Weimer trennt sich vorläufig, Weg für ÖRR-Reform frei, Gruseliger Spiegel

1. Weimer trennt sich vorläufig von Verlagsanteilen
(tagesschau.de)
Kulturstaatsminister Wolfram Weimer gebe seine Anteile an der Weimer Media Group (WMG) für die Dauer seiner Amtszeit treuhänderisch ab und verzichte auf Gewinnausschüttungen. Hintergrund sind Berichte über den von der WMG veranstalteten Ludwig-Erhard-Gipfel, bei dem zahlende Teilnehmer womöglich Einfluss auf politische Entscheidungsträger erhalten könnten, was Weimer zurückgewiesen habe. Die bayerische Staatsregierung prüfe zudem, ob die staatliche Förderung der Veranstaltung fortgesetzt werden soll.
Weiterer Lesetipp: Ehefrau von Weimer lehnt plötzlich Verfassungsorden ab: “In die Affäre um Kulturstaatsminister Wolfram Weimer kommt Bewegung. Nun tritt auch seine Co-Gesellschafterin, seine Ehefrau Christiane Goetz-Weimer, von einer bedeutenden Auszeichnung zurück.” (t-online.de, Daniel Mützel & Carsten Janz & Annika Leister)

2. Brandenburg macht Weg für Reform von ARD und ZDF frei
(dwdl.de, Alexander Krei)
Wie Alexander Krei bei “DWDL” berichtet, habe Brandenburg als letztes Bundesland dem Reformstaatsvertrag für ARD, ZDF und Deutschlandradio zugestimmt. Die Reform, die zum 1. Dezember in Kraft treten soll, sehe die Einstellung mehrerer Spartensender, die Reduzierung der Hörfunkwellen, eine Beschränkung von öffentlich-rechtlichen Textangeboten im Internet und eine Deckelung der Sportrechtekosten vor. Zudem sollen die Anstalten stärker zusammenarbeiten, eine gemeinsame digitale Plattform aufbauen und Kooperationen mit privaten Anbietern eingehen.

3. Was plant die EU-Kommission bei KI und Datenschutz?
(netzpolitik.org, Ingo Dachwitz & Daniel Leisegang)
Ingo Dachwitz und Daniel Leisegang haben ein Erklärstück mit den wichtigsten Fragen und Antworten zum “Digitalen-Omnibus“-Gesetzespaket der EU-Kommission verfasst. Entlang zentraler Fragen (KI-Verordnung, DSGVO-Lockerungen, Cookies/Präferenzsignale, Gerätezugriffe, Betroffenenrechte) fassen sie die Positionen von Politik, Industrie und Zivilgesellschaft zusammen und erklären das weitere Gesetzgebungsverfahren.

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4. dju mahnt Polizei zu Zurückhaltung: Schutzbereich der Pressefreiheit gilt auch für Wohnungen und journalistische Kommunikationsmittel
(dju.verdi.de)
Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union in Verdi begrüßt den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Durchsuchung bei einem Mitarbeiter von Radio Dreyeckland als wichtige Klarstellung zum Schutzbereich der Rundfunk- und Pressefreiheit. Der Schutz gelte nicht nur für Redaktionsräume, sondern auch für Homeoffice und dienstlich genutzte Geräte wie Laptops und Handys, auf denen Recherchen und Quellenkontakte stattfinden. Staatsanwaltschaften und Polizei müssten dies zwingend berücksichtigen, um wichtige Grundsätze wie den Quellenschutz und das Redaktionsgeheimnis nicht zu gefährden.

5. Mit KI gegen Femizide?
(blaetter.de, Sonja Peteranderl)
Sonja Peteranderl zeigt, wie KI-gestützte Risikoanalysen und elektronische Fußfesseln Gewalt gegen Frauen früher erkennbar machen sollen, und veranschaulicht am Beispiel Spaniens sowohl Chancen als auch gravierende Fehlbewertungen. In Deutschland gebe es einen Flickenteppich aus uneinheitlichen Risikotools, Plänen für präventive Fußfesseln und dem neuen Gewalthilfegesetz. Nötig seien klare Standards, unabhängige Kontrollen und ein umfassender gesellschaftlicher Wandel.

6. Instagram, der gruselige Spiegel
(taz.de, Eva Fischer)
Eva Fischer beschreibt, wie der Instagram-Algorithmus ihren Alltag, ihre Interessen und sogar ihre Beziehungsphasen erstaunlich genau erkennt und damit oft mehr über sie zu wissen scheint als Freundinnen und Freunde. Sie sieht die Schattenseiten wie Dopaminsucht, Schlafmangel und Echokammern, empfindet die App aber trotzdem als “mein persönliches Guilty Pleasure”: “Ja, das ist gruselig. Aber es ist auch irgendwie schön.”

Durchsuchung verfassungswidrig, Weimer widerspricht, Meta entkommt

1. Durchsuchung bei Redakteur war verfassungswidrig
(taz.de, Christian Rath)
Das Bundesverfassungsgericht habe die Wohnungsdurchsuchung im Januar 2023 bei Fabian Kienert, Redakteur bei Radio Dreyeckland, als verfassungswidrig bewertet. Eine Durchsuchung bei Journalisten brauche plausible Gründe. Ein bloßer Link auf eine alte Archivseite reiche dafür nicht. Kienert hatte in einem Artikel einen Link auf die Archivseite der seit 2017 verbotenen Website linksunten.indymedia gesetzt. Offen bleibe, ob das Setzen eines Links allein als strafbare Unterstützung einer verbotenen Vereinigung gelten kann.

2. Wolfram Weimer schaltet Medienanwalt Schertz ein – und verteidigt sich mit einer überraschenden Aussage
(kress.de, Marc Bartl)
Das rechte Onlinemedium “Apollo News” werfe der Weimer Media Group vor, beim Ludwig-Erhard-Gipfel bezahlten Zugang zu Ministern zu vermitteln. Darauf habe Kulturstaatsminister Wolfram Weimer den Medienanwalt Christian Schertz eingeschaltet und in der “FAZ” eine klare Trennung von politischem Amt und Verlag betont. Schertz habe erklärt, Weimer habe alle operativen Funktionen vor Amtsantritt niedergelegt und nehme nicht mehr am Gipfel teil. Man sei “ausdrücklich beauftragt, rechtliche Schritte für unsere Mandanten zu prüfen”.

3. Meta entkommt seiner Zerschlagung
(netzpolitik.org, Tomas Rudl)
Wie Tomas Rudl bei netzpolitik.org berichtet, habe ein US-Bundesrichter den Social-Media-Konzern Meta nicht als Monopolisten eingestuft. Bei den Übernahmen von Instagram und WhatsApp habe es keinen Wettbewerbsverstoß gegeben, der Markt für Soziale Medien gelte als ausreichend umkämpft. Rudl kommentiert: “Für Kritiker:innen des Unternehmens und der gegenwärtigen Verhältnisse im digitalen Raum ist die Entscheidung eine herbe Niederlage – zumal der Ansatz, gegen die Übermacht von Big Tech gerichtlich statt gesetzgeberisch vorzugehen, zu einem guten Teil der Dysfunktionalität des US-Kongresses geschuldet ist.”

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4. Neue DW-Intendantin kritisiert geplante Etatkürzung
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Die neue Intendantin der Deutschen Welle (DW) Barbara Massing kritisiere die geplante Kürzung des DW-Etats um zehn Millionen Euro als falsches Signal bei weltweit steigendem Bedarf an freien Informationen. Trotz der Kürzung wolle sie den deutschen Auslandsrundfunk zur “führenden Stimme der Freiheit aus Europa” machen. Massing setze auf eine engere Zusammenarbeit mit France Médias Monde und der BBC, um Lücken zu schließen, die durch den Ausfall von US-Sendern entstanden seien.

5. Faktenbasiert, aufklärend, machtkritisch
(verdi.de, Till Schmidt)
Das Verdi-Medienmagazin “M” hat mit Georg Restle gesprochen, dem langjährigen Leiter und Moderator des ARD-Politmagazins “Monitor”, der für einen “werteorientierten Journalismus” eintrete. Restle weist auch auf die Wichtigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hin: “In Zeiten der Unübersichtlichkeit des Mediengeschäfts steht der öffentlich-rechtliche Rundfunk für demokratischen Journalismus. Das bedeutet in seinem besten Sinn: Bürger*innen zu ermöglichen, an den wichtigen Debatten dieser Gesellschaft teilzuhaben, informiert zu sein und auf Grundlage von Fakten und Hintergrundrecherchen selbst einschätzen zu können, wie Politik oder wie Macht funktioniert.”

6. Zum Jahresende werden sich die Wege des Stern und meine trennen
(facebook.com, Til Mette)
Der bekannte Cartoonist Til Mette und der “Stern” gehen nach dreißigjähriger Zusammenarbeit getrennte Wege. Auf Facebook bedankt sich Mette bei den Beteiligten, zeigt sich aber auch enttäuscht darüber, dass im “Stern” dieses Format anscheinend nicht weitergeführt werden soll: “Über Jahrzehnte gehörten die Humorseiten, wie die des satirischen Grossmalers Haderer, die des akribisch kalauernden Tetsche und meine Seite zur DNA des Stern. Ich bedauere sehr, dass es auch für meine Seite ab Januar 2026 keinen Nachfolger/in geben wird.”

Gekaufte Zugänge?, Klöckners Schlagseite, Fabulierende Maschinen

1. Geld für gezielte Beeinflussung von Politikern?
(tagesspiegel.de)
Die bayerische Staatsregierung überprüfe die staatliche Förderung des “Ludwig-Erhard-Gipfels”, nachdem Vorwürfe über käufliche politische Einflussnahme rund um die Veranstaltung am Tegernsee laut geworden seien. Medienberichten zufolge biete die veranstaltende Agentur des heutigen Kulturstaatsministers Wolfram Weimer Unternehmen gegen Geld exklusiven Zugang zu Spitzenpolitikerinnen und -politikern an. Weimers Sprecher betone, dass der Minister keine operativen Tätigkeiten mehr ausübe. Dennoch stehe die Frage im Raum, ob die Veranstaltung weiterhin mit Steuergeldern unterstützt werden soll.

2. Klöckner klickt rechts
(correctiv.org, Sebastian Haupt & Stella Hesch & Annika Joeres & Isabel Knippel)
Eine Analyse von “Correctiv” zeige, dass Bundestagspräsidentin Julia Klöckner auf ihren Social-Media-Kanälen systematisch Inhalte rechtspopulistischer Akteure und Medien wie “Nius” oder dem “ÖRR-Blog” verbreite. Klöckner nutze ihre Reichweite strategisch, um neben harmlosen Hundefotos Stimmung gegen die Grünen sowie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu machen und Narrative des rechten Randes zu normalisieren.

3. Hanois Justiz verklagt in Berlin lebenden Chefredakteur
(taz.de, Alexandra Wagner)
Vietnams Justiz klage den in Berlin unter Polizeischutz stehenden Journalisten Trung Khoa Lê an, da dieser laut dem vietnamesischen Ministerium für öffentliche Sicherheit durch sein Medium “Thoibao” die sozialistische Ordnung untergrabe. Der Chefredakteur des regierungskritischen, in Berlin beheimateten Onlinemediums vermute hinter dem Vorgehen politische Rache. Er habe einst die Verwicklung des heutigen KP-Chefs in die Entführung des ehemaligen vietnamesischen Politikers und Managers Trịnh Xuân Thanh im Jahr 2017 aufgedeckt.

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4. An vorderster Front, hinter den Kulissen: Was machen Fixer?
(de.ejo-online.eu, Oleksandra Yaroshenko)
Oleksandra Yaroshenko erklärt in ihrem Artikel die unverzichtbare Rolle von sogenannten Fixern, die als lokale Expertinnen und Experten im Ukraine-Krieg maßgeblich entscheiden, welche Informationen und Bilder das internationale Publikum erreichen. Diese Helfer seien keine neutralen Übersetzer, sondern subjektive “Gatekeeper”, deren persönliche Betroffenheit und kulturelle Kompetenz die Berichterstattung forme. Dennoch würden sie oft ohne ausreichenden Schutz oder Versicherung arbeiten und trotz lebensgefährlicher Risiken meist unsichtbar bleiben.

5. Freiheit im Netz nimmt beständig ab
(netzpolitik.org, Paula Clamor)
Der aktuelle “Freedom-on-the-Net”-Report (PDF) der Organisation Freedom House stelle fest, dass die globale Internetfreiheit zum 15. Mal in Folge abnehme. Auch Deutschland verliere Punkte. Politische Aktionen gegen Netzkritik, rechtsextreme Einschüchterungen und russische Cyberangriffe nähmen zu. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, plädiere Freedom House für unabhängigen zivilgesellschaftlichen Aktivismus, lehne jedoch Maßnahmen zur Einschränkung der Anonymität wie Altersverifikationen ab.

6. Tödliche K.I. – Über fabulierende Maschinen und fabulierende Menschen
(54books.de, Joanna Nowotny)
Joanna Nowotny warnt in ihrem Beitrag vor der Gefahr durch KI-Chatbots, da diese die Wahnvorstellungen psychisch labiler Nutzerinnen und Nutzer unkritisch bestätigen und so Tragödien wie Suizide begünstigen könnten. Nach Ansicht der Autorin verstärken die Maschinen durch das Vermischen von Fakten und Fiktion sowie emotionale Bindungsstrategien bestehende psychische Krisen massiv. Da für Tech-Konzerne der Fokus vorrangig auf Profit und Nutzerbindung liege, würden wirksame Schutzmaßnahmen fehlen.
(Solltest Du Suizid-Gedanken haben, dann gibt es Menschen, die Dir helfen können, aus dieser Krise herauszufinden. Eine erste schnelle und unkomplizierte Hilfe bekommst Du etwa bei der “TelefonSeelsorge”, die Du kostenlos per Mail, Chat oder Telefon (0800 – 111 0 111 und 0800 – 111 0 222) erreichen kannst.)

Der seltsame Mitinhaber, Fehlen konservative Stimmen?, Politikbild

1. “Hä, aber ich dachte darum ging’s doch?!”
(lto.de, Felix W. Zimmermann)
“Am Dienstag verhandelt das LG Hamburg, ob Correctiv im Potsdam-Bericht wahrheitswidrig über Ausweisungspläne gegen deutsche Staatsbürger berichtete. Dabei geht es auch um Correctivs Verantwortung für Falschberichterstattung anderer Medien.” Felix W. Zimmermann schreibt, dass “Correctivs” Formulierung eines “Masterplans zur Ausweisung deutscher Staatsbürger” aus seiner Sicht eine journalistische Fehlleistung sei, die zu einer Welle von falschen Beiträgen bei anderen Medien geführt habe und deren juristische Verantwortung nun das Hamburger Landgericht klären müsse.

2. Der seltsame Mitinhaber
(taz.de, Andreas Speit)
Andreas Speit berichtet in der “taz”, dass der bekannte völkische Siedler Baldur Bachmann jahrelang Mitinhaber der Eulenspiegel-Verlagsgruppe gewesen sei. Bachmann sei in der rechtsextremen Szene verankert, Anhänger der antisemitischen “Germanischen Neuen Medizin” und Mitglied der verbotenen “Artgemeinschaft”, was dem Geschäftsführer des Verlags nach eigenen Angaben nicht bekannt gewesen sei. Erst nach den Recherchen habe sich der Verlag von Bachmann getrennt.

3. Fehlen konservative Stimmen in den öffentlich-rechtlichen Medien?
(deutschlandfunk.de, Christiane Florin, Audio: 1:00:31 Stunden)
In der “Streitkultur” des Deutschlandfunk diskutieren Nikolaus Blome (RTL) und Georg Restle (WDR) über die Frage, ob konservative Stimmen in den Medien, insbesondere im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, fehlen. Blome bejaht dies und führt als Beleg an, dass der NDR extern eine konservative Moderatorin suchen musste, da intern offenbar niemand verfügbar sei. Restle widerspricht, hält die Vielfalt für groß und argumentiert, der Öffentlich-Rechtliche müsse sich vielmehr gegen Verfassungsfeinde wie die AfD verteidigen.

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4. Wie Medien das Politikbild verzerren und damit Demokratie gefährden
(fr.de, Tanjev Schulz)
Der Politik- und Kommunikationswissenschaftler Tanjev Schultz argumentiert in seiner Kolumne, dass die US-Medien zu einer Krise der Demokratie beigetragen hätten. Er schreibt, dass ein “notorisch negatives” Politikbild in der Berichterstattung die Zustimmung zur demokratischen Kultur untergraben habe. Diese Entwicklung habe eine zynische Haltung im Publikum gefördert, von der nun Politiker wie Donald Trump, aber auch die AfD profitieren würden.

5. Wie Lokaljournalismus auf TikTok funktionieren kann
(correctiv.org)
Die Journalistin Pauline Tillmann widerlege in ihrem Report (PDF) zum “Future of News Fellowship” die Annahme, junge Menschen würden sich nicht für lokale Themen interessieren. Sie zeige, dass TikTok eine der wichtigsten Informationsquellen für Jugendliche sei und enorme Chancen für den Lokaljournalismus biete. Für Erfolge auf der Plattform müssten Redaktionen auf Alltagsrelevanz, Persönlichkeiten vor der Kamera und echten Dialog mit der Community setzen.

6. Kölner Recherchepreis zeichnet junge Journalisten aus
(bdzv.de)
Der Kölner Recherchepreis 2025 hat junge Journalistinnen und Journalisten für ihre herausragenden Recherchen ausgezeichnet. Den 1. Preis hat “WAZ”-Redakteurin Sophie Sommer für ihre Reportage “Ich spüre noch seine Hände auf mir” (PDF), in der es um Kinderprostitution in Dortmund geht, erhalten. Bei der Preisverleihung hätten NRW-Medienminister Nathanael Liminski und Kölns Oberbürgermeister Torsten Burmester den unabhängigen Journalismus als unverzichtbare demokratische Kraft gewürdigt. Die Herausgeber des “Kölner Stadt-Anzeiger” hätten zudem vor der wachsenden Marktmacht von Tech-Konzernen gewarnt und politischen Rückhalt für “echte Recherche” gefordert.

Krone hängt schief, 10 Millionen Euro weniger, Mikrojournalismus

1. Die Krone hängt schief
(taz.de, Daniel Zylbersztajn-Lewandowski)
Die BBC stecke in einer tiefen Vertrauenskrise, nachdem ihre Führungsspitze wegen einer irreführend geschnittenen Dokumentation über Donald Trump zurücktreten musste. Ein 8.000 Wörter umfassendes Memo eines ehemaligen internen Standardprüfers werfe dem Sender darüber hinaus gravierende und systematische Mängel sowie parteiische Berichte vor. Die Kritik betreffe nicht nur den Umgang mit Trump, sondern auch die wiederholte unsaubere Berichterstattung des Senders BBC Arabic zum Nahostkonflikt.
Weiterer Lesetipp: Trump kündigt 5-Milliarden-Dollar-Klage gegen BBC an (taz.de)

2. Unkritisch und intransparent: JournalistInnen auf “Dream”-Reise mit Sebastian Kurz
(kobuk.at, Andrea Gutschi)
Andrea Gutschi kritisiert, dass mehrere österreichische Medienvertreter einer Einladung von Ex-Kanzler Sebastian Kurz zu dessen KI-Start-up “Dream” in Tel Aviv gefolgt seien, ohne die Reise in ihren Berichten als bezahlt zu kennzeichnen: “Wir wollten von Krone, Kurier und Oe24 wissen, warum sie die Einladung nicht transparent gemacht haben. Außerdem haben wir die teilnehmenden Medien gefragt, warum der Ausflug zum Traum-Unicorn nicht von Wirtschaftsredakteur:innen absolviert wurde. Wir haben keine einzige Antwort bekommen.”

3. Deutsche Welle erhält zehn Millionen weniger als geplant
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Uwe Mantel berichtet bei “DWDL”, dass der Haushaltsausschuss des Bundestages den Etat der Deutschen Welle (DW) für 2026 überraschend um zehn Millionen Euro im Vergleich zum ursprünglichen Regierungsentwurf gekürzt habe. Die Aufsichtsgremien des Senders sowie die Gewerkschaft Verdi hätten empört reagiert: Die Entscheidung sei ein falsches Signal. “Die Kürzung widerspricht der im Koalitionsvertrag vereinbarten Stärkung der DW”, so Karl Jüsten, Vorsitzender des Rundfunkrates.

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4. Elon Musks Grokipedia und die Macht der Deutung
(belltower.news, Julia Uebelacker)
Julia Uebelacker analysiert Elon Musks neue Plattform “Grokipedia”, die sich als objektive Alternative zur angeblich linkslastigen Wikipedia präsentiere. Sie stellt fest, dass die KI-generierte Enzyklopädie intransparent sei und wertende Formulierungen nutze, um gezielt rechte Deutungen zu fördern. Besonders beim Thema Gender werde die Definition auf reine Biologie verengt. Uebelacker wertet dies als gefährlichen Versuch, in einem “Kulturkampf” die gesellschaftliche Deutungshoheit zu erlangen.

5. Der Himmel könnte noch blauer sein
(arminwolf.at)
“Vor genau einem Jahr habe ich meinen X-Account stillgelegt und bin – gemeinsam mit vielen anderen Journalist·innen – auf Bluesky gewechselt. Hat sich der #eXit gelohnt?” Der österreichische Journalist und Fernsehmoderator Armin Wolf zieht auf seinem Blog eine Art persönliche Zwischenbilanz. Sein Fazit: “Nach einem Jahr fühlt sich Bluesky für mich noch immer an wie Twitter so um 2010, 2011. Das war sehr fein, aber Twitter 2014/15 war noch deutlich interessanter. Definitiv ist Bluesky aber ein sehr viel besserer Ort als X im Jahr 2025. Der #eXit war die richtige Entscheidung.”

6. Womöglich Mikrojournalismus
(uebermedien.de, Lisa Kräher)
Lisa Kräher kritisiert, dass seriöse deutsche Medien wie der “Spiegel” und die “Tagesschau” reißerische Clickbait-Überschriften zu einer neuen Dokumentation über Adolf Hitlers angeblichen “Mikropenis” veröffentlicht haben. Sie stellt fest, dass die berichtenden Medien in ihren eigenen Beiträgen die wissenschaftliche Grundlage (alte DNA) als höchst spekulativ einstufen, die reißerische Behauptung aber dennoch prominent für Aufmerksamkeit nutzen würden.

