KW 49/25: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Wochenendausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

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1. Wie Journalisten mit eigenen Positionen in Erscheinung treten
(deutschlandfunk.de, Sören Brinkmann, Audio: 32:04 Minuten)
Bei “Nach Redaktionsschluss”, dem Medienpodcast des Deutschlandfunk (DLF), geht es um die Frage, wie viel eigene Meinung und Haltung Journalistinnen und Journalisten zeigen dürfen und ob völlige Neutralität überhaupt möglich ist. Anhand von Beispielen erörtern DLF-Hörer Paul Stoop, Medienjournalist Steffen Grimberg und Elena Gorgis aus der DLF-Redaktion “Meinung & Diskurs”, welche Verantwortung Medienschaffende bei Äußerungen in Sozialen Netzwerken tragen und wie dies deren Glaubwürdigkeit beeinflusst.

2. Wissenschaft im Netz der Desinformation: Die Rolle von digitalen Medien und KI
(youtube.com, Ennio Brandt, Video: 22:51 Minuten)
Ennio Brandt warnt in seinem Vortrag vor den Gefahren wissenschaftsbezogener Desinformation, die zunehmend durch KI-Tools wie Deepfakes und automatisierte Textgeneratoren sowie durch populistische Akteure verbreitet werde. Er zeigt anhand von Beispielen aus Telegram-Kanälen und Social Media, wie Themenfelder wie Klimawandel oder Covid-19 gezielt mit Verschwörungsnarrativen verknüpft würden, um eine vermeintliche “Gegenwissenschaft” zu etablieren und gesellschaftliche Spaltung voranzutreiben.

3. Yasmine M’Barek & Nils Minkmar: Welche Zukunft hat Journalismus in digitalen Zeiten?
(youtube.com, Rüdiger Fries, Video: 2:07:45 Stunden)
Nils Minkmar und Yasmine M’Barek diskutieren im “Digital Fight Club” über die Bedrohung des Qualitätsjournalismus durch Algorithmen, Desinformation und eine zunehmend polarisierte Debattenkultur. Beide sind sich einig, dass unabhängige Medien nur durch eine stärkere Regulierung der Digitalkonzerne sowie die Bereitschaft der Gesellschaft, für glaubwürdige Berichterstattung zu bezahlen, eine Zukunft hätten.

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4. Die Liebe zum Spiel (mit Mara Pfeiffer)
(youtube.com, Tanjev Schultz & Markus Wolsiffer, Video: 1:12:12 Stunden)
In einer Sonderfolge ihres Podcasts “Die Medienversteher” sprechen Tanjev Schultz und Markus Wolsiffer mit der Sportjournalistin Mara Pfeiffer über deren Erfahrungen in der noch immer stark männlich dominierten Fußballbranche, in der sie sich trotz massiver Online-Anfeindungen und sexistischer Kritik einen Platz erkämpft habe. Pfeiffer versteht den Sportjournalismus weniger als reine Spielberichterstattung, sondern als Schnittstelle zu gesellschaftlichen Themen wie Rassismus, Sexismus und Demokratie.

5. Ankäufe, Video, Events: Was die ARD mit Podcasts vorhat
(laeuft-programmschau.podigee.io, Alexander Matzkeit, Audio: 32:06 Minuten)
Im Podcast “Läuft” beschreibt Leiterin Cathrin Jacob die Arbeit der neuen “Podcast-Unit” der ARD als vernetzenden “Service-Satelliten”, der durch engere Kooperation der Sender Doppelstrukturen vermeiden und hochwertigen “Hero Content” fördern solle. Angesichts eines veränderten Marktes setze die ARD verstärkt auf externe Partnerschaften und experimentiere mit Video-Podcasts.

6. Die Margen der Kunst
(youtube.com, Michael Seemann, Video: 24:47 Minuten)
Michael Seemann erklärt in seinem Vortrag, dass Macht in der Musikindustrie davon abhänge, wie schwer jemand zu ersetzen ist. Aktuell würden wenige große Musikverlage das Geschäft dominieren. Künstlerinnen und Künstler würden durch das Überangebot im Streaming und kommende KI-Konkurrenz immer austauschbarer und damit machtloser. Seemann empfiehlt den Kreativen, sich nicht auf das Urheberrecht zu verlassen, sondern sich in Gewerkschaften zu organisieren.

Preis für von der Tann, Meta sperrt Konten, Haftbefehl vor Merz

1. Nach Vorwurf der Einseitigkeit: ARD-Israel-Korrespondentin von der Tann mit Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis ausgezeichnet
(tagesspiegel.de)
Die ARD-Korrespondentinnen Sophie von der Tann und Katharina Willinger seien mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis geehrt worden. Die Verleihung sei von Protesten überschattet gewesen, die sich explizit gegen von der Tann gerichtet hätten. Diese habe die Vorwürfe einer einseitigen Gaza-Berichterstattung zurückgewiesen und dabei Unterstützung von der Organisation Reporter ohne Grenzen erhalten.

2. Meta startet mit Ausschluss von unter 16-Jährigen
(taz.de)
Ab dem 10. Dezember gelte in Australien ein striktes Social-Media-Verbot für Personen unter 16 Jahren. Der Meta-Konzern habe bereits damit begonnen, betroffene Konten von Plattformen wie Instagram und Facebook präventiv zu sperren. Ein Sprecher habe den Jugendlichen jedoch zugesichert, dass ihre Daten gespeichert und die Profile vollständig wiederhergestellt würden, sobald sie das geforderte Mindestalter erreicht haben. Das Gesetz sehe bei Zuwiderhandlung hohe Millionenstrafen für die Unternehmen vor. Es schließe auch Dienste wie TikTok oder Snapchat ein.

3. Ein Plädoyer fürs Zuhören
(verdi.de, Till Schmidt)
Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen wirbt für eine “innere Gastfreundschaft” des Zuhörens. Er unterscheidet dabei zwischen dem bloßen Verstehen, dem empathischen Verständnis und dem tatsächlichen Einverständnis als Voraussetzungen für einen echten Dialog. Pörksen kritisiert zudem einen durch Soziale Medien befeuerten “Kult der Kurzfristigkeit”. Um die Qualität des unabhängigen Journalismus langfristig zu sichern, sei neben der Regulierung der Tech-Giganten vor allem eine umfassende Bildungsanstrengung notwendig.

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4. Zentrale Kontrollinstanz für den ÖRR: Neuer Medienrat kommt nach Weimar
(flurfunk-dresden.de)
Die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten der Länder hätten beschlossen, die Geschäftsstelle des neu geschaffenen Medienrates zur Kontrolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks an der Bauhaus-Universität in Weimar anzusiedeln. Das unabhängige, sechsköpfige Expertengremium solle künftig systemübergreifend überprüfen, inwieweit ARD, ZDF und Deutschlandradio ihren im Reformstaatsvertrag definierten Auftrag erfüllen.

5. Wie mit KI-Bildern von einem Weihnachtsmarkt Unsicherheit erzeugt wird
(correctiv.org, Kimberly Nicolaus)
Ein auf TikTok und anderen Plattformen verbreitetes Sharepic, das einen idyllischen Weihnachtsmarkt von 2014 einer angeblichen Hochsicherheits-Szenerie im Jahr 2025 gegenüberstelle, sei von Faktencheckern als KI-Fälschung entlarvt worden. Sie hätten anhand typischer Fehler wie unleserlicher Polizeiaufschriften oder unlogischer Architektur nachgewiesen, dass es sich nicht um reale Orte handele. Mit dem Verweis auf das von Bundeskanzler Friedrich Merz thematisierte “Stadtbild” solle der Beitrag in Sozialen Medien gezielt Unsicherheit schüren und migrationsfeindliche Narrative bedienen.

6. Google-Trends: Netflix dominiert bei Serien, RTL bei Reality
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Laut dem Google-Jahresrückblick 2025 dominiere der Streaminganbieter Netflix das Suchinteresse der Menschen, wobei die Serie “Monster” und der deutsche Film “Babo – Die Haftbefehl-Story” die Spitzenplätze bei den Serien beziehungsweise Filmen belegt hätten. Der mediale Erfolg von “Babo” habe zudem dazu geführt, dass Rapper Haftbefehl noch vor Bundeskanzler Friedrich Merz zur meistgesuchten deutschen Persönlichkeit avanciert sei. Im Reality-Segment habe sich RTL mit dem “Dschungelcamp” als Marktführer behauptet, Amazon Prime mit “Maxton Hall” bei den Serien einen Achtungserfolg erzielt.

Kahlschlag bei RTL, Polizei behindert Presse, Wire­card-Berich­t­er­stat­tung

1. Der Deutsche Journalisten-Verband ist schockiert über die geplanten Stellenstreichungen bei RTL
(djv.de, Hendrik Zörner)
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) zeigt sich “schockiert” über den geplanten Personalabbau bei RTL, der 600 Stellen betreffen soll. “Das ist eine Katastrophe für die Kolleginnen und Kollegen bei RTL und ihren Töchtern”, so der DJV-Bundesvorsitzende Mika Beuster: “Es dürfte für die Redaktionen mindestens schwierig werden, das jetzige Niveau mit noch weniger Personal zu halten”.
Weiterer Hörtipp in eigener Sache: Bei radioeins kommentiert der “6-vor-9”-Kurator: “Hätte man sich die neunzig Millionen für Stefan Raab gespart, hätte man jedem dieser 600 Mitarbeiter ein Monatsgehalt von über 6.000 Euro zahlen können. Und zwar Monat für Monat. Volle zwei Jahre lang. Aber die Senderbosse wollten sich ja unbedingt den vermeintlichen König Midas gönnen. Nur dass der nichts mehr zu Gold macht, sondern alles in Rauch aufgehen lässt, was er anfasst.” (radioeins.de, Lorenz Meyer, Audio: 4:01 Minuten)
Weiterer Lesetipp: Auch beim österreichischen öffentlich-rechtlichen ORF herrsche Spardruck, doch die Auswirkungen sind vergleichsweise gering: Hier sollen lediglich 50 Jobs von 4.000 wegfallen und das auch nur über Nicht-Nachbesetzungen. (dwdl.de, Timo Niemeier)

2. Polizei behindert Presse bei Protesten in Gießen
(netzpolitik.org, Markus Reuter)
Bei den Protesten gegen die Gründung der AfD-Jugend in Gießen habe die Polizei die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten massiv behindert, indem sie Presseausweise ignoriert und den Zugang zu polizeilichen Maßnahmen, beispielsweise Räumungen, verwehrt habe. Betroffen gewesen seien unter anderem Reporter der “taz” sowie des Bundesverbands Freier Radios. Innerhalb der Veranstaltungshalle seien Medienschaffende durch die AfD eingeschränkt worden. Man habe deren Bewegungsfreiheit durch Wachpersonal unterbunden und den Pressebereich eingezäunt.

3. An den Online-Pranger gestellt
(taz.de, Johannes Drosdowski)
Das Weiße Haus habe auf seiner Website eine offizielle Liste eingerichtet, auf der kritische Medienschaffende wie die CBS-Chefkorrespondentin Nancy Cordes als vermeintliche “Media Offender of the Week”, also “Medientäter der Woche”, öffentlich an den Pranger gestellt würden. Cordes werde vorgeworfen, über Appelle der Demokraten an das Militär berichtet zu haben, illegale Befehle zu verweigern, was die Trump-Regierung in begleitenden Propagandavideos als aufrührerisch diffamiere. Neben dieser digitalen Hetzkampagne sehe sich die preisgekrönte Journalistin auch direkten Angriffen Donald Trumps ausgesetzt.

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4. Spiegel siegt vor BVerfG wegen Wire­card-Berich­t­er­stat­tung
(lto.de, Felix W. Zimmermann)
Das Bundesverfassungsgericht habe einem Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) München widersprochen und dem “Spiegel” in einem Rechtsstreit um die Berichterstattung über einen mutmaßlichen Wirecard-Hintermann Recht gegeben. Das Gericht habe klargestellt, dass Redaktionen bei komplexen Wirtschaftsstraftaten auch schon bei einem bloßen Anfangsverdacht identifizierend berichten dürfen. Das OLG München müsse den Fall nun neu bewerten, da es laut Bundesverfassungsgericht die Bedeutung der Meinungsfreiheit grundlegend verkannt und fälschlicherweise journalistische Rechercheergebnisse an rein strafrechtlichen Maßstäben gemessen habe.

5. “Mafia-Themen gehören in Italien zum ganz normalen journalistischen Tagesgeschäft”
(dfjv.de, Ralf Falbe)
Ralf Falbe hat mit der seit über 30 Jahren in Italien lebenden Journalistin Petra Reski gesprochen, die intensiv über die Mafia berichtet. Die italienische Mafia sei laut Reski in Deutschland längst tief verwurzelt. Deutsche Gerichte und Verlage würden die Gefahren für berichtende Journalistinnen und Journalisten oft unterschätzen oder diese im Stich lassen. In dem Interview schildert Reski auch ihre persönlichen Erfahrungen mit Drohungen und juristischen Klagen. Angesichts der prekären finanziellen Lage und einer fehlenden Rechtssicherheit rät sie Berufseinsteigern heute davon ab, sich als Freiberufler auf solch riskante Themen zu spezialisieren.

6. Wie wachsen Kinder und Jugendliche in einer mediatisierten Welt auf?
(leibniz-hbi.de, BredowCast, Audio: 42:22 Minuten)
Im “BredowCast” sprechen die Forscherinnen und Forscher Claudia Lampert, Rudolf Kammerl und Katrin Potzel über die Langzeitstudie “Connected Kids”, deren Ergebnis eine deutliche Verjüngungstendenz aufzeige, da Kinder immer früher Zugang zu Smartphones und digitalen Angeboten erhalten. Zudem konnten die Experten beobachten, dass Jugendliche bereits erste Erfahrungen mit KI-Tools wie ChatGPT sammeln und künftig vermehrt interaktives, KI-gestütztes Spielzeug in den Alltag einziehen könnte.

Schulterschluss gegen Tech-Riesen, Gnade vor Recht, Dichtung lose

1. ARD und Verleger fordern Regulierung von Tech-Riesen und KI
(dwdl.de, Uwe Mantel)
In einem gemeinsamen Appell an die Politik hätten sich die ARD und die Verlegerverbände BDZV und MVFP für eine strengere Regulierung von Tech-Monopolen und Künstlicher Intelligenz (KI) ausgesprochen. Intransparente Algorithmen und KI-Systeme würden zunehmend darüber entscheiden, welche Informationen die Menschen erreichen. Angesichts der Gefahr von Desinformation und Manipulation würden die Unterzeichner faire Rahmenbedingungen fordern. Ziel sei es, die digitale und publizistische Souveränität sowie die Auffindbarkeit journalistischer Qualitätsinhalte sicherzustellen.

2. Böh­m­er­manns Ver­wirr­spiel mit Stefan Aust bleibt ver­boten
(lto.de, Felix W. Zimmermann)
Der Bundesgerichtshof habe die Nichtzulassungsbeschwerde des ZDF im Rechtsstreit mit dem Journalisten Stefan Aust um ein satirisches Fahndungsplakat in Jan Böhmermanns “ZDF Magazin Royale” abgewiesen. Damit sei ein Urteil bestätigt worden, wonach Böhmermann Aust nicht mit dem Foto des Schauspielers Volker Bruch (in dessen Rolle als Stefan Aust im Film “Der Baader Meinhof Komplex”) darstellen dürfe. Felix W. Zimmermann kritisiert in seinem Text, dass die Entscheidung, die eine klare Erkennbarkeit von Satire in jedem Detail verlange, das gesamte künstlerische Konzept Böhmermanns bedrohe. Es sei offen, ob das ZDF wegen der grundsätzlichen Bedeutung für die Kunstfreiheit noch vor das Bundesverfassungsgericht ziehe.

3. Gnade vor Recht
(taz.de, Glafira Zhuk)
Die belarussische Journalistin Ksenia Lutskina, die für ihre journalistische Arbeit zu acht Jahren Haft verurteilt worden sei, lebe nach ihrer Begnadigung und Evakuierung heute in Berlin, kämpfe aber immer noch mit den gesundheitlichen Folgen der Haft. In dem Porträt der “taz” schildert Lutskina die brutale Festnahme im Dezember 2020, die haltlosen Vorwürfe der “Verschwörung” und die unmenschlichen Haftbedingungen in verschiedenen Gefängnissen.

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4. Verlage reagieren zurückhaltend: Verurteilter Ex-Mann von Gisèle Pelicot will Buch veröffentlichen
(tagesspiegel.de)
Der zu 20 Jahren Haft verurteilte Serienvergewaltiger Dominique Pelicot suche derzeit einen Verleger für mehrere Romane, Gedichte und eine Biografie, die er während seiner Haft verfasst habe. Laut seiner Anwältin wolle er darin seine Sicht der Dinge schildern. Dies stoße bei Verlagen bisher jedoch auf große Zurückhaltung. Im Gegensatz dazu werde seine Ex-Frau Gisèle Pelicot, die durch den Prozess zur Symbolfigur gegen sexualisierte Gewalt geworden sei, ihre Memoiren im Februar 2026 weltweit in 20 Sprachen veröffentlichen.

5. Fakten, Fame und Follower
(verdi.de, Bärbel Röben)
Medienexperten würden kritisieren, dass selbst öffentlich-rechtliche Formate wie “Funk” zunehmend auf fragwürdige Methoden wie “Truth Baiting” zurückgreifen, um auf den von Algorithmen dominierten Plattformen Reichweite zu erzielen. Da Soziale Medien inzwischen die Hauptinformationsquelle für junge Menschen seien, verlören Journalistinnen und Journalisten ihre Gatekeeper-Rolle an Influencer. Fachleute würden daher eine strengere Regulierung der Tech-Plattformen sowie eine gezielte Unterstützung demokratischer “Newsfluencer” fordern.

6. Was sich reimt, ist niemals ungereimt
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Stefan Niggemeier betrachtet in seinem “Notizblog” die lyrischen Ambitionen des ehemaligen SWR-Intendanten Peter Voß, der in einem Branchen-Newsletter das politische Geschehen wöchentlich in Reimform kommentiere. Die lyrischen Ergüsse würden inhaltlich von Rentenpolitik bis zur “Woke-Schelte” reichen und stellenweise sogar rassistische Klischees bedienen. Zum Schluss bietet Niggemeier zwei Möglichkeiten an: Entweder man interpretiere gemeinsam die Voß-Gedichte, “oder wir versuchen einfach wieder zu vergessen, dass er Woche für Woche in einem Newsletter Gedichte schreibt.”

Versuchte Einschüchterung, RTL baut ab, Attentat auf Maus

1. RSF kritisiert Einschüchterungsversuche gegen Sophie von der Tann und weitere Journalist*innen
(reporter-ohne-grenzen.de)
Die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) zeigt sich solidarisch mit der ARD-Korrespondentin Sophie von der Tann und übt scharfe Kritik an Vertretern des israelischen Staates, die versuchen würden, Journalistinnen und Journalisten durch gezielte persönliche Angriffe in Sozialen Netzwerken einzuschüchtern. “Selbstverständlich soll und darf journalistische Arbeit sachlich kritisiert werden. Wenn jedoch offizielle Vertreter*innen eines Staates ihre Rolle, ihre Reichweite und ihren Einfluss dazu nutzen, einzelne Medienschaffende namentlich zu diffamieren, überschreiten sie eine Grenze”, so RSF-Geschäftsführerin Anja Osterhaus.

2. RTL Deutschland baut Stellen im höheren dreistelligen Bereich ab
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
Nach Informationen des Medienmagazins “DWDL” plane RTL Deutschland den größten Stellenabbau der Unternehmensgeschichte. Aufgrund des anhaltend schwierigen Werbemarktes und der Transformation hin zum Streaming seien voraussichtlich mehr als 600 Arbeitsplätze von der Maßnahme betroffen. Da auch ganze Geschäftsbereiche abgewickelt werden könnten, würden trotz der Einigung mit dem Betriebsrat betriebsbedingte Kündigungen drohen.

3. Harald Martenstein ersetzt toten Franz Josef Wagner
(taz.de)
Nach dem Tod von Franz Josef Wagner werde Harald Martenstein ab Februar dessen täglichen Kolumnenplatz in der “Bild”-Zeitung übernehmen. Unter dem Titel “Mail von Martenstein” solle das neue Format künftig montags bis freitags erscheinen. Seine bestehende Kolumne in der “Welt am Sonntag” werde er parallel fortführen. Martenstein selbst habe angekündigt, er wolle versuchen, auf seine eigene Art “völlig verrückt” zu sein.
Anmerkung des “6-vor-9”-Kurators: Damit endet laut der “Zeit”-Chefredakteure Giovanni di Lorenzo und Jochen Wegner auch Harald Martensteins Tätigkeit für die “Zeit”: “Harald Martenstein ist eine Säule des ZEITmagazins und einer der bekanntesten Autoren der @zeit. Nach 24 gemeinsamen Jahren sind wir über seinen Wechsel zur BILD-Zeitung mehr als traurig, aber auch dankbar für das, was er geleistet hat.” (Wegners Facebook-Post ist nur für Personen freigeschaltet, die dort mit ihm befreundet sind.)
Und ein Hinweis in eigener Sache: Vor ein paar Jahren hat der “6-vor-9”-Kurator im Rahmen eines Promi-Weihnachtskalenders die Weihnachtsgeschichte im Stil von Harald Martenstein geschrieben: “Nennen Sie mich altmodisch, aber für mich ist es keine Familie, wenn die Mutter eines Kindes eine Pipette oder der Vater ein ‘Heiliger Geist’ ist.” (uebermedien.de, Lorenz Meyer)

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4. Digitale Mobilität als Machtfaktor
(verdi.de, Bärbel Röben)
Auf der Tagung “Gender, Macht & Mobilität” hätten Medienforscherinnen und -forscher darüber diskutiert, wie mobile Technologien über Sichtbarkeit entscheiden und dabei Macht- sowie Geschlechterverhältnisse im digitalen Raum neu aushandeln. Die Beiträge hätten verdeutlicht, dass Plattformen zwar marginalisierten Gruppen wie Migranten oder Feministinnen wichtige Räume für ein Empowerment böten, diese jedoch oft durch algorithmische Unsichtbarkeit oder Überwachung bedroht seien. Umgekehrt sei analysiert worden, wie rechtsextreme Akteure gezielt Künstliche Intelligenz und traditionelle Frauenbilder nutzen würden, um ihre Ideologie im Mainstream zu normalisieren.

5. Sieben stolze Preisträgerinnen und Preisträger: Jugendredaktion Salon5 zeichnet die beliebtesten Jugendbücher aus
(correctiv.org)
Die Jugendredaktion “Salon5” habe sieben Jugendbücher ausgezeichnet, die zuvor von einer jungen Jury in Kategorien wie “Aktivismus”, “Humor” oder “Gefühle” ausgewählt worden seien. Ziel des Preises sei es, die echten Leseinteressen der jungen Generation in den Fokus zu rücken und deren Engagement zu würdigen: “Für den Salon5-Jugendbuchpreis reichen Jugendliche aus ganz Deutschland die Bücher ein, die ihnen wirklich gefallen. Diese liest die Jury, die aus 13- bis 19-Jährigen besteht, und wählt in einem intensiven Prozess die Bücher aus, die in verschiedenen Kategorien ausgezeichnet werden.”

6. Der Elefant war es nicht
(spiegel.de)
Nach der Veröffentlichung von Fahndungsfotos zum Brandanschlag auf die Maus-Statue vor dem WDR-Gebäude seien bei der Kölner Polizei am Wochenende erste Hinweise eingegangen. Gesucht werde ein Unbekannter, der im Juli über eine Stunde lang versucht habe, die beliebte Figur in Brand zu setzen, bevor er auf einem Fahrrad vom Tatort geflüchtet sei. Die durch das Feuer beschädigte Figur stehe nach einer umfassenden Reparatur inzwischen wieder an ihrem angestammten Platz.

ARD streicht Programm, Junger Journalismus, Wandel in Polen

1. Wegen Reformstaatsvertrag: ARD reduziert Radiosender und Onlinetexte
(tagesspiegel.de)
Aufgrund des neuen Reformstaatsvertrags streiche die ARD zahlreiche Radiosender wie “BR Schlager” oder “MDR Klassik”. So solle die festgesetzte Obergrenze von 53 Programmen eingehalten werden. Auch im Internet gälten bald strengere Regeln: Bei tagesschau.de und in der “Tagesschau”-App müssten Texte künftig deutlich hinter Audio- und Videoinhalten zurückstehen. Der Senderverbund befürchte, dass diese Einschränkungen zu einem Verlust an Schnelligkeit und einer geringeren Reichweite in Suchmaschinen führen werden.

2. Zwischen Einfluss und Reform: Zwei Jahre medienpolitischer Wandel in Polen aus der Perspektive junger Medienschaffender
(de.ejo-online.eu, Ilka Gartner)
Zwei Jahre nach dem Regierungswechsel in Polen habe sich die Situation der Pressefreiheit zwar verbessert, doch der öffentlich-rechtliche Rundfunk bleibe ein politisch umkämpftes Feld. Junge Medienschaffende würden die Reformen als Neustart begrüßen, jedoch wegen fehlender rechtlicher Absicherung und der Sorge vor erneuter politischer Einflussnahme skeptisch in die Zukunft blicken. Die jüngere Generation ziehe ihre Informationen zunehmend aus Sozialen Netzwerken statt aus dem Fernsehen.

3. Pressefreiheitspreis 2025 geht an Koelbl und Ronzheimer
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Der “Medienverband der freien Presse” habe die “Spiegel”-Korrespondentin Susanne Koelbl und den stellvertretenden “Bild”-Chefredakteur Paul Ronzheimer für ihre “herausragende Auslands-, Kriegs- und Krisenberichterstattung” mit dem Pressefreiheitspreis 2025 ausgezeichnet. Die mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung würdige den Mut der beiden, die Weltöffentlichkeit unabhängig und direkt vor Ort über komplexe Konflikte zu informieren.

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4. Ein Funken Hoffnung für die Pressefreiheit
(taz.de, Mirco Keilberth)
Die bekannte tunesische Anwältin und TV-Kommentatorin Sonia Dahmani sei überraschend vorzeitig aus der Haft entlassen worden, nachdem sie wegen einer regierungskritischen Äußerung verurteilt worden war. Ihr Fall gelte als Symbol für die Unterdrückung der Meinungsfreiheit in Tunesien durch eine umstrittene Gesetzesvorschrift, die im Land oft gegen Journalisten und Kritiker eingesetzt werde. Beobachter würden Dahmanis Freilassung als vorsichtigen Hoffnungsschimmer für die Zivilgesellschaft und Pressefreiheit in Tunesien werten.

5. Newsletter Netzwerk Recherche 251 vom 28.11.2025
(netzwerkrecherche.org, Greta Linde & Margherita Bettoni)
Wie immer eine Empfehlung wert, nicht nur für investigativ arbeitende Journalistinnen und Journalisten: der Newsletter des Netzwerk Recherche. Die aktuelle Ausgabe beginnt mit einigen Worten von Margherita Bettoni, die an Kolleginnen und Kollegen appelliert, öfter über geschlechtsspezifische Gewalt und Femizide zu berichten. Darüber hinaus gibt es einen Überblick über medienrelevante Nachrichten, Veranstaltungen, Preise und Stipendien.

6. Junger Journalismus: Lernen, vernetzen und schützen
(verdi.de, Linda Niedermüller)
Bei der “YouMeCon” in Dresden hätten junge Medienschaffende durch Redaktionsbesuche und Workshops praktische Erfahrungen in Recherche, Interviewführung und Investigativjournalismus gesammelt. Neben dem Handwerk habe bei der Veranstaltung die Verteidigung der Pressefreiheit im Mittelpunkt gestanden. Linda Niedermüller fasst zusammen, was dort noch alles passiert ist.

KW 48/25: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Wochenendausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

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1. Wo stehen Lokalmedien?
(deutschlandfunk.de, Sascha Wandhöfer, Audio: 35:05 Minuten)
Im Deutschlandfunk-Podcast “Nach Redaktionsschluss” geht es um die Zwickmühle des deutschen Lokaljournalismus: Während eine aktuelle Studie dessen Rolle als unverzichtbaren “Pfeiler der Demokratie” hervorhebt, kämpfen viele Häuser ums wirtschaftliche Überleben. Über diesen Spagat zwischen gesellschaftlicher Relevanz und finanziellem Mangel sprechen “MOZ”-Chefredakteur Claus Liesegang, Ralf Heimann vom Projekt “RUMS” und die Medienforscherin Leyla Dogruel.
Transparenzhinweis: Ralf Heimann hat auch schon für das BILDblog geschrieben, unter anderem die achtteilige Serie “Kleine Wissenschaft des Fehlers”.

2. Peinlich, peinlicher, ARD – Wie der ÖRR Boateng reinwaschen will
(youtube.com, Sashka, Video: 17:26 Minuten)
Sashka kritisiert in ihrem Video, dass die dreiteilige ARD-Dokuserie “Being Jérôme Boateng” wie eine reine Image-Kampagne wirke, die den durch Skandale beschädigten Ruf des ehemaligen Fußballspielers auf Kosten der Gebührenzahler aufpoliere. Statt die schweren Vorwürfe gegen ihn sachlich aufzuarbeiten, biete die Serie Boateng eine unkritische Plattform. Die Perspektiven der betroffenen Frauen und die Machtdynamiken würden weitgehend ausgeblendet.
Weiterer Lesetipp aus dem Archiv: Siehe auch unsere Berichterstattung: Die “Bild”-Redaktion hat vergessen, wie “SCHMUTZIG” sie berichtet hat (bildblog.de, Moritz Tschermak).

3. Wie erklärt man seinen Lesern, dass das Privatleben von Konstantin Wecker die Öffentlichkeit etwas angeht?
(uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 32:49 Minuten)
Die “Süddeutsche Zeitung” (“SZ”) hat eine große Recherche über Konstantin Wecker veröffentlicht (nur mit Abo lesbar), in der es um die Beziehung des Musikers zu einer Minderjährigen geht. Holger Klein spricht mit “SZ”-Investigativchef Ralf Wiegand über die Recherche, für die es auch Kritik gebe: “Wie geht die Redaktion mit der Kritik um? Wieso hat sich die ‘Süddeutsche’ entschieden, die Geschichte – auch in dieser Detailtiefe – zu erzählen? Und was unterscheidet diesen Fall von anderen MeToo-Recherchen?”

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4. Brandon Q. Morris, wie verkauft man zwei Millionen Bücher?
(zeit.de, Jochen Wegner & Christoph Amend, Audio: 5:21:02 Stunden)
Im Podcast “Alles gesagt?” bestimmen nicht die Moderatoren Jochen Wegner und Christoph Amend das Ende, sondern allein der Gast. Diesmal nutzte Matthias Matting diese Freiheit für ein über fünfstündiges Gespräch: Der Physiker und Autor, auch bekannt unter seinem Pseudonym Brandon Q. Morris, verrät sein Arbeits- und Geschäftsmodell hinter zwei Millionen verkauften Büchern, spricht über die Unmöglichkeit des Beamens und blickt auf die Anfänge des Internets sowie auf seine Jugend in der DDR zurück.

5. Wie schützen wir die Demokratie vor Tech Bros und KI?
(wind-und-wurzeln.podigee.io, Marina Weisband, Audio: 45:09 Minuten)
Künstliche Intelligenz könnte viele Berufe obsolet machen. Besonders bitter: Die Systeme lernen mit den Werken von Journalisten, Musikerinnen und Künstlern, die sich nun plötzlich in Konkurrenz zur Maschine befinden und von dieser möglicherweise verdrängt werden. In der neuen Ausgabe von “Wind und Wurzeln” analysiert Marina Weisband diesen gigantischen Werttransfer weg von der Gesellschaft hin zu wenigen Konzernen.

6. Der Absturz von Dieter Bohlen
(youtube.com, Mats Schönauer, Video: 26:46 Minuten)
In seinem neuesten Video macht Mats Schönauer dem Musikproduzenten und “Pop-Titan” Dieter Bohlen schwere Vorwürfe: Bohlen schüre gemeinsam mit dem Goldhändler Dominik Kettner gezielt Panik vor einem angeblichen Wirtschaftskollaps, um daraus Profit zu schlagen. Außerdem verbreite er rechtspopulistische Narrative und Falschinformationen, um Kettners Gold-Produkte als vermeintlich einzige Rettung vor Enteignungen zu bewerben.
Transparenzhinweis: Mats Schönauer ist ehemaliger Leiter des BILDblog und Co-Autor des BILDblog-Buchs “Ohne Rücksicht auf Verluste. Wie BILD mit Angst und Hass die Gesellschaft spaltet”.

Gedrosseltes “Nius”, Libertarismus und Neue Rechte, Ständig überlastet

1. Ei­ne*r von vier hält Berichterstattung für ausgewogen
(taz.de)
Laut einer aktuellen Studie der Ludwig-Maximilians-Universität München halte nur gut ein Viertel der Menschen in Deutschland die mediale Berichterstattung über den Nahost-Krieg für ausgewogen. 30 Prozent nähmen eine Schlagseite zugunsten Israels und lediglich neun Prozent eine Bevorzugung der palästinensischen Seite wahr. 35 Prozent der Befragten hätten sich kein Urteil zugetraut. Die Einschätzung hänge dabei stark von der eigenen Positionierung ab.

2. Reichweiten-Probleme: Wie Nius die Drosselung auf TikTok umgeht
(dwdl.de, Simon Pycha)
Nach wiederholten Sperren und einem mutmaßlichen Shadowban des Hauptaccounts setze das rechtspopulistische Portal “Nius” auf TikTok nun verstärkt auf dezentrale Personenmarken, um die Reichweitenbeschränkungen zu umgehen. Die Strategie gehe auf, da die Kanäle einzelner Hosts als sogenannte Newsfluencer deutlich höhere Abrufzahlen erzielen würden und nicht von den Sanktionen gegen die Dachmarke betroffen seien. Gleichzeitig bewege sich das Vorgehen in einer rechtlichen Grauzone.
Weiterer Lesetipp: NDR-Tochter lässt Nius wie echtes Fernsehen aussehen: “Die NDR-Tochterfirma Studio Hamburg hat Teile des Sets und Sofas für das rechtspopulistische Medium Nius gebaut. Hoppla!” (taz.de, Amira Klute)

3. Wie vernetzt sind Libertarismus und Neue Rechte?
(tagesschau.de, Karin König)
Eine aktuelle Analyse des CeMAS komme zu dem Ergebnis, dass sich auf der Plattform X signifikante ideologische und strukturelle Überschneidungen zwischen dem libertären Milieu und der extremen Rechten zeigen. Die Forscher würden davor warnen, dass libertäre Themen als harmlos wirkender Deckmantel dienen könnten, unter dem rechtsextreme Inhalte in neue Zielgruppen einsickern, etwa über Finanz-Podcasts.

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4. Ständig überlastet: So entkommen Medienprofis der Ressourcenfalle
(kress.de, Attila Albert)
Viele Medienschaffende würden unter chronischer Überlastung leiden, deren Ursachen oft in mangelnder Ressourcenausstattung, schlechter Organisation oder fehlender Abgrenzung zu finden seien. Als Gegenstrategie empfiehlt Attila Albert eine strikte Priorisierung der Kernaufgaben im Dialog mit Vorgesetzten, das Delegieren von Tätigkeiten sowie das Einkalkulieren realistischer Zeitpuffer.

5. Es gibt keine künstliche Intelligenz!
(npj.news, Stephan Weichert)
Der Medienwissenschaftler Stephan Weichert warnt vor der vom Silicon Valley propagierten Verschmelzung von Mensch und Maschine. Dabei handele es sich vor allem um ein aggressives Geschäftsmodell, das journalistische Inhalte ausbeute und durch die Verdrängung klassischer Nachrichtenquellen die Demokratie gefährde. Angesichts der wachsenden Dominanz von Algorithmen müssten Redaktionen seiner Meinung nach eine “KI-Resilienz” entwickeln.

6. “Ich wollte radikal ehrlich sein”
(uebermedien.de, Annika Schneider, Audio: 44:15 Minuten)
“Warum tun sich Redaktionen oft so schwer damit, Fehler einzuräumen? Und bei Kritik auch mal zu sagen: Sorry, das ist nicht optimal gelaufen?” Im “Übermedien”-Podcast “Nice & Nötig” unterhält sich Annika Schneider mit dem Wirtschaftsjournalisten Felix Rohrbeck über den Umgang mit Fehlern. Dabei geht es “nicht um Rechtschreibfehler oder falsche Jahreszahlen, sondern um größere Schnitzer im Journalismus: Unausgewogenheit, Voreingenommenheit, Falschinformationen – und wie ein selbstkritischer Umgang damit aussehen könnte.”

Kulturabbauministerium, Trump und die Medien, “Gefährlichste Straßen”

1. Das Kulturabbauministerium
(taz.de, Georg Seeßlen)
Die aktuelle Kritik an Kultur- und Medienstaatsminister Wolfram Weimer wegen dessen geschäftlicher Verflechtungen verstelle den Blick auf das gravierendere Problem, schreibt Georg Seeßlen in seiner “taz”-Kolumne: eine gezielte Politik des Kulturabbaus. Anstatt die Unabhängigkeit der Kunst zu schützen, betreibe Weimer eine neoliberale Kommerzialisierung und nehme zunehmend direkten Einfluss auf Inhalte. Dies zeige sich unter anderem in der Verdoppelung der Förderung für den rechtskonservativen Thinktank “Republik21” bei gleichzeitigem Spardruck auf andere Projekte. Der Angriff auf die freie Kulturlandschaft leite letztlich den Abbau der Demokratie selbst ein, so Seeßlen.

2. Diese Journalistin bietet Trump die Stirn
(youtube.com, Daniel Bröckerhoff, Video: 7:12 Minuten)
Das NDR-Medienmagazin “Zapp” thematisiert den offenen Angriff von US-Präsident Donald Trump auf die ABC-Korrespondentin Mary Bruce. Trump habe sie nach einer kritischen Frage an den saudischen Kronprinzen zum ermordeten “Washington-Post”-Journalisten Jamal Khashoggi beschimpft und ihren Sender bedroht. “Zapp” zieht das Fazit, dass Trumps Umgang mit Medien zunehmend autokratische Züge annehme. In den USA erfordere kritischer Journalismus inzwischen enormen Mut und starke Nerven.
Zusätzlicher Hörtipp in eigener Sache: Bei radioeins kommentiert der “6-vor-9”-Kurator die jüngste Attacke Trumps auf eine Reporterin: “Der mächtigste Mann der Welt nennt eine Journalistin ‘Schweinchen’. Alle schweigen, und das Protokoll verschweigt es. Wenn Journalismus sich so disziplinieren lässt, ist er kein Wachhund mehr, sondern ein Schoßhund.” (radioeins.de, Lorenz Meyer, Audio: 4:08 Minuten)

3. Wenn die bürgerliche Mitte mit Neonazis paktiert
(blog.campact.de, Matthias Meisner)
Nach dem Abschied von Langzeit-Präsident Thomas Krüger sehe sich der designierte Nachfolger an der Spitze der Bundeszentrale für politische Bildung, der SPD-Politiker Sönke Rix, bereits vor Amtsantritt einer Kampagne konservativer und rechter Medien ausgesetzt. Matthias Meisner warnt in diesem Zusammenhang vor einer zunehmenden Diskursverschiebung. Selbst etablierte Medien wie der “Tagesspiegel”, die “Berliner Zeitung” oder der öffentlich-rechtliche MDR würden durch unkritische Berichterstattung die Grenzen nach Rechtsaußen verschwimmen lassen.

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4. Die “gefährlichsten Straßen Deutschlands”
(rwi-essen.de)
Die Autorinnen und Autoren der “Unstatistik des Monats” kritisieren Medienberichte über eine Allianz-Studie zu den vermeintlich gefährlichsten Straßen Deutschlands. Dort werde systematisch absolutes Verkehrsaufkommen mit tatsächlichem Unfallrisiko verwechselt. Die Einstufung von Nordrhein-Westfalen und Bayern als besonders gefährlich sei ein logischer Fehlschluss, da ohne Bezugsgrößen wie gefahrene Kilometer lediglich die hohe Verkehrsdichte abgebildet werde, nicht jedoch die echte Gefährdungslage.

5. Grokipedia: Musks Angriff auf die Wahrheit
(verdi.de, Lorenz Matzat)
Aus Frust über eine angebliche “Wokepedia” habe Elon Musk mit seiner “Grokipedia” eine KI-basierte Alternative lanciert, die laut ersten Studien gezielt “alternative Fakten” und geschönte Darstellungen rechter Akteure präsentiere. Dieses Vorgehen folge der Desinformationsstrategie Steve Bannons, Kommunikationsräume global zu beeinflussen. Als Gegenmaßnahmen schlügen Experten vor, “Grokipedia”-Inhalte konsequent aus den Trainingsdaten anderer KI-Modelle auszuschließen.

6. Was die Podcast-Branche 2025 bewegt
(blog.medientage.de, Petra Schwegler)
Auf der Fachkonferenz “So Many Voices” hat die Podcast-Szene ihre Erfahrungen ausgetauscht. Der zunehmenden Professionalisierung und drohenden Austauschbarkeit durch Künstliche Intelligenz müsse mit mutigen Experimenten und Authentizität begegnet werden. Trotz der Dominanz von Formaten mit Prominenten und Algorithmen böten Nischen oder hyperlokale Inhalte weiterhin Chancen für Relevanz.

Druck auf EU wächst, Debatte um Social-Media-Verbot, Letzte Rettung?

1. Der Druck auf die EU wächst: Trump greift die freie Presse an
(tagesspiegel.de, Jens Münchrath & Jakob Hanke Vela)
US-Präsident Donald Trump verschärfe in seiner zweiten Amtszeit den Kampf gegen die freie Presse durch Milliardenklagen, Lizenzentzugsdrohungen und die gezielte Drangsalierung von Journalistinnen und Journalisten. Mithilfe verbündeter Tech-Milliardäre treibe er gleichzeitig die Übernahme von Medienplattformen wie TikTok und CNN voran, um die öffentliche Meinung kontrollieren zu können. Die EU-Kommission sei alarmiert und prüfe, wie man die unheilvolle Entwicklung aufhalten könne.

2. DW-Belegschaft protestiert gegen Etat-Kürzungen
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Vor der endgültigen Verabschiedung des Bundeshaushalts 2026 würden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Deutschen Welle (DW) sowie die Gewerkschaft Verdi gegen die vom Haushaltsausschuss geplante Kürzung des DW-Etats um zehn Millionen Euro protestieren. Intendantin Barbara Massing und Aufsichtsgremien hätten die Sparpläne angesichts der globalen Bedeutung freier Informationen scharf als “völlig falsches Signal” kritisiert.

3. Ein Alibi für Pornografie?
(kulturundkontroverse859.substack.com, Johannes Franzen)
Johannes Franzen schreibt, dass True-Crime-Magazine versuchen würden, reine Sensationslust durch eine edle Aufmachung und einen seriösen journalistischen Anstrich kulturell aufzuwerten. Die Zeitschriften würden dabei informative Begleittexte und Experteninterviews lediglich als ethisches Alibi nutzen. Es ginge vor allem darum, den eigentlichen voyeuristischen Konsum spannender Gewaltverbrechen zu rechtfertigen. Das Genre sei eine Mischung aus Kitsch und Pornografie, die echtes menschliches Leid unter dem Deckmantel des Qualitätsjournalismus ausschlachte.

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4. Social Media: Verbote sind nur die “Ultima ratio”
(medientage.de, Bettina Pregel)
“Wo verläuft die Grenze zwischen Schutz und Freiheit? Und wie sinnvoll und durchsetzbar ist ein Verbot?” Bei den 21. Augsburger Mediengesprächen habe es eine kontroverse Debatte über mögliche Altersgrenzen für die Social-Media-Nutzung gegeben. Bettina Pregel fasst die Argumentationslinien zusammen.

5. Neue Gesichter im RBB-Verwaltungsrat
(verdi.de, Volker Nünning)
Am kommenden Donnerstag wähle der RBB-Rundfunkrat sieben sachverständige Mitglieder für die ab 2026 beginnende Amtsperiode in den Verwaltungsrat, wofür aus ursprünglich 71 Bewerbungen 13 Kandidatinnen und Kandidaten vorgeschlagen worden seien. Mit der Neuaufstellung erhalte das Gremium künftig erweiterte Befugnisse und eine feste Vergütung, müsse sich aber auch auf verschärfte Haftungsregeln mit finanziellem Selbstbehalt einstellen.

6. Bulo’s Beobachtungen: Mit Gemini 3 ist dann alles vorbei.
(turi2.de, Bulo)
In seiner Kolumne sieht “Publikaturist” und Agentur-Kreativchef Peter “Bulo” Böhling angesichts des rasanten Fortschritts der KI, insbesondere des neuen Gemini-Modells von Google, nur noch einen Weg: “Entertainment! Künstliche Intelligenz kann alles lernen, aber den subtilen, schwarzen Humor, den die Leser so lieben, wird sie nie verstehen. Also, investieren Sie in Satire, Comedy, Kabarett, Kinos, Filme, Sender, Bewegtbilder, Infotainment, Karikaturen, Kultur … und vielleicht auch in einen Schimpfwort-Kurs für Führungskräfte! Klingt lustig, ist aber kein Scherz.”

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PR für Scientology (II)

Heute ist der letzte Teil einer “Bild”-Serie von Norbert Körzdörfer über Tom Cruise erschienen. Mit grenzenloser Bewunderung hat der “Bild”-Reporter drei Tage nacheinander jeweils ganzseitig vor allem immer wieder eines beschrieben: Wie der Schauspieler es geschafft hat, “von ganz unten nach ganz oben” zu kommen.

An einer Stelle lässt Körzdörfer Cruise erklären, was seinem Leben die entscheidende Wendung gegeben hat:

“Erst ein Lerntechnik-Buch von Ron Hubbard († 1986, Gründer von ‘Scientology’, die in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet wird) hat aus mir einen neuen Menschen gemacht! Sonst wäre ich nicht das, was ich heute bin… Alle fragen: ‘Wie hast du das geschafft?’ So! Lernen, lernen, lernen! Soll ich lügen?”

Es gibt in den vielen Hundert Zeilen der Serie keine einzige Stelle, an der Körzdörfer den Hauch eines Zweifels erkennen lässt an dem Weg, den Tom Cruise gegangen ist, keine Nachfrage, keine Distanz. Im Gegenteil. Bevor Körzdörfer sich von Cruise verabschiedet (“Wir umarmen uns. Wir lassen uns los. Wir gehen unsere Wege”), urteilt er:

Tom steht zu dem Weg, den er gegangen ist. Er lügt nicht. Er verbirgt nichts.

Körzdörfers Bewunderung beschränkt sich nicht auf den Hollywood-Star Cruise, sie bezieht sich auf den ganzen Menschen, den er als in jeder Hinsicht bewundernswert beschreibt. Wer alle Teile der Serie liest, muss zu dem Schluss kommen, dass das Erfolgsgeheimnis von Cruise Scientology ist. Nur an zwei Stellen erwähnt Körzdörfer den Namen dieser Organisation — beide Male im denkbar positivsten Zusammenhang. Der eine Satz ist der oben zitierte. Darin bleibt die Beobachtung durch den Verfassungsschutz nicht nur unerklärt; der Hinweis darauf wird auch so versteckt, dass er die Botschaft kaum verstellt: “[Die Scientology-Methode] … hat aus mir einen neuen Menschen gemacht”. Der zweite Satz lautet so:

Er kämpft als Vater, Star – und “Scientologe” – gegen Psychopillen für Schüler, gegen Drogen, gegen Kriminalität!

Scientologen, so vermittelt Körzdörfer in “Bild”, werden aus unerfindlichen Gründen vom deutschen Verfassungsschutz beobachtet, dabei machen sie aus erfolglosen Menschen erfolgreiche Menschen und kämpfen gegen das Böse in der Welt.

Wenn Scientology für viel Geld einen Artikel in Auftrag gegeben hätte, der das Wirken und Wesen der Organisation in einem grenzenlos positiven Licht zeigen soll — er hätte nicht besser ausfallen können als diese “Bild”-Serie.

Cruise selbst mischt konsequent Werbung für seinen neuen Film mit Werbung für Scientology. Laut “Berliner Zeitung” bestand er beim Dreh darauf, ein Scientology-Info-Zelt aufstellen zu lassen; “beinah alle Journalisten, die ein Interview mit ihm führen wollten, [mussten] erst eine vierstündige Besichtigungstour durchs Scientology-Quartier bewältigen.” Während der Europapremiere in Berlin wurde “auf der anderen Straßenseite derweil an einem Stand Werbung für Schriften des Scientology-Gründers L. Ron Hubbard gemacht”, schreibt die “Berliner Morgenpost”. Welche Bedeutung die Organisation für sein Leben hat, geht auch aus einem erstaunlichen Interview im aktuellen “Focus” hervor.

Am Montag, als der erste Teil der Serie mit einer fast werblichen Beschreibung der Arbeit der umstrittenen Scientology-Organisation “Narconon” erschien, haben wir “Bild”-Sprecher Tobias Fröhlich telefonisch und in zwei E-Mails um eine Stellungnahme gebeten. Wir schilderten den Fall und stellten folgende Fragen:

  • Warum wirbt “Bild” für Scientology?
  • Warum verschweigt “Bild” die Gefahren von Narconon?
  • Hält “Bild” Scientology für eine unbedenkliche Organisation?
  • Hält “Bild” Narconon für ein unbedenkliches Verfahren?
  • Was antwortet “Bild” dem naheliegenden Vorwurf, sich für einen “Exklusiv”-Besuch bei Tom Cruise für Scientology-PR missbrauchen zu lassen?

“Bild” hat darauf nicht geanwortet.

Wogegen sich Kai Diekmann wehrt III

“Bild”-Chef Kai Diekmann, der ja bekanntlich eine gewisse Art von Gegendarstellungen “gerne” drucke, “weil sie zeigen, wie hier das Recht der Gegendarstellung im Kern mißbraucht wird”, hat mal wieder eine Gegendarstellung durchgesetzt. Diesmal gegenüber der “Berliner Zeitung”.

In deren Silvesterausgabe hatten Mitarbeiter des Blattes notiert, was ihnen 2005 in den Medien gefiel und was nicht. Ein Beitrag war von Christoph Schultheis, einem der Betreiber dieser Seite. Seine persönlichen Plus-Punkte des Jahres gingen so:

Matthias Reim (Sänger), Claudia Roth (Politikerin), Anke Engelke (Entertainerin), Alexandra Neldel (Schauspielerin), José Manuel Barroso (EU-Kommission) und Steffi (16). Sie konnten sich erfolgreich gegen falsche Behauptungen der Bild-Zeitung wehren. Ihre Gegendarstellungen endeten mit dem kleinlauten Eingeständnis der Redaktion, dass das, was “Bild” berichtet hatte, nicht stimmte.

Gegen diesen Text hat Diekmann eine Gegendarstellung erwirkt. Er stellt darin fest:

Die Gegendarstellung von Alexandra Neldel haben wir ohne eine derartige Erklärung abgedruckt.

Diekmann hat Recht — wenn man unter “wir” ausschließlich die gedruckte “Bild”-Zeitung versteht. Der Online-Auftritt von “Bild” dagegen hat sehr wohl eine derartige Erklärung abgedruckt. Nur die Papier-“Bild” hat es nicht getan. Sie hat es unterlassen, ihre Leser darüber zu informieren, dass ein Zitat, das ihre Kolumnistin Christiane Hoffmann der Schauspielerin Alexandra Neldel untergeschoben hat, tatsächlich frei erfunden war.

Kai Diekmann hat also eine Gegendarstellung durchgesetzt, damit niemand fälschlicherweise annimmt, er habe eine von seiner Zeitung verbreitete Lüge über Alexandra Neldel in seiner Zeitung korrigiert. Das muss ihm wichtig gewesen sein.

Nachtrag, 30. Januar: Die Gegendarstellung ist bislang nur online erschienen. In der gedruckten Ausgabe der “Berliner Zeitung” soll sie voraussichtlich am Mittwoch stehen.

“Bild”-Leserreporter wider Willen

“Mich interessiert ja überhaupt nicht, woher eine Geschichte kommt, sondern wie gut eine Geschichte ist.”

“Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann über Leserreporter

Die Geschichte, dass Torwart Jens Lehmann gelegentlich mit dem Hubschrauber von seinem Wohnsitz, dem Örtchen Berg am Starnberger See, zum Training nach Stuttgart fliegt und der Hubschrauber auch schon mal mitten in der Gemeinde landet, ist zweifellos eine gute Geschichte. Andreas Ammer hat sie aufgeschrieben, vor vier Wochen, in “QUH”, seinem Blog aus der Gemeinde Berg.

Heute steht sie auch in “Bild”, die gute Geschichte. Armin Grasmuck und Burkhard Wittmann (mehr über ihn hier) sind jetzt die Autoren. Sie haben auf jeden Hinweis auf die Quelle verzichtet — ist ja egal, woher die Geschichte kommt. Und auch das knapp Din-A4-große Foto trägt keinen Urheberhinweis.

Andreas Ammer weiß, warum das so ist: Das Foto hat “Bild”, wie er es formuliert, aus seinem Blog “geklaut”. Das Blatt habe es “ohne unser Wissen, ohne unsere Erlaubnis und ohne Quellenangabe heruntergeladen und abgedruckt”. Dabei habe man die “Bild”-Leute, die gestern dauernd bei ihm angerufen hätten und Auskünfte verlangten (aber nicht bekamen), ausdrücklich darauf hingeweisen, dass die Rechte bei QUH liegen.

Nun hat “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann uns aber im Video-Interview erklärt, was der große Unterschied sei zwischen einem “journalistischen” Angebot wie “Bild” und nicht-journalistischen Angeboten wie YouTube oder Flickr: “Dort sind dann eben auch Inhalte, die nicht rechtmäßig zustande gekommen sind und deren Veröffentlichung nicht rechtmäßig ist.” Bei “Bild” werde dagegen “nachrecherchiert”.

Und in der Tat: “Bild” hat die Geschichte nicht einfach bei QUH abgeschrieben. Die Aussage “jetzt verbot ihm [Lehmann] der Bürgermeister die Landungen auf dem Fußball-Platz” steht da zum Beispiel gar nicht. Die steht nur in “Bild”.

Was daran liegen könnte, dass sie nicht stimmt. Bürgermeister Rupert Monn hat “Bild” gegenüber nur gesagt:

“Ich hoffe sehr, dass Herr Lehmann in Zukunft nicht mehr im Ort landet. Sonst werde ich persönlich mit ihm sprechen.”

Vielleicht ist das die ganz eigene “Bild”-Definition vom journalistischen Umgang mit User Generated Content: Die Profis von “Bild” verwenden Inhalte anderer gegen deren Willen und kombinieren sie mit eigenen Falschmeldungen.

Wörterbuch der Hetze, Tele 5 und der Youtube-Abschieds-Diss, Abofalle NYT

1. Dem Verschwinden entgehen
(blogs.taz.de, Andreas Bull)
Die Auflage der gedruckten “taz” ist derzeit erschreckend niedrig: Die Rede ist von gerade einmal 26.500 Abos zu regulären Preisen. Geschäftsführer Andreas Bull erklärt im “taz Hausblog”, warum er trotz dieser Zahlen keinen Grund für Panik sieht.

2. Tele 5 kehrt Youtube mit bitterbösem Diss-Rap den Rücken
(horizont.net, David Hein)
Tele-5-Boss Kai Blasberg kehrt Youtube den Rücken und lässt alle sender-eigenen Inhalte bei der Videoplattform löschen. Alle bis auf einen bitterbösen Abschiedsgruß in Form eines Musikvideos … In einem Sprechpart (ab Minute 3:00) erklärt Blasberg dem Netzwerk seine Beweggründe, die er mit allerlei Rapper-Freundlichkeiten anreichert: “Bist Du doch, Badewanne des Rechtsbruchs, ein Meer der Schändlichkeit und des Verrats, die Pissnelke unter allen elektronischen Medienwegen.”

3. Deutsch-Rechts/Rechts-Deutsch
(spiegel.de, Sascha Lobo)
Rechte und Rechtsextreme bedienen sich eines besonderen Empörungsvokabulars, das gelegentlich nicht auf Anhieb zu verstehen ist. Sascha Lobo erklärt im Übersetzungsleitfaden “Deutsch-Rechts/Rechts-Deutsch” die wichtigsten Begriffe. Es geht dabei auch um Hetzvokabeln wie “Goldstücke”, “Remigration” und “Umvolkung”.

4. Auslandsberichterstattung: “Den Satz ‘Davon habe ich keine Ahnung’ braucht man gar nicht erst in den Mund zu nehmen”
(fachjournalist.de, Ulrike Bremm)
Im Interview mit dem “Fachjournalist” erzählt der Auslandskorrespondent Christian F. Trippe über seinen Alltag, welche Voraussetzungen man für den Job mitbringen sollte und wie es um die Zukunft seiner Zunft bestellt ist. Trippe empfindet seine Auslandsjahre als Bereicherung. Schwierig werde es jedoch gelegentlich bei der Rückkehr: “Zurückgehen ist schwerer als rausgehen. Du musst dich wieder einfädeln, du selbst hast dich verändert, die handelnden Personen und die Redaktionsstrukturen haben sich verändert. Das ist eine Herausforderung. Du bist quasi ein Redakteur mit Migrationshintergrund.”

5. Erzählt mir nix über großartigen Journalismus
(facebook.com, Michael Praetorius)
Der Publizist Michael Praetorius ist vom Umgang der “New York Times” mit ihren Lesern und Leserinnen enttäuscht. Der Abschluss eines Abos der vielgerühmten überregionalen Tageszeitung sei online binnen weniger Sekunden vonstatten gegangen. Die Hürden bei einer Kündigung seien jedoch ungleich höher. Diese erfordert nämlich den umständlichen Anruf bei einer Hotline und das persönliche Aussprechen der Kündigung. “Das ist kein sehr hohes Vertrauen in ein gutes Produkt. Wichtigste Kennzahl digitaler Geschäftsmodelle ist das Wissen darüber, ob Nutzer oft und gerne wiederkommen. Dazu gehört auch das Verständnis, dass man einen Dienst jederzeit kündigen oder pausieren kann. So zerstört man Kundenvertrauen. Erzählt mir nicht, dass man mit Digitaljournalismus kein Geld verdient, solange Verlage nicht die Basics verstehen.”

6. John Oliver zertrümmert den Wiedergutmach-Werbespot von Facebook
(rollingstone.de)
In einer groß angelegten Werbe-Kampagne will Facebook verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen und sich von den Fehlern der Vergangenheit reinwaschen, unter anderem auch über ein Mea-Culpa-Filmchen. Der Satiriker John Oliver hat den Facebook-Spot für seine Late-Night-Show “Last Week Tonight” nachproduziert.

Reporter-Legende Leyendecker, Trüpels “Zitat”, Stuss-Legende Wagner

1. Hans Leyendecker: Ein Journalist blickt zurück
(ndr.de, Daniel Bouhs)
Investigativ-Journalist Hans Leyendecker kann auf ein bewegtes Reporterleben zurückblicken. Er war an der Enthüllung einiger Skandale beteiligt, darunter die Flick-Parteispendenaffäre und die “Traumschiff-Affäre” um den damaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg Lothar Späth. Im Gespräch mit “Zapp” schaut Leyendecker selbstkritisch und distanziert auf seine Recherchen bei “Spiegel” und “Süddeutscher Zeitung” zurück. Hier gehts zum kompletten Interview (17:48 Minuten).

2. Helga Trüpel und das Zitatrecht
(ipcl-rieck.com, Corinna Bernauer & Lars Rieck)
Das ist fast ein wenig lustig: Die Europaabgeordnete Helga Trüpel hat für die EU-Urheberrechtsreform gestimmt und danach stolz ein Foto eines “FAZ”-Artikels getwittert. Hat sie damit selbst eine Urheberrechtsverletzung begangen oder war dies durch das Zitatrecht gedeckt? Letzteres wäre nur bei wissenschaftlichen Werken gestattet und auch dort nur im erforderlichen Umfang. Der Tweet mit dem Artikelfoto war daher wohl nicht vom Zitatrecht des §51 UrhG gedeckt. Weiteres pikantes Detail: Ein Uploadfilter, wie ihn Frau Trüpel will, hätte vermutlich ihren eigenen Post gelöscht.

3. Über 1.000 nichteuropäische Nachrichtenseiten haben Europa aufgrund der DSGVO geblockt, darunter 1/3 der größten 100 US-Newspublisher
(neunetz.com, Marcel Weiss)
Die seit dem 25. Mai dieses Jahres geltende Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) verlangt von deutschen und europäischen Website-Betreibern, sich genauer mit dem Datenschutz zu beschäftigen und die Besucher über die Verwendung der Daten aufzuklären. Viele Nachrichtenpublisher außerhalb Europas haben sich die Sache leicht gemacht und ihre Präsenz für europäische Besucher gesperrt. Der Brite Joseph O’Connor hat mehr als 1000 Nachrichtenseiten ermittelt, die in Europa geblockt sind.

4. Hyperlokal, hypersozial
(taz.de, Miriam Heinbuch)
Haben Straßenmagazine in Deutschland mittelfristig eine Chance oder geraten sie in den Sog des allgemeinen Zeitungssterbens? Der Sozialforscher Ronald Lutz beobachtet die Entwicklung seit Längerem und ist skeptisch, was das Vertriebskonzept der Straßenzeitungen angeht: “Ich glaube, diese Tradition hat auch irgendwann ein Ende, hat auch eine Grenze erreicht, gerade im Zeitalter der Digitalisierung.”

5. Freien-Streik: So wird’s gemacht
(freischreiber.de)
Es kommt nicht oft vor, dass sich freie Journalistinnen und Journalisten einer Zeitung zusammentun und für bessere Bedingungen streiken. Bei der “Eßlinger Zeitung” war dies der Fall und das mit Erfolg: Das Zeilenhonorar sowie Reise- und Aufwandspauschalen wurden deutlich angehoben. Der Berufsverband freier Journalistinnen und Journalisten “Freischreiber” hat sich mit den Kollegen getroffen, um das Geheimnis ihres Streik-Erfolgs zu ergründen.

6. «Was auf meinem Grabstein stehen soll? Lieber du wärst tot als ich»
(verlag.baz.ch, Michael Bahnerth & Erik Ebneter)
Die “Basler Zeitung” hat sich mit Franz Josef Wagner unterhalten, der für seine in eine “Bild”-Kolumne (“Post von Wagner”) gegossenen wirren Gedanken irgendwas zwischen berühmt und berüchtigt ist. Das Gespräch hat stolze dreieinhalb Stunden gedauert. In die Niederschrift des Interviews sind einige biografische Informationen über Wagner eingebettet, der als Chef eines Revolverblatts Schlagzeilen-Pretiosen dichtete wie “Angeber-Wessi mit Bierflasche erschlagen. Ganz Bernau ist glücklich, dass er tot ist”. Empfehlenswert für alle, die das Phänomen Wagner schon öfter kopfschüttelnd bestaunten.

Goldkartoffel Reichelt, Selfie-Journalismus, Never ending Maaßen

1. Neue deutsche Medienmacher zeichnen “Bild”-Chefredakteur für “unterirdische” Berichterstattung aus
(deutschlandfunk.de)
“Bild”-Chef Julian Reichelt ist der erste Preisträger der “Goldenen Kartoffel”. Der Negativpreis wurde ihm von den “Neuen deutschen Medienmachern” für seine “unterirdische Berichterstattung über Aspekte unserer vielfältigen Einwanderungsgesellschaft” verliehen. BILDblog gratuliert!

2. Österreich: Rekordland bei Morden
(noemix.wordpress.com)
Wenn man den Schlagzeilen österreichischer, aber auch deutscher Medien wie “Focus Online” glaubt, ist Österreich das Rekordland bei Morden. Dabei ist es umgekehrt: Österreich ist das Land mit der niedrigsten Mordrate in ganz Europa. Michael Nöhrig erklärt das Phänomen.

3. Ein bisschen anonym? Wie Selfie-Journalismus Informanten gefährdet
(uebermedien.de, Peter Welchering)
Wenn Journalisten ihre anonym bleiben wollenden Informanten vor laufender Kamera befragten, reichte es früher, das Aussehen der Hinweisgeber oder Kronzeugen zu verändern und einen Stimmverzerrer einzusetzen. Dass dieser Schutz heute unzureichend ist, müssten Journalisten spätestens seit dem Frühjahr 2014 wissen. Da sei auf einer Forensiker-Tagung nämlich eine Methode bekannt geworden, schreibt Peter Welchering, mit der Ermittler durch Analyse der elektrischen Netzfrequenz vermummte und verkleidete Informanten enttarnen können, auch wenn deren Stimme verzerrt wurde. Deshalb lasse man Aussagen von Informanten vor der Kamera inzwischen häufig von Schauspielern nachstellen. In einem “Panorama”-Beitrag unterblieb dies, was am “Selfie-Journalismus” der Beitragsmacher liege: “Journalistische Arbeit wird zur Aufführung, die Enttarnung eines Informanten zum Kollateralschaden des Schauspiels.”

4. Presseteam der Polizei darf keine Demonstranten fotografieren
(sueddeutsche.de)
Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat entschieden, dass die Polizei keine Demonstranten fotografieren darf, um die Aufnahmen später für PR-Zwecke zu verwenden: “Schon dass die Polizei Demonstranten wahrnehmbar fotografiert hatte, sei rechtswidrig, urteilten die Richter. Es dürfe bei Kundgebungen erst gar nicht der Eindruck von staatlicher Überwachung entstehen. Fotografierende Polizeibeamte könnten einschüchternd wirken und Demonstranten von der Ausübung ihres Grundrechts auf Versammlungsfreiheit abhalten.”

5. Maaßen wiederholt Medienschelte
(spiegel.de, Wolf Wiedmann-Schmidt)
Der (vielleicht irgendwann einmal) scheidende Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen hat seine Kritik an der Berichterstattung der Medien bekräftigt und dem “Tagesschau”-Chef Kai Gniffke einen vierseitigen Brief zukommen lassen. Es sei ein “kritischer Blick” auf “die Maßstäbe der medialen Darstellung des Rechtsextremismus erforderlich”.

6. Eine Branche stirbt: Nur noch 600 Videotheken in Deutschland
(heise.de, Wolf von Dewitz & dpa)
Es gibt nur noch (oder soll man sagen immer noch?) 600 Videotheken in Deutschland. Von 2015 bis 2017 sank nach Angaben eines Branchenverbands die Kundenzahl von 4,8 Millionen auf 2,6 Millionen. Der Verband sehe vor allem die Piraterie und deren unzureichende Bekämpfung als Wurzel allen Übels.

Bundestag ausgerechnet, Igitt-Faktor Rechtsextremismus, Lesbos-Attacken

1. So haben wir den Bundestag ausgerechnet
(projekte.sueddeutsche.de, Martina Schories)
Wie diskutiert der Bundestag über Geflüchtete und Migration? Eine Datenanalyse der “Süddeutschen Zeitung” zeigt, was sich verändert hat. Dazu habe man alle Parlamentsprotokolle der Bonner Republik und des wiedervereinigten Deutschlands seit 1949 mit computerlinguistischen Methoden ausgewertet — 4.200 Schriftstücke. Der Rechtsruck in der Debatte sei nachweisbar: “Der politische Diskurs, das zeigt sich in der Datenanalyse, hat sich in den vergangenen Jahren massiv verändert. Der Einfluss der AfD dürfte ein wichtiger Grund dafür sein, denn die Partei hat den Korridor des politisch Sagbaren nach rechts verschoben.”

2. “Ich bin von Joko und Klaas enttäuscht”
(deutschlandfunknova.de, Daniel Fiene & Herr Pähler, Audio: 16:39 Minuten)
Medienkritiker Stefan Niggemeier war bei “Was mit Medien” zu Besuch, dem wöchentlichen Medienmagazin bei Deutschlandfunk Nova. Dabei ging es um die jüngst enthüllten Fakes der ProSieben-Protagonisten Joko & Klaas und die Frage, warum derlei Betrügereien auch im Unterhaltungsfernsehen problematisch seien. Die komplette Sendung mit weiteren interessanten Themen, zum Beispiel zu den Vorgängen bei der “Berliner Zeitung”, gibt es hier (41:18 Minuten).

3. Die taz ist es wert
(blogs.taz.de, Andreas Bull)
Es sind überaus ernüchternde Zahlen, von denen “taz”-Geschäftsführer Andreas Bull im “Hausblog” berichtet: Im vergangenen Quartal habe man werktags eine Remissionsquote (Rückgaben durch den Handel) von 83 Prozent hinnehmen müssen, bei der Wochenendausgabe sei sie mit 76 Prozent geringfügig besser ausgefallen. “Von den Verkaufspreisen müssen nun mehrere an diesem Geschäft Beteiligte bezahlt werden: nach Abzug der Mehrwertsteuer die Druckereien und die Speditionen, dann die Grossisten und letztlich der Einzelhandel, die beide zusammen an die 40 Prozent des Einzelverkaufspreises einbehalten. Grob gefolgert: es bleibt nichts übrig, um das zu bezahlen, was drinnen steht.” In seinem Beitrag erklärt Bull, warum die “taz” trotzdem an dem wenig lukrativen Geschäft festhalte.

4. Lesbos: Attacken gegen Journalisten und Geflüchtete
(netzwerkrecherche.org, Franziska Grillmeier & Julian Busch)
Die freie Journalistin Franziska Grillmeier und der Fotograf Julian Busch wurden während ihrer Arbeit auf Lesbos von maskierten Rechtsradikalen angegriffen. In ihrem Beitrag schildern sie, wie es dazu kam und wie es ihnen derzeit geht: “Nach wie vor gibt es eine große Unsicherheit, sich auf der Insel zu bewegen. Wir versuchen, das Haus nicht mehr alleine zu verlassen und abends nicht mehr in der Stadt unterwegs zu sein. In den sozialen Medien trifft uns mittlerweile ein rechtsradikaler Shitstorm.”

5. “Die große Mehrheit findet dieses Thema eher schmutzig”
(deutschlandfunk.de, Bettina Köster, Audio: 8:32 Minuten)
Annette Ramelsberger ist die langjährige Gerichtsreporterin der “Süddeutschen Zeitung” und in Fachkreisen bekannt für ihre ausdauernde und gewissenhafte Berichterstattung über den NSU-Prozess. Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk kritisiert Ramelsberger die Medien dafür, in der Vergangenheit zu wenig über rechtsextremistische Entwicklungen und die damit verbundene Gefahr berichtet zu haben: “Wir haben das über die letzten Jahrzehnte vernachlässigt. Das war immer ein Thema, das den Igitt-Faktor hatte, wo man auch häufig mal als Korrespondent so die rollenden Augen gesehen hat und die Frage: Schreiben wir jetzt die Rechten hoch? Und immer die Frage: Muss das sein?”

6. “Es ist schwierig, angemessen bezahlte Jobs zu finden”
(fachjournalist.de, Ulrike Bremm)
Sportjournalist Christoph Biermann schreibt für das Fußballmagazin “11 Freunde” und hat zahlreiche Bücher zum Thema Fußball veröffentlicht. Im Interview mit dem “Fachjournalist” erzählt Biermann von den Besonderheiten und Herausforderungen seiner Arbeit und verrät, auf welche Themen er ein besonderes Auge habe: “Unser Magazin und auch ich persönlich sehen etwa RB Leipzig sehr kritisch. Der Verein wurde quasi gegründet, um Red Bull zu promoten. Das halten wir für falsch, weil es ein Bruch mit der Fußballkultur in unserem Land ist und den Wettbewerb verzerrt.”

AfD-Elfmeter, Sarah Coopers Trump, Abnehmendes Corona-Interesse

1. Wie Medien der AfD helfen, sich rechtlich reinzuwaschen
(uebermedien.de, Johannes Hillje)
2018 veröffentlichte das Bundesinnenministerium auf seiner Website ein Interview, in dem Minister Horst Seehofer die AfD “staatszersetzend” nannte – eine “Verletzung des Rechts einer Partei auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb”, wie das Bundesverfassungsgericht befand. Leider schloss sich dem Versagen der Behörde das Versagen einiger Medien bei der Berichterstattung an. Politik- und Kommunikationsberater Johannes Hillje zeigt anhand von Beispielen, was schiefgelaufen ist.

2. Facebooks teure Jagd auf den “schlimmsten kriminellen” Nutzer
(spiegel.de, Patrick Beuth)
Patrick Beuth berichtet von einer True-Crime-Story mit einigen rechtlichen Implikationen und einem moralisch-ethischen Dilemma: Facebook habe dem FBI dabei geholfen, einem Erpresser Schadsoftware unterzuschieben, mit deren Hilfe dessen IP-Adresse ermittelt werden konnte. Der Mann habe jahrelang auf Facebook junge Mädchen erpresst und bedroht und seine Spuren mit einem speziellen Betriebssystem verwischt.

3. Zoom schließt kurzzeitig Konten chinesischer Menschenrechtsaktivisten
(zeit.de)
Die US-amerikanische Plattform für Videokonferenzen Zoom greift anscheinend in Gespräche von chinesischen Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten ein beziehungsweise beendet oder unterdrückt sie. Zoom begründe das Vorgehen damit, dass man sich “an örtliche Gesetze” halten müsse.
Weiterer Lesehinweis: Twitter hat nach eigenen Angaben eine umfangreiche Löschaktion durchgeführt und dabei 170.000 chinesische Propaganda-Accounts entfernt (spiegel.de).

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4. News-Angebote leiden unter abnehmendem Corona-Interesse
(meedia.de, Jens Schröder)
Im Monat Mai hat sich einiges getan bei den Abrufzahlen der hundert erfolgreichsten journalistischen Digital-Angebote in Deutschland. Jens Schröder erklärt bei “Meedia”, was sich im Ranking verschoben hat. Bei den teilweise drastischen Abstürzen und bedeutenden Zuwächsen spiele das abnehmende Interesse an der Corona-Berichterstattung, aber auch ein geänderter Google-Algorithmus eine Rolle.

5. Volontariat in Corona-Zeiten
(deutschlandfunk.de, Anh Tran, Audio: 5:23 Minuten)
Anh Tran berichtet im Deutschlandfunk, wie sich die Corona-Pandemie auf das journalistische Volontariat bei Zeitungen, Hörfunk und Fernsehen auswirkt. Viele der Auswahlverfahren seien in diesem Jahr coronabedingt ausgesetzt oder hätten per Videoschalte stattgefunden. Tran hat sich mit Verantwortlichen sowie Bewerberinnen und Bewerbern über die derzeit erschwerten Umstände unterhalten.

6. Wie man Trump wird
(faz.net, Tobias Rüther)
Die Comedy-Künstlerin und Entertainerin Sarah Cooper wird derzeit für ihre kurzen Videoclips gefeiert, in denen sie US-Präsident Donald Trump synchronisiert (Lip sync) und auf hinreißend komische Weise imitiert: “Zum Vorschein kommen die Gesten eines Chefs, der seinen Worten durch Posen Macht verleiht, und dadurch auch sich selbst. Cooper wiederum reißt diese Posen an sich und macht so Trumps Präpotenz sichtbar. Dabei dachte man eigentlich, man hätte ihn längst durchschaut.”

Kollektives Lockdownjammern, Visual Investigation, Klagen gegen Fox

1. Die Pandemie wär halb so wild, gäb es bloß den Lockdown nicht
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
Nachdem die Sat.1-Moderatorin Marlene Lufen mit einem Instagram-Statement zu Corona viel Aufmerksamkeit (und Kritik) erhalten hatte, spendierte ihr der Sender eine Sondersendung: “Marlene Lufen: Deutschland im Lockdown”. “DWDL”-Chef Thomas Lückerath hat sich die Sendung angeschaut, die er bereits jetzt für eine “überzeugende Bewerbung für den Tiefpunkt des Jahres” hält: “So empathisch Gastgeberin Lufen auch ist – mit dieser Sendung hat sie leider nicht versöhnt, sondern gespalten.”
Weiterer Lesehinweis: Zu einem ähnlichen Urteil kommt Matthias Schwarzer, der von einem “kollektiven Lockdownjammern ohne Ergebnis” spricht (rnd.de).

2. Sechs Videos sind eine Explosion
(sueddeutsche.de, Jörg Häntzschel)
Mittels Visual Investigation beziehungsweise Open Source Investigation werten ganze Teams von Rechercheuren Fotos und Handyaufnahmen aus, um Abläufe zu rekonstruieren – sei es einen Giftgasangriff in Syrien, die Explosion im Hafen von Beirut oder den Sturm aufs Capitol. Jörg Häntzschel wirft einen Blick auf dieses spannende Thema, bei dem Journalistinnen und Journalisten zu Ermittlerinnen und Ermittlern werden.

3. Europas Werk und Googles Beitrag
(netzpolitik.org, Alexander Fanta)
Der Journalismus ist weiterhin in der Krise, trotz coronabedingt steigender Klick- und Abozahlen. Die Onlinezuwächse können oft nicht das ausgleichen, was im Print durch wegbrechende Auflagen und Werbeeinnahmen entfällt. Nun wolle die EU den Journalismus mit Finanzspritzen aufpäppeln und den digitalen Werbemarkt neu regeln. Die Digital-Lobby ist davon erwartungsgemäß wenig angetan.

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4. Klagen gegen Fox
(verdi.de, Max Böhnel)
Dem US-amerikanischen Nachrichtensender Fox News steht eine gigantische Schadensersatzklage ins Haus. Das US-Unternehmen Smartmatic, das Wahlcomputer und Stimmauswertungssysteme herstellt, besteht auf eine Zahlung von 2,7 Milliarden Dollar. Und auch sonst stünden dem Sender schwierige Zeiten bevor: Der einstmals große Fan Donald Trump hatte sich bereits vor einiger Zeit von seinem langjährigen Haussender abgewandt und seiner Anhängerschaft die Konkurrenten NewsMax und OAN empfohlen.

5. Journalismus&Netz | Januar Edition: In da Club
(blog.torial.com, Alex Sängerlaub & Simon Hurtz)
Simon Hurtz und Alex Sängerlaub haben sich auf die Netzsuche gemacht und die wichtigsten Erkenntnisse des vergangenen Monats zusammengetragen: Welche Themen haben die Medien besonders beschäftigt? Was hat sich in der Medienpolitik getan? Und was sollte man unbedingt lesen?

6. Spannend, wie sich dieses Gespräch entwickelt.
(twitter.com, Übermedien, Video: 1:35 Minuten)
“Deutschland erlebt heftigen Winter-Sonntag” – und mittendrin eine “Bild-TV”-Moderatorin sowie Jean Pütz, pardon, “die Moderatorenlegende Jean Pütt”. Anderthalb Minuten (unfreiwillige) Comedy.
Weiterer vergnüglicher Gucktipp: “#Flockdown! Winterchaos! Schneekatastrophe!” (twitter.com, Extra 3, Video: 1:33 Minuten).

“Ein Geschenk für Extremisten”

Gestern hat der Bundestag die sogenannte bundesweite Corona-Notbremse beschlossen. Oder wie die “Bild”-Redaktion heute auf Seite 1 titelt:

Ausriss Bild-Titelseite - Beschlossen! Merkels Einsperr-Gesetz - Ab wann Sie abends nicht mehr vor die Tür dürfen - Wie Polizisten kontrollieren - Welche Ausnahmen gelten - Wie Juristen die Sperre noch kippen wollen

Stimmt auch noch der Bundesrat zu, sollen vorerst verschiedene neue Regelungen gelten: Liegt in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt die Sieben-Tage-Inzidenz über 100 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner, gilt beispielsweise eine nächtliche Ausgangssperre von 22 bis 5 Uhr (alleine joggen oder spazierengehen ist bis 24 Uhr erlaubt). Ab einer Inzidenz von 150 müssen Läden schließen und dürfen nur noch das Abholen vorbestellter Waren anbieten (ausgeschlossen sind Geschäfte des täglichen Bedarfs, etwa Supermärkte). Steigt der Inzidenzwert über 165, müssen Schulen dichtmachen und vom Präsenz- in den Distanzunterricht wechseln.

Laut Julian Reichelt ist das alles ein Geschenk …

Screenshot Bild.de - Kommentar zum Bundes-Lockdown - Ein Geschenk für Extremisten

In seinem Kommentar schreibt der “Bild”-Chef:

An diesen Tag werden wir uns leider noch lange erinnern. Der 21. April wird in die Geschichte eingehen als der Tag, an dem die demokratisch gewählte Regierung eines freiheitsliebenden Landes beschlossen hat, dass sie die Bürger einsperren kann. (…)

Während in England Menschen vor den Pubs Schlange stehen, sperrt unsere Regierung einen Landkreis mit 50000 Menschen ein, wenn in einer Woche 50 von ihnen positiv auf Corona getestet werden. Das ist nichts anderes als eine Strafmaßnahme gegen die Bevölkerung für eine an vielen Punkten gescheiterte Regierungspolitik.

Dass Reichelt sich die Menschenschlangen vor englischen Pubs als Gegenbeispiel rauspickt, ist etwas grotesk. Es zeigt, dass er entweder keine Ahnung hat, was zuvor in England los war; oder dass er Ahnung davon hat, sich aber absichtlich dumm stellt. In England galt wochenlang ein strikter Lockdown. Nun sind die Corona-Maßnahmen in verschiedenen Ländern nicht bis ins letzte Detail zu vergleichen, weil verschiedene Regierungen verschiedene Schwerpunkte setzen. Aber in wichtigen, grundlegenden Punkten war der Lockdown in England deutlich härter als die gestern im Bundestag beschlossene Notbremse: In England wurde nicht unterschieden zwischen verschiedenen Regionen oder Landkreisen – der Lockdown galt landesweit. Eine Ausgangssperre galt nicht nur nachts, sondern auch tagsüber. Geschäfte, die nicht für den täglichen Bedarf nötig sind, mussten dichtmachen – unabhängig vom regionalen Inzidenzwert. Die Schulen wurden geschlossen – ebenfalls unabhängig von der lokal vorherrschenden Inzidenz. Die “FAZ” zitierte Premierminister Boris Johnson, der bei der Verkündung der Maßnahmen Anfang Januar sagte:

“Sie dürfen Ihr Haus nur aus begrenzten, gesetzlich festgeschriebenen Gründen verlassen, etwa um das Notwendigste einzukaufen, um zur Arbeit zu gehen, wenn Sie auf keinen Fall von zuhause aus arbeiten können, um sich körperlich zu betätigen, um zum Arzt zu gehen oder um sich einer gewaltvollen Situation zuhause zu entziehen.” Die Maßnahmen sollen überwacht und Verletzungen mit Bußgeldern geahndet werden.

