihm) scheint sein wildes Leben nicht zu beeindrucken.

“Compact” könnte es besser wissen

Für seine Oktoberausgabe hat sich das “Compact”-Magazin mal wieder redlich Mühe gegeben, die Spitzenposition unter den Hetz- und Angstmacherblättern zu verteidigen:

Es gibt das volle Programm: Drohkulisse, AfD-Interviews und als Gastautor Martin Luther. Interessant ist vor allem aber das zwölfseitige Dossier, das “Compact” einem Teilbereich seines Lieblingsthemas widmet, den “Frauen in den Lügenmedien”. Eingeleitet wird es mit einer Fotomontage, die die “NDR”-Journalistin Anja Reschke als auf der Kanonenkugel reitenden Baron Münchhausen zeigt. Der Titel des Aufmachers: “Anja Reschke weiß alles besser”.

Außerdem bietet das Dossier:

  • “Wenn Journalistinnen baden gehen” (über die zahlreichen Burkini-Reportagen)
  • “Das Schweigen der Emanzen” (seichte Frauenmagazine wie “Brigitte” äußerten sich überraschenderweise weniger polarisierend zur Kölner Silvesternacht als die Feministin Alice Schwarzer)
  • “Das ist Genickschuss-Journalismus” (Ex-“Bild”-Chef Peter Bartels erzählt den gleichen Unsinn, den er schon in seinem beim “Kopp”-Verlag erschienenen Buch erzählt hat, dieses Mal aber am Beispiel von “Bild”-Chefin Tanit Koch)
  • “Ideologie knallt auf Realität” (die “Bundeszentrale für politische Bildung” wollte den Text einer Journalistin zur Kölner Silvesternacht nicht, die “Emma” hat ihn dann gedruckt)

Über Anja Reschke hat Hans-Hermann Gockel geschrieben. Der 62-Jährige hat mal beim Privatfernsehen gearbeitet, jetzt schreibt er für “Compact” und “Junge Freiheit”, spricht auf AfD-Veranstaltungen und gibt in seinem eigenen Verlag seine eigenen Bücher raus, in denen er den politischen Eliten “Gedankenfeigheit” vorwirft. In “Compact” findet er nun den Gedankenmut zu solchen Worten:

Das Wort “Lügenpresse” kommt nicht von ungefähr. Der Begriff “Lückenpresse” würde es vielleicht noch besser treffen. Man verschweigt. Man verharmlost. Man verdreht, ganz im Sinne der Willkommens-Politik.

Die Leiterin der Abteilung Innenpolitik beim “NDR”, Anja Reschke, habe in “dieser elitären Welt der selbstherrlichen Besserwisser ihren festen Platz”:

Reschke ist eine Kollegin, die man schnell durchschaut. Flüchtlinge sind traditionell die Guten. Und die Rechten sind die Bösen. Deshalb weiß man bei ihren Sendungen vorher schon, was am Ende herauskommt. Bedauerlich jedoch, dass dafür immer öfter das Motto der Maurer und Zimmerleute herhalten muss: Was nicht passt, wird passend gemacht.

Für seine These zimmert sich Gockel zurecht, warum das von Reschke moderierte Magazin “Panorama” ein manipulatives Machwerk sein soll. Vor allem stört er sich an einem Beitrag vom 28. Juli, der der Frage nachgeht, ob es in deutschen Freibädern vermehrt zu sexuellen Belästigungen durch Flüchtlinge komme. Er wirft der Sendung vor, wichtige Fakten zu unterschlagen.

Gockels erstes Beispiel ist eine Mail der Düsseldorfer Polizei, in der es um einen “enormen Anstieg” der Sexualstraftaten gehe. Dass es sich dabei letztendlich nur um eine ziemlich aufgebauschte Geschichte der “Bild”-Zeitung handelt, ist Gockel keine Erwähnung wert. Wir hatten über den “Sex-Mob”-Artikel berichtet, und selbst “Bild” lieferte Zahlen nach, die die Geschichte wieder erdeten. Hans-Hermann Gockel unterschlägt, dass es im laufenden Jahr bis Anfang Juli in ganz Düsseldorf — nicht nur in Schwimm- und Freibädern — gerade mal acht Anzeigen in Bezug auf sexuelle Belästigung oder Übergriffe gab. Stattdessen behauptet er, “Panorama” erwähne die Fakten “mit keiner Silbe”.

Doch nicht mal das stimmt. Im Beitrag werden Zeitungsausrisse zu Meldungen über sexuelle Übergriffe von Flüchtlingen in Schwimmbädern gezeigt, unter anderem auch die “Bild”-Schlagzeile zum “Sex-Mob-Alarm”:

Was “Panorama” zurecht nicht macht: die falsche Panik-Berichterstattung von “Bild” einfach zu übernehmen. Stattdessen fragt der Beitragssprecher nur: “Gibt es Anlass für den von ‘Bild’ so reißerisch ausgerufenen ‘Sex-Mob-Alarm im Schwimmbad’ oder ist eigentlich alles ganz normal?” Die “Panorama”-Redaktion bezeichnet ihren Beitrag selbst vorsichtig als “Versuch einer Bestandsaufnahme.”

Hans-Hermann Gockel zählt im Artikel einzelne Fälle von sexueller Belästigung auf, bei denen Asylbewerber tatverdächtig seien. “Die Liste der Übergriffe in NRW ist lang. Sehr lang”, schreibt Gockel, verrät aber nicht, wie lang sie nun genau ist, sondern nur: “In Panorama davon kein Wort …” Er selbst verliert dabei kein Wort darüber, dass in dem “Panorama”-Beitrag eine Mutter davon erzählt, dass ihre elfjährigen Töchter von einem Flüchtling sexuell belästigt worden seien.

Um weiter zu suggerieren, dass sexuelle Übergriffe besonders durch Flüchtlinge begangen würden, druckt “Compact” diese Grafik neben dem Artikel:

Wir haben keine Ahnung, woher diese Statistik stammt.* Ganz sicher stammt sie aber nicht, wie von “Compact” angegeben, vom “Pew Reserch Center” (was ein Schreibfehler ist, denn eigentlich heißt das Forschungszentrum “Pew Research Center”). Für das amerikanische Meinungsforschungsinstitut wäre es ein völlig neues Feld, wenn es auf einmal deutsche Kriminalitätsstatistiken anfertigte. Diese erstellt hierzulande in der Regel das Bundeskriminalamt. Die Tatverdächtigen der “Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung” sind in einer Statistik (PDF, Seite 70) aufgeführt, allerdings nur in den Unterkategorien “Tatverdächtige insgesamt”, “nichtdeutsche” und “Zuwanderer”.

Wie “Compact” auf die Unterteilung nach “Volksgruppen” kommt, ist nicht nachvollziehbar. “Volksgruppe” ist kein Unterscheidungskriterium offizieller Statistiken. Wenn überhaupt, würden diese von Staatsangehörigkeiten sprechen.

Von der fragwürdigen Quellenangabe mal abgesehen, präsentiert “Compact” die Zahlen auf spezielle Art und Weise und ohne jeglichen Zusammenhang. Gezeigt werden Tatverdächtige pro 10.000 Mitglieder einer Nationalität. Es handelt sich also um Promillewerte, die “Compact” allerdings deutlich größer wirken lässt. Auf die 36 tatverdächtigen — also nicht verurteilten — Algerier kommen 9964, die nicht verdächtigt werden. Was außerdem unter den Tisch fällt: In Deutschland lebten 2015 laut “Statistischem Bundesamt” (PDF, Seite 39) nur 20.505 Algerier. Das sind weniger als die absolute Zahl deutscher Tatverdächtiger bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, von denen es laut BKA vergangenes Jahr 25.487 gab. Für eine “Multikulti-Vergewaltigungswelle”, die “Compact” herbeischreiben will, würden die Zahlen also noch nicht einmal dann genügen, wenn sie denn aus einer seriösen Quelle stammten.

Zurück zu Hans-Hermann Gockel. Der behauptet, dass “Panorama” auch “die Tatsache, dass die Bäder an Rhein und Ruhr ihr Sicherheitspersonal in diesem Jahr verstärken mussten”, verschweige. Das stimmt sogar. Die Bäder an diesen beiden Flüssen kommen nicht vor. Mitglieder des “Panorama”-Teams haben nämlich stattdessen ein Freibad besucht, das an einem etwas weniger prominenten Fluss liegt, an der Hunte bei Oldenburg. Sie finden auch dort einen Zeugen dafür, dass es inzwischen mehr Sicherheitsleute in Schwimmbädern gibt. Das wiederum verschweigt nun Gockel, vielleicht auch deshalb, weil der Zeuge von “Panorama” der “Compact”-These von der Vergewaltigungswelle widerspricht.

Abgesehen von dem konkreten “Panorama”-Beitrag wirft Hans-Hermann Gockel Anja Reschke ihre grundsätzliche persönliche Haltung vor:

Schon am 5. August 2015 hatte Reschke in einem Tagesthemen-Kommentar einen neuen “Aufstand der Anständigen” gegen rechts propagiert: “dagegen halten, Mund aufmachen. Haltung zeigen, öffentlich an den Pranger stellen.”

Seine eigene Haltung versteckt Gockel lieber hinter anderen:

Wer diesen Kommentar heute im Internet aufruft, gewinnt schnell den Eindruck, dass er mit heißer Nadel gestrickt ist. Mancher nennt die Art des Vortrags sogar hysterisch.

Wer diesen Kommentar heute tatsächlich im Internet aufruft, wird schnell merken, dass Gockel das Zitat von Reschke verkürzt wiedergibt; möglicherweise, um zu suggerieren, Reschke rufe zum Vorgehen gegen sämtliche Meinungsäußerungen rechts der Mitte auf. Ihr volles Zitat lautet:

Wenn man also nicht der Meinung, ist, dass alle Flüchtlinge Schmarotzer sind, die verjagt, verbrannt oder vergast werden sollten, dann sollte man das ganz deutlich kundtun, dagegen halten, Mund aufmachen, Haltung zeigen, öffentlich an den Pranger stellen.

Anja Reschke spricht also nicht einfach nur von “rechts”, sondern von strafbaren rechtsextremen Äußerungen und Handlungen.

Und so scheint es, als würde Hans-Hermann Gockel nichts finden, das er Anja Reschke vorwerfen könnte, ohne seinerseits die Tatsachen zu verdrehen. Am Ende kommt er nur auf die dünne Anklage, dass Reschke bei einem Auftritt in der Sendung “Hart aber fair” Moderator Frank Plasberg spontan nicht genau sagen konnte, woher ein paar Sekunden Bildmaterials eines “Panorama”-Beitrags über Flüchtlinge stammen:

Die Leiterin einer Redaktion weiß nicht, wie ein Bilder-Teppich in ihrer Sendung zustande kommt? So viel Ahnungslosigkeit dürfte einmalig sein im deutschen Fernsehgeschäft!

Was Hans-Hermann Gockel offenbar nicht merkt: Mit diesem Urteil nimmt ausgerechnet er, der “Lügenpresse”-Rufer, das gesamte deutsche Fernsehen in Schutz. Eine solch positive Meinung übers deutsche TV dürfte einmalig sein unter “Compacts” Medienkritikern.

*Nachtrag, 19. Oktober: Inzwischen sind wir uns ziemlich sicher, woher die “Compact”-Redaktion die Zahlen aus der “Frau, komm!”-Grafik hat: vom Bundeskriminalamt (Tabelle 62). Dort findet man jedenfalls die Rohdaten, noch nicht “auf je 10.000 Mitglieder folgender Volksgruppen” heruntergerechnet. Diese Zahlen findet man in einer Grafik, die beim Hoster “Imgur” hochgeladen wurde und die sich auf die BKA-Zahlen beruft.

Die Zahlen, die “Compact” verwendet, beziehen sich also auf 2014 und nicht, wie von der Redaktion behauptet, auf 2015. Und sie stammen eben nicht vom “Pew Reserch Center” beziehungsweise vom “Pew Research Center”. Von den amerikanischen Forschern haben wir inzwischen ebenfalls eine Bestätigung bekommen, dass die Zahlen nicht von ihnen veröffentlicht wurden:

Dass wir fälschlicherweise als Quelle angegeben werden, oder bei vagen Aussagen als Quelle herhalten müssen, ist für uns inzwischen fast schon zur Gewohnheit geworden. Dass dieses Phänomen nun auch jenseits des Atlantiks auftritt, ist allerdings eine neue Erfahrung für uns.

Mit Dank an Hauke H. und @griboe für die Hinweise!

Chinas Klarnamenzwang, Instagram-Schleichwerbung, Scharlatanmagazin

1a. BILDblog braucht Deine Hilfe — unterstütze uns bei Steady
(bildblog.de)
Hier beim BILDblog sieht es finanziell nicht gut inzwischen etwas besser aus. Das ist großartig, aber immer noch knapp kalkuliert. Um BILDblog eine solidere Basis zu geben, brauchen wir Deine Unterstützung. Es fehlen nur wenige hundert Euro, und das nächste Ziel ist erreicht. Zur Belohnung erhält jeder Unterstützer exklusiv einmal in der Woche einen Newsletter mit Hintergrundinfos, Werkstattberichten und den schönsten Anfeindungen von “Bild”-Oberchef Julian Reichelt. Unterstütze uns bei Steady (monatlich oder jährlich per Lastschrift, Paypal oder Kreditkarte), und wir erreichen gemeinsam das nächste Ziel!
Unterstütze uns auf Steady

1b. Klarnamenpflicht: China verbietet anonyme Kommentare
(netzpolitik.org, Johannes Steiling)
Nach Angaben des Aktivistennetzwerks „Global Voices“ werden chinesische Nutzer von Anfang Oktober an keine Möglichkeit mehr haben, anonyme Kommentare auf den meisten Websites zu hinterlassen. Danach müssen Webseiten einen Mechanismus zur Identitätsfeststellung einrichten oder die Kommentarfunktion ihrer Website abschalten. Diese Authentifizierungsdienste sind für kleinere Anbieter finanziell nicht tragbar, so dass insgesamt mit einem deutlichen Kommentarrückgang zu rechnen ist. Außerdem arbeite China bereits seit 2014 an der Implementierung eines Einstufungsprogramms für Bürger mit umfassenden Informationen zu sozialem Verhalten und Kreditwürdigkeit.

2. Facebook blockiert Werbeanzeigen von Seiten, die wiederholt Falschmeldungen teilen
(de.newsroom.fb.com, Satwik Shukla & Tessa Lyons)
Facebook verbietet Werbetreibenden Anzeigen zu schalten, die Geschichten und Inhalte bewerben, deren Wahrheitsgehalt von unabhängigen Faktenprüfern bereits angezweifelt wurden. Nun will man einen Schritt weitergehen: Wenn Seitenbetreiber wiederholt bereits angezweifelte Inhalte teilen, dürfen sie nicht länger Werbeanzeigen auf Facebook schalten. Dies sei „ein weiterer Schritt, damit Menschen verlässlichere Informationen auf Facebook sehen können.“ Ganz verscherzen will man es sich mit den notorischen Falschmeldern und potentiellen Werbekunden jedoch nicht: „Unterlassen die Seiten die weitere Verbreitung von Falschmeldungen, wird diese Einschränkung wieder aufgehoben.“

3. Instagram-Schleichwerbung: „#ad“-Kennzeichnung eher unzureichend
(flurfunk-dresden.de)
Es könnte ein Urteil mit Signalwirkung sein: Das Oberlandesgericht Celle hat die Kennzeichnung “#ad” bei einem Schleichwerbungs-Posting für die Drogeriekette Rossmann auf Instagram als unzureichend beurteilt. Bei Zuwiderhandlung droht Rossmann ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro. Das komplette Urteil gibt es unter: “Zur Kennzeichnungspflicht gesponsorter Posts bei Instagram mittels Hashtag zur Vermeidung von Schleichwerbung, OLG Celle, Urt. v. 08.06.2017, Az.: 13 U 53/16”

4. Das sind die 20 größten Podcast-influencer Deutschlands
(omr.com, Torben Lux & Martin Gardt)
Die Macher sprechen selbst von einer „wenig repräsentativen Liste der wichtigsten Menschen im Podcast-Business“ und in der Tat: Auf der Liste fehlen Podcast-Größen wie Holger Klein (“Wrint”) und Stefan Schulz und Tilo Jung (“Aufwachen-Podcast”/“Jung & Naiv”). Dennoch bietet die ausführlich kommentierte Liste viele Anregungen zum Weiterforschen und Reinhören.

5. Smartphone-Journalist versus TV-Team
(de.ejo-online.eu, Panu Karhunen)
Ein Feldversuch in Finnland hat ergeben, dass Journalisten mit mobilen Journalismus-Techniken näher an die Menschen und eine Story herankommen als mit traditionelleren Mitteln: Ein Smartphone-Journalist konnte mehr Passanten dazu bewegen, an einer Umfrage teilzunehmen, als ein zweiköpfiges Fernsehteam. Der Feldversuch hätte aber auch einen Nachteil des mobilen Journalismus zutage gefördert: mangelnde Glaubwürdigkeit. So hätten einige der Passanten gesagt, dass sie „richtigen“ Fernsehteams eben doch mehr vertrauen.

6. Scharlatanerie auf Hochglanz
(medienwoche.ch, Antonio Fumagalli)
Das Magazin „Herzstück“ verspricht „Inspirationen für Leib und Seele“. Antonio Fumagalli hat sich für die „Medienwoche“ durch das Magazin gelesen. Er lobt das Layout, aber die Lektüre sei ein Kampf gewesen…

Journalismus mit Format

Bei “Focus Online” passiert ja viel Schlimmes und Schlechtes. Die Redaktion ist zum Beispiel schon auf jeden Witz hereingefallen, den es gibt. Um an Klicks zu kommen, machen sie bei “Focus Online” alles, auch mal die AfD größer als sie eigentlich ist. Die Perfektion eines funktionierenden Clickbait-Systems ist die große Leidenschaftt bei dem “Burda”-Portal.

Aber eines kann man über “Focus Online” wahrlich nicht sagen: dass es an Format fehlt. Nein, Journalismus mit Format gibt es auf focus.de. Oder genauer: Journalismus über Format. Zum Beispiel über das Format DIN A3:

Screenshot Focus Online - DIN A3 - Maße in Zentimeter - so groß ist das Format

Wenn einem gerade mal nicht einfallen will, dass ein DIN-A3-Blatt 29,7 mal 42 Zentimeter groß ist, dann gibt man normalerweise “din a3” bei Google ein. Und weil es Leuten wahrscheinlich ständig so geht und diese Leute ständig nach der Größe eines DIN-A3-Blatts googeln, haben die Klick-Maximierungsexperten bei “Focus Online” dafür gesorgt, dass diese Leute bei ihnen auf der Seite landen:

Screenshot Google mit Focus Online auf Platz eins der Suchtreffer, wenn man nach din a3 sucht

Im Artikel steht dann:

Das DIN A3-Format kennen viele noch aus dem Kunstunterricht. Denn der häufig genutzte Zeichenblock hat in der Regel genau diese Größe. Zudem ist das Format aber auch in Form von Zeitungen, Notenblättern oder kleineren Plakaten sehr geläufig und dadurch häufig im Alltag anzutreffen.

Doch wie groß ist ein Blatt Papier im DIN A3-Format eigentlich? Die Maße des DIN A3-Formats betragen genau 29,7 cm x 42,0 cm.

Ja, ja.

Nun kann eine Redaktion aber nicht nur mit der Info, wie groß ein DIN-A3-Blatt ist, Klicks abgreifen, sondern auch mit der Info, wie groß ein DIN-A4-Blatt ist:

Screenshot Focus Online - DIN A4 - Maße in Zentimeter - so groß ist das Format

Oder ein DIN-A2-Blatt:

Screenshot Focus Online - DIN A2 - Maße in Zentimeter - so groß ist das Format

Oder ein DIN-A1-Blatt:

Screenshot Focus Online - DIN A1 - Maße in Zentimeter - so groß ist das Format

Oder …

Screenshot Focus Online - DIN A0 - Maße in Zentimeter - so groß ist das Format

… oder …

Screenshot Focus Online - DIN A5 - Maße in Zentimeter - so groß ist das Format

… oder …

Screenshot Focus Online - DIN A6 - Maße in Zentimeter - so groß ist das Format

… oder …

Screenshot Focus Online - DIN A7 - Maße in Zentimeter - so groß ist das Format

… oder …

Screenshot Focus Online - DIN A8 - Maße in Zentimeter - so groß ist das Format

… oder …

Screenshot Focus Online - DIN A9 - Maße in Zentimeter - so groß ist das Format

Die Vorstellung, dass bei “Focus Online” erwachsene Leute zusammensitzen, die darüber grübeln, wie sie noch ein paar Tausend Klicks mehr raustricksen können, und von denen einer dann sagt: “Wir machen eine große DIN-Größen-Reihe”, woraufhin alle anderen klatschend aufstehen und sagen: “Ja, super Idee” — das ist schon sehr traurig. Und wird nur davon getoppt, dass diese Bankrotterklärung höchstwahrscheinlich auch noch funktioniert.

Gesehen bei @Copperschmidt.

Funkes Thüringen-Rückzug, Chinas Mediensperre, Globuli-Abmahner

1. Print first
(taz.de, Anne Fromm)
Die Funke Mediengruppe ist einer der marktbeherrschenden Verlage für Regionalzeitungen. Besonders deutlich wird dies in Thüringen. Dort besitzt der Konzern die drei größten Zeitungen “Thüringer Allgemeine”, “Thüringische Landeszeitung” und “Ostthüringer Zeitung”. Das Quasi-Monopol hat seine Tücken, denn Funke will nun massiv sparen und reduzieren. “taz”-Medienredakteurin Anne Fromm ist besorgt: “Wenn die Funke-Zeitungen wegfallen oder zumindest viel weniger gelesen werden, weil sie nur noch digital zu haben sind, dann entsteht in weiten Teilen des Bundeslandes das, was sie in den USA “Nachrichtenwüste” nennen. Und das in dem Bundesland, wo der NSU seine Wurzeln hat. Wo die Höcke-AfD drei Monate vor der Landtagswahl in Umfragen mit gut 20 Prozent drittstärkste Partei ist. Wo Sozialforscher seit Jahren ein Verfestigen rassistischer Tendenzen bei rund der Hälfte der Bevölkerung beobachten.”

2. Heather Mills bekommt wegen Abhörskandal Entschädigung zugesprochen
(spiegel.de)
In Großbritannien haben Journalisten jahrelang Promis abgehört, darunter Heather Mills, früheres Model und Ex-Frau von Paul McCartney. Nun hat Mills nach eigener Aussage gemeinsam mit anderen Opfern “die höchste Entschädigungssumme in einem Fall von Verleumdung durch Medien erreicht, die jemals in der britischen Rechtsgeschichte verhängt wurde”.

3. China blockiert deutsche Medien
(deutschlandfunk.de, Isabelle Klein, Audio: 5:49 Minuten)
China sperre im Internet immer mehr deutschsprachige Inhalte, darunter “Spiegel Online”, “Tagesschau”, “FAZ”, “SZ” und ZDF (ZDF.de und auch heute.de scheinen allerdings doch in China abrufbar zu sein). Markus Pfalzgraf, China-Korrespondent der ARD, vermutet dahinter den Versuch der chinesischen Regierung, die Proteste in Hongkong kleinzuhalten.

4. Ein Text zieht falsche Schlussfolgerungen aus von Menschen produzierter CO2-Menge
(correctiv.org, Nina Breher)
In den Sozialen Medien zirkuliert ein Text, der belegen soll, dass es keinen menschengemachten Klimawandel gibt. Das Problem: Die im Text genannte Quelle gibt es nicht, und auch der Rest der Anekdote — einschließlich der Schlussfolgerungen — stimmt nicht, wie “Correctiv” im Faktencheck feststellt.

5. Arzneimittelhersteller schickt Anwaltsschreiben zum konstruktiven Austausch
(journalist-magazin.de, René Martens)
Wie könnte man als Homöopathie-Hersteller reagieren, wenn jemand behaupten würde, die Homöopathie habe über den Placebo-Effekt hinaus keine Wirkung? Ein kleiner Tipp: Typische Reaktionen wären ignorieren oder diskutieren. Ein mächtiger Globuli-Fabrikant hat sich für die dritte Variante entschieden und schüchtert Homöopathie-Kritiker per Anwaltsschreiben ein.

6. Böses Internet? Vom Verschwinden von Humor-Institutionen
(dwdl.de, Miguel Robitzky)
“DWDL”-Zeichner Miguel Robitzky reagiert auf den Aus des “MAD”-Magazins und dem Karikaturen-Ausstieg der “New York Times”: “Es müssen von Verlagen und Redaktionen Geschäftsmodelle für professionelle komische Kunst gefunden werden, die ausschließlich online stattfinden oder zumindest analoge wie digitale Medien gleichzeitig bedienen. Formate, die an das Tempo der heutigen Zeit angepasst sind, die das Internet nicht als Konkurrenz und Miesmacher, sondern als Chance und Teil von sich verstehen und nicht bloß geklaute Tweets auf Tafeln abschreiben, um sie dann auf Instagram zu posten. Sonst enden wir noch wie die CDU und das kann nun wirklich keiner wollen!”

Radio-Lug-und-Trug, Weißraum, Falsche Wortwahl bei Femiziden

1. Dlf-Chefredakteurin: “Wir müssen die Instrumente schärfen”
(deutschlandfunk.de, Mirjam Kid, Audio: 6:04 Minuten)
Mehr als zwanzig Jahre lang hat ein freier Mitarbeiter des Deutschlandradios Radiobeiträge geliefert, die teilweise nicht sauber produziert waren (siehe Beitrag auf “Übermedien”, Abo nötig). So habe er sich an fremdem Audiomaterial bedient und den Eindruck erweckt, er sei vor Ort gewesen. Mirjam Kid hat sich mit Birgit Wentzien, Chefredakteurin des Deutschlandfunk, über den Fall und seine Konsequenzen unterhalten.

2. Editorial: Weißraum statt Höcke-Interview
(thueringer-allgemeine.de, Jan Hollitzer)
Nachdem der AfD-Politiker Björn Höcke ein bereits zugesagtes Interview wieder abgesagt hat, hat sich die “Thüringer Allgemeine” zu einem ungewöhnlichen, aber konsequenten Schritt entschlossen: “Da wir allen Parteien und Spitzenkandidaten der im Landtag vertretenen Parteien plus der FDP den gleichen Platz für Interviews und die gleiche Aufmerksamkeit einräumen, bleibt der für Björn Höcke eingeplante Raum leer.”

3. Verfassungsbeschwerde gegen Adblocker abgelehnt
(golem.de, Friedhelm Greis)
Seit Jahren zofft sich der Axel-Springer-Verlag mit dem Adblock-Plus-Hersteller Eyeo. Nun hat der Medienkonzern eine weitere juristische Niederlage hinnehmen müssen: Seine Beschwerde gegen ein Urteil des Bundesgerichtshofs sei vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen worden. Doch der Kampf gehe weiter: Nachdem Springer mit seiner wettbewerbsrechtlichen Verfassungsbeschwerde nicht durchgedrungen sei, habe das Unternehmen Urheberrechtsklage beim Landgericht Hamburg eingereicht.

4. Die Berichte zum Fünffach-Mord in Kitzbühel zeigen, wie falsch Medien über Femizide schreiben
(vice.com, Alexandra Stanic)
Wenn Medien über Morde an Frauen schreiben, ist oft von einer “Beziehungstat” oder einem “Eifersuchts-” beziehungsweise “Familiendrama” die Rede. Eine aus verschiedenen Gründen unangemessene Wortwahl, wie Alexandra Stanic betont: “Wenn ein Mann seine Partnerin ermordet, ist das niemals ein “Beziehungsdrama” und auch keine “Familien-Tragödie”: Es ist Mord. Gerade Journalisten und Journalistinnen müssen ihre Worte mit großer Vorsicht auswählen. Sprache bildet Alltag.”

5. Eine Wunschliste für von der Leyen
(sueddeutsche.de, Matthias Kolb)
Viele Journalistinnen und Journalisten, die über die Europäische Union berichten, seien unzufrieden mit den werktäglichen Pressekonferenzen der EU-Kommission. Nun haben sie eine “Wunschliste” an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen geschickt. Ein Kernpunkt: “Tatsachenbasierte Information über die Arbeit der Kommission muss wichtiger sein als politischer Spin.” Außerdem beklagen die Journalistinnen und Journalisten, dass relevante Dokumente häufig nur Minuten vor der Pressekonferenz verteilt würden und keine Zeit zur vorbereitenden Lektüre bleibe.

6. Wundersame Welt
(journalist-magazin.de, Thilo Komma-Pöllath)
Thilo Komma-Pöllath wirft einen Blick auf das wirtschaftlich einträgliche Multitasking des beliebten Fußballjournalisten Arnd Zeigler und kommentiert: “Dass man es, wie Zeigler, zum “Sportjournalisten des Jahres” bringen kann, wenn man sich gleichzeitig von einem öffentlichen-rechtlichen Sender, von den Profiklubs (Zeigler ist auch Stadionsprecher beim SV Werder Bremen) und den großen Fußballsponsoren (Audi) bezahlen lässt, macht das ganze Dilemma einer unabhängigen, kritischen Berichterstattung deutlich.”
PS: Dem Beitrag hätte ein Hinweis gut getan, dass Komma-Pöllath laut eigener Homepage bei Eurosport.de als “Der LIGAstheniker” das wöchentliche Fußballgeschehen glossiert und gewissermaßen Kollege und Konkurrent Zeiglers ist.
Nachtrag: Das Magazin “journalist” hat den Autorenkasten um einen entsprechenden Hinweis ergänzt.
Nachtrag, 9. Oktober: Mittlerweile hat sich auch der WDR zu dem Fall geäußert: “Da Arnd Zeigler selbstständiger Autor und Moderator ist, steht es ihm frei, neben seiner Tätigkeit für den WDR auch andere Aufträge anzunehmen. Wichtig ist aber, dass bei den angesprochenen Veranstaltungen kein originäres WDR-Logo zum Einsatz kommt, sondern das Logo von “Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs”. Dieses ist — ebenso wie der Titel der Sendung — die Idee von Arnd Zeigler, mit der er damals auf den WDR zugegangen ist. Somit steht es ihm zu, auch jenseits der Sendung damit zu arbeiten.”

“Bild”-Experte Marcel Reif ist “kein großer Gewaltanhänger”, aber …

In der “Bild TV”-Sendung “Reif ist live”, in der zwischen zwei Gläsern Müllermilch auch über Fußball gesprochen wird, ging es gestern unter anderem um Breel Embolo. Der Stürmer von Bundesligist Borussia Mönchengladbach soll Gast einer (in Corona-Zeiten) illegalen Party mit 23 Personen gewesen sein. Embolo bestreitet das. Er habe sich lediglich in einer angrenzenden Wohnung eines Freundes aufgehalten, so der Fußballer. Die Polizei sagt hingegen, Embolo sei von der Party über ein Dach in diese Wohnung geflüchtet.

“Bild”-Experte Marcel Reif findet, Breel Embolo sollte für den Besuch der Party mal ordentlich verprügelt werden. In seiner “Bild”-Sendung sagt er zu Moderator Walter M. Straten:

Wissen Sie, was mir gefallen würde? Wenn die in der Kabine in Gladbach, und ich könnte mir gut vorstellen, dass das so ist, also zu meiner Zeit, als ich ein bisschen gekickt habe, war das noch so, es gab so eine bestimmte innere Hygiene, um es mal sehr vorsichtig und sehr freundlich auszudrücken, in der Kabine. Also nach dem Motto: Trainer, könnten Sie mal kurz rausgehen? Wir brauchen mal fünf Minuten. Und dann macht man ein bisschen die Musik laut. Und dann wurde demjenigen mitgeteilt mit relativ klaren, auch nonverbalen Mitteln, was geht und was nicht geht.

Und wie reagiert “Bild”-Sportchef Walter M. Straten? Ist er empört, dass Marcel Reif zu Gewalt in der Gladbacher Kabine aufruft? Wundert er sich wenigstens, was Reif da so vorschlägt? Nee. Straten findet’s “spannend”:

Hui, das klingt ja spannend. Nonverbale Mittel. Also Gladbach äh …

Reif unterbricht ihn:

Ja, Körpersprache.

Wieder Straten:

Klassenkeile hat man in der Schule gesagt.

Marcel Reif versucht anschließend noch, seine Aussage wieder etwas einzufangen. Auf einmal geht es nicht mehr um laute Musik in der Kabine und um “nonverbale Mittel”, sondern eher um eine lustige Schneeballschlacht. Ein “großer Gewaltanhänger” sei er ja sowieso nicht, sagt Reif:

Also das könnte ich mir gut vorstellen. Ehrlich gesagt, ich bin kein großer Gewaltanhänger und kein Gewalttäter im Inneren, aber so eine kleine Abreibung, draußen liegt Schnee, so mal richtig einseifen und sagen: “Sag mal, hallo? Hallo, wach? Wie wär’s?” Nicht verkehrt.

Mit Dank an @tobylix für den Hinweis!

Bildblog unterstuetzen

“Bild” hetzt durchs Programm, Lob des Zweifels, Klimakrise und Medien

1. Fernsehen ohne Ruhepuls: Bild hetzt durchs Programm
(dwdl.de, Alexander Krei & Thomas Lückerath)
Alexander Krei und Thomas Lückerath haben ihre ersten Eindrücke vom neuen “Bild”-Fernsehsender aufgeschrieben. Zur Ruhe gekommen sind sie beim TV-Gucken nicht: “In einem Moment beschimpft CDU-Generalsekretär Ziemiak den SPD-Kanzlerkandidaten Scholz als politischen Hütchenspieler, im nächsten Moment wird über eine blutige Auseinandersetzung berichtet, in die die Influencerin Georgina Fleur involviert ist. Mal fabuliert Meinungschef Filipp Piatov über das ‘Inzidenz-Regime’ der Regierung, dann leitet Detlef Soost plötzlich zu Sit-Ups im Studio an, und im Gespräch mit einem Augenarzt geht es schließlich um die Tatsache, dass Fußball-Trainer Jürgen Klopp neuerdings keine Brille mehr trägt – mitsamt der wichtigen Abschlussfrage: ‘Ist das eine Kassenleistung?'”

2. Die Klimakrise ist nicht ein weiteres Problem auf der Bühne. Sie bedroht die ganze Bühne.
(uebermedien.de, Sara Schurmann & Lea Dohm)
In einem Gastbeitrag für “Übermedien” setzen sich Sara Schurmann und Lea Dohm für mehr Klimaberichterstattung ein: “Wenn Menschen viel und oft von der Klimakrise lesen, können sie das Problem besser verstehen. Dafür müssen alle Medien ganz oft darüber berichten. Das Problem muss auch immer wieder als erstes in den Nachrichten kommen. Um die Klimakrise gut zu verstehen, ist es wichtig, sie zu fühlen. Zeitungen, Radio- und Fernsehsender können uns dabei helfen.” Der Text ist ein Vorabdruck aus dem heute erscheinenden Buch “Climate Action – Psychologie der Klimakrise”.

3. “Die Taliban haben mir alles genommen”
(deutschlandfunk.de, Christoph Sterz, Audio: 9:01 Minuten)
Fast zwei Jahrzehnte lang hat der Fotojournalist und Pulitzer-Preisträger Massoud Hossaini aus Afghanistan berichtet, doch nun muss er seine Heimat verlassen. Den Taliban sei es gelungen, die Welt zu blenden, so Hossaini: “Sie selbst stiften das Chaos, das wir gerade erleben, und erklären dann: Seht her, was der Westen angerichtet hat, gemeinsam mit einem Präsidenten, den der Westen unterstützt hat. Die Situation am Flughafen von Kabul haben die Taliban orchestriert – und instrumentalisieren jetzt die Medien dafür, darüber zu berichten. Die Taliban lenken damit von einer Wirklichkeit ab, außerhalb vom Flughafen, außerhalb von Kabul – einer Wirklichkeit, über die die internationale Gemeinschaft unbedingt mehr erfahren müsste.”

Bildblog unterstuetzen

4. Lobbytransparenz schaffen
(netzwerkrecherche.org)
Mehr als 50 zivilgesellschaftliche Organisationen fordern in einem gemeinsamen Appell strengere Lobbyregeln. Als zentrale Maßnahmen von der Politik nennen sie, Einflussnahmen transparent zu machen, die Parteienfinanzierung zu reformieren und Lobbykontakte offenzulegen. “Wir brauchen eine politische Kultur, in der alle Teile der Gesellschaft gehört werden und in der Integrität, Unabhängigkeit und Transparenz von Politik und Verwaltung selbstverständlich sind.” Auch das Netzwerk Recherche schließt sich den Forderungen an. Eine Umsetzung hätte sicher positive Auswirkungen auf die mediale Berichterstattung über parlamentarische Entscheidungen oder Gesetzesvorhaben.

5. Lob des Zweifels
(journalist.de, Christian Meier)
In der Reihe “Wie wir den Journalismus widerstandsfähiger machen” meldet sich “Welt”-Medienredakteur Christian Meier mit einem Plädoyer für den Zweifel zu Wort: “Die schöne Regel, dass man bei jedem Thema für einen Moment davon ausgehen sollte, dass die ‘andere Seite’ (schon wieder so ein problematischer Begriff, denn auf welcher Seite sollte ein Journalist überhaupt stehen?) Recht haben könnte – gilt sie noch? Ist sie in den Redaktionen akzeptiert? Und wie selbstverständlich ist es, eine auch in der eigenen Redaktion unpopuläre Position zu vertreten, notfalls gegen Kritik und Widerstände? Ich glaube, der Zweifel sollte unser ständiger Begleiter sein. Und das ist, ich merke es schon beim ersten Nachlesen, schon wieder so ein Besserwissersatz. Ich kann nur um Verzeihung bitten, wir sitzen alle im Glashaus.”

6. Impfgegner stürmen Foyer von TV-Nachrichtenproduzent ITN in London
(rnd.de)
Dutzende Impfgegnerinnen und -gegner haben gestern die Zentrale des britischen Nachrichtenproduzenten ITN in London gestürmt. Dabei skandierten sie Parolen gegen Impfungen und Corona-Maßnahmen, belegten einen Nachrichtensprecher mit wüsten Beschimpfungen und widersetzten sich Polizisten, die versuchten, die Menschen von einem weiteren Eindringen in die Redaktionsräume abzuhalten.

Dieser Fall zeigt – im Wahlkampf verzerrt “Bild” heftig

Nachdem vergangene Woche vermutlich ein Anschlag auf eine Synagoge in Hagen vereitelt werden konnte, und sich seitdem ein 16-jähriger Syrer in Untersuchungshaft befindet, stand für “Bild” am Freitag fest:

Ausriss Bild-Zeitung - Deutschlands wichtigstes Thema - Dieser Fall zeigt - im Wahlkampf wird zu wenig über Islamismus gesprochen

Dazu präsentiert die Redaktion einen “Islamismus-Check”, in dem sie nach eigener Aussage überprüft, ob Grüne, SPD und CDU “Deutschlands wichtigstes Thema” (ob das wirklich zutrifft – dazu weiter unten mehr) auch wirklich ernst nehmen:

Ausriss Bild-Zeitung - Wer nimmt das Thema ernst? Die Kanzlerkandidaten im Islamismus-Check

Machtübernahme der Taliban! Islamistische Anschläge weltweit! Terrorangst auch in Deutschland!

Dennoch kommt das Reizthema Islamismus im Bundestagswahlkampf kaum vor.

Viele Wähler fragen sich: Wie wollen die Parteien mit der islamistischen Gefahr der selbst ernannten Gotteskrieger umgehen?

BILD macht den Wahlcheck!

Zu Annalena Baerbock und den Grünen schreibt “Bild”, dass es in der Partei “traditionell” eine “große Nähe zum islamistischen Mullah-Regime in Teheran” gebe, und “Kritik an islamistischem Hass auf Schwule, Lesben, Juden” eher “verhalten geäußert” werde. Und:

Im Programm der Grünen taucht das Wort “Islamismus” nicht auf

Also wird das Thema auch von den Grünen verschwiegen?

Dass das Wort “Islamismus” nicht im Wahlprogramm der Grünen auftauchen soll, ist eine klassische “Bild”-Verzerrung, die, wenn überhaupt, nur haarscharf an einer Lüge vorbeischrammt. Es ist richtig, dass der Begriff “Islamismus” im Programm (PDF) nicht zu finden ist. Dafür aber das Wort “islamistische” (Seite 195):

Zahlreiche Straftaten finden grenzüberschreitend statt, insbesondere die organisierte Kriminalität uns islamistische oder rechtsextreme Terrornetzwerke machen nicht an Landesgrenzen halt.

Und das Wort “islamistischer” (Seite 197):

Wir wollen daher auf Bundesebene einen Fonds für Opfer und Betroffene, insbesondere rechtsextremer, rassistischer oder islamistischer Gewalt, einrichten.

Und das Wort “Islamist*innen” (ebenfalls Seite 197):

Jede Form politisch motivierter Gewalt gefährdet unseren Rechtsstaat. Insbesondere durch Terrorismus von gewaltbereiten Rechtsextremist*innen und Islamist*innen ist die öffentliche Sicherheit in Deutschland bedroht.

Und das Wort “islamistischen” (Seite 198):

Aussteigerprogramme für Menschen aus der rechtsextremistischen und islamistischen Szene werden wir ebenso ausbauen wie Hilfs- und Beratungsangebote für Opfer und deren Angehörige.

Nichts davon erwähnt die “Bild”-Redaktion in ihrem “Islamismus-Check”.

Bei der SPD und deren Spitzenkandidaten Olaf Scholz raunt “Bild” derart rum, dass man glatt auf die Idee kommen könnte, Scholz trüge eine irgendwie geartete Mitschuld an den Anschlägen des 11. September 2001:

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wurde bekannt, dass einige der Attentäter aus Hamburg kamen und die Behörden sie nicht stoppten.

Innensenator damals: Olaf Scholz.

Und auch bei der SPD ist “Bild” aufgefallen, dass die Partei in ihrem Wahlprogramm (PDF) nicht von “Islamismus” spricht:

Die SPD vermeidet den Begriff “Islamismus” im Programm

Man findet allerdings diesen Absatz (Seite 47):

Extremisten und Terroristen bedrohen unsere freie Gesellschaft. Um dieser erheblichen Gefahr wirksam begegnen zu können, muss der Verfassungsschutz die Rolle eines demokratischen Frühwarnsystems erfüllen. Verfassungsfeindliche Organisationen werden wir verbieten. Wo Religionsfreiheit missbraucht wird und in religiösen Fanatismus umschlägt, müssen staatliche Sicherheitsbehörden konsequent eingreifen. Mit aller Konsequenz und Härte werden wir weiter gegen Terror und Gewalt vorgehen.

Auch dazu: kein Wort im “Bild”-“Islamismus-Check”. Stattdessen lässt die Redaktion es so wirken, als hätten lediglich die CDU und Armin Laschet eine Antwort parat (“In ihrem Wahlprogramm bezeichnet die CDU Islamismus als ‘extremistische politische Ideologie’, die mit ‘der ganzen Härte des Rechtsstaats’ bekämpft werden müsse.”).

Und dann noch zur Frage, ob Islamismus wirklich, wie “Bild” behauptet, “Deutschlands wichtigstes Thema” ist. Wie die Redaktion darauf kommt, ist uns schleierhaft. Vielleicht mag das in der eigenen Redaktionskonferenz so sein oder beim AfD-Stammtisch. “Bild” nennt jedenfalls keine Quelle für die Behauptung.

Uns ist keine aktuelle Umfrage bekannt, in der die Befragten mehrheitlich Islamismus oder wenigstens Terrorismus oder innere Sicherheit oder Kriminalität als “wichtigstes Thema” oder größtes Problem Deutschlands nennen. Nur wenige Tage vor Erscheinen des “Bild”-Artikels veröffentlichte “Bild am Sonntag” das Ergebnis einer eigenen Umfrage: “Welche der folgenden Themen sind für Sie bei der Bundestagswahl wahlentscheidend?” Auf Platz 1: “Klima” (35 Prozent). Platz 2: “Rente” (33). Platz 3: “Wohnen und Miete” (26). Gefolgt von: “Umgang mit Corona-Pandemie” (26), “Gesundheit und Pflege” (24), “Schule, Kitas und Bildung” (21). Auf Platz 10: “Innere Sicherheit” (17). Ein ähnliches Bild auch bei anderen Umfragen: Die EU-Kommission fragte zum Beispiel “Was sind Ihrer Meinung nach die beiden wichtigsten Probleme, denen Deutschland derzeit gegenübersteht?”. Am häufigsten wurde “Umwelt und Klimawandel” genannt (34 Prozent), dann “Steigende Preise/Inflation/Lebenshaltungskosten” (24) und dann “Das Bildungssystem” (22). Deutlich weiter hinten: “Kriminalität” (8) und “Terrorismus” (3). Das Umweltbundesamt fragte (PDF), welche Themen in Deutschland für “sehr wichtig” gehalten werden. Die meisten Befragten sagten “Zustand des Bildungswesens” (78 Prozent), “Zustand des Gesundheitssystems” (73) und “Soziale Gerechtigkeit” (66). “Kriminalität, öffentliche Sicherheit” (57) sowie “Kriege, Terrorismus” (48) antworteten deutlich weniger. Und auch auf europäischer Ebene sieht es nicht viel anders aus: Das Europäische Parlament wollte wissen “Welche der folgenden Themen sollte das Europäische Parlament Ihrer Meinung nach Priorität einräumen?” (PDF). Bei den Antworten aus Deutschland lagen die “Maßnahmen gegen den Klimawandel” ganz vorne (44 Prozent), gefolgt von “Maßnahmen zur Bekämpfung von Armut und Ausgrenzung” (37) und “Menschenrechte (in der EU und weltweit)” (29). “Die Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität” (25) wurde seltener genannt.

Bildblog unterstuetzen

Bild.de und die Schleichwerbung

Vor drei Wochen baten wir Mathias Döpfner, den Vorstandsvorsitzenden der Axel Springer AG, um eine Erklärung, warum er öffentlich die Vermischung von redaktionellen und kommerziellen Inhalten “brandgefährlich” nennt, genau diese Vermischung aber das Geschäftsmodell der Springer-Tochter Bild.T-Online zu sein scheint. Unser zentrales Beispiel war der Erotik-Bereich von Bild.de, in dem journalistische Inhalte nicht von Werbung zu unterscheiden waren.

Seitdem hat sich in diesem Bereich von Bild.de etwas geändert. Genau genommen ist dies hinzugekommen:

Konzernsprecherin Edda Fels sagt, das habe nichts mit unserem Offenen Brief zu tun, auf den wir im übrigen keine Antwort erwarten sollten. Sie sagt außerdem, sie wolle nicht auf unsere konkreten Beispiele eingehen, aber einige grundsätzliche Dinge klären: Obwohl die Internetfirma Bild.T-Online AG nur eine 63-Prozent-Tochter des Springer-Konzerns sei, fühle sie sich den “publizistischen Richtlinien” Springers mitsamt dem Trennungsgebot von Redaktion und Werbung verpflichtet. Andererseits müsse man auch dem speziellen Nutzungsverhalten im Internet Rechnung tragen. Hier würden andere “Spielregeln” gelten, was aber keine Ausrede zu einer Vermischung von Redaktion und Werbung darstellen solle.

Das ist vage, es gibt aber auch Konkreteres: Am 20. September gab die Axel Springer AG bekannt, man habe die Organisationsstruktur von Bild.T-Online so geändert, dass sie “noch stärker” eine “konsequente Trennung von Redaktion und werblichen Inhalten” reflektiere. Das soll nach den Worten von Fels auch beinhalten, dass es nun keine Bild.de-Redakteure mehr gibt, die sowohl werbliche als auch redaktionelle Texte schreiben. Die “technische Umsetzung” der neuen Richtlinien für die Trennung von Redaktion und Werbung sei aber schwierig, und es könne noch einige Zeit dauern, bis sie vollständig sei.

Fakt ist: Anders als noch vor zwei Wochen lässt einen das Erotik-Portal von Bild.de nicht mehr in dem Glauben, es gehe hier um irgendwie geartete redaktionelle Inhalte. Fakt ist auch: Noch sind lange nicht alle werblichen Links wie vorgeschrieben (und angeblich angestrebt) als solche gekennzeichnet.

Dass Bild.de, wie es aussieht, gerade ein bisschen mehr Wert auf eine Trennung von Redaktion und Werbung legt, soll auch mit dem neuen Vorstandsvorsitzenden zusammenhängen: Gregor Stemmle, der von “Bild” kommt, führt seit 1. Juni das Unternehmen. Und auch das Urteil des Berliner Landgerichtes gegen einen typischen Schleichwerbefall bei Bild.de dürfte eine Rolle spielen. Schließlich ist die Trennung nicht nur guter Stil, sondern gesetzlich vorgeschrieben.

Und wir fassen zusammen: Falls Mathias Döpfner es ernst meint mit seiner Warnung vor der “brandgefährlichen” Vermischung kommerzieller und redaktioneller Inhalte, ist das offenbar nicht nur ein Appell an andere, sondern nicht zuletzt auch an sein eigenes Haus.

PS: Aktuell informiert Bild.de über eine finnische Studie, wonach “ungerechte Chefs” angeblich das Leben verkürzen. Zum Thema hat Bild.de einen Kasten “Ihr Recht” mit vier Links eingebaut (Ausriss links). Die ersten beiden sind reine Werbelinks, der dritte führt zu einem offensichtlich durch kommerzielle Interessen desselben Werbepartners inspirierten redaktionellen Beitrag, der vierte zu einem redaktionellen Text. Zu unterscheiden sind sie nicht.

Nachtrag, 1. November. Vier Tage lang hatte der lustig gemischte Werbe-Redaktions-Kasten auf der Seite gestanden. Am Tag, nachdem wir darüber berichteten, ist er entfernt worden. Wenn der Weg zu einem Online-Angebot Bild.de, das dem Gesetz und den behaupteten eigenen Ansprüchen genügt, darüber führt, dass erst jeder einzelne Verstoß öffentlich gemacht werden muss, wird es ein langer Weg.

Und wer zieht blank fürs Imperfekt?

Im vergangenen Jahr klagte “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann in der evangelischen Zeitschrift “Chrismon” über den Niedergang der deutschen Sprache. Der “Variantenreichtum des Deutschen” sei dahin — “und damit auch Nuancierungen, Redefiguren, Subtext”. Die “voranschreitende Analphabetisierung der deutschen Gesellschaft” führe dazu, dass “selbst einfachste Kommentare oder Meldungen” missverstanden würden — was seine Zeitung vor “grundsätzliche Darstellungsfragen” stelle.

Nun wissen wir nicht, ob dieser Artikel von gestern aus dem Online-Angebot von “Bild”, dessen “Content-Vorstand” Diekmann ist, schon eine Antwort auf diese “grundsätzlichen Darstellungsfragen” ist. Oder eher ein Beleg für den Anteil von “Bild” an der angeblichen Analphabetisierung. Jedenfalls verzichtet er weitgehend auf die in der deutschen Sprache vorhandenen Nuancierungsmöglichkeiten, um den Zeitpunkt und die Abfolge von Ereignisses deutlich zu machen. Er geht so:

Diese Berliner Promis demonstrieren nackt

Nippel-Attacke gestern vor der britischen Botschaft in Berlin: Aktivisten einer Tierschutzorganisation demonstrierten nackt gegen die Bärenjagd (BILD.de berichtete). Auch Berliner Promis setzen sich für den Schutz von Tieren ein — und zwar mit vollem Körpereinsatz!

Für die Organisation Peta (…) ziehen unter anderem die Schauspieler von “GZSZ”, Sänger Ben und viele andere Stars und Sternchen aus der Hauptstadt blank! (…)

Testfrage: Wann haben sich die “GZSZ”-Darsteller, Ben und die anderen (“Diese Berliner lassen nackte Haut sprechen”) ausgezogen? Vor, während oder nach der “Nippel-Attacke” vom Donnerstag?

Falsch.

Katie Pfleghar tat es vor drei Monaten, Bela B. und Catherine Flemming im August 2005, die “GZSZ”-Leute im April 2003 — und Ben schon im November 2002.

Aber wenn die Bild.de-Leser das missverstanden haben, liegt es sicher an ihnen und ihrem Analphabetismus.

Mit Dank an Florian S.!

Bild  

Herbert Grönemeyer hat keine 28-Jährige geheiratet

Zwischen Herbert Grönemeyer und den “Bild”-Medien herrscht nicht gerade das beste Verhältnis. Als der Musiker beispielsweise im Dezember 2014 am Flughafen Köln/Bonn mit Paparazzi aneinandergeriet, schrieb “Bild am Sonntag” dazu: “Herbert Grönemeyer vermöbelt Fotografen”. Grönemeyer wehrte sich gegen die Berichterstattung.

Am 12. Mai dieses Jahres brachte “Bild” ebenfalls eine große Geschichte über den Sänger. Auf der Titelseite machte das Blatt so auf:


(Unkenntlichmachung durch uns.)

Und im Innenteil gab es auf Seite 4 dann noch einen großen Artikel obendrauf:

In der heutigen “Bild”-Ausgabe durfte dann auch Herbert Grönemeyer — beziehungsweise sein Anwalt Christian Schertz — etwas zu der Hochzeitsgeschichte sagen:

Gegendarstellung
Auf der Titelseite der “Bild”-Zeitung vom 12. Mai 2016 heißt es: “JA-WORT MIT J… (28) IN FRANKREICH Grönemeyer heiratet seine junge Freundin!”
Hierzu stelle ich fest: Meine Partnerin ist nicht 28. Sie ist mehrere Jahre älter.
Berlin, den 12. Mai 2016 — Rechtsanwalt Prof. Dr. Christian Schertz für Herbert Grönemeyer
Anmerkung der Redaktion: Herbert Grönemeyer (60) hat recht. Vor Gericht hat er angegeben, seine Partnerin sei acht Jahre älter als von BILD behauptet.

Und da auch in dem Artikel auf Seite 4 von damals etwas nicht stimmte, gibt es in der “Bild”-Zeitung von heute auf Seite 4 gleich noch eine weitere Grönemeyer-Gegendarstellung:

Gegendarstellung
In der “Bild”-Zeitung vom 12. Mai 2016 schreiben Sie auf Seite 4 in einem Artikel mit der Überschrift “Männer heiraten heimlich“:
“Am vergangenen Wochenende sollen der Sänger und seine Lebensgefährtin (…) Gäste zur Trauung auf das Anwesen ‘La Fabrique’ (…) im südfranzösischen Ort Saint-Rémy-de-Provence eingeladen haben.”
Hierzu stelle ich fest: Es hat keine Trauung zwischen mir und meiner Lebensgefährtin auf dem Anwesen ‘La Fabrique’ stattgefunden.
Berlin, den 12. Mai 2016
Rechtsanwalt Prof. Dr. Christian Schertz für Herbert Grönemeyer

Bild  

Und arbeitslos ist er auch noch

Vor dem Landgericht im rheinland-pfälzischen Frankenthal wird derzeit ein Fall verhandelt, der einige Zutaten für eine ordentliche “Bild”-Geschichte mitbringt: ein Todesfall, Messerstiche in Brust und Hals, Drogen sollen im Spiel gewesen sein. Und dann ist da noch der Angeklagte, der zwar geständig ist, der aber auch sagt, dass er in der Situation der Tat nicht gewusst habe, ob er sich gerade in einem Traum befinde. Das LSD, das er und das Opfer zuvor genommen hatten, soll daran schuld sein.

Na, dann mal los, Rhein-Neckar-Redaktion der “Bild”-Zeitung:

Für Oliver A. (22) war es “einfach nur ein Scheiß-Tag”. Henry L. (25) musste diesen Tag mit dem Leben bezahlen. Der junge Mann verblutete nach Messerstichen in Brust und Hals.

Seit gestern steht der Arbeitslose (Spitzname “Bob”) wegen Totschlags vorm Landgericht.

Immerhin: Etwas Anonymisierung hat “Bild” dem Angeklagten im Artikel vom vergangenen Freitag mit einem schwarzen Augenbalken gewährt. Aber was soll die Sache mit dem “Arbeitslosen” in der Überschrift? Für die Tat an sich ist dieser Umstand nichtig. Uns sind zumindest keine Statistiken bekannt, die zeigen, dass Menschen ohne Arbeit eine stärkere Veranlagung dazu haben, “im LSD-Rausch” “zum MESSER-KILLER” zu werden, als Klempnerlehrlinge oder Realschullehrer oder Investmentbanker. Warum also diese Betonung? Wahrscheinlich war einfach noch Platz in der Titelzeile. So aber bildet “dieser Arbeitslose” mit dem “LSD-Rausch” und dem “MESSER-KILLER” einen unheilvollen Dreiklang.

Neben dem Angeklagten geht es in dem Text auch um das Todesopfer Henry L. Im Gegensatz zu Oliver A. zeigt “Bild” ihn jedoch ohne jegliche Anonymisierung:


(Unkenntlichmachung durch uns.)

Als Quellenangabe für das Fotos findet man am Rand des Artikels lediglich den Vermerk “PRIVAT”, was normalerweise so viel heißt wie: Urheber nicht gefragt, Abgebildeten oder dessen Angehörige nicht gefragt, bei Facebook zusammengeklaubt. In diesem Fall könnte es auch sein, dass sich irgendjemand aus der Redaktion an der kleinen Gedenkstätte für Henry L. am Tatort bedient hat. Besser macht es das nicht.

Hayalis Nebentätigkeiten, Werbe-Postille Frauenzeitschrift, Knast-TV

1. Prominent präsentiert – Hayalis Nebentätigkeiten
(ndr.de, Robert Bongen & Sinje Stadtlich, Video, 7:35 Minuten)
Die ZDF-Journalistin Dunja Hayali ist seit vielen Jahren das prominente Gesicht des “Morgenmagazins” und hat inzwischen auch eine eigene Talkshow. Darüberhinaus moderiert sie Firmen-Events und PR-Veranstaltungen von Industrie und Privatwirtschaft. Letzteres lässt sich aus Sicht von Kritikern schwer mit journalistischer Unabhängigkeit unter einen Hut bringen. “Zapp” ist der Sache nachgegangen und hat auch Hayali zu Wort kommen lassen, und das ist einigermaßen verstörend: Hayali bildet sich tatsächlich ein, dass ihre bezahlten und von den Auftraggebern unter Marketing-Gesichtspunkten ausgeschlachteten PR-Auftritte und Moderationen “kritischer und unabhängiger Journalismus” seien.

2. “Der schmutzige Krieg gegen die freie Presse muss aufhören”
(sueddeutsche.de)
Gestern wehrten sich Hunderte amerikanische Zeitungen mit Leitartikeln gegen Donald Trumps fortgesetzte Angriffe. Die “Süddeutsche” hat einige Pressestimmen zusammengestellt, darunter auch solche, die sich nicht an der Aktion beteiligten.

3. Wenn die Frauenzeitschrift zur Werbebroschüre wird
(deutschlandfunk.de, Silke Burmester)
“Deutschlandfunk”-Kolumnistin Silke Burmester hat selbst in Redaktionen von Frauenzeitschriften gearbeitet und weiß insofern um die Nähe der Magazine zu Mode-, Gesundheits- und Kosmetikindustrie. Trotzdem ist sie spürbar entsetzt, wie “Brigitte” in einem pseudo-seriösen Beitrag eine Sonnencreme belobhudelt, die zudem in einem Test schlecht abgeschnitten habe. Burmester kommentiert: “Man kann das alles so machen. Man kann seinen Namen an die Industrie verkaufen. Aber dann soll man das bitte auch sagen und nicht länger behaupten, man würde journalistische Produkte erstellen. Einfach auf den Titel schreiben: “Von der Industrie gekauft, Inhalte unter Einflussnahme erstellt” — und alles wäre gut.”

4. Facebooks halbherziger Kampf gegen den Hass
(spiegel.de)
Myanmar (auch als Burma oder Birma bekannt) hat über 50 Millionen Einwohner, von denen viele auf Facebook sind: Das Soziale Netzwerk sei nach einem “Reuters”-Bericht der dominierende Internetdienst des Landes. Ein Dienst, um den sich Facebook jedoch wenig kümmere. Rassismus und Gewaltaufrufe gegen muslimische Minderheiten wie die Rohingya seien an der Tagesordnung. Dass die Hass-Posts teilweise über Jahre stehenbleiben, liegt an der personellen Unterversorgung: Facebook habe nur drei Vollzeitangestellte, die Burmesisch sprechen und von Dublin aus arbeiten. Diese drei Menschen sollen die problematischen Inhalte von 18 Millionen burmesischen Facebook-Nutzern prüfen.

5. Tamedia-Roboter ersetzt SDA-Sportredaktion
(tageswoche.ch, Gabriel Brönnimann)
Die nationale Nachrichtenagentur der Schweiz, die altehrwürdige Schweizer Depeschenagentur SDA, erlebt ein schweres 125. Jahr ihres Bestehens mit Personalabbau, Streik und umstrittenen Dividendenausschüttungen. Nun geht der SDA ein wichtiger Großauftrag verloren: Das Medienhaus Tamedia hat den Bezug der Sport-Nachrichten gekündigt, für die bislang 18 Agentur-Journalisten zuständig waren. Deren Arbeit soll bei Tamedia anscheinend möglichst ein Computerprogramm (“Tadam”) übernehmen.

6. „Resozialisiert euch selber!“
(taz.de, Christoph Mackinger)
Seit über einem Monat erzählt ein Inhaftierter auf Youtube von seinem Knastalltag in der Berliner JVA Tegel. Natürlich ist das Ganze streng verboten, und Handys sind generell nicht erlaubt. Trotzdem veröffentlicht der Knast-Youtuber immer wieder kleine Filmchen. Was auch ein Licht auf die Wirksamkeit des Handyverbots wirft: In Berlin seien letztes Jahr rund 1300 Handys beschlagnahmt worden — bei rund 4.000 Inhaftierten.

Wegweisende Berichterstattung

Am Samstag wurde ein 15-Jähriger in Nürnberg mit einem Messer so schwer verletzt, dass er zwischenzeitlich in Lebensgefahr war. Die Polizei nahm einen 32-Jährigen unter “dringendem Verdacht” fest, er sitzt seitdem in Untersuchungshaft.

Am Montag berichtete “Bild” in der Nürnberger Regionalausgabe über die Tat und zeigte dazu ein Foto, dessen Bildunterschrift das Motiv ganz gut zusammenfasst:

Ein Bild, das weh tut: Sipan A. (15) hängt nach der Not-OP an Schläuchen. Passant Khalaf A. (32) hatte ihn niedergestochen. Sipans Onkel machte dieses Foto in der Klinik

Nicht in der gedruckten Ausgabe, aber in einem (im Wesentlichen wortgleichen) Artikel auf Bild.de gibt es ein weiteres Foto zu sehen, das so untertitelt ist:

Wohnhaus, in dem der Täter seit kurzer Zeit mit seiner schwangeren Frau wohnt

Das trifft es nicht so ganz, wie aus dem Artikel selbst hervorgeht:

Khalaf A. wurde sofort von der Polizei festgenommen, der Staatsanwalt beantragte Haftbefehl wegen versuchten Totschlags. Die Geburt seines ersten Kindes (Khalaf A.s Ehefrau ist schwanger) wird er jetzt wohl verpassen.

Wir wissen nicht, ob das Foto wirklich das Wohnhaus der beiden (bzw. aktuell nur der schwangeren Ehefrau) zeigt — die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth konnte diese Information auf unsere Anfrage weder bestätigen noch dementieren.

Es ist vor dem Hintergrund, dass die Polizei Nürnberg von “Auseinandersetzung zwischen mehreren Personengruppen” spricht, aber schon bemerkenswert, dass Bild.de ein Foto des mutmaßlichen Wohnhauses des Tatverdächtigen veröffentlicht, in dem dessen schwangere Ehefrau momentan mutmaßlich allein in ihrer Wohnung wohnt. Mit nur wenig Mühe kann man auf dem mit abgebildeten Straßenschild sogar den Straßennamen lesen.

Dazu auch:

Mit Dank an Benni für den Hinweis!

“Bild” führt Jan Hofer vor

Sollte Nikolaus Blome, was wir wirklich nicht hoffen, mal während seiner Moderation des “Bild”-Polit-Talks einen Schwächeanfall haben, dann dürften er und seine Redaktion damit einverstanden sein, wenn alle anderen Medien die Sache so richtig ausschlachten: Hochaufgelöste Standbilder auf Titelseiten drucken, die zeigen, wie Blome offenbar nicht mehr Herr seiner Sinne ist. Ein Video veröffentlichen, in dem zu sehen ist, wie der “Bild”-Politik-Chef nach vorne und nach hinten wankt und sich gerade noch so am Pult festhalten kann. Die Sequenz auch mehrfach zeigen und dabei an den taumelnden Blome heranzoomen. Ein Wortlaut-Protokoll seiner ganzen Versprecher veröffentlichen. Kurzum: Den Vorfall ausnutzen und damit ordentlich Klicks einsammeln.

Warum wir uns so sicher sind, dass Nikolaus Blome und die “Bild”-Redaktion da keine Einwände hätten? Sie machen es gerade selbst — mit “Tagesschau”-Sprecher Jan Hofer.

Hofer ging es gestern Abend während der “Tagesschau” gesundheitlich nicht gut (inzwischen geht es ihm wieder besser). Er verhaspelte sich immer wieder und konnte die Sendung nicht mehr abmoderieren. Im TV sah man ihn stattdessen einige Sekunden wanken. Die ARD hat diese Szene in der Mediathek rausgeschnitten.

Elf Sekunden hält die Kamera drauf — dann wird der Bildschirm schwarz! Die Tagesschau wird abgebrochen!

Kurz darauf werden die besorgniserregenden Szenen aus der ARD-Mediathek im Netz gelöscht.

… schreibt Bild.de und veröffentlicht im selben Beitrag ein Video mit den “besorgniserregenden Szenen”:

Screenshot Bild.de - Erschütternde Szenen live im TV - Tagesschau abgebrochen - Drama um Tagesschau-Sprecher Jan Hofer - Rettungswagen gerufen - Ärztliche Behandlung - Tagesschau twittert: Jan Hofer geht es wieder deutlich besser
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)

Die Redaktion zeigt, wie Hofer sich ans Pult klammert, zoomt an ihn heran, zoomt wieder raus, zeigt die ganze Szene noch mal komplett.