KW 46/25: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Wochenendausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. Was tun, wenn KI-Bots falsche Informationen über dein Leben verbreiten?
(uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 24:54 Minuten)
Im “Übermedien”-Podcast “Holger ruft an” spricht Holger Klein mit den “Tamedia”-Journalisten Celina Euchner und Oliver Zihlmann. Euchner berichtet, wie KI-Seiten sie fälschlicherweise zur Frau des Rappers Kontra K ernannt hätten. Ihr Kollege Zihlmann erklärt, dass über die Hälfte der Artikel im Internet inzwischen “KI-Schrott” sei, und die Chatbots auch mit diesen Falschinformationen trainiert würden, wodurch ein Teufelskreis entstehe.

2. Der Medienleitfaden – wie besser zu Femiziden berichten?
(bonjourno.de, Olivia Samnick, Audio: 37:27 Minuten)
Im Podcast “Bonjourno” geht es um die problematische Berichterstattung über Femizide, bei der oft verharmlosende Begriffe wie “Beziehungsdrama” verwendet würden, anstatt die Morde als strukturelles Problem zu benennen. Sonja Peteranderl berichtet von ihren Recherchen zu geschlechtsspezifischer Gewalt in Lateinamerika und stellt einen Leitfaden vor, den sie für andere Journalistinnen und Journalisten mitentwickelt hat. Den zweiten Teil der themenspezifischen Gesprächsreihe gibt es hier. Dort ist Christine Meltzer zu Gast: “Sie ist Juniorprofessorin für Kommunikationswissenschaft an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover und hat gleich zwei große Reports zur Femizid-Berichterstattung herausgebracht. Was hat sich seit dem letzten Femizide Report 2021 bis 2024 getan?” (bonjouro.de, Audio: 39:44 Minuten)

3. Wie gelingt gute Content Moderation?
(leibniz-hbi.de, Kristina Kobrow, Audio: 34:33 Minuten)
Beim “BredowCast” hat Moderatorin Kristina Kobrow den Wissenschaftler Matthias Kettemann vom Leibniz-Institut für Medienforschung zu Gast. Die beiden diskutieren darüber, was Content-Moderation ist, also welche Inhalte auf Plattformen wie TikTok oder Facebook gelöscht, versteckt oder verstärkt werden. Kettemann erläutert, warum es einen Mix aus automatisierten Systemen (Künstliche Intelligenz) und menschlichen Moderatoren brauche, und stellt einen neuen “Code of Conduct” vor, den er mitentwickelt hat.

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4. Was Wut im Netz mit uns macht
(deutschlandfunknova.de, Nina Bust-Bartels & Hanna Klimpe, Audio: 56:50 Minuten)
In ihrem Vortrag erklärt die Kommunikationswissenschaftlerin Hanna Klimpe, dass Empörung in Sozialen Medien zwar wichtige Debatten wie #MeToo gestärkt habe, die Plattformlogik aber auch rechtsextreme Inhalte belohne. Diese ständige Flut negativer Beiträge führe bei vielen zu “Newsfatigue” (Nachrichtenmüdigkeit) und verstärke ein Gefühl der Ohnmacht, anstatt Handlungsfähigkeit zu mobilisieren. Klimpe fordert daher, die “demokratische Empörung” aus dem Netz in reale Strukturen zu überführen.

5. Mit 15 Jahren täglich Einschaltquoten verfolgt: EndemolShine-Chef über Reality Shows und KI im TV
(youtube.com, Philipp Westermeyer, Video: 1:04:57 Stunden)
Fabian Tobias, Geschäftsführer der Produktionsfirma EndemolShine, ist zu Gast im “OMR”-Podcast von Philipp Westermeyer. Sie sprechen über die aktuelle Lage der Fernsehbranche und die großen EndemolShine-Produktionen wie “Wer wird Millionär?”, “The Masked Singer” und “Kitchen Impossible”. Außerdem geht es um die Neuausrichtung von “Die Höhle der Löwen” sowie die aktive Suche nach einem neuen Investor für die Sendung.

6. Jimmy Wales, Wikipedia’s founder/co-founder
(youtube.com, Jung & Naiv, Tilo Jung, Video: 3:22 Minuten)
Bei “Jung & Naiv” kam es zu einem ungewollten Rekord: Kaum hatte das Interview mit Wikipedia-Gründer Jimmy Wales begonnen, war es auch schon wieder vorbei. Die harmlose Einstiegsfrage “Gründer oder Mitbegründer?” reichte aus, um Wales derart in Rage zu bringen, dass er die Diskussion als “dumm” bezeichnete und das Set nach kurzer Zeit schon wieder verließ.

Springers US-Expansionsgelüste, Exilmedien unverzichtbar, Deep Nudes

1. Expansion in den USA: Axel Springer hat es auf CNN und “Wall Street Journal” abgesehen
(tagesspiegel.de, Philipp Blanke)
Der Axel-Springer-Konzern prüfe laut US-Medienberichten eine massive Expansion in den USA. Das Unternehmen habe Interesse an einer Übernahme von CNN sowie dem “Wall Street Journal”. Springer-Chef Mathias Döpfner wolle den Firmenwert durch große Zukäufe verdoppeln, da er das deutsche Mediengeschäft als weniger relevant und zukunftsträchtig ansehe. Döpfner suche in den USA zudem gezielt die Nähe zu wichtigen Tech-Bossen.

2. BBC bittet Trump um Entschuldigung
(spiegel.de)
Die BBC habe US-Präsident Donald Trump für einen irreführenden Schnitt in einer Dokumentation um Entschuldigung gebeten. Die Doku habe fälschlicherweise den Eindruck erweckt, Trump habe in einer Rede direkt zur Gewalt aufgerufen. Der BBC-Vorsitzende habe in einem Brief sein Bedauern ausgedrückt. Gleichzeitig habe der öffentlich-rechtliche Sender die rechtliche Grundlage für die von Trump angedrohte milliardenschwere Verleumdungsklage entschieden zurückgewiesen.

3. RSF: Exilmedien als Quelle
(verdi.de)
Die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) betone in einem neuen Bericht, dass Exiljournalismus unverzichtbar sei, um Zensur, Kriegsverbrechen und Desinformation in autoritären Regimen aufzudecken. Als Beispiele für diese wichtige Arbeit werden Enthüllungen von Exilmedien wie “The Insider” über russische Propaganda, den Wirecard-Manager Jan Marsalek oder die Ausbeutung politischer Gefangener durch einen AfD-Politiker in Belarus genannt. RSF fordere demokratische Regierungen daher dringend auf, diese Medienschaffenden besser zu schützen und nachhaltig zu unterstützen.

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4. “Jemand macht Geld mit Fake-Nacktbildern”: Ja, die Heute-Zeitung!
(kobuk.at, Sophia Ţigănaş)
Sophia Ţigănaş kritisiert die Berichterstattung des österreichischen Boulevardportals Heute.at über sogenannte Deep Nudes. Ihr Fazit: “Bei der Berichterstattung über die Verbreitung von KI-generierten Nacktbildern im Internet ist Heute.at Teil des Problems, über das die Zeitung berichten will: Sie verbreitet ungewollte Sexualisierung und verletzt zusätzlich die Intimsphäre realer Menschen.”

5. Wie steht es um den Klimajournalismus?
(deutschlandfunk.de, Sascha Wandhöfer, Audio: 39:56 Minuten)
Vom 10. bis zum 21. November findet im brasilianischen Belém die UN-Klimakonferenz COP 30 statt. Damit rückt auch der Zustand des Klimajournalismus in den Fokus. Im Deutschlandfunk diskutieren Alexandra Endres (“Table.Media”) und Torsten Schäfer (FH Darmstadt) mit Moderator Sascha Wandhöfer darüber, welche Rolle das Klima im Alltag in deutschen Medien spielt.

6. Immer mehr Werbung im Fernsehen?! Ein Realitäts-Check
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Uwe Mantel analysiert bei “DWDL” den weit verbreiteten Eindruck, dass die Werbung im Privatfernsehen überhandnehme, und stellt klar, dass dieser täusche – jedenfalls wenn man auf die klassische Werbung schaut. Die dafür vorgesehene Zeit sei gesetzlich streng auf 20 Prozent, also zwölf Minuten pro Stunde, begrenzt und habe sich nicht erhöht. Die Wahrnehmung längerer Pausen entstehe durch eine flexiblere Verteilung der Werbeblöcke sowie durch zusätzliche Programmtrailer, Eigenwerbung und Spendenaufrufe, die nicht zur offiziellen Werbezeit zählen würden.

Trump vs. BBC, AfD-Aussteiger Ahrens, “Servicemagazin”

1. Einlenken oder dagegenhalten?
(tagesschau.de, Gabi Biesinger)
Nach dem Rücktritt der gesamten Führungsspitze wegen einer irreführend geschnittenen Dokumentation über Donald Trump stecke die BBC in einer tiefen Krise. US-Präsident Trump drohe dem Sender nun mit einer Milliardenklage. Bis morgen Abend müsse zudem eine Richtigstellung und eine persönliche Entschuldigung erfolgen.
Weiterer Hörtipp in eigener Sache: Bei radioeins kommentiert der “6-vor-9”-Kurator: “Die BBC sieht gerade nicht aus wie die würdigste Verteidigerin der Pressefreiheit. Deshalb hat sie etwas gutzumachen. Also nicht zahlen, liebe BBC, nicht einknicken. Um sich und allen anderen zu zeigen: Wir lassen uns nicht einschüchtern.” (radioeins.de, Lorenz Meyer, Audio: 4:18 Minuten)


2. So plante Erik Ahrens die TikTok-Strategie der AfD
(ndr.de, Tom Fugmann, Video: 26:16 Minuten)
Das NDR-Medienmagazin “Zapp” beschäftigt sich mit Erik Ahrens, dem ehemaligen digitalen Vordenker der AfD und selbsternannten Aussteiger aus der rechtsextremen Szene. Der Beitrag zeigt Ahrens’ widersprüchlichen Weg vom linken Aktivisten zum rechtsextremen Strippenzieher, der AfD-Politiker Maximilian Krah auf TikTok groß gemacht habe. Ob es sich bei Erik Ahrens’ jüngster Wandlung um echte Reue, Selbstinszenierung oder Wichtigtuerei handele, bleibe jedoch offen.

3. Welche Rolle spielt Brandenburg?
(taz.de, Ann-Kathrin Leclère)
In Brandenburg finde in wenigen Tagen die entscheidende Abstimmung über den Reformstaatsvertrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks statt. Der Vertrag, der bereits von den Ministerpräsidentinnen und -präsidenten beschlossen wurde, sehe Einschnitte bei Programmen und strengere Regeln, zum Beispiel bei der “Presseähnlichkeit”, vor, müsse aber von allen 16 Landtagen bestätigt werden. “taz”-Redakteurin Ann-Kathrin Leclère hat die wichtigsten Fragen und Antworten dazu zusammengestellt.

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4. “Autofocus” – Wie das Werbeformat einer Industrielobby zum “Servicemagazin” im ORF wurde
(kobuk.at, Hans Kirchmeyr)
Hans Kirchmeyr kritisiert das ORF-Format “Autofocus” als getarnte PR-Sendung für die österreichische Automobilindustrie. Die Sendung, die als “Servicemagazin” bezeichnet werde, sei ursprünglich von der Autolobby initiiert und finanziert worden. Kirchmeyr belegt mit Beispielen, wie “Autofocus” kritiklos die Interessen der Industrie bedient.

5. Fokus auf die Timelines – Dokumentarfilm und Internetkultur
(54books.de, Lennart Rettler)
Der Autor Lennart Rettler lobt aktuelle deutsche Dokumentarfilme wie “Lord of the Toys”, “Goldhammer” und “Soldaten des Lichts” dafür, dass sie die Mechanismen und Abgründe der Internetkultur präzise abbilden. Die Filme würden auf einordnende Experten verzichten. Stattdessen würden sie auf reine Beobachtung setzen und zeigen, wie ihre problematischen Protagonisten (YouTuber, Influencer, Reichsbürger) rassistische oder verschwörungsideologische Inhalte als Geschäftsmodell nutzen.

6. Reality-TV: Von wegen Unterschichtenfernsehen
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Entgegen dem weit verbreiteten Mythos des “Unterschichtenfernsehens” seien Reality-TV-Formate längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen und würden alle Bildungsschichten erreichen. Daten der AGF Videoforschung sollen zeigen, dass das Publikum der Top-10-Reality-Shows im Schnitt sogar einen höheren Bildungsabschluss habe. Sender wie RTL würden betonen, dass sich diese Formate vom “Guilty Pleasure” zum “Talk of Town” gewandelt hätten, weil sie Eskapismus, soziale Erlebnisse und Diskussionsstoff bieten.

Übernimmt die KI?, Schwarzes Portal mit roten Zahlen, Frauenfeindlichkeit

1. Wie viel Künstliche Intelligenz verkraftet Social Media?
(dwdl.de, Simon Pycha)
Simon Pycha beschreibt bei “DWDL”, wie KI-generierte Inhalte wie “Slops” oder “Sludge-Videos” Social Media dominieren, weil sie billig zu produzieren sind. Plattformen wie TikTok würden diesen Trend sogar aktiv fördern, indem sie KI-Skripte anbieten, um die Monetarisierung zu steigern. Diese Entwicklung erhöhe jedoch das Risiko für die Verbreitung von Desinformation, die für das Publikum kaum noch als künstlich zu erkennen ist.
Weiterer Gucktipp: Auf YouTube erklärt Mats Schönauer, “wie KI-Kanäle YouTube übernehmen”: “In diesem Video zeige ich euch, wie YouTube mit AI-Slop überflutet wird – von pseudowissenschaftlichen KI-Kanälen wie ‘Sleepless Historian’ bis hin zu Fake-Videos, die politische Propaganda verbreiten – und wie aufwendig produzierte Kanäle wie ‘Kurzgesagt’ von der KI-Flut bedroht werden.” (youtube.com, Video: 23:42 Minuten)

2. Haben wir eigentlich alle ADHS?
(journalist.de, Julia Belzig)
Die Journalistin Julia Belzig stellt in ihrem Text die These auf, dass der Journalismus aufgrund seiner Struktur überdurchschnittlich viele Menschen mit ADHS anziehe. Sie warnt jedoch davor, das Krankheitsbild als “Superkraft” zu romantisieren, da der Alltag für Betroffene oft von Chaos, emotionalen Problemen und dem Gefühl, an Kleinigkeiten zu scheitern, geprägt sei. Belzig kritisiert zudem, dass Social Media ein falsches Bild der Krankheit vermittele.

3. Burkhard Ewert über digitale Erfolge, politische Vorwürfe und historische Vergleiche
(youtube.com, Markus Trantow, Audio: 46:17 Minuten)
Burkhard Ewert, Chefredakteur der “Neuen Osnabrücker Zeitung” (“NOZ”), berichtet im “turi2”-Podcast, dass seine Redaktion nun allein durch digitale Abos finanziert werde, was er als “Meilenstein” bezeichnet. Angesprochen auf den Vorwurf eines Rechtsrucks der “NOZ” verteidigt Ewert etwa Interviews mit der AfD, da diese einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung repräsentiere und man nicht “pauschal diffamieren” dürfe. Die Bedrohung durch Google-KI-Zusammenfassungen und dadurch ausbleibenden Klicks sieht er als Ansporn für Journalistinnen und Journalisten, wieder mutigere und schnellere Geschichten zu schreiben, “die eine KI nicht kann”.

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4. Schwarzes Portal mit roten Zahlen: Bilanzverlust beim “Exxpress” steigt
(derstandard.at, Oliver Mark)
Das rechte österreichische Portal “Exxpress” habe seinen Bilanzverlust für das Jahr 2024 auf 6,92 Millionen Euro ausgeweitet, nachdem er im Vorjahr bereits 4,38 Millionen Euro betragen habe. Mehrheitseigentümerin des Mediums sei das deutsche Unternehmen “Vius”, das auch hinter dem Portal “Nius” von Ex-“Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt stehe.

5. Gema erzielt Auftakterfolg gegen ChatGPT
(spiegel.de)
Die Verwertungsgesellschaft Gema habe einen juristischen Auftakterfolg gegen den ChatGPT-Entwickler OpenAI erzielt. Das Landgericht München habe entschieden, dass die Verwendung von Texten bekannter Lieder (wie von Herbert Grönemeyer oder Reinhard Mey) eine unerlaubte Vervielfältigung darstelle, und OpenAI zu Schadensersatz verurteilt. Das Urteil in diesem Grundsatzverfahren sei noch nicht rechtskräftig. Es gelte als wahrscheinlich, dass der Rechtsstreit weitergeht.
Weiterer Gucktipp: Auf YouTube prognostiziert Anwalt Chan-jo Jun: “Die Entscheidung wird die KI-Szene in Aufruhr versetzen.” (youtube.com, Video: 13:13 Minuten)

6. Nicht alles ist Unterhaltung
(taz.de, Laura Verseck)
Laura Verseck kritisiert in ihrem Kommentar das RTL-Format “Temptation Island” dafür, dass die Produktion das übergriffige Verhalten eines Kandidaten unkommentiert ausgestrahlt habe. Der Teilnehmer Aleks Petrović habe in der Sendung offen erzählt, wie er seine Partnerin nach der Verlobung zum Sex gedrängt habe. Verseck argumentiert, dass “nicht alles Unterhaltung ist”. Eine Redaktion, die solche sexualisierten Grenzüberschreitungen ohne Einordnung sendet, trage eine Mitverantwortung für deren Normalisierung.

Rechte Buchmesse, Grundrechte-Kahlschlag, Protest gegen Entlassung

1. Ein Besuch auf der rechten Buchmesse
(belltower.news, Jan Tölva)
Jan Tölva berichtet über die rechte Buchmesse “Seitenwechsel” in Halle, die Tausende Besucherinnen und Besucher angezogen und ein breites Spektrum extrem rechter Verlage und Akteure versammelt habe. Die Bandbreite habe von der Neuen Rechten (“Antaios”) und der “Identitären Bewegung” über das “Compact”-Magazin bis hin zu geschichtsrevisionistischen Verlagen gereicht. Tölva wertet die Messe als wichtigen Vernetzungserfolg für die Szene, auch wenn sie gesamtgesellschaftlich eine Randerscheinung bleibe.

2. Max Schrems kritisiert Grundrechte-Kahlschlag
(netzpolitik.org, Ingo Dachwitz)
Ingo Dachwitz schreibt bei netzpolitik.org über die scharfe Kritik des Datenschutzexperten Max Schrems an einer überraschenden DSGVO-Reform der EU-Kommission, die er als “Grundrechte-Kahlschlag” bezeichnet. Laut Schrems würfen die Pläne “40 Jahre europäische Grundrechtsdoktrin über den Haufen”. Er kritisiere das überhastete Vorgehen als “Trumpsche Gesetzgebungspraktiken” und mache die deutsche Bundesregierung mitverantwortlich, die zuvor weitreichende Einschnitte bei der DSGVO angeregt habe.

3. Italien: Protest gegen Entlassung von EU-Korrespondent
(verdi.de)
Der italienische EU-Korrespondent Gabriele Nunziati sei von seiner Nachrichtenagentur Agenzia Nova entlassen worden, nachdem er bei einer EU-Pressekonferenz eine kritische Frage gestellt habe. Nunziati habe gefragt, ob Israel für den Wiederaufbau des Gazastreifens aufkommen solle, ähnlich wie es von Russland für die Ukraine erwartet werde. Sowohl italienische als auch internationale Journalistenverbände hätten die Entlassung scharf verurteilt und sie eine “eklatante Missachtung der Grundprinzipien der Pressefreiheit” genannt.

Bildblog unterstuetzen

4. Fragwürdiges Antenne-Kärnten-Interview mit Missbrauchsopfer
(kobuk.at, Andrea Gutschi)
Andrea Gutschi kritisiert ein Interview von Antenne Kärnten mit einem ehemaligen SOS-Kinderdorf-Kind, das sich freiwillig beim Sender gemeldet habe, um über seine Missbrauchserfahrungen zu sprechen. Die Redakteurin habe einfühlsam gewirkt, durch bohrende Detailfragen jedoch die Gefahr einer Retraumatisierung des Opfers in Kauf genommen. Die Anonymisierung sei schlampig gewesen, die Stimme nicht verfremdet worden und die Journalistin habe am Ende versehentlich den echten Vornamen des Betroffenen genannt.

5. Geschlechtergerechte Sprache: Wie deutsche überregionale Tageszeitungen nicht-binäre Personen darstellen
(de.ejo-online.eu, Allegra Knobloch)
Allegra Knobloch stellt eine Bachelorarbeit vor, die untersucht hat, wie überregionale Tageszeitungen aus Deutschland über nicht-binäre Personen berichten. Die quantitative Inhaltsanalyse von 61 Artikeln aus “taz”, “SZ”, “Welt”, “FAZ” und “Bild” habe ergeben, dass die Betroffenen trotz bekannter Wünsche in über der Hälfte der Beiträge (52 Prozent) fälschlicherweise mit männlichen oder weiblichen Bezeichnungen versehen worden seien. Die Untersuchung zeige außerdem, dass konservative Medien mehr als doppelt so oft misgendern wie progressive Medien.

6. Fake-KI-News über Basel: Die Spur führt zu einer Fitness-Kette aus Grossbritannien
(fairmedia.ch, Jeremias Schulthess)
Eine Recherche von “Fairmedia” und “Prime News” hat sich mit der Website basel-zeitung.com beschäftigt. Dabei handele es sich um ein KI-gestütztes “Fake-News”-Portal, das Artikel von seriösen Medien kopiere und Falschinformationen sowie erfundene Autoren veröffentliche. Obwohl die Seite kein Impressum angebe, würden alle Spuren auf eine internationale Fitness-Kette aus Großbritannien deuten. Ein Marketing-Professor vermute dahinter eine “Performance-Marketing-Kampagne”.