Nachdem der Inzidenzwert in England – wohl auch dank der strikten Lockdown-Maßnahmen neben der gut laufenden Impf-Kampagne – deutlich gesunken ist, werden diese Regeln nun Stück für Stück gelockert. Unter anderem dürfen Pubs wieder ausschenken. Wenn Julian Reichelt also England als Gegenbeispiel nennt und die Möglichkeit, vor Pubs/Eckkneipen ein Bier zu trinken, offenbar als Ziel sieht – plädiert er dann nicht eigentlich für härtere Maßnahmen nach englischem Vorbild?

Auf jeden Fall liegt er mit seiner Überschrift “Ein Geschenk für Extremisten” nicht falsch – bezogen auf seinen eigenen Kommentar. Der wird in den Sozialen Netzwerken reichlich rumgereicht. Die Accounts und Gruppen, die ihn teilen, heißen unter anderem: “AfD-FanCLUB”, “AfD bürgernah, aktuell zum Mitreden”, “AfD 51% – das ist unser Ziel !!!”, “Freunde der AfD!”, “AfD – Kreisverband Reutlingen”, “Unterstützer der AfD!”, “AfD jetzt erst recht !”.

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Zerklitterte Hemden

“BILD übersetzt von Kopf bis Fuß das Englisch-Wirrwarr in deutschen Kaufhäusern.”

So steht es bei Bild.de. Und mal abgesehen davon, dass es natürlich der “Wirrwarr” ist: Wem – außer der Mehrheit – ginge dieser ganze “Englisch-Wirrwarr in deutschen Kaufhäusern” nicht tagtäglich auf den Wecker?!

Allerdings ist die Übersetzung eines Englisch-Wirrwarrs für “Bild” ein gewagtes Unterfangen. Schließlich wissen aufmerksame “Bild”-Leser, dass es mit den Englisch-Kenntnissen in den “Bild”-Redaktionen so eine Sache ist, was wiederum “Bild” nicht davon abhält, in einem “Einkaufslexikon” 27 englischsprachige Bezeichnungen von “Beanie” bis “Casual Wear” zu übersetzen.

Und, nun ja, man mag darüber streiten, ob der Begriff Vintage wirklich “zerrissene Hose” bedeutet, wie “Bild” behauptet, oder nicht vielmehr das, was sich auf Deutsch Second-Hand-Kleidung nennt. Vielleicht ist One-size-fits-all mit “Jeanshosen in allen Größen” auch etwas unbeholfen (um nicht zu sagen: völlig falsch) übersetzt, weil die Formulierung doch eigentlich im Gegenteil Kleidungsstücke wie Mützen oder Socken bezeichnet, die es nur in einer einzigen Größe gibt und jedem passen sollen. Schon möglich, dass darüber hinaus eine Mesh-Cap keine “große Schirmmütze” ist, sondern vielmehr bloß eine solche Schirmmütze, die im hinteren Teil aus einem großmaschigen, netzartigen Stoff gefertigt wurde. Möglich auch, dass das alles enorm besserwisserisch klingt.

Dabei geht’s noch besserwisserischer: Knitwear nämlich übersetzt “Bild” mit “zerknittertes Hemd”. Und mal abgesehen davon, dass der Begriff nun überhaupt nichts mit irgendeinem “Hemd” zu tun hat, kommt das englische Wort knit ja vom Altenglischen cnyttan (was soviel wie “knoten” oder “binden” bedeutet und darin wohl dem deutschen knüpfen verwandt ist), wohingegen das deutsche Wort (zer)knittern (wie knistern) ein Ablaut des lautmalerischen knattern ist, also ursprünglich “leise knattern” bedeutete – vor allem aber mit dem englischen knit rein gar nichts zu tun hat, denn das bedeutet “stricken”, weshalb knitwear auch schlicht “Strickzeug” meint, wohingegen modisch zerknitterte Kleidung in der Regel sinnvollerweise mit Begriffen wie crinkle oder crush bezeichnet wird.

Aber natürlich müssen “Bild”-Redakteure im Ressort “Geld & Job” das alles nicht wissen. Aber sie hätten einfach mal hier klicken können, bevor sie ihren fehlerhaft hingerotzten Unsinn unter einer großkotzigen Überschrift (“…damit wir auch wissen, was wir kaufen”) verbreiten.

PS: Ebenfalls nicht verwechseln sollte man knittern mit klittern: Letzteres bedeutet nämlich “verfälscht darstellen”.

Mit Dank an Gerd S. für den sachdienlichen Hinweis und Steffi I. für die sachkundige Beratung.

Nachtrag, 14.12 Uhr:
Inzwischen hat der Wirrwarr-Beauftragte von Bild.de seinen Dienst angetreten und die Übersetzung von “One-size-fits-all” zu “Jeanshosen für alle Größen” geändert. Ob er es schaffen wird, im Laufe der kommenden Wochen noch weitere Fehler zu korrigieren? Wir halten Sie auf dem Laufenden.

Nachtrag, 28.1.2005:
Na, also: Der Wirrwarr-Beauftragte von Bild.de hat sich nochmals rangesetzt und die Begriffserklärungen nachträglich berichtigt. Nun heißt es auch zu Vintage richtigerweise “Second-Hand-Look”, zu Mesh-Cap nur noch “Schirmmütze”, und hinter dem (ausgesprochen häufig in deutschen Kaufhäusern verwendeten) Begriff Knitwear steht “Strickwaren”. Ja, sogar die bereits überarbeitete Übersetzung von One-size-fits-all wurde nun abermals in “Kleidungsstücke, die es nur in einer einzigen Größe gibt, die jedem paßt (z.B. Mützen oder Socken)” korrigiert. Nur der Rechtschreibfehler im Wort “Kaputzenpullover”, der hier bislang unerwähnt geblieben war, wurde übersehen. Aber da wollen wir jetzt echt nicht tzimperlich sein.

Wir basteln uns einen neuen Florida-Rolf

Wer war noch mal “Florida-Rolf”? Im August 2003 hatte “Bild” einen Mann so genannt, der in Florida lebte, aber aus Deutschland Sozialhilfe bezog. In Folge der tagelangen Schlagzeilen kehrte nicht nur der Mann nach Deutschland zurück, die Bundesregierung verschärfte auch die entsprechenden Richtlinien für Sozialhilfe im Ausland. Es war, aus Sicht der “Bild”-Zeitung, ein großer Triumph.

Seit einigen Tagen hat “Bild” einen neuen “Florida-Rolf”. Es handelt sich laut “Bild” um “Berlins schlimmsten Sozial-Schmarotzer”, der “dreister ist als Florida-Rolf”. Weil er in Mexiko lebt, nennt ihn “Bild”: “Karibik-Klaus”.

“Florida-Rolf” genoß auf Kosten der Steuerzahler das süße Leben in Miami. Jetzt lacht auch ein Berliner Sozialschmarotzer alle aus. Karibik-Klaus (71).

Man muss schon genau lesen, um zu merken, dass sich das “auch” im zweiten Satz nicht auf das süße Leben oder die Kosten der Steuerzahler bezieht, sondern auf das Auslachen. Auf solche Art und durch das geschickte Weglassen und Verdrehen von Tatsachen versucht “Bild”, die Fälle “Florida-Rolf” und “Karibik-Klaus” ähnlich erscheinen zu lassen.

Sie sind es nicht.

“Florida-Rolf” nutzte ein Gesetz aus, “Karibik-Klaus” brach ein Gesetz. Bei “Florida-Rolf” handelte es sich damals um einen aktuellen Fall, die Vorwürfe gegen “Karibik-Klaus” beziehen sich auf die Jahre 1994 bis 1997. “Florida-Rolf” lebte in Florida, “Karibik-Klaus” aber zum fraglichen Zeitraum nicht in der Karibik, sondern in Berlin. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, beim Antrag auf Sozialhilfe Einkünfte aus Häusern in Mexiko und Florida verschwiegen haben.

Es ist ein Lehrstück darüber, wie “Bild” es schafft, durch einen teils schlampigen, teils bewusst irreführenden Umgang mit der Wahrheit aus einer kleinen Geschichte einen Aufreger mit vielen fast seitenfüllenden Artikeln und großen Schlagzeilen zu machen.

“Bild” berichtet erstmals am 24. Dezember 2005:

Er lebte dort [in Mexiko] in einem Haus am Meer, besaß noch ein Anwesen in Florida.

Zur Finanzierung seines üppigen Lebensstils hatte er sich auch etwas einfallen lassen. Er blieb weiter in einer kleinen Wohnung in Berlin gemeldet — und beantragte Sozialhilfe! Von April 1994 bis August 1997 kassierte er so 22500 Euro!

Lassen wir mal dahin gestellt, ob 550 Euro monatlich ausreichen, um einen “üppigen Lebensstil” zu finanzieren. Ein anderer Punkt ist gravierender: “Bild” behauptet, “Karibik-Klaus” habe in Mexiko gelebt, als er die Sozialhilfe bezog. Das ist nach Angaben eines Sprechers des Amtsgerichts Tiergarten falsch. In dem Verfahren sei es nur darum gegangen, dass “Karibik-Klaus” in Berlin lebte, aber seinen Besitz im Ausland nicht angegeben habe. So berichtet das auch der “Berliner Kurier”:

Klaus L. soll vor seinem Umzug in das schöne Fischerstädtchen Puerto Morelos an der Karibikküste rund 22 000 Euro Stütze erschlichen haben.
(Hervorhebung von uns.)

In eine Aufnahme von Florida hat “Bild” den Text geschrieben:

Im sonnigen Florida läßt es sich “Karibik-Klaus” jetzt gutgehen.

Auch das ist falsch. In Florida hatte Klaus L. ein Haus besessen, aber längst verkauft. Wenn er es sich irgendwo gutgehen lässt, dann in Mexiko oder in Berlin.

Der erste Artikel von “Bild” über “Karibik-Klaus” endet mit einer Beschreibung, was der “Sozialschmarotzer” tat, nachdem das Berliner Gericht sein Urteil gesprochen hatte:

Dann verschwand er schnellen Schrittes. Er wollte die nächste Maschine nach Mexiko auf keinen Fall versäumen…

Drei Tage später erscheint ein weiterer “Bild”-Artikel über “Karibik-Klaus”, der ebenfalls mit einer Beschreibung endet, was der “Sozialschmarotzer” tat, nachdem das Berliner Gericht sein Urteil gesprochen hatte:

Klaus L. nutzte den Berlin-Aufenthalt, um in der alten Heimat Weihnachten zu feiern. Er logierte bis heute [27. Dezember] morgen in dem Hotel, in dem ihn das Gericht untergebracht hatte. Obwohl das Urteil schon Ende letzter Woche ergangen war…

Aha: “Bild” behauptet, der böse Mann sei gleich wieder in die Sonne gereist, was seine Dreistigkeit beweisen soll, und “Bild” behauptet, der böse Mann sei extra noch in Berlin geblieben, was ebenfalls seine Dreistigkeit beweisen soll.

In diesem zweiten Artikel fällt außerdem auf, dass “Bild” die Angabe weglässt, wann der Sozialhilfe-Betrug stattfand. “Bild” schreibt:

In seiner neuen Heimat (…) scheint das ganze Jahr die Sonne — gestern war es 30 Grad warm. Trotzdem kassierte Klaus L. jahrelang Sozialhilfe, betrog die Berliner Behörden.

Dass zwischen diesen beiden Sätzen, die durch ein falsches “trotzdem” verbunden sind, ein zeitlicher Abstand von neun Jahren liegt, erfahren die “Bild”-Leser aus diesem Artikel nicht.

Einen Tag später berichtet “Bild”, dass ein Reporter Klaus L. — anscheinend immer noch in Berlin — getroffen habe, und fasst die Vorwürfe erneut falsch zusammen:

Weil es ihm dort zu kalt wurde, zog er nach Mexiko. Und kassierte in dieser Zeit 22 500 Euro Sozialhilfe aus Deutschland.

Noch einmal: Nach den Worten des Gerichts besteht dieser zeitliche Zusammenhang nicht.

Der Artikel endet mit den Worten:

Dann wird der Schmarotzer plötzlich hektisch, schwärmt: “Wir wollen in ganz Mexiko noch Appartement-Anlagen hochziehen. Durch den Termin vor dem Berliner Amtsgericht blieb ziemlich viel Arbeit liegen. Ich muß los.”

Wir fassen zusammen: Klaus L. ist also laut “Bild” sofort nach dem Urteil hektisch abgereist, dann extra noch lange geblieben, und dann hektisch abgereist.

Tag 4 der Berichterstattung. Diesmal behauptet “Bild” zur Abwechslung nicht, dass Klaus L. in Mexiko Sozialhilfe aus Deutschland bezogen habe, sondern schreibt:

BILD-Besuch in Puerto Morelos. (…) Hierhin hatte er sich mit 22 500 Euro Sozialhilfe abgesetzt.

Den dritten Tag in Folge findet die “Bild”-Zeitung nicht erwähnenswert, wann sich die sie empörenden Vorgänge ereignet haben (nämlich nicht dieses oder letztes Jahr, sondern von 1994 bis 1997). Und auch etwas anderes fehlt in dem Text. Eine genaue Erklärung nämlich, wie die Überschrift gemeint ist. Sie lautet:

Das Prunk-Haus von Karibik-Klaus

Mal abgesehen davon, dass das “Prunk-Haus” auf den Fotos ein eher schlichtes Gebäude mit leerem Pool, billigen Plastikstühlen und seit Monaten umgeknickter Palme zeigt: Ob dies nun das Haus “von” Karibik-Klaus ist, weil es ihm gehört oder weil er dort ein Apartment gemietet hat oder weil er dort als Hausverwalter arbeitet oder nur weil es sich so schön reimt, geht aus dem “Bild”-Artikel nicht hervor.

Danke an Jörg-Stefan S. und Ingo S.!

Sind immer die andern III (b)

Wir wissen es ja schon: Nachdem “Bild” zunächst die Tatsachenbehauptung aufgestellt hatte, Joschka Fischer wandere nach Amerika aus usw., druckte “Bild” am nächsten Tag die Schlagzeile “Fischer: Ich wandere nicht aus”, was daran lag, dass Fischer die Auswanderungsnachricht von “Bild” heftig dementiert hatte. Außerdem hatte “Bild” versucht, die eigene, offenbar falsche Berichterstattung so darzustellen, als sei sie den Berichten in anderen Zeitungen vergleichbar gewesen, obwohl sie das (wir berichteten) nicht war.

Wie es scheint, hat “Bild” jetzt aber den eigentlich Schuldigen für die eigene, offenbar falsche Berichterstattung über Joschka Fischer ausgemacht: Joschka Fischer selbst.

Laut Handelsblatt.com gibt’s einen Brief des “Bild”-Chefredakteurs Kai Diekmann, worin er sich bei Fischer beschwere, dass dieser bezüglich seiner USA-Pläne eine Stellungnahme gegenüber der “Bild”-Zeitung abgelehnt habe. Tatsächlich berichtet auch die “Süddeutsche Zeitung”, Fischer habe (mit Blick auf die Anfrage eines “Bild”-Redakteurs) gesagt: “…wenn ein gewisser Herr Einar Koch bei mir anruft, dann kann die Welt zusammenstürzen, da würd’ mir eher die Hand abfallen, als dass ich das Telefon abnehmen würde” — was wiederum anscheinend “Bild”-Chef Diekmann “nicht nachvollziehbar” finde.

Und in der heutigen “Bild” mündet eine “Bild”-Kolumne von Hugo Müller-Vogg in die Frage:

“Nur über die Nebentätigkeit des Abgeordneten Fischer soll nicht berichtet werden dürfen?”

Jedoch belässt es Müller-Vogg nicht bei solch irreführender Rhetorik. (Soweit bekannt, hat schließlich niemand irgendwen daran gehindert, “über die Nebentätigkeit des Abgeordneten Fischer” zu berichten — auch Joschka Fischer nicht.) Nein, wie sein Chef Diekmann tut sich auch Müller-Vogg offenbar schwer damit, dass Fischer “bei der Überprüfung von Meldungen über ihn jede Mitarbeit” verweigert habe. Dabei hätte, so Müller-Vogg, eine wahrheitsgetreuere Berichterstattung doch “gleich so in den Zeitungen stehen können — wenn Fischer nur gewollt hätte”.

Das mag stimmen. Doch zeugt die Argumentation, gelinde gesagt, von einem seltsamen journalistischen Selbstverständnis: Wenn wir das richtig verstehen, bedeutet sie doch im Umkehrschluss nichts anderes, als dass eine Zeitung wie “Bild” 1.) nur dann wahrheitsgetreu berichten könne, wenn die betroffenen Personen mit “Bild” kooperieren und 2.) eine Zeitung wie “Bild” immer dann die Unwahrheit behaupten dürfe, wenn ihr die “Beihilfe zur Wahrheitsfindung” (Müller-Vogg) verweigert wird. In Müller-Voggscher Rhetorik also als Frage formuliert: Klingt das wie ein Armutszeugnis für den investigativen Journalismus, dessen sich “Bild” so gerne rühmt?

Mit Dank auch an Nikolai S. und Frank B.

Günstiger geht’s nicht!

Ja, gut, Werbebanner kann man überall im Internet buchen. Aber Bild.de scheint doch sehr viel mehr im Angebot zu haben.

Die Firma Germanwings zum Beispiel scheint da einen guten Deal gemacht zu haben. Sie ist aktuell nicht nur mit traditionellen Werbeflächen auf Bild.de vertreten. Sondern hat auch ein Plätzchen mitten im redaktionellen Teil ergattert, perfekt getarnt als Anriss für einen Artikel.

Entdeckt? Genau: Wer auf das Versprechen klickt, für “traumhafte 0 Euro” nach “Paris, Rom, Madrid…” zu fliegen, kommt nicht zu einer redaktionellen Zusammenstellung von aktuellen Billigflug-Angeboten, sondern exklusiv zu Germanwings. Sagen wir’s anders: Es ist eine Anzeige. Also: Schleichwerbung.

Aber das ist noch nicht alles. Oben in der Menuleiste von Bild.de findet sich im Reiseressort der Unterpunkt “Billigflüge”. Wohin kommt man, wenn man darauf klickt? Zu einer Billigflug-Suchmaschine? Einer redaktionellen Übersicht? Irgendeiner Art von Serviceangebot von Bild.de? Ach was: Natürlich ebenfalls zur Germanwings-Werbung.

Nun ist es aber nicht so, dass die Partnerschaft mit Germanwings so weit ginge, dass Bild.de nicht mehr kritisch über die Angebote der Billigflieger berichten würde. Seit Donnerstag berichtet Bild.de zum Beispiel in einem eigenen Artikel anlässlich eines Urteils über die zweifelhafte Werbung mit “0-Euro-Flügen” und warnt vor den “versteckten Kosten der Billigflieger”. Und fisselt das Problem “im Detail” anhand der Anbieter hlx, Ryanair, easyjet, Air Berlin und dba auf.

Hm. Ts. Fehlt da nicht einer?

Ach nein: Da ist Germanwings ja. Nicht in dem kritischen Text. Sondern in der Anzeige gleich rechts daneben, die für “0-Euro-Flüge” wirbt:

Danke an den Finblogger und Sebastian B.!

Nachtrag, 22.20 Uhr. Erstaunlich: Keine zwei Stunden später steht wenigstens in dem “Paris, Rom, Madrid”-Teaser klein das Wort “Anzeige”.

Angst und Ambition

Heute fragt “Bild”:

Haben Sie einen neuen Mann, Frau Oettinger? (...) Die Antwort ist kurz und geheimnisvoll: "Kein Kommentar."

Geheimnisvoll, soso.

Hier zum Vergleich eine wirklich geheimnisvolle Antwort. Die Frage lautet ungefähr: Herr Oettinger, sind Sie von “Bild” dazu getrieben worden, in der Zeitung zu verkünden, dass Sie sich von Ihrer Frau getrennt haben? Seine Antwort steht heute in den “Stuttgarter Nachrichten” und lautet:

“Das werde ich später mal beantworten.”

Bis dahin kann man nur spekulieren, wie freiwillig der baden-württembergische Ministerpräsident gestern in “Bild” das “Liebes-Aus” erklärt hat:

Oettinger wäre nicht der erste Prominente, der berichten würde, dass die Zeitung ihn mit einer Mischung aus Drohungen und Angeboten dazu gebracht hätte, ihrem Willen nachzugeben, etwa, indem sie ihm verschiedene mögliche Formen der Berichterstattungen aufzeigt, je nach Grad der Kooperation mit “Bild”.

Die “Frankfurter Rundschau” spricht davon, dass die “Bild”-Zeitung in den vergangenen Tagen “ihre Folterwerkzeuge auspackte”:

Zuerst berichtete das Blatt in seiner Stuttgarter Regionalausgabe, Inken Oettinger habe 170 hochmögende Damen der Gesellschaft beim Adventskaffee in der Berliner Landesvertretung mit dem Hinweis auf das Fußballtraining des Sohnes einfach sitzen gelassen. Dann titelte sie in der Deutschlandausgabe “Deutschlands seltsamstes Politiker-Ehepaar”. Nun wurde Stufe drei gezündet: “Ehe kaputt”.

Auch die “Stuttgarter Nachrichten” formulieren, Oettinger habe “dem Druck der ‘Bild’-Zeitung nachgegeben” und berichten aus der Stuttgarter Regierungszentrale:

“Die haben dem Chef doch das Messer auf die Brust gesetzt”, meint einer. Was das heißen könnte? “Bild” soll gedroht haben, die Ehe-Probleme öffentlich zu machen. So viel ist klar: In der vergangenen Woche soll es ein Telefonat zwischen “Bild”-Chef Kai Diekmann und der Regierungszentrale gegeben haben.

Seit Monaten schon habe “Bild” Oettinger angeboten, “seine privaten Dinge über den Boulevard zu regeln”, was der Ministerpräsident abgelehnt habe, schreiben die “Stuttgarter Nachrichten”, und:

“In Berlin wird kolportiert, der Springer-Konzern habe für diese Woche mit der Veröffentlichung von Details aus dem Privatleben des Paares gedroht. Das aber wollten sich die Oettingers ersparen.”

In einem Leitartikel kritisieren die “Stuttgarter Nachrichten” Oettingers Art des Coming-Outs:

Politiker und Journalisten in Baden-Württemberg wissen seit langem von den Schwierigkeiten der Eheleute Oettinger – aus Respekt vor der Privatsphäre haben sie geschwiegen. Viele Redakteure, auch dieser Zeitung, haben Oettinger auf seine Ehe angesprochen – die Antwort “Kein Kommentar” wurde stets respektiert.

Auf die Frage, warum Oettinger sein Schweigen exklusiv für und in “Bild” brach, sei im Staatsministerium von einer “Zwangslage” die Rede: “Wir konnten doch nicht anders.”

Zu groß ist offenbar die Angst christlich-konservativer Landespolitiker mit Ambitionen in Richtung Berlin, es sich mit “Bild” zu verderben. Sicherheit gibt da wohl nur das Gefühl, von “Bild” geliebt zu werden, egal um welchen Preis.

Und der Boulevard dankt: Als “einen der mächtigen CDU-Kronprinzen” titulierte “Bild” den baden-württembergischen Ministerpräsidenten gestern prompt. Man kann das auch anders sehen: Ein mächtiger Kronprinz braucht ein starkes Rückgrat, er braucht Souveränität, er knickt auch vor “Bild” nicht ein.

Der Kommentar schließt:

Günther Oettinger […] lässt sich am Ende des “Bild”-Berichtes mit einem Satz zitieren, der angesichts der zweidrittelseitigen Aufmachung seines Ehe-aus-Bekenntnisses so absurd wie verzweifelt anmutet: “Wir haben die Bitte, dass die Öffentlichkeit unsere Privatsphäre akzeptiert.” Wir gehen davon aus, dass sein Appell nicht dieser und anderen seriösen Zeitungen gilt. Sondern der “Bild”-Zeitung, gern auch exklusiv. Seine Chancen stehen nicht schlecht. Den Preis für künftige Wohlbehandlung hat Oettinger schließlich schon bezahlt.

Mark Medlock bei Neben-Mann-Hergehen erwischt

Paparazzerei ist ein schmieriges Geschäft. Websites wie TMZ.com können ein Video davon spielen, wie unschön das penetrante Behelligen und Beschleimen irgendwelcher Promis in der Öffentlichkeit mitanzusehen ist.

Aber auch die Schmalspur-Paparazzi der “HauptBruch GbR – Film- & Fernsehproduktion” zeigen uns das in einer Videosequenz (Der Sänger Mark Medlock und ein weiterer junger Mann verlassen wortlos eine Veranstaltung, gehen wortlos zum Parkplatz und steigen dort wortlos in ein Auto) ganz eindrucksvoll. O-Ton:

Wie hat’s euch gefallen, darf ich fragen? Bleibt ihr noch lange auf Mallorca?

Magst du deinen Fans was sagen? Bitte, nur einmal… Du musst dein Schweigen doch mal brechen!

Bitte einmal noch umdrehen, dann lass ich euch in Ruhe! Ein Bild zusammen noch, ein schönes…

Aber natürlich betteln und hecheln Paparazzi nicht zum Spaß. Und wenn sich schon die Aufnahmen nicht lohnen, müssen sie sich wenigstens lohnen. Eine HauptBruch-Website etwa verkauft sie so:

Sprachloser Superstar
Mark Medlock Arm in Arm mit einem Mann!

(…) Aber irgendwie hatte der Sänger keine Lust gefilmt zu werden und legte lieber demonstrativ den Arm um seinen Begleiter! (…) Wir fragen, wie ihm der Abend gefallen hat – keine Antwort! Dafür gestikuliert der DSDS-Star: Mark zeigt ein Peace-Zeichen und züngelt lasziv in unsere Linse! Auch einen Gruß an seine Fans möchte er uns nicht in die Kamera sagen.
Immer wieder haken wir nach, (…).

Und es hat funktioniert. Gestern zeigte die kleine “Bild”-Schwester “B.Z.” Fotos aus dem HauptBruch-Video — und schrieb:

Händchen haltend laufen Mark Medlock (30) und sein neuer Freund […] durch die Straßen von Mallorca

Und weil die “B.Z.” auch gleich noch eine News dazu hatte, steht sie mitsamt dem HauptBruchschen Foto-Beweis seit gestern (samt Video) auch bei Bild.de:

Mark Medlock liebt jungen Unternehmer

(…) Der Sänger und sein Lover wurden Hand in Hand auf der Baleareninsel gesichtet.

Und mal mit mal ohne Bild.de als Quelle findet sich die “Hand in Hand”-Nachricht seither u.a. auch auf Gossip-Halden* wie 20min.ch und shortnews.de**.

Die Sache hat nur einen Haken. Nein, nicht den, dass der Medlock-“Lover” die Beziehung gestern auf Sat.1 irgendwie dementiert hat (“… als Kumpel … gute Freundschaft, mehr auch nicht … bin nicht schwul …”). Nein, der vermeintliche Foto-Beweis ist keiner:


Wer auf dem Video irgendein “Händchen halten” sieht, sollte Boulevardjournalist werden.

Mit Dank an Leon B. für den Hinweis.

*) Nachtrag, 8.8.2008: Laut Viva.tv wurden sie sogar “beim öffentlichen Turteln und Händchenhalten auf Malle entdeckt”. Ach, echt?!

**) Nachtrag. 11.8.2008: Bei shortnews.de wurde die Übernahme der Bild.de-Meldung inzwischen entfernt. (Mehr dazu hier.)

oe24.at bringt Impf-Gegner zum Höhepunkt

oe24.at, das Onlineportal des Boulevardblatts “Österreich”, ist für jeden Spaß jeden Mist zu haben. Seinen Lesern einen alten “Horror-Clown” als neuen verkaufen? “Völlig irre” Nachrichten zum angeblichen Gender-Wahnsinn in Flensburg verbreiten? Über den falschen Tod einer pink gefärbten Katze berichten? Wenn irgendwo haltlose Meldungen die Runde machen, ist oe24.at gern dabei.

Vergangenen Freitag veröffentlichte die Redaktion diesen Artikel:

Der ganze Beitrag besteht aus einem Ein-Satz-Teaser und zwei Absätzen:

Die bekannte Heilpraktikerin will noch weitere Nebenwirkungen erkannt haben.

Es ist ein schon länger schwelender Streit: Impf-Befürworter und Impf-Gegner liegen sich schon seit Jahren in den Haaren. Jetzt hat sich eine bekannte Schweizer Heilpraktikerin auf die Seite der Impf-Gegner geschlagen. Zita Schwyter will erkannt haben, dass Kinder nach Impfungen anfangen zu masturbieren

Aber Schwyter will auch andere Nebenwirkungen entdeckt haben: Schlafstörung, Legasthenie, Stottern, Autismus oder ein Hirntumor seien die Folge, wen (sic) man sein Kinde impfe. Deswegen rät sie dazu, “Kinder vor Impfungen zu verschonen”.

Das war’s. Keine Distanzierung. Keine Einordnung. Als wäre das, was Zita Schwyter sagt, eine ganz normale Position in einem “schwelenden Streit”, als hätte sie tatsächlich etwas “erkannt”, als wäre ihr Rat für die oe24.at-Leserinnen und -Leser eine relevante Information, die diese bei der Entscheidung, ob sie ihr Kind nun impfen lassen oder nicht, einbeziehen sollten. Kommt ja schließlich alles von einer “bekannten Schweizer Heilpraktikerin”.

Schwyters Aussagen zum Impfen erschienen zuerst am vergangenen Mittwoch bei der “Toggenburger Zeitung”:

Im Gegensatz zu oe24.at gibt es bei der “Toggenburger Zeitung” aber Gegenpositionen, Widersprüche, eben eine journalistische Aufbereitung. 20min.ch übernahm die Geschichte von dort, später auch derwesten.de und die “Huffington Post”. Überall findet man Warnungen (“Horrorgeschichten”, “absurde Gerüchte über ‘Impfkrankheit'”, “Lügen der Impfgegner”). Nur beim Online-Ableger von “Österreich” nicht.

Inzwischen hat die oe24.at-Redaktion ihren Artikel übrigens korrigiert. Statt “Masturbieren” steht nun “masturbieren” in der Überschrift:

Entdeckt bei @ve_maricic und @wluef!

Nachtrag, 20:04 Uhr: Das ging schnell — der Artikel ist ohne jeden Hinweis von der Seite verschwunden:

Unter Beschuss, Steele-Dossier, Facebooks Newsfeed-Änderung

1. Unter Beschuss
(gutjahr.biz)
Welch ein Alptraum: Seit 18 Monaten wird der Journalist und Blogger Richard Gutjahr von Verschwörungstheoretikern, Reichsbürgern und Antisemiten im Netz attackiert, verleumdet und bedroht. Auf YouTube würden an die 800 Verschwörungsvideos über ihn und seine Familie kursieren. “Unsere Gerichts- und Anwaltskosten sind gewaltig. Hinzu kommen die schlaflosen Nächte, die Tränen und die zwischenmenschlichen Konflikte, die nicht nur unser Privatleben, sondern auch das Verhältnis zu meinem Arbeitgeber auf die Probe gestellt haben.” In einem lesenswerten und sehr persönlichen Beitrag erzählt Gutjahr, was er über Facebook und Google, über unser Rechtssystem und über die tatsächliche Strafverfolgung von Hatespeech gelernt hat. Und gibt zum Schluss einige handfeste Tipps zum Umgang mit Hetze und Hasskommentaren im Netz.

2. Die Pläne des neuen ARD-Vorsitzenden Ulrich Wilhelm
(morgenpost.de, Kai-Hinrich Renner)
Am ersten Januar übernahm BR-Intendant Ulrich Wilhelm den Vorsitz der ARD. Wilhelm ist sowohl Jurist als auch gelernter Journalist und diente bereits Edmund Stoiber und Angela Merkel als Sprecher. In ersten Interviews ging es gleich ums liebe Geld: Drei Milliarden Euro mehr Gebührengelder benötige man ab 2021, um tiefe Einschnitte im Programm zu vermeiden.

3. Spätfolgen eines Scoops
(sueddeutsche.de, Karoline Meta Beisel)
Vor einem Jahr veröffentlichte das US-Portal “Buzzfeed” das sogenannte “Steele-Dossier”. Darin geht es um Kontakte zwischen Trumps Wahlkampfteam und der russischen Regierung. Am letzten Tag vor Ablauf der Verjährungsfrist hat der in dem Dossier als zentrale Figur genannte Anwalt von Donald Trump Verleumdungsklage gegen “Buzzfeed” erhoben.

4. Facebook, Twitter und die Privatisierung der Medien- und Kunstfreiheit
(medienwoche.ch, Adrian Lobe)
Adrian Lobe hält das gesetzliche Vorgehen gegen Hassrede auf Social-Media-Plattformen in Deutschland für gefährlich. Die Auslagerung hoheitlicher Aufgaben an Private gefährde die Medien- und Kunstfreiheit. Als aktuelles Beispiel nennt er die Vorgänge um das Satiremagazin “Titanic”.

5. Wie viele Flüchtlinge finden Arbeit?
(mediendienst-integration.de, Carsten Janke)
Wie viele Geflüchtete sind arbeitslos und wie viele haben bereits einen Job gefunden? Zu diesem Thema gibt es natürlich Statistiken, aber so einfach ist es nicht: Durch das Herauspicken einzelner Zahlen lässt sich die Situation unterschiedlich beschreiben und wahlweise ein Erfolg oder Misserfolg bei der Integration begründen. Der “Mediendienst Integration” erläutert, welche Arbeitsmarkt-Zahlen wichtig sind, was sie sagen und — gute Idee — was sie eben nicht sagen.

6. Facebook Overhauls News Feed to Focus on What Friends and Family Share
(nytimes.com, Mike Isaac)
Facebook überarbeitet den Newsfeed: mehr Nachrichten von Freunden und Familie und weniger Einblendungen von Publishern und “Brands”. Die “New York Times” zitiert Mark Zuckerberg mit den Worten: “We want to make sure that our products are not just fun, but are good for people. We need to refocus the system.” Den entsprechenden Seitenbetreibern dürfte die Umstellung weh tun, denn sie werden seltener eingeblendet und müssen sich ihre Sichtbarkeit zukünftig noch teurer erkaufen.

Schülerzeitung entlockt Julian Reichelt “tiefe innere Wahrheit”

Julian Reichelt war auch mal Schüler. Der heutige “Bild”-Chef besuchte als Jugendlicher ein Gymnasium in Hamburg-Othmarschen. Dort, am Gymnasium Othmarschen, war Reichelt bereits Chefredakteur — der Schülerzeitung. Darüber hatten Isabell Hülsen und Alexander Kühn unter anderem in ihrem Reichelt-Portrait im “Spiegel” geschrieben.

Diesen Text hat auch Johann Aschenbrenner gelesen, der in gewisser Weise Julian Reichelts Nachfolger ist, als aktueller Chefredakteur der Schülerzeitung am Gymnasium Othmarschen. Zusammen mit seiner Mitschülerin Emma Brakel und seinem Mitschüler Arvid Bachmann hat Aschenbrenner “Bild”-Chef Reichelt im Axel-Springer-Hochhaus in Berlin besucht. Herausgekommen ist ein lesenswertes Interview, das meilenweit entfernt ist vom despektierlichen Prädikat “Schülerzeitungsniveau”:

Aschenbrenner, Brakel und Bachmann haben einige schöne Details in Julian Reichelts Büro und Arbeitsalltag beobachtet. Und Reichelt äußert in dem Gespräch einige bemerkenswerte Dinge.

Er sieht “Bild” beispielsweise “natürlich in einer Liga” mit der “Washington Post” und der “New York Times”:

Wir sind da, wo die “Post” oder die “New York Times” sind, oder umgekehrt: Die sind da, wo wir sind. In dieser Liga halten wir uns, auch durch strategisch kluge Entscheidungen, wie zum Beispiel die Umsetzung von Paid-Content.

Er glaubt beispielsweise nicht, dass “Bild” Stimmung mache, und meint, dass “Bild” auch nicht Stimmung machen sollte. Aschenbrenner, Brakel und Bachmann halten dagegen:

Schlagzeilen schaffen Stimmungen. Die “BILD”-Zeitung beruft sich häufig darauf, was dann auf der Seite 2 steht. Wenn man die Schlagzeile “Islam-Rabatt” liest, dann kreiert das doch eine gewisse Stimmung. Sie sind sich der Bedeutung der Eins doch sicher bewusst?

Reichelt antwortet, dass solche Schlagzeilen “eine tiefe innere Wahrheit und Berechtigung” hätten. Dieses Geschwafel nimmt Johann Aschenbrenner in einem gesonderten Text auseinander:

Bei Prozentrechnung sollte Bild.de das geklaute Handtuch werfen

Es gibt Redaktionen, die haben so ihre Probleme damit, Studienergebnisse korrekt wiederzugeben, und mit der Prozentrechnung klappt es bei ihnen auch nicht so recht. Und es gibt …

Es gibt Hotelgäste, die der Meinung sind, dass alles, was in ihrem Zimmer ist, ihnen gehört. Und nach ihrer Abreise fehlen plötzlich Kissen, Kleiderbügel und anderes.

Manchmal finden die einen und die anderen zusammen:

Screenshot Bild.de - Studie - Raten Sie mal, was in Hotels am meisten geklaut wird!

Bild.de berichtet über die Ergebnisse einer Studie des Reiseportals “Wellness Heaven”, das bei 1157 Hoteliers unter anderem gefragt habe, “welche Gegenstände am häufigsten geklaut werden”. Die Auflösung im Artikel:

77,5 Prozent der gestohlenen Gegenstände sind Handtücher, gefolgt von Bademänteln (65,1 Prozent), Kleiderbügeln (49,3 Prozent), Stiften (39,1 Prozent), Besteck (33,6 Prozent) und Kosmetik (32,8 Prozent). Deutlich seltener landen zum Beispiel Kunstwerke (20,2 Prozent), Decken (15,6 Prozent) und Tablet-PCs (12 Prozent) im Koffer. Aber damit hört der Klau nicht auf: Auch Föhne, Kaffeemaschinen, Fernsehgeräte und Telefone werden mitgenommen, und mancher schleppt sogar seine Matratze aus dem Hotelzimmer!

Das ist erstens mathematisch völliger Murks, schließlich gäbe so 345,2 Prozent gestohlene Gegenstände (und da wären die Föhne, Kaffeemaschinen, Fernsehgeräte, Telefone und Matratzen noch nicht mal eingerechnet); und zweitens nicht das, wonach “Wellness Heaven” gefragt hat. “Zur Methodik der Umfrage” erklärt das Portal:

Die Multiple-Choice Antworten wurden randomisiert dargestellt, eine Mehrfachnennung war möglich.

Zum Beispiel “Handtücher” in Abb. 1: 77,5% der befragten Hoteliers haben angegeben, dass Handtücher in ihrem Hotel gestohlen wurden.

Allerdings schafft es auch “Wellness Heaven”, das Ergebnis der eigenen Studie (anders) falsch zusammenzufassen:

Das Hauptergebnis der Studie: die erdrückende Mehrheit der Gäste klaut Handtücher und Bademäntel

Mit Dank an Julia und Aron für die Hinweise!

Gericht verbietet Bild.de Schleichwerbung

Schleichwerbung ist eine schlimme Sache, findet die “Bild”-Zeitung. Wenn die ARD sie betreibt. In ihrem Online-Angebot Bild.de, das die Axel Springer AG gemeinsam mit T-Online betreibt, findet sie die Vermischung von Werbung und redaktionellen Inhalten dagegen unproblematisch.

Weil man das den Seiten von Bild.de ansieht, hatte der Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) in einem konkreten Fall gegen Bild.T-Online geklagt: Die Schleichwerbepraxis verstoße gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb und den Mediendienstestaatsvertrag.

Vor dem Berliner Landgericht argumentierte Bild.T-Online nach Darstellung des VZBV, gerade jüngere Internetnutzer gingen von einem generellen Werbecharakter des Internet aus. Eine klare Abgrenzung zwischen Werbung und redaktionellen Beiträgen sei deshalb nicht erforderlich. Folgt man einem Gespräch des damaligen Vorstandsvorsitzenden von Bild.T-Online, Peter Württemberger, im Dezember 2004 mit der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung”, beruht das Geschäftsmodell von Bild.T-Online wesentlich auf dieser Annahme.

Das Landgericht Berlin erklärte die Praxis am vergangenen Dienstag für rechtswidrig: Werbung müsse als “Anzeige” gekennzeichnet oder eindeutig zu erkennen sein. Auch ein sogenannter “Teaser” zwischen redaktionellen Inhalten müsse den Lesern eindeutig klarmachen, dass er zu einem Werbeangebot führt — er dürfe dies nicht erst nach dem Klick erfahren. Der VZBV fasst das Urteil so zusammen: Eine Internetseite sei so zu gestalten, dass der Nutzer die Wahl hat, ob er sich mit Werbung beschäftigen will oder nicht.

Wenn Bild.de in Zukunft bei Schleichwerbung ertappt werde, wie sie sich auch vorgestern noch fand, könnte das nach diesem Urteil teuer werden, heißt es bei den Verbraucherzentralen.

Eine Sprecherin von Bild.T-Online sagte, sie könne das Urteil nicht kommentieren, da es dem Unternehmen noch nicht vorliege.

Nachtrag, 30. Juli: Inzwischen gibt es eine Stellungnahme von Bild.T-Online. Das Unternehmen widerspricht “entschieden” der Darstellung der Verbraucherzentralen. Es sei in dem Verfahren nicht um “Schleichwerbung” gegangen, sondern um die Frage, ob eine nicht als Werbung gekennzeichnete Werbe-Ankündigung als Werbung erkennbar gewesen sei. Bild.T-Online habe ausdrücklich auf die “Notwendigkeit einer eindeutigen Trennung von Redaktion und Anzeigen” hingewiesen, es sei lediglich darum gegangen, wann eine Werbung im Internet klar erkennbar sei.

Die Pressemitteilung von Bild.T-Online endet mit den Worten: “Bild.T-Online wird weiterhin gemäß der journalistischen Leitlinien von Axel Springer großen Wert darauf legen, daß Werbung auch als solche klar erkennbar ist.” Zur genaueren Bedeutung des Wortes “weiterhin” klicken Sie bitte hier,
hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier oder hier.

So gaukelt “Bild” uns miese Renteninfos vor

Das Unangenehme an der Zukunft ist ja, dass sie sich regelmäßig nicht an die Voraussagen hält, die über sie in der Gegenwart getroffen werden. Und andererseits wünscht man sich von einem offiziellen Schreiben, in dem die gesetzliche Rentenversicherung einem mitteilt, mit welcher Rente man in Zukunft rechnen kann, doch eine gewissen Zuverlässigkeit. Insofern war es eigentlich eine gute Idee von der “Bild”-Zeitung, sich am Samstag die in diesen Wochen millionenfach versandten “Renteninformationen” (Muster als pdf) genauer anzusehen.

Um zu ihrem erwartbar vernichtenden Urteil zu kommen…

So gaukelt der Staat uns steigende Renten vor

…musste sie allerdings einige Verrenkungen anstellen.

“Bild” moniert, dass in dem Brief “Rentenerhöhungen von 1 % und 2 %” vorgerechnet werden, was “sehr optimistisch” sei. Mag sein, aber auf dem unmittelbar daneben abgebildeten Musterbrief sieht man, dass die Renteninformation auch einen Wert angibt für den Fall, dass die Renten gar nicht erhöht werden.

“Bild” moniert, dass die angegebene zu erwartende Rente nicht berücksichtigt, dass ja auch ein “Jobverlust oder Wechsel auf eine schlechter bezahlte Stelle” dazwischen kommen könnte. Nun könnte man denken, dass jeder Bürger weiß, dass ein solches Schreiben das genau so wenig berücksichtigen kann wie die Möglichkeit, dass man morgen befördert wird. Notfalls kann man aber auch darauf verweisen, dass die Rentenversicherung vor die entsprechende Summe den Satz geschrieben hat: “Sollten bis zur Regelaltersgrenze Beiträge wie im Durchschnitt der letzten fünf Kalenderjahre gezahlt werden, bekämen Sie (…) von uns eine monatliche Rente von:”.

“Bild” moniert, dass “mögliche Rentenabschläge bei vorzeitigem Ruhestand völlig ausgeblendet werden”. Nun ja: Die Renteninformation bezieht sich ausdrücklich auf die Annahme, dass man bis zur Regelaltersgrenze arbeitet; auf der zweiten Seite steht ebenso ausdrücklich, dass ein früherer Rentenbeginn zu Abschlägen führt.

“Bild” moniert, dass die Renteninformation nicht berücksichtigt, dass “die Preise schneller steigen als die Renten”. Aber ob sie das wirklich tun werden, weiß niemand. Sicher ist nur, dass die Renten langsamer steigen werden als die Löhne — die Anpassungen können aber durchaus über der Inflationsrate liegen.

Zusätzlicher Vorsorgebedarf
Da die Renten im Vergleich zu den Löhnen künftig geringer steigen werden und sich somit die spätere Lücke zwischen Rente und Erwerbseinkommen vergrößert, wird eine zusätzliche Absicherung für das Alter wichtiger (“Versorgungslücke”). Bei der ergänzenden Altersvorsorge
sollten Sie – wie bei Ihrer zu erwartenden Rente – den Kaufkraftverlust beachten.

Warnung in der “Renteninformation 2007”, erste Seite

Und so geht das noch ein bisschen weiter (auch die Rentenversicherung selbst hat eine Erklärung dazu abgegeben). “Bild” ignoriert sämtliche warnenden und relativierenden Hinweise, die in den Briefen enthalten sind. Erstaunlicherweise hat die Zeitung sogar an der Warnung etwas auszusetzen, dass Versorgungslücken zu erwarten und eine “zusätzliche Absicherung für das Alter” zu empfehlen sei: Da fehle der Hinweis, dass man auch für private Lebensversicherungen “kräftig Steuern, Kranken- und Pflegebeiträge hinblättern” muss.

Dass “Bild” nicht noch Extra-Renten-Prognosen für den Fall fordert, dass außerirdische Dinosaurier zwei Drittel der Rentenzahler auffressen, ist vermutlich nur dem mangelnden Platz geschuldet.

PS: Ausnahmsweise ist es “Bild” gelungen, den Empfänger des faksimilierten Renten-Briefes vollständig zu anonymisieren:

Dabei wäre das in diesem Fall ausnahmsweise nicht so dringend gewesen:

Mit Dank an Andreas K.!

Die Rügen-Könige aus dem Axel-Springer-Hochhaus

Im Axel-Springer-Hochhaus in Berlin klirren gerade die Champagnergläser. Julian Reichelt dreht an seinem Arbeitsrechner Queens “We Are The Champions” noch ein Stück lauter, Freddie Mercurys Stimme knarzt aus den kleinen Lautsprecherboxen. Die Mitarbeiter von “Bild”, “Bild am Sonntag” und Bild.de sind zusammengekommen. Sie liegen sich in den Armen und pusten Luftschlangen durch den großen Newsroom. Denn die große “Bild”-Familie hat es mal wieder geschafft: Sie sind die Nummer eins, unangefochten in ganz Deutschland, ein weiterer Grund, mächtig stolz auf sich zu sein. Alle drei Rügen, die der Deutsche Presserat in seiner letzten Sitzung verteilt hat, gehen an “Bild”-Medien.

***

Jeweils eine Rüge bekamen “Bild am Sonntag” und Bild.de für ihre Berichterstattung über das Attentat vor und im Münchener Olympia-Einkaufszentrum. Konkret geht es um das Zeigen von Fotos der teilweise noch minderjährigen Opfer:


Der Presserat schreibt dazu:

Der Ausschuss kritisierte, dass beide Veröffentlichungen Fotos zeigten, die ohne Einwilligung der Hinterbliebenen veröffentlicht worden waren. Einige Opfer waren minderjährig. Es handelt sich um einen schwerwiegenden Verstoß gegen Richtlinie 8.2. des Kodex, nach der die Identität von Opfern besonders zu schützen ist. Die Hinterbliebenen der Verstorbenen sollten nicht unvermittelt mit Fotos ihrer toten Angehörigen konfrontiert werden. “Nicht alles, was in sozialen Netzwerken verfügbar ist, darf auch ohne Einschränkung veröffentlicht werden. Die eigene Darstellung, z. B. in einem Facebook-Profil, bedeutet nicht zwingend eine Medienöffentlichkeit”, sagte die Vorsitzende des Ausschusses 2, Katrin Saft.

Die “Maßnahmen” des Presserates:

Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:

  • einen Hinweis
  • eine Missbilligung
  • eine Rüge.

Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.

Dass die “Bild”-Medien dazu diametral entgegengesetzte Ansichten haben, kann man täglich in den vielen “Bild”-Regionalausgabe und bei Bild.de beobachten.

Der Presserat beschäftigte sich übrigens auch mit Beschwerden zur Berichterstattung über den Täter von München. Im Veröffentlichen der Fotos, die ihn zeigen, und Nennen seines Namens sah das Gremium allerdings keinen Verstoß gegen den Pressekodex:

Die Tat in München hatte ein großes öffentliches Interesse ausgelöst und Fragen nach dem Motiv und nach den Hintergründen der Tat aufgeworfen. Das öffentliche Interesse am Täter ist höher zu bewerten als der Schutz der Persönlichkeit nach Ziffer 8 des Kodex, die Darstellung war presseethisch akzeptabel, urteilte der Beschwerdeausschuss.

***

Die dritte Rüge ging an Julian Reichelts Bild.de, womit er “Bild”-interner Rügen-König wurde. Sein Portal berichtete im Mai über einen Messerangriff in einem Dortmunder Kaufhaus. Bild.de zeigte ein Video, in dem das Opfer neben einer Blutlache auf dem Bauch lag, das Messer steckte noch in seinem Rücken:

Der Beitrag unter der Überschrift “Brutale Messerattacke auf Video aufgenommen” zeigt den Handymitschnitt eines Passanten, auf dem das Opfer zu sehen ist, wie es mit einem Messer im Rücken blutend auf dem Boden liegt. Diese Passage wurde sogar mehrfach wiederholt. Im Hintergrund sind die Schreie einer Frau zu hören. Die Berichterstattung hält der Beschwerdeausschuss für eine unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt.

Bei all der Schrecklichkeit dieses Artikels: Immerhin ist der Kopf des Opfers bei Bild.de verpixelt. Die Ruhrgebiets-Ausgabe der “Bild”-Zeitung berichtete in dem Fall noch rücksichtsloser, ohne Unkenntlichmachung, dafür aber mit einer Großaufnahme des im Rücken steckenden Messers (Bildunterschrift: “Am Messergriff hängt noch die Diebstahlsicherung”):

Folgen hatte dieser Voyeurismus für die Redaktion allerdings keine. Eine Sprecherin des Presserats sagte uns, dass gegen den Printartikel keine Beschwerde eingegangen sei. Und dann wird der Presserat auch nicht aktiv.

  • Neben den drei Rügen verteilte der Presserat noch zwölf Missbilligungen und 32 Hinweise an verschiedene Medien.

Kontrolle für Gepiercte in großen Autos? “Bild” erfindet Politiker-Zitate

Ein Besuch bei der Jahreshauptversammlung des örtlichen Kegelvereins, den Taubenzüchtern des Nachbardorfes oder einer Fragerunde des CDU-Kreisverbandes ist sicher nicht die Aufgabe, die sich viele Journalisten wünschen. Es ist aber auch eine vergleichsweise simple Übung — hingehen, zuhören, aufschreiben, was so gesagt wurde. Doch selbst an solch einfachen Dingen scheitert “Bild” kläglich.

Am Montag berichteten Bild.de und die Leipzig-Ausgabe der “Bild”-Zeitung von einer Veranstaltung des Leipziger CDU-Kreisverbandes. Immerhin schaute dort Michael Kretschmer vorbei, der aktuell noch Generalsekretär des Sächsischen CDU-Landesverbandes ist und bald Ministerpräsident des Freistaats sein dürfte. Kretschmer hielt erst eine gut 20-minütige Rede und stellte sich in der anschließenden Aussprache den Fragen der anwesenden CDU-Mitglieder.

Für “Bild”-Autor Erik Trümper waren vor allem zwei Aussagen Kretschmers interessant. In der einen geht es um die Nutzung der Videoüberwachung auf Autobahnen. Trümper schreibt:

Und Kretschmer? Legte beim Thema Sicherheit gleich nochmal nach. So empfahl er die elektronische Videoüberwachung auf den Autobahnen Richtung Grenze: “Wenn ich da sehe, dass ein Gepiercter ein großes Auto fährt, dann ist das verdächtig und kann ihn kontrollieren.”

Um es direkt klarzustellen: Das hat Michael Kretschmer so nie gesagt — das Zitat ist eine Erfindung von “Bild”-Autor Erik Trümper. Die Aussage, die Trümper dem CDU-Mann in den Mund legt, ist natürlich so bescheuert, dass sie sich bestens für eine kleine Empörungsrunde eignet. “Focus Online” hat sie zum Beispiel aufgegriffen:

Screenshot Focus Online - Michael Kretschmer - Sachsens künftiger Ministerpräsident will Menschen mit Piercing kontrollieren lassen

Und auch Netzpolitik.org:

Screenshot Netzpolitik.org - Sachsens künftiger Ministerpräsident findet Menschen mit Piercing verdächtig

Sie alle beziehen sich auf “Bild” und Erik Trümper. Bei Netzpolitik.org haben sie inzwischen mitbekommen, dass das “Bild”-Zitat völlig falsch ist und ein “Update” veröffentlicht.

Tatsächlich sprach Michael Kretschmer in der Fragerunde über das Thema Innere Sicherheit und die Kfz-Kennzeichenerfassung auf Autobahnen. Er sagte:

Es gibt zwei Komponenten, über die wird relativ wenig gesprochen. Das eine sind die technischen Einsatzmittel. Da geht es auch gar nicht zuerst mal um die Autos, mit denen die Polizisten durch die Gegend fahren, sondern da geht es um die Funkgeräte, da geht es um die Frage der Tablets, da geht es um die Frage Kfz-Kennzeichenerfassung, also etwas, was ich jetzt auch vor Kurzem erstmal das erste Mal selber gesehen habe. Und wenn man das sieht, fällt man auch vom Glauben ab, warum das alles so ist. Derzeit wird das so praktiziert: An der Autobahn, wenn Sie jetzt nach Dresden fahren oder nach Berlin, steht da irgendwo in der Abfahrt ein Polizeifahrzeug, mit einem Fernglas, guckt: Wie ist das Kennzeichen von dem Auto?, guckt: Was ist das für eine Marke? Der zweite Kollege gibt das durch ans Revier, der checkt das und fragt, ob das Kfz-Kennzeichen zu dem Auto passt, ob der Halter er sein könnte …

In diesem Moment zeigte Kretschmer auf seinen Nebenmann Frank Tornau, der 42 Jahre alt ist, einen Anzug mit Krawatte und keine Piercings trug:

Screenshot des Mitschnitts von Michael Kretschmers Auftritt, in dem er auf seinen Nebenmann zeigt

… oder ob das irgendwie ein junger gepiercter Typ ist. Und wenn da irgendwie die Dinge nicht miteinander zusammenpassen, wird der Kollege rausgewunken. So. Das dauert. Das bindet Personalkraft. Das ist absolut ineffizient. Und wenn man dann sieht, dass es technische Lösungen gibt, die das vollkommen von alleine machen, innerhalb von Bruchteilen von Sekunden, und wir es nur deswegen nicht einrichten, weil wir die rechtlichen Rahmen nicht haben, weil Leute sich hinter Datenschutz verstecken, dann muss man sagen: Das kann doch nicht sein.

Das kann man immer noch völlig bescheuert und höchst bedenklich finden. Aber Michael Kretschmer sagt an keiner Stelle, dass es verdächtig sei, wenn “ein Gepiercter ein großes Auto fährt” und dass man Gepiercte in großen Autos generell kontrollieren solle.

An einer zweiten Stelle desselben Artikels arbeitet “Bild”-Mitarbeiter Trümper ähnlich unsauber. Er behauptet, Kretschmer habe zu einer Vergewaltigung in der Leipziger Parkanlage Rosental eine “fragwürdige Idee” geäußert:

Kretschmer: “Wenn ich Oberbürgermeister wäre, würde ich nach einem solchen Überfall erst einmal Schneisen schlagen lassen. Damit sich Verbrecher dort nicht verstecken können.”

Die gut 120 Leipziger CDUler schwiegen peinlich berührt. Denn was sie — im Gegensatz zu Kretschmer — wissen: Das Rosental steht unter Naturschutz. Und mehr Polizeikräfte für Leipzig sind eventuell effektiver als Kettensägen …

Diese angebliche Aussage Kretschmers schaffte es als noch konkreteres Zitat sogar in die Überschrift der “Bild”-Zeitung …

Ausriss Bild-Zeitung - Wenn ich OB wäre, ließe ich Schneisen durchs Rosental schlage

… und in paraphrasierter Form in die Bild.de-Schlagzeile:

Screenshot Bild.de - Fast-Ministerpräsident in Leipzig - Kretschmer würde Schneisen durchs Rosental schlagen damit sich Verbrecher nicht mehr verstecken können

Allerdings hat Michael Kretschmer bei seinem Auftritt in Leipzig nicht explizit von “Schneisen durchs Rosental” gesprochen, sondern von “anderen Orten”:

Und wenn Sie in anderen Orten sind, wo so etwas Schlimmes wie so eine Vergewaltigung wie hier gerade auch passiert ist, dann würden Ihnen die Bürgermeister sagen: “Das Erste, was wir machen, ist, erstmal Sichtachsen zu schneiden, schauen, dass man sich da nicht verstecken kann.”

Auch das “peinlich berührte” Schweigen, das Trümper beobachtete haben will, geht aus dem Videomitschnitt nicht hervor. Die Zuhörer sind in der Situation genauso leise wie in den Minuten davor und danach, während Michael Kretschmer spricht.

Weil wir Zweifel haben, dass bei den “Bild”-Medien überhaupt irgendetwas ankommt, an dieser Stelle ein Tipp für alle anderen Redaktionen: Schreibt nienienie einfach so und ungeprüft von “Bild” oder Bild.de ab.

Mit Dank an Jacob P. für den Hinweis!

Tatort-Grabscher zieht Klage zurück, Presserecht als Waffe, Opernfreund

1. Ex-“Tatort”-Koordinator Henke zieht Klage gegen Charlotte Roche zurück
(spiegel.de, Laura Backes & Ann-Katrin Müller)
Es liest sich schon recht erbärmlich, was der “Spiegel” berichtet: Sechs Frauen hatten dem langjährigen “Tatort”-Koordinator und früheren WDR-Filmchef Gebhard Henke vorgeworfen, sie sexuell belästigt zu haben. Nachdem Henke sich mit dem WDR über sein Ausscheiden verständigt hatte, verklagte er den “Spiegel” sowie Charlotte Roche und versuchte, die Zeuginnen und die Journalistinnen zu diskreditieren. Besonders heftig und persönlich waren die Attacken gegen Roche, deren Glaubwürdigkeit er anzweifelte und als “sündenstolze Lügnerin” bezeichnete. Nun haben sieben weitere Frauen unter Nennung ihrer Namen Vorwürfe gegen Gebhard Henke erhoben. Wieder sei es um anzügliche Bemerkungen, um Po-Grapscher in aller Öffentlichkeit, um Hände auf dem Oberschenkel und um ungewollte Küsse gegangen. Das Resultat: “Keine 24 Stunden vor der Verhandlung zog Henke seine Klage dann zurück. Charlotte Roche darf also weiter sagen, von Gebhard Henke am Po begrapscht worden zu sein.”

2. Presserecht als Waffe
(kontextwochenzeitung.de, Markus Köhler)
Der Jurist Markus Köhler hat die “Kontext Wochenzeitung” erfolgreich in dem Verfahren vertreten, das “Kontext” vor dem Landgericht Mannheim und dem Oberlandesgericht Karlsruhe gegen einen rechtsradikalen Mitarbeiter zweier AfD-Abgeordneter führte. In einem Gastbeitrag schreibt Köhler über das “Presserecht als Waffe” und erläutert die Motive, die aus seiner Sicht hinter den Attacken stecken. Sein Resümee: “Mit dem Rechtsstaat ist es wie mit der Demokratie: Beide sind durch das als Waffe eingesetzte Presserecht verletzlich und müssen tagtäglich geschützt werden.”
Weiterer Lesehinweis: Ebenfalls bei “Kontext” bewertet Ex-Justizministerin Herta Däubler-Gmelin das Verfahren: Keine Macht dem Ungeist.

3. Schluss mit der Featureritis, her mit den Fakten!
(journalist-magazin.de, Florian Harms)
Im Medienmagazin “journalist” gibt es einen weiteren Teil aus der Serie “Mein Blick auf den Journalismus”, in der prominente Mediengrößen über besseren Journalismus nachdenken. Diesmal hat Florian Harms, Chefredakteur von t-online.de, sieben Anregungen formuliert, wie eine Redaktion zum “Leuchtturm in der Informationsflut” werden kann.

4. Das “absolute Unverständnis” des Axel Voss
(golem.de, Friedhelm Greis)
Der CDU-Politiker Axel Voss ist Berichterstatter des Europaparlaments bei der Urheberrechtsreform, eine verantwortungsvolle Aufgabe, bei der man eigentlich Kompetenz erwartet. Diese scheint jedoch nicht sonderlich ausgeprägt, wenn man sich die teilweise widersprüchlichen, teilweise falschen Äußerungen von Voss näher anschaut. Auch Friedhelm Greis kritisiert den Nicht-Experten: Obwohl dieser seit anderthalb Jahren über die EU-Urheberrechtsreform verhandele, habe er noch immer zentrale Punkte in der Debatte nicht verstanden. Greis fragt sich ratlos: “Wie soll das EU-Parlament auf Basis seiner Erläuterungen eine Entscheidung zu Leistungsschutzrecht und Uploadfiltern treffen?”

5. Storytelling: “Der Datenjournalismus ist im Alltag angekommen”
(fachjournalist.de, Ulrike Bremm)
Der “Fachjournalist” hat sich mit einem Fachmann für Datenjournalismus unterhalten: Sascha Venohr, dem “Head of Data Journalism” bei “Zeit Online”: Was macht den Datenjournalismus aus? Hat dieser bereits seinen Zenit überschritten? Und was empfiehlt Venohr Nachwuchsjournalisten jedweden Ressorts?

6. In eigener Sache
(deropernfreund.de)
“Der Opernfreund” ist die nach eigenen Angaben älteste deutsche private Opernzeitung und erscheint nun bereits im 51. Jahrgang. Die Website zählt vermutlich zu den meistgelesenen Opernwebsites im deutschsprachigen Europa. Das Besondere: Hier berichten begeisterte Opernliebhaber ohne finanzielles Interesse von ihren Opernbesuchen. Naturgemäß fällt manche Kritik negativ aus, und dann erweist sich, ob die Gegenseite damit gut umgehen kann. Im Fall des Intendanten des Staatstheaters Wiesbaden wohl weniger gut: Dieser habe mitgeteilt, dass es ab sofort keine Pressekarten für den “Opernfreund” geben würde. Pech für ihn, dass der Rezensent die Karten eh im Vorverkauf erwirbt. Nachtrag, 26. Februar: “Der Opernfreund” und das Staatstheater Wiesbaden konnten den Konflikt beilegen.

Wenn “Bild” “Terror” sagt, dann soll auch “die Politik” “Terror” sagen

Nur einen Tag, nachdem ein Mann im hessischen Limburg absichtlich mit einem Lkw in mehrere Autos gefahren sein soll und dabei acht Menschen verletzt hat, schrieb “Bild”-Parlamentsbüro-Leiter Ralf Schuler:

Zusammengeschobene Autos, verletzte Menschen, ein zerbeulter LKW:

Die Szenerie in Limburg ruft direkt Erinnerungen an ISIS-Anschläge hervor.

Und Schuler blieb auf der ISIS-Fährte:

In ihrem Propagandamagazin “Dabiq” und in Ansprachen ihres früheren Sprechers al-Adnani hatte die Terrororganisation ihre Anhänger zu Anschlägen mit Fahrzeugen aufgerufen.

Mit “Erfolg”:

► Am 14. Juli 2016 ermordete der Dschihadist Mohamed Lahouaiej Bouhlel mit einem Lkw in Nizza 86 Menschen.

► Am 19. Dezember 2016 desselben Jahres erschoss Anis Amri einen Lkw-Fahrer und ermordete mit dem Fahrzeug anschließend elf Menschen auf dem Berliner Breitscheidplatz.

► Auch der in Limburg festgenommene Syrer soll mehrfach versucht haben, einen Lkw zu kapern, bis es ihm am Montag schließlich gelang und er mehrere Menschen verletzen konnte.

Ein LKW, ein Syrer, Schulers “Erinnerungen an ISIS-Anschläge” — der Vorfall in Limburg kann doch nur ein islamistischer Terroranschlag gewesen sein. Und so fragten Ralf Schuler und “Bild” vorwurfsvoll in ihrer Überschrift:

Ausriss Bild-Zeitung - Immer wieder ist von gestörten Einzeltätern die Rede - Warum fürchtet die Politik das Wort Terror?

Der Grund, warum “die Politik” in dem Fall nicht sofort von “Terror” sprach, dürfte die Frage nach dem Motiv gewesen sein, die zu dem Zeitpunkt, als Schulers Text erschien, nicht eindeutig beantwortet werden konnte. Eine Woche später stellte sich heraus, dass der Verzicht auf “das Wort Terror” eine gute Wahl war: Die Ermittler konnten keine Anzeichen für einen terroristischen Hintergrund feststellen und keine Verbindungen des Tatverdächtigen zur islamistischen Szene finden. Die Tat in Limburg war kein Terror.

Bei “Bild” und Bild.de war da schon längst vom “Terror-Fahrer von Limburg” und vom “mörderischen Terror-Anschlag”, dem das Land “offenbar mit viel Glück” entgangen sei, die Rede. Warum auch recherchieren oder die Ermittlungsergebnisse abwarten, wenn die Tat in Limburg die Redaktion an die Taten in Nizza und am Berliner Breitscheidplatz erinnert und sie so in ihren Vorurteilen bestätigt?

Natürlich wäre es die Aufgabe von Journalisten, auch bei “Bild”, die Leserschaft aufzuklären, dass die Motivlage nicht eindeutig ist und dass bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein müssen, etwa ein politischer oder religiös-fanatischer Hintergrund, damit eine Tat als Terroranschlag gilt, anstatt auf Politiker loszugehen, die lieber Ermittlungen abwarten und nicht wild spekulieren. Yassin Musharbash beispielsweise erklärte bei “Zeit Online” ausführlich, warum die Tat in Limburg für die ermittelnden Behörden nicht als Terror gilt:

Im konkreten Fall fehlen noch wichtige Details. Es ist zum Beispiel bisher nicht bekannt, dass der Täter von Limburg irgendwelche Verbindungen in die islamistische Szene hatte. Derzeit gehe man mangels anderer Spuren davon aus, dass es sich um die Aktion eines gestörten Menschen handeln könnte, sagen Ermittler. Trotzdem darf man davon ausgehen, dass seine Tat durch entsprechende Taten von islamistisch motivierten Attentätern motiviert war. Aber reicht das, um die Tat zu einem islamistischen Anschlag zu machen?

Man kann diese juristische Perspektive mit dem Argument ablehnen, aus Sicht der Opfer mache es keinen Unterschied, ob er Islamist ist oder nicht. Aber eine solche Blickweise verwässert die Trennschärfe — und stellt in letzter Konsequenz in Frage, ob man den Begriff Terrorismus überhaupt noch verwenden soll. Wenn man ihn verwendet, ist es jedenfalls nicht sinnvoll, ihn von der ideologischen Motivation zu trennen.

Doch anstatt aufzuklären, kräht “Bild”, die Politik traue sich nicht, von Terror zu sprechen — bei einem Fall, der laut der Ermittler mit Terror nichts zu tun hat. Anstatt auf gesicherte Fakten zu warten, will die Redaktion schon wissen, dass es Terror war — und tut so, als würde “die Politik” sich vor dieser vermeintlichen Erkenntnis “drücken”. Ralf Schuler schreibt:

Doch zur Wahrheit gehört auch: Die Politik drückt sich noch immer vor dem Eingeständnis, dass mit der Massenmigration seit 2015 auch Kriminelle nach Deutschland gekommen sind und spricht deshalb lieber über Einzelfälle als über das Terror-Problem.

… als würde auch nur eine Partei ernsthaft behaupten, unter den Menschen, die seit 2015 nach Deutschland gekommen sind, seien keine Kriminellen gewesen. Und als hätten Politikerinnen und Politiker in den vergangenen Jahren im Parlament, in Interviews, in TV-Talkshows nicht ausgiebig über ein Thema gesprochen: die Kriminalität von Zugewanderten.

Ralf Schulers Vorwurf auf falscher (Terror-)Grundlage an “die Politik” wurde beim Axel-Springer-Verlag übrigens von oberster Stelle abgesegnet. Springer-Chef Mathias Döpfner schoss ein paar Tage später in dieselbe Richtung:

Wenn in Limburg ein zuvor gestohlener Laster acht Autos rammt, dabei neun Menschen verletzt, danach der zuvor mehrfach straffällige Täter aussteigt und nach Zeugenberichten “Allah” gerufen haben soll, dann sprechen Politiker von einem “verwirrten Einzeltäter”, ARD und ZDF berichten über den Fall zunächst fast gar nicht und sprechen dann von einem “Lkw-Vorfall”.

Wie schlimm falsch das alles ist, hat Stefan Niggemeier drüben bei “Übermedien” aufgeschrieben.

Bild.de ist auf der Suche nach einem Antibiotikum gegen das Coronavirus

Es ist ja allein schon bedenklich, dass zwischen der Kombination aus Dachzeile und Überschrift …

Screenshot Bild.de - Hoffnung für Corona-Patienten - Deutsche Forscher entwickeln Antikörper-Therapie

… und dem vierten Absatz des Bild.de-Artikels

Der Frankfurter Wissenschaftler Professor Erhard Seifried arbeitet mit seinem Team und anderen Zentren unter Hochdruck daran, eine Studie zu starten, die genauere Ergebnisse zur Wirksamkeit liefern soll. Kann die Antikörper-Therapie schwere Verläufe abmildern? Kann sie Todesfälle verhindern? Das alles muss noch herausgefunden werden.

… die “HOFFNUNG FÜR CORONA-PATIENTEN” auf “Das alles muss noch herausgefunden werden” zusammenschnurrt. So schreibt auch der Deutsche Presserat in Ziffer 14 seines Pressekodex:

Bei Berichten über medizinische Themen ist eine unangemessen sensationelle Darstellung zu vermeiden, die unbegründete Befürchtungen oder Hoffnungen beim Leser erwecken könnte.

Was die medizinische Expertise der “Bild”-Redaktion angeht, wird es etwas weiter hinten im Text aber noch bedenklicher. Zur Frage, ob die Antikörper-Therapie, die die Forscher entwickeln, “Covid-19 heilen” kann, schreibt die Bild.de-Autorin:

Nein. Bei der Antikörper-Therapie geht es nicht um Heilung, sondern um die Verhinderung schlimmer Verläufe. “Die Idee ist, dass möglichst viele Viren abgefangen werden und sich nicht mehr vermehren können”, erklärt Seifried.

Aber: Die Antikörper-Therapie ist nicht vergleichbar mit einem Antibiotikum. Der Wissenschaftler sieht die Therapie eher als Überbrückung, bis ein solches Mittel gegen die Viren gefunden ist.

Das wäre wirklich eine ganz besondere medizinische Sensation: Die Entdeckung eines Antibiotikums, das nicht, wie sonst üblich, nur gegen Bakterien wirkt, sondern auch “gegen die Viren”.

Mit Dank an Florian B. und @loutum1 für die Hinweise!

Nachtrag, 16:15 Uhr: Bild.de hat die Stelle im Artikel geändert. Dort steht nun:

Der Wissenschaftler sieht die Therapie eher als Überbrückung, bis ein Heilmittel gegen das Corona-Virus gefunden ist.

Das Wort “Antibiotikum” taucht im Beitrag nun nicht mehr auf.

Am Ende des Artikels gibt es einen transparenten Korrekturhinweis der Redaktion:

Nachtrag: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir den Eindruck erweckt, Antibiotika würden auch gegen Viren helfen. Dem ist natürlich nicht so, Antibiotika helfen nur bei bakteriellen Infektionen.

Gefährliches Feld, G+J-Betriebsrat wehrt sich, Russische Kampagnen

1. “Das gefährlichste Feld für Journalisten überhaupt”
(deutschlandfunk.de, Bettina Köster, Audio: 5:27 Minuten)
Innerhalb von wenigen Jahren wurden in Europa zwei Journalisten und eine Journalistin ermordet: Die Maltesin Daphne Caruana Galizia, der Slowake Ján Kuciak und, ganz aktuell, der Grieche Giorgios Karaivaz. Juliane Matthey von Reporter ohne Grenzen sieht in den Fällen Parallelen. Alle Mordopfer hätten sich mit Themen wie Korruption und Organisierter Kriminalität beschäftigt: “(…) wenn Journalisten zu solchen Themen recherchieren und gerade auch zu Verbindungen der organisierten Kriminalität in die Politik, in die Verwaltung, ist das ein sehr, sehr gefährliches Feld, und eigentlich das gefährlichste Feld für Journalistinnen und Journalisten überhaupt.”

2. Der liberale Westen sei im Niedergang, Extremisten seien die Guten – wie Moskaus Propaganda die Gesellschaft destabilisieren will
(nzz.ch, Markus Ziener)
Deutschland sei das Hauptzielland russischer Propagandaaktivitäten, so Markus Ziener in der “NZZ”. Kein anderer EU-Staat werde heftiger angegriffen. Laut einer Analyse des Europäischen Auswärtigen Dienstes sei Berlin seit Ende 2015 mehr als 700 Mal das Ziel von Kampagnen russischer Medien gewesen. Wie ist der Wunsch auf Einflussnahme zu erklären? Was bewegt die russische Regierung zu dieser Art von Aktivität?

3. “Bild” wird zum TV-Sender
(sueddeutsche.de, Caspar Busse)
Mit “Bild Live” will der Axel-Springer-Konzern einen neuen Fernsehsender starten. Online hatte es schon ein Liveprogramm gegeben. Der neue TV-Sender soll über Kabel, Satellit und im Internet zu empfangen sein. Programmchef des neuen Kanals soll Claus Strunz werden, der Fernsehmoderator und ehemalige Chefredakteur von “Bild am Sonntag”. Der postfaktische Strunz ist für Sätze wie “Populismus ist das Viagra einer erschlafften Demokratie” bekannt, siehe dazu auch: Claus Strunz will es der Demokratie besorgen (übermedien.de, Boris Rosenkranz, aus 2017).

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4. EM in zwölf Ländern “verantwortungslos”
(zdf.de)
Im Sommer steht nicht nur ein Sport-, sondern auch ein Medienereignis an: die Fußball-Europameisterschaft. “Zehntausende Fans in den EM-Stadien, dazu Nationalmannschaften, die für ihre Spiele munter zwischen Amsterdam, Bukarest oder London hin- und herreisen – für den SPD-Gesundheitsexperten ein Unding inmitten der Pandemie.”

5. G+J-Betriebsrat spricht sich gegen Fusion mit RTL aus
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Der Betriebsrat von Gruner + Jahr spricht sich gegen eine mögliche Fusion mit RTL aus. Zuvor hatte es im Verlag bereits eine wichtige Personalie gegeben: G+J-Chefin Julia Jäkel war durch den RTL-Verantwortlichen Stephan Schäfer ersetzt worden. Spätestens seit diesem Zeitpunkt deutet vieles auf eine mögliche Fusion der beiden Häuser hin (siehe dazu: Raus aus dem Dschungelcamp, spiegel.de, Isabell Hülsen & Anton Rainer & Alexander Kühn).

6. Gamerin mogelt Fragen in Pressekonferenzen des Weißen Hauses
(spiegel.de, Markus Böhm)
In den USA ist es einer Person gelungen, als angebliche Korrespondentin Zugang zu den Pressekonferenzen des Weißen Hauses zu erhalten und dort Fragen unterzubringen. “Die Trollaktion dürfte einigen, die ‘Kacey Montagu’ für eine echte Kollegin hielten, peinlich sein. ‘Kacey Montagu’ selbst sammelt auf ihrem Twitteraccount derweil Begriffe wie ‘Hochstaplerin’, mit denen sie Medien wie Fox News beschreiben. Zugleich betont sie aber, offen für Jobangebote von Medien zu sein, die jetzt über sie berichten.”

Alle Schummelminister sind gleich, aber manche sind “Bild”-Freunde

Wie “Bild” berichtet, hängt in weiten Teilen davon ab, wer Freund der Redaktion ist und wer Feind, wer Gegner und wer Gefährte. Das war schon lange so, bevor Julian Reichelt Chefredakteur wurde; unter ihm hat sich diese Einteilung in Gut und Böse aber wieder verstärkt. Wie unterschiedlich die “Bild”-Medien, je nach Gunst, ähnliches Handeln verschiedener Menschen beurteilen, kann man gut an der aktuellen Berichterstattung über Franziska Giffey beobachten.

“Bild am Sonntag” nennt die wegen der Affäre um ihre Doktorarbeit zurückgetretene Familienministerin bereits nur noch “Schummelministerin”; Bild.de stellt sie gewissermaßen als Abkassiererin dar (“57 000 Euro nach Rücktritt wegen Doktortitel”), obwohl ihr das Geld dem Gesetz zufolge schlicht zusteht; und dann lasse Giffey durch ihren Rücktritt laut “Bild”-Redaktion auch noch “ein wichtiges Ressort im Kampf gegen die Corona-Pandemie und deren Folgen im Stich”. Egal, wie sie es macht: Rücktritt – falsch, kein Rücktritt – ebenfalls falsch.

Am kräftigsten teilt “Bild”-Chefkolumnist Alfred Draxler gegen Franziska Giffey aus:

Screenshot Bild.de - Kommentar zum Giffey-Rücktritt - Sie hat geschummelt, gemogelt und betrogen!

Draxler schreibt:

Jetzt ist die SPD-Politikerin ausgerechnet wegen ihrer Doktorarbeit als Bundesfamilienministerin zurückgetreten. In ihrer Dissertation liegt an 27 (!) Stellen eine objektive Täuschung vor. Heißt: Sie hat ohne Quellenangaben abgekupfert.

Sie hat geschummelt, gemogelt und betrogen!

Und jetzt will sie auch noch weiter tricksen!

Denn Giffey hält trotz der Plagiatsvorwürfe an ihrem Plan fest, im September Bürgermeisterin von Berlin werden zu wollen. Draxler:

Die großen Berliner Bürgermeister Ernst Reuter, Willy Brandt und Richard von Weizsäcker würden sich bei solch einer Nachfolgerin im Grabe umdrehen.

Zweifelsohne gibt es gute Gründe dafür, Franziska Giffeys Verhalten – sowohl in Bezug auf ihre Doktorarbeit als auch mit Blick auf ihre Berlin-Pläne – ausgesprochen kritisch zu sehen. In einem ähnlichen Fall legte Alfred Draxler allerdings völlig andere Maßstäbe an. Er ließ nicht gleich tote Politik-Größen im Grab rotieren. Im Gegenteil. Er fieberte schon dem Comeback eines Schummelministers (den Draxler und “Bild” natürlich nicht so nannten) entgegen: Im August 2017 sieht er bei einer Wahlkampfveranstaltung eine Rede von Karl-Theodor zu Guttenberg. Und ist hin und weg:

Screenshot Bild.de - Erste Wahlkampfrede bei Bier und Jubel - Guttenberg will's wissen

War da nicht mal was mit einer abgeschriebenen Doktorarbeit? Für Alfred Draxler alles nur eine Klammer wert:

Sechseinhalb Jahre nach seiner Abdankung (wegen teilweise abgeschriebener Doktorarbeit) hat Ex-Wirtschafts- und Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (45) gestern Abend in seinem alten Wahlkreis seinen ersten öffentlichen politischen Auftritt.

Bei Franziska Giffey setzt Draxler für die “objektive Täuschung” an 27 Stellen ein Extra-Ausrufezeichen, bei Karl-Theodor zu Guttenberg und dessen 1218 Plagiatsfragmenten reicht ihm ein abschwächendes “teilweise”. Aber bei Guttenberg gab es ja auch diesen tobende Saal, die ständigen “KaTe, KaTe”-Rufe, das “überschäumende Bad im Jubel”. Hach, der Karl-Theodor:

Er in Jeans, blauem Sakko, offenem weißen Hemd, Ein-Tage-Bart. Seine schöne Frau Stephanie an seiner Seite, neben ihr Guttenbergs Vater Enoch. “Klartext” versprachen die Plakate draußen.

Und KT liefert: Klartext

Draxler sieht den Ex-Minister schon zurück in höchsten politischen Ämtern – und Guttenbergs einstiges Schummeln, Mogeln, Betrügen so gar nicht als Hindernis:

Es drängt sich der Eindruck auf: Hier läuft sich einer warm für neue politische Aufgaben. Charismatische Politiker wie KT sind rar. Er hat die Unterstützung von CSU-Chef Seehofer (“Wir können ihn sehr gut gebrauchen.”). Und: Die Basis hat ihm längst vergeben. (…)

Einer wie KT drängt sich nicht auf. Er muss sich in Demut üben – um eines Tages gerufen zu WERDEN. Als Minister? Seine Rede klang wie eine Bewerbung fürs Außenministerium.

Oder für etwas anderes?

Nach dem, was ich gestern Abend in Kulmbach erlebt habe, halte ich nichts mehr für undenkbar …


Unser Buch ist seit dem 11. Mai überall erhältlich, zum Beispiel bei euren lokalen Buchhändlern, bei GeniaLokal, bei Amazon, bei Thalia, bei Hugendubel, bei buch7, bei Osiander oder bei Apple Books. Es ist auch als eBook und Hörbuch erschienen.