Die “Bild”-Zeitung druckt heute auf ihrer Titelseite ein großes Standbild, das Hofer in dessen apathischem Zustand zeigt:

Ausriss Bild-Titelseite - Tagesschau abgebrochen - Drama um Jan Hofer - Stockende Stimme und Versprecher - Um 20:20 Uhr wurde Rettungswagen zum Studio gerufen

Im Blatt ist die Aufnahme noch einmal zu sehen:

Ausriss Bild-Zeitung - Dramatische Szenen live im TV! Tagesschau abgebrochen! Nach dem Wetter konnte Jan Hofer nicht mehr sprechen

Und als hätte es irgendeinen Zipfel Mehrwert, veröffentlicht Bild.de dann auch noch diesen Beitrag:

Screenshot Bild.de - Tagesschau-Sprecher Jan Hofer - Die Aussetzer der Moderation im Wortlaut

In einem weiteren Artikel fragt Bild.de:

Aber wie konnte es dazu kommen, dass die ARD nach dem Wetterbericht überhaupt weiter live die “Tagesschau” mit dem sichtlich angeschlagenen Sprecher im Bild übertrug?

Wie es dazu kommen konnte (oder noch besser: ob es überhaupt dazu kommen sollte), dass sie selbst Jan Hofer so vorführen — das hat sich bei den “Bild”-Medien offenbar niemand gefragt.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Keine Strache-Wende, Youtube für Neonazis, Lieber nicht akkreditieren

1. Stellungnahme der SZ-Chefredaktion vom 23.08.2020
(facebook.com, Süddeutsche Zeitung)
Gibt es tatsächlich eine Wende im Fall des ehemaligen österreichischen Vizekanzlers Heinz-Christian Strache, wie manche Medien mit Verweis auf angeblich entlastende Aussagen behaupten? Nein, davon könne nicht die Rede sein, so die “Süddeutsche Zeitung” und der “Spiegel”. Man habe in der Berichterstattung auf die entsprechenden Passagen “konsequent und wiederholt” hingewiesen.
Weiterer Lesehinweis: Für den “Spiegel” erklärt Wolf Wiedmann-Schmidt auf Twitter: “Die angeblich neuen Passagen aus dem #Ibiza-Video sind weder unbekannt, noch hat sie @derspiegel verschwiegen. Im ersten Text zur Affäre vom 17. Mai 2019 haben wir just jene Abschnitte, die nun als neu präsentiert werden, teils wörtlich zitiert.”

2. Ein Youtube für Nazis: Was hinter der Plattform Bitchute steckt
(rnd.de, Matthias Schwarzer)
Viele Radikale verbreiten ihr extremes Gedankengut über den Messengerdienst Telegram – in dem Bewusstsein, dort einigermaßen sicher vor technischen Sanktionen wie Sperrungen und Blockaden zu sein. Als Youtube-Alternative vor allem für rechtsextreme Videos erweist sich derzeit die Plattform Bitchute. Matthias Schwarzer erzählt, was es mit dem “Ausweichkanal für rechtsextremes Gedankengut” auf sich hat.
Weiterer Hörtipp: Analyse der Berichterstattung: Rechtsextreme Netzwerke und die Behörden (deutschlandfunkkultur.de, Vera Linß & Marcus Richter, Audio: 12:59 Minuten).

3. “Die Prozesse sind kompliziert”
(taz.de, René Martens)
Turnusgemäß hat Deutschland aktuell die EU-Ratspräsidentschaft inne. Wie wirkt sich das auf die Berichterstattung aus Brüssel aus? René Martens hat mit Anne Gellinek, Leiterin des Brüsseler ZDF-Studios, über Polit-Journalismus aus der und über die EU gesprochen: Worin liegen die Unterschiede zwischen nationaler und europäischer Politikberichterstattung? Warum hat die nachmittägliche Europa-Sendung des ZDF (“heute – in Europa”) manchmal genauso viele Zuschauerinnen und Zuschauer wie das “heute-journal”? Und gibt es bald “Brüssel direkt”?

Bildblog unterstuetzen

4. #b2908 Wir raten Journalist:innen von einer Akkreditierung über hp #Querdenken711 dringend ab.
(twitter.com, Jörg Reichel)
Im Namen der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union rät Landesgeschäftsführer Jörg Reichel Medienschaffenden davon ab, sich beim Veranstalter der bevorstehenden “Querdenker”-Demo zu akkreditieren (die Akkreditierung ist mit einer Begleitung durch ein “Deeskalationsteam” verbunden). Reichel dazu: “Wir rechnen an dem Wochenende mit einer zweistelligen Anzahl von Angriffen durch TN der Demonstration auf Journalist:innen – bis hin zu Körperverletzungen. Es liegen z.Z. keine Infos vor, ob und wie die @polizeiberlin die Pressefreiheit an dem Tag schützen will. Die Veranstalter lehnten #b0108 die Zusammenarbeit mit Polizei in Fragen #Pressefreiheit ab.”

5. Der Killer von Konstanz – True Crime | Als ein Vergewaltiger plötzlich zwei Morde gesteht
(swr.de, Viktoria Merkulowa, Holger Schmidt, Thomas Fischer)
Im True-Crime-Podcast des SWR “Sprechen wir über Mord?!” unterhalten sich Moderatorin Viktoria Merkulova, ARD-Terrorismusexperte Holger Schmidt und Bundesrichter a. D. Thomas Fischer über wahre Verbrechen. In der aktuellen Folge geht es um den “Killer von Konstanz”, doch das ist eigentlich sekundär. Interessant sind die Passagen, in denen es um die Zuschreibungen und Bewertungen von Straftaten durch Medien, aber auch durch uns Mediennutzer und -nutzerinnen geht. Hörenswert, weil es interessante Denkimpulse liefert.

6. Wenn Männer meinen, Frauen hätten ihren Witz nicht kapiert
(faz.net, Ursula Scheer)
Mansplaining bezeichnet laut Wikipedia “herablassende Erklärungen eines Mannes, der fälschlicherweise davon ausgeht, er wisse mehr über den Gesprächsgegenstand als die – meist weibliche – Person, mit der er spricht.” Die amerikanische Comedy-Autorin Nicole Tersigni illustriert auf ironische Art typische Fälle – anhand von klassischen Motiven der Kunstgeschichte.

Amazons peinliche “Bild”-Doku, Abmahnwesen, “Goldenes Brett”

1. So toll ist es also bei der “Bild”
(faz.net, Oliver Jungen)
Die ab heute abrufbare Amazon-Doku “Bild.Macht.Deutschland?” verspricht “exklusive Einblicke in die Redaktion von Deutschlands bekanntester und größter Medienmarke”. Oliver Jungen hat sich das Werk angeschaut. Sein Fazit: “Amazons eingebettete, kritikfreie Reportage über die ‘Bild’-Zeitung ist journalistisch eine Nullnummer. Ein Kniefall. Peinlicher geht es kaum.”
Weiterer Lesehinweis: Bei der “taz” kritisiert Peter Weissenburger besonders zwei Dinge: “Die Postproduktion, die immer wieder dramatisch das Springer-Haus im Zeitraffer zeigt und sich bei Einblendungen am Design der Bild orientiert, als wäre es ein Imagefilm. Und die Recherche, die kaum andere Stimmen zu Wort kommen lässt, als Bild-Leute.” (Rumsitzen im Krawallklub, taz.de)
Weitere Hör-Empfehlung: Die Journalistin Ferda Ataman hat sich Amazons “Bild”-Beobachtung für Deutschlandfunk Kultur angesehen. Ihr Urteil: “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt habe sich mit der Serie keinen Gefallen getan. (Kampf mit allen Mitteln, deutschlandfunkkultur.de, Audio: 7:29 Minuten)

2. “Vielleicht Seite schließen?” – Troll-Kommentare aus dem RBB-Netz auf Planet Interview
(planet-interview.de, Jakob Buhre)
Jakob Buhre ist nicht nur für seine gut vorbereiteten Interviews, sondern auch für seine nachfassenden Fragen bei Pressekonferenzen der Öffentlich-Rechtlichen bekannt. Sein kritisches Hinterfragen und seine wohltuende Unbequemlichkeit haben ihm dort anscheinend nicht nur Freunde beschert: Buhre berichtet, wie sich allerlei Negativkommentare verschiedenster Nutzerinnen und Nutzer auf seinem Blog ergießen. Allesamt von der IP-Adresse 192.108.72.0 versendet – ein Adressraum, der dem öffentlich-rechtlichen rbb zugeordnet ist.

3. Amtsgericht Hamburg: Abmahnungen von Christoph Scholz durch Rechtsanwalt Lutz Schroeder waren rechtsmissbräuchlich
(kanzleikompa.de, Markus Kompa)
Der Creative-Commons-Foto-Abmahner Christoph Scholz hat lange Zeit ein lukratives Geschäft betrieben, doch nun habe das Amtsgericht Hamburg vier nahezu gleich lautende Urteile gegen ihn gesprochen. Das Gericht sehe in seinem Handeln einen Rechtsmissbrauch. Die Art und Weise der Organisation des Abmahnwesens habe das “Gepräge einer Einkommensgenerierung durch provozierte Rechtsverletzungen”. Der Jurist Markus Kompa fasst zusammen: “Herr Scholz hat damit weder Anspruch auf Ersatz eines Lizenzschadens noch auf Ersatz von Anwaltskosten. Umgekehrt muss Herr Scholz dem Abgemahnten die Kosten vorgerichtlicher Abmahnabwehr ersetzen sowie alle Prozesskosten.” Kompas Fazit: “Diese aktuellen Urteile sind weitere Sargnägel für das Abmahn-Business der Urheberrechtsfallensteller.”

Bildblog unterstuetzen

4. Floskel des Monats: durchstarten
(journalist.de, Sebastian Pertsch & Udo Stiehl)
Sebastian Pertsch und Udo Stiehl sind die Initiatoren des sprach- und medienkritischen Projekts “Floskelwolke”, in dem sie Floskeln, Phrasen und Formulierungen in deutschsprachigen Nachrichtentexten analysieren. Im Fachmagazin “journalist” stellen sie regelmäßig die “Floskel des Monats” vor. Aktuell: “durchstarten”.

5. In der Druckkammer
(taz.de, Anne Fromm)
Die Corona-Pandemie hat viele Medienhäuser in Bedrängnis gebracht. Die “Süddeutsche Zeitung” begegnet dem mit einem rigorosen Sparprogramm. Trotz steigender Abozahlen und erhöhtem Arbeitsaufkommen sei die Redaktion in Kurzarbeit geschickt worden. Nun wolle der Verlag sich von 50 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen trennen. Gleichzeitig ändere sich die Unternehmenskultur: Die Chefs würden neuerdings duzen und sprächen von “Town Hall Meetings” und “Lunch mit Christian”.
Weiterer Lesehinweis: “Süddeutsche”-Autorin Aurelie von Blazekovic hat sich in der Medienbranche umgehört, ob und wie die Verlage ihre Mitarbeitenden in dem Corona-Jahr unterstützt haben. Bei Condé Nast habe es in Deutschland eine Corona-Sonderzahlung in Höhe von 1.000 Euro gegeben, bei der “Süddeutschen Zeitung” soll eine “Corona Beihilfe” von 100 Euro ausgezahlt werden (Ein freier Tag und schönen Dank, sueddeutsche.de).

6. Das Goldene Brett 2020 für Sucharit Bhakdi: “Noch nie gab es einen passenderen Kandidaten”
(blog.gwup.net)
Mit dem Negativpreis “Das goldene Brett” prämiert die Gesellschaft für kritisches Denken Personen oder Institutionen, die “mit wissenschaftlich widerlegten oder unsinnigen Behauptungen Medienpräsenz anstreben, Angst machen oder Geld verdienen wollen.” Diesjähriger Preisträger ist der Arzt Sucharit Bhakdi, der für seine Äußerungen zur Corona-Pandemie, nun ja, ausgezeichnet wird: “Es gab vielleicht noch nie einen Kandidaten, auf den das ‘Goldene Brett vorm Kopf’ so perfekt gepasst hat wie auf ihn.” Der Preis fürs “Lebenswerk” geht an Ken Jebsen und dessen Kanal KenFM. Dieses Jahr fand die Verleihung nicht live statt, es gibt jedoch ein Video mit den Laudationen von Katharina Nocun (Ballweg), “Hoaxilla” (Hildmann) und Krista Federspiel (Bhakdi) (youtube.com, 44:35 Minuten).
(Transparenzhinweis: Der “6 vor 9”-Kurator war im Jahr 2016 selbst Laudator des “Goldenen Bretts”.)

***

Dies ist die letzte “6 vor 9”-Ausgabe in diesem Jahr (mit dem sonstigen BILDblog-Programm geht es noch ein paar Tage weiter). Wir bedanken uns für Eure Treue und verabschieden uns in die “6v9”-Winterpause. Allen Leserinnen und Lesern unserer morgendlichen Medienrundschau frohe Festtage und ein gesundes Wiedersehen im kommenden Jahr!

Bild.de zeigt Hinrichtung eines Menschen

Wenn auf der Bild.de-Startseite ein Artikel mit der Überschrift “Mann erschießt Obdachlosen auf dem Bordstein” zu finden ist und in der dazugehörigen Dachzeile steht: “SCHOCKIERENDES VIDEO AUS USA”, dann ist zu befürchten, dass die “Bild”-Redaktion eben dieses Video auch zeigt. Und genau so ist es: Bei Bild.de ist seit gestern zu sehen, wie ein Mensch regelrecht hingerichtet wird (auf jegliche Verlinkungen verzichten wir in diesem Fall bewusst).

Screenshot Bild.de - Schockierendes Video aus den USA - Mann erschießt Obdachlosen auf dem Bordstein
(Die Unkenntlichmachung stammt von uns. Mehr dazu weiter unten im Beitrag.)

Am Montag soll in St. Louis ein Mann einen anderen am helllichten Tag auf der Straße erschossen haben. Ein Passant hat einen Teil der Tat mit seiner Handykamera aus kürzerer Distanz, leicht versteckt gefilmt. Dieses Video hat die “Bild”-Redaktion in ihren Artikel eingebettet. Zu Beginn blendet sie einen Warnhinweis ein:

Screenshot Bild.de - Achtung gewaltsame Szenen

Anschließend ist eine Straßenszene zu sehen, in der ein Mann auf dem Bordstein sitzt. Ein anderer steht neben ihm und hantiert mit einer Waffe. Nichts ist verpixelt, nicht das Opfer, nicht der Täter. Nach kurzer Zeit streckt der stehende Mann den Arm aus und richtet die Waffe auf den Kopf des sitzenden Mannes. In diesem Moment friert bei Bild.de das Video ein (dieses Standbild ist auch die Aufnahme, die bei Bild.de auf der Startseite zu sehen ist, und die wir weiter oben unkenntlich gemacht haben). Die Tonspur des Videos läuft hingegen weiter, ein Schuss ist zu hören und die Aussage der filmenden Person: “Oh my God, he just fucking killed him.”

Was nicht in dem Video zu sehen ist, aber aus einem Polizeiprotokoll hervorgeht: Dem Opfer wurde vom Täter zuvor bereits in den Rücken geschossen. Der Mann sitzt völlig wehrlos auf dem Bordstein, während der Täter seine Waffe nachlädt. Es ist eine regelrechte Hinrichtung, die die “Bild”-Redaktion da zeigt. Und sie zeigt sie nicht nur einmal – in dem 1:21 Minuten langen Clip zeigt sie die Szene insgesamt dreimal. Es scheint dabei einzig um Sensationsgier zu gehen.

In einem recht ähnlichen Fall sprach der Deutsche Presserat im September 2020 eine Rüge gegen die “Bild”-Redaktion aus:

Als unangemessene Darstellung von Brutalität und Leid nach Ziffer 11 des Pressekodex beurteilte der Presserat das Video einer Tötungsszene. Unter dem Titel “Mann in New York aus Auto erschossen” zeigte BILD.DE, wie ein Mann beim Überqueren einer Straße erschossen wird und zu Boden fällt. Die Redaktion hatte das Fahndungsvideo vom Twitter-Account der New Yorker Polizei übernommen. Nach Ansicht des Presserats bediente das Video – in dem die Tötung wiederholt gezeigt wurde – reine Sensationsinteressen. Der ursprüngliche Fahndungszweck des Videos hatte in der deutschen Öffentlichkeit keine Bedeutung. Für die Presse gilt bei der Veröffentlichung von Ermittler-Material der Pressekodex, betonte der Beschwerdeausschuss.

Die “Bild”-Redaktion weiß von dieser Kritik, sie hat die Rüge damals unter dem entsprechenden Bild.de-Artikel wie vorgeschrieben veröffentlicht.

Ein Unterscheid zwischen dem aktuellen Video aus St. Louis und dem aus New York, für das Bild.de die Rüge bekommen hat: Während in dem New Yorker Fall das Video nach einem Schnitt auch die Szene nach dem Schuss und damit den Übelebenskampf des Opfers zeigt, friert das Video aus St. Louis bei Bild.de, wie gesagt, direkt vor der Schussabgabe ein. Allerdings sollte man das nicht als Rücksichtnahme auf Opfer und Leser-/Zuschauerschaft und als letztes Fünkchen Anstand der “Bild”-Mitarbeiter deuten. Im Originalvideo, das uns vorliegt, schwenkt die filmende Person genau in diesem Moment weg. Die Redaktion konnte also gar nichts weiter zeigen.

neu  

Anonymität à la “Bild”

Es gibt Dinge, die beherrschen sie bei der “Bild”-Zeitung. Das Anonymisieren von Personen gehört nicht dazu (vgl. etwa hier, hier, hier und hier). Da ist diese 16-jährige Vanessa aus Bayern, die im Gefängnis in Ankara sitzt, weil in dem Wagen, in dem sie und ihr Freund unterwegs waren, elf Kilo Heroin gefunden wurden. Den Versuch der “Bild”-Zeitung, das Gesicht der “süßen Schülerin” unkenntlich zu machen, muss man wohl halbherzig nennen: Sie hat nicht einmal den üblichen schwarzen Balken über den Augen bekommen. Stattdessen wurde dieser Bereich ein wenig gepixelt, was der Erkennbarkeit wirklich keinen Abbruch tut.

Die Online-Redaktion wollte die Minderjährige (und ihre Angehörigen) offenbar ein bisschen besser schützen und hat dasselbe Bild anders retuchiert: nämlich mit dem klassischen schwarzen Balken. Richtig gelungen ist das mit der Anonymität allerdings nicht. Denn in die Zusatzinformation, die erscheint, wenn man im Internet Explorer mit dem Mauszeiger über das Bild fährt, hat irgendein Scherzkeks oder Dilettant den kompletten Namen der Verdächtigen geschrieben (siehe Abbildung rechts — der rote Balken über dem Nachnamen ist von uns).

Danke für den Hinweis an Gerhard M., der sagt, dass sowas bei bild.de häufiger vorkommt. In Browsern wie Firefox, Mozilla etc. wird die Namensangabe, die im “ALT”-Tag steckt, übrigens nur sichtbar, wenn man die Anzeige von Bildern abschaltet. Dann zeigt der Browser statt der Grafik den Ersatztext – in diesem Fall die Namensangabe.

Nachtrag 12.10., 9.00 Uhr: Anscheinend ist die halbversteckte Namensnennung bei bild.de tatsächlich gängige Praxis. Wer den vollen Namen eines “Heroin-Mädchens” wissen will, die als 18-jährige in der Türkei verhaftet wurde, muss ebenfalls nur mit der Maus über ihr Foto fahren. (Der rote Balken ist wieder von uns.)

Nachtrag 12.10., 17.00 Uhr: Auch bei “Bild” wird BILDblog gelesen. Seit heute Mittag ist der Nachname von Vanessa verschwunden. Dass das ganze Prinzip der Schein-Anonymisierung durch winzige schwarze Balken eine Farce ist, steht natürlich auf einem anderen Blatt.

Nachtrag 12.10., 18.00 Uhr: Zugegeben: Das zweite Beispiel mit dem Heroin-Mädchen ist schief. Dessen Name ist längst bekannt aus Auftritten in Funk und Fernsehen.

Recherche optional

Wir kennen das von Paparazzi-Fotos: Wenn “Bild” nichts über ihre Entstehung weiß, betextet sie sie einfach im Stil einer freien Improvisation. Da liegt es nahe, den Blick auf einen begleitenden Bildtext oder die Recherche der Hintergründe grundsätzlich für Zeitverschwendung zu halten.

Und so erschienen gestern eine Reihe von Fotos in Bild.de und der gedruckten “Bild”-Zeitung, über die die Redaktion offenbar gesichert nur folgendes weiß: Da ist irgendwann irgendwo im Iran irgendwas Schlimmes mit einem kleinen Jungen passiert.

Es sind grausame Fotos, die zeigen, wie der Arm des Kindes, auf einer Decke liegend, von einem Auto überfahren wird. “Bild” schreibt:

Schreckliche Fotos aus Teheran zeigen die öffentliche Folter eines Jungen. Für ein Stück trockenes Brot muß er sich quälen lassen.

Die Berichte widersprechen sich, ob der Kleine es gestohlen hat, bestraft wird — oder gerade mit dieser bizarren Schau “verdienen” muß.

Nun ja, wenn Journalismus mehr sein soll als Voyeurismus und die Erregung über schreckliche Fotos, wäre es schon schön zu wissen, ob es nun das Eine oder das Andere ist. Und wenn den Leuten von “Bild” etwas an der Wahrheit gelegen hätte, hätten sie es sogar herausbekommen. Die “Berichte” wonach der Junge bestraft wird, stammen nämlich aus höchst zweifelhaften Quellen: Aus amerikanischen und deutschsprachigen Blogs, die sich darauf spezialisiert haben, alles zu sammeln, was den Islam als gefährliche, zu bekämpfende Religion erscheinen lässt. Aus einem Blog namens Bareknucklepolitics scheint die Geschichte von der Bestrafung zu stammen: “8 Year Old Iranian Boy Caught Stealing Bread?” heißt es dort im Forum. Andere Blogs übernahmen die Geschichte — und korrigierten sie später. Tatsächlich handelt es sich um eine Art grausames Zirkusstück auf der Straße: Ein Mann hat dem Jungen etwas Geld dafür gegeben und lässt sich für das Schauspiel von den Passanten bezahlen.

Das hätte “Bild” auch aus dem Begleittext erfahren können, der auf der Seite steht, von der die Fotos stammen. In ihm wird erklärt, dass der Mann mit betrügerischen Methoden und den Schmerzen des Jungen versucht, Geld zu machen. Aber vermutlich war es der “Bild”-Zeitung mit ihren rund 1000 Mitarbeitern zuviel Mühe, den persischen Text übersetzen zu lassen. Sicher, die hätte man sich machen müssen, wenn man ernsthaft anprangern wollte, wie Kinder im Iran missbraucht werden. Und eigentlich hätte die Zeit für die Recherche locker gereicht, denn die Aufnahmen sind, was “Bild” natürlich nicht erwähnt, über drei Wochen alt. Aber man muss es ja nicht übertreiben mit dem Journalismus, wenn man doch einfach nur ein paar krasse Fotos zeigen will.

Vielen Dank an Don A. und ganz besonders an Reza A., Mahin F. sowie Pascal und Farhad E. für das Übersetzen des Textes aus dem Persischen!

Zur Erinnerung: “Bild” findet Sexualstraftäter sexy

Weil der Boygroup-Sänger Nick Carter offenbar in einer Radiosendung behauptet hat, eine sexuelle Beziehung zu Debra Lafave gehabt zu haben, schreibt Claudia Haj Ali* Bild.de heute über Lafave:

Zur Erinnerung: Der Fall der schönen Sex-Lehrerin schockte 2005 ganz Amerika. Die damals 25-Jährige hatte eine Liebes-Beziehung zu einem ihrer Schüler. Sie trieben es auf dem Pult und im Auto. Die Anklage wegen sexuellen Missbrauchs endete für Lafave mit einem milden Urteil. Die Staatsanwälte ließen die Klage fallen – aus Sorge um die Privatsphäre des minderjährigen Opfers.

Das allerdings ist grob irreführend und teilweise falsch.

Zur Erinnerung: Der Fall Debra Lafave sorgte bereits 2004 für Schlagzeilen — auch in “Bild”. Schon damals beurteilte das Blatt Sexualstraftaten bekanntermaßen anders, wenn die Verdächtigen gut aussahen. Und “Bild” fand (statt “Knaben-” oder “Kinderschänderin” in vergleichbaren Fällen) Bezeichnungen wie “schöne Sex-Lehrerin”, “Blondine” oder “Verführungsbiest” angemessen. Und auch heute hat Bild.de wieder kein Problem damit, sexuellen Missbrauch** als “Liebes-Beziehung” zu verharmlosen.

Aber das ist noch nicht alles: Denn wie bereits im März berichtigt berichtet, ließen die Staatsanwälte damals nur eine zweite (!) Klage fallen. Und auch sonst können wir uns bloß wiederholen: Lafaves Verurteilung als “sexual offender” (auf deutsch: Sexualstraftäterin) ist nach wie vor ohne Einschränkung rechtskräftig, ob’s “Bild” passt oder nicht.

Mit Dank an Michael K.

*) Nachtrag, 5.10.2006: Bedauerlicherweise ist uns ein Fehler unterlaufen. Autorin des oben zitierten Absatzes (“Zur Erinnerung: ….”) ist offenbar nicht Claudia Haj Ali. Die “Bild”-Autorin hatte in der gestrigen Print-Ausgabe unter der Überschrift “Nick Carter: Sex-Lehrerin machte mich zum Mann” einen wesentlich kürzeren Text über “Amerikas berühmt-berüchtigte Sex-Lehrerin Debra LaFave (25)” verfasst. Die Fehler in der Bild.de-Version derselben Nachricht stammen, wie uns die Autorin mitteilt, nicht von ihr. Wir bitten um Entschuldigung!

**) Klarstellung, 27.10.2006 (mit Dank an Johannes L.): Bild.de verwendet im Zusammenhang mit dem Fall Lavafe wiederholt den Begriff “sexueller Missbrauch” und bezeichnet diesen u.a. als “Liebes-Beziehung”. Der Begriff “sexueller Missbrauch” ist hier allerdings missverständlich: Verurteilt wurde Lavafe wegen “lewd and lascivious behavior”.

“Bild” und Grand-Prix: War schon schlimmer

Man muss dankbar sein.

Als Gracia vor drei Jahren beim Eurovision Song Contest auf den letzten Platz kam, schrieb “Bild”-Autor Hauke Brost einen langen Text über die Frage “Warum mag uns keiner mehr?”, in dem Sätze standen wie:

NEHMEN WIR MAL DIE POLEN. Wer sich da drüben einen gebrauchten Skoda leisten kann, wo hat der denn die Kohle her? Auf deutschen Baustellen Fliesen verlegt oder in deutschen Schlachthöfen Rinder zerlegt. Dankbarkeit? Stinkefinger (0 Points von Polen).

ODER DIE HOLLÄNDER. Jetzt legen sie mit ihren Käse-Wohnwagen wieder die deutschen Überholspuren lahm, ohne Maut natürlich. Wir stehen dafür im Stau. Aber Dankbarkeit? Stinkefinger (0 Points von Holland). (…)

Wir kaufen dem Türken sein Döner ab, und aus lauter Freundschaft haben wir gleich 10 Points in die Türkei geschickt, und was schallt zurück? 0 Points von der Türkei. Ey, Alda, kraß, voll der Hammer, ey.

Wir Deutschen sind die Guten. Wir lassen Heidi Klum ihren Seal heiraten (…).

Man muss dankbar sein. Nachdem in diesem Jahr auch die No Angels beim Eurovision Song Contest sehr schlecht abgeschnitten haben, schreibt “Bild” zwar auf der Titelseite “Wir zahlen und die anderen schieben sich die Punkte zu”, aber die Berichterstattung ist vergleichsweise anständig.

Vergleichsweise.

Unerklärlich bleibt, wie Mark Pittelkau, ein kleiner Veteran der “Bild”-Grand-Prix-Berichterstattung, zu dem Urteil kommt:

Es ist das schlimmste Desaster der deutschen Grand-Prix-Geschichte!

Genau genommen ist es höchstens das schlimmste Desaster der deutschen Grand-Prix-Geschichte der letzten zwei Jahre.

Jetzt kamen die No Angels mit 14 Punkten auf den drittletzten Platz. 2005 kam Gracia mit 4 Punkten auf den letzten Platz. 1995 kam Stone & Stone mit einem Punkt auf den letzten Platz. Und 1996 schaffte es Deutschland gar nicht erst ins Finale.

Auch nur sehr, sehr ungefähr stimmen Pittelkaus Aussagen über das gegenseitige “Zuschachern” von Stimmen osteuropäischer Staaten:

Wie jedes Jahr bekam zum Beispiel Bosnien von Kroatien 12 Punkte, Länder wie Armenien, Aserbaidschan und Russland schoben sich die Punkte gegenseitig zu (…).

Bosnien hat bisher 14-mal am Grand-Prix teilgenommen. Vor diesem Jahr bekam das Land erst einmal zwölf Punkte aus Kroatien (2006). Und wer etwas über das Verhältnis zwischen Armenien und Aserbaidschan weiß, wird nicht erstaunt sein, dass beide Länder einander jeweils exakt null Punkte gaben.

Aber, wie gesagt: Man muss schon dankbar sein.

Mit Dank auch an die vielen Hinweisgeber!

Rügen haben kurze Beine

Einmal im Jahr veröffentlicht der Deutsche Presserat in seinem Jahrbuch alle Entscheidungen, die er im Vorjahr gefällt hat. Interessanter als seine nur selten nachvollziehbaren Urteile sind oft die (anonymisierten) Stellungnahmen der Zeitungen.

Das Jahrbuch bietet auch seltene Einblicke in die Argumentationsmuster innerhalb der notorisch öffentlichkeitsscheuen Axel-Springer-AG, wenn die Rechtsabteilung gegenüber dem Presserat ausgeruht die fragwürdigen Ad-Hoc-Entscheidungen der “Bild”-Zeitung zu rechtfertigen versucht.

Da war etwa die Beschwerde, dass “Bild” am Tag des Fußball-WM-Spiels gegen Polen 2006 dreizehn Witze über Polen veröffentlichte, von denen zwölf darauf abzielten, dass Polen Diebe seien. Ein Leser fand das diskriminierend und ehrverletzend. Der Presserat gab ihm Recht und sprach einen “Hinweis” aus. Die Rechtsabteilung von “Bild” aber erklärte in den Worten des Presserates:

Der Abdruck der Witze sei (…) dem aktuellen Ereignis geschuldet. Kollektiv abwertende Vorurteile würden nicht zum Ausdruck gebracht. (…) Die Rechtsabteilung verweist auf die gängige Praxis in der Sportberichterstattung, Schlagzeilen zu wählen, die mit dem sportlichen Wettkampf zusammenhingen und zum Ausdruck brächten, dass Deutschland hoffentlich gewinnen werde. Eine Diskriminierung oder Herabsetzung des Gegners gehe damit nicht einher. Es handele sich vielmehr um eine Motivationshilfe für das jeweilige deutsche Team.

Bemerkenswert ist auch die Erklärung des Verlages, warum es zulässig gewesen sei, das Porträtfoto eines 17-Jährigen zu zeigen, der gestanden hat, am Raubüberfall auf das Haus von Dieter Bohlen beteiligt gewesen zu sein — obwohl der Pressekodex eine solche Identifizierung in der Regel untersagt und bei Jugendlichen ganz besonders. Laut Presserat erklärte Springer:

Den Tätern habe auch klar sein müssen, dass ihr Überfall auf den prominenten Dieter Bohlen eine besondere öffentliche Wirkung entfalten würde. Das wiederum habe zwangsläuzfig zur Folge gehabt, dass auch sie im Fall einer Festnahme und anschließender Anklage einem besonderen Informationsinteresse ausgesetzt sein würden.

Die Erwiderung des Presserates, der in diesem Fall eine “Missbilligung” aussprach, liest sich vergleichsweise trocken: “Die Resozialisierungschancen eines Täters hängen nicht von der Prominenz des Opfers ab.” Nun ja, möchte man erwidern: dank “Bild” eben doch.

Die “Maßnahmen” des Presserates:

Hat eine Zeitung oder eine Zeitschrift gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:

  • einen Hinweis
  • eine Missbilligung
  • eine Rüge.

Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, tun sie es nicht.

Die nüchtern zusammengefassten Stellungnahmen der Rechtsabteilung lesen sich manchmal wie erstaunliche Leugnungen des Unleugbaren. Wenn “Bild” etwa in großer, aus gutem Grund unzulässiger Ausführlichkeit die tragischen Begleitumstände einer Selbsttötung schildert, und die Juristen erklären, der Artikel sei einfühlsam und mit viel Fingerspitzengefühl geschrieben.

Dazu passt, dass “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann, der die Suizid-Berichterstattung angeblich zur Chefsache gemacht hat, im vergangenen Jahr erklärte, “Bild” sei in diesem Bereich “extrem zurückhaltend”, weil man “wisse, dass die Berichterstattung über Selbstmorde labile Menschen möglicherweise zum Nacheifern veranlasst”. “Bild” hat in den vergangenen sechs Jahren acht Rügen für ihre Suizid-Berichterstattung kassiert.

Wie immer haben wir alle Rügen, die der Presserat im vergangenen Jahr gegen “Bild” ausgesprochen hat, und die jeweilige Rechtfertigung des Verlages dokumentiert.

  • Wie “Bild” aus schwererziehbaren Jugendlichen “Gangster” macht und andere Verstöße gegen Ethik und Menschenwürde:
    “Bild”-Rügen 2007

200-Mio-Diebstahl, Schleichwerbungs-Cabrio, Guardian auf Sparkurs

1. Gespaltene Erlöse, seltsame Geschäfte
(sueddeutsche.de, Klaus Ott)
“ARD” und “ZDF” und weitere öffentlich-rechtliche Anstalten betreiben in München das Institut für Rundfunktechnik (IRT). Zweck der Einrichtung ist die Vermarktung von Erfindungen, Patenten und Lizenzrechten. Einem IRT-Patentanwalt ist es offenbar gelungen, bei der Vermarktung von wertvollen MPEG-Rechten über Jahre hinweg 200 Millionen Euro in die eigene Tasche zu wirtschaften. Nun beschäftigt sich die Staatsanwaltschaft München I mit dem Wirtschaftskrimi.

2. Schleichwerbung bei RTL. Medienanstalt ermahnt Sender.
(fair-radio.net, Sandra Müller)
Der Radiosender “RTL 104.6” hat in einem Gewinnspiel über Wochen Schleichwerbung für einen Autohersteller gemacht. Daraufhin hat sich “fair radio” mit einer Beschwerde an die Medienanstalt Berlin-Brandenburg gewandt, welche den Sender nun ermahnt hat. Bei “fair radio” sieht man die Sache mit gemischten Gefühlen: Einerseits freut man sich über die relativ schnelle Reaktion, andererseits sei der zweite Kritikpunkt am Gewinnspiel außen vor geblieben. Man halte das missverständliche Gewinnversprechen ebenfalls für beanstandungswürdig. Und dieses sei von der Medienanstalt nicht gerügt worden.

3. 20 Prozent wegschneiden
(taz.de, Ralf Sotschek)
Bei der britischen linksliberalen Tageszeitung “Guardian” gibt es weitere Einschnitte, denn die letzten beiden Geschäftsjahre haben dem Blatt trotz Sparkurs deftige Verluste beschert. In den letzten 12 Jahren sank die Auflage von 380.000 auf 160.000. Eine Weboffensive sorgte zwar dafür, dass der Online-“Guardian” zu den drei meistgelesenen englischsprachige Zeitungen der Welt gehört. Doch die freiwilligen Beiträge der Online-Leser reichen nicht, um das Unternehmen in die Gewinnzone zu führen. Nun will man bei der Printausgabe vom „Berliner Format“ auf das kleinere „Tabloid“-Format umsteigen, um Papier und Druckkosten zu sparen.

4. Wieviel Fernsehen darf Youtube?
(tagesspiegel.de, Kurt Sagatz)
Der “Tagesspiegel” hat mit Dokumentarfilmer Stephan Lamby (letzter Film: ” Nervöse Republik – Ein Jahr Deutschland”) über seine Haltung zu Youtube gesprochen: “Ich ärgere mich, wenn ein Youtube-Nutzer ohne jedes Recht und ohne Absprache in einen Film Werbung davor- und dazwischenschaltet, um Geld mit unserer Arbeit zu verdienen. Die Budgets gerade bei Fernsehproduktionen stehen nach wie vor unter Druck, die Autoren bekommen häufig ohnehin nicht das, was sie bekommen sollten. Das ist es etwas Anderes, als wenn jemand etwas auf Youtube veröffentlicht, um es nach der TV-Ausstrahlung der Allgemeinheit zugänglich zu machen. Das kann in Einzelfällen eine lässliche Sünde sein, die kommerzielle Nutzung ohne Genehmigung ist es hingegen nicht.”

5. „Warum vertuscht ihr denn diesen Skandal?“
(falter.at, Florian Klenk)
Florian Klenk erklärt, warum beim “Falter” im Fall eines tödlichen Bootsunfalls nicht über den Namen eines prominenten Beschuldigten gesprochen wird: “Wir beachten den Identitätsschutz des Mediengesetzes und sehen kein öffentliches Interesse darin, den Mann, der kein öffentliches Amt mehr bekleidet, nach dem Drama auch noch an den Medienpranger zu ketten.” Mit Vertuschung habe das nichts zu tun, sondern mit Verantwortung und Persönlichkeitsschutz auch gegenüber Beschuldigten. Das unterscheide Journalismus von der “Meute im Netz”.

6. Olli Dittrich feat. Jan Böhmermann – “Life In The Streets (Journalism!)”
(youtube.com, Olli Dittrich & Jan Böhmermann)
“Die Journalisten der Welt riskieren täglich ihr Leben, arbeiten eingepfercht in Käfighaltung für einen Hungerlohn – und werden dafür auch noch verachtet. Es ist an der Zeit, dass diesem geächteten Berufsstand endlich ein musikalisches Denkmal gesetzt wird!”

Clickworker-Suchergebnisse, TikTok-“Tagesschau”, Hintergrundgespräche

1. Der selbstgebaute Algorithmus
(netzpolitik.org, Chris Köver)
Sind Googles Suchmaschinenalgorithmen wirklich objektiv und unbelastet von menschlichen Eingriffen, wie der Konzern gerne behauptet? Das “Wall Street Journal” habe daran seine Zweifel und begründe dies mit einer aktuellen Recherche. Google habe in den vergangenen Jahren immer wieder bewusst Einfluss auf die Suchergebnisse genommen. Teilweise mit Unterstützung von mehr als 10.000 Hilfskräften, sogenannten “Clickworkern”, die mit dazu beitrügen, die Suchergebnisse “sauber” zu halten.

2. Warum muss ich Sendungen bezahlen, wo Menschen in Kreuzfahrtschiffen um die Welt reisen?
(planet-interview.de, Jakob Buhre)
Jakob Buhre hat sich mit René Ketterer, einem der Betreiber des Forums “GEZ-Boykott”, unterhalten. Natürlich geht es um den Rundfunkbeitrag und das System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, aber auch um vertrauenswürdige Medien, die derzeitige Rechtsprechung und Ketterers “Intervall-Boykotte”. “Planet Interview”-typisch lesenswert und in die Tiefe gehend.

3. Triff mich ganz seriös auf TikTok
(taz.de, Simon Sales Prado)
Die altehrwürdige “Tagesschau” ist ab heute auch auf der chinesischen Kurzvideoplattform TikTok vertreten und will dort ihre Meldungen an Mann und Frau beziehungsweise ans Kind bringen. TikTok steht seit Längerem wegen seiner Zensurmaßnahmen in der Kritik. Eine Kritik, die aber auch bei anderen Plattformen angebracht sei, wie Simon Sales Prado findet: “Man könnte deshalb auch fragen, was die “Tagesschau” von der Zensur weiblicher Nippel auf Instagram und Facebook hält oder wie sie zum Overblocking unbedenklicher Profile auf Twitter steht. Also, liebe “Tagesschau”?”

4. VoxUp: Das sind die Inhalte des neuen Senders
(wuv.de, Lisa Priller-Gebhardt)
Anfang Dezember startet die Mediengruppe RTL ihren neuen Sender “VoxUp”. Lisa Priller-Gebhardt berichtet, was es mit dem neuen Vox-Spinoff auf sich hat, was es dort zu sehen geben wird, und wen die Senderverantwortlichen erreichen wollen.

5. Exklusiv und informativ
(deutschlandfunk.de, Isabelle Klein, Audio: 5:20 Minuten)
Isabelle Klein hat sich mit dem Hauptstadtkorrespondenten Frank Capellan über Sinn und Zweck von Hintergrundgesprächen unterhalten, zu denen Unternehmer, Politiker, aber auch Behörden gelegentlich einladen. “Man ist immer wieder gut beraten, das Ganze zu hinterfragen und gegenzuchecken”, so Capellan. Trotzdem nutze er die Gesprächsangebote, weil sie oftmals Rechercheanstöße böten.

6. Jung und nicht naiv
(kontextwochenzeitung.de, Josef-Otto Freudenreich)
Die Wochenzeitung “Kontext” hat mit Youtuber und Podcaster Tilo Jung (“Jung und Naiv”, “Aufwachen!”-Podcast) gesprochen. Es geht um die Zukunft des werbefinanzierten Pressemodells, aber auch um die Frage, warum Jung fast alle Polit-Promis vor die Kamera bekommt: “Sahra Wagenknecht hat mir erzählt, dass ein ZDF-Team eineinhalb Stunden gebraucht habe, bis es ein 15-Sekunden-Statement im Kasten hatte. Bei mir kriegt sie eineinhalb Stunden, ungeschnitten, und Fragen gestellt, die auf der Augenhöhe von jungen Leuten liegen.”

Seltsames “Spiegel”-Interview, Terror-Berichterstattung, Peanuts

1. Dieses Interview ist bemerkenswert.
(twitter.com, Hendrik Wieduwilt)
Der Journalist Hajo Schumacher hat für den “Spiegel” mit der ehemaligen FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin über deren Kampf mit dem Krebs gesprochen. Die Interviewführung wurde im Netz vielfach als übergriffig und sexistisch kritisiert. An einer Stelle fragt Schumacher beispielsweise: “Sie haben, ob Sie wollten oder nicht, früher das Stereotyp der klassischen Blondine bedient. Was haben Glatze und Perücke mit Ihnen gemacht?” und legt nach einem Protest von Koch-Mehrin nochmal nach: “Nun ist aber gut. Sie haben das Blondinen-Spiel schon sehr gut beherrscht. Sie wussten genau, dass sich in einer Männerpartei viel Aufmerksamkeit auf Sie richtet, dass sie als Mann nicht so fix an die Spitze der FDP marschiert wären.” Der ehemalige “FAZ”-Journalist Hendrik Wieduwilt hat einige interessante Hintergrundinformationen über die Verbindung zwischen Interviewer und Interviewgast, die für einen faden Beigeschmack sorgen. Sein Fazit: “Unterm Strich bleibt ein Interview, das bis zur Überschrift ziemlich auffällig der Profilierung Koch-Mehrins nützt. Es ist schlichte PR, auch wenn sie eingewickelt ist in eine fraglos schreckliche, allerdings auch sehr verbreitete Krankengeschichte.” Die Autorin Fabienne Hurst ergänzt: “Und selbst wenn es gestaged wäre: es ist halt niemandem beim Spiegel aufgefallen, wie sexistisch sich das alles liest bzw: es war denen egal.”

2. Wieso lernt (fast) niemand aus den Fehlern der Terror-Berichterstattung?
(uebermedien.de, Holger Klein & Samira El Ouassil, Audio: 56:53 Minuten)
Der Anschlag in Wien hat erneut die Schwächen der Terror-Berichterstattung aufgezeigt. Im “Übermedien”-Podcast sprechen Holger Klein und Samira El Ouassil über das sensible Themenfeld: “Warum hängen wir so atemlos an den Newstickern und unseren Social-Media-Feeds anstatt uns in Geduld zu üben? Wie können Medien besser mit den Taten von Terroristen umgehen, die auf die mediale Wirkung ihrer Taten spekulieren? Wie gelingt medienethische Herzensbildung? Und wie reduzieren wir die Täterbesessenheit von Medien und uns allen?”

3. Ingo Zamperoni: Ein Anchor in unruhiger See
(dwdl.de, Peer Schader)
Seit vier Jahren moderiert Ingo Zamperoni die “Tagesthemen” im Ersten. Jüngst erschien von ihm die vielbeachtete Reportage “Trump, meine amerikanische Familie und ich” (Das Erste, 44:04 Minuten). Medienkritiker Peer Schader ist sehr angetan von der Arbeit Zamperonis: “Mit unerschütterliche Ruhe erklärt er seinem Publikum im Ersten die aktuelle Lage – so sachte wie möglich und so direkt wie nötig, ohne überflüssiges Zusatzpathos. Das ist vor allem in Zeiten zunehmender medialer Aufgeregtheit eine Eigenschaft, die man gar nicht hoch genug schätzen kann.”

Bildblog unterstuetzen

4. Trump und Fox News – zerbricht die besondere Beziehung?
(t-online.de, Johannes Bebermeier & Fabian Reinbold)
Fox News galt lange Zeit als der Haussender Donald Trumps. Doch mit der Meldung des Senders über die Trump-Niederlage in Arizona soll es zu einem dramatischen Bruch der langjährigen und innigen Partnerschaft gekommen sein. Nun werde sogar spekuliert, Trump wolle einen eigenen TV-Sender gründen: “Trump hätte dann einen eigenen Sender ohne einen Hauch von Kritik. Und die einstigen kongenialen Partner Trump und Fox wären direkte Konkurrenten.” Anmerkung des Kurators: Als ob Trump alle Spekulationen widerlegen wollte, hat er in der zurückliegenden Nacht allein zehn TV-Ausschnitte aus Fox-Sendungen getwittert.

5. “Der ist absolut echt, stoßfest und wasserdicht”
(sueddeutsche.de, Fabian Dombrowski)
Jörg Schönenborn präsentiert in der ARD regelmäßig Wahlergebnisse und verwendet dafür einen überdimensionalen Touchscreen. Die “Süddeutsche” hat sich mit dem Wahl-Experten unterhalten, dessen Zusammenarbeit mit dem Screen nicht immer reibungslos verläuft. Bei der US-Wahl habe der intelligente Bildschirm bei einer bestimmten Bewegung des Moderators stets die Übersichtsseite zum Bundesstaats Texas geöffnet. Dies habe jedoch nicht an Schönenborns “Texas-Ärmel”, sondern vermutlich an einem Licht-Reflex gelegen.

6. It’s Neoliberalism, Charlie Brown
(taz.de, Clara von Hirschhausen)
Apple hat die Rechte an der Zeichentrickserie “The Peanuts” gekauft und will die seit Jahrzehnten beliebten Filme nur dem (zahlenden) Apple-TV-Publikum zugänglich machen. Clara von Hirschhausen kommentiert: “Dass Apple sich mit seiner Entscheidung die Peanuts-Fans zu Feinden gemacht hat, ist vielleicht nicht ganz zufällig. Tatsächlich verkörpert Charlie Brown genau das, was Apple nicht ist: Er ist nachdenklich, oftmals zu langsam, meistens erfolglos – und doch charismatisch. Nicht für seine übernatürlichen Leistungen liebt man ihn, sondern für seine menschlichen Mängel.”

Klemmbaustein in der Klemme, Googles Titanic-Sorry, Sky-Strategie

1. Lego bringt die treuesten Fans gegen sich auf
(tagesspiegel.de, Sebastian Leber)
In den vergangenen Jahren ging der dänische Klemmbaustein-Konzern Lego immer wieder mit Anwälten gegen kleine Händler und Youtuber vor. Die rechtlichen Vorwürfe sind mindestens strittig und manchmal Auslöser für den berühmten Streisand-Effekt. So habe der Youtuber Thomas Panke (Youtube-Kanal: “Held der Steine”) nach der letzten Lego-Attacke zehntausende Abonnenten hinzugewonnen. Sebastian Leber mit einer lesenswerte Geschichte über den Kampf Goliath gegen David.

2. Sky-Programmchefin im Interview: “Ich glaube nicht an einen magischen Algorithmus”
(rnd.de, Imre Grimm)
Streaming boomt, der Markt ist heiß umkämpft: Netflix und Amazon sind bereits seit längerer Zeit dabei, Disney und Apple wollen auch etwas vom Kuchen abhaben. Und dann ist da ja noch Sky mit seinen Angeboten. Imre Grimm hat sich mit Sky-Programmchefin Elke Walthelm über teure Großproduktionen wie “Babylon Berlin”, die allgemeine Geschäftsstrategie und die Frage, warum der Pay-TV-Sender zusätzlich Werbung zeigt, unterhalten.

3. Mit Hashtag in die Zukunft
(taz.de, René Martens)
Die NDR-Spitze aus Intendanz und Programmdirektion werbe hausintern für eine Strukturreform der innerbetrieblichen Hierarchien, die teilweise erratisch wirke. René Martens kommentiert: “Viele Mitarbeiter haben daher den Eindruck, dass die Reform keiner inhaltlichen Strategie folgt, sondern dass es darum ging, den Machtkuchen so zu verteilen, dass beide Di­rek­to­r*in­nen gleich viele Stücke abbekommen.”

Bildblog unterstuetzen

4. Die Podcast-Strategie der Süddeutschen Zeitung
(anchor.fm, Levin Kubeth, Audio: 1:40:09 Stunden)
Levin Kubeth hat bei “Unter Zwei” mit Vinzent-Vitus Leitgeb gesprochen, der bei der “Süddeutschen Zeitung” das Audio-Team leitet. Leitgeb erzählt unter anderem von der Podcaststrategie der “SZ” und dem Nebeneinander von kostenlosen und Bezahlformaten. Und natürlich geht es um die generelle Zukunft des Mediums sowie die Auswirkungen von Spotify auf die freie Podcastszene.
Weiterer Lesehinweis: Spotify kündigt Hifi-Abo und Start in 85 neuen Märkten an (faz.net, Benjamin Fischer).

5. Wie ein Anglizismus das Sportinterview veränderte
(diepresse.com, Erich Kocina)
Realisieren bedeutete früher, etwas umzusetzen, heute ist damit häufig der Prozess der langsamen Bewusstmachung gemeint. In Interviews sagen Sportler und Sportlerinnen nach einem Erfolg deshalb oft, sie könnten das Erlebte “noch gar nicht realisieren”. Ein “falscher Freund” aus dem Englischen, wie Erich Kocina erklärt.

6. Google entschuldigt sich bei »Titanic« – per Karikatur
(spiegel.de)
Vergangene Woche hatte Google die App des Satiremagazins “Titanic” aus dem hauseigenen Appstore (“Google Play Store”) geschmissen. Stein des Anstoßes war unter anderem eine Jesus-Karikatur auf dem Cover der Dezemberausgabe der “Titanic”. Nun hat der Konzern die App wieder aufgenommen und sich bei der “Titanic”-Redaktion auf ziemlich originelle Weise entschuldigt: per Karikatur.

Horse-Race-Journalismus, Feinde der Pressefreiheit, Schweinsteigers Uhr

1. RSF veröffentlicht neue Feinde der Pressefreiheit
(reporter-ohne-grenzen.de)
Reporter ohne Grenzen hat die aktuelle Liste mit den weltweit größten “Feindinnen und Feinden der Pressefreiheit” veröffentlicht (PDF). Sie umfasst 37 Staats- und Regierungsoberhäupter, die in besonders drastischer Weise die rücksichtslose Unterdrückung der Pressefreiheit verkörpern würden. Aus EU-Sicht besonders traurig: “Mit Viktor Orbán steht zum ersten Mal ein EU-Ministerpräsident auf der Liste, der seit seiner Rückkehr an die Macht im Jahr 2010 Pluralismus und Unabhängigkeit der Medien in Ungarn angreift.”
Weiterer Lesehinweis: Orbán schaltet Anzeige in “Bild”: “Ungarns Regierung bezahlt für die Veröffentlichung politischer Vorschläge – zu einem interessanten Zeitpunkt.” (sueddeutsche.de, Dennis Müller)

2. Top, die Wette gilt
(taz.de, Kersten Augustin)
Kersten Augustin kritisiert in der “taz” den sogenannten Horse-Race-Journalismus, der Politik vor allem als Wettbewerb versteht. Ein aktuelles Beispiel dafür sei die Berichterstattung über Annalena Baerbock – das betreffe auch die Berichterstattung im eigenen Blatt: “Natürlich hat Baerbock im Wahlkampf politische und strategische Fehler gemacht, die Jour­na­lis­t:in­nen aufklären und kritisieren sollen. Aber Jour­na­lis­t:in­nen stehen nicht, um im Bild zu bleiben, auf der Tribüne einer Pferderennbahn, um für das Wettbüro die Quoten festzusetzen. Leser sind Wähler, keine Glücksspieler. Und Annalena Baerbock ist kein Rennpferd.”

3. Vergessen vom Presserat
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers, Audio: 5:57 Minuten)
Die kostenlos erhältliche Gesundheits-Postille “Apotheken Umschau” kommt auf eine beeindruckende Auflage von knapp acht Millionen Exemplaren monatlich. Laut Chefredakteur Dennis Ballwieser sehe man sich einerseits als Kundenmagazin, anderseits aber auch als unabhängiges journalistisches Produkt. Dann müsste dafür der Deutsche Presserat verantwortlich sein, eine Organisation von Verlags- und Journalistenverbänden. Der will davon jedoch nichts wissen und nimmt Beschwerden gegen das Schleichwerbung-gefährdete Magazin gar nicht erst an.

Bildblog unterstuetzen

4. Ausrangiert mit Ü-50: Wenn sich Fernsehsender von ihren Moderatorinnen trennen
(rnd.de, Matthias Schwarzer)
Simone Standl, Moderatorin der WDR-“Lokalzeit”, wird nach 17 Jahren von einer (deutlich jüngeren) Kollegin abgelöst. Standl vermutet, dass ein Grund für den Rauswurf ihr Alter sei: “Wenn man sich in der Fernsehlandschaft umsieht, ist der Jugendwahn schon sichtbar. Vor allem wir Frauen sollen natürlich gute Leistung bringen – aber eben auch gut aussehen, jung, dynamisch und sportlich sein.”

5. Das Dilemma der Fernsehmagazine – und ein möglicher Ausweg
(uebermedien.de, Daniel Bouhs)
Daniel Bouhs erklärt, worin das Dilemma von Fernsehmagazinen wie “Monitor” für die ARD-Verantwortlichen unter anderem liegt: “Die Magazinform ist perfekt für das lineare Fernsehen geschaffen: Die Moderatorinnen und Moderatoren führen das Publikum nicht nur innerhalb der Sendung von Beitrag zu Beitrag; sie leiten auch zu den nachfolgenden Programmen wie den ‘Tagesthemen’ über. Alles im Sinne des ‘Audience Flow’, des Zuschauerstroms. Doch der hat in der neuen digitalen Welt in dieser Form keine große Bedeutung.”

6. ARD ermahnt Schweinsteiger nach Tweet mit Werbebotschaft
(spiegel.de)
Ex-Nationalspieler Bastian Schweinsteiger ist für die ARD als Fußball-Experte tätig. In einem der vergangenen EM-Spiele nutzte Schweinsteiger die Gunst der Stunde und setzte während der Halbzeitpause und ohne Wissen des Senders einen Werbetweet für eine Uhr ab, die auch während der Fernsehübertragung zu sehen war. Dafür gab es vom Sender nun eine “Ermahnung”.

Vor der eigenen Haustür

Kennen Sie den Innocentiapark?

Der Innocentiapark ist die erste öffentliche Grünanlage Hamburgs gewesen und wurde im Stil eines Londoner Squares angelegt. Das ca. drei Hektar große Gelände, umgeben von vielen Bäumen und abgeschirmt von den umliegenden Straßen, galt schon damals als Erholungsort für die Anwohner. Bis heute ist der Park eine Idylle für jung und alt.

Ach? Eine “Idylle”? Das wissen “Bild”-Leser aber besser. Seit Anfang des Jahres berichtet das Blatt nach Recherchen der Zeitschrift “Message” häufig und ausführlich über die Grünfläche im exklusiven Stadtteil Harvestehude und meldet Erschütterndes über “Ohne-Leine-Hunde”, Hundekot, Tierbesitzer ohne Unrechtsbewußtsein und Polizisten, die erst mit fast einstündiger Verspätung die Verfolgung verbrecherischer Hundeleinen-Verweigerer aufnahmen. Als sei das nicht genug, zerstörte im Sommer auch noch ein Sturm Bäume im Park — “Bild” rief die Leser zu Spenden auf, um die Attraktivität der Villengegend zu erhalten.

Ist doch schön, dass “Bild” auch einmal für andere kämpft, nicht immer nur in eigener Sache.

Und damit zu einem anderen Thema: Wissen Sie, wo sich “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann und seine Frau Katja Keßler vor nicht all zu langer Zeit eine Villa gekauft haben? Die Zeitschrift “Message” weiß auch dies: In Harvestehude, ganz in der Nähe des Innocentiaparks. Der war die erste öffentliche Grünanlage Hamburgs, wurde im Stil eines Londoner Squares angelegt und ist bis heute eine Idylle für jung und alt…

Nach einem Artikel aus der Juli-Ausgabe von “Message”, der jetzt auch online zu lesen ist.

Nachtrag, 17.40 Uhr: In der aktuellen Ausgabe von “Message” hat Kai Diekmann in einem Leserbrief geantwortet: “(…) ich verlange ausdrücklich von allen Mitarbeitern, dass sie die Augen offen halten und sich, wie Message es nennt, ‘von ihrem persönlichen Umfeld inspirieren lassen’. Das ist keine Vermischung privater und journalistischer Belange, sondern Voraussetzung für eine gute, lesernahe Zeitung, die weiß, was die Menschen bewegt. Ihre Auslegung läuft hingegen darauf hinaus, dass ich selbst vor einer Kindesmisshandlung im Nachbarhaus die Augen schließen müsste — weil ich im Falle der Beendigung dieses Missstandes von der Ruhe profitieren würde. Wollen Sie das?”

Exklusiv: Mit “Bild” auf Recherche-Tour

(Mai 2005, Infodesk im Hessischen Hauptstaatsarchiv, Mosbacher Str. 55, 65187 Wiesbaden)*

Auskunftspersonal: Guten Tag, kann ich Ihnen helfen?

BILD-Reporter: Ja, wir hätten da mal ‘ne Frage. Und zwar haben wir da mal vor fünf Jahren, am 25.5.2000 oder so, in der ARD diese Dokumentation über Rosemarie Nitribitt gesehen gehabt. Die lief damals in der Reihe “Die Großen Kriminalfälle”. Ham Sie vielleicht auch gesehen. Hatte über dreieinhalb Millionen Zuschauer, wurde seitdem auch schon öfter wiederholt…

Auskunftspersonal: Ich erinnere mich. Der Film war doch von der Helga Dierichs vom Hessischen Rundfunk. Wenn ich mich richtig erinnere, hatte sie damals sogar eine Schutzzeitverkürzung für die Einsichtnahme in unsere Akten hier bekommen – und außerdem im Keller eines Kripobeamten überraschenderweise Briefe, Postkarten und ein Tonband voll sehnsüchtiger Liebesbekenntnisse von Harald von Bohlen und Halbach gefunden. Hatte der Mann die Nitribitt nicht “Mein Fohlen” genannt? (Kichert leise.) Tolle Recherche damals…

BILD-Reporter: Ach? Na, jedenfalls wir wollten mal fragen, ob…

Auskunftspersonal: Bohlen mit “H”, Halbach mit einem “L” war das, richtig?

BILD-Reporter: Äh, ja. Die Unterlagen müssten hier bei Ihnen…

Auskunftspersonal: Ja, ja. Frau Dierichs hat sie damals an uns weitergeleitet. Da wollen seitdem immer mal wieder Journalisten Einsicht nehmen. Und weil die Schutzfrist inzwischen abgelaufen ist, dürfte das auch für Sie jetzt kein Problem sein. Warten Sie, ich schau mal… (Schaut ins Dokumentationssystems Ledoc.) Ah, ja… Wollen Sie’s hier im Lesesaal durchschau’n? In den Lesesaal bestellte Archivalien werden nach Möglichkeit innerhalb einer Stunde ausgehoben und vorgelegt…
*) sinngemäße Rekonstruktion (leicht fiktionalisiert)
 
Und so kam es, dass der Anfang einer großen “Bild”-Story über “Deutschlands bekannteste Hure” gestern so lautete:

Jetzt aufgetauchte Liebesbriefe enthüllen die pikante Beziehung zwischen Rosemarie Nitribitt und dem Millionär Harald von Bohlen und Halbach. 48 Jahre war es nur ein Gerücht, jetzt haben BILD-Reporter die eindeutigen Dokumente gefunden
(Hervorhebungen von uns.)

Mit Dank an das Hessische Hauptstaatsarchiv für die freundliche und sachdienliche Unterstützung – sowie Thomas H. und Ron für den Link.

“Bild” verspielt “Wer wird Millionär?”-Joker

Wenn “Bild” schon die Gelegenheit bekam, aus den neuen Regeln der RTL-Show “Wer wird Millionär?” noch schnell eine riesige Titelschlagzeile für den heutigen Samstag zu machen, bevor die neuen Regeln am Samstagmorgen auch offiziell vom Sender RTL bekanntgegeben wurden, dann wäre es doch schön gewesen, wenn “alle spannenden Details”, die “RTL vor dem Sendestart nicht verraten” wollte, aber “BILD enthüllt”, auch wenigstens stimmen würden.

Doch “Bild” behauptet über den neuen “‘Risiko’-Joker”:

Jauch stellt die Frage ans Publikum im Studio. Wer die richtige Antwort kennt, steht auf. Von diesen Personen wählt der Kandidat einen. Vertrackt, denn diese Antwort MUSS genommen werden. Will der Kandidat das nicht, scheidet er aus.

Auf RTL.de heißt es jedoch:

Der Kandidat kann sich nun einen Zuschauer aussuchen, dem er die richtige Antwort zutraut. Der Moderator fragt den Zuschauer nach seiner Antwort. Jetzt kann sich der Kandidat entscheiden, ob er die Antwort annimmt oder nicht.

Und eine RTL-Sprecherin präzisierte auf unsere Nachfrage hin: “Wenn sich der Kandidat gegen die Antwort des Zuschauers entscheidet, scheidet er nicht aus. Insofern ist das, was über den neuen Zusatzjoker in ‘Bild’ steht, falsch.”

Mit Dank an Dennis S. für den Hinweis — und an Torsten W., weil er die neuen Regeln schon spätestens um 9.34 Uhr bei RTL.de entdeckt hat.

Nachtrag, 17.09 Uhr: Und nachdem die Nachrichtenagenturen ddp (seit heute Vormittag) und AP (seit heute Nachmittag) die neuen Regeln lieber unter Berufung auf “Bild” weiterverbreiten, statt selbst mal bei RTL nachzufragen oder auf RTL.de nachzuschauen, steht die falsche Regel inzwischen beispielsweise auch bei “Spiegel Online”.

Nachtrag, 18.20 Uhr: Auf Bild.de, wo man die “Bild”-Enthüllung zunächst im Wortlaut übernommen hatte, wurde der Fehler inzwischen korrigiert. Dort heißt es nun: “Jauch stellt die Frage ans Publikum im Studio. Wer die richtige Antwort kennt, steht auf. Von diesen Personen wählt der Kandidat einen, dem er die richtige Antwort zutraut. Jauch fragt den Zuschauer nach seiner Antwort. Jetzt kann sich der Kandidat entscheiden, ob er die Antwort annimmt oder nicht.”

Auch “Spiegel Online” hat nachgebessert und schreibt jetzt: “Der Kandidat wählt dann einen der Zuschauer aus, der ihm bei der Beantwortung der Frage helfen darf.”

Nachtrag, 27.8.2007: “Bild” berichtigt den Fehler heute in der Korrekturspalte. Und AP hat die vorschnelle Übernahme des “Bild”-Fehlers gestern in einer zweiten Zusammenfassung (mit dem Zusatz: “neu: RTL, stellt Vorgehen bei Risiko-Joker klar”) unter Verweis auf die “RTL-Homepage” verschleiert korrigiert.

Bild.de pfeift auf Polizei-Bitte und spekuliert zu Explosionen in Dortmund

Vor dem Champions-League-Spiel des BVB gegen den AS Monaco gab es am Mannschaftsbus der Dortmunder Fußballer offenbar drei Explosionen.

Die Polizei Dortmund bat bei Twitter darum, “Gerüchte und Spekulationen” zu unterlassen:

Dabei richtete sich die Polizei nicht explizit an Medien. Aber warum soll diese Bitte nicht (und gerade auch) für Redaktionen gelten?

Und was machen die Mitarbeiter von Bild.de? Sie pfeifen auf die Bitte der Polizei und spekulieren:

Bomben-Explosion am Dortmund-Bus! Spiel abgesagt! Dortmund-Boss Watzke: 'Sprengstoff-Anschlag auf den Bus. Mannschaft in Schockstarre' - BVB-Spieler Bartra leicht verletzt und auf dem Weg ins Krankenhaus - Polizei bestätigt: Drei Sprengsätze am Mannschaftsbus - Schock nach Bombenattacke: Was steckt hinter dem Anschlag?

In ihrem Artikel “Was steckt hinter dem Anschlag?” rät die Redaktion rum, wie es zu den Explosionen gekommen sein könnte (auf einen Link verzichten wir bewusst — wir wollen die Spekulationen von Bild.de ja nicht noch stärker weiterverbreiten als wir es durch unsere Zusammenfassung sowieso schon tun):

Dortmund unter Schock. Kurz vor Beginn der Champions-League-Partie gegen Monaco wurde der BVB-Mannschaftsbus angegriffen. BILD erklärt, was hinter der Attacke stecken könnte.

… ohne genauere Informationen dazu zu haben. Es sind schlicht Spekulationen: vielleicht sei etwas ferngezündet worden, was “für Erfahrung beim Bau und Auslösen von Sprengsätzen” spräche; vielleicht sei eine Lichtschranke “(wie zum Beispiel beim Anschlag auf Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen)” oder “eine Druckplatte auf der Straße” benutzt worden; vielleicht habe aber auch jemand “die Sprengsätze (zum Beispiel Granaten) von Hand auf den Bus” geworfen. Bild.de weiß nichts und schreibt viel.

Das Portal schließt aus der eigenen Rumraterei, dass viele der Punkte dafür sprächen, dass es sich um ein “Werk von Profis” handele. Das kann natürlich sein. Es kann aber auch ganz anders sein. Unter anderem deswegen bat die Polizei Dortmund, keine Spekulationen zu verbreiten oder — noch schlimmer — sie selbst in die Welt zu setzen. Aber seit wann interessiert die “Bild”-Medien schon, was die Polizei will?