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Dachdecker-Journalisten, Kopflose Frauen, Türkei

1. Das Dilemma der vorschnellen Berichterstattung
(wolfgangmichal.de)
Wolfgang Michal schreibt über das Dilemma der vorschnellen Berichterstattung und macht dies an der Amokfahrt von Nizza und dem Putschversuch in der Türkei fest: Die Berichterstattung unter dem Diktat der Hochgeschwindigkeit werde für den Leser zu einem zeitfressenden, sich endlos dahin windenden Annäherungsprozess an die Wahrheit. Michal hat für die vorschnelle Berichterstattung der Medien einen Vergleich: “Das ist so, als würde ein Dachdecker einem Hausbesitzer sagen, ich habe zwar keine Ahnung vom Dachdecken, aber Sie können mir dabei direkt über die Schulter schauen, oder noch besser: Wir decken das Dach gemeinsam. Eine solche Haltung mag außerordentlich sympathisch sein, führt aber über kurz oder lang zu der Einstellung, dass man besser nichts von dem glauben sollte, was berichtet wird.”

2. “Deutsches Serial” – gute Podcasts, miese Vermarktung
(marckrueger.tumblr.com)
Der “Rundfunkfritze” Marc Krüger freut sich über den amerikanischen Podcast-Erfolg “Serial”. Dadurch könnten Radiomacher immer etwas Großes, Erfolgreiches nennen, wenn sie nach Innovationen gefragt werden. Krüger beschreibt, warum “Serial” so erfolgreich geworden ist. Aber auch in Deutschland seien einige serial-artige Produktionen entstanden, die jedoch wenig bekannt seien. Damit dies nicht so bleibt, nennt er einige seiner Lieblingsproduktionen, inklusive Inhaltsbeschreibung und Downloadlink.

3. Warum die Medien sofort aufhören müssten, über Nizza zu berichten
(vice.com, Matern Boeselager)
“Warum ignorieren wir den Terror nicht einfach”, fragt Matern Boeselager. Terror funktioniere nur, weil wir ihm Aufmerksamkeit schenken. “Angenommen, die Medien würden nach einem solchen Anschlag nur melden, dass er passiert ist. Ansonsten würde nur mitgeteilt, was unbedingt notwendig ist: Die Opferzahlen, ob der Täter noch auf freiem Fuß ist oder nicht, ob der Flughafen gesperrt ist. Niemand würde den Namen des Täters nennen, niemand seine Tagebücher oder Fotos seines Hauses veröffentlichen. Niemand würde ihn unsterblich machen.”

4. Verschleiern oder «köpfen», das ist hier die Frage
(infosperber.ch, Jürgmeier)
Die Webseite «The Headless Women of Hollywood» (Die kopflosen Frauen von Hollywood) sammelt Filmplakate, auf denen Frauen als gesichtslose, austauschbare Objekte vorkommen. Der Artikel des “Infosperber” zieht einen Vergleich der “geköpften” Filmplakatfrauen mit der Verschleierung. Dabei geht es vor allem um den Mann: “Ein kurzer Blick auf nackte Haut kann ihn nachhaltig verwirren & ins sündige Elend stürzen. Davor muss er mit der Verschleierung «des Weiblichen» geschützt oder durch das Köpfen «der Frau» zumindest verhindert werden, dass sie ihn, so die Unterstellung, bei gierigen Blicken oder unzüchtigen Phantasien angesichts ihres (zerstückelten) Körpers ertappt. Das heisst für «die Frau»: Asexueller Kopf oder verführerischer Leib. Verschleiern oder «köpfen». Das ist hier die Frage.”

5. „So etwas interessiert einfach jeden“
(taz.de, Jens Mayer)
Jens Mayer von der “taz” macht auf das vielfach ausgezeichnete Interaktiv-Team der “Berliner Morgenpost” und ihre Produktionen aufmerksam. Neben “Zeit Online”, der 2010 gegründeten Agentur “Open Data City” und dem gemeinnützigen Recherchezentrum “Correctiv” gehöre die “Berliner Morgenpost” zu den populärsten Vorreitern des Datenjournalismus in Deutschland. Mayer hat mit Teamleiter Julius Tröger über einige der populären Anwendungen wie den “Zugezogen-Atlas” gesprochen, für die die Morgenpost Netz-Berühmtheit erlangte.

6. „6 vor 9“-Sonderausgabe zu den aktuellen Geschehnissen in der Türkei
(bildblog.de, Lorenz Meyer)
Ausnahmsweise ein BILDblog-Verweis: Unsere “6 vor 9”-Sonderausgabe von gestern. Mit ausgewählten Medienlinks zum Geschehen in der Türkei.

Schlecht, schlechter, Geschlechtertrennung

Gestern Abend lief im WDR ein interessanter Reisebericht: “Eberl entdeckt den Iran — Reform unter Beobachtung”. TV-Journalist Jens Eberl ist mit seiner Kollegin Zoya Ghoraishi durch den Iran gereist, rausgekommen ist eine knapp 30-minütige “Weltweit”-Reportage.

Darin auch dieser Dialog an einer Bushaltestelle (ab Minute 6:14):

Ghoraishi: Na, fällt Dir bei den Bussen was auf?

Eberl: Haben schon ein paar Jahre auf dem Buckel, würde ich sagen.

Ghoraishi: Aber was anderes meine ich jetzt.

Eberl: Was denn?

Ghoraishi: Guck mal, wo die Frauen sitzen und wo die Männer sitzen. Wenn der Fahrer ein Fahrer und nicht eine Fahrerin ist, dann sitzen Männer vorne und Frauen hinten. Wenn der Bus aber von einer Frau gefahren wird, dann sitzen Frauen vorne und Männer hinten.

Schnitt. Ab in die U-Bahn in Teheran …

… dazu sagt ein Sprecher:

Strikte Trennung auch in der U-Bahn: Frauen links, Männer rechts.

Das Social-Media-Team der “Tagesschau” hat diese kurze Passage aus Eberls Iran-Beitrag genommen und bei Facebook gepostet. Dazu eine deutliche Ansage, wie es mit der Geschlechtertrennung im öffentlichen Nahverkehr im Iran aussieht:

Ganz so einfach ist es allerdings nicht. In Stadtbussen gilt in der Tat eine klare Trennung nach Geschlechtern. Bei Nacht- und Reisebussen scheinen die Iraner diese Trennung nicht ganz so genau zu nehmen — jedenfalls berichten einige Touristinnen, dass sie bei Fahrten neben Männern saßen.

In der U-Bahn in Teheran wird, anders als vom WDR im TV und von der “Tagesschau” bei Facebook behauptet, nicht “strikt getrennt”. Es gibt im Iran zwar — wie in anderen Ländern — “women only”-Abteile, Frauen dürfen sich aber auch in alle anderen Waggons setzen oder stellen. So steht es in Reiseblogs, bei “Wikipedia”, im “Guardian” und so ist es in Videos zu sehen.

Es gibt sicher einiges, was man an der rechtlichen Situation der Frauen im Iran kritisieren kann. U-Bahn-Fahrten gehören aber nicht dazu. Die “women only”-Waggons könnte man sogar als Zusatzangebot für Frauen interpretieren, die in überfüllten Zügen nicht zwischen Männern eingeklemmt sein wollen.

Der Videoclip im Facebook-Post der “Tagesschau” hat inzwischen mehr als 250.000 Aufrufe. Im Kommentarbereich darunter regen sich zahlreiche User auf:

Das stimmt einfach mal nicht!

Im Iran ist bei Leibe nicht alles Friede Freude Eierkuchen und mit Frauenrechten ist es nicht weit her aber dieser Bericht ist schlicht falsch!

Das stimmt doch gar nicht, ich war in Teheran, bin mit der U Bahn gefahren und stand zwischen Männern und Frauen.

Diese Art der Berichterstattung ist schlicht und ergreifend eine Unverschämtheit. Dass selbst die Tagesschau sich auf dieses Niveau herab lässt ist wirklich traurig und armselig.

Ach du meine Güte! Ich bin leider gerade etwas schockiert über die Berichterstattung der tagesschau.

Wow… Wieder einmal verlogene hetze von den öffentlich Recht-lichen???

LügenMedien halt!

Andere User glaubten dem Beitrag, fanden den Inhalt aber trotzdem blöd und kommentierten im “Danke Merkel”-Stil:

Die bringen so ein Post weil se uns das Schmackhaft machen wollen… bald wird es hier auch so sein #wirschaffendas

Na das werden wir auch bald einführen müssen. Besonders für Frauen die allein unterwegs sind, wird das wohl interessant. Andererseits würde es bei uns aber eigentlich nichts bringen, da es keine Strafen geben würde wenn sich jemand nicht dran hält. Es sei denn wir führen die Scharia Polizei ein. Allerdings müssten wir vorher erstmal alle zum Islam konvertieren. Genau, das ist doch die Idee. Nicht die Migranten passen sich an, sondern die Deutschen müssen sich anpassen, oder?

Kommt bei uns auch bald. Deutschland soll sich ja under dieser Regierung gefälligst an den Islam besser anpassen.

Nach etwa 400 Kommentaren, von denen geschätzt 70 Prozent den Inhalt des Videos als falsch bezeichnen, reagierte das Social-Media-Team der “Tagesschau”:

Nach der “Konkretisierung” des “Teasertextes” heißt es nun nicht mehr “Im Iran gilt eine strikte Geschlechtertrennung in Bussen und U-Bahnen”, sondern:

Mit Dank an Helena und Kai für die Hinweise!

“Wie erkläre ich’s meinem Kind”? So am besten nicht!

Bei FAZ.net gibt es die Rubrik “Wie erkläre ich’s meinem Kind?”, die Redaktion verspricht dort “einfache Antworten auf kniffelige Fragen”. Zum Beispiel: “Warum wir eine Gänsehaut bekommen”. Oder: “Wann die Menschen zu lesen begannen”. Die aktuellste Ausgabe der “einfachen Antworten” hat FAZ.net bei Twitter gestern Abend so angekündigt:

Screenshot eines Tweets von FAZ.net - Bei der Reichspogromnacht vor achtzig Jahren war es ein bisschen wie bei jeder Prügelei auf dem Schulhof: In der Gruppe werden selbst friedlichste Menschen manchmal brutal. Warum Gewalt ansteckend sein kann

Die Reichspogromnacht, bei der “es ein bisschen wie bei jeder Prügelei auf dem Schulhof” gewesen sein soll? Ein Nazi-Verbrechen mit vielen Todesopfern, Verhaftungen Unschuldiger, brennenden Synagogen und zerstörten Geschäften jüdischer Mitbürger, bei dem “es ein bisschen wie bei jeder Prügelei auf dem Schulhof” gewesen sein soll? Die FAZ.net-Redaktion hat den Tweet später aus guten Gründen gelöscht und “für die verkürzte Darstellung und den ungewollten Vergleich” um Verzeihung gebeten (wobei wir uns durchaus fragen, was an einem Vergleich von Schulhofprügeleien und Novemberpogrom eine “verkürzte Darstellung” sein soll und wie ein “ungewollter Vergleich” in einem per Hand verfassten Tweet landet).

Tweet gelöscht, um Entschuldigung gebeten — also wieder alles in Ordnung? Leider nicht. Denn erstens findet man den grausigen Vergleich noch immer auf FAZ.net.* Und zweitens ist der dazugehörige Text zwar längst nicht so schlimm wie die Ankündigung bei Twitter, diskussionswürdig ist er trotzdem.

Im Artikel von Julia Schaaf geht es hauptsächlich um Gruppendynamiken, um Mitläufer und Mittäter und um die Frage, “warum Gewalt ansteckend sein kann”. So steht es auch in der Überschrift:

Screenshot FAZ.net - Wie erkläre ich es meinem Kind? Warum Gewalt ansteckend sein kann

Schon klar: Schaafs Text richtet sich an Kinder und muss allein daher etwas vereinfachen. Zur Veranschaulichung hätte sie sicher einige konkrete Beispiele finden können. Etwa die Ausschreitungen rund um den G20-Gipfel, wo wohl auch Menschen an Plünderungen teilgenommen haben, die vermutlich nicht mit dieser Absicht ins Hamburger Schanzenviertel gefahren sind und sich erst vor Ort dazu entschieden haben mitzumachen. Oder die Prügeleien bei Fußball-Welt- beziehungsweise -Europameisterschaften.

Stattdessen wählte Schaaf die Reichspogromnacht. Und da liegt bereits das Problem: Die Wahl dieses Beispiels für eine Erläuterung des Phänomens Gruppendynamik reduziert eines der schlimmsten Verbrechen der deutschen Geschichte auf diesen Teilaspekt. Dadurch verschiebt sich der Fokus bei der Betrachtung der Reichspogromnacht im Artikel. Schaaf schreibt, “dass sich unter die plündernden Horden ganz normale Jugendliche mischten” — ihr Hauptthema lautet schließlich: Gruppendynamik. Doch das trifft den Kern nicht: Die Reichspogromnacht war eine staatlich organisierte Aktion, landesweit konzertiert, propagandistisch vorbereitet, antisemitisch motiviert, mit einer menschenverachtenden Ideologie versehen. Gruppendynamiken haben bestimmt auch eine Rolle gespielt, aber nicht die entscheidende.

So bleibt auch im Artikel der unglückliche Dreiklang: Reichspogromnacht – Gruppendynamik – Schulhofkeilerei. Im überarbeiteten Teaser heißt es bei FAZ.net:

In Gruppen kann es manchmal passieren, dass selbst friedliche Menschen brutal werden. Das ist vor achtzig Jahren passiert, und ab und zu passiert es heute sogar auf dem Schulhof.

*Nachtrag, 13:42 Uhr: Die Redaktion von FAZ.net hat reagiert und nun auch diese Stelle aktualisiert.

“Familie Porno” bei Bild.de, “Familie Porno muss ausziehen”

Im bayerischen Waldkraiburg hat eine fünfköpfige Familie eine Kündigung für ihre Wohnung erhalten, bis zum 20. November soll sie raus. Das allein ist noch nicht unbedingt der Stoff, der bei der Bild.de-Redaktion für Interesse sorgt. Nimmt man aber den Beruf der beiden Eltern dazu, sieht das schon ganz anders aus:

Screenshot Bild.de - Kündigung kurz vor Weihnachten! Familie Porno muss ausziehen - Anna (33) und Christian (37) drehen erotische Clips in ihrer Wohnung - das passt dem Vermieter nicht

Die Dreifach-Eltern, die ihre Brötchen als “Vika Viktoria” und “Bayernsepp” mit Pornos verdienen, haben die fristlose Kündigung für ihre Vier-Zimmer-Wohnung (100 qm) bekommen!

Die Vorwürfe des Vermieters: Ruhestörung und gewerbliche Nutzung. “Wir haben nicht lauter Sex als andere Mieter im Haus auch”, rechtfertigt sich Christian L. (37, gelernter Koch). “Und wenn das Hochladen von Clips schon als gewerbliche Nutzung gilt, dürfte ja auch kein YouTuber in seiner Wohnung arbeiten.”

Nun kann man von dem Vorgehen des Vermieters halten, was man will. Dass “Vika Viktoria” und “Bayernsepp” ihre Videos, mit denen sie ihr Geld verdienen, in der privaten Wohnung drehen, könnte aber tatsächlich ein Problem sein, erklärt bei Bild.de Ulrich Ropertz vom Deutschen Mieterbund:

Grundsätzlich habe der Vermieter aber nicht ganz unrecht: “Jede Tätigkeit, mit der Geld verdient wird, kann als gewerbliche Nutzung ausgelegt werden, die eine Kündigung dann rechtfertigt, wenn es hierdurch zu Beeinträchtigungen für die Nachbarn kommt.”

Bleibt noch die Frage, wie der Vermieter überhaupt rausfinden konnte, was seine Mieter hinter der Wohnungstür so treiben.

Bild.de vor zwei Wochen:

Screenshot Bild.de - Anna und Christian verdienen ihr Geld mit Porno-Filmen - Wenn die Kinder zur Schule sind, gehen die Rollläden wieder runter

Das Paar aus dem oberbayerischen Waldkraiburg (23 000 Einwohner) lernte sich vor 17 Jahren kennen — und begann 2017, zusammen erotische Clips zu drehen und sie im Internet zu teilen. Inzwischen lebt die Familie davon: SIE bekam als “Vika Viktoria” kürzlich den Venus-Award für die beste Newcomerin. ER spielt als “Bayernsepp” vorzugsweise den Klempner oder den Hausmeister. (…)

Dann werden die Rolladen wieder heruntergelassen — die 4-Zimmer-Wohnung (100 qm) verwandelt sich in ein Porno-Set

Das ist wirklich praktisch: Bei Bild.de schaffen sie mit dem einen “Bild plus”-Artikel die Grundlage für den nächsten.

Kurz korrigiert (524 & 525)

Gestern gab es die traurige Nachricht, dass The Prodigy-Sänger Keith Flint gestorben ist. Bei Bild.de bekommen sie es leider nicht hin, für ihre Art Nachruf Flints Karriere und die The Prodigy-Diskografie richtig zu recherchieren:

1992 schaffte die Band mit dem Song “Out of Space” den internationalen Durchbruch. Flint übernahm jedoch erst 1996 den Gesang — und sorgte mit “Firestarter” für einen der größten Hits der 90er Jahre.

Mit Hits wie “No Good” und “Smack My Bitch Up” konnten The Prodigy in den folgenden Jahren an ihre Erfolge anknüpfen.

… schreibt die Bild.de-Redaktion — und liegt damit daneben: Der Song “No Good” erschien bereits 1994, also zwei Jahre vor “Firestarter”.

***

Doch bei Bild.de können sie nicht nur Diskografien durcheinanderbringen, sondern auch Sprichwörter — in diesem Artikel:

Screenshot Bild.de - Beef im Buckingham Palast? Hier reißen sich Meghan und Kate die Haare aus!

Nach drei umdenheißenbreirumschreibenden Absätzen (unter anderem mit dem sagenhaften Brüller “Etikette kommt hier nicht von ‘die Nette'”) folgt die Auflösung zur vermeintlichen royalen Haarereißerei:

Gott sei Dank alles nur Theater!

Die royale Keilerei ist ein Gag der britischen Künstlerin Alison Jackson (48).

Die Fotografin ist dafür bekannt, mit Doppelgängern Promis in intimen Situationen zu inszenieren. Wer sich die Fotos genau anschaut, erkennt: Kate und Meghan sind NATÜRLICH nicht echt. Jackson lässt die Lookalikes gerade für eine Theater-Show in London aufeinander los.

Unter einem Foto, das die echte Kate und die echte Meghan zeigt, steht die unfreiwillig lustige Bildunterschrift:

Screenshot Bild.de - Kate und Meghan: Ein Herz und eine Seele? Oder doch wie Pech und Schwefel?

Vielleicht sollten die Mitarbeiter von Bild.de mal bei “Geolino” nachschauen — dort wissen sie nämlich, dass “wie Pech und Schwefel” nicht das Gegenteil von “ein Herz und eine Seele” ist.

Mit Dank an Gunnar und @PostiLeaker für die Hinweise!

Christchurch, “Künstlerische Freiheit”, Tragödienjournalismus

1. Der Troll-Terrorist
(spiegel.de, Sascha Lobo)
Der Terroranschlag auf Moscheebesucher im neuseeländischen Christchurch wurde vom Täter in Echtzeit bei Facebook gestreamt. Dazu veröffentlichte der Mann eine Art Manifest. Er verknüpfe “seine faschistische Ideologie mit der Netzkultur”, schreibt Sascha Lobo: “Die mediale Verbreitung der Tat ist Teil des Terrors — wir müssen uns hüten, unabsichtlich mitzumachen.”
Weitere Lesehinweise: Auch Simon Hurtz warnt in seinem Beitrag davor, Attentätern eine Bühne zu geben: “Wer nicht will, dass Terroristen Aufmerksamkeit für ihre Verbrechen bekommen, sollte ihre Selbstinszenierung nicht verbreiten: keine Links auf ihre Manifeste, keine Ausschnitte aus ihren Videos, keine Bilder, am besten nicht einmal ihre Namen nennen.”
Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen kritisiert Medien wie “Bild”, deren Verhalten er “grotesk” nennt (deutschlandfunkkultur.de, Gesa Ufer).
Außerdem lesenswert der Bericht über das Bemühen von Polizei und sozialen Medien, das Video aus dem Netz zu entfernen: Polizei will Anschlag-Videos aus dem Netz tilgen (spiegel.de, Sonja Peteranderl).
Und Stefan Fries erklärt noch einmal gründlich, “warum es falsch ist, die Namen der Täter und ihr Manifest zu veröffentlichen”.
In einem Twitter-Thread hinterlässt Journalist Georg Diez “ein paar Worte zu dem Tweet von AKK, die ja doch die nächste Bundeskanzlerin werden will”.

2. Wenn dem Sprecher schlecht wird
(blog.tagesschau.de, Kai Gniffke)
Vergangenen Donnerstag erlitt “Tagesschau”-Sprecher Jan Hofer vor laufenden Kameras einen Schwächeanfall. Vor allem die Boulevardmedien weideten das Geschehen verkaufsorientiert und klickheischend aus. ARD-Aktuell-Chefredakteur Kai Gniffke berichtet, wie es Jan Hofer mittlerweile geht (deutlich besser), und erklärt, wie hoch die Belastung als “Tagesschau”-Sprecher ist, ob es ein Krisenszenario für solche Fälle gibt und warum die Kamera so lang auf Hofer stehen blieb.

3. “Tragödienjournalismus außer Rand und Band”: Medienethikerin über den Fall Rebecca und Reporter im Jagdfieber
(meedia.de, Thomas Borgböhmer)
“Meedia” hat sich mit der Medienethikerin Marlis Prinzing unter anderem über die Frage unterhalten, warum sich die Familie der verschwundenen 15-jährigen Rebecca eine Reporterin der “Bunte” ins Haus holte: “Es ist nachvollziehbar, dass eine Familie auch emotional völlig durcheinander ist, wenn eine 15-jährige über Wochen hinweg verschwunden bleibt und mit allem zu rechnen ist. Nachvollziehbar ist ferner, dass Menschen in solchen Extremsituationen überfordert und wenig rational reagieren. Nicht nachvollziehbar ist hingegen, wenn manche Medien diesen emotionalen Ausnahmezustand als Freibrief und als Einfallstor nutzen, um eine reichweitenträchtige Schicksalsstory rund um ein mutmaßliches Verbrechen aus dem Esszimmer der Betroffenen zu erzählen und jedem, dem das gefällt, ermöglichen, sich aus der Nähe am Leid der anderen zu vergnügen.”