Alfred Draxlers Jubel über Karl-Theodor zu Guttenberg ist die konsequente Fortführung einer seit Jahren andauernden “Bild”-Kampagne für den Liebling des Hauses. In unserem kürzlich erschienenen Buch über “Bild” haben wir ein ganzes Kapitel zu den Feind- und Freundbildern der Redaktion geschrieben. Die Berichterstattung über Guttenberg spielt darin eine zentrale Rolle. Hier ein Auszug:

Mit wie viel Energie und Einfallsreichtum “Bild” für Freunde in die Bresche springt, lässt sich seit mehr als zehn Jahren an der Berichterstattung über einen Mann beobachten, mit dem Julian Reichelt eine ganz persönliche Geschichte verbindet: “Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Wilhelm Franz Joseph Sylvester Freiherr von und zu Guttenberg”, wie “Bild” ihn nach seiner Ernennung zum Wirtschaftsminister groß auf der Titelseite nennt, ohne zu merken, dass einer der Namen frei erfunden ist (Wilhelm; er stammt aus einem manipulierten Wikipedia-Eintrag).1 Solche Nachlässigkeiten sollten der Redaktion in Zukunft aber nicht mehr passieren, denn schnell wird Guttenberg in den “Bild”-Medien zum glänzenden “Einhorn der deutschen Politik”2 erklärt. Ein “Aufklärer und Erneuerer”, “attraktiv, bescheiden, voller Power”3.

Als Verteidigungsminister – “Minister Liebling”4 – wird Guttenberg bei fast jeder seiner Auslandsreisen von “Bild” begleitet, genauer: vom damaligen “Bild”-Reporter Julian Reichelt, der den Kurs des “Klartext-Ministers” immer wieder lobt und sich für die deutschen Soldaten freut, die “nun endlich den Minister” hätten, “den sie verdienen”.5 (Im Sommer 2010 kommt der Verteidigungsminister dann auch persönlich zur Vorstellung von Reichelts neuem Buch.6) Die Inszenierung des Ministers geht so weit, dass “Bild” ein exklusives Foto – Guttenberg in “Top-Gun”-Pose vor einem Kampfjet – fast seitenhoch auf die Titelseite druckt und sogar eine 3D-Brille dazulegt: “Exklusiv in 3D: Minister Guttenberg fliegt im Kampfjet”.7 Immer wieder erscheinen Zeilen wie “Guttenberg auch in China ein Star”8 oder “Karl-Theodor und Stephanie zu Guttenberg: Total verschossen auf der Wiesn!”9 oder “Sind Adelige die besseren Politiker?”10 Ende 2010 träumt Bild schon von Kanzler Guttenberg: “CSU-Chef, Ministerpräsident oder sogar Kanzler … In welches Amt stürmt Guttenberg 2011?”11 Als Guttenbergs “hinreißende Frau Stephanie”12 eine Sendung bei RTL2 moderiert, machen die “Bild”-Medien in großem Stil Werbung dafür, lobpreisen die Show und ihre Macherin – “Deutschlands heimliche First Lady”13 – wochenlang auf allen Kanälen (“Bravo, Stephanie zu Guttenberg!”, “Respekt, Frau zu Guttenberg!”)14, und als sie im Dezember 2010 mit ihrem Mann deutsche Truppen in Afghanistan besucht, erklärt “Bild” auf der Titelseite in großen Lettern: “Wir finden die GUTT! Nörgler, Neider, Niederschreiber: Einfach mal die Klappe halten!”15

Zwei Monate später, an einem Samstagabend, macht es sich der Juraprofessor Andreas Fischer-Lescano mit einem Glas Rotwein vor seinem Computer gemütlich. Auf dem Monitor vor ihm: die Dissertation von Karl-Theodor zu Guttenberg. Er hat die 475 Seiten bereits gelesen, jetzt will er eine Rezension für eine Fachzeitschrift schreiben. Bei einer routinemäßigen Google-Suche merkt er plötzlich, dass einige Passagen der Arbeit wortwörtlich aus anderen Publikationen übernommen wurden.16

Vier Tage später titelt die “Süddeutsche Zeitung”: “Plagiatsvorwurf gegen Guttenberg”.17 Sofort stürzen sich nationale und internationale Medien auf die Enthüllung, nennen Guttenberg den “Lügenbaron”18. Rücktrittsforderungen kommen von allen Seiten. “Bild” aber geht mit voller Kraft in den Verteidigungsministerverteidigungsmodus. “Macht keinen guten Mann kaputt. Scheiß auf den Doktor”19, schreibt “Bild”-Kolumnist Franz Josef Wagner am Tag nach Bekanntwerden der Vorwürfe (obwohl er knapp zwei Jahre zuvor noch gegen jene “Uni-Luschen” gewettert hatte, die sich einen Doktortitel erkaufen: “Sich ein falsches Gehirn einpflanzen zu lassen, muss per Gesetz bestraft werden. Ein Doktortitel ist kein Busen, kein Facelifting und keine Straffung des Popos”20). Als Guttenberg kurz darauf verkündet, er wolle im Amt bleiben, titelt “Bild”: “GUT! Guttenberg bleibt!” Was hier geschehe, sei eine “Hetzjagd auf den beliebtesten Minister der Republik”.21

“Bild”-Redakteure treten in Talkshows auf, um dem Minister beizuspringen; Nikolaus Blome, damals Leiter des “Bild”-Hauptstadtbüros (dessen Buch der Minister eigentlich auch vorstellen wollte, bis die Plagiatsaffäre dazwischenkam22), wiegelt bei “Hart aber Fair” ab: “Der Untergang des Abendlandes fällt aus, trotz dieser Doktorarbeit.” Bei “Maischberger” ringt eine “Bild-am-Sonntag”-Redakteurin, so beschreibt es der “Spiegel” später, “wie eine Ehefrau um Verständnis für den jungen Familienvater, der in siebenjähriger Nachtarbeit seine Doktorarbeit erstellt, dabei ein paar Fehler gemacht und nun als großartiger Minister Ziel einer Kampagne geworden sei. Aber: ‘Er ist auch ein Mensch.'”23 Der “Spiegel” nennt “Bild” damals die “Leibgarde von Karl-Theodor zu Guttenberg”.24

Kurz darauf startet “Bild” eine große Leseraktion. Auf der Titelseite wird dazu aufgerufen, per Telefon und Fax (kostenpflichtig) darüber abzustimmen, ob Guttenberg Minister bleiben oder zurücktreten solle. Auch online kann man abstimmen. Als sich dort eine Mehrheit gegen den Minister abzeichnet, verschwindet die Umfrage von der Seite. Sie erscheint erst wieder, als Journalisten sich nach dem Ergebnis erkundigen – das da lautet: 56 Prozent wollen den Rücktritt; nur 35 Prozent finden, er mache seinen Job gut.25 Tags darauf titelt “Bild”: “87% Ja-Stimmen beim BILD-Entscheid – ‘Ja, wir stehen zu Guttenberg!'”26 Die Zahl, behauptet die Zeitung, stamme aus dem Telefon- und Fax-Voting; die Online-Umfrage wird gar nicht erwähnt und in den Tiefen der Website versteckt.27

Sogar nach dessen Rücktritt ist “Bild” offenkundig bemüht, Guttenbergs Ansehen zu beschützen: Am Tag nach der Rücktrittserklärung beschreibt Julian Reichelt unter der Überschrift “Ich war mit dem Minister im Krieg” in herzerwärmenden Worten, wie Guttenberg einmal in ein brennendes Flugzeug kletterte, um für seinen Piloten, der Geburtstag hatte, eine Kiste Bier zu holen. Er habe oft von “Pflicht” und “Anstand” gesprochen, und Reichelt könne “bezeugen, dass seine Taten zu seinen Worten passten”.28

Bis heute berichten die “Bild”-Medien (oft exklusiv) über Guttenbergs Projekte29 und Aussagen30, lassen ihn Gastkommentare schreiben31, feiern auf der Wiesn “große Gaudi mit Guttenbergs”32. 2017, gerade mal einen Tag nach seinem ersten öffentlichen politischen Auftritt seit der Plagiatsaffäre, bringen “Bild” und Alfred Draxler ihn schon wieder als Kanzler ins Spiel.33

So behandelt “Bild” Freunde.

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Bis zu 100 Prozent einer “Bild”-Überschrift sind falsch

Manchmal reichen der “Bild”-Redaktion ein besonderer Fokus und zwei kleine Wörter, um die Leserschaft in die gewünschte Richtung zu lenken.

Am späten Montagabend stand ganz oben auf der Bild.de-Startseite:

Screenshot Bild.de - Bild-Umfrage bei den Gesundheitsministerien zeigt - Bis zu 29 Prozent der Corona-Toten starben nicht an Corona

Sowie am Tag darauf auf der “Bild”-Titelseite:

Ausriss Bild-Titelseite - Viele Corona-Tote starben nicht an Corona! Bis zu 29 Prozent! Sie wurden als Corona-Tote gezählt, aber das Virus war nicht Todesursache - Wie die Bürokratie das Vertrauen der Bürger verspielt

Und in den Sozialen Medien:

Screenshot des Facebook-Posts der Bild-Redaktion
Screenshot des Tweets der Bild-Redaktion

Es geht um die zwei Wörter “Bis zu”. Die hat die “Bild”-Redaktion klug gewählt, klug im Sinne von: manipulativ. Schaut man sich nämlich den dazugehörigen Artikel an – wofür man allerdings entweder die “Bild”-Zeitung kaufen oder ein “Bild-plus”-Abo besitzen muss -, sieht man recht schnell: Mit den 29 Prozent hat “Bild” sich einen extremen Ausreißer rausgesucht. Autor Filipp Piatov listet in seinem Beitrag die Werte aus acht Bundesländern auf: In Baden-Württemberg sind laut dortigem Gesundheitsministerium 6 Prozent der als “Corona-Tote” gemeldeten Personen nicht am, sondern mit dem Coronavirus gestorben, in Bayern 11 Prozent, in Hessen 7 Prozent, in Mecklenburg-Vorpommern 9 Prozent, in Niedersachsen 10 Prozent, in Rheinland-Pfalz 17 Prozent, im Saarland 10 Prozent und in Sachsen-Anhalt 29 Prozent.

Ausriss Bild-Zeitung - Tabelle mit den oben genannten Werten

Für “Bild” ist der Fokus klar: “Bis zu 29 Prozent”.

Hätte die Redaktion stattdessen plump den Durchschnitt der acht Bundesländer errechnet, hätte sie nur 12,4 Prozent vermelden können. Hätte sie den Durchschnitt anhand der Anzahl der gemeldeten Corona-Toten gewichtet, wären es 14,2 Prozent gewesen.

Das sind nicht so wahnsinnig überraschende Werte. Bereits im April 2021 berichtete “Quarks” beispielsweise:

Die Deutsche Gesellschaft für Pathologie hat im Jahr 2020 Untersuchungen an 154 Verstorbenen durchgeführt, die zuvor an Covid-19 erkrankt waren. Das Ergebnis: 86 Prozent dieser Todesfälle waren wesentlich oder alleinig auf die direkten Folgen der Infektion zurückzuführen (…)

Die Todesursachenstatistik des Bundesamtes für Statistik bestätigt diesen Befund: Bei den Corona-Todesfällen für das Jahr 2020 wurde bei 83 Prozent der Fälle Corona als hauptsächliche Ursache angegeben. Bei den restlichen 17 Prozent habe Corona demnach als “Begleiterkrankung zum Tod beigetragen”.

(Um die Debatte, ob die Unterscheidung zwischen an und mit Corona verstorben sinnvoll ist, oder den Gedanken, dass niemand an einem Virus stirbt, sondern an den körperlichen Folgen, soll es hier erstmal nicht weiter gehen.)

Das liegt in etwa in dem Bereich der von uns errechneten Durchschnittswerte. Piatov nennt sie nirgendwo in seinem Artikel.

Stattdessen haben er und seine Redaktion sich den Extremwert aus Sachsen-Anhalt rausgepickt. Nicht ohne Wirkung: Bei Facebook und Twitter ist der Ärger der “Bild”-Leserinnen und -Leser gewaltig. In etwa 2.000 Kommentaren wettern sie gegen die Regierung: “Die Politik und Ministerien sind mit dem fälschen von Zahlen schmerzfrei.” Und fragen: “Wann rollen eigentlich mal Köpfe?” Aufgrund der Paywall bei Bild.de dürften viele der Kommentatoren nur die 29 Prozent mitbekommen haben.

Und es gibt noch ein Problem: Die 29 Prozent stimmen gar nicht.

Wir haben am Dienstag beim sachsen-anhaltischen Gesundheitsministerium nachgefragt, ob die in “Bild” angegeben 29 Prozent korrekt sind. Wir hatten Zweifel, weil es sich um einen so deutlichen Ausreißer handelt. Und weil wir uns gewundert hatten, dass es in einem Bundesland mit etwa 2,2 Millionen Einwohnern im selben Zeitraum mehr Corona-Tote gegeben haben soll (laut “Bild”-Artikel 1.455) als in Baden-Württemberg (laut “Bild”-Tabelle 1.236 Corona-Tote), wo es mehr als fünfmal so viele Einwohner gibt.

Der Fehler liegt in diesem Fall allerdings nicht bei “Bild”, sondern beim Gesundheitsministerium. Ein Mitarbeiter antwortete uns:

Die von uns gemachten Angaben basieren auf einer falschen Grundannahme. Der Fehler liegt tatsächlich bei uns.

Richtig ist: Seit Dezemberbeginn 2021 sind bis heute 590 Corona-Todesfälle in Sachsen-Anhalt zu verzeichnen. Davon sind 446 an Corona verstorben, 117 mit Corona.

Es sind also nicht 29 Prozent, sondern 19,8. Dadurch ändert sich der einfache Mittelwert auf 11,3 Prozent und der gewichtete auf 10,6.

In der “Bild”-Zeitung ist dazu eine Art Korrektur erschienen, nicht groß auf der Titelseite, sondern klein in der Ecke auf Seite 2:

Ausriss Bild-Zeitung - Corona - Ministerium korrigiert Todeszahlen

Bei Bild.de wurde die Überschrift des Artikels geändert …

Screenshot Bild.de -

… und am Ende des Textes eine “Aktualisierung” hinzugefügt:

Aktualisierung: In der ersten Fassung des Artikels berichtete BILD, dass in Sachsen-Anhalt 29% aller Verstorbenen, die seit dem 1. Dezember 2021 als Corona-Tote gemeldet wurden, nicht an Corona verstorben waren. Dies beruhte auf Angaben aus dem Gesundheitministerium Sachsen-Anhalt. Nach der Veröffentlichung des BILD-Berichts erklärte die Behörde gegenüber BILD: “Die von uns gemachten Angaben basieren auf einer falschen Grundannahme. Der Fehler liegt bei uns.” Richtig sei: “Seit Dezemberbeginn 2021 sind bis heute 590 Corona-Todesfälle in Sachsen-Anhalt zu verzeichnen. Davon sind 446 an Corona verstorben, 117 mit Corona.” BILD hat den Bericht daraufhin aktualisiert.

Der Tweet und der Facebook-Post mit den falschen 29 Prozent sowie die ganzen wütenden Kommentare der Leserschaft dazu sind unverändert online.

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“Bild” übersieht KZ

Wenn das Fernduell zwischen den britischen Tageszeitungen und der “Bild”-Zeitung über den “deutschen Papst” weiter so eskaliert, müssen wir damit rechnen, dass nächste Woche eine englische Zeitung behaupten wird, dass Kardinal Ratzinger Hitler war, und “Bild” antworten wird, dass es Hitler nie gegeben hat.

Alles begann am Mittwoch. Während die “Bild”-Zeitung groß berichtete, dass Ratzingers Eltern Maria und Joseph “waren” (nicht hießen), fanden die britischen Zeitungen die Jugend Ratzingers im Dritten Reich ungleich spannender. “Bild” antwortete mit einer verwirrenden doppelten Verteidigungsstrategie. Einerseits sei es eine ungeheure Beleidigung, zu schreiben, dass Ratzinger in der Hitler-Jugend gewesen sei. Andererseits sei es überhaupt nicht ehrenrührig, in der Hitler-Jugend gewesen zu sein.

Heute nun ruft “Bild” den britischen Zeitungen zu:

Shut endlich up!

Die “Papst-Hetze” der Engländer werde “immer geschmackloser”. “Allen voran” hetze die “sonst so seriöse Tageszeitung ‘The Independent'”. Als Beleg dient “Bild” dieser gestern erschienene Artikel. Der Reporter berichtet darin aus Traunstein über die Massaker, die dort im Dritten Reich verübt wurden, und kritisiert, dass der Papst darauf in seiner Auto-Biographie nicht eingehe.

“Bild” zitiert aus dem “Independent”: “In seiner Biographie erwähnt er [Ratzinger] Todesmarsch und Massaker nicht. Dabei dürfte es gerade in dieser Gegend schwierig gewesen sein, vom KZ in der Nähe Traunsteins nichts mitzubekommen.”

“Bild” kommentiert:

In der Nähe Traunsteins gab es gar kein KZ, Ratzinger (damals 18) war desertiert, zu der Zeit untergetaucht.

Das ist falsch. In der Nähe Traunsteins gab es eine Außenstelle des KZ Dachau, und zwar in Trostberg, rund 20 Kilometer von Traunstein entfernt.

Oder wie der “Independent” schreibt:

Trostberg was among several Dachau sub-camps set up towards the end of the war to evade Allied bombing.

An den Anfang ihres Artikels stellt die “Bild”-Zeitung ein Zitat aus dem “Independent”, wohl, weil sie es für besonders bemerkenswert hält. Es lautet:

“In der Heimatstadt des Papstes wurden Nazi-Greuel gegen Juden verübt.”

Wenn “Bild” schon mit der Formulierung dieser Tatsache ein Problem hat, dann hat “Bild” wirklich ein Problem.

Seemannsgarn

Heute wollen wir noch einmal kurz auf das “Hamburger Abendblatt” zurückkommen. Dort erfindet der nette Herr Chefredakteur nämlich nicht nur drollige Kampagnen, sondern beantwortet immer dienstags auch Leserzuschriften – und wir haben ein Déjà Vu. Aber nicht deshalb, weil das Foto von ihm dasselbe ist, das offenbar noch aus seiner Zeit als Chefredakteur der “Bild am Sonntag” stammt, sondern auch die Masche.

So hat der ehemalige “BamS”-Chef – angeregt durch eine Leserzuschrift – einen Leser-Aufruf zur Rettung des “Hamburgischen” gestartet (“Das Abendblatt-Hamburg-Wörterbuch”) und schrieb dazu vergangenen Dienstag an “Abendblatt”-Leserin Erica K. aus Norderstedt:

Unser Aufruf (…) hat offenbar einen Nerv getroffen. Viele Menschen in dieser ganz besonderen Stadt spüren: Hamburg wird ärmer, wenn wir das Hamburgische verlieren. Aber nicht nur das. Die “Süddeutsche Zeitung” hat über die Abendblatt-Initiative berichtet. Und bis heute melden sich Hamburger, die nun in einer anderen Stadt leben müssen, voller Heimweh – und mit sprachlichen Anregungen.
(Hervorhebung von uns.)

Und damit Erica K. aus Norderstedt weiß, was der Chefredakteur ihrer Tageszeitung damit meint, wenn er ihr schreibt, dass die “Süddeutsche Zeitung” über die Abendblatt-Initiative berichtet habe, zeigen wir ihr hier mal den kompletten Bericht:

Die SZ “berichtet”:

“Das Hamburger Abendblatt will künftig mehr typisch hamburgische Wörter verwenden. Chefredakteur Claus Strunz sicherte am Dienstag in einer Kolumne zu, künftig ‘Schlachter’ statt ‘Metzger’ zu schreiben. Der ‘Schreiner’ werde wieder ‘Tischler’ genannt. Auch solle es ‘Rundstück’ heißen und nicht ‘Semmeln’ oder ‘Schrippen’. Unschlüssig sei sich die Redaktion jedoch, ob für katholische Geistliche der Begriff ‘Pfarrer’ oder ‘Pastor’ verwendet wird.”

Ach ja: Die 12-zeilige Übernahme einer ähnlich kurzen Meldung der Nachrichtenagentur epd trägt die Überschrift: “Was macht Strunz?”

Bild  

Der VfL Bochum will nicht mit dem “Bild”-Reporter sprechen

Am kommenden Mittwoch spielt der VfL Bochum im DFB-Pokal beim TSV 1860 München. Wie immer im Vorfeld eines Pflichtspiels gaben die Bochumer auch heute eine Pressekonferenz. Pressesprecher Jens Fricke leitete sie unter anderem mit diesen Worten ein:

An meiner Seite: Sportvorstand Christian Hochstätter und Cheftrainer Gertjan Verbeek, die Eure Fragen erwarten. Mit einer einzigen Ausnahme: Sowohl Sportvorstand als auch Cheftrainer haben sich dazu entschieden, keine Fragen der “Bild”-Zeitung mehr zu beantworten.

Die dicke Luft zwischen dem VfL Bochum und “Bild” hat eine gewisse Tradition. Schon vor fünfeinhalb Jahren gerieten der damalige Trainer Heiko Herrlich und der für den VfL zuständige “Bild”-Reporter Joachim Droll aneinander. Im September dieses Jahres verweigerte der VfL Bochum — wie eine Reihe anderer Fußbalzweitligisten — die Teilnahme an der “Bild”-Werbekampagne “Wir helfen”. Wenig später wandte sich der aktuelle Trainer Gertjan Verbeek bei einer Pressekonferenz mit der Frage an “Bild”-Mann Droll, warum der “immer solche Scheiße” schreibe, und nannte Droll und dessen “Bild”-Kollegen “Arschlocher”. Für die Wortwahl hat sich der VfL Bochum kurze Zeit später entschuldigt, Verbeeks “Kernaussagen bleiben davon aber unberührt”.

Mit der heutigen PK dürfte der Clinch zwischen dem VfL Bochum und “Bild” ein neues Level erreicht haben. Wobei, so VfL-Pressesprecher Jens Fricke auf unsere Nachfrage, die einleitenden Worte etwas präziser hätten sein müssen: “Uns geht es konkret um einen Journalisten und nicht um die ganze ‘Bild’-Zeitung.” Die Arbeitsweise von Joachim Droll sei schon über Jahre ein Ärgernis für den Verein. Es habe mehrere Treffen gegeben, bei denen man das Verhalten Drolls thematisiert habe, eine Besserung sei aber nicht erkennbar gewesen. “Daher haben der Trainer und der Sportvorstand nun entschieden, auf Fragen von Joachim Droll nicht mehr einzugehen”, so Fricke. Mit “Bild” habe man hingegen kein grundsätzliches Problem, Fragen anderer “Bild”-Reporter würden auch weiterhin beantwortet.

Bei der “Arschlocher”-Pressekonferenz im September sagte Verbeek übrigens, nachdem er Joachim Droll gefragt hatte, ob er mitschreibe, und dieser antwortete, dass gerade “eine Legende angerufen” habe, das sei wichtiger gewesen:

Ja, das ist wichtiger, natürlich. Wir können auch ohne Pressekonferenz, ohne “Bild”.

Zumindest ohne Joachim Droll wollen sie es beim VfL Bochum jetzt mal versuchen.

Mit Dank an @BrosMoritz!

Mit Bindestrich und ohne Würde

“Bild” und Bild.de geben Personen gerne neue Namen. Knackig müssen sie sein, so richtig griffig und auf jeden Fall mit Bindestrich. So wird eine 21-jährige Russin, die bei Instagram über vier Millionen Follower hat, zum “Russen-Model”. Ein Vietnamese, der bei Olympia im Schießen Gold holt, zum “Pistolen-Vietnamesen”. Und ein Seemann, der auf Rügen lebt, zum “Rügen-Fischer”. “Lausitz-Luder”, “Mucki-Wiese”, “Abwehr-Grieche”, “Malle-Jens” — tagtäglich erfinden die “Bild”-Medien neue Bindestrich-Gebilde.

Auch für Lane Graves. Der kleine Junge wäre am Samstag (Bild.de schreibt fälschlicherweise von Sonntag) eigentlich drei Jahre alt geworden. Seine Familie versammelte sich vorgestern mit vielen Freunden und Nachbarn auf einem Footballfeld in ihrer Heimatstadt Omaha im US-Bundesstaat Nebraska, um Lanes Geburtstag zu feiern, allerdings ohne ihren Sohn. Der wurde im Juni beim Sandburgenbauen im “Walt Disney World Resort” von einem Alligator ins Wasser gezogen und starb.

Die Feier war sehr emotional, Lanes Eltern hielten Reden und sprachen über die Zeit mit ihrem Sohn. Fotografen waren vor Ort, viele Medien in den USA berichteten. Und auch Bild.de. In ihrem Drang, Menschen mit möglichst einfallsreichen Spitznamen zu versehen, machten die Mitarbeiter aus Lane Graves, dem Jungen, der durch einen Alligator ums Leben gekommen ist, den “toten Alligator-Jungen”:


(Unkenntlichmachung durch uns.)

Das ist so herz- und würdelos, dass man sich gar nicht vorstellen kann, dass das niemandem bei Bild.de vor Veröffentlichung aufgefallen ist.

Und dazu ist es sprachlich-inhaltlich auch noch so schief. Wenn ein Mann aus Bangladesch durch eine seltene Krankheit warzenähnlichen Wucherungen bekommt, die ein wenig aussehen wie Baumrinde, dann nennen die “Bild”-Medien ihn “Baum-Mann”. Immer noch platt, aber inhaltlich nicht völlig daneben. Doch Lane Graves hatte selbstverständlich nichts von einem Alligator. Er hatte das schreckliche Pech, von einem getötet zu werden. Lane Graves war kein “Alligator-Junge”. Er war ein ganz normales Kind.

“Breitbart”, Leonard Cohen, Neuköllner Neonazis

1. “Breitbart News” will expandieren
(zeit.de)
Mit seinen Angriffen auf Hillary Clinton gehörte das rechtspopulistische Medium “Breitbart News” im US-Wahlkampf zu den Garanten für Donald Trumps Erfolg. Jetzt könnte es auch nach Deutschland und Frankreich kommen: “Breitbart, das bereits eine Website in Großbritannien betreibt, führt nach Angaben seines Chefredakteurs bereits Gespräche mit deutschen und französischen Journalisten. Ziel sei es, gewählte rechtspopulistische Politiker in Frankreich und Deutschland zu unterstützen.” Als Reaktion auf die Expansionsdrohung von “Breitbart” entwickelt Johannes Kuhn auf seiner Seite kopfzeiler.org eine Empfehlung für die Berichterstattung über den im kommenden Jahr anstehenden Wahlkampf in Deutschland: “Die Lösung für publizistische Portale kann nur lauten, möglichst viele Mitarbeiter weg vom Bildschirm und raus in die deutsche Realität zu schicken, aufzuschreiben, was ist. Normalen Menschen das Wort zu geben, sie erzählen zu lassen, wie es ihnen geht, was sie denken, hoffen, fühlen.”

2. Trump-Wähler scheren sich nicht um die Wahrheit? Du doch auch nicht!
(t3n.de, Lisa Hegemann)
Ob nun die irrtümliche Bebilderung der “Simpsons”-Vorhersage, ein vermeintlicher Titelblatt-Fauxpas der “Märkischen Allgemeinen” oder ein Donald-Trump-Zitat von 1998, das aber gar nicht von Donald Trump stammt — obwohl das alles faktisch falsch ist, verbreitet es sich in den Sozialen Netzwerken wie blöd. Ziemlich problematisch, findet Lisa Hegemann: “Wenn wir Links von Texten teilen, die wir nicht gelesen haben, wenn wir Bilder teilen, deren Ursprung wir nicht geprüft haben, dann prägen wir die postfaktische Ära mit — dann gehen wir nach Gefühl und nicht nach Tatsachen.”

3. Neonazis posten Karte mit Adressen
(juedische-allgemeine.de)
Eine rechtsextreme Gruppierung aus Berlin-Neukölln hat vor zwei Tagen — also zum Jahrestag der Pogromnacht — auf einer Facebook-Seite “eine Grafik mit jüdischen Einrichtungen in Berlin veröffentlicht”: “In Frakturschrift steht auf der Grafik der Satz: ‘Juden unter uns!’. Darauf sind rund 70 Einrichtungen samt Adressen aufgelistet, darunter Kitas, Schulen, Synagogen, Geschäfte, Friedhöfe und Restaurants. Daneben steht die Anmerkung: ‘Heut ist so ein schöner Tag’.” Inzwischen sei die Seite von Facebook gelöscht worden, berichtet “Spiegel Online”.

4. Marxismus im Dauerminus
(taz.de, Judith Freese)
Der “jungen Welt”, in der DDR “das Medium der Freien Deutschen Jugend, kurz FDJ, und mit millionenstarker Auflage zeitweise die meist gelesene Tageszeitung im Osten”, geht es finanziell ziemlich mies: Judith Freese schreibt von einem “nicht gedeckten Fehlbetrag von 953.000 Euro”. Die aktuell 17.000 Abonnenten seien 2000 zu wenig, “um weiterhin die Zeitung produzieren zu können.” Noch solle aber nicht Schluß sein.

5. Leonard Cohen Makes It Darker
(newyorker.com, David Remnick, englisch)
Vor gut einem Monat erschien dieses 60.000-Zeichen-Stück über Leonard Cohen, geschrieben vom “New Yorker”-Chefredakteur David Remnick. Wenn man einen Text zum Tod von Leonard Cohen lesen will, dann diesen.

6. Heisse News vom Vortag
(operation-harakiri.de, Ralf Heimann)
Ralf Heimann wundert sich über die Titelseite der “Augsburger Allgemeinen”, die noch am Donnerstag damit aufmachte, dass Donald Trump “neuer US-Präsident” ist: “Früher war das immer so. Wenn am späten Freitagabend etwas passiert ist, das am Samstagmorgen keinen Platz mehr in der Zeitung fand, na, dann kam es eben am Montag auf die Titelseite.”

7. Liebe Leserinnen und Leser. Wir müssen reden.
(netzpolitik.org)
Heute ausnahmsweise mal ein siebter Link, denn die Kollegen von netzpolitik.org brauchen Hilfe: Die Zugriffszahlen seien zwar 1A, und zu wenig Themen gebe es auch nicht, aber das Geld werde bald knapp. “Sollten sich die Spenden nicht monatlich um 5.000 bis 10.000 Euro erhöhen, werden wir recht bald gezwungen sein, wieder Stellen abzubauen”, schreibt das Team, das nach der “Landesverrat-Affäre” aufgestockt wurde, und bittet um finanzielle Unterstützung.

Feiger Staat, Lieblingssätze, Trump’s Lies

1. Peter Schaar: Der Staat ist ein feiger Leviathan
(heise.de, Peter Schaar)
Peter Schaar war lange Jahre Bundesbeauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit und ist aktuell Vorsitzender der Europäischen Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz. Seinem Artikel über die Einführung der Quellen-Telekommunikationsüberwachung und der Online-Durchsuchung merkt man die Fassungslosigkeit an: „Die immer neuen Sicherheitsgesetze und die Art, wie sie durchgesetzt werden, belegen, wie schwach und feige der staatliche Leviathan in Wirklichkeit ist. Statt sich der öffentlichen Diskussion zu stellen, wird getrickst – die politische Führung stiehlt sich aus der Verantwortung.“

2. Wer schreibt darüber, wenn #deutschlandspricht?
(inkladde.blog, Nicola Wessinghage)
Vor einigen Tagen machte ein Bericht einer außergewöhnlichen Begegnung die Runde. Im Rahmen der Aktion „Deutschland spricht“ hatte sich “Zeit Online”-Chef Jochen Wegner mit einem ihm zugelosten Menschen mit gegensätzlichen Ansichten zum Gespräch getroffen. Nicola Wessinghage findet die Aktion grundsätzlich gut, hatte beim Lesen von Wegners Artikel dennoch Störgefühle: „Es fehlt etwas, das gerade für dieses Experiment essentiell wichtig gewesen wäre: die Erzählung aus der Sicht von Mirko. Er bleibt in diesem Text, auch wenn er selbst sich äußert und Jochen Wegner aus seinen Mails und WhatsApp-Nachrichten zitiert, das Objekt der Berichterstattung. Er ist „der Andere“, dem sich der Autor offen, neugierig und wohlwollend nähert. Aber: Was empfindet jemand wie Mirko, wenn er mit dem politisch Andersdenkenden spricht?“

3. Al Jazeera – gefürchtete Stimme der Massen
(sueddeutsche.de, Dunja Ramadan)
Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Ägypten haben Katar aufgefordert, verschiedene Nachrichtenportale und den Fernsehsender „Al Jazeera“ stillzulegen. Der international bekannte TV-Sender hat mehr als 80 Standorte und erreicht nach eigenen Angaben täglich 310 Millionen Haushalte. Der Grund für die Forderung nach Schließung: Den autoritären Herrschern sind wohl die Reportagen und die offenere Gesprächskultur ein Dorn im Auge.

4. „Spiegel“ und BR arbeiten zusammen
(taz.de)
Nachdem sich „NDR“, „WDR“ und „Süddeutsche Zeitung“ zu einem Rechercheverbund zusammengeschlossen haben, ziehen nun „Spiegel“ und der „Bayerische Rundfunk“ mit einer Partnerschaft nach. In der ersten Recherchekooperation ging es um das Thema “Diskriminierung bei der Wohnungssuche”.

5. Interview im BJV-Report
(lieblingssaetze.wordpress.com, Bernhard Blöchl)
Das Magazin des Bayerischen Journalistenverbandes (BJV) hat mit „SZ“-Redakteur und Romanautor Bernhard Blöchl über die Schönheit von Sätzen gesprochen. Blöchl ist auf diesem Gebiet Experte, als Kurator des „Museum der schönen Sätze“ (lieblingssaetze.de) hat er hunderte erster Sätze, Songzeilen, Filmzitate und Fundstücke zusammengetragen.

6. Trump’s Lies
(David Leonhardt & Stuart A. Thompson)
US-Präsident Donald Trump pflegt bekanntermaßen einen zweifelhaften Umgang mit der Wahrheit. Die „New York Times“ hat jede seiner Lügen nach seinem Amtseid notiert und mit einer kurzen Richtigstellung versehen.

“Fox News”-Boykott, Googles GIF-Kauf, Kolumnisten-Duell

1. Parkland-Überlebender zwingt Werbekunden zum Boykott von Fox News
(sueddeutsche.de, Julian Dörr)
Ein amerikanischer Teenager hat mit nur einem Tweet einen erfolgreichen Boykott gegen „Fox News“, einen der größten TV-Sender der USA ausgelöst. Die konservative Moderatorin und glühende Trump-Unterstützerin Laura Ingraham hatte den Schüler, der sich für strengere Waffengesetze in den USA einsetzt, auf Twitter attackiert. Daraufhin twitterte der Schüler die Namen von zwölf Werbekunden der Talkshow. Mit Erfolg: Schon nach wenigen Stunden meldeten sich die ersten Firmen und kündigten an, dass sie ihre Werbeanzeigen zurückziehen würden.

2. Post verkauft Daten an Parteien
(tagesschau.de)
Nach einem „BamS“-Bericht verkauft die Post seit 2005 die Daten ihrer Kunden an Parteien. 2017 seien Kundeninformationen an FDP und CDU gegangen. Die Parteien hätten straßengenaue Analysen bestellt, hilfreich für Haustürwahlkampf und Direktwerbung. Alle Beteiligten wollen sich rechtlich korrekt verhalten haben. Hamburgs Datenschutzbeauftragter Johannes Caspar verlangt die Neubewertung von “Microtargeting im Offline- oder Online-Sektor zum Zweck der Wahlwerbung“ und sieht Kollisionen mit dem Grundgesetz. 
Weiterer Lesetipp: Deutsche Post weist Kritik an Datenweitergabe zurück (zeit.de).

3. Ist Radio tot? Futurist Ben Hammersley glaubt es zumindest
(radioszene.de, James Cridland)
„Futurist“ Ben Hammersley schreibt für Medien wie „Guardian“ und „Wired“. In diesem Jahr sprach er auf den Radiodays Europe in Wien. Wie es sich für einen Futuristen gehört, hatte er eine verstörende Botschaft im Gepäck („Radio ist tot“) und zog Parallelen zu Kodak, wo man nicht bemerkt hätte, wie schnell sich die Welt verändert.

4. Die Kommerzialisierung der Gifs
(irights.info, David Pachali)
Das GIF-Format ist für Computerverhältnisse uralt und müsste sich schon längst überlebt haben. Doch das Gegenteil ist der Fall: In sozialen Netzwerken und Messengern erfreuen sich die kleinen Bewegtbilder-Sequenzen größter Beliebtheit. Nun hat Google eine der größten GIF-Datenbanken aufgekauft. Der wirtschaftliche Hintergrund: Die unscheinbaren Grafikschnipsel ermöglichen einen Einblick in die Gefühlswelt der Nutzer. Das biete Werbepartnern neue Möglichkeiten, potenzielle Kunden in der passenden Stimmungslage anzusprechen.

5. Abrechnung einer Deutschlandfunk-Autorin mit dem Zeit-Kritiker: der Sound, aus dem der Totalitarismus kommt
(meedia.de, Thomas Fischer)
Am 30. März haben wir in den „6 vor 9“ eine Kolumne von Silke Burmester beim „Deutschlandfunk“ verlinkt, in der sie den ehemaligen Bundesrichter und „Zeit“-Kolumnist Thomas Fischer mit heftigen Worten kritisierte. Wie nicht anders zu erwarten, hat dieser nun, nicht minder heftig, geantwortet.

6. Krebs ist scheiße
(futurezone.de, Philipp Rall)
Mehrere tausend Mitglieder einer Bilder-Community äußern ihren Unmut über einen Journalisten, indem sie mit dem Hinweis „Krebs ist scheiße!“ Geld an die DKMS und andere Organisationen überweisen. Wie kam es dazu?
Nachtrag 13:58 Uhr: Eine Leserin kritisiert die Berichterstattung und weist uns auf einen Beitrag des betroffenen Security-Journalisten hin, der 2016 Ziel eines massiven DDoS-Angriffs war.

“Bild” und die Kinderporno-Ermittlungen (2)

Das Landgericht (LG) Köln hat die “konkrete identifizierende Verdachtsberichterstattung” der “Bild”-Medien über einen ehemaligen Profifußballer verboten. “Bild” und Bild.de hatten Anfang September exklusiv und riesengroß über einen “Kinderpornografie-Verdacht” berichtet. In der Pressemitteilung des Gerichts heißt es:

In Ihrem Beschluss hebt die Kammer (…) maßgeblich auf die durch die konkrete Gestaltung der Berichterstattung gegebene Vorverurteilung und den Umstand ab, dass es für eine derartige Verdachtsberichterstattung an einem Mindestbestand an Beweistatsachen fehle, die für die Richtigkeit des vermittelten Verdachts sprechen könnten.

Auch “Bild” berichtet heute online und in der gedruckten Ausgabe über die Gerichtsentscheidung:

Ausriss Bild-Zeitung - Verdacht der Verbreitung kinderpornographischer Schriften - Gericht verbietet Bild Berichte über M.
(Unkenntlichmachung durch uns.)

Die Redaktion schreibt dazu:

Das Landgericht Köln hat BILD mit einer einstweiligen Verfügung verboten, über die Ermittlungen gegen Ex-Fußball-Nationalspieler [M.] identifizierend zu berichten.

Bei Androhung einer Geldstrafe von bis zu 250 000 Euro — “oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten” — wird es BILD verboten, “über den Antragsteller im Zusammenhang mit einem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Hamburg wegen des Verdachts der Verbreitung kinderpornographischer Schriften in einer diesen durch Nennung seines Namens und Veröffentlichung seines Bildnisses identifizierenden Weise zu berichten”.

Aber verstößt “Bild” mit diesem Bericht über die einstweilige Verfügung nicht schon gegen die einstweilige Verfügung? Wir haben bei Medienrechtlern nachgefragt.

Zunächst stelle sich die Frage, ob die einstweilige Verfügung bereits ordnungsgemäß zugestellt wurde, erklärt Lucas Brost von der Kanzlei Höcker, denn erst dann sei sie für “Bild” bindend. Es sei beispielsweise denkbar, dass der Anwalt des früheren Fußballprofis die “Bild”-Redaktion vorab, etwa per E-Mail, über die Verfügung informiert hat, und “Bild” daher die Kenntnis habe. Allerdings, so Brost:

Für eine bereits erfolgte Zustellung könnte sprechen, dass die alten BILD-Beiträge offensichtlich bereits gelöscht wurden und die einstweilige Verfügung ausweislich der Pressemitteilung des LG Köln bereits am 19.09.2019 erlassen wurde.

Tatsächlich sind bei Bild.de alle alten Artikel zum Fall verschwunden.

Der Medienrechtler Dominik Höch sagt zum “Bild”-Bericht von heute:

BILD wird sich darauf berufen, dass es sich um einen Fall der sogenannten referierenden Berichterstattung handelt. Gerichte haben mehrfach entschieden, dass Medien über ein Verbot gegen sie selbst berichten dürfen, ohne gegen die einstweilige Verfügung zu verstoßen. Voraussetzung ist allerdings, dass für den Leser erkennbar ist, dass nur sachlich referiert wird, was nun untersagt wurde. Und: Es darf sich nicht um einen Vorwand handeln, um das Verbot zu umgehen und die Behauptung erneut aufzustellen.

Wäre er der Anwalt des Ex-Fußballers, so Höch, würde er ihm raten, “ein Ordnungsgeld wegen Verstoßes gegen die einstweilige Verfügung, so diese denn schon formal zugestellt ist, zu beantragen”:

Zwei Gründe: Alleine im Text der BILD wird fünfmal der konkrete Vorwurf (“Verbreitung kinderpornographischer Schriften”) erneut aufgestellt. Dazu kommt die eingeblendete Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft. Das geht weit über eine sachliche Mitteilung hinaus, was der BILD verboten wurde. Man hat den Eindruck, man wollte dem Antragsteller hier noch mal “einen mitgeben”. Zum Zweiten liefe der Anonymitätsschutz im Ermittlungsverfahren komplett leer, wenn auf diese Weise solche existenzvernichtenden Vorwürfe, deren Mitteilung gerade ein Gericht verboten hat, doch weiter ventiliert werden.

Auch Lucas Brost sieht in dem aktuellen “Bild”-Bericht einen Verstoß gegen die einstweilige Verfügung, “wenn wir die Zustellung annehmen”:

Denn das LG Köln hat in seiner Pressemitteilung festgestellt, dass es für eine identifizierende Berichterstattung an einem Mindestbestand an Beweistatsachen fehlt, das heißt auf Grund der derzeitigen Sach- und Rechtslage darf Herr [M.] unter Nennung seines Namens und der Ablichtung eines Bildnisses nicht mehr mit den Vorwürfen in Verbindung gebracht werden.

Die “Bild”-Redaktion kündigt in ihrem Bericht von heute an, dass sie gegen die einstweilige Verfügung juristisch vorgehen wolle. Dabei beruft sie sich auch auf eine Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Hamburg, die darin ebenfalls den kompletten Namen des Verdächtigen genannt hatte. “Bild” schreibt:

Dennoch besonders bizarr: BILD wurde nun vom Kölner Landgericht verboten, über den Fall zu berichten, obwohl die Hamburger Staatsanwaltschaft selbst die Öffentlichkeit darüber informiert hatte!

Erstens hat der Bundesgerichtshof längst festgestellt, dass die Mitteilung einer Staatsanwaltschaft nicht einem Persilschein für Redaktionen gleichkommt:

Zwar ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, dass den Verlautbarungen amtlicher Stellen ein gesteigertes Vertrauen entgegengebracht werden darf. Dies beruht auf der Erwägung, dass Behörden in ihrer Informationspolitik unmittelbar an die Grundrechte gebunden sind und Amtsträger, wenn sie vor der Frage stehen, ob die Presse über amtliche Vorgänge informiert werden soll, die erforderliche Abwägung zwischen dem Informationsrecht der Presse und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht vorzunehmen haben. (…) Daher ist regelmäßig die Annahme gerechtfertigt, dass eine unmittelbar an die Grundrechte gebundene, auf Objektivität verpflichtete Behörde wie die Staatsanwaltschaft die Öffentlichkeit erst dann unter Namensnennung über ein Ermittlungsverfahren unterrichten wird, wenn sich der zugrunde liegende Tatverdacht bereits einigermaßen erhärtet hat. Auch das entlastet die Medien allerdings nicht von der Aufgabe der Abwägung und Prüfung, ob im Übrigen nach den Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung eine Namensnennung des Betroffenen gerechtfertigt ist.

Und zweitens ist der zeitliche Ablauf in dem Fall interessant: Die Hamburger Staatsanwaltschaft veröffentlichte ihre Pressemitteilung samt Namen des Verdächtigen im Laufe des 4. September. Da lag die “Bild”-Ausgabe mit Foto und Namen des Verdächtigen auf der Titelseite längst an allen Kiosken Deutschlands. Der erste identifizierende Bericht von Bild.de erschien bereits am Vorabend.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Grenzen des Boulevard, Putzige Polizeitaktik, Seitenwechslerin

1. Die Grenzen des Boulevard: Über das Leben und Sterben von Kasia Lenhardt
(rnd.de, Imre Grimm)
Die 25-jährige Kasia Lenhardt war Model, Influencerin und Mutter. Am Dienstagabend fand die Polizei ihren leblosen Körper in einer Wohnung in Berlin. Die genauen Hintergründe ihres Todes sind noch unklar. Klar ist jedoch, dass sie seit Wochen im Zentrum einer Boulevard-Schlammschlacht stand. Imre Grimm kommentiert: “Dieser Tod hat eine Vorgeschichte, und sie verrät viel über die Mechanismen eines Teils der modernen Medienwelt, die ihr Heil darin sieht, Menschen bedenkenlos als Gossip-Objekte und Glamour-Rohstoff auszubeuten, erst recht, wenn diese von sich aus nach Aufmerksamkeit streben. Die Unschuldsbeteuerungen klingen dabei immer gleich: Ist doch nicht unser Problem. Die profitieren doch davon!”
Weiterer Lesehinweis: Jedes Detail ein Text: “Das Model Kasia Lenhardt ist gestorben. Der Umgang mit ihr sagt viel über frauenfeindliche Narrative in Boulevard- und sozialen Medien.” (taz.de, Carolina Schwarz)

2. LobbyControl befürchtet “Schieflage in der Digitalpolitik”
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers, Audio: 4:19 Minuten)
Julia Reuss, bisher Büroleiterin von Digitalstaatsministerin Dorothee Bär und Lebensgefährtin von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, wechselt als Lobbyistin zu Facebook. Ulrich Müller von der Initiative LobbyControl findet das problematisch: “Für Facebook ist das Interessante daran, dass sie eine Lobbyistin gewinnen, die gut vernetzt ist, die das politische Geschäft kennt und die dann dabei helfen soll, die Facebook-Interessen stark in die Politik hineinzutragen. Und das ist eben das Problem: Weil wir so viele große Themen vor der Nase haben und es wichtig ist, dass diese zukünftige digitale Regulierung nicht einseitig von den großen Unternehmen wie Facebook bestimmt wird.”

3. Aus Freude am Rassismus
(uebermedien.de, Hendrik Wieduwilt)
In der “Neuen Zeitschrift für Arbeitsrecht” des renommierten Beck-Verlags erschien ein Beitrag des Juristen Rüdiger Zuck, in dem dieser “mit rassistischen Ausdrücken um sich wirft, als wäre es braunes Konfetti”, schreibt Hendrik Wieduwilt. Er hat den Fall aufgearbeitet: “Dieser Zuck-Text und die redaktionelle Entscheidung, ihn zu drucken, ist eine Schande für den Verlag und das Juristenmilieu. Juristen sollten sich fragen: Will man in diesem Zusammenhang eigentlich wirklich noch auftauchen? Andere Verlage haben schließlich auch schöne Zeitschriften.”

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4. Ausländerkriminalität: Medien und Polizei verzerren das Bild
(youtube.com, Zapp, Svea Eckert & Lea Eichhorn, Video: 11:04 Minuten)
Journalisten und Journalistinnen von NDR und BR haben die Berichterstattung über Kriminalität unter die Lupe genommen. Sie haben dazu zahlreiche Polizeipressemitteilungen ausgewertet, die vielen Redaktionen als Grundlage ihrer Berichte dienen. Ein Ergebnis: In der Berichterstattung über Kriminalität würden ausländische Nationalitäten deutlich öfter genannt als deutsche. Svea Eckert und Lea Eichhorn haben mit Chefredakteuren und dem Presserat über die Problematik gesprochen.

5. Wie US-Polizisten mit Uploadfiltern Livestreams verhindern wollten
(netzpolitik.org, Markus Reuter)
In den USA hätten laut Markus Reuter Bürgerinnen und Bürger bis auf sehr wenige Ausnahmen das Recht, Polizistinnen und Polizisten bei der Arbeit zu filmen. In Kalifornien haben sich manche der Gefilmten auf eine geradezu putzige Weise dagegen gewehrt: Sie haben im Moment der Filmaufnahme ihr Handy gezückt und urheberrechtlich geschützte Musik abgespielt – offenbar in der Hoffnung, dass die Musikerkennung und die Uploadfilter von Instagram anspringen und eine Veröffentlichung unterbinden.

6. Mehr freie “Zeit”
(sueddeutsche.de)
Die “Zeit”-Verlagsgruppe kündigt eine schöne Aktion an: Schülerinnen und Schülern können ab sofort ein kostenloses digitales “Zeit”-Abo bis zum Ende des Schuljahres bekommen. Nach sechs Monaten, zu Beginn der Sommerferien, laufe das Abo automatisch aus, ohne dass eine Kündigung nötig sei. Mit dem Angebot wolle der Verlag vor allem Schülerinnen und Schüler der Jahrgänge 10 bis 13 ansprechen.

Der verlorene Kontext zur verlorenen Ehre der Katharina Blum

“Bild” war kürzlich im bayerischen Ort Rottenburg an der Laaber. Dort hat Helmut Aiwanger, der ältere Bruder von Bayerns stellvertretendem Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger, sein Waffengeschäft. Helmut Aiwanger sagte vor wenigen Tagen, er sei der Verfasser eines antisemitischen Flugblatts aus Schulzeiten, nachdem die Urheberschaft erst seinem Bruder zugeschrieben wurde.

Es fährt also ein “Bild”-Reporter nach Rottenburg an der Laaber:

BILD zu Besuch bei Hubert Aiwangers elf Monate älterem Bruder Helmut!

Wobei “zu Besuch” nun nicht so ganz passt, denn viel kommt von Helmut Aiwanger nicht:

Als der BILD-Reporter ihn anspricht, sagt er nur: “Passt schon” – bayerisch für: “Kein Interesse, Tschüss!”

Dafür entdeckt der “Bild”-Reporter am Fenster des Geschäfts mehrere Zettel “mit eindeutigen Botschaften”:

“Buchempfehlung: Heinrich Böll, 1974: Die verlorene Ehre der Katharina Blum” steht da an seiner Scheibe. Soll heißen: Die Aiwangers seien – wie die Heldin des genannten Romans – ohne eigenes Zutun unschuldige Opfer der Sensationsgier der Presse.

“Opfer der Sensationsgier der Presse”?

Da war doch irgendwas, was Heinrich Böll noch dazu geschrieben hatte.

Mal nachlesen im Buch.

Ah, hier, direkt am Anfang, noch bevor die Erzählung beginnt:

Personen und Handlungen dieser Erzählung sind frei erfunden. Sollten sich bei der Schilderung gewisser journalistischer Praktiken Ähnlichkeiten mit den Praktiken der “Bild”-Zeitung ergeben haben, so sind diese Ähnlichkeiten weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich.

Dieses Detail hat der “Bild”-Reporter offenbar vergessen.

In Bölls Werk erschießt die Titelfigur Katharina Blum übrigens am Ende einen Reporter. Dass seine “Buchempfehlung” also nicht wirklich zur Deeskalation taugt, scheint auch Helmut Aiwanger erkannt zu haben. Auf dem Zettel im Fenster seines Geschäfts steht auch noch: “Keine Sorge, nur Heinrich Bölls Prosa endet dramatisch.”

Mit Dank an Tihomir V. für den Hinweis!

Bildblog unterstuetzen

Wir müssen leider draußen bleiben VI

Am vergangenen Freitag erschien die aktuelle Ausgabe der Illustrierten “das neue”. Titelstory: “Exklusiv DAS NEUE enthüllt: Uschi Glas – Endlich wieder verliebt!” Dazu gab es knapp 60 Zeilen Text, ein knappes Dutzend Infos über “Uschis neue Liebe” (Unternehmensberater, Hobby Golf, Villa in einem schwäbischen Naturparadies, Hund, Oldtimer, acht Jahre jünger, Vater einer 17- und einer 15-jährigen Tochter, “Die Ehe des Wirtschaftsingenieurs besteht nur noch auf dem Papier. Seit August lebt seine Frau in der Schweiz.” sowie “In einem Möbelgeschäft interessierten sie sich für ein Sofa”) und fünf Paparazzifotos natürlich.

Am vergangenen Samstag machte “Bild” daraus die Frage “Uschi Glas – Hat sie ihre neue Liebe gefunden?” und ebenfalls eine Titelstory, am Sonntag berichtete “Bild am Sonntag”, am heutigen Dienstag abermals “Bild”. Und wir fassen zusammen:

“Da kann ich gar nichts dazu sagen,
möchte mich überhaupt nicht dazu äußern.”

(Uschi Glas in der “Bild” vom 11.12.04)

“Dazu möchte ich mich nicht äußern.”
(Uschi Glas in der “BamS” vom 12.12.04)

“Kein Kommentar.”
(Uschi Glas in der “Bild” vom 14.12.04)

Immerhin kann die “Bild”-Zeitung, die sich bislang stets mit dem einen oder anderen “Exklusivfoto aus ‘das neue'” behelfen musste, endlich mit einem eigenen, ganz tollen, knapp fünf Monate alten “Fotobeweis” für die “neue große Liebe” aufwarten – und (um einen weiteren Satz aus der bisherigen Berichterstattung zu zitieren):

“Mehr gibt es da nicht zu sagen.”

Nachtrag, 19:20:
Ach ja, mittlerweile hat Uschi Glas dann doch was über ihre neue Liebe erzählt – allerdings nicht “Bild”, sondern der “Bunten”.

Nachtrag, 23:46:
Laut “Bild” hat Glas nach der “Bunten” nun auch mit “Bild” gesprochen. Jedenfalls heißt es in der “Bild” vom Mittwoch: “In BILD spricht Uschi Glas (60) jetzt zum ersten Mal über Dieter Hermann (52), den neuen Mann in ihrem Leben”, was allerdings nur insofern stimmt, als sie zum ersten Mal in “Bild” darüber spricht, denn zum ersten Mal überhaupt sprach sie darüber, wie gesagt, in der “Bunten”.
(Doch dazu vielleicht später mehr…)

Um weitere Verwirrung zu verhindern

Vielleicht sind wir zu streng. Bei vielen Ereignissen, über die “Bild”-Mitarbeiter schreiben müssen, waren sie gar nicht dabei. Oft haben sie von ihnen nur aus älteren Ausgaben anderer Zeitungen erfahren, die manchmal sogar in fremden Sprachen verfasst sind. Und manche Sachen müsste man sich erst langwierig von jemandem erklären lassen, der sie versteht. Kein Wunder, dass nicht jeder “Bild”-Artikel stimmt. Gut, dass es manchmal Themen gibt, bei denen man dabei ist, die man selbst veranstaltet, wo man sich auskennt, kurz: über die man endlich einmal wirklich genau berichten kann.

Wie diese “Bild-Ted”-Aktion Anfang der Woche, deren Ergebnis “Bild” gestern mit diesen Worten verkündete:

Kein Pardon für Joschka Fischer! 87 Prozent der BILD-Leser können dem Außenminister seine Fehler in der Visa-Affäre nicht vergeben, wollen seinen Rücktritt.

Okay, das ist ein klitzekleines bisschen ungenau. Denn es waren nicht 87 Prozent der “Bild”-Leser (das wären rund zwölf Millionen), sondern 87 Prozent der “Bild-Ted”-Anrufer (das waren rund 38.000). Und auch die haben mit ihrem Anruf eigentlich nicht gesagt, dass sie dem Außenminister nicht vergeben können, sondern dass sie meinen, “die Deutschen sollen” ihm nicht verzeihen. Und von einem Rücktritt war überhaupt nicht die Rede. Aber der “Bild”-Artikel geht noch weiter:

Viele Anrufer zeigten sich von der Standard-Ansage der Telekom (“Dieser Anruf kostet 62 Cent pro Minute”) irritiert. Doch keine Sorge: Wer aus dem deutschen Festnetz beim BILD-TED angerufen hat, zahlt — wie in BILD angekündigt — nicht mehr als 6 Cent pro Anruf. Um weitere Verwirrung zu verhindern, beendete BILD den TED schon um 14 Uhr.

Eigentlich hatte “Bild” angekündigt, dass man bis 18 Uhr anrufen könne. Aber besser man bricht die Wahl ab, als noch mehr Verwirrung zu stiften. Das entsprechend unbrauchbare Ergebnis muss man natürlich wegwerfen abdrucken.

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Das Märchen vom Wolf und den fünf Experten

Am Dienstag veranstaltete das Bundesumweltministerium in Berlin eine Tagung “Wer hat Angst vorm bösen Wolf?”. Es ging darum, wie bei einem solch konfliktreichen, emotionalisierten Thema wie der Wiederansiedelung des Wolfes in Deutschland eine sachliche Auseinandersetzung gelingen kann.

Am gleichen Tag demonstrierte die “Bild”-Zeitung, wie leicht es ihr fällt, bei diesem Thema jede sachliche Auseinandersetzung zu torpedieren. Jürgen Helfricht, in Dresden bei “Bild” der Mann fürs Grobe und einschlägig bekannt, schrieb diesen Artikel:

EXPERTEN FORDERN: Schießt die deutschen Wölfe ab!

(…) Jetzt warnen internationale Experten vor den Tieren, fordern ihren Abschuss! Lesen Sie selbst, was die Fachleute sagen.

Was die fünf “Fachleute” aus drei Ländern sagen, liest sich tatsächlich erfrischend eindeutig. Einer behauptet:

“Menschen sind die natürlich Beute des Wolfes.”

Ein anderer:

“Ich erwarte, dass bald Kinder von den Wölfen getötet werden.”

Hinter die Warnungen schreibt “Bild” noch den erschütternden Satz:

Sachsens Umweltminister will die Experten ignorieren.

Und fügt, ein bisschen verwirrend, die Information hinzu:

Eine Umfrage des “Internationalen Tierschutz Fund” (IFAW) ergab: Seit Jahrzehnten kam es in keinem europäischen Land mit Wolfsbestand zu Angriffen auf Menschen.

Ach.

Eine Umfrage auf der Tagung des Bundesumweltministeriums ergab nach Angaben einer Teilnehmerin, dass keiner der anwesenden internationalen Experten die “internationalen Experten” von “Bild” kannte. Allerdings scheinen sich die “internationalen Experten” von “Bild”, wie ein Gruppenfoto in “Bild” andeutet, untereinander zu kennen. Sie sitzen alle gemeinsam auf einem Sofa mit Joachim Bachmann. Und den kennen wir.

Bachmann ist Jäger, Gründer des Vereines “Sicherheit und Artenschutz”, der dafür kämpft, die Wölfe in Deutschland wieder auszurotten. Er empfindet es laut “FAZ” als eine Ehre, unter den Wolfsfreunden in der Lausitz als “Wolfsfeind Nummer eins” zu gelten. Die “Sächsische Zeitung” zitiert ihn mit den Worten: “Mit dem Wolf ist es wie mit dem Krebs im Körper. Wenn sie ihn frühzeitig bekämpfen, haben sie hohe Heilungschancen. Wenn sie warten, bis die Metastasen da sind, haben sie nur noch fünf Prozent Heilungschancen.”

Das Wildbiologische Büro “Lupus”, das in der Lausitz die Rückkehr der Wölfe fachlich begleitet und von “Bild” und Bachmann heftig kritisiert wird, sagte gegenüber BILDblog, die “internationalen Experten” von “Bild” seien allesamt von Bachmanns “Sicherheit und Artenschutz e.V.” in die Lausitz eingeladen worden. Was natürlich erklärt, warum ihre Forderungen so sehr übereinstimmen. Und warum sie in keiner Weise repräsentativ sind.

Mit der gleichen Logik, mit der “Bild” diese Leute schlicht zu Wolfs-“Experten” macht, könnte sie auch CDU-Politiker zu Fachleuten für die SPD erklären (“Experten fordern: Wählt keine Sozialdemokraten!”). Oder sich selbst zum Experten für Wahrheit.

PS: Gestern legte Jürgen Helfricht in einem weiteren “Bild”-Artikel nach. Der Text begann mit den Worten:

“Die Angst der Menschen vor den rund 30 Lausitz-Wölfen wächst von Woche zu Woche!”

Na, woher das wohl kommt.

Danke auch an Benjamin S.!

neu  

Das doppelte Lokchen

In weiten Teilen Deutschlands streikten gestern nicht nur die Lokführer, sondern man konnte auch den 29-jährigen Maik Richter auf der Titelseite der “Bild”-Zeitung sehen, denn:

1. Lokführer gibt offen zu: Ich finde das Bahn-Chaos gut! / STREIK-LOKFÜHRER: "Die Leute müssen merken, wie wichtig wir sind!"

Millionen Pendler kommen zu spät oder gar nicht zur Arbeit! Tausende warten in der Kälte vergebens auf ihren Zug! Fabriken bleiben ohne Nachschub! Der größte Bahnstreik in der Geschichte legt das halbe Land lahm – und dieser Lokführer gibt offen zu: “Ich find das Chaos gut.”

(…) Richter sagt: “Die Leute sollen mal merken, wie wichtig unsere Arbeit ist, die auch gut bezahlt werden muss. Klar ist es nicht schön, am Bahnsteig zu warten, aber ich muss auch an meine Familie denken.” (…) Er sagt: “Auf dem Bahnhof werden wir jetzt beschimpft. Aber ich hab ein dickes Fell.”

Sagen wir’s so: Maik Richter wird nach der gestrigen “Bild”-Schlagzeile nicht weniger beschimpft worden sein. “Unter den Bundesbürgern stößt der Ausstand jetzt immer mehr auf Ablehnung”, schrieb “Bild”. Und die Nachrichtenagenturen berichteten: “Nach einer Forsa-Umfrage für die ‘Bild’-Zeitung hat eine Mehrheit von 51 Prozent der Bundesbürger kein Verständnis für den Streik.” Nun ja. Und obwohl die Sympathie für den Lokführer-Streik in der Bevölkerung im November doch laut n-tv nicht ab-, sondern sogar wieder zugenommen haben soll, dürfte so ein demonstratives Gutfinden des Bahn-Chaos auf der Titelseite von “Bild” für die Gewerkschaft wenig hilfreich sein.

Das Lokführer-Dementi

“Auch wir Lokführer haben Verständnis für die Verärgerung unserer Reisenden und
‘ICH FINDE DAS BAHNCHAOS NICHT GUT!!!’

Sehr geehrte Damen,
sehr geehrte Herren,
mit großem Interesse habe ich soeben den Bericht über meine Person auf www.bild.de gelesen. Dabei musste ich leider feststellen, dass hier Zitate verwendet wurden, welche ich definitiv nicht gesagt habe.

‘Ich finde das Bahnchaos gut’ soll ich wörtlich gesagt haben und ‘Die Leute müssen merken, wie wichtig wir sind’. Dies sind Sätze, welche ich nie behauptet und auch in keinster Weise angedeutet habe. Ich habe Ihren Reportern gesagt, dass meine Kollegen und ich vollstes Verständnis für den Ärger unserer Kunden bzw. Reisenden haben. Weiterhin habe ich um Verständnis bei den Reisenden gebeten, da uns leider kein anderes Mittel bleibt, unseren Forderungen Nachdruck zu verleihen. (…)”

(Quelle: lokfuehrer-in-dortmund.de)

Dass sich Lokführer Maik Richter entschied, auf seiner Homepage ein deutliches Dementi der ihm von “Bild” und Bild.de zugeschriebenen Aussagen zu veröffentlichen (siehe Kasten), hat uns daher nicht wirklich überrascht.

Überrascht hat uns vielmehr die gestrige Titelgeschichte in der Leipziger “Bild”-Ausgabe:

1. Lokführer gibt offen zu: Ich finde das Bahn-Chaos gut! / STREIK-LOKFÜHRER: "Die Leute müssen merken, wie wichtig wir sind!"

Die Überschriften sind identisch, auch große Teile des Artikels — nur der zitierte und abgebildete “1. Lokführer” ist in Leipzig nicht der 29-jährige Maik Richter aus Dortmund, sondern der 36- bzw. 37-jährige Thorsten R.* aus Leipzig:

Millionen Pendler (…) in der Kälte (…) Fabriken (…)! Der größte Bahnstreik in der Geschichte legt das halbe Land lahm – und dieser Lokführer gibt offen zu: “Ich find das Chaos gut.”

(…) R. sagt: “Der Streik mit seiner Folge, Deutschland im Personen- wie im Güterverkehr lahmzulegen, ist das einzige Mittel um unsere Forderungen durchzusetzen. Das jetzige Chaos ist gut, weil es notwendig ist und unsere Forderungen unterstreicht. Die Leute müssen merken, wie wichtig wir sind.”

Ob der Leipziger R. ebenfalls behauptet, dies seien Sätze, welche er nie behauptet und auch in keinster Weise angedeutet habe, wissen wir (noch) nicht. Wir wissen nur, dass die trotzkistische Website WSWS.org von den Lokführer-Streiks in Berlin berichtete:

Insbesondere als ein Redakteur der “Bild”-Zeitung nach einem Interview fragte, fand sich niemand, der sich dazu bereit erklärte. Diesem “Lügenblatt” gebe man keine Interviews.

Mit Dank an die Hinweisgeber und an Kai L. für die “Bild”-Leipzig-Scans.

*) Name und Gesicht von uns unkenntlich gemacht.

Nachtrag, 20.11.2007: Inzwischen erreichte uns auch eine Stellungnahme des Leipziger Lokführers Thorsten R. (37), der ebenfalls darauf hinweist, dass seine Aussagen von der “Bild”-Zeitung “sinnentstellt und völlig aus dem Zusammenhang gerissen dargestellt” worden seien. (Nicht “die Leute” sollten merken, wie wichtig die Lokführer seien, sondern “der Bahnvorstand”; und das Chaos finde er nicht “gut”, sondern “notwendig”.) Auf Nachfrage sagte uns R*, er habe mit dem “Bild”-Reporter, mit dem zunächst in den Streiklokalen in Halle und Leipzig niemand zu reden bereit gewesen sei, lange über den Alltag der Lokführer in der Güterverkehrssparte Railion gesprochen, nachdem ihm der “Bild”-Reporter zu verstehen gegeben habe, dass die “Bild”-Zeitung mit ihrer Berichterstattung “was für die Lokführer tun” wolle.

Böse Übersetzung

Fangen wir mit drei Binsenweisheiten an: 1) US-Präsident Donald Trump spricht Englisch. 2) Deutsche Medien berichten in der Regel auf Deutsch. 3) Wenn deutsche Medien über eine Aussage von Donald Trump berichten wollen, müssen sie diese Aussage vom Englischen ins Deutsche übersetzen. Und da liegt das Problem.

Aktuell macht das Trump-Zitat “Die Deutschen sind böse, sehr böse” die ganz große Medien-Runde:








“Spiegel Online” hatte gestern zuerst über Trumps Deutschland-Schelte berichtet. Die Aussage stammt aus einem nicht-öffentlichen Treffen des US-Präsidenten mit Vertretern der EU in Brüssel. “Spiegel Online” schreibt:

US-Präsident Donald Trump hat sich bei seinem Treffen mit der EU-Spitze in Brüssel heftig über den deutschen Handelsbilanzüberschuss beklagt. “The Germans are bad, very bad”, sagte Trump. Dies erfuhr der SPIEGEL von Teilnehmern des Treffens.

Nun kann das englische Wort “bad” vieles bedeuten: schlecht (so beispielsweise von süddeutsche.de übersetzt), schlimm, schwierig, schädlich, mangelhaft und auch ungezogen oder böse. Dass Trump mit “The Germans are bad, very bad” sagen will, dass “die Deutschen” “böse, sehr böse” seien, ist nicht so eindeutig, wie die Titelzeile bei “Spiegel Online” es darstellt. Hätte er “The Germans are evil, very evil” gesagt, wäre es etwas anderes.

Apropos “evil”: Die Nachricht, die “Spiegel Online” gestern Abend exklusiv veröffentlichte, griffen auch englischsprachige Medien auf. Bei der Rückübersetzung vom Deutschen ins Englische machten sie mitunter aus “Die Deutschen sind böse, sehr böse” interessanterweise “The Germans are evil, very evil”:



EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der beim Treffen mit Donald Trump dabei war, hat die Worte des US-Präsidenten inzwischen bestätigt. Juncker sagt allerdings auch:

Ich bin kein Spezialist im Englischen, wie man weiß, aber: “Bad” heißt nicht böse, schlecht reicht.

Mit Dank an Jolf B. für den Hinweis!

“Lieber Punk Sänger als provokativ-dümmliche Bild Journalisten”

Bei Bild.de steht seit gestern ein sehr vernünftiger Satz, und allein das wäre ja schon eine Meldung wert:

Lieber Punk Sänger als provokativ-dümmliche, weitgehend talentfreie Bild Journalisten

Dass dieser Satz bei Bild.de steht, ist Flo Hayler zu verdanken, der 2005 in Berlin ein Ramones-Museum eröffnet und vor Kurzem ein Buch über die New Yorker Punkband geschrieben hat. Für Bild.de hat er daraus “8 überraschende Fakten” über die Ramones zusammengetragen:

Screenshot Bild.de - 8 überraschende Fakten über die legendäre Punk-Band Ramones - Julia Roberts ganz verknallt in C.J. Ramone - und Kiefer Sutherland kochte vor Eifersucht

Darin auch der oben zitierte Satz zu den “provokativ-dümmlichen, weitgehend talentfreien Bild Journalisten”, wobei er genau genommen so lautet:

Lieber (…) Punk (…) Sänger (…) als (…) provokativ-dümmliche, weitgehend talentfreie (…) Bild (…) Journalisten

Denn Hayler hat diese Botschaft in seine Ramones-Fakten eingeschmuggelt. Man muss nur richtig hinschauen:

Screenshot Bild.de - GIF-Datei vom Bild.de-Artikel, die, bei Ausblenden anderer Worte, in verschiedenen Absätzen den Satz Lieber Punk Sänger als provokativ-dümmliche, weitgehend talentfreie Bild Journalisten zeigt

Und nein, wir sind nicht völlig irre geworden und sehen Dinge, die es gar nicht gibt. Flo Hayler hat das genau so vorgehabt. Er hat “Bild” sogar bei Facebook für die Möglichkeit gedankt, “einen Gruß an die Redaktion” hinterlassen zu können:

Hallo Bild.
Vielen Dank, dass ich in eurer heutigen Online-Ausgabe ein paar Ramones-Fakten streuen durfte. Hat Spaß gemacht!

Noch mehr Spaß hatte ich aber dabei, in die Absätze einen Gruß an die Redaktion einzubauen, allen voran an Peter Tiede und Julian Reichelt — den größten Wahrheitsverdrehern und Angstschürhasen im Springer-Turm, und das nicht erst seit Chemnitz!

Für Monchi Fromm. Für Feine Sahne Fischfilet. Für K.I.Z.
#wirsindmehr #undbleibensauch

Hayler bezieht sich dabei auf den Versuch von “Bild”, Reichelt und Tiede, das Konzert #wirsindmehr in Chemnitz, bei dem unter anderem Feine Sahne Fischfilet und K.I.Z aufgetreten sind, schlecht dastehen zu lassen.

“Bild” lässt getöteten “GEZ-Mann” wegen offener Gebühren klingeln

In Köln ist am vergangenen Freitag ein Mann erstochen worden. Tatverdächtig ist ein anderer Mann, der inzwischen in ein psychiatrisches Krankenhaus eingewiesen wurde.

“Bild” berichtete am Samstag groß auf der Titelseite über den Fall. Die Redaktion zeigte ein unverpixeltes Foto des Opfers und schrieb dazu:

Ausriss Bild-Titelseite - Er klingelte wegen offener Gebühren - GEZ-Kassierer an Haustür erstochen!
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)

Auch bei Bild.de war ein Foto des Mannes ohne jegliche Unkenntlichmachung auf der Startseite zu sehen. Dort war nicht von “GEZ-Kassierer”, sondern von “GEZ-Mann” die Rede:

Screenshot Bild.de - GEZ-Mann - Als er klingelte, stach der Killer zu

Nun gibt es die GEZ, die Gebühreneinzugszentrale der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, schon seit einigen Jahren nicht mehr, aber das nur nebenbei. Vermutlich meinen die “Bild”-Medien den Beitragsservice von ARD, ZDF und Deutschlandradio. Dessen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter klingeln allerdings nicht “wegen offener Gebühren” an Haustüren. Das erklärt auch ein Sprecher des Beitragsservice in den Artikeln von “Bild” und Bild.de — was die Redaktion bei ihrer Wahl von Überschrift und Dachzeile offenbar nicht sonderlich interessiert hat.

Das Opfer war auch gar nicht bei der GEZ beziehungsweise dem Beitragsservice angestellt, sondern bei der Kämmerei der Stadt Köln. Auch das steht im Artikel der “Bild”-Medien. Die Stadtkämmerei schaut durchaus bei säumigen Beitragszahlerinnen und -zahlern vorbei. Doch der Einsatz, bei dem der Mann erstochen wurde, soll damit überhaupt nichts zu tun gehabt haben, wie man ebenfalls bei “Bild” und Bild.de nachlesen kann:

Nach BILD-Informationen aus der Behörde soll es bei [dem Tatverdächtigen] aber nicht um Rundfunkgebühren gegangen sein — was [das Opfer] dort kassieren wollte, teilte die Stadt nicht mit.

Der Einsatz des Mannes, der nicht für die GEZ/den Beitragsservice arbeitete, soll also rein gar nichts mit Gebühren der GEZ/des Beitragsservice zu tun gehabt haben, was die “Bild”-Redaktion auch alles wusste — und dennoch titelt sie: “Er klingelte wegen offener Gebühren – GEZ-Kassierer an Haustür erstochen!”

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Digitale Gewalt vertreibt Mädchen, Burdas Lügen-Embryo, Insta-Birthday

1. Digitale Gewalt vertreibt Mädchen aus sozialen Medien
(sueddeutsche.de)
Laut einer Umfrage des Kinderhilfswerks Plan International erfährt eine deutliche Mehrheit der Mädchen und jungen Frauen im Internet Formen von digitaler Gewalt. In Deutschland hätten 70 Prozent von ihnen Bedrohungen, Beleidigungen und Diskriminierungen erlebt. Die Folge davon sei oft der Rückzug aus den Sozialen Medien. In einem Offenen Brief bittet das Hilfswerk die Plattformbetreiber um mehr Unterstützung: “Wir Mädchen und junge Frauen in all unserer Diversität müssen uns darauf verlassen können, dass wir uns immer an Sie wenden können, wenn wir digitale Gewalt erleben und dass Sie etwas dagegen tun.”

2. Viel Lob – wenig Geld für Fachjournalisten
(mmm.verdi.de, Bärbel Röben)
Selten wurde Wissenschaftsjournalismus so geschätzt wie in den heutigen Corona-Zeiten. Das ist die eine Wahrheit. Die andere Wahrheit ist, dass im Wissenschaftsjournalismus tätige Menschen oftmals frei und zunehmend prekär arbeiten. Kann womöglich eine Stiftung zur Förderung des Wissenschaftsjournalismus helfen? Bärbel Röben berichtet über die schwierige Lage der Wissenschaftserklärung zwischen Bundesverdienstkreuz und Verarmung.

3. Burda-Verlag ließ falschen Embryo von Diana durchrutschen
(uebermedien.de, Mats Schönauer)
Die Regenbogen-Postille “Freizeit Spaß” aus dem Verlag Burda hatte eine frei erfundene Geschichte des US-Magazins “Globe” über Prinzessin Diana übernommen und als wahr dargestellt: Ein Arzt hätte Diana vor vielen Jahren einen Embryo entnommen, seiner eigenen Frau eingepflanzt und das Kind dann heimlich aufgezogen. Mats Schönauer hat sich daraufhin beim Deutschen Presserat beschwert – der Startpunkt für ein weiteres unwürdiges Schauspiel der “Freizeit Spaß”-Verantwortlichen.

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4. «Ich begann, mich zunehmend zu hinterfragen»
(persoenlich.com, Edith Hollenstein)
Der Medienjournalist Rainer Stadler hat seinen Job bei der “NZZ” an den Nagel gehängt. Das ist bemerkenswert, da Stadler mehr als 30 Jahre für die Schweizer Zeitung tätig war und dort die Medienseite verantwortete. Sein Abgang ist nicht ganz freiwillig, wie er im Interview berichtet: “Es ist für Verlage schwierig geworden, Meinungen zu tragen, die der Unternehmensmeinung nicht entsprechen. Es ist kein Zufall, dass bei allen anderen Zeitungen die Stellen der Medienjournalisten schon längst gestrichen worden sind.”

5. Politische PR an der Grenze zur Medienarbeit
(deutschlandfunk.de, Daniel Bouhs, Audio: 4:51 Minuten)
Lange Zeit waren Podcasts ein mediales Nischenprodukt, doch mittlerweile hat selbst die Politik das Medium für sich entdeckt. Ob Parteien, Fraktionen oder gar die Bundesregierung, alle wollen ihre Botschaften hinaus in die Welt senden und haben damit erstaunlich oft Erfolg. Viele klassische Medien übernehmen die Inhalte und damit gelegentlich auch unhinterfragt die Agenda der podcastenden Politiker und Politikerinnen. Daniel Bouhs berichtet über ein Medienformat zwischen informierender Aufklärung und politischer PR.

6. 10 Jahre Instagram: Die Welt als Werbefoto
(rnd.de, Matthias Schwarzer)
Instagram feiert am heutigen 6. Oktober seinen zehnten Geburtstag. Matthias Schwarzer zeichnet die Entwicklung des Dienstes nach, von der reinen Fotoplattform bis hin zum audiovisuellen Riesennetzwerk.
Weiterer Lesehinweis: Das sind die erfolgreichsten Instagram-Posts aller Zeiten (rnd.de).

Wenn “Bild” sämtliche pressethischen Standards einhält

In Dresden wird eine Frau erschlagen. Bild.de zeigt ein unverpixeltes Foto des Opfers. Der Presserat erteilt dafür eine Rüge: “Eine Einwilligung für eine identifizierbare Abbildung konnte die Redaktion nicht vorlegen.”

In Nürnberg wird ein Mann erschossen. “Bild” und Bild.de zeigen ein unvepixeltes Foto des Opfers. Der Presserat erteilt dafür eine Rüge: “Die Identität von Opfern muss laut Ziffer 8, Richtlinie 8.2 des Pressekodex besonders geschützt werden.”

In Ibbenbüren wird eine Frau mit mehreren Messerstichen getötet. “Bild” und Bild.de zeigen ein unverpixeltes Foto des Opfers. Der Presserat erteilt dafür eine Rüge: “Das Wissen um die Identität des Opfers ist in der Regel unerheblich. Eine Einwilligung der Angehörigen lag nicht vor, es handelte sich auch nicht um eine Person des öffentlichen Lebens.”

In Stadtallendorf wird eine Frau mit mehreren Messerstichen getötet. “Bild” und Bild.de zeigen ein unvepixeltes Foto des Opfers. Der Presserat erteilt dafür eine Rüge: Im Artikel “zeigte die Redaktion das Porträt des Opfers, für das offenbar keine Einwilligung der Angehörigen vorlag.”

In Warendorf wird eine Frau getötet. Bild.de zeigt ein unvepixeltes Foto des Opfers. Der Presserat erteilt dafür eine Rüge: “Das Bild stammte von der Gedenkseite eines Bestattungsunternehmens. Eine Einwilligung der Angehörigen zur Veröffentlichung bei BILD.DE lag offenbar nicht vor.”

Der Deutsche Presserat hat vergangene Woche Rügen verteilt: insgesamt 17 Stück, acht allein an “Bild” und Bild.de, davon fünf für “Verstöße gegen den Opferschutz”.

Gestern berichteten die “Bild”-Medien über einen “tödlichen Streit um Vermögen in Hamburg”. In der “Bild”-Bundesausgabe groß auf Seite 6:

Ausriss Bild-Zeitung - Rocker im Vorgarten hingerichtet

Bei Bild.de auf der Startseite:

Screenshot Bild.de - Tödliche Schießerei in Hamburg - Rocker D. im Vorgarten hingerichtet

Die Verpixelungen oben stammen alle von uns. “Bild” und Bild.de haben die Fotos des Opfers und des Tatverdächtigen, der auch nicht mehr lebt, ohne irgendeine Unkenntlichmachung veröffentlicht.

Wir haben bei “Bild” nachgefragt, ob der Redaktion Einwilligungen der Familien vorliegen, die Fotos ohne Verpixelung zu veröffentlichen. Ein “Bild”-Sprecher antwortete uns: Das Foto des Tatverdächtigen …

wurde uns aus dem direkten familiären Umfeld rechtefrei für unsere Berichterstattung zur Verfügung gestellt.

Leider sagt er nicht, von wem genau. Es könnte die Verlobte des Mannes sein, jedenfalls scheint “Bild” mit ihr gesprochen zu haben, sie wird im Artikel zitiert. Ob das mit Blick auf den Pressekodex für eine Veröffentlichung reichen würde, ist fraglich. In dem eingangs erwähnten Fall aus Nürnberg hatte “Bild” das Foto offenbar von einem Cousin des Opfers erhalten. Das reichte dem Presserat nicht: “Die für eine identifizierbare Berichterstattung notwendige Einwilligung eines nahen Angehörigen konnte die Redaktion nicht vorlegen, lediglich die eines Cousins.” Die Entscheidung des Presserats: “Zustimmung des Cousins zur Verwendung eines Opferfotos reichte nicht aus”.

Doch zurück zum Hamburger Fall. Zur Veröffentlichung des Fotos, das das Opfer zeigt, schreibt der “Bild”-Sprecher: Die Aufnahme sei …

in sozialen Medien mit großer Reichweite öffentlich und dort ebenfalls unverpixelt einsehbar.

Die Argumentation ist gleich in mehrfacher Hinsicht interessant. Erstmal scheint keine Einwilligung der Familie vorzuliegen, jedenfalls erwähnt der “Bild”-Sprecher sie nicht. Mit der Begründung macht er es sich bemerkenswert einfach: Dass irgendwer irgendwas irgendwo in irgendwelchen “sozialen Medien” postet, soll für “Bild” und Bild.de ein legitimer Grund für eine identifizierende Berichterstattung sein? Und was meint der “Bild”-Sprecher überhaupt, wenn er davon schreibt, das Foto sei “in sozialen Medien mit großer Reichweite öffentlich”?