Verlagsversagen, Köppels SVP-Organ, Crowdfunding-Republik

1. Fake News mit Fake Journals: Gender-Studies-Hoax als Verlagsversagen
(netzpolitik.org, Leonhard Dobusch)
Leonhard Dobusch berichtet auf “Netzpolitik.org” über Fake News im Wissenschaftsbetrieb. Schon seit längerem gäbe es eine wachsende Zahl an unseriösen Open-Access-Zeitschriften, die sich zwar als begutachtet („peer-reviewed“) bezeichnen, tatsächlich aber gegen Bezahlung einer Publikationsgebühr quasi jeden eingereichten Beitrag publizieren würden. Zuletzt hatte ein Artikel für Furore gesorgt, der beweisen sollte, dass Gender Studies unseriös seien. Dazu hatten Peter Boghossian und James Lindsay unter dem Titel „The conceptual penis as a social construct“ allerhand Unsinn zusammengeschrieben und erfolgreich im Journal “Cogent Social Sciences” zur Veröffentlichung eingereicht. Leonhard Dobusch dazu: “Mit ihrem Versuch, Gender Studies als Disziplin bloßzustellen, haben Boghossian und Lindsay tatsächlich skandalöses Verhalten offengelegt. Der Skandal liegt jedoch nicht im Bereich der Gender Studies, sondern im Bereich eines der größten wissenschaftlichen Verlagshäuser. Aus reinem Profitstreben heraus werden hier offensichtlich Kooperationen mit dubiosen Pseudo-Open-Access-Verlagen eingegangen, die sich wiederum mit einem vermeintlich seriösen Verlagsnamen schmücken können.”

2. Probleme der «Weltwoche» häufen sich
(nzzas.nzz.ch, Francesco Benini)
Die Schweizer “Weltwoche” hat nicht nur ein Auflagenproblem (in nur einem Jahr ist die Zahl der Leser um 22 Prozent geschrumpft). Für zusätzliche Unruhe sorgt auch die Doppelrolle ihres Chefredakteurs Roger Köppel, der eine politische Karriere gestartet hat und für die “SVP” im Schweizer Nationalrat sitzt. Dies schade dem Blatt; es werde seit seiner Wahl als “reines SVP-Organ” wahrgenommen.

3. DW-Korrespondent Niragira sofort freilassen
(reporter-ohne-grenzen.de)
Der Deutsche-Welle-Korrespondent Antediteste Niragira ist in einem Flüchtlingslager an der Grenze zu Burundi verhaftet worden, wo er über die katastrophalen Lebensbedingungen der Menschen berichten wollte. “Reporter ohne Grenzen” fordert seine sofortige Freilassung: “Antediteste Niragira muss sofort freigelassen werden und sicher nach Burundi zurückkehren können. Journalisten, die über Missstände berichten, dürfen nicht wie Verbrecher oder Spione behandelt werden.”

4. «Wir wollen mehr Wertschätzung für den Journalismus»
(medienwoche.ch)
Es war ein sensationeller Crowdfunding-Erfolg für unabhängigen Journalismus: Binnen kürzester Zeit hat das zehnköpfige Zürcher Start-up-Projekt R (“Republik”) über 11 000 Mitglieder gewonnen und mehr als 2,8 Millionen Franken eingesammelt. Im Interview sprechen die Macher darüber, wie sie das Projekt ohne Werbung finanzieren, wie viel Mitspracherecht Geldgeber haben und welche Rolle die Community spielt.

5. Tageszeitung “Sözcü” erscheint mit leeren Seiten
(spiegel.de)
Aus Protest gegen die Verfolgung durch den türkischen Staat, hat die regierungskritische Zeitung “Sözcü” mit einer “Spezialausgabe zur Pressefreiheit” mit unbedruckten Seiten reagiert.

6. Revolution bei VG Wort: Urheber bekommen, was ihnen zusteht
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Nachdem einige Versammlungen der VG-Wort letztes Jahr sehr chaotisch und konfrontativ verlaufen waren, hat man nun eine Einigung erzielt, nach der in Zukunft die Einnahmen aus gesetzlichen Vergütungsansprüchen rechtskonform an die Urheber ausgeschüttet werden, ohne die Verleger vollständig auszuschließen. Der jetzt beschlossene Verteilungsplan soll jedoch nach dem Willen vieler Beteiligter nicht lange gelten, so Stefan Niggemeier. Im Hintergrund werde bereits daran gearbeitet, die Gesetzeslage so zu ändern, dass die alte Situation wieder hergestellt wird, die eine pauschale Beteiligung der Verlage ermöglicht.

AfD-Ehemaligentreffen, Trauermarsch und Terrormarsch, Strichmenschen

Das gesellschaftliche Klima scheint rauer, die politischen Fronten verhärteter zu werden. Das bekommen auch die Medien zu spüren, die immer öfter zum Zielobjekt von Ablehnung und Hass werden. Die Vorkommnisse auf den rechtsgerichteten Kundgebungen in Chemnitz zeichnen ein besorgniserregendes Bild. Manche sprechen gar von einer Zäsur. Hier eine Sonderausgabe unserer “6 vor 9”, welche ausschließlich von den jüngsten Entwicklungen in Chemnitz handelt. Die reguläre “6 vor 9”-Ausgabe von heute findest Du hier.

1. “Noch nie so viel Hass auf Medien erlebt”
(tagesschau.de, Dominik Lauck)
Bei den rechtsgerichteten Kundgebungen in Chemnitz kam es immer wieder zu Angriffen auf Journalisten. Reporter wurden nicht nur bepöbelt und bedroht, sondern auch tätlich angegriffen. Dominik Lauck lässt auf tagesschau.de Medienvertreter und ihre Chefredakteure zu Wort kommen. Der den Reportern entgegenschlagende Hass ist mehr als besorgniserregend. “T-Online”-Chef Florian Harms wandte sich mit einem Tweet an die sächsische Polizei: “Unfassbar. @PolizeiSachsen warum schaffen Sie es nicht, Journalisten wie unseren Reporter vor diesem Mob zu schützen? Was muss denn noch passieren, damit ihr solche Lagen in den Griff bekommt?”
Weiterer Lesehinweis: Auf Facebook hat die Initiative “Gegen die AfD” ebenfalls Material und Stimmen zusammengetragen und befindet: “Dieser sogenannte “Trauermarsch” ist ein Terrormarsch gewesen! Und zwar Terror von Rechtsextremen.”

2. Aufstieg der AfD: “Die Mitte muss auf die Barrikaden gehen”
(zeitgeist.rp-online.de, Merlin Bartel)
Beim Campfire-Festival, einer Veranstaltung für Journalismus und digitale Zukunft, diskutierte die Publizistin Liane Bednarz mit Michael Bröcker, Chefredakteur der “Rheinischen Post”, und “Correctiv”-Geschäftsführer David Schraven über das Thema “Rückkehr zum Vertrauen: Verantwortung der Medien für den Aufstieg der AfD”. Dabei geht es um Fragen wie: Was hat zum Erfolg der AfD geführt? Welche Maßnahmen helfen gegen rechten Hass? Wo liegen die Ursprünge für den AfD-Erfolg? Und kennen Journalisten noch die Sorgen der Bürger?
Hörtipp: Beim “Polik Betreuung”-Podcast von Jenny Günther ist die AfD-Aussteigerin Franziska Schreiber zu Gast. Schreiber war 2013 in die Partei eingetreten und hatte dort eine steile Karriere gemacht, die sie bis in den Bundesvorstand führte. Eine Woche vor der Bundestagswahl verkündete sie öffentlichkeitswirksam ihren Austritt. Über ihre Zeit bei der AfD schrieb sie ein vielbeachtetes Buch. Im Podcast geht es natürlich um ihre Zeit bei der AfD, die Strategie der Partei (“Die AfD als Feigenblatt für ein Neonazi-Bündnis”), aber auch um die generelle Entwicklung der Demokratie.

3. Zimperlich sind die, die am Schreibtisch bleiben
(spiegel.de, Raphael Thelen)
“Spiegel”-Redakteur Jan Fleischhauer hatte in seiner Kolumne Journalisten, die über Angriffe durch Rechtsradikale auf Demos klagen, als “zimperlich” bezeichnet. Raphael Thelen hat eine Replik auf Fleischhauer verfasst, die mit zahlreichen konkreten Beispielen aufwartet und der Empfehlung an Fleischhauer, “seine behagliche Münchner Doppelhaushälfte mal zu verlassen.”
Weiterer Lesehinweis: Vielleicht interessiert sich “Spiegel”-Kolumnist Jan Fleischhauer ja auch noch für den Beitrag “Journalisten als Zielscheibe” seiner “Spiegel Online”-Kollegen: “Der Hass gegen die Presse war bei der Demonstration am Samstag in Chemnitz beispiellos, berichten Reporter. Journalisten wurden bepöbelt, am Filmen gehindert und mitunter sogar verletzt.”

4. Barley lässt nach Chemnitz-Protesten rechte Netzwerke überprüfen
(welt.de)
Justizministerin Katarina Barley will aufklären lassen, welche Organisationen hinter der Mobilisierung rechter Gewalttäter bei den Protesten in Sachsen stehen. Rechtsradikale dürften nicht die Gesellschaft unterwandern.
Parallel wirft Außenminister Maas seinen deutschen Mitbürgern Bequemlichkeit im Kampf gegen Rassismus vor: “Wir müssen vom Sofa hochkommen und den Mund aufmachen.” (rp-online.de) Man möchte antworten: “Nur zu, Herr Maas. Nur zu.”

5. Die rechten Rosenkavaliere: Wie sich die AfD in Chemnitz inszenierte
(stern.de, Florian Schillat)
Zunächst hatten AfD-Funktionäre noch vollmundig getönt, dass man mit der islam- und fremdenfeindlichen Pegida nicht zusammen demonstrieren werde (“Ein Schulterschluss mit Pegida findet nicht statt”, so Frank Hansel, parlamentarischer Geschäftsführer der AfD). Dieser Vorsatz hat nicht lange gehalten: Auf dem Flyer zum Chemnitzer Schweigemarsch prangten stolz beide Logos. Florian Schillat ordnet bei Stern.de die unheilige Allianz ein und erklärt die Hintergründe.

6. Strichmenschen gegen den Hass
(zeit.de, Linda Fischer)
Der Künstler “Krieg und Freitag” ist für seine witzigen Strichmännchen auf Twitter bekannt. Nach den Ausschreitungen in Chemnitz startete er eine Spendenkampagne: Für jede fünf Euro, die gespendet werden, malt er eine Figur. Zunächst waren “nur” 5000 Euro anvisiert, jetzt liegen bereits mehr als 16.000 Euro im Spendentopf.

Des “Guardians” Gewinn, Neues “Zeit”-Ressort, Capital-Bra-Story

1. Und die Zukunft der Zeitung ist doch digital
(deutschlandfunk.de, Brigitte Baetz)
Seit 1998 hat der britische “Guardian” nur Verluste eingefahren. Nun scheint es, als sei der Umschwung geschafft: Der Verlag hat für den “Guardian” einen operativen Gewinn von 800.000 Pfund für das Wirtschaftsjahr 2018/19 vermeldet. Die positive Geschäftsentwicklung beruhe vor allem auf der konsequenten Digitalstrategie der Redaktion und einer treuen und spendenbereiten Leserschaft.

2. Warum wir X gründen
(blog.zeit.de, Jochen Wegner)
“Zeit Online” hat ein neues Ressort ohne festgelegten thematischen Fokus gegründet, dem man den Namen “X” gegeben hat. Alle paar Wochen sollen ressortübergreifenden Schwerpunkte entstehen, die sich aus den Inhalten der verschiedenen anderen Ressorts speisen und sich aus Features, Reportagen, Foto- und Videoessays sowie Datenvisualisierungen zusammensetzen. Der erste “X”-Schwerpunkt beschäftigt sich mit der “großen Wanderung” von Ost- nach Westdeutschland. Dort ist auch eine aufwändige Datenvisualisierung zu sehen, die eine dramatische demographische Entwicklung für die Zeit nach der Wende zeigt: Sechs Millionen Menschen haben dem Osten den Rücken zugewendet und sind in den Westen gezogen. Eine Entwicklung mit Folgen.

3. Können Gehirnfunktionen Stunden nach dem Tod wiederhergestellt werden? Wie weit kann Mikroplastik mit dem Wind reisen? Science Media Newsreel No. 46
(meta-magazin.org)
Im Wochenrückblick des “Science Media Center” geht es um die Forschungsergebnisse, über die in letzter Zeit besonders häufig in den Medien berichtet wurde. Dieses mal dabei: “Perfusionssystem lässt in Schweinehirn einige Zellen Stunden nach dem Tod wieder funktionieren” (“Nature”) und: “Mikroplastik gelangt durch Atmosphäre auch in entlegene Bergregionen” (“Nature Geoscience”).

4. Macht Netflix den Serien-Konsum internationaler?
(netzfeuilleton.de, Till Frommann)
Westliches Fernsehen und hiesiges Kino sind überwiegend von den USA und den dortigen Sehgewohnheiten geprägt. Seit es Streaming-Angebote wie Netflix gibt, besteht jedoch die Möglichkeit, einen Blick auf internationale Produktionen zu werfen. Dort findet sich kommerzieller Mainstream, aber auch manche Besonderheit, wie Till Frommann feststellt.

5. Zuckerberg baut Facebook um: Was der Komplettumbau des sozialen Netzwerkes für Publisher bedeutet
(meedia.de, Robert Tusch)
Facebook-Chef Mark Zuckerberg hat auf der hauseigenen Entwicklerkonferenz F8 einige strukturelle und inhaltliche Änderungen angekündigt. Robert Tusch erklärt auf “Meedia”, was auf Publisher und Werbetreibende, aber auch auf die normalen Facebook-Nutzer zukommt.

6. Die verschollene Capital Bra-Story
(johannvoigt.de)
Capital Bra gilt als der erfolgreichste Künstler der Musikgeschichte Deutschlands und Österreichs, jedenfalls wenn man es an der Anzahl der Nummer-eins-Hits festmacht. Der Journalist Johann Voigt hat den Rapper für eine Geschichte getroffen, die jedoch nicht erschienen ist. Die Gründe sind einigermaßen kurios: Der Text “durfte nicht veröffentlicht werden, weil Capital Bra die während des Fotoshootings in Berlin entstandenen Fotos nicht freigegeben hat, stattdessen ein Handybild von seinen Kindern geschickt hat und zu einem neu organisierten Fotoshooting nicht auftauchte.” Voigt hat das redigierte und korrekturgelesene Stück auf seiner privaten Seite veröffentlicht.

Reichelts nächtliche Nachrichten, Belarus-Präsenz, Höcke-Interview

1. Sind ARD und ZDF in Belarus präsent genug?
(uebermedien.de, René Martens)
Der stellvertretende “Bild”-Chefredakteur Paul Ronzheimer ist für seine Berichterstattung aus Belarus teilweise sehr gelobt worden, gerne auch verbunden mit der Kritik an anderen Medien, die angeblich nicht ausreichend präsent seien beziehungsweise zu wenig berichten würden. Sind Lob und Kritik berechtigt? René Martens sortiert die vielschichtige Debatte um die Belarus-Berichterstattung – ein Sortiervorgang, bei dem die Öffentlich-Rechtlichen besser wegkommen, als es ihr Image in manchen Kreisen erwarten lässt.

2. Kein Interesse an “Deeskalationsteams”
(deutschlandfunk.de, Annika Schneider, Audio: 5:15 Minuten)
Am Wochenende wird in Berlin erneut eine Demo gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung stattfinden. Der Veranstalter fordert Medienschaffende dazu auf, sich vor dem Besuch der Proteste bei ihm zu akkreditieren. Man würde ihnen zum besseren Schutz sogenannte Deeskalationsteams zur Seite stellen. Jörg Reichel, Landesgeschäftsführer der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union Berlin-Brandenburg, rät von dieser Form des “Embedded Journalism” ab: “Wenn die Polizei die Journalistinnen und Journalisten nicht unterstützt in ihrer Arbeit und nicht für einen aktiven Schutz sorgt, wird nur eine Berichterstattung aus der Distanz möglich sein.”

3. “Ach, Herr Sänger”
(sueddeutsche.de, Ulrike Nimz)
Trotz einiger Kritik im Vorfeld hat der MDR das Sommerinterview mit dem Thüringer AfD-Chef Björn Höcke durchgeführt. Ulrike Nimz hat sich das 36-minütige Gespräch angeschaut: “Der Moderator ist vorbereitet, kennt die Corona-Fallzahlen ebenso wie aktuelle Umfragen zur Akzeptanz der Maskenpflicht. In seiner Ruhe bietet er Höcke kaum Anlass zur selbstgerechten Empörung, treibt ihn aber auch nicht in die Ecke.”

Bildblog unterstuetzen

4. Letzte Woche war …
(twitter.com, Christian Miele)
Christian Miele, Präsident des Bundesverbands Deutsche Startups, hat es gewagt, “Bild” zu kritisieren und zwar für eine, seiner Ansicht nach, “in jederlei Hinsicht unglückliche und zumindest als rassistisch interpretierbare” Überschrift. Damit hat er sich ein Telefonat mit “Bild”-Chef Julian Reichelt, ein Treffen mit einem Springer-Vorstand und eine ganze Kaskade nächtlicher Nachrichten eingehandelt, in denen Reichelt eine offizielle Entschuldigung gefordert habe. Miele in seinem Twitter-Thread dazu: “Ich kann das erst einmal nicht glauben. Ist das hier wirklich der Chefredakteur von Deutschlands größtem Medium? Woher kommt diese emotionale Reaktion zu später Stunde?”

5. TikTok reicht Klage gegen Trump-Dekret ein
(zeit.de)
Um einem eventuellen Verbot entgegenzuwirken, haben die Betreiber der chinesischen Video-App TikTok Klage gegen die USA beim Bundesgericht in Los Angeles eingereicht. Sorgen mache dem Unternehmen ein von Donald Trump unterzeichnetes Dekret, das mit der baldigen Stilllegung drohe, sollte der chinesische Mutterkonzern nicht zumindest seine US-amerikanische Dependance abstoßen.

6. Lucas Teuchner: Das ist der Macher hinter Apache 207, Bausa und Loredana
(omr.com, Roland Eisenbrand)
Im Podcast der “Online Marketing Rockstars” ist der 26-jährige Musikmanager Lucas Teuchner zu Gast, der bereits aus einigen Musikern und Musikerinnen Stars gemacht hat, darunter Apache 207, Bausa und Loredana. Im Podcast spricht der Chef von mittlerweile 37 Personen über seine steile Karriere, das Besondere am Geldverdienen in der Musikbranche und absatzfördernde Maßnahmen in Zeiten von Youtube-Views und Spotify-Klicks.

KW 21/22: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. ZDF Magazin Royale vom 27. Mai 2022
(zdf.de, ZDF Magazin Royale, Video: 35:59 Minuten)
Jan Böhmermann und seine Redaktion wollten überprüfen, was passiert, wenn man Hasskommentare bei der Polizei anzeigt, und haben dafür einen bundesweiten Versuch gestartet. Das Ergebnis ist niederschmetternd und ein Armutszeugnis für Polizei und Staatsanwaltschaft. Oder um es mit den Worten der Redaktion auszudrücken: “Der Einsatzwagen der Internetpolizei muss dringend zum TÜV.”

2. Journalismus zwischen Ideal und Selbstausbeutung
(deutschlandfunk.de, Brigitte Baetz & Pia Behme, Audio: 29:55 Minuten)
“Wenn Journalismus demokratierelevant ist, wie steht es dann um die Demokratie, wenn journalistische Arbeit nicht zum Leben reicht? Und wie wirkt sich das auf die Berichterstattung aus?” Brigitte Baetz und Pia Behme befassen sich mit den prekären Arbeitsbedingungen im Journalismus, die sich durch die Corona-Pandemie noch verschärft haben.

3. Markus Kompa: Geschichte des Presserechts
(kanzleikompa.de, Markus Kompa, Video: 55:38 Minuten)
Der Medienanwalt Markus Kompa hat auf der diesjährigen Gulaschprogrammiernacht, einer viertägigen Konferenz des Chaos Computer Clubs für Hacker und Technikbegeisterte, einen interessanten Vortrag über die Entwicklung des Presserechts gehalten. Kompa beginnt im Jahr 1470 vor Christus und arbeitet sich etappenweise in die Jetztzeit vor.

Bildblog unterstuetzen

4. Kollektiver Aufschrei gegen die Chatkontrolle
(faz.net, Corinna Budras, Audio: 1:34:45 Stunden)
In der aktuellen Folge des “FAZ”-“Einspruch”-Podcasts geht es unter anderem um die Bestrebungen der EU-Kommission, eine sogenannte Chatkontrolle zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch einzurichten, und die Kritikpunkte daran. Corinna Budras hat dazu den Juristen Erik Tuchtfeld vom Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht eingeladen.

5. Ferngespräche: Kolumbien
(ardaudiothek.de, Holger Klein, Audio: 34:09 Minuten)
Die radioeins-Korrespondenteninterviews von Holger Klein garantieren kurzweilige Unterhaltung und viele Informationen zur journalistischen Arbeit. Diesmal geht es nach Südamerika, genauer nach Rio de Janeiro. Von dort berichtet Anne Herrberg über Argentinien, Bolivien, Brasilien, Chile, Ecuador, Kolumbien, Peru, Paraguay und Uruguay. Weil diese Fülle an Ländern jeden Rahmen sprengen würde, beschränken sich Herrberg und Klein in ihrem Gespräch auf Kolumbien, wo demnächst Präsidentschaftswahlen anstehen.

6. Amber Heard vs Johnny Depp: Verurteilt auf TikTok
(ardmediathek.de, Konstanze Nastarowitz, Video: 14:48 Minuten)
Die Sozialen Medien werden derzeit von Nachrichtenschnipseln, Memes und Ausschnitten zum Prozess um Amber Heard und Johnny Depp geflutet. Dabei schlagen sich viele Nutzer und Nutzerinnen auf die Seite von Johnny Depp. Konstanze Nastarowitz fragt: “Ist das Urteil in den sozialen Medien also schon gefallen, obwohl der Prozess noch läuft? Und vergessen wir manchmal dabei, dass es sich hier um zwei echte Menschen handelt?”

KW 37/22: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. Fritz Pleitgen: Zeuge seiner Zeit
(ardmediathek.de, Klaus Martens, Video: 1:14:52 Stunden)
Der bekannte Journalist, frühere ARD-Korrespondent und WDR-Intendant Fritz Pleitgen ist im Alter von 84 Jahren gestorben. Die WDR-Doku “Zeuge seiner Zeit” würdigt Pleitgen, sein Leben und seine Werke und endet mit Pleitgens Krebsdiagnose und seinem Wunsch, “in geordneten Verhältnissen aus dieser Welt zu scheiden”.
Weiterer Hörtipp: Empfehlenswert ist auch die siebenteilige Podcastreihe “Fritz Pleitgen – sein Leben”, die gleichzeitig eine Reise durch circa 50 Jahre Zeit- und Rundfunkgeschichte ist (ardaudiothek.de, Jochen Rausch, zwischen 37 und 58 Minuten).

2. Schöne neue Parallelwelt – Netzwerke der “Alternativmedien”
(ardmediathek.de, Nils Altland & Lea Eichhorn & Amelia Wischnewski, Audio: 44:21 Minuten)
Beim Medienmagazin “Zapp” geht es um die Netzwerke der Alternativmedien und die bekannten Köpfe dahinter: “Dieses ZAPP spezial zeigt, wie sich Medienaktivisten wie Ken Jebsen oder der Österreicher Stefan Magnet gegen Widerstände durchsetzen und an einer neuen, vernetzen Gegenöffentlichkeit arbeiten.”
Weiterer Gucktipp: “Wie unabhängig ist Telegram wirklich?” “STRG_F”-Reporter sind nach Dubai gereist, um den Bürositz von Telegram ausfindig zu machen, und sprechen mit ehemaligen Vertrauten und Mitarbeitern von Telegram-Gründer Pavel Durov (youtube.com, Milan Panek & Nino Seidel, Video: 32:06 Minuten).

3. Journalisten unter Druck
(ardaudiothek.de, Weltspiegel, Audio: 31:04 Minuten)
Die Berichterstattung aus Ländern wie Russland und China wird immer schwieriger, die Möglichkeiten von Medienschaffenden werden immer weiter eingeschränkt. Mögliche Interviewpartner und -partnerinnen müssen Konsequenzen befürchten, wenn sie mit der Presse sprechen. Wie kann man unter solchen Bedingungen überhaupt noch über ein Land berichten?

Bildblog unterstuetzen

4. Die Klischeekiller: Fakten gegen Fake
(quoted-medienpodcast.podigee.io, Nils Minkmar & Nadia Zaboura, Audio: 24:42 Minuten)
Beim “quoted Medienpodcast” ist Fabio Ghelli vom “Mediendienst Integration” zu Gast. Kommunikationswissenschaftlerin Nadia Zaboura und “SZ”-Journalist Nils Minkmar sprechen mit ihm über die besondere Bedeutung von Fakten in der oft aufgeheizten Debatte rund um die Einwanderungsgesellschaft.

5. Wie bringt man Schüler:innen Nachrichtenkompetenz bei?
(uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 17:33 Minuten)
“Woran erkennt man Fake-News? Was sind verlässliche Quellen? Und welche Rolle spielen Medien in einer Gesellschaft?” Darüber spricht Holger Klein mit Jörg Sadrozinski vom Verein “Journalismus macht Schule”.

6. Presselandschaft unter Druck: Steigende Papierpreise, langsame Digitalisierung
(br.de, Linus Lüring, Audio: 29:23 Minuten)
Im BR-Medienmagazin geht es um die Zeitungslandschaft im Wandel. Mit O-Tönen dabei sind Sigrun Albert (BDZV), Michael Husarek (“Nürnberger Nachrichten”), Kai Röhrbein (“Walsroder Zeitung”), Eugen Russ (“Vorarlberger Zeitung”), Martin Andree (Uni Köln) und Peter Stefan Herbst (“Saarbrücker Zeitung”).

“Bild” bringt geile Fäkal-Rapperin groß raus

Reyhan Sahin fand wohl, dass ihre Karriere jetzt mal ein bisschen Schwung gebrauchen könnte. Unter ihrem Künstlernamen “Lady Ray” hat sie ein Musikstück namens “Ich hasse Dich” aufgenommen, in der sie mehrere populäre Sängerinnen “Hure”, “Nutte”, “Dummschlampe”, “Kröte” und “Drecksloch” nennt (um wirklich nur die harmlosesten Begriffe aufzuzählen) und ihnen zur Steigerung ihrer Gesangsqualitäten u.a. harten Analverkehr empfielt.

Bislang hatte Sahin noch als Journalistin für Radio Bremen gearbeitet, aber der Sender fand ihre neue Karriere wohl mit dem eigenen öffentlich-rechtlichen Anspruch nicht so richtig kompatibel. Wenig hilfreich war es sicher auch, dass Frau Sahin bei einer Veranstaltung des Senders Funkhaus Europa anstelle eines Rocks nicht viel mehr als einen breiten Gürtel getragen haben soll, auf dem fünf Buchstaben Frau Sahins Lieblingswort für ein unweit entferntes weibliches Geschlechtsmerkmal bildeten. Jedenfalls hat sich der Sender von ihr getrennt, wie uns Radio Bremen bestätigte.

Man kann sich leicht ausmalen, welche Skandal-Schlagzeilen zum Beispiel die papsttreue “Bild”-Zeitung sonst daraus hätte machen können, dass so eine Frau bei einem öffentlich-rechtlichen Sender arbeiten darf.

Andererseits gibt es von “Lady Ray” richtig scharfe Fotos, so mit mehreren Fingern im knappen Slip und so. Und da ist die “Bild”-Zeitung nicht wählerisch, wem sie zu PR verhilft. Also brachte sie in ihrer Bremer Ausgabe am Mittwoch eine große Geschichte. Schlagzeile:

Zu sexy für Radio Bremen? Funkhaus feuert Lady-Ray

Der Grund für die Kündigung? “Bild” zitiert die Moderatorin:

“[Meine Chefin] hat mich angemacht. Ich sollte nicht immer so kurze Röcke tragen und mein Dekolleté nicht so offen zeigen. Dabei hört man meine Brüste doch gar nicht am Mikrofon quietschen.”

Später heißt es immerhin noch:

Doch die Deutsch-Türkin wurde nicht nur wegen ihrer aufreizenden Kleidung gefeuert: “In meiner Freizeit mache ich Musik, bin seit 13 Jahren Rapperin. Meine Chefin hat meine Texte im Internet gehört. Die waren ihr wohl zu pornografisch.”

Bei Bild.de findet sich ein Stück zum Thema im Ressort “Geld & Job”. Angekündigt wird es (siehe Ausriss rechts) mit dem abwegigen Zitat von den quietschenden Brüsten — und das Fragezeichen hinter dem vermeintlichen Kündigungsgrund ist verschwunden. (Auch die gedruckte “Bild” tut in einem neuen Artikel heute so, als wäre das eine Tatsache.)

Der Bild.de-Artikel beginnt mit den Worten:

Sie hat eine tolle Stimme. Sie ist klug. Trotzdem wurde die Kult-Moderatorin von Radio Bremen gefeuert.

Nur was die kluge Frau mit ihrer tollen Stimme so singt, verraten weder Bild.de noch “Bild” ihren Lesern.

(Fortsetzung hier.)

Neues von Knut

Man kann sie nur erahnen, die Anstrengung, die es die “Bild”-Redaktion kostet, Tag für Tag Artikel aus einem Eisbärbaby herauszupressen, aber sie scheint übermenschlich zu sein.

In der vergangenen Woche machte die Zeitung aus einem wirren Brief und einem Sicherheitsbeamten ein Szenario, als müsse Knuts Gehege aufgrund von Morddrohungen gesichert werden wie Heiligendamm vor dem G8-Gipfel.

Gestern verkündete “Bild”, Knut sei nun in die “Bärenpubertät”* gekommen, und präsentierte fast halbseitig seine “1. Freundin”, an der er neuerdings “strategisch seinen Teenie-Charme” teste: die alte Kragenbärin Mäuschen. Offenbar mit Erfolg, denn neben dem Foto von Mäuschen steht groß:

Bisher spielte die Kragenbärin immer mit einer Katze. Aber jetzt ist der kleine Eisbär da…

Und unterstehen Sie sich, das aufgrund der zwei zusammenmontierten Fotos (Ausriss rechts) für eines der üblichen “Bild”-Märchen zu halten, denn “Bild” hat ihn, den “Foto-Beweis”:

Wobei — das können wir toppen. Wir haben nämlich den Video-Beweis! Also, eigentlich hat ihn Knuts Haussender, der RBB. Er zeigte ihn der interessierten Weltöffentlichkeit (und den ARD-Zuschauern) bereits am 12. April:

Und auch da war die Bekanntschaft zwischen Knut und der Kragenbärin längst keine Neuigkeit mehr: Bereits am 16. März berichtete das Berliner Boulevardblatt “B.Z.” (eine Schwesterzeitung von “Bild”), dass Knut und Mäuschen bereits “Sicht- und Riechkontakt” aufgenommen hätten. Und bereits am 18. März beschrieb die “Berliner Morgenpost” (eine Schwesterzeitung von “Bild”), wie Knut “der uralten Kragenbärin Mäuschen auf dem Hof einen Besuch abstatten” wollte.

An der Pubertät liegt’s also nicht. Und schon dem inzwischen fünf Wochen alten “Morgenpost”-Artikel konnte man entnehmen, dass von einer Freundschaft keine Rede sein kann. Mäuschen findet Knut nämlich, wie Knuts Pfleger im RBB-Video sagt, “nicht so niedlich”. Regelmäßig muss er, zu seinem eigenen Schutz, von ihr ferngehalten werden.

Und heute? Heute staunt “Bild” halbseitig:

Knut soll Norweger werden!

Ja. Das stand am 19. April, also vor fünf Tagen, schon kurz in der “taz”. “Bild” aber hat zusätzlich noch ein Statement von Ragnar Kühne vom Berliner Zoo eingeholt, das erahnen lässt, wie sehr man sich dort über die Berichterstattung von “Bild” freut. Kühne antwortete auf die Nachfragen mit einem Satz, der der Dramatik der aktuellen Entwicklung wohl gerecht wird. Er sagte “Bild”:

“Wir haben einen Brief erhalten und ihn an die zuständige Abteilung weiter gereicht.”

Mit Dank an kuzy für den Norwegen-Hinweis!

*) Nachtrag: (mit Dank an Markus M.) Eisbären werden im Alter von fünf bis sechs Jahren geschlechtsreif.

Adblock-Pixi, Aufbrausender Brausehersteller, Leserpost

1. Adblock Plus, die #rpTEN und Flattr – Ein Hoch auf die Gatekeeper!
(mobilegeeks.de, Sascha Pallenberg)
Auch der Kurator der “6 vor 9”-Medienlinks rieb sich verwundert die Augen, als er aus seinem re:publica-Begrüßungsbeutel eine als pixi-Kinderbuch daherkommende Werbeschrift des Onlineanzeigen-Verhinderers “Adblock Plus” herausholte. Sascha Pallenberg hat sich bereits des Öfteren mit dem dahintersteckenden Unternehmen beschäftigt und findet deutliche Worte für die Kooperation: “Liebe re:publica. Du hast deine Ideale an einen Zensor verkauft. Du prostituierst dich fuer einen Gatekeeper, der eine heterogene Publishing-Landschaft zerstört. Der ehemals unabhängige, kleine aber sehr relevante Blogs, zum Aufgeben zwingt, weil ihnen die Einnahmen komplett wegbrechen.”

2. Salzburger Festspiele mit Red-Bull-Dröhnung
(faz.net, Michael Hanfeld)
“Der Sender Servus TV macht doch nicht dicht. Eigentümer und Red-Bull-Gründer Dietrich Mateschitz hatte rot gesehen, weil er keinen Betriebsrat wollte. Oder hatte er zu viel Red Bull intus?”, fragt Michael Hanfeld von der “FAZ”. Im Artikel erklärt Hanfeld die Hintergründe zur Ein-Tages-Volte des aufbrausenden Brause-Herstellers.

3. „Neuer Tag“ endet nach neun Wochen
(taz.de)
Gerade mal neun Wochen hat die britische Tageszeitung “The New Day” durchgehalten. Doch nun ist Schluss, trotz positiver Kritiken. Das Projekt mit einer eher unpolitischen Mischung aus Verbraucher- und Lifestyle-Themen Männer und Frauen anzusprechen und verlorengegangene Zeitungsleser zurückgewinnen, sei gescheitert.

4. Wir kommen in Frieden
(zeit.de, Patrick Beuth)
“Dies ist eine Warnung an alle, die Snapchat lieben: Auf der re:publica und anderswo formieren sich Medienhäuser und Werbeprofis. Sie planen eine Invasion.” Patrick Beuth von der “Zeit” wendet sich in einem offenen Brief an die Snapchat-Nutzer. “Ich weiß, wir haben unsere Differenzen. Euer Internet besteht aus Fotos und Videos, meines aus Buchstaben. Ihr findet, Regenbogenkotze sagt mehr als 1.000 Worte, ich mag Nebensätze. Ihr lest das hier vermutlich nicht einmal. Trotzdem möchte ich euch warnen: Sie sind hinter euch her! Sie kommen, um euch zu holen!”

5. Entscheidung „Verlegeranteil“ liegt im Volltext vor
(internet-law.de, Thomas Stadler)
Die Entscheidung des BGH, nach der die VG Wort nicht berechtigt ist, einen Anteil ihrer Einnahmen an Verlage abzuführen, liegt nunmehr im Volltext vor. Rechtsanwalt Thomas Stadler hat einen Blick auf die Begründung geworfen und stimmt in allen Punkten zu. Die Entscheidung des BGH wende das geltende Recht konsequent und zutreffend an. Sie führe allerdings dazu, dass die Forderung der Verlage nach einem (umfassenden) gesetzlichen Leistungsschutzrecht neuen Auftrieb erhalten werde.

6. Brief an den unbekannten Hater: Nimm die Hand aus der Hose, wenn ich mit dir rede
(spiegel.de, Margarete Stokowski)
“Spiegel”-Kolumnistin Margarete Stokowski bekommt immer wieder unschöne Leserpost. Nun hat ihr “Ruven” mit unschönen Worten ein baldiges Ableben gewünscht (“Hallo Dummsau. Ich hoffe du ertrinkst in einem deiner Transgender-Klos”). In ihrer neuen Kolumne antwortet Stokowski dem Leser.

Buchmessen-Tumulte, Bundeswehr-Filmchen, Dystopie-Geschwafel

1. Dialog unmöglich
(spiegel.de, Eva Thöne)
Auf „Spiegel Online“ gibt es einen aktualisierten Beitrag über die Tumulte auf der Frankfurter Buchmesse. Hintergrund: Der Veranstalter hatte Verlage zugelassen, die man dezidiert dem rechten bis rechtsextremen Spektrum zuordnen kann, was zu Protesten geführt hatte. Im Beitrag geht es um Provokation auf beiden Seiten, gewalttätige Angriffe von rechts und einen hilflosen Veranstalter.
Weiterer Lesetipp: Auch Gerald Hensel schreibt über die Vorgänge: “Chaostage auf der Buchmesse”. Er verurteile Protestaktionen, welche das Recht verletzen, wünsche sich aber von der Buchmesse mehr Haltung: “Eine Buchmesse hat Hausrecht und nicht die Aufgabe, alle Meinungen der Welt gleichberechtigt abzubilden — speziell dann, wenn sie dedizierte Gegner einer offenen Demokratie sind.”
Und zur Vervollständigung: Auf Twitter verbreiteten sich Meldungen, dass ein Frankfurter Stadtverordneter (“Die Partei”) auf der Buchmesse zusammengeschlagen worden sei, weil er gegen Nazis demonstriert hatte. Nun hat ein Fotograf ein Video veröffentlicht, das einen anderen Eindruck vermittelt. Mehr darüber bei “BuzzFeed News” unter “Dieses Video zeigt, dass der DIE PARTEI-Politiker auf der Buchmesse nicht zusammengeschlagen wurde”.

2. Feindbild Algorithmus
(zeit.de, Patrick Beuth)
In einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags ist von einem „Bedarf an weiterführenden Regelungen im Bereich der Algorithmenkontrolle” die Rede. Der scheidende Bundesjustizminister Heiko Maas forderte in der Vergangenheit bereits ein „Transparenzgebot für Algorithmen“. Patrick Beuth betrachtet auf „Zeit Online“ die verschiedenen Aspekte dieser Vorhaben. Die Sache ist nicht einfach. Schließlich betrifft es auch schwer zu kontrollierende, sich verändernde Algorithmen und selbstlernende Systeme.

3. Gesprächsaufklärung mit Drohnen
(taz.de, Lisa Ecke)
Auf die Bundeswehr-Serie „Die Rekruten“ auf YouTube folgt nun die Serie „Mali“. Allein die Werbung für die unterhaltsamen Propagandafilmchen lässt sich die Bundeswehr 4,4 Millionen Euro kosten. Bereits der Trailer der Serie stoße auf kritische Resonanz. So kritisiert die Vorstandsleiterin des Bereichs Schule der “Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft” die “verklärte Darstellung als Heldenstory und die fehlende Objektivität”.

4. Wer redet, riskiert einen teuren Prozess
(sueddeutsche.de, Carolin Gasteiger)
Die „SZ“ hat sich mit Paul Farhi, dem Medienexperte der “Washington Post“, über das Machtverhältnis zwischen dem Filmboss Harvey Weinstein und Journalisten unterhalten. Es geht um die mutmaßlichen sexuellen Übergriffe des mächtigen “Miramax”-Mitgründers Weinstein und die Frage, ob Journalisten Weinstein indirekt geholfen hätten, die Übergriffe zu vertuschen. Farhi kritisiert insbesondere den TV-Sender NBC, der im vergangenen Jahr schon einmal im Verdacht gestanden hätte, prekäre Informationen zurückzuhalten. Damals ging es um das Video, in dem Donald Trump damit angegeben hatte, Frauen belästigt zu haben.

5. Sterne für 14,95 Euro
(faktenfinder.tagesschau.de, Kristin Becker)
Wie verlässlich sind Kundenbewertungen auf Onlineportalen? Wenn man Tests der Analyseseite „ReviewMeta“ Glauben schenkt, ist Vorsicht geboten: Bei einem untersuchten Fall hielt das Unternehmen nur 75 von mehr als 400 Bewertungen für glaubwürdig. Experten würden davon ausgehen, dass im großen Stil manipulierte beziehungsweise interessensgeleitete Bewertungen auf Online-Portalen kursieren. Diese stammen oft von kommerziellen Bewertungsverkäufern, die teilweise vom Ausland aus ihre zwielichtigen Dienste anbieten.

6. Narrativ intrinsische Dystopie: Die Welt der Modewörter
(dwdl.de, Hans Hoff)
Hans Hoff erzählt in seiner Kolumne von seinen drei Lieblings-Modewörtern. Auf Platz drei rangiert bei ihm das „Narrativ“. Der zweite Platz gehört dem Wort „intrinsisch“. Auf Platz eins steht bei ihm das in der deutschen Film- und Literaturkritik unentbehrliche, zukunftspessimistische Gesellschaftsszenario: „Sich ein Leben ohne Dystopie vorzustellen, ist für Rezensenten möglicherweise noch erahnbar, wird aber letztlich doch eher als weitgehend sinnlos eingeschätzt. Ohne Dystopie kriegt man das Bild auf seiner Schwafelei einfach nicht rund.“

EU bringt Internet in Gefahr, Buhrows Klatsche, Williams-Karikaturenstreit

1. Diese Überschrift dürfen Sie künftig nicht mehr zitieren
(zeit.de, Lisa Hegemann)
Gestern beschloss eine Mehrheit im EU-Parlament entgegen aller Kritik von Fachleuten und fast einer Million Unterschriften von skeptischen Bürgern die EU-Urheberrechtsreform. Entsprechend groß ist das Entsetzen bei den Medienbeobachtern.
“Zeit Online”-Redakteurin Lisa Hegemann schreibt: “Die Lobbyarbeit ist aufgegangen: Die EU-Urheberrechtsreform belohnt die Verlage. Für uns alle ist sie desaströs. Die freie Verbreitung von Informationen ist in Gefahr.”
Muzayen Al-Youssef kommentiert im “Standard”: “Die Verschärfung des Urheberrechts fördert Zensur und zeigt, dass das EU-Parlament Netzaktivisten, IT-Koryphäen und Bürger ignoriert hat.”
Patrick Beuth kommentiert bei “Spiegel Online”: “Die Mehrheit der EU-Abgeordneten hat mit ihrer Zustimmung zur Urheberrechtsreform bewiesen, dass sie das Internet nicht versteht — und an magische Lösungen für technische Probleme glaubt.”
Und Richard Gutjahr spricht auf Facebook von einem “Ausverkauf des Journalismus”.
Es gab im Vorfeld jedoch auch Äußerungen von Befürwortern, wie den Beitrag der “SZ”-Größe Heribert Prantl. Einen Kommentar, den Stefan Niggemeier auf “Übermedien” als “Verleumdung im Dienst der Aufklärung” bezeichnet.

2. Eine 22-seitige Klatsche für Tom Buhrow
(sueddeutsche.de, Hans Hoff)
Als eine “22-seitige Klatsche für Tom Buhrow” bezeichnet “SZ”-Kolumnist Hans Hoff den Abschlussbericht zum Umgang des WDR mit Vorwürfen der sexuellen Belästigung. Mit der Erstellung des Berichts war die ehemalige Gewerkschaftsvorsitzende Monika Wulf-Mathies betraut worden. Und die gibt dem Sender schlechte Noten: Der WDR brauche dringend einen Kulturwandel, eine Verbesserung des Betriebsklimas und mehr gegenseitige Wertschätzung.
Weiterer Lesehinweis: Nur die Spitze des Eisbergs (taz.de, Wilfried Urbe).

3. “Eingeimpft” im MedWatch-Check Teil 2: “Wenn ungeimpfte Kinder sterben, ist das Schicksal”
(medwatch.de, Hinnerk Feldwisch Drentrup)
Nach einer Recherche von “MedWatch” kommen in Dokumentarfilm “Eingeimpft” fragwürdige Forscher zu Wort, die Gelder von Anti-Impf-Lobbyorganisationen erhalten. “MedWatch” hat Produzenten, Geldgeber und weitere Experten um eine Bewertung gebeten.

4. Zeitung verteidigt umstrittene Serena-Williams-Karikatur
(spiegel.de)
Nach dem Wutausbruch der Tennisspielerin Serena Williams im Finale der US Open erschien in der australischen “Herald Sun” eine vielfach kritisierte Karikatur: Der Zeichner Mark Knight hatte die Tennisspielerin als wutschnaubende Schwarze mit dicken Lippen, breiter Nase und großem Hinterteil gezeichnet. Tausende Menschen, darunter auch Promis wie die Autorin J.K. Rowling, warfen der Zeitung darauf unter anderem Rassismus vor. Das Blatt stellte sich jedoch hinter ihren Zeichner und druckte die Karikatur erneut ab, diesmal sogar auf dem Titel.
Weiterer Lesehinweis: Ebenfalls auf “Spiegel Online” kommentiert Hannah Pilarczyk: “In dieser Karikatur stecken diverse rassistische Stereotype. Ob sie absichtlich benutzt wurden oder nicht, ist egal: Einem Profizeichner darf so etwas nicht passieren.”

5. Erdogan nimmt Geisel
(jungewelt.de, Alp Kayserilioglu & Joan Adalar)
In der Türkei ist ein weiterer kritischer Journalist verhaftet worden: der österreichische Autor Max Zirngast, der dort seit 2015 Politikwissenschaften studiert. Vielleicht störten sich die türkischen Behörden an Zirngasts Engagement für eine alternative Sommerschule für Kinder aus armen Familien, vielleicht an seinen politischen Publikationen. Was ihm genau zum Vorwurf gemacht wird, sei jedoch unklar.
Weiterer Lesehinweis: Im österreichischen “Standard” erzählt der Journalist und Türkei-Kenner Markus Benrath von einer Begegnung mit Zirngast, dem “baumlangen, sympathischen Steirer” in Ankara.

6. “Jetzt bin ich halt der Ottlitz”
(mediummagazin.de, Jens Twiehaus)
Stefan Plöchinger ist in der Medienwelt ein bekannter Name: Er war Digital-Chef der “Süddeutschen Zeitung” und ist vor Kurzem als Leiter der Produktentwicklung beim “Spiegel” in die Geschäftsleitung aufgestiegen. Doch viele werden sich umgewöhnen müssen, denn Plöchinger heißt jetzt Ottlitz. Das “Medium Magazin” hat sich bei ihm danach erkundigt, wie es dazu gekommen ist, dass er seinen branchenbekannten Namen abgelegt hat.

Der große Werbe-Beschiss, Rezo und die Zeitungen, Lachkonserve-Erfinder

1. Der grosse Werbe-Beschiss: Klickt euch doch selbst!
(medienwoche.ch, René Zeyer)
René Zeyer beschäftigt sich in der “Medienwoche” mit einem Problem, das bei vielen Medien gerne unter den Tisch gekehrt wird: den unzähligen Promi-Betrugsinseraten und Werbebetrügereien. Er schreibt: “Wieso es aber weder Google mit seinen Tausenden von IT-Spezialisten, noch grossen Medienkonzernen wie Springer, Ringier, «Spiegel», «Die Zeit» und anderen nicht gelingt, wenigstens offenkundige Betrugsmaschen den Stecker zu ziehen, bleibt unverständlich.” Manche Medien würden gar vor den Fake-Inseraten ihrer eigenen Seite warnen: “Man muss sich diese Absurdität auf der Zunge zergehen lassen: Ein Verlag warnt vor seinen eigenen Inseraten. Er verdient zwar dran, kriegt sie aber nicht weg.”

2. Die Zerstörung der Zeitungen durch den Youtuber Rezo
(indiskretionehrensache.de, Thomas Knüwer)
Youtuber Rezo war beim Comedyduo “Space Frogs” zu Gast. Es ging um das Thema “Zeitung”. Hat das Konzept ausgedient (“Die meisten Zeitungen sind Billo-Shit-Unterhaltung.”)? Und warum kritisieren Medien sich nicht untereinander, da wo es angebracht ist: “Übermedien macht das. BILDblog macht das. Aber warum machen das nicht alle Zeitungen?”

3. Viele individuelle Lösungen für komplexe Probleme
(deutschlandfunk.de, Mirjam Kid, Audio: 6:16 Minuten)
Die “Fridays for Future”-Bewegung könne laut Medienethiker Alexander Filipovic einen positiven Effekt auf die Medienberichterstattung haben. Die Folge der Proteste könne sein, “dass sich die Erwachsenen für die Komplexität des Themas interessieren und auch die anspruchsvollen Dinge angucken und auch kaufen, sodass sich die Medien auch trauen, die wichtigen Sachen zu platzieren”.

4. dpa reagiert positiv auf offenen Brief zum Jubiläum
(genderequalitymedia.org)
Anlässlich des 70. Geburtstags der Deutschen Presse-Agentur (dpa) hat sich “Gender Equality Media” in einem offenen Brief (PDF) an die Nachrichtenagentur gewandt. Kern des Anliegens: Die Nachrichtenprofis auf unangebrachte Begriffe im Zusammenhang mit der Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen hinzuweisen. Der offene Brief sei von der Agentur positiv aufgenommen worden.

5. Erzählen Sie lieber was vom Pferd!
(faz.net, Hans Hütt)
Das Format der Sommerinterviews gehört neu überdacht, findet Hans Hütt: “Wie kommt es, dass die beiden großen Sendeanstalten mit ihren erstaunlichen Ressourcen nicht in der Lage sind, ihre rhetorisch ausgeschlafenen Gäste mit Daten und Fakten zu konfrontieren?” Die “oberflächliche Dampfplauderei” sei entbehrlich.

6. Der Erfinder der Lach-Konserve
(spiegel.de, Danny Kringiel)
Hinter dem Lachen vom Band in TV-Sendungen steht die Erfindung eines US-Ingenieurs aus dem Jahr 1953 — Charles Douglass hatte eine “Lachmaschine” entwickelt: “Die Tasten waren mit 320 Lacher-Variationen belegt. Es war wie eine Orgel, mit der man ein ganzes Lachorchester kontrollierte. Douglass spielte sie virtuos. Mit präzisem Timing setzte er Lacher wie Akkorde zusammen: etwa das frühe Kichern vom Blitzmerker, der die Pointe als erster versteht, überlappend mit dem Auflachen der Menge, als der Groschen fällt. Das applausbegleitete Hauptgelächter, aus dem ein schrilles Lachen hervorsticht. Und dann, kurz vor dem Abebben, das dröhnende Wiehern des Spätzünders. Douglass schuf Kompositionen der Freude.”

Wahlberichterstattung, Jatta ist Jatta, “Das sagt man nicht!”

1. Schön komfortabel für die AfD
(zeit.de, Matthias Dell)
Matthias Dell analysiert den Wahlabend im “Ersten” mit Fokus auf die AfD. Der Sender sei daran gescheitert, angemessen über die Partei zu berichten: “Die eigentlich doch bestens informierten ARD-Journalisten haben in sechs Jahren AfD-Auftritten scheinbar nicht verstanden, worum es sich bei der Partei handelt, wie verschieden sie intern und nach außen spricht und mit welchen Lügen und falschen Selbstviktimisierungen sie sich ihren Platz im öffentlichen Diskurs erbrüllt hat.”
Die “taz” sieht das ähnlich, wenn sie den Umgang des MDR mit der AfD kritisiert und fragt: “Darf das passieren?”

Weiterer Lesetipp: Netzpolitik.org hat ein paar Beispiele für guten Datenjournalismus zur Wahl zusammengesucht: Wahlen in Brandenburg und Sachsen: Diese Grafiken und Karten visualisieren den Rechtsruck
Für den “Tagesspiegel” hat Sebastian Leber das brandenburgische “AfD-Rekorddorf” Hirschfeld im Elbe-Elster-Kreis besucht und eine lesenswerte Reportage mitgebracht.

2. Absurd peinliches CSU-Video: CSYOU im Faktencheck
(vice.com)
Die CSU hat auf ihrem Youtube-Kanal ein Video veröffentlicht, das auf viele wie eine Karikatur eines jugendlich-flippigen Beitrags im Rezo-Style wirkt. Kein Wunder, dass das Video viele negative Reaktionen hervorruft (bislang 94.000 Daumen nach unten, bei 2400 Daumen nach oben). Außerdem wird vielerorts der Vorwurf geäußert, die CSU habe negative Kommentare gelöscht — was von der CSU jedoch bestritten wird. Aber es besteht auch inhaltliche Kritik an dem Werk: Journalist Sebastian Meineck hat einige der Behauptungen aus dem Video einem Faktencheck unterzogen (Twitter-Thread). Sein Fazit: “Diese Häufung irreführender Informationen ist ein sehr schlechter Stil. Hinzu kommt das Cringefest aus Schnitten, Soundeffekten und hippeligem Host. Mehr als 3 Monate nach dem Rezo-Video ist das eine Riesenblamage.”

3. 5 Learnings aus einem Jahr Paywall
(medium.com, Martin Fehrensen)
Martin Fehrensen ist der Herausgeber des “Social Media Briefings”. Dabei handelt es sich um Fachinformationen, die zwei- bis dreimal die Woche per Newsletter an die (zahlenden) Abonnenten verschickt werden. In einem Bericht hat Fehrensen seine fünf “Learnings” notiert, die er im vergangenen Jahr, seit sein Angebot hinter einer Paywall steht, gewonnen hat. Davon könnten auch andere journalistische Angebote profitieren, die auf der Suche nach tragfähigen Finanzierungsmodellen sind.

4. Rassistischer Konjunktiv
(taz.de, Johannes Kopp)
Das Bezirksamt Hamburg-Mitte hat gestern mitgeteilt, dass es sich bei dem HSV-Fußballer Bakery Jatta tatsächlich um Bakery Jatta handelt. Eigentlich könnte nun endlich Schluss sein mit den vom Springer-Verlag ausgehenden Spekulationen um die Identität des gambischen Fußballprofis. Springer zündele jedoch munter weiter: “Dass der Springer-Verlag seine eigenen Mutmaßungen für beweiskräftiger hält als die Einträge im Geburtenregister von Gambia mag auch deren rassistischen Vorstellungen geschuldet sein.”

5. Das sagt man nicht!
(spiegel.de, Nils Minkmar)
In einem Essay hat sich Nils Minkmar mit der oftmals geäußerten Behauptung auseinandergesetzt, man dürfe heutzutage nicht mehr sagen, was man denke. Dies führe zu unterschiedlichen Verhaltensweisen, etwa dem Rückzug ins Schweigen oder dem lautstarken Schimpfen im Netz. Bei der Antwort auf übertriebene Ängste seien Politikerinnen und Politiker oftmals überfordert. Daher sollten sie von anderen Akteuren, Unternehmerinnen und Unternehmern, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Künstlerinnen und Künstlern unterstützt werden: “Sicher ist, dass ein neuer Prozess nötig ist — man kann nicht immer nur retrospektiv den Aufstieg der Nazis von 1933 verhindern wollen. Die Dialektik von Provokation und Empörung führt zu Lagerbildung, und irgendwann sind alle nur noch beleidigt. Etwas Sportsgeist und Forscherdrang helfen in diesen bewegten Zeiten weiter. Was gesagt wird, ist mitunter nicht halb so spannend wie die Gründe, die Gedanken und Ansichten, die zu der Aussage führten.”

6. Gehet hin und bleibt zu Hause
(faz.net, Nele Antonia Höfler)
Die Kirche hat es heutzutage schwer. Jahr für Jahr gehen die Mitgliederzahlen zurück und die meisten Gotteshäuser sind nur zu den Feiertagen oder bei besonderen Anlässen voll. Da liegt der Gedanke nahe, die Leute dort abzuholen, wo sie sind: im Internet. Nele Antonia Höfler stellt Geistliche vor, die online aktiv sind und die “Frohe Botschaft” via Youtube verbreiten.

Erst BREAKING, dann Recherche

Ein Chefredakteur einer großen Zeitung wird ja sicher nicht einfach so und ohne wirklich was zu wissen den ganz großen Hammer auspacken und Breaking News, Verzeihung, BREAKING NEWS verkünden. Da muss schon etwas Besonderes passiert sein. Oder, Julian Reichelt?

Screenshot eines Tweets von Julian Reichelt - Breaking: Flugbetrieb in TXL wegen Drohnen am Flugfeld für min 30 Minuten unterbrochen. All flight traffic stopped at TXL for at least 30 minutes after drones were spotted near runway. More soon at Bild

Das schrieb der “Bild”-Chef gestern bei Twitter. Und more gab es dann tatsächlich soon at Bild.de: Die Redaktion hatte bei Stefan Jaekel nachgefragt, der als Sprecher der Deutschen Flugsicherung für den Bereich Ostdeutschland zuständig ist. Doch bei Jaekel klingt der von Reichelt aufgegriffene Vorfall in der Nähe des Flughafens Berlin-Tegel schon etliche Nummern kleiner und nicht mehr ganz so “BREAKING”:

“Ein Pilot hat eine Drohnensichtung mitgeteilt, etwa fünf Meilen vom Flughafen Tegel, am Stadtrand, entfernt. Da sich die Sichtung in Verlängerung der Startbahn von Tegel befand, wurden von der Flugsicherung weitere Piloten befragt, ob sie eine ähnliche Sichtung gemacht haben. Das war nicht der Fall. Deswegen haben wir entschieden, dass keine Gefahr besteht.”

Anders als von Reichelt behauptet, wurde der Flugbetrieb auch nicht für “min 30 Minuten unterbrochen”, sondern für etwa fünf Minuten. Was aber überhaupt kein Problem gewesen sei, so Jaekel, “denn in dieser Zeit sollten eh keine Maschinen starten.” Der Flughafenbetreiber bestätigte, dass es “keine Auswirkungen auf den Flugverkehr” gab.

Eine Korrektur oder wenigstens eine Entwarnung zu seinem Tweet gab es von Julian Reichelt nicht. In den Antworten auf seine BREAKING NEWS wird wild spekuliert, ob “die Fanatiker von Extinction Rebellion” hinter der angeblichen Aktion mit der Drohne stecken.

Unwort des Jahres, Assanges Hinrichtung auf Raten, Herrenwitz

1. Selbstverliebte Männer
(taz.de, Ingo Arzt)
Eine Jury aus vier SprachwissenschaftlerInnen und einem Journalisten hat entschieden: Unwort des Jahres ist “Klimahysterie” (Pressemitteilung als PDF). Im Interview mit dem “Spiegel” erklärt Jurychefin Nina Janich, warum das Wort irreführend und diskreditierend sei: “Wenn man die Klimadebatte mit einem Wort wie Hysterie in Zusammenhang bringt, dann diskreditiert man die Debatte, indem man sie pathologisiert und wie eine kollektive Psychose behandelt. Damit werden in der Konsequenz alle, die sich für Klimaschutz engagieren, als Hysteriker abgestempelt. Irreführend ist der Begriff deshalb, weil die Klimadebatte auf Basis wissenschaftlicher Ergebnisse geführt wird, mit dem Wort Hysterie wird sie aber in einen Krankheitsbereich verschoben.” “taz”-Redakteur Ingo Arzt kommentiert: “Auch FDP-Neoliberale, CDU-Konservative und diverse Journalisten nutzten es, denn sie eint mit den Rechtspopulisten das dumpfe Gefühl, dass ihnen da jemand die argumentative Lufthoheit geraubt hat. ‘Hysterie’ als Kampfbegriff gegen eine größtenteils weibliche Klimabewegung lag da auf der Hand.”

2. Gericht stärkt Faktenchecks von Correctiv
(correctiv.org, David Schraven)
Wie “Correctiv”-Chef David Schraven berichtet, habe das Landgericht Mannheim die Klage des Blogs “Tichys Einblick” auf eine einstweilige Verfügung abgewiesen (Urteil als PDF). Bei “Tichys Einblick” hatte man sich an “Correctivs” Faktencheck für Facebook gestört. Die Entscheidung sei auf 45 Seiten ausführlich und umfassend begründet. Trotzdem hätten Tichys Anwälte angekündigt, in Berufung gehen zu wollen. Der Streit wird also vermutlich fortgeführt.

3. Julian Assanges Hinrichtung auf Raten
(deutschlandfunkkultur.de, Milosz Matuschek)
Nach einem langjährigen Aufenthalt in der Botschaft Ecuadors sitzt Wikileaks-Gründer Julian Assange nun in einem Hochsicherheitsgefängnis in Großbritannien. Der UN-Folterbeauftragte Nils Melzer spreche in diesem Zusammenhang von “psychologischer Folter”. Trotz dieses Vorwurfs würden sich nur wenige Journalistenverbände für Assanges Freilassung einsetzen. Der Publizist und Jurist Milosz Matuschek spricht in seinem Kommentar von einem Totalversagen: “Wäre Julian Assange in einem Keller über Monate eingesperrter, gequälter Hund — wir hätten vermutlich längst einen Prozess gegen die Tierquäler, eine Verschärfung des Tierschutzgesetzes und ‘Donnerstage für Doggen’-Demos gesehen. Doch Assange ist — zu seinem Pech — leider ein Mensch. Und zwar einer, der sich bei Mächtigen nicht beliebt gemacht hat.”

4. Liebe Kollegen der @berlinerzeitung …
(twitter.com, Julius Betschka)
Julius Betschka wirft der “Berliner Zeitung” in einem Twitter-Thread vor, zum wiederholten Mal Falschmeldungen über die Mordrate in Berlin zu verbreiten: “Jeder macht Fehler. Man kann sich korrigieren und entschuldigen. Aber anstelle einer Entschuldigung wird hier eine unhaltbare These mit wiederholt falschen Fakten und besonders markigen Worten verteidigt. Verstehe ich nicht, liebe @berlinerzeitung.”
Lesehinweis zum Hintergrund: Berlin doch nicht Mordmetropole Europas (uebermedien.de, Stefan Niggemeier).

5. “Deutschland sticht absolut heraus”
(deutschlandfunk.de, Bettina Schmieding, Audio: 6:30 Minuten)
Bettina Schmieding hat sich im Deutschlandfunk mit der Wissenschaftlerin Susanne Fengler unterhalten, die sich mit ihrem Co-Autor Marcus Kreutler die Berichterstattung über Geflüchtete genauer angeschaut hat (“Stumme Migranten, laute Politik, gespaltene Medien”). In Deutschland werde zwar intensiv über Migration und Flucht berichtet, aber dies erfolge sehr selektiv. So kämen Migranten und Geflüchtete nur in einem Viertel der Berichte als zentrale Akteure vor. Auch Herkunft und Kontext sowie der Status — Geflüchteter oder Migrant — seien oft kein Thema, so Fengler.

6. Herrenwitz: Keine Partei wird anteilig häufiger von Männern gewählt
(einfacherdienst.de)
Welche Partei wird laut offizieller Wahlstatistik des Bundeswahlleiters am meisten, nämlich zu zwei Dritteln, von Männern gewählt? Ist es die AfD? Oder vielleicht die FDP? Nein, es handelt sich dabei um die Satirepartei Die Partei mit ihren Spitzenleuten Martin Sonneborn und Nico Semsrott. Das krasse Geschlechter-Ungleichgewicht bei der Wählerschaft soll sich jedoch ändern. Laut Semsrotts Pressesprecherin Isabel Prößdorf stelle man sich nun “immer die Frage, ob Frauen aber auch Personen, die sich selbst als divers bezeichnen würden, genug in unsere Aktionen miteingebunden sind und sich angesprochen fühlen.” Männer seien dabei egal, “die werden von der AfD und CSU schon genug vertreten.”

Antwort auf Rundumschlag, Corona-Fake-News im Briefkasten, Clubhouse

1. Wenn Schwarz-Sein zum Makel wird
(volksverpetzer.de, Jasmina Kuhnke)
Vergangene Woche holte Fatina Keilani im “Tagesspiegel” zum Rundumschlag aus: Aus der Mission “Rassismus bekämpfen” hätten einige Personen ein Geschäftsmodell gemacht, “sei es als Buchautorin, Ex-Journalist und Buchautor, Talkshow-Dauergast oder twitternde Vierfachmutter”. Nun melden sich die dort Angesprochenen zu Wort. Die als “twitternde Vierfachmutter” umschriebene Jasmina Kuhnke schreibt in ihrer Antwort: “Die Autorin beweist jedoch ein großes Verständnis für Humor, indem sie Aktivist*innen wie mir vorwirft, vom Kampf gegen Rassismus zu profitieren. Immerhin war keiner ihrer Beiträge bisher auch nur ähnlich erfolgreich, wie der, den sie über uns und unseren Aktivismus schrieb.” Der als “Ex-Journalist und Buchautor” umschriebene Hasnain Kazim antwortet beim “Tagesspiegel”: “Bisher kannte ich den Vorwurf, mein ganzes berufliches Treiben sei nichts als ein Jammern über einen erfundenen, eingebildeten Rassismus, nur aus der rechten Ecke.” Der vermutlich mit der Bezeichnung “Talkshow-Dauergast” gemeinte Stephan Anpalagan hat sich auf Facebook den nötigen Raum für seine Antwort genommen. Sein etwas sarkastisches Resümee: “Der Tagesspiegel verdient sein Geld unter anderem mit Webseitenwerbung, die umso höher ausfällt, je häufiger ein Artikel geklickt wird. Man könnte fast meinen, Rassismus sei ein lohnendes Geschäftsmodell.”

2. Der Trump-Twitter-Komplex: Unbeantwortbare Fragen und einfache Mechanismen
(medienkorrespondenz.de, Christian Bartels)
In Zusammenhang mit dem “Trump-Twitter-Komplex” fragt Christian Bartels: “Sollten Anbieter sogenannter sozialer Medien, bei denen es sich ja um von Profit-Interessen getriebene Konzerne handelt, Vertreter demokratisch gewählter Regierungen einschränken oder sogar stummschalten können? Sollten demokratisch gewählte Regierungen sozialen Medien Regeln geben, die die Meinungsfreiheit und ihre Grenzen klar umreißen, obwohl ja gerade Trump gut verkörpert, dass demokratisch gewählte Regierungen auch nicht immer gut und richtig handeln?” Historische Beispiele gebe es keine. Man könne trotzdem einige Erkenntnisse und Lösungsansätze ableiten.

3. Abseits digitaler Kontrolle: Corona-Fake-News im Briefkasten
(br.de, Julia Ley)
Verschwörungserzählungen werden meist über die Sozialen Medien verbreitet. Kritiker der Corona-Maßnahmen brächten ihre Desinformationen jedoch zunehmend über analoge Medien wie Flyer, Broschüren und Briefe unter die Leute. Julia Ley ist der Frage nachgegangen, warum in diesem Bereich so häufig auf den Desinformations-Übermittler Papier gesetzt wird.