4. Nach Relotius: Die Kunst der wahren Erfindung
(nzz.ch, Rainer Stadler)
Wie weit darf die künstlerische Freiheit in der Reportage gehen? Darüber scheinen die Meinungen immer noch auseinanderzugehen. Hochkarätige Journalisten und Verfasser von Journalismus-Lehrbüchern vertreten beziehungsweise vertraten den Standpunkt, man könne Aussagen von verschiedenen Personen auf eine Figur “zusammenziehen”. Doch mit dieser Methode begebe man sich auf eine Gratwanderung, wie Rainer Stadler in seiner Kolumne ausführt. Entscheidend sei Transparenz: “Entsprechend sollte man am Ende einer verdichteten Erzählung darlegen, mit welchen und wie vielen Personen gesprochen wurde. Erklärungsbedürftig sind ferner die in Reportagen beliebten filmreifen Szenen, welche die Illusion einer Augenzeugenschaft des Autors schaffen. Wer sein Tun offenlegt, stärkt seine Glaubwürdigkeit. Das ist nötiger denn je.”

5. Post aus Washington
(getrevue.co, Fabian Reinbold)
Fabian Reinbold berichtet für t-online.de aus Washington. Einmal die Woche schickt er seinen Newsletter-Abonnenten “Post aus Washington”. Diesmal hat sich Reinbold für seine Leserschaft aufgeopfert und eine Woche Donald Trumps Lieblingssendung “Fox & Friends” angeschaut. Das liest sich nicht nur unterhaltsam, sondern trägt auch zum tieferen Verständnis des Systems Trump bei.

6. Frank A. Meyer über Moral und Manipulation in den Medien
(blick.ch, Frank A. Meyer, Video: 6:13 Minuten)
Der Schweizer Journalist und Ringier-Berater Frank A. Meyer klagt in einer Wutrede die Medienbranche samt ihrer Mitglieder an: “Das sind heute Cliquen, Cliquen und Claquere! (…) Die applaudieren sich längst selbst, diese Journalistinnen und Journalisten. Es ist peinlich. Es gibt keinen einzigen Preis für Journalismus, der sich kritisch mit Journalismus auseinandersetzt.”

Toxisches Klima?, Fehlender Alltagsbezug, Burger-Desaster

1. “Du schaust aus wie eine Nutte”
(zeit.de, Christina Pausackl)
Dem österreichischen Medienmanager und Boulevard-Mogul Wolfgang Fellner wird von einer ehemaligen Mitarbeiterin, der Fernsehmoderatorin Raphaela Scharf, sexuelle Belästigung vorgeworfen. Der “Zeit” liegt ein Gedächtnisprotokoll über Scharfs Arbeitsalltag vor. Immer wieder soll Fellner ihre Brüste und ihren Hintern kommentiert haben: Sie hätte “einen super Popsch”, sie seien “das perfekte Paar”. Außerdem habe er versucht, sie zu küssen. Fellner bestreitet vor Gericht bisher jegliche Anschuldigungen. Diese seien “frei erfunden”, die Anbahnungen seien vielmehr von Raphaela Scharf ausgegangen. Christina Pausackl ist dem Fall für die “Zeit” nachgegangen und auf ein toxisches Arbeitsumfeld gestoßen.
Weiterer Lesehinweis mit Bezug zu Fellner: Die rätselhafte Kampagne von “Österreich” gegen Ulli Sima: “Von Ende 2018 bis Anfang 2020 fährt die Tageszeitung ‘Österreich’ eine Negativkampagne gegen die damalige Wiener Umweltstadträtin Ulli Sima. Insgesamt erscheinen über 50 negative, spöttische und unsachliche Artikel über sie. Vier davon haben sogar rechtliche Folgen.” (kobuk.at, Christina Sauprigl)

2. Systemrelevante Existenzangst
(journalist.de, Caroline Lindekamp)
Wenig Rücklagen, wenig Sicherheit, wenig staatliche Hilfe – für viele freiberufliche Medienschaffende stellt die Corona-Pandemie eine besondere Herausforderung dar. Mehr denn je sind Eigeninitiative und Idealismus gefragt. Doch reicht das in diesen schwierigen Zeiten? Caroline Lindekamp hat sich in der Branche umgehört.

3. Es ist nicht unser Job, dass sich alle gut vertragen.
(planet-interview.de, Jakob Buhre)
Der Journalist Sebastian Esser ist nicht nur Mitgründer der “Krautreporter”, sondern hat auch Steady aus der Taufe gehoben, eine Finanzierungs-Plattform für digitale Inhalte. Jakob Buhre hat Esser zur Entwicklung der Plattform befragt. Es geht um Themen wie Pressefreiheit, Clickbait und Community-Regeln, aber auch um den Fall Boris Reitschuster. (Transparenzhinweis: Auch wir vom BILDblog nutzen Steady.)

4. Verpflichtung von Linda Zervakis: Pro Sieben zeigt, warum wir das Privatfernsehen noch brauchen
(rnd.de, Matthias Schwarzer)
Viele Jahre hat Linda Zervakis für die Öffentlich-Rechtlichen gearbeitet und dort unter anderem die “Tagesschau” moderiert. Nun wechselt sie zu ProSieben. Zervakis soll gemeinsam mit Matthias Opdenhövel ein Informationsformat moderieren. Matthias Schwarzer ordnet die Personalie ein, die Teil einer Programmoffensive ist.

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5. Jugendlichen fehlt bei Nachrichten oft Alltagsbezug
(deutschlandfunk.de, Mike Herbstreuth & Antje Allroggen, Audio: 4:46 Minuten)
Das Leibniz-Institut für Medienforschung hat in einer Studie (PDF) die Nachrichtenkompetenz von Jugendlichen untersucht. Demnach sollen journalistische Nachrichten in der Altersgruppe zwischen 14 und 24 Jahren an Relevanz verloren haben. Die Studienmacher empfehlen den Redaktionen, nach neuen Ansätzen zu suchen, die Alltagsrelevanz von Nachrichten herauszuarbeiten: “Es ist eine Aufgabe des Journalismus zu zeigen: Warum sind diese Informationen für mich und meinen Alltag wichtig und relevant.”

6. Das große Burger-Desaster
(sueddeutsche.de, Thorsten Denkler)
Der US-amerikanische TV-Sender Fox News hat tagelang und ausgiebig über ein angebliches Fleischverbot durch Präsident Joe Biden berichtet. Aus Klimaschutzgründen wolle Biden von den US-Amerikanern verlangen, ihren Rindfleischkonsum um 90 Prozent zu reduzieren. Das Problem: Biden hat dies nie gesagt, die Geschichte ist frei erfunden. Nun musste der Sender zurückrudern. Thorsten Denkler kommentiert: “Fox News hat den Fehler zwar eingeräumt. Die Geschichte wird dennoch auf kommenden Grillfesten Gesprächsthema sein. Das ist das Dilemma, das solche Falschinformationen mit sich bringen, sagt der frühere Obama-Berater Dan Pfeiffer in der Washington Post: ‘Wenn du darauf reagierst, riskierst du, der Geschichte zusätzlichen Sauerstoff zu geben.'”

Journalistische Interessenkonflikte, Bürgertalk, Scientist-Rebellion-Leak

1. “Politisches oder sonstiges Engagement sind generell kein Ausschlussfaktor”
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock war Anfang der Woche in der “Wahlarena” der ARD zu Gast. Im Verlauf des Abends meldeten sich unter anderem zwei Männer zu Wort, die sich jeweils mit ihrem Namen vorstellten. Bei dem einen handelt es sich um ein Mitglied der AfD-Bürgerschaftsfraktion in Lübeck, bei dem anderen offenbar um einen Mitarbeiter des zweitgrößten deutschen Stromerzeugers. Dies wurde jedoch nicht offen kommuniziert. Boris Rosenkranz fragt: “Ein Bürgertalk, in dem auch aktive Parteipolitiker sitzen und Mitarbeiter großer Konzerne – wäre es nicht relevant fürs Publikum, zu wissen, wer diese Leute sind und welchen Hintergrund sie haben?”

2. Journalistische Interessenkonflikte
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers, Audio: 6:00 Minuten)
Der Fernsehsender RTL will seriöser, nachrichtlicher und politischer werden und hat dazu öffentlich-rechtliche Nachrichtengrößen wie Jan Hofer und Pinar Atalay engagiert. Eine wichtige Rolle in der RTL-Politik-Berichterstattung nimmt auch Chefreporterin Franca Lehfeldt ein, die seit Jahren mit FDP-Spitzenkandidat Christian Lindner liiert ist. Das kann zu möglichen Interessenkonflikten führen.

3. Keine Pressefreiheit im Baumhaus
(freelens.com, David Klammer)
Der Fotograf und Dokumentarfilmer David Klammer war im Dannenröder Forst, um Aufnahmen der dortigen Proteste zu machen. Jetzt soll er dafür zahlen, dass die Polizei ihn aus Baumhäusern geräumt hat. “Ein Unding”, finden Klammer und dessen Anwalt, sie haben Beschwerde eingelegt. Freelens, ein Berufsverband für Fotojournalistinnen und Fotografen, unterstützt David Klammer in dem nun anstehenden Rechtsstreit mit dem Land Hessen.

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4. “Ein Leak – weil es dramatisch ist”
(tagesschau.de, Ingrid Bertram)
Der dritte Teil des Berichts des Weltklimarats (IPCC) soll eigentlich erst im März 2022 veröffentlicht werden. Der Entwurf wurde jedoch bereits im August von einer Organisation namens Scientist Rebellion an Medien geleakt. Die “Tagesschau” hat sich mit den Aktivisten und Aktivistinnen über deren Beweggründe und konkrete Sorgen unterhalten.

5. Kritik am Prozess gegen den Produzenten des Ibiza-Videos
(netzpolitik.org, Markus Reuter)
In einer gemeinsamen Stellungnahme kritisieren mehrere Menschenrechtsorganisationen und Journalistenverbände die “ausufernde Strafverfolgung” gegen den Produzenten des Ibiza-Videos. Sie appellieren: “Die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden muss objektiv und parteiunabhängig erfolgen. Schon der Anschein der politischen Einflussnahme auf die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden birgt eine Gefahr für den Rechtsstaat. Bis Ende 2021 hat Österreich Zeit, die EU-Richtlinie zum Schutz von Whistleblower*innen umzusetzen. Bei diesem wichtigen Projekt muss besonders acht auf den Schutz von Hinweisgeber*innen gelegt werden.”

6. “Bild”-Zeitung muss künftig im Sondermüll entsorgt werden
(der-postillon.com)
“Der Postillon” hat wie immer Informationen, die (aus nachvollziehbaren Gründen) sonst keiner hat: “Nach Appellen von Umweltexperten ist heute die Abfallverzeichnis-Verordnung (AVV) ergänzt worden, die festlegt, wie Abfälle entsorgt werden müssen. Das teilte die Arbeitsgemeinschaft der Sonderabfall-Entsorgungs-Gesellschaften der Länder (AGS) mit. Demnach müssen sämtliche Exemplare der ‘Bild’-Zeitung künftig in den Sondermüll gegeben werden.”

KW 23/22: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. Klimakrise: Das lange Warten auf den Journalismus
(youtube.com, re:publica, Wolfgang Blau, Video: 24:12 Minuten)
Wolfgang Blau ist Mitgründer des neuen “Oxford Climate Journalism Network” und setzt sich dafür ein, dass Medien ihre Berichterstattung zur Klimakrise verbessern. In seinem Vortrag auf der re:publica erklärt der frühere “Zeit-Online”-Chefredakteur anhand praktischer Vorschläge und Beispiele, was Redaktionen und Medienschaffende dafür konkret tun können.

2. Medienmachende als Marke
(youtube.com, re:publica, Richard Gutjahr, Video: 45:59 Minuten)
Und noch ein Beitrag von der re:publica: Richard Gutjahr hat sich dort mit drei Personen aus der Medienbranche unterhalten, die es geschafft haben, sich als Marke zu etablieren: Eva Schulz, Tilo Jung und Iris Gavric. Wie sind die drei so erfolgreich geworden? Und sind sie selbst die Marke oder deren Formate?

3. Linus Neumann – Chatkontrolle oder digitale Notwehr?
(ardaudiothek.de, Jagoda Marinić, Audio: 1:49:15 Stunden)
Bei “Freiheit Deluxe”, einem Podcast des Hessischen Rundfunks und des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, begrüßt Jagoda Marinić den Digital- und Netzpolitik-Experten Linus Neumann vom Chaos Computer Club. In dem Gespräch geht es unter anderem um Nerds und Hacker, die umstrittenen Pläne zur Chatkontrolle, die Vorzüge des dezentralen Netzwerks Mastodon und die Frage, wie die Internetplattformen unsere Freiheit unterlaufen.

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4. Strategiespirale mit Jan Schulte-Kellinghaus
(dennishorn.de, Audio: 47:05 Minuten)
Nach Stationen beim ZDF und NDR ist Jan Schulte-Kellinghaus nun als Programmdirektor des rbb tätig. Dennis Horn spricht mit ihm über “Boomer und Digitalkompetenz, alte und neue Erfolgskriterien und die Herausforderung, Dinge wegzulassen”. Den Medienwandel erlebt Schulte-Kellinghaus unmittelbar in der eigenen Familie: “Was mich am meisten beeinflusst hat, ist das Mediennutzungsverhalten meiner Tochter. Die ist 19 Jahre alt, und die guckt keine Filme mehr mit uns, die guckt auch kein Fernsehen mehr. Die hört auch kein Radio, obwohl wir sehr viel dafür getan haben, dass sie es tut.”

5. Das False-Balance-Dilemma
(youtube.com, Medientage Mitteldeutschland, Video: 59:50 Minuten)
Was können Redaktionen, Journalistinnen und Journalisten tun, um das Problem der False Balance zu überwinden und gleichzeitig ihrem journalistischen Handwerk gerecht zu werden? Wo liegt die Grenze zwischen Fakten und Meinung? Darüber diskutieren Jochen Bittner (Co-Leiter des Ressorts Streit bei der “Zeit”), Klaus Brinkbäumer (MDR-Programmdirektor), Kirsten von Hutten (Sprecherin des Deutschen Presserats) und Maren Urner (Professorin für Medienpsychologie an der HMKW Köln).

6. Schottergärten im Visier: Wenn Kies und Co. die Natur verdrängen
(youtube.com, Der Spiegel – Nicola Goethe & Miriam Carbe, Video: 31:37 Minuten)
Bei Facebook und Instagram, nun ja, erfreuen sich jeweils mehr als 100.000 Fans an den “Gärten des Grauens”. Damit sind Schottergärten von besonderer Trost- und Grünlosigkeit gemeint. Das Satire-Projekt hat einen ernsten Hintergrund, wie in dem Film von “Spiegel TV” schnell klar wird.

“Bild” lässt Ministerium falsche acht Millionen Euro für eitle PR ausgeben

Am vergangenen Samstag gab es in der “Bild”-Zeitung mal wieder richtig Futter für all jene, die nur mit Verachtung auf Politik und die abgehobenen, eitlen Politiker schauen wollen. Auf Seite 1:

Ausriss Bild-Titelseite - Minister Heil - Acht Millionen Euro für Werbe-Filmchen - Bürgergeld-Ministerium sucht PR-Profis im Wahlkampf - von unserem Steuergeld

Und im Blatt:

Ausriss Bild-Zeitung - Acht Millionen Euro für Eitelkeit des Bürgergeld-Ministers! SPD-Politiker Hubertus Heil will mit teuren PR-Profis sein Image aufpolieren

“Bild”-Autor Dirk Hoeren schreibt in seinem Artikel über eine Ausschreibung des von Hubertus Heil geführten Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS):

Sein Name steht für die Einführung des umstrittenen Bürgergeldes: Sozialminister Hubertus Heil (51, SPD) hatte imagemäßig schon bessere Zeiten.

Doch offenbar will der Genosse jetzt gegensteuern. Bis zu acht Mio. Euro (zwei Mio./Jahr) legt Heil bereit, damit Social-Media-Experten im Internet für ihn PR machen.

Sein Ministerium hat einen “Rahmenvertrag Social Media” ausgeschrieben (liegt BILD vor). Gesucht wird demnach eine Agentur, die Beiträge, Videos und kurze Posts für das Ministerium auf Facebook, X (früher Twitter) und Instagram postet. Und zwar – zufällig – pünktlich vor der Bundestagswahl ab März 2025. Laufzeit: 36 Monate mit zwei Verlängerungsoptionen um jeweils sechs Monate.

Während es in den “Bild”-Überschriften so wirkt, als ginge es um eine fixe Summe von acht Millionen Euro, gibt Dirk Hoeren seinen Leserinnen und Lesern nur in der kurzen Passage “Bis zu acht Mio. Euro” eine minimale Chance, sich nicht gänzlich von ihm in die Irre führen zu lassen. Denn bei den acht Millionen Euro, die im vom BMAS ausgeschriebenen “Rahmenvertrag Social Media” (liegt auch uns vom BILDblog vor, so wie jeder anderen Person, die über einen Internetzugang verfügt) genannt werden, handelt es sich nicht etwa um eine feststehende Vergütung, sondern um ein maximales Auftragsvolumen. Das heißt: Diese Summe wird aller Voraussicht nach gar nicht ausgeschöpft. Die Vergütung für die Agentur, die den Zuschlag bekommt, erfolge auf Grundlage von Stundensätzen, wie uns das Ministerium auf Anfrage schreibt:

Im Rahmen des Vergabeverfahrens gemäß der Vergabeverordnung (VgV) geben die Bieter ein Angebot für Stundensätze ab, unterschieden nach den zu erbringenden Leistungen wie z.B. Gestaltung, Redaktion, Projektleitung, Geschäftsführung. Für den späteren Abruf von Leistungen aus diesem Vertrag sind die jeweils angebotenen Stundensätze während der gesamten Vertragslaufzeit verbindlich.

Schaut man in den aktuell laufenden Social-Media-Rahmenvertrag des BMAS, sieht man, dass so das maximale Auftragsvolumen nicht erreicht wird. Die entstehenden Kosten setzen sich aus verschiedenen Posten zusammen, schreibt uns das BMAS, neben den Agenturhonoraren beispielsweise “in beträchtlichem Umfang auch Fremdkosten wie Media- und Schaltleistungen”, also etwa für Werbeanzeigen:

So fielen während des laufenden Rahmenvertrags etwa 600.000 Euro jährlich für Agenturleistungen (Honorar) an, zuzüglich etwa 150.000 bis 200.000 Euro für Medialeistungen (Schaltkosten). Zusätzlich fielen Abrufe der Fachabteilungen des BMAS aus demselben Rahmenvertrag an.

Das ist zweifelsohne eine Menge Geld. Hochgerechnet auf vier Jahre aber deutlich weniger als acht Millionen Euro. Und damit weit entfernt von der Summe, die “Bild” und Dirk Hoeren ihrer Leserschaft als einzige präsentieren.

Auch bei den Inhalten des Auftrags wird die “Bild”-Leserschaft nicht vollumfänglich informiert. Ein Blick in die Ausschreibungsunterlagen des BMAS zeigt, dass es bei den gewünschten Leistungen, die die Agentur erbringen muss, um deutlich mehr geht als nur um “Beiträge, Videos und kurze Posts”. Unter dem Kapitel “Bedarfsbeschreibung” in der “Leistungsbeschreibung” findet man diese Auflistung:

Die Dienstleistung umfasst im Wesentlichen das folgende Leistungsspektrum:

• Projektmanagement
• Strategische Weiterentwicklung
• Redaktionelle Tätigkeiten
• Social Media Advertising
• Community Management
• Barrierefreiheit
• Monitoring & Reporting

Auch zu den gewünschten Inhalten der Social-Media-Beiträge äußert sich das Ministerium in der “Leistungsbeschreibung”:

Zu den wichtigsten Inhalten zählen:

• Minister-Videos, etwa von Terminbegleitungen und Betriebsbesuchen, Ministerstatements, Bundestagsreden
• Service-Posts und Erklärcontent mit Infografiken oder Animationen zu aktuellen Kabinettsbeschlüssen, Gesetzgebungsverfahren oder zu den Themen des Hauses, z. B. Urlaubsanspruch, Pausenzeiten, Bürgertelefon
• Instagram Stories und Live-Tweets von Veranstaltungen
• Livestreams inkl. Ankündigungen
• Zitatkacheln mit Zitaten zu aktuellen Diskussionen und Themen

Bei “Bild” wird das einfach unter “Werbe-Filmchen” für Hubertus Heil und Förderprogramm für die “Eitelkeit des Bürgergeld-Ministers” subsumiert.

Zusätzlich zu all diesen inhaltlichen Verzerrungen gibt sich die “Bild”-Redaktion noch große Mühe, einen zeitlichen Zusammenhang mit der Bundestagswahl im September 2025 herzustellen: Das Ministerium suche “PR-Profis im Wahlkampf”, steht auf der Titelseite. In einem zusätzlichen Kommentar schreibt “Bild”-Redakteur Florian Kain:

Aber ausgerechnet im Jahr der Bundestagswahl 2025 wäre Zurückhaltung hier wirklich das Gebot der Stunde.

Und Dirk Hoeren schreibt bezüglich des Starts des ausgeschriebenen Auftrags:

Und zwar – zufällig – pünktlich vor der Bundestagswahl ab März 2025.

Vor dem Hintergrund dieser hämetriefenden und tendenziösen “Bild”-Geschichte dürfte man sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, wenn man sagt, dieses “zufällig” lässt sich als ironischer Einschub lesen. Aber tatsächlich ist das Wort, unironisch gelesen, in diesem Zusammenhang völlig richtig: Der aktuell laufende Social-Media-Rahmenvertrag endet, das Ministerium braucht ab dem 1. März 2025 einen neuen – und das ist eben zufällig im selben Jahr wie die Bundestagswahl.

Der neue Rahmenvertrag wird mindestens drei und maximal vier Jahre laufen, also definitiv in der kommenden Legislaturperiode. Ob Hubertus Heil dann noch Arbeits- und Sozialminister ist und ob er und seine Arbeit dann in den Social-Media-Posts überhaupt eine Rolle spielen, ist zum jetzigen Zeitpunkt alles andere als klar. Auch dieser Aspekt findet bei “Bild” keine Beachtung.