Die “Bild”-Redaktion gibt selbst an, wo sie das Foto her hat: von der Instagram-Seite eines Hells-Angels-Charters (auch nicht unbedingt die typische “Bild”-Quelle). Dort trauern sie um das verstorbene Mitglied. Der Account hat aktuell 3.172 Follower, der Beitrag mit dem Foto, das sich die “Bild”-Redaktion geschnappt hat, wurde bislang 392 Mal geliket, es gibt 75 Kommentare. Nun ja.

Eine gute halbe Stunde nach der ersten Mail des “Bild”-Sprechers schickt er uns eine zweite. Wir “dürfen bitte noch ergänzen”:

Die Veröffentlichung der Fotos erfolgte unter Einhaltung sämtlicher presserechtlicher und pressethischer Regeln und Standards.

Ob das stimmt, werden wir vermutlich nach der nächsten Sitzung des Deutschen Presserats erfahren.

Die “eine Zeitung” feuert weiter

In der heute erschienenen Ausgabe der “Zeit” gibt es ein großes Interview mit Wirtschaftsminister Robert Habeck (online nur mit Abo lesbar). “Zeit”-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo fragt den Grünen-Politiker unter anderem:

Sie sind über Monate fast täglich angegriffen worden. Auch durch eine Zeitung, die selten “Heizungsgesetz” geschrieben hat, sondern stark personalisiert: “Habecks Heiz-Hammer”. Hat so ein Dauerfeuer Auswirkungen auf Ihr Leben?

Habecks Antwort:

Ja, aber anders, als man vermuten würde. Das, was ich im Moment mache, ist das Beste, was ich in meinem bisherigen politischen Leben gemacht habe. Es bedeutet mir richtig viel, und ich bin stolz darauf. Ich habe immer viel gearbeitet, aber noch nie so viel wie in den letzten zwei Jahren. Ich weiß, wofür ich das tue. Es gibt null Hadern, null Zaudern, null Bedauern, gar nichts. Ich bin ganz verschmolzen mit der Aufgabe, die ich im Moment habe.

Robert Habecks Antwort, es gebe “null Bedauern, gar nichts”, bezieht sich ganz offensichtlich auf die Auswirkungen seines Berufs und der damit verbundenen (medialen) Angriffe, denen er ausgesetzt ist, auf sein Leben. Habeck spricht über seine persönliche Situation.

Und was macht die Redaktion dieser “einen Zeitung” daraus? Bei Bild.de auf der Startseite:

Screenshot Bild.de - Trotz Wirtschaftskrise und Heiz-Debatte - Habeck hat null Bedauern, gar nichts

“Bild” reißt Robert Habecks Aussage aus dem persönlich gemeinten Kontext und verknüpft das fehlende Bedauern neu mit “Wirtschaftskrise und Heiz-Debatte”. Die Redaktion hinter dem von Giovanni di Lorenzo so beschriebenen “Dauerfeuer” feuert weiter.

Bei Twitter teasert “Bild” den eigenen Artikel wortgleich an. Das funktioniert. Die Followerschaft drischt in den Kommentar wütend auf den angesichts von “Wirtschaftskrise und Heiz-Debatte” so arrogant und ignorant wirkenden Habeck ein.

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neu  

Unfallforscher ermitteln

Politiker fordern exklusiv in “Bild” ein Rauchverbot am Steuer, und “Bild” weiß warum:

Unfallforscher ermittelten, daß ein Auto bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h mindestens 14 Meter pro Sekunde ungebremst weiterfährt, während der Fahrer nach einer fallengelassenen Kippe sucht.

Ja Wahnsinn, was moderne Wissenschaft heute alles erforschen kann.

Gut, den Anfang der Rechnung könnte jeder Siebtklässler mit einer Vier in Physik machen: 50 Kilometer pro Stunde = 50.000 Meter pro Stunde = 13,89 Meter pro Sekunde.

Normalerweise legt ein Auto, das mit 50 km/h fährt und nicht gebremst wird, also fast 14 Meter in der Sekunde zurück. Wenn eine Kippe fallengelassen wird, erhöht sich diese Strecke allerdings laut “Bild” laut “Unfallforschern” auf mindestens 14 Meter.

Jetzt würden wir natürlich gerne die Unfallforscher fragen, wie diese Beschleunigung zustande kommt: Ob das Fallen der Kippe zum Beispiel eine Änderung im Raum-Zeit-Kontinuum auslöst oder ob diese Forschung vielleicht auch Fälle berücksichtigt, in denen die Kippe auf das Gaspedal fällt.

Aber vielleicht ist das alles doch weniger ein Thema für Unfallforscher als für “Bild”-Zeitungs-Forscher.

Übrigens: “Spiegel Online” hatte in seinem Bericht über das Thema zunächst wenigstens den “mindestens”-Fehler von “Bild” korrigiert und geschrieben:

Nach Angaben von “Bild” ermittelten Unfallforscher, dass ein Auto bei einer Geschwindigkeit von 50 Kilometern pro Stunde etwa 14 Meter pro Sekunde ungebremst weiterfährt, während der Fahrer nach einer fallen gelassenen Zigarette sucht.

Inzwischen hat dort jemand den Irrsinn bemerkt und durch die schlichte Formulierung ersetzt:

Fährt ein Auto mit einer Geschwindigkeit von 50 Kilometern pro Stunde, legt es umgerechnet knapp 14 Meter pro Sekunde zurück.

In der aktuellen Fassung des Artikels fehlt die Rechnung ganz.

Danke an die vielen Hinweisgeber!

F. J. Wagner endlich wieder so alt wie Mick Jagger

Zu Ehren von “Bild”-Kolumnist Franz Josef Wagner, der heute seinen 65. Geburtstag feiert, wiederholen wir unseren BILDblog-Eintrag von vorvergangener Woche:

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Franz Josef Wagner und die Nebel von Avon

Jedes Jahr um diese Zeit feiert Franz Josef Wagner zwei Geburtstage. Seinen eigenen und den von Mick Jagger. Eine ganz besondere Beziehung verbindet den “Bild”-Autor mit dem Sänger. Kein Wunder: Ihre Biographien weisen verblüffende Parallelen auf.

Beide sind im Sommer 1943 geboren. Beide sind Männer. Jaggers Mutter war Avon-Beraterin, Wagners Mutter Handarbeitslehrerin. Jagger macht Musik, Wagner hört sie.

Zum 60. Geburtstag Jaggers schrieb Wagner in der “Welt”:

Wenn man an 60 denkt, dann denkt man, dass die betreffende Person Schwierigkeiten beim Einparken hat und gelegentliche Unsicherheit im Personengedächtnis. Ich glaube, dass man mit 60 triumphierend jung sein kann — wenn man ein Rock ‘n’ Roller ist. Jeder Orthopäde sagt, dass das Geheimnis die Bewegung sei. Tanzen wir den Tod zum Teufel. Der 60-jährige Mick Jagger tanzt das Leben vor. In einer Woche werde ich 60.

Zum 63. Geburtstag Jaggers schrieb Wagner in “Bild”:

Rock ‘n’ Roll ist ein Lebensentwurf – es ist auch mein Lebensentwurf. Wir rocken uns den Tod weg, die Bandscheibe, die Prostata, die Röchel-Lunge. Ich liebe Mick Jagger nicht nur, weil er “Satisfaction” singt, sondern weil seine Mutter Avon-Beraterin war. Der Sohn einer Avon-Beraterin wird Mick Jagger — was für ein Traum, was für ein Märchen!

Und ein paar Tage später in der “taz”, nach einem Konzert der Stones:

Mick Jagger ist eine Woche älter als ich, er wird am 26. Juli 63, ich am 7. August. Aber es waren viele tausend noch Ältere im Berliner Olympiastadion als wir beide. Vielleicht war es das, was wir feierten: dass die Katastrophen wie Weltuntergang, Raucherkrebs, Prostata, Herz, Venen nicht eingetreten waren und auch in dieser Nacht nicht eintreten würden. (…)

“What can a poor boy do except to sing for a rock’n’roll band”, fragte Mick Jagger vor 40 Jahren in seinem Ur-Song “Street Fighting Man”. Vor 40 Jahren — wo war ich?

Vor 40 Jahren hing ich auch an den Fersen des Glücks. What can a poor boy do … Micks Mutter war Avon-Beraterin, meine Handarbeitslehrerin, sie unterrichtete Mädchen im Stricken und Tischdecken. Da war nicht viel Kohle zu holen. Also, what can a poor boy do?

Er kann Zahnarzt werden, Astronaut werden, er kann sein Leben verschlafen, er kann Mick Jagger werden, oder er kann im Drogenrausch wie der beste Rolling Stone, Brian Jones, im Swimmingpool ertrinken. Er kann ein Gesicht wie Keith Richards kriegen, er kann Bianca Jagger heiraten, Jerry Hall. Er kann sieben Kinder mit vier Frauen zeugen, er kann aber auch als PR-Gag auf eine Palme klettern und herunterfallen. Er kann Boulevard-Reporter werden, Gossen-Goethe. Er kann eigentlich alles werden, wenn er ein Street Fighting Man ist.

Und heute nun wird Mick Jagger 65. Und Franz Josef Wagner, der “Gossen-Goethe”, schreibt in “Bild”:

Sie sind eine Woche älter als ich, heute werden Sie 65, ich am 7. August. Was gibt’s für uns 65-Jährige zu feiern? Zuallererst, dass wir überlebten und Leber, Lunge, Arterien sich bisher nicht bemerkbar machen. Den Genen sei Dank!

Es war im Sommer 62, vor 46 Jahren, als ich Ihren Ursong “Street Fighting Man” zum ersten Mal hörte. Ich war damals ein Junge wie Sie. Ihre Mutter war Avon-Beraterin, meine Mutter war Handarbeitslehrerin. (…) Man konnte damals schnell abgleiten in die Hippie- und Kifferkultur.

Von einem Tag auf den anderen riss mich Ihr “Street Fighting Man” aus dem Kiffen heraus. “What can a poor boy do except to sing for a rock ‘n’ roll band”. (…)

Ihr Song hat mich gerettet. Ihr Song war eine Aufforderung, seine eigene Kraft zu entdecken.

Ja, so war es. Es war dieser Song. Alle, die dabei gewesen waren und heute Zahnärzte sind, Therapeuten, Rechtsanwälte, werden es bestätigen. Es war dieser Song. (…)

Rock ‘n’ Roll hat die Welt immer verbessert. Vor 46 Jahren wurde ich durch Mick Jagger Rock ‘n’ Roller – ich liebe die Freiheit.

Aber was immer Franz Josef Wagner vor 46 Jahren vom rechten Weg abbrachte und ihn veranlasste, einen Karrierepfad einzuschlagen, an dessen Ende er heute täglich einen Brief in der “Bild”-Zeitung schreibt — die Rolling Stones und “Street Fighting Man” waren es nicht. Ihr erstes Album brachten die Stones 1964 heraus. “Street Fighting Man” wurde, inspiriert von den Studentenunruhen in Paris, 1968 aufgenommen und veröffentlicht.

Wann hörte Franz Josef Wagner also mit dem Kiffen auf? Man weiß es nicht. Aber nach dem Konzert der Stones fuhr er mit dem Taxi nach Hause: “Richtung Paris Bar, um mich mit Alkohol noch ein bisschen mehr in Stimmung zu bringen.”

Mit Dank an Steffen B., Manfred L., Maren, Andreas und Map!

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Weiters gratulieren Wagner dpa, der “Kölner Stadtanzeiger”, “RP Online”, die “Berliner Morgenpost” und die Ursula.

Die Ausländer machen uns unser Pisa schief

Während andere noch über die Aussagekraft der neuen Pisa-Studie streiten oder nach Ursachen für ihre Ergebnisse suchen, ist “Bild” heute schon einen Schritt weiter und präsentiert eine mögliche Lösung, wie man das Abschneiden Deutschlands verbessern kann:

Würden nur die Schüler, die deutsche Eltern haben, gemessen werden, schnitten alle Bundesländer im internationalen Bildungsvergleich deutlich besser ab — sieben wären unter den PISA-Top-Ten bei Naturwissenschaften (beim Lesen ist das Bild ähnlich).

“Bild” illustriert das mit einer Grafik (Ausriss rechts), die die deutlich schlechteren Ergebnisse von Kindern mit Migrationshintergrund noch extremer wirken lässt, weil die Skala nicht beil null beginnt, und stellt angesichts dessen die scheinbar naheliegende Frage:

Brauchen wir eine Ausländer-Quote für alle Schulklassen?

Natürlich, kommentiert die Seite “Lehrerfreund” süffisant, denn die Vorteile lägen auf der Hand:

Die deutschen SchülerInnen würden bessere PISA-Noten holen, und die Welt würde entzückt auf die Nation Goethens blicken. Außerdem könnte man in kleineren Klassen unterrichten, die Kosten für den Schulbetrieb würden sinken, und kein Mehmed würde mehr einem Fritz das Pausenbrot auf erpresserische Art und Weise entwenden.

In dieser idyllischen, rein deutschen Welt müsste man nurmehr das Problem lösen, was man mit den zahllosen Ausländerkindern macht. Sie in reine Ausländerklassen zu stecken brächte nichts – denn bei PISA wären sie wieder dabei und würden den Schnitt drücken. Alternativ könnte man ihnen einfach kategorisch den Zugang zur allgemeinen Schulbildung verwehren. Dann würden sie analphabetisch auf der Straße rumhängen, kiffen und alte Omas ausrauben — und die Boulevardpresse hätte eine neue Schlagzeile: “Brauchen wir eine Ausländer-Quote für alle deutschen Straßen?”.

Mit Dank an Berthold!

Julian Reichelt reist mit Snowden auf dem Holzweg Richtung Russland

Tut uns ja leid, aber wir müssen uns noch einmal mit Julian Reichelt befassen.

Diesmal geht’s wieder um die Flucht von Edward Snowden, die Julian Reichelt (wie wir neulich geschrieben haben) völlig anders darstellt als die meisten anderen. Nun denn: Gerade einmal 18 Minuten, nachdem wir unseren Blogeintrag über Edward Snowden, die “Sunday Times” und Julian Reichelts Twitter-Aussagen dazu veröffentlicht hatten, machte sich der Bild.de-Chef ans Werk:

Es folgten über 30 Tweets, in denen Reichelt so viel Unsinn behauptet, dass wir das nicht stehenlassen wollen. Also, der Reihe nach.

1) Im Bild.de-Artikel von vor anderthalb Wochen, auf den sich unsere ursprüngliche Kritik bezog, hatte gestanden:

Snowden war sich der Brisanz seiner Tat von Anfang an bewusst. Als er mit der Veröffentlichung der Geheim-Dokumente von Hongkong aus begann, bat er Russland um Asyl.

Wir erwiderten, dass ausgiebige Recherchen von NDR, WDR und “Süddeutsche Zeitung” etwas anderes sagen: Snowden hat nicht von Hongkong aus um Asyl in Russland gebeten, sondern erst, als er im Transitbereich des Moskauer Flughafens feststeckte.

Für Julian Reichelt eine zu dünne Quellenlage:

Richtig. Die Recherchen von NDR, WDR und “Süddeutsche Zeitung” stützen sich zu großen Teilen auf Edward Snowdens Aussagen, aber auch auf die seiner Begleiterin und WikiLeaks-Aktivistin Sarah Harrison. Und wir stützen uns auf diese Recherchen, an denen unserer Meinung nach nichts auszusetzen ist. (Dass wir es als FAKT dargestellt hätten, ist also bloß eine BEHAUPTUNG von Reichelt, um es mal in seinen Worten und seiner Schreibweise zu sagen.)

Man kann Snowden und Harrison glauben oder nicht. Jedenfalls zählen sie zu den Quellen, die am ehesten etwas zu Snowdens Asylgesuch sagen können. Für Julian Reichelt ist Snowden keine “vertrauensvolle Quelle”. Es steht also Aussage (Snowden/Harrison) gegen Aussage (Reichelt).

Reichelt hatte aber noch eine Anmerkung:

Im verlinkten Artikel des “Wall Street Journal” geht es um ein Interview des russischen Präsidenten Wladimir Putin, in dem er sagt, dass Snowden schon vor dem Russland-Flug Kontakt mit russischen Diplomaten aufgenommen habe:

Russian President Vladimir Putin has admitted that Edward Snowden contacted Russian diplomats in Hong Kong a few days before boarding a plane to Moscow but that no agreement was reached to shelter him and he decided to come to Russia on his own without warning.

Es soll in dem Text wohl auch, so verstehen wir Reichelts Tweet, um Snowdens Asylanfrage in Russland gehen. Explizit sagt Putin aber nirgends, dass Snowden so früh Asyl beantragte, wie Bild.de es behauptet hatte. Immerhin spricht er laut “Wall Street Journal” von “contacted” und “shelter” — nun gut, das mag man, wenn man will, als eine Art Asylabsage an Snowden interpretieren.

2) In Bezug auf die Entscheidung Putins zu Edward Snowdens Asylgesuch hatte Bild.de geschrieben:

Kreml-Chef Wladimir Putin zögerte nicht und stellte Snowden zunächst eine Aufenthaltsgenehmigung für ein Jahr aus, die dann noch einmal um 3 Jahre verlängert wurde — gültig also noch bis Sommer 2017.

Wir schrieben, dass Erkenntnisse von NDR, WDR und “Süddeutsche Zeitung” zeigen, dass Putin anfangs durchaus gezögert hat. Erst nach zwei Monaten habe Russland Snowden Asyl erteilt.

Und erneut war für Julian Reichelt die Quelle das Problem:

Putins Aussage, dass Russland Snowden nicht direkt Asyl erteilte, kommt unter anderem auch in dem Artikel des “Wall Street Journal” vor, den Reichelt selbst verlinkt hat:

“If he wants to stay with us, please, he can stay with us, but only if he stops any activity that could destroy Russian-American relations. We are not an NGO, we have the interests of the state and we do not want to damage our relations with the U.S.,” he said. “He was told about it and he replied ‘I am a fighter for human rights and I urge you to fight with me. I said ‘No, we won’t fight, you are on your own.’ And he left.”

Reichelt kritisiert an dieser Stelle also Putin als Quelle, während er sich in Punkt 1) auf ihn stützt, um Snowden zu diskreditieren.

Doch auch davon abgesehen, stimmt seine Aussage nicht. Es gibt neben Putin und dem Kreml noch andere Quellen für diesen Aspekt. Da wären zum einen erneut Edward Snowden und Sarah Harrison, zum anderen die gesamte Weltöffentlichkeit, die beobachten konnte, dass die beiden mehrere Wochen im Transitbereich des Moskauer Flughafens feststeckten.

Natürlich kann man der Meinung sein, dass Snowden und Harrison in dieser Zeit freiwillig in einem fensterlosen Raum hausten, sich mit der Gemeinschaftsdusche auf dem Flur begnügten und gerne täglich bei Burger King aßen, obwohl Snowden schon längst Asyl in Russland erteilt bekommen hatte.

Also, ja, eine Frage hätten wir noch, Julian Reichelt: Klingt das logisch?

3) Beim zeitlichen Ablauf der Flucht von Edward Snowden hatte Bild.de einiges durcheinandergebracht. Zum Beispiel bei den Fragen, wann der Reisepass annulliert und wann der internationale Haftbefehl ausgestellt wurde:

Kreml-Chef Wladimir Putin zögerte nicht und stellte Snowden zunächst eine Aufenthaltsgenehmigung für ein Jahr aus, die dann noch einmal um 3 Jahre verlängert wurde — gültig also noch bis Sommer 2017. Die USA erklärten daraufhin Snowdens US-Pass für ungültig und stellten einen internationalen Haftbefehl aus.

In Hinblick auf Snowdens Pass schrieben wir, dass der Verbund aus NDR, WDR und „Süddeutsche Zeitung“ etwas anderes recherchierte: Die USA erklärten Snowdens Reisepass nicht erst nach der Erteilung des Asyls für ungültig, sondern schon früher. Deswegen konnte er von Moskau aus nicht weiterfliegen.

Julian Reichelts Reaktion auf unsere Aussage:

Reichelt meint offenbar den 9. Juni 2013, als “Ed” sich der Welt vorstellte.

Dass dessen Reisepass nicht direkt im Anschluss durch die US-Behörden annulliert wurde, schrieben Hans Leyendecker und John Goetz im Januar dieses Jahres in einem Artikel der “Süddeutsche Zeitung”:

Es geht um Stunden. Die Informanten an den Computern sagen, die Grenze sei für Snowden jetzt noch offen. Die amerikanischen Behörden haben den unglaublichen Fehler gemacht, seinen Pass nicht für ungültig zu erklären.

Und es bestätigte sich: Snowden konnte noch von Hongkong nach Moskau fliegen. Das dürfte mit einem annullierten Reisepass schwierig sein.

Den internationalen Haftbefehl betreffend, schrieben wir, dass zum Zeitpunkt von Snowdens Abflug in Hongkong bereits einer vorlag, dieser aber Fehler beinhaltete, wie Recherchen von NDR, WDR und “Süddeutsche Zeitung” zeigten: Als zweiter Vorname des Gesuchten war dort fälschlicherweise James statt Joseph angegeben.

Das wollte Reichelt überhaupt nicht gelten lassen:

Für China mag das so sein. Snowden saß aber in der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong. Dort besteht seit Jahren (1996 unterschrieben, 1998 in Kraft getreten) ein Auslieferungsabkommen mit den USA. Und so hätte Hongkong auch den US-Haftbefehl gegen Snowden vollstrecken können, wie unter anderem die BBC schreibt:

The Hong Kong government has promised to handle any extradition request from the US according to established law and policy.

Dass es dazu nicht kam, lag laut Hongkongs Behörden an Ungenauigkeiten im Haftbefehl der USA.

4) In einer Abrechnung mit all den Snowden-Anhängern hatte Reichelt getwittert:

Um einmal mit dem beliebtesten Mythos der Snowdenista aufzuräumen: #Snowden ist NICHT in Moskau “gestrandet”. Er hat SELBST den Zeitpunkt der ersten Veröffentlichung bestimmt. Er hat SELBST bestimmt, wann er seine Identität preisgibt. Er hätte VORHER ungehindert in JEDES Land der Welt reisen können. In der Geschichte der Luftfahrt ist er der Erste, der von Hawaii über Hongkong und Moskau nach Südamerika reisen wollte. #Snowden ist FREIWILLIG in Moskau.

Wir schrieben darauf, dass Snowden bereits vor zwei Jahren erzählt hatte, dass er als NSA-Zulieferer nicht, wie Reichelt behauptet, “VORHER ungehindert in JEDES Land der Welt reisen” konnte: Auslandsaufenthalte habe er 30 Tage im Voraus anmelden müssen, es habe die Möglichkeit gegeben, dass ihm eine Reise verboten wird. Snowden kündigte eigenen Aussagen zufolge seinen Hongkong-Plan entgegen der NSA-Richtlinie nicht an, um keinen Staub aufzuwirbeln. (Und klar: Wenn ihn die Richtlinie nicht davon abgehalten hat, nach Hongkong zu fliegen, hätte sie ihn vermutlich auch nicht davon abgehalten, in jedes andere Land zu reisen; laut Snowden ging der Reiseplan zu diesem Zeitpunkt aber nicht über Hongkong hinaus.)

Reichelt blieb bei seinem Standpunkt:

Noch einmal: Hongkong ist nicht gleichzusetzen mit China. Zum Beispiel, wenn es ums Visum geht. Für eine höchstens 90-tägige Hongkong-Reise müssen US-Bürger kein Visum beantragen. Für eine China-Reise hingegen schon.

5) Bei der Frage, ob Edward Snowden ein Überläufer ist, hatte Julian Reichelt seine eindeutige Meinung getwittert:

Sich als Geheimdienstler in die Obhut einer fremden Regierung zu begeben, ist die Definition von Überläufer. Man kann der Meinung sein, dass Snowden ein ehrenwerter Überläufer ist. Aber ein Überläufer ist er ohne Zweifel.

Wir hielten dagegen, dass die allgemeine Definition von Überläufer voraussetzt, dass jemand vom einen zum anderen Geheimdienst wechselt. Snowden müsste als ehemaliger Mitarbeiter des US-Geheimdienstes also nachweislich mit dem russischen Geheimdienst kooperieren.

Um das zu belegen, suchte Reichelt einen Guardian-Artikel raus:

Der Text aus dem Guardian, auf den sich Reichelt bezieht, ist ein Auszug eines Buches über Edward Snowden. Dort heißt es zwar, dass Snowden vom Schutz und Wohlwollen des Kreml und des russischen Geheimdienstes abhängig sei und dass “all of Moscow” vermute, dass einige Leute, die sich nun um Snowden kümmern, dem Geheimdienst angehören; dass er kooperiert, steht dort allerdings nicht:

But, for better or worse, the 30-year-old American was now dependent on the Kremlin and its shadowy spy agencies for protection and patronage. According to the activists who met him at Sheremetyevo, Snowden had several new minders. Who were they? All of Moscow assumed they were undercover agents from the FSB.

Zugegeben, die Stelle lässt Raum für Spekulationen. Die Aussage des Autors, die unmittelbar vor diesem Absatz steht und die Julian Reichelt nicht markiert hat, passt aber überhaupt nicht in die Argumentation des Bild.de-Chefs:

It was now easier for critics to paint him not as a whistleblower and political refugee but as a 21st-century Kim Philby, the British defector who sold his country and its secrets to the Soviets. Other critics likened him to Bernon F Mitchell and William H Martin, two NSA analysts who defected in 1960 to the Soviet Union, and had a miserable time there for the rest of their lives. The analogies were unfair. Snowden was no traitor.

Der Guardian-Artikels beginnt übrigens mit diesen zwei Sätzen:

Edward Snowden’s prolonged stay in Russia was involuntary. He got stuck in Moscow’s Sheremetyevo International Airport when his efforts to transit to a South American country such as Ecuador, Bolivia or Venezuela failed.

Damit widerspricht die Quelle, auf die sich Julian Reichelt stützt, zudem seiner Grundthese, dass Snowden “FREIWILLIG nach Moskau gereist” und dort “NICHT” gestrandet sei (genauso wie der Artikel des “Wall Street Journal” — den Reichelt selbst verlinkt hat –, in dem Putin über Snowden als “transit passenger” spricht). Und auch eine Szene aus der Snowden-Doku “Citizenfour”, in der WikiLeaks-Gründer Julian Assange am Telefon sagt, dass Snowden am Moskauer Flughafen “trapped” sei, passt nicht zu Reichelts Argumentation:

Assange: “We managed to get him out of Hong Kong, but when he landed in the Moscow airport, the American government had canceled his passport. So formally he hasn’t entered into Russian territory, he is in the transit area of the airport and one of our people is accompanying him.

We are trying to arrange a private jet to take him from Moscow to Ecuador or perhaps maybe Venezuela or maybe Iceland, countries where he would be safe.”

In der ganzen Snowden-Sache gibt es zahlreiche Quellen, die sich widersprechen und die sicher auch interessengeleitet sind. Da passiert es schnell, dass man einer Fehlinformation aufsitzt. Eine Quelle ist aber mit größter Vorsicht zu behandeln: Julian Reichelt.

AfD-Aufschrei, Oktoberfest-Tränen, Seitensprung-Offensive

1. Hier & Jetzt 6: ’10 Jahre Medienwandeldebatte‘, mit Ronnie Grob
(neunetz.fm, Marcel Weiß & Ronnie Grob)
Fast eine ganze Dekade hat Ronnie Grob als Kurator die Medienrubrik “6 vor 9” beim BILDblog mit Empfehlungen bestückt und in dieser Zeit ein unfassbares Wissen über die spezifischen Eigenheiten der Branche und den Medienwandel (und die damit verbundenen Medienwandeldebatten) angesammelt. Im Interview spricht er eine Stunde über die letzten zehn Jahre, neue Geschäftsmodelle und den Status Quo des Journalismus. Persönliche Anmerkung: Als sein Nachfolger bin ich auch nach einem dreiviertel Jahr voller Bewunderung für das, was Ronnie Grob hier auf BILDblog geleistet hat. Respekt, Ronnie!

2. Wo bleibt der Aufschrei?
(spiegel.de, Liane Bednarz und Farhad Dilmaghani)
Die AfD reklamiere demokratische Rechte für sich, um auf legalem Weg an die Macht zu kommen – dann will sie “aufräumen”, “ausmisten” und “Politik nur für das Volk machen”. Wer diese Rhetorik verharmlose, mache sich mitschuldig, finden Liane Bednarz und Farhad Dilmaghani in ihrem Gastbeitrag für “Spiegel Online”.

3. So gehts: Wie Sie den Medien ein Seitensprung-Baby beichten
(schweizamsonntag.ch, Christof Moser)
“Sind Sie ein prominenter Politiker, zelebrieren öffentlich Ihr Ehe- und Familienleben, zeugen dann aber ein außereheliches Baby? Gehen Sie in die Offensive wie Christophe Darbellay!”, so die provozierende Empfehlung von Christof Moser in der “Schweiz am Sonntag”. Dirigiert wurde das Ganze von einem Züricher Medienanwalt, der für seinen Mandanten einen Deal mit dem “SonntagsBlick” aushandelte, der auf mediale Schadensbegrenzung ausgerichtet war.

4. Die Charmeoffensive
(taz.de, Daniel Bouhs)
Google investiert über einen “Innovationsfond” 150 Millionen Euro in den europäischen Medienmarkt. Eine “Charmeoffensive” nennt Daniel Bouhs das Vorgehen, mit dem Google noch mehr Verlage für eine Zusammenarbeit gewinnen will. Auf der – zumindest teilweise öffentlichen – Förderliste würden neben Start-ups auch Traditionshäuser wie die Schweizer “NZZ”, der britische “Telegraph”, der österreichische “Standard”, die “Wirtschaftswoche”, der “Tagesspiegel” und die “Rhein-Zeitung”. Und auch der “Spiegel” habe angekündigt, sich um die Förderung zu bemühen.

5. “Was Facebook tut, unterliegt keiner demokratischen Kontrolle”
(deutschlandradiokultur.de, Ulf Buermeyer & Christian Rabhansl)
“Deutschlandradio Kultur” hat mit dem Verfassungsrechtler und Berliner Richter Ulf Buermeyer gesprochen. Dieser kritisiert, dass Facebook sich deutschen Strafverfolgungsbehörden entziehe. “Und ich denke, wir müssen bei Unternehmen, die so wie Facebook relevant sind für die demokratische Kultur und für den Diskurs in einer Demokratie, bei solchen Unternehmen müssen wir schon darüber nachdenken, ob wir uns da ausschließlich auf letztlich willkürliche Hausregeln und deren ebenso willkürliche Durchsetzung verlassen können oder ob wir hier nicht irgendeine Form von demokratischer Kontrolle brauchen.” Das Bundesjustizministerium müsse auf Facebook einwirken und zumindest einen Deal erwirken, der es den Strafverfolgungsbehörden erlaube, im Bedarfsfall einzuschreiten: “Für mich ist nicht einleuchtend, wieso Facebook in Deutschland nach deutschem Recht Werbung verkauft, aber sich den Strafverfolgungsbehörden weitgehend entzieht und, wie gesagt, nur nach Gutdünken kooperiert.”

6. Wiesn-TV – Bei jeder Werbung möchte man weinen vor Dankbarkeit
(sueddeutsche.de, Johanna Bruckner)
Johanna Bruckner hat sich mehr als vier Stunden Oktoberfest-Live-Übertragung angetan. Ihre Erkenntnis: Söder verliert im Wiesn-Schwanzvergleich. Und das Oktoberfest kann auch ohne Alkohol sehr wehtun.

Bild  

Wo ein Kläger, da eine Unterlassungserklärung

Wenn “Bild” und Bild.de sich unerlaubt Fotos aus dem Internet besorgen, hat das für Redaktion und Verlag meistens keine Folgen. Es gilt der Grundsatz: Wo kein Kläger, da kein Richter. Soll heißen: Nur die Person, gegen deren Persönlichkeits- und/oder Urheberrecht die “Bild”-Medien durch ihre illegale Fotobeschaffung verstoßen, kann sich juristisch dagegen wehren. Und wenn die das gar nicht mitbekommt oder vielleicht anderes zu tun hat (schließlich handelt es sich häufig um Menschen, die um verunglückte Angehörige trauern), dann passiert nichts.

Der Fanclub “Rote Böcke” — Fans der Fußballer des 1. FC Köln — hat einen Fotoklau durch “Bild” mitbekommen, ist dagegen vorgegangen und hat gegen das Blatt einen Sieg einfahren können.

Zur Erinnerung: Anhänger eines anderen Fanclubs des 1. FC Köln hatten bei einem Heimspiel für einige Minuten ein Banner hochgehalten:

Der Spruch “GRÜNGÜRTEL MIT FC ODER MIT GÜRTELN AUF GRÜNE! ;)” bezieht sich auf Aussagen der Kölner Grünen, die gegen eine Ausweitung des FC-Vereinsgeländes im Grüngürtel der Stadt sind. Nun ist der zwinkernde Smiley am Ende des Satzes für eine Einordnung des Banners sicher nicht ganz unwesentlich.

Ohne zu fragen, hat “Bild” sich dieses Foto, das von den “Roten Böcken” stammt, genommen und, nun ja, leicht beschnitten:

Schwups war der Smiley weg. Und schon passte das Plakat besser zur Geschichte, die “Bild” gern erzählen wollte:

Das wollten sich die “Roten Böcke” nicht bieten lassen. Und das mussten sie auch nicht. Der Fanclub erwirkte gegen “Bild” eine Unterlassungserklärung, wie der Vorsitzende Daniel Krebs der FC-Fanwebsite effzeh.com erklärte:

“Sie verpflichten sich, das Foto in Zukunft weder zu vervielfältigen noch zu verbreiten oder anderweitig öffentlich zugänglich zu machen, wie es in dem Artikel geschehen ist. Zusätzlich muss die ‘Bild’ einen geringen Schadenersatz sowie die angefallenen Anwaltskosten zahlen.”

Wenn “Bild” den korrekten Weg gegangen wäre und vorher bei Krebs und den “Roten Böcken” angefragt hätte, ob man das Foto verwenden dürfe, hätte das übrigens auch nichts gebracht:

“Speziell der ‘Bild’ hätten wir das nicht erlaubt — vorher nicht und nachher erst recht nicht. Der Fall hat uns auch mal wieder gezeigt, warum das so ist”, betont Krebs.

Mit Dank an Gero D. und David S. für die Hinweise!

Foto-Klau, Brustvergrößerung, SnapNews

1. Woher stammen die Facebook-Bilder der AfD?
(ndr.de, Fiete Stegers)
Auf der Facebook-Seite der AfD gibt es für die aktuell 321.269 Nutzer, denen sie gefällt, immer wieder markige Partei-Botschaften, die auf Fotos gepackt wurden. Aber woher stammen diese Bilder, wenn sie gerade mal nicht Frauke Petry oder Alexander Gauland zeigen? Fiete Stegers hat einigen hinterherrecherchiert: “Für die Bebilderung bedient sich die Partei unter anderem bei ausländischen Fotografen, bei Wikipedia und auch mal bei der Deutschen Presseagentur (dpa). Einige dieser Fotografen sind verärgert und prüfen nach Hinweisen von ZAPP nun juristische Schritte.”

2. Medienfreiheit in Demokratien bedroht
(reporter-ohne-grenzen.de)
Die “Reporter ohne Grenzen” haben gestern ihre “Rangliste der Pressefreiheit” für das Jahr 2017 veröffentlicht und bieten in diesem ausführlichen Beitrag kompakte Überblicke zu den Arbeits- und Lebensbedingungen von Journalisten in vielen Ländern der Welt: von Polen über den Jemen und Burundi bis Nicaragua.

3. Wer bin ich?
(sueddeutsche.de, Katharina Riehl)
Der Printbranche geht es insgesamt nicht gut. Beim „Focus“ müssen jedoch besondere Umstände dazugekommen sein, denn es kriselt dort besonders: „Wahr ist aber auch, dass die Krisenmeldungen beim Focus noch ein bisschen häufiger sind als anderswo, die Zahlen noch ein bisschen schlechter — und dass das Heft publizistisch bei vielen aus der Wahrnehmung gerutscht ist.“ “SZ”-Autorin Katharina Riehl hat sich auf Ursachensuche gemacht.

4. Universität Leipzig bildet vorerst keine weiteren Journalisten aus
(flurfunk-dresden.de, Alexander Laboda)
Die Journalisten-Ausbildung an der Universität Leipzig stand schon länger in der Kritik, doch jetzt hat die Uni die Reißleine gezogen: Der Fakultätsrat verhängte am Dienstagnachmittag einen Immatrikulationsstopp. Grund dafür sind offenbar erhebliche Mängel bei der Qualität der Ausbildung und der Durchführung des Masterprogramms.

5. Spiegel Online, BILD & Co. NEU bei Snapchat Discover – Ich hab’s mir angesehen
(philippsteuer.de, Video, 6:47 Minuten)
Sie sind neugierig, wie sich „Spiegel Online“, „Bild“ & Co. neuerdings bei Snapchat präsentieren, haben die App aber nicht installiert? Dann lassen Sie sich von Philipp Steuer in einem kommentierten Video durch die neue bunte Snapchat-Medienwelt führen.

6. Und wieder grüßt der dicke Mops…
(radioszene.de, Wolf-Dieter Roth)
Immer wieder versuchen pfiffige Radiomacher, mit provokativen Aktionen ins Gespräch zu kommen. Der österreichische Radiosender “Kronehit” ist nun mit einer wenig originellen und geschmackvollen Idee um die Ecke gekommen und bietet eine Brustvergrößerung für Mutter und Tochter an. Ein Spiel mit dem einkalkulierten, ja vielleicht sogar erwünschten Shitstorm?

Exklusives Fake-Interview, Macht und Deutungshoheit, Heidis Abgründe

1. “TV Movie” erfindet Exklusiv-Interview mit “Tatort”-Stars
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
Die aktuelle “TV Movie” wirbt mit einem “Exklusiv-Interview” mit den “Tatort“-Kommissaren Jan Josef Liefers und Axel Prahl, doch einiges spricht dafür, dass das Gespräch nie stattgefunden hat: Das „Interview“ besteht aus bekannten Textschnipseln und auch die Agentur der beiden Schauspieler weiß von keinem Gespräch. „DWDL“ hat die Bauer Media Group um eine Stellungnahme gebeten. Dort hat man sich 26 Stunden später die folgenden sibyllinischen Worte abgerungen: „Wir sind davon ausgegangen, dass diese Veröffentlichung ordnungsgemäß erfolgt ist. In der Kürze der Zeit können wir leider nicht mehr zu diesem Thema sagen“.

2. FR-Miteigentümer Schöningh: “Unsere Gesprächspartner sitzen jetzt in Hannover”
(horizont.net, Ulrike Simon)
Bereits am Mittwoch schrieb Uwe Vorkötter über die „gemeinsame Sache“ der Medienhäuser DuMont und Madsack, die in Wirklichkeit eine Kapitulation DuMonts sei (Kölsche Kapitulation, horizont.net). Nun beschäftigt sich Ulrike Simon mit den möglichen Auswirkungen auf die „Frankfurter Rundschau“.

3. Der Fall Asef N.: “Es geht um Macht und Deutungshoheit”
(nordbayern.de, Hans-Peter Kastenhuber)
Rund ein Jahr ist es her, dass ein Berufsschullehrer bei den „Nürnberger Nachrichten“ anruft und aufgeregt von einer Polizeiaktion an seiner Schule berichtet. Eine Redakteurin fährt sofort zum Ort des Geschehens und erlebt, wie ein abgelehnter 21-jähriger Asylbewerber aus Afghanistan auf rabiate Weise festgenommen wird. Als sie Tags darauf in der Zeitung die hässlichen Begleitumstände des brutalen Polizeieinsatzes erwähnt, wird sie angefeindet und teilweise übel beleidigt. Mit ihrer Wahrnehmung ist die Journalistin jedoch nicht alleine: Auch ein anwesender Dekan und ein Pressefotograf sind entsetzt. Doch Polizei und CSU-Landesregierung verkünden ihre eigene Wahrheit und begründen den Einsatz mit einer angeblichen Unterwanderung der protestierenden Schüler durch “militante Abschiebegegner” und linke Chaoten.

4. So setzen sieben deutsche Publisher Facebook-Gruppen ein
(markheywinkel.de)
Der Journalist Mark Heywinkel hat sich umgehört, ob Medien nach Facebooks Änderung des Newsfeeds und Herunterstufung von Seiteninhalten nun verstärkt auf Facebook-Gruppen setzen und wie sie dabei verfahren. Seine zusammengetragenen Erfahrungsberichte ergeben ein interessantes Stimmungsbild: Es ist nicht einfach, aber zumindest alle sind dabei.

5. Heidi ist der Häuptling im Macho-Dorf
(sueddeutsche.de, Carolin Gasteiger)
Viele Menschen schauen sich auch heutzutage das bereits 13 Jahre alte TV-Format “Germany’s Next Topmodel” (GNTM) an. Dabei gehöre dieser „Abgrund an Menschenfeindlichkeit“ abgeschafft, wie Carolin Gasteiger fordert. Wer einschalte, mache sich mitschuldig: „Man kann GNTM im Jahr 2018 aber nicht mehr ansehen ohne eine Haltung dazu zu entwickeln. Ohne sich einzugestehen, wie ungeniert junge Mädchen ausgenutzt und vorgeführt werden. Ohne zu erkennen, wie falsch und überholt dieses Format ist.“

6. Küss die Hand
(zeit.de, Francesco Giammarco)
Zuschauer des „Neo Magazin Royale“ kennen William Cohn als den onkelhaften Typ mit den quietschigen Pullovern und der tiefen Märchenerzähler-Stimme. Wer ist dieser Cohn? Francesco Giammarco hat sich mit ihm während einer S-Bahn-Fahrt durch Berlin unterhalten.

Nicht alles steht im Zusammenhang mit der Corona-Krise

An manchen Dingen ändert auch das Coronavirus nichts — die “Bild”-Redaktion ist und bleibt nicht in der Lage, Studienergebnisse ordentlich wiederzugeben.

An manchen Dingen ändert auch das Coronavirus nichts — Hamburgs Immobilien sind und bleiben (fast) unerschwinglich.

schreibt “Bild”-Chefreporter Jörg Köhnemann heute. In der Überschrift und der dazugehörigen Dachzeile wird Köhnemanns Aussage noch einmal bekräftigt:

Screenshot Bild.de - Trotz Corona-Krise - Immobilien-Preise gehen weiter durch die Decke

Tatsächlich besteht zwischen den “Staun-Fakten” zum Hamburger Immobilienmarkt, über die Bild.de schreibt, und der Corona-Krise allerdings überhaupt kein Zusammenhang. Es kann kein Zusammenhang bestehen, weil es um völlig unterschiedliche Zeiträume geht.

Grundlage für den Artikel ist eine Studie der Bausparkasse LBS. Die schaut sich seit Jahren die Entwicklung der Immobilienpreise in Hamburg und Umland an. In der Pressemitteilung zum aktuellsten “Immobilienmarktatlas” steht unter anderem:

Das ergab die aktuelle Studie der LBS Bausparkasse Schleswig-Holstein-Hamburg AG in Zusammenarbeit mit dem Hamburger Forschungsinstitut F+B (Forschung und Beratung für Wohnen, Immobilien und Umwelt GmbH), in der rund 13.560 öffentlich zugängliche Immobilien-Angebote in Hamburg und Umland im zweiten Halbjahr 2019 ausgewertet wurden.

“Im zweiten Halbjahr 2019” gab es offiziell noch keinen einzigen Corona-Fall in Deutschland. Dass die Hamburger Immobilienpreise “TROTZ CORONA-KRISE” “weiter durch die Decke” gehen, wird durch die LBS-Studie also gar nicht belegt. In der Pressemitteilung sagt der Vorstandsvorsitzende der Bausparkasse Jens Grelle sogar explizit, dass man erstmal schauen muss, “welchen Einfluss die COVID-19-Pandemie” auf die Immobilienpreise haben wird:

“Welchen Einfluss die COVID-19-Pandemie auf die Entwicklung der Immobilienpreise nehmen wird, ist derzeit schwer vorhersehbar”, stellt Grelle fest.

Erste Marktanalysen für den Jahresbeginn 2020 im Vergleich zu 2019 ergeben deutliche Angebotsrückgänge von gut 15 bis 25 Prozent auf den Bestandsmärkten in Hamburg und Schleswig-Holstein. Solange der Wohnungsmarkt als Folge der Pandemie stagniert, werde sich an den Preisen kaum etwas verändern.

Für die zukünftige Preisentwicklung werden aus Sicht des LBS-Chefs die Dauer der Corona-Krise und die daraus resultierenden wirtschaftlichen Auswirkungen wichtige Faktoren sein.

Mit Dank an C für den Hinweis!

Nachtrag, 14:31 Uhr: Die Bild.de-Redaktion hat reagiert, zumindest teilweise. Die Dachzeile lautet nun nicht mehr “TROTZ CORONA-KRISE”, sondern “NEUE LBS-STUDIE”. Der erste Satz des Artikels lautet hingegen nach wie vor:

An manchen Dingen ändert auch das Coronavirus nichts — Hamburgs Immobilien sind und bleiben (fast) unerschwinglich.

Afghanistan, Weise Fragen, Rechtsextremes schön verpackt

1. Drohungen und Gewalt gegen Journalisten
(reporter-ohne-grenzen.de)
Reporter ohne Grenzen hat schlechte Nachrichten aus Afghanistan, was die Pressefreiheit anbelangt: “Seit der Machtübernahme der Taliban haben rund 100 private Lokalmedien insbesondere in den Provinzen fernab der Hauptstadt ihre Arbeit eingestellt. Die Zukunft der in den vergangenen 20 Jahren entstandenen lebendigen und durchaus pluralen Medienlandschaft Afghanistans mit Dutzenden TV- und Radiosendern und nahezu 200 Printmedien ist mehr als ungewiss.” Auf der Rangliste der Pressefreiheit (PDF) steht Afghanistan derzeit auf Platz 122 von 180 Staaten.

2. Wer gut fragt, wird weise
(deutschlandfunk.de, Arno Orzessek, Audio: 4:10 Minuten)
Die öffentlich-rechtlichen TV-Moderatorinnen Marietta Slomka und Tina Hassel haben ihre Interviewgäste jüngst mit unangenehmen Fragen konfrontiert. Doch während es für Slomka im Nachgang vor allem Lob gab, regnete auf Hassel Kritik nieder. In seiner Deutschlandfunk-Glosse schreibt Arno Orzessek darüber, was Fragen über die Fragenden verraten: “Wären die Interviews ein TV-Fernduell gewesen, Slomka hätte Hassel haushoch besiegt. Aber lässt sich daraus mehr ableiten, als dass der Tonfall auch beim Fragen-Stellen die Musik macht? Der Schriftsteller Nagib Mahfus meinte, ob ein Mensch klug ist, erkenne man an seinen Antworten, ob er er weise ist, an seinen Fragen.”

3. Rechtsextreme Inhalte schön verpackt
(belltower.news, Kira Ayyadi)
Schon seit einiger Zeit haben Aktivistinnen der rechtsextremen Szene Instagram als Propaganda- und Rekrutierungsplattform für sich entdeckt. Kira Ayyadi erklärt, wie die Rechtsinfluencerinnen ihre Inhalte mit Backtipps, Flechtfrisuren und Landschaftsbildern verpacken. Und sie macht auf eine Besonderheit aufmerksam: “Influencerinnen richten sich auf Instagram normalerweise an eine weibliche Zielgruppe. Nicht so jedoch rechtsextreme Influencerinnen, sie sprechen sowohl Frauen wie auch Männer an.”

Bildblog unterstuetzen

4. Daten “zum Wucherpreis”
(taz.de, Christian Rath)
Die österreichische Datenschutz­organisation noyb (Slogan: “My Privacy is None of Your Business”) des Wiener Aktivisten Max Schrems hat gegen mehrere deutsche Onlineportale wie Spiegel.de, “Zeit Online” und FAZ.net Beschwerde erhoben. Die Le­se­r und Leserinnen würden gezwungen, ihre Daten “zum Wucherpreis” zurückzukaufen, so der Vorwurf. Christian Rath, rechtspolitischer Korrespondent der “taz”, glaubt jedoch nicht an einen Erfolg der Beschwerde.

5. Mode oder Medienwandel?
(sueddeutsche.de, Stefan Fischer)
Die Otto-Brenner-Stiftung hat den deutschen Podcast-Markt untersuchen lassen. Dieser stehe vor entscheidenden Weichenstellungen. Stefan Fischer fasst die wichtigsten Ergebnisse zusammen. Tipp des “6-vor-9”-Kurators: Wer sich für das Thema interessiert, aber nur begrenzt Zeit hat, sollte sich das Fazit der Studie im Original (PDF) durchlesen. Darin geht es unter anderem um die Frage, wie sich die zeitgenössische Podcast-Kultur bewahren lässt. Außerdem gibt es einen strategischen Ausblick.

6. Die “NDR Talk Show” und die Sprache der jungen Generation
(dwdl.de, Alexander Krei)
Die mehr als 40 Jahre alte “NDR Talk Show” hat vergangenes Jahr einen jungen Ableger bekommen: Bei “deep und deutlich” geht es vor allem um Influencerinnen und Influencer sowie Stars aus der Pop-, Kunst- und Kulturszene. Moderiert wird “deep und deutlich” von der Journalistin Aminata Belli, dem Rapper MoTrip, dem Moderator Tarik Tesfu und der Nachhaltigkeits-Influencerin Louisa Dellert. In der zweiten Staffel soll das Format noch enger an die “NDR Talk Show” heranrücken. Gesendet werde nämlich nicht nur in der ARD-Mediathek und in diversen Sozialen Netzwerken, sondern auch direkt im Anschluss an das große Schwesterformat.

Wie “Bild” Bild.de korrigiert

Gestern hatte Bild.de eine Kurzmeldung aus dem Nachrichtenangebot des irischen Internet-Anbieters Ireland On-line übernommen, wonach der Schauspieler Daniel Craig bei Dreharbeiten für den “James-Bond”-Film “Casino Royal” Schwierigkeiten hatte, ein Auto mit Gangschaltung zu fahren. Bild.de behauptete:

“Der neue Agent Ihrer Majestät kann seinen High-Tech-Dienstwagen gar nicht fahren! Das meldet der irische Internet-Dienst ‘Ireland On-Line’.

James Bond voll ausgebremst — weil er nur Automatik kann (…). Statt Einfahren mit dem Aston Martin DBS gab’s für Bond deshalb erst mal ‘nen Boxenstopp.”

Um die mit allerlei Häme ausgeschmückte Meldung anschaulicher zu machen, hat Bild.de sie mit dem Foto eines Aston Martin Vanquish S (O-Ton: “ein ähnlich heißes Teil wie James Bonds neuer Flitzer”) illustriert (siehe Ausriss). Und immerhin das stimmt: In “Casino Royal” fährt James Bond u.a. ein neues Aston-Martin-Modell, den DBS, der offenbar dem Vanquish S recht ähnlich sieht.

Absurd ist die von Bild.de gewählte Bebilderung dennoch. Schließlich lässt sich das sequentielle Sechsganggetriebe eines Vanquish S nur im Tiptronic- oder Automatikmodus fahren und dürfte — wie auch der neue DBS — selbst Fahrern ohne Schaltwagen-Erfahrung kaum Schwierigkeiten bereiten.

Aber die Bild.de-Illustration ist zudem auch völlig unsinnig.

Denn die Schaltgetriebe-Schwäche des Bond-Darstellers hat rein gar nichts mit seinem “High-Tech-Dienstwagen” zu tun. Anders als Bild.de behauptet, geht es nämlich in der ursprünglichen Meldung (die auch Ireland On-Line stark verkürzt, aber korrekt wiedergab), mitnichten um den brandneuen Aston Martin DBS, sondern um ein ganz anderes Auto: den guten, alten Aston Martin DB5 (siehe Ausriss), der in den “James Bond”-Filmen “Goldfinger” (1964) und “Thunderball” (1965) sowie — als kurzes Selbstzitat — in “Morgen stirbt nie” (1997) zum Einsatz kam, aber auch im neuen “Bond” eine kleine Rolle spielen und dabei eben von Craig gefahren werden soll. Mit Schaltgetriebe. Begriffen hatte Bild.de das alles offensichtlich nicht.

Und was macht “Bild”? Druckt die korrekte Nachricht heute leicht verständlich in ihrer Seite-1-Rubrik “Verlierer” des Tages. Dort heißt es dann auch richtig, dass der Oldtimer “extra umgebaut werden” musste — was die gestrige Behauptung von Bild.de, Craig bekomme “jetzt Nachhilfe in Sachen ‘richtiges’ Autofahren” wie eine faustdicke Lüge aussehen lässt.

“Verlierer” des Tages ist laut “Bild” aber dennoch nicht Bild.de, sondern Craig.

Nachtrag, 5. März. Bild.de hat die Fehler erst noch ein bisschen verschlimmert, und dann ein bisschen korrigiert.

“In krass rechtswidriger Form Auflage machen”

Sie war die Frau des großen Klausjürgen Wussow (77), sie verdiente viel Geld als Drehbuchautorin. Jetzt kaufte sich Yvonne Wussow (51) in ein Bordell ein. Geldnot macht erfinderisch…

“Bild”, 2. September 2006

 

In ihrer Ausgabe vom 7. September meldete “Bild” auf Seite 1 den Tod von Yvonne Wussow. Das war eine schlechte Nachricht für die Zeitung, denn es bedeutete, dass sie erst einmal keine großen Schlagzeilen mehr über Frau Wussow und etwa ihr angeblich mieses Geschäft mit Krebskranken oder ihre angebliche Beteiligung an einem Bordell machen könnte.

Aber ein paar große Schlagzeilen waren noch drin. Diese hier stand am 8. September auf Seite 1:

Yvonne Wussow † : Ihr Krebstagebuch

Im Inneren schrieb “Bild”:

Es ist ein Dokument der Hoffnung, des Kampfes und des Scheiterns.

Yvonne Wussow (†51) schrieb ein Krebstagebuch — berührend, erschütternd, ernüchternd.

BILD dokumentiert den Lebenskampf einer Frau, die nie aufgab.

An zwei Tagen füllte “Bild” jeweils ungefähr eine halbe Seite mit ausführlichen Auszügen aus Yvonne Wussows Buch.

Es ist, gelinde gesagt, schwer vorstellbar, dass Frau Wussow gewollt hätte, dass ihr Text ausgerechnet von der “Bild”-Zeitung veröffentlicht wird, der sie vorwarf, auch in jüngster Zeit — “wie so oft in der Vergangenheit” — überwiegend und absichtlich falsch über sie berichtet zu haben.

Und tatsächlich hatte “Bild” nach den Worten ihres Anwaltes Sven Krüger kein Recht, diese Texte zu veröffentlichen. Gegenüber dem NDR-Medienmagazin “Zapp” sagte er:

Es hat eine Anfrage gegeben der Bild-Redaktion, unter anderem bei mir, ob denn man nicht Teile dieses Krebsbuches abdrucken könne. Eingeleitet mit einem Satz etwa wie: Wir wollen gerne etwas für [Yvonne Wussows Sohn] Benjamin tun, wir möchten es abdrucken und etwas zahlen dafür, das soll Benjamin bekommen. Nun konnte ich nicht am Telefon, ohne Rücksprache zu halten mit dem Berechtigten, ohne überhaupt erst mal zu besprechen, ob das sinnvoll ist, ob das gewollt ist, so eine Genehmigung geben. Sie wurde also nicht prompt erteilt, also entschloss sich die BILD-Zeitung abzudrucken, ohne Genehmigung.

Krüger wirft “Bild” vor, in “krass rechtswidriger Form auch nach dem Tod von Frau Wussow mit ihr Auflage zu machen”.

Auf Bild.de fehlen inzwischen die Auszüge aus dem Buch.

PS: Nachdem “Bild” ihr in großen Buchstaben auf Seite 1 ein “mieses Geschäft mit Krebskranken” vorgeworfen hatte, erläuterte Yvonne Wussow uns gegenüber am 30. Juli ihre Sicht der Dinge. Ihre Mail endete mit den Worten:

UND DAS ALLES; OBWOHL HERR [Martin] HEIDEMANNS [zuständiges Mitglied der “Bild”-Chefredaktion] SOWOHL WUSSTE UND WEISS DASS ICH AN METASTASIERENDEM BRUSTKREBS LEIDE ALS AUCH AN EINER AKUTEN LEBERENTZÜNDUNG MIT GERADE 40 GRAD FIEBER

Anatomie einer Sommerlochliebe

Jeden verdammten Tag muss eine Zeitungsredaktion Zeitungsseiten füllen. Sommers wie winters. Und umgekehrt. Und keine Redaktion hat so viel Übung darin wie “Bild”, beliebig wenig Material in beliebig viel Berichterstattung zu verwandeln. Nachdem sich eine Mutter “verzweifelt bei BILD” gemeldet hatte, machten sich die “Bild”-Redakteure an die Arbeit. Ein Foto-Fortsetzungsroman* in (bislang) sechs Teilen:

— Folge 1 —
Dienstag, 7. August 2007


Angeblich wichtigste Info: Eine Tochter (18) ist mit ihrem Lehrer (51) in den Urlaub gefahren und: “Ihre Mutter meldete sich verzweifelt bei BILD.”
Wichtigste Info: Die Tochter ist seit April volljährig.
Unwichtigste Erkenntnis: Das Berliner Gymnasium, das die Schülerin besucht, ist “renommiert”.
Experten: Kenneth Frisse (Sprecher der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung)
Unbeantwortetste Frage: “Wann war der Moment, als aus einer kindlichen Schwärmerei Liebe wurde?”
Unerklärlichste Ungereimtheit: Was soll eigentlich dieses kleine, stimmungsvolle Arc-de-Triomphe-Foto neben dem Handy?
Anzahl der Fotos: 4 (incl. Handydisplay & Arc de Triomphe)
Unkenntlichmachungen: 1 schwarzer Balken (Schülerin)
Anzahl der Hinterköpfe:
Anzahl der “Bild”-Autoren: 1
Attribuierungen der Beziehung: “diese Liebe”

— Folge 2 —
Donnerstag, 9. August 2007


Angeblich wichtigste Info: “Sie hat ihre Hände um seine Schultern gelegt, er tätschelt zärtlich ihre Hüfte. Die Lippen der Liebenden im See berühren sich zu einem innigen Kuss.”
Wichtigste Info: Ein Paparazzo hat Schülerin und Lehrer beim Baden im See fotografiert.
Unwichtigste Erkenntnis: “Auch die Schulbehörde ist über die bizarre Sommerliebe informiert.” (siehe wichtigste Nachricht vom Freitag)
Experten: Reimer Hinrichs (Psychoanalytiker), Andre Schindler (Sprecher des Berliner Landeselternauschusses), Rose-Marie Seggelke (Berlin-Chefin der Lehrergewerkschaft GEW), Norbert Beital (Rechtsanwalt) sowie die Schülerinnen Katharina (16), Glynis (18), Julia (19) und Sandra (18)
Unbeantwortetste Frage: “Ist dieser Kuss Sünde?”
Unerklärlichste Ungereimtheit:
Anzahl der Fotos: 13
Unkenntlichmachungen: 7 Verpixelungen (Schülerin und Lehrer)
Anzahl der Hinterköpfe: 4
Anzahl der “Bild”-Autoren: 5
Attribuierungen der Beziehung: “bizarre Sommerliebe”, “Liebes-Glück”

— Folge 3 —
Freitag, 10. August 2007


Angeblich wichtigste Info: “Jetzt spricht die Schülerin”
Wichtigste Info: “Schon Mitte Juni soll der Pädagoge seine Versetzung an eine andere Schule beantragt haben.”
Unwichtigste Erkenntnis: “Er steht auf, holt Zucker für ihren Kaffee.”
Experten:
Unbeantwortetste Fragen: Sind die Fotos, die Schülerin und Lehrer beim Eisessen zeigen, (noch) Paparazziaufnahmen oder (schon) gestellt?
Unerklärlichste Ungereimtheit: Wieso kommt, als “Bild” Schülerin und Lehrer zum Interview “in einem kleinen Ort in Brandenburg” trifft, plötzlich ein “ehemaliger Kollege des Lehrers” vorbei?
Anzahl der Fotos: 11
Unkenntlichmachungen: ca. 16,5 Verpixelungen (Schülerin und Lehrer)
Anzahl der Hinterköpfe: ca. 1,5
Anzahl der “Bild”-Autoren: unbekannt
Attribuierungen der Beziehung: “bizarrste Liebe des Sommers”, “verbotenes Glück”, “Sommerglück”, “das Glück”

— Folge 4 —
Samstag, 11. August 2007


Angeblich wichtigste Info: “Sie will ein Kind vom ihm”
Wichtigste Info: Der Lehrer lässt sich nach den Sommerferien an ein anderes Gymnasium versetzen.
Unwichtigste Erkenntnis: “Aber heute hat ihre Mutter auch Geburtstag.”
Experten: Peter Sinram (Deutschlehrer), Udo Wasse (pensionierter Englischlehrer), Harald Junge (Deutschlehrer), Dieter Schütze-Sladek (Mathelehrer)
Unbeantwortste Frage: “Aber hat ihre ungewöhnliche Liebe wirklich eine Chance?”
Unerklärlichste Ungereimtheit: —
Anzahl der Fotos:
13
Unkenntlichmachungen: 6 Verpixelungen (Lehrer)
Anzahl der Hinterköpfe: 2
Anzahl der Autoren: 5
Attribuierungen der Beziehung: “verbotenes Glück”, “ungewöhnliche Liebe”

— Folge 5 —
Montag, 13. August 2007


Angeblich wichtigste Info: “Eltern schmeißen ihre verliebte Tochter raus!”
Wichtigste Info: “In einer Woche muss er [der Lehrer] wieder unterrichten, an einer neuen Schule. (…) Der Gymnasiallehrer lebt seit Jahren von seiner Ehefrau getrennt. Demnächst ist Scheidungstermin.”
Unwichtigste Erkenntnis: Der Lehrer hilft derzeit Freunden beim Hausbau.
Experten: —
Unbeantwortetste Frage:
“Was soll ich zu ihm sagen — Schwiegeropa?”
Unerklärlichste Ungereimtheit:
Wieso behauptet die Schülerin, ihre Mutter habe zur ihr gesagt, “dass ich abhauen soll”, wo doch die Mutter zuvor via “Bild”-Zeitung “Kind, komm doch bitte heim!” flehte?
Anzahl der Fotos: 4
Unkenntlichmachungen: 1,5 Verpixelungen (Lehrer)
Anzahl der Hinterköpfe: 3,5
Anzahl der Autoren: 1
Attribuierungen der Beziehung: “Sommer-Glück”, “bizarre Liebe”

— Folge 6 —
Dienstag, 14.8.2007


Angeblich wichtigste Info: “Verliebte Schülerin ganz allein in Pariser Doppelbett”
Wichtigste Info:
Unwichtigste Erkenntnis: In Paris recherchiert die Schülerin “in der Nationalbibliothek für ihre Abiturarbeit zur Bartholomäusnacht”.
Experten:
Unbeantwortetste Frage: Ob sich die Mutter der Schülerin das wohl so gedacht hat, als sie sich “verzweifelt bei BILD” meldete?
Unerklärlichste Ungereimtheit: Wenn “Bild” seit Tagen große Fotos der Schülerin zeigt und diese seit Samstag nicht einmal mehr verpixelt, wieso nennt “Bild” sie dann immer noch bei ihrem (von “Bild” geänderten) Vornamen “Jasmin”?
Zahl der Fotos: 6
Unkenntlichmachungen: 1 Verpixelung (Lehrer)
Hinterköpfe: 0
Zahl der Autoren: 1 (“7.13 Uhr hebt ihr Flieger ab. BILD begleitet sie.”)
Attribuierungen der Beziehung: “Sommerglück”

Fortsetzung folgt?
 

— Folge 7 (Nachtrag) —
Mittwoch, 15. August 2007

Angeblich wichtigste Info:
Wichtigste Infos: “Gestern war sie in der Bibliothek, schmökerte sich durch acht Bücher. Abends genoss sie die Aussicht vom Montmatre bei einem Glas Merlot.” (Hervorhebungen von uns.)
Unwichtigste Erkenntnis: “Jetzt will der Direktor wissen, was da läuft”
Experten:
Unbeantwortetste Frage: Wie ist das eigentlich, mit einem “Bild”-Reporter und einem “Bild”-Fotografen Urlaub in Paris zu machen?
Unerklärlichste Ungereimtheit:
Anzahl der Fotos: 5
Unkenntlichmachungen: 1 Verpixelung (Lehrer)
Hinterköpfe:
Anzahl der “Bild”-Autoren: 1
Attribuierungen der Beziehung: “ihre große Liebe”

— Folge 8 (Nachtrag) —
Freitag, 17. August 2007

Angeblich wichtigste Info: “Jasmin A. (…) kommt heute zurück nach Berlin.”
Wichtigste Info:
Unwichtigste Erkenntnis:
Experten:
Unbeantwortetste Frage:
Unerklärlichste Ungereimtheit:
Anzahl der Fotos: 2
Unkenntlichmachungen: 0
Hinterköpfe: 0
Anzahl der Autoren: unbekannt
Attribuierungen der Beziehung:

Nachtrag, 20.8.2007: Am vergangenen Samstag berichtete “Bild”, dass die Schülerin “wieder in Berlin” sei (“landete um 8.32 Uhr in Tegel”). Und heute berichtet “Bild”, was eine andere junge Frau über ein Jahre zurückliegendes, angebliches Liebesverhältnis mit dem “Liebes-Lehrer” zu berichten hat. Fürs Protokoll: Auch die “Ex-Geliebte”, deren Gesicht “Bild” vollständig unkenntlich gemacht und deren Namen “Bild” geändert hat, war laut “Bild” zum Zeitpunkt des angeblichen Liebesverhältnisses volljährig.

Mit anderen Worten: Wir melden uns wieder, falls es in dieser Sache Neues zu berichten gibt.

*) Alle zusätzlichen Verpixelungen in den Ausrissen von uns.

Springers internationaler Doppelpass

Es ist noch nicht allzu lange her, da hatte die große Axel Springer AG (laut Presserat) einem kleinen, unabhängigen Internetangebot, das sich kritisch mit der Springer-Zeitung “Bild” auseinandersetzt, vorgeworfen, es versuche, “sich auf einfachem Wege Material für ihre gewerbliche Tätigkeit zu verschaffen”, und “inszeniere die Wirklichkeit, die sie selbst zum Gegenstand ihrer journalistischen Berichterstattung mache, und verstoße somit selbst gegen journalistische Grundsätze wie Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit”.

Heute nun macht “Bild” auf der Titelseite sowie groß im Sportteil publizistische Angriffe der Polen auf “unsere” Fußball-Nationalmannschaft zum Gegenstand ihrer journalistischen Berichterstattung (siehe Ausrisse) — und schreibt:

Gestern erschien die polnische Zeitung “Fakt” mit einer Fotomontage auf der Titelseite: Michael Ballack mit Pickelhaube aus dem 1. Weltkrieg und Ritter-Umhang des Deutschen Ordens aus dem Mittelalter. (…)

Heute legt “Fakt” nach — eine Zeichnung auf dem Titelblatt zeigt Ballack in einem Trabi, Beenhakker [den polnischen Nationaltrainer] obendrauf. Überschrift: “Leo, besiege die Trabis.” (…)

Nicht zum Gegenstand ihrer journalistischen Berichterstattung macht “Bild” heute, in welchem Verlag “die polnische Zeitung” erscheint, die die deutsche Mannschaft so angreift: “Fakt” ist eine Schwesterzeitung von “Bild”.

Mit Dank auch an die zahlreichen Hinweisgeber.

Nachtrag, 5.6.2008: “Spiegel Online” findet den Springerschen Doppelpass “pikant” und zitiert den Stellvertretenden Chefredakteur der “Bild”-Zeitung, Alfred Draxler, der von Pikanterie nichts wissen zu wollen scheint: “Die ‘Fakt’ ist eine journalistisch völlig unabhängige Zeitung, wie die ‘Bild’ auch.” Der Axel-Springer-Verlag habe deshalb auch kein Problem damit, kritisch über das polnische Blatt zu berichten – im Rahmen eines “gesunden Binnenpluralismus”. Marietta Slomka hingegen kommentiert die “Aufregung um antideutsche Berichte” im aktuellen “heute journal” mit Süffisanz: “Die deutsche ‘Bild’ macht also Schlagzeilen mit den Schlagzeilen der polnischen ‘Bild’. Na, das trifft sich ja gut…” Und bei n-tv spricht man sogar von einer möglicherweise “geschickt inszenierten Medienkampagne” und bilanziert: “Ein Skandal, produziert vom Springer-Verlag.” Nun ja.

“Focus Online” fällt auf einen 85 Jahre alten Witz rein

Wenn eine, nun ja, Nachrichtenseite wie “Focus Online” ein Video veröffentlicht, in dem der Mitschnitt eines Gesprächs von 2003 zwischen der Besatzung eines Schiffs der US-Navy und einem Spanier zu hören ist, dann muss das schon ein besonderer Dialog sein. Die Leute bei “Focus Online” fanden das Ganze jedenfalls so gut, dass sie nur noch einen kurzen Aufsager vor die Unterhaltung gepackt haben und, zack!, raus damit:

Ein Funkgespräch, das offenbar Anfang 2000 entstanden ist, macht derzeit auf Facebook die Runde. Darin fordert ein Spanier ein Schiff der US-Navy auf den Kurs zu ändern. Der Schiffkapitän [sic] verlangt jedoch, dass der Spanier seine Route ändert. Dann wird es unendlich peinlich für den Kapitän.

Und tatsächlich ist das Gespräch recht kurios:

Spanier: Dies ist A-853, bitte ändern Sie Ihren Kurs um 15°, um eine Kollision zu vermeiden. Sie fahren direkt auf uns zu. Distanz: 25 nautische Meilen.

US-Navy: Dies ist der Kapitän eines Schiffs der United States Navy. Wir bestehen darauf, dass Sie Ihren Kurs um 15° Nord ändern, um eine Kollision zu vermeiden.

Spanier: Das halten wir nicht für möglich oder angemessen. Wir schlagen vor, dass Sie Ihren Kurs um 15° Nord ändern.

US-Navy: Hier spricht Kapitän ***, Kommandeur des Flugzeugträgers U.S.S. *** [Auslassungen im Original], des zweitgrößten Flugzeugträgers der United States Navy. Wir werden von zwei Schlachtschiffen, sechs Zerstörern, fünf Kreuzern, vier U-Booten und Versorgungsschiffen begleitet. Wir sind aktuell unterwegs zum Persischen Golf, um in militärischen Manövern gegen den Irak teilzunehmen. Ich schlage nicht vor, ich befehle Ihnen, Ihren Kurs um 15° Nord zu ändern. Sonst sind wir gezwungen, die nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Sicherheit dieser Flotte zu garantieren. Sie gehören zu einer verbündeten Nation, die Mitglied der NATO und der Koalition ist. Befolgen Sie sofort meinen Befehl und gehen Sie uns aus dem Weg.

Spanier: Hier spricht Juan Manual Salaas Alcantra. Wir sind zwei Personen, aktuell begleitet von unserem Hund, unserem Essen, zwei Bier und einem Kanarienvogel, der gerade schläft. Wir bekommen Unterstützung von “Coruna Daily Radio” und der “Maritime Emergencys Frequency no. 16”. Wie werden nirgends hingehen, da wir mit Ihnen vom Festland aus sprechen. Wir befinden uns im Leuchttum A-853 Finisterre an der galizischen Küste. Wir haben verdammt noch mal keine Ahnung, wo wir im Ranking der spanischen Leuchttürme stehen. Sie können jegliche Aktion vornehmen, die Sie für notwendig halten und verdammt noch mal mögen, um die Sicherheit Ihres Schiffs zu garantieren, das sonst an den Felsen zerschellen wird. Wir wiederholen noch einmal, dass das gesündeste und zu empfehlende Vorgehen eine Kursänderung von Ihnen um 15° ist, damit wir nicht miteinander kollidieren.

US-Navy: OK, angekommen, danke.

Nun könnte man misstrauisch werden, dass eine moderne Schiffsflotte keine ordentlichen Karten oder gut funktionierende Radar- und GPS-Systeme an Bord hat. Oder dass ein Navy-Kapitän Leuten, die er gar nicht kennt, davon erzählt, auf welcher Mission er und wie seine Flotte zusammengesetzt ist.

Tatsächlich ist das, was sich wie ein alter Witz liest, ein alter Witz. Die Geschichte vom wichtigtuerischen Navy-Kapitän, der großkotzig seinem Funk-Gegenüber droht, stammt in der von “Focus Online” verbreiteten Form mindestens aus den 1980er-Jahren. Eine abgewandelte Variante soll es bereits 1931 gegeben haben.

Es gibt verschiedene Versionen des Witzes: Mal ist es die U.S.S. Enterprise, die auf Kollisionskurs sein soll, mal die U.S.S. Missouri. Mal vor der Küste Neufundlands, mal vor Spanien. Es gibt einen eigenen Wikipedia-Eintrag zu der Geschichte. Eine schwedische Firma, die Navigationsgeräte herstellt, hat aus ihr einen Werbespot gemacht, genauso eine spanische Biermarke.

Man hätte also rausfinden können, dass mit der Funkaufnahme etwas nicht stimmt (“Focus Online” merkt zumindest an einer Stelle an, dass unklar sei, ob es sich bei dem Audiomitschnitt “um Originalaufnahmen handelt.”). 2009 hat sogar die US-Navy auf den “Lighthouse Joke” offiziell reagiert:

The following is being transmitted around the Internet as an event that really took place, but it never happened. It is simply an old joke like those found in popular magazines

Sieben Jahre später sind dann auch die Fake-Video-Verbreiter von “Focus Online” darauf reingefallen.

Mit Dank an Alexander F.!

Nachtrag, 14. Juli: Die Leute von “Focus Online” haben den Witz inzwischen verstanden und die Überschrift ihres Artikel entscheidend geändert:

Im Artikel ist ein neuer Absatz hinzugekommen:

Was FOCUS Online zunächst entgangen war: Es handelt sich dabei um Satire. Aufgrund des freundlichen Hinweises von “Bildblog” haben wir unseren Fehler nun bemerkt und korrigiert.

Ehrlich gesagt wäre unser “freundlicher Hinweis” aber gar nicht nötig gewesen. Die Mitarbeiter von “Focus Online” hätten sich einfach mal die Kommentare ihrer eigenen Leser anschauen müssen — da gab es von Anfang an reichlich Protest, dass es sich um einen alten Witz handelt.

Un-Anonymous, Assads Medienstrategie, Griechenbashing

1. Leak zeigt mutmaßliche Betreiber der größten deutschen Hetzseite
(sueddeutsche.de, Max Hoppenstedt & Simon Hurtz)
Mehr als zwei Millionen Menschen hatten auf Facebook die Seite “Anonymous.Kollektiv” geliket. Viele in dem Irrglauben, es mit der Hacker-Bewegung “Anonymous” zu tun zu haben. Doch weit gefehlt, die Seite war ein Tummelplatz für Islamhasser, Verschwörungstheoretiker und Fremdenfeinde. “SZ.de” und “Motherboard” wurde nun ein Screenshot zugespielt, der die Seitenadministratoren zeigen soll. Die Journalisten Max Hoppenstedt und Simon Hurtz sind der Sache nachgegangen und bringen Licht ins Dunkel dieses einzigartigen Krimis, in dem auch das umstrittene “Compact-Magazin” eine Rolle spielt.

2. Je kritischer, desto besser
(de.ejo-online.eu, Kurt W. Zimmermann)
Der Chefredakteur von “Schweizer Journalist” Kurt W. Zimmermann hat sich angeschaut, wie Syriens Präsident Assad mit Medien umgeht: “Assad hat eine ultramoderne Medienstrategie entwickelt, die für westliche Journalisten ebenso ungewohnt wie faszinierend ist. Er erwartet von den Medien nicht Propaganda, er erwartet Konfrontation. Damit unterscheidet er sich diametral von Staatschefs wie Wladimir Putin oder François Hollande, die sich bei Interviews lieber harmlose Steigbügelhalter wünschen. Assad, beraten von PR-Spezialisten aus dem Westen, hat den wichtigsten Mechanismus des Medienbusiness begriffen wie kaum ein anderer. Er weiß, dass seine Glaubwürdigkeit umso höher steigt, je härter und skeptischer die Journalisten ihn befragen.”

3. Journalistenanfrage löste die Razzia bei der An’nur-Moschee aus
(landbote.ch, Mirko Plüss)
Der Kriegsreporter Kurt Pelda recherchiert schon seit Jahren im Umfeld der An’nur-Moschee in Winterthurer Hegi und zu den Mordaufrufen des (mittlerweile verhafteten) Imams. In einer SMS hat er die Stadt Winterthur um eine Stellungnahme zu seinem geplanten Artikel gebeten. Unmittelbar danach führte die Kantons- und Stadtpolizei eine breit angelegte Razzia in der An’nur-Moschee durch. Wohl eine Folge von Peldas Anfrage.

4. Die Griechen provozieren!
(oxiblog.de, Hans-Jürgen Arlt)
Eine Studie der Otto Brenner Stiftung befasst sich mit der öffentlich-rechtlichen Berichterstattung über die griechische Staatsschuldenkrise. Die Grundlage: 615 Beiträge aus “Tagesschau” und dem “ARD-Brennpunkt” sowie aus “heute” und “ZDF-Spezial”. Hans-Jürgen Arlt gibt der Studie eine gute Note, allem anderen jedoch ein “Mangelhaft”. Insgesamt hätten die Sondersendungen “Brennpunkt” und “ZDF-Spezial” schlechter abgeschnitten als die klassischen Nachrichtensendungen. Sie hätten die Kriterien der Ausgewogenheit und der Neutralität verletzt und eben keine Hintergrundberichterstattung geliefert.

5. Eine Stimme für die Frauen
(taz.de, Knut Henkel)
Fast alle Gesellschaften in Mittel- und Südamerika leiden nach Ansicht von Fachleuten unter sexueller Gewalt gegen Mädchen und Frauen. Wenn in Guatemala über derartige Themen gesprochen wird, liegt das auch an “La Cuerda”, Zentralamerikas einziger feministischer Monatszeitung. Das Blatt kämpft seit 18 Jahren für die Rechte von Frauen und Indigenen. Knut Henkel stellt das Magazin vor und lässt Beteiligte zu Wort kommen.

6. Die Geschichte der Familie Schlesinger
(rnd-news.de, Ulrike Simon)
Der Journalist Gerhard Spörl war 25 Jahre beim “Spiegel”. Er ist verheiratet mit Patricia Schlesinger, der Intendantin des “rbb”. Nun hat er ein Buch über die Großeltern seiner Frau geschrieben. “RND”-Kolumnistin Ulrike Simon war dabei, als das Buch am Mittwoch von Stefan Aust vorgestellt wurde.

Hans Meiser, VG Wort, Kuschelreise

1. Die bizarre Nebentätigkeit des Moderators Hans Meiser
(vice.com, Matern Boeselager)
Hans Meiser mimt in Jan Böhmermanns “Neo Magazin Royale” gelegentlich einen Rechtspopulisten, wie er im Buche steht. Nun stellt sich heraus, dass Meiser mehr Gemeinsamkeiten mit seiner Rolle haben könnte, als bisher angenommen: Meiser ist laut “Vice” das Aushängeschild einer dubiosen Seite namens Watergate.tv, die voller Verschwörungstheorien und Angstmache ist. Die “Bildundtonfrabrik”, die das “Neo Magazin Royale” produziert, hat inzwischen bei Facebook geschrieben, dass man erstmal nicht mehr mit Hans Meiser zusammenarbeiten werde. Warnung von uns: Nicht vergessen, dass es sich hier um eine Person aus dem Umfeld von Jan Böhmermann handelt — durchaus denkbar, dass eine neue Aktion des Moderators hinter dem merkwürdigen “Watergate”-Engagement von Hans Meiser steckt.

2. Streit um VG-Wort-Ausschüttungen: Mitgliederversammlung wirft Schatten voraus
(irights.info, Henry Steinhau)
Der Streit um die VG-Wort-Ausschüttungen könnte in die nächste Runde gehen. Der Autor und Urheberrechtler Martin Vogel, der schon einmal erfolgreich gegen die VG Wort klagte, hält es für möglich, dass der für die nächste Mitgliederversammlung zur Abstimmung stehende Verteilungsplan teilweise rechtswidrig ist.

3. Baden, wo Schweizer besonders zählen
(infosperber.ch, Christian Müller)
In einem Bericht einer Schweizer Zeitung über einen eskalierten Streit wird mehrmals darauf hingewiesen, dass es sich bei dem Verletzten um einen Schweizer handelt. Christian Müller fragt, ob diese Erwähnung notwendig sei: “Was soll in dieser brandaktuellen Sonntagsgeschichte die mehrmalige Erwähnung, dass es ein Schweizer war, der mitten in Baden verletzt wurde? Will damit gesagt sein, dass es nur halb so schlimm und natürlich keine Meldung in der Schweiz am Wochenende wert gewesen wäre, wenn ein Deutscher oder ein Italiener zu Schaden gekommen wären? Oder suggeriert man den Leserinnen und Lesern, dass der Verletzte ein Schweizer, der Verletzende aber wohl ein Ausländer war, so wie man beim Vierfach-Mord in Rupperswil auch bereits mutmasste, dass da Ausländer am Werk waren?”

4. «Es läuft so gut, ich kehre noch lange nicht zurück»
(medienwoche.ch, Matthias von Wartburg)
Die Schweizer Journalistin Eva Hirschi reist seit einem Jahr um die Welt und verdient ihr Geld mit Journalismus — unter anderem betreut sie den Nachtdienst von “Watson”. Der Job sei nicht einfach, aber möglich. Deshalb soll die Weltreise weitergehen, demnächst nach Japan, Neuseeland und Australien.

5. Von der Leyens Kuschelreise mit dem Fake-Journalismus
(uebermedien.de, Mats Schönauer)
Am 70. Geburtstag des “Spiegel” hat Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen in ihrer Laudatio noch über die Verantwortung von Journalisten, über Sorgfalt, Wahrhaftigkeit und den Kampf gegen “Fake News” gesprochen. Zwei Monate später darf die Fake-News-Postille “Das neue Blatt” die Ministerin auf einer Reise begleiten. Mats Schönauer hat den Sprecher des Verteidigungsministeriums um eine Stellungnahme gebeten, der in der Kooperation mit dem Lügenheft kein Problem sieht. Für Schönauer steht fest: “Wem ihre Kuschelei mit der Regenbogenpresse nützt, ist klar. Dem Kampf gegen Fake-Journalismus auf jeden Fall nicht.”