Bildblog unterstuetzen

4. Deutschlandradio kündigt Tarifvertrag
(mmm.verdi.de)
Eigentlich hat das Deutschlandradio einen Tarifvertrag unterzeichnet, doch der wurde nun mittels Sonderkündigungsrecht aufgekündigt. Der vom Sender angegebene Grund: Wegen der Blockade Sachsen-Anhalts bei der Erhöhung des Rundfunkbeitrags würden die nötigen Einnahmen für den laufenden Haushalt fehlen.

5. “Es setzt Gewöhnung ein”
(taz.de, Anne Fromm)
Anne Fromm hat sich mit der ZDF-Moderatorin Petra Gerster über das Thema Gendern unterhalten. Gerster habe sich schon lange mit dem Thema Gleichberechtigung beschäftigt: “Ich bin Feministin seit meinem 14. Lebensjahr und hatte immer die naive Vorstellung, Geschichte verlaufe linear, in Richtung Fortschritt. Den gibt es zweifellos. Heute müssen Frauen nicht mehr, wie in den 70ern, ihren Ehemann fragen, ob sie arbeiten dürfen. Aber im Bundestag sitzen heute weniger Frauen als vor 20 Jahren. Das ist ernüchternd. Wie die Tatsache, dass in unseren Nachrichtenfilmen immer noch viel zu wenige Frauen auftreten.”

6. Was ist Clubhouse und wenn ja, warum?
(indiskretionehrensache.de, Thomas Knüwer)
Medienexperte Thomas Knüwer ist im Clubhouse-Rausch. Über das Soziale Audio-Netzwerk können sich iPhone-Nutzerinnen und -Nutzer zu Livegesprächen zusammenfinden. Knüwer kann der Kommunikations-App viel Positives abgewinnen, endgültig festlegen möchte er sich trotz aller Begeisterung jedoch nicht: “Ist Clubhouse also dauerhaft heißer Scheiß? Wer behauptet, das jetzt schon beurteilen zu können, lügt – oder hat ein Selbstbewusstsein von Trump’schem Ausmaß.”
Weiterer Lesehinweis: Hype-App Clubhouse erstellt Schattenprofile: “Die Social-Media-App Clubhouse setzt auf virales Marketing per Einladung – das klappt nur mit einem schwierigen Verständnis von Datenschutz.” (golem.de, Sebastian Grüner/dpa)

neu  

Symbolfoto VIII

Am Mittwochabend stürzte bei einem Auftritt von Schlagersängerin Nicole in Lüdenscheid eine Beleuchtungskonstruktion ins Publikum. Und, um es positiv zu formulieren: Das Foto, das “Bild” dazu am Freitag abdruckt, zeigt tatsächlich Nicole und nicht Plumpaquatsch, und das grenzt angesichts dessen, was “Bild” im übrigen über den Unfall schreibt, an ein Wunder.

Um zu illustrieren, was passierte, zeigt das Blatt dieses Foto:

Darunter steht:

Dieser Beleuchtungsträger stürzte ins Publikum, verletzte acht Menschen.

“Dieser Beleuchtungsträger” hat mit dem ganzen Unfall nichts zu tun. Umgekippt ist eine Traverse, die auf zwei Stativen befestigt war, die links und rechts vor der Bühne standen (genauer nachzulesen hier). Die Scheinwerfer hingen also oben quer über der Bühne. Die betroffene Konstruktion ist der, die “Bild” zeigt, nicht einmal ähnlich.

Zu dem Unglück kam es, weil Unbekannte an den beiden Stativen jeweils zwei von vier Fußstützen abmontiert hatten, und zwar die, die in den Zuschauerraum hineinragten. Möglicherweise geschah das in böser Absicht. Die naheliegendste Erklärung aber ist, dass jemand sie einfach für Stolperfallen hielt. Diese Möglichkeit fehlt in “Bild” komplett.

“Bild” beschreibt den Vorfall außerdem so, als sei das Gerüst mit großer Geschwindigkeit in die Zuschauer gestürzt (“kracht auf einen Tisch”). Dabei senkte sich die Konstruktion, weil sie teilweise noch gehalten wurde, langsam nach unten, wie in Zeitlupe, und verletzte mehrere Menschen. Die “Westfälische Rundschau” beschreibt es so: “Zudem reckten mehrere Zuschauer ihre Arme hoch und versuchten, die Verstrebungen abzubremsen.” Auch in der “Bild”-Zeitung kommt die Zeitlupe vor, aber nur in einem Zitat von Nicole, das klingt, als habe die Dramatik ihre Wahrnehmung verzerrt:

“Alles passierte wie in Zeitlupe. Überall waren Schreie und Blut.”

In einem weiteren Artikel am Samstag stimmen zwar ein paar mehr Fakten über den Unfallhergang. Dafür geht aber die Fantasie vollends mit “Bild” durch.

Wollte ein Irrer Nicole töten?

lautet nun die Überschrift. Und im Text (online unter der bezeichnenden Adresse “…/nicole__anschlag.html”) heißt es:

Jetzt kommt ein furchtbarer Verdacht auf: Trachtet etwa ein Irrer Nicole nach dem Leben?

“Bild” kann im Text niemanden aufbieten, der diesen “furchtbaren Verdacht” äußert. Kein Wunder: Dieser “Irre” müsste schon ganz besonders irre sein. So irre, dass er, um jemanden umzubringen, der auf einer Bühne steht, die Gerüstkonstruktion so sabotiert, dass sie gar nicht auf die Bühne fallen kann.

Danke an Tobias N. für den Hinweis!

“Bild” entdeckt Privatsphäre

In der Bild-Zeitung werden … häufig persönlichkeitsrechtsverletzende Beiträge veröffentlicht. Oftmals verletzen die Beiträge sogar die Intimsphäre der Betroffenen. (Landgericht Berlin, Januar 2003)

 
Sie müssen Tränen gelacht haben in der “Bild”-Redaktion, als ihnen einfiel, dass sie in einen Artikel diesen scheinbar empörten Satz schreiben können:

Es sind Aufnahmen aus dem Privatbereich, die kein Mensch von sich in der Zeitung sehen möchte.

Der Satz steht in einem “Bild”-Artikel über Fotos von Angela Merkel beim Umziehen, die britische Zeitungen veröffentlicht haben. Bestimmt lachten sie bei “Bild” noch, als sie unter einen Ausriss von dem Skandal-Artikel scheinbar fassungslos die Worte setzten:

Kein Respekt vor der Privatsphäre der Kanzlerin.

Und als sie das Zitat des stellvertretenden Regierungssprechers einbauten:

“Auch die Bundeskanzlerin und ihr Mann haben ein Recht auf Privatsphäre!”

Vielleicht haben auch Günther Jauch und Anke Engelke Tränen gelacht, Gregor Gysi und die Frau von Joschka Fischer und all die anderen bekannten und unbekannten Menschen, die erst vor Gericht ziehen mussten und müssen, um gegenüber der “Bild”-Zeitung ihr Recht auf Privatsphäre durchzusetzen.

Ganz besonders hat bestimmt Sabine Christiansen gelacht, die gerade juristisch gegen die “Bild”-Zeitung vorgeht, weil sie in den vergangenen Wochen mehrmals Fotos aus ihrem Privatleben veröffentlicht hat. Dabei hatte die Fernsehmoderatorin im vergangenen Jahr eine einstweilige Verfügung gegen die Axel Springer AG erwirkt, die es dem Verlag untersagen, “Bildnisse aus dem privaten Alltag” Christiansens zu verbreiten. (Springer hat dagegen Rechtsmittel eingelegt.)

Vielleicht hat auch Angela Merkel selbst gelacht, weil sie in der vergangenen Woche fast an jedem Tag ihres Privaturlaubs in Italien mit Fotos in der “Bild”-Zeitung war. Einige davon waren so, dass die “Bild am Sonntag” sie zum Anlass für eine staatspolitische Grundsatzdiskussion nahm, ob eine Kanzlerin denn im Urlaub so herumlaufen dürfe.

Aber zurück zur empörten “Bild”-Zeitung von heute. Die hat mit ihrer Empörung ja Recht: Zeitungen dürfen keine Bilder aus der Privatsphäre von Prominenten verbreiten, solange es kein begründetes öffentliches Interesse daran gibt. Das betrifft die Merkelschen Urlaubsfotos, die “Bild” veröffentlicht hat (und Bild.de praktischerweise gleich in dem Empörungs-Artikel verlinkt hat), ebenso wie die Urlaubsfotos aus den britischen Blättern. Verboten ist nach dem “Caroline-Urteil” des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte beides.

Es sei denn, Merkel hätte der Veröffentlichung ausdrücklich zugestimmt, als einer Art Homestory “Die Merkels in Italien”. Aber was hat “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann nach dem “Caroline”-Urteil noch dem “Focus” gesagt? Seine Zeitung werde “auf jedwede Art von Homestorys über Politiker verzichten”. Um beim Leser “von vornherein jeden Anschein vermeiden, wir würden mit eingebauter Schere im Kopf nur noch Hofberichterstattung betreiben”.

Hm. Entweder hat “Bild” also mit der Veröffentlichung der Merkelschen Urlaubsfotos gegen geltendes Recht verstoßen oder gegen den eigenen Vorsatz, sich nicht zu Hofberichterstattern machen zu lassen.

USA warnen vor Terror und mexikanischen Pools

Manchmal, da sind die Leute von “Bild” schon auf genau der richtigen Fährte zum Kern einer Geschichte und kommen dann kurz vor dem Ziel doch noch vom Weg ab.

Wie bei diesem Artikel in der aktuellen “Bild am Sonntag”:

USA warnen vor Terror bei Fußball-WM

Fünf Wochen vor Anpfiff der Fußballweltmeisterschaft haben die USA vor Terroranschlägen in Deutschland gewarnt! (…)

Nach BamS-Informationen wurden Bundesregierung und Sicherheitsdienste von der am Freitag veröffentlichten Mitteilung völlig überrascht. Aus Washington war kein Hinweis gekommen — obwohl es üblich ist, vor Terrorwarnungen die betreffenden Staaten in Kenntnis zu setzen.

An dieser Stelle hätten die drei Autoren des Artikels ahnen können, dass an ihrer Geschichte etwas faul ist. Denn wenn es “üblich ist”, vor Terrorwarnungen die betreffenden Staaten in Kenntnis zu setzen, das in diesem Fall aber nicht geschah, könnte das natürlich einfach bedeuten, dass es sich hier gar nicht um eine neue “Terrorwarnung” handelte.

Und genauso ist es.

Das für Reisehinweise zuständige “Bureau of Consular Affairs” des amerikanischen Außenministeriums hat weder eine aktuelle Reisewarnung, noch eine spezielle Bekanntmachung über Gefahren durch Terror und Gewalt herausgegeben, und auch in seinen Konsularinformationen über Deutschland ist die WM nicht erwähnt.

Der “Bild am Sonntag”-Artikel bezieht sich auf eine Informationsbroschüre zur Fußball-WMin exakt gleicher Form warnt die Behörde aktuell zum Beispiel Studenten, die in den Frühjahrsferien nach Mexiko reisen, dass dort regelmäßig US-Bürger tödlich mit den Auto verunglücken, von Balkonen oder in Gruben fallen oder im Hotelpool ertrinken.

Die Broschüre zur Fußball-WM enthält nur ganz allgemeine Warnungen wie die, dass solche Massenereignisse “grundsätzlich” ein Ziel von Terror-Anschlägen sein können (und dass “emotionsgeladene Sportereignisse” generell “unvorhersehbar” seien). “Konkrete, glaubwürdige terroristische Drohungen” gebe es nicht. Dieser Satz findet sich schließlich auch im “Bild am Sonntag”-Artikel — aber erst, nachdem die drei Autoren gründlich den gegenteiligen Eindruck erweckt haben.

Danke an Jörn W. für den Hinweis!

Was “Bild”-Leser nicht wissen müssen

Aha, bei “Bild” liest man also auch die “taz”.

Und wenn es sein muss, wird aus der “taz”-Lektüre bei “Bild” sogar eine Schlagzeile für die Seite 1 (siehe Ausriss).

In der Tageszeitung “taz” offenbarte die Schauspielerin, woran die Liebe zerbrach: “Ganz einfach. Ich hab mich neu verliebt – ausgerechnet, als ich Pierre [Besson] beim Dreh zu ‘Afrika, mon amour’ in Kenia besucht habe.” (…)
Vier Jahre lang waren Baumeister und Besson ein Paar (…). Jetzt die Trennung!
(hervorhebung von uns.)

So. Und jetzt (Hervorhebung von uns) zitieren wir mal, was sonst noch in dem Interview stand, aus dem “Bild” heute eine Seite-1-Schlagzeile macht und das die “taz” gestern unter der Überschrift Verweigerung macht Medien scharf — Die Schauspieler Muriel Baumeister und Pierre Besson über ihren Ärger mit den Boulevardmedien und die Schwierigkeit, ein ungestörtes Privatleben zu führen” veröffentlichte:

taz: Frau Baumeister, seit Wochen rätseln die Boulevardmedien darüber, ob Sie sich von Ihrem Lebensgefährten Pierre Besson getrennt haben. Wie fühlt sich das an?
Muriel Baumeister: Beschissen, weil das niemanden was angeht. (…) Weil nicht alle Kollegen so denken, meinen die Boulevardjournalisten aber, sie hätten ein Recht darauf, ungefragt in unsere Privatsphäre einzudringen.

Wie gehen die dabei vor?
Baumeister: Neulich hat mich die Bunte auf dem Handy angerufen und mich unter Druck gesetzt, mich zu meiner Trennung zu äußern – eine absolute Farce, es immer wieder zu probieren, obwohl man mich kennt und weiß, dass ich über mein Privatleben in der Öffentlichkeit keine Auskunft gebe. (…)

Wo wir schon mal beim Thema sind: Sie haben sich also tatsächlich getrennt?
Baumeister: Ja, allerdings schon vor einem knappen halben Jahr. Und die Wahrheit ist so langweilig …
Besson: … dass der Boulevard damit nichts anfangen kann.(…)

Warum verbeißen sich die Boulevardjournalisten so in Sie?
Baumeister: Weil ich nicht mit denen rede. Das ist eine Art Journalismus, an der ich mich nicht beteilige. Diese Verweigerungshaltung scheint die Leute allerdings auf eine fast schon sexuelle Art scharf zu machen.(…)

Es ist doch absurd: Wir reden öffentlich darüber, warum Sie sich sonst aus der Öffentlichkeit raushalten.
Baumeister: Stimmt, aber durch dieses Gespräch möchten wir zeigen, dass wir die Deutungshoheit über unser Leben nicht dem Boulevard überlassen. (…)

Waren die Reaktionen auf den Selbstmord Ihres Vaters vor zwei Jahren der Gipfel der Zudringlichkeiten?
Baumeister: Dass die Bild-Zeitung* versucht hat, meine Putzfrau mit 1.000 Euro zu bestechen, war eine Unverschämtheit, die mir in dieser Lebensphase besonders wehgetan hat. Da war das Maß dessen, was man als öffentliche Person einstecken können muss, eindeutig voll. (…)

*) “Bild” berichtete am 29.6.2004 unter der Seite-1-Schlagzeile “TV-Star Muriel Baumeister — Vater erschießt sich” detailliert über den Selbstmord von Edwin Noël Baumeister.

“Warum mag uns eigentlich keiner?”

Für die “Bild”-Zeitung ist der Eurovision Song Contest traditionell ein Anlass, nationalistische Töne anzuschlagen. Vor zwei Jahren kommentierte die Zeitung das schlechte Abschneiden Deutschlands unter anderem mit der Feststellung:

Wir haben keine Freunde.

Und jammerte:

Wir kaufen dem Türken sein Döner ab, und aus lauter Freundschaft haben wir gleich 10 Points in die Türkei geschickt, und was schallt zurück? 0 Points von der Türkei. Ey, Alda, kraß, voll der Hammer, ey. (…)

Wir Deutschen sind die Guten. Wir lassen Heidi Klum ihren Seal heiraten (…).

Auch heute verwechselt die “Bild”-Zeitung den Schlager- mit einem nationalen Sympathiewettbewerb und fragt in ihrem Online-Auftritt:

Warum mag uns eigentlich keiner?

Und jammert:

Statt unseren Swing-König mit Punkten zu belohnen, schacherten sich die osteuropäischen Staaten wieder gegenseitig die Punkte zu. (…)

Grand-Prix-Wut auf die Stimmen-Mafia aus dem Osten!

Nun ist es schon erstaunlich, dass eine so harmlose Veranstaltung die “Bild”-Zeitung immer wieder dazu veranlasst, Ressentiments gegen andere Nationen zu pflegen und zu bedienen. Doch der Versuch, das schlechte Abschneiden Deutschlands und anderer westlicher Länder mit einer “Mafia” zu erklären, ist auch sachlich haltlos. Das wird zum Beispiel deutlich, wenn man sich das Ergebnis ansieht, wenn man nur die Stimmen der 21 westeuropäisch oder westlich orientierten Länder** berücksichtigt:

Ohne die “Mafia” aus dem Osten würde sich also auf den vorderen Plätzen fast nichts ändern, und Deutschland wäre statt auf einem sehr traurigen 19. auf einem traurigen 14. Platz gelandet. Tja.

Der Ausdruck “Mafia” bezeichnet übrigens eine “verbrecherische Geheimorganisation”.

Vielen Dank an Amin N. für die Anregung!

**) Andorra, Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Island, Israel, Malta Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden, Schweiz, Spanien, Türkei, Zypern.

Nachtrag, 14. Mai. Der Aufmacher der heutigen “Bild”-Zeitung sieht so aus:

Ungeachtet der Fakten spricht die “Bild”-Zeitung in ihrem Artikel vom “Schummel-Grand-Prix”, der “Stimmen-Mafia aus Ost-Europa”, einer “Riesen-Schummelei” und der “Stimmen-Schacherei der Ost-Europäer”.

Kurz korrigiert (462)

Gesucht hat Bild.de eigentlich “12 gute Gründe, jetzt Schweiz-Urlaub zu buchen” — und dann doch noch einen gefunden, an der (reise)journalistische Kompetenz von Bild.de zu zweifeln.

Grund Nummer 8 lautet nämlich:

"8. Ardennen-Käse verkosten -- Bei der Käse-Herstellung macht den Schweizern keiner was vor! Aus dem mittelalterlichen Städtchen Gruyères in den Ardennen kommt ein besonders kräftiger. Tipp: Die Käserei „Maison du Gruyère“ (Familienpauschale 6,20 Euro) besuchen! Infos: www.lamaisondugruyere.de"
“Ardennen-Käse”? Da wird doch wohl nicht jemand das Alpenstädtchen Gruyères in “Heidiland” (Bild.de) mit seinem französischen Namensvetter im rund 600 Kilometer entfernten Westteil des rheinischen Schiefergebirges verwechselt haben?!

Doch.

P.S.: Die angegebene Internetadresse endet natürlich eigentlich auf .ch.

Mit Dank an Lars M. für den Hinweis.

Nachtrag, 19.5.2008: Wie blöd kann man eigentlich sein? Offenbar hat sich doch noch jemand bei Bild.de erbarmt und sich den “Ardennen-Käse” nochmals vorgeknöpft. Naja, eigentlich hat jemand bei Bild.de nur die “de”-Endung der Internetadresse in “ch” geändert, die falschen “Ardennen” aber weiterhin falsch dastehen lassen. Ach ja: Und klickt man auf den “ch”-Link, gelangt man nach wie vor auf die falsche “de”-Website.

2. Nachtrag, 0.31 Uhr: Ach, und beim Korrigieren von Fehlern macht Bild.de keiner was vor. Inzwischen hat sich offenbar noch mal jemand an den Käse gewagt, den Link wirklich korrigiert und sogar die “Ardennen” aus dem Textchen entfernt. Leider hatte der Korrektor aber wohl keine Überschriftenberechtigung, weswegen da nach wie vor der berühmte “Ardennen-Käse” angepriesen wird. Echt wahr.

Fortsetzung folgt?

Fortsetzung folgt!

3. Nachtrag, 20.5.2008: Der Überschriftenberechtigte hat im Reise-Ressort vorbeigeschaut und viereinhalb Tage nach Veröffentlichung “Käse” aus dem “Ardennen-Käse” gemacht.

4. Nachtrag, 15.39 Uhr: BILDblog-Leser Mathias W. weist uns soeben darauf hin, dass die Familienpauschale im Maison du Gruyère offenbar nicht “6,20 Euro” (Quelle: Bild.de) sondern “8 Euro” (Quelle: lamaisondugruyere.ch) beträgt.

Geht ‘ne Journalistin zum Arzt …

Der Begriff “Symbiose” bezeichnet die Vergesellschaftung von Individuen unterschiedlicher Arten, die für beide Partner vorteilhaft ist. Zu einer Symbiose kann es nicht nur im Tier- und Pflanzenreich kommen (z.B. Clownfisch und Anemone), symbiotisch scheint auch das Verhältnis zwischen der Stuttgarter “Bild”-Reporterin Alexandra zu Castell-Rüdenhausen und dem Stuttgarter Arzt Dr. Bernd Kölmel zu sein, der aktuell Schlagzeilen mit seiner launigen Einstellung gegenüber älteren Patienten macht:

Arzt genervt von Alten: "Ich kann das Gejammer der Rentner nicht mehr hören"

Der Internist, der bereits 65 Jahre alt ist und damit selbst irgendwie zu den “Alten” gehört, die ständig in der Arztpraxis sitzen, jammert als “erster Arzt” über das Gejammer der Rentner:

Mir gehen die Alten oft auf den Keks. Morgens sitzen sie schon früh im Wartezimmer und führen sich auf, als wären sie beim Kaffeeklatsch. Viele von ihnen kommen aus Langeweile. Im Fernsehen läuft morgens noch nichts. Für den Tratsch auf der Straße ist es zu kalt.

Dieser Tonfall zieht sich durch den ganzen Artikel. Am Ende erklärt Kölmel noch:

Früher hatte ich noch den Lesezirkel abonniert. Da gab es zur Unterhaltung auch noch kostenlose Zeitschriften. Wie beim Friseur. Als ich die abbestellt hab, haben sich die Patienten tatsächlich beschwert …

Die Abrechnung mit alten Patienten, die auch noch einen Folgeartikel über die nun wegen Kölmel verärgerten Rentner und sogar einen Kommentar von Gesundheitsminister Philipp Rösler im “Deutschen Ärzteblatt” nach sich zog, ist jedoch nicht das erste Beispiel der erfolgreichen Symbiose zwischen Journalistin mit Schlagzeilendruck und Arzt mit gesteigertem Mitteilungsbedürfnis. Alexandra zu Castell-Rüdenhausen und Dr. Bernd Kölmel sind schon seit Jahren ein eingespieltes Team.

Bereits im Mai 2007 mockierte sich Kölmel gegenüber zu Castell-Rüdenhausen nicht nur über Alte, sondern über unpünktliche, zahlungsunwillige, besserwisserische, faule und stinkende Patienten im Allgemeinen:

Ärzte schlagen zurück ++ Viele Patienten sind unpünktlich ++ Sie wissen alles besser ++ Manche müffeln nach Schweiß und alten Socken ++

Im März 2009 gestand Dr. Bernd Kölmel laut “Bild” als “erster Arzt”, er nehme Vorkasse, bevor er bestimmte Patienten behandele:

Erster Arzt gesteht: Ich nehme Vorkasse

Im August 2009 verkündete Kölmel – selbstverständlich als “erster Arzt” – gegenüber Frau zu Castell-Rüdenhausen, Stuttgart sei der Schweinegrippe nicht gewachsen:

Stuttgart ist der Seuche nicht gewachsen ...klagt dieser Arzt die Behörden an

Kölmel selbst stellte zur Sicherheit ein Schild auf mit den Worten: “Patienten, die eine Schweinegrippe bei sich für möglich halten, haben keinen Zutritt zur Praxis…” Außerdem kritisierte er das baden-württembergische Gesundheitsministerium wie folgt:

Ich hole mir derzeit meine Infos aus der BILD. Vom zuständigen Ministerium kommt nichts. Das ist skandalös.

Das ist praktisch, denn zur SchweinegrippenPanikberichterstattung von “Bild” trug Kölmel fleißig selbst mit bei. Im September 2009 tauchte er in einem weiteren Artikel der Stuttgarter Regionalausgabe von “Bild” – natürlich von Alexandra zu Castell-Rüdenhausen – auf:

Es kommt noch schlimmer! Internist Dr. Bernd Kölmel (62) warnt: “Eine große Erkrankungswelle steht unmittelbar bevor.” Er erklärt, warum: “Die Ferien sind zu Ende, fast alle Verreisten aus dem Urlaub zurück.” Viele davon könnten das Schweingerippe-Virus aus anderen Ländern (z.B. Spanien) mitgebracht haben. Außerdem, so der Arzt: “Das Wetter wird schlechter. Regen, kühler Wind. Damit steigt die Infektanfälligkeit.” Und dann die Feste. Kölmel: “Weindorf und Cannstatter Volksfest sind guter Nährboden für die Viren. Überall, wo Menschenansammlungen sind, besteht sehr große Ansteckungsgefahr.”

Wann Dr. Kölmel endlich genug von lästigen Patienten hat und selbst in Rente geht und mit wem Frau zu Castell-Rüdenhausen (bekannt auch für Schlagzeilen wie “Darum ging mein Mann mit
meiner Mama in den Swinger-Club”
) dann eine neue Symbiose eingeht, werden wir sicher erfahren. In “Bild” natürlich, wo sonst?

Mit großem Dank an Ralf M.

Nachtrag, 20. Dezember: Zahlreiche Leser haben uns auf Diskrepanzen bei Kölmels Alter hingewiesen. Der Fehler liegt bei “Bild”: Kölmel war 2007 62 Jahre alt und ist heute 65. 2009 hatte “Bild” lediglich vergessen, Kölmels Alter anzupassen, weswegen er immer noch als 62-jähriger angeführt wurde.

Kriegspropaganda, Defilee der Putin-Versteher, Verifikationsprobleme

1. Große Herausforderungen für Medienschaffende
(reporter-ohne-grenzen.de)
“Reporter ohne Grenzen (RSF) bereitet sich darauf vor, dass die russische Invasion in die Ukraine nicht nur die Berichterstattung der Medien, sondern auch die eigene Arbeit der Organisation in den Bereichen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sowie Nothilfe vor sehr große Herausforderungen stellen wird.” RSF werde sich bemühen, auch in den kommenden Tagen fortlaufend möglichst viele Informationen zur Verfügung zu stellen, das Nothilfereferat sei ansprechbar für Anfragen von Kolleginnen und Kollegen, die Schutz und Unterstützung brauchen.
Weiterer Lesehinweis: Nach dem Beginn der Kampfhandlungen ruft der Deutsche Journalisten-Verband zu äußerster Vorsicht auf. Es sei nicht davon auszugehen, dass kämpfende Truppen Rücksicht auf Berichterstatter nehmen. Journalistinnen und Journalisten sollten einen engen Draht zu ihren Redaktionen halten, ihre Aufenthaltsorte mitteilen und sich in die Krisenvorsorgeliste des Auswärtigen Amtes eintragen.

2. Wie russische Desinformation in deutsche Medien kommt
(meedia.de, Tobias Singer)
Tobias Singer weist auf die Wichtigkeit von genauer Sprache hin. Deutsche Medien sollten nicht die Sprache des Kremls übernehmen. Beschönigende Vokabeln wie “Einsatz” und “Militäroperation” seien bei einem Angriffskrieg fehl am Platz. Singer erinnert die Medienbranche an ihre Verantwortung: “Wie sind als Journalistinnen und Journalisten in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass sich Desinformation nicht gegen Information durchsetzt.”

3. “Das sind alles Bilder, die wir nicht verifizieren können”
(tagesspiegel.de, Kurt Sagatz)
Verlässliche Bilder aus den Konfliktregionen der Ukraine zu bekommen, war früher schon schwierig. Mit den jüngsten Entwicklungen ist es für Redaktionen noch schwieriger geworden, Bildmaterial einzuordnen und zu verifizieren. Kurt Sagatz hat mit einigen Zuständigen über das Problem gesprochen.

Bildblog unterstuetzen

4. Russlands Krieg gegen die Ukraine: Auch ein Höhepunkt der Propaganda
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers, Audio: 6:50 Minuten)
Eine Rundfunklizenz für Deutschland besitzt der russische Staatssender RT DE nicht, er verbreitet online aber weiterhin die Propaganda der russischen Regierung. Dies sei am Tag des Angriffs auf die Ukraine besonders deutlich geworden. Die russischen Aufsichtsbehörden hätten nach Angaben der Agentur Reuters den Medien des Landes Anweisungen zur Berichterstattung über die Lage in der Ukraine gegeben.
Weiterer Lesehinweis: Defilee der Putin-Versteher: “RT France zelebriert Russlands Einmarsch. Putins Sieg auf ganzer Linie scheint hier garantiert” (faz.net, Jürg Altwegg).

5. Doch, die russischen Angriffe bedrohen auch ukrainische Zivilisten und Städte
(correctiv.org, Alice Echtermann & Uschi Jonas)
“Correctiv” geht im Faktencheck der Meldung staatlich kontrollierter russischer Medien nach, die Angriffe Russlands auf die Ukraine würden sich nicht gegen Städte richten, und ukrainische Zivilisten seien nicht in Gefahr. Dies sei falsch. Videos, Fotos sowie Berichte von Nachrichtenagenturen würden das Gegenteil belegen.

6. “Mainz bleibt Mainz”: ZDF zeigt Fastnachtssitzung wegen Kriegs in Ukraine nicht
(rnd.de)
Das ZDF wird wegen des Kriegs in der Ukraine die ursprünglich für heute Abend geplante Fernsehfastnacht “Mainz bleibt Mainz” nicht im Hauptprogramm ausstrahlen. Man wolle die bereits aufgezeichnete Sendung jedoch in die Mediathek stellen.

KW 18/22: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. Fynn Kliemann: SCHEISSE bauen (DIY)
(youtube.com, ZDF Magazin Royal, Video: 27:54 Minuten)
Allroundtalent und Youtuber Fynn Kliemann ist irre vielseitig: Heimwerken, Immobilien sanieren, Malen, Musik machen, NFTs herausgeben – und am Anfang der Pandemie hat er sogar Corona-Masken organisiert. Zur letzteren Kliemann-Unternehmung liegen dem “ZDF Magazin Royale” brisante Dokumente und Informationen vor, die einige Fragen aufwerfen. In Reaktion darauf hat Kliemann auf Instagram eine Stellungnahme verlesen und dem “Spiegel” ein Interview gegeben (nur mit Abo lesbar): “Natürlich denkt man: Ey, wir verdienen hier Geld!” (spiegel.de, Jonas Leppin & Anton Rainer).
Weiterer Gucktipp: Der Rechtsanwalt Christian Solmecke unternimmt auf Youtube eine erste juristische Einordnung: Böhmermann vs. Fynn Kliemann (youtube.com, Video: 30:33 Minuten).

2. Wer ist Sandra? – Sandra Maischberger im Hotel Matze
(mitvergnuegen.com, Matze Hielscher, Audio: 2:35:07 Stunden)
In der aktuellen Ausgabe von “Hotel Matze” begrüßt Matze Hielscher die Journalistin, Fernsehmoderatorin, Produzentin und Autorin Sandra Maischberger: “Warum hatte sie es so eilig mit ihrer Fernsehkarriere und dem Erwachsenwerden? Welche Werte sind ihr wichtig? Ist sie Feministin? Ist sie Pazifistin? Ist sie konservativ? Warum teilt sie ihre Meinung nicht in der Öffentlichkeit? Warum macht sie das, was sie macht?”

3. Viele fühlen sich überrannt
(deutschlandfunk.de, Stephan Beuting, Audio: 34:00 Minuten)
Wie und wieviel sollten wir gendern? Darüber diskutieren ein Deutschlandfunk-Hörer, die Trainerin für geschlechtersensible Sprache Katja Vossenberg, Michael Neugebauer von der electronic media school Berlin und Stephan Beuting aus der Deutschlandfunk-Medienredaktion.

Bildblog unterstuetzen

4. Anika Heine: Kinderstark-Magazin
(wiesoweshalbwarum.podigee.io, Thomas Hartmann, Audio: 56:51 Minuten)
Thomas Hartmann ist Kulturwissenschaftler, Medienpädagoge und Musiker und als wissenschaftlich-pädagogischer Mitarbeiter am Deutschen Kinder- und Jugendfilmzentrum beschäftigt. In der aktuellen Ausgabe seines Podcasts über Kindermedien spricht er mit Anika Heine über Deutschlands erste und einzige diversitätssensible Zeitschrift für Kinder: das “Kinderstark”-Magazin.

5. Wie steht’s um kulturelle Vielfalt in den Redaktionen?
(sueddeutsche.de, Nadia Zaboura & Nils Minkmar, Audio: 26:50 Minuten)
Nadia Zaboura und Nils Minkmar sprechen über kulturelle Vielfalt in Redaktionen und haben sich dazu Ferda Ataman, Journalistin und Vorsitzende der “Neuen deutschen Medienmacher*innen”, eingeladen.

6. Die Macht der Information
(zdf.de, Video: sechsteilige Serie zu je etwa 44 Minuten)
In der ZDF-Dokureihe “Lüge und Wahrheit” geht es um die Macht der Information: “Geht es um Macht, Geld oder Krieg stirbt die Wahrheit oft zuerst. Die Doku-Reihe erzählt, wie mit Lügen Geschichte gemacht wurde und welche Rolle die Medien bei Propaganda und Wahrheit gespielt haben.”

Klimakommunikation, Distanzierung von “Konkret”, “Cards of Qatar”

1. Journalismus in der Klimakrise – Einmischen, aber richtig
(riffreporter.de, Christopher Schrader)
“Über das Klima zu kommunizieren, kann schwierig und frustrierend sein. Gerade Journalist:innen müssen dabei einige Regeln neu lernen. Zum Beispiel sollten sie überdenken, was sie mit angeblich nackten Fakten und gedankenloser Neutralität anrichten.” Zum Erscheinen des “Handbuchs zur Klimakommunikation” fasst Christopher Schrader in einer persönlichen Analyse zusammen, wie guter Klimajournalismus aussehen könnte.

2. Öffentliche Distanzierung von linkem Magazin “Konkret”
(sueddeutsche.de, Johannes Korsche)
In einer öffentlichen Erklärung haben 17 Autorinnen und Autoren angekündigt, künftig nicht mehr mit dem Magazin “Konkret” zusammenarbeiten zu wollen: “Für uns, Autorinnen und Autoren von Konkret, ist mit dem redaktionellen Kurs zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine eine rote Linie überschritten. Wir wollen und können nicht weiter in einer Zeitschrift publizieren, die sich in dieser Frage in die Nachbarschaft der AfD, des völkischen Flügels der Linkspartei oder Jürgen Elsässers Compact, von Henry Kissinger, Klaus von Dohnanyi oder den Lobbyverbänden der deutschen Industrie begibt.”

3. “Bild”: Nagelsmanns Freundin berichtet nicht mehr über Bayern
(dwdl.de, Alexander Krei)
Weil Julian Nagelsmann, Trainer des FC Bayern München, mit “Bild”-Reporterin Lena Wurzenberger verbandelt sei, werde diese nicht mehr, wie bisher, über Nagelsmanns Klub berichten. Alexander Krei kommentiert: “So nachvollziehbar der Schritt vor dem Hintergrund eines möglichen Interessenkonflikts auch sein mag, so kommt er durchaus überraschend, schließlich hatte Axel Springer im Falle der Journalistin Franca Lehfeldt noch vor wenigen Monaten anders entschieden.”

Bildblog unterstuetzen

4. Cards of Qatar
(cardsofqatar.11freunde.de)
Die im November anstehende Fußballweltmeisterschaft im autoritären arabischen Staat Katar dürfte das sportliche Medienereignis des Jahres werden, doch die Vorbereitungen zur Veranstaltung haben viel Leid und Tote gebracht. Das Fußballmagazin “11 Freunde” und das schwedische Portal “Blankspot” zeigen verstorbene Arbeitsmigranten als Sammelkarten: “Wir präsentieren die Bilder und Schicksale im Look offizieller Sammelkarten, um die Offiziellen daran zu erinnern, unter welch makabren Umständen dieses Turnier stattfindet. Die Hinterbliebenen sind damit einverstanden, sie wollen auf ihre Angehörigen und ihren Tod aufmerksam machen und hoffen darauf, nicht länger ignoriert zu werden. Die Mannschaften und die Verbände müssen diese Gesichter sehen und diese Geschichten lesen – und dann endlich handeln. Es wird allerhöchste Zeit.”

5. Immer wieder samstags
(tagesspiegel.de, Markus Ehrenberg)
Die Sonntagszeitungen “Welt am Sonntag” und “Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung” haben vor Monaten ihren Erscheinungstag auf Samstag vorgezogen. Markus Ehrenberg hat sich angeschaut, wie sich dieser Schritt auf die Blätter und deren Inhalte ausgewirkt hat.

6. BBC zahlt Entschädigung an Produzenten
(faz.net, Gina Thomas)
In Zusammenhang mit dem auf betrügerische Weise erschlichenen Diana-Interview des BBC-Reporters Martin Bashir zahlt die BBC eine Entschädigung von 50.000 Pfund an den damaligen Produzenten, der den Sender seinerzeit gewarnt hatte und daraufhin wegen angeblicher Illoyalität gefeuert wurde.

“Bild” zeigt Gysis Gehirn (oder “Gysis Gehirn”)

"Gysi zeigt sein Gehirn"

So steht es heute in der “Bild”-Zeitung. Aber es stimmt nicht. Richtig ist: “Bild” zeigt Gregor Gysis Gehirn. Genauer gesagt, heißt es in “Bild”:

“Exklusiv für BILD öffnete Prof. Vogel die Krankenakte des Politikers: Wir sehen eine Röntgenaufnahme von Gysis Schädel und eine mehrfarbige Computertomographie.”

Die PDS-Zentrale in Berlin weist uns allerdings darauf hin, dass die abgedruckten Fotos aus Gregor Gysis Krankenakte entgegen der Behauptung von “Bild” “ohne Einverständnis von Gregor Gysi” an die Zeitung gelangt seien. Vielmehr habe sein Arzt “die Schweigepflicht verletzt” und “Bild” mit “unrechtmäßig erlangtem Material” die falsche Schlagzeile gemacht, hieß es bei der PDS. Gysi, so steht es mittlerweile auch in einer Pressemitteilung, werde gegen diese “Einmischung in die unmittelbare Privatsphäre, die nicht hinnehmbar ist”, “die notwendigen rechtlichen Schritte einleiten”.

Und wir staunen: Joschka Fischer (Die Grünen) sei “zu fett”, der Kopf von Gregor Gysi (PDS) “lädiert” – und zu Angela Merkel (CDU) gibt es in “Bild” die “große Serie: Angela Merkel privat“…

Nachtrag, 19:50:
Laut Süddeutsche.de ist die “Bild”-Veröffentlichung ein “in vielerlei Hinsicht bizarrer Fall” bzw. “eine jener Geschichten im Zwischenreich der Eitlen und der Jongleure vom Boulevard“. “Bild”-Chef Kai Diekmann wird dort mit den Worten zitiert, es handele sich dabei dabei um “eine Positiv-Geschichte”. Weiter heißt es:

“Nach Darstellung Diekmanns hat das Blatt am Donnerstag voriger Woche mit dem PDS-Politiker über dessen Gesundheitszustand und den Wahlkampf gesprochen.

Weil das Interview nicht sehr sexy war und auch Fotos her sollten, wurde am Sonntag ein Termin mit Gysis Arzt, dem Berliner Neurochirurgen Professor Siegfried Vogel, verabredet (…). Zuvor, so Diekmann, habe Vogel beim Patienten die Erlaubnis eingeholt. Was sonst?

(…) Das eigentliche Presse-Opfer scheint der Professor zu sein, der nach Rücksprache mit Gysi die Krankenakte gezeigt hat.”

Nachtrag, 0:57:
Der “Berliner Kurier” hat nun offenbar mit Siegfried Vogel, Gysis Arzt, gesprochen, was den Fall noch bizarrer macht, als von Süddeutsche.de geschildert. Laut “Kurier” nämlich ist das von “Bild” abgedruckte “angebliche Gysi-Gehirn” nur “ein Foto aus einem Lehrbuch für Gehirnoperationen” und das, was in “Bild” stand, “eine Lüge”, wie der “Kurier” unter Berufung auf Gysi und Vogel schreibt. Vogel jedenfalls wird dort mit den Worten zitiert:

“Herr Gysi hatte mir erlaubt, mit der Zeitung ganz allgemein über seinen Gesundheitszustand zu sprechen. Ich habe aber weder die Akte gezeigt, noch geöffnet, noch haben die Reporter die Akte einsehen können. Was in der Zeitung als Akte ausgegeben wird, ist nur die Tüte, in der sich die Röntgenbilder befanden. Und das Foto, das angeblich Gysis Gehirn zeigen soll, ist ein Foto aus einem Lehrbuch. Es ist nicht Gysis Gehirn. Ich berate jetzt mit Gysi, wie ich gegen diese Lügen vorgehen kann und werde.”

Und laut Nachrichtenagentur dpa, die (siehe n-tv.de) den Arzt ebenfalls dahingehend zitiert, “es sei Material gewesen, anhand dessen er in einem Gespräch mit einer ‘Bild’-Reporterin Funktionsweisen eines Gehirns erläutert habe”, widersprach dem nun wieder ein “Bild”-Sprecher:

“Nach dessen Angaben waren einer Reporterin und einem Fotografen des Blattes die Aufnahmen als Fotos von Gysis Gehirn vorgelegt worden. Der Fotograf habe sie dann abgelichtet.”

Nachtrag, 25.6.2005:
Mittlerweile hat “Bild”, so jedenfalls steht es in einer Pressemitteilung der Axel Springer AG, Gysis Arzt “anwaltlich zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung sowie zum Widerruf aufgefordert.”

Die üblen Tricks der “Bild”

“Die üblen Tricks der Hartz-IV-Schmarotzer” haben es “Bild” ja angetan. Zumindest war dort auch am vergangenen Freitag wieder von einem “Trick im Gesetz” die Rede. Genauer gesagt stand das mit dem Trick unter der Überschrift:

"Die Wahrheit über Hartz IV"

Und unter der Frage:

“Können Hartz-IV-Empfänger viel mehr vom Staat kassieren, als bisher gedacht?”

“Bild” bezog sich ausdrücklich auf den Bericht “Grundsicherung für Arbeitsuchende – Entwicklung bis Juli 2005” der Bundesagentur für Arbeit und schrieb u.a.:

“Eine Studie der Bundesagentur für Arbeit (BA) zeigt: Trotz der niedrigen Regelsätze (…) erhalten Tausende richtig dickes Geld!

Rund 2200 Single-Haushalte bekommen mehr als 2000 Euro im Monat. Der Grund: Viele nutzen einen Trick im Gesetz, trennen sich pro forma vom Partner oder ziehen als volljährige Kinder zu Hause aus. Dann erhalten sie nicht nur die Miete, sondern auch die Kosten für den Umzug und die Ersteinrichtung der Wohnung bezahlt. (…)”

Was”Bild” nicht schrieb: Bei den von “Bild” für erwähnenswert befundenen “2200 Single-Haushalten” handelt es sich laut BA-Bericht um 0,1 Prozent der knapp 2,2 Millionen alleinlebenden bzw. 0,04 Prozent aller Hartz-IV-Empfänger.

Zudem vergaß “Bild” zu erwähnen, dass die Formulierung “mehr als 2000 Euro im Monat” gelinde gesagt missverständlich ist. Denn die Empfänger bekommen das Geld nicht monatlich, sondern einmalig. In dem Bericht heißt es ausdrücklich:

“Die Bedarfsgemeinschaften mit monatlichen Leistungen von 2.000 und mehr Euro erklären sich mit Einmalleistungen u.a. zur Wohnungsbeschaffung.”

Darüber, dass “viele” der 2200 Single-Haushalte in den Genuss dieser Leistungen nur gelangen sollen, weil sie “einen Trick im Gesetz” nutzen, verliert der Bericht der BA indes, anders als “Bild” suggeriert, nirgends ein Wort.

Mit Dank an Eleni S., Carsten B. und Stephan S. für den Hinweis sowie an die BA für den Bericht.

SPD-Politiker nennt Kakerlaken “Kakerlaken”

Die Sorgfaltspflicht des Journalisten im Umgang mit Quellen ist für die journalistische Arbeit und das Ansehen der Presse in der Öffentlichkeit von höchster Bedeutung.

(Aus den “journalistischen Leitlinien” der Axel-Springer-AG.)

Martin S. Lambeck schreibt heute in seiner “Bild am Sonntag”-Kolumne:

Tiernamen haben in der Politik Konjunktur! Arbeitsminister Franz Müntefering prägte in seiner Zeit als SPD-Chef für bestimmte Investmentfonds den Begriff “Heuschrecken”. Doch am Mittwoch kam es noch schlimmer! Hamburgs Ex-Bürgermeister und Bundestagsabgeordnete Ortwin Runde (SPD) bezeichnet Geldanleger neuerdings als “Kakerlaken”! Es geht dabei um Investoren, die mit Immobilienbesitz an die Börse wollen (sogenannte REITs). Runde meint, das seien “Kakerlaken in den Wohnungen”.

Klingt nach einem Verstoß gegen das Gebot “Du sollst Menschen keine Tiernamen geben”. Ist aber ein Verstoß gegen das Gebot “Du sollst Zitate nicht sinnentstellend aus dem Zusammenhang reißen”.

Gesagt hat Runde der “taz” am Mittwoch* nämlich dies:

Bei REITs besteht die Gefahr von Immobilienblasen. Deutschlands Mietwohnungen könnten zum Zielgebiet von internationalen Finanzstrategen werden, die maximale Renditen erzielen wollen. Wohnumfeld oder soziale Mischung interessieren dann nicht mehr. Wir müssen aufpassen, dass wir nach den Heuschrecken nicht die Kakerlaken in die Wohnungen lassen.

Der Politiker bezeichnet als “Kakerlaken” also nicht die Investoren, sondern die Kakerlaken. Er meint, ähnlich wie der Deutsche Mieterbund: Die “Heuschrecken” (also die Investoren) könnten durch ihre Fixierung auf maximale Gewinne dafür sorgen, dass Wohngebiete verwahrlosen.

War das wirklich für Martin S. Lambeck zu schwer zu verstehen?

*) Nachtrag/Korrektur, 17. April. Das “taz”-Interview mit Runde ist nicht an diesem Mittwoch erschienen, sondern bereits am 25. Januar. Seitdem ist es u.a. von der REITs-Lobby auf die gleiche, unzulässige Art verkürzt worden wie von Lambeck. Die Zeitung “Euro am Sonntag” behauptet, Runde habe von “Kakerlaken vor der Tür” gesprochen. Das ist vermutlich schlicht falsch: Ein Papier Rundes zum Thema [pdf] trägt den Titel “Heuschrecken vor der Tür?” Wie “Bild am Sonntag”-Kolumnist Lambeck darauf kommt, Runde habe konkret am Mittwoch der vergangenen Woche von “Heuschrecken in den Wohnungen” gesprochen, wissen wir nicht.

Man wird ja wohl noch antworten dürfen

Angesichts des Entwurfs eines neuen Schulgesetzes in Schleswig-Holstein fragte “Bild” gestern:

Warum dürfen Lehrerinnen kein Kreuz mehr tragen?

Und das ist schon mal eine lustige Frage, denn die geplante Regelung betrifft männliche Lehrer genauso, aber gut.

Eigentlich bemerkenswert ist aber vor allem, dass “Bild” die Antwort auf die Frage im Artikel schuldig bleibt. Ungefähr zwei Drittel des Textes geben den “Riesenkrach” wieder, den das geplante Gesetz auslöst (der in “Bild” schon zum “Gesetz” wird). Aber warum sich die Landesregierung zur Empörung auch der “Bild”-Zeitung dafür entschied, nicht nur Kopftücher im Unterricht zu verbieten, sondern (außerhalb des Religionsunterrichts) alle religiösen Symbole, das erklärt das Blatt seinen Lesern nicht.

Wen stört ein Kreuz?Auch der “Bild”-Kommentar von Willi Schmitt stellt zwar nicht weniger als zehn Fragen, beantwortet aber keine einzige davon, und schon gar nicht die zentrale:

Warum fordert die Große Koalition aus CDU und SPD (…) auf einmal: kein Kopftuch mehr in Schulen, dafür aber auch kein Kreuz mehr?

Dabei lässt sich die Frage relativ leicht beantworten. Die “Süddeutsche Zeitung” tat es am Freitag so:

Der Beschluss der Kieler Regierung entspricht dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2003. Das hatte
den Ländern nahegelegt, entweder prinzipiell den Lehrkräften zu erlauben, ihren Glauben symbolisch zu bekennen — oder dies komplett zu verbieten.

(Auch die nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche zum Beispiel ist der Ansicht, dass ein Privileg für christliche Symbole, wie “Bild” es fordert, “verfassungsrechtlich zweifelhaft” wäre: Wenn die muslimische Lehrerin kein Kopftuch tragen darf, dürfte auch der Pastor nicht mit umgehängtem Kreuz über den Schulhof gehen. Ein Gesetz in Hessen, das den Beamten im öffentlichen Dienst das Tragen von Kopftüchern verbietet, christliche Symbole aber erlaubt, verstößt nach Ansicht der hessischen Landesanwältin gegen die Verfassung. Und das Stuttgarter Verwaltungsgericht hat vor kurzem einer muslimischen Lehrerin Recht gegeben, die gegen das baden-württembergische Kopftuchverbot geklagt hatte.)

Natürlich kann man darüber streiten, wie man am besten mit den symbolträchtigen Kopftüchern in der Schule umgehen soll. “Bild” aber hat sich entschieden, kein Risiko einzugehen, dass die Leser womöglich zu einem anderen Urteil kommen als ihre Zeitung, die diese Debatte über die Grundwerte der deutschen Verfassung für eine “Gespenster-Diskussion” hält, und lässt sicherheitshalber die entscheidenden Fakten einfach weg. “Bild” macht aus der echten Frage, warum Lehrer kein Kreuz mehr tragen sollen, eine rhetorische — und lässt die Beschlüsse der Politiker dadurch, dass sie sie einfach nicht erklärt, schlicht unerklärlich erscheinen.

Danke an Alexander N. für den Hinweis!

Gaby Kösters Privatsphäre gehört nicht “Bild”

Irgendwo im Pressekodex steht:

Körperliche und psychische Erkrankungen oder Schäden fallen grundsätzlich in die Geheimsphäre des Betroffenen.

Und grundsätzlich heißt: Es gibt natürlich auch Fälle, in denen Erkrankungen nicht in die Geheimsphäre des Betroffenen fallen — etwa, wenn der Betroffene selbst damit einverstanden ist, dass über seine Erkrankung berichtet wird. Soll’s ja geben. Und deshalb heißt es im Pressekodex auch noch:

Die Presse achtet das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (…).

Die Komikerin Gaby Köster hat dieses Recht für sich in Anspruch genommen. Unmittelbar nachdem die “Bild”-Zeitung am vergangenen Samstag u.a. auf der Titelseite über eine Erkrankung Kösters berichtet hatte, hieß es in einer Pressemitteilung ihrer Anwälte:

Der Sachverhalt der heute Gegenstand der Berichterstattung in BILD ist, betrifft ausschließlich die Privatsphäre von Gaby Köster.

Außerdem wurden die Medien aufgefordert, “von weiterer derartiger Berichterstattung Abstand zu nehmen”.

Doch anders als die meisten Medien folgte die “Bild”-Zeitung dieser Aufforderung, indem sie Kösters Recht auf informationelle Selbstbestimmung ignorierte, ihre Privat- bzw. Geheimsphäre am Montag erneut verletzte und abermals detailliert über ihre Erkrankung berichtete.

Das hat (wie Kösters Anwälte heute mitteilen) das Landgericht Berlin “als rechtswidrig erachtet” — und gestern zwei einstweilige Verfügungen gegen die Axel Springer AG erlassen, “die es der BILD-Zeitung (…) verbieten, mit der Berichterstattung fortzufahren”.*

Und quasi zur selben Zeit, als das Gericht gestern entschied, saß die “Bild”-Redaktion bereits an einer weiteren Fortsetzung. Sie enthält so gut wie keine neue Info über Köster, sondern wiederholt bloß detailliert, was “Bild” schon zuvor berichtet hatte — und findet sich heute größer als bisher auf der Titelseite (siehe Ausriss).

Nachtrag, 16.22 Uhr: Bild.de hat inzwischen alle Berichte über Kösters Erkrankung aus dem Angebot entfernt.

Nachtrag, 17.1.2008: In einer Art Korrektur ihrer gestrigen Pressemitteilung weisen Kösters Anwälte darauf hin, dass sich nur eine der beiden einstweiligen Verfügungen gegen “Bild” richtet, die zweite jedoch gegen Bild.de.

Trump-Show, Bauchredner Tichy, Zuckerberg-Blabla

1. Full Transcript and Video: Trump News Conference
(nytimes.com, Video, 1:17 Stunden)
Die “New York Times” hat sowohl das Video als auch das vollständige Transkript von Donald Trumps Pressekonferenz veröffentlicht.
Britta Kollenbroich fasst auf “Spiegel Online” die amerikanischen Reaktionen zusammen “Nein, Sir, wir sind keine Deppen”
Es gibt aber auch schon Kommentare aus Deutschland: Veit Medick findet im “Spiegel”, es sei “an der Zeit, am Verstand des US-Präsidenten zu zweifeln”.
Und Simon Riesche beschreibt die Veranstaltung für die “FAZ” als “atemberaubenden Strudel aus Gedankenfetzen, Wahlkampfslogans und programmatischen Ankündigungen”

2. Der Bauchredner
(zeit.de, Roman Pletter)
Über Roland Tichy, der in der Vergangenheit stellvertretender Chefredakteur des Wirtschaftsmagazins “Capital” und Chefredakteur der “Wirtschaftswoche” war und heute das rechtslastige Meinungsportal “Tichys Einblick” betreibt, ist schon viel geschrieben worden. Roman Pletter ist ein Artikel gelungen, der mehr als das Offensichtliche leistet, nämlich eine Annäherung an den Menschen Tichy. Hier stehen sich die partiell spürbare Sympathie für den Menschen Tichy und die kritische Distanz zu seiner Arbeit nicht im Wege. “Der Widerspruch zwischen Roland Tichys Buch früher und der Sprache heute ist nicht der einzige, dem man bei dieser Annäherung an ihn begegnet: Er sucht den Streit, will aber zugleich gemocht werden. Er ist als Kommentator scharf im Ton, aber im persönlichen Umgang auch charmant und lustig. Er ist kein Ausländerfeind, seine Texte klingen aber manchmal so. Er ist ein wirtschaftsliberaler Demokrat, doch man begegnet auf seinem Internetforum Menschen, bei denen eine menschenfreundliche Haltung nicht mehr zweifelsfrei zu erkennen ist.”

3. Viele Zeitungen vertreten nicht das Interesse ihrer Leser.
(planet-interview.de, Jakob Buhre)
Der “Spiegel Online”-Kolumnist und Chefredakteur des “Freitag” Jakob Augstein spricht im Interview über seinen Dialog mit Nikolaus Blome, die Politik Angela Merkels, linken Boulevard, Russland-Bashing und Meinungsgleichheit in den Medien und warum er nicht mehr an eine Paywall glaubt. Und es geht um das BILDblog und Augsteins Einstellung zur “Bild”: “Meine vergleichsweise positive Einstellung zur „Bild“ ist auch schon übel aufgefallen, als ich noch bei der „Zeit“ war. Aber ich stehe dazu. Die Abgrenzungsbemühung macht mich skeptisch. Journalisten, die sich besonders stark von „Bild“ abgrenzen, bekämpfen nicht selten ihre eigenen Dämonen. Die „Bild“ ist dann der Sündenbock des Journalismus.”

4. Warum Papier-Journalismus besser ist.
(kaffeeundkapital.de, Martin Oetting)
Viele Menschen vertreten die Ansicht, dass es beim Journalismus nicht aufs Trägermedium, sondern auf die Inhalte ankommt. Martin Oetting ging es lange Zeit ebenso, doch jetzt hat er seine Meinung geändert und favorisiert Print. Nicht, weil er ein fortschrittsfeindlicher Ewig-Gestriger ist, sondern weil aus seiner Sicht drei Aspekte dafür sprechen würden.

5. Is nicht egal
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Am Dienstag wurde bekannt, dass der Youtuber und Rapper Kazim Akboga gestorben ist. Für viele Medien ein Anlass, sich von ihrer hässlichen Seite zu zeigen… Boris Rosenkranz erklärt auf “Übermedien” was falsch gelaufen ist und wie Medien berichten sollten, wenn sie denn meinen, unbedingt berichten zu müssen.

6. Zuckerbergs vager Masterplan
(sueddeutsche.de, Beate Wild)
Facebook-Chef Mark Zuckerberg hat sich mit einem 5800 Wörter langen Manifest an die Öffentlichkeit gewandt, in dem er seine Visionen für die Zukunft des sozialen Netzwerkes erläutert. Beate Wild hat den Text gelesen und ist wenig begeistert: “Der Brief, der vor utopischen Idealen nur so strotzt, beinhaltet wenige konkrete Lösungsansätze oder auch nur Details, sondern ist eher eine von der PR-Abteilung bis zur Unkenntlichkeit geschliffene Ansammlung an guten Vorsätzen.”

Die AfD-Gärtner der “Bild”-Zeitung wundern sich über die Frucht-Ernte

Liest man heute den Kommentar von Tanit Koch zur Bundestagswahl und den 12,6 Prozent, die die AfD bekommen hat, könnte man fast meinen, dass die “Bild”-Chefredakteurin in den vergangenen Monaten durchgehend im Urlaub war und nichts davon mitbekommen hat, was in ihrem Blatt so passiert ist.

Ausriss Bild-Zeitung - Überschrift des Koch-Kommentars - Die Früchte der Angst

Koch schreibt:

Für Anstand steht das A in AfD nicht. Dennoch wurde sie gewählt — weil die regierenden Parteien, weil die Kanzlerin Vertrauen verspielt haben. (…)

Angela Merkel ist es nicht gelungen, einer verunsicherten Bevölkerung die Sorge vor Kriminalität und Islamisierung zu nehmen.

Die Angst davor gab es lange vor der Flüchtlingskrise. Doch man war sich zu fein dafür, sie zu adressieren. Nun hat die AfD die Früchte dieser Angst geerntet.

Es mag stimmen, dass ein Grund für die AfD-Stärke die Schwäche der “regierenden Parteien” ist. Es mag stimmen, dass Angela Merkel Sorgen nicht schmälern konnte. Was aber auch stimmt, und was Tanit Koch nicht mit einer Silbe erwähnt: Die “Bild”-Zeitung hat “die Sorge vor Kriminalität und Islamisierung” stetig bedient. Um im Bilde zu bleiben: Die fauligen Bäume und dornigen Sträucher, von denen die AfD “die Früchte der Angst” ernten konnte, haben unter anderem Tanit Koch und ihr Team ausgesät, sie haben sie immer wieder gegossen und gepflegt.

Da war zum Beispiel das “Bild”-Wahlprogramm:

Ausriss Bild-Titelseite - Das große BILD-Wahlprogramm - Was sich endlich ändern muss - Rente! Steuern! Sicherheit!

Am 17. Juli, also gut zwei Monate vor der Bundestagswahl, veröffentlichte die Redaktion fast auf einer kompletten Doppelseite eine Sammlung aus 25 “ES KANN DOCH NICHT SEIN”-Punkten:

Ausriss Bild - Übersicht zur Doppelseite mit verschiedenen Wahlprogrammpunkten

Nur ein Beispiel:

Ausriss Bild-Zeitung - Forderung der Bild zu Asyl/Integration - Es kann doch nicht sein, dass Asylsuchende und Zuwanderer sich nicht nach unseren Regeln richten. Darum gilt in Deutschland ein Burka-Verbot. Frauen und deren Ehemänner, die sich dem Widersetzen, werden mit Bußgeld belegt. Handelt es sich um Touristen, müssen sie umgehend ausreisen. Ein umfassendes Ausweisungsgesetz regelt zudem, welche Straftaten zum Verlust des Aufenthaltsrechts führen. Fortgesetzter Sozialbetrug führt zur Beendigung eines Asylverfahrens.

Schon die Entscheidung für diesen Wahlkampfpunkt hat nichts mit Aufklärung zu tun, nichts mit dem Nehmen von Sorgen, sondern ist das reine Bedienen von Sorgen durch ein Scheinproblem. Abgesehen von dem Detail, dass es in der Regel nicht um Burkas, sondern um Niqabs geht, betrifft dies wohl wie viele Menschen in Deutschland? Auf der Sonnenallee in Berlin-Neukölln sicher ein paar mehr. In der Fußgängerzone in Görlitz vermutlich deutlich weniger. Sind es insgesamt im ganzen Land überhaupt mehr als 1000 Niqab-Trägerinnen? Dank “Bild” sieht es für mehrere Millionen Menschen wenige Wochen vor der Wahl so aus, als gehöre das Thema Burka/Niqab zu den 25 dringendsten der Bundesrepublik.

Dass ein Teil dieser Leute dann an den Laternen AfD-Plakate hängen sieht, auf denen steht “‘Burkas?’ Wir steh’n auf Bikinis.”, und sich denkt “Och, joar, könnte man vielleicht wählen” — völlig abwegig ist das nicht.

Diese Burka-Forderung, dieses ganze “Bild”-Wahlprogramm voller AfD-Positionen war komplett unnötig. Ja, man kann das machen, wenn man ganz rechten Positionen eine Plattform geben, Ressentiment schüren und ein bisschen zündeln will. Aber man muss es nicht. Und vor allem muss man sich dann nicht einen Tag nach der Wahl verblüfft zeigen über 12,6 Prozent. Bei der AfD waren sie im Juli jedenfalls hellauf begeistert von der kostenlosen Wahlwerbung in der immer noch auflagenstärksten Tageszeitung Deutschlands:

Tweet der AfD Bund - Hallo Bild, nahezu alles hier findet sich im AfD-Wahlprogramm
Tweet der AfD Berlin - So schnell kann es gehen: Das Bild-Wahlprogramm liest wie das der AfD. Gut gemacht
Tweet von Uwe Junge - Endlich! Die BILD als Wahlkampfblatt für die AfD! Unser Programm in BILD veröffentlicht!

Das “Bild”-Wahlprogramm war nur ein kleiner Baustein der Berichterstattung, die Uwe Junge, Alexander Gauland, Alice Weidel und all den anderen in die Hände gespielt hat. Seit Jahren — auch schon lange vor Gründung der AfD — trägt die Redaktion dazu bei, dass Positionen wie die der rechtesten Partei im kommenden Bundestag millionenfach an Kiosken liegen. Und häufig basieren die empörten und empörenden Schlagzeilen auch noch auf falschen Fakten. Da war beispielsweise der von einem AfD-Sympathisanten erfundene falsche Flüchtlings-“Sex-Mob”, den “Bild” willfährig aufgriff. Die sechsfach falsche Meldung, dass in Deutschland “aus Rücksicht auf Muslime die christlichen Wurzeln des Weihnachtsfestes unterschlagen” würden. Die falsche Geschichte, dass Politiker forderten, dass Christen “im Weihnachts-Gottesdienst muslimische Lieder singen” sollen. Die falsche Information, dass Flüchtlinge in Hamburg problemlos schwarzfahren dürften. Oder das falsche Gerücht, dass Sanitäter des Roten Kreuzes wegen Asylbewerbern nun Schutzwesten anhätten. “Bild” schreibt gegen Muslime, gegen Roma, gegen Griechen, gegen Ausländer, noch mal gegen Muslime, ein weiteres Mal gegen Muslime, gegen Migranten, gegen Muslime. Es sei auch noch mal an den hasserfüllten Kommentar von Nicolaus Fest erinnert, der einst Kulturchef bei “Bild” und bis September 2014 stellvertretender Chefredakteur beim Schwesternblatt “Bild am Sonntag” war und der gestern als Direktkandidat der AfD im Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf nicht den Einzug in den Bundestag schaffte.

Am 17. Juli dann also das “Bild”-Wahlprogramm. Und auch danach ging es weiter mit der AfD-Förderung durch das Boulevardblatt. Mats Schönauer hat sich bei “Übermedien” durch die vergangenen zwei “Bild”-Monate gewühlt. So sahen die Titelseiten und Überschriften aus:

Collage mit Bild-Schlagzeilen - Mitten in Deutschland Burka-Frau verprügelt Dessous-Verkäuferin - Krankenkassen machen Minus Flüchtlinge kosten 20 Millionen im Monat - Asylbetrug So leicht ist es in Deutschland abzukassieren - Die große Abschiebe-Lüge - 387 Abschiebungen in letzter Minute gestoppt - Das hat der Islam mit Terror zu tun - So viele Flüchtlinge haben keinen Schulabschluss - Und wieder ein Frauenmörder der längst abgeschoben sein müsste - Joggerin vergewaltigt Warum wurde der Täter nicht abgeschoben? - Die Strafakte der abgeschobenen Afghanen - So spaltet die Flüchtlingskrise unser Land

Ich glaube nicht, dass die “Bild”-Redaktion ein Haufen von AfD-Wählern ist. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass Julian Reichelt und Tanit Koch und die meisten anderen “Bild”-Mitarbeiter in ihren Kommentaren öffentlich gegen diese Partei anschreiben und in der Wahlkabine heimlich Kreuze bei ihr machen. Und trotzdem ist die “Bild”-Zeitung ein AfD-Blatt. Mit ihren gewählten Schwerpunkten, mit den Zuspitzungen auf den Titelseiten, mit den verwendeten Begriffen in Überschriften haben Reichelt und Koch und viele ihrer Kollegen die Gesprächsthemen in Büromittagspausen, in Bauwägen und an analogen wie digitalen Stammtischen geprägt. Über die “Burka-Frau” wurde dort diskutiert. Man regte sich über die Bedrohung der Rot-Kreuz-Sanitäter auf. War wütend über schwarzfahrende Flüchtlinge. “Bild” hat nicht direkt für die AfD geworben. “Bild” hat aber den öffentlichen Diskurs im Sinne der AfD vorgegeben.

Tanit Koch und ihre Redaktion titeln heute:

Titelseite der Bild-Zeitung - Der Rechts-Rumms

“Bild” hat kräftig mitgerummst.