Dass und wie Dirk Hoeren hier an allen möglichen Verzerrern dreht, ist übrigens nichts Neues: Nach einem ganz ähnlichen Muster haben er und “Bild” vergangenes Jahr schon über Bundesumweltministerin Steffi Lemke, nun ja, berichtet.

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Prestigefrage, Frauenfrage, Haltungsfrage

1. Justiz blockt Neonazi-Watchblog
(tagesspiegel.de, Matthias Meisner)
Der “Tagesspiegel” berichtet über das Neonazi-Watchblog “Störungsmelder”, das seit neun Jahren bei den Kollegen von der “Zeit” gehostet werde. Dort würde fortlaufend über die rechte Szene berichtet, auch wenn sie mal nicht im Fokus der Öffentlichkeit stünde. Zuletzt beispielsweise über einen “Identitären”-Aufmarsch in Berlin, Verbindungen von Russlanddeutschen zur extremen Rechten und eine Sonnenwendfeier im schwäbischen Landkreis Neu-Ulm. Doch die “im besten Sinn journalistische Arbeit” hätte einen empfindlichen Dämpfer bekommen: Das Verwaltungsgericht Augsburg sehe im “Störungsmelder” kein Presseorgan und habe deshalb einem der Autoren die Auskunftsrechte gegenüber Behörden verweigert.

2. Benjamin Carter Hett: “Für den Spiegel ist das eine Prestigefrage”
(wolfgangmichal.de)
Das neue Buch des US-amerikanischen Historikers Benjamin Carter Hett über den Reichstagsbrand stellt die These vom Einzeltäter in Frage. Diese sei in den fünfziger Jahren vom “Spiegel” in die Welt gesetzt worden, so Wolfgang Michal auf seiner Seite. Nun ducke sich der “Spiegel” weg und sähe keinen Grund zur Selbstkorrektur. Während Ex-Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust in der “Welt am Sonntag” fünf Druckseiten für Hetts Buch freigeräumt hätte, sei es dem “Spiegel” bis heute keine Zeile wert. Wolfgang Michal hat mit dem Autor über die Gründe gesprochen und ihn nach den Ergebnissen seiner Recherchen gefragt.

3. Hartmut Schneider: „Blessuren gelten als Statussymbol“
(augenzeugen.info, Frank Überall)
Seit Jahren hält Hartmut Schneider photographisch Aufmärsche und Veranstaltungen von Neonazis fest – zu journalistischen, aber auch zu Dokumentationszwecken. Frank Überall hat ihn im Interview u.a. gefragt, warum er so viel Zeit auf solchen Veranstaltungen verbringen würde, auch wenn damit meist kein Geld zu verdienen sei. Schneider berichtet von aus dem Ruder gelaufenen Demos der Rechtenszene und erklärt, warum Deeskalation aus seiner Sicht nicht immer das Mittel der Wahl ist. So wünscht er sich zum Beispiel ein schnelleres und beherzteres Eingreifen den Polizei: “Ich habe in meiner langen Tätigkeit noch nie beobachtet, dass ein rechtsextremistischer Störer einen Platzverweis erhielt. Dagegen werden mir regelmäßig Platzverweise angedroht, weil ich angeblich die Arbeit der Polizei störe.”

4. Die FAZ, Jürgen Kaube und die Frauen
(www.rnd-news.de, Ulrike Simon)
Jürgen Kaube ist einer der vier Herausgeber der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” und dort zuständig für das Feuilleton. RND-Autorin Ulrike Simon wirft Kaube in ihrer neuesten Kolumne vor, ein Problem mit Frauen zu haben. Konkreter Anlass ist die Versetzung einer Redakteurin. Ulrike Simon hat sich im Hintergrund umgehört und spekuliert über die Gründe.

5. ROG-Korrespondent freigelassen
(reporter-ohne-grenzen.de)
Erol Önderoglu, seit 20 Jahren Korrespondent und Repräsentant von “Reporter ohne Grenzen” in Istanbul, wurde am 20. Juni zusammen mit anderen Menschenrechtsverteidigern verhaftet. Der Anlass: Önderoglu hatte sich an einer Solidaritätsaktion für die pro-kurdische Zeitung “Özgür Gündem” beteiligt. Nun ist er auf Anordnung eines Istanbuler Gerichts freigelassen worden. Die Anschuldigungen wegen angeblicher “Terrorpropaganda” würden aber weiterhin aufrechterhalten.

6. Michael Jackson und die Kinder
(perlentaucher.de, Thomas Groh)
Das amerikanische Klatsch- und Schmuddelmagazin “RadarOnline” hat den Polizeibericht der Hausdurchsuchung bei Michael Jackson aus dem Jahr 2003 veröffentlicht. “RadarOnline” würde unterstellen, es seien üble Bilder missbrauchter Kinder aufgefunden worden. Deutsche Medien wie die “Deutsche Welle” oder der “Rolling Stone” hätten die Meldung ungeprüft übernommen. Es handele sich jedoch bei den im Polizeibericht aufgeführten Büchern um bei Online-Buchhändlern frei verfügbare und keineswegs justiziable Werke. Thomas Groh dazu in seinem Schlussabsatz: “In erster Linie ist diese ganze Angelegenheit vor allem ein Lehrstück über journalistische Kultur im Zeitalter potenzierter Empörungswilligkeit. Es zeigt sich, mit welchen kleinen semantischen Verschiebungen sich ein Maximum an öffentlicher Welle hervorrufen lässt. Wer der Ansicht ist, dass die Behörden bei Michael Jackson Folter- und Missbrauchsmaterialien gefunden hat, geht seiner eigenen voyeuristischen Fantasie und der eigenen spekulativen Lust auf den Leim.”

7. Offener Brief an die AfD Bayern
(facebook.com, Lorenz Meyer)
Ausnahmsweise heute ein siebenter Link: Der in seiner Niedertracht schwer zu ertragende Facebook-Post der AfD-Bayern und die Antwort des BILDblog-6vor9-Kurators darauf.

RTL  

Thilo Sarrazins falsche Fakten über Flüchtlinge

Ich schüre keine Ängste, sondern ich bringe Fakten.

Das hat Thilo Sarrazin gesagt, als er vorgestern bei “RTL” auf dem “heißen Stuhl” saß.

Die Show “Der heiße Stuhl” gab es vor vielen Jahren schon mal, zuletzt 1994, jetzt hat “RTL” eine Neuauflage gewagt. Das recht simple Prinzip damals wie heute: Ein Mensch mit steiler These präsentiert seine steile These, andere Menschen mit ebenfalls klarer Meinung dürfen dagegenhalten. Und dieser Mensch mit steiler These war nun eben “der umstrittene Buchautor Thilo Sarrazin”.

Das Thema der Folge (Video, 42:13 Minuten) lautete: “Ein Jahr nach Köln — wie sicher ist Deutschland?” Sarrazin hatte eine wenig überraschende Antwort auf diese Frage: so gar nicht sicher. Angst wolle er damit aber nicht machen, nein, nein, sondern einfach mal Fakten nennen. Auffallend häufig betonte der frühere Berliner Finanzsenator, dass er dasunddas in Statistiken gelesen habe und dass niemand etwas gegen dieunddie Fakten sagen könne. In der Regel handelte es sich dabei um Fakten und Statistiken, die seine These vom sich abschaffenden Deutschland unterstützen.

Ein zentraler Punkt dabei: der Anteil junger muslimischer Männer unter den Flüchtlingen hier in Deutschland. Sarrazin sagte zu Beginn der Sendung:

Ich kann nur sagen, was man sehen kann aus den Fakten und aus dem, was man weiß, und den Statistiken. Und es ist erstmal sowieso ein Problem, unabhängig davon, ob jemand muslimisch ist oder nicht, wenn man jung ist, ist man jung, und wenn man jung ist und Mann, möchte man gerne auch was haben mit Mädchen und mit Frauen. Und wenn also eine Million junge Männer ins Land kommen, ohne Zugang zu Mädchen und Frauen, ist das schon sowieso ein Problem. Und es ist ein besonders großes Problem, wenn sie Muslime sind, denn sie haben ja keinen Zugang zu muslimischen Frauen. Sie können sich also nur an sogenannte “ungläubige Frauen” halten.

Mal den ganzen Quatsch vom “wenn man jung ist, ist man jung” beiseite: eine Million junge Männer seien laut Sarrazin als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen.

Wenig später sagte er in Richtung des Grünen-Politikers Kai Gehring, der ihn kritisiert hatte:

Herr Gehring, sie wollen doch einfach die Fakten nicht wissen. Erstmal, von denen, die kamen: Es sind bis jetzt in diesem Jahr 1,3 Millionen. Von denen sind 70 Prozent junge Männer.

70 Prozent von 1,3 Millionen Flüchtlingen sind 910.000. Nun also: 910.00 junge Männer seien laut Sarrazin 2016 als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen.

Dass der Zeitraum nicht so ganz stimmt, merkte er kurz darauf und korrigierte sich:

Es kamen ab dem Anfang vergangenen Jahres bis jetzt 1,3 Millionen, davon 890.000 im letzten Jahr. Und davon 70 Prozent junge Männer.

Jetzt aber: 910.000 junge Männer seien laut Fakten-Narr Sarrazin seit 2015 als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen.

Ende September dieses Jahres verkündete Bundesinnenminister Thomas de Maizière, dass 2015 rund 890.000 Flüchtlinge nach Deutschland kamen. Er sagte auch, dass vom 1. Januar bis zum 21. September 2016 knapp 210.000 neue Flüchtlinge gezählt wurden. Rechnet man diese Zahl aufs komplette Jahr hoch, dürften 2016 in etwa 290.000 Flüchtlinge hergekommen sein. Insgesamt, für 2015 und 2016 zusammen, also 1,18 Millionen. Die “1,3 Millionen” kann man Thilo Sarrazin schon durchgehen lassen.

Und davon sollen “70 Prozent junge Männer” sein? Ach, Du liebes bisschen!

Aus welcher Statistik Thilo Sarrazin diese Zahl hat? Das hat er auf dem “heißen Stuhl” nicht verraten. Gut möglich aber, dass er sie von Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer und/oder “Spiegel Online”-Kolumnist Jan Fleischhauer übernommen hat. Die beiden haben sie nämlich vor etwas über einem Jahr in die Welt gesetzt. Neuköllns früherer Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky hat sie nachgeplappert. So viel vorweg: Sie stimmt nicht.

Ein Blick auf offizielle Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zeigt: Der Anteil junger Männer ist deutlich geringer als von Palmer, Fleischhauer, Buschkowsky und Sarrazin behauptet. So verteilten sich die Asylerstanträge 2015 auf Männer und Frauen, aufgeschlüsselt nach Altersgruppen (PDF; schon klar, die Asylantragssteller sind nicht komplett deckungsgleich mit den nach Deutschland gekommenen Flüchtlingen. Da die Zahl der Asylanträge aber inzwischen sehr hoch ist, glauben wir, dass sie auch Aufschluss über die Zusammensetzung der hier lebenden Flüchtlinge geben kann):

Altersgruppe männlich weiblich
bis unter 16 64.475 52.533
16 bis unter 18 16.253 4.218
18 bis unter 25 88.121 21.551
25 bis unter 30 50.828 16.430
30 bis unter 35 32.923 13.775
35 bis unter 40 21.216 10.023
40 bis unter 45 13.704 6.490
45 bis unter 50 8.557 4.291
50 bis unter 55 4.711 2.778
55 bis unter 60 2.386 1.859
60 bis unter 65 1.294 1.088
65 und älter 1.116 1.279
Gesamt 305.584 136.315

Der Anteil der “jungen Männer” (18 bis einschließlich 34 Jahre) liegt für 2015 nicht bei 70, sondern bei 39 Prozent. Und selbst wenn man die Gruppe großzügiger fasst (16 bis einschließlich 39 Jahre), landet man nur bei einem Anteil von 47 Prozent.

Die BAMF-Zahlen für 2016 (Januar bis einschließlich November) haben wir uns ebenfalls besorgt (PDF):

Altersgruppe männlich weiblich
bis unter 16 116.981 95.435
16 bis unter 18 32.873 8.076
18 bis unter 25 125.669 39.681
25 bis unter 30 70.148 28.832
30 bis unter 35 44.568 23.075
35 bis unter 40 28.482 15.961
40 bis unter 45 17.345 10.159
45 bis unter 50 11.370 7.211
50 bis unter 55 6.532 4.875
55 bis unter 60 3.782 3.138
60 bis unter 65 2.275 2.039
65 und älter 1.834 2.151
Gesamt 461.859 240.633

Hier liegt der Anteil der “jungen Männer” (18 bis einschließlich 34 Jahre) bei 34 Prozent. Erweitert man die Gruppe (16 bis einschließlich 39 Jahre), kommt man auf 43 Prozent.

Für 2015 und 2016 (bis einschließlich November) zusammen ergibt das einen Anteil von 36 Prozent (18 bis einschließlich 34 Jahre) beziehungsweise 45 Prozent (16 bis einschließlich 39 Jahre).

Es ist richtig, dass Männer den deutlich größeren Teil der 1,144 Millionen Menschen bilden, die seit 2015 hier einen Erstantrag auf Asyl gestellt haben. Sie machen etwa 67 Prozent aus — oder in absoluten Zahlen: rund 767.000. Dazu zählen allerdings auch knapp 181.000 Jungs, die jünger als 16 Jahre sind. 412.000 sind 18 bis einschließlich 34 Jahre alt. Zur Erinnerung: Sarrazin sprach von 910.000 “jungen Männern”.

Nun geht es Thilo Sarrazin dabei ja nicht um “junge Männer” im Allgemeinen, sondern ganz speziell um junge muslimische Männer, weil er diese wohl für besonders gefährlich hält. Im Jahr 2015 waren 73,1 Prozent aller Personen, die einen Erstantrag auf Asyl gestellt haben, Angehörige des Islam (PDF, Seite 25). Nimmt man an, dass sich dieser Wert in 2016 nicht sonderlich geändert hat, sind 301.000 junge muslimische Männer seit Anfang 2015 nach Deutschland gekommen.

Im Verlauf der “RTL”-Sendung sagte Sarrazin zu seinen Kontrahenten: “Sie wollen die Basisfakten leugnen, damit Sie weiter in Ihrer Scheinwelt leben können.” Er selbst leugnet Basisfakten nicht, sondern bringt falsche ins Spiel, um weiter in seiner eigenen Scheinwelt leben zu können. In Kombination mit seiner zweiten zentralen Behauptung, dass junge muslimische Männer gewalttätiger sind als andere, baut er seine Drohkulisse auf: Es sind unglaublich viele von denen hergekommen, und die sind auch noch alle irre kriminell. Sarrazin betreibt pure Agitation und nutzt dafür falsche Zahlen.

Polizeigewerkschaftler Arnold Plickert, der sich gegen Sarrazins Thesen positionierte, sagte ganz am Ende von “Der heiße Stuhl”:

Das stört mich immer an Statistiken: Die kann man jetzt hier in den Raum werfen, und dann können die Menschen das hier glauben oder nicht glauben.

Sarrazin antwortete darauf:

Ja, mir sollen sie besser glauben.

Nein, Thilo Sarrazin, das sollte die Menschen auf gar keinen Fall!

Mit großem Dank an Martin S. für den Hinweis!

Russisch lügen, Schulz-Effekt, Trumps Inszenierung

1. So lügen Sie mit dem größten Erfolg
(faz.net, Kerstin Holm)
Als Zone der modernen multimedialen Kriegführung habe die russische Gesellschaft den meisten westlichen Ländern einiges an Erfahrung voraus, so “FAZ”-Autorin Kerstin Holm. In den 80er-Jahren habe es sogar einen Universitätskurs in Kriegsjournalistik gegeben, bei dem man die Kunst erlernte, mit Hilfe von Desinformation und Bewusstseinsmanipulation im Lager des Gegners Konflikte zu schüren. Kerstin Holm stellt verschiedene journalistische Propagandatechniken vor (z.B. den “faulen Hering”). Techniken, die mittlerweile auch vom amerikanischen Präsidenten angewendet würden.

2. Wie die Polizei auf Kommentare im Netz reagierte
(spiegel.de, Caroline Schiemann)
Wenn ein Mann sein Auto in eine Menschengruppe steuert, dabei jemanden tödlich verletzt, mit einem Messer flüchtet und von der Polizei mit einem gezielten Schuss überwältigt wird, kann es sich nur um einen islamistischen Anschlag handeln, oder? Natürlich ist das Unsinn, aber genau so lautete die Denkweise einiger besonders unbelehrbarer und hartnäckiger Menschen, mit denen es die Polizei Mannheim auf Twitter zu tun hatte. Der “Spiegel” hat mit der Social-Media-Zuständigen der Polizei gesprochen, die am Abend des Vorfalls Dienst hatte.

3. Trumps Inszenierung: „Bedenkliche Nähe zu totalitären Regimes“
(kurier.at, Thomas Trescher)
Trump stellt die Medien mit seinem Narzissmus und seinen Lügen vor eine große Herausforderung. Vor allem deshalb, weil sie das Phänomen Trump erst geschaffen haben, wie der deutsche Medienwissenschaftler und Ethiker Bernhard Debatin findet, der an der Universität in Ohio lehrt. “Es wird ja auch ganz offen diskutiert, dass uns diese Sender (gemeint sind vor allem die „cable news“-Sender Fox, CNN und MSNBC) Trump gebracht haben. Weil er dauernd provoziert hat, hat er kostenlos Berichterstattung bekommen – unter anderen Umständen wäre er als Kandidat nie in Frage gekommen, das ist ja absurd. Die Republikaner konnten das ja selbst nicht glauben. Durch diese 24-Stunden-News wurde Trump mitproduziert. Weil deren Aufmerksamkeitsregeln genau dem entsprechen, was Trump als Strategie hat. Und weil sich diese Sender genau dadurch finanzieren, besteht hier ein echtes Abhängigkeitsverhältnis.”

4. Schulz-Effekt-Hascherei
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Boris Rosenkranz findet es aberwitzig, wie Medienkonsumenten mit immer neuen Umfragen, Trends und Analysen zu Martin Schulz und der SPD zugeschüttet werden würden. Rosenkranz hat die Berichterstattung der letzten Wochen einschließlich der zahlreichen demoskopischen Jubelmeldungen beobachtet und beschreibt das System als Kreislauf: “Viele Medien schreiben zur gleichen Zeit positiv über einen Kandidaten oder eine Partei und geben dann Umfragen in Auftrag, die positive Ergebnisse zu dem Kandidaten oder der Partei liefern, die die Medien dann wieder vermelden können.”

5. Fünf Gründe, warum Blendle in Deutschland (noch) nicht aus der Nische kommt
(meedia.de, Stefan Winterbauer)
Über den Online-Kiosk Blendle kann man einzelne Artikel aus Zeitungen und Zeitschriften kaufen. Das System wird oft als besonders einfach und bedienerfreundlich gelobt und man hat bereits zahlreiche Medienpartner an Bord. Trotzdem will Blendle in Deutschland noch nicht recht von der Stelle kommen. Stefan Winterbauer hat sich für “Meedia” auf die Spurensuche gemacht.

6. Podcast-Liebe
(inkladde.wordpress.com, Nicola Wessinghage)
Bloggerin Nicola Wessinghage erzählt von ihrer Liebe zu Podcasts und stellt ihre aktuellen Favoriten vor. Außerdem versucht sie potentielle Interessenten mit “sieben guten Gründen für Podcasts” zu gewinnen.

7. Deniz’e özgürlük! Freiheit für Deniz!
(change.org, Shahak Shapira)
Seit gestern sitzt der Journalist Deniz Yücel nicht mehr nur in Polizeihaft, sondern in Untersuchungshaft, nachdem ein Untersuchungsrichter dem Antrag der türkischen Staatsanwaltschaft gefolgt ist. Als kleines Zeichen der Unterstützung für Yücel könnten Sie sich an der von Shahak Shapira gestarteten Petition beteiligen. Dazu auch: Die “Reporter ohne Grenzen” fordern: “Deniz Yücel sofort freilassen”.

Rottenboss “Bild”, Tödliches Schweigen, Pranger-Rache

1. Leute, mir ist da etwas Komisches passiert.
(twitter.com/PBahners)
Der “FAZ”-Redakteur Patrick Bahners sieht sich persönlichen Attacken der “Bild”-Zeitung ausgesetzt. Der Grund: Bahners hatte gewagt, “Bild” auf Falschaussagen in einem Artikel zur Causa Özil hinzuweisen. In einem Twitter-Thread skizziert Bahners den Ablauf und schließt mit den Worten: “Wen die @BILD sich zum Feind wählt, ist egal. Sie will ihn bloß fertigmachen. Ihn am Boden sehen. Sich einbilden, dass er wimmert. Um ihre Macht zu zeigen. Wie auf dem Schulhof der Rottenboss.”
Und wenn wir schon auf Twitter sind, hier noch ein kleines “Hihi” von Peter Breuer.

2. Wir schweigen Extremisten an die Macht
(spiegel.de, Sascha Lobo)
Wir schweigen Extremisten an die Macht, findet Sascha Lobo in seiner aktuellen Kolumne: “Wenn zu viele Menschen ihren Mund halten, obwohl sie laut sein sollten, können die Immerlauten sich und der Öffentlichkeit einreden, sie repräsentierten die Mehrheit. Und so traurig das ist, es handelt sich um eine selbst erfüllende Prophezeiung. Die schweigende Mehrheit ist in einer liberalen Demokratie keine Mehrheit. Eine stumme Mehrheit kann ohne großen Aufwand Extremisten an die Macht schweigen.”

3. “Ich bin ein trauriger Mensch”
(freitag.de, Jan C. Behmann)
Jan C. Behmann beschreibt den Wandel von Michel Friedmann vom “diskursiven Krawallmacher” zum philosophischen Denker: “Mit seinen intensiven Gesprächen mit den großen Denkerinnen und Denkern unserer Zeit hat er am Frankfurter Schauspiel und nun am Berliner Ensemble bewiesen, dass man noch Denken kann und vor allem, das einem dabei auch sehr viele Menschen zuhören, zuhören wollen.”