6. Kuschelig ins Glück: G+J startet “Hygge”
(wuv.de, Anja Janotta)
Die “G+J”-Tochter “Deutsche Medien-Manufaktur” (DMM) startet im Juni eine neue Zeitschrift. “Hygge — Einfach glücklich sein” heißt das Magazin, das sechsmal jährlich erscheinen soll. Das Wort “Hygge” kommt aus dem Dänischen, wo es für eine Mischung aus Glück, Geborgenheit, Gemütlichkeit und Ruhe steht. Der Verlag will das Glück anscheinend erzwingen und geht mit einer Auflage von 250.000 Stück an den Start.

Diskretionsgrenze, Xavier und die Medien, Tatort-Fucktencheck

1. Die unsichtbare Grenze der Diskretion
(taz.de, Bettina Gaus)
Bettina Gaus kommentiert in der “taz” die viel gelobte “Spiegel”-Reportage über Martin Schulz. Wenn es nach ihr geht, wäre die Reportage besser nie erschienen: “Natürlich wollte Markus Feldenkirchen so dicht wie irgend möglich an den SPD-Kanzlerkandidaten herankommen. Das ist sein Job. Er hat seine Möglichkeiten genutzt, und er hat sich – soweit das von außen zu beurteilen ist – nicht unfair verhalten gegenüber seinem Protagonisten. Aber viele Szenen, die in der Reportage geschildert, und Äußerungen, die zitiert werden, gehen die Öffentlichkeit schlicht nichts an.”

2. Sturm Xavier – wie Medien Menschen auf dem Gewissen haben: Nichtstun tötet.
(wetterkanal.kachelmannwetter.com, Jörg Kachelmann)
Jörg Kachelmann wirft den ARD- und ZDF-Verantwortlichen schwere Versäumnisse bei den Fernsehwetterberichten vor Eintreffen des Sturms “Xavier” vor, der in Deutschland mehrere Menschenleben gekostet hat: “Ich verachte diese Leute dafür, sehr. Denn Menschen sind gestorben und werden wieder sterben. Und es wird durch die, die dafür zuständig wären, nichts getan, dass sich das ändert.”

3. Wir sollten über “Political Correctness” diskutieren, aber bitte nicht so
(broadly.vice.com, Yasmina Banaszczuk)
Zerstört die Political Correctness unsere freiheitliche Gesellschaft, wie es im Buch “Es war doch gut gemeint” behauptet wird? Unter anderem darüber hat sich Yasmina Banaszczuk mit den beiden Autoren des Buchs unterhalten. Doch die wollten die Zitate aus dem Interview nicht freigeben. Das Gesagte sollte angeblich durch schönere, relativierende Dinge ersetzt werden. Auch ohne das Interview wird deutlich, wo die Probleme des Buchs nach Ansicht von Banaszczuk liegen: “Ein – im besten Falle gut gemeintes – Buch über eine falsch verstandene linke Entwicklung kann potenziell gefährlich sein, wenn wir den Vorurteilen, die dem teils zugrunde liegen, nicht widersprechen. Und widersprechen sollten wir, egal, wie oft wir uns wiederholen müssen.”

4. Fellner übernahm am deutschen Wahlabend die ARD-Sendungen
(kurier.at, Philipp Wilhelmer)
Bei der Bundestagswahl verfiel der österreichische Fernsehsender “oe24.tv”, wohl aus Ermangelung eigener Teams vor Ort, auf eine kostensparende Idee und ließ die Bilder der ARD ausstrahlen – allerdings ohne Genehmigung. Der “Kurier” hat bei der ARD nachgefragt, wie man mit dem Vorgang umgehe. Dort wird nun der Rechtsweg geprüft. Für “oe24.tv” kann die Sache nach Auskunft eines Juristen teuer werden. Weil es sich beim Fernsehsender um einen Medienbetreiber handele, der zumindest theoretisch wissen müsse, wie man das Urheberrecht einhält, könnte sich das vom Gericht zu ermittelnde Ersatzentgelt verdoppeln.

5. Wie porno ist Deutschland?
(faz.net, Eva Heidenfelder)
Im aktuellen “Tatort” ging es auch um die darniederliegende Porno-Branche. Eva Heidenfelder hat für die “FAZ” den Faktencheck gemacht und Experten gefragt, ob die Porno-Produzenten wirklich “im Arsch wegen diesem Internet-Scheiß” sind, wie es ein Protagonist im “Tatort” behauptet. Außerdem geht es um Künstlernamen von Sex-Darstellern, Spermaspuren und den Unterschied zwischen Erwürgen und Erdrosseln. Weiterer Lesetipp: Die Tatort-Nachlese der “SZ”: “Porno im Planschbecken”

6. »Kothaufen in der Dusche«
(11freunde.de, Stephan Reich)
Andere besprechen Schallplatten oder Bücher – Fußballer Arne Tiedemann rezensierte zu seiner Kreisligazeit beim TSV Kollmar die Kabinen und Duschen der Kreisliga Steinburg. Im Gespräch mit den “11Freunden” geht es um den Kachelreport, die Wischmopp-Skala von eins bis elf und die hygienischen Abgründe von Dusch- und Kabinentrakten.

Bild.de macht pauschal Stimmung: “Muslime hassen Juden”

Bei Netflix läuft seit gut zwei Wochen der Film “The Red Sea Diving Resort”, und Bild.de hat ihn nun auch entdeckt:

Screenshot Bild.de - Red Sea Diving Resort - Geheimdienst tarnt Flüchtlinge als Urlauber -Der Netflix-Film basiert auf wahren Begebenheiten

Allerdings ist bereits das, was die Redaktion in der Überschrift schreibt, falsch. Und es wird auch nicht richtiger, wenn Autor Christian Henning diese Art Zusammenfassung ähnlich im Artikel wiederholt:

Als die Tarnung als Tauch-Resort so perfekt ist, dass tatsächlich (deutsche) Touristen dort ankommen, müssen die Geheimagenten Tauch- und Fitness-Kurse anbieten. Hauptsache, niemand merkt, dass die meisten Gäste auf den Zimmern Flüchtlinge sind, die um ihr Leben bangen.

In der Tat geht es in “The Red Sea Diving Resort” um einen Geheimdienst (den Mossad), der Geflüchtete (Äthiopierinnen und Äthiopier jüdischen Glaubens) rettet. Das Team des Mossad pachtet zum Schein ein verlassenes, am Roten Meer gelegenes Resort im Sudan. Es kommen dann etwas überraschend auch richtige Touristen, für die der Mossad ein Urlaubsprogramm organisieren muss. Die Geflüchteten aus Äthiopien werden in den 130 Minuten, die der Film dauert, allerdings kein einziges Mal als Urlauber getarnt und sie sind auch nicht Gäste des Resorts, wie Bild.de schreibt. Sie verstecken sich nach ihrer Flucht vor dem äthiopischen Bürgerkrieg in einem sudanesischen Flüchtlingslager, das ganz woanders im Land liegt. Das vom Mossad gepachtete Resort dient lediglich als der Ort, zu dem sie bei Dunkelheit in Lastwagen gefahren werden, um dort in Boote zu steigen, die sie nach Israel bringen. Die Geschichte basiert auf der “Operation Brüder”.

“Bild”-Autor Christian Henning hat den Film offenbar überhaupt nicht gesehen. Oder er hat ihn gesehen, allerdings kaum verstanden.

Dafür hat er es aber hinbekommen, bei Bild.de selbst in einer Filmrezension Stimmungsmache gegen Muslime unterzubringen. Zum “Haken” an dem Vorhaben des Mossad schreibt er:

Der Sudan ist ein überwiegend muslimisches Land. Muslime hassen Juden.

Ohne Einschränkung, ohne Differenzierung. Kein “manche”. Kein “einige”. Nicht mal ein “viele”. Laut Bild.de sind pauschal alle Muslime Judenhasser.

Mit Dank an @MKTuningDO und @Menschenkleber für die Hinweise!

Nachtrag, 12:27 Uhr: Bild.de hat die zwei oben zitierten Sätze zum Sudan als “überwiegend muslimisches Land” sowie zu den Muslimen, die pauschal Juden hassen würden, ohne irgendeinen Korrekturhinweis aus dem Artikel gestrichen.

Nachtrag, 12:59 Uhr: Nun hat die Redaktion auch eine Anmerkung hinzugefügt:

Anmerkung der Redaktion: Eine frühere Version dieses Artikels enthielt die Formulierung: “Muslime hassen Juden.” Der Satz wurde ersatzlos entfernt.

Nachtrag 19:48 Uhr: Bei Bild.de haben sie den Text inzwischen ein weiteres Mal überarbeitet. Nun sind auch die Sätze “Im Sudan ist ein Menschenleben eher wenig wert. Ein jüdisches umso weniger.” rausgeflogen.

Außerdem hat die Redaktion ihre “Anmerkung” am Ende des Artikels noch einmal überarbeitet:

Anmerkung der Redaktion: Eine frühere Version dieses Artikels enthielt die Formulierung: “Der Sudan ist ein überwiegend muslimisches Land. Muslime hassen Juden. Ein Menschenleben ist dort nichts wert. Ein jüdisches umso weniger.” Für diese falsche Pauschalisierung bitten wir um Entschuldigung. Der Absatz wurde ersatzlos entfernt.

Hetzjagd in Chemnitz, Twitterleid, Goethes Vergewaltigungslyrik

1. Rechtsextreme wollten Migranten jagen
(tagesschau.de, Lena Kampf & Katja Riedel & Sebastian Pittelkow)
Im Zuge der Ausschreitungen in Chemnitz vor einem Jahr kam es zu Angriffen auf Migranten und vermeintliche Migranten. Damals entstand eine große mediale und politische Debatte darüber, ob es sich bei bestimmten Szenen um eine “Hetzjagd” gehandelt habe. Der damalige Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, stritt dies vehement ab. Nun wurden Chats von rechtsextremen Demonstrationsteilnehmern ausgewertet, die selbst den Begriff “Jagd” verwendeten.

2. “Ein bärtiger Sandalen-Hipster bringt die Zensur zurück nach Deutschland”
(sueddeutsche.de, Simon Hurtz)
Tom Hillenbrand erzählt über seine Erfahrungen mit dem Kurznachrichtendienst Twitter, der ihn wegen eines harmlosen Witzes gesperrt hat: “Twitter ist ein globaler Konzern und verhält sich wie eine schmierige Versicherungsbude. Es gibt zwar eine deutsche Geschäftsführung, aber keine Adresse, an die man Abmahnungen und Einstweilige Verfügungen schicken kann. Die versuchen bewusst, sich zu verstecken und ignorieren Entscheidungen deutscher Gerichte. Diese Erfahrung habe nicht nur ich gemacht. Das geht anderen gesperrten Nutzern genauso, die sich ebenfalls wehren. Dieses Unternehmen ist genauso seltsam wie sein Chef Jack Dorsey: Ein bärtiger Sandalen-Hipster, der in seiner Freizeit in einer eiskalten Kryo-Kammer rumsitzt, bringt die Zensur zurück nach Deutschland.”

3. Künstlerkollektiv gegen Goethe: “Das ist humoristische Vergewaltigungslyrik”
(bento.de, Fabian Schmidt)
Das Künstlerkollektiv “Frankfurter Hauptschule” kritisiert Goethes “humoristische Vergewaltigungslyrik” und hat das Gartenhäuschen des Dichters videowirksam mit Klopapier beworfen. Konkret geht es um das bekannte Werk “Heidenröslein”, in dem Goethe eine Vergewaltigung verharmlose. Dort heißt es in der letzten Strophe: “Und der wilde Knabe brach / ‘s Röslein auf der Heiden / Röslein wehrte sich und stach / Half ihm doch kein Weh und Ach, / Mußt’ es eben leiden.” “Bento” hat mit einem der Vertreter der Gruppe über die Aktion und ihren Hintergrund gesprochen.

4. Das Märchen von der Sogwirkung
(spiegel.de, Oliviero Angeli)
“Die wollen es sich bei uns bequem machen … Die kommen alle, weil Merkel sie eingeladen hat … Der UN-Migrationspakt wird eine Invasion auslösen … Seenotrettung lockt Flüchtlinge aufs Meer …” Politikwissenschaftler und Migrationsexperte Oliviero Angeli hat die beliebtesten Behauptungen von rechts einem Faktencheck unterzogen. Abspeichernswert für das nächste Gespräch mit dem Besorgtbürger von nebenan.

5. Radikalisierung durch YouTube? Großzahlige Studie zur Empfehlung rechtsextremer Inhalte
(netzpolitik.org, Leonhard Dobusch)
Um “Radikalisierungspfade” auf Youtube nachzuzeichnen, hat eine neue Studie die Empfehlungsalgorithmen des Netzwerks untersucht und dazu einen großen Datensatz mit 300.000 Videos, zwei Millionen Empfehlungen und 79 Millionen Kommentaren herangezogen. Das Fazit der Forscher: “Wir liefern starke Belege für Radikalisierung unter YouTube-Nutzern sowie dafür, dass YouTubes Empfehlungssystem das Entdecken von rechtsextremen Kanälen unterstützt, und das sogar in einem Szenario ohne Personalisierung.”

6. Lieber keine Journalisten-Fragen
(deutschlandfunk.de, Friedbert Meurer)
Es ist eine neue Taktik von rechtspopulistischen Politikern: Interviews mit der Presse ausweichen und stattdessen die eigenen Social-Media-Kontakte nutzen, um Informationen zu streuen. Auch Boris Johnson, neuer Premierminister des Vereinigten Königreichs, setzt auf diese Methode. Friedbert Meurer kommentiert: “Interviews können riskant sein für Politikerinnen und Politiker. Es kommt aber noch etwas Entscheidendes hinzu: im Zeitalter der sozialen Medien fragen sich Politiker immer mehr, warum sollen wir uns Interviews antun, wenn es doch auch anders, leichter und schneller geht?”

neu  

“Bild” (53) schreibt Amok

Am 4. Juni 2004 beispielsweise fuhr ein Mann in einer gepanzerten Planierraupe knapp anderthalb Stunden lang durch die US-amerikanische Stadt Granby, zerstörte dabei zahlreiche Gebäude, lieferte sich Feuergefechte mit der Polizei und tötete sich schließlich selbst. Am 24. April 2005 tötete ein Mann in Kassel mit seinem Auto vorsätzlich eine ihm unbekannte Frau auf dem Gehweg, verletzte ihren Begleiter und anschließend eine weitere Frau, rammte bei seiner Flucht mehrere Streifenwagen, fuhr gezielt auf Polizeibeamte zu und schließlich in eine Straßensperre, wobei er noch vier Polizisten verletzte, bevor er durch gezielte Schüsse am Kopf verletzt und festgenommen werden konnte.

Kurzum: Wann immer jemand “in einem anfallartig auftretenden Affekt- u. Verwirrtheitszustand mit Panikstimmung u. aggressiver Mord- u. Angriffslust blindwütig zerstörend u. tötend” unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht, kennt nicht nur das Große Duden-Fremdwörterbuch ein Wort dafür.

Was allerdings dergleichen mit einem tragischen Unfall in Hanau Klein-Auheim zu tun haben soll, weiß nur “Bild”. Denn nachdem am vergangenen Dienstag im hessischen Klein-Auheim eine Frau mit einem Lieferwagen auf den Gehweg einer Straße geraten war und dabei eine Schülerin schwer, eine andere tödlich verletzt hatte, titelte die Zeitung:

"Frau (49) fährt Amok"

Und der Unfallhergang las sich in “Bild” so:

“Wie ein Panzer walzte der graue Lieferwagen über den Gehweg. Schrammte Hauswände, knallte in geparkte Autos — und erfasste dann die beiden kleinen Mädchen. (…) Wie kam es zu der Amokfahrt?”

Für Polizeioberkommissar Wolfgang D. ist der “Bild”-Bericht allerdings “völlig unzutreffend”. Und D. sollte es wissen. Schließlich war er einer der fünf aufnehmenden Polizeibeamten des Unfalles und ist, wie er uns mitteilt, “äußerst verärgert, wie pietätlos die ‘Bild’-Zeitung mit diesem Unfall umging”, denn:

“Es handelte sich nicht um eine Amokfahrt.”

Zudem habe der Lieferwagen auf dem Bürgersteig nicht “Häuserwände” geschrammt, sondern eine Hauswand, er sei auch nicht in “geparkte Autos” geknallt, sondern habe einen geparkten Pkw gestreift — und wir müssen uns korrigieren:

Was der tragische Unfall in Hanau Klein-Auheim eigentlich mit einer Amokfahrt zu tun haben soll, weiß nicht einmal “Bild”. Denn in der Meldung selbst heißt’s über die Unfallverursacherin ausdrücklich und, soweit wir wissen, sogar sachlich richtig:

“[Sie] verlor aus unerklärlichen Gründen die Kontrolle (…)”.

Das Gegenteil von Anonymisieren

Schon oft haben wir hier darüber berichtet, dass die “Bild”-Zeitung wieder und wieder die Persönlichkeitsrechte von Menschen verletzt, indem sie ihrem Millionenpublikum Fotos präsentiert, die – irgendwo aufgetrieben – kaum oder gar nicht anonymisiert (mutmaßliche) Täter und Opfer von Straftaten zeigen.

Dabei es ist ja nicht so, dass “Bild” nicht wüsste, dass und wie man anonymisieren muss. Im Gegenteil. Wir zeigen hier mal beispielhaft die gängigsten Versionen:

Neuerdings jedoch benutzt “Bild” beim Herzeigen von Menschen, für deren Herzeigen es keinerlei Notwendigkeit gibt, auch eine neue Art der Nachbearbeitung.

Aktueller Fall: Eine Frau soll vor knapp 20 Jahren drei Babys zur Welt gebracht, möglicherweise nach der Geburt getötet und in der Tiefkühltruhe eingefroren haben. Ihr 18-jähriger Sohn habe die Babyleichen nun durch Zufall entdeckt. Da sei die Frau zur Polizei gegangen und festgenommen worden. Sie befinde sich in psychiatrischer Behandlung. Aus Ermittlerkreisen heißt, die Tat sei “im Grunde aufgeklärt” – evtl. sogar verjährt.

Und “Bild” hat ein Foto der Frau. Seit gestern vormittag zeigt sie es online. Als Quelle wird der “Bild”-Fotograf Stefano Laura genannt. Nachdem er das Exklusiv-Foto offenbar bei Nachbarn/Freunden/Verwandten beschafft hatte (auch das gehört zu den Aufgaben von “Bild”-Fotografen), war die “Bild”-Redaktion am Zug, musste entscheiden, ob sie die Abgebildete bei der Veröffentlichung unkenntlich macht oder nicht. Und entschied mal wieder: nicht.

Irgendwann im Laufe des Tages jedoch kam jemand bei “Bild” auf die Idee, das Foto auf Bild.de doch noch einmal grafisch nachbearbeiten zu lassen. Das Ergebnis wollen wir nicht zeigen, nur die Methode:

Die Nachbearbeitung fand also offensichtlich nicht aus Menschlichkeit statt, sondern aus unternehmerischem Kalkül: Wer das Foto aus dem Online-Angebot von “Bild” klaut benutzt, zeigt auch gleich die Quelle.

Immerhin: Wir haben verstanden und empfehlen daher allen, die unbedingt private Fotos von sich online stellen wollen, dies:

Mit Dank an die Hinweisgeber – und Philipp Neuhaus fürs Symbolfoto.

P.S.: Die gedruckte “Bild” zeigt das Foto der Frau auf der Titelseite und noch einmal groß im Artikel.

Bloß früher VI

Okay, als die “Bild”-Zeitung damals, im Januar 2007, ein Hochzeitsfoto des “im Irak verstümmelten US-Soldaten” Ty Ziegel und seiner Ehefrau Renée zeigte, war sie auch schon ein Vierteljahr zu spät dran. Aber immerhin schrieb “Bild” damals selbst, dass die Hochzeit bereits im Oktober 2006 stattgefunden hatte.

Am vergangenen Samstag schrieb “Bild” zwar wieder, dass Ziegel Renée “im Oktober 2006” geheiratet hatte, zeigte das Hochzeitsfoto von damals noch einmal, verkündete aber (unter Berufung auf das “Sunday Times Magazine”):

Ehe-Aus nach 15 Monaten

Dass allerdings der Artikel im “Sunday Times Magazine” bereits im Mai erschienen war, enthielt die “Bild”-Zeitung ihren Lesern ebenso vor, wie sie die Tatsache verschleierte, dass Ty und Renée (Oktober ’06 + 15 Monate) bereits seit Januar dieses Jahres geschieden sind. Soviel dazu.

Doch wer sich jetzt fragt, wieso “Bild” überhaupt erst sechs Monate nach der Scheidung und zwei Monate nach Erscheinen des “Sunday Times Magazine”-Artikels berichtete, hat vermutlich das aktuelle Magazin der “Süddeutschen Zeitung” noch nicht gesehen. Erschienen zwei Tage vor dem “Bild”-Artikel, findet sich darin als Titelgeschichte (siehe Abb.) eine Übersetzung des Originals vom Mai. Und auch dort heißt es natürlich unumwunden, dass sich die beiden bereits “im Januar 2008” hatten scheiden lassen.

Offenbar hat das “SZ-Magazin” aber ohnehin keiner bei “Bild” wenigstens halbwegs aufmerksam gelesen. Denn der “Bild”-Artikel endet mit den Worten:

Geweint hat Ty um Renée nicht. Er hat keine Tränenkanäle mehr.

Klingt krass, ist aber Quatsch.*

*) In “Sunday Times Magazine” und “SZ-Magazin” heißt es: “(…) Tyler neigt den Kopf nach links und schüttelt sich eine Träne aus dem Auge. ‘Mir fehlte der Tränenkanal, der die Flüssigkeit ablaufen lässt, also haben sie mir einen aus Glas eingesetzt’, erzählt er. ‘Aber mit dem bin ich nicht zurechtgekommen, da hab ich ihn wieder rausgezogen.’ Wenn ihm wie jetzt in der Kälte die Augen tränen, muss er den Kopf neigen, um die salzige Flüssigkeit ablaufen zu lassen. (…)” Ob Ty Ziegel um Renée geweint hat oder nicht, weiß erstaunlicherweise nur “Bild”.

“Endlich! Die BILD als Wahlkampfblatt für die AfD!”

Gestern hat der Bundestagswahlkampf richtig begonnen. Denn seit gestern steht auch das Wahlprogramm der “Bild”-Zeitung. Ja, doch, richtig gelesen: Die “Bild”-Zeitung hat jetzt auch ein Wahlprogramm:

Ausriss Bild - Das große BILD-Wahlrpgramm - Was sich endlich ändern muss - Rente! Steuern! Sicherheit!

Die Redaktion schreibt zu ihrer Aktion:

In zehn Wochen hat Deutschland die Wahl. CDU-Merkel oder SPD-Schulz? Kommen AfD und FDP in den Bundestag? Was wird aus Grünen und Linkspartei? Die Parteien bitten die Bürger um Vertrauen. Werben für ihre politischen Pläne. Aber die Programme bleiben seltsam blass. Darum erscheint heute das BILD-Wahlprogramm: mit Punkten, die besonders wichtig für Deutschland sind — und mit vielem, das die Parteien sich nicht trauen zu fordern oder erst gar nicht ansprechen. BILD ist keine Partei — aber das BILD-Wahlprogramm soll zeigen, worum es gehen muss bei der Bundestagswahl am 24. September.

Fast auf einer kompletten Doppelseite präsentiert “Bild” die Punkte, “die besonders wichtig für Deutschland” sein sollen:

Ausriss Bild - Übersicht zur Doppelseite mit verschiedenen Wahlprogrammpunkten

Die einzelnen Themenschwerpunkt sind immer gleich aufgebaut: Das empörte “ES KANN DOCH NICHT SEIN …” leitet alles ein. Dann folgt eine These, die “Bild” als Tatsache verkauft. Und ein Satz, der mit “Darum” anfängt, erklärt, wie alles besser werden kann.

So sieht das dann zum Beispiel aus:

Ausriss Bild - Sicherheit - ... dass Täter in Deutschland ungeschoren bleiben. Darum gilt: Existiert von einer Straftat Videomaterial aus Überwachungskameras, wird es sofort zu Fahndungszwecken veröffentlicht. Gefasste Schläger und Diebe kommen binnen sieben Tagen vor Gericht. Die dazu nötigen Richter und Ermittler werden eingestellt.

Schaut man sich die 25 Wahlprogrammpunkte an, stellen sich einem gleich mehrere Fragen. Etwa: Warum fordert “Bild” etwas, das längst beschlossen ist?

Ausriss Bild - Wirtschaft und Verbraucher - ... dass Internet-Riesen wie Facebook und Google uns nicht sagen müssen, was sie über uns wissen. Darum wird den Bürger ein umfassender Anspruch auf Auskunft eingeräumt.

In Paragraph 34 des Bundesdatenschutzgesetzes ist die “Auskunft an den Betroffenen” geregelt. Außerdem gilt ab dem 25. Mai 2018 die Datenschutz-Grundverordnung der Europäischen Union, in der die Auskunftsrechte auch noch einmal geregelt werden.

Man fragt sich auch — vorausgesetzt, es handelt sich um ein ansatzweise ernst gemeintes Gesamtpaket von “Bild”: Hat irgendjemand an eine mögliche Finanzierung gedacht? Oder sind das alles nur platte populistische Parolen? Die “Bild”-Redaktion ist sonst immer vorne mit dabei, wenn Politiker und Parteien für realitätsferne Wahlversprechen kritisiert werden. Erst heute bezeichnete sie Martin Schulz’ “Chancen-Konto” als “heiße Luft”, auch weil es “schlicht unbezahlbar” sein könnte. Wenn sie aber selbst mal ein Wahlprogramm aufstellt, scheint alles auf einmal möglich: “Bild” fordert eine staatliche Entschädigung für jeden, bei dem mehr als einmal eingebrochen wurde. “Bild” fordert kostenlose Klassenfahrten für alle Schüler in Deutschland. “Bild” fordert deutschlandweite Vollversorgung mit Breitband-Internet. “Bild” fordert eine kostenlose Nachbesserung für jedes Euro-5-Diesel-Auto. “Bild” fordert mehr Richter und Ermittler. “Bild” fordert einen Rechtsanspruch auf Ganztags-Betreuung für Grundschüler. “Bild” fordert einen staatlich finanzierten Aufschlag auf die Rente, wenn Rentner sich freiwillig engagieren. “Bild” fordert Erklär-Sprechstunden im Finanzamt. “Bild” fordert mehr Material für die Bundeswehr. “Bild” fordert mindestens 20.000 zusätzliche Polizisten. “Bild” fordert aber auch Steuer-Rückerstattungen.

Vor allem aber fragt man sich: Haben an dem “Bild”-Wahlprogramm Vertreter der AfD mitgeschrieben? Nur ein paar Beispiele: Asylsuchende und Zuwanderer sollen sich “nach unseren Regeln richten”. Burka-Verbot für hier lebende Menschen. Ausreisepflicht für Touristinnen in Burka. Flüchtlingsströme aus Afrika stoppen. “GEZ-Gebühren” kürzen. Ein dreimonatiger “Dienst am Gemeinwesen”, um “dem eigenen Land zu dienen”.

Und die AfD? Die jubelt angesichts dieser gestern millionenfach gedruckten Steilvorlage durch “Bild”. Die Bundespartei twittert:

Tweet der AfD Bund - Hallo Bild, nahezu alles hier findet sich im AfD-Wahlprogramm

Auch der Berliner Landesverband findet die “Bild”-Aktion ganz toll:

Tweet der AfD Berlin - So schnell kann es gehen: Das Bild-Wahlprogramm liest wie das der AfD. Gut gemacht

Und Uwe Junge, Landes- und Fraktionsvorsitzender der AfD in Rheinland-Pfalz, scheint ganz erleichtert zu sein, nachdem er schon so lange auf die Schützenhilfe durch “Bild” gewartet hat:

Tweet von Uwe Junge - Endlich! Die BILD als Wahlkampfblatt für die AfD! Unser Programm in BILD veröffentlicht!

Video-Verifikation, Schlecky Silberstein, YouTube-Journalismus

1. Das “Chemnitz-Video”: Welche Tools helfen bei der Verifikation?
(innovation.dpa.com, Stefan Voß)
Immer wieder laden Augenzeugen Videos auf Twitter und Co. hoch. Dürfen derartige Videos von Journalisten als Informationsquelle verwendet werden, auch wenn die Urheber anonym bleiben? Ja, aber die Filmaufnahmen müssen verifiziert werden. Anhand des berühmten “Chemnitz-Videos” stellt dpa-Faktenchecker Stefan Voß einige Verifikationstechniken vor.

2. Silberstein: “Man kann sich gar nicht dagegen wehren”
(dwdl.de, Alexander Krei)
Der Satiriker und Blogger Schlecky Silberstein hat für “Funk”, das Junge-Leute-Content-Netzwerk von ARD und ZDF, eine Parodie auf die Ereignisse in Sachsen gedreht und ist dadurch ins Visier der AfD geraten. Inklusive Nachstellungen und Morddrohungen. “DWDL” hat mit ihm über Filterblasen, Angst und Kunstfreiheit gesprochen.
Weitere Lesehinweise: Auf seiner eigenen Seite hat Silberstein über die Ereignisse geschrieben: Ein Hauch von ’33 — und plötzlich stehen sie vor deiner Tür.
Und auch “Spiegel Online” hat mit ihm gesprochen.

3. Ganz neue Töne
(sueddeutsche.de, Stefan Fischer)
Auch das öffentlich-rechtliche Radio will vom Podcast-Boom profitieren und produziert Dokuserien, die sowohl klassisch ausgestrahlt als auch über Audiotheken oder Podcast-Plattformen wie Apples iTunes und Spotify verbreitet werden. Stefan Fischer ordnet die Entwicklung ein und stellt einige neugierig machende fiktionale und non-fiktionale Produktionen vor.

4. Ken Jebsen und das Establishment
(medienblog.hypotheses.org, Michael Meyen)
Michael Meyen ist seit 2002 Professor für Allgemeine und Systematische Kommunikationswissenschaft an der LMU München. Unlängst hat er Ken Jebsen ein Interview auf dessen Kanal “KenFM” gegeben. Einige seiner Freunde und Kollegen hätten darauf mit Unverständnis und Kritik reagiert (“Motto: Hat er sie noch alle?”). In einer Stellungnahme erklärt Meyen seine Beweggründe und betreibt “etwas Werbung für Toleranz und guten Journalismus.

5. “STRG_F”: Journalismus auf YouTube
(message-online.com, Anna Neumann & Sebastian von Hacht)
Um jüngere Zuschauer zu gewinnen, setzen ARD und ZDF auf spezielle Youtube-kompatible Angebote, die sie unter dem Netzwerklabel “Funk” bündeln. Eines dieser Angebote nennt sich “Strg-F” und beschäftigt sich mit Themen, die vor allem 20- bis 29-Jährige politisch und gesellschaftlich berühren. Das Journalismus-Magazin “Message” fragt, ob das gut gehen kann.

6. “Das sind gezielte Angriffe”
(taz.de, Meike Laaf)
Die österreichische Extremismus- und Terrorismusforscherin Julia Ebner arbeitet derzeit am Londoner Institute for Strategic Dialogue. Im Interview mit der “taz” erklärt Ebner, wie Rechtsextreme Falschinformationen im Netz verbreiten und auf welche Themen sie bevorzugt setzen.

“Bild” meldet falsche “Messer-Attacke” auf Karamba Diaby

Nachricht 1: Auf das Bürgerbüro des SPD-Bundestagsabgeordneten Karamba Diaby in Halle (Saale) wurde geschossen.

Nachricht 2: Das Land Nordrhein-Westfalen präsentiert die “Gesamtjahresbilanz der Messerstraftaten 2019” (PDF).

Auf der “Bild”-Titelseite von heute kommen beide Nachrichten vor:

Ausriss Bild-Titelseite - großes Titelthema: Messer-Gewalt immer schlimmer! Neue, erschreckende Zahlen - Innenminister warnt - Polizisten schlagen Alarm - Opfer sprechen in Bild - Heute große Sondersendung bei Bild.de

… wobei die “Bild”-Redaktion die “immer schlimmere” “Messer-Gewalt” offenbar für ein deutlich größeres Thema hält als den Angriff mit einer Schusswaffe auf das Büro eines gewählten Parlamentariers — allein das Wort “Messer-” ist größer als die gesamte Meldung zu Karamba Diaby auf Seite 1. (Dazu muss auch noch sagen, dass nur die aktuellen Zahlen aus Nordrhein-Westfalen die These “immer schlimmer” nicht stützen beziehungsweise gar nicht stützen können: Sie wurden zum ersten Mal erhoben, Vergleichswerte aus den Vorjahren gibt es nicht. Außerdem heißt “Messerstraftaten” nicht, dass es sich automatisch um “Messer-Gewalt” im Sinne von Gewaltdelikten handelt.)

In der auf der Titelseite angekündigten “großen Sondersendung bei Bild.de” hat die Redaktion es dann leider nicht geschafft, die zwei Nachrichten, die nichts miteinander zu tun haben, auseinanderzuhalten. Auf einmal meldet “BILD LIVE”, dass es eine “Messer-Attacke auf SPD-Politiker Karamba Diaby” gegeben habe:

Screenshot Bild.de - Willkommen zu Bild live - Messer-Attacke auf SPD-Politiker Karamba Diaby - 6827 Messer-Taten in NRW 2019

Was kann schon schiefgehen, wenn “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt seine TV-Pläne erfolgreich umsetzen sollte und mit dieser grottenschlechten Berichterstattung 40 Millionen Menschen erreicht?

Mit Dank an @papalaeuft, @BehluelCevikel und @BergChris1 für die Hinweis!

AfD vs ARD, “E-Mail ist die neue Homepage”, Weinsteins Schuld

1. Jubel und Ausladung: ARD wehrt sich gegen AfD-Vorwürfe
(uebermedien.de, Jürn Kruse)
Haben sich bei der ARD-Wahlberichterstattung tatsächlich “Kameramann und Regieassistent vor Freude in die Hose gemacht”, als die schlechte AfD-Prognose bei der Wahl in Hamburg eingeblendet wurde? Dies behaupten jedenfalls verschiedene Abgeordnete der Partei. Jürn Kruse ist für “Übermedien” der Behauptung nachgegangen, die sich, so viel sei bereits verraten, als falsch herausstellt.
Weiterer Lesehinweis: RTL-Reporterin bejubelt Hamburg-Wahlergebnis: Darf sie das? (rnd.de, Matthias Schwarzer).

2. Geschworene sprechen Harvey Weinstein schuldig
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Ex-Filmmogul Harvey Weinstein ist von einem Geschworenengericht wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung schuldig gesprochen worden. Ihm drohen nun mehrere Jahre Haft. Von einem der schwerwiegendsten aller Anklagepunkte, dem “raubtierhaften sexuellen Angriff”, wurde er jedoch freigesprochen. Bei Spiegel.de kommentiert Milena Hassenkamp: “Der Fall Weinstein belegt in mehrfacher Hinsicht, dass das amerikanische Justizsystem Frauen nicht ausreichend vor männlicher Gewalt schützt. Zunächst taten sich die Staatsanwälte in New York schwer damit, eine Anklage aufzubauen, da manche der Taten verjährt waren, Frauen nicht aussagen wollten, oder Fälle außerhalb des Bundesstaates stattgefunden hatten. Dann war es schwer, mehrere Frauen zu finden, deren Geschichten ausreichend glaubwürdig waren — und am Ende scheiterte das entscheidende Urteil genau daran.”

3. Kostenlose Stockfotos finden – gute Quellen und Tipps
(netzpiloten.de, Moritz Stoll)
Wer einen Blog oder eine Internetseite betreibt oder auf Social Media engagiert ist, weiß um die Wichtigkeit von professionellen Bildern zur Hervorhebung und Illustration der Beiträge. Doch woher nehmen und nicht stehlen? Moritz Stoll führt einige Quellen für lizenzfreie Fotos auf und gibt Tipps zu Einsatz und Verwendung.

4. “E-Mail ist die neue Homepage” – über bessere Newsletter
(dirkvongehlen.de)
Die schon oft totgesagte E-Mail erlebt eine Renaissance sondergleichen und zwar in der Gestalt des per Mail versandten Newsletters. Dirk von Gehlen geht dem Phänomen nach und widmet sich auf briefingbriefing.de aus journalistischer Perspektive der Frage, wie man erfolgreiche Newsletter erstellt.

5. Was Sie jetzt über den Fall Julian Assange wissen sollten
(zeit.de, Meike Laaff)
Meike Laaff beantwortet in einem kompakten, aber gründlichen und mit vielen Quellen und Lesehinweisen gespickten FAQ die wichtigsten Fragen zum Fall Julian Assange: Was genau wird dem Wikileaks-Gründer vorgeworfen? Welche Strafe droht ihm? Warum könnte die Sache zum Präzedenzfall für die Pressefreiheit werden?

6. Stefan Brink meint es ernst mit dem Datenschutz
(netzpolitik.org, Lucia Parbel)
Viele Behörden nutzen Soziale Netzwerke, um Bürger und Bürgerinnen zu informieren. Sie sind Teil der behördlichen Öffentlichkeitsarbeit. Auch Stefan Brink, der Landesdatenschutzbeauftragte von Baden-Württemberg, tat dies über einen Twitter-Account, den er jedoch mittlerweile gelöscht habe. Eine weitere Nutzung sei mit der seit 2017 geltenden Richtlinie für die behördliche Nutzung von Social Media nicht vereinbar. Im Gespräch mit Netzpolitik.org rät Brink allen Behörden, es ihm gleich zu tun und ihre Social-Media-Praxis hinsichtlich Transparenz und Datenschutz zu überprüfen: “Für Behörden dürfte es eigentlich nicht überraschend sein, dass man sich an bestimmte Regeln hält, aber offensichtlich müssen viele das neu lernen.”

TV-Chronik des Wahlabends, “Bild” mopst Material, Sievers nach Kleber

1. Zahlengewitter, Sauflieder – und wer weckt Jörg Schönenborn? Die TV-Chronik des Wahlabends
(rnd.de, Imre Grimm)
Imre Grimm hat sich siebeneinhalb Stunden durch das Wahlfernsehen gezappt und anschließend eine TV-Chronik des vergangenen Wahlabends verfasst. Gleich zu Beginn hat er sich einer besonderen Herausforderung gestellt und “Bild TV” eingeschaltet: “17.24 Uhr. Thomas Gottschalk, der große alte Mann der Politberichterstattung, verrät beim ambitionierten Newcomer Bild TV (Marktanteil: 0,1 Prozent) wortreich nicht, wen oder was er gewählt hat. Politexperte Oliver Pocher kommentiert den Stimmzettel-Fauxpas von Laschet: ‘Das war dumm.’ Substanzieller wird es an diesem Abend an diesem Ort nicht mehr.”

2. “Bild”-Berichterstattung könnte Konsequenzen haben
(t-online.de, Steven Sowa)
“Bild” schießt gerne gegen die öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF, und mit “Bild TV” hat die Redaktion seit etwa einem Monat sogar einen eigenen TV-Kanal am Start. Am Wahlabend bediente sich “Bild TV” jedoch bei ARD und ZDF. War die Übernahme des fremden Sendematerials rechtens oder abgesprochen? Zumindest von der ARD habe es keine Genehmigung dafür gegeben, hat t-online.de herausgefunden. Wie sich der Sachverhalt beim ZDF darstellt, sei derzeit noch unklar.

3. Taliban-Medienregeln bedrohen Journalisten
(reporter-ohne-grenzen.de)
Reporter ohne Grenzen ist zutiefst beunruhigt über die “Elf Regeln für den Journalismus”, die die Taliban bei einem Treffen mit Medien angekündigt haben. Sie seien vage formuliert, gefährlich und könnten zur Verfolgung von Journalistinnen und Journalisten genutzt werden: “Für die Zukunft der journalistischen Unabhängigkeit und der Medienvielfalt in Afghanistan verheißen die Taliban-Medienregeln nichts Gutes. Anstatt einen Schutzrahmen zu schaffen, der es Journalistinnen und Journalisten ermöglicht, unter zumindest akzeptablen Bedingungen weiterzuarbeiten, zementieren sie Grundsätze und Methoden, die der journalistischen Praxis widersprechen und Raum für eine höchst repressive Auslegung lassen.”

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4. 20 Jahre Netzwerk Recherche – das Magazin zum Jubiläum
(netzwerkrecherche.org)
Die Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche setzt sich für investigativen Journalismus, Informationsfreiheit und die Vermittlung von Recherchetechniken ein. Zum zwanzigjährigen Bestehen gibt es ein Magazin, in dem die Vereinigung sowohl zurück als auch nach vorne schaut: “Handwerk & Haltung” bietet wertvolle Beiträge für alle Journalismus-Interessierten und ist kostenlos als PDF verfügbar. Runterladen lohnt sich!

5. Justizministerium geht gegen rechte Social-Media-Seite vor
(spiegel.de, Max Hoppenstedt)
Das Bundesjustizministerium hat nach Informationen des “Spiegel” ein Bußgeldverfahren gegen die rechte Social-Media-Seite gab.com eröffnet. Im Kern geht es um die unterbliebene Nennung eines Zustellungsbevollmächtigten im Inland, was von der Plattform weiterhin abgelehnt werde. Das Bundesamt für Justiz habe einen Bußgeldbescheid in Höhe von 30.000 Euro erlassen und an die US-amerikanischen Betreiber des Unternehmens geschickt. Bei gab.com werde der Holocaust geleugnet und gegen Juden gehetzt.

6. Der Mann, der Claus Kleber beerbt
(sueddeutsche.de, Claudia Tieschky)
Christian Sievers übernimmt zum Jahresende das “heute journal” von Claus Kleber, der in den Ruhestand geht. Die “Süddeutsche” stellt den neuen Mann vor, der bereits auf ein bewegtes Reporterleben zurückblicken kann und als langjähriger Nahost-Korrespondent des ZDF vom Studio Tel Aviv aus gearbeitet hat.

Ist “Bild” toxisch?, Verrat am Journalismus, Ungeimpft-Inserate

1. Wie gefährlich ist Bild?
(journalist.de, Michael Kraske)
Ist “Bild” toxisch? Michael Kraske beschäftigt sich in einer ausführlichen Analyse mit der Entwicklung der “Bild”-Medien in den vergangenen Jahren. Er hat dazu bei Medienwissenschaftler Volker Lilienthal und dem aktuellen “Bild”-Chef Johannes Boie nachgefragt. Der ebenfalls um eine Stellungnahme gebetene Springer-Chef Mathias Döpfner wollte nicht antworten, was Kraske wie folgt kommentiert: “Döpfners Wort hat Gewicht. Er hat eine doppelte Vorbildfunktion, weil er eben nicht nur der Kopf des Springer-Verlags, sondern auch der journalistischen Medienhäuser im Land ist. Döpfner lässt über einen Sprecher mitteilen, dass er es vorzieht, die journalist-Anfrage nicht zu beantworten. Das sagt dann auch einiges.”

2. Erst Dummheit, dann Mutwillen
(taz.de, Silke Burmester)
Das Verlagshaus Gruner + Jahr geht in den Medienkonzern RTL auf. Für Silke Burmester Anlass für eine ganz persönliche Schlussbetrachtung: “Ich habe mich über die Jahre an Gruner + Jahr abgearbeitet. In meiner taz-Kolumne ‘Die Kriegsreporterin’ verging kaum eine Woche, in der ich nicht etwas aufgespießt habe, das für die leise Verabschiedung vom hehren Journalismus stand. Es sind nicht einmal die Hitler-Tagebücher, die ich dem Verlag ankreide. Das hätte wohl jedem der Häuser passieren können. Nein, was ich dem Verlag bzw. seinen Verantwortlichen übel nehme, ist der Verrat am Journalismus, den das Haus begangen hat. Zunächst durch Dummheit, dann durch Mutwillen.”

3. Stellengesuche ungeimpfter Pflegekräfte führen ins Leere
(rbb24.de, Andreas Rausch)
“Ich dachte, das ist ja krass …” Als Andreas Rausch ein Bautzener Anzeigenblatt in die Hände nahm, entdeckte er darin mehr als einhundert angebliche Stellengesuche von impfunwilligen Angehörigen der Gesundheitsberufe. Er beschließt, der Sache auf den Grund zu gehen, und versucht in mehreren Fällen, die Männer und Frauen, die die Inserate geschaltet haben sollen, anzurufen. Doch die angegebenen Nummern sind entweder nicht vergeben oder es ist dauerbesetzt oder es folgen anonyme Mailbox-Ansagen.
Weiterer Lesetipp: Laut Lars Wienand tritt dieses Phänomen auch in anderen Städten auf: Ungeimpfte: Der große Schwindel mit Stellengesuchen (t-online.de).

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4. Wenn Internetwerbung Demokratie gefährdet
(verdi.de, Bärbel Röben)
Der Werbeexperte Thomas Koch ist auf der digitalen “Konferenz zur Medienzukunft” mit der Werbebranche ins Gericht gegangen. Fünf Prozent aller Werbegelder deutscher Unternehmen würden auf Websites wie dem rechtsextremistischen “Breitbart”-Portal landen. Damit würden die Firmen sowohl den guten Ruf der Marke als auch die Demokratie gefährden. Bärbel Röben fasst die Erkenntnisse und Schlussfolgerungen Kochs zusammen, der Mitgründer der Kampagne “StopFundingHateNow” ist.

5. Sie sind so frei
(sueddeutsche.de, Jürgen Schmieder)
Jürgen Schmieder berichtet über die Übernahme der “Chicago Sun-Times” durch die Non-Profit-Organisation Chicago Public Media. Der Vorgang zeige, dass US-amerikanischen Medien eine Chance haben können, ohne Milliardär-Mäzen oder Hedgefonds zu überleben: “Der Deal, dessen Einzelheiten wie zum Beispiel Kaufpreis noch nicht bekannt sind, dürfte nicht nur die Medienlandschaft in Chicago verändern, sondern auch höchste Aufmerksamkeitswellen durch die komplette Branche senden.”

6. US-Behörden ermitteln nach Flugzeugabsturz von YouTuber
(spiegel.de, Jörg Breithut)
Es deutet vieles darauf hin, dass ein US-amerikanischer Youtuber Ende November absichtlich einen Flugzeugabsturz herbeigeführt hat, den er wie einen Unfall aussehen lassen wollte. Experten im Netz haben dafür jedenfalls einige Hinweise gefunden. “Spiegel”-Autor Jörg Breithut hat sowohl das Absturzvideo als auch ein skeptisches Reaktionsvideo in seinen Artikel eingebettet.

Künasts Sieg, Nötige ARD-Reformen, “Maskenpflicht, kennste kennste?”

1. Facebook muss mehr als gemeldete Inhalte löschen
(netzpolitik.org, Anna Biselli)
Die frühere Bundesministerin Renate Künast hat vor Gericht einen Sieg gegen Facebooks Mutterkonzern Meta errungen. Das Soziale Netzwerk muss nun nicht nur ein Ursprungs-Falschzitat über Künast löschen, sondern auch alle Dubletten und sinngleichen Varianten entfernen. Juristisch unterstützt wurde Künast von der Organisation “HateAid”, die dazu auch eine eigene Presseerklärung (PDF) herausgegeben hat.

2. From Russia with Lies
(tagesschau.de, Svea Eckert & Lena Kampf)
Facebook steht auch an anderer Stelle in der Kritik: Falschnachrichten, etwa über die Gräueltaten im ukrainischen Butscha, würden sich dort rasant verbreiten. Der Konzern komme seinen Moderations- und Löschpflichten nicht in ausreichendem Maß nach. Die Facebook-Whistleblowerin Frances Haugen sieht ein zusätzliches Problem: “Die Algorithmen geben den extremsten Positionen die größte Reichweite. Man kann das Absurdeste behaupten, aber weil Menschen damit interagieren, wird es weiter verbreitet. Wenn man allerdings etwas Ausgewogenes, Tiefgründiges schreibt, um die Lügen zu widerlegen, wird es nie die gleiche Menge an Menschen erreichen.”

3. Ganz konkret, Frau Schlesinger: Was sich an der ARD ändern muss
(dwdl.de, Peer Schader)
Peer Schader beklagt die seiner Ansicht nach bestehende Reformscheu bei der ARD. Diese zeige sich besonders im Unterhaltungsbereich. Schader liefert dafür zwei Beispiele: die von Barbara Schöneberger übernommene Prank-Show “Verstehen Sie Spaß” sowie die neu aufgelegte Schmunzelkrimi-Reihe “Mord mit Aussicht”.

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4. “Gen­ders­tern­chen immerhin ein Anfang”
(lto.de, Hasso Suliak)
Die Verfassungsrechtlerin Anna Katharina Mangold plädiert für eine geschlechtergerechte Sprache im Justizwesen: “Ich meine, das Bundesjustizministerium sollte mit gutem Beispiel vorangehen und das Handbuch der Rechtsförmlichkeit anpassen. Dieses hat den Charakter einer Verwaltungsvorschrift und würde die Ressorts dazu verpflichten, Gesetze geschlechtergerecht zu formulieren. Dort steht bislang nur, dass Gesetze ‘geschlechtssensibel’ formuliert werden müssen. Was auch immer das heißt.”

5. Und alle so: Hä?
(horstson.de, Sascha Pietsch)
Russische Influencerinnen haben öffenlichtlichkeitswirksam auf Instagram ihre Chanel-Handtaschen zerschnitten, darunter auch die Schauspielerin Victoria Bonya. Modeblogger Sascha Pietsch kommentiert: “Warum Bonya ausgerechnet ihre Chanel-Handtasche zerstört, statt den Rolls-Royce, vor dem sie in Monaco wenige Tage später posierte, mit einem Hammer bearbeitet, erschließt sich dem Betrachter nicht. Stattdessen bleibt ein Gefühl zurück, dass sich am besten mit ‘Hä?’ beschreiben lässt.”

6. Comedian Mario Barth wird aus ICE geworfen
(tagesspiegel.de)
Der Berliner Comedian Mario Barth hat sich anscheinend geweigert, in einem ICE eine Maske aufsetzen, und wurde von der weiteren Fahrt ausgeschlossen. Barth hat aus dem Vorgang ein 45-minütiges Empörungsvideo gemacht und auf Social Media veröffentlicht. Die knappe Antwort der Bahn: “Maskenpflicht in unseren Zügen, kennste kennste?”

Happy Birthday!

Wir wissen auch nicht, warum der Downloadanbieter “Musicload” von T-Online es heute trotz seines ersten Geburtstages nicht (wie sonst in solchen Fällen üblich) in die “Gewinner”-Rubrik von “Bild” geschafft hat, obwohl “Musicload” über das gemeinsame Angebot bild.t-online quasi mit “Bild” verschwägert ist. Wir wissen aber, dass solche Werbung für befreundete oder verwandte Unternehmen unabhängige Berichterstattung in “Bild” ja nicht auf die Rubrik “Gewinner/Verlierer des Tages” beschränkt ist.

Und so schaffte es die Meldung, dass “Musicload” als PR-Geburtstags-Aktion über tausend Titel für je einen Cent anbot, auf die Seite 1 der “Bild”-Zeitung — eine freundliche Geste, die sicherlich mit dazu beitrug, dass der Server unter dem Ansturm der Nutzer prompt zusammenbrach.

Außer auf der ersten Seite fand “Bild” auch noch auf der letzten Seite Platz für einen Hinweis auf “Musicload”, in der Kolumne “Ich weiß es!” von Christiane Hoffmann:

Die coolste Party gab’s in Berlin — zum 1. Geburtstag des Internetportals “Musicload” von T-Online im “China Club”. Nur 50 Very-Wichtige, z. B. Nena, Heiner Lauterbach. Lässig!

Weitere dieser “Very-Wichtigen” nennt die “Welt”:

Dagmar Siegel (ebenfalls Geburtstagskind) mit Partner Karlheinz Kögel (media control, L’Tur), Burda-People-Group-Geschäftsführer Philipp Welte mit Gattin, die Schauspielerin Judy Weiss, BILD-Chef Kai Diekmann mit Ehefrau Katja Keßler

In der “Welt” steht übrigens noch diese nette kleine Geschichte:

Bei Ankunft einer ungefähr zwei Quadratmeter großen Torte sang [Nena] “Happy Birthday”. “Alle Gäste stimmen mit ein” war auf dem Programmablauf des Abends zu lesen, woran sich aber nicht “alle” hielten.

Na, immerhin: “Bild” hat sich dran gehalten.

Nachtrag, 17.00 Uhr: Ganz übersehen — auch in “Bild” sind der “Bild”-Chefredakteur und seine Gattin beim “Musicload”-Party-Besuch abgebildet.

Porno-Uschi

Dies ist die wunderbare wahre Geschichte einer großen deutschen Schauspielerin, der es ganz ohne eigenes Zutun gelang, die Welt ein bisschen besser zu machen.

Ihr Name ist Uschi Glas, und dieser Name wird, wenn sie Glück hat, für immer damit verbunden sein, dass Kinder in Deutschland nicht mehr so einfach Zugang zu pornografischem Material bekommen. Im vergangenen Jahr ging die Justiz nämlich gegen Anbieter von Sexseiten vor, die als einzigen Nachweis der Volljährigkeit verlangten, die Nummer des Personalausweises eines Erwachsenen einzugeben. Wie unzulänglich dieser Schutz ist, bewies die Polizei dadurch, dass sie die Nummer des Personalausweises von Uschi Glas eingab. Der war bei einem Zeitschriftenartikel, in dem es um ganz etwas anderes ging, abgebildet worden.

Mit Hilfe der öffentlich zugänglichen Daten von Uschi Glas konnten die Ermittler das Kammergericht Berlin überzeugen, dass dieser Schutz nicht ausreichend ist. Anbieter pornografischer Seiten müssten für eine effektivere Kindersicherung sorgen, urteilte das Gericht, sonst könnten sie wegen Verbreitung pornografischer Schriften verurteilt werden.

Uschi Glas könnte sich freuen. Tut sie aber nicht. Sie verklagt laut “Bild” die Polizei Berlin wegen Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte auf 20.000 Euro Schmerzensgeld. Vielleicht hat sie nicht verstanden, was da passiert ist. Sie sagt, laut “Bild”: “Meine Personalien wurden auf Porno-Seiten gespeichert. Was ist, wenn damit noch weiter Schindluder getrieben wird?” Okay, sie hat nicht verstanden, was da passiert ist.

Genau wie die “Bild”-Zeitung. Die nennt das Vorgehen der Polizei, das zur Verbesserung des Jugendschutzes führte, einen “unglaublichen Behördenskandal”. Sie nennt allerdings die Pornoseiten auch “widerliche Sex-Seiten”, obwohl es sich vermutlich nur um ganz normale Sex-Seiten handelt. Aber im vergangenen Jahr hatte “Bild” in einem Bericht über das Urteil ja bereits geschrieben, es handle sich um “widerliche Kinderpornos”, was frei erfunden und falsch war.

Jetzt schreibt “Bild” noch, dass Uschi Glas “nur durch Zufall erfuhr, daß ihre Daten von der Polizei auf Porno-Seiten verwendet werden”. Nun ja, sie hätte es statt “durch Zufall” schon im Oktober 2004 aus vielen, vielen Zeitungen erfahren können, unter anderem der “Bild”-Zeitung. Aber jetzt, ein gutes halbes Jahr später, ist sie laut “Bild” immer noch geschockt. Und wütend. Und traurig. Und tief verletzt.

Das Schlimmste sei, sagt der Anwalt von Uschi Glas laut “Bild”-Zeitung, dass der Name seiner Mandantin mit schmutzigen Sex-Seiten in Verbindung gebracht wurde. Das sei für ihren Ruf eine Katastrophe.

Gut, dass beide anscheinend mit der “Bild”-Zeitung geredet haben, um das zu klären. Damit keiner mehr auf die Idee kommt, Uschi Glas mit schmutzigen Sex-Seiten in Verbindung zu bringen, hat die “Bild am Sonntag” ihren Namen einfach mal groß auf die Seite 1 neben das Wort “Porno-Prozess” geschrieben:

PORNO-PROZESS: Uschi Glas verklagt Polizei

Und im Inneren steht neben ihrem Gesicht und Namen der Begriff:

PORNO-AFFAIRE

Da wird sich Uschi Glas aber freuen, wenn sie zufällig davon erfährt.

Jetzt spricht Kubica auch in BILDblog

Lange, womöglich stundenlang, hatten die Reporter gestern vor dem “Hôpital du Sacrè-Coeur” in Montreal gewartet und gewartet — und dann, endlich, kurz nach 18 Uhr (MESZ), erschien der polnische Formel-1-Pilot Robert Kubica, der tags zuvor einen spektakulären Unfall überlebt hatte, in der Eingangstür.

Bereits eine Stunde vorher hatte die Nachrichtenagentur dpa angekündigt, Kubica werde offenbar alsbald aus dem Krankenhaus entlassen, und sogar einen ersten (laut dpa “von BMW so übermittelten”) O-Ton vermeldet:

“Mir geht es gut. Mir tut nichts weh. Vielen Dank an die ganze medizinische Betreuung an der Strecke und im Krankenhaus”, sagte der Pole am Montag. Der BMW-Fahrer kündigte an: “Nun fliege ich nach Indy und will Rennen fahren.”

Dann aber stand er endlich da vorm Krankenhaus. Und wenig später meldete die Nachrichtenagentur Reuters, was Kubica den wartenden Reportern in die Mikrofone, Diktafone und TV-Kameras gesagt hatte:

“As you see I’m quite in good shape and I’m hoping (to be) going to Indianapolis if the doctors will say OK for my driving,” Kubica told reporters outside Montreal’s Sacre-Coeur Hospital. “I feel very good. I was very lucky — big accident, but fortunately, nothing hurt.”

Und Kubicas Arbeitgeber BMW zitierte ihn anschließend sogar in einer Pressemitteilung [pdf] mit ganz ähnlichen Worten:

“Ich habe keine Schmerzen, und es geht mir gut. Ich möchte mich bedanken für die rundum gute medizinische Betreuung, die große Aufmerksamkeit und die guten Wünsche, die ich bekommen habe. Mario Theissen und andere Teammitglieder haben mich besucht, und bei Jarno Trulli möchte ich mich auch für seinen Besuch bedanken. Ich freue mich, dass ich das Krankenhaus so schnell wieder verlassen konnte und werde mich nun auf das Rennen in Indianapolis vorbereiten.”

So, und nun zu “Bild”.

Denn in einer Art Vorabmeldung hieß es bereits gestern auf Bild.de:

"Nach Horror-Crash (...) spricht BMW-Pilot Kubica in BILD"

“Mir geht es gut. Mir tut nichts weh. Danke an die medizinische Betreuung und an Jarno Trulli, der mich hier in der Klinik besucht hat.” (…) Nur wenige Stunden nach seinem Horror-Crash beim Großen Preis von Kanada in Montreal sprach der Pole mit BILD*. (…) Kubica zu BILD*: “Ich fliege jetzt nach Indy und möchte Rennen fahren.”

Und in der heutigen Printausgabe legt “Bild” noch einmal nach:

Kubica sprach vor der Klinik ganz kurz mit den wartenden Journalisten. Zu BILD* sagte er: “Ich habe riesiges Glück gehabt. Es war ein sehr großer Unfall. Aber es geht mir gut.” (…) Kubica: “Ich fliege nun nach Indianapolis und möchte Rennen fahren. Der Arzt hier in der Klinik hat mir gesagt, dass ich Okay bin.”

*) Alle Hervorhebungen von uns.

Mit Dank an Nils K. für die Anregung.

Hauptsache, das Nummernschild ist verpixelt

Erfahrene Fotografen machen am Tatort häufig auch solche Fotos, die keine Persönlichkeitsrechte verletzten und – ohne allzu große Bedenken und sogar ohne Unkenntlichmachung – von Medien veröffentlicht werden können.

Bünde, Rohrbombe, Amtsgericht, Scharfschützen, SEKLaienfotografen hingegen…

…knipsen drauflos und schicken ihre Fotos anschließend als “BILD-Leser-Reporter” an “Bild”. Und bei Bild.de werden die dann veröffentlicht – offenbar ebenfalls ohne allzu große Bedenken, vor allem aber (vom Nummerschild abgesehen!) ohne Unkenntlichmachung (siehe Ausrisse).

Laut Pressekodex* allerdings (der sich als “Leitfaden für die journalistische Arbeit” versteht) soll, wenn Anhaltspunkte für die mögliche Schuldunfähigkeit eines Täters vorliegen, eine “Abbildung unterbleiben”.

Und da der hier abgebildete Mann schon vor seiner Tat in psychiatrischer Behandlung gewesen ist und, wie sogar Bild.de selbst schreibt, nach seiner Tat “in die Psychiatrie” gebracht wurde, spricht wohl alles dafür, dass Anhaltspunkte für eine mögliche Schuldunfähigkeit des Täters vorliegen.

Gut möglich, dass der Laienfotograf das nicht wusste – und diesen komischen Pressekodex gar nicht kennt. Aber er hat die Fotos ja auch nicht veröffentlicht.

*) Für Verstöße gegen den Pressekodex in Online-Angeboten sieht sich der Presserat nur dann zuständig, wenn sie “von Zeitungs-, Zeitschriftenverlagen und Pressediensten in digitaler Form verbreitet wurden und zeitungs- oder zeitschriftenidentisch sind”. Das ist beim Bild.de-Bericht über den abgebildeten Mann nicht der Fall, denn die gedruckte “Bild” berichtete anders. Der Presserat hat zwar kürzlich angekündigt, dass der Pressekodex in Zukunft auch für die Online-Angebote von Zeitungen und Zeitschriften gelten soll. Ob das irgendwas ändert, ist fraglich. Schließlich sind Persönlichkeitsrechtsverletzungen wie die oben geschilderte nicht deshalb verantwortungslos, weil man damit riskiert, sich eine Rüge des Presserats einzufangen, sondern weil sie die Persönlichkeitsrechte verletzen.

Unschuld und andere Peinlichkeiten

Evelyn Holst, Mitte 50, ist Schriftstellerin und Journalistin, war Reporterin beim “stern”, hält sich durch Fahren auf dem Fitnessrad fit, hat immer eine Schachtel Pfefferminzpastillen aus der Apotheke dabei, arbeitet bis zu acht Stunden täglich und schreibt jeden Samstag eine Kolumne “nur für Frauen” in der “Bild”-Zeitung.

Gestern waren “Peinliche Promis” ihr Thema — und die Frage: “Wer denkt eigentlich an die Angehörigen?”

Anlass sind die Enthüllungen über die sexuellen Vorlieben und Praktiken des Automobilsport-Chefs Max Mosley, die seit einigen Wochen die halbe Welt kennt, und Evelyn Holst malt sich genüsslich aus, wie Mosleys Frau mit den Blicken ihrer Mitmenschen leben muss.

Aber Mosley ist nicht der einzige Prominente, dessen private “Schandtaten” von Zeitungen wie der, für die Frau Holst schreibt, öffentlich gemacht werden. Wer zählt noch zu den “peinlichen Promis”, die sie aufzählt?

Andreas Türck.

Jeder Andreas Türck hat Familie, die, als er unschuldig wegen Vergewaltigung vor Gericht stand, jeden Tag vor die Tür musste.

Den Satz muss man sich mehrmals durchlesen. Um danach vielleicht Frau Holst die Frage zu stellen, ob sie alle Menschen peinlich findet, die unschuldig vor Gericht stehen. Oder nur die, die von der “Bild”-Zeitung vorab für schuldig gesprochen werden.

Weiter in Frau Holsts “Bild”-Kolumne:

Auch was prominentes Liebesleben angeht, werden Angehörige ja nie vorher gefragt. Die Eltern von Carsten Thamm zum Beispiel. Was sagt Mami dazu, dass Udo Walz, 25 Jahre älter als er, jetzt zur Familie gehört? Okay, da hat man als Schwiegermutter immer die Haare schön, aber vermutlich hätte sie trotzdem lieber eine nette, blonde Schwiegertochter und viele Enkelkinder gehabt.

Auch die Mutter von Constantin Rothenburg war vermutlich nicht sooo happy, als ihr der 39 Jahre ältere Alfred Biolek als neuer Familienzuwachs vorgestellt wurde. Trotz seiner wunderbaren Königsberger Klopse, mein absolutes Lieblingsgericht.

Alles unter der Überschrift:

Peinliche Promis

Unser Mitgefühl gilt den Angehörigen von Evelyn Holst.

“Bild” befördert Gerhard Schröder ins falsche Rosneft-Gremium

Altkanzler Gerhard Schröder hat sich über “Bild” beschwert. Ein Bericht des Boulevardblatts zu seinem wohl bevorstehenden Engagement beim russischen Öl-Konzern Rosneft sei falsch. “Ich habe den Eindruck, das hat weniger mit meiner Tätigkeit zu tun als vielmehr mit dem Wahlkampf. Hier soll offenbar Frau Merkel geholfen werden”, sagte Schröder dem “Redaktionsnetzwerk Deutschland” (“RND”). Das ist wiederum eine recht steile These. Was aber feststeht: “Bild” verbreitet ziemlichen Unsinn über Schröders möglichen Job bei Rosneft.

Gestern erschien in “Bild” und bei Bild.de ein Text über Gerhard Schröders Zukunft bei dem russischen Unternehmen, das zu großen Teilen dem russischen Staat gehört:

Ausriss Bild.de - Riesen-Streit um Russland-Job - Lässt die SPD Schröder Fallen?

Autor Filipp Piatov schreibt dort:

Nun wird die Kritik am Altkanzler immer lauter — im Herbst soll er in den Vorstand des Öl-Giganten Rosneft berufen werden.

Seit 2005 steht Schröder bereits im Dienst von Gazprom, kümmert sich seit 2016 als Verwaltungsrat um das umstrittene Pipeline-Projekt Nord Stream 2. Doch der Aufstieg in den Rosneft-Vorstand ist keine einfache Beförderung. Es ist eine Adelung Schröders, seine Aufnahme in Putins innersten Kreis der Macht.

Die Überwindung moralischer Hindernisse lassen sich die Vorstände des Öl-Riesen fürstlich vergüten. Aus dem Geschäftsbericht von 2016 geht hervor, dass Rosneft seinen neun Vorstandsmitgliedern rund 52 Millionen Euro an Gehältern, Boni und Zuschüssen zahlte. Das sind fast sechs Millionen Euro pro Person.

Die in der “Bild”-Zeitung genannten Summen seien völlig absurd, sagt Schröder. Für die für ihn vorgesehene Rolle werde er weniger als ein Zehntel der von “Bild” genannten “sechs Millionen Euro” bekommen, vorausgesetzt er werde überhaupt in das Gremium gewählt.

Nun behaupten “Bild” und Piatov nirgendwo direkt, dass Gerhard Schröder sechs Millionen Euro pro Jahr bekommen solle. Der Dreischritt aus “in den Vorstand des Öl-Giganten Rosneft berufen werden”, “der Aufstieg in den Rosneft-Vorstand” und “dass Rosneft seinen neun Vorstandsmitgliedern rund 52 Millionen Euro an Gehältern, Boni und Zuschüssen zahlte” könnte bei der Leserschaft aber durchaus den Eindruck erwecken, dass Schröder eine derartige Summe bekommen könnte.

“Bild”-Chefchef Julian Reichelt sieht das naturgemäß anders. Nachdem Andreas Niesmann vom “RND” ihn bei Twitter auf die entsprechende Stelle in Piatovs Artikel hingewiesen hatte …

… twitterte Reichelt:

1) Wir haben große Zweifel, dass der durchschnittliche “Bild”-Leser, bei dem selbst die “Bild”-Redaktion es regelmäßig für notwendig hält, ihm eine Lesehilfe für das Wort “Bachelor” an die Hand zu geben, ohne Weiteres die feinen Unterschiede zwischen “Vorstand wird” und “in den Vorstand berufen wird” erkennt.

2) Im Text von Filipp Piatov steht tatsächlich nicht, dass Gerhard Schröder “Vorstand wird”. Drei Tage zuvor titelte Bild.de allerdings:

Ausriss Bild.de - Russischer Öl-Konzern - Gerhard Schröder wird Vorstand von Rosneft

3) Es ist völlig egal, ob da nun steht, dass Gerhard Schröder “Vorstand wird” oder “in den Vorstand berufen wird” — beides ist falsch. Schröder steht für das Aufsichtsgremium von Rosneft zur Wahl, den sogenannten “Rat der Direktoren”. Bei einer deutschen Aktiengesellschaft wäre das Pendant wohl der Aufsichtsrat. Das mag Schröders Verhalten nicht weniger fragwürdig erscheinen lassen, es handelt sich aber um einen anderen Posten als von “Bild” behauptet.

Auf der Rosneft-Website sind das “Management board”, in etwa der Vorstand, und das “Board of Directors” aufgelistet. Schröder ist einer von mehreren Kandidaten für das “Board of Directors”. Im anglo-amerikanischen Raum vereint das “Board of Directors” laut “Wikipedia” zwar die Funktionen von Aufsichtsrat und Vorstand; im selben “Wikipedia”-Artikel steht aber auch, dass in Russland “statt des Vorstandes der Aufsichtsrat als ‘Rat der Direktoren'” bezeichnet werde.

Der frühere Bundeskanzler wird also kein Vorstandsgehalt bei dem russischen Öl-Konzern bekommen, sondern ein Aufsichtsratsgehalt. Im Rosneft-Jahresbericht für 2016 (PDF, Seite 202) steht, dass die Mitglieder des “Board of Directors” im vergangenen Jahr jeweils zwischen 550.000 und 580.000 US-Dollar erhalten haben. Den neun elf* Mitgliedern des “Management board” zahlte Rosneft 2016 insgesamt 3.726.609.809 Rubel (Seite 203), was, je nach Wechselkurs, den von Filipp Piatov erwähnten 52 Millionen Euro entspricht. Die Summe, die die Mitglieder des “Board of Directors” bekommen haben und die für die Berichterstattung über Gerhard Schröder relevant wäre, erwähnt Piatov nicht. Entweder kannte er sie nicht oder er wollte sie nicht kennen oder er dachte wirklich, dass Schröder ein Kandidat für den Rosneft-Vorstand ist.

Mit Dank an @matthiasquenzer für den Hinweis!

*Nachtrag, 20. August: Bei dem “Bild”-Bericht ist noch mehr falsch als bisher gedacht. Anders als von Autor Filipp Piatov behauptet, besteht der Rosneft-Vorstand (“Management Board”) nicht aus neun, sondern aus elf Personen. So steht es im Rosneft-Jahresbericht für 2016 (PDF, Seite 193):

The number of members of the Company’s Management Board has not changed and totals 11 persons.

Somit verteilen sich die 3.726.609.809 Rubel (rund 52 Millionen Euro), die Rosneft im vergangenen Jahr ans gesamte “Management Board” zahlte, nicht auf neun, sondern auf elf Personen. Im Schnitt bekam also jeder etwa 4,7 Millionen Euro. Piatov hatte geschrieben, dass jedes Rosneft-Vorstandsmitglied im Schnitt “fast sechs Millionen Euro” bekommen hat.

Diese falsche Summe ist übrigens nicht im “Bild”-Kosmos geblieben — sie hat es auch zu FAZ.net geschafft. Eckart Lohse und Markus Wehner schreiben dort:

Die Tätigkeit der bisherigen neun Mitglieder des Aufsichtsrats waren zuletzt mit 52 Millionen Euro an Gehältern, Boni und Zuschüssen dotiert worden, fast sechs Millionen Euro je Person.

Auch wenn die beiden “FAZ”-Autoren es im Gegensatz zu Piatov hinbekommen, Altkanzler Gerhard Schröder mit dem Aufsichtsrat von Rosneft in Verbindung zu bringen und nicht mit dem Vorstand des Unternehmens, ist der Absatz falsch: Die neun Aufsichtsratsmitglieder bekamen 2016 nicht 52 Millionen Euro, sondern deutlich weniger (siehe oben). Offenbar haben Lohse und Wehner bei Piatov abgeschrieben — oder sie benutzen rein zufällig denselben Rubel-Euro-Wechselkurs wie der “Bild”-Autor und kommen rein zufällig auf dieselben falschen “sechs Millionen Euro je Person”.

Mit Dank an Klaus D. für den Hinweis!

Nachtrag 2, 20. August: Das FAZ.net-Team hat auf unsere Kritik reagiert und den Artikel transparent korrigiert.

Harvey Weinstein in Norbert Körzdörfers Sex-Sammelsurium

Die “Bild”-Zeitung hat seit Montag eine “NEUE SERIE”, in der es um den “SKANDAL ‘WEINSTEIN'” gehen soll, also um die Missbrauchs-Vorwürfe gegen Filmproduzent Harvey Weinstein. Gestern erschien Teil eins:

Ausriss Bild-Zeitung - Der Skandal Weinstein - Er zwang Frauen, seine Kronjuwelen zu küssen als sei es der Siegelring des Papstes - Die Schönen und das Biest

Heute Teil zwei:

Ausriss Bild-Zeitung - Der Skandal Weinstein - In der Traumfabrik ging es immer auch um Sex - Hollywood, die Stadt der Sünde

Morgen soll Teil drei kommen. Wir wagen keine Prognose, wie lang diese Serie noch gehen wird. Autor ist jedenfalls Norbert Körzdörfer, und es ist so schlimm, wie man nach dieser Information befürchten kann.

Beide bisher erschienenen Ausgaben sind Sammlungen von Anekdoten und Gerüchten aus Hollywood. Der einzige Zusammenhang: Sex. Körzdörfer schreibt solche Sätze:

Hollywood war immer Penis-fixiert. Ein Film-Boss zu BILD: “Hier haben große Penisse Filme für kleine Penisse gemacht”

30 Jahre Ego-Orgie — mit Stöhnen und Schweigen.

Warum ist Hollywood immer auch ein sexuelles Sodom und Gomorrha?

Nach dem dritten Drink an der Bar hört man immer dieselbe Story: Der Oscar (3,9 Kilo schwer) ist gerüchte-geflüstert angeblich dem Penis eines Stunt-Stars nachempfunden — er ist 34 cm lang.

Sex ist die Währung des Erfolgs.

Warum fahren nachts so viele “Stretchlimos” von Club zu Club — es ist ein motorisiertes Phallus-Symbol.

Wenn Johnny Depp im Club “Viper Room” sitzt, will jeder Mini-Rock mit High Heels in die VIP-Sektion.

Das alles stammt aus Serien-Teil eins. In Teil zwei geht es ähnlich weiter:

Gab es nicht schon immer männliche “Godzillas”, die sexy “Bambis” jagten?

Legendär war auch sein [Charlie Chaplins] Penis. “Glied-Gespräche” waren Klatsch-Talk. Eine seiner Geliebten (drei Millionen Abfindung von fünf Ehe-Männern) fragte ihn: “Stimmt das, was alle Mädchen behaupten — dass du bestückt bist wie ein Hengst?”

Der deutsche Kult-Regisseur F. W. Murnau († 42) war homosexuell. Er starb bei einem Autounfall 1931. Am Steuer saß sein 14-jähriger philippinischer Diener — mit dem er es angeblich getrieben hat.

Sein [Rudy Valentinos] Lieblings-Geschenk: ein schwarzer Dildo aus Blei (Art-dèco-Stil) mit seinem Autogramm in echtem Silber.

Die platinblonde Sexbombe Jean Harlow († 26) über ihr Liebes-Rezept: “Männer lieben mich, weil ich keine Unterwäsche trage. Und Frauen mögen mich auch — weil ich ihnen nie einen Mann stehlen würde — jedenfalls nicht für lange.”

Als Frauen-“Monster” galt die blonde Sex-Löwin Mae West († 87). Sie umgab sich mit muskulösen Leibwächtern, die sie in den Drehpausen vögelte.

Wer hatte was mit wem in Hollywood? Wessen Penis war der größte? 34 Zentimeter? Marlene Dietrich verführte John F. Kennedy. Jack Nicholson lockte viele Frauen in seine Limousine. Hier wurde gevögelt, da wurde es getrieben. Das ist der Stoff, den die “Bild”-Redaktion für angemessen hält, um den “SKANDAL ‘WEINSTEIN'” in einer Serie aufzuarbeiten, also den mehrfachen mutmaßlichen Missbrauch von Frauen sowie mutmaßliche Vergewaltigungen.

Für Körzdörfer und “Bild” geht es nicht um Machtstrukturen, die Weinstein all das erst ermöglicht haben sollen, um offizielle oder unausgesprochene Schweigeabkommen, um Mitwisser und Helfer. Sie schauen nicht auf andere gesellschaftliche Bereiche, in denen Männer ihre Positionen ebenfalls regelmäßig sexuell ausnutzen, in Chefetagen, an Universitäten, in Redaktionen. Es geht ihnen stattdessen um Dildo-Geschenke und die Frage, wer wie ein Hengst bestückt ist.

Und noch schlimmer: Körzdörfers große Sammlung von sündigen Hollywood-Geschichtchen wirkt, als wäre das, was Weinstein vorgeworfen wird, nur eine weitere Anekdote in diesem alltäglichen Wahnsinn. “Legendär ist die ‘Besetzungscouch’ von Harvey Weinstein — um an eine glitzernd-glänzende Rolle zu kommen, mussten viele Schauspielerinnen erstmal die Kronjuwelen des Mega-Produzenten polieren” könnte ebenfalls in Körzdörfers Sex-Sammelsurium stehen. Alles ganz normal also?

Heute haben Norbert Körzdörfer und “Bild” schon mal Folge drei ihrer Serie “SKANDAL ‘WEINSTEIN'” angeteasert:

Morgen in BILD

Das “Neue Hollywood” nach dem Weinstein-Skandal?

Ein Film-Boss zu BILD: “Wenn Sie einer schönen Frau ein Kleider-Kompliment machen, kann das schon als sexuelle Belästigung missverstanden werden!”

Na, toll — erst darf man in Hollywood keine Frauen mehr missbrauchen, und bald darf man dort gar nichts mehr sagen.

Fehlerkultur: Was Redaktionen von Piloten lernen können

Im zurückliegenden Jahr haben wir hier im BILDblog wieder viel über Fehler geschrieben. Aber was genau sind das eigentlich: Fehler? Wie häufig passieren sie? Wie entstehen sie? Und was können Redaktionen gegen sie tun? Unser Autor Ralf Heimann hat sich in einer achtteiligen Serie mit all dem Falschen beschäftigt. Heute der letzte Teil: Fehlerkultur und Korrekturen.

***

Als Volontär habe ich von einem Kollegen den Satz gelernt: “Wir korrigieren nur, wenn einer anruft.” Ich hatte einen Fehler gemacht und jemanden gefragt, wie ich damit am besten umgehe. Dass man auf einen Fehler reagieren musste, kam selten vor, aber auch dann gab es noch mehrere Möglichkeiten, eine unangenehme Korrektur zu umgehen. Man sagte zum Beispiel: “Wir berichten morgen noch mal, und dann steht’s ja richtig in der Zeitung.” Natürlich erwähnte man dann am darauffolgenden Tag nicht, dass man zuvor einen Fehler gemacht hatte. Und das tat man auch dann nicht, wenn jemand anrief, der fand, da sei ja nun einiges durcheinander geraten. Dann konnte man sagen: “Wir kommen einfach zu Ihnen und machen die Geschichte noch mal aus Ihrer Perspektive.”

Führte wirklich kein Weg an einer Korrektur vorbei, bot sich immer noch die Formulierung “aufgrund eines technischen Fehlers” an.

Fairerweise muss man sagen: Das war vor 15 Jahren, und es gingen nicht alle so vor. Allerdings scheint dieser Umgang mit Fehlern heute immer noch recht üblich zu sein. Auch bei großen Medien sind die Auffassungen darüber, was man tun sollte, wenn Fehler passiert sind, sehr verschieden. In dem im Mai erschienenen Abschlussbericht (PDF) nach dem Betrugsfall Relotius schreibt die vom “Spiegel” eingesetzte Kommission:

Die Meinung darüber, ob Fehler in Texten im Nachhinein korrigiert werden sollen, gehen weit auseinander. Im Gegensatz zu SPIEGEL ONLINE, wo sich klare Regeln zum Umgang mit Fehlern entwickelt haben, gilt das fürs Heft nicht. Es existiert sowohl die Auffassung, Fehler sollten gar nicht erwähnt werden, als auch, jeder Fehler sollte korrigiert werden.

Der “Spiegel” ist damit nicht allein. In vielen Online-Medien hat sich zwar die Praxis etabliert, Fehler nicht nur richtigzustellen, sondern die Korrekturen auch transparent zu machen. Aber in Print-Produkten sind Korrekturmeldungen weiterhin eher die Ausnahme.

Auch international gibt es große Unterschiede. Der Journalistik-Professor Stephan Russ-Mohl schreibt in seinem Buch “Die informierte Gesellschaft und ihre Feinde”:

In Amerika besteht seit langem ein Konsens, dass Fehler korrekturbedürftig sind und es der Glaubwürdigkeit von Redaktionen aufhilft, wenn sie diese freiwillig berichtigen. (…) Die grundsätzliche Bereitschaft, amerikanischer Nachrichtenmedien, Fehler zu berichtigen, hebt sich wohltuend von den Vertuschungsmanövern und vom Beschweigen der eigenen Unzulänglichkeiten in Europa ab.

Die “New York Times” etwa zeigt auf ihrer Website in einer Übersicht, welche Artikel online korrigiert worden sind. Am 8. Juni dieses Jahres, als ich diesen Text geschrieben habe, waren es fünf, am 7. Juni waren es sieben, am 6. Juni waren es 15. In derselben Rubrik sind auch die richtiggestellten Fehler aus der gedruckten Zeitung zu finden. Hier waren es am 8. Juni sieben, am 7. Juni elf und am 6. Juni acht.

In der “FAZ” habe ich zwischen dem 6. und 8. Juni eine einzige Fehlerkorrektur gefunden: Am 6. Juni berichtigte die Redaktion in ihrem Regionalteil auf Seite 30 eine Zahl.

Ausriss aus der FAZ - Korrektur - Die Facebook-Seite der hessischen CDU hat das 12.000 Abonnenten und nicht, wie in der Mittwochausgabe irrtümlich berichtet, 1200. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

Die erkennbaren Unterschiede zwischen Online- und Print-Medien innerhalb Deutschlands deuten darauf hin, dass kulturelle Unterschiede zwischen den USA und Europa nur ein Teil der Erklärung sind. Offenbar spielt auch die Kultur innerhalb einer Redaktion eine wichtige Rolle.