Die Radwegkosten neu erfinden

Da kann die Haselmaus noch so süß gucken — in “Bild” gab’s am vergangenen Freitag mal wieder was zum Blutdruckerhöhen:

Ausriss Bild-Zeitung - Radweg kostet zehn Millionen Euro pro Kilometer

Seit 13 Jahren wird er gebaut, fertig ist er noch lange nicht. Aber vor allem ist der neue Radweg am Rhein, der Lorchhausen und Rüdesheim (Hessen) verbinden soll, der wohl teuerste Radweg aller Zeiten: 10 Mio. Euro pro Kilometer!

11,3 Kilometer soll dieser Radweg an der Bundesstraße 42 lang sein, wenn er einmal fertig ist, und laut “Bild” 115 Millionen Euro kosten. Daraus errechnet die Redaktion die durchschnittlichen Kosten pro Kilometer, die sie auch schon auf der Titelseite nennt:

Ausriss Bild-Titelseite - Zehn Millionen Euro pro Kilometer - Regierung baut teuersten Radweg aller Zeiten

Aber ob nun auf Seite 1, in der Überschrift im Blatt oder im Artikel: Die Aussage stimmt so nicht. Denn die Gesamtkosten von 115 Millionen Euro beziehen sich auch auf den Bau des Rad- und Fußwegs, aber nicht nur. Das steht auch gewissermaßen im “Bild”-Text:

Laut Hessischem Verkehrsministerium entstehen die Kosten “nicht allein durch den Radweg, sondern durch die Gesamtmaßnahme.”

Allerdings endete die zitierte Aussage eines Sprechers des hessischen Verkehrsministeriums, die dieser den “Bild”-Autoren per E-Mail geschickt hatte, gar nicht mit einem Punkt hinter “Gesamtmaßnahme” — sie geht noch weiter, wie uns dieser Sprecher auf Nachfrage mitteilte. Er habe der “Bild”-Redaktion geschrieben:

Die Kosten entstehen nicht allein durch den Radweg, sondern durch die Gesamtmaßnahme: Sie umfasst die Verbreiterung der Bundesstraße, die bessere Kurvenführung und den Radweg.

In den 115 Millionen Euro stecken also auch Kosten für den Ausbau und die Erneuerung der Bundesstraße, die gar nicht von den Radfahrern und Fußgängern genutzt wird, sondern von Autofahrern. So steht es auch in einer Pressemitteilung des Ministeriums zur Fertigstellung des zweiten von insgesamt drei Bauabschnitten auf der Strecke.

Dennoch haben es die vermeintlichen Kosten von 10 Millionen Euro pro Kilometer Radweg auch in den Kommentar des stellvertretenden “Bild”-Chefredakteurs Mario Barth Timo Lokoschat geschafft. Zwischen ein paar schlechten Wortspielen (“Rad ab!”, “Dieser Fall macht RADLOS.”) und viel Polemik (“Ist er [der Radweg] mit Blattgold beschichtet? Gibt es kostenlosen Pannenservice für die nächsten 100 Jahre? Stehen links und rechts Kellner und reichen mit Champagner gefüllte Trinkflaschen und Kaviarhäppchen?”) schreibt Lokoschat:

Viele Deutsche träumen von der MILLION. Was könnte man mit so viel Geld alles machen?

Die Bundesregierung hat eine Idee: 100 Meter Radweg bauen! […]

Pro Kilometer kostet das Projekt unfassbare zehn Millionen Euro. Der wohl teuerste Radweg aller Zeiten.

Dabei handele es sich doch um “einen normalen Radweg”, so Lokoschat, was ebenfalls maximal irreführend ist. Normal sei, dass der Fuß- und Radweg die Standardbreite von 2,5 Metern habe, sagt uns der Sprecher des hessischen Verkehrsministeriums: “Alles andere ist nicht normal.” Das beschrieb er auch in der bereits erwähnten Mail an die “Bild”-Autoren:

Die ausgesprochen schwierigen Verhältnisse — die Enge des Tals, das Nebeneinander von Straße und Bahnlinie, die Notwendigkeit des Hochwasserschutzes, der Schutz des UNESCO-Welterbes — machen den Straßenbau in diesem Abschnitt ungemein aufwendig und lassen keine billigere Lösung zu. Man hätte dann schon auf das Vorhaben verzichten müssen, aber um den Preis der Verkehrssicherheit, denn die Trennung von Auto- und Fahrradverkehr auf der zweispurigen B42 und die Verbreiterung der Fahrbahn bedeuten einen enormen Gewinn.

Hinzu komme, dass aufgrund der besonderen örtlichen Situation auf mehreren Kilometern eine sogenannte Kragarmkonstruktion, also eine Art Galerie, für den Fuß- und Radweg errichtet werden musste, was bei “einem normalen Radweg” natürlich auch nicht der Fall ist.

“Bild” hat dann auch noch beim Bund der Steuerzahler nachgefragt, was der denn von dem Bau und den Kosten halte, schließlich sei das ja alles “bitter für den Steuerzahler”.

Der Bund der Steuerzahler hält den Bau des Radwegs “an der touristisch attraktiven Straße” für “sinnvoll”.

Ein Sprecher zu BILD: “Natürlich entstehen dort enorme Kosten, doch wir kennen derzeit keine Alternative, wie Steuergelder gespart werden können.”

Das zeigt vermutlich am besten, wie absurd die “Bild”-Berichterstattung und der Kommentar von Timo Lokoschat sind: Selbst der Bund der Steuerzahler, der immer alles skandalös findet, kann keinen Skandal erkennen.

Mit Dank an Andreas G., Sebastian L., happy und @OlafStorbeck für die Hinweise!

Seenotrettung, Spendable “Tagesschau”, Fischers Haus

1. Die tagesschau stellt bestimmte Inhalte unter Creative Commons
(blog.tagesschau.de, Lena-Maria Reers)
Die “Tagesschau”-Redaktion könne, auch wenn sie es wolle, aus rechtlichen Gründen nicht alle Beiträge und Meldungen im Netz dauerhaft zur Verfügung stellen. Doch es gebe eine gute Nachricht: In einem extra eingerichteten Portal wolle man ab sofort die Erklärvideos aus den Sozialen Netzwerken unter einer freien Lizenz zur rechtefreien Nutzung anbieten. Dort wird auch in einem kurzen Video erklärt, was dabei erlaubt ist und was nicht.

2. Facebook verbietet Werbung, die Wahlergebnisse anzweifelt
(spiegel.de)
Viele Beobachter befürchten, dass US-Präsident Donald Trump eine Wahlniederlage nicht akzeptieren und sich seiner Ablösung widersetzen wird. Die Befürchtung ist nicht aus der Luft gegriffen, denn Trump selbst macht immer wieder Andeutungen, die in diese Richtung gehen. Der Facebook-Konzern will nun Desinformationskampagnen zur US-Wahl erschweren und keine Werbeanzeigen annehmen, die fälschlicherweise von Wahlbetrug sprechen oder vorzeitig Zweifel am Endergebnis säen.

3. «Konnten wir da noch Journalisten sein?» – Krisenberichterstattung über Seenotrettung
(message-online.com, Severin Pehlke)
Die NDR-Fernsehreporterin Nadia Kailouli hat mehrfach über die Seenotrettung auf dem Mittelmeer berichtet und ist dieses Jahr für ihren Dokumentarfilm “SeaWatch3” mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet worden. Im Interview erzählt sie von ihrer Vorbereitung auf die schwierigen Einsätze und den gelegentlich auftauchenden Vorwürfen, nicht neutral zu berichten: “Ich finde schade, dass mir bei meiner Arbeit oft eine politische Positionierung nachgesagt wird. Ich möchte mir keine Vorwürfe anhören müssen, dass ich mich politisch positioniert habe, nur weil ich grundsätzlich darüber berichten möchte, wie Menschen leben, die aus Teilen Afrikas nach Europa geflüchtet sind. Einem Sportjournalisten würde man doch auch nicht vorhalten, dass er nicht neutral ist, weil er sich mehr für Fußball als für Handball interessiert.”

Bildblog unterstuetzen

4. Zwanzig Verlage sind dabei
(faz.net)
Google startet mit zwanzig deutschen Verlagen ein gemeinsames Medienangebot, für das erstmals Lizenzgebühren an die Medienhäuser fließen sollen. Weltweit lasse sich Google dieses Projekt eine Milliarde US-Dollar kosten. Dem Verband der Zeitungsverleger BDZV gehe dies nicht weit genug: “Die Geldausschüttung an Verlagshäuser” erfolge “nach Gutsherrenart”. Das habe “nichts mit unseren Vorstellungen von einem modernen Urheberrecht im 21. Jahrhundert zu tun”.

5. Medien werden kritischer – ein bisschen
(deutschlandfunk.de, Felix Lill, Audio: 5:15 Minuten)
Die Berichterstattung japanischer Medien über die eigentlich anstehenden Olympischen Spiele sei bislang stets positiv gewesen, doch nun zeichne sich ein Wandel ab. Die Mehrheit der Menschen sei, anders als noch vor ein paar Monaten, “Tokyo 2020” gegenüber skeptisch eingestellt, und auch viele Redaktionen würden inzwischen kritischer berichten. Felix Lill erklärt die Hintergründe.

6. RTL und “Bunte” lassen Helene Fischer in ihrem neuen Haus nicht allein
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Mit Artikeln über die erfolgreiche Schlagersängerin Helene Fischer lässt sich viel Geld verdienen. Die Hoffnung auf Klicks und Auflagensteigerung lässt bei einigen Medien jedoch sämtliche Sicherungen durchbrennen. Boris Rosenkranz erzählt von einem besonders schamlosen Fall, bei dem Bildmaterial einer privaten Feier ausgebeutet wurde.

Klick-Sklavinnen, “Kulturwandel” beim WDR?, Rechte Goldgräber

1. Journalismus – gefangen zwischen Nullen und Einsen
(medienwoche.ch, Anna Miller)
Anna Miller hat sich den Frust über den heutigen Journalismus und dessen Bedingungen von der Seele geschrieben: “Wir Journalistinnen und Journalisten wollen sauber recherchieren, mit Menschen sprechen, die Realität abbilden. Doch stattdessen sind wir immer öfter Sklavinnen von Klicks, Zeitdruck und digitalem Optimierungswahn.” Es sei höchste Zeit für einen kulturellen Wandel. Ein Lesetipp nicht nur für die Chefetagen der Verlags- und Medienhäuser.

2. Zwischen Übertreibung und Desinteresse
(deutschlandfunk.de, Ronny Blaschke, Audio: 5:39 Minuten)
Während sportlicher Großveranstaltungen wie den Paralympics gibt es ein breites Interesse am Behindertensport, doch abseits dieser Events ist es deutlich kleiner. Auch in anderer Hinsicht sei die Berichterstattung unausgewogen, so Ronny Blaschke: “Worüber in den Medien überverhältnismäßig berichtet wird, ist der technische Aspekt bei den Paralympics. Dazu gehören Reportagen aus den Technikwerkstätten. Details über teure Hightechprothesen und Rennrollstühle. Was kaum erwähnt wird: Viele Menschen mit Behinderung wollen oder können nicht sportlich aktiv sein. Weil Sportunterricht häufig nicht inklusiv ist. Weil vielen Trainern und Physiotherapeuten die nötige Ausbildung fehlt. Und weil der nächste paralympische Trainingsstützpunkt eventuell 100 Kilometer entfernt ist.”

3. WDR beauftragt Prüferin zur Bewertung des “Kulturwandels” im Sender
(rnd.de)
Im Frühjahr 2018 soll es beim WDR mutmaßliche Fälle sexueller Belästigung gegeben haben. Der Sender ließ die Vorwürfe daraufhin intern untersuchen und schaltete die frühere EU-Kommissarin Monika Wulf-Mathies als externe Gutachterin ein. Diese bescheinigte dem WDR in ihrem Abschlussbericht eine fehlende Kultur gegenseitiger Wertschätzung, “strukturelle Defizite” und empfahl einen “Kulturwandel”. Nun soll Wulf-Mathies den Fortschritt dieses Kulturwandels überprüfen.

Bildblog unterstuetzen

4. Politiker und Top-Manager fürchten Fake News und Datenklau
(faz.net)
Gestern wurde der “Cyber Security Report 2021” veröffentlicht. Laut dem vom Meinungsforschungsinstitut Allensbach und dem Wirtschaftsprüfungsunternehmen Deloitte herausgegebenen Bericht sei die digitale Bedrohungslage auf einem Rekordniveau: 75 Prozent der Befragten sähen ein Risiko, dass die öffentliche Meinung durch gefälschte oder unrichtige Nachrichten manipuliert wird. Knapp jeder zweite Abgeordnete (49 Prozent) habe mindestens einmal im Zentrum eines Shitstorms gestanden.

5. “Fernsehkameraleute sind Urheber”
(medienpolitik.net, Helmut Hartung)
Auch Fernsehkameraleute können Urheber sein – so das Fazit eines Gutachtens, das der Bundesverband der Fernsehkameraleute (BVFK) in Auftrag gegeben hat: Im modernen Verständnis der Bildgestaltung liege die Urheberschaft bei professionellen Bildaufnahmen typischerweise vor, und umgekehrt würden professionelle Bildaufnahmen Urheberrechte generieren. Im Interview äußert sich der BVFK-Vorsitzende zu den möglichen Folgen: “Die Frage ist, was sind diese Rechte wert und wie müssen sie vergütet werden.”

6. Goldgräber am rechten Rand
(blog.zeit.de, Dominik Lenze)
“Erst bringen sie Verschwörungstheorien unters Volk – dann Goldbarren: Ein Netzwerk von Edelmetallhändlern und Influencern verdient Geld mit rechter Hetze.” Dominik Lenze berichtet über ein lukratives Geschäftsmodell, das Meinungsmache und Hetze mit Profitgier und Bereicherung verbindet.

Intersport spinnt!

“Wandern liegt voll im Trend”, schreibt bild.de, und womöglich stimmt das sogar. Interessant ist aber, dass bei dem Artikel nicht nur “10 wichtige Wander-Tipps” stehen, die der Deutsche Wanderverband freundlicherweise zusammengestellt hat, sondern auch “tolle Angebote für Ihre Wanderausrüstung”, die die Sportartikelfirma Intersport freundlicherweise zusammengestellt hat. Das Wort “Intersport” taucht schon in der Internetadresse der Wander-Trend-Geschichte von bild.de auf (“www.bild.t-online.de/BTO/sport/intersport/wandern/…”), was den Verdacht nahe legt, dass die Shopping-Angebote nicht passend zum Artikel zusammengestellt wurden, sondern der Artikel überhaupt nur geschrieben und mit anderen zusammengestellt wurde (siehe Ausriss oben), um zu den Shopping-Angeboten zu führen.

Seit dem Frühjahr befindet sich unter den Sportmeldungen von Bild Online meistens eine mit der Dachzeile “Intersport spinnt”. Dahinter finden sich kritische, journalistisch-fundierte Berichte mit Überschriften und Textzeilen wie diesen:

INTERSPORT beweist Teamgeist mit völlig verrückten Preisen.
An alle Kids: Die Sommerferien sind gerettet! Ob Regen oder Sonnenschein – die neuen supergünstigen Angebote von INTERSPORT lassen garantiert keine Langeweile aufkommen!
Ob Schwarzwald, Fichtelgebirge oder Schwäbische Alb – für den perfekten Tag unterwegs sorgen supergünstige Angebote in allen teilnehmenden INTERSPORT-Fachgeschäften.
Selbstverständlich spielen dabei die kompetente Beratung sowie die dazugehörigen Service-Leistungen eine wichtige Rolle.
etc. etc.

Jeder dieser Artikel führt am Ende zur nächsten Intersport-Filiale oder zum Internet-Online-Shop. Wer genau hinguckt und den Kopf verdreht, wird gelegentlich auch einmal das Wort “Anzeige” entdecken, aber an allen entscheidenden Stellen fehlt es; auf das sonst gern verwendete “Shop-Tipp”-Logo mit dem kleinen Einkaufswagen verzichtet bild.de hier.

Aber hey, wenn Intersport nun schon seit Monaten ununterbrochen “spinnt”, wäre es doch journalistisch fahrlässig, da nicht immer und immer wieder drauf hinzuweisen. Oder?

Werbung muss als solche klar erkennbar und vom übrigen Inhalt der Angebote eindeutig getrennt sein.

Steht im Mediendienstestaatsvertrag. Und der gilt auch für Bild Online. Theoretisch.

Warum lassen so viele Fans “Bild” im Stich?

“Warum lassen so viele Fans Raab total im Stich?” fragt “Bild” heute in einer Schlagzeile auf Seite 4 und schreibt:

“TV-Lästermaul Stefan Raab (38) laufen die Zuschauer weg.”

Und vielleicht ist es sinnvoll, an dieser Stelle zunächst an einen “Bild”-Artikel vom April diesen Jahres zu erinnern, der mit dem Satz begann:

“TV-Lästermaul Stefan Raab (37) leidet mit seiner Pro7-Show ‘TV total’ an akutem Quotenschwund.”

Ja, und vielleicht sollte auch nicht unerwähnt bleiben, dass die “Bild”-Berichterstattung damals von ProSieben als “Quatsch” bezeichnet wurde. (Womöglich schadet es auch nicht, jetzt mal eben einen “FAS”-Text vom Mai diesen Jahres – Überschrift: “Raab gegen ‘Bild'” – zu verlinken.)

Aber zurück zur heutigen “Bild”-Ausgabe:

“Droht ihm das gleiche Schicksal wie seiner TV-Kollegin Anke Engelke (38), die wegen schlechter Quoten vergangene Woche aus dem Programm gekippt wurde? (…) Läuten die bedrohlich niedrigen Zahlen sein TV-Ende ein?”

Solche Fragen stellt “Bild” sich und ihren Lesern. Stellt man sie einer ProSieben-Sprecherin, lautet die Antwort (wie im April) schlicht: “Nein.”

Und mag sein, das heißt noch gar nichts. Es mag auch sein, dass “TV total” am “vergangenen Mittwoch”, wie “Bild” schreibt, tatsächlich “nur 1,15 Millionen” Zuschauer fand (jedenfalls ungefähr: ProSieben sagt “1,2 Millionen”). Dass die Quoten nach Senderangaben jedoch am vergangenen Montag mit 1,47 Millionen oder am Donnerstag mit 1,57 Millionen (und am Dienstag trotz “Chamions League” bei 1,25 Millonen) zum Teil deutlich über dem Mittwochswert lagen, bleibt bei “Bild” unerwähnt. Und dass für ProSieben letztlich sowieso nicht alle, nur die 14- bis 49-jährigen Zuschauer zählen, auch.

Suggestiver und sinnentstellender ist da wohl nur noch die “Bild”-Grafik zum angeblichen “Quotensturz bei ‘TV total'”. Denn – mal abgesehen davon, dass die dort fürs Jahr 2000 verzeichnete Zuschauerzahl von 3,71 Millionen keine relevante Größe ist, weil “TV total” damals nicht vier- sondern nur einmal wöchentlich ausgestrahlt wurde – zeigt die Kurve mitnichten einen “Quotensturz”, sondern, nun ja, eine Konsolidierung. Schließlich hat sich der Zuschauerschwund von vormals jährlich weit über 200.000 auf zuletzt gerade mal 30.000 reduziert, so dass es durchaus angebracht wäre zu schreiben:

TV-Lästermaul Stefan Raab (38) laufen immer weniger Zuschauer weg.

Wie hingegen ein wirklicher “Quotensturz” aussähe, veranschaulicht die von uns angefertigte Vergleichsgrafik zur Auflagenentwickung der “Bild” im selben Zeitraum.
 
 
 

Mond für Hurra-Patriotismus missbraucht

Wenn irgendein Ding ganz ohne Besatzung durch die Gegend juckelt, kennen wir Deutsche dafür ein vielleicht nicht ganz politisch korrektes, aber unmissverständliches Wort.

“Bild” kennt dieses Wort offenbar nicht.

Denn in ihrer schier grenzenlosen Begeisterung darüber, dass der Mond (in Anspielung an die legendäre “Bild”-Schlagzeile von 1969: “Der Mond ist jetzt ein Ami”) bald ein Deutscher sei, weil (Hurra!) wir Deutsche bald auf den Mond flögen, vergisst “Bild” komplett, ihren Lesern eine nicht ganz unwesentliche Tatsache mitzuteilen. Sowohl auf der Titelseite als auch im dazugehörigen Artikel: kein Wort davon, dass die Mondmission im Jahr 2012/2013, bei der “Deutschland vorangehen” will, unbemannt sein wird und nicht mal auf dem Mond landet.

Stattdessen in “Bild”: ein einziger Halbsatz über den “spektakulären Plan” (“Die Mondsonde soll vier Jahre lang den Mond umkreisen”). Doch weil das offenbar selbst “Bild” nicht spektakulär genug erschien, wird die Geschichte großzügig mit Grafiken einer längst bekannten, späteren, europäischen (!) Mondlandemission illustriert. Und dass diese zweite Mission ebenfalls unbemannt vonstatten geht, hüllt “Bild” in tapsige Passivkonstruktionen (“Dabei könnte ein Radioteleskop aufgestellt werden”).

Zum Schluss zeigt die “Bild”-Zeitung dann noch mal eindrücklich, wie sehr sie eigentlich hinterm Mond lebt — und schreibt:

Nur zwölf Menschen haben den Mond je betreten, alles US-Astronauten der Apollo-Missionen. Der nächste ist wahrscheinlich ein Deutscher.

Doch was “Bild” für “wahrscheinlich” hält, ist in Wirklichkeit mehr als unwahrscheinlich: Für eine bemannte Mondlande-Mission gibt es weder in Deutschland noch in Europa einen festen Termin. (Erst kürzlich hieß es z.B. in der “Kölnischen Rundschau”, eine bemannte Mission zum Mond habe “derzeit keine Priorität”.) Es kursiert dennoch die Jahreszahl 2024 — und selbst das wäre nach derzeitigem Wissensstand neun Jahre nach Russland, vier Jahre nach Malaysia und (was wohl am wahrscheinlichsten ist) immerhin rund vier bis sechs Jahre nach den USA.

So ist dann auch die ganze Wir-Deutsche-aufm-Mond-Geschichte für “Bild”-Verhältnisse ausgesprochen konsequent: Dort glaubt man schließlich von sich selber ebenfalls, stets “früher” dran zu sein — und hinkt dann mit ‘ner Titelstory doch nur wieder um Wochen hinterher.

Mit Dank an Dominik B. für den Hinweis.

Eine unbequeme Wahrheit für Claus Jacobi

“Bild”-Autor Claus Jacobi macht in seiner Samstags-Kolumne mit dieser Meldung auf:

In England darf der Film “Eine unbequeme Wahrheit” vom Nobelpreisträger Al Gore durch Gerichtsbeschluss an 3850 Sekundärschulen nur mit Hinweisen auf enthaltene Fehler gezeigt werden (z. B. Anstieg des Meeresspiegels statt 6 Meter vermutlich 30 Zentimeter). Das deutsche Umweltministerium, das — laut “Spiegel” — schon im Frühjahr 6000 DVDs des Films an deutsche Schulen verteilt hatte, hält von solchen Korrekturen wenig. Hauptsache, die allgemeine Richtung stimmt.

Nun wäre es vermutlich bösartig zu sagen, dass Claus Jacobi das jetzt erst, mit zwei Wochen Verspätung, schrieb, weil er so lange brauchte, die Meldung zu verstehen. Vor allem aber wäre es falsch, das zu sagen. Er hat sie nicht verstanden.

Al Gore zeigt, was passiert, wenn das Eis Grönlands schmilzt: Der Meeresspiegel würde um 6 bis 7 Meter steigen. Das ist, auch nach dem Urteil des britischen Gerichts, die allgemeine Annahme der Wissenschaftler. Als “alarmistisch” kritisiert hat das Gericht die Aussage nur insofern, dass der Film suggeriere, dieser Anstieg könnte in der unmittelbarer Zukunft geschehen, obwohl es vermutlich ein Prozess über Jahrtausende wäre.

Der jüngste Bericht des Weltklimarates IPCC (pdf) geht davon aus, dass — je nachdem, welche Gegenmaßnahmen ergriffen werden — der Meeresspiegel bis zum Ende des Jahrhunderts um 18 bis 59 Zentimeter steigen wird. Dabei sind aber mögliche Effekte wie ein beschleunigtes Schmelzen des Grönland-Eises ausdrücklich nicht inbegriffen. Der Meeresspiegel könnte erheblich schneller steigen.

Die schlichte Gegenüberstellung: Al Gore sagt 6 Meter, es werden aber vermutlich nur 30 Zentimeter, ist falsch.

Aber von solchen Details hält Jacobi sicher wenig. Hauptsache, die allgemeine Richtung stimmt.

Absolut schmerzfrei

Woll’n wir wetten?! Wetten, dass Bild.de in ein paar Wochen einen Artikel über eine 31-jährige Frau aus Amsterdam (Bild.de nennt sie “Marie Stein”) veröffentlichen wird, die sich gut acht Monate nach der Geburt ihrer Tochter ihre Vagina hat operativ verengen lassen – und ihre Vagina-“Verjüngung” supidupi und problemlos überstanden hat? Und jede Wette, dass die Frau die Frage nach ihrem Befinden in etwa so beantworten wird:

Gut, vielen Dank. Ich habe mich schnell erholt und bin froh, es gemacht zu haben. (…) Ich bin sehr zufrieden und absolut schmerzfrei. Mein Mann und ich haben jetzt endlich wieder ein erfülltes Sexualleben. Endlich bin ich wieder so wie früher – entspannt, selbstbewusst und glücklich.*

Oder so:

Ich finde meinen Körper wieder schön, kann mich beim Sex gehen lassen. Ich würde es wieder machen.**

Wer jetzt dagegenhalten will, sollte vorher vielleicht noch mal einen kurzen Blick auf einen bereits vor ein paar Tagen veröffentlichten Bild.de-Artikel zum Thema “Vaginaverjüngung” riskieren, in dem’s am Ende heißt:

Am 1. Juli wird sich Marie Stein in der Klinik Sensualmedics von Prof. Stefan Gress die Vagina verengen lassen. Der Münchener Chirurg hat sich auf Intim-Operationen spezialisiert. (…) Nach der OP wird BILD.de wieder mit der Mutter sprechen.

Wer danach immer noch mit uns wetten will, kann ja schnell mal das von Bild.de verlinkte Wörtchen “Sensualmedics” anklicken. Denn auf sensualmedics.com findet sich u.a. folgende Eigenanzeige:

"Für seröse [sic] TV- und Presseberichterstattung suchen wir Frauen, die eine Intimoperation wie z. B. Schamlippenkorrektur, Vaginalverengung oder G-Punkt-Intensivierung planen. Diskretion und absolute Seriosität wird zugesichert. (...) Attraktive Konditionen!"

Kurzum: Wir würden sogar wetten, dass das, was Sensualmedics “Presseberichterstattung” nennt, im Volksmund eher als “Schleichwerbung” bezeichnet würde. Nur auf die “absolute Seriosität”, die Sensualmedics ihren Testimonials für die “Presseberichterstattung” zusichert, würden wir (mit Blick auf Bild.de) keine müde Mark setzen.

*) Zitiert aus einem “Interview”, veröffentlicht auf Sensualmedics.com in der Rubrik “Pressetexte direkt zum Ausdrucken und Bearbeiten”.

**) Zitiert aus einem “Real-Report” des Springer-Magazins “Jolie” (3/2008), veröffentlicht auf Sensualmedics.com in der Rubrik “Wir in den Medien”.

Nachtrag, 6.7.2008: Inzwischen wurde die Suchanzeige auf der von Bild.de verlinkten Sensualmedics-Website entfernt.

Stimmungsmache, Meinungsmache, Videomache

1. Ein Spektakel der Medien
(de.ejo-online.eu, Stephan Russ-Mohl)
An verschiedenen Stellen wurde den britischen Medien der Vorwurf gemacht, bei der Entscheidung über den Brexit Stimmung gemacht und sich zum Teil der Leave-Fraktion gemacht zu haben. Auch Journalismus-Professor Stephan Russ-Mohl findet kritische Worte über die Rolle der Medien im Vereinigten Königreich. Diese hätten ihre Macht missbraucht, Ausnahmen wie “Guardian”, “Financial Times”, “Economist” und die “BBC” hätten dem offenbar zu wenig entgegenzusetzen.

2. A!122 – Claus Klebers “Silicon Valley”
(aufwachen-podcast.de, Stefan Schulz & Tilo Jung & Jörg Wagner)
Vor einigen Tagen lief im ZDF die Claus-Kleber-Doku „Schöne neue Welt – Wie Silicon Valley unsere Zukunft bestimmt“ (Link zum Film in der ZDF-Mediathek.) Die aufwändig produzierte Dokumentation erhielt viel Lob, z.B. von der “FAZ”. Doch es gab auch Kritik. Im Aufwachen-Podcast haben Stefan Schulz (Buchautor “Redaktionsschluss”), Tilo Jung (Youtubekanal “Jung und Naiv”) und Medienmagazin-Macher Jörg Wagner zwei Stunden über den Film gestritten. Gut investierte Hörzeit, um sich eine eigene Meinung zu Film und Gesamtthematik zu bilden.

3. Investigativer Journalismus, Teil 3: Eine kritische Betrachtung
(fachjournalist.de, Ann-Kathrin Lindemann)
Im dritten Teil der Artikelserie über investigativen Journalismus werden Probleme und Grenzen des Genres behandelt. Es geht dabei um ethische Gesichtspunkte wie z.B. die Gefahr einer Instrumentalisierung durch Dritte. Im Ausblick geht es schließlich um das leidige Thema Finanzen und das Für und Wider der Finanzierungsalternative Crowdfunding.

4. „Ich bin kein Fotoroboter“
(freitag.de, Hendrik Hassel)
Christoph Bangert arbeitet als Fotograf in Krisengebieten, unter anderem für internationale Zeitungen wie die “New York Times”. Von seinen Reisen in Kriegsberichte bringt er jedes Mal Bilder zurück, die von keiner Zeitung gedruckt wurden. Vor zwei Jahren hat er einige der das Leiden und Sterben im Krieg dokumentierenden Bilder im Band “War Porn” zusammengefasst. Nun ist sein neues Buch “Hello Camel” erschienen, bei dem es vor allem um die Absurdität des Krieges geht.

5. Live, exklusiv und unterhaltend: Was wir von Happy Snapping für Snapchat lernen können
(zeitgeist.rp-online.de, Henning Bulka)
Online-Redakteur und Snapchat-Fan Philipp Steuer hat in Hamburg mit drei Mitstreitern ein Event zum Thema organisiert, das mit 200 Besuchern aus allen Nähten platzte. Inhaltlich ging es um die Frage, wie der Instant-Messaging-Dienst bei der journalistischen Arbeit eingesetzt werden kann. Der Social-Media-Redakteur bei “RP Online” Henning Bulkau hat zusammengefasst, was er aus der Veranstaltung für sich an Erkenntnissen mitgenommen hat.

6. Wie ein “Handelsblatt”-Reporter die Weltdienste narrt: Agenturen ziehen “Fake”-Bild zum Brexit zurück
(kress.de, Bülend Ürük)
Der Handelsblatt-Korrespondent Mathias Brüggmann rühmt sich auf der Webseite des “Handelsblatt” mit einer Undercover-Aktion. Er habe sich mit Union-Jack-Papphütchen, Papierfähnchen und “Vote to leave”-Sticker ausgestattet, auf die Wahlparty der rechtskonservativen Brexit-Befürworter Ukip begeben. Um möglichst dicht an die Ukip-Führung heranzukommen, wie er sagt. Brüggmann wird von großen Nachrichtenagenturen als Brexitbefürworter abfotografiert, die Fotos gehen zunächst um die Welt, werden jedoch nach Bekanntwerden des Schwindels wieder gelöscht. Bülend Ürük von “kress.de” steht der Aktion skeptisch gegenüber und fragt: “Was wollte der deutsche Journalist erreichen?”

“Schmutz-Kampagne bei der SPD”: “Bild” fällt auf “Titanic” rein

Es ist alles noch viel schlimmer und trauriger und lustiger.

Die vermeintlichen E-Mails von Kevin Kühnert, die die “Bild”-Redaktion vergangene Woche dazu veranlasst haben, eine große Titelgeschichte über eine “Neue Schmutz-Kampagne bei der SPD” zu veröffentlichen, stammen gar nicht von einem Russen namens “Juri”. Sie stammen auch nicht — wie wir vermutet haben — von einem Jugendlichen, der dank dreieinhalb Minuten Microsoft-Outlook-Gefummel “Bild” mit einer plumpen Fälschung reingelegt hat. Die E-Mails stammen von der “Titanic”-Redaktion:

Screenshot Titanic-Website - miomiogate – Juri, Kühnert, Bild und TITANIC

Die “Bild”-Zeitung ist einem Fake der TITANIC aufgesessen. Am Freitag hatte “Bild” unter der Schlagzeile “Neue Schmutzkampagne bei der SPD” einen Mailverkehr veröffentlicht, der belegen soll, daß Juso-Chef Kevin Kühnert bei seiner NoGroKo-Initiative Hilfe eines russischen Internettrolls namens Juri in Erwägung gezogen hat. Dieser Schriftverkehr wurde aber u.a. von TITANIC-Internetredakteur Moritz Hürtgen an “Bild” lanciert: “Eine anonyme Mail, zwei, drei Anrufe – und ‘Bild’ druckt alles, was ihnen in die Agenda paßt.”

Stimmt das denn nun? Oder handelt es sich nach Jan Böhmermanns “Varoufake” um den nächsten Fake-Fake? Wir waren auch erst skeptisch. Inzwischen glauben wir der “Titanic” aber voll und ganz. Vor allem aus zwei Gründen:

1) Auf der “Titanic”-Seite kann man sich den angeblichen Mail-Verkehr zwischen Kühnert und “Juri” runterladen. Diese Unterhaltung enthält deutlich mehr Mails als von “Bild” bisher veröffentlicht. Soll heißen: Hätte sich die “Titanic”-Redaktion zusätzliche Mails zwischen dem falschen Kühnert und “Juri” erfunden, wäre es für die “Bild”-Redaktion ein Leichtes, die “Titanic”-Version zu widerlegen. Das hat sie bisher nicht getan.

2) Bereits am Freitag haben wir aus “Bild”-Kreisen erfahren, dass der “anonyme Informant” die “Bild”-Redaktion besuchen wird, um seine Geschichte weiter zu verifizieren. In einem Telefonat hat uns “Titanic”-Chefredakteur Tim Wolff heute erzählt, dass Moritz Hürtgen als Informant bei “Bild” zu Gast war — ohne dass Wolff wusste, dass wir von dem Besuch bereits wissen. Es wäre ein sehr großer Zufall, wenn Tim Wolff sich diesen Besuch nur ausgedacht und damit exakt unsere Informationen bestätigt hat.

Und dann gibt es noch einen dritten Punkt. Diesen Rechtfertigungsversuch bei Twitter von “Bild”-Oberchef Julian Reichelt:

Das ist der Julian Reichelt, der von sich selbst gern behauptet, dass es ihm “grundsätzlich leicht” falle, “mich zu entschuldigen, wenn wir Fehler gemacht haben.” Das ist der Julian Reichelt, der nach dem Flüchtlings-“Sex-Mob”-Reinfall in Aussicht gestellt hat, bei “Geschichten, die für ‘Fake News’ anfällig sind”, eine “Bild”-Spezialtruppe mit “noch mehr gestandenen Nachrichtenleuten” einzusetzen, damit es solche Reinfälle nicht wieder gibt. Das ist der Julian Reichelt, der in seinen Worten stets so groß ist und in seinen Taten stets so klein. Das ist der Julian Reichelt, dem man nichts glauben kann.

Was Reichelt offenbar nicht versteht: Die “Titanic”-Redaktion hat mit dieser Aktion nicht versucht, “journalistische Arbeit bewusst zu diskreditieren”. Sie hat es geschafft, das nicht-journalistische Arbeiten von “Bild” zu verdeutlichen. Denn es bleibt trotz der längeren Erklärung bei Bild.de, wie es “zu dieser Schlagzeile” kam, dabei: Die “Schmutz-Kampagne” wurde erst in dem Moment zur “Schmutz-Kampagne”, als die auflagenstärkste Zeitung Deutschlands aus der ganzen Sache eine große Titelgeschichte gemacht hat. Die “Schmutz-Kampagne” ist bei “Bild” entstanden. Vorher war es lediglich ein Spinner (beziehungsweise “Titanic”-Redakteur Moritz Hürtgen) mit offensichtlich gefälschten E-Mails, für den sich niemand interessiert hätte. Es bleibt auch dabei, dass stets mehr gegen die Echtheit der Mails gesprochen hat als dafür. Warum greift “Bild” die Story überhaupt auf, wenn sie von Anfang an mindestens merkwürdig ist? Warum in dieser großen Aufmachung? Warum bringen “Bild” und Reichelt gerade diese Titelzeile, wenn sie doch die ganze Zeit so skeptisch waren? Warum “Schmutz-Kampagne bei der SPD” und nicht “Schmutz-Kampagne gegen die SPD”? Und natürlich bleibt bei dieser Schlagzeile, die “Bild” gewählt hat, bei vielen Leuten hängen: “Der Kühnert? Das war doch der, der mit den Russen gemeinsame Sache gemacht hat!” — auch wenn “Bild”-Autor Filipp Piatov ganz am Ende auflöst, dass es “für die Echtheit der E-Mails” “keinen Beweis” gebe. Das alles nun als die große Skepsis “von Beginn an” darzustellen, zeugt nur davon, was für ein schlechter Verlierer Julian Reichelt ist.

Und nur nebenbei: Dieser Tweet, den Piatov vorgestern noch gepostet hat, sieht nun nicht nach massivem Misstrauen aus:

Nein, es war anscheinend keine “plumpe Fälschung”, auf die Piatov und “Bild” reingefallen sind und die sie zur Titelgeschichte aufgeplustert haben, sondern eine filigrane Fälschung.

Die “Titanic”-Aktion zeigt, dass man bei Julian Reichelt, Filipp Piatov und der gesamten “Bild”-Redaktion sehr gute Chancen hat, mit Desinformationen ins Blatt zu gelangen, wenn man nur die richtigen Knöpfe drückt. Im aktuellen Fall hat die “Titanic”-Redaktion sehr geschickt eine Mischung aus SPD (bei “Bild” nicht sehr beliebt) und dem bösen Russen (bei “Bild” nicht sehr beliebt) gewählt.

Zum Schluss bleibt uns nur, uns vor Moritz Hürtgen, Dax Werner und der “Titanic”-Redaktion zu verneigen. Und alle BILDblog-Leser aufzufordern, sofort ein “Titanic”-Abo abzuschließen, um die Redaktion in ihrer wichtigen Aufklärungsarbeit zu Deutschlands größter Satire-Zeitung “Bild” und zu “Bild”-Oberwitz Julian Reichelt zu unterstützen.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Nachtrag, 8. September: “Bild” hat für die falsche SPD-“Schmutz-Kampagne” bereits im März eine Rüge vom Presserat kassiert. Das Gremium sehe “einen schweren Verstoß gegen das Wahrhaftigkeitsgebot in Ziffer 1 des Pressekodex. Diese Irreführung der Leser beschädigt Ansehen und Glaubwürdigkeit der Presse”.

Heute ist die Redaktion ihrer Verpflichtung nachgekommen und hat die Rüge im Blatt versteckt veröffentlicht:

Ausriss der Bild-Doppelseite mit der Rüge

Nicht gefunden? Hier:

Erneuter Ausriss der Bild-Doppelseite mit der Rüge
Ausriss Bild-Zeitung - Rüge des Presserats - Der Deutsche Presserat hat Bild wegen der Berichterstattung Neue Schmutzkampagne bei der SPD vom 16. Februar 2018 eine Rüge erteilt. Beanstandet wird, dass die Redaktion den Artikel veröffentlicht hat, obwohl die SPD die angeblichen Mails ihres Juso-Chefs mit offensichtlichen Argumenten wie der falschen Endung der E-Mail-Adresse dementiert habe. Vor allem aber sei dem Leser suggeriert worden, dass es eine neue Schmutzkampagne bei der SPD gegeben habe, was tatsächlich nicht der Fall gewesen sei. Auf diese Ungereimtheiten hatte die Redaktion den Leser zwar ausdrücklich hingewiesen. Der Presserat sieht gleichwohl einen Verstoß gegen das Wahrhaftigkeitsgebot in Ziffer 1 Pressekodex.

Nicht nur Trump kämpft gegen Biden

Donald Trump hat es nicht leicht. Nicht nur mit seinem Widersacher Joe Biden hat es der US-Präsident zu tun, er kämpft auch mit der liberalen US-amerikanischen Presse und mit Tech-Firmen wie Twitter. So schreibt es Alexander von Schönburg in einem Kommentar in “Bild” und bei Bild.de:

Screenshot Bild.de - Kommentar zur US-Wahl - Trump kämpft nicht nur gegen Biden

Wenn Joe Biden die Wahl gewinnt, darf er sich auch bei Tech-Giganten wie Facebook und Twitter – und der liberalen Presse – bedanken.

Genau die Leitmedien – von “Atlantic” bis “Washington Post” – die bedenkenlos jede Anti-Trump-Story verbreiten, unabhängig von Belegbarkeit und Quellenlage (man denke an Trumps angebliche Beleidigung gefallener Soldaten), haben keine Hemmung, Storys, die Biden unangenehm werden könnten, unter den Tisch zu kehren.

Nun ist es kein Geheimnis, dass Kommentare nur die Meinung des Autors widerspiegeln. Sie dürfen subjektiv und auch zugespitzt sein. Doch was Alexander von Schönburg hier macht, ist mehr als legitime Subjektivität: Er führt die Leserschaft durch Auslassungen in die Irre. Er raunt herum und setzt Verschwörungen in die Welt. Und er plappert eine Falschinformation nach.

Die Artikel, auf die sich von Schönburg bezieht, wenn er schreibt, dass “Atlantic” und “Washington Post” unabhängig von Belegbarkeit und Quellenlage Anti-Trump-Storys verbreiten, sind tatsächlich nicht mit letzter Sicherheit zu beweisen. Das heißt allerdings nicht, dass sie im Umkehrschluss unplausibel sind. Für die Behauptung, Trump habe US-Soldaten, die im Ersten Weltkrieg gefallen und auf einem Friedhof in Frankreich beerdigt sind, als “Loser” und “Sucker” bezeichnet, führt “The Atlantic” durchaus Quellen an – allerdings anonyme: “vier Personen mit Wissen aus erster Hand über die Diskussionen an diesem Tag”. Recherchen anderer Redaktionen, darunter auch Trumps (einstiger) Haussender Fox News, bestätigten die Aussagen dieser Quellen. Aber es gab auch Widerspruch: Trumps früherer Nationaler Sicherheitsberater John Bolton etwa sagte, er könne nicht bestätigen, dass Trump sich derart despektierlich geäußert hat. Bolton steht Trump inzwischen kritisch gegenüber und damit nicht im Verdacht, den US-Präsidenten blind zu verteidigen.

All das lässt Alexander von Schönburg weg.

Die Geschichte, die “die Leitmedien” von Schönburg zufolge “unter den Tisch kehren”, ist ein Artikel aus dem Boulevardblatt “New York Post”, der nahelegt, dass Joe Bidens Sohn Hunter sich durch die Position seines Vaters bei Geschäftsleuten in der Ukraine und in China Vorteile verschafft haben soll. Und: Joe Biden selbst soll als Vizepräsident außenpolitisch Einfluss genommen habe, um seinem Sohn Vorteile zu verschaffen. Laut “New York Post” gehe das aus E-Mails hervor, die auf einer Kopie der Festplatte von Hunter Bidens Laptop gespeichert sein sollen. Nach Angaben der “New York Post” ist die Redaktion auf abenteuerlichem Weg an diese Kopie gekommen: Im April 2019 habe eine Person den Laptop bei einem Computerladen in Wilmington, Delaware zur Reparatur abgegeben. Der Besitzer des Ladens, der blind ist, sagt nun, er sei sich “fast sicher”, dass Hunter Biden diese Person war. Der Laptop sei allerdings nie abgeholt worden, daraufhin habe sich der Ladenbesitzer an die US-Behörden gewandt. Außerdem hat er auch Rudy Giuliani, Trumps persönlichem Anwalt, eine Kopie zukommen lassen. Der wiederum hatte sich an die “New York Post” gewandt.

Die Plausibilität der Geschichte wurde von verschiedenen Medien infrage gestellt, wobei weder “New York Times” oder “Washington Post” noch das “Wall Street Journal” die Möglichkeit hatten, das Material zu überprüfen. In einem Statement haben zahlreiche ehemalige US-Geheimdienstbeamte erklärt, die Geschichte der “New York Post” beinhalte alle klassischen Merkmale einer russischen Desinformationskampagne. Der Director of National Intelligence, John Ratcliffe, bestritt hingegen, dass es sich bei der Geschichte um eine russische Einmischung handele. Das FBI sagte dem Kongress am Mittwoch, es habe Ratcliffes Aussage zurzeit nichts hinzuzufügen. Die “New York Times” wiederum veröffentlichte einen Artikel, laut dem sich ein Redakteur der “New York Post”, der maßgeblich an der Geschichte beteiligt war, weigerte, als Autor des Textes aufgeführt zu werden. Mehrere Redaktionsmitglieder der “New York Post” hätten Zweifel geäußert, ob die Authentizität des Materials ausreichend belegt sei, und außerdem die Glaubwürdigkeit der Quellen angezweifelt. Twitter sperrte den Link zum “New York Post”-Artikel zwischenzeitlich mit der Begründung, der Artikel verletze die Privatsphäre-Richtlinien von Twitter. Zudem sei es möglich, dass das Material durch einen Hack an die “New York Post” gelangt sei und öffentlich gemacht wurde, was ebenfalls den Twitter-Richtlinien widerspräche. In der Kommunikation nach außen, warum man das Posten des Links zum “New York Post”-Artikel gesperrt hat, gab der Konzern kein gutes Bild ab.

All das lässt Alexander von Schönburg weg.

Der “Bild”-Autor erwähnt die Ungereimtheiten mit keinem Wort, nicht einmal eine kleine Bemerkung, dass es Zweifel an der Authentizität des Materials gibt, ist drin. Stattdessen stellt er die Geschichte als bombensicher dar. Und behauptet, US-amerikanische Leitmedien würden die Story, die “Joe Biden schwer belastet”, einfach “unter den Tisch kehren”. Dieser Verschwörungsmurks ist genau das: Verschwörungsmurks. Tatsächlich beschäftigten sich Medien wie die “New York Times” und die “Washington Post” ausgiebig mit dem Material, nur eben auf kritische Art und Weise.

Bildblog unterstuetzen

Schließlich wendet sich von Schönburg noch der TV-Debatte zwischen Donald Trump und Joe Biden zu, die heute Nacht stattfinden wird:

Morgen steigt die nächste TV-Debatte. Die zuständige Kommission hat kurzfristig die Themen der Debatte geändert. Wieder soll Corona im Mittelpunkt stehen. Und Rassenkonflikte.

Das Thema Außenpolitik – und damit China – ist gestrichen. Außerdem sollen diesmal die Debattierenden stumm geschaltet werden, wenn sie nicht dran sind. Um ein Chaos wie beim letzten Mal zu verhindern.

Alexander von Schönburg gibt hier, ob bewusst oder unbewusst, eine Falschinformation wieder, die von Trump und dessen Team verbreitet wurde. Tatsächlich wurden die Themen der Debatte nicht geändert. Vergangenen Freitag kündigte die unabhängige Debattenkommission die Themen an, die die Moderatorin Kristen Welker ausgewählt hatte. Außenpolitik stand nicht auf der Liste. Von einer kurzfristigen Änderung kann also nicht die Rede sein. Das Trump-Team hatte sich jedoch bei der Debattenkommission beschwert, dass das Thema Außenpolitik nicht mit auf der Liste stand, mit dem Verweis, in der letzten Debatte vor der Wahl gebe es traditionell einen Fokus auf außenpolitische Themen. Darauf stützt sich auch Trumps Behauptung, die Kommission habe die Themen “geändert”. Dabei hatten beide Seiten im Vorfeld zugestimmt, dass die Moderatorin die Themenauswahl bestimmt. Trumps Team behauptete nun, man habe sich schon Monate im Voraus auf die Themen geeinigt. Eine Behauptung, die Bidens Team wie auch die Debattenkommission zurückwies.

Zu den Mikrofonen, die bei der Debatte stummgeschaltet werden können, raunt von Schönburg ganz am Ende seines Kommentar, versehen mit einem unschuldigen Fragezeichen:

Um Themen wie Bidens Verstrickungen mit China auszublenden?

Es ist nicht nur von Schönburgs Scharfsinn, der Verschwörung wittert, Trumps Wahlkampfteam hatte diese Behauptung ebenfalls in die Welt gesetzt. Es zielt damit vermutlich auf Geschäfte Hunter Bidens mit chinesischen Firmen ab. Vielmehr als die Tatsache, dass Hunter Biden Geschäfte in China und mit chinesischen Firmen gemacht hat, gibt es da allerdings nicht. Außer eben das Material der “New York Post”. Diese zitiert aus einer E-Mail, dass Hunter Biden einen Vertrag mit einem chinesischen Geschäftsmann abgeschlossen habe, der ihm “allein für Bekanntmachungen” Millionen zahlen wolle. Ob das Material echt ist, ist, wie erwähnt, fraglich.

Von Schönburgs Geraune ist an dieser Stelle nicht mehr als unbelegtes Verschwörungsgeschwurbel: dass die unabhängige Debattenkommission Joe Biden einen Vorteil verschaffen will. In Sachen China-Verstrickungen wäre allerdings auch Donald Trumps Rolle von Interesse für die Debatte: Er selbst wie auch seine Tochter Ivanka haben während Trumps Zeit als US-Präsident Marken in China registrieren lassen. Das brachte beiden den Vorwurf ein, in Interessenskonflikte zu geraten.

Und, genau: All das lässt Alexander von Schönburg weg.

Bildblog unterstuetzen

Belgiens Justizminister findet “Bild”-Vorgehen “moralisch verwerflich”

Am Sonntag wurde in einem belgischen Nationalpark, nicht weit von der Grenze zu Deutschland, die Leiche eines Mannes entdeckt. Es handelt sich dabei um einen ehemaligen Soldaten, der unter Verdacht des Terrorismus und des Rechtsextremismus stand und vor etwa vier Wochen schwerbewaffnet flüchtete, nachdem er Todesdrohungen gegen den bekanntesten Virologen Belgiens ausgesprochen hatte. Die zuständige Staatsanwaltschaft geht von einem Suizid aus.

Die “Bild”-Medien hatten über den Fall und die Suche nach dem Mann ausführlich berichtet. Und sie berichten nun auch ausführlich über den Fund der Leiche: gestern online bei Bild.de und bei “Bild TV”, heute in der gedruckten “Bild”. Die Redaktion zeigt dabei auch ein Foto beziehungsweise ein Video der stark verwesten Leiche. Nur an manchen Stellen hat sie die Aufnahmen verpixelt.

Dieses Vorgehen der “Bild”-Medien findet Belgiens Justizminister Vincent Van Quickenborne – vor allem mit Blick auf die Angehörigen – “geschmacklos und verwerflich”:

Das Aufnehmen und das Veröffentlichen dieser Bilder ist geschmacklos und verwerflich. Es ist inakzeptabel. Es spielt dabei keine Rolle, um wen es geht: Täter, Opfer oder sonst wen. Es ist moralisch verwerflich.

Van Quickenborne spricht von einer “ausländischen Zeitung”, es ist aber recht eindeutig, dass “Bild” gemeint ist, wie auch die belgische Tageszeitung “De Standaard” schreibt. Der Justizminister bedankt sich bei den belgischen Medien, dass sie die Aufnahmen nicht veröffentlicht haben.

Wer sie der “Bild”-Redaktion geschickt hat, ist nicht ganz klar. Der Mann, der die Leiche gefunden und Fotos sowie ein Video angefertigt hat, bestreitet, die Aufnahmen an “Bild” weitergegeben oder verkauft zu haben. Er sagt, er kenne “Bild” gar nicht, was etwas überraschend ist, schließlich hat er nachweislich “Bild TV” ein Interview gegeben. Die zuständige Staatsanwaltschaft hat eine strafrechtliche Untersuchung eingeleitet. Das Büro des Justizministers teilte mit, dass Schritte vorgenommen werden sollen, um die Fotos und Videos aus den ausländischen Medien entfernen zu lassen.

Rechtlich scheint der Fall allerdings nicht eindeutig zu sein: In Belgien ist derzeit zwar die Schändung eines Grabes strafbar, nicht aber die Schändung der Überreste eines Verstorbenen, etwa durch Fotografieren und Verbreiten der Fotos. Justizminister Van Quickenborne will das nun ändern:

Das Aufnehmen/Verbreiten solcher Bilder ist verwerflich. Schrecklich für die Hinterbliebenen. Im neuen Strafgesetzbuch wird die Schändung strafbar sein.

Mit Dank an Philine, Sebastian und Chris für die Hinweise!

***

Solltest Du Suizid-Gedanken haben, dann gibt es Menschen, die Dir helfen können, aus dieser Krise herauszufinden. Eine erste schnelle und unkomplizierte Hilfe bekommst Du etwa bei der “TelefonSeelsorge”, die Du kostenlos per Mail, Chat oder Telefon (0800 – 111 0 111 und 0800 – 111 0 222) erreichen kannst.

Ohrfeige für SLAPPs, Mehr Frauen in Topjobs, Krawallmoderator

1. EU-Kommission will gegen Einschüchterung von Medienschaffenden vorgehen
(deutschlandfunk.de, Pia Behme & Sebastian Wellendorf)
“SLAPP” ist die englische Abkürzung für strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung (Strategic Lawsuits Against Public Participation). Sie dienen dazu, Medienschaffende sowie Aktivistinnen und Aktivisiten einzuschüchtern und von ihrer Arbeit abzuhalten. Nun hat die EU-Kommission einen Gesetzentwurf vorgelegt, der missbräuchliche Verfahren verhindert: “Wir haben versprochen, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten besser gegen diejenigen zu verteidigen, die versuchen, sie zum Schweigen zu bringen”, so Věra Jourová, die Vizepräsidentin der Kommission.
Weiterer Lesetipp: Neues EU-Gesetz soll Journalist:innen schützen (netzpolitik.org, Alexander Fanta).

2. When in Doubt, Show Haut: Die sexistischen Bilder von OE24
(kobuk.at, Astrid Pozarek)
Astrid Pozarek hat sich für das Medienwatchblog “Kobuk” vier Monate lang jedes abgedruckte Foto der Boulevardzeitung “Österreich” angesehen. Es zeige sich, dass “Österreich” ein Problem mit sexistischen Bildern habe: “Symbolbilder von Frauen kommen in der Boulevardzeitung um ein Vielfaches öfter vor als von Männern – allerdings sind Frauen in diesen Bildern oft zum Objekt degradiert.”

3. Elon Musk muss Tweets über Tesla auch künftig absegnen lassen
(zeit.de)
Tech-Milliardär Elon Musk will den Kurznachrichtendienst Twitter übernehmen und zu einer “globalen Plattform für Redefreiheit” machen. Das ermöglicht ihm jedoch nicht jede Äußerung, wie ein New Yorker Gericht bestätigte. So muss sich Musk gemäß einer Vereinbarung mit der US-Börsenaufsicht SEC Tweets, die Einfluss auf Teslas Aktienkurs haben könnten, erst vom Unternehmen freigeben lassen. Für einen manipulierenden Tesla-Tweet war Musk von der SEC schon mit einer Strafe von 20 Millionen US-Dollar belegt worden.

Bildblog unterstuetzen

4. Mehr Frauen in Topjobs beim Rundfunk
(spiegel.de)
Die Initiative Pro Quote hat eine neue Studie zur Geschlechterverteilung in journalistischen Führungspositionen vorgelegt (PDF). Demnach können zwei Sender die Pro-Quote-Forderung von 50 Prozent Frauen in Führungspositionen erfüllen: der RBB und die Deutsche Welle. Bis auf den Hessischen Rundfunk und den Saarländischen Rundfunk hätten alle öffentlich-rechtlichen Sender einen “Frauenmachtanteil” von mindestens 40 Prozent erreicht.

5. Der Erklärer
(arminwolf.at)
Der österreichische Publizist und Moderator Paul Lendvai hat den renommierten Concordia-Preis für sein Lebenswerk erhalten. Armin Wolf hat die Laudatio auf Lendvai gehalten, der auch mit seinen 92 Jahren immer noch alle paar Wochen im österreichischen Fernsehen die Diskussionssendung “Europastudio” leitet.

6. Der Krawallmoderator ist zurück
(faz.net, Gina Thomas)
Großbritannien-Kennerin Gina Thomas erzählt von der Rückkehr des “Krawallmoderators” Piers Morgan ins britische Privatfernsehen. Medienmogul Rupert Murdoch habe Morgan bereits 1994 als Leiter eines Sensationsblatts installiert und nun für seinen Sender “TalkTV” zurückgeholt. Morgans selbsterklärte Mission sei es, die “Cancelkultur zu canceln, bevor sie unsere Kultur cancelt”. Da passt es ins Bild, dass er sich als prominenten Gesprächspartner für seine mediale Wiederauferstehung den US-amerikanischen Ex-Präsidenten Donald Trump ausgesucht hat.

neu  

“Bild” verletzt Menschenwürde

Den vorläufig letzten Porno-Witz über Sibel Kekilli hat “Bild” vor nicht einmal zwei Wochen gemacht, am 17. Januar 2005. Damals saß die Ehefrau des Bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber beim Deutschen Filmball neben der “Preisträgerin des Goldenen Bären und Ex-Porno-Darstellerin”. Und weil sie sagte: “Mein Mann kennt ihren Film”, schrieb “Bild” dahinter: “Welchen verriet sie nicht” und verdrehte das Zitat zur Überschrift: “Frau Stoiber outete ihren Mann als Kekilli-Fan”.

Höhepunkt einer mehrmonatigen Kampagne von “Bild” gegen Kekilli war allerdings, als das Blatt am 2. November 2004 ein Foto aus einem Porno-Film abdruckte, das sie beim Geschlechtsverkehr von hinten zeigt. Damit illustrierte “Bild” die Nachricht, dass Kekilli mit dem Bambi ausgezeichnet werde — wegen ihrer “eindringlichen Darstellung” in dem preisgekrönten Film “Gegen die Wand”.

Wie nennt man solche “Berichterstattung”? Kekilli nannte sie eine “dreckige Hetzkampagne” und “Medienvergewaltigung”. Der Deutsche Presserat nannte sie eine Entwürdigung und Verletzung der Menschenwürde. Jetzt hat auch das Berliner Kammergericht Worte gefunden: Sie sei “Teil einer Kampagne”, mit der Kekilli “in höhnischer Weise herabgesetzt und verächtlich gemacht” worden sei. “Ein derartiger Eingriff in die Würde eines Menschen” sei durch die Freiheit der Berichterstattung “nicht mehr gedeckt”.

Das berichtet der “Tagesspiegel” heute. Das Gericht habe “Bild” nun die Veröffentlichung und Verbreitung des Nacktfotos untersagt. Sonst drohten 250.000 Euro Ordnungsgeld, ersatzweise Ordnungshaft.

Übrigens hat “Bild” nach unserem Wissen bis heute nicht über die öffentliche Rüge berichtet, die der Presserat in der gleichen Sache schon am 2. Dezember 2004 ausgesprochen hat. Solche Rügen abzudrucken, entspricht laut Pressekodex “fairer Berichterstattung”.

(Weitere Texte zum Thema: “Bild” versteht Rüge nicht, Sensation: “Bild” druckt Kekilli-Rüge, Presserat: Mehr Rüge muss nicht sein.)

Vom Umgang mit Quellen

“Bild” zitiert heute ausführlich aus einem Brief, den die Mutter, die ihre neun Kinder getötet haben soll, aus der Haft an ihren Freund geschrieben hat. Wobei zitieren es nicht wirklich trifft. “Bild” setzt zwar Anführungszeichen vor und hinter die Sätze. Vergleicht man sie jedoch mit der ersten Seite des Originalbriefs, den “Bild” stolz zeigt, erkennt man, dass “Bild” den Text keineswegs wörtlich zitiert, sondern nur ungefähr wiedergibt:

Original “Bild”-“Zitat”
Ich weiß nicht, ob Du überhaupt noch Wert auf einen Brief von “Deiner Frau” legst!? […] Ich liebe werde Dich immer lieben! Ich weiß nicht, ob Du überhaupt noch Wert auf einen Brief von Deiner lieben Frau legst. Ich liebe Dich, werde Dich immer lieben.
Heute habe ich alles in die Wege geleitet, daß wir (Du) ein gemeinsames Sorge– und Erziehungsrecht bekommen. Das ist doch immer noch in Deinem Sinne? Dann steht auch nichts mehr im Wege, daß Du, der beste und liebste Papi, unsere [Name unkenntlich gemacht] so schnell wie möglich nach Hause bekommst. Ich habe heute alles in die Wege geleitet für ein gemeinsames Sorgerecht. Dann steht auch nichts mehr im Wege, daß Du, der beste und liebste Papi, unsere [Name nicht unkenntlich gemacht] so schnell wie möglich nach Hause bekommst.
Ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß ich in einiger Zeit wieder bei Euch bin — wenn Ihr mich noch wollt! Es vergeht nicht 1 Minute, in der ich nicht an Euch beide denke und Eure beiden lieben Gesichter vor mir sehe. Denk auch an das Kindergeld, welches du noch abholen mußt [von anderer Stelle eingefügt]. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß ich bald wieder bei Euch bin. Es vergeht nicht eine Minute, in der ich nicht an Euch denke und Eure beiden lieben Gesichter vor mir sehe.
Ich vermisse Euch so doll. Die Nächte sind sooo lang und kalt ohne Dich. Ich vermisse Euch doll. Die Nächte sind so lang und so kalt ohne Dich.
Heute habe ich ahnungslos einen Schwangerschaftstest… Heute habe ich Ahnungslose einen Schwangerschaftstest…

 
In den “journalistischen Leitlinien” von Axel Springer, die theoretisch auch für “Bild” gelten, steht der Satz:

Die Sorgfaltspflicht des Journalisten im Umgang mit Quellen ist für die journalistische Arbeit und das Ansehen der Presse in der Öffentlichkeit von höchster Bedeutung.

Danke an Torsten W. für den Hinweis!

Irgendwie malle

Mallorca ist eine der schönsten Mittelmeer-Inseln und “Bild” manchmal sehr genau.

Im Juli beispielsweise hatte “Bild” ausführlich über Boris Becker und “seine Elena” berichtet. “Bild” wusste alles, naja: fast alles über seine “Mallorca-Bekanntschaft”: Mit was für einem Autotyp welcher Farbe Becker mit ihr über die Mittelmeer-Insel fuhr und so weiter. Und als “die süße Russin” Mallorca verlassen hatte, war “Bild” ihr auf den Fersen, wusste in welchem Stadtteil welcher Stadt sie wohnt, wer im selben Haus einen Tiefgaragenplatz hat und was genau auf ihrem Klingelschild steht. Und anschließend wussten all das auch Millionen “Bild”-Leser.

Wenn allerdings nicht Boris Becker, sondern Oskar Lafontaine Urlaub macht und damit in die Schlagzeilen gerät, verschweigt “Bild” urplötzlich (und anders als die “Die Welt”, die “Berliner Morgenpost”, das “Hamburger Abendblatt” und viele, viele andere Medien) den Namen des Urlaubsortes und schreibt stattdessen merkwürdigerweise nur verschämt von “einer der schönsten Mittelmeer-Inseln”, “einer Mittelmeerinsel” und “Mittelmeer-Finca”.

Aber Boris Becker ist ja auch kein ehemaliger “Bild”-Kolumnist.
 
Nachtrag, 27.8.2005:
Sorry, wir müssen uns korrigieren. Aber ja: Denn Boris Becker gehört doch, wie Lafontaine, zur Riege ehemaliger “Bild”-Kolumnisten. Nach seinem ersten Wimbledon-Sieg nämlich hatte ihn “Bild” vier Jahre lang als Kolumnisten (angeblich für eine Jahresgage von rund einer Million Mark) verpflichtet gehabt. “Als Gegenleistung mußte der Gast-Autor etwa 20mal im Jahr Intimes aus seinem Leben zu Papier bringen lassen”, schrieb jedenfalls der “Spiegel” im Jahr 1989. Da war nämlich Schluss mit Beckers Kolumnistentätigkeit. Unklar ist, ob Becker “Bild” oder “Bild” Becker den Vertrag kündigte. Fest steht nur, dass die Zusammenarbeit vorzeitig endete, nachdem Becker in einem Interview mit der Zeitschrift “Sports” über “Bild” gesagt hatte:

“Ich konnte mich mit der Art und Weise, wie die Geschichten erfinden und auch mit den Methoden, wie sie arbeiten, nicht identifizieren.”

Mit Dank an Lorenz L. fürs vage, aber gute Erinnerungsvermögen.

Die Renten-Lügen von “Bild”

Wenn die “Bild”-Zeitung von Renten-Lügen redet, weiß sie, wovon sie spricht.

Am 18. Januar war Ilka Hillig auf der ersten Seite der “Bild”-Zeitung. Unter der Überschrift “SCHRUMPF-RENTE – Wovon sollen wir im Alter leben?” stand ihr Foto und das Zitat: “Ich habe Angst, im Alter zu verarmen!” Das ARD-Magazin “Monitor” hat die Frau besucht und gefragt, ob sie Angst habe, im Alter zu verarmen. Ilka Hillig antwortete, sie habe keine Angst, im Alter zu verarmen. Und warum hat “Bild” das dann geschrieben?

“Das weiß ich nicht, warum die das geschrieben haben, das habe ich auf jeden Fall nicht gesagt.”

Am Tag zuvor hatte “Bild” (wie berichtet) ebenfalls auf Seite 1 eine große Tabelle veröffentlicht: “Schrumpf-Rente! So wenig ist sie künftig nur noch wert”. Als Quelle gab “Bild” das “Deutsche Institut für Altersvorsorge” an, einer Lobby-Organisation der privaten Finanz- und Versicherungsbranche (was “Bild” verschwieg). Doch selbst die distanziert sich von den Daten, die sie “Bild” angeblich geliefert hatte. Bernd Katzenstein, Sprecher des DIA, sagte gegenüber “Monitor” auf die Frage, ob er die Zahlen für seriös halte:

“Nein, sie sind eine unnötige Panikmache. Denn es wird nicht so sein, dass wir auf Jahrzehnte überhaupt keine Rentenerhöhung haben und dann noch eine Inflation, die mit zwei Prozent gerechnet wird. Das ist zu pessimistisch.”