4. Nur über meine Bezahlschranke
(taz.de, Ilija Matusko)
Nach Angaben des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger haben bereits 205 Nachrichtenmedien Bezahlschranken errichtet, hinter denen sie zumindest einige ihrer Artikel packen. Damit geht ein wichtiges Prinzip des Internets verloren, findet Ilija Matusko, der bei der “taz” für das Online-Bezahlmodell zuständig ist.

5. Wer in Österreich über rechte Medien berichtet, wird dort prompt an den Pranger gestellt
(twitter.com/brodnig)
Die Publizistin und Autorin Ingrid Brodnig berichtete 2016 in “Profil” über den rechten “Wochenblick” und seine Verbindungen zur FPÖ. Das hat ihr der “Wochenblick” nicht vergessen: Aktuell hat die Wochenzeitung die nächste Eskalationsstufe gezündet und bewirbt Brodnig-feindliche Texte gezielt bei FPÖ-Anhängern auf Facebook. Mit dem Ergebnis, dass sogar Österreichs Vizekanzler Strache (FPÖ) den Text bei sich geteilt hat.

6. Kasperl und Krokodil
(sueddeutsche.de, Wolfgang Luef)
In Österreich liefern sich zwei prominente Boulevardjournalisten ein öffentliches Duell: “Österreich”-Chefredakteur Wolfgang Fellner und “Krone”-Kolumnist Michael Jeannée haben sich gegenseitig zu Intimfeinden erkoren und liefern ein bizarres Schauspiel, das auch nach der letzten Gerichtsentscheidung nicht beendet sein dürfte.

Der Öffentlichkeit preisgegeben wie ein geständiger Schwerverbrecher

Als stellvertretender Chefredakteur beim Berliner Boulevardblatt “B.Z.” muss man besondere Fähigkeiten besitzen: Man muss salbungsvolle Reden auf die Unschuldsvermutung halten, sich empören, dass ein Mensch “mit Fahndungsfotos der Öffentlichkeit preisgegeben wurde” — und gleichzeitig mit geschlossenen Augen durch die Redaktion laufen, um nicht zu sehen, was für Schweinereien die Kollegen und man selbst so auf Papier druckt. Der aktuelle stellvertretende “B.Z.”-Chefredakteur Jorin Verges kann das.

Nachdem der Schwager der vermissten 15-jährigen Rebecca aus der Untersuchungshaft entlassen wurde, schrieb Verges am vergangenen Samstag diesen Kommentar:

Ausriss BZ - Knapp 2000 Hinweise sind bis gestern bei der Polizei zum Fall Rebecca eingegangen. Ausreichend Beweise gegen den verdächtigen Schwager aber haben die Ermittler auch Wochen nach dem Verschwinden des Mädchens nicht. Die Freilassung, das gibt sogar die Staatsanwaltschaft zu, war richtig und vertretbar. Die Freilassung zeigt aus heutiger Sicht aber auch, dass Ermittlungsbehörden und Justiz über das Ziel hinaus geschossen sind. Wie sonst wäre es zu erklären, dass die Unschuldsvermutung bei Florian R. nie eine Chance hatte und der Schwager mit Fahndungsfotos der Öffentlichkeit preisgegeben wurde wie ein bereits geständiger Schwerverbrecher? Um diese Schmach vergessen zu machen, müssen die Ermittler zügig Beweise liefern. Sie werden keine Ruhe geben, bis das Verschwinden des Mädchens aufgeklärt ist.

Das klingt erstmal gar nicht doof. Es ist aber komplett verlogen. Verges’ Kommentar erschien auf dieser Doppelseite:

Ausriss der BZ - Übersicht über die Doppelseite mit der Hauptüberschrift Während die Polizei Rebeccas Leiche suchte, schlenderte der Verdächtige in die Freiheit - darauf auch zu sehen: ein unverpixeltes Foto von Florian R.

Die Titelseite derselben Ausgabe sah so aus:

Ausriss der BZ-Titerlseite - Frei und ab zu Mutti - Rebeccas Schwager aus U-Haft entlasse - Beweise reichen nicht - Polizei ermittelt trotzdem weiter gegen ihn - Hunde suchen Leiche am Scharmützelsee - dazu noch einmal das unverpixelte Foto von Florian R.

Die Unkenntlichmachungen der Fotos, die Florian R. zeigen, stammen von uns — auf dem “B.Z. Exklusiv-Foto” ist der Mann nicht verpixelt und eindeutig zu erkennen. Was würde Jorin Verges dazu schreiben, wenn er sich seine eigene Zeitung mal ansehen würde? Wohl sowas wie: Rebeccas Schwager wurde von der Redaktion mit Fahndungsfotos Paparazzifotos der Öffentlichkeit preisgegeben “wie ein bereits geständiger Schwerverbrecher”. Und natürlich suggeriert eine Unterzeile wie “Beweise reichen nicht”, dass Florian R. der gesuchte Täter ist, man es ihm aber bisher nur nicht nachweisen konnte. Dazu würde Verges vermutlich kommentieren, “dass die Unschuldsvermutung bei Florian R. nie eine Chance hatte”. Und er hätte sogar Recht damit.

Dass der Mann nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft erstmal “AB ZU MUTTI” und nicht nach Hause gegangen ist, dürfte übrigens auch an wartenden Journalisten und Fotografen gelegen haben. Die Anwältin von Florian R. erzählt, dass ihr Mandant wegen “der Medienmeute” derzeit nicht wieder arbeiten und auch nicht sein Kind in den Kindergarten bringen könne.

Die Polizei hat die Fotos, die sie von Florian R. veröffentlicht hatte, inzwischen wieder zurückgezogen. Es bestünden “keine weiteren Erfolgsaussichten durch die Öffentlichkeitsfahndung”, so die Begründung. Redaktionen, die den Schwager von Rebecca bisher ohne jegliche Unkenntlichmachung gezeigt haben, verpixeln die Bilder nun. Auch die “B.Z.”.

Mit Dank an Tobias M. für den Hinweis!

Facebooks 2 Mio-Bußgeld, Straches Bester, Klöckners Nestlé-Video

1. Wegen Intransparenz bei rechtswidrigen Inhalten: Facebook soll zwei Millionen Euro Bußgeld zahlen
(netzpolitik.org, Alexander Fanta & Markus Beckedahl)
Das Justizministerium hat Facebook ein Bußgeld von zwei Millionen Euro auferlegt. Der Grund: Verstöße gegen das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG). Laut Pressemitteilung des Bundesamts für Justiz rüge man insbesondere, dass Facebooks Angaben zur Anzahl der eingegangenen Beschwerden über rechts­widrige Inhalte unvollständig seien. “Dadurch entsteht in der Öffentlichkeit über das Ausmaß rechtswidriger Inhalte und die Art und Weise, wie das soziale Netzwerk mit ihnen umgeht, ein verzerrtes Bild.”

2. Straches Bester muss gehen
(sueddeutsche.de, Oliver Das Gupta)
Bei der österreichischen “Kronen Zeitung” gibt es personelle Veränderungen, die wahrscheinlich auf das Ibiza-Video mit FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache zurückgehen. In der Aufzeichnung hatte Strache alle Journalisten pauschal als “Huren” beschimpft, nur den ihm gewogenen “Kronen”-Online-Chef Richard Schmitt ausgenommen und ihn als “einer der besten Leute” gepriesen. Oliver Das Gupta kommentiert: “Diese Zuneigungsbekundung des Rechtspopulisten ist durchaus nachvollziehbar: Denn unter Schmitts Führung berichtete Krone.at verlässlich meinungsstark und bisweilen hetzerisch Themen über Ausländer, Flüchtlinge und den Islam — meist versehen mit einem Dreh, der FPÖ-Leuten genehm gewesen sein dürfte.”

3. ARD-Moderator ließ AfD-Mann mit Abstand meiste Redezeit – nun äußert sich “Hart aber fair”
(watson.de, Philip Buchen)
“Watson” hat die Redeanteile an der umstrittenen “Hart aber fair”-Sendung mit dem rechtspopulistischen AfD-Politiker Uwe Junge ausgewertet. Mit mehr als 15 Minuten Redezeit dominierte Junge den Talk. Die “Hart aber fair”-Redaktion erklärt dies mit einer “inhaltlich klaren 1:4-Konstellation”.

4. Wie Lokaljournalisten sich von Facebook coachen lassen
(deutschlandfunk.de, Jörg Wagner)
Lokalzeitungen haben es zu Zeiten des Medienwandels besonders schwer. Neuerdings finanziert Facebook lokaljournalistische Projekte mit Millionenbeiträgen. Medienjournalist Jörg Wagner war zu Besuch bei einem Seminar des “Facebook-Local-Accelerator-Programms” für 60 Teilnehmende aus 14 Verlagen, bei dem die Chatham House Rule galt.

5. Das Video geht klar
(taz.de, Peter Weissenburger)
Bei dem gemeinsamen Video der Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner und dem Nestlé-Chef habe es sich nicht um Schleichwerbung gehandelt, so die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB). Dass die Sache dennoch nicht ganz klar ist, erkennt man daran, dass die MABB mit den anderen Anstalten Leitlinien für ähnliche Fälle erarbeiten will.

6. n-tv entschuldigt sich für Neonazi im Programm
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Beim Nachrichtensender n-tv werden in der Sendung “Netzreporter” regelmäßig Tweets zu aktuellen Themen verlesen. In einem Beitrag über Seenotrettung wurde unkommentiert ein Tweet eines bekennenden und bekannten Neonazis eingeblendet und vorgelesen. “Übermedien” hat beim Sender nachgefragt, welches journalistische Grundverständnis dem zugrunde liegt.

“Bild” vermittelt falsche Sicherheit beim Mund-Nasen-Schutz

Bundesland um Bundesland beschließt momentan, wegen der Corona-Pandemie eine Maskenpflicht einzuführen — hier nur im öffentlichen Nahverkehr, dort auch zusätzlich in Supermärkten. Daher wäre es gut, wenn möglichst viele Leute wüssten, welche Maske in welchem Umfang schützt. Eigentlich bekommen es auch alle Redaktionen hin, die Wirksamkeit der verschiedenen Masken, die es auf dem Markt gibt, richtig zu erklären. Fast alle.

Ausriss Bild-Titelseite - Maskenpflicht - Wo sie jetzt gilt - Welche Masken wirklich schützen - Und wo man sie überhaupt bekommt

Als Antwort auf “Welche Masken wirklich schützen” präsentieren “Bild” und Bild.de diese Grafik:

Screenshot Bild.de - zu sehen ist eine Tabelle mit den verschiedenen Masken: Halstuch oder Schal, selbstgenähte Mundbedeckung, FFP2/FFP3 ohne Ventil, FFP2/FFP3 mit Ventil, Mund-Nasen-Schutz - dazu grüne Haken beziehungsweise rote Kreuze bei schützt den Träger, schützt das Umfeld und benötigt von Klinikpersonal

Während man so gut wie überall seit Wochen hört und liest, dass der Mund-Nasen-Schutz (MNS), häufig auch als “OP-Maske” bezeichnet, vor allem das Gegenüber schützt und nicht so sehr den Träger beziehungsweise die Trägerin, setzt die “Bild”-Redaktion einen grünen Haken bei “Mund-Nasen-Schutz (MNS)” und “Schützt den Träger”. Der Grafik zufolge bietet der MNS also optimalen Schutz für alle und wirkt scheinbar so gut wie FFP2- und FFP3-Masken ohne Ventil.

Im “Bild”-Artikel wird das noch einmal durch die Aussage eines Arztes bekräftigt:

Mund-Nasen-Schutz (MNS): Der Klassiker im Krankenhaus und aus der Apotheke. Prof. Zastrow: “Diese einfachen Masken sind der beste und sicherste Schutz. Sie werden sogar bei Operationen getragen.”

Dass die Umgebung — etwa eine Person, die sich mit einem Corona-Infizierten unterhält, der einen Mund-Nasen-Schutz trägt — durch solche Masken geschützt werden kann, bestätigen auch offizielle Stellen (wobei es eine Untersuchung aus Südkorea gibt, die zu etwas anderen Ergebnissen kommt). Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zum Beispiel schreibt (PDF):

Medizinische Mund-Nasen-Schutzmasken (MNS), so genannte Operations (OP)-Masken werden vor allem im medizinischen Bereich wie Arztpraxen, Kliniken oder in der Pflege eingesetzt. Sie können die Verbreitung von Speichel- oder Atemtröpfchen der Trägerin oder des Trägers verhindern und dienen primär dem Schutz des Gegenübers.

Insofern ist es durchaus sinnvoll, einen MNS zu tragen, selbst wenn man keine Symptome zeigt. Es gibt schließlich auch asymptomatische Infektionsverläufe.

Dass der Träger oder die Trägerin ordentlich vor Coronaviren geschützt wird, sehen viele offizielle Stellen hingegen anders. Beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte heißt es:

Medizinischer Mund-Nasen-Schutz (MNS; Operations-(OP-)Masken) dient vor allem dem Fremdschutz und schützt das Gegenüber vor der Exposition möglicherweise infektiöser Tröpfchen desjenigen, der den Mundschutz trägt. Zwar schützen entsprechende MNS bei festem Sitz begrenzt auch den Träger der Maske, dies ist jedoch nicht die primäre Zweckbestimmung bei MNS. Dieser wird z.B. eingesetzt, um zu verhindern, dass Tröpfchen aus der Atemluft des Behandelnden in offene Wunden eines Patienten gelangen. Da der Träger je nach Sitz des MNS im Wesentlichen nicht durch das Vlies des MNS einatmet, sondern die Atemluft an den Rändern des MNS vorbei angesogen wird, bieten MNS für den Träger in der Regel kaum Schutz gegenüber erregerhaltigen Tröpfchen und Aerosolen.

Der Schutz für Trägerinnen und Träger bestehe vor allem in dem Umstand, dass sich durch den MNS etwas vor Mund und Nase befindet, das beispielsweise größere herumfliegende Speicheltropfen abfangen kann:

[Die Masken] können jedoch Mund- und Nasenpartie des Trägers vor einem direktem Auftreffen größerer Tröpfchen des Gegenübers schützen sowie vor einer Erregerübertragung durch direkten Kontakt mit den Händen.

Das könnte man aber auch sagen, wenn man sich eine “Bild”-Zeitung oder ein großes Stück Pizza nah vor Mund und Nase hält.

Dass die “Bild”-Redaktion den Eindruck erweckt, dass das Tragen von OP-Masken für die Trägerin oder den Träger einen optimalen Schutz bietet, kann zu einem gefährlichen, falschen Sicherheitsgefühl führen.

Mit Dank an Andreas und @chappitoday für die Hinweise!

Nachtrag, 18:09 Uhr: Bei Bild.de hat die Redaktion die Grafik inzwischen aktualisiert:

Screenshot Bild.de - Wieder die Grafik mit den verschiedenen Schutzmasken - dieses Mal steht bei MNS und schützt den Träger allerdings eingeschränkt

Verblassender Stern, Diekmann und Wirecard, Hackerangriff auf Funke

1. Und jetzt vertragt euch
(sueddeutsche.de, Peter Fahrenholz)
Beim “Stern” stehen dramatische Umstrukturierungen an, die unter anderem die Abschaffung des Ressorts “Politik und Wirtschaft” sowie des Hauptstadtbüros vorsehen. Die Pläne zum Personalabbau würden auch vor prominenten Edelfedern nicht Halt machen: “In einer der Redaktionsversammlungen habe sich, so schildern es Teilnehmer, der Reporter Hans-Martin Tillack zu Wort gemeldet. Tillack ist einer der bekanntesten Investigativjournalisten des Landes. Man habe ihm Altersteilzeit angeboten, so habe er es geschildert, aber unter der Bedingung, dass er nicht mehr über Politik und Wirtschaft schreibe.” Peter Fahrenholz kommentiert weiter: “Einen Investigativ-Spezialisten dieses Kalibers von Politik- und Wirtschaftsthemen abziehen zu wollen, wäre ungefähr so, als würde der FC Bayern seinen Torjäger Robert Lewandowski zum Platzwart degradieren.”

2. Gut bezahlte Lobbyisten: Das Beraternetzwerk von Wirecard
(wdr.de, Jan Schmitt & Lena Kampf & Katja Riedel & Markus Grill, Video: 8:57 Minuten)
Die kriminellen Machenschaften von Wirecard konnten auch nur deshalb so lange aufrechterhalten werden, weil sich hinter den Kulissen ehemalige Top-Politiker, ehemalige Top-Polizisten und ehemalige Top-Medienleute als Lobbyisten einsetzten, Strippen zogen und Blendgranaten warfen. Einer davon: der ehemalige “Bild”-Chef Kai Diekmann. “Verdiente auch er am System Wirecard?”, fragt “Monitor”. Eine gemeinsame Recherche von WDR, NDR und “Süddeutscher Zeitung” bringt Licht ins Dunkel eines der größten Wirtschaftsskandale der Bundesrepublik Deutschland.
Weiterer Lesehinweis: Ein “Honigtopf” für Ehemalige: “Tausende Mails aus der Wirecard-Führungsebene enthüllen brisante Details aus dem Inneren des insolventen Zahlungsdienstleisters. WDR, NDR und SZ haben mehr als 200 Gigabyte Mails und weitere Dokumente ausgewertet.” (tagesschau.de, M. Grill & A. Kammerer & L. Kampf & R. Pinkert & S. Pittelkow & K. Riedel & N. Wischmeyer)

3. Größeres Palaver
(zeit.de, Johannes Schneider)
Johannes Schneider hat eine informative und unterhaltsam zu lesende Clubhouse-Analyse im Frage-und-Antwort-Stil verfasst: Warum wird hier gleich gecoacht? Wo geht es zum Casting? Wer sucht seine Gruppe? Wohin führt der Kontrollverlust? Interviewen sich bald alle selbst? Wo wird es wirklich interessant? Wo schmerzt die Blase? Wer macht ordentlich Meta? Was funktioniert und was fehlt?

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4. “Menschlich und strategisch fatal”: “Spiegel”-Redakteure kritisieren Umgang mit Barbara Hans
(meedia.de, Thomas Borgböhmer)
“Meedia” berichtet von einem offenen Brief von über 130 “Spiegel”-Redakteurinnen und -Redakteuren an die Geschäftsführung sowie die Chefredaktion, in dem sie sich hinter ihre Chefredakteurin Barbara Hans stellen: “Eine Woche ist es her, dass in anderen Medien von offenkundig vorhandenen Schwierigkeiten in der ‘Spiegel’-Chefredaktion berichtet wurde – in einer Art und Weise, die manche von uns an Mobbing erinnerten und bei der eine in der Redaktion geachtete Chefredakteurin, die jahrelang ausgezeichnete inhaltliche und strategische Arbeit geleistet hat, mit teils ehrabschneidenden Darstellungen überzogen wurde. Das hat uns erschüttert, entsetzt, traurig und wütend gemacht.”

5. Nachgezählt: 93 Prozent der Medienberichte verharmlosen Gewalt an Frauen
(genderequalitymedia.org)
Die Initiative “Gender Equality Media” hat ein Medienscreening zur Berichterstattung über (sexualisierte) Gewalt gegen Frauen durchgeführt. Demnach seien 93 Prozent der untersuchten Medienberichte gewaltverharmlosend. Frauenmorde würden oftmals zu “Bluttaten” oder “Familiendramen”, Vergewaltiger zu “Sextätern”. Der Beitrag schlüsselt die Zahlen auf und nennt die größten medialen Verharmloser.

6. Ende der Notausgaben
(taz.de, Andreas Wyputta)
Kurz vor Weihnachten wurde die Funke Mediengruppe Opfer eines Hackerangriffs mit schwerwiegenden Folgen: In den darauffolgenden Wochen erschienen die 13 Zeitungen des Unternehmens nur noch in Notausgaben, wenn sie denn überhaupt erschienen. Unklar sei derzeit noch das Motiv der Hacker und damit die Frage, ob es sich um Erpressung oder um einen Angriff auf die Informations- und Meinungsfreiheit gehandelt hat. Bis die Zeitungen wieder regulär erscheinen konnten, seien mehr als 1.000 Server und über 6.000 Endgeräte neu aufgesetzt worden.

Der Unfall, der keiner war, Idiotische Zeiten, Urheberrechts-Gezerre

1. Das war kein Unfall
(taz.de, Anne Fromm)
Vor einigen Tagen strahlte der WDR (erneut) seinen misslungenen Talk “Die letzte Instanz” über Rassismus und Sprache aus, der im Netz für viel Kritik sorgte. Anne Fromm fasst die Reaktionen der Betroffenen zusammen: “Großes Bedauern beim WDR, bei Micky Beisenherz und Janine Kunze. Man habe gelernt und werde es künftig besser machen. Das Problem ist nur: Die Sendung war kein Unfall. Sie hat einmal wieder gezeigt, wie sich mit billigen Klischees und dümmlichen Witzen Quote machen lässt. Aber ist es Aufgabe der Öffentlich-Rechtlichen, das abzubilden?”
Weitere Lesehinweise: Bei “Zeit Online” kommentiert Matthias Dell: “Sollte es dem WDR mit dem Lernen ernst sein: Ich bin mir gar nicht sicher, ob es nur darum geht, dass hier Menschen mitreden dürfen, die durch rassistische Fremdzuschreibungen diskriminiert werden. Auch weil ich mir schwer vorstellen kann, wer Bock haben sollte, in so einer Runde, in der es überhaupt nicht darum geht, etwas zu verstehen, und in der Leute sitzen, die offenbar mit dem Nachdenken Probleme haben, noch einmal zu klären, wie Rassismus funktioniert und warum Rassismus nichts Gutes ist.”
Bei Stern.de schreibt Michel Abdollahi: “Vielleicht sollten wir Migrant*innen uns als Paprikasoße verkleiden, da würden mehr Menschen für uns in die Bresche springen.”
Und bei “Übermedien” empfiehlt Samira El Ouassil: “Eigentlich ist es ganz leicht: Nicht über Menschen sprechen, sondern mit ihnen”.