Dafür gibt es eine einfache Erklärung: Je seltener eine Redaktion korrigiert, desto schmerzhafter wird die Berichtigung für die einzelnen Journalistinnen und Journalisten. Die Fehlerforscher Scott Maier und Colin Porlezza beschreiben die Situation als ein Gefangenendilemma:

Journalisten, die ihre Fehler gewissenhaft korrigieren, erscheinen weniger genau als ihre Kollegen, die ihre Fehler nicht eingestehen und keine Korrekturen vornehmen.

Eines wird sich allerdings nicht ändern lassen: Korrekturen werden für Einzelne auch dann unangenehm bleiben, wenn sie regelmäßig vorkommen. Für Redaktionen kann das sogar ein Vorteil sein, denn es steigert den Anreiz, sorgfältig zu arbeiten. Regelmäßige Korrekturen verhindern allerdings nicht, dass Journalistinnen und Journalisten ihre eigenen Fehler vertuschen. Das passiert schnell, wenn das Ziel ist, Fehler um jeden Preis zu vermeiden. Peter Klaus Brandl schreibt in seinem Buch “Crash-Kommunikation”:

Eine fehlerfeindliche Kultur geht davon aus, dass Fehler nicht sein dürfen und um jeden Preis verhindert werden müssen. Sie ignoriert damit schlicht die menschliche Fehlbarkeit. Das führt zum Vertuschen und Verschweigen von Fehlern

Im Journalismus sind die Folgen von vertuschten Fehlern oft überschaubar. Deswegen hat die Fehlerkultur in der Regel keine besonders hohe Priorität. In der Luftfahrt ist das anders. Dort ist man sehr viel weiter.

Eine wichtige Rolle spielt die Hierarchie. Angenommen im Cockpit sitzen zwei Piloten, ein sehr junger und ein erfahrener. Fragt man Menschen, was sie für sicherer halten — wenn der junge Pilot fliegt, und der erfahrene als Co-Pilot danebensitzt, oder umgekehrt –, antworten die meisten: Besser ist, wenn der erfahrene Pilot fliegt.

Tatsächlich ist es umgekehrt. Denn der Co-Pilot hat unter anderem die Aufgabe einzugreifen, wenn der Pilot einen Fehler macht. Der erfahrene Pilot wird nicht lange zögern, den jungen Kollegen auf einen Fehler aufmerksam zu machen, der jüngere Kollege umgekehrt vielleicht schon.

Auf den Journalismus übertragen bedeutet das: Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter es nicht wagen, ihre Chefs zu kritisieren, und diese die wichtigsten Aufgaben dazu noch gern selbst übernehmen, steigt die Wahrscheinlichkeit von Fehlern enorm. Leider ist beides oft gleichzeitig der Fall.

Wie Chefs sich richtig verhalten, um eine solche Situation zu verhindern, beschreibt Jan Hagen, Professor an der privaten Hochschule ESMT in Berlin. Er erforscht das Fehlermanagement in der Luftfahrt. Und was er über Piloten sagt, lässt sich so auch auf Redaktionsleiterinnen oder Chefredakteure übertragen:

Der Kapitän darf zum Beispiel nicht zu dominant sein, muss sich ein Stück zurücknehmen. Er soll den Informationsfluss managen und nicht derjenige sein, von dem der Informationsfluss ausgeht. Es ist nicht der Pilot gut, der viele Befehle gibt und Situationen schnell analysiert, sondern der, der viel fragt, viel Input einfordert und dann entscheidet. Ein weiteres wichtiges Instrument: Fehler sollten nicht bestraft werden.

Die ideale Fehlerkultur beschreibt Peter Klaus Brandl so:

Eine positive Fehlerkultur (Non-Blaming-Culture) setzt eine Unternehmenskultur voraus, die von Offenheit, Fairness und gegenseitigem Respekt geprägt ist. Und die akzeptiert, dass Fehler zum Arbeitsalltag dazugehören.

Eine Besonderheit im Journalismus ist, dass der Begriff “Nestbeschmutzer” weit verbreitet ist. Es gilt als verpönt, Kolleginnen oder Kollegen zu kritisieren. Das ist ein Ergebnis des Abschlussberichts der Relotius-Kommission, und auch Medienforscher beschreiben das immer wieder.

Hans Mathias Kepplinger berichtet in seinem Buch “Totschweigen und Skandalisieren – was Journalisten über ihre eigenen Fehler denken” über eine Befragung von Wissenschaftlern, Ingenieuren und Journalisten, in der es um die Frage ging, ob man Kolleginnen und Kollegen namentlich nennen sollte, die einen gravierenden Fehler gemacht haben. 48 Prozent der Ingenieure sagten: Ja, das wäre in dem konkreten Fall angebracht. Aber nur 19 Prozent der Journalisten sahen das so. In einem Vergleich zwischen Journalisten und Wissenschaftlern zu einem anderen Fehlverhalten waren nur 5 Prozent der Journalisten dafür, Namen von Kolleginnen und Kollegen zu nennen, aber 61 Prozent der Wissenschaftler.

Diese Kultur ist im Journalismus anscheinend tief verwurzelt. Und das verstärkt das Problem. Kepplinger schreibt:

Journalisten schweigen zu Fehlern von Journalisten (…) vermutlich auch deshalb, weil das berufliche Umfeld dafür [Kollegenkritik] kein Verständnis hätte.

Im Umgang mit eigenen Fehlern offenbaren Journalistinnen und Journalisten ihr Selbstverständnis — und damit eben unter Umständen, dass dies nicht mehr ganz aktuell ist. Als das Internet im Journalismus noch keine Bedeutung hatte, und die Rollen klar in die der Sender (Journalisten) und die der Empfänger (Publikum) verteilt waren, bestand noch nicht die Notwendigkeit, auf Fehler zu reagieren. Man warf den Leserbrief einfach in den Müll. Damit war die Sache erledigt. Heute kann sich so etwas schnell zu einem Flächenbrand auswachsen. Aber viele Journalistinnen und Journalisten sind mit der veränderten Situation noch immer nicht vertraut.

Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen beschreibt das in seinem Buch “Die große Gereiztheit” so:

In der redaktionellen Gesellschaft der Zukunft müssen Journalistinnen und Journalisten ihr Verhältnis zum aktiv und medienmächtig gewordenen Publikum grundsätzlich überdenken, dieses anders entwerfen, sich von der arroganten Simulation von Allwissenheit, der Rolle des Predigers, des Pädagogen und Wahrheitsverkünders verabschieden, zum Zuhörer und Moderator und gleichberechtigten Diskurspartner werden.

Heute können Journalistinnen und Journalisten einen Leserbrief nicht mehr in den Müll werfen, und dann ist Ruhe, weil sie gar nicht mehr gebraucht werden, um Dinge öffentlich zu machen. Wo nun jeder Publizist sein kann, werden sie gebraucht, um Informationen zu beschaffen, alles zusammenzutragen und zu bewerten, aber dann nicht mehr wie früher ein fertiges Produkt hinzustellen, an dem sich nur noch dann etwas ändert, wenn eine Korrektur sich nicht vermeiden lässt. In dieser veränderten Welt beginnt mit der Veröffentlichung eine neue Phase.

Der “kategorische Imperativ eines in dieser Weise verwandelten Journalismus” ist laut Bernhard Pörksen: “Begreife die eigene Kommunikation nie als Endpunkt, sondern immer als Anfang und Anstoß von Dialog und Diskurs.”

Damit verändert sich auch das Verständnis des journalistischen Produkts fundamental. Journalistinnen und Journalisten können nicht mehr für sich in Anspruch nehmen, in der Lage zu sein, die komplizierte Welt auf Anhieb umfassend darzustellen. Sie versuchen im Idealfall, sich mit einer immer genauer werdenden Beschreibung der Wirklichkeit langsam zu nähern. In diesem Prozess sind Ergänzungen und Korrekturen kein peinliches Eingeständnis von dummen Fehlleistungen, sondern notwendige Schritte, um dem Ziel näher zu kommen, ein vollständiges Bild zu liefern.

David Broder, langjähriger Kolumnist der “Washington Post”, formulierte diesen Gedanken schon im Jahr 1987. Es geht um den Slogan der “New York Times”, der das Selbstverständnis der Zeitung zum Ausdruck bringt: “All the news that’s fit to print” (laut Wikipedia in etwa: “Alle Nachrichten, die es wert sind, gedruckt zu werden.”). Broder sagte:

Statt den Menschen “All the News That’s Fit to Print” zu versprechen, würde ich mir wünschen, dass wir immer wieder betonen: Die Zeitung ist eine teils hastige, unvollständige, unvermeidlich fehlerhafte und ungenaue Wiedergabe einiger der Dinge, von denen wir in den letzten 24 Stunden gehört haben. Wenn wir die Zeitung mit einem korrekten Label versehen würden, würden wir hinzufügen: “Aber es ist das Beste, was wir unter den gegebenen Umständen machen können, und morgen bringen wir eine korrigierte und aktualisierte Version.”

Alan Rusbridger, der ehemalige Chefredakteur des “Guardian”, zitiert Broder in seinem Buch “Breaking News – The Remaking of Journalism and why it matters now”. Über 30 Jahre nach Broders Aussage haben sich die Rahmenbedingungen verändert: Heute geht es nicht mehr nur um die Zeitung, und es dauert auch keinen ganzen Tag mehr bis zur nächsten Aktualisierung. Aber das alte Ideal des auf Anhieb allumfassend erklärenden journalistischen Beitrags hält sich noch immer. Rusbridger schlägt vor, journalistische Stücke nicht mehr als Werk zu verstehen, “das so bleibt, wie es geschaffen wurde”, sondern die “Bereitschaft zur Korrektur zu einem wesentlichen Instrument des Journalismus zu machen”. Die Korrektur oder Ergänzung wäre dann nicht mehr ein Makel, sondern der Hinweis darauf, dass man der Wahrheit noch etwas näher gekommen ist. Bliebe die Frage, ob das möglich ist. Alan Rusbridger schreibt, sein Instinkt sage ihm, “diese Art von Veränderung” sei “wahrscheinlich unvermeidlich”.

Korrektur, 11:27 Uhr: Anschauungsmaterial in eigener Sache: In einer ersten Version dieses Textes befand sich ein Absatz, in dem stand, dass es so aussehe, als habe die “FAZ” in ihrer Korrektur versucht, eine falsche Angabe zu einem Vertipper herunterzuspielen. Wir hatten dabei allerdings Abonnenten- und “Gefällt mir”-Angaben verwechselt — und dadurch selbst einen Fehler produziert. Wir bitten, dies zu entschuldigen. Den Absatz mit dem Fehler haben wir gelöscht.

***

Teil 1 unserer “Kleinen Wissenschaft des Fehlers” gibt es hier, Teil 2 hier, Teil 3 hier, Teil 4 hier, Teil 5 hier, Teil 6 hier und Teil 7 hier. Oder alle Teile auf einmal hier.

Inauguration Day, Wir alle sind Bosbach, Steingarts Seemannsgarn

1. Journalisten in Kampfmontur
(sueddeutsche.de, Jürgen Schmieder)
Heute findet in Washington die Amtseinführung des US-Präsidenten Joe Biden statt. Seit Tagen gleicht die Stadt einem Militärstützpunkt mit Straßensperren und Kontrollpunkten. Für den reibungslosen Ablauf der Inauguration sollen rund 25.000 Nationalgardisten sorgen. Journalisten und Journalistinnen würden sich auf das Event wie auf einen Kriegseinsatz vorbereiten samt Schutzausrüstung, kugelsicherer Weste und Bodyguard. Reporterin Katie Miller (“Washington Post”) schreibt dazu auf Twitter: “Ich habe mir gerade einen neuen Wintermantel gekauft, der über die kugelsichere Weste passt, damit ich sicher (und warm) von der Amtseinführung des nächsten Präsidenten der Vereinigten Staaten berichten kann. Wie absurd ist das eigentlich?”

2. Trumps Verbannung von Social Media – Kritiker verkennen Gesetze
(netzpolitik.org, Julia Reda)
Angela Merkel äußerte sich vergangene Woche kritisch zur Twitter-Sperre von Donald Trump und meldete juristische Bedenken an. Darüber ist Julia Reda verwundert: “Diese Aussage ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Denn es gibt sehr wohl einen rechtlichen Rahmen für die Moderation von Inhalten auf Social Media-Plattformen in den USA, an dem sich Twitter und Facebook orientiert haben. Außerdem wäre die Entscheidung in Deutschland, wo das Netzwerkdurchsetzungsgesetz den rechtlichen Rahmen absteckt, vermutlich genauso ausgefallen.” In ihrem Beitrag beschreibt Reda, wie eine zeitgemäße europäische Plattformregulierung aus ihrer Sicht aussehen sollte.

3. “Bild” veröffentlicht keine Rügen des Presserates mehr in der gedruckten Zeitung
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Der Verlag Axel Springer hat sich, wie viele andere Medienhäuser, gegenüber dem Presserat verpflichtet, Rügen “in dem jeweils betroffenen Medium aktualitätsnah und in angemessener Form zu publizieren”. Die “Bild”-Redaktion fühlt sich an die Selbstverpflichtung anscheinend nicht gebunden: Bereits seit eineinhalb Jahren habe die gedruckte “Bild” keine der gegen sie ausgesprochenen Rügen veröffentlicht, berichtet “Übermedien”. Einen Grund dafür habe der Verlag auf Nachfrage nicht genannt. Da “Bild” sich so sperrig in Sachen Fehlerkultur gibt, erinnert Medienkritiker Stefan Niggemeier an einige der gerügten Verstöße des Boulevardblatts.

Bildblog unterstuetzen

4. Durch- und weggezappt
(taz.de, Steffen Grimberg)
Die Meldung klingt zunächst positiv: “Das NDR-Medienmagazin ‘Zapp’” baut sein Online- und Social-Media-Angebot aus”. Dahinter steckt jedoch ein rigoroses Sparprogramm. Die Sendung wird zukünftig nicht mehr im Wochenrhythmus, sondern nur noch einmal im Monat im NDR-Fernsehen zu sehen sein. Steffen Grimberg befürchtet negative Folgen durch Etatkürzung und Umstrukturierung: “Was passiert, wenn die garantierte ‘Abwurfstelle’, also die Fachsendung, verloren geht oder drastisch beschnitten wird, konnte man bei der Zeit oder im Spiegel besichtigen. Seitdem hier die Medienseite(n) beziehungsweise die Medienressorts abgeschafft wurden, hat die Zahl der verhandelten Medienthemen massiv abgenommen.”

5. Seemannsgarn von der «Pioneer One»: Wie der Berliner Medienunternehmer Gabor Steingart die Geschichte eines möglichen Parteiwechsels von Friedrich Merz in die Welt setzte
(nzz.ch, Marc Felix Serrao)
Steht CDU-Politiker Friedrich Merz vor einem Wechsel zur FDP, wie der Publizist Gabor Steingart in seinem Newsletter “Morning Briefing” zu wissen glaubte? Keineswegs, wie der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner auf Twitter in einem Statement klarstellt und juristische Schritte gegen die Berichterstattung ankündigt: “Berichte von Gabor Steingart über einen angebotenen Parteiwechsel sind aber (wieder mal) Fake News. Gemeinsam wehren Friedrich Merz und ich mich anwaltlich dagegen.”

6. Endlich wieder loslabern
(zeit.de, Daniel Erk)
Daniel Erk hat sich bei der neuen Plapper-App Clubhouse umgeschaut: “Wenn es einen Ort gibt, dessen Leitspruch ‘Es ist alles gesagt, aber noch nicht von allen’ lautet, dann Clubhouse, dieses nicht enden wollende Stammtischgespräch. Und nicht zufällig ist eines der in Deutschland derzeit erfolgreichsten Formate eine tägliche Lunchrunde im Regierungsviertel. Twitter ist eine Hölle redundanter Diskussionen unter Politikstudierenden und Instagram eine Hölle ewiger Dia-Abende von Menschen mit Modelambitionen. Clubhouse dürfte langfristig die Hölle der Talkshowgesellschaft werden. Schon bald werden wir merken: Wir alle sind Wolfgang Bosbach. Allzeit bereit, halbinformiert zu labern.”

Reichelts Freistellung, Konfettikanone Kindermann, Bedrohter Podcastmarkt

1. “Bild”-Chef beurlaubt
(taz.de, Peter Weissenburger)
Einige (ehemalige) “Bild”-Mitarbeiterinnen erheben offenbar schwerwiegende Vorwürfe gegen “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt. Nun hat sich die Konzernleitung dazu entschieden, ihn vorübergehend zu beurlauben, angeblich auf Wunsch Reichelts: “Um eine ungestörte Aufklärung sicherzustellen und die Arbeit der Redaktion nicht weiter zu belasten, hat er den Vorstand darum gebeten, bis zur Klärung der Vorwürfe befristet von seinen Funktionen freigestellt zu werden.”

2. “MDR um 4” – wenn eine Ziffer Programm genug ist
(uebermedien.de, David Denk)
David Denk hat zwei Nachmittage mit René Kindermann verbracht, wenn auch nur indirekt am Fernsehgerät: Kindermann moderiert das werktägliche Spätnachmittagsmagazin “MDR um 4”. Denk hält Kindermann für den idealen Moderator für diese Sendung: “Er führt Interviews mit der Zielstrebigkeit und Präzision einer Konfettikanone. Seine Fragen führen zu nichts, er ist schließlich da, wo er ist, ganz zufrieden. Er ist ja im Fernsehen. Hauptsache, es menschelt, gerne auch geheuchelt.”

3. Natascha Strobl: »Ich bin kein public good«
(neues-deutschland.de, Katharina Schwirkus)
Natascha Strobl, österreichische Politikwissenschaftlerin und Expertin für rechtsextreme Bewegungen, hat sich nach einem (erneuten) Shitstorm von der Plattform Twitter zurückgezogen. Katharina Schwirkus erklärt, wie sich die Sache aus einer vergleichsweise harmlosen Diskussion aufschaukelte. Der “6 vor 9”-Kurator kommentierte den Vorgang vergangene Woche auf Twitter: “Dass sich eine taffe und eloquente Frau wie Natascha Strobl keinen anderen Rat weiß, als sich zurückzuziehen, weil die Anfeindungen gegen sie und ihre Familie zu groß wurden, zeigt die unfassbare Dimension der derzeitigen Social-Media-Verrohung.”

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4. Arbeiten am Film-Set ohne Tarifvertrag?
(verdi.de, Julia Hoffmann)
Eigentlich regelt ein Tarifvertrag die Arbeitsbedingungen an den Sets deutscher Filmproduktionen, doch der wurde zum Ende des vergangenen Jahres gekündigt. Die Verhandlungen zwischen ver.di, dem Bundesverband Schauspiel und der Produzentenallianz seien ins Stocken geraten. Den Beschäftigten drohe eine tariffreie Zeit.

5. Muss ich wirklich auf Social Media sein?
(druckausgleich.podigee.io, Annkathrin Weis & Luca Schmitt-Walz, Audio: 39:58 Minuten)
In Folge 2 des “Druckausgleich”-Podcasts für junge Medienschaffende gehen Annkathrin Weis und Luca Schmitt-Walz den Fragen nach: Muss ich wirklich auf Social Media sein? Muss man sichtbar sein oder nicht? Ist ein persönliches Social-Media-Profil auch immer direkt schon eine Haltung?

6. Warum wir Podcasts lieben – und uns das Medium trotzdem kaputt machen
(netzpiloten.de, Alex Jacobi)
Alex Jacobi blickt mit Sorge auf den Podcast-Markt, der inzwischen auch von internationalen Playern wie Spotify besetzt wird: “Mit dem Erfolg der großen Plattformen machen wir uns allmählich das Medium Podcast selbst kaputt, die ganz ursprüngliche Idee der Podcasts als demokratisches und dezentrales Kommunikationsmedium geht verloren.”

Die Geister, die sie riefen

Hoppla, was ist denn da passiert? Randale? Tätliche Angriffe? Ausländerfeindliche Ausfälle? Es scheint so, denn “Bild” spricht von einer “Pöbel-Attacke” und schreibt:

Gerade erst in den Landtag gewählt – und schon zeigen die Neonazis von der Sachsen-NPD im TV ihr wahres Gesicht!

Was hat der sächsische NPD-Spitzenkandidat Holger Apfel getan? Er sagte (korrekt zitiert in “Bild”) dies:

“Heute ist ein großartiger Tag für alle Deutschen, die noch Deutsche sein wollen, es ist die verdiente Quittung für eine immer asozialere Sozialpolitik, für eine asoziale Wirtschaftspolitik und…”

Währenddessen verließen die Vertreter der anderen Parteien den Tisch, an dem sie interviewt wurden. Die ZDF-Innenpolitikchefin Bettina Schausten entzog Apfel hektisch das Wort und reagierte hilflos und hysterisch, als er — weitgehend unverständlich für die Fernsehzuschauer — weitersprach.

Es besteht kein Grund, an der Gefährlichkeit der NPD zu zweifeln. Aber zu einer “Pöbelattacke” ist es im ZDF-Studio nicht gekommen, und auf die These mit der “asozialen Sozialpolitik” hätte Apfel prima durch Verfolgen der Hartz-IV-Berichterstattung der “Bild”-Zeitung kommen können — bis diese abrupt endete: “Irgendwann in diesem Sommer müssen sie bei Bild gemerkt haben”, schrieb Evelyn Roll am Samstag in der “Süddeutschen Zeitung”, “dass sie mit dem Schüren von Sozialangst zwar der Regierung schaden und der eigenen Auflage helfen, aber auch den Neonazis und der PDS. Und zwar tüchtig.”

Und, nein, die anderen Politiker mussten vor dem NPD-Mann auch nicht “fliehen”. Sie demonstrierten nur, dass sie nicht gewillt waren, mit Neonazis zu diskutieren.

Bestimmt wäre es hilfreich, wenn man im Kampf gegen die NPD die Mittel der Tatsachen-Verfälschung und grotesken Übertreibung den Rechtsradikalen überließe. Und wer ein paar populistische Sätze im Fernsehen als das “wahre Gesicht” der NPD bezeichnet, verharmlost die Gefahr dramatisch.

“Fragenkomplexe” bei “Bild”

In seiner aktuellen Ausgabe beschäftigt sich der “Stern” neun Seiten lang mit der “Bild”-Zeitung bzw. damit, “wie das Blatt mit Prominenten und Politikern umgeht”. Das Magazin referiert — vor dem Hintergrund der geplanten Komplett-Übernahme der TV-Sender Pro7, Sat.1, Kabel1, N24 und 9live durch die Axel Springer AG — diverse, z.T. bereits öffentlich gewordene Fälle, in denen “Bild” erpresserische Methoden bei der Recherche vorgeworfen werden, zitiert dazwischen gelegentlich einen “Bild”-Sprecher mit Sätzen wie “Diese Äußerungen treffen nicht zu” und nennt “Bild” u.a. “eine riesige Vermarktungsmaschine”. Zusammenfassend heißt es im “Stern” über “Bild”:

“Sie erfindet Geschichten, TV-Stars und Politiker fühlen sich unter Druck gesetzt. Wer sich wehrt, fürchtet Strafaktionen.”

Und über den “Bild”-Chefredakteur und -Herausgeber Kai Diekmann weiß der “Stern” dann aktuell noch Folgendes zu berichten:

“Freund oder Feind — das ist das Raster, in dem Diekmann zu denken scheint. Bei Freunden ist auf ihn Verlass, bei Feinden kennt er kein Pardon. (…)

Als ein solcher “Feind” in Diekmanns Schema passt auch ‘Zeit’-Herausgeber und Ex-Politiker Michael Naumann. Er hatte “Bild” in einem Kommentar* als das ‘Geschlechtsteil der deutschen Massenmedien’ bezeichnet. Kurze Zeit später, erzählt Naumann, habe er von Nachbarn erfahren, dass sich wiederholt Leute über ihn erkundigten, die sich als ‘Bild’-Mitarbeiter ausgaben. In einem Brief beschwerte sich Naumann über das Ausforschen seines Privatlebens. Diekmann bestreitet den Vorwurf in seiner sechszeiligen Antwort nicht einmal: ‘Die Bild-Zeitung geht momentan einigen Fragenkomplexen nach’, schreibt er vieldeutig, ‘bei denen auch Ihre Person eine Rolle spielt.’ Ein ‘Bild’-Sprecher dazu: Im Zusammenhang mit seiner früheren Tätigkeit als Kulturstaatsminister müsse sich Naumann ‘Recherchen gefallen lassen’, einen Zusammenhang gebe es nicht.”
(Link von uns.)

*) Nachtrag, 19.12.2005:
Wir müssen uns korrigieren: Der von uns in obiges Zitat eingefügte Link führt leider in die Irre. “Zeit”-Herausgeber Michael Naumann hatte die Formulierung, “Bild” sei das “Geschlechtsteil der deutschen Massenmedien” hier nämlich nicht zum ersten Mal verwendet, sondern vor mehr als einem Jahr hier schon einmal. Und nach Informationen von fairpress.biz bezieht sich die zitierte “Stern”-Passage auf Naumanns “Geschlechtsteil”-Formulierung von 2004. (Dort findet sich auch der im “Stern” erwähnte Briefwechsel im Wortlaut und faksimiliert.)

Nachtrag, 20.12.2005: Inzwischen ist der “Stern”-Artikel auch online.

Nachtrag, 29.12.2005: Der “Stern”-Artikel ist aus rechtlichen Gründen entfernt worden. Mehr zu den Hintergründen steht hier.

Kehraus 2006

So, dann räumen wir schnell noch ein wenig Gerümpel weg, das vom letzten Jahr liegengeblieben ist.

Gib mir die Kugel - Neue Fun-Sportart aus NeuseelandDie “neue Fun-Sportart” Zorbing beispielsweise, die Bild.de jetzt in Neuseeland entdeckt hat — nur zehn Jahre und zweieinhalb Monate, nachdem die “Bild am Sonntag” sie entdeckt hat und am 13. Oktober 1996 groß darüber berichtete.

Oder die Fotoserie von den “dümmsten Autofahrern 2006”, die (wie unsere Ausriss zeigt) leider wieder einmal von dem dümmsten Bild.de-Praktikanten betextet wurde:

Nicht zu vergessen auch dieses Foto vom “Handy mit Musikplayer”, das Apple möglicherweise in diesem Jahr herausbringen will. Das Projekt sei “streng geheim” schreibt Bild.de richtig, zeigt aber schon ein Foto vom “Hersteller”…

…in Wahrheit ist es eines von vielen Fakes, oder freundlicher: von vielen künstlerischen Impressionen, wie das sagenumwobene Ding aussehen könnte.

MONROSE: Mandy (16) suchte Mann im InternetDann war da noch der Skandal, der es am 28. Dezember auf die Seite 1 der “Bild”-Zeitung schaffte (siehe Ausriss): Mandy, eine der Sängerinnen der Popgruppe Monrose, soll sich in einer Kontaktbörse registriert haben, obwohl sie einen Freund hat und selbst in der Anzeige schrieb: “Ich mag es nicht, wenn man seine Freunde hintergeht.” Was “Bild” “übersah”: Das Profil ist alt, seit 3.1.2006 war keine Aktivität mehr feststellbar. Und wann hat Mandy ihren Freund kennengelernt? Silvester 2005/06.

Und schließlich noch ein “Bild”-Höhepunkt zum Jahreswechsel:

“Das Geheimnis der unheimlichen Keksdose”

Auf einer 1999 hergestellten Porzellandose ist neben dem World Trade Center eine Passagiermaschine zu sehen (siehe Ausriss unten). “Es scheint”, staunt “Bild”, “als steuere sie die Türme an. Fast genau so, wie es geschah!”

Tja. Was könnte dahinter stecken? “Bild” weiß es nicht, neigt aber zu der These, dass sich die Attentäter des 11. September 2001 von Deutschland aus mit Hilfe der Keksdose “eine geheime Botschaft” zuschickten. Noch einmal: dass sich die Attentäter des 11. September 2001 von Deutschland aus mit Hilfe der Keksdose “eine geheime Botschaft” zuschickten.

Falls es so war, haben sich die Terroristen allerdings entgegen der ursprünglichen Keksdosenplanung dann doch entschieden, den Anflug nicht schon hinter dem Eiffelturm über Big Ben zu beginnen.

Danke an Martin M., Reinhard B., Alexander S., Malte L., Matthias R., Mathias K., Till V., Andy S., Cay D., Tobias G., Andreas R. und das redblog!

Kommentarmoderation, Doping-Berichterstattung, Trump

1. Moderation bleibt Handarbeit: Wie große Online-Medien Leserkommentare moderieren
(netzpolitik.org, Markus Reuter & Ingo Dachwitz)
“Netzpolitik.org” hat zehn große deutsche Tageszeitungen und Onlinemedien gefragt, wie sie intern ihre Moderation organisieren. Vier von ihnen haben geantwortet: “Sueddeutsche.de”, “taz.de”, “Zeit Online” und “Spiegel Online”. Das Ergebnis: Die Moderation beruhe auf individuellen Entscheidungen, Facebook sei herausfordernder als die eigenen Seiten und Lösch-Statistiken gäbe es wenige. Algorithmen und feste Moderationsregeln – außer der Netiquette – würden keine Rolle spielen.

2. Sportjournalismus: Dopingberichterstattung im Abseits
(fachjournalist.de, Michael Schaffrath)
Die Sportfakultät der TU München hat eine Onlinebefragung durchgeführt, an der sich 850 Sportjournalisten beteiligt haben. Die Daten flossen in die Studie „Wissen und Einstellung von Sportjournalisten in Deutschland zum Thema Doping“ ein. Das Fazit in Sachen Dopingberichterstattung: “Die Befragung zeigt, dass eine gegenüber dem Einzelsportler kritische und trotzdem Strukturen reflektierende Dopingberichterstattung nicht am Wollen der Sportjournalisten scheitert, sondern – neben defizitären Ressourcen – auch am Nicht-Können der Medienmitarbeiter liegt.”

3. Gerichtsberichterstattung: Grottenschlecht? Thomas Fischer antwortet auf kress.de seinen Kritikern
(kress.de, Thomas Fischer)
Das Deutschlandfunkinterview mit dem meinungsstarken und für seinen kraftvollen, gelegentlich beißenden, Ton bekannten “Zeit”-Kolumnist und BGH-Richter Thomas Fischer löste bei einigen Journalisten Proteste aus. Sie fühlten ihren Berufsstand zu Unrecht angegriffen und veröffentlichten entsprechende Antwortartikel. Nun meldet sich Thomas Fischer erneut zu Wort. Wie nicht anders zu erwarten in ungeschönter Direktheit.

4. Der Hashtag #CoverTheAthlete prangert sexistische Berichterstattung über Athletinnen an.
(jetzt.de, Christina Waechter)
Die Kampagne “Cover The Athlete” will ein Bewusstsein für Sexismus in der Sportberichterstattung schaffen und Journalisten für das Thema sensibilisieren. Schließlich würden weibliche Athleten, wie Christina Waechter berichtet, überdurchschnittlich oft von Reportern zu Dingen befragt, die mit ihrer sportlichen Leistung nichts zu tun haben: zu ihrem Privatleben oder ihrer Erscheinung. Waechter berichtet über die Kampagne, erzählt von einer Studie, die belegt, wie unterschiedlich über Sportler und Sportlerinnen berichtet wird und stellt einige Beispielfälle vor.

5. Das wichtigste Medium des US-Wutbürgertums
(sueddeutsche.de, Hubert Wetzel)
Das Propaganda-Organ “Breitbart News” sei Donald Trumps Wahlkampf-Helfer. Nun werde der Chef der Website sein Wahlkampfleiter. Eine explosive Mischung, wie Hubert Wetzel auf “sueddeutsche.de” findet: “Krawall und Provokation sind Teil der Strategie, mit politischen Konzepten oder Ideen setzt sich Breitbart News nicht auseinander. Die Seite ist weitaus amateurhafter und ruppiger als etwa Fox News, der konservative Fernsehsender. Auch Ironie ist Breitbart News fremd, Selbstironie sowieso. Die Autoren sind ernste Eiferer, auch wenn ihre Artikel manchmal wie Satire klingen.”

6. Heuchelei 24/7?
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Am letzten Tag der Olympischen Spiele in Rio will das IOC einen eigenen globalen Fernsehkanal starten. 443 Millionen Euro hat man dafür bereitgestellt. Joachim Huber fragt im “Tagesspiegel”, was das Ganze soll: “Was wird da laufen, was soll erreicht werden? Propaganda Tag und Nacht, die Weißwaschung des Sports, der längst in der Grauzone agiert? Oder der Spagat, wie ihn ARD und ZDF Tag für Tag zelebrieren – Jubel und Jammer?”

Der Tod steckt in der Krise

Die meisten Menschen fürchten sich vor dem Tod, nur die wenigsten sehen seine Vorteile: Nie wieder an kalten November-Morgen vom Wecker aus dem Bett gescheucht werden. Nie wieder durchnässt im Regen warten. Nie wieder Post vom Finanzamt. Und kein Chef mehr, dem am frühen Freitagabend einfällt, dass er für seinen Vortrag am Montag noch dringend eine Präsentation braucht, um die er sich aber wegen des nahenden Wochenendes unmöglich selbst kümmern kann.

Der Tod könnte so schön sein, wenn er nicht leider auch einige Nachteile hätte. Zum Beispiel: die Langeweile.

Ja, was tun? Die Frage wäre überhaupt neu, denn natürlich gäbe es auch keine Wochenenden mehr, die am Freitagnachmittag mit Stress beginnen und fünf Minuten später, am Sonntagabend um Mitternacht völlig überraschend enden, weil die Zeit zwischen den Powerpoint-Folien für den Chef einfach zerrieselt ist — und der Vortrag an sich natürlich auch noch gemacht werden musste.

Ralf Heimann hat vor ein paar Jahren aus Versehen einen Zeitungsbericht über einen umgefallenen Blumenkübel berühmt gemacht. Seitdem lassen ihn abseitige Meldungen nicht mehr los. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Daniel Wichmann “Hier ist alles Banane — Erich Honeckers geheime Tagebücher 1994 – 2015”. Fürs BILDblog kümmert er sich um all die unwichtigen Dinge, die in Deutschland und auf der Welt so passieren.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)

Nur noch Faulheit, Trägheit, Müßiggang. Nur noch Zeit, die wie ein endloses Bächlein vorbeiplätschert.

Vielleicht muss man sich den Tod einfach so vorstellen: Man liegt irgendwo herum und wartet schlaflos auf einen Morgen, der niemals kommen wird. Ein fürchterlicher Zustand, der nur durch den Gedanken erträglich wird, dass man immerhin vom Finanzamt nichts mehr zu befürchten hat. Aber dann wälzt man sich auf die andere Seite, schaut noch mal hin, und da liegt plötzlich dieser Brief, auf dem man in Umrissen das Landeswappen erkennt.

In Sarzeau im Westen Frankreichs muss man mit so etwas inzwischen rechnen. Das Finanzamt dort hat vor ein paar Tagen eine Steuerforderung an eine Tote zugestellt. Der Bote kam vermutlich dreimal, fand aber weder Klingel noch Briefkasten, und auch die Nachbarn zeigten sich wenig kooperativ, was die Adresse hätte erklären können. Die lautete: “Friedhofsweg, Reihe E, Grab 24”.

Die Anschrift ist entweder übersehen worden, oder in den Finanzbehörden ist längst eine neue Zeit angebrochen, in der nicht nur die Unterschiede zwischen Männern und Frauen eingeebnet werden, sondern auch die zwischen Lebenden und Toten.

Nachdem schon die Erbschaftssteuer geflossen ist, kämen dann trotzdem weiter die Vorauszahlungsbescheide, und die Einkommensteuer würden wir auch in der Ewigkeit einfach weiterzahlen. Ständig riefe der Steuerberater an, weil noch irgendwelche Belege fehlten. Dabei wollten wir einfach nur untätig in der Hölle schmoren, wie wir es verdient haben.

Das ganze System ist marode. Es fängt schon bei den Bestattern an, die ihre Kunden skrupellos über den Tisch ziehen, statt sie dort einfach, wie es ihre Aufgabe wäre, zu waschen und nett anzukleiden. 

In Gießen gab es gerade wieder so einen Fall. Ein Ehepaar hat das Geld für die eigene Feuerbestattung per Vorkasse überwiesen. Dann starb die Frau, und der sonst nicht an Kundenbewertungen gewöhnte Bestatter hatte offenbar vergessen, dass ein Vertragspartner — was in der Regel nicht vorkommt — nach getaner Arbeit noch lebt. Die eigentlich schon bezahlten Rechnungen gingen an ihn. Der Mann hat den Bestatter nun angezeigt.

Da kann einem die Lust aufs Sterben schon vergehen. Und anscheinend ist man mit diesem Gefühl nicht allein: 


Quelle: “Mindener Tageblatt”

Wenn die Bestatter nicht aufpassen, wird es ihnen irgendwann genauso ergehen wie den Kutschen-Bauern und den Zeitungsverlagen. Die Kunden werden sich was Neues suchen, vielleicht irgendwas im Internet. 

Es gibt ja schon heute kaum noch Menschen, die mit ihrer eigenen Bestattung so zufrieden waren, dass sie sagen würden: Empfehle ich uneingeschränkt weiter. Was aber auch kein Wunder ist. Wer will schon mit einer Branche zu tun haben, die ihre Kunden erst abzockt und dann in einem Loch verscharrt? Anscheinend sind nicht mal die Beschäftigten selbst bereit, das länger mitzutragen:

Der letzte Bestatter wird vermutlich auch am Wochenende nach seinem Tod noch arbeiten müssen, um sich selbst unter die Erde zu bringen. Und solche Arbeitsbedingungen sind wirklich niemandem zuzumuten. 

Dabei ist das Sargtragen an sich eine attraktive Tätigkeit mit vielen Aufstiegschancen. Und natürlich spielt die Digitalisierung auch hier eine große Rolle. Die Terminabstimmung erfolgt heute oftmals per Smartphone. Viele Jugendliche wissen das gar nicht.

Und das wiederum ist symptomatisch für diese Branche. Es ist nicht alles so schlecht, wie es auf den ersten Blick erscheint. Das gesamte Bestattungswesen bräuchte vor der Reform vermutlich erst mal eine Image-Kampagne. Der Tod muss endlich wieder attraktiv werden. Nicht nur für die Dienstleister, auch für die Kunden. Aber wie verklickert man das den Leuten?

Man müsste da mal eine Werbeagentur beauftragen, die einen Claim entwirft, der alles auf den Punkt bringt. Dieses Gefühl, dass sich etwas zum Besseren verändert. Die Aufbruchstimmung. Den frischen Wind. Wobei, vielleicht braucht man doch gar keine Werbeagentur. Vielleicht nimmt man einfach diese Überschrift:

Fossile Anzeigen, Bilder aus Doha, “Bild”-Glotze

1. Maaßen wechselt zu Anwaltskanzlei
(tagesschau.de, Georg Mascolo & Katja Riedel)
Der ehemalige Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen ist seit heute als sogenannter “Of counsel” bei der Kölner Anwaltskanzlei des Medienrechtlers Ralf Höcker beschäftigt. Darunter versteht man laut Wikipedia “Rechtsanwälte, die außerhalb der Hierarchie von Partnern/Sozien und angestellten Anwälten (“Associates”) bei bestimmten Mandaten herangezogen werden”. Maaßen und Höcker eint die Mitgliedschaft in der sogenannten “Werte-Union”, ein Zusammenschluss von etwa 3.000 besonders konservativen CDU-Anhängern, der von der Partei jedoch nicht als offizielle Parteiorganisation geführt wird.

2. “Sport soll positive Bilder liefern”
(deutschlandfunk.de, Antje Allroggen)
Der Deutschlandfunk hat sich anlässlich der Leichtathletik-WM in Doha mit der Kommunikationswissenschaftlerin Stephanie Heinecke über die Besonderheiten der Berichterstattung unterhalten. Der Veranstalter nehme starken Einfluss auf die visuelle Darstellung des Sportspektakels. Einerseits sorge er für umstrittene, als übergriffig empfundene Bilder, andererseits unterdrücke er Bilder von Athleten, die unter den besonderen klimatischen Bedingungen des Wüstenstaats zusammenbrechen.

3. Deutsche-Presse Agentur kämpft um Auftraggeber
(sueddeutsche.de, Elisa Britzelmeier & Stefan Mayr)
Den Medienwandel bekommen nicht nur Zeitungen zu spüren, sondern auch ihre Zulieferer, die Nachrichtenagenturen. Die Deutsche Presse-Agentur sieht sich nun zu Umstrukturierungen gezwungen, die nicht nur eine stärkere Zentralisierung, sondern auch Stellenabbau vorsehen.

4. “Bild”, “BamS” – jetzt Glotze
(spiegel.de, Isabell Hülsen & Alexander Kühn)
Seit einiger Zeit deutet sich an, dass der Einstieg des Finanzinvestors KKR bei Axel Springer ein Runterfahren des Printsektors bei gleichzeitiger Stärkung des Onlinegeschäfts nach sich zieht. Nun wird bekannt, dass der Verlag “Bild” und “Bild am Sonntag” zusammenlegen und um einen TV-Sender ergänzen will. Geld für das neue “Bild-TV” dürfte vorhanden sein: Springer will bei “Bild”, “BamS” und “B.Z.” insgesamt 20 Millionen Euro einsparen.

5. “Lieber Geschichte schreiben statt Artikel”: Wie Leitmedien von “Zeit” bis “FAS” sich am Phänomen Greta Thunberg abarbeiten
(meedia.de, Franz Sommerfeld)
Greta Thunberg und die von ihr ins Leben gerufene Fridays-For-Future-Bewegung sind ein Thema, das von Medien sehr unterschiedlich wahrgenommen und dargestellt wird. Der Publizist Franz Sommerfeld hat sich angeschaut, durch welche Brillen Leitmedien wie “Zeit”, “Welt” oder “FAZ” das Phänomen betrachten.

6. Flüge fliegen raus
(taz.de, Reinhard Wolff)
Die als grün-rot geltende schwedische Tageszeitung “Dagens ETC” will keine “fossilen Annoncen” mehr annehmen. Damit soll vermieden werden, dass neben Artikeln über die Klimapolitik Anzeigen für klimaschädliche Flugreisen oder Verbrenner-Autos präsentiert werden. Chefredakteur Andreas Gustavsson lobt und kritisiert die Branche: “Viele Medien haben ihren Klimajournalismus in letzter Zeit deutlich ausgebaut, teilweise gibt es jetzt eigene Klimaredaktionen, aber man meint auf der Anzeigenseite nichts opfern zu müssen.” Seine Zeitung wolle sich finanziell unabhängig von den Branchen machen, die man kritisiere: “Alles andere ist Heuchelei.”

Corona-Faktencheck, Krisenmänner, Die Sendung mit dem Virus

1. Die 15 häufigsten Gerüchte und Theorien zum Coronavirus im Faktencheck
(correctiv.org, Alice Echtermann)
Vor allem in den Sozialen Medien kursieren rund um das Coronavirus die unterschiedlichsten Gerüchte und Theorien zur Entstehung und Ausbreitung des Erregers. Das reicht von schlichten Falschaussagen bis hin zu abenteuerlichen Behauptungen, die kunstvoll zu Verschwörungstheorien verwoben werden. “Correctiv” hat sich “die 15 häufigsten Gerüchte” vorgeknöpft und sie auf ihren Wahrheitsgehalt untersucht.

2. EU-Kommissions-Chefin Ursula von der Leyen: Immer Ärger um ihre Berater
(aargauerzeitung.ch, Remo Hess)
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen lässt sich in Sachen Social Media von der umstrittenen PR-Agentur “Storymachine” beraten. Die Tätigkeit sei jedoch nirgendwo offiziell festgehalten, sondern basiere auf einem Vertrag, den von der Leyen “in privater Kapazität” abgeschlossen habe. Zu den Kosten wolle sie sich nicht äußern, außer dass sie “nicht nennenswert” seien. Lobbywächter und Transparenz-Verfechter halten die Vorgehensweise der Kommissionspräsidentin für problematisch.

3. Kriegsherren, Erklärbären, Sunnyboys: Männer für die Krise
(uebermedien.de, Annika Joeres & Susanne Götze)
In Krisenzeiten werde oft nach dem “starken Mann” gerufen. Das mache sich auch in vielen Medien bemerkbar. Annika Joeres und Susanne Götze sprechen in diesem Zusammenhang von der “Reproduktionsschleife der Ungleichheit”: “Zwar tut es allen leid, aber am Ende reproduziert sich das männlich dominierte System so immer wieder selbst: Männer empfehlen Männer, die dann auffallen und von Männern aufgegriffen werden. Die Medien sind dabei Helfershelfer der Ungleichheit.”

4. Staatshilfen für private Medien?
(deutschlandfunk.de, Sören Brinkmann, Audio: 5:10 Minuten)
Derzeit kämpfen viele Verlage und Medienhäuser mit den Auswirkungen der Corona-Krise. Nun haben einige Bundesländer direkte Hilfen angekündigt, was auf der Empfängerseite recht unterschiedlich aufgenommen wird: Private Rundfunkanbieter würden die Unterstützung befürworten, Verlage seien aus Sorge vor einer möglichen Einflussnahme oft zurückhaltend.

5. G20-Akkreditierungen rechtswidrig entzogen
(mmm.verdi.de)
Im Rahmen des G20-Gipfels 2017 in Hamburg wurden einigen Journalistinnen und Journalisten die Presseakkreditierungen entzogen. Dies war im Fall von sechs Betroffenen, die dagegen geklagt haben, rechtswidrig. Das Verwaltungsgericht Berlin habe ihnen daraufhin sogenannte Anerkenntnisurteile zugestellt. Zwei weiteren Journalisten habe man dies schon im November 2019 bestätigt.

6. Bloß nicht zu ernst
(sueddeutsche.de, Theresa Hein)
Theresa Hein hat sich im Kinderfernsehen umgeschaut und geguckt, wie dort thematisch mit dem Coronavirus umgegangen wird. Es geht vor allem um die Frage: “Wie bleibt man gleichzeitig unterhaltsam, macht aber auf den Ernst der Lage aufmerksam — und dabei auch keine Angst?”

“Hygiene-Demos”, Steingarts Pathos, Sch­lech­ter­dings Juris­ten­deutsch

1. “Das erinnert mich an die Anfänge von Pegida”
(deutschlandfunkkultur.de, Katja Bigalke & Martin Böttcher, Audio: 17:11 Minuten)
Derzeit wird an vielen Orten gegen die Corona-Maßnahmen demonstriert. Die Teilnehmenden sind äußerst heterogen und schwer einzuordnen, die sogenannten “Hygiene-Demos” ein Magnet für Rechtsextreme, Linksextreme, Verschwörungserzähler und Esoteriker. Die Berichterstattung darüber sei ebenso “verständlich wie problematisch”, so Simone Rafael von der Amadeu Antonio Stiftung. Es fehle an kritischer Einordnung. Außerdem müsse man nicht “jedem Zweiten das Mikro unter die Nase” halten.

2. 25 Jahre WELT im Internet. Eine Zeitreise
(welt.de, Oliver Michalsky)
Vor 25 Jahren wagte die “Welt” den Sprung ins Internet und setzte ihre erste Webseite auf. Digital-Chef Oliver Michalsky lässt das vergangene Vierteljahrhundert Revue passieren. Alleine die nostalgisch anmutenden Screenshots von damals lohnen einen Blick auf den Beitrag.

3. Chebli wehrt sich erfolgreich gegen kommerzielle Nutzung ihres Namens
(tagesspiegel.de)
Die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli (SPD) sieht sich auf Twitter immer wieder Beleidigungen und Drohungen ausgesetzt. Ganz übel mitgespielt hatte ihr ein Ex-Polizist und Youtuber aus dem rechten Spektrum, der von einem Gericht jedoch freigesprochen worden war. Eben diese Person hat nun Gegenstände mit Cheblis Konterfei verkauft. Dagegen wehrte sich Chebli erfolgreich via Unterlassungserklärung.

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4. Herr Steingart, das Pathos ist schon wieder leer!
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
“Man kann es sich nicht vorstellen, wenn man es nicht gesehen hat. Man kann es sich nicht einmal vorstellen, wenn man es gesehen hat.” Die Rede ist von Gabor Steingarts neuem Imagefilmchen zum Launch von “The Pioneer”, einer Mischung aus verschiedenen Polit-Newslettern und Podcasts. Stefan Niggemeier mit einem Erklärungsversuch des Medien-Phänomens Steingart: “Ich male mir das so aus, dass Gabor Steingart irgendwann zu Springer-Chef Mathias Döpfner gegangen ist und ihn überzeugt hat, Millionen in das neue Unternehmen zu stecken statt in sowas wie, sagen wir, die ‘Welt’, indem er es nicht als Schnäppchen, sondern absurd teure Sache verkauft hat. Je mehr es kostete, je absurder es wurde (und dann lassen wir ein eigenes Schiff bauen und fahren damit auf der Spree zwischen Friedrichstraße und Hauptbahnhof hin und her!), desto attraktiver schien die Investition.”

5. Das Bild des Politclowns bleibt
(taz.de, Ralf Leonhard)
Als vor einem Jahr das sogenannte “Ibiza-Video” auftauchte, gingen viele davon aus, dass es mit der politischen Karriere von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache endgültig vorbei ist. Doch weit gefehlt: Der Politiker schart schon wieder Anhänger und Anhängerinnen um sich und bastelt an einer zweiten Karriere. Sein größter Verbündeter: die österreichische Boulevardpresse.

6. Sch­lech­ter­dings Juris­ten­deutsch
(lto.de, Hendrik Wieduwilt)
Die sperrige Formulierung “Schlechterdings nicht nachvollziehbar” ist für Hendrik Wieduwilt willkommener Anlass, über das aufgeblähte Juristendeutsch nachzudenken. Sein (etwas ironisches) Fazit: “Wer beim Schreiben wirklich an die Leser und die Rechtsunterworfenen denkt, greift nicht zu Passiv-Konstruktionen, doppelten Verneinungen und Ausdrücken aus dem vorigen Jahrhundert. Wer es aber dennoch tut, denkt womöglich nicht so sehr an den Leser, sondern schlechterdings einfach an sich selbst.”

Stasi-Unterlagenbehörde, Wirercard-Story, Hackerangriff auf Madsack

1. Wie die Stasi-Unterlagenbehörde dem rbb und “Bild” half, Dutzende Journalisten auszuforschen
(uebermedien.de, Marcus Engert)
Einen wahren Krimi hat Marcus Engert für “Übermedien” und “BuzzFeed News” aufgeschrieben. Mitarbeiter der Stasi-Unterlagenbehörde hätten offenbar dem rbb und der “Bild”-Zeitung geholfen, Mitglieder und Funktionäre der größten deutschen Journalistengewerkschaft auszuforschen. Mehr als 1.000 Seiten seien herausgegeben, Unterlagen über 164 Menschen dafür durchleuchtet worden. Rechtswidrig, wie die Behörde selbst einräume.

2. Verbände legen Beschwerde gegen Apple beim Bundeskartellamt ein
(zeit.de)
Seit Apples neuestem Betriebssystem-Update können Nutzerinnen und Nutzer es ablehnen, wenn Apps sie tracken, also ihr Verhalten für Werbezwecke nachverfolgen wollen. Spitzenverbände der deutschen Medien- und Werbewirtschaft sehen durch die “App Tracking Transparency” ihre Geschäfte bedroht und haben eine Missbrauchsbeschwerde beim Bundeskartellamt eingelegt.

3. Gericht stoppt Wirecard-Film von RTL
(faz.net, Corinna Budras)
Vergangenen Donnerstag sendete RTL den Film “Der große Fake – Die Wirecard-Story”. Trotz einer einstweiligen Verfügung des Oberlandesgerichts München, das dem Sender verboten hatte, über den Kronzeugen Oliver B. “identifizierend zu berichten”. Corinna Budras ordnet den Fall ein, der aller Voraussicht nach ein juristisches Nachspiel haben wird.

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4. Reichelt verliert Geschäftsführer-Posten
(sueddeutsche.de)
Bei “Bild” wird am Führungs-Organigramm gebastelt: Julian Reichelt verliere seinen Posten als Geschäftsführer der “Bild”-Gruppe. Er solle sich zukünftig zusammen mit Claus Strunz verstärkt um den Ausbau von “Bild TV” kümmern. Bei der “Welt”-Gruppe dagegen bleibe die personelle Zusammensetzung der Geschäftsführung unverändert.

5. Warum ging diese Aktion nach hinten los?
(freitag.de, Sabine Nuss)
Sabine Nuss beschäftigt sich mit der Aktion #allesdichtmachen. Das Videoprojekt und die Kritik daran würden den zentralen gesellschaftlichen Widerspruch in der Pandemie zeigen. Der lesenswerte Beitrag ist ein Versuch, den verschiedenen Aspekten der komplexen Thematik gerecht zu werden.

6. “Unternehmen investieren zu wenig in IT-Sicherheit”
(deutschlandfunk.de, Mike Herbstreuth & Constanze Kurz & Isabelle Klein, Audio: 4:30 Minuten)
Im vergangenen Dezember war die Funke-Mediengruppe das Ziel eines Hacker-Angriffs, der weitreichende Konsequenzen hatte. Nun hat es die Madsack-Gruppe erwischt – mit schweren Auswirkungen auf das Erscheinen von Titeln wie “Hannoversche Allgemeine Zeitung”, “Göttinger Tagblatt” oder “Ostsee-Zeitung”. Der Deutschlandfunk hat sich mit Constanze Kurz vom Chaos Computer Club unterhalten, die Versäumnisse bei den Opfern der Angriffe feststellt.

KW 25/22: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

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1. Die fatalen Folgen der Null-Covid-Strategie in China
(youtube.com, Weltspiegel, Daniel Satra, Video: 18:15 Minuten)
Daniel Satra ist seit drei Jahren ARD-Korrespondent in China und ist es gewohnt, bei seiner Arbeit auf Schritt und Tritt verfolgt und überwacht zu werden. Seit Chinas Zero-Covid-Politik haben sich die Arbeitsbedingungen für ihn noch einmal verschlechtert, und eine Drehreise gleicht eher einem Horrortrip: “Wir werden Zeugen, wenn seine Corona-Warn-App scheinbar willkürlich von Grün auf Gelb springt, obwohl er täglich mehrmals negativ getestet wurde. Wir erfahren, wie es ist, wenn der Reporter zwischen die Fronten von Provinzbehörden, Seuchenschutz und der Polizei gerät.” Absolute Sehempfehlung.

2. Ferngespräche: Schweiz
(ardaudiothek.de, Holger Klein, Audio: 56:05 Minuten)
Bei den radioeins-“Ferngesprächen” lässt Holger Klein Korrespondentinnen und Korrespondenten über ihre jeweilige Region zu Wort kommen. Diesmal hat er sich mit Kathrin Hondl zusammengeschaltet, die von Genf aus über die Vereinten Nationen, aber auch über Liechtenstein und die Schweiz berichtet.

3. Ich poste, also bin ich: Leben in der Influencer-Gesellschaft
(youtube.com, Yves Bossart, Video: 1:00:34 Stunden)
“Ältere Menschen haben noch nie von ihnen gehört, für jüngere sind sie Stars und Vorbilder: Influencer. Sie teilen ihr intimstes Leben und sammeln Follower, verdienen mit Produkthinweisen oft ein Vermögen. Woher kommt dieser narzisstische Exhibitionismus? Und was macht das mit der Gesellschaft?” In der “Sternstunde Philosophie” über die “Influencer-Gesellschaft” diskutiert Yves Bossart mit Anna Miller, Journalistin, Autorin und Aktivistin, sowie mit Wolfgang M. Schmitt, Youtuber, Podcaster und Autor.

Bildblog unterstuetzen

4. So kommt ihr an ein Recherchestipendium
(hinterdenzeilen.de, Tobias Hausdorf & Niklas Münch, Audio: 46:36 Minuten)
Bei “Hinter den Zeilen” geht es um Recherchestipendien von gemeinnützigen Stiftungen. Die Medienschaffenden Viktoria Morasch und Paul Hildebrandt teilen ihre Tipps und Erfahrungen. Außerdem meldet sich Corinna Cerruti zu Wort, die gerade das Fellowship “Vielfalt im Investigativjournalismus stärken” von den “Neuen deutschen Medienmacher*innen” in Kooperation mit dem “Netzwerk Recherche” durchlaufen hat (für Stipendieninteressierte: alle Adressen sind in einer kleinen Linksammlung auf der Seite zusammengefasst).

5. Der Fall Nannen
(sueddeutsche.de, Nadia Zaboura & Nils Minkmar, Audio: 40:22 Minuten)
In der aktuellen Folge von “quoted. der medienpodcast” beschäftigen sich Nadia Zaboura und Nils Minkmar mit dem legendären “Stern”-Gründer Henri Nannen und der Debatte um Nannens NS-Vergangenheit: “Warum spielt das Thema Nannen plötzlich wieder eine Rolle? Wie sieht er aus, der Umgang des Stern und anderer Medien mit der braunen Geschichte ihrer ehemaligen Protagonisten? Und wieso ist Erinnerung auch und gerade auf diesem Feld so wichtig?”

6. Fynn Kliemann – vom Influencer zum Schwurbler?
(spiegel.de, Marius Mestermann & Anton Rainer & Sebastian Maas, Audio: 29:21 Minuten)
Nach Enthüllungen über fragwürdige Geschäfte mit Corona-Masken und Kritik an seinem Geschäftsgebaren geht der Influencer Fynn Kliemann nun in die Offensive. Teile einer “woken linken Szene” und des öffentlich-rechtlichen Rundfunks würden ihn angeblich zerstören wollen, weil er “nicht gespurt” habe. Der””Stimmenfang”-Podcast des “Spiegel” beschäftigt sich mit der Frage, was hinter dem Stimmungsumschwung samt Social-Media-Wutausbruch bei Kliemann steckt.

neu  

Mach’s noch einmal, Ronaldo

Am Montag fand in Madrid eine Pressekonferenz mit dem brasilianischen Stürmer Ronaldo statt. Es war der Vortag des Champions-League-Spiels von Real gegen Arsenal London, deshalb waren viele internationale Journalisten dabei. Sie hatten danach Aufregendes zu berichten: Ronaldo deutete an, dass er den Verein vielleicht zum Ende der Saison vorzeitig verlässt. Er beschwerte sich, dass ihn die Fans nicht mögen, er sprach von seiner großen Traurigkeit und davon, dass er mit dem Vereinspräsidenten darüber geredet hätte, und er sagte auf die Frage, ob England ein mögliches Ziel wäre, dass jeder Ort eine Option wäre.

Auch Bild.de berichtete am Montag von dieser Pressekonferenz und zitierte Ronaldo ausführlich; “Bild” brachte am Dienstag eine kurze Meldung. Am Mittwoch aber legten “Bild” (in einem Teil der Auflage; siehe Ausriss) und Bild.de noch einmal nach. “Bild”-Reporterin Cathrin Gilbert muss einen besonderen Zugang zu dem Stürmerstar haben, denn:

“Exklusiv in BILD spricht er über seine Gründe.”

Das Exklusiv-Interview ist kurz und knackig. Ronaldo beschwert sich darin, dass ihn die Fans nicht unterstützen, er spricht von seiner großen Traurigkeit und davon, dass er mit dem Vereinspräsidenten darüber geredet hätte, und er sagt, England sei, falls er geht, ein mögliches Ziel.

“Bild” “exklusiv” Pressekonferenz
Die Fans sind so verdammt eigen. Sie verlangen das Unmögliche von uns Spielern. The Madrid fans are very special and they seem to get motivated by the idea of an impossible comeback win (…).
Anstatt zu pfeifen, sollten [die Fans] uns unterstützen. Ich habe schon oft Zeichen gegeben: Unterstützt uns! One mistake and they whistle me. We need fans that will support us all the time.
Ich habe [Präsident Perez] oft gebeten zu helfen. Aber es hat sich nichts geändert. Ich bin traurig. The Real Madrid president knows what I’ve just said and knows my sadness regarding my relationship with the Bernabeu fans. I have always received his support but things haven’t changed (…).
Der Titel und die Champions League stehen an Nummer 1. Aber ohne Geborgenheit geht‘s nicht. Ich denke über einen Wechsel nach. I have never stayed in a place where I am not wanted and I will consider my future at the end of the season.
Wenn ich mich Ende der Saison gegen Madrid entscheide, ist England eine Option. Das entscheide ich nach der WM. If I decide to leave Real Madrid at the end of the season then all options will be open. I will decide on my future after the World Cup.

 
Entweder hat Ronaldo also all das, was er am Montag der Weltpresse erzählt hat, am Dienstag noch einmal fast wörtlich exklusiv der “Bild”-Reporterin erzählt. Oder nicht.

Danke an Christian H. für den Hinweis!

Wie “Bild” viel Wind produziert

Im Hintergrund ein Wirbelsturm, im Vordergrund ein lachender Umweltminister Sigmar Gabriel und darunter die gewaltige Schlagzeile: “Minister verhöhnt Hamburger Tornado-Opfer”. So machte die “Bild”-Zeitung gestern in Hamburg auf.

Und behauptete:

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel in Berlin macht Späße über den Tornado! (…) In der gestrigen Haushaltsdebatte im Bundestag (es ging um den Klimawandel) witzelte er über den Tornado, der durch Hamburgs Süden fegte: “Das wird wohl eher etwas mit den Nachwirkungen der Ereignisse, in die der Justizsenator verwickelt war, zu tun gehabt haben.”

“Bild” nannte das im Stabreim eine “peinliche Politiker-Panne” — und hätte, wenn es so gewesen wäre, womöglich recht.

Heute greift “Bild” das Thema auch bundesweit auf und macht Gabriel zum “Verlierer des Tages”:

(…) Im Bundestag sagte er, die Katastrophe werde “wohl eher etwas mit den Nachwirkungen der Ereignisse, in die der Justizsenator verwickelt war, zu tun gehabt haben.”

BILD meint: Ganz schnell entschuldigen!

Und hätte, wenn es so gewesen wäre, womöglich recht.

Aber die Sache war ein bisschen anders. Gabriel hatte sehr ernsthaft über die Bedeutung des Klimaschutzes und die Gefahren des Klimawandels geredet und dann gesagt:

Letztens hatten wir in Hamburg einen Tornado. Ich weiß nicht, ob es so etwas schon einmal gab und ob das etwas mit dem Klimawandel zu tun hat.

An dieser Stelle wurde er von mehreren Zwischenrufen unterbrochen, die er nicht verstand. Er fragte nach, und der CDU-Abgeordnete Steffen Kampeter machte eine vermutlich witzig gemeinte Bemerkung:

Die Frage ist, ob das etwas mit den Mehrheitsverhältnissen in Hamburg zu tun hat!

Auf diesen Zwischenruf hin antwortete Gabriel:

Das wird wohl eher etwas mit den Nachwirkungen der Ereignisse, in die der Justizsenator verwickelt war, zu tun gehabt haben.

Was genau Kampeter und Gabriel meinten, wie Kampeter vom Tornado auf die “Hamburger Mehrheitsverhältnisse” kam und Gabriel von den Hamburger Mehrheitsverhältnissen auf die Entlassung des Justizsenators am Montag, bleibt auch nach Lektüre des stenografischen Berichts schleierhaft.

Aber die “Bild”-Zeitung verschweigt ihren Lesern den Zusammenhang: dass sich Gabriel nicht direkt auf den Tornado bezog, sondern auf eine Bemerkung über die “Hamburger Mehrheitsverhältnisse”. Dabei muss ihr der tatsächliche Ablauf bekannt gewesen sein. Denn Gabriels Satz lautete wörtlich (wie auf dem Video von der Sitzung zu sehen ist) etwas anders. “Bild” zitiert aus der redigierten Version im stenografischen Bundestags-Protokoll. Und in diesem Protokoll ist auch der vorhergehende Zwischenruf dokumentiert.

Carrells letzter Wunsch war nicht sein letzter Wille

Manchmal reicht es einfach nicht, die halbe Wahrheit zu kennen.

Kurz nachdem Rudi Carrell gestorben war, wusste “Bild”, dass der Showmaster eingeäschert und neben seiner zweiten Frau Anke begraben werden wolle. “Bild” wusste außerdem, dass die Urne seiner zweiten Frau im Garten seines Grundstückes beigesetzt worden sei. Und aus beidem folgerte “Bild” nun offenbar, dass nun auch Carrell in seinem Garten beigesetzt werden wolle.

Das war eine weitreichende Schlussfolgerung. Deshalb fragte “Bild” schon am ersten Tag der Berichterstattung über Carrells Tod unheilvoll: “Bleibt Rudi Carrells letzter Wunsch etwa unerfüllt?” Und fragte beim Bürgermeister von Carrells Wohnort Syke nach, ob so eine Bestattung im Garten überhaupt erlaubt sei, und der Bürgermeister verneinte und sagte, es gebe noch nicht einmal einen entsprechenden Antrag.

Vielleicht hätte man sich an dieser Stelle schon fragen können, ob das Fehlen des Antrags nicht auch bedeuten könnte, dass Carrell womöglich gar nicht im eigenen Garten bestattet werden wollte. Vielleicht hätte auch jemand im langen Interview nachlesen können, das Carrell erst im März dem “SZ-Magazin” gegeben hat. Darin antwortete er auf die Frage, ob er nicht auf dem Grundstück neben seiner Frau Anke beerdigt werden wolle: “Ich überlege noch, ob wir vielleicht ein gemeinsames Grab mit beiden Urnen nehmen, auf einem normalen Friedhof.”

“Bild” zitierte stattdessen nun den Ordnungsamtsleiter von Syke, der sagte, es werde keine Ausnahmegenehmigung für Carrell geben. “Bild” fragte auch beim niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff nach, der der Zeitung sagte, er würde es “außerordentlich begrüßen”, wenn die zuständige Behörde die Genehmigung doch erteilen würde. Und weil in der Welt von “Bild” demokratische Abläufe und gesetzliche Vorschriften keine große Sache sind, machte die Zeitung daraus gleich die Überschrift: “Rudi darf in seinem Garten beigesetzt werden”.

Während nun andere Zeitungen das Thema aufgriffen, ohne die Grundannahme zu überprüfen, wurde es in “Bild” selbst ein bisschen ruhig um die Urne-im-Garten-Geschichte. Bis gestern, als “Bild” berichtete, Carrell sei auf dem Friedhof in Heiligenfelde beigesetzt worden — neben seiner Frau, deren Urne offensichtlich überführt worden sei. Heute schreibt “Bild” wieder über Carrells “letzten Willen”. Und zitiert seinen Schwiegersohn Dieter Klar mit den Worten: “Das Haus soll auf alle Fälle verkauft werden. Das wollte Rudi so. Er hat deshalb auch angeregt, nicht auf seinem Grundstück bestattet zu werden, sondern außerhalb.”

Danke an Stefan S.!

Der RWE-Chef im “Bild”-Nichtverhör

Grundsätzlich lassen sich zwei Arten von “Bild”-Interviews unterscheiden. Die eine Art wird tendenziell eher mit Politikern geführt, die Steuern erhöhen oder Verbrecher laufen lassen wollen, und nennt sich “BILD-Verhör”. Die andere Art wird gerne mit Spitzenfunktionären großer Unternehmen geführt und hat keinen eigenen Titel, was vermutlich daran liegt, dass “Das offene Mikrofon”, “Der ungestörte Monolog” oder “Es geht auch ohne Nachfragen” nicht so rubriktauglich sind.

Jedenfalls ist es vermutlich eher kein Zufall, dass am selben Tag, an dem der “Spiegel” davon berichtet, dass die vier Stromriesen “mit einer Charme-Offensive” die drohende Zerschlagung verhindern und “ihre Milliardengewinne sichern” wollen, der Chef eines der vier Stromriesen der “Bild”-Zeitung ein Interview gibt, das man nüchtern “kein Verhör” nennen könnte.

Es beginnt so:

BILD: Immer mehr Politiker fordern eine Zerschlagung der Stromkonzerne und die Trennung von Netz und Kraftwerken. Senkt das die Preise?

[RWE-Chef Jürgen] Großmann: Ein klares Nein! Die Zerschlagung schafft Beschäftigung, aber nur für Rechtsanwälte und Bürokraten. Die Verbraucher gewinnen leider nichts. Glauben Sie ernsthaft, dass die Milch im Supermarkt billiger wird, wenn die Milchtheke von den übrigen Regalen getrennt wird?

Nein, das glaubt natürlich niemand ernsthaft, genauso wenig wie irgendjemand glauben sollte, dass das Bild von der einsam in der Ecke stehenden Milchtheke irgendwie ein treffender Vergleich für die Trennung von Strom-Produzenten und –Netzen ist. Dabei geht es nämlich darum, dass nach Ansicht von Monopolkommission und Politikern aller Parteien die Stromriesen anderen Produzenten, die für mehr Wettbewerb und niedrigere Preise sorgen könnten, das Leben dadurch schwer machen, dass sie sie beim Zugang zu den Netzen diskriminieren (oder sie nur dann mit ihrer Milch in die Monopolkühltheke lassen, wenn sie dafür ordentlich extra zahlen).

Aber im “Bild”-Nichtverhör kann Großmann einfach so vor sich hin assoziieren, ohne dass ein Journalist ihn (oder die Leser) dezent darauf hinwiese, wie irreführend seine Metaphern sind.

Die letzte Frage von “Bild” lautet so:

BILD: Die Monopolkommission hat festgestellt: Es gibt bei Strom und Gas keinen Wettbewerb. Freuen Sie sich als großer Energieversorger darüber?

Und Großmann antwortet:

Ich widerspreche der Kommission: Jeder Haushalt kann bei Strom unter mindestens fünf verschiedenen Anbietern wählen, in Großstädten sind es noch mehr.

Und wäre es nicht schön gewesen, wenn der “Bild”-Mann den RWE-Mann an dieser Stelle unterbrochen hätte, um etwas zu sagen wie:

Ja, Moment, aber an der Zahl der Anbieter lässt sich das doch gar nicht messen. Erstens weil die Stromanbieter so miteinander verflochten sind, wie die Monopolkommission kritisiert hat, und die Energieriesen oft auch an den Stadtwerken beteiligt sind. Und zweitens, weil das Bundeskartellamt nach eigenen Angaben Belege dafür hat, dass die Strommanager konkurrierender Unternehmen die Preise untereinander abgesprochen haben (die EU-Kommission ermittelt ja auch gegen Ihr Unternehmen und hat jede Menge Akten beschlagnahmt).

Ja. Wär schön gewesen. “Bild”-Interviewer Oliver Santen aber sagte:

nichts.

Experimentierfeld, Textfeld, Fussballfeld

1. Was ein Reporter erlebt, der das Gespräch mit den „Lügenpresse“-Kritikern sucht
(Christian Fuchs, blog.zeit.de)
Im Blog der “Zeit” schreibt Christian Fuchs von den vergeblichen Bemühungen, mit den Machern des Magazins “Compact” ins Gespräch zu kommen. Dahinter stand der Wunsch, ein Porträt über den überraschenden und seltenen Auflagenerfolg des neuen politischen Magazins anzufertigen. Doch die Sache gestaltet sich schwieriger als erwartet. Zwar habe man mit über 60 Personen aus dem Umfeld der Zeitschrift, mit Weggefährten des Chefredakteurs und mit Experten im In- und Ausland gesprochen, die Magazinmacher hätten sich jedoch bis zum Schluss beharrlich verweigert.

2. Zeitung wird zum Buchstabenkino
(faz.net, Adrian Lobe)
Spleen oder kluges Investment? Immer mehr Milliardäre legen sich renommierte Zeitungen zu. Nun hat der Biotech-Unternehmer Patrick Soon-Shiong die bekannten, amerikanischen Blätter „Los Angeles Times“ und „Chicago Tribune“ gekauft. Soon-Shion wolle “experimentieren” und die Blätter zu einem “Technologie-Hub” voller künstlicher Intelligenz umbauen, berichtet Adrian Lobe in der “FAZ”. Es stelle sich die Frage, ob der Unternehmer den Journalismus wirklich revolutionieren oder Zeitungen nur als Experimentierfeld für seine Biotech-Unternehmungen nutzen wolle.

3. Silent News
(heise.de, Hans-Jürgen Krug)
Angeblich sollen 80 Prozent aller Facebook-Nutzer Videos im Silent-Modus, also mit abgeschaltetem Ton, nutzen. Die Medien haben darauf reagiert und statten ihre Nachrichtenclips mit Untertiteln aus. Doch um geklickt zu werden, bedarf es mehr. Und deshalb würden in den Filmschnipseln, wie beim Beispiel “heute plus”, zunehmend große grelle Textbanner mit Fragen eingeblendet. “”Facebook first” verändert nicht nur die – zeitliche – Platzierung von Neuigkeiten. Es prägt auch zutiefst ihre Machart. Silent Audioplay macht Nachrichten zu Worthäppchen. Gelbe Kästchen erzählen eigene Geschichten.”

4. „Planwirtschaftliches Fernsehen“
(taz.de, Klaus Raab)
Die “taz” hat mit dem Medienwissenschaftler Lutz Hachmeister über die Gegenwart der deutschen Talkshow gesprochen. Hachmeister auf die Frage, warum es derart viele Talkshows gäbe: “Weil es planwirtschaftliches Fernsehen ist. Man kann ungefähr die Quote absehen. Es ist im Vergleich zu anstrengenden Recherchen billig. Und es schafft eine strukturelle Regelmäßigkeit, die den Programmmanagern gefällt. Risikovermeidung ist das Lebenselexier technokratischer Programmplanung.”

5. Absurder Streit um Syrien-Berichterstattung
(Petra Sorge, cicero.de)
Vor einigen Tagen hat der Presserat eine sogenannte Missbilligung gegen die Syrien-Berichterstattung von “bild.de” ausgesprochen. “Bild Online”-Chef Julian Reichelt veröffentlichte daraufhin einen offenen Brief und bezeichnete den Presserat als „Handlanger des Kreml“. Petra Sorge vom “Cicero” erklärt, warum für sie bei dem Konflikt beide Seiten kein gutes Bild abgeben würden.

6. Gauland
(facebook.com, Maxim Biller)
“Nachdem der stellvertretende Vorsitzende der AfD, Alexander Gauland, in einem „Kicker“-Interview über Omri Bunsenstein, den Mittelfeldregisseur von Makkabi Wedding, gesagt hatte, die Leute fänden ihn zwar als Fußballspieler gut, wollten ihn aber nicht als Nachbarn haben, erklärte der Trainer von Makkabi Wedding, niemand fände Bunsenstein als Fußballspieler gut, schon gar nicht er selbst, aber er müsse ihn trotzdem immer aufstellen, weil ohne die Spenden von Bunsensteins Vater Makkabi Wedding längst pleite wäre.”

Das Attentat von München und die Medien

Zur Berichterstattung über das Attentat in München am vergangenen Freitag und all ihren Schwächen starteten noch am selben Abend viele Diskussionen. Sie drehten sich um grundsätzliche Fragen: Sollten Redaktionen besser erstmal abwarten, wie sich das Geschehen entwickelt, oder direkt live auf Sendung gehen? Tragen TV-Sender durch die Verbreitung von Gerüchten zu sehr zur Panik bei? Ist ein öffentlich-rechtlicher Newskanal nötig, der rund um die Uhr Nachrichten sendet und in Ausnahmesituationen schneller reagieren kann (übrigens eine Diskussion, die es schon länger gibt)?

In diesem Blogpost soll es um verschiedene Beobachtungen und ganz konkrete Beispiele gehen, in denen sich Medien unserer Meinung nach problematisch verhalten haben oder gar falsch berichtet wurde.

***

Am vergangenen Freitag um 18:24 Uhr, also noch elf Minuten, bevor die Polizei München bei Twitter zum ersten Mal vor der Situation am Olympia-Einkaufszentrum warnte und darum bat, den Bereich ums OEZ zu meiden, twitterte “BR24”, das Online- und App-Team des “Bayerischen Rundfunks”:


(Den Tweet hat die Redaktion recht schnell wieder gelöscht.)

Wie hätten die nächsten Anfragen ausgehen, wenn sich jemand bei “B24” gemeldet hätte? Vielleicht: “Könntest Du mal im Einkaufszentrum nachschauen, wie es da so aussieht und für uns mit dem Handy draufhalten?”?

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Als dann die ersten Kamera-Teams und Live-Reporter am Einkaufszentrum angekommen waren, standen sie teilweise gefährlich nah am Tatort und/oder den Truppen der Polizei im Weg:

Bei RTL konnte man sogar live mitverfolgen, wie Fotografen von den Beamten weggeschickt werden mussten:

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Positiv aufgefallen ist uns am Freitagabend, dass viele Medien ohne das Zeigen von verletzten oder getöteten Menschen auskamen. Möglicherweise lag die Zurückhaltung schlicht daran, dass den Redaktionen nicht viele Fotos oder Videoaufnahmen von Opfern zur Verfügung standen. Aber es gab sie. Und Bild.de wollte nicht auf das Zeigen von Blutlachen und Toten verzichten:


(Zusätzliche Unkenntlichmachungen durch uns.)

Die Redaktion fand das Foto so zeigenswert, dass sie es in den folgenden Stunden und Tagen gleich mehrfach verwendete:




Und auch “Bild” druckte den Mann ab, der durch einen Kopfschuss getötet wurde:

Immerhin: Bild.de und “Bild” haben mindestens das Gesicht, teilweise auch den kompletten Oberkörper des Mannes verpixelt. Und dennoch ist das Zeigen dieses Fotos, ob verpixelt oder nicht, problematisch — allein schon wegen der Uhrzeit der Veröffentlichung.

Erstmals ist uns das Foto um 20:42 Uhr bei Bild.de begegnet, ganz oben auf der Seite. Gut möglich, dass es da schon einige Minuten online war. Es handelt sich also um einen Zeitpunkt, zu dem die Identifizierung des Opfers aller Wahrscheinlichkeit nach noch nicht abgeschlossen war, und somit auch die Angehörigen noch nicht informiert gewesen sein dürften. Sollten diese (wohl wissend, dass ihr Vater/Sohn/Ehemann rund ums Olympia-Einkaufszentrum unterwegs war) auf der Suche nach Informationen zum Attentat auch bei Bild.de vorbeigeschaut haben, könnten sie beim Aufrufen der Website zumindest stark verunsichert worden sein. Denn das auffällige rote Oberteil des Mannes dürften sie wiedererkannt haben.

Dass dieses Szenario nicht gänzlich unwahrscheinlich ist, zeigt diese Passage aus einem “Focus Online”-Text zum Attentat in München:

Zu Hause wartete schon ihre kleine Schwester. “Sie lag weinend auf dem Sofa.” Jetzt wird Cahuans H. klar: Nicht alle Bekannten sind in Sicherheit. Sie erfährt: Der Bruder einer Freundin wurde erschossen. Auf einigen Fotos von Augenzeugen sieht man den Jungen, er trägt einen roten Pullover. Cahuans H. berichtet von Handyanrufen, in denen die Schwester des Erschossenen ins Telefon schreit. “Er ist tot, ich habe sein Handy, er ist tot!”

Und auch der Vater des Täters hat seinen Sohn kurz nach den ersten Schüssen anhand eines wackeligen Handyvideos, das im Internet kursierte, erkannt und sich bei der Polizei gemeldet.

Völlig allein waren “Bild” und Bild.de übrigens nicht — bei “N24” sollen ebenfalls Opfer zu sehen gewesen sein:

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Neben all diesen hässlichen Vorgängen gab es am Freitagabend und in den vergangenen Tagen auch großes Lob: für das Social-Media-Team der Polizei München. Die Beamten twitterten in der Nacht von Freitag auf Samstag sachlich, aber sehr bestimmt, sie warnten in verschiedenen Sprachen, baten um Mithilfe bei der Aufklärung der Tat und um Zurückhaltung beim Streuen von Gerüchten.

Julian Röpcke, “Political editor” von “Bild” und Bild.de, gefiel das, was die Polizei München bei Twitter veranstaltete, hingegen gar nicht:

Röpckes Kritik bezog sich auf diesen Tweet der Polizei:

Wenn also eine offizielle Stelle in einer unübersichtlichen Situation darum bittet, vorsichtig zu sein, auch wenn noch nicht ganz klar ist, ob “in der City” Gefahr besteht, macht das Julian Röpcke “*sprachlos*”.

Sein “Bild”-Kollege Björn Stritzel, mit dem Röpcke am Freitagabend zusammen an einem Text zum Attentat arbeitete, verbreitete hingegen wirklich gefährliche Gerüchte:

Gerade einmal 70 Minuten später wurde aus dem möglichen “rightwing extremist” ein möglicher Islamist:

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Das Gerücht, dass es sich bei dem Attentat um einen islamistischen Terroranschlag handeln könnte, schaffte es auch auf die Website der “Hessischen Niedersächsischen Allgemeinen”. In einem Kommentar schrieb “HNA”-Redakteur Jörg-Stephan Carl um 21:17 Uhr — als also noch nicht wahnsinnig viel über die Tat und ihre Hintergründe bekannt war:

Die Islamisten haben der ganzen Welt den Krieg erklärt. Der Fanatismus, der religiös angestachelte Allmachtswahn, die Mordlust der Dschihadisten machen vor niemandem halt. Deutschland hatte bisher weitgehend Glück, der große Anschlag war ausgeblieben. Das Glück ist aufgebraucht.

Es deutet alles darauf hin: Der islamistische Terror ist in Deutschlands Großstädten angekommen. […]

Sich gegen Terror wehren, bedeutet immer auch, ihn aushalten zu müssen. Bei allem Entsetzen, bei aller Wut auf die Täter, bei aller Trauer über die Opfer — es klingt schal nach den Ereignissen in München: Aber das normale — das freie — Leben muss weitergehen, der Islamismus darf nicht triumphieren.

Am Samstag, als klar war, dass die Tat keinen islamistischen Hintergrund hatte, veröffentlichte die “HNA” den Kommentar um 8:42 Uhr noch einmal. Die Redaktion hatte den Text umgestellt und Textteile zum Islamismus gestrichen. Unter anderem findet man im Kommentar nun diese Passage:

Nach all dem durchlittenen Terror in den Metropolen Europas beschleicht einen sofort die bange Angst: Ist der islamistische Terror auch in einer deutschen Großstadt angekommen? Am Freitagabend wusste das noch niemand. Inzwischen geht die Polizei von einem jugendlichen Einzeltäter aus.

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Am Samstag und Sonntag wurde die Berichterstattung, mit mehr Zeit für die Recherche, nicht zwingend besser. Die Redaktionen von Bild.de und “Bild am Sonntag” haben sie zum Beispiel dafür genutzt, sich Fotos der Opfer zu besorgen:


(Diese und alle weiteren Unkenntlichmachungen durch uns.)