Noch einen Tag vorher hatte “Bild” auf Seite 1 getitelt: “Finanzexperte fürchtet: Nur noch Renten-Nullrunden!” Der Finanzexperte war Bernd Raffelhüschen, ebenfalls ein Lobbyist der privaten Altersvorsorge. Und auch er distanzierte sich gegenüber “Monitor” von der Schlagzeile: Wenn man, wie “Bild” es getan hat, die Bedingung für diese Aussage weglasse — dass es nämlich nur dann Nullrunden geben werde, wenn die Bruttolöhne nicht signifikant steigen sollten — dann sei es “eine schlichte Falschmeldung” und insofern “keine wirkliche Meldung und richtige Meldung.”

Irb langsam!

Erben muss man sich leisten können.
(unbekanntes Sprichwort)

Der Herr Hoeren von “Bild” hatte ja heute die lustige Idee, dass die Bundesregierung in Sachen Erbschaftssteuer einfach gar nichts hätte tun müssen. Das noch geltende Gesetz hätte sich dann, weil es verfassungwidrig ist, “in Luft aufgelöst”. Hoeren nennt das “große Chance”, die vertan wurde, und seine Idee eine “einfache Lösung”. Das stimmt zweifellos, wenn man (wie Hoeren) das kleine Detail ignoriert, dass sich auf diese Weise auch jährlich fast fünf Milliarden Euro Einnahmen in Luft auflösen.

Aber so richtig in der Materie zu sein scheint Hoeren ohnehin nicht, sonst hätte er vermutlich gewusst, dass es noch nicht Ende 2007, sondern erst Ende 2008 Puff gemacht hätte.

Das ist im konkreten Fall vielleicht ein bisschen egal: Ist ja nur ein Kommentar. Ärgerlicher ist, dass “Bild” auch für den großen Ratgeber-Artikel zum Thema niemanden gefunden hat, der sich mit der Sache auskennt. Autor Hanno Kautz behauptet dort:

GÜLTIGKEIT

Das Gesetz wird rückwirkend ab 1. Januar 2007 gelten: Alle, die in diesem Jahr geerbt haben oder in Zukunft ein Erbe erwarten, sind vom neuen Erbschaftssteuerrecht betroffen. Das heißt: Wer heute erbt, wird zwar nach geltendem Recht versteuert. Sollte sich aber nach Inkrafttreten der Reform herausstellen, dass er dann weniger an den Fiskus zahlen müsste, bekäme er Steuergutschriften. Alle aktuellen Erbschaftsteuer-Bescheide sind also nur vorläufig.

Das ist gleich doppelt falsch.

Erstens müssen Erben, die wollen, dass die neue Regelung auch für einen Erbfall zwischen dem 1. Januar 2007 und dem Inkrafttreten des Gesetzes gilt, extra einen Antrag stellen. Das geschieht — anders als “Bild” nahelegt — nach dem jetzt verabschiedeten Gesetzentwurf nicht automatisch, und insofern sind auch die Bescheide nicht generell vorläufig.

Zweitens sieht der Gesetzentwurf ausdrücklich vor, dass in diesen Fällen nicht auch die neuen, höheren Freibeträge gelten, sondern die alten. Für Erben von Privatvermögen wäre durch eine Rückwirkung nichts zu gewinnen. Ausschließlich Unternehmenserben können von ihr profitieren.

Ja, blöd: “Was Sie jetzt wissen müssen” steht drüber, aber nicht drin.

Und wo bleibt das Positive? Hier: Immerhin schreibt die “Bild”-Zeitung nicht mehr den Unsinn von Anfang November. Wenn Sie vergleichen möchten:

“Bild”, 5.11.2007:

“Erben privater Vermögen und Immobilien müssen sich auf
deutlich höhere Steuern einstellen!”

“Bild”, 12.12.2007:

“Die Nutznießer der Reform sind alle nahen Verwandten. Für Ehegatten, Kinder, Enkel und Urenkel gelten künftig deutlich höhere Freibeträge.”

Erfolglose Populismus-Fischer, Facebook-Stasi, Anti-LGBTI-Wahlkampf

1. Nichts als Ärger: Wie Springers Bild Politik mit seinen Magazin-Covern im Populismus fischt
(meedia.de, Georg Altrogge)
“Meedia”-Chefredakteur Georg Altrogge hat sich die vier bisherigen “Bild Politik”-Ausgaben angesehen und erkennt darin ein wiederkehrendes System von Negativismen und Populismus. Ein Konzept, das zumindest im Print-Bereich nicht aufzugehen scheint.

2. Deutsche Datenschützer alarmiert über Facebooks interne Spitzelabteilung
(netzpolitik.org, Alexander Fanta)
Es liest sich schon ein wenig gruselig, was über Facebooks firmeninterne Überwachungsabteilung bekannt wurde. Ein “Sicherheitsteam” observiere Mitarbeiter, die es als mögliche Gefährder einstufe, lese die Standortdaten von Ex-Mitarbeitern aus oder schnüffle in den Nachrichten von Praktikanten, die nicht zur Arbeit erscheinen. Facebook bestreitet, mit seinem Vorgehen gegen Datenschutzregeln zu verstoßen. Der Hamburger Datenschutzbeauftragte sieht das laut netzpolitik.org etwas anders und habe die Datenschutzbehörde in Irland eingeschaltet, die in Europa die Hauptzuständigkeit für Facebook hat.
Weiterer Lesetipp in Sachen Facebook: Facebooks Anti-Datenschutz-Lobbying geleakt (golem.de, Friedhelm Greis).

3. Hilfe, die «Junge Freiheit»! Die Schweizer Kette Press & Books säubert die Regale
(nzz.ch, Marc Felix Serrao)
Die Schweizer Handelskette “Press & Books” (mehr als 200 Verkaufsstellen) hat die rechtskonservative Wochenzeitung “Junge Freiheit” aus dem Programm genommen. “NZZ”-Autor Marc Felix Serrao ist irritiert und fragt sich, ob die deutsche Öffentlichkeit in Sachen Pressefreiheit toleranter als die Schweiz ist.

4. Zoë Beck: “Frauenquoten? Auf jeden Fall!”
(ndr.de, Jürgen Deppe, Audio: 8 Minuten)
Mit Blick auf den bevorstehenden Weltfrauentag hat der NDR sich mit der vielfach ausgezeichnete Thriller-Autorin Zoë Beck unterhalten. Es geht um die Frage, ob es auch im Kultur-, speziell im Literaturbereich eine Frauenquote geben sollte. Aber auch der Film- und Fernsehbereich sei betroffen, so Beck: “Da studieren an den entsprechenden Hochschulen genauso viele oder teilweise sogar ein bisschen mehr Frauen als Männer im Bereich Kamera oder Regie. Im Abspann sieht man aber, dass Männer deutlich in der Überzahl sind. Das ist ein Ungleichgewicht, und warum soll es da keine Quote geben?”

5. Nach AKK-Witz: BILD-Chef beschwört Wahlkampf gegen geschlechtliche Vielfalt
(nollendorfblog.de, Johannes Kram)
Johannes Kram schreibt über den Umgang der “Bild”-Redaktion mit dem LGTBI-Thema. Einerseits habe die Zeitung einiges getan, um queeren Menschen das Gefühl zu geben, ihre Andersartigkeit zu akzeptieren. Andererseits hetze und polemisiere die Zeitung unvermindert gegen geschlechtliche Vielfalt. Kram vergleicht den Mechanismus wie folgt: “… wie sich die BILD-Macher heute als Alliierte von LGTBI erklären, machten sie es noch vor wenigen Jahren, als sie sich als Flüchtlingshelfern generierten. Um dann, als es nicht mehr opportun war, genau das Gegenteil zu machen, also Geflüchtete fast ausnahmslos als Deutschlands Gefahr zu stilisieren.”

6. “Ich rechne jeden Tag mit meiner Absetzung”
(fr.de, Danijel Majic)
“Titanic”-Chefredakteur Moritz Hürtgen hat schon einige erfolgreiche Coups gelandet: Ob “Miomio-Gate” bei “Bild”, die “Blasebalg-Leaks” bei “Focus Online” oder die Falschmeldung über die vermeintlichen Bündnisaufkündigung von CDU und CSU. Danijel Majic hat dem respektlosen Satiriker einige nicht minder respektlose Fragen gestellt.

Bild  

Ganz Deutschland findet noch immer: “Bild” tut nichts für das Gemeinwohl

Nach dem ersten “GemeinwohlAtlas” der Universität St. Gallen aus dem Jahr 2015 gibt es nun, in Kooperation mit der HHL Leipzig Graduate School of Management, die zweite Ausgabe. Dieser “Atlas” soll den “gesellschaftlichen Nutzen von deutschen sowie internationalen Organisationen und Institutionen” systematisch untersuchen und transparent abbilden:

Im Jahr 2019 nahmen insgesamt 11.769 Personen im Alter zwischen 18 und 93 Jahren an der Befragung teil.

Kannten die Befragten mindestens eine der aufgelisteten Organisationen, wurden sie aufgefordert, für einzelne, randomisiert ausgewählte Organisationen den Beitrag zum Gemeinwohl in den vier Dimensionen Lebensqualität, Aufgabenerfüllung, Zusammenhalt und Moral zu bewerten.

Dieses Mal wurden 137 Unternehmen, Marken, Organisationen und Institutionen bewertet. Dabei ganz vorne: Feuerwehr, Technisches Hilfswerk, Deutsches Rotes Kreuz und der Weiße Ring. Auf dem letzten Platz landete Marlboro. Auf dem vorletzten die FIFA. Und auf dem drittletzten:

Screenshot des GemeinwohlAtlas - auf dem Drittletzten Platz dabei Bild

… noch hinter solch ausgesprochenen Sympathieträgern wie Deutsche Bank, UEFA, Facebook, Twitter und Nestlé.

Beim ersten “GemeinwohlAltas” landete “Bild” noch auf dem letzten von 127 Plätzen. Das bedeutet allerdings nicht, dass sich der Ruf des Blattes seit 2015 verbessert hat — im Gegenteil: Marlboro und FIFA waren damals schlicht noch nicht dabei; die “Gemeinwohl”-Werte von “Bild” sind im Vergleich zu vor vier Jahren noch einmal gesunken (Durchschnitt 2015: 2,37 – Durchschnitt 2019: 2,26 – die Skala geht von 1 bis 6, der Median lag 2019 bei 3,79).

Andere Medien schnitten deutlich besser ab: Die Dritten der ARD liegen auf Platz 16, die ARD auf Platz 18, das ZDF auf Platz 21, die “Süddeutsche Zeitung” auf Platz 32, die “FAZ” auf Platz 36, die “Welt” auf Platz 65 und der “Spiegel” auf Platz 67. Nur die TV-Sender Vox (120), Sat.1 (122) und RTL (128) können einigermaßen mit dem schlechten “Bild”-Ergebnis mithalten.

Bild.de verbreitet Vergewaltigungslüge

Verglichen mit umliegenden Städten und Gemeinden in Westsachsen, ist die Kriminalitätsrate in Plauen ziemlich hoch: Auf zehn Einwohner komme eine Straftat, sagte der Zwickauer Polizeipräsident Conny Stiehl zur Kriminalstatistik, die im April dieses Jahres veröffentlicht wurde.

Bei Bild.de wollten sie damals dazu wissen:

Screenshot Bild.de - Sex-Verbrechen, Gewalt und Drogen - Herrscht in Plauen wirklich das Grauen?

Um darauf eine Antwort zu bekommen, fragte “Bild”, wo offensichtlich Freunde des flotten Reims arbeiten, “Frauen in Plauen” nach deren Erfahrungen in der Stadt. Fünf Antworten konnte er präsentieren, darunter diese einer 18-Jährigen:

“Am Bahnhof saß neulich ein halbnacktes Mädchen und weinte. Sie ist vergewaltigt worden.”

Diese 18-Jährige, deren Zitat Bild.de verbreitete, saß nun als Angeklagte vor dem Amtsgericht Auerbach wegen Vortäuschen einer Straftat, wie die “Freie Presse” berichtet. Die Staatsanwaltschaft warf ihr vor, die Vergewaltigung erfunden zu haben. Und auch das Gericht entschied, dass sie gelogen hatte: Die Vergewaltigung hat es nie gegeben.

Die richterliche Entscheidung stützt sich vor allem auf die Ermittlungsarbeit der Polizei. Manuela Müller schreibt in der “Freien Presse”:

Die Polizei begann von selbst zu ermitteln, nachdem der Text in Umlauf war. Die Beamten suchten ein Vergewaltigungsopfer, fanden aber keine Spur.

Ein Hauptkommissar fragte bei Kolleginnen und Kollegen der 18-Jährigen nach, ob diese von dem Vorfall erzählt hatte. Hatte sie nicht. Auch für einen angeblichen Anruf bei der Polizei, der sie nach eigener Aussage von einem halbnackten Mädchen in einer Unterführung erzählt haben will, fand man keine Belege. In den internen Polizei-Lagefilmen, in denen alle Informationen erfasst werden, die die Polizei erreichen — nichts. Auch nicht bei der Bundespolizei. Und sowieso war das alles letztlich ein fragwürdiges Zusammenreimen. So soll die Angeklagte gesagt haben: “Oben auf der Treppe saß ein Asylant. Da kann man sich doch seinen Teil denken.”

Wir haben bei “Bild”-Sprecher Christian Senft nachgefragt, ob die Redaktion damals die Behauptung der 18-Jährigen, etwa bei der Polizei, gegengecheckt hat, bevor sie sie weiterverbreitete. Auf die konkrete Frage ging er nicht ein und schrieb stattdessen von “journalistischen Mängeln” und “technischen Fehlern”:

Die Geschichte ist vor Andruck aufgrund journalistischer Mängel aus der Printausgabe entfernt worden. Online wurde sie durch einen technischen Fehler veröffentlicht. Wir haben den Artikel inzwischen gelöscht und bedauern den technischen Fehler.

Tatsächlich ist der Beitrag nach unserer Anfrage von Bild.de verschwunden.

Gesehen bei @LarsWienand. Mit Dank an @twigigitwi und O.S. für die Hinweise!

Russlands Twitter-Taktik, Sondersendungen, Ausgegruschelt

1. Wie Russland die Desinformationsregeln von Twitter umgeht
(netzpolitik.org, Olaf Pallaske)
Seit Anfang März sind die russischen Staatsmedien RT und Sputnik in der EU verboten. Doch wie eine Analyse des Magazins “The Conversation” zeigt, hat der Kreml neue Propaganda-Strategien entwickelt. Er verwendet Twitter-Accounts russischer Botschaften, Missionen und Kommissionen, um die eigene Kampagne fortzuführen: “In einer Analyse von 75 dieser Accounts stellten die Wissenschaftler:innen des Magazins fest, dass die Mehrheit ihrer Tweets falsche Informationen enthalten.”

2. Diese neuen Formate liefern News auf Ukrainisch
(meedia.de, Torben Heine)
Als Reaktion auf die auch in Deutschland eintreffenden ukrainischen Kriegsflüchtlinge etablieren sich auf den verschiedensten Kanälen neue Newsformate. Torben Heine stellt einige der Angebote vor, darunter der Instagram-Account “How to Deutschland”, das “Ukraine Update” von RTL und ntv sowie das ukrainischsprachige Magazin des “Kölner Stadt-Anzeigers”.

3. Fragen und Antworten für Journalisten
(reporter-ohne-grenzen.de)
Wie können Journalistinnen und Journalisten möglichst sicher über die Kämpfe in der Ukraine berichten? Welche Hilfestellungen gibt es für ukrainische Reporterinnen und Reporter? Welche Unterstützung brauchen russische Medienschaffende jetzt von der deutschen Politik? Antworten auf diese und weitere Fragen hat die Organisation Reporter ohne Grenzen in einem FAQ zusammengestellt.

Bildblog unterstuetzen

4. Wie sieht der Krieg im ukrainischen Fernsehen aus?
(faz.net, Harald Staun)
Harald Staun hat sich den Livestream des Nachrichtensenders Ukraine 24 angeschaut, der im Internet mit englischer Live-Synchronisation zu empfangen ist: “Wie sich dort, zum einen, der absolute Ausnahmezustand abbildet, in deprimierenden Berichten von der Front, in Interviews aus den Luftschutzkellern und in dröhnenden Ermutigungsclips rund um die Uhr, und andererseits die Routinen der Fernsehberichterstattung Normalität ausstrahlen, macht den ganzen Wahnsinn dieses Krieges auf besonders gespenstische Weise anschaulich.”

5. TV-Nachrichten im Ausnahmezustand: Spezial ist das neue Normal
(dwdl.de, Peer Schader)
Die Zeit des Kriegs in der Ukraine ist für viele deutsche Sender die Zeit der Sondersendungen. Peer Schader hat sich durch die verschiedenen Formate gezappt. Sein Fazit: “Ich kann mir gerade noch nicht vorstellen, wie das alles sein wird, wenn es irgendwann wieder weniger zu berichten gibt (falls das überhaupt realistisch ist). Aber bei einem bin ich mir sicher: Die Extraisierung der TV-Nachrichten wird noch eine ganze Weile nachwirken, bei Verantwortlichen und Berichterstattenden genau wie bei denen, die zusehen.”

6. StudiVZ und MeinVZ schmeißen ihre letzten Nutzer raus
(spiegel.de, Markus Böhm)
Schluss mit “Gruscheln”: Die Netzwerke StudiVZ und MeinVZ schließen nach einem lang hingezogenen Niedergang endgültig ihre Pforten. Wer noch alte Fotos oder Chatverläufe sichern will, habe noch bis zum 31. März dafür Zeit. Danach sollen alle Daten gelöscht werden.

“Bild” erklärt Deutschland zum “Strombettler”

Jedes Kind kennt die Geschichte (und das Lied) von St. Martin, dem römischen Soldaten, der in einer kalten Winternacht auf einen “armen Mann” traf, der nur “Lumpen” anhatte und fror. Martin gab ihm einen Teil seines stattlichen Mantels ab, damit der “Bettler” es wenigstens ein bisschen wärmer hatte.

In der Logik der “Bild”-Redaktion hätte der arme Mann noch einen Sack mit wärmender Kleidung dabei gehabt, die er aber nicht anzieht, und dem Heiligen Martin noch was von den Lumpen abgegeben, denn ein “Bettler” ist bei “Bild” irgendwie was anderes.

Deutschland hat im ersten Halbjahr 2023 mehr Strom importiert als früher. Insgesamt hat es in diesen sechs Monaten aber immer noch mehr Strom exportiert als es importiert hat.

Oder, wie “Bild” es nennt:

Screenshot Bild.de - Neuer Bericht zeigt - Deutschland wird zum Strombettler

Deutschland rutscht innerhalb von sechs Monaten rapide ab: Lag der Netto-Stromexport in der zweiten Jahreshälfte 2022 noch bei 9,2 TWh, sind es jetzt gerade einmal 0,6 TWh. Vom Strom-Exporteur zum Strom-Bettler!

Auch in der “Bild”-Bundesausgabe sind “wir” nun “Strombettler” – ein Begriff, der suggeriert, dass Deutschland sich nicht mehr ausreichend selbst mit Strom versorgen kann:

Ausriss Bild-Zeitung - Wir werden vom Stromexporteur zum Strombettler

Richtig müsste es heißen: “Wir” sind im ersten Halbjahr 2023 immer noch Stromexporteur, aber mit einem geringeren Exportüberschuss als im Halbjahr zuvor.

Die “Bild”-Redaktion beruft sich in ihrem Artikel von Anfang August auf eine Veröffentlichung von EnAppSys, einem Portal, das Daten und Analysen über den europäischen Energiemarkt für Geschäftskunden bereitstellt:

Grund für den deutschen Absturz laut der “EnAppSys”-Experten: das Kernkraftwerk-Aus!

“Diese Stilllegungen bedeuteten, dass Deutschland in Zeiten geringer erneuerbarer Stromerzeugung zusätzlichen Strom aus anderen Ländern beziehen musste”, so Experte Jean-Paul Harreman.

Wir haben mit Jean-Paul Harreman von EnAppSys Kontakt aufgenommen – und der widerspricht der Darstellung von “Bild” entschieden.

Das fängt schon damit an, dass es einigermaßen unwissenschaftlich ist, eine zweite Jahreshälfte mit einer ersten zu vergleichen: Harremann sagt, dass es eine klare Saisonalität bei den Import- und Exportmustern gebe.

Und auch die Gründe für die gesteigerten Importe liegen nicht etwa darin, dass Deutschland nicht in der Lage wäre, sich selbst mit Energie zu versorgen: Es ist nur tatsächlich billiger, Strom aus dem Ausland zu importieren, als die Leistung der eigenen Kohle- oder Gas-Kraftwerke, die alle mit verminderter Leistung liefen, hochzufahren. Genau für diesen Zweck sei der europäische Binnenmarkt für Strom geschaffen worden, sagt Harremann. (Man stelle sich umgekehrt mal vor, was “Bild” schreiben würde, wenn die Bundesrepublik ohne Grund teureren Strom produzieren würde, anstatt ihn zu importieren!)

Laut Jean-Paul Harremann liegt einer der Gründe, dass Deutschland mehr importiert als im Vorjahr, darin, dass Frankreich nach einer langen Zeit wieder in der Lage sei, Strom zu niedrigen Preisen zu exportieren. Im vergangenen Jahr war nämlich zeitweise die Hälfte der französischen Atomkraftwerke abgeschaltet – entweder wegen gravierender Mängel und Schäden oder weil wegen des heißen Sommers nicht ausreichend Kühlwasser zur Verfügung stand. Jetzt laufen die französischen AKW wieder.

Nun kann man es natürlich seltsam finden, in Deutschland alle Atomkraftwerke abzuschalten, aber weiter Atomstrom aus Frankreich zu importieren. Dafür muss man sich allerdings vom Gebiet der reinen Physik auf das der Politik begeben – und dort findet man einen von einer schwarz-gelben Bundesregierung im Jahr 2011 beschlossenen Atom-Ausstieg. Als nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im vergangenen Jahr die Energiepreise anstiegen und eine Laufzeitverlängerung deutscher Atomkraftwerke diskutiert wurde, erklärten die deutschen AKW-Betreiber, dass diese technisch und genehmigungsrechtlich schwer möglich sei.

Man kann also unterschiedlicher Meinung sein, ob Atomkraft ein sicherer oder – langfristig gerechnet – preiswerter Energieträger ist. Aber dass die deutschen Atomkraftwerke nicht weiterlaufen konnten, ist etwas, was im Januar 2022 sogar noch Christian Lindner wusste. (Die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung hatte übrigens erst im Oktober 2010 eine Laufzeitverlängerung der deutschen Atomkraftwerke beschlossen, die sie im Frühjahr 2011 wieder zurücknahm, weswegen die AKW-Betreiber vom deutschen Staat jetzt 2,4 Milliarden Euro Entschädigung bekommen, die “wir” letztlich alle bezahlen müssen, aber das nur am Rande.)

Unabhängig von der politischen Dimension importiert Deutschland überhaupt nur einen sehr geringen Teil seines Stroms aus Frankreich. Sehr viel mehr kommt aus Dänemark, der Schweiz, den Niederlanden und Norwegen – alles Länder mit hohen Anteilen erneuerbarer Energien. Und es ist nicht nur günstiger, diesen Strom zu importieren, es ist auch umweltschonender, als die heimischen Braun- und Steinkohlekraftwerke hochzufahren.

Deutschland muss also nicht um Strom “betteln”, wie “Bild” behauptet, sondern es kauft – um im Bild zu bleiben – Öko-Strom im Sonderangebot beim Discounter in der Nachbarschaft ein, um nicht in den Kohlenkeller zu müssen.

Entsprechend ist Jean-Paul Harreman von EnAppSys mit der Wortwahl im “Bild”-Beitrag “überhaupt nicht einverstanden”, wie er uns verriet:

Es ist eine Tatsache, dass Deutschland nach der Abschaltung der Kernkraftwerke mehr Strom von seinen Nachbarn importierte, aber die damit verbundenen Auswirkungen auf die Energiesicherheit sind maßlos übertrieben. Selbst wenn die Grenzen geschlossen würden, was nicht möglich ist, hätte Deutschland überschüssige Erzeugungskapazitäten zum Zuschalten. Dass die Importe gestiegen sind, ist die logische Folge einer wirtschaftlichen Optimierung.

Besonders unglücklich ist Harremann mit seiner Rolle als Kronzeuge in dem “Bild”-Artikel: Zum einen sei es in der Pressemitteilung von EnAppSys nur am Rande um Deutschland gegangen und hauptsächlich um den Wiederanstieg französischer Stromexporte, nachdem dort wieder mehr Atomkraftwerke im Betrieb sind (Mängel und Trockenheit, wir erinnern uns). Sein Zitat “Diese Stilllegungen bedeuteten, dass Deutschland in Zeiten geringer erneuerbarer Stromerzeugung zusätzlichen Strom aus anderen Ländern beziehen musste” sei aus dem Kontext gerissen, sagt Harremann, der sich gewünscht hätte, dass die “Bild”-Redaktion ihn kontaktiert, bevor sie ihn zum Kronzeugen ihrer Geschichte macht.

Nachdem EnAppSys und er persönlich viele kritische Nachfragen erhalten hätten, habe das Unternehmen die Pressemitteilung überarbeitet. Statt …

“Meanwhile, in Germany, the closure of nuclear power plants was the main reason why the energy balance flipped to imports. These closures meant that Germany had to source additional power from other countries in periods of low renewable generation.”

“In Deutschland war die Stilllegung der Kernkraftwerke der Hauptgrund dafür, dass die Energiebilanz in Richtung Importe drehte. Diese Schließungen führten dazu, dass Deutschland in Zeiten geringer erneuerbarer Energieerzeugung zusätzlichen Strom aus anderen Ländern beziehen musste.”

(Übersetzung von uns)

… heißt es dort nun:

“Meanwhile, in Germany, the closure of nuclear power plants was the main reason why the energy balance flipped from export in the first quarter to import in the second quarter. These closures meant that Germany sourced additional power from other countries in periods of low renewable generation, as other markets provided power at lower prices than unused generation assets in Germany.

Note that imports and exports are the result of market coupling among European electricity markets, with cross-border connections limiting the amount of power that can flow from one country to another. The objective is to optimize welfare across the continent. Except for borders that are not automatically coupled, parties acting on day-ahead markets do not actively choose to import or export.”

“In Deutschland war die Stilllegung der Kernkraftwerke der Hauptgrund dafür, dass sich die Energiebilanz vom Export im ersten Quartal zum Import im zweiten Quartal drehte. Diese Schließungen führten dazu, dass Deutschland in Zeiten geringer erneuerbarer Energieerzeugung zusätzlichen Strom aus anderen Ländern bezog, da andere Märkte Strom zu niedrigeren Preisen bereitstellten als ungenutzte Erzeugungsanlagen in Deutschland.

Beachten Sie, dass Importe und Exporte das Ergebnis der Marktkopplung zwischen europäischen Strommärkten sind, wobei grenzüberschreitende Verbindungen die Strommenge begrenzen, die von einem Land in ein anderes fließen kann. Ziel ist es, den Wohlstand auf dem gesamten Kontinent zu optimieren. Mit Ausnahme von Grenzen, die nicht automatisch gekoppelt sind, entscheiden sich die auf Day-Ahead-Märkten agierenden Parteien nicht aktiv für Import oder Export.“

(Übersetzung von uns)

Harreman betont, dass die Formulierung “dass Deutschland […] zusätzlichen Strom aus anderen Ländern beziehen musste” in der ursprünglichen Version der Pressemitteilung unglücklich gewählt war, und “bezog” richtiger gewesen wäre.

Der “Strombettler”-Artikel war Teil einer losen und vermutlich noch nicht beendeten Serie, in der “Bild” immer wieder versucht, den (noch einmal: vor zwölf Jahren von einer schwarz-gelben Bundesregierung beschlossenen und in diesem Jahr umgesetzten) Atom-Ausstieg als kapitalen Fehler der aktuell regierenden Ampel-Koalition zu brandmarken – möglicherweise aus Trotz, weil der von “Bild” herbeigeschriebene Blackout bis heute ausgeblieben ist.

Nur wenige Tage nach dem “Strombettler”-Text fragte “Bild” besorgt:

Muss Deutschland nach dem AKW-Aus jetzt dauerhaft mit Strom aus dem Ausland versorgt werden?

“Jedes Jahr gibt es Phasen, in denen wir Strom aus anderen Ländern einkaufen”, antwortete Bundeskanzler Olaf Scholz (65, SPD) am Donnerstag im Erfurter Bürgerdialog auf die Frage, warum Deutschland die Kernkraft durch Importstrom ersetze.

Klang ganz so, als habe sich durch das AKW-Aus nichts verändert im Vergleich zu den Vorjahren. Doch das Gegenteil ist der Fall: Deutschland importiert so viel Strom wie nie! 5783,4 Gigawattstunden waren es im Juli laut Bundesnetzagentur – Allzeit-Rekord.

Noch NIE hat Deutschland so viel Strom aus dem Ausland eingekauft, Herr Bundeskanzler!

Ja, weil’s halt billiger ist.

Das weiß eigentlich sogar “Bild”:

Auch wenn Import-Strom teurer ist als unser Export-Strom, ist er immer noch günstiger als Kohle oder Gas von hierzulande.

Wir seien auf den Import-Strom aber keineswegs angewiesen, deutete Scholz an: “In der Gesamtbilanz ist die Lage ganz anders.” Es gebe schließlich noch die Braunkohle als Ersatz. Aber Deutschland setze lieber “auf Windstrom aus Dänemark und Atomstrom aus Frankreich”, weil der eben günstiger sei.

Und dann wird die “Bild”-Redaktion nachgerade investigativ:

Funktioniert der europäische Strommarkt wirklich so gut, wie Scholz denkt? BILD fragte nach!

… fand für Zitate aber seltsamerweise nur Personen, die Strom-Importe mindestens kritisch sehen und vor steigenden Strompreisen warnen. Der Bayerische Rundfunk hingegen hat ganz viele Gesprächspartner und -partnerinnen gefunden, die von sinkenden Preisen ausgehen und die aktuelle Umweltbilanz loben:

Screenshot BR.de - Trotz Atomausstieg: Deutschland verbrennt weniger Kohle und Gas

Im Mai, dem Monat nach dem deutschen Atomausstieg, wurde so wenig Steinkohle nach Deutschland importiert wie in keinem Maimonat seit 2004 – mit Ausnahme des Corona-Jahres 2020.

Angesichts so unterschiedlicher Interpretationen der gleichen Fakten kann man schon mal den Überblick verlieren. “Bild” hatte deshalb schon im Juli eine “Riesenverwirrung um den deutschen Strommarkt” ausgerufen – und selbst weiter fleißig dazu beigetragen:

► Alles nicht so wild, sagen die einen. Strom sei im Ausland gerade billiger als in Deutschland, deshalb werde mehr eingekauft.

► Alles ziemlich wild, behaupten die anderen, Deutschland verliere seine Energie-Autonomie, mache sich abhängig.

Mithilfe von Manuel Frondel vom RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung bemüht sich “Bild” tatsächlich um eine gewisse Ausgewogenheit (diese einigermaßen ausgewogene Betrachtung hat die Redaktion aber schön hinter der Bezahlschranke versteckt). Frondel fühlt sich in dem Artikel auch korrekt wiedergegeben, wie er uns auf Anfrage erklärt hat.

ABER (um in der Diktion von “Bild” zu bleiben):

“Bild” schreibt unter anderem: “Seit elf Jahren gibt es Pläne für Stromautobahnen von Nord- nach Süddeutschland, die dieses Problem beheben würden. Aber sie kommen nicht voran.”

Was “Bild” nicht schreibt: Dass diese Stromtrassen in den Süden nicht “vorankommen”, liegt vor allem am Widerstand der CSU – nicht zuletzt in Person des früheren bayerischen Finanzministers und heutigen Ministerpräsidenten Markus Söder. Wer das nicht weiß, kann fast wieder nur annehmen, dass die seit weniger als 21 Monaten regierende Ampel-Koalition an allem schuld ist.

Dafür zitiert “Bild” im Artikel eine INSA-Umfrage, nach der “jeder dritte Deutsche” der Ansicht ist, “dass die Stromversorgung in Deutschland nicht mehr sicher” sei.

Diese Menschen kann Jean-Paul Harreman von EnAppSys beruhigen:

Für dieses Jahr sind alle Gasvorräte ausreichend gefüllt und es stehen auf dem gesamten Kontinent ausreichend Erzeugungskapazitäten aus Gas-, Kohle- und Braunkohlekraftwerken zur Verfügung. Es besteht kein Grund zur Panik. Nur ein sehr langer, sehr kalter Winter könnte echte Probleme bereiten. Diese Probleme wären eher hohe Preise als Stromausfälle.

“Kein Grund zur Panik” – der absolute Horror für die “Bild”-Redaktion.

Dazu auch:

  • Über die Mär von der “Energiesouveränität” und die Rolle von “Bild” in dieser Desinformationskampagne hatte Christian Stöcker im Juli bereits einen aufschlussreichen Artikel beim “Spiegel” veröffentlicht.

Bildblog unterstuetzen

“Bild” und die “Kunstfigur”

Am vergangenen Samstag schrieb “Bild” mal wieder über die Sängerin Michelle. Michelles neue Platte ist seit gestern im Handel, vor ein paar Jahren war sie mal ein paar Jahre lang mit dem Sänger Matthias Reim zusammen, und man könnte meinen, die 32-Jährige hätte der “Bild” (oder in “Bild”) (oder bei “Kerner”) schon so ziemlich alles erzählt, was es so zu erzählen gibt: Abtreibung, Schulden, Brust-OP, “Koma-Kollaps”, Psychiatrie, Selbstmordversuch, Hundediplom… Die Überschrift vom vergangenen Samstag indes lautete:

“Michelle: Für Sex mit Matthias Reim musste ich mich schminken”

Im Text stand dann als O-Ton von Michelle über sich und Reim:

“Wir trafen uns jede Nacht im Bett. Erst später begriff ich, daß er nicht mich, sondern die Kunstfigur Michelle liebte. Warum sonst hatte er vor dem Sex immer darauf gedrungen, ich solle mich schminken mit knallroten Lippen und ein verführerisches Kleid anziehen?“

Gute Frage. Statt einer Antwort steht bei Bild.de nun aber eine Gegendarstellung von Matthias Reim, die sich auf den “Sex”-Text bezieht und mit den Worten endet:

“Hierzu stelle ich fest: Diese Behauptungen entbehren jeglicher Grundlage.

Und man kann an dieser Stelle getrost hinzufügen, was gelegentlich auch andernorts (als “Anm. d. Red.”) unter einer Gegendarstellung zu lesen ist – nämlich, dass die Redaktion verpflichtet ist, eine Gegendarstellung “wie vorgelegt und unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt abzudrucken”. (Siehe beispielsweise auch: HbgPrG, §11) Denn unter Reims Gegendarstellung steht der Zusatz nicht. Stattdessen heißt es:

Matthias Reim hat Recht.
Die Redaktion”

Eine Frage hätten wir aber trotzdem noch: Wenn Reim also Recht hat und die Behauptungen “jeglicher Grundlage” entbehren — wer hat sie sich dann ausgedacht: Michelle oder die Erschaffer der Kunstfigur Michelle?

Witwenschütteln 2.0

Was Journalisten mit “Witwenschütteln” meinen, kann vielleicht am besten jemand erklären, der fachkundig ist. Der ehemalige “Bild”-Chefredakteur Udo Röbel zum Beispiel. Dem “Tagesspiegel” sagte er 2002:

Hatte man etwa bei einem Unglück die Adresse von Hinterbliebenen herausgefunden, ist man sofort hingefahren, klar. Beim Abschied aber hat man die Klingelschilder an der Tür heimlich ausgetauscht, um die Konkurrenz zu verwirren. Ich war damals oft mit dem selben Fotografen unterwegs, wir hatten eine perfekte Rollenaufteilung. Er hatte eine Stimme wie ein Pastor und begrüßte die Leute mit einem doppelten Händedruck, herzliches Beileid, Herr… Ich musste dann nur noch zuhören. So kamen wir an die besten Fotos aus den Familienalben.

Die “Bild”-Zeitung ist ohne Frage ganz besonders erfolgreich darin, Fotos von Opfern zu besorgen, mit denen sie ihre Artikel bebildern zu müssen glaubt, und es spricht einiges dafür, dass ihre Mitarbeiter ganz besonders wenig Hemmungen bei diesem Teil ihrer Arbeit haben. Dazu gehört zum Beispiel auch, bei einer Frau zu klingeln, deren Mann gerade mit seinem Auto tödlich verunglückt ist, und sie mit dem Hinweis um die Herausgabe eines Fotos zur Veröffentlichung zu bitten, dass sie doch sicher ein schöneres Bild von ihrem Mann habe als das, was man gerade am Unfallort gemacht habe.

Das sogenannte Web 2.0 hat die Arbeit der Fotobeschaffer von “Bild” zweifellos einfacher gemacht. Vor allem in Netzwerken wie StudiVZ lassen sich schon mit Angaben wie Name und Studienort private Fotos von Opfern von Unfällen oder Verbrechen finden — und unter Missachtung von Urheber- und Persönlichkeitsrecht verwenden. Und jeden Tag kann man in der Zeitung sehen, dass “Bild” nicht einmal ein besonderes öffentliches Interesse voraussetzt, um sich das Recht zu nehmen, die Opfer ohne jegliche Unkenntlichmachung abzubilden.

Ein typischer Fall war der Unfall zweier junger Studentinnen im April 2007, deren Wagen auf der Autobahn in die Leitplanke fuhr und die durch ein nachfolgendes Fahrzeug getötet wurden: “Bild” zeigte die Gesichter beider Toten — mindestens eines der Fotos stammte aus ihren StudiVZ-Profilen. Ob die schockierten Eltern damals eine Genehmigung dafür gaben, wissen wir nicht.

Heute nun berichtet “Bild am Sonntag” über den tragischen Tod eines Mädchens, das nach einem Zusammenstoß auf der Skipiste starb. Sie hatte sowohl bei StudiVZ als auch bei SchülerVZ ein Profil. “Bild am Sonntag” hat nicht nur die Angaben dort zur Recherche genutzt, beschreibt das Mädchen aufgrund ihrer verlinkten Kontakte als “sehr beliebt”, nennt ihr Lieblings- und ihr Hassfach. Die Zeitung hat sich auch eines der auf SchuelerVZ befindlichen Fotos bedient — deutlich zu erkennen an der typischen Markierung im Bild (siehe Ausriss rechts).

Gut, wir können natürlich nicht völlig ausschließen, dass ein “Bild”-Reporter bei den Angehörigen des Mädchens mit der Stimme eines Pastors und doppeltem Händedruck vorbeischaute, um ein Foto aus dem Familienalbum bat und die Antwort bekam: “Nee, das ist uns nicht recht. Aber melden Sie sich doch einfach mal als Schüler bei SchülerVZ an, da hatte unsere Tochter ein Profil mit vielen privaten Fotos von sich und ihren Freunden. Können Sie sich gerne bedienen.”

Mit Dank an Bastian P., Jan K., Dirk S., Christoph, Micha Z., Daniele, Jan, Johannes K., Alexander B., Daniel F. und Philipp W.!

Wider die gnadenlose Selbstbeherrschung II

Als “Bild”-Kolumnist Peter Heinlein kürzlich schrieb, die britische Presse sei bzgl. der Geheimhaltung von Prinz Harrys Einsatz in Afghanistan bei einer “Presseverhinderungsabsprache und gnadenlosen Selbstzensur erwischt worden”, war das offenbar nicht nur zynisch (weil die Geheimhaltung, wie berichtet, vor allem dem Schutz vor Anschlägen diente), sondern auch ahnungslos und irreführend.

Denn die “Bild”-Zeitung selbst, als deren Autor sich Heinlein empört, spielt eine seltsame Rolle bei der Enthüllung von Prinz Harrys Aufenthaltsort.

BILDblog dokumentiert:

“Ist Prinz Harry im Krieg?

Wo steckt Prinz Harry (23)? Seit Wochen ist er verschwunden. Keine öffentlichen Auftritte, keine peinlichen Party-Ausfälle. Nun geht das Gerücht: Er ist im Krieg!

Ein Insider des britischen Königshauses sagte dem Magazin ‘Frau im Spiegel’: ‘Es ist durchaus denkbar, dass er im Irak oder in Afghanistan im Einsatz ist.’

Eine offizielle Stellungnahme gibt es dazu aber nicht. Oder: Es darf sie nicht geben. Wenn es um einen geheimen Einsatz des Prinzen geht, dann herrscht strikte Nachrichtensperre, heißt es aus Militärkreisen.”
(Quelle: Bild.de vom 26.2.2008)

Bereits einen Tag vor der “weltexklusiven” Enthüllung durch den Drudge Report nämlich stand bei Bild.de eine kleine Meldung (siehe Kasten) unter der Überschrift:

“Ist Prinz Harry im Krieg?”

Die “Harry im Krieg?”-Meldung fand – ähnlich wie bereits Wochen zuvor eine ähnliche Meldung des australischen Frauenmagazins “New Idea” – keinen Widerhall: weder hierzulande, noch anderswo. Jedenfalls nicht, bis sich der Drudge Report der Sache annahm und (wie u.a. die “New York Times” berichtet) zuerst unter ausdrücklicher Berufung auf “New Idea” und “Bild” aus den Afghanistan-Spekulationen eine Tatsache machte – um dann allerdings in einer überarbeiteten Fassung “New Idea” und “Bild” wegzulassen und die Geschichte als “world exclusive” auszugeben.

Und als wäre das alles nicht seltsam genug, sind die Ursprungsmeldungen bei “New Idea” (Screenshot hier) und Bild.de inzwischen nicht mehr verfügbar. Eine Anfrage bei “Bild”, warum und auf wessen Veranlassung Bild.de den eigenen Artikel gelöscht hat, wurde uns bislang noch nicht beantwortet.

Andererseits ist es umso erstaunlicher, dass die Bild.de-Meldung nicht nur dem Drudge Report als Quelle gedient haben soll, sondern “Bild” auch bei der Rekonstruktion der heiklen Enthüllung in vielen Medien und Agenturmeldungen überhaupt eine Rolle spielt. Denn eigentlich verbreitete Bild.de doch eh’ nur eine exklusive Vorab-Meldung der Illustrierten “Frau im Spiegel” weiter.

Aber so ist das wohl, Herr Heinlein: Ihre “Bild” ignoriert erst die Nachrichtensperre, entscheidet sich im Nachhinein zur gnadenlosen Selbstzensur und steht am Schluss weder zum einen noch zum andern.
 
Nachtrag, 14.28 Uhr: Inzwischen hat ein “Bild”-Sprecher auf unsere Frage, warum die “Harry im Krieg?”-Meldung auf Bild.de gelöscht wurde, geantwortet, er könne “dazu keine Auskunft geben”. Was im Blatt oder auf Bild.de erscheine, seien Entscheidungen der Chefredaktion – und diese Entscheidungen kommentiere man grundsätzlich nicht.

“Bild”-Leser Broder trifft “Bild”-Macher Diekmann

Kai Diekmann hat da schon ein Glas Wein getrunken, mit ehemaligen Außenministern geplaudert, mit Guido Westerwelle geschäkert und mit “Spiegel”-Chef Mathias Müller von Blumencron getuschelt. Kann sein, dass es daran liegt, aber anschließend sagt er:

“Ich behaupte, dass ich als ‘Bild’-Chefredakteur einer der beliebtesten Journalisten Deutschlands bin, oder?”

Diekmanns Gesprächspartner, der Kolumnist Henryk M. Broder, überhört das kleine Fragezeichen und antwortet: “Solange die Leute die Zeitung nicht lesen.” Diekmann lacht freundlich mit.

Die knapp einstündige Dokumentation, die Arte heute abend um 23.40 Uhr zeigt, heißt:

Durch die Nacht mit… Kai Diekmann und Henryk M. Broder

Aber eigentlich sehen wir: Henryk M. Broder durch die Nacht mit Kai Diekmann.



Diekmann lässt sich von Broder in der “Bild”-Redaktion abholen, lässt ihn dort aber zunächst in seinem Büro warten, führt ihn anschließend durch die Redaktion (Broder: “Wo werden hier die Sklaven ausgepeitscht?”), zeigt Broder ein ehemaliges Lieblingsrestaurant, das Atelier eines mittellosen Malers und die “Bild”-Druckerei. Im Gegenzug lässt er sich von Broder auf einen Polit-Promi-Empfang, in ein InternetCafé, zum Asia-Imbiss, in die U-Bahn mitnehmen. Die Nacht mit Broder nennt er “ein Experiment”, auf das er sich eingelassen habe.

Arte nennt die jüngste Folge der Doku-Reihe “Durch die Nacht mit…”:

Ein Treffen zwei der streitbarsten und meinungsfreudigsten Männer des Landes.

Doch während man von dem einen, Broder, erfährt, was man eh schon weiß, weil er sich häufig in Szene setzt, erfährt man über den anderen, Diekmann, den Talkshow-Verweigerer, nichts: immer im Dienst, verlegen und verlegen um Antworten (zumindest solange ihm ein Mikro am Hemd klemmt und die Kamera läuft).

Okay, Diekmann sagt “Doppelstandard”, wenn er “Doppelmoral” meint; er ist besorgt, ob er nicht vielleicht doch eine Krawatte tragen soll. Zuhause in Potsdam werde der Müll getrennt – und während Broder sich den Abend freigenommen hat und irgendwann von seiner Tochter (“Ah, die Tochter!”) angerufen wird, greift Diekmann wieder und wieder selbst zum roten “Bild”-Handy, um bei “Bild” anzurufen. Und die zurechtgelegt wirkenden Koketterien Broders über “Bild” lässt er ebenso über sich ergehen wie dessen Erörterungs- und Verbrüderungsversuche. “Was Broder für den ‘Spiegel’ ist, ist Franz Josef Wagner für uns’, sagt er.

Es ist also, wie es kommen musste: Kolumnist trifft Chefredakteur, Selbstdarsteller trifft Macher. Und “Durch die Nacht…”-Autor Hasko Baumann filmt dankenswerterweise mit:

Broder: Ich finde übrigens die ganze RAF-Debatte unerträglich.
Diekmann: Ja.

Broder: Wissen Sie, was toll ist an Berlin? Man kann hier nicht auffallen.
Diekmann: Ja.



Diekmann nickt, wenn Broder in der U-Bahn seine Sicht auf den Antisemitismus in Deutschland ausbreitet. Wenn Broder lang und breit von einer Reise in die Geburtsstadt seiner Mutter erzählt, fragt Beckmann Diekmann in einer Sprechpause: “Wie war das emotional?”

Sagt aber Diekmann dann doch mal einfach so, er finde Claudia Roth “in Ordnung” (“Irgendwie hat die was.”), dann witzelt Broder (“Ja, Übergewicht.”) und redet weiter, irgendwas.

Es gibt zahllose solcher Miniaturen in der Doku, aufwändig und schlau und unaufgeregt mitgedreht, immer nur dabei mit der Kamera. Das muss reichen. Und immer ein wenig zu nah dran an den Gesichtern dieser beiden Journalisten, die sich – das merkt man – nur im Grad ihrer Beliebtheit ähneln. Eine Männerfreundschaft wird das jedenfalls, auch wenn Arte Gegenteiliges behauptet, nicht.

Am Anfang der Doku sehen wir Broder in einer schwarzen Limousine zum Berliner Springer-Hochhaus fahren (“Vor 30, 40 Jahren wollte ich Springer noch enteignen, jetzt finde ich aber so eine Fahrt in der Luxuslimousine doch ganz angenehm.”). Am Ende fährt Diekmann mit der schwarzen Limousine in die Nacht (“So. Ham’ wir’s.”). Broder bleibt zurück. Abspann.

  • heute, 23.40 Uhr, Arte

Siehe auch “taz”, “Süddeutsche Zeitung”, “Westfälische Rundschau”, “Berliner Zeitung”, “Frankfurter Rundschau” und “Spreeblick”.

Nachtrag, 23.1.2009: Eine Woche lang kann man die Doku in voller länge und kostenlos auch auf arte.tv anschauen.

Geschenkt…

Klar: “Die Redakteurinnen und Redakteure der Axel Springer AG sind sich der Verantwortung bewusst, die sie für die Information und Meinungsbildung in Deutschland haben.” Und deshalb steht in Springers “Leitlinien der journalistischen Unabhängigkeit” auch:

"Einladungen und Geschenke: Die Gefährdung unabhängiger journalistischer Arbeit durch persönliche Vorteilsnahme ist Gegenstand der Ziffer 15 des Pressekodex. Schon der Anschein, die Entscheidungsfreiheit von Journalisten könne durch Gewährung von Einladungen oder Geschenken beeinträchtigt werden, ist zu vermeiden.
Die Journalisten bei Axel Springer (...) nehmen keine Geschenke an, die den Charakter einer persönlichen Vorteilsnahme haben, oder geben diese – falls die Annahme unvermeidbar ist – an den Verlag weiter, der diese karitativen Zwecken zuführt."

Man sollte meinen, das sei eindeutig. Ist es aber nicht, wie das NDR-Medienmagazin “Zapp” herausfand. “Zapp” berichtete vor der HSV-Aufsichtsratswahl vom vergangenen Wochenende von einer Kampagne der “Bild”-Hamburg zugunsten des HSV-Vorstandsvorsitzenden Bernd Hoffmann – und fand heraus*, dass sich der Hamburger Sportchef der “Bild”-Zeitung, Jürgen Schnitgerhans, unlängst vom HSV-Vorstand eine über 1000 Euro teure Armbanduhr hatte schenken lassen.

Heute nun veröffentlicht “Zapp” dazu die komplette Stellungnahme des “Bild”-Sprechers Tobias Fröhlich, die zeigt, wie man bei “Bild” den “Anschein, die Entscheidungsfreiheit von Journalisten könne durch Gewährung von (…) Geschenken beeinträchtigt werden”, vermeidet:

Hr. Schnitgerhans hat sich keine Uhr vom HSV-Vorstand “schenken lassen”. Sondern vielmehr wurde ihm diese Uhr vom gesamten HSV-Vorstand zum 60. Geburtstag als Würdigung und Anerkennung für seine 37-jährige Tätigkeit als Sportreporter für verschiedene Medien und speziell als journalistischer und kritischer Begleiter des Vereins überreicht. Dies wurde auch so in der Ansprache des Vorstands artikuliert.

Er wurde also für seine Gesamtleistung als langjähriger Sportjournalist und nicht als BILD-Reporter ausgezeichnet. Schnitgerhans schrieb über den HSV 1971 beim Sportmegaphon Lübeck, ab 1973 bei der Hamburger Morgenpost, seit 1980 für BILD. Aus diesem Grund sehen wir diese Auszeichnung nicht im Widerspruch zu unseren Leitlinien.
(Hervorhebungen von uns.)

*) Nachtrag, 17.23 Uhr: Aus der “Spiegel”-Redaktion wurden wir darauf aufmerksam gemacht, dass der “Spiegel” bereits wenige Tage vor der “Zapp”-Sendung berichtet hatte, dass HSV-Chef Hoffmann “im März vergangenen Jahres dem Hamburger Sportchef von ‘Bild’ eine Uhr im Wert von über 1000 Euro zu einem Dienstjubiläum geschenkt hat und auch die Laudatio hielt”. Das hatten wir bedauerlicherweise übersehen. Korrektur: An dieser Stelle hatten wir dem “Spiegel” zunächst ganz nebenbei unterstellt, das Magazin hätte in seiner eigenen Berichterstattung unerwähnt gelassen, dass zu den HSV-Aufsichtsratskandidaten auch ein “Spiegel”-Redakteur zählte. Das war falsch. Wir bitten um Entschuldigung.

ORF-Maulkorb, Vier-Augen-Delikte, AfDler als Journalistenbedroher

1. ORF-Mitarbeiter sollen Politik “auch privat” auf Twitter nicht kritisieren
(derstandard.at, Harald Fidler)
Der österreichische Sender ORF arbeitet an neuen Social-Media-Regeln, nach denen Mitarbeiter auf Meinungsäußerungen verzichten sollen und zwar auf: “öffentliche Äußerungen und Kommentare in sozialen Medien, die als Zustimmung, Ablehnung oder Wertung von Äußerungen, Sympathie, Antipathie, Kritik und ‘Polemik’ gegenüber politischen Institutionen, deren Vertreter/innen oder Mitgliedern zu interpretieren sind”. Der Betriebsratschef wertet dies als “Kniefall” vor ÖVP und FPÖ.
Weiterer Lesehinweis: ORF-Chef will Mitarbeitern politische Kritik verbieten (zeit.de)

2. „Kommunikations-GAU“ im Funkhaus
(taz.de, Anne Fromm)
Bei “Deutschlandfunk Kultur” sorgt die Meldung über ein Finanzloch für Unruhe in der Belegschaft: Von einschneidenden Sparmaßnahmen bei Programm und Personal ist die Rede. Die innerbetriebliche Kommunikation darüber hätte besser laufen können, wie “taz”-Redakteurin Anne Fromm berichtet. Als die Senderchefs die Redakteure/innen über die neue Reform informieren wollten, hätten die Chefs dem Personalrat und dem Redakteursausschuss den Zutritt zu der Versammlung verweigert. Ein “klarer Verstoß gegen das Bundespersonalvertretungsgesetz”, wie die Angestellten in einer Stellungnahme schreiben würden.

3. Warum es so schwierig ist, zu “Me Too” zu recherchieren
(sueddeutsche.de, Charlotte Theile)
Charlotte Theile berichtet von der Schwierigkeit, zu #MeToo zu recherchieren: “Sexuelle Übergriffe sind oft Vier-Augen-Delikte. Zwei Menschen wissen, was wirklich passiert ist. Gleichzeitig gibt es überall da, wo es um Sex geht, schnell Gerüchte. Eine unübersichtliche Mischung, in der Journalisten schnell in einen Rollenkonflikt geraten. Mit Nachforschungen laufen sie Gefahr, Teil des Hörensagens zu werden.”

4. Nach Merkel-Kommentar: Malte Pieper verwundert über Reaktionen
(swr3.de, Amelie Heß)
Der ARD-Korrespondent Malte Pieper forderte in einem Kommentar den Rücktritt von Angela Merkel, was im Netz eine breite Diskussion auslöste. Einige Medien, wie “Bild”, stellten die Meinung des Korrespondenten fälschlicherweise als die Meinung der “Tagesschau” dar, was die Stimmung zusätzlich anheizte. BILDblog berichtete. Auf SWR3 zeigt sich Malte Pieper verwundert über die Reaktionen. Er habe sachlich argumentiert. Sein Kommentar sei lediglich ein Angebot zur Diskussion gewesen. Zum Vorwurf des “Staatsfunks” sagt Pieper: “Viele glauben offenbar, wir hier beim SWR oder in den ganzen ARD kriegen morgens ein Fax aus dem Bundeskanzleramt und da steht drin, was wir senden sollen. Ich kann nur sagen: So ist es definitiv nicht. Wir denken schon noch selbst.“

5. AfD-Treffen: Teilnehmer bedrohen und attackieren Journalisten
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Beim “Kyffhäusertreffen” in Sachsen-Anhalt hat sich der rechtsnationale Flügel der AfD zusammengefunden. Teilnehmer der Veranstaltung haben Journalisten angegriffen und bedroht, die sie beim Verlassen des Versammlungsgeländes gefilmt haben. Einige Besucher der Veranstaltung hätten sich gegenüber den Journalisten auf den Datenschutz berufen und verboten, sie zu filmen. Dies sei “Unsinn”, wie Medienrechtler Thorsten Feldmann bei “Übermedien” zitiert wird: “Mit Datenschutz hat das nichts zu tun. Es gilt das Medienprivileg.”

6. “Bild”-Redaktion evakuiert, weil Flüchtling an Axel-Springer-Hochhaus vorbeiging
(der-postillon.com)
Der “Postillon” berichtet: “Zu chaotischen Szenen ist es heute im Axel-Springer-Hochhaus in Berlin gekommen. Dort wurde am Vormittag die gesamte Bild-Redaktion evakuiert. Zuvor hatte ein Journalist der Zeitung einen Flüchtling entdeckt, der den Gehweg vor dem Gebäude entlang lief.”

Amerikanische Katastrophe, Unzulässige Bilder, Jabadabaduuuu!

1. Die Fairness aufgegeben
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers)
Anfang der Woche ist das Buch “Im Wahn. Die amerikanische Katastrophe” des ehemaligen “Spiegel”-Chefredakteurs Klaus Brinkbäumer und des Dokumentarfilmers Stephan Lamby erschienen. Im Interview mit dem Deutschlandfunk spricht Lamby über die Entwicklung der US-amerikanischen Medien. Bis zum Jahr 1987 habe die “fairness doctrine” gegolten, nach der bei politischen Kontroversen immer auch die Gegenseite gehört werden solle. In den Jahren der Deregulierung sei dies aufgegeben worden, mit schädlichen Auswirkungen bis in die Gegenwart: “Diese Entwicklungen, die da 1987/88 etwa ihren Anfang nahmen, die sehen wir in voller Blüte heute, so dass da nicht nur Republikaner und Demokraten gegeneinanderstehen, sondern auch ‘Fox News’ und ‘CNN’. Das ist wirklich mit Händen zu greifen im Moment.”
Weiterer Lesehinweis: Die US-Korrespondenten des “Spiegel” haben sich die erste TV-Debatte zwischen Donald Trump und Joe Biden angeschaut: Der Schreikampf (spiegel.de, Roland Nelles & Marc Pitzke).

2. Artikel über Scheidung von Anke Engelke nur ohne Bilder zulässig
(urheberrecht.org)
Die “Bild”-Zeitung und Bild.de hatten über das Scheidungsverfahren der TV-Unterhalterin und Schauspielerin Anke Engelke berichtet und dabei auch Fotos verwendet, die auf dem Weg zum Amtsgericht geschossen wurden. Letzteres sei laut einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs unzulässig: Die Bilder würden nicht zum Bereich der Zeitgeschichte gehören, sondern seien Teil der Privatsphäre.

3. “Die ARD gibt selbst fürs Wetter mehr aus als für Dokumentarfilme”
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Freie Doku-Produzentinnen und -Produzenten hätten in Hessen so gut wie keine Chance, ihre Arbeiten bei der dortigen ARD-Tochter unterzubekommen. Im Gespräch mit “DWDL” erklären zwei langjährige Dokumentarfilmer die für sie unbefriedigende Situation: “Der HR ist der einzige ARD-Sender, der eine sehr strikte Eigenproduktionspolitik fährt. 97 Prozent aller Produktionen des HR stammen direkt aus dem Haus. Freie Dokumentarfilmer oder Nachwuchsfilmer kommen so überhaupt nicht zum Zuge. Das ist kein Zufall, sondern die erklärte Politik des Hauses, die auch vom Rundfunkrat abgesegnet ist. Für uns Dokumentarfilmer ist das existenzbedrohend, gerade jetzt in der Coronakrise.”

Bildblog unterstuetzen

4. Arktis statt Aktien, Dürre statt Dividende: Initiative will ARD-Sendung “Börse vor acht” ersetzen
(klimafakten.de, Nick Reimer)
Eine Gruppe von Klima-Aktivisten will die Börseninformationen im Ersten kurz vor der “Tagesschau” durch Klima-Berichterstattung ersetzen. Das Crowdfunding für eine Testausgabe war äußerst erfolgreich: Statt der ursprünglich anvisierten 20.000 Euro seien mehr als 40.000 Euro zusammengekommen. Nun werde eine sechsteilige Testreihe produziert. Dass diese dann auch bei einem ARD-Sender ausgestrahlt werde, sei eher unwahrscheinlich, aber darum gehe es auch nicht: “Wir wollen zeigen, was gute Klimaberichterstattung ist – und dass es geht.”

5. Forschung, Strategie, Umsetzung: Wie sich der SPIEGEL für junge Leser*innen verändert
(medium.com/@devspiegel)
Nachdem der “Spiegel” mit seinem Jugendportal “Bento” gescheitert ist, unternimmt er einen neuerlichen Versuch, die junge Zielgruppe zu erreichen: “Spiegel Start” heißt das neue “Service- und Orientierungsangebot rund um Ausbildung, Studium und Berufseinstieg”, das in dieser Woche anläuft. Im hauseigenen Entwicklerblog verraten die Macherinnen und Macher, welche Analysen und Überlegungen sie im Vorfeld angestellt haben.

6. Jabadabaduuuu!
(sueddeutsche.de, Fritz Göttler)
Fritz Göttler erinnert an die erste Zeichentrickfilmserie, die es ins US-amerikanische Primetime-Fernsehen schaffte: “The Flintstones” (in Deutschland: “Familie Feuerstein”). Sie wurde von den Animationskünstlern William Hanna und Joseph Barbera entwickelt, die zuvor bei MGM lange Zeit “Tom und Jerry” betreut hatten. Die Serie war in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich, und vielen klingt Fred Feuersteins Urschrei noch heute in den Ohren: “Jabadabaduuuu!”

KW 17: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. Wir Journalisten Folge 5: Gewalt gegen Journalisten
(djv.de, Audio: 46:57 Minuten)
Der Fernsehjournalist Arndt Ginzel ist spezialisiert auf Investigatives und Rechtsextremismus und dreht regelmäßig auf Demonstrationen. Dabei erlebt er immer wieder Anfeindungen der verschiedensten Art. Bei “Wir Journalisten”, dem Podcast des Deutschen Journalisten-Verbandes, spricht er über die zunehmende Gewalt gegen Medienschaffende. Weitere Folgen der Gesprächsreihe mit Journalisten und Journalistinnen gibt es auf der Übersichtsseite.

2. FS259 Nasenfaktor
(freakshow.fm, Tim Pritlove & Dominik Wagner & Roddi & Rainer Killinger, Audio: 3:35:14 Stunden)
Apple kündigte jüngst den Einstieg ins Podcast-Business an. Man wolle nicht nur die Infrastruktur, sondern auch Bezahlinhalte im Audiobereich anbieten. Der Konzern verlangt von den Podcast-Anbietern dafür bis zu 30 Prozent Provision. In der “Freakshow” diskutieren Tim Pritlove und seine Mitstreiter die möglichen Auswirkungen auf die Podcast-Branche.

3. Kulenkampffs Schuhe
(ardmediathek.de, Regina Schilling, 1:31:59 Stunden)
In den 60er- und 70er-Jahren erlebte das Fernsehen seine goldenen Zeiten mit Einschaltquoten von bis zu 80 Prozent. Am Samstagabend saßen viele Familien einträchtig vor dem TV-Gerät und schauten “Einer wird gewinnen” mit Hans-Joachim Kulenkampff oder die “Peter-Alexander-Show”. Die Regisseurin Regina Schilling wirft in ihrer Doku einen Blick auf das Unterhaltungsfernsehen von damals und hat dazu zahlreiche Showausschnitten aus der Zeit, Interviews, privates Super-8-Material sowie historische Dokumenten und Fotos zusammengetragen. Achtung: Die 90-minütige Doku ist nur noch bis zum 6. Mai in der ARD-Mediathek zu sehen und verschwindet danach wieder im öffentlich-rechtlichen Depublizierungs-Nirwana.

Bildblog unterstuetzen

4. Prügelknaben? – Ein Redaktionsgespräch über das Männerbild in den Medien
(deutschlandfunk.de, Brigitte Baetz & Stephan Beuting & Annika Schneider & Michael Borgers & Bettina Schmieding, Audio: 37:23 Minuten)
Mit der Bezeichnung “alte weiße Männer” sind meist Männer gemeint, die sich dem Fortschritt verweigern, Änderungen ablehnen und an alten Strukturen festhalten wollen. Natürlich gibt es auch alte weiße Männer, die nicht so denken, und von denen ärgern sich wiederum einige über die ihrer Meinung nach ungerechte Zuweisung. Eine derartige Kritik habe es auch innerhalb der Deutschlandfunk-Redaktion nach einem Podcast über Diversität gegeben. Ein guter Anlass, sich zusammenzusetzen und die Sache zu besprechen! Es geht um “alte weiße Männer”, Journalismus, Kollateralschäden und das Gefühl, als Prügelknabe herhalten zu müssen.

5. ZDFzoom: Angriff von rechts
(zdf.de, Patrick Stegemann & Johanna Bentz, Video: 29:02 Minuten)
Die radikale Rechte versucht, den Unmut über die Corona-Maßnahmen für sich zu nutzen und setzt dabei verstärkt auf Onlinemedien und digitale Kommunikationskanäle: “Besonders auf digitalen Plattformen wie dem Messengerdienst Telegram erfahren rechte Akteure viel Zuspruch von Querdenkern und Anhängern von Verschwörungsmythen. Gemeinsam mit dem Datenanalysten Josef Holnburger haben die ‘ZDFzoom’-Reporter Tausende Telegram-Nachrichten ausgewertet.” In ihrer Reportage zeigen Patrick Stegemann und Johanna Bentz, wie Demokratiefeinde um Einfluss kämpfen.

6. Anwaltspost trotz millionenschwerer Werbung: Thomas „Held der Steine“ Panke gegen Lego
(omr.com, Philipp Westermeyer & Torben Lux, Audio: 1:06:28 Stunden)
Der Youtuber Thomas Panke betreibt einen erfolgreichen Kanal (“Held der Steine”), in dem er Klemmbaustein-Sets vorstellt und testet, die von Lego, aber auch von anderen Anbietern stammen. Panke hat bereits zum wiederholten Mal Post von den Lego-Anwälten bekommen, die er jedes Mal auf seinem Kanal genüsslich kommentiert (hier und hier). Die Folge: Schlechte PR für Lego, Followerzuwachs für Panke. Im Podcast der “Online Marketing Rockstars” erklärt der Youtuber sein kompliziertes Verhältnis zu Lego, er erzählt, weshalb er keinen eigenen Online-Shop haben will und warum er auf Spaß- statt Umsatzoptimierung setzt.

Notfallplan, Sich blamierende Medien, Ausschuss zum RBB

1. Experten warnen: Twitter wird zum Sicherheitsrisiko
(br.de, Georg Schmalzried)
Experten sorgen sich um die Sicherheit bei Twitter. Nach den Massenentlassungen durch den neuen Chef Elon Musk könnte es bei Twitter zu Ausfällen und Datenlecks kommen, so die Befürchtung. In den vergangenen Tagen hatte es bereits einige technische Probleme bei der Plattform gegeben. “Es ist egal, ob ihr diese Seite verlasst oder nicht”, sagt Cybersicherheitsspezialist Ian Coldwater auf Twitter und empfiehlt: “Macht einen Notfallplan und kümmert euch um eure Kontakte, denn es kann gut sein, dass die Seite euch verlässt.”