2. “Von jungen Influencern geht eine Gefahr für Kinder und Jugendliche aus”
(medienpolitik.net, Helmut Hartung)
Die Landesmedienanstalten haben mehr als 700 relevante Websites, Youtube-Kanäle und Social-Media-Angebote auf gefährliche Inhalte untersuchen lassen. Der Titel ihrer Analyse: “Alternative Medien und Influencer als Multiplikatoren von Hass, Desinformation und Verschwörungstheorien”. Bei mehr als einem Drittel der Fälle habe man einen Anfangsverdacht auf strafbare, jugendgefährdende oder entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte festgestellt. Dies beträfe vor allem Inhalte beim Netzwerk VK und beim Messenger Telegram. Medienpolitik.net hat mit dem Vorsitzenden der Kommission für Jugendmedienschutz, Marc Jan Eumann, über die Erkenntnisse und Schlussfolgerungen aus der Untersuchung gesprochen.

3. “Alles, was Erfolg hat, reden sie klein”
(deutschlandfunk.de, Christoph Sterz, Audio: 6:55 Minuten)
Mit deutlichen Worten kritisiert die Autorin Elke Heidenreich die öffentlich-rechtliche Literaturkritik. Die Sender würden das Thema von Grund auf falsch handhaben und die Beiträge zu “idiotischen Zeiten” wie 6:45 Uhr ausstrahlen, statt sie über den ganzen Tag zu verteilen. Sie wünsche sich Berichte über “viele Bücher, auf viele Sendungen über den Tag verteilt, in einfacher Sprache”.

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4. Facebook plant bildschirmfüllende Datenschutz-Hinweise
(spiegel.de)
Apple will Nutzerinnen und Nutzern seiner iPhones und iPads neue Möglichkeiten zur Kontrolle über ihre Privatsphäre geben. Sie sollen künftig selbst bestimmen können, ob Apps ihre Daten weitergeben dürfen. Facebook sieht darin eine Bedrohung seines Geschäftsmodells und plane großflächige Datenschutz-Hinweise, in denen man um Unterstützung für Werbeunternehmen bitten wolle.

5. Edit Policy: Lobbyismus und Kampagnen – neues Gezerre um die Urheberrechtsreform
(heise.de, Julia Reda)
Die Verabschiedung der Urheberrechtsreform durch das Bundeskabinett schien sicher, doch kurz zuvor kam es zu einem überraschenden Rückzieher. Die Digital-Expertin und ehemalige Europaabgeordnete Julia Reda erklärt die Hintergründe, die mit Wirtschaftsinteressen und Lobbyarbeit zu tun hätten.

6. Prinz Harry gewinnt
(sueddeutsche.de)
Ein Londoner Gericht hat einer Klage von Prinz Harry stattgegeben und verfügt, dass die Boulevardzeitung “Mail on Sunday” eine erneute Entschuldigung veröffentlichen muss. Darin müsse deutlich werden, dass die Aussage in einem beanstandeten Artikel falsch war.

Abwägungsfragen, Badawis Haft ist illegal, Twittern über Tor-Netzwerk

1. “Ein Symbol dieses Krieges”
(tagesspiegel.de, Kurt Sagatz)
Trigger-Warnung: Im verlinkten Beitrag ist ein Foto eingebaut, auf dem erschossene Menschen zu sehen sind.
Zu den Aufgaben der Kriegsberichterstattung gehört es, über die Schrecken des Krieges zu berichten und sie visuell festzuhalten. Doch welche Bilder kann und darf man dem Publikum zumuten? Es sind schwierige Abwägungsfragen: Wo endet die Informationspflicht, und wo beginnt der Voyeurismus? Und ist das Informationsinteresse der Öffentlichkeit wichtiger als die Interessen der Opfer?

2. Rütteln und Schütteln
(taz.de, Steffen Grimberg)
Nachdem der Kreml neue Mediengesetze erlassen hat, die bei angeblichen “Falschmeldungen” zu bis zu 15 Jahren Haft führen können, hatte sich eine Reihe von TV-und Radiosendern, darunter auch die BBC, aus dem Land zurückgezogen. Die britische öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt hat sich die Sache inzwischen jedoch anders überlegt und berichtet wieder aus Russland: “Wir haben die möglichen Folgen der neuen Vorschriften abgewogen, mit der unabdingbaren Pflicht und Schuldigkeit, direkt aus Russland zu berichten”. Und nicht nur das – die BBC stellt ihr Material anderen Sendern zur kostenlosen Übernahme zur Verfügung.

3. Twitter hilft russischen Nutzern, die Zensur zu umgehen
(spiegel.de)
Russland hat nach der Invasion in der Ukraine unter anderem Einschränkungen bei der Nutzung von Twitter eingeführt. Darauf antwortet das Unternehmen nun mit einer speziell für den Anonymisierungsdienst Tor ausgelegten Version, die es ermöglicht, die Zensur zu umgehen. Der “Spiegel” erklärt, wie das Ganze funktioniert.

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4. Civey warb irreführend
(faz.net, Reiner Burger)
Das Berliner Start-up Civey führt Online-Umfragen auf Medienseiten wie Spiegel.de, t-online.de oder “Focus Online” durch, wobei die Ergebnisse unmittelbar danach angezeigt werden. In ihrer Werbung rühmten sich die Online-Demoskopen unter anderem damit, “zuverlässiger als die Konkurrenz” zu sein, womit sich diese nicht abfinden wollte, klagte und gewann.

5. Badawis Haft ist illegal
(reporter-ohne-grenzen.de)
Der saudische Blogger Raif Badawi hat seine drakonische Strafe – zehn Jahre Haft und 1.000 Peitschenhiebe – nach saudischem Recht mittlerweile verbüßt, wird aber weiterhin gefangen gehalten. Reporter ohne Grenzen verlangt seine umgehende Freilassung: “Die andauernde Inhaftierung von Raif Badawi ist empörend, nach einer Haftstrafe, die er ohnehin niemals hätte verbüßen müssen. Indem die saudischen Behörden ihn weiter gefangen halten, fügen sie ihrer langen Liste von Verbrechen gegen die Pressefreiheit ein weiteres hinzu. Doch genug ist genug – öffentliche Debatten und Journalismus sind keine Verbrechen. Badawi muss ohne weitere Verzögerung freigelassen werden!”

6. Zur medialen Kritik an der medialen Mode “Putinologie”: Der wilde Wladimir aus Leningrad
(deutschlandfunk.de, Arno Orzessek, Audio: 4:01 Minuten)
Arno Orzessek wirft einen (nicht immer ernst gemeinten) Blick auf die “Putinologie”. Darunter versteht er den Versuch vieler Medien, die Persönlichkeit des russischen Präsidenten einzuordnen.

Russland, Dialektik des Negativen, Herzschmerz-Kurator

1. Warten auf den Exodus?
(de.ejo-online.eu, Jannis Carmesin & Kai Steinecke)
Ausländische Verlage mit russischen Verlagsbeteiligungen sehen sich durch ein neues Mediengesetz gezwungen, ihre Anteile abzustoßen. Die Autoren erklären, welche Verwerfungen dies für die russische Medienlandschaft bedeutet. Eine Gesetzgebung, die auch deutsche Unternehmen wie den Axel-Springer-Verlag (Engagement bereits gelöst) und Burda beträfe (noch Herausgeber von rund 60 Titeln).

2. „Ihr könnt das? Dann liefert jetzt mal“
(taz.de, Jens Mayer)
Ein “Novum” sei es, dass ARD-Verantwortliche und TV-Produzenten erstmals ein gemeinsames Papier vorgelegt hätten, das die künftige Ausgestaltung der Beauftragung von TV-Auftragsproduktionen regele. Zwei Jahre hätten die Produzenten mit der ARD gerungen, und nun liege eine Vereinbarung vor, die einen Paradigmenwechsel in der deutschen Fernsehlandschaft einläute, indem sie das Risiko für Produzenten senke und die Innovationsfreude anheize.

3. Positiver Journalismus: “Eine Ausgewogenheit in der Berichterstattung herstellen”
(fachjournalist.de, Felix Fischaleck)
Einer der Hauptvorwürfe an Nachrichten (neben denen, dass sie falsch, ungenau oder tendenziös seien) ist: “Es wird immer nur über Negatives berichtet!” Hier setzt der sogenannte “positive Journalismus” an, der sich als “eine Art Gegenbewegung zum vorherrschenden Negativitätsbias in der Berichterstattung” sieht. Kommunikationswissenschaftler Dr. Oliver Bidlo spricht im Interview über die “Dialektik des Negativen” und wie man die, aus seiner Sicht notwendige, Ausgewogenheit in der Berichterstattung herstellen könne.

4. Rechtsstreit: Facebook will Nutzerprofile nicht vererben lassen
(spiegel.de)
Ein sowohl juristisches wie auch ethisch schwieriges Problem beschäftigt derzeit die Gerichte: Wem gehört das Facebook-Konto eines verstorbenen Kindes, den Erben oder dem Diensteanbieter? Das Landgericht Berlin hat das Konto den Eltern zugesprochen, die sich darin Aufklärung über den Tod ihrer Tochter erhoffen. Dagegen wehrt sich Facebook nun mit einer Berufung. Der Grund: Die Eltern könnten Einblick in private Nachrichten anderer Nutzer erhalten, die einen Anspruch auf Privatsphäre hätten.

5. Unter dem Radar
(faz.net, Fridtjof Küchemann)
Die amerikanischen Netzanbieter können Daten ihrer Nutzer relativ unkontrolliert wirtschaftlich nutzen beziehungsweise ausbeuten. Dagegen haben nun 60 Daten- und Verbraucherschutzorganisationen Protest eingelegt. Die Organisationen hätten die amerikanische Kommunikationsbehörde aufgefordert, schnellstmöglich Regeln aufzustellen, die nur bei Einwilligung der Nutzer die Sammlung und Vermarktung ihrer Daten zulassen. Die deutsche Datenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff weist in diesem Zusammenhang tapfer darauf hin, dass Datenschutz keineswegs wirtschaftsfeindlich sei und sogar ein Wettbewerbsvorteil sein könne.

6. Meet the guy who makes sure your ex shows up in your Facebook feed.
(facebook.com/mashable.socialmedia, Video, 2:35 Minuten)
Eine Trennung geht wohl nie leicht vonstatten. Und wenn dann die Fotos des oder der Ex im Facebook-Feed auftauchen, verheilen die seelischen Narben noch schwerer oder reißen wieder auf. Die Investigativreporter von “Mashable Humor” konnten erstmals mit einem Verantwortlichen sprechen, der die herzschmerzerzeugenden Bilder der abgelegten Liebschaften in unsere Accounts einspeist: dem “Facebook Heartbreak Curator”.

“Merry Christmas” über Aleppo

So sieht die heutige Titelseite des “Tagesspiegel” aus:

Die Redaktion hat sich dazu entschlossen, auf der ersten und auf den drei folgenden Seiten große Fotos aus Syrien zu drucken, die das schreckliche Leid der Menschen dort zeigen. Chefredakteur Stephan-Andreas Casdorff schreibt dazu:

Manchmal sagt ein Bild mehr als tausend Worte. Darum zeigen wir heute viele Bilder: Damit sie uns sagen, was in Syrien geschieht. Wir hören davon, wir berichten darüber, so gut es geht, so gut wir können, wir kommentieren, was sein sollte — aber nichts ist authentischer als die Authentizität des Augenblicks.

Und, gerichtet an seine Leser:

Sie mögen einwenden, dass wir auf eine andere, durchdachte, reflektierte, intellektualisierte Ebene heben sollten, was dort, in Syrien, in Aleppo geschieht. Und Sie hätten recht mit dem Einwand. Aber das haben wir getan, Mal um Mal. Das werden wir auch weiter tun, vermutlich noch viele Male. Weil die Tragödie, steht zu befürchten, mit dem Fall von Aleppo nicht enden wird. Heute aber unterbrechen wir den Fluss der Nachrichten und Analysen, der Worte, der vielen tausend. Wir zeigen Bilder. Und das, was Menschen, die in diesen Bildern wohnten, der Welt geschrieben haben.

Casdorff beendet seinen Text mit dem Satz: “Wir hoffen, Sie verstehen. Die Bilder. Und uns.”

Es klingt nach einer Rechtfertigung, die eigentlich gar nicht nötig ist. Die Entscheidung der “Tagesspiegel”-Redaktion ist völlig legitim und in unseren Augen eine gute. Genauso gut finden wir beispielsweise auch, dass Bild.de heute morgen die Startseite für eine Stunde komplett der grausamen Situation in Aleppo gewidmet hat. Mediale Aufmerksamkeit für die Menschen in Aleppo und Kritik an den Gräueltaten des Assad-Regimes sind notwendig.

Was so gar keine glückliche Entscheidung des “Tagesspiegel” war: Eine — vermutlich schon länger geplante — Werbeaktion für heute nicht abzusagen. Denn so sieht die “Tagesspiegel”-Titelseite aus, wenn man sie in Berlin am Kiosk kauft:


Einem leidenden Jungen aus Aleppo einen dicken Aufkleber ins Gesicht zu pappen, der frohe Weihnachten wünscht und “15% Rabatt auf Schmuck und Uhren” im Onlineshop eines edlen Juweliers verspricht, ist so grotesk, dass es fast schon wieder ein treffender Kommentar zur aktuellen Lage in dieser Welt und zum Desinteresse vieler Menschen an der Situation in Syrien sein könnte. Leider ist es aber nur eine völlig deplatzierte Werbung.

Mit Dank an Joachim P. für den Hinweis!

Nachtrag, 16:59 Uhr: Der “Tagesspiegel” hatte sich heute morgen für den Fauxpas entschuldigt:

Mit Dank an @levinuzz für den Hinweis!

Nachtrag, 16. Dezember: Auf der Titelseite der heutigen Ausgabe hat sich die “Tagesspiegel”-Redaktion für die “Kombination von Titelbild und Werbung” entschuldigt:

RT deutsch, Lauers Antwort, Admiral Tamm

1. Russische Propaganda für deutsche Zuschauer
(correctiv.org, Camilla Kohrs)
Camilla Kohrs von “Correctiv” hat mehrere Monate über die Medien der Neuen Rechten recherchiert und eine lesenswerte achtteilige Artikelserie vorgelegt. Im aktuellen und letzten Teil der Serie geht es um den russischen Auslandssender “RT deutsch”. Das Besondere bei der Plattform: “RT Deutsch” biete europakritischen Politikern von ganz links und ganz rechts eine Bühne – Hauptsache die Interviewten seien Merkel- und europakritisch.

2. Bedrohter Politiker outet Sparkassen-Mitarbeiter als AfD-Fan
(waz.de, Lars Wienand)
Darf man eine Mail veröffentlichen, samt Foto und Namen des Absenders, auch wenn diese besonders kritisch war und man vielleicht schon durch andere unschöne Nachrichten vorsensibilisiert war? Das ist die Frage, die sich im Falle des Politikers Christopher Lauer (ehemals Piratenpartei, jetzt SPD) stellt, der genau dies bei einem Kritiker getan hat. Dieser hatte für einen Leserbrief an Lauer, wahrscheinlich versehentlich, eine Mailadresse seines Arbeitgebers, einer Kreissparkasse, verwendet. Daraufhin hatte Lauer die Mail öffentlich gemacht. Ein Vorgehen, bei dem es zumindest Zweifel an der Rechtmäßigkeit gibt, so ein hinzugezogener Rechtsanwalt.

3. 25 Beschwerden beim Presserat
(taz.de)
Nach dem Terroranschlag von Berlin gingen beim Deutschen Presserat 25 Beschwerden über die Berichterstattung ein. Hauptsächlich ging es dabei um die unverpixelte Darstellung des getöteten Lkw-Fahrers und Bilder der Leiche des mutmaßlichen Attentäters. Insgesamt seien es deutlich weniger Beschwerden als nach den Terroranschlägen in Paris im November 2015.

4. Software überlistet: US-Bibliothekare erfinden Kunden, um Bücher zu bewahren
(heise.de, Martin Holland)
In einer Bücherei in Florida sortiert eine Bibliothekssoftware vollautomatisch all die Bücher aus, die länger nicht mehr ausgeliehen wurden. Um dies zu verhindern, erfanden Bibliothekare den fiktiven Kunden “Chuck Finley” und ließen ihn in einem Zeitraum von neun Monaten 2.361 Bücher ausleihen. Um finanzielle Vorteile ging es dabei ausdrücklich nicht, trotzdem ist der dafür verantwortliche Mitarbeiter beurlaubt worden.

5. Zum Tod von Peter Tamm: Im Blutmeer
(konkret-magazin.de, Kay Sokolowsky)
Der Journalist, Manager und Verleger Peter Tamm (lange Jahre Vorstandsvorsitzender des Axel Springer Verlages) ist Ende des Jahres im Alter von 88 Jahren verstorben. Ihm zu Gedenken hat “konkret” einen älteren, aber dennoch zeitlosen Artikel aus dem Archiv gekramt. Darin geht es um das, was der sich selbst angeblich “Admiral” nennende Mann, der Welt hinterlässt: ein Marine-Museum. Kay Sokolowsky hat sich das Ganze seinerzeit angeschaut: “Gelegentlich empfindet man beim Rundgang fast Mitleid für den »Admiral«: Welch ungeheure Leere muss ausfüllen, wer so megaloman Nippes auf Nippes häuft? Was ist schiefgelaufen in einem Leben, das dermaßen von Fetischen beherrscht wird?”

6. Krimi, Krimi, Krimi – und das Publikum ist begeistert
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Joachim Huber vom “Tagesspiegel” hat über das Fernsehprogramm der ersten Tage des Jahrs geschaut und hat jetzt schon genug von all den Krimis und der seichten Unterhaltung: “Breaking-News-Momente – woher, warum, von wem, wieso? Da wird es viel Ahnungslosigkeit, viel Schulterzucken geben im weiten Rund der TV-Maniacs, auf jeden Fall einen Überschuss an Überraschung, dass die Fiktion des Fernsehens und die Faktizität der Nachrichten so sehr auseinanderfallen. Und weil so was von so was kommt, ist die Massivität der Krimiunterhaltung ein Fehler. 2017 muss ein Jahr der Information sein.”

Maaslos, T-Offline, Dschungelliebe

1. Auf Hass gezielt, die Meinungsfreiheit getroffen
(zeit.de, Patrick Beuth)
Der Gesetzentwurf von Justizminister Maas soll dafür sorgen, dass soziale Netzwerke rechtswidrige Inhalte schneller löschen. Doch der Entwurf stößt auf breite Kritik, nicht nur von Seiten der Industrie, sondern auch von Juristen und Bürgerrechtlern: Er sei verfassungs- und europarechtswidrig, würde eine Aufgabe der Politik auf die Privatwirtschaft abwälzen und gravierende Folgen für die Meinungsfreiheit haben. “Zeit”-Autor Patrick Beuth hat sich den 29-seitigen Entwurf vom Ministerium zusenden lassen und die wichtigsten Kritikpunkte zusammengefasst.

2. Das musst du wissen, um Fake News zu verstehen
(perspective-daily.de, Dirk Walbrühl)
“Perspective Daily” versteht sich als mitgliederfinanziertes Online-Medium für “konstruktiven und lösungsorientierten Journalismus” und liefert pro Tag nur einen Beitrag aus. Aktuell beschäftigt sich der Autor Dirk Wahlbrühl mit dem Thema Fake News, welche Gründe dahinter stecken und was man dagegen tun kann. Er hat sich dazu zwei Gesprächspartner aus dem Medienbereich zu Hilfe geholt. Gelungen: Eine Grafik schlüsselt die unterschiedlichen Arten von Fake News auf.

3. 211 Medienschaffende im Bürgerkrieg getötet
(reporter-ohne-grenzen.de)
Syrien ist das weltweit gefährlichste Land für Journalisten: In den letzten sechs Jahren sind im Bürgerkrieg mindestens 211 Medienschaffende in direktem Zusammenhang mit ihrer Arbeit getötet worden. “Reporter ohne Grenzen” verlangt, dass Kriegsverbrechen an Journalisten in Syrien dem internationalen Strafgerichtshof vorgelegt werden. Bei den Vereinten Nationen wirbt die Organisation außerdem für die Einsetzung eines UN-Sonderbeauftragten für die Sicherheit von Journalisten, um die diversen UN-Resolutionen gegen die Straflosigkeit für Verbrechen an Medienschaffenden endlich durchzusetzen.

4. Der schleichende Tod der T-Online-Redaktion
(hessenschau.de, Mark Weidenfeller)
Für das Online-Portal “T-Online” arbeiteten jahrelang über 100 Redakteure, doch nach dem Verkauf des Portals wird die Redaktion aufgelöst und in Berlin mit deutlich weniger Personal neu aufgebaut. Aus dem Mitarbeiterkreis stamme die Information, es würden gerade einmal eine Handvoll Kollegen nach Berlin wechseln… Mark Weidenfeller berichtet von den unwirklichen letzten Tagen in der Redaktion und dem langsamen Abschied.

5. F wie Frittieren statt Fasten
(taz.de, Carolina Schwarz)
Vier Absolventinnen der Henri-Nannen-Journalistenschule wollten ein Magazin machen, das sie selbst gerne lesen. “Gruner + Jahr” hat den Versuch gewagt und das “F Mag” mit einer Auflage von 100.000 Exemplaren herausgebracht. Carolina Schwarz hat sich das Blatt angeschaut: “F Mag kann etwas Neues sein und eine Lücke auf dem Markt schließen, wenn sie über das Empowerment mutiger Frauen hinausgehen und selbst etwas Mut beweisen.”

6. Liebe zum Dschungel
(sueddeutsche.de, Kathrin Hollmer)
Die Trash-TV-Kolumnen von Anja Rützel sind legendär: Ihre Dschungelcamp-Abhandlungen auf “Spiegel Online” werden von einigen Lesern lieber konsumiert als die Sendung selbst. Nun erscheint von ihr bei Reclam die 100-seitige Fibel “Trash-TV”.

Bekennerschreiben, Wissenschaftsbashing, Netzwerkdurchsetzung

1. dpa-Eilmeldung: Das Problem mit Indymedia als Quelle
(flurfunk-dresden.de, Andreas Szabo)
Nach dem Anschlag auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund tauchte im linken Szene-Portal “Linksunten Indymedia” ein angebliches “Bekennerschreiben” auf, das von der Nachrichtenagentur “dpa” aufgegriffen wurde. Andreas Szabo von “Radio Dresden” hält das für problematisch: “Einen irgendwo ins Internet geschriebenen Text (mit kurzer Nachfrage bei Polizei) allerdings als Quelle für eine Eilmeldung zu nutzen, die bundesweit für viel Aufsehen sorgt und den Ermittlungsbehörden noch mehr Arbeit beschert, ist fahrlässig. Zu jedem Journalismus-Seminar gehört in den ersten Stunden der Grundsatz: 2-Quellen-Prinzip.”