(“Bild am Sonntag” hat die Fotos auf der Titelseite und noch ein weiteres Mal im Innern der Zeitung komplett ohne Verpixelung veröffentlicht, Bild.de mit einem sehr schmalen Balken über den Augen; inzwischen hat Bild.de die Gesichter einiger Opfer stärker verpixelt, andere zeigt die Seite wiederum ohne jegliche Verpixelung.)

Als Quelle gibt Bild.de bei den meisten Fotos “privat” an. Was in der Regel so viel heißt wie: in den Sozialen Medien zusammengeklaubt. Persönlichkeitsrechte und der Respekt vor der Trauer der Angehörigen spielen bei der Jagd nach Fotos offenbar keine Rolle.

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Bei “Focus Online” hat die Redaktion die Zeit ebenfalls genutzt und ziemlich genau recherchiert, wo die Familie des Attentäters wohnt. In einem Artikel beschreibt das Portal seinen Lesern die Lage der Wohnung in München sehr detailliert — den Straßennamen, ein Foto des Hauses, das Stockwerk, in dem sich die Wohnung befinden soll, dazu Informationen aus dem Leben der Eltern, den Beruf des Vaters. Wer die Familie irgendwann mal aufsuchen will, muss sich nur den “Focus Online”-Text schnappen (auf einen Link oder einen Screenshot der Überschrift verzichten wir bewusst).

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Natürlich sammelten und veröffentlichten viele Medien auch jegliche Details, die sie zum Täter finden konnten. Der Psychologe Jens Hoffmann warnt schon seit Jahren und auch aktuell im Interview mit den “Dresdner Neuesten Nachrichten” genau davor:

Wie wären Trittbrettfahrer jetzt zu vermeiden?

Hoffmann: Durch sehr vorsichtige Berichterstattung. Wir raten in solchen Fällen immer: Zeigt nicht das Gesicht des Täters, nennt nicht den Namen. Er soll nicht zur “Berühmtheit” werden, sondern dem Vergessen anheimfallen. Das kann Nachahmer abschrecken. Ich fand es eine sehr gute Entscheidung, das Gesicht des Täters in dem Video zu verpixeln, das ihn beim Schießen zeigt.

Dennoch zeigen viele Onlineportale, viele Zeitungen, viele TV-Sender Fotos des Attentäters. Ein Großteil kürzt seinen Namen ab, aber nicht alle. Die massive Berichterstattung über seine Person macht ihn jedenfalls zum Star. Er bekommt für seiner Tat Aufmerksamkeit und Reichweite.

Besondere hilfreich sind dabei die “Bild”-Medien:





Bild.de veröffentlicht sogar Artikel, die sich wie Manuskripte von Actionfilmen lesen:

Er rennt durch die Nacht. In Panik. Überall Polizei. Es ist erst wenige Stunden her, da erschoss A[.] kaltblütig neun Menschen. In einer Seitenstraße bleibt er stehen. Und richtet die Waffe auf seinen Kopf…

Der Text geht in diesem Ton weiter. Viel stärker kann man eine schreckliche Tat nicht auf ein Podest heben.

Aber auch andere Blätter machen mit und packen das Foto des Täters auf ihre Titelseiten (immerhin beide mit einem schmalen Balken über den Augen):


Dass es auch anders geht, selbst im Boulevard, hat am Sonntag die “B.Z.” gezeigt:

Mit großem Dank an alle Hinweisgeber!

10.000-Euro-Lüge, Raus aus der Opferrolle, Kein Diskussionsbedarf

1. Vizekanzler Strache entschuldigt sich bei Armin Wolf für “Lügen”-Posting
(diepresse.com)
Österreichs Vizekanzler Heinz-Christian Strache hat jüngst eine Facebook-Bildertafel veröffentlicht, auf der er den ORF-Moderator Armin Wolf und den ORF selbst hart anging. (“Es gibt einen Ort, wo Lügen und Fake-News zu Nachrichten werden. Das sind der ORF und das Facebook-Profil von Armin Wolf.“) Nachdem Wolf juristische Schritte angekündigt hatte, kam es nun zu einer gütlichen Einigung: Strache entschuldigt sich bei Wolf, dieser zieht im Gegenzug seine Klage wegen Kreditschädigung, Ehrenbeleidigung und übler Nachrede zurück. Außerdem übernimmt Strache sämtliche Kosten des bisherigen Verfahrens und zahlt eine Entschädigung in Höhe von 10.000 Euro (die Armin Wolf dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes spendet).

2. Warum ich in Talk Shows nicht über Esoterik diskutiere
(scienceblogs.de/astrodicticum-simplex, Florian Freistetter)
Der Wissenschaftsjournalist und Sachbuchautor Florian Freistetter wird immer mal wieder in Talk Shows eingeladen, in denen es um Themen wie Astrologie, Homöopathie oder Esoterik geht. Die ihm zugedachte Rolle: die des aufklärenden Wissenschaftlers. Freistetter sagt bei ihm eingehende Talk-Anfragen ab, weil er prinzipiell etwas gegen derartige Sendungen hat: „Es gibt Themen, bei denen man problemlos eindeutige Aussagen treffen kann. Und wenn das so ist, dann sollten diese Themen auch so präsentiert werden. Dann sollte man nicht künstlich den Eindruck erzeugen, dass es hier noch Diskussionsbedarf gibt. Genau das tun aber solche Talk Shows und genau deswegen will ich kein Teil davon sein.“

3. Tellkamp-Debatte: Raus aus der Opferrolle!
(vorwaerts.de, Christian Wolff)
Der Schriftsteller Uwe Tellkamp sieht sich nach seinen Äußerungen zur Flüchtlingsthematik („Die meisten fliehen nicht vor Krieg und Verfolgung, sondern kommen her, um in die Sozialsysteme einzuwandern, über 95 Prozent.“) als Opfer einer angeblichen „Gesinnungsdiktatur“. Diesen Opfermythos gelt es zu entlarven, so Christian Wolff: (…) weder ein Thilo Sarrazin noch ein Uwe Tellkamp werden in Deutschland daran gehindert, ihre Ideen oder politischen Überzeugungen zu publizieren und öffentlich zur Diskussion zu stellen. Nur müssen sie damit rechnen, dass sie als Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens auch nach ihrer gesellschaftspolitischen Verantwortung gefragt und auch mit den Folgen ihrer Überzeugungen konfrontiert werden.“ 

Weiterer Lesetipp: Jemandem auf die Nase hauen und dann Aua rufen (spiegel.de, Georg Diez).

4. Den Schreihälsen den Spielplatz nehmen
(zeit.de, Eike Kühl)
„Reddit“ ist eine Webseite, auf der registrierte Benutzer Inhalte einstellen, die von anderen Nutzern als positiv oder negativ beurteilt werden. Diese Bewertungen entscheiden über das Ranking des Beitrags: ob er irgendwo im Nirwana oder gar auf der Startseite landet. Naturgemäß findet man bei „Reddit“ viel Seichtes, Unterhaltendes und Virales, aber auch Verschwörungstheorien, Hass und Propaganda. Eike Kühl berichtet auf “Zeit Online” von den Anstrengungen des Reddit-Chefs, die Plattform nicht den Hatern und Verschwörungstheoretikern zu überlassen. Es ist eine Mischung aus Abwägen, Kommunizieren und Gegentrollen.

5. “Killerspiele”: Wieso Politiker Videospiele immer wieder als Sündenbock verwenden
(derstandard.at, Sarah Elmer)
In Zusammenhang mit Schießereien oder Amokläufen wird immer wieder von einem angeblichen Einfluss durch Ballerspiele gesprochen. Der österreichische „Standard“ untersuchte dieses wiederkehrende Argument und sprach mit dem Historiker Eugen Pfister über das Massenmedium Computerspiele.

6. Verzeihung, Sie klauen da Daten!
(taz.de, Peter Weissenburger)
Der Verband Deutscher Zeitungsverleger kritisiert die Datenschutzpläne der EU und vergisst dabei selbst den Datenschutz. 

Weiterer Gucktipp: Der kurze Clip aus der Jahrespressekonferenz des “Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger”, der das Kunststück fertig bringt, einen gleichzeitig zum Lachen und zum Weinen zu bringen: Deutsche Zeitschriften: Gibt auch Gegenbeispiele (uebermedien.de, Mats Schönauer & Boris Rosenkranz).

Guckt mal, der da ist schuld!

Die Mannschaften der Fußball-Bundesliga, die gegen den Abstieg spielen, haben 34 Spieltage Zeit, diesen zu verhindern. Und wenn ein Team nach den 34 Spielen auf dem 16. Platz steht, hat es in der Relegation die zusätzliche Chance, in zwei Partien gegen den Drittplatzierten aus der 2. Bundesliga den Abstieg zu vermeiden. Ein Abstieg aus der Fußball-Bundesliga kann also nur passieren, wenn viele Leute über einen langen Zeitraum viele Fehler machen.

Die “Bild”-Medien sehen das heute etwas simpler:

Screenshot Bild.de - Video-Abstieg! Stuttgart muss runter, weil er beim Tor im Abseits steht - dazu ein dicker Pfeil, der auf einen Stuttgarter Spieler zeigt
Ausriss Bild-Zeitung - Video-Abstieg! Stuttgart muss runter, weil er beim Tor im Abseits steht - dazu ein dicker Pfeil, der auf einen Stuttgarter Spieler zeigt

Ein Spieler des VfB Stuttgart stand gestern im entscheidenden Relegationsspiel gegen Union Berlin vor dem Tor und damit im Blickfeld des gegnerischen Torwarts, als ein anderer Stuttgarter einen Freistoß verwandelte. Hätte dieser Treffer gezählt, und wäre es beim 1:0 geblieben, wäre der VfB Stuttgart nicht abgestiegen. Nach der Überprüfung durch den sogenannten Video Assistant Referee entschied der Schiedsrichter allerdings auf Abseits — kein Tor, weiter 0:0. Anschließend hatten alle Stuttgarter Spieler noch über 80 Minuten Zeit, um ein Tor zu schießen, das den Abstieg vermieden hätte. Haben sie aber nicht.

Und so konnten “Bild” und Bild.de einen Schuldigen präsentieren — zehn Jahre nach dem Suizid des früheren Nationaltorwarts Robert Enke und nach einigen wenigen Äußerungen von Profi-Fußballern, die sich trauen, öffentlich über den großen Druck in diesem Job zu sprechen. Per Mertesacker zum Beispiel, der mit Enke zusammen im Verein und in der Nationalmannschaft gespielt hat, sagte vor gut einem Jahr: “Der Druck hat mich aufgefressen. Dieses ständige Horrorszenario, einen Fehler zu machen, aus dem dann ein Tor entsteht.”

Oder eben einen, der dazu führt, dass ein sauwichtiges Tor nicht zählt.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

“Bild”-Anlagetipps gehen “weiter steil” – bloß in welche Richtung?

Vorgestern bei Bild.de:

Screenshot Bild.de - Diese sechs Aktien sind jetzt Gold wert - Apple, Tesla und vier Geheim-Favoriten

Die “FINANZ-DIVA” schreibt exklusiv für alle mit “Bild plus”-Abo über die Anlagemöglichkeiten bei Tesla:

Dennoch lautet die Perspektive: Tesla geht weiter steil! Erst recht im September

Der Höhenflug wird sich vor allem bis zur Hauptversammlung bemerkbar machen.

Ein schöner Kurszuwachs von 40 Prozent sollte bei Tesla zumindest bis zum 22.9. locker drin sein

Heute bei Bild.de:

Screenshot Bild.de - Schlag für Elon Musk - Tesla Wert um 80 Milliarden Dollar eingebrochen!

Geht Teslas aufgeladener Aktienrallye der Saft aus?

Während Elon Musk sich in Deutschland mit VW-Vorstand Herbert Diess traf und eine Testfahrt mit Volkswagens neuem Elektroauto “ID.3” machte, brachen die Aktien seiner eigenen E-Wagenschmiede am Dienstag um mehr als 20 Prozent ein. 80 Milliarden Dollar Wert verpufft – an einem Tag!

Hups.

Klar, es ist weiterhin möglich, dass die Tesla-Aktie den von der “FINANZ-DIVA” ausgegebenen Zuwachs bis zum 22. September noch “locker” erreicht. Allerdings wäre nach dem jüngsten Kurseinbruch dafür nicht mehr “ein schöner Kurszuwachs von 40 Prozent” nötig, sondern ein noch schönerer von 75 Prozent.

In dem Bild.de-Artikel über die “6 Aktien”, die “jetzt Gold wert” seien, findet man noch diesen Hinweis:

Haftungsausschluss & Disclaimer: Die Inhalte auf bild.de wollen keine spezifischen Anlageempfehlungen geben und enthalten lediglich allgemeine Hinweise. Autoren, Herausgeber und die zitierten Quellen haften nicht für etwaige Verluste, die aufgrund der Umsetzung ihrer Gedanken und Ideen entstehen.

Und das gilt ja auch ganz generell: Um “Gedanken und Ideen”, auf die man bei Bild.de stößt, sollte man besser einen großen Bogen machen.

Mit Dank an Ralf F. und Uwe für die Hinweise!

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Telegram, Jahresbilanz der Pressefreiheit, Talk-König Karl

1. Telegram, immer wieder Telegram
(zeit.de, Eike Kühl)
Angesichts dessen, was beim Chatdienst Telegram an Hass und Hetze verbreitet wird, kann man die Wünsche nach Regulierung verstehen. So nachvollziehbar die Forderungen seien, so schwer sei jedoch ihre Umsetzung, erklärt Eike Kühl in seiner Analyse. Eine Regulierung oder gar ein Verbot in Deutschland sei technisch schwer durchzusetzen und führe möglicherweise am Problem vorbei.
Weiterer Lesehinweis: Bei netzpolitik.org äußert sich die FDP-Digitalpolitikerin Ann Cathrin Riedel: “Netzsperren und Rausschmiss aus den App-Stores – das ist mir zu platt”.

2. 488 Journalistinnen und Journalisten in Haft
(reporter-ohne-grenzen.de)
Die Zahl inhaftierter Medienschaffender sei laut Reporter ohne Grenzen (RSF) 2021 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 20 Prozent auf ein Rekordhoch angestiegen. Zum Stichtag 1. Dezember hätten weltweit mindestens 488 Journalistinnen, Journalisten und andere Medienschaffende wegen ihrer Arbeit im Gefängnis gesessen. RSF-Vorstandssprecherin Katja Gloger: “Die Zahl spiegelt wider, wie skrupellos sich autoritäre Machthaber weltweit verhalten und wie unangreifbar sie sich fühlen. Der sprunghafte Anstieg ist auch die Folge neuer geopolitischer Machtverhältnisse, in denen diese Regime zu wenig Gegenwind und Gegenwehr seitens der Demokratien in der Welt bekommen.” Weitere und ausführliche Informationen gibt es in der “Jahresbilanz der Pressefreiheit” (PDF).

3. Karl Lauterbach ist der unangefochtene Talkshow-König 2021
(meedia.de, Jens Schröder)
Auch zum Ende diesen Jahres hat “Meedia” die Gästelisten der Talkshows des Ersten sowie des ZDF ausgewertet. Auf Platz 1 des Jahres 2021 stehe der Gesundheitspolitiker und frisch ernannte Minister Karl Lauterbach, der rekordverdächtige 29 Talkshow-Auftritte hatte. Danach folgen der FDP-Politiker Christian Lindner und die “Spiegel”-Redakteurin Melanie Amann. In der ZDF-Sendung “Markus Lanz” am häufigsten zu Besuch: Robin Alexander von der “Welt”.

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4. YouTube entfernt weiteren Kanal von RT Deutsch
(sueddeutsche.de)
Nach Vorwürfen der Desinformation hatte Youtube im September den Kanal “RT Deutsch” gelöscht. Nun wollte der russische Sender anscheinend einen neuen Versuch auf Youtube wagen und gründete dort den Live-Kanal “RT auf Sendung”. Auch den löschte Youtube. Inhabern gesperrter Kanäle sei es nicht gestattet, ohne Weiteres einen neuen zu erstellen.

5. Wie diskriminierende Kinderlieder unsere Gesellschaft prägen
(tagesspiegel.de)
“Viele Menschen kennen das Konzept von Alltagsrassismus gar nicht, sie denken bei Rassismus gleich an Nazis oder Neo-Nazis”, sagt Rosa Fava von der Amadeu Antonio Stiftung. Dabei könne man auch unbewusst rassistische Bilder weitertragen. Zum Beispiel in Liedern wie dem immer noch in Kitas und Grundschulen gesungenen “Drei Chinesen mit dem Kontrabass”.

6. Grossisten bringen “gesichert extremistisches” Heft weiter in den Handel
(uebermedien.de, Lisa Kräher)
Jüngst wurde bekannt, dass der Verfassungsschutz das “Compact”-Magazin nicht mehr als Verdachtsfall, sondern als “gesichert extremistisch” bewerte. Man möchte meinen, dass Einzelhändler damit nicht mehr von ihren Grossisten gezwungen werden können, ihnen das Heft abzunehmen, doch dem ist nicht so. Lisa Kräher erklärt die verzwickte Lage.

“Bild” verwechselt Deutschland mit Afghanistan

Am 17. September, kurz vor der Bundestagswahl, berichtete “Bild”, was zuvor der “Spiegel” berichtet hatte: dass nämlich CDU, FDP und SPD “einen Teil ihrer Wahlplakate im Ausland drucken” ließen. Und nicht nur das. “Bild” hatte noch eine weitere Quelle zum Thema aufgetan und schrieb (siehe Ausriss):

“Und auch die Ausstattung der Wahllokale kommt nach einem Bericht der ‘Financial Times Deutschland’ weitgehend aus dem Ausland.

Spezialfirmen in Kanada produzieren die 140.000 Wahlurnen, China stellte die Wahlstationsausrüstungen, Firmen in Österreich und Großbritannien druckten die 40 Millionen Stimmzettel.”

Und spätestens bei den “40 Millionen Stimmzetteln” hätte “Bild” eigentlich stutzig werden müssen. Hatte der Bundeswahlleiter nicht längst bekannt gegeben, dass “– nach einer Schätzung des Statistischen Bundesamtes — im Bundesgebiet etwa 61,9 Millionen Deutsche wahlberechtigt” sein werden?

Andererseits: Stand es nicht genau so in der FTD? Aber ja. Wörtlich hatte es dort am Vortag geheißen:

“Spezialfirmen in Kanada produzierten die 140.000 Wahlurnen, China stellte die Wahlstationausrüstungen, Firmen in Österreich und Großbritannien druckten die 40 Millionen Stimmzettel (…).”

Aber vielleicht hätte die “Bild”-Redaktion den FTD-Text doch ein wenig genauer lesen sollen. Schließlich handelte es sich bei dem angeblichen “Bericht” um die Kolumne “Casual Friday” — und die endete (unter Verweis auf die Konrad-Adenauer-Stiftung) ebenso überraschend wie pointiert mit den Worten: “Viel Glück, Afghanistan!”

Und siehe da, weniger humorig (aber wortgleich) finden sich die Infos zu Wahlstationsausrüstung und Stimmzettelproduktion tatsächlich auch bei der zitierten Adenauer-Stiftung wieder — in einem “Kurzbericht” zum Thema “Wahlen in Afghanistan” bzw. so:

Mit Dank an Thomas R. für Hinweis und Scans.

Journalistische Meisterleistung

Prometheus ist in der griechischen Mythologie derjenige, der den Menschen das Feuer brachte. Nach Ansicht des Medienmagazins “V.i.S.d.P.” ist das ein schönes Sinnbild für guten Journalismus:

Das Feuergeschenk als Lichtbringer verweist auch auf die Aufgabe des Journalismus Aufklärung zu leisten. Journalismus ist für den gesellschaftlichen Fortschritt der Gesellschaft so unverzichtbar wie das Feuer.

Das Magazin hat deshalb seinen neuen Medienpreis, der im Januar erstmals die “Journalisten des Jahres” für ihre “großartige journalistische Arbeit” auszeichnet, “Goldener Prometheus” genannt — und bis hierhin kommen wir noch mit.

Unter den Nominierten ist auch Claus Strunz, Chefredakteur der “Bild am Sonntag”, mit der Begründung:

weil er im Streit um die Privatjet-Affäre mit Oskar Lafontaine der klare Sieger war.

BAMS musste eine Gegendarstellung Lafontaines drucken, in der dieser behauptete, nicht darauf bestanden zu haben, für ein Gespräch mit der Zeitung per Privatjet eingeflogen zu werden. Strunz platzierte ein Interview mit Medienanwalt Matthias Prinz direkt danaben. Frage: “Beweist eine Gegendarstellung, dass eine Zeitung falsch berichtet hat?” Antwort Prinz: “Nein.” Das saß.

Was “Bild am Sonntag” damals nicht schrieb und sich auch von Prinz nicht erklären ließ, ist, dass es nicht so einfach ist, sich eine Gegendarstellung vor Gericht zu erstreiten. Der Betroffene muss Belege für seine Version der Geschichte bringen. Wir wissen nicht, ob im konkreten Fall “Bild am Sonntag” oder Lafontaine die Wahrheit sagen. Mit offensichtlich unwahren Behauptungen kann man aber keine Gegendarstellung durchsetzen.

Was “Bild am Sonntag” ebenfalls nicht schrieb, ist, dass “Bild” und “Bild am Sonntag” sich fast immer weigern, Fehler richtigzustellen. Und dass beide Zeitungen sich auch in Fällen, in denen offenkundig ist, dass sie die Unwahrheit behauptet haben, juristisch gegen Gegendarstellungen der Betroffenen wehren.

Insofern kann man die Sache mit dem Prinz-Interview innerhalb einer eskalierten Privatfehde als einen Treffer bewerten, “der saß”. Man kann in ihm auch einen Kniff sehen, den juristischen Sieg Lafontaines zu entwerten. Dass man in ihm auch eine “journalistische Meisterleistung” sehen können soll, die der “Aufklärung” dient und preiswürdig ist, ist allerdings verblüffend.

In eigener Sache: Auch BILDblog ist für den “Goldenen Prometheus” nominiert. Die Jury nennt unsere Seite “medienhygienisch”. Da wir das nicht nur als Kompliment, sondern auch als Verpflichtung sehen, haben wir dem Veranstalter mitgeteilt, dass wir für einen Preis nicht nominiert sein wollen, der an dem Schlagabtausch zwischen Claus Strunz und Oskar Lafontaine irgendetwas für auszeichnungswürdig hält.

Nachtrag, 14 Uhr: Die Zeitschrift “V.i.S.d.P.” reagiert in ihrem Blog:

BILDBLOG möchte keinen “Goldenen Prometheus”, solange Claus Strunz auch nominiert ist. Und das hatten wir ganz vergessen: der ist ja böse. Na ja, Sartre wollte auch keinen Nobelpreis.

Nachtrag, 30. November, 17.45: V.i.S.d.P. bedauert unsere Entscheidung und nominiert uns nicht länger.

“Bild” hatte zwei Jahre lang Unrecht

Diese Gegendarstellung, die “Bild” heute veröffentlicht, ist eine Richtigstellung: “Bild” räumt ein, dass dem wegen schweren Betrugs verurteilten Schauspieler Karsten Speck und seiner Frau und Managerin Cora nie vorgeworfen wurde, 20 Millionen Schaden durch betrügerische Immobiliengeschäfte angerichtet zu haben. Genau das hatte “Bild” vor zwei Wochen noch behauptet.

Die Zeitung räumt damit indirekt auch ein, dass weite Teile ihrer Berichterstattung über den Fall Speck fehlerhaft waren. Denn bereits am 19. Oktober 2004 schrieb “Bild”:

Speck und seiner Frau Cora werden windige Immobiliengeschäfte vorgeworfen. Privatanleger und Banken sollen um 20 Millionen Euro geprellt worden sein.

Am 18. Oktober 2004 schrieb “Bild”:

Karsten Speck werden windige Immobiliengeschäfte vorgeworfen. Er soll Investoren um rund 20 Millionen Euro geschädigt haben.

Am 17. Oktober 2004 schrieb “Bild”:

Schauspieler Karsten Speck sitzt seit Donnerstag in Dortmund im Gefängnis. Ihm werden windige Immobilien- und Kreditgeschäfte vorgeworfen, bei denen er Investoren um 20 Millionen Euro geschädigt haben soll.

Am 16. Oktober 2004 schrieb “Bild”:

Speck, gegen den seit zwei Jahren ein Prozeß wegen Immobilienbetrugs läuft, soll Banken und Privatanleger um rund 20 Millionen Euro geprellt haben.

Am 15. Oktober 2004 schrieb “Bild”:

Seit Januar 2003 sitzt Karsten Speck schon auf der Anklagebank. Ihm werden windige Immobilien- und Kreditgeschäfte vorgeworfen. Speck soll Investoren um 20 Millionen Euro geschädigt haben.

Über Tage hatten die Prozess-Berichterstatter von “Bild” also nicht gemerkt (oder nicht merken wollen), dass niemand den Specks vorwarf oder vorwirft, Investoren um 20 Millionen Euro geschädigt zu haben — der Schaden, der ihnen zur Last gelegt wird, ist sehr viel geringer. Die 20 Millionen sind der Gesamtschaden, der durch eine ganze Gruppe von Angeklagten entstand. Im Jahr zuvor hatte auch “Bild” das noch gewusst, aber dann waren die anderen, nichtprominenten Beschuldigten plötzlich aus den “Bild”-Berichten verschwunden. Und tauchten nie wieder auf.

Von Räubern und Räuberpistolen

“Der Bund der Steuerzahler lügt.” Auf diesen einfachen Satz bringt Florian Pronold, der stellvertretende finanzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, die Berechnungen, aus denen “Bild” heute eine großen Skandal-Aufmacher gestrickt hat.

Zumindest ist die Berichterstattung grob irreführend — und soll es offenkundig auch sein. Der zentrale Trick (neben einer plumpen optischen Täuschung) ist der, dass “Bild” mit den aufgeteilten Euros und Formulierungen wie “Millionen Arbeitnehmer werden Monat für Monat beim Blick auf den Lohnzettel blass” den Eindruck erweckt, hier gehe es um die Differenz von Brutto- zu Netto-Lohn. “Bild” und der Steuerzahlerverein nehmen als Ausgangspunkt aber eine Zahl, die gar nicht auf den Lohnzetteln auftaucht: die Beträge, die ein Arbeitgeber insgesamt für einen Arbeitnehmer zahlen muss, also der Brutto-Lohn plus die Sozialbeiträge, die der Arbeitgeber abführen muss.

Den Netto-Lohn hat “Bild” dafür künstlich verkleinert und von dem Geld, das der Arbeitnehmer ausgezahlt bekommt, noch Verbrauchssteuern abgezogen (z.B. für 300 Zigaretten im Monat, Lebensmittel, Sprit, Kinobesuche).

Mit anderen Worten: “Bild” hantiert mit “Brutto”-Angaben, die mehr sind, als man landläufig unter “Brutto” versteht, und mit “Netto”-Werten, die kleiner sind, als man üblicherweise als “Netto” bezeichnet. Kein Wunder, dass die Differenz so riesig ausfällt.

Damit hört das Tricksen aber offenbar nicht auf: Laut Pronold haben “Bild” und der Steuerzahlerverein in ihrer Modellrechnung (Durchschnittsfamilie, 1 Kind) vergessen, das Kindergeld zu berücksichtigen. Rechne man es mit, sei die Steuerlast für die Familie dramatisch niedriger als von “Bild” angegeben.

Ganz und gar ignoriert die Rechnung natürlich, dass das Geld, um das der Staat “uns” “beraubt”, wie SPD-Mann Pronold fomuliert, “nicht im Hinterhof des Finanzministers verbrannt” wird, sondern für Leistungen u.a. bei Krankheit, Arbeitslosigkeit und im Alter oder für Schulen, Universitäten und den Straßenbau aufgewandt wird.

Sicherheitshalber verlässt sich “Bild”-Wirtschaftschef Oliver Santen für seinen heutigen Kommentar aber nicht auf diesen Unsinn, den seine Kollegen Dirk Hoeren und Jan W. Schäfer zusammengetragen haben, sondern fügt ihm eigenen Unsinn hinzu. Er behauptet:

Steuer-Gier immer größer

Jetzt haben wir es erneut schwarz auf weiß: Steuern und Abgaben fressen uns auf!

Ob Soli, Öko-, Mehrwert- und bald Abgeltungsteuer — die Gier des Staates wird immer größer. (…)

Deshalb wird es höchste Zeit, dass die Politik Abgaben und Steuern senkt.

Dafür, dass die “Steuer-Gier” des Staates “immer größer” wird, gibt Santen keinen Beleg. Eine Möglichkeit, diese “Gier” zu messen, wäre die Staatsquote: das Verhältnis der Staatsausgaben zur gesamten Wirtschaftsleistung. Sie hat sich nach Angaben des Finanzministeriums in den vergangenen Jahren fast konsequent nach unten entwickelt. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) hat Mitte 2007 sogar eine Schätzung veröffentlicht, wonach die Staatsquote 2008 mit 42,9 Prozent das niedrigste Niveau seit über 30 Jahren erreichen soll.

Alternativ lässt sich die “Gier” des Staates mithilfe der Gesamtbelastung mit Steuern und Sozialabgaben beziffern. Die Quote ist nach einer Untersuchung der OECD in Deutschland geringer als in allen großen europäischen Volkswirtschaften. Die Deutschen zahlen danach zwar überdurchschnittlich hohe Sozialabgaben, aber sehr geringe Steuern. Und die Gesamtbelastung typischer Arbeitnehmerhaushalte ist nach einer OECD-Studie [pdf] zwischen 2000 und 2005 in Deutschland zurück gegangen.

Die “Bild”-Zeitung. Wenn man die ganzen Fehlinformationen und Manipulationen abzieht, bleiben gerade mal 48 Prozent übrig (siehe Grafik).

Mit Dank an Heiko S., Adrian C., Steffen B. und die anderen!

Wie “Bild” den Amoklauf in Szene setzt

Die “Süddeutsche Zeitung” hat die Gießener Kriminologin Britta Bannenberg gefragt, wie hoch die Nachahmungseffekte bei Amokläufern sind, und sie hat geantwortet:

Sehr hoch. Auch wegen der Medien, die das Gesicht des Täters, seine Waffen, seine schwarze Kleidung zeigen und ein mystisches Bild von ihm zeichnen. Das wirkt wie ein Vorbild. Bei Selbstmorden sind die Medien sehr zurückhaltend, um nicht Nachahmer zu provozieren. Bei Amokläufen gilt leider das Gegenteil. Ab jetzt besteht die große Gefahr, dass wir es in den nächsten Wochen oder Monaten mit einem Nachahmungstäter zu tun bekommen.

Dieser Gedanke kommt oft zu kurz in den Medien: dass nicht nur Killerspiele möglicherweise eine gefährliche Wirkung auf labile Jugendliche haben können, sondern auch ihre eigene Berichterstattung. Das betrifft nicht nur “Bild”, sondern fast alle Medien. Aber wenn es vor allem wichtig ist, die Täter nicht in einer Heldenpose zu zeigen, hatte “Bild” eine besonders schlechte Idee. Die Zeitung zeigt Tim K., den Amokläufer von Winnenden, in einer Pose, die ihm selbst bestimmt am besten Gefallen hätte. Sie hat sein Gesicht auf das Foto eines Mannes in schwarzer Kampfuniform montiert, die Waffe drohend in Richtung Kamera gerichtet. Das Heldenfoto hat Postergröße, ist fast einen halben Meter hoch:


(Rote Unkenntlichmachung von uns.)

Zusätzlich hat sich der “Bild”-Zeichner ausgemalt, wie das wohl ausgesehen hat in dem Klassenzimmer zwischen Tafel und Overheadprojektor, als Tim K. in seiner schwarzen Rächeruniform gerade ein Mädchen erschoss.

Anders als die “Süddeutsche Zeitung” heute (und Bild.de gestern) nennt “Bild” nicht den Nachnamen des Täters. Und anders als die “Berliner Zeitung” gibt “Bild” auch nicht die exakte Anschrift des Hauses an, in dem seine Familie lebt.

Dafür hat Bild.de ein kleines Familienalbum des siebzehnjährigen Täters im Angebot — nicht weniger als sieben private Fotos, die ihn als kleines Kind und als Jugendlicher zeigen und die vor allem bei Tischtennisturnieren entstanden sind.

Aber die “Bild”-Zeitung hält nicht nur den Täter für eine Person der Zeitgeschichte, sondern identifiziert auch einige seiner Opfer. Sie zeigt vier getötete Mädchen im Alter zwischen 14 und 16 Jahren, ein Gesicht fast lebensgroß, mit Fotos, die offensichtlich von SchülerVZ und ähnlichen Internetseiten entnommen wurden.


(Rote Unkenntlichmachung von uns.)

Im Pressekodex heißt es:

Opfer von Unglücksfällen oder von Straftaten haben Anspruch auf besonderen Schutz ihres Namens. Für das Verständnis des Unfallgeschehens bzw. des Tathergangs ist das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich. Ausnahmen können bei Personen der Zeitgeschichte oder bei besonderen Begleitumständen gerechtfertigt sein.

Nachtrag, 13. März. Eines der vier angeblich toten Mädchen, die “Bild” gestern gezeigt hat, lebt. “Bild” schreibt heute:

Sie wurde zunächst selbst als tot gemeldet – doch Selina lebt! In BILD schildert sie die schlimmsten Minuten ihres Lebens – und den Tod ihrer Schulfreundinnen Chantal und Jana.

Mörder auf der Titelseite

Die Mitarbeiter von “Bild” und Bild.de können sich einfach nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass auch Täter — und sei ihr Verbrechen noch so abscheulich — Rechte haben. Zum Beispiel Menschenrechte, aber auch Persönlichkeitsrechte. Oder das Recht, nach der Verbüßung ihrer Strafe wieder vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu werden. Damit das klappt, müssen ihnen die Gesellschaft und die Medien natürlich erstmal die Chance dazu geben.

Am vergangenen Freitag haben “Bild” und Bild.de ein Paradebeispiel geliefert, wie das zu verhindern ist:


(Alle Unkenntlichmachungen von uns.)

Wenn eine Redaktion von einem solchen Vorfall in einer Justizvollzugsanstalt hört, mag sie sich dazu entscheiden, darüber zu berichten. Und dass “Bild” das in einer boulevardesk-knalligen Aufmachung tut — geschenkt. Problematisch ist der Umfang der identifizierenden Berichterstattung: auf der Titelseite mit unverpixelten Fotos, Vornamen, abgekürzten Nachnamen und Kurzabriss der Taten; im Innenteil großflächig noch einmal Fotos der “zwei besonders brutalen Killer”, dazu ausführlichere Schilderungen ihrer Verbrechen, ein Foto aus der JVA und Archivfotos der damaligen Tatorte:

Die Taten liegen inzwischen zehn beziehungsweise 14 Jahre zurück. Ihre erneute Ausbreitung durch die “Bild”-Medien ist in diesem Fall besonders gravierend, weil der eine Häftling (der Zusammengeschlagene) in einem Jahr entlassen werden könnte. Das weiß auch Autor Peter Rossberg, er schreibt es schließlich selbst. Beim anderen Insassen ist die zehnjährige Haftstrafe auch bald rum, allerdings gab es aufgrund weiterer Vorfälle in der Haft weitere Verurteilungen.

Damit sei die Veröffentlichung von “Bild” und Bild.de rechtswidrig, sagt der Medienrechtsprofessor Udo Branahl auf Anfrage:

Bei Straftaten, die so lange zurückliegen, dass potenziell eine Entlassung bervorsteht, genießen die Täter einen Resozialisierungsschutz. Über die Prügelei mag man berichten können, aber nicht flächendeckend über die Taten von damals.

Das sieht auch das Bundesverfassungsgericht so. Und das nicht erst seit Neuestem, sondern schon seit 1973:

Die für die soziale Existenz des Täters lebenswichtige Chance, sich in die freie Gesellschaft wieder einzugliedern, und das Interesse der Gemeinschaft an seiner Resozialisierung gehen grundsätzlich dem Interesse an einer weiteren Erörterung der Tat vor.

Für den Fall, dass ein Medium — warum auch immer — doch unbedingt über eine länger zurückliegende Tat berichten will, hat der Deutsche Presserat im Pressekodex festgehalten, was dabei zu vermeiden ist:

Wenn erneut über ein zurückliegendes Strafverfahren berichtet wird, sollen im Interesse der Resozialisierung in der Regel Namensnennung und Fotoveröffentlichung des Täters unterbleiben. Das Resozialisierungsinteresse wiegt umso schwerer, je länger eine Verurteilung zurückliegt.

“Bild” und Bild.de haben es mit der Veröffentlichung vom vergangenen Freitag geschafft, nicht einmal diesen Mindeststandard einzuhalten.

So reißerisch sind die Überschriften der “Bild”-Zeitung

Diskussionen über Flüchtlinge können schnell hitzig werden, gerade wenn es um Straftaten von Zuwanderern geht. In den sozialen Medien verbreiten sich oft Lügengeschichten über sexuelle Übergriffe durch Flüchtlinge oder über Banden, die komplette Supermärkte leerklauen.

Um etwas Differenzierung in die Debatten zu bekommen, können Zahlen helfen. Am vergangenen Donnerstag veröffentlichte Sachsens Innenminister Markus Ulbig eine “Kriminalitätsstatistik im Zusammenhang mit dem Thema ‘Zuwanderung'”. Zusammengefasst: Ja, es gebe mehr Kriminialität, seit die rund 45.000 Zuwanderer zwischen Januar und September 2015 nach Sachsen gekommen sind, allerdings sei die Anzahl der Straftaten verhältnismäßig gering gestiegen (2014: 7.029 Straftaten, 2015: 10.397). Einen Großteil der Delikte bildeten Ladendiebstähle und Schwarzfahren. Ulbig sagte zur Statistik:

Die überwiegende Mehrheit der Zuwanderer in Sachsen verhält sich rechtskonform. Bei den ermittelten Tatverdächtigen gilt es zu differenzieren. Es sind nicht die Zuwanderer, die einmalig mit Bagatelldelikten straffällig werden, die uns Sorge bereiten, sondern einige wenige Mehrfach-/Intensivtäter, die fast die Hälfte aller durch Zuwanderer begangenen Straftaten zu verantworten haben.

Die regionalen Medien berichteten über die Zahlen des Innenministeriums und griffen in ihren Überschriften entweder die Aussage Ulbigs auf, vermeldeten die Veröffentlichung der Statistik oder fassten sie kurz zusammen:


(MDR)


(sz-online.de)


(“Freie Presse”)


(“Lausitzer Rundschau”)

Die Dresden-Ausgabe der “Bild”-Zeitung berichtete ebenfalls. Im Artikel steht zwar direkt zu Beginn:

Von wegen, Ausländer seien besonders kriminell. Dieses Vorurteil will jetzt Sachsens Innenminister Markus Ulbig (51, CDU) widerlegen.

Die dazugehörige Überschrift ist allerdings nicht gerade geeignet, um hitzige Debatten abzukühlen:

Hinzu kommt die Aufmachung: Ein Foto zeigt einen “Drogendealer aus Tunesien”, der die Polizei verhöhnt; ein anderes eine Festnahme bei einer “Drogenrazzia am Wiener Platz”, obwohl (wie auch “Bild” immerhin erklärt) Rauschgiftdelikte gerade einmal fünf Prozent aller 10.397 Straftaten ausmachten.

Die “Bild”-Kollegen aus Leipzig haben ebenfalls über die Statistik berichtet. Überschrift:

Und so sieht das Umfeld des Artikels aus:

Mit Dank an Elmar!

Pranger-Prozess, Upload-Filter, Medienkritik-Kritik

1. “Bild” unterliegt im Pranger-Rechtsstreit
(sueddeutsche.de, Karoline Meta Beisel)
Die „Bild“-Zeitung hat 2015 Namen und Fotos von Facebook-Nutzern veröffentlicht, die gegen Flüchtlinge hetzten. Dazu druckte die Zeitung den Aufruf: “Bild reicht es jetzt: Wir stellen die Hetzer an den Pranger! Herr Staatsanwalt, übernehmen Sie!” Der Ruf nach der Justiz wurde gewissermaßen erhört, denn das Oberlandesgericht München hat diese Form des Online-Prangers für unzulässig erklärt.

2. Offener Brief: Zivilgesellschaft fordert Nein zu Upload-Filtern
(digitalegesellschaft.de)
„Nein zu Upload-Filtern!“, fordert ein Bündnis aus Wirtschaftsverbänden, Bürgerrechtsorganisationen und digitaler Zivilgesellschaft. In einem offenen Brief an verschiedene Bundesministerien und Mitglieder des Europäischen Parlaments rufen die Unterzeichner dazu auf, die von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen verpflichtenden Upload-Filter für Host-Provider zu verhindern: „Upload-Filter schaden mehr als sie nützen. Sie gefährden die Meinungs- und Informationsfreiheit im Netz. Für Nutzerinnen und Nutzer bedeuten Upload-Filter eine automatisierte Überwachung aller hochgeladenen Inhalte. Anders als von den Befürwortern erhofft, tragen Upload-Filter jedoch nicht zu einer gerechten Entlohnung von Urheberinnen und Urhebern bei.“

3. Medienkritik – bitte recht «freundlich»
(infosperber.ch, Hanspeter Guggenbühl )
Das Schweizer Medienmagazin „Edito“ hat vier Fachleute um eine „kurze und freundliche“ Kritik der Online-Zeitung „Republik“ gebeten. Hanspeter Guggenbühl empfindet die Bitte um die kollegiale Lobhudelei in zweifacher Hinsicht als außergewöhnlich: Wegen der Bitte als solcher und wegen der Bereitschaft der Fachleute, diese zu erfüllen.

4. Journalisten sind keine Therapeuten
(deutschlandfunk.de, Silke Burmester)
Journalisten müssen sich im Netz allerhand anhören, doch müssen sie sich mit Lesern, Hörern und Zuschauern auseinandersetzen, die unverschämt bis irre sind? Nein, findet Silke Burmester und findet eine Parallele zu Lehrern, deren Aufgabe mittlerweile auch darin bestehe, die Defizite der Elternhäuser auszugleichen: „Den Kindern fehlt es an Einfachstem. Benimm, Höflichkeit und Regeln des Miteinanders. Was zuhause versäumt wird, sollen die Lehrer vermitteln. So geht es uns Journalisten auch. Weil gesellschaftliche Konflikte seit Neuestem auch von Seiten des Rezipienten in der medialen Öffentlichkeit ausgetragen werden, sind wir auf einmal zuständig. Irre, Verwirrte, Rechte, Wendeverlierer – wir Journalisten sollen geraderücken, was an anderer Stelle verbockt wurde.“

5. Neues Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft: Das gilt ab dem 1. März
(irights.info)
Seit dem 1. März 2018 gelten neue Regeln des Urheberrechts für Schulen, Universitäten, Bibliotheken und andere Bildungseinrichtungen. „irights.info“ stellt die wichtigsten Änderungen des „Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz“ (UrhWissG) vor.

6. Der Hype um Vero ist nur ein geschickter psychologischer Trick
(wired.de, Michael Förtsch)
Das soziale Netzwerk „Vero“ will vieles anders machen als die anderen und verspricht eine chronologische Timeline, Werbefreiheit und keine Datenschnüffeleien. Die Begeisterung für die Plattform wurde jedoch mit einem geschickten psychologischen Trick erzeugt, erklärt „Wired“-Autor Michael Förtsch.
Weiterer Lesetipp: In „Veros schlüpfriges Geheimnis: Sorgten leichtbekleidete Influencer für den Durchbruch“ analysiert Marketingspezialist Roland Eisenbrand den plötzlichen Erfolg. Es ist eine spannende und unterhaltsame Detektivgeschichte geworden.

Kurzdeutsch, Zuckerindustrie vs. Homöopathiekritikerin, Nippel-Protest

1. Kooperation problematisch
(djv.de, Hendrik Zörner)
Der mögliche Einstieg des US-Investors KKR beim Springer-Konzern versetzt den Deutschen Journalisten-Verband (DJV) in Alarmstimmung. DJV-Chef Frank Überall fühlt sich an das Engagement von KKR bei ProSiebenSat.1 erinnert: “Der Hedgefonds hat den Sender auf Kosten von redaktionellen Arbeitsplätzen ausgepresst. Den Nutzen hatte nur der Investor und niemand sonst.”

2. “Gehst du Bahnhof?” – Diana Marossek zum “Kurzdeutsch” in der Umgangssprache
(blmplus.de, Bettina Pregel)
Die Soziolinguistin Diana Marossek hat über den Sprachwandel im Deutschen promoviert. Im Interview spricht sie über ihre Beobachtungen zum Phänomen der verkürzten Kommunikation: “Kurzdeutsch lässt sich u.a. an folgenden Charakteristika erkennen: die Artikelvermeidung (“Guck dir Turm an!”), das Weglassen von Präpositionen (“Ich gehe Fußball”), rituelle Beschimpfungen (“Du Knecht”, “Ihr Opfer”), Code-Switching — der Wechsel zwischen verschiedenen Sprachen in einem Dialog oder Sch-Laute (“Isch mach Vortrag”).”

3. Finanzamt entzieht CDU-nahem Verein die Gemeinnützigkeit
(tagesspiegel.de, Matthias Meisner)
Der CDU-nahe Verein #cnetz will “das Bewusstsein für den durch das Internet stattfindenden gesellschaftlichen Wandel stärken” und “die ökonomische Bedeutung der Digitalisierung unserer Welt” vermitteln. Bislang galt der Verein als gemeinnützig, Spenden an ihn waren also steuerlich abzugsfähig. Nun hat das Berliner Finanzamt dem Verein die Gemeinnützigkeit aberkannt, was bei einigen CDU-Politikern zu Protesten führte. Dies ist besonders bemerkenswert, weil einige Unionspolitiker den Entzug der Gemeinnützigkeit bei Attac noch begrüßten und dies auch für die Deutsche Umwelthilfe tun, die vor Gericht Diesel-Fahrverbote erwirkte.

4. Nippelprotest in New York
(taz.de, Corinna Koch)
Über 100 Menschen haben gegen die Zensur von weiblichen Nippeln auf Facebook und Instagram protestiert. Vor dem Hauptquartier von Facebook in Manhattan und nackt. Die Aktion ging von der National Coalition against Censorship aus, die sich gegen die Zensur weiblicher Nippel ausspricht. Eine derartige Zensur beeinträchtige Künstler und Künstlerinnen in ihrer Arbeit. Facebook und Instagram sollen die Berichterstattung über die Aktion behindert haben, indem sie, zumindest zeitweilig, Beiträge unter dem Hashtag blockiert haben sollen.

5. Wächterpreis für Amri-Recherchen bei WELT
(welt.de)
Der Journalist Florian Flade hat zum Fall Anis Amri recherchiert und dabei einige Ermittlungspannen aufgedeckt. Dafür ist er nun mit einem der drei Wächterpreise der Tagespresse 2019 ausgezeichnet worden. Der erste Preis ging an das “Handelsblatt” für eine Artikelserie zur VW-Diesel-Affäre. Mit dem dritten Preis wurde die Recherche der “HNA” zur Fast-Pleite der documenta 14 ausgezeichnet.

6. Solidarität mit Natalie Grams!
(onkelmichael.blog, Michael Scholz)
Ein bundesweit bekannter Zuckermittelproduzent (Hevert Arzneimittel GmbH und Co.) hat der Homöopathiekritikerin Natalie Grams eine Unterlassungserklärung zugestellt. Grams soll nicht behaupten dürfen, dass die Homöopathie keine weitere Wirkung als über den Placeboeffekt hinaus habe. Sollte Grams ihre Aussage wiederholen, will Hevert jedesmal 5.100 Euro von ihr haben.

Wenigstens werden diesmal keine Witwen geschüttelt

20 Millionen Euro soll der Axel-Springer-Verlag derzeit in den Versuch stecken, “Bild” auch als (Live-)Video-Plattform zu etablieren. Das kann schon aus rein inhaltlicher Sicht kein wohltätiges Projekt sein und das soll es sicher auch aus wirtschaftlicher Sicht nicht sein – Springer will mit “Bild TV” Geld verdienen.

Das soll vor allem durch Werbung reinkommen. Seit ein paar Wochen kann man beobachten, wie das beim “Bild”-Fernsehen aussieht: In der Fußball-Talk-Sendung “Reif ist live” mit Marcel Reif ist seit einigen Folgen auf ganz geschickte und natürliche Weise eine Produktplatzierung eingebunden. Nicht mit dem Holzhammer – das würde ja stören und kaum wirken -, sondern feinfühlig, wie man es von “Bild” gewohnt ist. Aber seht selbst:

In einem Prospekt (PDF) präsentiert der Springer-Vermarkter Media Impact die verschiedenen Möglichkeiten, mit denen Firmen in “Reif ist live” werben können. Auch dabei: “PRODUCT PLACEMENT”. Wie viel Müllermilch dafür bezahlt hat, dass der Chefredakteur des “Bild”-“Sport-Kompetenzcenters” Matthias Brügelmann die Flaschen schüttelt, als hätte er schon immer mal einen Sex on the Beach mit einem Augenzwinkern servieren wollen, oder der “Bild”-Sportchef Walter M. Straten verzweifelt nach Überleitungen sucht, die ihn nicht komplett wie einen Werbeheini aussehen lassen, erfährt man dort leider nicht.

Bildblog unterstuetzen

Aber kommt dieses Bauerntheater bei den “Bild”-Zuschauerinnen und -Zuschauern an? Lohnt sich das eifrige Werbeschütteln? Die Reaktionen unter den entsprechenden “Reif ist live”-Youtube-Videos lauten:

Wegen dieser beschissenen Werbung werde ich mir nie wieder auch nur 1 einzige Flasche Müller Milch kaufen.

Und auf einmal schüttelt er sich die müllermilch, ich Dreh ab

Dieses geschüttel während einer Fragestellung .. unmöglich

Reif Ehrenmann rührt Müllermilch nicht an

Ihr macht euch mit dieser Müllermilch lächerlich!!

Hahahaha der schüttelt die Müller Milch und legt sie wieder hin hahahah

Böse Zungen behaupten, der Bild-Sportmodertor geht nach jeder Talkshow erst einmal brechen.

Sorry, das ist so affig und zum Fremdschämen… geschüttelt, nicht gerührt. Wie fremdgesteuert muss hier geschüttelt werden… :-)

Also ich mochte Müller Milch aber jetzt würde ich das nicht mehr kaufen das nenne ich mal Werbung

Oh je ist das schlecht mit der Müllermilch, Leute lasst es einfach weg bitte und versucht nicht noch Werbeeinnahmen zu generieren.

Die Müller Milch Werbung ist einfach peinlich.

Diese unfassbar dumme Werbung ist soooooooooo peinlich und zum fremdschämen. Einfach nur lächerlich.

Diese Werbung nervt ungemein

Wie Horny die Müllermilch geschüttelt wird.

Verstehe ja, dass man Werbung macht um Geld zu verdienen aber das war schon sehr aufgesetzt und wirkte unangenehm unnatürlich.

Bild, einfach nur peinlich, wie immer !!! Warum hält er die Flasche nicht einfach debil grinsend direkt in die Kamera. Dann weiss auch der letzte wie seriöser Journalismus funktioniert !!

… wir könnten hier noch lange weitermachen.

Mit Dank an J. A. für den Hinweis!

Sexsüchtig

Es klingt wie ein Werbegeschichte für ein Bordell. Oder wie ausgeklügelte PR für einen Hardcore-Porno: Zwei junge Frauen sollen darum gewettet haben, welche von ihnen es schafft, in einem Bordell in Köln innerhalb eines Tages mit mehr Männern zu schlafen. “Bild” nennt es “Deutschlands perverseste Wette” und macht sie zum Aufmacher auf Seite 1.

2000 Männer sollen laut “Bild” Schlange gestanden haben; jedem Geschlechtspartner boten die Frauen 50 Euro. Die “Schülerin” und die “Hausfrau” müssen mehrere Tausend (!) Euro investiert haben. Schließlich soll eine von beiden einen Schwächeanfall erlitten und das Experiment beendet haben.

Was steckt hinter dieser Geschichte? Anscheinend keine Porno- oder Puff-Werbung, sondern tatsächlich die Aktion zweier Frauen, die — nach Angaben des beteiligten Bordells, das den Artikel sofort stolz auf seine Homepage gestellt hat — seit Jahren in der “Swinger- und Gangbang-Szene” unterwegs sind. Durch Zufall habe ein “Bild”-Redakteur eine E-Mail bekommen, mit der die beiden Frauen ihre Aktion in diesen Kreisen bekannt machte.

Die Familiengeschichte des 19-jährigen Mädchens, die den Wettbewerb “gewann”, klingt eher tragisch. Mit der “Bild”-Zeitung sei abgesprochen worden, Privates aus der Berichterstattung herauszuhalten, heißt es im Bordell. “Bild” übe aber jetzt erheblichen Druck aus.

Womöglich eine ganz alltägliche Boulevardzeitungs- Geschichte, auf die jetzt diverse Fernsehsender aufspringen.

Ungewöhnlich ist jedoch, dass sie in zwei Versionen heute in “Bild” zu lesen ist. Zunächst war die Rede von 100 Männern. In späteren Ausgaben der Zeitung (und am frühen Morgen bei Bild.de) waren es plötzlich nur noch 64. Auf unsere Frage, was hinter dieser Änderung steckt, erhielten wir von “Bild” keine Antwort. Der Bordellbetreiber sagt, die richtige Zahl laute weder 100, noch 64, sondern 56.

Macht das einen Unterschied? Ja. Weil nur eine Zahl stimmt.

Vielen Dank für die zahlreichen Hinweise.

Papa eiskalt, Zeitung widerwärtig

In einem “Stern”-Interview kommentiert Verbraucherminister Horst Seehofer (CSU) das “lückenlose mediale Trommelfeuer” nach der “Bild”-Schlagzeile “Baby mit heimlicher Geliebten!” vom 16. Januar wie folgt:

Als Politiker wird man immer mit Privatangelegenheiten konfrontiert. Das gehört dazu. Nicht aber, dass Privates instrumentalisiert wird. Bei mir war das teilweise kampagnenartig. Ich möchte die Schlagzeile einer Ausgabe der “Bild am Sonntag” herausgreifen: “Papa eiskalt”. Ich habe in 40 Jahren nichts Widerwärtigeres erlebt.

Wie das? Da hatte die “Bild am Sonntag” Seehofer kurz nach der Geburt des Kindes doch bloß (1) eine Titelseite gewidmet (“Nur 1 Stunde für sein Baby. Er schiebt unwichtige Termine vor. Er lässt zwei Frauen zappeln und lacht dabei”). Eine “Bild am Sonntag”-Reporterin hatte ihm vor und nach einem beruflichen Termin bloß (2) viele, viele indiskrete Fragen gestellt (“Wie wollen Sie Ihr Privatleben regeln?” — “Was sagt Ihre Frau zu der Geburt Ihrer Tochter?” — “Verraten Sie den Namen Ihrer Tochter?” — “Wollen Sie auch das gemeinsame Sorgerecht?”), die Seehofer zum Teil mit “(Schweigen)” beantwortete, wie die “BamS” dokumentierte. Unter der Überschrift “Papa Eiskalt” war doch bloß (3) eine “BamS-Montage” von “Seehofers Terminkalender” abgebildet (“Freitag: Telefongespräche zu Hause … 13.05 Uhr: Lufthansa-Flug LH223 nach München”). In einem Artikel hatte die “BamS” im Zusammenhang mit Seehofer doch bloß (4) Begriffe wie “gefühlsarm” “eiskalt” und “joborientiert” benutzt, weil Seehofer “fröhlich Wahlkreistermine” wahrnehme, während “die junge Mutter Anette F. im fernen Berlin blass in einem zweckmäßig eingerichteten Einzelzimmer auf der Wöchnerinnenstation” liege. Und in einem “BamS”-Kommentar hatte es doch bloß (5) geheißen, Seehofer habe sich am Tag der Geburt seiner Tochter hinter Terminen “verschanzt”, “seelenruhig” zu Mittag gegessen und beim Besuch der Mutter im Krankenhaus “noch nicht einmal Blumen” und “kein Kuscheltier” dabeigehabt.

Wieso also “widerwärtig”? Die “Bild am Sonntag” nannte den sichtlich angenervten Politiker doch ganz fried- und freundlich “wohlgelaunt”…

Und Katzen würden Whiskas kaufen

Jede Menge verteidigende Kommentare, eine Debatte über Meinungsfreiheit und erste Anflüge von Personenkult. Man kann es nicht anders sagen: “Bild”, “Bild am Sonntag” und Bild.de haben in der Sarrazin-Debatte endgültig auf Kampagnenmodus umgeschaltet.

Den jüngsten Höhepunkt stellt eine Emnid-Umfrage für “Bild am Sonntag” dar. Völlig ungeachtet der Tatsache, dass Sarrazin selbst bei jeder Gelegenheit Ambitionen auf die Gründung einer eigenen Partei abstreitet, stellte sich “Bild am Sonntag” die eigentlich völlig überflüssige Frage:

Aber hätte eine solche politische Kraft bei Wahlen überhaupt eine Chance? BILD am SONNTAG wollte es wissen und gab bei Emnid eine Umfrage dazu in Auftrag. Das Ergebnis ist für die etablierten Parteien ein Schock: 18 Prozent der Deutschen könnten sich vorstellen, eine Partei zu wählen, deren Vorsitzender Thilo Sarrazin heißt.

Und so sieht das dann auf Bild.de aus:

Umfrage-Schock für Merkel und Gabriel: 18 Prozent würden eine Sarrazin-Partei wählen

18 Prozent klingen zunächst sehr eindrucksvoll, selbst wenn das schon eine ganz andere Hausnummer ist als die rund 90 Prozent pro Sarrazin, die Bild.de regelmäßig in Umfragen unter den eigenen Lesern feststellt. Auch alle, die glaubten, hinter Sarrazin stünde wenigstens eine (schweigende) Mehrheit, müssten von den 18 Prozent eher enttäuscht sein.

Können 18 Prozent dennoch zu Recht als “Umfrage-Schock” bezeichnet werden? Immerhin klingt das so, als könnte eine Sarrazin-Partei als dritt- oder viertstärkste Kraft in den Bundestag einziehen.

Der Trick bei dieser Art von Umfrage ist allerdings, dass diese 18 Prozent so gut wie nichts mit tatsächlich zu erwartenden Stimmen bei einer Wahl zu tun haben. Wichtig ist hier die Fragestellung und die lautet: “Könnten Sie sich vorstellen, eine neue Partei zu wählen, wenn Thilo Sarrazin Vorsitzender dieser Partei wäre?” Jeder Befragte verfügt dabei praktisch über beliebig viele Stimmen. Denn es geht nur darum, ob man sich vorstellen (!) kann, (irgendwann einmal) eine solche Partei zu wählen. Die meisten der 18 Prozent können sich wahrscheinlich auch vorstellen, noch ganz andere Parteien zu wählen.

Zum Vergleich: Im März 2008 konnten sich 27 Prozent der im ARD-Deutschlandtrend vorstellen, die Linke zu wählen. Bei der Bundestagswahl 2009 kam sie trotzdem nur auf 11,9 Prozent.

Wenn sich also durch die Emnid-Umfrage, die übrigens für eine Friedrich-Merz-Partei 20 Prozent und für eine Joachim-Gauck-Partei 25 Prozent festgestellt hat, ein Trend abzeichnet, dann ist es der, dass diese Umfragen ein Garant dafür sind, Schlagzeilen zu machen und deshalb in letzter Zeit zunehmen.

Erst vor zwei Wochen ließ der “Focus” ebenfalls Emnid ermitteln, wie viele Deutsche sich vorstellen könnten, “eine bürgerlich-konservative Partei rechts der CDU” zu wählen (20 Prozent) und erzeugte damit ein großes Medienecho.

Wie wenig diese Art von Umfrage tatsächlich aussagt, erkennt man spätestens, wenn man sich ansieht, wer als letztes bei einer solchen “Können Sie sich vorstellen”-Umfrage auf 18 Prozent gekommen ist. Nein, es waren nicht die Schuhsohlen von Guido Westerwelle. Es war Horst Schlämmer:

Stünde die "Horst-Schlämmer-Partei" aus Hape Kerkelings Kinofilm "Isch kandidiere" am 27. September tatsächlich zur Wahl, schnitte sie vermutlich besser ab als jede andere Splitterpartei. In einer Umfrage für den Stern bejahten 18 Prozent der Bundesbürger die Frage, ob sie sich vorstellen können, die "Horst-Schlämmer-Partei" zu wählen.

Was für eine Lawine des Unfugs die angeblich 18 Prozent für Horst Schlämmer damals losgetreten haben, kann man hier nachlesen:

Junge Freiheit, DDR-Presse, Bewegtbildkonsum

1. «Wer die AfD verstehen will, muss die ‹Junge Freiheit› lesen»
(medienwoche.ch, Adrian Lobe)
Während andere Publikationen unter Auflageverlusten zu leiden haben, hat die rechte “Junge Freiheit” ihre Auflage gesteigert. In absoluten Zahlen sei dies zwar bescheiden, liefe aber dem allgemeinen Rückwärtstrend entgegen. Die inhaltliche Nähe zwischen dem konservativen Blatt und der AfD sei offenkundig. Entsprechend intensiv sei auch die Berichterstattung über die neue Partei. Gleichwohl hätte es die “Junge Freiheit” nicht geschafft, trotz eines evidenten Rechtsrutsches der Gesellschaft aus ihrem Nischendasein herauszukommen und wirke zuweilen wie ein “Altherrenblatt, das man bei einer Zigarre in einem Wirtshaus liest”.

2. Es trifft jeden, der für die Meinungsfreiheit eintritt
(faz.net, Friederike Böge)
Afghanistan ist in einem desolaten Zustand, was die freie Berichterstattung anbelangt. Die Taliban versetzen die Medienbranche in Angst und Schrecken. Ob Anschläge durch Selbstmordattentäter, Raubüberfälle, Bedrohungen: Journalisten in Afghanistan leben gefährlich. Deshalb seien allein im vergangenen Jahr mehr als hundert Journalisten ins Ausland geflüchtet.

3. 7 Trends beim Bewegtbildkonsum
(wuv.de, Petra Schwegler)
In der Kurzzusammenfassung des “TV & Media Report 2015” werden die sieben wichtigsten Trends in Sachen Medienkonsum wiedergegeben. Streaming und Mobile seien im Wachsen. Vor allem die 16- bis 34-Jährigen würden Videos bevorzugt über Smartphone, Laptop oder Tablet konsumieren. Hier bliebe der Fernseher weitgehend ausgeschaltet. Weitere Trends seien Bingewatching (“Komaglotzen”) ganzer Serien und User Generated Content auf Youtube und Co.

4. “Ich werde Journalistin, aber nicht in der DDR!”
(sueddeutsche.de, Cornelius Pollmer)
Bericht über die Ausstellung “Rotstift – Medienmacht, Zensur und Öffentlichkeit in der DDR”, die auch online besucht werden kann. Die Ausstellung liefert Informationen und Hintergründe über die damalige Situation und die drastisch eingeschränkte Pressefreiheit. Interessant auch für all die “Lügenpresse”-Rufer, die sich hier anschauen können, wie es tatsächlich ist, wenn sich die Medien in Parteihand befinden und staatlich gelenkt werden.

5. Zu gut, um legal zu sein
(zeit.de, Götz Hamann)
Christopher Lauer ist Ex-Pirat und Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses. Jüngst wurde Lauer auf Facebook bedroht. Er hat sich deshalb an die Polizei gewandt, doch die Sache ist nicht einfach: Facebook mauert, was die Herausgabe von Daten anbelangt. Lauers Fall illustriere ein drängendes Problem. Es herrsche große Unsicherheit, wie sich Bürger wehren und zu ihrem Recht kommen können, wenn sie auf Facebook beleidigt, genötigt oder bedroht werden. Ein Urteil, wie es kürzlich gegen einen Mann erging, der die Fernsehjournalistin Dunja Hayali mit Hasskommentaren auf Facebook überzogen hatte, sei die Ausnahme. Im Normalfall stünden die Chancen für deutsche Strafverfolgungsbehörden schlecht, an Daten zu gelangen.

6. Ulle alaaf! “Focus”-Chef schreibt Seehofer
(Übermedien.de, Video, 2 Minuten)
Der noch bis Ende des Monats amtierende “Focus”-Chef, Ulrich Reitz, hat einen Brief an Horst Seehofer geschrieben, „ganz persönlich“, als seltsam gekünstelte Audiobotschaft. Die Kollegen von “Übermedien” vermissten die Atmosphäre und haben den Vortrag deshalb… Ach, hören Sie einfach selbst!

Maschmeyer, Schwimmkurse, Zyankali

1. Die Presse hat kein Recht auf Informationen des Bundestages mehr
(tagesspiegel.de, Jost Müller-Neuhof)
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat Auskunftsansprüche von Journalisten gekürzt: Der Bundestag muss keine Auskünfte über staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen Abgeordnete geben. Das Gericht wies eine Informationsklage des “Tagesspiegel” ab und hob ein Urteil der Vorinstanz auf. Als Grund wurde angegeben, dass “der deutsche Bundestag als besonderes Organ der Gesetzgebung” keine auskunftspflichtige Behörde im Sinne des Presserechts sei.

2. Dranbleiben am Thema
(taz.de, Daniel Bouhs)
Nach dem Berliner Recherchebüro “Correctiv” setzt nun eine weitere journalistische Plattform auf Einzelspenden und Fördermittel von Stiftungen: “Codastory” heißt das Portal, das bereits mit dem britischen “Guardian” zusammenarbeitet, aber in Deutschland noch Partner sucht. Daniel Bouhs hat sich in Berlin mit “Coda”-Mitgründer Ilan Greenberg unterhalten.

3. „Trump ist ein dunkler Twitter-Präsident“: Zeit-Online-Chef Wegner über Wahlen, Bots und ein neues Transparenz-Blog
(meedia.de, Alexander Becker)
Bei “Meedia” analysiert “Zeit-Online”-Chefredakteur Jochen Wegner den US-Wahlkampf, den Einfluss von Bots, Fake-News und die Rolle der Medien. “Dass die meisten Journalisten diese Entscheidung nicht nachvollziehen können, ist zunächst einmal das Problem der Journalisten. Vielleicht helfen etwas Abstand und eine gewisse Demut dabei, sich den Ausgang der Wahl zu erklären, statt sich jetzt mit Erklärungsversuchen zu überschlagen.” Wegner überlegt, welche Lehren Journalisten daraus für die Bundestagswahl ziehen können und kündigt ein Transparenz-Blog an, in dem journalistische Arbeitsweise erklärt wird. Zum Schluss wünscht er sich Medien, die den “gefühlten Mainstream durchbrechen, eine große Zahl von Lesern erreichen und dabei journalistische Prinzipien respektieren” und denkt dabei an “eine sehr konservative FAZ”.

4. Maschmeyers Image – frisch geliftet?
(ndr.de, Sabine Schaper, Video, 6:09 Minuten)
Seit jüngstem gibt sich der ehemalige AWD-“Drückerkönig” Carsten Maschmeyer bei “Die Höhle der Löwen” (Vox) als väterlicher Mentor junger Startup-Unternehmer und arbeitet auch ansonsten an seinem Image-Wechsel zum Saubermann. Viele Medien würden das Spiel mitmachen, so “Zapp”-Autorin Sabine Schaper.

5. Bundespressekonferenz empört mit fiktiver Anzeige
(sueddeutsche.de, David Denk)
Die Bundespressekonferenz gibt seit 1951 einen satirischen “Almanach” heraus. (Zitat aus der Erklärung der Bundespressekonferenz im Original-Wortlaut: “Seitdem begleitet er das abgelaufene Politik-Jahr mit satirischen Beiträgen, die in ihrer zugespitzten Form politische Debatten aufgreift und begleitet”) In der diesjährigen Ausgabe erschien eine Fake-Anzeige der fiktiven “Bundesbade-Agentur”, die “Schwimmkurse für Flüchtlinge” anbietet, darunter ein “Vorschul-Flüchtlingsschwimmen (ab 3 Jahre)”. Dies löste vielerlei kontroverse Meinungsäußerungen aus (“Ihr habt sie nicht mehr alle, oder?”). Eine Gruppe von zehn ARD-Korrespondenten hat einen Brief an den BPK-Vorsitzenden Gregor Mayntz geschrieben, in dem sie den Vorstand aufforderten, sich von dem Beitrag zu distanzieren. Der Vorstand der Bundespressekonferenz hat als Antwort auf die Kritik eine Erklärung veröffentlicht.

6. Lance Armstrong will sich zurückquatschen
(tagesanzeiger.ch, Andreas Tobler)
Der einstige Tour-de-France-Sieger Lance Armstrong hat neuerdings einen Podcast. “Tagesanzeiger”-Autor Andreas Tobler hat reingehört und findet es “zum Zyankalinehmen”.

“Maria W. hat ihre Geschichte frei erfunden”

Es verdichten sich die Hinweise, dass “Bild” auf eine Betrügerin reingefallen ist.

Am 28. März 2015, vier Tage nach dem Absturz des “Germanwings”-Flugs 4U9525 in den französischen Alpen, veröffentlichte die “Bild”-Zeitung diese Titelgeschichte, die auch Bild.de aufgriff:



Die angebliche “Ex-Freundin” von “Germanwings”-Co-Pilot Andreas Lubitz lieferte “Bild”-Reporter John Puthenpurackal genau die Bausteine, die wenige Tage nach dem Unglück für das Psychogramm eines Wahnsinnigen noch fehlten: Ausraster, Drohungen, die Ankündigung einer aufsehenerregenden Tat. Es passte alles wunderbar in das Bild, das Puthenpurackals Redaktion die Tage zuvor gezeichnet hatte.

In dem Artikel vom 28. März 2015 schrieb “Bild”:

Die Stewardess Maria W. (26) war eine zeitlang die Freundin von Todes-Pilot Andreas Lubitz (27).

Fünf Monate lang flogen sie im vergangenen Jahr zusammen durch Europa und übernachteten heimlich gemeinsam in Hotels.

BILD-Reporter John Puthenpurackal hat ihre Identität überprüft. Er ließ sich u.a. ein Foto zeigen, das die Stewardess und den Amok-Piloten bei einem Flug in derselben Crew zeigt.

Bereits im März dieses Jahres schrieb die Journalistin Petra Sorge in der “Zeit”, dass es trotz der Identitätsprüfung durch “Bild” erhebliche Zweifel an der Geschichte von Maria W. gebe. Der für den “Germanwings”-Absturz zuständige Düsseldorfer Staatsanwalt Christoph Kumpa sagte damals: “Ich gehe davon aus, dass ihre Geschichte erfunden ist.” “Bild”-Oberchef Julian Reichelt startete daraufhin eine ganz beachtliche Twitter-Kampagne gegen Sorge.

Heute liefert Petra Sorge in einem Artikel für “Buzzfeed” neue Indizien dafür, dass Maria W. eine Hochstaplerin ist, und dass die “Bild”-Medien auf sie reingefallen sind.

Da ist zum Beispiel die Tatsache, dass die Einsatzpläne bei “Germanwings” aus Kostengründen so konzipiert waren, dass die Piloten am Ende eines Diensttages so gut wie immer in ihren Heimatflughafen zurückkehrten. Das Personal schlief dann meist in der eigenen Wohnung. Das passt kaum mit der Aussage von Maria W. zusammen, dass sie mit Andreas Lubitz durch Europa geflogen sei und heimlich mit ihm in Hotels übernachtet habe.

Außerdem ist es ausgesprochen unwahrscheinlich, dass Andreas Lubitz und Maria W. “fünf Monate lang” zusammen flogen. Bei “Buzzfeed” sagt ein Sprecher von Lubitz’ früherer Fluggesellschaft, dass die Crew täglich wechsle und man nur in Ausnahmefällen und durch Zufall mehrere Tage hintereinander gemeinsam fliege.

Schwerwiegender als diese Indizien ist eine Stellungnahme von RTL zu dem Fall. Maria W. hat sich nach der Veröffentlichung bei “Bild” mit ihrem Anliegen nämlich auch bei dem TV-Sender gemeldet. Nach fünf Monaten Recherche stand für die Redaktion fest: Maria W. ist eine Betrügerin. Petra Sorge zitiert in ihrem “Buzzfeed”-Text einen RTL-Pressesprecher: “‘Wir können vollumfänglich bestätigen, dass Maria W. ihre Geschichte frei erfunden hat. Dies hat sie bei einem 4. Treffen im Dezember 2015 explizit zugegeben'”.

Bei diesem vierten Treffen soll Maria W. laut eines RTL-Abteilungsleiters auch gesagt haben, dass sie überrascht gewesen sei, wie viel Arbeit sich der Sender mit der Recherche gemacht hat. Das kannte sie von ihrem Kontakt mit der “Bild”-Redaktion und John Puthenpurackal offenbar nicht.

Lobo und Albrecht, Entlassenes “Alphatier”, Haie und Putzerfische

1. Sascha Lobo: der Debatten-Podcast #41. Albrecht, Lobo und die DSGVO
(spiegel.de, Audio, 1:18:09 Stunden)
„Spiegel“-Kolumnist Sascha Lobo und Jan Philipp Albrecht, der als einer der Architekten der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) gilt, haben sich bislang schriftlich einen Schlagabtausch zur DSGVO geliefert (Lobos Kolumne / Albrechts Erwiderung), der bis in die Kommentare reichte. Nun haben sich die beiden für eine Sonderausgabe für Lobos Debatten-Podcast zum Gespräch zusammengesetzt.

2. Konsequenz aus #metoo-Affäre: WDR kündigt TV-Korrespondenten
(correctiv.org, Wigbert Löer & Marta Orosz)
Gegen einen „WDR“-Mitarbeiter gab es mehrere Vorwürfe der sexuellen Belästigung, die jedoch weder Abmahnung noch Kündigung rechtfertigen würden, so der Sender. Nun hat der „WDR“ dem Mann gekündigt.
Weiterer Lesehinweis mit Einzelheiten zur Causa „Alphatier“: ARD-Korrespondent belästigte Kolleginnen sexuell – nach Enthüllungen von stern und Correctiv wurde er nun doch freigestellt (stern.de, Wigbert Löer & Marta Orosz)

3. Zeitungs-Newsletter nach der DSGVO: 80 Prozent der Empfänger verloren?
(kress.de, Frank Hauke-Steller )
Müssen sich Versender von Newslettern eine erneute Zustimmung der Bezieher einholen, um den Ansprüchen der neuen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) zu genügen? Darüber gehen die Meinungen auseinander, selbst bei großen Playern der Medienbranche wie „Süddeutscher Zeitung“ und „Zeit“-Verlag.

4. So will der Spiegel seine Online-Nutzer zu Flatrate-Abonnenten machen
(horizont.net, Roland Pimpl)
Am Montag startete der „Spiegel“ sein umgebautes digitales Produkt- und Preismodell „Spiegel Plus“. Was für die Leser Auswirkungen hat, wird sich auch intern auswirken. Das neue Modell erfordere von der Print-Redaktion ein Umdenken und mehr Flexibilität, so „Spiegel“-Chef Klaus Brinkbäumer.
Weiterer Lesehinweis: “Beim Spiegel geht es nicht darum, cool zu sein”: Produktchef Stefan Plöchinger über die neue Paid-Content-Strategie (meedia.de, Marvin Schade)

Und zum Schluss der Verweis auf ein kurioses Fundstück: “Kaufmännische Genialität zeigt sich oft in naheliegender Schlichtheit: Wenn ich die Argumente für einen „Spiegel+“-Zugang sehen will, muss ich mir vorher einen „Spiegel+“-Zugang einrichten.”

5. Von Haien und Putzerfischen
(deutschlandfunk.de, Heribert Prantl & Stefan Koldehoff)
Der „Deutschlandfunk“ hat sich mit Heribert Prantl („SZ“) über die Problematik der sogenannten „Hintergrundgespräche“ von Politikern mit Medienvertretern unterhalten, von denen nichts nach außen dringen soll. Prantl hadert mit der Gesamtthematik: „Das vertrackte ist, dass Sie als jemand der Bescheid wissen will, die Nähe zur Politik suchen und zugleich Distanz von ihr halten müssen.“

6. Wie man Teilnehmerzahlen berechnet
(faktenfinder.tagesschau.de, Konstantin Kumpfmüller)
Am Wochenende wurde in Berlin von, aber auch gegen die AfD demonstriert. Über die Teilnehmerzahlen gehen die Meinungen bei derartigen Veranstaltungen oft auseinander. Die Veranstalter sind natürlich nicht unbefangen, denn der mediale Erfolg bemisst sich oft nach der Teilnehmerzahl. Schätzungen helfen, es gibt jedoch auch Methoden, um zu genaueren Ergebnissen zu kommen.

Dunkle Mächte, Flüchtlingsforschung gegen Mythen, 78-Millionen-Klage

1. Die dunkle Macht, die beim „Stern“ Regie führt
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Das Titelbild der aktuellen Ausgabe des „Stern“ über das angeblich „zerrissene Land“ („Der Mordfall Susanna F. und das Ende von Merkels Flüchtlingspolitik“) hat in der vergangenen Woche viel Kritik ausgelöst. Stefan Niggemeier hat sich die dazugehörige Geschichte durchgelesen, und sagen wir es mal so: Das Ganze wird nicht unbedingt besser.

2. Flüchtlingsforschung gegen Mythen 6
(fluechtlingsforschung.net, Ulrike Krause)
Beim „Netzwerk Flüchtlingsforschung“ werden regelmäßig Behauptungen aus der Flüchtlingsdebatte auf den Prüfstand gestellt, ob Talkshow-Äußerungen, Tweets oder Stammtischparolen. Das Besondere an dieser Form des Faktenchecks: Es sind keine Journalisten, sondern Experten und Expertinnen aus der Wissenschaft, die dort Stellung beziehen. Auch in der sechsten Ausgabe kümmert sich das Wissenschaftlerteam unter der Redaktion von Prof. Dr. Ulrike Krause um typische Aussagen der letzten Zeit, wie der Forderung nach der Beendigung des „Asyltourismus“.

3. Mitarbeiter empören sich über Fox-Berichterstattung
(zeit.de)
Die tendenziöse Berichterstattung des Senders „Fox News“ über Donald Trump und seine Migrationspolitik stößt immer mehr Leute ab, darunter auch dem Sender eigentlich verbundene Personen. So verkündete „Modern Family”-Produzent Steve Levitan seinen Abschied. Auch der Schauspieler und Kreative Seth MacFarlane (u.a. Schöpfer der Zeichentrick-Serien “Family Guy”, “American Dad” und “The Cleveland Show”) ließ auf Twitter seiner Empörung freien Lauf: Er schäme sich, für das Unternehmen zu arbeiten.

4. “Lasst uns jeden Morgen vors Werkstor ziehen”
(kontextwochenzeitung.de, Josef-Otto Freudenreich)
Es gab einmal einen Betriebsrat, der den längsten Journalistenstreik der Nachkriegsgeschichte angeführt hat (96 Tage). Das war 2011 beim “Schwarzwälder Boten”. Der Mann heißt Thomas Ducks und war bis jetzt Betriebsrats-Vorsitzender der Medienholding Süd (u.a. „Süddeutsche Zeitung“). Doch nun schmeißt Ducks hin, weil er die “extreme seelische Belastung” nicht mehr erträgt.

5. Kläger fordert 78 Millionen Euro von “Süddeutscher Zeitung”
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers im Gespräch mit Sebastian Wellendorf)
Stolze 78 Millionen Euro Schadenersatz verlangt ein Unternehmer von der “Süddeutschen Zeitung”. Der Vorwurf: Ein Bericht der Zeitung habe dazu geführt, dass ein millionenschweres Geschäft geplatzt sei. Der Leiter der „SZ“-Wirtschaftsredaktion Marc Beise warnt vor “amerikanischen Verhältnissen”. Wenn in dieser Form solch ein ungeheurer Druck auf Medien aufgebaut würde, sei das der Anfang vom Ende der Pressefreiheit.

6. Versucht’s doch mal mit Mohammed – TITANIC-Sommerhit
(youtube.com)
Die Satirezeitschrift „Titanic“ bekommt aus einer bestimmten Richtung seit Jahrzehnten immer die gleichen Vorwürfe zu hören. Da es schade wäre, wenn nicht mehr Menschen davon erfahren würden, haben die „Titanic“-Popstars aus den beliebtesten Blasphemie-Stereotypen einen Song gebastelt.

Mopo-“Strategie”, Monetarisierter “Checkpoint”, Europa-Spot der NPD

1. DuMonts Mopo ändert Print-Strategie: Boulevardblatt folgt bei Zeitungsthemen den Leserinteressen im Netz
(meedia.de, Gregory Lipinski)
Beim Lesen kann man fast die uninspirierte Verzweiflung spüren, mit der das Haus DuMont die gedruckte Hauptausgabe der “Hamburger Morgenpost” “stärken” will: Um den Auflagenschwund der gedruckten Zeitung zu stoppen, sollen klickstarke Geschichten aus dem Netz gefischt und für die Zeitung aufbereitet werden. Wobei sich DuMont wohl komplett aus dem Zeitungsgeschäft zurückziehen will: Seit einigen Tagen wird in Medien über den Verkauf der DuMont-Zeitungstitel spekuliert.

2. 1000 durchgeschriebene Nächte
(tagesspiegel.de, Lorenz Maroldt)
2014 gründeten Stefanie Golla und Lorenz Maroldt vom “Tagesspiegel” einen täglichen Morgennewsletter aus Berlin: den “Checkpoint”. Tausend Ausgaben später kommt nun der nächste Schritt: die Vermarktung. Ein Abo des Newsletters kostet künftig monatlich 6,99 Euro, ein Jahresabo 5 Euro im Monat. Eine gekürzte Version des Newsletters soll jedoch weiterhin kostenlos erhältlich sein. Lorenz Maroldt nutzt die Gelegenheit, auf “1000 durchgeschriebene Nächte” zurückzublicken.

3. Auf Immer­wiedersehen!
(sz-magazin.sueddeutsche.de, Dorothea Wagner)
Es gibt wenig Tröstlicheres, als sich stets ­dieselben Filme und ­Serien ­anzuschauen, findet Dorothea Wagner in ihrem Artikel über das sogenannte “Comfort Bingen”. Wagner fragt: “Verlieren mit dem Comfort Binge die Serien und Filme nicht ihren Sinn? Sind Witze nicht darauf ausgelegt, dass mich ihre Pointe überrascht, und lebt Spannung nicht davon, dass ich das Ende der Geschichte nicht kenne? Jein. Der US-Autor Steven Johnson beschreibt im Buch Neue Intelligenz, dass Unterhaltungsserien so kompliziert geworden sind, dass sie einen dafür belohnen, wenn man sie sich mehrmals anschaut, weil man erst dann alle Anspielungen verstehen und die Eleganz der verschiedenen verknüpften Handlungsstränge würdigen kann.”