2. Sorry, ich habe den dritten Weltkrieg ausgerufen
(spiegel.de, Sabine Rennefanz)
“Die Ereignisse vom Dienstagabend bestätigen mich darin, dass es sinnvoll ist, sich nicht nur in deutschen Medien über den Krieg zu informieren, und schon gar nicht auf Twitter. Englischsprachige Nachrichtenseiten wie die BBC oder Reuters oder die ‘New York Times’ berichten oft vorsichtiger, distanzierter, oft genauer.” Sabine Rennefanz kritisiert in ihrer “Spiegel”-Kolumne das Verhalten vieler Medien anlässlich des Raketeneinschlags auf polnischer Seite an der polnisch-ukrainischen Grenze (siehe dazu auch unseren Beitrag: “Bild” und “die unwahrscheinliche dritte Möglichkeit”).

3. Verzicht auf Vertrag und Ruhegeldanspruch
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Im Gespräch mit dem “Tagesspiegel” bestätigte Jan Schulte-Kellinghaus, dass er seinen Posten als Programmdirektor des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) aufgeben werde. Nun soll über den Preis verhandelt werden, und das könnte für den RBB sowie die Gebührenzahler, trotz eines möglichen Verzichts auf den Ruhegeldanspruch, teuer werden.

Bildblog unterstuetzen

4. Landtag setzt Untersuchungsausschuss zum RBB ein
(sueddeutsche.de)
Auf Betreiben der AfD-Fraktion hat der Brandenburger Landtag einen Untersuchungsausschuss zum RBB-Skandal eingesetzt. Für den Linken-Abgeordneten Thomas Domres komme dieser Ausschuss verfrüht, man hätte zunächst die die Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft abwarten sollen.

5. Neues Satellitensystem für sicheres Internet
(tagesschau.de)
Die EU investiert einen Milliardenbetrag in den Aufbau eines neuen Satellitenverbundes für ein sicheres Internet: “Unterhändler des EU-Parlaments und der Mitgliedstaaten einigten sich auf den Aufbau einer sogenannten Satellitenkonstellation namens Iris² (Infrastructure for Resilience, Interconnection and Security by Satellites). Dafür sollen in den kommenden Jahren 2,4 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt kommen.”

6. ARD-Teamchef: “Keine einfache Aufgabe”
(deutschlandfunk.de, Annika Schneider & Isabelle Klein)
Am Sonntag beginnt die Fußballweltmeisterschaft in Katar. Für viele Zuschauerinnen und Zuschauer stellt sich damit die Frage: einschalten oder boykottieren? Die TV-Sender haben diese Frage für sich bereits beantwortet: Sie übertragen die Spiele, wollen aber auch kritisch berichten. Keine einfache Aufgabe, wie Harald Dietz, ARD-WM-Teamchef, im Deutschlandfunk ausführt.

Goldener Vorruhestand, Meta muss zahlen, Totgeglaubter Ex-Kanzler

1. Teure Verträge aus alten Zeiten
(tagesschau.de, Gabi Probst)
Unter der damaligen Intendantin Patricia Schlesinger sind beim RBB anscheinend viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen nicht nur in den wohlverdienten, sondern auch in den hochvergüteten Vorruhestand gegangen. Mindestens in einem Fall liege das sogenannte Ruhegeld sogar über der Summe des einstigen Gehalts: “So zahlt der rbb einem ehemaligen SFB-Intendanten derzeit gut 13.100 Euro Ruhegeld monatlich, das sind rund 157.600 Euro im Jahr. Als Intendant hatte er ein Gehalt von rund 135.000 Euro jährlich.”

2. Was Elon Musk bei Twitter anrichtet
(blog.torial.com, Simon Hurtz)
Simon Hurtz, Journalist und einer der Köpfe des Newsletters “Social Media Watchblog”, beobachtet seit Elon Musks Twitter-Einstieg genau, was bei dem Netzwerk passiert. Zwischen all den Entlassungen und Entgleisungen des mitunter getrieben wirkenden Neu-Eigentümers versucht Hurtz, ein paar größere Linien und Zusammenhänge herauszuarbeiten.

3. Meta kassiert dritthöchstes DSGVO-Bußgeld
(netzpolitik.or, Ingo Dachwitz)
Laut einer Mitteilung der irischen Datenschutzbehörde DPC soll Facebooks Mutterkonzern Meta erneut eine Rekordstrafe wegen Verstößen gegen die Datenschutzgrundverordnung zahlen. Dieses Mal betrage das Bußgeld 265 Millionen Euro. Der Grund seien Mängel beim Schutz von Telefonnummern und Mailadressen von Facebook- sowie Instagram-Nutzerinnen und Nutzern.

Bildblog unterstuetzen

4. Der Podcast: Profile und Prognosen
(blog.medientage.de, Petra Schwegler)
Bei den diesjährigen Medientagen München ging es auch um den wachsenden Podcast-Markt. Petra Schwegler fasst zusammen, wie Studien und Experten die zukünftige Entwicklung einschätzen, in welchen Bereichen noch Wachstumspotenzial steckt und welche Werbemöglichkeiten das Medium bietet.

5. ntv wird 30: In der Welt vor Ort, aber bodenständig in Köln
(dwdl.de, Alexander Krei)
Vergangene Woche feierte der Fernsehsender ntv seinen 30. Geburtstag. Alexander Krei freut sich, dass es diese Form des Nachrichtenfernsehens trotz schwieriger wirtschaftlicher Situation immer noch gibt: “So gesehen ist es dem Betreiber RTL Deutschland, dem ntv seit 2006 gehört, durchaus hoch anzurechnen, dass man sich bis heute den teuren Luxus eines solchen Senders leistet – erst recht in Konkurrenz zu einem starken öffentlich-rechtlichen System.”

6. Parlamentsausschuss hielt Trauerminute für totgeglaubten Ex-Kanzler Vranitzky ab
(derstandard.at, Katharina Mittelstaedt & Fabian Schmid)
Gestern wurde im Sozialausschuss des österreichischen Parlaments eine Trauerminute für den ehemaligen österreichischen Bundeskanzler Franz Vranitzky abgehalten. Eine Abgeordnete war bei Twitter offenbar einem Fake-Account aufgesessen, der fälschlicherweise eine Meldung über Vranitzkys Tod verbreitete.

(…)

Die “Bild”-Zeitung ist immer noch außer sich vor Wut, dass der ehemalige RAF-Terrorist Christian Klar im Januar auf Bewährung freikommt und auch noch einen Praktikumsplatz als Bühnentechniker am Berliner Ensemble (BE) bekommen soll. Heutiger Anlass für die Empörung ist ein Interview, das Dirk Meinelt, der Betriebsratsvorsitzende des BE, der Berliner Stadtzeitschrift “Zitty” gegeben hat. Oder wie “Bild” titelt:

Nicht ganz unwiderlich auch, wie “Bild” Meinelts Zitate manipuliert, um beim Leser maximale Empörung zu erreichen.

“Bild” schreibt:

Und was meint Meinelt zu dem Vorwurf vieler Politiker, dass Klar bis heute keine Reue gezeigt hätte? “Was stellen sich eigentlich die Leute unter Reue vor? (…) Soll er in der Presse einen Kniefall machen?”

Die Auslassungszeichen sind interessant. Das ganze Zitat lautet nämlich so:

“Was stellen sich eigentlich die Leute unter Reue vor? Ich kenne die Briefe von Christian Klar, ich kenne das Gnadengesuch an den damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau, ich kenne seine Briefe an Horst Köhler und den ganzen Schriftverkehr. Er hat in allen Briefen geschrieben, dass er bedauert. Soll er in der Presse einen Kniefall machen?

Das ist nicht die einzige Manipulation. “Bild” schreibt:

Und dann klingt sogar ein bisschen Mitleid für den neuen Mitarbeiter durch: “Wir haben lange mit ihm darüber gesprochen, dass natürlich Fragen zu seiner Vergangenheit von den Kollegen kommen werden. Das können Sie sich ja vorstellen, was so jemand von einem einfachen Bühnentechniker gefragt wird. Die Arbeit in der Technik, das ist richtiges Milieu. Das ist schon ein bisschen derb und ein sehr raues Klima.”

Einem einfachen Bühnentechniker – ist das nicht genau die Abteilung, in der Klar dann arbeiten wird? Und was ist Klar dann bitte? Ihr da unten, ich – der gerade freigelassene RAF-Terrorist – hier oben? So ein Schmierenstück hat es noch nie im BE gegeben. Hoffentlich wird’s bald abgesetzt…

“Bild” hat sich Meinelts Sätze aus verschiedenen Stellen des Interviews zusammengeklaubt, um diesen Eindruck zu konstruieren. In der “Zitty” heißt es:

Christian Klar wurde Anfang 2007 stark kritisiert, weil er ein kapitalismuskritisches Grußwort an die Rosa-Luxemburg-Konferenz der Zeitung “Junge Welt” geschrieben hatte. Haben Sie mit ihm darüber gesprochen?

Er hat gesagt, dass er bereut, was durch die Presse gegangen ist. Er weiß auch, dass wir im BE politische Aktivität nicht dulden werden. Das ist von vorneherein klar. Wir haben lange mit ihm darüber gesprochen, dass natürlich Fragen zu seiner Vergangenheit von den Kollegen kommen werden. Das können Sie sich ja vorstellen, was so jemand von einem einfachen Bühnentechniker gefragt wird. Wenn man Klar als Menschen kennenlernt, merkt man: Die Angst vieler ist unbegründet. Von diesem Menschen geht keine Gefahr aus.

(…) Wie bereiten Sie Klar auf das Ensemble vor?

Die Arbeit in der Technik, das ist richtiges Milieu. Die werden ihn fragen: Hast du denn überhaupt was gelernt? Kannst du nach 26 Jahren überhaupt etwas? Das ist schon ein bisschen derb und ein sehr raues Klima. Er muss mit allen Sachen umgehen lernen, er kommt ja in Kontakt mit den Kollegen von der Bühnentechnik, den Beleuchtern, der Requisite und den Schauspielern.

Es ist schwer, aus diesen Antworten zu schließen, dass das BE meint, Christian Klar stünde in irgendeiner Form über den einfachen Bühnenarbeitern. Dazu muss man die Sätze schon kunstvoll neu montieren und Teile ganz weglassen. Sogar ohne Auslassungzeichen.

Das “Zitty”-Interview, auf dem der “Bild”-Artikel beruht, trägt übrigens die Überschrift “Christian Klar im Berliner Ensemble: “Der hat sich hier anzupassen. Fertig.” Das ist auch ein Zitat von Dirk Meinelt.

25 lesenswerte Medienreflexionen zu #Rio2016

Die Olympischen Spiele 2016 in Rio nähern sich dem Ende. Zeit, ein medienkritisches Resümee zu ziehen. Wie sind die Medien mit dem internationalen Großevent umgegangen? Wie reagiert die Sportberichterstattung auf wachsende Kommerzialisierung, IOC-Einflussnahme und ständigen Dopingverdacht? Und wie steht es um die Themen Gleichberechtigung und Sexismus?

Wir haben 25 Artikel zusammengestellt, die einen kritischen Blick auf Zusammenspiel und Wechselwirkung von Medien und Sport werfen.

1. Medien-Porno bei Olympia
(tagesspiegel.de, Martin Einsiedler)
Das Bild vom entstellten Unterschenkel des Turners Samir Ait Said ging um die Welt – häufiger und expliziter, als es einem lieb sein kann, findet Martin Einsiedler im “Tagesspiegel”: “Es wäre gut, wenn die Lieferanten solcher Bilder verantwortungsvoller mit ihrem Material umgehen, ohne dabei zensorisch zu sein. Den verunglückten Sprung von Said hätte man auch zeigen können, ohne die Grenzen des Erträglichen zu überschreiten. So aber wirkte der Umgang mit dem Unfall vonseiten großer Teile der Medien wie ein billiger Porno: unästhetisch und auf den maximalen Effekt getrimmt.”

2. „Eine Beleidigung der Athleten“
(fr-online.de, Sebastian Moll)
Der US-Sender NBC erntet heftige Kritik für seine Aufbereitung der Olympischen Spiele als Reality-Show. Dahinter stecke ein hartes Marktkalkül: Die Mehrheit der Olympiabetrachter in den USA sei weiblich – die Männer würden sich weiter ihre Baseball- und Footballübertragungen anschauen. Um möglichst viel Werbung und “human interest” einbauen zu können, würden die Wettkämpfe von Rio in den USA auch niemals Live gezeigt.

3. Das teuerste Nischenprogramm aller Zeiten
(faz.net, Frank Lübberding)
Der Journalist Frank Lübberding ächzt in seiner TV-Olympia-Kritik über die Rund-um-die Uhr-Berichterstattung von ARD und ZDF. Zu viel, zu pausenlos, zu hektisch. Und wer schaut eigentlich das Nachtprogramm? Lübberding schlägt einen Reset vor: “Da wäre es durchaus eine interessante Überlegung, wenn bei den nächsten Spielen ein Nischensender wie Eurosport aus Tokio berichten würde. Es wäre ein wirkungsvoller Beitrag, um die Olympischen Spiele von ihrem derzeitigen Gigantismus zu befreien, der in dieser Form der grenzenlosen Berichterstattung seinen öffentlich-rechtlichen Ausdruck findet.”

4. Olympische Medien-Spiele: Innovatives Storytelling zu #Rio2016
(medium.com, Frederic Huwendiek)
In Zeiten von Olympischen Spielen drehen die Medien besonders hochtourig und versuchen mit kreativen Innovationen zu glänzen. Frederic Huwendiek berichtet in seinem fortlaufend aktualisierten Beitrag über spannende neue Ansätze des Storytellings, von 360-Grad-Video bis Roboterjournalismus.

5. So berichtet man über Frauen bei Olympia, ohne ein Sexist zu sein
(vice.com/de)
Die unpassenden Bemerkungen des ARD-Reportes Carsten Sostmeier bei seiner Reitkommentierung, für die er sich später entschuldigt hat, dienen der “Vice” sich mit sexistischer Sportberichterstattung während der olympischen Spiele zu befassen. Das Problem beginnt schon bei der Aufmerksamkeitsverteilung der Medien: “Über Sportlerinnen wird bei Weitem nicht so viel berichtet wie über Männer. In deutschen Medien liegt der Anteil meist unter 15 Prozent. Schlimm genug, dass diese Berichterstattung dann auch noch sexistische Kommentare, unangemessene Interviewfragen und Artikel über die körperliche Erscheinung beinhaltet.”

6. Olympia 2016: Leibwächter für ARD-Journalisten
(spiegel.de)
Der ARD-Journalist Hajo Seppelt hat in den letzten zwei Jahren ein staatlich organisiertes Dopingsystem in Russland aufgedeckt und wurde immer wieder bedroht. Bei Olympia in Rio steht der Investigativreporter nach “Spiegel”-Informationen unter Personenschutz: An seiner Seite bewegen sich, vermutlich auf Veranlassung des NDR, immer zwei Leibwächter, die teils zur brasilianischen Spezialeinheit “Batalhão de Operações Policiais Especiais” gehören, einer Elitetruppe der Militärpolizei von Rio de Janeiro.

7. Wir glotzen Olympia
(zeit.de, Stefanie Sippel, Tobias Potratz, Fabian Scheler & Oliver Fritsch)
Die “Zeit” hat eine launige Typologie der Olympia-Zuschauer zusammengestellt. Man unterteilt in “Ottonormalsportgucker”, “Olympia-Junkies”, “Schlaaand-Fans”, “Fußballnerds” und “Aussteiger”.

8. Rio verteidigt die olympische Scheinwelt
(derstandard.at, Susann Kreutzmann)
In Rio de Janeiro werde alles getan, um eine heile olympische Welt vorzugaukeln, findet Susann Kreutzmann. Doch die Realität lasse sich nur zeitweilig verbergen, nicht ganz aussperren. Das würden selbst die Athleten erfahren.

9. Olympia im TV: Blech für Bommes
(spiegel.de, Dirk Brichzi)
Nach elf Tagen Olympia und elf Tagen öffentlich-rechtlicher Sportberichterstattung verleiht Dirk Brichzi seine persönlichen Medaillen für Programmplanung, Ideenreichtum, Kommentatoren, Co-Kommentatoren, Gäste und TV-Maskottchen. Er verteilt Gold und… Blech.

10. Einfach mal abschalten
(tagesspiegel.de, Anett Selle)
Einfach mal abschalten, schlägt Anett Selle im “Tagesspiegel” vor. Olympia verkomme zum Imagefilm des Internationalen Olympischen Komitees. Mit seinen TV-Rechten verdiene das IOC etwa drei Viertel der fünf Milliarden Euro, die es zwischen 2013 und 2016 nach eigenen Angaben eigenommen haben wird. Und so kommt sie zum Schluss: “Das gibt dem IOC Macht, dabei kann es die Rechte nur deshalb teuer verkaufen, weil viele Zuschauer bei Olympia einschalten. Wem also nicht passt, was das IOC aus Olympia macht, kann sich wehren: Und einfach mal abschalten.”

11. Dilemma: Olympia-Freude vs. Doping
(ndr.de, Hendrick Maaßen, Video, 4:14 Min.)
Bei den Olympischen Spielen von Rio de Janeiro geht es nicht nur um sportliche Leistungen und um die Athleten – es geht auch um Doping. “Zapp” hat sich mit dem Problem beschäftigt und unter anderem den Medienwissenschaftler Thomas Horky dazu befragt. Olympische Spiele seien laut Horky auch immer Unterhaltungsfernsehen. Und darum gelte es für die Kommentatoren und Journalisten, den Spagat zwischen Unterhaltung und angebrachter Kritik auszutarieren.

12. Andy Murray gibt einem Reporter die passende Antwort: Auch Frauen gewinnen Medaillen
(bento.de, Maria Wölfle)
Maria Wölfle berichtet für “Bento” über Fälle von Sexismus in der Sportberichterstattung, ob im Video-Interview, auf Medienseiten oder Twitter.

13. Stimmungslos
(begleitschreiben.net, Gregor Keuschnig)
Bei Gregor Keuschnig mag keine rechte Olympia-Stimmung aufkommen, was an den Fernsehmoderatoren und der medialen Inszenierung liege: “Wie man sich bei ARD und ZDF den medienkompatiblen Sportler vorstellt, konnte man am Sonntag bei einer Schaltung zum »Deutschen Haus« sehen. Elf Medaillengewinner saßen da nebeneinander und nun wollte der Reporter von jedem wissen, wie sie gefeiert haben, was es zu trinken gab, wie die Nachtruhe war, usw. Die Szenerie war an Peinlichkeit kaum zu überbieten; die Sportler, noch gezeichnet von den Feiern, als Pönitenten. Und dann wundert man sich, wenn keine Olympia-Stimmung vor dem Fernseher aufkommt.”

14. Das sind die 6 großartigsten Grafiken zu #Rio2016
(medium.com, Frederic Huwendiek)
Mit Datenvisualisierung lassen sich tolle Dinge umsetzen. Frederic Huwendiek hat die nationalen und internationalen Medien durchgescannt und stellt einige gelungene Grafiken zum Thema Olympische Spiele vor.

15. Olympia: So glanzlos senden ARD und ZDF
(maz-online.de, Imre Grimm)
“Schnarchige Betulichkeit wie zu Zeiten von Schwarz-Weiß-Fernsehen und Randsport-Reporter, die sich durch machohafte Ausfälle disqualifizieren. Plus: Probleme mit der Glaubwürdigkeit.” So empfindet Medienredakteur Imre Grimm die Sport-Berichterstattung von ARD und ZDF zu Olympia.

16. Reden bringt Silber, Plappern bringt Gold
(zeit.de, Mely Kiyak)
“Zeit”-Kolumnistin Mely Kiyak über die Berichterstattung in Zeiten der Olympischen Spiele: “Schweigende Athleten passen nicht ins Olympia-Fernsehen. Große Brüste und Hirnaussetzer hingegen schon.”

17. Sportjournalismus: Dopingberichterstattung im Abseits
(fachjournalist.de, Michael Schaffrath)
Die Sportfakultät der TU München hat eine Onlinebefragung durchgeführt, an der sich 850 Sportjournalisten beteiligt haben. Die Daten flossen in die Studie „Wissen und Einstellung von Sportjournalisten in Deutschland zum Thema Doping“ ein. Das Fazit in Sachen Dopingberichterstattung: “Die Befragung zeigt, dass eine gegenüber dem Einzelsportler kritische und trotzdem Strukturen reflektierende Dopingberichterstattung nicht am Wollen der Sportjournalisten scheitert, sondern – neben defizitären Ressourcen – auch am Nicht-Können der Medienmitarbeiter liegt.”

18. Der Hashtag #CoverTheAthlete prangert sexistische Berichterstattung über Athletinnen an.
(jetzt.de, Christina Waechter)
Die Kampagne “Cover The Athlete” will ein Bewusstsein für Sexismus in der Sportberichterstattung schaffen und Journalisten für das Thema sensibilisieren. Schließlich werden weibliche Athleten, wie Christina Waechter berichtet, überdurchschnittlich oft von Reportern zu Dingen befragt, die mit ihrer sportlichen Leistung nichts zu tun haben: zu ihrem Privatleben oder ihrer Erscheinung. Waechter berichtet über die Kampagne, erzählt von einer Studie, die belegt, wie unterschiedlich über Sportler und Sportlerinnen berichtet wird und stellt einige Beispielfälle vor.

19. Heuchelei 24/7?
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Am letzten Tag der Olympischen Spiele in Rio will das IOC einen eigenen globalen Fernsehkanal starten. 443 Millionen Euro hat man dafür bereitgestellt. Joachim Huber fragt im “Tagesspiegel”, was das Ganze soll: “Was wird da laufen, was soll erreicht werden? Propaganda Tag und Nacht, die Weißwaschung des Sports, der längst in der Grauzone agiert? Oder der Spagat, wie ihn ARD und ZDF Tag für Tag zelebrieren – Jubel und Jammer?”

20. Wie berichtet man über Sport, wenn man ihm misstraut?
(sueddeutsche.de, Josef Kelnberger)
Die Berichterstattung von ARD und ZDF aus Rio schwankt zwischen Begeisterung und Skepsis, stellt Josef Kelnberger fest. Die Öffentlich-Rechtlichen würden die moralische Empörung der Deutschen ernstnehmen und trotzdem alles tun, um Quote zu machen. Die moralische Empörung über die Auswüchse Olympias sei nirgendwo so stark wie in Deutschland: “eine Gegenreaktion auf die Überhöhung Olympias als Hort des Schönen und Guten”.

21. Nie ist Fernsehen so deutsch wie bei Olympia
(tagesspiegel.de, Katrin Schulze)
Katrin Schulze stört sich in ihrer Kolumne daran, dass sich ARD und ZDF bei Olympia auf Wettbewerbe mit deutscher Teilnahme konzentrieren würden: “Klar, eine Olympia-Übertragung kann keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Doch indem sich ARD und ZDF nur auf Deutschland fokussieren, machen sie sich und die Sportwelt unnötig klein.”

22. Diese drei Instagram-Kampagnen verdienen Gold
(horizont.net, Philipp John)
Philipp John kennt sich als Chef einer “Influencer-Marketing-Plattform” (es geht um Product Placement bei Youtubern) bestens mit Werbung aus und hat ein besonders Auge auf Social-Media-Kampagnen. In seinem Beitrag bei “Horizont” stellt er drei Kampagnen auf Instagram vor, die aus seiner Sicht Gold verdient hätten.

23. Markenschutz unter den Olympischen Ringen: Übertreibt das IOC?
(netzpiloten.de, Dev Gangjee)
Dr. Dev S. Gangjee ist Professor an der Rechtsfakultät der Universität Oxford und beschäftigt sich dort unter anderem mit Fragen des geistigen Eigentums und Markenrecht. In seinem Artikel hinterfragt er die olympischen Markenschutzrichtlinien: “Das IOC ist berechtigt, seine Marke gegen schädliche Nutzung zu schützen – solche, die Verwirrung erzeugt oder ungewünschte Assoziationen hervorruft. Trotzdem wird Olympia durch ein weltweites öffentliches Wohlwollen erhalten bleiben. Die Symbolik der Spiele existiert im Geist der Öffentlichkeit. Wenn das IOC all dieses Wohlwollen beansprucht, während es auch als Zensor wirkt, geht es zu weit.”

24. Zu wenige Frauen an den Mikros
(tagesspiegel.de, Gaby Papenburg)
Sport-Kommentatorinnen haben es nicht leicht im deutschen Fernsehen. Die olympischen Spiele in Rio belegen diese traurige Tatsache wie Gaby Papenburg mit Zahlen belegt. Unter den 169 für ARD und ZDF tätigen Journalisten seien nur wenige Frauen (33, um genau zu sein). Höre man genauer hin, dann würden das Sportgeschehen nur drei Frauen kommentieren.

25. ITV schaltet für eine Stunde alle Sender ab
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
Am Morgen des 27. Augusts – also am Samstag in einer Woche – schaltet der britische TV-Konzern ITV alle sieben Fernsehsender für eine Stunde ab. Dahinter stecke in gewisser Art und Weise ein olympischer Gedanke, wie Thomas Lückerath auf “dwdl.de” schreibt.

Sittenverfall, Quotentest, Falschmeldung

1. Ware Leben
(sueddeutsche.de, Rainer Erlinger)
Reality-TV galt einmal als menschenverachtend, so Rainer Erlinger auf sueddeutsche.de, doch dies sei lange her. Erlinger fragt sich, wo die Empörung geblieben sei und mutmaßt: “Vielleicht ist es so: Nicht die Sitten im Sinne der moralischen Maßstäbe sind verfallen, sondern die Sitten im Sinne des Üblichen.”

2. Meldung über angebliches Geschwister-Ehepaar vermutlich falsch
(spiegel.de)
Ein Ehepaar in Mississippi hat angeblich zufällig festgestellt, dass es ein Zwillingspaar war. Das zumindest berichtete “Spiegel Online”. Nun stellt sich heraus, dass die Geschichte offenbar frei erfunden war. “Spiegel Online” entschuldigt sich für die peinliche Sache, die einen an der vielgerühmten Spiegel-Recherche zweifeln lässt, macht den Vorgang aber immerhin transparent

3. Quotentest im Ersten: Weniger “Tagesschau” für mehr “Brisant”
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Das Erste ist mit seinen Nachmittagsquoten nicht zufrieden. Mit der “Mutlosigkeit der Verzweiflung”, wie Stefan Niggemeier es ausdrückt, hat Programmdirektor Volker Herres darum in den vergangenen Wochen etwas anderes probiert: Er hat die “Tagesschau” gekürzt und die gewonnenen Minuten dem Boulevard zugeschlagen. Die zweifelhafte Programmänderung hat quotentechnisch nichts gebracht. Morgen kehrt man zum gewohnten Programmschema zurück.

4. “CrossCheck”: Die Anti-Fake-News-Koalition
(ndr.de, Daniel Schmidthäussler, Video, 5:50 Minuten)
In Frankreich haben sich mehr als 30 französische Medien unter dem Label “CrossCheck” zusammengeschlossen. Das Ziel: Gemeinsam will man gegen Fake News vorgehen. Daniel Schmidthäussler hat für “Zapp” mit dem Projektmanager und weiteren “CrossCheck”-Beteiligten gesprochen.

5. Wie ich einmal versuchte, eine Zeitung zu abonnieren
(blog-cj.de, Christian Jakubetz)
Medienprofi Christian Jakubetz hat sich neulich im Supermarkt zu einem Abo der örtlichen Lokalzeitung überreden lassen. Sechs Wochen hat er das Abo nun schon. Sechs Wochen, in denen ausgiebig Zeit war, sich über die mangelnde Professionalität des Blatts zu ärgern: “Viermal ist die Zeitung seitdem nicht zugestellt worden, davon an zwei Wochenenden, was ja irgendwie besonders ärgerlich ist. Viermal habe ich online eine „Zustellreklamation“ geschickt. Viermal habe ich eine Antwort bekommen, die mich an allem zweifeln lässt. Insbesondere an der technischen Kompetenz des Hauses und ein kleines bisschen auch daran, ob jemand dort schon mal was von Kundenfreundlichkeit gehört hat: eine leere Mail, in der im Betreff „Zustellreklamation“ steht und sonst nix. Keine Anrede, kein Text, kein gar nix.” Doch Jakubetz belässt es nicht bei der Klage, sondern gibt den bedrohten Zeitungsmachern konkrete Tipps zum Überleben.

6. Dad Photoshops Daughter In Dangerous Situations to Scare Grandma
(sadanduseless.com)
Stephen Crowley photoshoppt seine kleine Tochter in gefährliche Szenerien. Um mit den Fakefotos die besorgte Großmutter in Angst und Schrecken zu versetzen, wie er sagt.

Traue keiner Statistik, die du nicht selbst durcheinandergebracht hast

So sieht ein heilloses Durcheinander aus:

Ausriss Bild-Zeitung - Jeden Tag 1558 Straftaten - Die Hauptstadt ist auch die Hauptstadt des Verbrechens! Jeden Tag werden im Schnitt 1558 Straftaten angezeigt. Auf die Bevölkerung gerechnet ist das mehr als in jedem anderen Bundesland. Es werden die meisten Raube (5146) begangen, es wurden 44722 Taschendiebstähle angezeigt und die meisten Autos (7349) geklaut. Letztes Jahr ermittelte die Polizei in 61 Fällen gegen Täter aus dem Bereich Organisierte Kriminalität. In allen Verbrechensfeldern wurden laut Polizeistatistik Berlin 148042 Tatverdächtige ermittelt. Aber: Nicht einmal jede zweite Tat wurde aufgeklärt, die Quote lag bei 42 Prozent. Quelle: BKA-PKS 2016, Straftaten pro 100000 Menschen

In diesen 27 Zeilen plus Überschrift stecken gleich mehrere Fehler.

Erstmal grundsätzlich, um das Wirrwarr etwas zu ordnen: Die Zahl 1558 (die auch nicht ganz richtig ist — dazu gleich mehr) bezieht sich auf die durchschnittlich täglich angezeigten Straftaten im Jahr 2016. Die Zahlen zu den Rauben (5146), Taschendiebstählen (44.722) und Kfz-Diebstählen (7349) beziehen sich hingegen auf das komplette Jahr 2016. Völlig falsch sind die Sternchen an den jeweiligen Zahlen, die darauf hinweisen sollen, dass es sich um “Straftaten pro 100.000 Menschen” handelt. Das stimmt nicht — es sind die in Berlin insgesamt angezeigten Straftaten pro Tag beziehungsweise Raube, Taschen- und Kfz-Diebstähle pro Jahr.

Gehen wir der Reihe nach durch. Die Überschrift:

Jeden Tag 1558 Straftaten

Wenn die “Bild”-Redaktion den Anspruch hätte, exakt zu berichten, müsste sie schreiben: “Jeden Tag 1554 Straftaten”. In Ordnung wäre auch noch “Jeden Tag 1559 Straftaten”. “Jeden Tag 1558 Straftaten” ist rechnerisch jedenfalls falsch. Die “Polizeiliche Kriminalstatistik 2016” des Bundeskriminalamts, auf die sich “Bild” bezieht, gibt für Berlin 568.860 “erfasste Fälle” an (PDF, Seite 25). 2016 war ein Schaltjahr mit 366 Tagen. Demnach gab es durchschnittlich gerundet 1554 angezeigte Straftaten pro Tag. Lässt man die Sache mit dem Schaltjahr weg und rechnet mit 365 Tagen, kommt man — wenn man richtig rundet — auf 1559 täglich angezeigte Straftaten.

Die Hauptstadt ist auch die Hauptstadt des Verbrechens

… und …

Auf die Bevölkerung gerechnet ist das mehr als in jedem anderen Bundesland.

Beides stimmt — wenn man es wie “Bild” “auf die Bevölkerung” rechnet. In Berlin gab es 2016 pro 100.000 Einwohner 16.161 angezeigte Straftaten (PDF, Seite 25). In Bremen waren es mit 13.687 am zweitmeisten, Hamburg lag mit 13.384 auf Platz 3. Absolut lag Nordrhein-Westfalen ganz vorne: Im bevölkerungsreichsten Bundesland gab es 2016 1.469.426 angezeigte Straftaten. Nimmt man nicht die Bundesländer, sondern die Städte mit mehr als 200.000 Einwohnern, hat Berlin immer noch die höchste Quote, allerdings ist der Vorsprung deutlich geringer als bei den Bundesländern: In Leipzig waren es 15.811 angezeigte Straftaten pro 100.000 Einwohner, in Hannover 15.764 und in Frankfurt am Main 15.671 (PDF, Seite 27).

Es werden die meisten Raube (5146) begangen

Das ist doppelt falsch. Tatsächlich waren es laut “Polizeilicher Kriminalstatistik 2016” für Raubdelikte (PDF, Seite 28) 5156 Raube. Die Statistik zeigt auch, dass Berlin weder bei den absoluten Zahlen noch bei der 100.000-Einwohner-Quote auf Platz 1 liegt: In Nordrhein-Westfalen gab es 2016 12.647 angezeigte Raube. In Bremen gab es pro 100.000 Einwohner 172,9 Raub-Anzeigen — und damit mehr als in Berlin (146,5).

es wurden 44 722 Taschendiebstähle angezeigt

Das ist richtig (PDF, Seite 84).

und die meisten Autos (7349) geklaut.

Das ist wiederum falsch. Die Zahl stimmt zwar, es waren aber nicht “die meisten Autos”. In Nordrhein-Westfalen (7518) wurden 2016 mehr Kfz-Diebstähle angezeigt als in Berlin (PDF, Seite 76).

Der Rest müsste stimmen, wobei es in anderen Bundesländern 2016 mehr Ermittlungen “gegen Täter aus dem Bereich Organisierte Kriminalität” gab (Nordrhein-Westfalen: 107, Bayern: 76, Niedersachsen: 66) als in Berlin (PDF, Seite 7) und es in anderen Bundesländern 2016 mehr Tatverdächtige gab (Nordrhein-Westfalen: 494.885, Bayern: 446.433, Baden-Württemberg: 251.141, Niedersachsen: 222.092, Hessen: 178.260) als in Berlin (PDF, Seite 48).

“Bild” fällt auf Satire-Nahles rein

Rolf Kleine ist bei “Bild” der Experte für die SPD. Und was für einer! Er wusste vor allen anderen falsch, dass Frank-Walter Steinmeier nicht als Bundespräsident kandidieren wird (was dieser dann tat). Kleine wusste ebenfalls vor allen anderen falsch, dass Sigmar Gabriel als SPD-Kanzlerkandidat bei der Bundestagswahl antritt (was dieser dann nicht tat).

Gut, man kann ja mal danebenliegen, es ist schon ziemlich peinlich gleich zweimal derart danebenzuliegen. Aber Rolf Kleine, immerhin leitender “Bild”-Politik-Redakteur und einst Sprecher von SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück im Bundestagswahlkampf 2013, wird es doch wenigstens hinbekommen, einen Twitter-Account einer SPD-Politikerin von einem Satire-Twitter-Account über eine SPD-Politikerin unterscheiden zu können? Wird er doch, oder? Oder?

Nein.

Kleine heute in “Bild”:

Ausriss Bild-Zeitung Überschrift - In der SPD-Zentrale - Groko-Gespräche bei Kartoffelsalat, Würstchen und saulahmem Internet
Ausriss Bild-Zeitung - Erstaunlich: Die vereinbarte Vertraulichkeit hielt den ganzen Tag, auch an das Twitter-Verbot hielten sich die Sondierer. SPD-Fraktionschefin Andreas Nahles beklagte sich nur einmal über saulahmes Internet

Und auch bei Bild.de schrieb Rolf Kleine über die vermeintliche Nahles-Aussage:

Screenshot Bild.de - Erstaunlich: Die vereinbarte Vertraulichkeit hielt den ganzen Tag, auch an das Twitter-Verbot hielten sich die Sondierer. SPD-Fraktionschefin Andreas Nahles beklagte sich nur einmal über saulahmes Internet

Tatsächlich gab es gestern einen Tweet, der das angeblich “saulahme Internet” bei den Sondierungsgesprächen thematisierte:

Screenshot Twitter - Saulahmes Internet hier! Danke, Dobrindt! Hashtag Sondierungen

In der sogenannten Twitter-Bio des Accounts @FraktionsNahles steht:

Hier twittert die Chefin der SPD-Bundestagsfraktion. Zukünftige Kanzlerin und Twitterkönigin. ACHTUNG: Satire.

Immerhin: Das mit der Kartoffelsuppe und den Würstchen hat Rolf Kleine korrekt hinbekommen.

Nachtrag, 13:26 Uhr: “Bild”-Oberchef Julian Reichelt findet den Fehler “wirklich ärgerlich” (übrigens auch schon, bevor wir hier darüber geschrieben haben), hat den Bild.de-Artikel korrigieren lassen und verspricht auch eine Korrektur in der morgigen “Bild”-Ausgabe.

Sehen alle gleich aus (18)

Sowas muss man sich mal vorstellen:

Screenshot Bild.de - Publikum dachte, es gehört zur Show - Comedian macht Witz über seinen Tod und stirbt

Er setzte sich mitten in seiner Show schwer atmend auf einen Hocker und verstummte. Fünf Minuten lang lachten die Zuschauer weiter. Sie dachten, die lange, bewegungslose Pause gehörte zum Programm …

Der britische Komiker Ian Cognito (60) ist live auf der Bühne eine Comedy Klubs in Bicester (nordwestlich von London) gestorben.

Die BBC zitierte den Chef des Comedy-Klubs, Andrew Bird, mit den Worten: “Ian hatte sich nicht wohl gefühlt. Aber er bestand darauf, seinen Auftritt durchzuziehen.” Bird sagte, der Komiker hätte kurz vor seinem Tod noch einen Witz über seine Gesundheit gemacht: “Er sagte zu den Zuschauern: ‘Stellt Euch mal vor, ich sterbe hier vor euren Augen.'”

Und dann muss man sich mal vorstellen, die Bild.de-Redaktion bekäme es hin, die richtige Person zu dieser Geschichte auf der Startseite und im Artikel zu zeigen. Denn der Mann da oben im Foto ist nicht der verstorbene Komiker Ian Cognito, sondern der Komiker Rufus Hound. Der hat bei Twitter zwar sein Bedauern über den Tod seines Kollegen Ian Cognito geäußert (“We have lost one of the greats. Shit.”), war dabei aber sehr lebendig.

Mit Dank an @krottmann und @KueddeR für die Hinweise!

Nachtrag, 19:38 Uhr: Auch die Onlineredaktion der “Gala” verwendet das Foto, das den lebenden Rufus Hound zeigt (im Gegensatz zu Bild.de schwarz-weiß eingefärbt — es geht schließlich um einen vermeintlich Verstorbenen), und schreibt darunter:

Ian Cognito (†)

Mit Dank an @MTM35276486 für den Hinweis!

Nachtrag, 19:55 Uhr: Bild.de hat auf unsere Kritik reagiert und das Foto im Artikel ausgetauscht. Am Ende des Beitrags steht nun:

Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir fälschlicherweise ein Foto von Ian Cognitos Comedy-Kollegen Rufus Hound verwendet. Wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen.

Nachtrag, 16. April: Bei Gala.de ist der Artikel inzwischen komplett und ohne irgendeine Erklärung verschwunden.

Von dusseligen Mächten verhängnisvoll gegoogelt

Wer die Zeile “Von guten Mächten wunderbar geborgen” googelt, dem wird in den Ergebnissen ganz oben angezeigt: “Von guten Mächten”, Lied von Glashaus, verfügbar bei Spotify, Deezer und Google Play Music. Soso.

Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig fügte einem Video, in dem sie gestern ankündigte, ihre Parteiämter auf Bundesebene (und nicht alle Ämter, wie Bild.de zwischenzeitlich behauptete) wegen einer Krebserkrankung niederzulegen, eben dieses Zitat bei: “Von guten Mächten wunderbar geborgen…” Darauf vertraue sie.

Die “Bild”-Zeitung vertraut dagegen aufs erste Google-Ergebnis. Der Redaktion zufolge zitiert Schwesig nämlich die Pop-Gruppe Glashaus:

Ausriss Bild-Zeitung - Auf Twitter zitierte sie aus einem Lied der Pop-Gruppe Glashaus das sie auch morgens beim Joggen hört: Von guten Mächten wunderbar geborgen, darauf vertraue ich

Tatsächlich aber stammt diese Zeile nicht von einer Pop-Band, sondern vom Theologen und Widerstandskämpfer gegen das Nazi-Regime Dietrich Bonhoeffer, der das dazugehörige Gedicht in der Vorweihnachtszeit 1944 schrieb, wie man etwa in der Bonhoeffer-Biografie des Theologen Wolfgang Huber nachlesen kann. Bonhoeffer verfasste den Text während seiner Gefangenschaft im Gestapo-Gefängnis in Berlin und fügte ihn einem Brief an seine Verlobte Maria von Wedemeyer an.

Es sollte sein letztes Gedicht sein, das der Nachwelt erhalten blieb. Und wohl auch das berühmteste. In Ermangelung einer Überschrift wurde es erst mit dem Titel “Neujahr 1945” veröffentlicht, später ging es dann mit dem Titel “Von guten Mächten” um die Welt, so Biograf Huber. Wenig später, am 9. April 1945, wurde Dietrich Bonhoeffer im KZ Flossenbürg erhängt — auf direkten Befehl Hitlers, alle Mitverschwörer des Attentats vom 20. Juli 1944 hinzurichten, zu denen die Nazis auch Bonhoeffer zählten.

Heute kennen viele Bonhoeffers letztes Gedicht aus der evangelischen Kirche, wo es sich, unter anderem vertont von Siegfried Fietz, großer Beliebtheit erfreut. Die von “Bild” erwähnte Band Glashaus hat Bonhoeffers Werk 2009 recht schmalzig interpretiert.

Es wäre wahrlich nicht schwer gewesen herauszufinden, wer der wirkliche Urheber der Worte ist, die Manuela Schwesig gestern twitterte. Eine Alternative zum Runterscrollen bei den Google-Ergebnissen hätte übrigens ein kurzer Blick ins “Bild”-Archiv sein können: Erst vor drei Monaten berichtete die Redaktion über einen Tweet des thüringischen CDU-Landeschefs Mike Mohring, in dem dieser dieselben Worte Bonhoeffers zitierte — diesmal aber richtig eingeordnet durch das “Bild”-Team.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

V-Mann-Legende, Licht ins Dunkle, TikTok-Liebe und keine Entschuldigung

1. Licht ins Dunkle bringen
(journalist.de, Juliane Löffler & Pascale Müller)
Juliane Löffler und Pascale Müller erklären, warum es in Deutschland besonders schwierig sei, über sexuelle Belästigung und sexualisierte Gewalt zu schreiben. Wer öffentlich Vorwürfe erhebt, trage ein doppeltes Risiko: “Erstens, dass der mutmaßliche Täter nicht bestraft wird. Und zweitens, dass man stattdessen selbst bestraft wird.” In ihrem Artikel erläutern die couragierten Reporterinnen, warum über die Kriterien und Zulässigkeit von Verdachtsberichterstattung mindestens neu diskutiert werden müsste.

2. Deconstructing Woody
(taz.de)
Der Rowohlt-Verlag will die Autobiographie des amerikanischen Komikers und Filmemachers Woody Allen veröffentlichen. Dagegen wenden sich einige Rowohlt-Autoren und -Autorinnen in einem Offenen Brief. Ähnlich wie der US-Verlag Hachette möge Rowohlt die Veröffentlichung zurückziehen: “Wir zeigen uns solidarisch mit den Angestellten des Hachette-Verlags, deren Proteste dazu geführt haben, dass der Verlag sich gegen eine Veröffentlichung des Buches entschieden hat. Wir fordern Sie auf, diesem Beispiel zu folgen. Das Buch eines Mannes, der sich nie überzeugend mit den Vorwürfen seiner Tochter auseinandergesetzt hat, und der öffentliche Auseinandersetzungen über sexuelle Gewalt als Hexenjagd heruntergespielt hat, sollte keinen Platz in einem Verlag haben, für den wir gerne und mit großem Engagement schreiben.” Auf der Rowohlt-Seite zu Allens Autobiographie steht derzeit der Hinweis: “Dieses Buch wird auf unbestimmte Zeit verschoben”.
Weiterer Lesehinweis: David Steinitz hält die Entscheidung des US-amerikanischen Verlags Hachette, das Buch fallen zu lassen, für mindestens problematisch: “Die Entscheidung von Hachette sendet ein fatales Signal: an Missbrauchsopfer, weil den Verlag der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs nicht gestört zu haben scheint, solange in Aussicht stand, dass man mit dem Buch Geld verdienen kann; und an Autoren, weil der Verlag sie nicht aufgrund von Fakten und Beweisen, sondern von Meinungen und Stimmungen fallen zu lassen scheint. Das hat nichts mehr mit den ehernen Absichten der ‘Me Too’-Bewegung und ihren Unterstützern zu tun, sondern ist schlicht und einfach ein Trauerspiel.” (sueddeutsche.de)

3. Legendärer V-Mann – so lief die Recherche
(spiegel.de, David Walden, Video: 6:26)
Der “Spiegel” spricht von Murat Cem als dem “wohl wichtigsten Polizeispitzel der deutschen Kriminalgeschichte”, und das könnte stimmen, wenn man die aktuelle Titelgeschichte des Nachrichtenmagazins zugrunde legt. “VP01” habe viele Jahre für die Polizei gearbeitet und die Behörden frühzeitig vor Anis Amri gewarnt, dem Terroristen, der am Berliner Breitscheidtplatz einen Anschlag beging. Im Video berichten die beteiligten “Spiegel”-Redakteure von ihren Treffen mit dem V-Mann und ihrer Recherche. Es ist ein abenteuerlicher Stoff, aus dem Netflix mühelos mehrere Serien machen könnte.

4. Donald Trump verklagt jetzt auch CNN
(faz.net)
Nachdem das Wahlkampfteam des US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump bereits “Washington Post” und “New York Times” verklagt habe, ziehe es nun juristisch gegen den Fernsehsender CNN zu Felde. In der Klageschrift sei von einer “verleumderischen Berichterstattung” die Rede.

5. Warum das Urteil ver­öf­f­ent­licht werden darf
(lto.de, Martin W. Huff & Pia Lorenz)
Der Ehemann der Bundesministerin Franziska Giffey (SPD) wollte die Veröffentlichung eines Urteils verhindern, das ihn wegen Arbeitszeit- und Reisekostenbetrugs aus dem Beamtenverhältnis entfernte. Er blieb damit erfolglos: Das Verwaltungsgericht habe das Urteil veröffentlichen dürfen, so die aktuelle Entscheidung des Gerichts. Martin W. Huff und Pia Lorenz schreiben über die Hintergründe der Causa Giffey und erläutern, wie es zu dem Urteil kam.

6. Ich liebe TikTok, und ich werde mich nicht dafür entschuldigen
(uebermedien.de, Gabriel Yoran)
Gabriel Yoran erklärt in seiner Glosse anhand einiger praktischer Beispiele, warum er die chinesische Video-App TikTok so liebe: “Ich kann problemlos stundenlang TikTok gucken, und ich werde mich nicht dafür entschuldigen.”

Corona-Wortschöpfungen, “Bild”-Reinfall, YT-Aus für “Querdenken 711”

1. Warum “indische Mutante” kein guter Begriff ist
(deutschlandfunk.de, Samira El Ouassil, Audio: 4:40 Minuten)
Im Deutschlandfunk erklärt die Kommunikationswissenschaftlerin Samira El Ouassil, warum es ihrer Ansicht nach unter Diskriminierungsaspekten einen Unterschied macht, ob man vom “chinesischen Virus” oder von der “britischen Mutante” spricht: “Nun – dass die eine Formulierung für manche Menschen gefährlich sein kann und für andere nicht, liegt daran, wie Rassismus historisch betrachtet, aber auch praktisch im Alltag funktioniert. Denn Menschen können asiatisch gelesen werden und werden aufgrund ihrer äußerlichen Merkmale rassistisch diskriminiert. Jemanden jedoch rein phänotypisch als ‘britisch’ zu lesen und ihn deshalb zu diskriminieren – das ist schwer möglich.”

2. “Bild”-Reinfall: genau ein Jahr später stellt Drosten die “Bild” schon wieder bloß
(volksverpetzer.de, Thomas Laschyk)
Die “Bild”-Redaktion scheint nach wie vor ein Problem mit dem Virologen Christian Drosten zu haben: “Drosten-Studie immer noch nicht veröffentlicht”, hieß es in einer aktuellen Schlagzeile. Das Peinliche: Die Headline erschien exakt an dem Tag, an dem die Studie im renommierten Fachblatt “Science” veröffentlicht wurde. Thomas Laschyk kommentiert: “Die veröffentlichte Studie bestätigt genau, was Drosten bereits im April letzten Jahres sagte: Kinder können genauso ansteckend sein wie Erwachsene. Was für ein Mega-Fail der BILD! Noch am selben Tag wird sie von einem der größten Wissenschaftsmagazine der Welt an ihren Platz verwiesen. Neben dem Science Magazine wirkt die BILD halt wie ein schreiendes Kleinkind.”

3. Youtube löscht Kanal der Gruppierung “Querdenken 711”
(stuttgarter-zeitung.de)
Youtube hat den Kanal der umstrittenen Gruppierung “Querdenken 711” nunmehr endgültig gelöscht. In einem ersten Schritt sei der Kanal “eingefroren” worden, es konnten also keine weiteren Videos mehr hochgeladen worden. “Während dieser Suspendierung versuchten sie, die Vollstreckung zu umgehen, indem sie einen anderen Kanal benutzten, und als Ergebnis wurden beide Kanäle gelöscht”, erklärt Youtube. Laut “Stuttgarter Zeitung” bestreite Michael Ballweg, Sprecher von “Querdenken 711”, dass man ein blockiertes Video ein zweites Mal auf einem anderen Kanal hochgeladen habe.

Bildblog unterstuetzen

4. Instagram und Facebook blenden Likes aus – aber nur auf Wunsch
(spiegel.de)
Für viele Social-Media-User sind Likes die entscheidende Währung, um Erfolg zu messen. Diese Zahlengetriebenheit kann teilweise unangenehme Begleiteffekte haben. Nun wollen Instagram und Facebook eine Möglichkeit anbieten, auf die Anzeige von Like-Zahlen zu verzichten. Damit wolle man erreichen, “dass die Leute sich mehr auf den Kontakt zu Freunden und Inspiration fokussieren können, statt darauf, wie viele Likes sie oder andere Leute bekommen”, heißt es in einer Mitteilung des Unternehmens.

5. RSF stellt Strafanzeige gegen Lukaschenko
(reporter-ohne-grenzen.de)
Reporter ohne Grenzen hat beim litauischen Generalstaatsanwalt Strafanzeige gegen den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko gestellt. Grund sei die erzwungene Umleitung eines Ryanair-Flugs am vergangenen Sonntag und die anschließende Verhaftung eines kritischen Journalisten: “Wir zeigen Alexander Lukaschenko persönlich an, weil diese Entführung mit terroristischem Hintergrund direkt und offenkundig auf sein Betreiben geschehen ist.”

6. Amazon kauft Hollywood-Filmstudio MGM
(zeit.de)
Der weltgrößte Onlinehändler Amazon will sich das Hollywood-Studio MGM einverleiben und ist bereit, dafür 8,45 Milliarden US-Dollar zu zahlen. Amazon könnte damit ein Filmportfolio von etwa 4.000 Titeln übernehmen, darunter Hollywood-Klassiker wie Ben Hur, Rocky und RoboCop oder die James-Bond-Reihe. Die Übernahme müsse nur noch von den US-amerikanischen Regulierungsbehörden genehmigt werden.

Scheitern an Zahlen, Knapp verfehlt, Alkoholische Gärung

1. Wie Journalisten immer noch an Corona-Zahlen scheitern
(deutschlandfunk.de, Samira El Ouassil, Audio: 4 Minuten)
Anhand einer irreführenden “Spiegel”-Schlagzeile zu Corona-Impfdurchbrüchen erklärt Samira El Ouassil, wie gefährlich die isolierte Darstellung von Zahlen sein kann: “Wenn uns die Pandemie medial eines vermittelt haben sollte, dann, wie wichtig eine qualitative Einordnung von Zahlen ist. Im abstrakten Raum arithmetischer Größen und absoluter Werte sagen die Ziffern für uns erstmal nichts aus. Wir brauchen Vergleichswerte, Kontext, einen Sinnzusammenhang, der erklärt, was ein Anstieg oder ein Abfall bedeutet – wenn es denn überhaupt eine publizistische Relevanz hat.”

2. Die geheime Liste des Hasses
(tagesschau.de, Patrick Gensing)
Auf einer internen Liste hat Facebook Gruppen, Organisationen und Personen aufgeführt, die als gefährlich eingestuft werden und daher nicht auf der Plattform in Erscheinung treten sollen. Das Portal “The Intercept” hat diese Liste nun veröffentlicht, ausgewertet und um einige Anmerkungen zu den Einträgen ergänzt.
Weiterer Lesehinweis: “Facebook ändert seine Regeln für verbale Angriffe auf seinen Online-Plattformen. Fortan genießen ‘unfreiwillige’ Personen des öffentlichen Lebens einen besonderen Schutzstatus” – Facebook erhöht Schutz für Aktivisten und Journalisten (spiegel.de). Eine Nachricht, die der Journalist Richard Gutjahr bei Twitter wie folgt kommentiert: “Facebook will auf seinen Plattformen keine Todesdrohungen mehr gegen Medienschaffende akzeptieren. – Allein diesen Satz zu schreiben, ist grotesk.”

3. Wegen “Knapp verfehlt”-SMS: Verstoß gegen Gewinnspielsatzung im RTL-Programm beanstandet
(rnd.de)
Die Niedersächsische Landesmedienanstalt (NLM) hat ein Gewinnspiel des Fernsehsenders RTL beanstandet. Verlierern sei per SMS mitgeteilt worden: “Leider knapp verfehlt. Vielleicht klappt’s beim nächsten Mal”. Nach Paragraf 6 der Gewinnspielsatzung seien der NLM zufolge bei Gewinnspielen falsche, zur Irreführung geeignete oder widersprüchliche Aussagen unzulässig. Die Formulierung “knapp verfehlt” könne als ein “Beinahe-Erreichen” der Auswahl verstanden werden und insofern potenziell irreführend sein. Außerdem könne der SMS-Text dazu verleiten, erneut an dem Gewinnspiel teilzunehmen.

Bildblog unterstuetzen

4. Es ist besser, keine Pressekonferenz zu geben, als so eine Pressekonferenz zu geben
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
SPD, Grüne und FDP treffen sich derzeit zu Sondierungsverhandlungen, zu deren inhaltlichem Verlauf sie sich nicht äußern wollen. Und dieses Nicht-Äußern erfolgt, so sieht es das Ritual vor, auf einer Pressekonferenz. Für Boris Rosenkranz stellt sich da eine Frage: “Pardon. Aber: Wieso gab es noch mal diese Pressekonferenz? Wieso kam Christian Lindner nicht vorbei und sprach: ‘Es ist besser, keine Pressekonferenz zu geben, als so eine Pressekonferenz zu geben’?”

5. Max Schrems vs. Facebook: Konzern muss 36 Mio. Euro Strafe zahlen
(futurezone.at, Barbara Wimmer)
Der österreichische Datenschutz-Aktivist Max Schrems hat durch seine Beschwerde erreicht, dass Facebook eine Millionenstrafe wegen der Umgehung von europäischen Datenschutz-Vorschriften zahlen muss. Was sich wie ein Sieg für den Datenschutz anhört, ist es bei näherem Hinsehen allerdings nicht, wie Schrems erläutert: “Die Datenschutzbeauftragte ermöglicht Facebook, die DSGVO zu umgehen, und verlangt nur, das Gesetz transparenter zu umgehen. So kann Facebook weiterhin rechtswidrig Daten verarbeiten und lediglich eine kleine Geldstrafe zahlen, während die irische Behörde vorgeben kann, etwas unternommen zu haben.” Die angedachte Strafe belaufe sich auf 0,048 Prozent des weltweiten Umsatzes des Konzerns und liege damit weit unter dem möglichen Strafrahmen von 4 Prozent.

6. Alkoholisches
(noemix.wordpress.com, Michael Nöhrig)
Der Alkoholgehalt im Atem werde in Milligramm pro Liter Atemluft gemessen, der Alko­­holgehalt im Blut hingegen in Promille pro Liter Blut. Etwas, das beim “Spiegel” gerne mal durcheinandergeht, wie Michael Nöhrig anhand einiger Beispiele zeigt.

Wie die Lotto-Szenen nicht in den “Tatort” kamen

Im vergangenen Sommer wurde eine Reihe von Fällen bekannt, in denen Unternehmen ihre Werbebotschaften gegen Geld in ARD-Sendungen wie “Tatort” und “Marienhof” untergebracht hatten. Für Aufsehen sorgte, dass sie sogar die Drehbücher in ihrem Sinne beeinflussen konnten.

In diesem “Schleichwerbe-Skandal” gab es einen bizarren Fall, der anders war: Der damalige Geschäftsführer der Produktionsfirma Studio Hamburg, Frank Döhmann, sah einen bereits fertiggestellten, aber noch nicht ausgestrahlten “Tatort” und entdeckte darin eine Szene, in der — aus rein dramaturgischen Gründen, ohne dass Geld im Spiel war — vor einer “Lotto”-Bude ein Lottoschein ausgefüllt und abgegeben wird. Dennoch gelang es Döhmann im Nachhinein über einen Vermittler, die Deutsche Klassenlotterie Berlin dazu zu bringen, für diese Schleichwerbung, die gar keine war, 15.000 Euro zu akquirieren. Inzwischen ist Döhmann gekündigt, und Studio Hamburg hat zugesagt, das Geld zurückzuzahlen.

Dieser Fall unterscheidet sich also von den Schleichwerbungs-Fällen in einem wesentlichen Detail. Das hat “Bild am Sonntag” entweder nicht verstanden oder nicht verstehen wollen. Am 17. Juli (drei Tage, nachdem unter anderem die Schwesterblätter “Welt” und “Hamburger Abendblatt” den Fall korrekt geschildert hatten) veröffentlichte “Bild am Sonntag” einen Text, dessen Überschrift schon falsch war:

So kamen die Lotto-Szenen in den “Tatort”

Im Artikel selbst schrieb “Bild am Sonntag”:

Gekaufter “Tatort”
Im “Tatort”-Film “Schattenhochzeit” füllen die Kommissare (…) einen Lottoschein aus. Die Darstellung von Lotto in dem Krimi wurde vertraglich genau geregelt.

“Bild am Sonntag” erweckte den falschen Eindruck, die Lotto-Szene sei aufgrund eines Schleichwerbe-Vertrages eingefügt worden. Heute, nach über zwei Monaten, haben Studio Hamburg und der NDR deshalb zwei Gegendarstellungen durchgesetzt. Die “Bild am Sonntag” druckt sie mit dem Zusatz:

Anmerkung der Redaktion: Der NDR und die Studio Hamburg Produktion bestreiten nicht, daß Geld geflossen ist.

Das stimmt, tut aber nichts zur Sache.

Da fällt uns ein: Hat die “Bild am Sonntag” nicht im Gegensatz zu “Bild” eine Korrektur-Rubrik, um eigene Fehler richtigzustellen? Hätte sie da nicht längst…? Ah, blöd: Darin war in den letzten Monaten wohl kein Platz. “Bild am Sonntag” musste stattdessen so gravierende Korrekturen unterbringen wie die, dass “Die Liebe ist ein seltsames Spiel” nicht von Ralph Maria Siegel, sondern von Gerhard Winkler komponiert wurde (“BamS”-Korrektur vom 28. August) und dass Wittenberge nicht in Mecklenburg-Vorpommern, sondern in Brandenburg liegt (“BamS”-Korrektur vom 18. September).

neu  

Polizei dementiert “Bild”-Meldung

Am 10. März gab die Kölner Polizei eine Pressemeldung heraus. Ein Unbekannter habe am Vortag bei einem Kioskangestellten zwei Stangen Zigaretten mit einem “600-Euro-Schein” bezahlt, bei dem es sich um den Werbegag einer nicht jugendfreien Internetseite handelte.

Anschließend berichteten verschiedene Medien, u.a. auch die britische Internetseite Ananova.com. Dort, aber auch in anderen, z.T. internationalen Medien heißt es, der Geschädigte sei ein 33-jähriger Mann namens “Bernd Friedhelm”.

Das ist offenbar falsch. Wie uns ein Sprecher der Kölner Polizei sagt, wird der Kiosk von einer iranischen Familie betrieben. In der Polizeiakte sei zudem von einem 25-jährigen Geschädigten und einem 63 Jahre alten Mann (vermutlich der Kioskbesitzer) die Rede.

Und insofern (nur insofern) ist das, was Bild.de vier Tage später unter Berufung auf Ananova.com zu berichten wusste, zunächst “richtiger”: Dort steht nämlich was von einem “Kioskbesitzer (62)”. Und am 16. März wurde “Bild” sogar noch genauer: “Deutschlands dümmster Kioskbesitzer” hieß nun “Sorush E. (62, Iraner)” und war sogar auf einem Foto abgebildet. Dass er gar nicht derjenige war, der das Falschgeld angenommen hatte, ließ “Bild” zwar unerwähnt. Dafür hatte das Blatt andere Neuigkeiten. So wusste “Bild” nun, dass der unbekannte Täter ein “17jähriger” gewesen sei — und behauptete:

“Erst am nächsten Morgen fiel der Schwindel auf. Allerdings immer noch nicht Sorush E.. Der ging auf den Großmarkt Einkäufe machen. Bezahlen wollte er die dann natürlich auch — und zwar mit der Blüte! ‘Mein Kollege hat sich Lachen gekringelt’, erzählt der Kioskbesitzer, der dann auch skeptisch wurde und die Polizei rief.

Die machte den Kunden schnell ausfindig. Reumütig gab er die Zigaretten und das Wechselgeld zurück. (…)”

Nach Angaben der Polizei ist das falsch. Wie uns ein Polizeisprecher sagt, sei der jugendliche Täter (“Baujahr 1990”) im Kiosk von sich aus “mit seiner Mama vorstellig geworden”. Davon, dass ihn die Polizei, wie “Bild” behauptet, “schnell ausfindig” gemacht habe, ist der Polizei nichts bekannt.

Auch das hat sich “Bild” offenbar einfach ausgedacht.

Mit Dank an Jörg B. für die Anregung.

“BamS”-Leser sollen es zuerst zu wissen glauben

Eigenlob muss man sich leisten können.
(Unbekanntes Sprichwort)

"BILD-am-SONNTAG-Leser wissen es zuerst!"

Mit etwas Pech ist das eine neue, babyblaue “BamS”-Rubrik. Bereits in der vergangenen Woche hatte die “Bild am Sonntag” eine halbe Zeitungsseite ihres “Leser-Forums”, wo “BamS”-Lesern ja gerne mal Geschichten aufgetischt werden, für einen “Rückblick auf die vergangene Woche” verwendet:

BamS setzt die Nachrichten des Wochenendes. Meldungen, Interviews und Berichte, die zuerst in BILD am SONNTAG standen, werden noch Tage später von anderen Zeitungen zitiert, von Fernsehsendern aufgegriffen.

Das ist zwar alles andere als ungewöhnlich im Mediengeschäft, aber okay: Wenn nun mal in der “BamS” stand, wessen “sexy Hinterteil das Cover der Hit-CD von Alex C. feat. Y-ass ziert” und die kleine Berliner “Bild”-Schwester “B.Z.” das interessant genug findet, um darüber anderntags ebenfalls zu berichten — bitte schön. In welchem Zusammenhang indes ein “BamS”-Bericht über das MyVideo-Sternchen Mina mit einem Mina-Bericht in der Münchner “Abendzeitung” stehen soll (“Schon am 28. Oktober berichtete BILD am SONNTAG über die Karriere der 14-jährigen Sängerin Mina im Internet. Zwei Wochen später präsentiert die “Münchner Abendzeitung” ihren Lesern einen Bericht über die Schülerin.”), das weiß wohl nur die “BamS”-Redaktion. Denn über Mina berichtete nicht etwa die “BamS” zuerst. Bereits zwei Tage vorher machte Spiegel Online auf Mina aufmerksam, anschließend berichteten u.a. RP-Online, PCwelt.de und, ebenfalls zwei Tage vor der “BamS” — sogar Bild.de.

Aber kommen wir zu dieser Woche. Da heißt es nämlich unterhalb der netten “wissen es zuerst”-Schlagzeile:

Die spektakulärste Liebesnachricht des Jahres, exklusive Berichte aus Politik, Show und Technik — mit BILD am SONNTAG waren Sie auch in der vergangenen Woche früher, schneller und besser informiert als andere.

Und einer der Beweise für die Behauptung sieht heute so aus:

Der komplette “exklusive Bericht” der “BamS” sah am 18. November übrigens so aus:

Allerdings enthielt die kleine 14-Zeilen-Meldung eine kinderfaustdicke Lüge: Amazon-Gründer Jeff Bezos “präsentierte” gar nichts — jedenfalls nicht, als es die “BamS” behauptete. Im Gegenteil: Das “Computerbuch” Kindle wurde von Bezos erst am vergangenen Montag nach Erscheinen der “BamS” um kurz vor 10 Uhr (Ortszeit New York) offiziell vorgestellt, was dann die “‘Süddeutsche Zeitung’ und andere Blätter” (nicht jedoch “Bild” und “BamS”) zum Anlass nahmen, anschließend ausführlich darüber zu berichten.

Bleibt noch die Frage, woher die “BamS” denn überhaupt schon am Sonntag davon wusste.

Antwort: Möglicherweise hatten die “BamS”-Redakteure darüber im “Wall Street Journal”, möglicherweise auch auf irgendeiner, x-beliebigen anderen Internetseite gelesen. Oder sie haben’s einfach aus einer Meldung der Nachrichtenagentur dpa übernommen, die das, was die “BamS” heute als “BILD-am-SONNTAG-Leser wissen es zuerst!” verkauft, bereits am 16. November um ca. 14.10 Uhr (MEZ) unter Berufung auf den US-Fachdienst C’net verbreitete, der die Präsentation zuvor exklusiv angekündigt hatte.

Aber wer nur die “Bild am Sonntag” liest, weiß natürlich alles zuerst aus der “BamS” — mehr aber auch nicht.

Der “Wochenblick” sieht exklusiv den “Volks-Austausch in Deutschland”

Der “Wochenblick” hat mal wieder was rausgefunden. Es gebe “ein geheimes Papier der deutschen Bundesregierung”, berichtet die wöchentlich erscheinende Zeitung aus Oberösterreich, “welches die Masseneinwanderung nach Deutschland feiert.” Die Redaktion zitiert anonyme “Kritiker”, die sagen sollen, “dass dieses Strategiepapier ‘den Volks-Austausch in Deutschland dokumentieren’ würde”. Schlagzeile bei wochenblick.at:

Diese Infos hat das “Wochenblick”-Team aus “britischen Medien”, genauer: aus einem Artikel von express.co.uk vom 11. Februar, denn:

Man muss es heute schon aus britischen Medien erfahren

“Die Medien hierzulande” hätten schließlich noch gar nicht …

Die Medien hierzulande haben noch gar nicht über das Strategiepapier berichtet, welches Anfang Februar zur internen Verwendung verbreitet worden sein dürfte. Im Dokument heißt es gar wörtlich: “Aus bevölkerungswissenschaftlicher Sicht erscheint auch eine höhere dauerhafte Zuwanderung von 300 000 möglich.”