4. Wirken sich Antibiotika auf Herz-Kreislauf-Risiken aus? Science Media Newsreel No. 47
(meta-magazin.org)
Im Wochenrückblick des “Science Media Center” geht es um die Forschungsergebnisse, über die in letzter Zeit besonders häufig in den Medien berichtet wurde. Dieses mal: “Längere Einnahme von Antibiotika erhöht Risiko einer Herz-Kreislauf-Erkrankung” (“European Heart Journal”), aufgegriffen unter anderem von “Stern”, “Focus” und “Deutschlandfunk”.

5. VGH Hessen: Hessischer Rundfunk muss Wahlwerbespot der NPD senden
(urheberrecht.org)
Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH Hessen) hat entschieden, dass der Hessische Rundfunk (hr) einen Europawahl-Wahlwerbespot der NPD im Hörfunk senden muss. Der hr hatte die Ausstrahlung abgelehnt, weil der Werbespot den Straftatbestand der Volksverhetzung erfülle. Das Gericht sah dies anders: Die Zuschreibung krimineller Neigungen stelle noch kein “Absprechen des Achtungsanspruchs als Mensch” dar.

6. Die Freiheiten des Äthers
(deutschlandfunk.de, Kerstin Schweighöfer)
In den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts mögen Piratensender noch ein Thema gewesen sein. Heutzutage kann jeder einen “Radiosender” im Netz hochziehen oder sich per Podcast an die Welt wenden. Kerstin Schweighöfer erzählt in einem kurzen Abriss von den Anfängen der niederländischen Piratensender bis zur Jetztzeit.

Koalition der Klimawandelleugner, Untertitel für Pornos, Gelber Stern

1. Koalition der Klimawandelleugner
(spiegel.de, Susanne Götze & Annika Joeres)
Neue Rechte und Klimawandelleugner haben eine Medienkampagne gegen mehr Klimaschutz in Deutschland gestartet. Zu den “Kooperationspartnern” der Initiative würden der ultra-konservative CDU/CSU-Flügel “Werteunion”, der rechtslastige Arbeitgeberverband DAV sowie AfD-, CDU- und FDP-Mitglieder und ehemalige Abgeordnete gehören. Die CDU habe sich trotz mehrfacher Nachfrage nicht zu der Kampagne und der Rolle der “Werteunion” äußern wollen: “Man darf spekulieren, dass die Parteispitze darauf hofft, mit der Werteunion und dem Grenzgänger Maaßen AfD-nahe Wähler holen zu können. Auch wenn die Gruppe von Präsidium und Vorstand der CDU nicht anerkannt wird.”

2. Was ist ein Mensch wert: Sat.1 trommelt für “Big Brother”
(dwdl.de, Alexander Krei)
“DWDL” berichtet über die fragwürdige Ankündigung der neuen “Big Brother”-Staffel (Sat.1) und wird dafür selbst kritisiert: “Wie unbedarft muss man eigentlich sein, um so einen geschichtsvergessenen, faschistoiden Schund unkommentiert zu vermelden?”, fragt Till Räther auf Twitter. “DWDL” veröffentlichte später am Tag noch einen Kommentar von Redakteur Alexander Krei zur “Big Brother”-PR-Strategie. Auch Rainer Leurs, Redaktionsleiter bei “RP Online”, kommentiert die Marketing-Kampagne des Fernsehsenders: “Mit gelbem Stern entscheiden, ‘was ein Mensch wert ist’ & ‘Follow the Leader’ als Titelsong — die Provokation ist so obvious, dass ich nicht an eine Panne glauben kann. Bei der Geschmacklosigkeit dürfte der Social-Media-Aufschrei Teil des Plans gewesen sein. Eklig ist das.” Und Anna Aridzanjan fällt nur noch ein: “Ob diese Marketingleute in der Geschichtsstunde Kreide holen waren habe ich gefragt”.

3. Untertitel für Pornos
(taz.de, Denis Gießler)
Für viele klingt es zunächst wie ein Witz: Der gehörlose New Yorker Yaroslav Suris habe laut ABC News mehrere Online-Pornoplattformen wegen fehlender Untertitel verklagt. Suris stütze sich dabei auf den Americans with Disabilities Act, der US-Amerikaner mit Behinderungen seit 1990 bundes- und staatsübergreifend vor Diskrimierung schützen soll. Es wären nicht die USA, wenn es dabei nicht auch um jede Menge Geld gehen würde — in Form von Strafzahlungen, aber auch als Schadensersatz.

4. Der Deutsche Podcastpreis ist eine Fehlkonstruktion
(uebermedien.de, Daniel Bouhs)
Mitte März soll erstmals der Deutsche Podcastpreis verliehen werden. Unter den Initiatoren befinden sich öffentlich-rechtliche Radiosender, aber auch privatwirtschaftliche Podcast-Schwergewichte wie Amazon und Spotify. Im Vorfeld regt sich allerlei Kritik: Podcasts hätten sich mit dem Label “nominiert” schmücken können, über die “Crowd-Jury” sei wenig bekannt und das Auswahlverfahren sei überfordernd. Daniel Bouhs kommentiert: “So ehrenhaft der Versuch auch sein mag, unter dem Stichwort ‘Crowd’ alle zu umarmen: Engere Kriterien und eine Vorjury wären nur fair, um Brillantes verlässlich identifizieren und so tatsächlich allen eine Chance bieten zu können. Die Nominierten, erst recht die Prämierten, hätten es dann wirklich verdient.”

5. “Und morgen bist du tot!”
(zeit.de, Hasnain Kazim)
Was macht es mit einem, wenn man über einen längeren Zeitraum und nahezu täglich Hassnachrichten und Morddrohungen erhält? Es lohnt sich, dem für seine Deutlichkeit bekannten Journalisten Hasnain Kazim zuzuhören. Nicht nur, weil sein persönliches Erleben so erschütternd ist, sondern weil die Angriffe auf ihn in gewisser Weise auch Angriffe auf die Gesellschaft sind: “Manchmal erkennen mich Leute auf der Straße. ‘Sind Sie nicht …?’ Oder: ‘Ich kenne Sie doch!’ Ich freue mich darüber, es ist ja eine Form der Anerkennung. Aber in letzter Zeit hat sich ein Unbehagen eingeschlichen. Ich weiche unweigerlich zurück, wenn fremde Leute auf mich zukommen. Was, wenn sie mir etwas antun wollen? Dann wieder ärgere ich mich darüber, dass ich so misstrauisch geworden bin. Es zeigt, dass die Drohungen mich verändern.”

6. Die vier Gesichter unserer Internetprofile
(sz-magazin.sueddeutsche.de, Marc Baumann)
Die US-amerikanische Country-Sängerin Dolly Parton veröffentlichte eine Bildcollage, die zeigen sollte, wie unterschiedlich wir uns auf Plattformen wie Linkedin, Facebook, Instagram und Tinder darstellen. Damit war die “Dolly Parton Challenge” geboren, der sich nun unzählige Promis, mal mehr und mal weniger lustig, anschließen.

Nachrichten-Vergrößerung

Bei Bild.de (der “multimedialen Erweiterung von BILD”) hat man anscheinend in der TV-Beilage des Berliner Stadtmagazins “tip” geblättert und dort, in einem Porträt der Schauspielerin Nadeshda Brennicke, folgende Text-Passage entdeckt:

“Wo waren wir? Schönheitsoperationen? ‘Darüber rede ich ganz offen, damit habe ich kein Problem.’ Sie [Nadeshda Brennicke] lacht auf. ‘Als ich mir drei Jahre nach der Geburt meines Sohnes den Busen habe operieren lassen und dann aus der Narkose aufwachte, sah ich als erstes im Fernsehen Bilder vom gesunkenen Atom-U-Boot Kursk … und da habe ich so geheult. Da stirbt die ganze Mannschaft, und ich lieg hier und hab mir neue Titten machen lassen!’ Sie lacht laut auf.”

Und was macht Bild.de daraus? Na, dies:
Nadeshda Brennicke - Erster TV-Star bereut Busen-OP

Das ist, so formuliert, natürlich Unsinn. Noch sinnentstellender ist allerdings das Brennicke-Foto (siehe Ausriss), mit dem Bild.de die als “Top-Thema” angekündigte, mickrige Meldung illustriert. Das nämlich stammt ausgerechnet aus einer Folge der TV-Serie “Polizeiruf 110” vom Mai 2002 namens “Silikon Walli”, die (mit Brennicke in der Titelrolle) im Rotlicht- und Brust-OP-Milieu spielte. In einen Brennicke-Porträt des Mediendienstes Teleschau (siehe z.B. hier) hieß es damals dazu:

“Drei Stunden brauchte ein Special-Effect-Maskenbildner Drehtag für Drehtag, um aus der zierlichen und privat meist ungeschminkten Kindfrau eine mehr als vollbusige Silikon-Blondine mit scheinbar ebenso unnatürlich aufgeblasenen, roten Lippen zu formen. ‘Es war schon sehr eigenartig, mit so viel Oberweite herumzulaufen’, erinnert sich die Schauspielerin.”

Und gegenüber dem “Kölner Express” (Überschrift: “Wie kommt Schauspielerin Nadeshda Brennicke plötzlich zu dieser Oberweite?”) betonte “Polizeiruf”-Autor Wolfgang Limmer sogar, dass die Darstellerin der Walli-Rolle nicht wegen ihrer Busengröße gecastet worden sei. Im Gegenteil:

“Das war eine Meisterleistung der Maske. Ihr wurde eine Masse auf den Körper gepappt, die bei Körperwärme klebt. Die Übergänge von Haut und Klebemasse wurden weggeschminkt.”

Noch Fragen? Ach ja, dass Nadeshda Brennicke – Jahre vor der “Walli”-Rolle – ihre Brüste (“auf das Kleinste, das es gibt”) vergrößern ließ, las sich übrigens schon in dem Teleschau-Porträt ähnlich reuelos wie jetzt im “tip”:

“Nach der Geburt ihres Sohnes war ihr Busen auf ein Minimum geschrumpft, und danach habe sie sich überhaupt nicht mehr als Frau gefühlt. ‘Ich finde eine Schönheitsoperation absolut legitim, wenn man dazu steht. Das Wichtigste ist doch immer die Ehrlichkeit.‘”

Mit Dank an Jörg F. für den entscheidenden Hinweis.

Nachtrag, 19.24 Uhr:
Gut möglich auch, dass die Leute von Bild.de nicht einmal im “tip”-TV-Magazin geblättert, sondern den Unsinn bloß ungeprüft bei der Konkurrenz abgeschrieben haben…

Nachtrag, 19.12.04:
Na, sowas! Schon wieder hat Bild.de aus der ursprünglichen Überschrift (“Erster Fernsehstar bereut Busen-OP”) nachträglich eine ein wenig weniger sinnentstellende (“Fernsehstar heulte nach Busen-OP”) gemacht. Warum nicht gleich so? Oder wie wär’s mit “Schauspielerin erinnert sich an Tränen nach Busen-OP vor einigen Jahren”? (Ist dann zwar keine nennenswerte Schlagzeile mehr, dafür aber sachgemäß.)

Hieb- und stichdurchlässig

Nicolaus Fest ist Mitglied der “Bild”-Chefredaktion und neuerdings auch Bild.de-Kolumnist.

In seiner Kolumne “Hieb- und stichfest schreibt er heute unter der Überschrift “Schlafe ruhig, Deutscher Presserat” (und erstaunlicherweise mit dem Begriff “hurriyet” in der Adresszeile) über die Berichterstattung “der türkischen Zeitungen wie Milliyet und Sabah” über den Häuserbrand in Ludwigshafen. Die hätten nämlich – “unwidersprochenen Übersetzungen in deutschen Medien zufolge” – u.a. über “Spuren von Neonazis” am Tatort spekuliert. Fest schreibt:

Vor allem aber wundert angesichts derart massiver Verletzungen aller journalistischer Grundregeln das Schweigen des Deutschen Presserats. (…) laut Beschwerdeordnung kann der Presserat auch aus eigenem Antrieb und unabhängig vom Vorliegen einer Beschwerde tätig werden.

Warum dann jetzt diese auffällige Ruhe?

Wenn es um angebliche Schleichwerbung geht oder um den Persönlichkeitsschutz krimineller islamistischer Ex-Kommandanten wie Khaled al-Masri, ist dem Presserat die öffentliche Selbstdarstellung ein hohes Anliegen. Aber in einem Fall an der Grenze zur Volksverhetzung, wo durch vorsätzlich falsche Berichterstattung Türken und Deutschen gegeneinander aufgebracht wurden, kommt – gar nichts.

Schlafe ruhig, Deutscher Presserat.

Holla, möchte man Fest da zurufen. Oder lieber: Moment mal!

Denn abgesehen davon, dass wir den Eindruck haben, es handele sich beim Presserat ohnehin um eine vergleichsweise verschlafene Instanz; mal abgesehen davon auch, dass Fest sich mit den Hinweisen auf “angebliche Schleichwerbung” und “Khaled al-Masri” zweifellos auf Presseratsrügen gegen “Bild” beziehen dürfte; und ganz abgesehen davon, dass sich “Bild” als meistgerügte Zeitung vermutlich vor Rügen kaum noch retten könnte, wenn der Presserat sich tatsächlich aus eigenem Antrieb alle journalistischen Fehlleistungen der “Bild”-Zeitung vorknöpfte – abgesehen davon also, haben wir einfach mal beim Presserat nachgefragt.

Und Presserats-Geschäftsführer Lutz Tillmanns sagt uns…

  • … erstens: Der Presserat werde “fast nie” von sich aus tätig, weil es innerhalb des Presserats (als zur Hälfte von den Verlegern getragenem Organ der freiwilligen Selbstkontrolle) “schwer kommunizierbar” sei, wenn man von sich aus “Beschwerden generieren” würde — und “das weiß auch Herr Fest”.
  • … zweitens: Zur Ludwigshafen-Berichterstattung türkischer Zeitungen “liegt bereits eine Eingabe vor”, mit der sich der Presserat befassen werde.
  • … und drittens: Es stehe der “Bild”-Zeitung ebenso wie Nicolaus Fest “selbstverständlich” frei, eine Beschwerde an den Presserat zu schreiben.

Hinweis in eigener Sache: “Bild” und die Axel Springer AG haben sich ja wiederholt beim Presserat darüber empört, dass BILDblog Beschwerden gegen “Bild” eingereicht hat. Am 12. März will das Plenum des Presserats darüber beraten. Mehr dazu hier.

Attrappe einer Korrekturspalte

Es ist ja, prinzipiell, eine schöne Idee, dass die “Bild”-Zeitung seit eineinhalb Jahren einen Ort hat, an dem sie in seltenen, ausgewählten Fällen Korrekturen ihrer Fehler veröffentlichen kann. Ob damit aber ein ernsthaftes Interesse verbunden ist, die Leser wenigstens nicht dümmer zu machen, als sie es vor der Lektüre der “Bild”-Zeitung waren, und eigene Fehler richtigzustellen, darf man bezweifeln. Nicht erst seit vergangenem Samstag, als es an dem entsprechenden Platz hieß:

Berichtigung

Umweltminister Sigmar Gabriel hat auf der Kabinettssitzung vom 8. August 2007 seinen Ministerkollegen Tiefensee auf Bitte des Kanzleramtes vertreten. Die Anwesenheit von Tiefensees Staatssekretär allein reichte nicht aus.

Da wüsste man als neugieriger Leser doch gerne, was “Bild” falsch gemacht hatte. Wir liefern diese Information, für die in “Bild” selbst offenbar kein Platz war, gerne nach.

“Bild” hatte am Freitag unter der ohnehin irreführenden Überschrift “Muss Gabriel Privat-Trip selber zahlen” geschrieben:

(…) Noch eine Ungereimtheit in Gabriels “Solo-Flug-Affäre”: Am Mittwoch verteidigte sich Gabriel im Umwelt-Ausschuss, er habe am fraglichen Tag Verkehrsminister Tiefensee im Kabinett vertreten müssen.

Doch dieser Aussage widerspricht das Verkehrsministerium. Sprecherin Sabine Mehwald zu BILD: “Es war lange vorher geplant, dass Herr Tiefensee nicht teilnimmt. Von Anfang an war Staatssekretär Großmann als Vertreter des Ministers eingeplant. Und der war auch anwesend.”

Zwischen der Aussage Gabriels und der des Verkehrsministeriums bestand aber — anders als “Bild” behauptete — kein Widerspruch. Bereits am Mittwoch hatte die Bundesregierung erklärt, Gabriel habe auf Bitten des Kanzleramtsminister an der Sitzung des Kabinetts teilgenenommen, weil es sonst nicht beschlussfähig gewesen wäre. Eine “Ungereimtheit” ergab sich nur für den, der nicht wusste, dass Voraussetzung für die Beschlussfähigkeit laut der Geschäftsordnung der Bundesregierung ist, dass mindestens die Hälfte der Bundesminister persönlich anwesend ist.

Aber so genau wollte “Bild” das offensichtlich nicht korrigieren.

(Und online bleibt “Bild” bei seiner falschen Darstellung.)

Das Rauschen im Hanfblätterwald

Dass die wilden 70er schon lange zurückliegen, erkennt man an einer Meldung der Deutschen Presseagentur dpa über die Pläne der Bundesregierung, verschreibungspflichtige Cannabis-Medikamente zuzulassen. Dort heißt es unter anderem:

Eigentlich ist Cannabis ein Rauschgift, das aus Hanfblättern gewonnen und meist als Haschisch oder Marihuana konsumiert wird.

Profikiffern dürfte angesichts dieser naiven Aussage der Kragen platzen — wenn sie nicht so lethargisch wären. Erstens ist Cannabis nämlich kein Rauschgift, sondern lediglich der wissenschaftliche Name der vielseitig einsetzbaren Pflanze Hanf. Zweitens werden Marihuana und Haschisch nicht aus Hanfblättern, sondern aus den Blüten bzw. ihrem THC-haltigen Harz gewonnen. Für Marihuana werden zwar auch die kleinen Blättchen über den Blüten der weiblichen Pflanze mitverarbeitet, doch das, was in der dpa-Meldung gemeint ist und was im Zusammenhang mit Cannabis überall abgebildet wird, hat abgesehen von einer abführenden überhaupt keine Wirkung.

Das hat sueddeutsche.de, “Zeit Online”, “Spiegel Online”, fr-online.de und viele mehr aber nicht daran gehindert, diesen Unfug weiterzuverbreiten. Wenigstens ftd.de und Bild.de haben den Joint gerochen und die betreffende Stelle einfach ausgelassen.

Mit Dank an Sara.

Nachtrag, 20.31 Uhr: Bei “Zeit Online” hat sich inzwischen das Bewusstsein erweitert und der Fehler ist korrigiert. Bei “Spiegel Online” wurden zwar wenigstens die wirkungslosen Hanfblätter geerntet, aber man hat immer noch nicht verstanden, dass Cannabis Hanf ist und nicht aus Hanf gewonnen wird:

Eigentlich ist Cannabis ein Rauschmittel, das aus Hanf gewonnen und meist als Haschisch oder Marihuana konsumiert wird.

Nachtrag, 19. August. dpa hat sich an einer Korrektur versucht, was allerdings nur halb gelungen ist. In einer neuen Fassung der Meldung heißt es nun:

Der Cannabis-Wirkstoff Tetrahydrocannabinol ist eigentlich ein Rauschgift, das vor allem aus den Blättern der Hanfpflanze gewonnen und meist als Haschisch oder Marihuana konsumiert wird.

Auf die “Berichtigung” macht dpa in einem “redaktionellen Hinweis” aufmerksam:

Im letzten Satz wurde klargestellt, dass der Wirkstoff Tetrahydrocannabinol das Rauschmittel darstellt und vor allem aus der Blüte gewonnen wird, nicht aus den großen Blättern.

“Wurde klargestellt” hier offenbar in der Bedeutung von “hätte klargestellt werden sollen”.

Nacktbaden beim Bundestag, Kabarettwürdiges, Nopornistan

1. Frag den Bundestag! 4000 Gutachten warten darauf, befreit zu werden
(netzpolitik.org, Arne Semsrott)
Es hat allerlei Mühen (und rechtliche Schritte) gekostet, den Bundestag dazu zu bringen, die Gutachten seines Wissenschaftlichen Dienstes freizugeben. Einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts und der Beharrlichkeit von abgeordnetenwatch.de ist es zu verdanken, dass diese nun nach und nach ins “Portal zur Informationsfreiheit” fragdenstaat.de eingepflegt werden können. Darunter übrigens auch Bundestags-Gutachten mit Kopf-Wand-Potential wie “Zu den rechtlichen Möglichkeiten gegen das Nacktbaden auf einem benachbarten Grundstück”.

2. Er wünschte sich einfach nur Unsterblichkeit
(zeit.de, Christoph Drösser)
Einer der Pioniere der künstlichen Intelligenz (er hat den Begriff in den 50er-Jahren miterfunden), Marvin Minsky, ist tot. Christoph Drösser von der “Zeit” widmet dem großen Denker und wegweisenden Multigenie einen Nachruf, in dem er sich wünscht, “dass sich der Glaube dieses radikal atheistischen Menschen erfüllt und sein Geist irgendwann wieder aufleuchtet”.

3. Ihr wollt es doch auch
(sueddeutsche.de, Silke Burmester)
Ein Kabarettistenpaar sieht sich vom NDR um seine Lizenzeinnahmen gebracht. Demnach soll die TV-Anstalt versucht haben, die beiden Kreativen mit dem Hinweis auf den Werbeeffekt zu bezahlen. Der NDR bestreitet die Vorwürfe, es steht somit Aussage gegen Aussage. Trotzdem weist der Konflikt auf ein gängiges Problem, das auch Musiker zur Genüge kennen: “Wenn Ihr in meiner Kneipe spielt, ist das tolle Werbung für Euch. Deshalb braucht Ihr keine Gage.”

4. Die Goldenen #Blogger2015: Sascha Pallenberg ist Blogger des Jahres
(indiskretionehrensache.de, Thomas Knüwer)
Erneut fand die Wahl zum “Goldenen Blogger” statt. Mitausrichter und Jurymitglied Thomas Knüwer berichtet über Event und Preisträger, darunter Urgestein Sascha Pallenberg als Blogger des Jahres und mit einem Sonderpreis das Re-publica-Gründerteam. Der Newcomer-Preis ging übrigens an den achtjährigen Jojo Buddenbohm aka “Sohn I”, der über sein Technik-Spielzeug schreibt.

5. Amex-Managerin Leslie Berland soll aus der Krise helfen
(horizont.net, Volker Schütz)
Twitter scheint schwer angeschlagen zu sein: Dem Unternehmen mangelt es an Wachstum und Erlösen, immer wieder wird am Geschäftsmodell geschraubt, wichtige Manager verlassen fluchtartig das Unternehmen. Nun soll eine American-Express-Managerin den Laden flottmachen und wird mit einem Satz erhabener Seifenblasigkeit zitiert, der (Wegweiser in die Zukunft?) mehr als 140 Zeichen enthält: “Ich bin begeistert, zusammen mit Jack die Magie von Twitter zum Leben zu erwecken, die Reichweite und den Impact dieses außergewöhnlichen Service zu vergrößern”.

6. Pornografie-Vorwurf: Pakistan sperrt mehr als 400.000 Webseiten
(heise.de)
Drei Jahre war Youtube in Pakistan gesperrt. Nun wurde es in einer “bereinigten”, sprich zensierten Fassung wieder freigegeben. Es soll eine Vereinbarung mit Google geben, dass “gotteslästerliche Inhalte” entfernt werden würden. Nun schlagen die Sittenwächter des Landes erneut zu: “Wir werden ungefähr eine halbe Million Links aus dem Netz nehmen”, so der Sprecher der pakistanischen Telekommunikationsbehörde und oberste Gegner digital evozierter Triebabfuhr.

Internet-Wegezoll, Terrorhelfer Zuckerberg, Rentner-Bravo

1. Netzneutralität: Warum der Internet-Wegzoll verhindert werden muss [Kommentar]
(t3n.de, Stephan Dörner)
“t3n.de”-Chefredakteur Stephan Dörner begründet in seinem Kommentar, warum er die bedrohte Netzneutralität für wichtig hält und warum eine Abschaffung das Internet als großen Innovationsmotor gefährden würde. Die ungehinderte Kommunikation aller Teilnehmer untereinander sei die Grundidee des offenen und freien Internets – und die Basis für seinen Erfolg. Dörners Kritik an der Politik: “Oettinger und andere EU-Politiker scheinen derzeit vor allem eine Politik zu betreiben, die Europas Industrie-Giganten hilft. Wer den Worten eines Telekom-Lobbyisten lauscht und diese mit den Reden von Oettinger vergleicht, wird auffällig viele fast wortgleiche Formulierungen finden.”

2. Ohne Kompass
(faz.net, Mathias Müller von Blumencron)
“Ist Zuckerberg ein Terrorhelfer, ein gewissenloser Förderer von Gewalt und Mord?”, fragt Mathias Müller von Blumencron provozierend und überlegt, wieviel Verantwortung einem Kommunikationsunternehmen wie Facebook zukomme. Die Fragen sind vielfältig, Antworten darauf nicht einfach. Blumencron kommt am Ende zu dem Schluss: “Hätte es Facebook im 20. Jahrhundert schon gegeben, wäre der Menschheit kein Blutvergießen erspart geblieben, keine Machtergreifung und kein Regime. Zuckerberg ist da nichts anders als der Wirt einer gigantischen Stammtischkneipe. Er verdient an der Wahrheit, er verdient an der Lüge. Zumindest, solange die Gäste die Einrichtung nicht zerlegen.”

3. Rory McIlroy oder: Wie ehrlich wollen wir unsere Sportler?
(spieltgolf.de, Rüdiger Meyer)
Ein Golfer gibt auf einer Pressekonferenz seinen Olympiaverzicht bekannt, ohne sich allzu diplomatischer Floskeln zu bedienen oder gesundheitliche Gründe oder andere Dinge vorzuschützen. Dies wird ihm nun von allen Seiten um die Ohren gehauen, so Rüdiger Meyer: “Er hat den Kardinalsfehler begangen, das zu sagen, was er denkt. Das negative Echo darauf und die Art und Weise, wie man sich auf bestimmte Teilaspekte einer äußerst bemerkenswerten Pressekonferenz stürzt, beweist allerdings wieder einmal, dass wir das nicht wollen. Wir wollen von unseren Sportlern angelogen werden. Wir wollen von ihnen hören, was wir empfinden und nicht was sie empfinden.”

4. Vertrauensfrage
(tagesspiegel.de, Markus Ehrenberg)
“Tagesspiegel”-Autor Markus Ehrenberg beschäftigt sich mit der oft als “Rentner-Bravo” geschmähten “Apotheken Umschau”. Die Werbepostille sei ein findiges Geschäftsmodell: Gut 90 Prozent der 20 000 Apotheken hierzulande würden dem “Wort & Bild Verlag” die Auflage von 9,5 Millionen Heften abkaufen. Fast jeder dritte Deutsche lese Monat für Monat das Magazin. Ob das vermehrt in die Hypochondrie treibe, sei jedoch unbekannt, so Ehrenberg.

5. Rolf-Dieter Krause „Ich muss den Fahrtwind spüren“
(berliner-zeitung.de, Peter Riesbeck)
Rolf-Dieter Krause, 65, hat mehr als 20 Jahre als EU-Korrespondent für die ARD berichtet. Bevor es nun in den Ruhestand geht, hat Krause der “Berliner Zeitung” ein Interview gegeben. Es geht um Stationen seiner Karriere, aber auch um Reaktionen der Politik auf seine Arbeit. Zum Schluss spricht Krause noch über sein Motorrad-Hobby: Ich muss den Fahrtwind spüren. Das macht großen Spaß. Aber keine Sorge, ich fahre nicht riskant. Ich bin nun eindeutig zu alt, um Organe zu spenden.”

6. Hörbar Rust: Patricia Schlesinger
(radioeins.de, Bettina Rust, Audio 1:08 h)
In der auch als Podcast verfügbaren Radiosendung “Hörbar Rust” plaudert Bettina Rust jeden Sonntag zwei Stunden mit einem Promi über dessen Leben. Unterbrochen von Musikstücken, die Gast und Gastgeberin ausgesucht haben. In der aktuellen Folge ist die Journalistin und Fernsehmoderatorin Patricia Schlesinger zu Besuch, die auf ein bewegtes Journalistenleben zurückblicken kann mit Stationen in Singapur und Washington. Die Journalistin war aber auch häufig beim Satire-Magazin “Extra 3” zu sehen und moderierte mehrere ARD-Brennpunkte. Seit 1. Juli 2016 ist Patricia Schlesinger nun Intendantin des RBB.

Bild.de macht den Deutschen Angst

Der “GfK Verein”, eine “Non-Profit-Organisation zur Förderung der Marktforschung”, hat am Dienstag eine neue Studie veröffentlicht. In der “Challenges of Nations 2016” geht es um “die dringendsten Aufgaben”, die die Befragten in ihrem jeweiligen Land sehen. 27.675 Interviews hat der “GfK Verein” dafür in 24 Nationen geführt, 2104 davon auch in Deutschland. Das zentrale Ergebnis laut Pressemitteilung:

Das Thema Zuwanderung bewegt die Deutschen wie kein anderes: Etwa vier von fünf Bundesbürgern (83 Prozent) halten Zuwanderung und Integration für eine der am dringendsten zu lösenden Aufgaben im Land.

Bild.de macht daraus:

Wumms! Das passt für das Portal bestens zu den Attentaten der vergangenen Tage:

Zwei Terroranschläge (Würzburg, Ansbach), ein Amoklauf (München) und eine Beziehungstat (Reutlingen) — Deutschland hat in der vergangenen Woche Gewalttaten erlebt, die vor allem eine Folge haben: Sie verunsichern die Bevölkerung.

Dass alle Taten von Männern mit Migrationshintergrund begangen wurden, sorgt zusätzlich für Spannung. Die Studie “Challenges of Nations 2016” vom GfK-Verein fragt daher: Was bereitet den Deutschen am meisten Kummer?

Wir haben uns die Pressemitteilung des “GfK Vereins” mal genauer angeschaut und per Telefon bei einer Sprecherin nachgefragt, ob die Umfrageergebnisse die Lesart von Bild.de zulassen.

Antwort: Nein.

Zwar schreibe auch der “GfK Verein” von “Sorge” und “Besorgnis”. Die Frage, die den Teilnehmern in der Studie gestellt wurde, sei aber ohne Wertung versehen gewesen — “Was sind Ihrer Meinung nach die dringendsten Aufgaben, die heute in [jeweiliges Land] zu lösen sind?” Man habe nicht nach Angst oder Kummer oder Sorgen oder Besorgnis gefragt.

Und auch die Verknüpfung mit den jüngsten Attentaten, die Bild.de herstellt, ist völliger Quatsch. Denn die Befragung fand im Frühjahr dieses Jahres statt, für Deutschland im März. Ohne seherische Fähigkeiten konnten die Teilnehmer nichts von den Vorfällen in Würzburg, Ansbach, München oder Reutlingen wissen. Die Sprecherin sagte uns, dass der “GfK Verein” die Studie jedes Jahr unabhängig von irgendwelchen Ereignissen durchführe.

Das alles haben die meisten Medien auch verstanden. Der “Tagesspiegel” schreibt von der “größten Herausforderung”, der “Bayerische Rundfunk” von einem “wichtigen Thema”, und bei “Spiegel Online” ist die Zuwanderung die “dringendste Aufgabe”.

Stern.de und die “Südwest Presse” haben das Wort “Besorgnis” vom “GfK Verein” übernommen.

Aber nur Bild.de findet in den Ergebnissen der Studie eine Angst der Deutschen.

Mit Dank an @Pertsch für den Hinweis!

Franz Josef Wagner macht Jamaikaner zu Analphabeten

Wenn “Bild”-Briefchenschreiber Franz Josef Wagner einen Text so beginnt …

ein bisschen Völkerkunde in diesem Brief muss sein

… dann kann es danach nur bemerkenswert werden.

Der Text, aus dem dieser Einleitungssatz stammt, ist zwar schon ein paar Tage alt — er erschien am 27. September in “Bild” und am späten Vorabend bei Bild.de. Wir wollen ihn hier aber doch noch aufgreifen. Also dann, Herr Wagner:

Ausriss Bild-Zeitung - Liebes Jamaika, ein bisschen Völkerkunde in diesem Brief muss sein. Jamaika geht es schlecht. 80 Tonnen Kokain werden pro Jahr von Südamerika nach Nordamerika durchgeschleust. Mafiöse Banden beherrschen die Insel. Es gibt Feuergefechte zwischen den Dealern und der Polizei.

Wagner kommt anschließend auf “die Koalitionsverhandler” in der deutschen Bundespolitik, die nicht wüssten, “was Jamaika bedeutet.” Danach eine mehr oder weniger zusammenhängende Gedankenkette: Sklaven-Händler, spanische Kolonialisten, britische Kolonialisten, Tanz und Gesang, Bob Marley, Dreadlocks, “I Shot the Sheriff” und “No Woman, No Cry”*. Was einem eben so einfällt, wenn man fünfeinhalb Minuten vor Abgabe merkt, dass man ja noch gar nichts aufgeschrieben hat.

Und dann dieser Satz:

80 Prozent der Jamaikaner sind Analphabeten.

Nach einem kurzen Ausflug zum seit 20 Jahren entkriminalisierten Kiffen endet Wagner mit:

Ich machte einmal Urlaub auf Jamaika. Weißer Strand, Luxushotel. Als Tourist erfährt man nichts über Jamaika. Herzlichst, F. J. Wagner

Und auch später als “Bild”-Kolumnist hat man offenbar nich genug über Jamaika erfahren.

80 Prozent Analphabeten? Im Niger, einem der ärmsten Länder der Welt, gibt es rund 80 Prozent Analphabeten. Aber selbst in Kriegs- und Krisengebieten wie Afghanistan oder Mali können mehr als 30 Prozent der Menschen lesen und schreiben. Auf Jamaika liegt die Alphabetisierungsrate bei 88,7 Prozent. 11,3 Prozent der Bevölkerung sind also Analphabeten. Das ist immer noch ein hoher Wert. Sieht aber ganz anders aus als die “Völkerkunde” eines Franz Josef Wagner.

Mit Dank an Lothar Z. für den Hinweis!

*Nachtrag, 12. Oktober: In einer ersten Version hatten wir den vermeintlichen Namen des Marley-Songs von Wagner übernommen: “No Women No Cry” hatte der “Bild”-Kolumnist geschrieben. Das ist gleich doppelt falsch. Erstens muss es die Singular-Form “Woman” sein. Und zweitens ist das Komma zwischen “No Woman” und “No Cry” inhaltlich bedeutend.

Mit Dank an @isoglosse für den Hinweis!

Bild  

Reichelts Schmutz-Dossier über ein mögliches Vergewaltigungsopfer

Im ihrem sehr lesenswerten Text über “Bild”-Chef Julian Reichelt (hier für den Preis eines Kinder-Schokoriegels abrufbar) erzählen “Spiegel”-Redakteurin Isabell Hülsen und ihr Kollege Alexander Kühn von einem bemerkenswerten “Bild”-internen Vorgang:

Diekmann wohnt in Potsdam in einer Villa am Jungfernsee. Nach einer Klausurtagung in einem nahe gelegenen Hotel grillten die “Bild”-Leute bei ihm. Man trank und badete im See, Diekmann auch nackt. Am Ende dieser Nacht stand ein ungeheurer Vorwurf im Raum: Diekmann wurde von einer Mitarbeiterin beschuldigt, sie im See vergewaltigt zu haben.

Einige Wochen später zog Diekmann Reichelt ins Vertrauen, fast verzweifelt. Der war zwar beim Baden im See nicht dabei gewesen, aber auf der Party. Und Reichelt wusste offenbar, was zu tun war.

Reichelt fertigte ein Gedächtnisprotokoll über seine Erfahrungen mit der Kollegin an, das einer charakterlichen Vernichtung gleichkommt: Sie habe etwa während der Recherche über den Absturz einer Germanwings-Maschine damit geprahlt, einen Pilotenschein zu besitzen, um später davon wieder abzurücken. Er sei schon vorher zu dem Schluss gekommen, sie sei eine “unfassbare, gefährliche Hochstaplerin”.

Ein Mitarbeiter Reichelts schrieb auf dessen Bitte hin zusammen, welche Erfahrungen er bei der Zusammenarbeit mit der Kollegin im Haus gemacht habe. Ein weiterer “Bild”-Mitarbeiter erkundigte sich an ihrer Universität nach ihrer Dissertation. Die Recherche lief wie eine “Bild”-Kampagne im eigenen Haus.

Reichelt schickte Diekmann zudem ein Foto. Er hatte es in jener Nacht um kurz vor vier Uhr gemacht, im Hotel, wo die Belegschaft einquartiert war. Zu sehen ist darauf besagte Mitarbeiterin, die nach der Party mit Kollegen auf der Terrasse noch etwas trinkt, vermeintlich gut gelaunt.

Springer schaltete einen externen Anwalt ein, der Zeugen und Kollegen befragte. Das Prozedere gipfelte in einer absurden Szene, die wohl in keinem anderen Konzern vorstellbar wäre: Die Mitarbeiterin und Diekmann wurden, nacheinander, vor dem Vorstand und Verlegerin Friede Springer befragt. Döpfner persönlich stellte Fragen. Er kannte dabei augenscheinlich auch die Informationen aus Reichelts Niederschrift.

Erst danach gab der Konzern den Fall an die Staatsanwaltschaft ab.

Die Staatsanwaltschaft Potsdam hat das Verfahren gegen Diekmann bereits vor Monaten eingestellt, man habe keinen hinreichenden Tatverdacht ermitteln können.

Das Vorgehen von Julian Reichelt und seiner zwei Helfer — das Zusammenstellen einer Art Dossier, um die Reputation eines vermeintlichen oder tatsächlichen Opfers einer Vergewaltigung zu zerstören, noch bevor die zuständigen Strafverfolgungsbehörden ihre Arbeit aufnehmen — ist aber erschreckend: Was hat eine etwaige Lüge zu einem Pilotenschein mit einer möglichen Vergewaltigung zu tun? Was hat eine Dissertation mit einer möglichen Vergewaltigung zu tun? Können Frauen, die schon mal gelogen haben, nicht vergewaltigt werden? Reichelt und seine zwei Minions mögen von Beginn an davon überzeugt gewesen sein, dass die heftigen Vorwürfe gegen Kai Diekmann nicht haltbar sind. Falsche Vergewaltigungsvorwürfe können schreckliche Folgen haben und ganze Leben zerstören. Und natürlich gilt auch für Diekmann die Unschuldsvermutung. Aber gilt nicht genauso, dass man einen Vorwurf eines möglichen Vergewaltigungsopfers ernst nehmen sollte? Ist das Vorgehen von Julian Reichelt nicht das exakte Gegenteil? Und was ist das für ein merkwürdiges Verständnis einer ordentlichen Ermittlungsarbeit, wenn man noch vor Start dieser Ermittlung ein mögliches Opfer mit Schmutz überschüttet?

Was für einen (berechtigten) Skandal würde “Bild” wohl daraus machen, wenn bei den aktuellen Belästigungs-Vorwürfen beim WDR rauskommen würde, dass beispielsweise WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn noch vor jeder Aufklärung erstmal Schmutz-Dossiers über die Frauen angefertigt hat, die sich beim Sender beschwert haben?

Das haben wir auch Julian Reichelt gefragt. Er hat darauf nicht geantwortet. Er hat auch nicht auf die Frage geantwortet, ob die vom “Spiegel” geschilderten Vorgänge stimmen. Und auch nicht darauf, ob er es für einen angemessenen Vorgang hält, ein mögliches Opfer eines sexuellen Missbrauchs erstmal zu diskreditieren und erst dann den Fall aufklären zu lassen. Bei Kai Diekmann haben wir nachgefragt, ob Reichelts Dossier in seinem Auftrag erstellt wurde. Es kam keine Antwort. Auch nicht auf unsere Frage an Diekmann, ob das Ganze so abgelaufen ist, wie vom “Spiegel” behauptet. Springer-Chef Mathias Döpfner haben wir all das auch gefragt und dazu noch, ob die von Julian Reichelt zusammengetragenen Informationen bei der Befragung durch ihn eine Rolle spielten. Verlagssprecherin Edda Fels antwortete, dass man zum “Spiegel”-Bericht keine Stellung nehme und der Fall mittlerweile für alle Beteiligten abgeschlossen sei. Springer habe den Vorwurf und die eigene Aufklärungspflicht sehr ernst genommen, ebenso die Fürsorgepflicht beiden Personen gegenüber. Die Betroffenen hätten absolut freiwillig an der internen Aufklärung mitgewirkt und seien von eigenen Anwälten beraten und begleitet worden. Es sei niemand diskreditiert worden.

Trumpismen, “Spiegel”-Aufklärung “Rufmord”?, “Berner Modell”

1. Facebook sperrt rasant wachsende Gruppe von Trump-Anhängern
(spiegel.de)
Nur innerhalb eines Tages wuchs eine Facebook-Gruppe von radikalen Trump-Anhängern auf eine Größe von etwa 360.000 Personen an. Etwa alle zehn Sekunden seien 1000 neue Mitglieder dazugekommen. Die Botschaft der Gruppe: “Stop the Steal” und der Aufruf zum Widerstand gegen ein womöglich positives Wahlergebnis für Präsidentschaftsbewerber Joe Biden. Facebook habe dem Spuk jedoch schnell ein Ende bereitet und die demokratiefeindliche Gruppe entfernt.
Weitere Lesehinweise: Verschiedene US-Fernsehsender haben ihre Übertragungen einer Trump-Pressekonferenz wegen dessen Äußerungen zur US-Wahl abgebrochen. Und nachdem Donald Trumps ehemaliges Mastermind Steve Bannon zur Enthauptung des Top-Virologen Anthony Fauci sowie des FBI-Direktors Christopher Wray aufgerufen hatte, löschte Twitter Bannons Account (rnd.de).

2. “Wir können Leute von Twitter entfernen”
(sueddeutsche.de, Alexander Menden)
Der neue Generaldirektor der BBC Tim Davie hat sich auf verstörende Weise zur “Unabhängigkeitstrategie” des Senders geäußert. Journalistinnen und Journalisten sollen von persönlichen Meinungsäußerungen in der Öffentlichkeit absehen. Dazu zählen auch Likes, Retweets, Hashtags und “unterminierende Emojis”. Mit Blick auf BBC-Stars wie den ehemaligen Fußballer und Sportmoderator Gary Lineker drohte Davie: “Wir können Leute von Twitter entfernen”. Die Antwort Linekers sei umgehend erfolgt – auf Twitter: “Soweit ich weiß, kann nur Twitter Leute von Twitter entfernen.”

3. “Das grenzt an Rufmord”
(tagesspiegel.de)
Bei einem Anti-Terror-Einsatz in Bad Kleinen kamen 1993 ein Polizist und der RAF-Terrorist Wolfgang Grams ums Leben. Der “Spiegel” berichtete damals, Grams sei durch die Polizei quasi hingerichtet worden, und stützte seine Titelgeschichte “Der Todesschuß” auf einen angeblichen Zeugen. Der Bericht entpuppte sich als falsch, es entstanden Zweifel an der Existenz des Zeugen. Der “Spiegel” ist diesen Zweifeln unlängst in einem Bericht seiner “Aufklärungskommission” (PDF) nachgegangen. Der damalige “Spiegel”-Investigativjournalist Hans Leyendecker sieht sich durch den Bericht verunglimpft und erwägt eine Klage gegen seinen früheren Arbeitgeber.

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4. Nachwuchsprogramme für mehr Vielfalt in den Medien
(deutschlandfunk.de, Burkhard Schäfers, Audio: 6:01 Minuten)
Der Bayerische Rundfunk will mit seinem neuen Trainee-Programm “Puls Talente” Menschen mit interkulturellem Hintergrund fördern. Burkhard Schäfers hat sich das Programm näher angeschaut und mit Teilnehmenden gesprochen.

5. Das Ende des “Berner Modells”
(faz.net, Niklas Zimmermann)
In der Schweiz kündigt sich eine weitere journalistische Verdichtung an. Wie verschiedene Medien berichten, plane die TX Group die Zusammenlegung der Redaktionen von “Bund” und “Berner Zeitung”. Die “FAZ” hat mit dem Medienjournalisten Nick Lüthi über die zu erwartenden Auswirkungen der Maßnahme gesprochen.

6. Die virale Verbreitung verunsichert die Leute.
(planet-interview.de, Jakob Buhre)
Jakob Buhre hat sich mit dem Astrophysiker und Wissenschaftsjournalisten Harald Lesch unterhalten. In dem Interview geht es unter anderem um den Stellenwert des Fernsehens als Bildungsfernsehen, die Auswirkungen des Neoliberalismus und die Verbreitung von Verschwörungserzählungen. Lesch beantwortet auch die Frage, ob das öffentlich-rechtliche Fernsehen zum Thema Corona auch umstrittene Leute wie Wolfgang Wodarg oder Sucharit Bhakdi einladen sollte. Er verwendet dafür ein Beispiel: “Wir haben inzwischen wirklich unzählige Diskussionen gesehen, wo ein Klimawandelskeptiker und ein Klimaforscher sich gegenüber sitzen. Dabei müsste die Situation eigentlich sein, dass drei Klimaskeptiker 97 Klimaforschern gegenüber sitzen – dann wären nämlich die wahren Verhältnisse dargestellt.”

Dieter Hildebrandt lebt!

Die Journalisten bei Axel Springer tragen grundsätzlich, auch im Falle besonderen Termindrucks, dafür Sorge, dass Interviews vom Gesprächspartner mündlich oder schriftlich autorisiert werden.

Das steht in den journalistischen Leitlinien, die sich der Springer-Verlag im August 2003 gegeben hat, und die damit auch für “Bild”-Mitarbeiter gelten.

Nicht dass sie sich daran halten.

In der jüngsten “Bild am Sonntag” stand dieses:

Fleck auf der Lunge
Große Sorge um Dieter Hildebrandt

Dieter Hildebrandt, der vor zehn Jahren schon einmal an der Lunge erkrankt war, erlitt einen schlimmen Rückfall. … die erschreckende Diagnose: ein Fleck auf der Lunge! Hildebrandt … sagt: “Ich muß jetzt jeden Tag Kortisonbomben in Tablettenform nehmen. Dreimal am Tag, damit ich abends zwei Stunden bei den Auftritten durchstehe. Ob ich dann geheilt bin, ist fraglich. Danach muß ich wahrscheinlich ins Krankenhaus. Die schadhafte Stelle auf dem Lungenlappen muß gelasert werden.”

Nach dem Lesen des “BamS”-Artikels musste man den Eindruck haben, dass Hildebrandt mit dem Leben schon abgeschlossen hat — und ähnlich formulierten es viele andere Zeitungen, die die “Bild”-Geschichte ungeprüft übernahmen, “Spiegel Online” zum Beispiel unter der Überschrift “Warte jetzt auf mein Schicksal”.

Die gute Nachricht: Dieter Hildebrandt lebt. Und womöglich hat er nur eine Bronchitis. Im ZDF-Morgenmagazin sagte er, die “Bild”-Reporterin habe das Gespräch falsch wiedergegeben: “Aus dem Husten war ein Lungenkrebs geworden.” Er fügte hinzu: “So etwas nennt man also ein ‘Bild’-Zeitungs-Interview.” (Video hier.)

Aber vielleicht ist das unfair. Möglicherweise ist “BamS”-Autorin Martina Tabak auch nur durch die jahrelangen Anschuldigungen (“Tabak schuld an Lungenkrebs”) mental etwas angeschlagen.

Mit Dank an Alexander S. für den Hinweis!

Unbezahlbare Berichterstattung

Artikel zu produzieren, die kommerzielle und journalistische Interessen vermischen, inaktuell sind oder fehlerhaft, das gehört bei “Bild” zum täglichen Alltag. Manchmal aber packt auch die “Bild”-Redakteure der Ehrgeiz. Dann strengen sie sich richtig doll an und produzieren ein Stück, das alles gleichzeitig enthält. Ein inaktuelles, fehlerhaftes Stück Schleichwerbung quasi.

Und das in einem Artikel, das weniger als 50 Wörter lang ist. Es geht um den heutigen “Gewinner des Tages”:

Er macht das Fernsehen in Deutschland wieder spannend: Manuel Cubero (41), Vizepräsident Digital TV bei Kabel Deutschland, bringt 30 neue Sender auf unsere Bildschirme! Für nur 9 Euro/Monat können Kabelnutzer die neuesten Hollywood- und Disney-Streifen sehen. Dazu Doku-Filme, “Playboy-TV” und “BibelTV”.

BILD meint: Besser als ständige Wiederholungen!

Erstens. Sinn des Textes ist es offensichtlich, freundlich darauf hinzuweisen, dass ein kommerzielles Unternehmen ein bestimmtes Produkt zum Kauf anbietet. Solche Texte nennt man gemeinhin nicht “Artikel”, sondern “Anzeigen” und nicht “Journalismus”, sondern “Werbung”. Zeitungen haben nach dem Pressekodex dafür Rechnung zu tragen, dass man das eine vom anderen unterscheiden kann. Das gilt auch für “Bild”.

Zweitens. Das Angebot “Kabel Digital HOME”, das in “Bild” beschrieben wird, ist kein neues Angebot, sondern besteht seit fast einem Vierteljahr. Am 27.09.2004 hatte Kabel Deutschland seine Einführung bekannt gegeben. Mitte November bereits hatte (wie berichtet) bild.de in einer Anzeige in einem Artikel darüber berichtet dafür geworben.

Drittens. Kabel Deutschland bringt keineswegs “30 neue Sender” auf unsere Bildschirme. Bei den Sendern handelt es sich zum Teil um längst bestehende Programme wie 13th Street, Sci Fi, Planet und Bibel-TV. Kabel Deutschland selbst wirbt aus guten Grund nicht mit 30 “neuen”, sondern “zusätzlichen” Kanälen.

Viertens. Im 9-Euro-Paket von Kabel Deutschland laufen keineswegs die “neuesten Hollywood- und Disney-Streifen”. Als seine Weihnachtshighlights bezeichnet Kabel Deutschland selbst die Filme Jurassic Park I bis III (1998 bis 2001) und “Der letzte Kaiser” (1987).

Fünftens. “Bild” schreibt, das Programm sei “besser als ständige Wiederholungen”. Tatsächlich besteht es im Wesentlichen aus ständigen Wiederholungen. Der Kanal “Kinowelt TV” z.B. zeigt “legendäre Hollywoodstreifen”, “Klassiker” und “Spielfilmhighlights aus einer der größten Filmbibliotheken Deutschlands”. “BBC Prime” wiederholt beliebte BBC-Programme. Der Sci-Fi-Kanal wiederholt im Dezember 6 “Star Trek”-Filme. Kein Kanal im Paket zeigt auch nur annähernd so wenige Wiederholungen wie ARD, ZDF, RTL, Sat.1 und Pro Sieben.

Fazit: Da muss aber richtig was schief gelaufen sein bei “Bild”. Denn es wäre ja undenkbar, dass man sich als Unternehmen die anlasslose Erklärung zum “Gewinner des Tages” in “Bild” einfach erkaufen kann. Und dass man die Fehler quasi gleich mitkauft, durch die das Angebot in einem noch besseren Licht als in der eigenen Werbung dasteht. Und dass man sich sogar den Zeitpunkt der Erwähnung noch aussuchen kann: aus journalistischer Sicht verspätet, aber gerade noch rechtzeitig zum Weihnachtsfest.

Madonna und Hure

“Die süßesten Engel gehören jetzt einer Hure”

Unter dieser Überschrift berichtete “Bild” am gestrigen Freitag, eine gewisse “Jeanette (24)” halte “seit neustem die Patentrechte an einem der bedeutsamsten deutschen Kunstwerke – den zwei kleinen Engeln, die zum Gemälde der ‘sixtinischen Madonna’ (1513) gehören”. “Bild” schrieb:

“Knallenge Hosen, Pelzjacke, Lederstiefel – Jeanette (24) bedient als Sex-Hure täglich ihre Freier.”

Außerdem schrieb “Bild” noch:

“‘Jeanette’ heißt in Wirklichkeit Maria F., ist nicht, wie sie behauptet, 24, sondern 29 Jahre alt.”

Und irgendwann kam “Bild” sogar zur Sache, denn:

“Wenn jemand die Engel in Zukunft als Werbemotiv nutzen will, muss er an die Hure zahlen (…). Jeanette hat dafür 1500 Euro ans Patentamt gezahlt. Anwalt Dr. Sigfrid Kaufmann erklärt: ‘Ist ein Künstler seit mehr als 70 Jahren tot, ist seine Kunst Allgemeingut. Man kann sich Teile des Gemäldes schützen lassen.'”

Woher die “Bild”-Zeitung das weiß? – Na, aus der “Bild”-Zeitung natürlich! Schließlich hatte “Bild” bereits am 23. Dezember unter der Überschrift “Coup auf dem Patentamt – Ihr gehören jetzt die berühmten Raffael-Engel!” schon einmal dieselbe Story im Blatt:

“Wer künftig mit den süßen Engeln werben will, muß Maria Friedel (29) aus Sachsen fragen. Die Schauspielerin ließ sie für 1500 Euro…” (Ach, lesen Sie’s ruhig selbst…)

Wer hingegen lieber wissen will, was es eigentlich mit den (übrigens durch o.g. Sigfrid Kaufmann am 31.10.2002 angemeldeten und seit dem 21.4.2004 eingetragenen) “Patentrechten” der Schauspielerin/Sex-Hure Maria/Jeanette auf sich hat, sollte nicht “Bild”, sondern die “Leipziger Volkszeitung” lesen. Dort heißt es u.a.:

“Allerdings, erklärt der Dresdner Patentanwalt Jens Riechelmann, habe sich Friedel eine so genannte Wort-Bild-Marke schützen lassen. Und die zeigt erstens nur den linken der beiden berühmten Engel und beinhaltet außerdem zwingend den Schriftzug Der Blaue Engel. ‘Das ist eine Marke, mit der sie wenig anfangen kann’, findet Riechelmann. Denn Gebühren einnehmen kann die Inhaberin des Blauen Engels nur dann, wenn ihr Logo in dieser angemeldeten Form benutzt werden würde. (…) Was Maria Friedel mit ihrer Marke tatsächlich vorhat, ließ sich nicht in Erfahrung bringen.”

Mit Dank an Florian S. (und Bronko) für die sachdienlichen Hinweise.

Claus F.

Sehr geehrter Herr Strunz,

vor sechs Wochen, am 10. Februar 2008, haben Sie in Ihrer “Bild am Sonntag”-Rubrik “Der Chefredakteur antwortet” den Brief einer Leserin dokumentiert. Sie hatte beim Sonntagsrätsel 100 Euro gewonnen, sich aber darüber beschwert, dass als Ortsangabe “Burgfrieden” statt “Burgrieden” angegeben war. Die Überschrift lautete: “Das war ein F zu viel, Herr Strunz!”

Und Sie boten der Leserin und ihrer Familie als Wiedergutmachung nicht nur ein Essen an (“Wenn wir einen geeigneten Termin finden, bin ich gern dabei — und gebe (mindestens) einen aus…”), sondern antworteten:

Wenn schon das Einfache nicht richtig ist, so die nahe liegende Frage, stimmt dann denn das Schwierigere?

Wir pflegen in dieser Zeitung einen sehr offenen Umgang mit Fehlern. In der Rubrik “Korrekturen” werden sie richtiggestellt. Wir wollen, dass uns unsere Leserinnen und Leser vertrauen, auch weil wir zu unseren Fehlern stehen. Nichts wird vertuscht oder verheimlicht.

Vergangene Woche stand ein größerer Artikel über die neuen Sat.1 Nachrichten in Ihrer Zeitung. Die Zahl der Fs darin stimmt, dafür war einiges andere falsch. Vor allem behauptete das Stück, erst einmal habe es ein Sender gewagt, seine Nachrichten parallel zur 20-Uhr-“Tagesschau” zu senden, dabei haben es schon mehrere versucht — und RTL 2 tut es immer noch.

Leider haben wir heute die Korrektur dieses Fehlers nicht in der “Bild am Sonntag” gefunden, was nicht nur unser Vertrauen in Ihre Zeitung weiter beeinträchtigt (damit ist es, unter uns gesagt, ohnehin nicht so weit her), sondern auch unser Vertrauen in Sie und Ihre Aufrichtigkeit. Konkret gefragt (und das wäre natürlich auch schon eine passende Überschrift, wenn Sie diese Frage mal in Ihrer Kolumne beantworten wollen): “Lügen Sie Ihre Leser an, Herr Strunz?”

Über eine offene Antwort würden wir uns freuen, und keine Sorge: Wir müssen deshalb nicht zusammen essen gehen.

Mit freundlichen Grüßen
etc.

“500 Euro Bild-Zeitung-Leserreporter? Hör auf jetzt!”

Im Verfahren gegen Gina-Lisa Lohfink könnte das Gericht morgen ein Urteil fällen. Dabei geht es um die Frage, ob das Model die zwei Männer Pardis F. und Sebastian C. fälschlicherweise beschuldigt hat, sie vergewaltigt zu haben.

Jahrelang kursierten Videos im Internet, die Lohfink, F. und C. zeigen — ob beim einvernehmlichen Sex oder bei einer Vergewaltigung, wird rund um das laufende Verfahren weiterhin diskutiert.* In den Videos soll Lohfink auch immer wieder eindeutig “Hört auf!” sagen. Der Fall hat zur aktuellen Debatte beigetragen, wann es sich um eine Vergewaltigung handelt und wann nicht.

Inzwischen sollen die Videos aus dem Internet gelöscht worden sein. Damit sich ihre Leser aber dennoch so richtig aufgeilen ein besseres Bild machen können, haben “Bild” und Bild.de neun der zwölf Videos transkribiert und diese Verschriftlichung gestern veröffentlicht:


Dieses Transkript beweist nichts — außer der Tatsache, wie unendlich schwierig es selbst bei Vorliegen von Video-Material sein kann, im Bereich des Sexualstrafrechts Recht zu sprechen. Das Protokoll ermöglicht jedoch eine bessere Meinungsbildung als die bisher ins Internet gestellten Video-Sequenzen, die die Debatte prägten.

“Bessere Meinungsbildung” klingt erstmal gut. Nun haben sich die “Bild”-Medien in ihrem aufklärerischen Eifer (wohlgemerkt: Eine bessere Meinung dürfen sich natürlich nur zahlende Zeitungs- oder “Bild-plus”-Kunden bilden) aber nicht nur auf Szenen beschränkt, die für die Vergewaltigungsfrage relevant sein könnten. Sie schildern beispielsweise auch explizit, an welchen Körperstellen bei Gina-Lisa Lohfink “eine weiße Flüssigkeit”, “vermutlich Sperma” zu sehen ist.

Eine Passage des Transkripts fanden wir dann aber tatsächlich ganz interessant (zum besseren Verständnis: Sebastian P. will in dieser Situation den Song “Carmen” von Sido hören):

Gina-Lisa: “Hör auf jetzt, gib Handy!”

Sebastian P.: “Ja, ich will kurz Carmen hören!”

Gina-Lisa: “Halt’s Maul, Paul! Gib Handy jetzt!”

Sebastian P.: “Hey, fang mal …, mach mal Handy weg.”

Pardis F.: “Mach mal aus, Mann.”

Sebastian P.: “Ja, ist doch schon aus.”

Pardis F.: “Mach doch aus.”

Sebastian P.: “Ist doch schon aus.”

Gina-Lisa: “Wie kann man nur die ganze Zeit filmen? Warum? Brauchst du Geld, oder was?”

Sebastian P.: “Alter, für dich das Lied.”

Gina-Lisa: “500 Euro Bild-Zeitung*-Leserreporter? Hör auf jetzt!”

Das haben die “Bild”-Medien mit ihrer Leser-Reporter-Aktion also inzwischen erreicht: Wenn eine Person in einer delikaten Situation ungewollt gefilmt oder fotografiert wird, denkt sie mit als erstes an die Möglichkeit, dass diese Aufnahme zu Geld gemacht werden soll und bei “Bild” landet.

Mit dem Sternchen hinter “Bild-Zeitung” verweist das Blatt übrigens auf diesen Absatz:

*BILD wurden — wie anderen Medien auch — mehrfach Videos aus der Nacht angeboten. Die Redaktion hat Kauf und Veröffentlichung stets abgelehnt.

*Korrektur, 12. August: In einer früheren Version hatten wir geschrieben, “die Frage des laufenden Verfahrens” sei, ob es sich um einvernehmlichen Sex oder um eine Vergewaltigung gehandelt habe.

Wenn “Bild” von “Ultras” spricht, meint “Bild” was anderes

Wir dachten, die “Bild”-Redaktion könnte es auch interessieren, dass ihre große Titelschlagzeile von gestern nicht stimmte. Dort stand in riesigen Buchstaben “Erster Fußball-Star fordert Knast für Ultras”, und der “Fußball-Star” — Jannik Vestergaard von Bundesliga-Klub Borussia Mönchengladbach — widersprach dieser Behauptung direkt. Er sagte, er habe nie von “Ultras gesprochen”. Und tatsächlich ist in dem Tweet, den Vestergaard nach Ausschreitungen bei einem Spiel in Kopenhagen verfasst hatte und auf den sich “Bild” bezog, nur von “Idioten” und “Psychopathen” die Rede.

Heute morgen schrieben wir “Bild”-Chefredakteurin Tanit Koch, “Bild”-Chefchef Julian Reichelt und “Bild”-Sportchef Walter M. Straten bei Twitter:

Julian Reichelt wollte dazu etwas sagen:

Dass Reichelt uns zum wiederholten Male vorwirft, dass wir Sympathien für Gewalttäter/Straftäter/Wenauchimmer hätten, weil wir der Meinung sind, dass gewisse Grundrechte auch Leuten zustehen, die einen schlimmen Fehler begangen haben — geschenkt.

Dass Jannik Vestergaard in seinem Tweet weder von Fans noch von “Fans” und eben auch nicht von Ultras gesprochen hat und später noch einmal explizit zwischen den Chaoten in Kopenhagen, Fans und Ultras differenziert hat — geschenkt.

Interessant finden wir Reichelts Punkt zum pauschalen Verunglimpfen der Ultras. Denn hier sehen wir tatsächlich eine ziemliche Schwäche — und vielleicht auch den grundlegenden Fehler — der “Bild”-Berichterstattung zum Thema. Wir glauben, dass die Sache eigentlich recht simpel ist: “Bild” und vor allem der für die “Bild”-Sportabteilung Verantwortliche Walter M. Straten benutzen die falsche Vokabel, wenn sie dauernd allgemein von “Ultras” reden.

Straten schrieb beispielsweise am vergangenen Samstag:

Das nervt nicht nur Ultras, sondern auch friedliche Fans.

Soll im Umkehrschluss wohl heißen: Ultras sind per Definition nicht friedlich. Und da liegt schon das Problem. Allein durch ihre Größe ist die Ultra-Bewegung in Deutschland ein ziemlich heterogener Haufen. Es gibt stark politische Gruppen und völlig unpolitische. Es gibt Ultra-Gruppen, die bewusst Gewalt suchen, und welche, die bewusst Gewalt aus dem Weg gehen. Manche nehmen Gewalt in Kauf, wenn sie sich (zu Recht oder zu Unrecht) angegriffen fühlen. Und innerhalb der jeweiligen Gruppierungen kann es noch mal Einzelpersonen mit gänzlich unterschiedlichen Einstellungen zum Thema Gewalt geben.

Wissenschaftler, Journalisten und Fanbeauftragte, die sich teilweise seit Jahrzehnten mit dem Thema beschäftigen, bestätigen diese Vielschichtigkeit. Fankoordinator Michael Gabriel sagt im Interview mit sueddeutsche.de etwa:

“Zu behaupten, es gebe kein Problem mit Gewalt innerhalb der Ultraszene, wäre falsch. Wir beobachten in den letzten Jahren eine gewisse Dynamik, dass zunehmend gezielt Möglichkeiten gesucht werden, andere Gruppen anzugreifen. Es gibt in Teilen sogar Hooligan-typische Verhaltensweisen. Aber in diesem Kontext ist es auch immer wichtig darauf hinzuweisen, dass wir hier nur von Teilen der Ultraszene sprechen.”

Christoph Ruf, der ganze Bücher über Ultras veröffentlicht hat, schreibt bei sport1.de:

Gewalt spielte in der (deutschen) Ultraszene jahrelang eine untergeordnete Rolle, der Schwerpunkt lag bei allen Gruppierungen auf der Unterstützung, dem Support, der eigenen Mannschaft.

In den vergangenen Monaten scheint sich das zum Teil zu ändern. Aus vielen Szenen hört man, dass sich an den Rändern der Hauptgruppen jüngere Mitglieder abspalten, die den Gewalt-Kick suchen und dann kaum noch zu steuern sind.

Politikwissenschaftler Jonas Gabler unterscheidet bei morgenpost.de zwischen Ultras und Hooligans, wobei er auch eine zunehmende Gewaltbereitschaft bei Ultra-Gruppen beobachte:

“Im Vergleich zu den Hooligans sind Ultras sehr stark Support-orientiert, sie wollen ihre Mannschaft unterstützen. Die Ultras legen daher viel Wert auf ihre Choreografien im Stadion, sie haben einen Vorsänger, der die Stimmung anheizt. Ultras setzen auf ihre Stahlkraft und wollen ihre Fanszene prägen”, erzählt Politikwissenschaftler Gabler.

Im Gegensatz dazu sind Hooligans eher cliquenartig in kleineren Gruppen organisiert. “Unter den Hooligans spielt Gewalt eine große Rolle. Man kann nicht dabei sein, ohne sich an den Schlägereien zu beteiligen”, so Gabler.

Fanforscher Martin Winands spricht bei Welt.de von “moderaten Ultra-Gruppen”, die wichtig für die Fußballkultur seien.

Von den Ultras zu sprechen, als handele es sich dabei um eine klar abzusteckende Gruppe, ist also schon der Fehler. Und wenn man dann so tut, als seien die Ultras nur gewaltsuchende Schläger, ist es wohl — um es mit Julian Reichelts Worten zu sagen — pauschal von “Bild” verunglimpfend.

Der “Bild”-Oberchef hatte dann noch eine Idee für einen fünften Tweet:

Ja, Julian Reichelt, natürlich werden wir uns melden, wenn Sie sich mal wieder selbst zum Sheriff, Staatsanwalt und Richter in einer Person ernennen.

Presserat-Bilanz, Crowd-Beschwerde, Skrupellose “Bild”

1. Ein Drittel aller Rügen wegen Schleichwerbung
(deutschlandfunk.de, Silke Ballweg, Audio, 5:00 Minuten)
Der Presserat hat seine Jahresbilanz vorgelegt: In den Beschwerden beim Kontrollorgan der deutschen Printmedien sei es im vergangenen Jahr besonders oft um Schleichwerbung gegangen. Aber auch die Herkunftnennung von Tätern und die Berichterstattung über den G20-Gipfel hätten zu vielen Beschwerden und Rügen geführt.

2. Der beste Rundfunkbeitrag aller Zeiten!
(kanzleikompa.de)
Die Bestimmung von Ex-Staatssekretär Eumann zum gutbezahlten Direktor der rheinland-pfälzischen Landesmedienanstalt verlief auf eine demokratisch recht zweifelhafte Art: Eigentlich als „Wahl“ deklariert, handelte es sich eher um eine Kungelei, bei der es nur einen einzigen Kandidaten gab. Medienrechtler Markus Kompa wollte sich damit nicht abfinden und bewarb sich in einer subversiven Protestaktion selbst um das Amt. Das Verwaltungsgericht ließ ihn abblitzen. Kompa sammelt nun per Crowdfundingaktion Geld, um beim Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz Beschwerde einlegen zu können.

3. «Die Zeit»: zweimal minus, einmal plus
(infosperber.ch, Christian Müller)
“Infosperber”-Autor Christian Müller ist genervt von Maxim Billers „Zeit“-Beiträgen: „Ja, natürlich, Maxim Biller darf schreiben, was er will. Er darf mir auch einen Brief schreiben, ich gebe ihm gerne meine postalische Adresse. Aber soll ich für ein Blatt – ich bin seit Jahrzehnten Abonnent der «Zeit» – noch Geld ausgeben, wenn diese Zeitung einen Brief an mich abdruckt, in dem ich persönlich «Heuchler» genannt und des «Provinzialismus» beschuldigt werde? Muss ich mich wirklich von der «Zeit» unter die Arschlöcher einreihen lassen?“

4. Faktencheck: Nein – Flüchtlinge überweisen nicht 4,2 Milliarden Euro deutscher Steuergelder in die Heimat
(correctiv.org, Caroline Schmüser)
Schickten Flüchtlinge 4,2 Milliarden Euro deutscher Steuergelder in ihre Herkunftsländer, wie von der Seite „Halle Leaks“ kolportiert? Caroline Schmüser ist der Sache für „Correctiv“ nachgegangen: Weder handelte es sich um deutsche Steuergelder, noch geht es dabei um Flüchtlinge.

5. „Lasst mehr Frauen unsere Filme machen!“
(deine-korrespondentin.de, Helen Hecker)
Frauen spielen im Filmbusiness immer noch eine untergeordnete Rolle: Bei den 100 erfolgreichsten Hollywood-Produktionen des letzten Jahres führten zu 92 Prozent Männer die Regie, die Drehbücher wurden zu neunzig Prozent von Männern verfasst. Die Zahlen in Deutschland sind ähnlich schlecht: Im Bereich Kamera kommen Frauen auf einen Anteil von 15 Prozent, beim Filmton auf gerade mal neun Prozent. Eine neue Initiative fordert mehr Gleichberechtigung im Filmgeschäft und eine 50-Prozent-Quote.

6. Ohne Skrupel: “Bild Plus” ködert mit Gewalt
(ndr.de, Sabine Schaper & Sophia Stritzel, Video, 4:16 Minuten)
Aus traurigem Anlass war BILDblogger Moritz Tschermak beim Medienmagazin “Zapp” virtuell zu Gast: Bild.de hatte ein Video verbreitet, in dem ein Mädchen nach einer Messerattacke um ihr Leben fleht, und das Video sogar als Abo-Köder verwendet.

32 frohe Botschaften, Unruhe im Funkhaus, Springerknechtle Bechtle

1. Die Welt wird immer besser
(faz.net, Hans Rosling)
Wenn man die Nachrichten verfolgt, kann man leicht den Eindruck bekommen, dass alles schlechter wird auf unserer Erde. Das liegt daran, dass über Verschlechterungen in der Regel viel und über Verbesserungen in der Regel wenig berichtet wird. Der im Februar 2017 verstorbene Wissenschaftler Hans Rosling hatte es sich zur Aufgabe gemacht, auf die positiven Veränderungen hinzuweisen.
 In einem Gastbeitrag für die „FAZ“ gibt es sein Vermächtnis: 32 gute Botschaften! Beachtens- und lesenwert wegen der Grafiken mit den positiven Entwicklungen, aber auch wegen der Gedanken drumherum.

2. Unruhe im Funkhaus
(sueddeutsche.de, Hans Hoff)
Beim „WDR“ rumort es: Nach Belästigungsvorwürfen gegen einen weiteren Mitarbeiter hat der Sender externe Anwälte mit der Aufklärung von Vorwürfen der sexuellen Belästigung innerhalb der Anstalt beauftragt. Inwieweit eine transparente Aufklärung der Fälle erfolgt, ist fraglich: „Persönlichkeitsschutz und Arbeitsrecht heißen ganz offenbar die Linien, hinter die sich der WDR bislang immer wieder zurückzieht. Parallel wird immer deutlicher, dass offenbar sehr viele im Haus sehr lange schon von den Vorwürfen wussten, sich aber nicht trauten, dies anzusprechen.“

3. Springerknechtle Bechtle
(kontextwochenzeitung.de, Josef-Otto Freudenreich)
Ein Ausflug in die Zeitgeschichte: 1968 wurde der Wortführer der Studentenbewegung Rudi Dutschke niedergeschossen. Viele Menschen machten die Springerpresse für das Attentat verantwortlich, die lange gegen Dutschke und die aufbegehrenden Studenten gehetzt hatte. Josef-Otto Freudenreich erzählt die Geschichte der Springer-Blockade in Esslingen. Dort hatten sich Demonstranten versammelt, welche die Auslieferung des Boulevardblatts verhindern wollten.

4. Das Bild der Bauern
(ndr.de, Oda Lambrecht & Christian Baars)
Immer wieder gibt es Berichte, die sich kritisch mit der Landwirtschaft und ihren Folgen für Mensch, Umwelt und Tier auseinandersetzen. Berichte, die von Landwirten oft als einseitig empfunden werden. Ihre Antwort: Das Herstellen einer Gegenöffentlichkeit durch die Online-Veröffentlichung eigener Berichte, Fotos und Videos.

5. Auf Youtube ist die Erde eine Scheibe
(medienwoche.ch, Adrian Lobe)
Wegen des Datenskandals richten sich momentan alle Augen der Welt auf Facebook, doch auch Google hat ein Glaubwürdigkeitsproblem. Die Videoplattform erweise sich, so Adrian Lobe, „immer mehr als Katalysator für Verschwörungstheorien und Hassbotschaften, die dem erklärten Ziel der Mutterfirma Google, «die Informationen der Welt zu organisieren und für alle zu jeder Zeit zugänglich und nutzbar zu machen», zuwiderlaufen.“

6. Hustensaft Jüngling hat uns den Facebook-Skandal erklärt
(noisey.vice.com, Nina Damsch)
Als Rausschmeißer fürs Wochenende ein Chat-Interview der besonderen Art: Was würde der deutsche Rapper „Hustensaft Jüngling“ an Mark Zuckerbergs Stelle tun? Sollten wir alle Facebook löschen? Hängen die coolen Kidz überhaupt noch da ab? Und ist Mark Zuckerberg wirklich ein Roboter, wenn nicht sogar ein Reptiloid?

Metoo beim WDR, Reconquista Internet, Habecks Volk

1. Immer mehr Betroffene melden sich beim WDR
(sueddeutsche.de, Hans Hoff)
Mittlerweile haben sich 16 Frauen bei der vom WDR eingerichteten Anlaufstellen für Betroffene von sexueller Belästigung gemeldet. Als externe Ermittlerin wurde die frühere Gewerkschaftsfunktionärin Monika Wulf-Mathies eingesetzt, die sich um die Aufarbeitung der Fälle kümmern soll. “Der Schaden nach außen ist groß, aber der Schaden intern scheint viel größer“, so das stellvertretende Mitglied des WDR-Rundfunkrats Karin Knöbelspies.

2. Angriff aus der Werbebranche
(deutschlandfunk.de, Christopher Ophoven, Audio, 4:43 Minuten)
Die Firma Ströer ist der größte Werbevermarkter Deutschlands. Seit einiger Zeit will man jedoch nicht nur mit der Vermietung von Werbeplakaten und elektronischen Werbetafeln, sondern auch mit journalistischen Inhalten Geld verdienen. Die neueste Ströer-Investition: Das Nachrichtenportal für junge Leute „Watson.de“.

3. Aktion gegen rechten Hass im Netz
(faktenfinder.tagesschau.de, Wolfgang Wichmann)
Mit “Reconquista Internet” will der Satiriker und Moderator Jan Böhmermann das Internet zurückerobern. Dem Hass im Netz sollen „Liebe und Vernunft” entgegengesetzt werden. Mehr als 50.000 Leute schlossen sich bislang der Gruppe an („Wir haben aus Versehen eine Bürgerrechtsbewegung ins Leben gerufen“). Doch es gibt auch Kritik. So wirft FDP-Generalsekretärin Nicola Beer Initiator Böhmermann “Blockwart-Denke in schlimmster Tradition beider deutscher Diktaturen“ vor.

4. Die Bundeswehr bei der rp18 – eine Chronologie. Und ein paar Fragen.
(18.re-publica.com, Andreas Gebhard & Johnny Haeusler & Markus Beckedahl & Tanja Haeusler )
Die Republic-Macher haben ihre Sicht zur Guerilla-Marketing-Aktion der Bundeswehr aufgeschrieben. Die Chronik endet mit Worten, denen man die nachhaltige Verstörung anmerkt: „Es ist verrückt: Wir diskutieren auf der re:publica unter anderem die Folgen von Missinformation und Fake News, wie sie entstehen, wie man sie verhindern kann. Welche schwerwiegenden Folgen sie haben können. Und dann das. Von der Bundeswehr. Einer Verteidigungsarmee, die schützen und in Konfliktfällen deeskalierend wirken soll. Die völlige Unsensibilität der Bundeswehr gegenüber einer Veranstaltung wie der re:publica wirft die Frage auf, wie diese Armee wohl in fremden Kulturen, gegenüber Menschen in Krisengebieten agiert.“
Weiterer Lesetipp: Bundeswehr & re:publica – eine Materialsammlung (augengeradeaus.net, Thomas Wiegold)

5. Reporterfabrik startet im Spätsommer
(journalist-magazin.de, Monika Lungmus)
Der Aufbau der „Reporterfabrik“ von Correctiv-Gründer David Schraven und dem langjährigen Spiegel-Journalist Cordt Schnibben schreitet voran: Im Sommer soll die „Journalistenschule für jeden“ mit zwölf Workshops an den Start gehen.

6. Zweierlei Volk
(robert-habeck.de)
Robert Habeck, Bundesvorsitzender der Grünen, sollte in einem Interview zu einzelnen Begriffen seine Assoziationen in einem Satz nennen. Bei „Volksverräter“ assoziierte er: „… ist ein Nazibegriff. Es gibt kein Volk und deshalb auch keinen Verrat am Volk. Das ist ein böser Satz, um Menschen auszugrenzen und zu stigmatisieren.“ Seit ein paar Tagen würden nun Rechte einen Twitter-Feldzug gegen ihn führen, bei der sie seine Aussagen sinnverfälschend umarrangierten. Und als er dachte, der Spuk sei zu Ende, beteiligte sich eine seriöse Zeitung an der Sache.

Darknet des kleinen Mannes, Post für Porno-Portale, Gegenrede wirksam

1. Neue Studie zeigt Wirksamkeit von Gegenrede im Netz
(netzpolitik.org, Daniel Laufer)
Viele erinnern sich noch an die von Jan Böhmermann initiierte Aktion “Reconquista Internet” zur Abwehr der rechten Trollarmee “Reconquista Germanica”. Nun haben US-amerikanische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Aktion untersucht und festgestellt, dass organisierte Gegenrede tatsächlich ein wirksames Mittel gegen Hass im Netz sein könnte. Böhmermann fasst zusammen: “Die Studie belegt erstmals empirisch, was wir mit ‘Reconquista Internet’ praktisch erfahren haben: Wer organisierten Hass, rassistische Hetze oder die cleveren Diskursverschiebungskampagnen rechtsextremistischer Netzwerke im Internet erfolgreich bekämpfen will, muss wissen, wie diese verdeckten Manipulationsnetzwerke arbeiten, sie analysieren und gegen sie aktiv werden”.

2. Wenn Peking die Bilder liefert
(sueddeutsche.de, Lea Deuber)
Am 15. Juni soll die SWR-Dokumentation “Inside Wuhan” im Format “Story im Ersten” laufen, doch es gibt bereits im Vorfeld Kritik an der Produktion. Der Titel klinge, als habe sich der SWR für die Zuschauerinnen und Zuschauer auf Spurensuche in Wuhan begeben. Es sei jedoch kein eigenes Team entsendet worden, stattdessen sei mit Material der chinesischen Propagandabehörden gearbeitet worden.

3. Die schlimmste App der Welt
(youtube.com, Walulis, Video: 10:36 Minuten)
Als “die schlimmste App der Welt” und das “Darknet des kleinen Mannes” bezeichnet Philipp Walulis den Messengerdienst Telegram. Die WhatsApp-Alternative habe sich mittlerweile zu einem Spielplatz für Verschwörungserzähler wie Attila Hildmann und Xavier Naidoo entwickelt, die dort ungestört agieren könnten. Gegründet worden sei der Dienst von Pawel Durow, der zuvor bereits das in Russland meistgenutzte Soziale Netzwerk Vk.com gegründet habe, dann aber in Ungnade gefallen sei und heute seinen Geschäften von Dubai aus nachgehe.

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4. Das Milliardenspiel
(spiegel.de, Peter Ahrens & Jörn Meyn)
Derzeit liegen die Live-Rechte für die Fußball-Bundesliga vor allem beim Bezahlsender Sky, doch das könne sich bald ändern: Bis zum 19. Juni laufe die Ausschreibungsfrist für die TV-Rechte an den Spielzeiten 2021/2022 bis 2024/2025. Peter Ahrens und Jörn Meyn erklären, welche Rechtepakete zum Verkauf stehen, wer alles mitbietet, und welche Rolle Amazon dabei spielt. Außerdem geht es natürlich um die Frage, ob eine weitere Gewinnexplosion zu erwarten ist.

5. Bundesverfassungsgericht verrät vorab seine Urteile
(tagesspiegel.de, Jost-Müller Neuhof)
Es gibt Kritik an der Veröffentlichungspraxis des in Karlsruhe sitzenden Bundesverfassungsgerichts. Noch vor der offiziellen Verkündung der Urteile, teile das Gericht Informationen zu seinen Entscheidungen vor Ort einem kleinen Kreis ausgewählter Journalistinnen und Journalisten mit. In rund der Hälfte der Fälle würden diese Exklusiv-Infos an Vertreterinnen und Vertreter von ARD und ZDF gehen. Der Deutsche Journalisten-Verband kritisiert das Vorgehen des Gerichts als “befremdlich und nicht mehr zeitgemäß”.

6. Youporn, Pornhub und MyDirtyHobby bekommen Post
(faz.net)
Die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) geht gegen drei reichweitenstarke Pornoportale vor, die in der gegenwärtigen Form nicht weiterbetrieben werden dürften. Die Websites würden gegen den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag verstoßen, indem sie Pornografie frei zugänglich machen würden, ohne sicherzustellen, dass Kinder keinen Zugang haben. Es dürfte ein zähes Ringen werden, denn das dahinterstehende Unternehmen hat seinen Sitz auf Zypern. Die KJM gibt sich jedoch kämpferisch und könne nötigenfalls auf das Mittel der Netzsperre zurückgreifen.