Was haben wir hier also? “Ein geheimes Papier” der Bundesregierung, das den “‘Volks-Austausch in Deutschland dokumentieren'” soll, und alle deutschsprachigen Medien würden mal wieder beim Schweigekartell mitmachen.

So viel schon mal jetzt: Das ist gleich mehrfacher Blödsinn.

Dennoch — oder gerade deswegen — drehte der “Wochenblick”-Artikel in den vergangenen Tagen eine ordentliche Online-Runde: Die rechten Blogger von “Politically Incorrect” übernahmen die Geschichte eins zu eins, allein auf der Facebook-Seite des “Wochenblicks” wurde der Text über 1600 Mal geteilt:

Viele Anti-Asyl-Gegen-Merkel-Hier-kein-Flüchtlingsheim-Seiten verbreiteten den Beitrag ebenfalls bei Facebook:








Den “Wochenblick” gibt es noch gar nicht so lange, vor knapp einem Jahr wurde die Zeitung gegründet. Seitdem hat die Redaktion, die “Berichterstattung ohne Scheuklappen” verspricht, es aber locker geschafft, richtig Mist zu bauen. Sie war zum Beispiel eine der treibenden Kräfte bei der Verbreitung über Falschmeldungen zur Silvesternacht in Dortmund.

Beim aktuellen Artikel über die Zuwanderungspolitik der Bundesregierung sind gleich mehrere Punkte falsch. So handelt es sich ganz gewiss nicht um “ein geheimes Papier”, auch wenn die “Wochenblick”-Redaktion sich große Mühe gibt, ihrer Geschichte Exklusivität zu verleihen:

Die sogenannte “Demografiebilanz” des Bundesinnenministeriums, auf die sich der “Wochenblick” bezieht, ist seit Februar für jeden im Internet abrufbar (PDF). Darin auch der zitierte Satz: “Aus bevölkerungswissenschaftlicher Sicht erscheint auch eine höhere dauerhafte Zuwanderung von 300 000 möglich.”

Der Vorwurf, dass die Medien in Deutschland und/oder Österreich “gar nicht über das Strategiepapier berichtet” hätten, den ja auch einige Facebook-Seiten übernommen haben, ist Lüge Nummer zwei. Sie haben über die “Demografiebilanz” berichtet. Viele sogar. “RP Online” zum Beispiel:

Welt.de:

n-tv.de:

Die “Huffington Post”:

Oder die “B.Z.”:

Und alle bereits am 1. Februar. Der “Wochenblick” liegt mit seinem Artikel also nicht nur doppelt daneben, sondern ist mit seinem Märchen auch ziemlich spät dran.

Mit Dank an Christoph für den Hinweis!

Weils Regierungserklärung, Medienprofi IS, Faktenfinder

1. Was ist dran an den Anschuldigungen gegen Weil?
(ndr.de)
Hat der Ministerpräsident Niedersachsens, Stephan Weil (SPD), wirklich seine Regierungserklärung von VW “frisieren” lassen wie die “Bild am Sonntag” (“BamS”) behauptet? Als Beleg hatte die “BamS” mehrere Zitate genannt, die im Entwurf dieser Regierungserklärung gestanden haben sollen und später gestrichen worden seien. Dabei hätte es sich offenbar aber nur um die Rede-Vorbereitungen für den Ministerpräsidenten durch einen Mitarbeiter der Staatskanzlei und nicht um das endgültige Skript von Weil gehandelt. Außerdem seien Zitate aus dem Zusammenhang gerissen worden. Bei Spiegel Online gibt es einen Vorher-Nachher-Vergleich: Diese Passagen wurden auf Wunsch von VW geändert

2. „Der IS ist ein Medienprofi“
(taz.de, Laila Oudray)
Der Fotograf Simon Senner beschäftigt sich im Rahmen seines Kunstprojekts “Terror Complex” mit der islamistischen Propaganda der Taliban und des „Islamischen Staats“. Die teilweise bearbeiteten Bilder fasst er auf seiner Homepage in verschiedenen Sammlungen thematisch zusammen. Im Interview mit der “taz” erzählt er, was ihn dabei antreibt, welche Entwicklungen in der medialen Terrorvermarktung ihm aufgefallen sind und wohin es in der Zukunft gehen wird.

3. Die schlechtesten Moderatoren der Welt
(faz.net, Johanna Dürrholz)
Johanna Dürrholz hat sich Gedanken über die “ZDFneo”-Produktion “Schulz und Böhmermann” gemacht. Sie hält die beiden Protagonisten, wie sie sagt, für das netteste Entertainer-Team Deutschlands und gleichzeitig für die schlechtesten Moderatoren der Welt: “Schulz und Böhmermann kennen sich schon ewig. In ihrem Podcast „Fest & Flauschig“ (früher: „Sanft & Sorgfältig“) plaudern sie regelmäßig über Themen, die sie bewegen, und haben sich mit ihrem schlagfertigen Geschnatter eine solide Anhängerschaft aufgebaut. In ihrer Talkshow machen sie im Prinzip dasselbe, nur müssen obendrein vier arme Tröpfe neben ihnen hocken und sich lieblos konzipierte Fragen gefallen lassen, deren Antwort in der Regel nicht mehr abgewartet wird.”

4. Das hätte nicht passieren dürfen
(nordbayerischer-kurier.de, Otto Lapp)
Im wöchentlich erscheinenden Anzeigenblatt des “Nordbayerischen Kuriers” gibt es stets auch eine Eigenanzeige. Dabei ist es jüngst zu einer Panne gekommen, die “nicht hätte passieren dürfen” wie der Chefredakteur in einer Stellungnahme in eigener Sache schreibt. Für die Werbung werde in der Regel auf einen der meistgelesenen Artikel zurückgegriffen; hier war es fatalerweise ein schrecklicher Unfall mit Todesfolge. “Durch unsere Anzeige haben wir die Hinterbliebenen der Opfer in ein noch größeres Leid gestürzt. Das tut uns unendlich leid. Auch wenn wir es nicht mehr gutmachen können, wir möchten uns aufrichtig und von ganzem Herzen dafür entschuldigen.”

5. Faktenchecker und Fake-Aufdecker
(faktenfinder.tagesschau.de, Fiete Stegers)
Mittlerweile gibt es einige Webseiten, die Aussagen von Politikern überprüfen, Gerüchten nachgehen und Falschmeldungen entlarven. Fiete Stegers stellt einige der Faktencheck-Initiativen vor. Die Bandbreite reicht von Aktionen der großen Medienhäuser bis zu Freiwilligen-Initiativen.

6. Es war einmal in Amerika
(sueddeutsche.de, Viola Schenz)
Der Filmemacher und Reporter Dan Bell hat eine Youtube-Serie über das Shopping-Mall-Sterben in den USA produziert. In 43 Folgen seiner “Dead Malls Series” geht es durch gespenstisch leere Einkaufscenter, trostlose Galerien und depressionsauslösende Shoppingcenter auf der Schwelle zwischen Leben und Tod.

Reichelts Worte, Traurige Sex-Hetze, Panikmache und Scharfmacherei

1. Nach SPD-Posse der Titanic: Reichelt entschuldigt sich beim Bild-Team
(wuv.de, Lisa Priller-Gebhardt)
Während es im Netz in der Sache #miomiogate Hohn und Spott für “Bild”-Chef Julian Reichelt gibt, versucht dieser wenigstens seinem Team per Rundbrief weiszumachen, man habe alles richtig gemacht.
Ganz zum Schluss beschwört der ehemalige Kriegsreporter und Militarismusfan nochmal seine virtuellen Truppen: “(…) zusammenzustehen, wenn wir Anfeindungen ausgesetzt sind, geht auf uns alle” — und man sieht ihn dabei förmlich im Büro auf dem Feldbett sitzen. Wenn er nicht längst einen Architekten damit beauftragt hat, im Axel-Springer-Hochhaus Schützengräben auszuheben.

2. Die Lüge von der „Sex-Broschüre für Kita-Kinder“
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Sobald es um Themen wie Intersexualität und Transsexualität geht, scheinen bei Boulevardmedien die Sicherungen durchzubrennen. So auch bei einer von “Bild” und “BZ” zum Skandal hochgejazzten Broschüre für pädagogische Fachkräfte. Stefan Niggemeier kommentiert den traurigen Vorgang: “(…) was hier passiert, ist keine Diskussion über die Inhalte der Broschüre. Es ist eine Schmutz- und Desinformationskampagne. Sie verbreitet erneut die Mär von der “Frühsexualisierung” und vielen damit verbundenen Unterstellungen wie der, dass linke Pädagoginnen und Pädagogen heimlich daran arbeiten, die ganze Welt transsexuell oder wenigstens schwul zu machen, und „normale“ Kinder verachten und vernachlässigen.”

3. Änderungen in der Google-Bildsuche – Probleme bleiben
(djv.de, Michael Hirschler)
Die Fotobranche hat schon seit Längerem Probleme mit Google und dabei wird es wohl auch bleiben. Mittlerweile hat der Suchmaschinengigant zwar die sogenannte Einzelbildpräsentation abgeschafft. Dies erfolgte jedoch nicht aus Einsicht oder Wohlwollen, sondern ist auf einen Deal mit der Firma Getty Images zurückzuführen. Michael Hirschler kommentiert: “Ein kritischer Beobachter könnte auch meinen: der Firma Getty Images wurde ihre Beschwerde wohl eher abgekauft. Das erinnert an die Praxis der Firma Microsoft, als die EU-Kommission wegen Wettbewerbsverletzungen gegen sie vorging. Firmen, die eine Beschwerde eingelegt hatten, wurden von Microsoft einfach aufgekauft. Auch wenn Getty Images jetzt (noch) nicht direkt von Google aufgekauft wurde, sieht es ziemlich ähnlich aus.”

4. Kenntnisfreie „Fakten-Checker“ bei „Hart aber fair“: Plasberg und Bild strapazieren das „gesunde Volksempfinden“
(meedia.de, Thomas Fischer)
Die vergangene “Hart aber Fair”-Sendung mit Frank Plasberg wurde in den Medien vielfach kritisiert. Hans Hütt fand in der “FAZ”, dass die Sendung ihren Informationsauftrag verfehlt hätte und macht dafür auch die Fragen von Gastgeber Plasberg verantwortlich. Christoph Kammenhuber sah es in der „taz“ ähnlich: Dem Moderator habe es an juristischem Fingerspitzengefühl gefühlt und er habe als Vertreter des „gesunden Volksempfindens“ Stimmung gegen die Justiz gemacht.
 Nun nimmt sich mit Bundesrichter a.D. Thomas Fischer jemand vom Fach der Sendung an. Sein Befund: “Fünf Viertelstunden kenntnisfreier Panikmache und rechtspolitischer Scharfmacherei auf sehr niedrigem Niveau“.

5. Hass-Reden gegen Menschenrechte
(taz.de)
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat ihren Jahresbericht vorgestellt. „Das Schreckgespenst von Angst und Hass macht sich in der Weltpolitik breit und es gibt wenige Regierungen, die sich in diesen unruhigen Zeiten für Menschenrechte einsetzen“, beklagt der Vorsitzende Salil Shetty. Negativ hervorgehoben hätten sich die Staatschefs von Ägypten, Venezuela und der Philippinen, aber auch der russischen Präsidenten Wladimir Putin, der chinesischen Staatschef Xi Jinping und US-Präsident Donald Trump.

6. “Wer hat Julian Reichelt erlaubt, die Demokratie so in den Dreck zu ziehen?”
(tagesspiegel.de, Christopher Lauer)
Christopher Lauer wendet sich in seiner Video-Kolumne an den „Bild“-Chef: „Lieber Julian Reichelt, wer hat Dir erlaubt, die Demokratie so in den Dreck zu ziehen, wie es Deine Zeitung gerade macht?“

Perfekter Tabubruch, Twittern aus dem Panzer, Sandmännchen

1. Perfekter Tabubruch
(taz.de, Steffen Grimberg)
Nachdem bekannt wurde, dass die Verlage ihren Zeitungszustellerinnen und Zeitungszustellern neuerdings Mindestlohn zahlen müssen, setzte in den Chefbüros das große Jammern ein. Ein Jammern, auf das die Bundesregierung mit einer Subvention von immerhin 40 Millionen Euro reagierte. Das Wehgeschrei der Verlegerinnen und Verleger hält jedoch an: Sie halten die Summe für viel zu niedrig. Steffen Grimberg kommentiert: “Die Verödung vor allem der Lokal- und Regionalberichterstattung nun aber dem Mindestlohn für die bislang unterirdisch bezahlten Zu­stel­le­r*innen in die Schuhe zu schieben, lenkt ab vom seit Jahren praktizierten Sparkurs in Redaktionen und von der nach wie vor mangelhaften Innova­tionsbereitschaft oder -fähigkeit vieler Verlagshäuser.”

2. Welchen Medien die Deutschen vertrauen
(de.statista.com, Frauke Suhr)
Der WDR hat eine Studie zur Glaubwürdigkeit der Medien in Auftrag gegeben (PDF). Statista hat die wichtigsten Zahlen in eine Grafik gepackt. Glaubwürdigkeitsgewinner sind die öffentlich-rechtlichen Radiosender, auf der Verliererseite stehen Facebook, Boulevardpresse und Instagram.

3. Twittern aus dem Panzer
(deutschlandfunk.de, Isabelle Klein, Audio: 5:40 Minuten)
Soldaten und Soldatinnen dürfen Eindrücke ihrer Arbeit in den Sozialen Medien teilen, solange sie sich an bestimmte Spielregeln halten. Die Bundeswehr hat einen neuen Leitfaden für die Nutzung Sozialer Medien veröffentlicht. Dort geht es zum Beispiel um Sicherheitshinweise, die etwa dem Schutz bei Auslandseinsätzen dienen. Vorsicht sei aber auch beim Posten von Verschlusssachen, Namen, Zeitangaben und Kfz-Kennzeichen geboten. Insgesamt scheint die Bundeswehr zu erkennen, dass sie auch über ein Heer von Markenbotschaftern verfügt: “Stehen Sie zu Ihrem Beruf, Ihrer Einheit und zur Bundeswehr”, heiße es in den Richtlinien.

4. Zwischen Gestrigkeit und Peinlichkeit
(sueddeutsche.de, Hans Hoff)
Hans Hoff kommentiert die gestrige “Bambi”-Verleihung im Ersten: “Es ist nicht nur diese unglaubliche Gestrigkeit im Ausdruck, die dem Preis das Genick bricht, es ist vor allem die Unfähigkeit, die Diskrepanz zwischen ehrlichen Anliegen und dem ganzen Total-Egal-Glitzerkram aus TV und Tralala zu überbrücken. Also zwischen Menschen, die sich wirklich einsetzen für ein Anliegen und solchen, die meinen, ihr Job sei getan, wenn sie “Penis” sagen.”

5. Google schränkt gezielte Platzierung von Wahlwerbung ein
(spiegel.de)
Nachdem Twitter politische Werbung verbannt hat, reagiert nun auch Google: Der Suchmaschinenriese mag sich nicht von dem lukrativen Geschäft trennen, schränkt jedoch die Möglichkeiten zur gezielten Platzierung von Wahlwerbung ein. Die neuen Regeln sollen zuerst in Großbritannien gelten, wo am 12. Dezember gewählt wird, und werden danach bis spätestens Anfang 2020 weltweit eingeführt.

6. “Für uns Ostkinder war der Sandmann quasi Familienmitglied”
(rbb24.de, Judith Kochendörfer)
Das (Ost-)Sandmännchen wird 60. Es war bereits zu DDR-Zeiten ein Star und gewann nach der Wende viele weitere kleine und große Fans hinzu. Judith Kochendörfer erinnert sich an ihre Kindheit mit dem reiselustigen, bärtigen Sympathieträger.

Afghanistan, Auskunft über Vonovia-Deal, Laschet in Kinderfernsehfalle

1. Afghanische Journalisten nicht im Stich lassen
(reporter-ohne-grenzen.de)
Grundsätzlich begrüßt Reporter ohne Grenzen die pauschale Aufnahmezusage des Innenministeriums für mehr als 2.000 schutzsuchende Menschen aus Afghanistan, unter ihnen auch Journalistinnen und Journalisten. Dies reiche jedoch nicht aus: “Denn Überlegungen, die Sicherheitsüberprüfungen in Kabul durchführen zu lassen, sind angesichts der Lage vor Ort weltfremd. Für viele bedrohte Medienschaffende in Afghanistan schwindet gerade die Hoffnung, einem der größten Feinde der Pressefreiheit weltweit noch zu entkommen.”

2. Eilantrag erfolgreich: Land Berlin muss Auskunft zu Vonovia-Deal geben
(fragdenstaat.de, Arne Semsrott)
Monatelang habe sich die SPD-geführte Finanzverwaltung in Berlin gegen Transparenz gewehrt, jetzt müsse sie Details zum umstrittenen Milliarden-Deal mit den Wohnungsunternehmen Vonovia und Deutsche Wohnen veröffentlichen. Das meldet die Transparenz-Offensive “FragDenStaat”, die dafür beim Berliner Verwaltungsgericht einen Eilantrag auf Basis des Landespressegesetzes eingereicht hatte. Vorherige Versuche, an Informationen zu gelangen, hatten nicht gefruchtet.

3. Der Fall Nemi El-Hassan und die blinden Flecke
(uebermedien.de, Andrej Reisin)
Eigentlich sollte die Fernsehmoderatorin Nemi El-Hassan demnächst die WDR-Wissenschaftssendung “Quarks” übernehmen. Nachdem bekannt geworden war, dass sie im Jahr 2014 an der Al-Quds-Demonstration teilgenommen hat, ruht der Vorgang allerdings. Für “Übermedien” hat Andrej Reisin die nicht einfache Angelegenheit aus verschiedenen Perspektiven betrachtet: “Wir müssen uns streiten!”

Bildblog unterstuetzen

4. AfD kündigt juristische Schritte gegen “Tagesschau” an
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Die “Tagesschau” hat durch eine nachlässige Formulierung den Eindruck erweckt, die AfD hätte sich gegen die Einrichtung eines Wiederaufbaufonds für die Flutgebiete ausgesprochen. Es war jedoch im sogenannten Omnibusverfahren gleichzeitig über zwei verschiedene Gesetze abgestimmt worden. Bei der Schlussabstimmung hatte sich die AfD enthalten. Die AfD-Fraktion hat nun angekündigt, juristische Schritte gegen die “Tagesschau” einzuleiten, und fordert, die Behauptung, die Fraktion habe der Fluthilfe nicht zugestimmt, richtigzustellen und nicht weiter zu verbreiten.

5. Hält Facebook kritische Studien zurück?
(meedia.de, Frank Puscher)
“Facebook weiß laut vorliegender Unternehmensdokumente, dass Instagram für Teenager-Mädchen toxisch ist”, schreibt das “Wall Street Journal” (nur mit Abo lesbar). Frank Puscher hat den Bericht gelesen: “Es geht vor allem um junge Mädchen und es geht in erster Linie um deren Wahrnehmung des eigenen Körpers. Die permanente Zurschaustellung, perfekt durchtrainierter und proportionierter Körper von Fitness- und Beauty-Influencerinnen, führt augenscheinlich dazu, dass die jungen Damen zusehends mit dem eigenen Körper unzufrieden sind.”

6. Die Kinderfernsehfalle: Wie Laschet im Schülerinterview zum dünnhäutigen Grummelonkel wurde
(rnd.de, Imre Grimm)
Imre Grimm kommentiert den Besuch Armin Laschets in der ProSieben-Sendung “Late Night Berlin” und das dort durchgeführte Kinderinterview: “Gewiss ist das Ziel des Formats kein echter Erkenntnisgewinn für Kinder, sondern eine sorgsam orchestrierte Blamage zur Beömmelung Erwachsener. Trotzdem war die Außenwirkung von Laschets hilflosem Strampeln verheerend. Statt auf Augenhöhe mit den Kindern zu sprechen, wirkte er wie ein huldreicher Großonkel zweiten Grades, der auf einer Familienfeier ein paar passiv-aggressive Pflichtworte mit dem Kleingemüse wechselt, damit die Gattin hinterher nicht schimpft, er habe den ganzen Abend nur schmollend in der Ecke gesessen und Zigarillos geraucht.”
Weiterer Lesehinweis: Beim “Spiegel” erklärt Marco Wedig, was ihn an dem Format stört und wie beim “Spiegel” bei Kinderinterviews vorgegangen wird: “Mich hätte beim ‘Late Night Berlin’-Gespräch mit Laschet zum Beispiel mehr interessiert, ob Pauline und Romeo einen Luftfilter in ihrer Klasse haben und was Herr Laschet dazu gesagt hätte.” Auf Twitter antwortet Medienkritiker Stefan Niggemeier dem Autor unter anderem: “Man kann diese waghalsige Mischung aus Ernst und Unernst auch kritisieren. Ich find’s nur schwer, diese Kinder-Interviews mit euren zu vergleichen, ohne darauf hinzuweisen, dass die Ziele im Zweifel andere sind, und die Methoden sehr offenkundig auch.”

Nur noch fünf Fernsehsender?, Frauensport, Schweigende Grenze

1. Nur noch fünf Fernsehsender?
(freitag.de, Wolfgang Michal)
Über eine Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wird seit Jahrzehnten diskutiert. Seit dem 19. November steht nun ein Entwurf zur Änderung des Rundfunkauftrags auf der Webseite der Rundfunkkommission. Und jeder darf mitdiskutieren. Wolfgang Michal erklärt, worum es im Einzelnen geht und welche politischen Interessen dabei eine Rolle spielen.

2. Grüne Grenze des Schweigens
(taz.de, Christian Jakob)
An den EU-Außengrenzen wird derzeit die Pressefreiheit stark eingeschränkt. Gerade dort sei unabhängige Berichterstattung aber enorm wichtig. Christian Jakob hat einige Beispiele der letzten Zeit zusammengestellt, in denen Reporterinnen und Reporter an ihrer Arbeit gehindert wurden, sei es durch offizielle Verbote, Schikanen oder Festnahmen.

3. Warum vernachlässigen die Medien den Frauensport?
(deutschlandfunk.de, Brigitte Baetz, Audio: 27:35 Minuten)
In der Sportberichterstattung ist der Sport von Frauen oft nur ein Randthema. Warum das so ist und wie das geändert werden könnte, darüber diskutiert eine Deutschlandfunk-Hörerin mit Andrea Schültke aus der Dlf-Sportredaktion, mit Nina Probst, Chefredakteurin des Portals Sportfrauen.net, und mit Brigitte Baetz aus dem Dlf-Medienressort.

Bildblog unterstuetzen

4. Medienvertreter müssen sich schützen
(reporter-ohne-grenzen.de)
In etwa zwei Monaten finden in China die 24. Olympischen Winterspiele statt, und trotz der Corona-Pandemie werden viele ausländische Medien vor Ort sein wollen. Reporter ohne Grenzen rät zur Vorsicht und warnt vor dem Herunterladen von Apps, die es den chinesischen Behörden ermöglichen könnten, Personen zu überwachen: “Es ist legitim, dass die Medien über dieses internationale Großereignis berichten, aber sie müssen sich vor den Manipulationsversuchen des Regimes in Acht nehmen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Überwachung und möglichem Druck schützen. Auch der Deutsche Olympische Sportbund ist gefordert: Er muss öffentlich und deutlich die Einhaltung von Pressefreiheit und Menschenrechten einfordern.”

5. Keine Blase, sondern richtiges Business
(journalist.de, Eva Morlang)
Die freie Journalistin Eva Morlang weist in ihrem Beitrag über den deutschsprachigen Podcastmarkt auf die Notwendigkeit hin, sich als Autor oder Autorin mit der Rechtefrage zu befassen. Sie hat dazu eine nützliche Checkliste erstellt, die die wesentlichen Aspekte abdeckt und viel (juristischen) Ärger ersparen kann.

6. Bushido-Doku “Unzensiert”: Inszenierte “Wahrheit”
(dwdl.de, Jan Freitag)
Die Bushido-Doku auf Amazon trägt den Untertitel “Bushido’s Wahrheit” (Apostroph im Original), was darauf hinweist, dass es sich nur um eine von vielen Wahrheiten handelt, eine ausgesprochen subjektive zudem. Die Serie stammt zudem von “Bild”-Reporter Peter Rossberg, was von Jan Freitag wie folgt kommentiert wird: “Der selbstverliebte Gossenreporter arbeitet schließlich nicht nur bei ‘Bild’, er gehört zum erweiterten Freundeskreis des Porträtierten. Und das kreiert ein filmisches Hybrid der bizarren Art. Einerseits kommt Rossberg seinem Buddy näher als andere, nun ja, ‘Journalisten’ zuvor. Andererseits lässt er ihm dabei ohne lästiges Nachhaken alle Freiheiten zur Selbstdarstellung.”

“Bild” lässt Olaf Scholz Erholungsgärten plattmachen

Was kaum jemand weiß …

Was kaum jemand weiß: Auch Erholungsgärten werden hier plattgemacht, damit das Kanzleramt größer wird.

Das berichtete die Berlin-Ausgabe der “Bild”-Zeitung am vergangenen Dienstag. Plattmach-Überschrift:

Ausriss Bild-Zeitung - Weil der Kanzler mehr Platz braucht - 200 Garagen und Gärten werden plattgemacht

Das Bundeskanzleramt wird kräftig erweitert. Die Bauarbeiten laufen, Flächen in Berlin-Mitte werden dadurch versiegelt. Dieser ökologische Eingriff muss nach dem Bundesnaturschutzgesetz andernorts ausgeglichen werden, in diesem Fall im rund 14 Kilometer entfernten Berliner Ortsteil Karlshorst. Das erklärt auch die “Bild”-Autorin:

Der gesetzlich vorgeschriebene Grün-Ausgleich für die Mega-Baustelle wird woanders vollzogen.

Klingt wegen der Entfernung merkwürdig, ist aber bei vielen Bauprojekten so.

Doch jetzt wird es laut “Bild”-Artikel “absurd”:

Absurd: Für das neue Grün muss altes Grün weg.

Ein Biotop, das als Ausgleich in Karlshorst angelegt werden soll, soll laut “Bild” auf einer Fläche entstehen, auf der sich aktuell noch “Erholungsgärten” von Nachbarn befinden: “Ende des Jahres müssen sie ihre gepachteten Paradiese räumen”, schreibt “Bild”. Oder eben knackig zusammengefasst:

Was kaum jemand weiß: Auch Erholungsgärten werden hier plattgemacht, damit das Kanzleramt größer wird.

Dass das “kaum jemand weiß”, dürfte vor allem daran liegen, dass es nicht stimmt.

In der Tat müssen die Kleingärtner ihre Anlagen zum Ende des Jahres räumen, wie zum Beispiel der “Berliner Kurier” berichtet. Aber das hat nichts mit der Erweiterung des Bundeskanzleramts zu tun, sondern mit einem davon völlig unabhängigen, größeren Wohnungsbau in Karlshorst.

Und so musste die “Bild”-Redaktion am Mittwoch eine Richtigstellung veröffentlichen:

Ausriss Bild-Zeitung - Richtigstellung - Im Zusammenhang mit Öko-Ausgleichsflächen in Karlshorst für die Erweiterung des Kanzleramts müssen 197 Garagen weichen - aber nicht Erholungsgärten wie BILD berichtete. Eine Regierungssprecherin: Die erwähnten Erholungsgärten befinden sich nicht auf Grundstücken des Bundes und müssen so nicht zu Ausgleichszwecken geräumt werden. Dies ist richtig.

Und damit zu den 197 Garagen. Die sollen tatsächlich abgerissen werden, und das hat auch tatsächlich mit dem Biotop zu tun, das in Karlshorst als Ausgleich für die Erweiterung des Bundeskanzleramts entstehen soll. Doch die Darstellung des Sachverhalts in den “Bild”-Medien ist etwas unvollständig. Schon der reportagige Einstieg wirft mehr Fragen auf als er beantwortet:

So wie das Ehepaar Monika (80) und Wolfgang (83) [S.]. Weil Olaf Scholz mehr Platz braucht, weil das Bundeskanzleramt im Bezirk Mitte erweitert wird, fehlt ihnen in Karlshorst bald die Garage für ihren kleinen roten Renault. Wie geht denn das?

BILD trifft Rentner Wolfgang [S.] (83), als er gerade seinen Renault in eine enge Parklücke zwängt – geschafft!

“Wie geht denn das?”, fragen wir uns auch: Den beiden wird laut “Bild”-Darstellung “bald” die Garage fehlen, aber sie “zwängen” sich und ihren roten Renault schon jetzt “in eine enge Parklücke”? Die Lösung zu diesem Rätsel gibt es nicht bei “Bild”, dafür aber in einer recht aktuellen Antwort (PDF) des Berliner Abgeordnetenhauses auf eine Anfrage der Abgeordneten Lilia Usik von der CDU:

Frage 3:
Gibt es bereits Garagen, die leer stehen? Falls ja, wie viele und seit wann?

Antwort zu 3:
Die Garagen sind seit dem 31.08.2022 geräumt.

“Bild” kommt mit dieser Geschichte also gerade mal zwei Jahre zu spät und spricht einfach von “bald”. Bereits im Juli 2021 hat die “Berliner Zeitung” über die Garagen in Karlshorst berichtet, im Dezember 2021 der “Tagesspiegel”. Die Garagen haben es sogar in ein FAQ der Bundesregierung geschafft, laut “Internet Archive” mindestens seit April 2022.

Das alles macht das Reinzwängen in Parklücken nicht angenehmer, aber die “Bild”-Story noch fragwürdiger.

Zumal sich die Redaktion regelrecht abmüht, den sicherlich ärgerlichen Wegfall der Garagen direkt Olaf Scholz zuzuschreiben. Es ist für ein Boulevardblatt ja auch eine verlockende Erzählung: Der mächtige Kanzler, der in seinem bald noch größeren Riesenbau sitzt und die kleinen Garagen der kleinen Leute, die diese teils schon zu DDR-Zeiten genutzt haben, “plattmacht”.

Nun könnte eine Redaktion ihrer Leserschaft natürlich erklären, dass Olaf Scholz seit Dezember 2021 Bundeskanzler ist, die Überlegung, das Kanzleramt zu erweitern, allerdings schon im Januar 2019 präsentiert wurde, und der Planungsbeginn 2020 war. Oder dass die Fertigstellung für 2028 geplant ist, und dass zumindest nach aktuellen Umfragewerten nicht viel dafür spricht, dass Olaf Scholz dann noch im Bundeskanzleramt sitzt. Oder wenigstens, dass es nicht Olaf Scholz ist, der durch Berlin fährt und nach geeigneten Ausgleichsflächen sucht, sondern die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben mit dieser Suche betraut ist.

Die “Bild”-Redaktion hat auf all diese Informationen verzichtet und stattdessen diese – nennen wir es mal – Zuspitzung für die Bild.de-Startseite gewählt:

Screenshot Bild.de - Der Kanzler braucht mehr Platz - Wegen Scholz haben wir keine Garage mehr
(Jegliche Unkenntlichmachungen von Namen und Fotos in diesem Beitrag stammen von uns. Das Rentner-Ehepaar soll hier nicht zur Schau gestellt werden.)

Bildblog unterstuetzen

Auf Täuschung angelegt

Gestern hat die “Bild”-Zeitung ihren Lesern erklärt, was eine “Lüge” ist.

Lüge: bewußt falsche, auf Täuschung angelegte Aussage
(Definition laut Duden)

Sie hat es aber, natürlich, nicht bei der Theorie belassen, sondern die Technik gleich mal in der Praxis ausprobiert. In einem Artikel über die angeblichen “5 Lügen der Linkspartei” heißt es:

BILD hat nachgerechnet: Die Wahlversprechen [der] Linkspartei kosten unbezahlbare 90 Milliarden Euro!

Das ist eine interessante Neudefinition des Wortes “nachrechnen”. Die drei beteiligten “Bild”-Redakteure haben die Zahlen nämlich einfach aus dem Wahlprogramm der angeblich verlogenen Linkspartei abgeschrieben. “Nachrechnen” heißt nach “Bild”-Definition also soviel wie: “ungeprüft übernehmen”.

BILD enttarnt fünf unbezahlbare Wahl-Lügen von Lafo, Gysi & Co.

“Enttarnen”? Richtig, “enttarnen” heißt bei “Bild”: aufschreiben, was für jeden nachlesbar im Entwurf des Wahlprogramms steht. Denn nicht nur die Forderungen nach höherem Kindergeld, einer Mindestrente, Steuerfreiheit für Renten und niedrigeren Steuern für Geringverdiener stehen sämtlich für jeden nachlesbar im Steuerkonzept der Linkspartei [PDF-Datei]. Dort steht auch, was jede einzelne Maßnahme nach Angaben der Linkspartei (und ungeprüft übernommen nachgerechnet von “Bild”) kosten würde. Und dort steht sogar an exakt derselben Stelle (Seite 13, siehe Ausriss rechts), wie die Linkspartei diese Wahlversprechen gegenfinanzieren will — aber beim Abschreiben der anderen Zahlen müssen die “Bild”-Redakteure ausgerechnet diesen Teil komplett übersehen haben. Sonst könnten sie ja nicht so massiv den Eindruck erwecken, die Linkspartei hätte überhaupt keine Vorschläge zur Finanzierung (über deren Sinnhaftigkeit man natürlich streiten darf).

Bleiben noch zwei “Lügen”. Eine davon ist die Forderung nach einer Erhöhung des Arbeitslosengeldes II (“Hartz IV”), deren Kosten nicht erst “Bild” auf 3 Milliarden Euro geschätzt hat und zu der die konkreten Finanzierungsvorschläge der Linkspartei tatsächlich vage sind. In diesem Zusammenhang bezeichnet “Bild” auch die Forderung nach einer längeren Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I als “Lüge” — dies fordert allerdings auch die Union.

Und schließlich ist da noch die “Investitions”-“Lüge”. “Bild” schreibt:

Die Linkspartei verspricht 30 Mrd. Euro staatliche Investitionen in Bildung, Kultur, Umwelt und öffentlichen Nahverkehr.

Nein, verspricht sie nicht. Im Entwurf für das Wahlprogramm [PDF-Datei] heißt es lediglich:

Würde Deutschland einen solchen Anteil seines Sozialprodukts wie die USA für öffentliche Investitionen aufwenden, wären das 30 Milliarden Euro mehr im Jahr als gegenwärtig.

(Liebe “Bild”-Redakteure, diese fremden Wörter darin, das sind Konjunktive.)

Schließlich fragt “Bild”:

Sind die Deutschen einfach nur leichtgläubig? Laut Emnid kommt die Linkspartei schon auf 11 bis 12 Prozent!

Tja, sind die Deutschen einfach nur leichtgläubig? Laut Media Analyse lesen sogar über 18 Prozent der Bevölkerung “Bild”!

Vielen Dank an André K. für den Hinweis!

Völlig bekloppt

Schuld ist eigentlich Carola Frentzen. Die Rom-Korrespondentin der Deutschen Presseagentur (dpa) hatte nämlich zum 24. Juli eine launige Sommerloch-Meldung über “Gutes Benehmen in Badehose und Bikini” an Italiens Stränden geschrieben: Frentzen hatte “eine Art ‘Knigge’ für die Badegäste” aufgetan, in dem von der italienischen Badeanstaltenvereinigung S.I.B. “zehn Strandgebote” oder “Verhaltensregeln” bzw. “Regeln des Anstands” formliert worden waren. Die dpa-Frau hatte außerdem noch mit einem Benimm-Experten gesprochen. Und sie hatte nicht mit “Bild” gerechnet.

Denn in “Bild” sah die Sache drei Tage später so aus:

Von einem “Busen-Verbot”, einem “Bier-Verbot” und einem “Bolz-Verbot” war da plötzlich die Rede und anderen Sachen, die angeblich “verboten” oder “nicht erlaubt” seien.

Gestimmt hat das alles nicht. Zum einen handelt es sich bei dem Regelkatalog der S.I.B. um simple “suggerimenti” (Vorschläge), wie auch der S.I.B.-Präsident Riccardo Borgo in einer unmittelbaren Reaktion auf die “Bild”-Veröffentlichung mitteilte (und auch die italienische Zeitung “Corriere della Sera” berichtet). “Wir haben niemandem etwas verboten”, sagte Borgo hier wie dort. Außerdem sei “von keiner Seite her das Verbot ergangen, Bier zu trinken oder sich oben ohne aufzuhalten.”

Statt jedoch die eigene Falschmeldung zu korrigieren, entschied man sich bei “Bild” für einen anderen Weg: “Bild” ignorierte die (durch sie selbst notwendig gewordene) Richtigstellung, ließ lieber ihren Vatikan-Experten Andreas Englisch aus Rimini nochmals und nochmals über die “lange Verbotsliste” schreiben — und nutzte die Gelegenheit, schnell noch die eine oder andere barbusige Frau zu zeigen…

Mit großem Dank an Salvatore B. sowie Patrick K., Robert G., Johannes H. und Roberto C. für den Hinweis und die spontanen Übersetzungshilfen!

Kurz korrigiert (80 – 83)

Nachdem gestern zunächst Bild.de sinnentstellend über den tragischen Tod eines 14-Jährigen berichtet hatte, berichtet heute natürlich auch “Bild”. Und vielleicht sollte man an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen, was am Ende der Polizeimeldung steht, auf der beide Artikel im Kern beruhen. Dort heißt es:

Eine Bitte an alle Medienvertreter:
Die Eltern des Jungen haben sich hier gemeldet und erklärt, dass sie keine Medienkontakte wünschen. Wir bitten alle Journalisten, diesen Wunsch zu respektieren.”

Und sagen wir’s so: “Bild” hat diesen Wunsch bislang offenbar respektiert. Zumindest finden sich in der Berichterstattung keine O-Töne o.ä. der Eltern. Stattdessen nennt “Bild” mehrfach den Vornamen ihres Kindes, veröffentlicht ein (immerhin unkenntlich gemachtes) Foto des Jungen sowie ein Foto des Elternhauses und hat für magere 75 Zeilen Text fast eine gesamte Zeitungsseite freigeräumt (siehe Ausriss). Die Zeilen 11 bis 28 beispielsweise lauten:

“Sonnabend nachmittag: Der Gymnasiast und Sohn zweier Sozialpädagogen wollte neue Zinnfiguren für sein Lieblings-Game ‘Warhammer 4000’ haben. Ein populäres Brettspiel, in dem sich Elfen, Vampire und die schrecklichen Orks bekämpfen.

Der Schüler ging in ein Spielwarengeschäft, streifte durch die Regale und malte sich in Gedanken aus, mit welchen Feen und Drachen er die nächste Schlacht gewinnen würde.”

Doch wer sich hier was in Gedanken ausmalte, lassen wir mal dahingestellt — zumal das Spiel nicht “Warhammer 4000”, sondern “Warhammer 40.000” heißt, kein “Brettspiel”, sondern ein sog. Tabletop ist, und mit “Feen”, “Drachen” & Co. recht wenig zu tun hat, wie uns Eingeweihte versichern. Um’s mit den Worten unseres Lesers Carsten E. zu sagen:

“Zugegeben, das muss man nicht wissen. Aber man sollte es dann auch nicht einfach mal so hinschreiben.”

Und apropos einfach mal so hinschreiben: “Bild” schreibt weiter, der 14-Jährige sei “laut Gesetz (…) noch ein Kind”, was immerhin die Frage aufwirft, welches Gesetz “Bild” da gemeint haben könnte. §19 StGB? §176 StGB? §1 JGG? §7 KJHG? §2 JArbSchG?! Um’s mit den Worten von “Bild” zu sagen:

“Niemand weiß es.”

Mit Dank an Oliver M., Sebastian R., Jan G., Timm B., Markus S., Johannes T., Peter T., Oliver B., Stefan S., Vincent I., Mango_Jerry, Carsten E., Torsten R., Christian G., Alexander R. und Thomas G.

“Bild” benutzt Kinder für Recherchen

Manchmal, da stehen “Bild”-Reporter einfach nur einen ganzen Tag lang auf einem Friedhof in Berlin-Zehlendorf vor dem Grab von Bubi Scholz und warten, dass irgendwer vorbeischaut, um hinterher auf einer halben Zeitungsseite mehrere Fotos des Scholzschen Grabsteins (“10 Uhr”, “12 Uhr”, “15 Uhr”, “18 Uhr”) abzudrucken und dazuzuschreiben:

“Gestern wäre die Box-Legende 76 Jahre alt geworden. Niemand besuchte des Grab. (…) BILD war von 7.30 bis 18 Uhr vor Ort. (…) Von 7.30 bis 18 Uhr kam kein Besucher.”

Manchmal machen “Bild”-Reporter aber auch andere Dinge …

… kleine Kinder ansprechen zum Beispiel: Vor knapp einem Monat etwa berichtete die “Süddeutsche Zeitung”, ein “Bild”-Reporter habe am Tor des Hauses von Günther Jauch geklingelt und durch den Zaun Jauchs neunjährige Tochter befragt, die aus der Tür getreten sei, was ein “Bild”-Sprecher mit den Worten dementierte: “Aber vielleicht hat er ja ‘Guten Tag’ gesagt.”

Und in Zusammenhang mit dem bei einem Bombenattentat im ägyptischen Dahab getöteten Jungen aus Tübingen schreibt das ortsansässige “Schwäbische Tagblatt” heute über den begleitenden Presserummel:

“In einem Fall schreckte ein Journalist laut einem Elternbericht nicht davor zurück, Kinder, die gerade alleine zu Hause waren, mit der Suche nach einem Foto des getöteten Jungen zu behelligen. Der Journalist gab sich den Kindern gegenüber als TAGBLATT-Mitarbeiter aus. Dem Presseausweis zufolge*, den sich der später hinzugekommene Vater zeigen ließ, arbeitet er für die Springer-Presse.”

Beim “Tagblatt” erwägt man deshalb rechtliche Schritte gegen den Journalisten, der laut eigenen Angaben auf seiner Website unter anderem für die “Bild”-Zeitung arbeitet und, wie es dort heißt, Auftraggeber “auch bei der Recherche vor Ort unterstützt”.

Und fündig geworden ist er bei seiner Suche nach einem Foto des getöteten Jungen offenbar doch noch. “Bild” druckt es heute (anders als in anderen Fällen, in denen sich “Bild” auch schon mal mit einem unkenntlich gemachten Symbolfoto behilft) quasi weltexklusiv auf der Titelseite und im Blattinnern (siehe Ausrisse) sowie bei Bild.de. Der Fotograf selbst, dessen Namen “Bild” als Quelle für das Foto angibt, wollte sich uns gegenüber nicht äußern, woher die Aufnahme stammt beziehungsweise wer die Einwilligung für den Abdruck gegeben habe (“Ich weiß nicht, wovon Sie reden”), und verwies an die “Bild”-Pressestelle. Eine Antwort auf unsere mehrmalige Anfrage dort steht bislang aus.

*) Anders als das “Tagblatt” berichtete, zeigte der Journalist auf Nachfrage offenbar seinen Presseausweis und sagte, dass er Mitarbeiter der Axel Springer AG sei.

(Mehr dazu hier und hier.)

Nachtrag, 15.9.2006: “Bild” wurde für die Veröffentlichung des Kinderfotos vom Deutschen Presserat öffentlich gerügt.

Alter Wodka in neuen Schläuchen

Dass “Bild” gestern (wie berichtet) ein Zechgelage des britischen Prinzen Harry zu einer Titelschlagzeile machte, unkundig betextete, als “exklusiv” ausgab und darauf hinwies, dass “alle Skandal-Fotos von Prinz Harry” auf Bild.de zu sehen seien, war “Bild” offenbar nicht genug.

Denn heute berichtet “Bild” einfach noch einmal.

Alles eine Frage der Präsentation
 
Wer hätte gedacht, dass diese beiden Artikel über ein und dieselbe Begebenheit berichten?
 

“Bild” zeigt ein paar Fotos, die seit gestern bereits auf Bild.de zu sehen sind und auf die “Bild” gestern bereits hingewiesen hatte (“Weitere Szenen, auf Video aufgenommen, zeigen Harry in Namibia auf Sauf-Safari.”).

“Bild” verwendet, wie gestern schon, Zitate aus einem Artikel der britischen Boulevardzeitung “News of the World”, verschweigt aber, wie gestern schon, die Quelle — und die Tatsache, dass die “Skandal-Fotos” bereits vorgestern und exklusiv in “News of the World” veröffentlicht worden waren. Und “Bild” verschweigt, wie gestern schon, dass sich der “Skandal” selbst laut “News of the World” schon vor über zehn Monaten ereignete.

Andererseits fehlt auch heute nicht der Hinweis, dass “alle Skandal-Fotos von Prinz Harry” auf Bild.de* zu sehen seien. Ja, wenn wir’s genau nehmen, fehlt heute eigentlich nur die gestrige Behauptung, die gezeigten “Skandal-Fotos” seien “exklusiv”.

*) Tatsächlich hat Bild.de heute eine neue Bildergalerie im Angebot. Der Unterschied zur Bildergalerie von gestern: Was gestern noch Bild 25 von 25 war, ist heute Bild 1 von 25.

Immerhin hat “Bild” die heutige Neufassung der gestrigen Meldung um das Zitat eines Suchtberaters angereichert, der “zu BILD” gesagt haben soll: “Durch das Schnupfen soll der Wodka direkt in die Blutbahn gelangen.” Und das legt den Schluss nahe, dass es sich womöglich gar nicht um eine Neufassung der gestrigen Meldung handelt, sondern bloß um deren Korrektur. Schließlich verwendet “Bild” heute das Wort “Blutbahn” und sagt dazu nicht mehr, wie gestern noch, “Blutumlaufbahn”.

“Bild” versteht unsere Politiker nicht

Unter der Überschrift “Aus Sorge ums deutsche TV: Politiker fordern Deutsch-Quote gegen US-Serien” schrieb “Bild” gestern:

Jetzt fordern erste Politiker eine Deutsch-Quote, um heimische Produktionen zu schützen.
“Die SPD ist grundsätzlich für eine Quote für deutsche Serien im Fernsehen”, sagt Medienpolitikerin Monika Griefahn (53, SPD) zu BILD. (…) Monika Griefahn: “Wir haben das Kulturstaatsministerium deshalb gebeten, zu diesem Thema die Bundesländer an einen Tisch zu holen.”

Seit gestern schreiben das (unter Berufung auf “Bild”) u.a. auch die Agenturen AP* und ddp sowie “taz”, “Tagesspiegel”, “Hamburger Abendblatt”, DWDL.de, “Frankfurter Rundschau”, “Stuttgarter Zeitung”, “Nürnberger Zeitung” usw. usf.**

Heute hingegen schreibt Monika Griefahn unter der Überschrift “Richtigstellung des BILD-Berichts zur TV-Quote”:

Die SPD ist NICHT grundsätzlich für eine Quote für deutsche Serien im Fernsehen. Zitate, die die BILD-Zeitung dahingehend am 17.10.2007 in meinem Namen verbreitete, entsprechen nicht der Wahrheit. Des Weiteren ist es ebenfalls nicht richtig, dass wir den Bundeskulturstaatsminister gebeten haben, zu diesem Thema die Bundesländer an einen Tisch zu holen. Aus diesen Gründen basiert der Artikel der BILD (…) weder auf meinen wahrheitsgemäßen Aussagen noch stellt er meine Position dar.

RICHTIG dagegen ist:
Nach wie vor, spreche ich mich für die stärkere Berücksichtigung von deutschsprachiger und in Deutschland produzierter populärer Musik im Rundfunk aus. (…) Wie auch der Deutsche Bundestag bereits 2004 in einem Antrag formuliert hat, fordere ich weiterhin einen runden Tisch, an dem Bund, Länder und Rundfunkveranstalter über dieses Thema sprechen und zu einer Selbstverpflichtung kommen. Dies allein war Inhalt des Gespräches mit der BILD-Zeitung.

*) Nach Veröffentlichung von Griefahns “Richtigstellung” berichtet auch AP wieder. Die Überschrift lautet jedoch nicht etwa “Dementi”, “Korrektur” oder “Sorry, wir hatten zuerst nicht nachgefragt, sondern bloß ‘Bild’ geglaubt” — sondern: “Griefahn für mehr deutsche Musik im Rundfunk”. Am Ende der Meldung, die ganz offensichtlich ausschließlich auf Griefahns “Richtigstellung” beruht, heißt es bloß: “Griefahn (…) nahm damit Bezug auf einen Bericht der ‘Bild’-Zeitung vom Mittwoch, in dem sie mit den Worten zitiert worden war, die SPD sei grundsätzlich für eine Quote für deutsche Serien im Fernsehen.” [Ende der Meldung]

Mit Dank Monika G. für den Hinweis.

**) Nachtrag, 20.10.2007: Die “taz” schreibt in ihrer heutigen Ausgabe: “Monika Griefahn, 53, Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion für Kultur und Medien, wurde falsch zitiert: Die SPD sei nicht, wie in der taz vom 18. 10. unter Bezug auf Bild berichtet, ‘grundsätzlich für eine Quote für deutsche Serien im Fernsehen’. (…) Bild habe sie gefragt, ob bei einer Diskussion zum Thema auch eine Quote für deutsche Serien angesprochen werde. Griefahn sagte zur taz, sie habe gesagt, man könne das mitdiskutieren. Sie sei aber im Fall der Musikquote für eine Selbst-, keine Zwangsverpflichtung der Sender. Zunächst müsse die Qualität gewährleistet sein. Das gelte auch für TV-Serien.” Und DWDL.de hat eine “Richtigstellung” veröffentlicht.

Nachtrag, 23.10.2007: In der heutigen Korrekturspalte von “Bild” heißt es:

Berichtigung

Zum BILD-Bericht vom 17.10. (“Politiker fordern Deutsch-Quote gegen US-Serien”) legt die SPD-Medienpolitikerin Monika Griefahn Wert auf die Feststellung, dass sie nicht für eine Pflicht-Quote für deutsche Serien im TV ist. Grundsätzlich befürwortet Frau Griefahn jedoch eine stärkere Berücksichtigung deutscher Serienproduktionen.

Griff ins Archiv der verletzten Persönlichkeitsrechte

Charlotte Roche ist Bestsellerautorin. Außerdem ist sie alles andere als gut zu sprechen auf “Bild”, nachdem 2001 mehrere Familienmitglieder Roches bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen waren: “Bild” hatte damals nicht nur über den Unfall berichtet; wenig später war Roche zudem von Menschen, die sich als “Bild”-Mitarbeiter ausgaben [so die quasi-offizielle Sprachregelung; mehr dazu hier, hier und hier] erpresst worden – erfolglos übrigens.

In Ruhe lassen jedoch mag die “Bild”-Zeitung Leute wie Roche offenbar nicht. Und so zeigen “Bild” und Bild.de heute unter der Überschrift “Charlotte Roche — Das ist ihr Feuchtgebieter” ein Foto von Roche und ihrem Ehemann.

Und die Frage unter der Überschrift (“Wie ist es, wenn deine Frau den versautesten Roman des Jahres schreibt?”) beantwortet “Bild”-Autor Daniel Cremer am Ende des Artikels wie folgt:

Der Roche-Ehemann äußerte sich auf BILD-Anfrage nicht zum Roman seiner Frau.

Aber auch eine andere Frage beantwortet der “Bild”-Artikel nicht: Mit welchem Recht die Zeitung das Foto der beiden überhaupt zeigt. Es handelt sich dabei nicht um einen öffentlichen Auftritt o.ä., sondern um eine gewöhnliche Straßenszene – und bei Roches Ehemann eigentlich bloß um ihren Ehemann. Und wie uns Roche und ihr Ehemann auf Anfrage sagen, wurde das Foto ohne ihr Wissen gemacht und ohne ihr Einverständnis veröffentlicht. Und nicht nur das: Das Paparazzi-Foto, gegen dessen Veröffentlichung nun ihr Anwalt vorgeht, ist, anders als “Bild” suggeriert, …

…schon fünf Jahre alt.

Und siehe da: Bereits damals, 2003, habe “Bild” das Foto drucken wollen und bei Roche, die (nicht zuletzt aufgrund ihrer persönlichen, schmerzhaften Erfahrungen) nie einen Hehl aus ihrer Verachtung für “Bild” gemacht hat, sogar angefragt, ob man nicht doch zusammenarbeiten wolle — “nach dem Motto: ‘Hier zeigt Charlotte Roche ihre neue Liebe'”, wie uns Roche sagt.

Doch daraus wurde damals nichts: Als Roche kein Interesse daran zeigte, ihr Privatleben in der “Bild”-Zeitung auszubreiten, sei ihr, so Roche, zwar angedroht worden, man würde das Foto trotzdem drucken. Doch nachdem anschließend ihr Anwalt “Bild” darauf hingewiesen hatte, “dass das Foto nicht veröffentlicht werden darf”, kam’s dazu nicht — jedenfalls nicht bis heute.

Wir haben bei “Bild” nachgefragt, warum man dort glaubt, das Foto nun doch abdrucken zu dürfen, bislang aber noch keine Antwort erhalten.

Turnschuh-Mata-Haris, Trojaner, Geheimer Hass im Netz

1. Der Feind in meinem Turnschuh
(zeit.de, Eike Kühl)
Die Betreiber der Fitnesstracking-App „Strava“ haben eine globale Heatmap mit Daten von User-Läufen der letzten drei Jahre veröffentlich. Was da grafisch so eindrucksvoll daherkommt, betrachten Sicherheitsforscher und Militärexperten als mögliches Sicherheitsrisiko. So hat sich Nathan Ruser, Student der Internationalen Sicherheit im australischen Canberra, die Gebiete wie Syrien, Irak und Afghanistan näher angeschaut und dabei viele Einträge entdeckt, die auf Camps von Hilfsorganisationen und bekannte und weniger bekannte Militärstützpunkte hinweisen. Doch damit nicht genug: „Schnell begannen weitere Nutzer auf Twitter, die Heatmap zu analysieren. Sie fanden einen einzelnen Radfahrer in der als Area 51 bekannten US-Air-Force-Basis in Nevada. Sie fanden Jogger in der Nähe eines Staudamms in Syrien, wo die USA mutmaßlich einen Stützpunkt aufbaut. Der Journalist Jeffrey Lewis vom Onlinemagazin The Daily Beast entdeckte Strava-Nutzer auf dem Gebiet eines lange Zeit geheim gehaltenen Raketenkommandos in Taiwan.“

2. Der geheime Hass im Netz
(faz.net, Alexander Davydov)
Hass und Hetze sind ein ernstes Problem bei Facebook, doch wenn dies öffentlich sichtbar geschieht, kann wenigstens reagiert werden: Sei es durch Gegenrede, dem Melden von Äußerungen oder gar einer Strafanzeige. Die Konsequenz daraus: Viele Rechte haben zum wechselseitigen Austausch geschlossene Facebook-Gruppen gegründet. Dort hetzen sie dann ungeniert gegen Flüchtlinge und Juden, leugnen den Holocaust, warnen vor einer „muslimischen Invasion“ oder rufen zum Mord an Politikern auf. Alexander Davydov hat sich in die Welt der Hetzgruppen begeben, in denen auch die Namen von AfD-Politikern auftauchen.

3. Pressekodex reloaded Warum der alte besser war.
(fair-radio.net, Sandra Müller)
Wann soll man die Herkunft von Tatverdächtigen nennen? Zu dieser Frage existierte im Pressekodex eine eigene Richtlinie. Danach sollten Herkunft und Nationalität von Tatverdächtigen nur genannt werden, wenn dies bei der Tat eine Rolle gespielt hat. Im Kodex-Deutsch: „wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht“. Letztes Jahr hat der Presserat diesen „Sachbezug“ gestrichen. Entscheidend ist jetzt, ob „öffentliches Interesse“ besteht. Einige JournalistInnen und WissenschaftlerInnen haben ihre Bedenken gegen die Formulierung in einem Offenen Brief geäußert. „Fair Radio“ hat daraus eine Petition bei change.org gemacht, in der die Rückkehr zur alten Fassung gefordert wird.

4. “Wenn man einen Staatstrojaner hat, dann ist alles verloren”
(deutschlandfunk.de, Stefan Koldehoff, Audio, 8:47 Minuten)
Dank „Staatstrojaner“ können heimlich Inhalte aus Mobiltelefonen oder Computern ausgelesen werden. Der „Deutschlandfunk“ hat sich mit dem freien Journalisten und Referenten für Informationsfreiheit bei den „Reportern ohne Grenzen“ Daniel Moßbrucker darüber unterhalten, was der offenbar schon stattfindende Einsatz des “Staatstrojaners” konkret für Journalistinnen und Journalisten bedeutet.

5. Solidarität mit dem Kika!
(taz.de, Jürn Kruse)
Jörn Kruse fordert in der „taz“ Solidarität mit dem Kinderkanal „Kika“. Aus einem „Kika“-Beitrag zum Thema Brüste hätten „Bild“ und „B.Z.“ eine plumpe Anti-ARD-ZDF-Kampagne gemacht: „Liebe KollegInnen, ich habe einen schlimmen, schlimmen Verdacht: Kann es sein, dass es euch gar nicht um das Wohlergehen unserer lieben kleinen Kinder geht, sondern nur darum, gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu schießen?“

6. „Goldene Blogger“: Preise für Journalist Gutjahr und Bloggerin Hingst
(tagesspiegel.de)
In Berlin wurden die besten Blogs mit dem „Goldenen Blogger“ ausgezeichnet. Jury-Mitglied Daniel Fiene: „Wenn man sich näher mit dem Netz beschäftigt, bekommt man eine Art Depression. Man hat den Eindruck, überall gibt es nur Fake News und Hate Speech. Wir zeigen, dass es auch gute Seiten gibt.“

Respekt geht anders, Fischer trennt sich von Maron, Neue BBC-Konkurrenz

1. Gabriele Krone-Schmalz im Gespräch auf der ARD-Buchmessenbühne
(youtube.com, Hessischer Rundfunk, Video: 20:47 Minuten)
In ihrem neuen Buch “Respekt geht anders” macht sich Gabriele Krone-Schmalz Gedanken über die derzeitige Streit- und Debattenkultur. Deutschland sei “im Kampfmodus”. Andersdenkende würden oftmals verunglimpft, und statt aufeinander zuzugehen, breite sich in der Öffentlichkeit ein aggressives Klima der Intoleranz aus. Auf der ARD-Buchmessenbühne unterhält sich die Radiomoderatorin Marion Kuchenny mit Krone-Schmalz darüber, wie sich zielführender und respektvoller miteinander streiten lässt.
Weiterer Lesetipp: Thematisch passend dazu, schreibt Kuchenny in einem Thread über die Debattenkultur auf Twitter: “Diese Mischung aus permanenter Aufregung, großer Empfindlichkeit bei den eigenen Themen und gleichzeitig einer kompletten Hemmungslosigkeit im unerbittlichen Umgang mit den Themen und Argumenten anderer scheint ein Markenkern dieser Plattform zu sein.”

2. Wenn Bildredaktionen und Kompetenz fehlen
(mmm.verdi.de, Felix Koltermann)
Das Netzwerk für Osteuropa-Berichterstattung n-ost ist eine internationale Nichtregierungsorganisation, die sich zum Ziel gesetzt hat, die journalistische Berichterstattung über Osteuropa zu verbessern. Der Kommunikationswissenschaftler und Journalist Felix Koltermann hat mit Stefan Günther gesprochen, der bei n-ost als Bildredakteur arbeitet. In dem Interview geht es um den fotografischen Auslandsjournalismus und die bildredaktionelle Praxis von Medien allgemein.

3. Neue Konkurrenz für die BBC
(deutschlandfunk.de, Christine Heuer, Audio: 5:20 Minuten)
Wer an das britische Fernsehen denkt, denkt zunächst vermutlich an die BBC, die mehrere Fernseh- und auch Hörfunkprogramme sowie eine Nachrichtenwebsite betreibt. Doch mit GB News und News UK stehen zwei Konkurrenten in den Startblöcken, die nicht nur für Konkurrenz, sondern auch für eine Polarisierung der britischen Medien sorgen könnten.

Bildblog unterstuetzen

4. Das sind die Podcast-Tipps im Oktober
(sueddeutsche.de, Elisa Britzelmeier & Aurelie von Blazekovic & Stefan Fischer & Marlene Knobloch & Harald Hordych)
In den Podcast-Tipps für den Oktober verraten “SZ”-Autoren und -Autorinnen ihre derzeitigen Lieblings-Hörtipps. Mit dabei: ein Nachrichtenpodcast (“0630”), die “Kohl Kids”, ein Polit-Thriller (“Der V-Komplex”), ein von Frauen präsentierter Tech-Podcast (“She Likes Tech”) und der “sportstudio-Podcast” des ZDF.

5. Zu “rechts”? Fischer-Verlag trennt sich von Autorin Monika Maron
(br.de, Peter Jungblut, Audio: 2:03 Minuten)
Nach vierzigjähriger Zusammenarbeit trennt sich der Fischer-Verlag von seiner Autorin Monika Maron. Die verlegerische Geschäftsführerin des Verlages habe sich in einer kurzen Pressemitteilung zu den Gründen geäußert: “Man kann nicht bei S. Fischer und gleichzeitig im Buchhaus Loschwitz publizieren, das mit dem Antaios Verlag kooperiert.” Anmerkung des “6 vor 9”-Kurators: Das Buchhaus Loschwitz gilt als pegida-nah, Antaios wird dem Netzwerk der Neuen Rechten zugeordnet.
Weiterer Lesehinweis: Kein Platz für Maron (sueddeutsche.de, Hilmar Klute).

6. Deswegen wurde 14 Jahre lang gebaut
(interaktiv.tagesspiegel.de)
Keine explizite Medienmeldung, aber ein tolles Beispiel für innovative Darstellungsformen im Journalismus: Der “Tagesspiegel” zeigt (wieder einmal) eindrucksvoll, wie sich eine Reportage interaktiv und multimedial aufbereiten lässt, ohne dabei in reine Technik-Spielerei abzugleiten.

Schwarzer Twitter-Freitag, Feel-Good-Movie?, “Spiegel”-Kampagne

1. Twitter beginnt heute mit Massenentlassungen
(br.de, Marcus Schuler)
Für viele der rund 7.500 Twitter-Beschäftigten dürfte der heutige Freitag ein rabenschwarzer Tag werden. Denn heute sollen sie erfahren, ob sie ihren Job verlieren oder behalten. Die Maßnahme sei notwendig, “um den Erfolg des Unternehmens auch in Zukunft sicherzustellen”, so ein firmeninternes Memo. Das Firmengebäude von Twitter am Hauptsitz in San Francisco sei heute geschlossen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien aufgefordert worden, nicht ins Büro zu kommen, die Firmenausweise hätten ihre Gültigkeit verloren.

2. “Falter” legte Hellers Anwälten die Recherchen vorab vor
(derstandard.at)
Diese Woche berichtete der österreichische “Falter” über einen Kunstskandal der besonderen Art: Eine Wiener Galerie habe einen drei Millionen Dollar teuren Rahmen des berühmten Künstlers Jean-Michel Basquiat angeboten. Bei dem Verkäufer habe es sich um den bekannten Allround-Künstler André Heller gehandelt. Doch eben jener Heller soll das angebliche Basquiat-Werk selbst zusammengebastelt haben. Nun schließt sich eine Diskussion an, ob die “Falter”-Redaktion den Anwälten Hellers im Vorfeld der Artikel-Veröffentlichung zu weit entgegengekommen ist.

3. “Bei der sechsten Mail-Anfrage kommt die Depression”
(journalist.de, Annkathrin Weis)
Larena Klöckner wusste bereits vor ihrem Einstieg in die Ausbildung zur Journalistin, dass sie Depressionen hat, und hat sich trotzdem für den Beruf entschieden. Im Interview mit dem “journalist” erzählt sie von den Auswirkungen auf ihren Arbeitsalltag und der Resonanz auf ihren Beitrag bei “Übermedien”, in dem sie erstmals von ihren Depressionen berichtet hatte.
Hinweis: Solltest Du Depressionen oder Suizid-Gedanken haben, dann gibt es Menschen, die Dir helfen können, aus dieser Krise herauszufinden. Eine erste schnelle und unkomplizierte Hilfe bekommst Du etwa bei der “TelefonSeelsorge”, die Du kostenlos per Mail, Chat oder Telefon (0800 – 111 0 111 und 0800 – 111 0 222) erreichen kannst.

Bildblog unterstuetzen

4. Himmler will 100 Millionen Euro im Programm umschichten
(dwdl.de, Alexander Krei)
ZDF-Intendant Norbert Himmler hat auf die jüngsten Äußerungen von ARD-Chef Tom Buhrow reagiert. Dieser hatte kürzlich eine Reform der Öffentlich-Rechtlichen gefordert und die Existenz der zwei Sender infrage gestellt. Beim Pressegespräch in Berlin habe es vom ZDF-Intendanten nun Contra für den ARD-Chef gegeben.

5. Ein Feel-Good-Movie für serbische Nationalisten
(hessenschau.de, Danijel Majić)
Dem serbischen Regisseur Boris Malagurski wird vorgeworfen, in seinem bisherigen Werk nationalistische Propaganda verbreitet und den Völkermord in Srebrenica verharmlost zu haben. Daher regte sich gegen seinen neuesten Film (“Republika Srpska – Kampf für die Freiheit”) Widerstand. Europweit hätten Kinos den Film aus dem Programm genommen. In Frankfurt sei er dennoch zu sehen gewesen. Danijel Majić schildert die Hintergründe und ordnet den Fall sowie Malagurskis neuen Film ein.

6. Sagen, was nicht ist
(uebermedien.de, Olivia Samnick)
Der “Spiegel” hat eine neue Werbeaktion gestartet, in der Falschausssagen plakativ hervorgehoben werden. Olivia Samnick hält diese offensichtlich provokativ gemeinte Plakatkampagne für bedenklich: “Falschaussagen wirken – auch dann, wenn man ihnen widerspricht. Sie setzen sich in unseren Köpfen fest. Fake News haben eine brachiale Kraft und sind, wenn sie einmal im Umlauf sind, kaum zu stoppen. Wie schwer sich eine Richtigstellung nach einer Falschinformation tut, sollte den meisten Medien mittlerweile bekannt sein – gerade im Social Web, wo die ‘Spiegel’-Kampagne auch ihre Kreise ziehen wird.”