2. Jeder Beitrag könnte der letzte sein
(correctiv.org, Marta Orosz)
In der Türkei wurden mehr als 140 Journalisten inhaftiert mit der Begründung, sie hätten angeblich terroristische Gruppen unterstützt. Trotz dieser massiven Einschüchterung gibt es Journalisten, die auch weiterhin kritisch aus dem Land berichten. Eine dieser mutigen Personen ist Zübeyde Sarı, die für “#ÖZGÜRÜZ” arbeitet, das türkisch-deutsche Onlinemedium von Can Dündar und Correctiv.

3. Flüchtlinge als Quotenbringer
(taz.de, Bettina Figl)
Letzte Woche fand im italienischen Perugia das 11. Internationale Journalismusfestival statt. Ein Schwerpunkt war der Umgang europäischer Medien mit dem Thema Flucht. Bettina Figl hat für die “taz” einige Panels besucht und berichtet von ihren Eindrücken und Erkenntnissen.

4. kontertext: Wissenschaftsbashing
(infosperber.ch, Ariane Tanner)
Die Historikerin Ariane Tanner erklärt, mit welchen Techniken gearbeitet wird, um wissenschaftliche Tatsachen oder längst Erwiesenes in Zweifel zu ziehen. Sie geht dazu in die 1950er Jahre zurück. In dieser Zeit hatte sich ein Zirkel interessierter Personen zusammengeschlossen, um den bereits bekannten Zusammenhang zwischen Rauchen und Gesundheitsschäden zugunsten der Tabakbranche zu verschleiern. Aber auch in der Jetztzeit wird gegen unangenehme Wahrheiten agitiert wie das Thema Klimawandel beweist. Tanner beschreibt die “Strategie des Anzweifelns” und wie das Medienphänomen “false balance” entsteht.

5. Facebook will Fake-Accounts schließen
(zeit.de)
Facebook kommt nicht umhin, sich dem Thema Fake News zu widmen und hat dazu eine Anzeigenkampagne gestartet. Eine Facebook-Managerin hat im Blog angekündigt, man wolle nicht nur gegen Falschmeldungen vorgehen, sondern auch verdächtige Nutzerkonten (Fake Accounts) löschen. In Frankreich sei das soziale Netzwerk so bereits bei 30.000 Fake-Konten vorgegangen.

6. Netzwerkdurchsetzungsgesetz
(neusprech.org, Martin Haase)
Martin Haase denkt über den Begriff “Netzwerkdurchsetzungsgesetz” nach und kommt zum Schluss: “Wenn aber schon die Bezeichnung eines Gesetzes Murks ist, dann gilt das oft auch für den Inhalt. Das N. ist ein Beleg für diese Theorie.”

Bild.de lässt Putin Geld an eine Frau zahlen, die eigentlich ein Mann ist

Bei all der Kritik an Medien hier auf der Seite, darf man nicht vergessen, dass viele Journalisten jeden Tag einen richtig guten Job machen. Eine Redaktion, die aktuell einen besonders guten Job macht, ist die der “Washington Post”. Das Team gräbt — ähnlich wie das der “New York Times” — immer wieder brisante Geschichten über US-Präsident Donald Trump aus.

Aktuell berichtet die “Washington Post” über ein Gespräch in vertraulicher Runde vom 15. Juni 2016, in der Kevin McCarthy, republikanischer Mehrheitsführer im Abgeordnetenhaus, zu führenden Parteifreunden sagt:

Es gibt zwei Leute, von denen ich glaube, dass sie von Putin bezahlt werden: Trump und Rohrabacher … ich schwöre bei Gott.

Die Unterhaltung zwischen McCarthy und seinen Kollegen soll kurz vor der Nominierung Trumps als republikanischer Präsidentschaftskandidat stattgefunden haben. Die Autoren der “Washington Post” schreiben, sie hätten nun eine Audioaufnahme des Gesprächs nachhören können. Kevin McCarthy sagt heute, dass seine Aussage damals ein Witz gewesen sei.

Jetzt müssten andere Medien nur noch auf diese Geschichte stoßen, sie aufschreiben und vielleicht noch kurz nachschauen, wer Dana Rohrabacher ist.

Dann mal los, Bild.de:

Washington Post enthüllt Geheimgespräch aus 2016 - Top-Republikaner: Ich denke, Putin bezahlt Trump

Damit wäre zudem offiziell, dass nicht nur das Trump-Team Gelder aus Russland erhalten hat. Dana Rohrabacher ist eine republikanische Kongress-Abgeordnete aus Kalifornien, die als starke Verfechterin Putins und Russlands gilt. Nach den Aussagen McCathys steht auch sie auf Putins Gehaltszettel.

Die Information über Rohrabacher findet man fast eins zu eins auch im Artikel der “Washington Post”:

Dana Rohrabacher is a Californian Republican known in Congress as a fervent defender of Putin and Russia.

Bild.de hat die Passage beinahe richtig übersetzt. Nur, dass Dana Tyron Rohrabacher ein Mann ist.

Mit Dank an Jörg L. für den Hinweis!

Nachtrag, 26. Mai: Christoph Herwartz weist darauf hin, dass der Mann/Frau-Fehler aus einer “dpa”-Meldung stamme:

Tatsächlich steht in der entsprechenden Agenturmeldung:

Dana Rohrabacher ist eine republikanische Politikerin, die sich wiederholt positiv über Russland und Wladimir Putin geäußert hatte.

Wir finden allerdings weiterhin, dass die Ähnlichkeit zwischen der falschen Bild.de-Passage und der Originalpassage der “Washington Post” größer ist als die Ähnlichkeit zwischen der falschen Bild.de-Passage und der falschen “dpa”-Passage.

“Burda” muss zahlen, Roger-Waters-Konzert, Journalismus-Emojis

1. Kompa vs. Eumann
(kanzleikompa.de, Markus Kompa)
Die Direktorin der “Landeszentrale für Medien und Kommunikation” in Rheinland-Pfalz, ein SPD-Mitglied, geht in den Ruhestand. Anstatt die mit 200.000 Euro dotierte Stelle anständig auszuschreiben, will man den Job offenbar einem SPD-Kollegen zuschanzen. Medienanwalt Markus Kompa hat dies keine Ruhe gelassen — er hat sich unter Protest gegen das fadenscheinige Verfahren initiativ beworben: “Für den Fall der Nichtberücksichtigung habe ich standesgemäß mit Klage gedroht.”

2. Wegen Schwangerschaftsspekulationen in der Neue Woche: Burda muss Helene Fischer 47.000 Euro überweisen
(meedia.de, Marvin Schade)
Das Landgericht Hamburg hat die zu “Burda” gehörende “Neue Woche” in drei Fällen zu insgesamt 47.000 Euro Geldentschädigung verurteilt, zu zahlen an Helene Fischer. Das Blatt hatte der Schlagersängerin eine mögliche Schwangerschaft angedichtet. Das Urteil übertrifft die von Fischers Anwälten geforderten 30.000 Euro, ist jedoch noch nicht rechtskräftig.

3. Die Widersprüche des “Bild”-Chefs
(kress.de, Markus Wiegand)
Das Branchenmagazin “kress pro” hat über die Gehälter von Führungskräften in der Medienszene berichtet und Einkommen von Verlagsmanagern und Chefredakteuren geschätzt. Bei einer Person stieß dies auf wenig Gegenliebe, nämlich bei “Bild”-Chefchef Julian Reichelt, der darin ein Risiko finanziell motivierter Straftaten gegen seine Familie sieht. Das ist insofern ein wenig lustig, als dass “Bild” nicht so zurückhaltend ist, wenn es um die Gehälter anderer Personen geht.
 Weiterer Lesetipp bei uns im BILDblog: Bringt Julian Reichelt die Familien anderer Menschen in Gefahr?

4. Hosen runter in Russland
(taz.de, Barbara Oertel)
Medien in Russland, die Geld aus dem Ausland bekommen, gelten neuerdings als Agenten, berichtet Barbara Oertel. In der Vergangenheit hätten bereits viele Nichtregierungsorganisationen, die mit dem Label “ausländischer Agent” versehen wurden, ihre Tätigkeit eingestellt. Ähnliches könne sich jetzt im Bereich der Medien abspielen.

5. WDR, BR und SWR beenden umstrittene Konzert-Kooperation
(dwdl.de, Alexander Krei)
Ursprünglich sollten die Deutschland-Konzerte von “Pink Floyd”-Star Roger Waters vom Radiosender WDR 4 übertragen werden, doch WDR-Intendant Tom Buhrow sagte das Projekt wegen Antisemitismusvorwürfen gegen den Musiker ab. BR und SWR beendeten ebenfalls die Konzert-Kooperation. Es geht wohl um Vorwürfe, zu denen Roger Waters bereits im Jahr 2013 in einem offenen Brief auf Facebook Stellung bezogen hat.

6. Emojis im Journalismus: Wir sind soooo fresh und lustig!
(medienwoche.ch, Reto Hunziker)
Einige Schweizer Medien garnieren ihre Social-Media-Meldungen mit Emojis. Eine journalistische Bankrotterklärung, findet “Medienwoche”-Autor Reno Hunziker und schreibt an die Medien gerichtet: “Ihr bringt den Journalismus noch mehr in Verruf als er es eh schon ist. Denn was ihr tut, färbt auch auf andere Publikationen ab, die keine Smileys verwenden. Den Medien geht so noch mehr Glaubwürdigkeit flöten. Eltern, die mit ihren Kindern beste Freunde sein wollen, sind keine Autoritäten.”

Hitzige Klima-Debatte, Feindesliste der Prepper, Erfolgreiches Katapult

1. Ein Einblick in die Social-Media-Strategie der “Tagesschau”
(blog.medientage.de, Petra Schwegler)
Petra Schwegler hat sich für die “Medientage München” mit Patrick Weinhold unterhalten, der das Social-Media-Team der “Tagesschau” leitet. Ausgewählte Inhalte der Nachrichtensendung werden über Instagram, YouTube, Facebook und Twitter ausgespielt. Demnächst kommen noch Messengerdienste hinzu wie der Facebook Messenger und Telegram. Der Schwerpunkt der Social-Media-Strategie liege in der Verjüngung des Publikums, denn “das Durchschnittsalter der klassischen “Tagesschau”-Zuschauer liegt bei 64 Jahren, die Homepage-Besucher sind im Schnitt 42, die App-Nutzer 41 Jahre alt.”

2. Wie weit dürfen Journalisten bei Undercover-Recherchen gehen?
(sueddeutsche.de, Elisa Britzelmeier)
Beim RTL-Format “Team Wallraff” recherchieren Reporter undercover. Das heißt, sie schleusen sich in Betriebe ein und dokumentieren mit versteckter Kamera Missstände. Dagegen haben sich nun verschiedene Personen gerichtlich zur Wehr gesetzt, die im Zusammenhang mit einer Krankenhausreportage heimlich aufgenommen wurden.

3. Hitze, Brände, Kachelmann
(scilogs.spektrum.de, Stefan Rahmstorf)
Der Klimatologe Stefan Rahmstorf hat einen Artikel über den Zusammenhang von steigenden Temperaturen und Waldbränden verfasst, der auch eine Abrechnung mit dem Wetter-Experten Jörg Kachelmann ist: “Sein Twitter-Verhalten ähnelt dem von US-Präsident Trump: markige Behauptungen posten ohne Rücksicht auf deren Wahrheitsgehalt, und wer ihn widerlegt wird unflätig beschimpft. Kachelmann ist zwar nicht so dumm, die globale Erwärmung an sich oder ihre Verursachung durch den Menschen zu bestreiten, wie es die AfD tut, aber er gehört zum dritten Typus von “Klimaskeptikern”, der versucht, die Folgen der Erwärmung herunterzuspielen. Dieser Typ stellt die “Klimaleugner” und die angeblich “alarmistischen” Klimaforscher auf eine Stufe als gleichermaßen verblendet, um sich dann selbst in der vermeintlich goldenen Mitte zu verorten. Gemeinsam haben alle drei Typen von “Klimaskeptikern”, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht zu ihrem Narrativ passen, und dass ihre Hauptmethode daher die Diffamierung von Wissenschaftlern ist.”

4. Klaus-Peter Wolf geht erstmals gegen Schmähschrift vor
(buchmarkt.de, Klaus-Peter Wolf)
Was muss vorfallen, damit ein Autor gegen einen Leserbriefschreiber gerichtlich vorgeht? Immerhin stehen sofort Verdacht und Vorwurf im Raum, hier wolle jemand einen Kritiker mundtot machen. Der Autor Klaus-Peter Wolf erzählt, was ihn zu diesem Schritt bewogen hat.

5. “Wenn ihr das drucken wollt, könnt ihr das vergessen”: die unwahrscheinliche Erfolgsgeschichte des “Katapult”-Magazins
(meedia.de, Thomas Borgböhmer)
Als Benjamin Friedrich 2015 “Katapult” gründete, das Magazin für “Kartografik und Sozialwissenschaft”, haben die Wirtschaftsberater ein schnelles Aus prophezeit: “Wenn ihr das drucken wollt, könnt ihr das vergessen. Dann ist das der schlechteste Business-Plan überhaupt.” Doch es kam anders: Derzeit ist die 15. Ausgabe des Heftes in Planung, das laut Verlagsangaben etwa 18.500 Abonnenten und eine Auflage von 50.000 Exemplaren hat. “Meedia” hat mit dem Gründer und Chefredakteur ein aufschlussreiches Gespräch rund um das ungewöhnliche Magazin geführt.

6. “Feindesliste” von rechtsextremen Preppern: Wir verklagen Bundeskriminalamt
(fragdenstaat.de)
Die rechtsextreme “Nordkreuz”-Gruppe hat Informationen über rund 25.000 Personen, darunter Journalistinnen und Journalisten sowie linke Politikerinnen und Politiker, in einer Liste zusammengetragen. Personen, die in einem “Krisenfall” festgesetzt und getötet werden sollen. Wer auf dieser Liste auftaucht, kann also als gefährdet gelten, doch das Bundeskriminalamt verweigert die Herausgabe der Daten. Nun beschreitet “Frag den Staat” den Klageweg. Der Fall werde am kommenden Montag, 19. August, im Verwaltungsgericht Wiesbaden öffentlich verhandelt.

“Aber Halt!”

Kann das echt alles “Zufall” sein?

… fragte “Bild”-Redakteur Julian Röpcke vor einem Monat und meinte damit ein kurzes Video des öffentlich-rechtlichen Senders rbb zum Thema Fahrradfahren in Berlin. Röpcke schrieb dazu: “Eine typische Straßenumfrage mit zufällig ausgewählten Protagonisten, so scheint es …”. Im rbb-Clip waren nämlich auch zwei Personen zu sehen, die sich zu ihren Erfahrungen im Berliner Straßenverkehr äußerten. Einer davon: Georg Kössler, der zum damaligen Zeitpunkt für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus saß, vom rbb aber nicht als Grünen-Politiker gekennzeichnet, sondern als ganz normaler Passant präsentiert wurde. Unter anderem lobte Kössler neu entstandene Pop-up-Radwege in der Stadt, die zum Programm der Grünen gehören. Oder wie Röpcke schrieb:

Ein Radler, der den Grünen in Berlin aus der Seele spricht, so scheint es, und ihre begonnene Verkehrswende in der Stadt als Lichtblick aus der Misere sieht.

Aber Halt! Nutzern im sozialen Netzwerk Twitter fällt auf, dass der Mann kein Unbekannter ist.

Der rbb löschte das Video und bat um Entschuldigung.

Am vergangenen Freitag berichteten “Bild” und Bild.de über ein Foto der neuen SPD-Bundestagsfraktion:

Ausriss Bild-Zeitung - Nach SPD-Gruppen-Foto ohne Mundschutz - Warum dürfen sich Politiker über die Maskenpflicht hinwegsetzen Schüler aber nicht?

Dazu befragte die “Bild”-Redaktion auch eine Schülerin und zwei Schüler. Alle drei finden das Verhalten der SPD-Politikerinnen und -Politiker ziemlich daneben. So sagt Adrian Klant, dass das SPD-Foto “der reine Hohn für Lehrer und Schüler” sei. Jan-Luca Schmid fragt: “Wenn sich SPD-Politiker im Bundestag nicht an Hygiene-Regeln halten müssen, warum sollten es dann Kinder und Jugendliche tun?” Und zu Isabell Biersack schreibt “Bild”: “Über das SPD-Fotoshooting schüttelt sie den Kopf.”

Bei Adrian Klant erwähnt die “Bild”-Redaktion, dass er “Bundesvorsitzender der Schüler Union” ist, ohne weiter zu erklären, was die Schüler Union genau ist. Man erfährt nicht, dass es sich bei ihr nicht einfach um irgendeine Schülerorganisation handelt, sondern um eine CDU- und CSU-nahe. Man muss beim Begriff “Union” schon selbst drauf kommen. Aber immerhin wird die Schüler Union überhaupt erwähnt.

Jan-Luca Schmid und Isabell Biersack werden hingegen als ganz normaler Schüler und ganz normale Schülerin von “Bild” präsentiert. Dass der eine Schriftführer im Vorstand der Jungen Union Neckar-Odenwald-Kreis ist, und die andere stellvertretende Vorsitzende der Jungen Union Trier, erwähnt “Bild” mit keinem Wort.

Drei Schülerinnen und Schüler befragt die Redaktion zu einem SPD-Fauxpas. Und alle drei haben einen CDU/CSU-Hintergrund, der bei zweien nicht mal erwähnt wird. Was würde “Bild”-Redakteur Julian Röpcke in so einem Fall wohl fragen?

Kann das echt alles “Zufall” sein?

Mit Dank an die Hinweisgeber!

Nachtrag, 5. Oktober: Mehrere BILDblog-Leserinnen und -Leser weisen darauf hin, dass bei ihren Kindern im laufenden Schuljahr bereits Klassenfotos aufgenommen wurden. Und dass die Kinder bei diesen Fotos, ähnlich wie beim SPD-Foto, ihre Masken abnehmen durften.

Außerdem schreiben einige, dass es in mehreren Bundesländern inzwischen keine Maskenpflicht an Schulen mehr gibt. In Berlin beispielsweise für die Klassenstufen 1 bis 6, im Saarland für alle Jahrgänge. In Bayern müssen Schülerinnen und Schüler im Schulgebäude zwar weiter eine Maske tragen, im Unterricht dürfen sie sie aber abnehmen. Im “Bild”-Artikel liest man von diesen Lockerungen nichts, obwohl die Landesregierungen den Wegfall der Maskenpflicht teilweise schon einige Tage vor Erscheinen des “Bild”-Beitrags publik gemacht haben.

Nachtrag 2, 5. Oktober: Die “Bild”-Redaktion hat auf unsere Kritik reagiert. Im Onlineartikel steht inzwischen bei Jan-Luca Schmid: “Mitglied der Jungen Union” und bei Isabell Biersack: “ist bei der Jungen Union engagiert”. Außerdem ist am Ende des Beitrags nun dieser Hinweis zu finden:

Anmerkung der Redaktion: Jan-Luca Schmid und Isabell Biersack sind Mitglieder der Jungen Union. Diese Angabe war in der ursprünglichen Fassung des Textes nicht enthalten.

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Chatkontrolle, Bewegung bei Bewegtbild, Harald Schmidt

1. Behörden entdecken zwei Leichen
(spiegel.de)
Seit über einer Woche werden der britische Journalist Dom Phillips und der Indigenen–Experten Bruno Pereira vermisst. Die beiden Männer sind zuvor für eine Recherche über Gewalt gegen Indigene ins brasilianische Amazonasgebiet aufgebrochen. Nun haben die brasiliansichen Behörden zwei Leichen entdeckt. Dass es sich dabei um Phillips und Pereira handelt, wurde bislang nicht von der Polizei bestätigt.

2. Warum die Chatkontrolle verhindert werden muss
(youtube.com, re:publica, Elina Eickstädt & Viktor Schlüter, Video: 8:00 Minuten)
“Die EU-Kommission möchte alle Kommunikation auf der Suche nach möglichen Mißbrauchsdarstellungen von Kindern durchleuchten lassen. Das kann das Ende der vertraulichen Kommunikation in ganz Europa bedeuten. Damit das nicht passiert, müssen wir uns verbünden.” Elina Eickstädt und Viktor Schlüter erklären in ihrem Vortrag bei der re:publica verständlich und nachvollziehbar, warum die von der EU-Kommission geplante Chatkontrolle nicht zielführend, sondern gefährlich ist.

3. Neue Jagd auf Journalisten
(djv.de, Hendrik Zörner)
Der Deutsche Journalisten-Verband zeigt sich besorgt über neue Drangsalierungen kritischer Journalistinnen und Journalisten durch die türkische Regierung und fordert die sofortige Freilassung der zahlreichen inhaftierten Medienschaffenden: “Die Bundesregierung muss dem türkischen Präsidenten klar machen, dass die Jagd auf Journalisten kein Kavaliersdelikt ist.”

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4. Viel Bewegung im Bewegtbild-Markt
(blog.medientage.de, Petra Schwegler)
Bei den Streaming-Anbietern hat das große Umsortieren begonnen. Petra Schwegler hat sich den Markt genauer angeschaut und stellt eine neue Phase des Wettbewerbs fest: “Die großen Marken passen unter Wettbewerbsdruck ihre Plattformen und Angebote an, die Werbefinanzierung wird angeschoben und die Handelnden im Segment werden positioniert.”

5. Sommer-Reihe: “Maus”-Schwerpunkt zum Klimaschutz
(dwdl.de, Alexander Krei)
Was im Erwachsenen-Programm der Öffentlich-Rechtlichen nach Ansicht vieler Kritiker zu kurz kommt, übernimmt nun eine Maus: die Klimaschutz-Berichterstattung. Ab dem 24. Juli soll es im Rahmen der “Sendung mit der Maus” einen wöchentlichen Klima-Schwerpunkt geben. Die Sendungen werden im Ersten und im Kika zu sehen sein.

6. Harald Schmidt: Wenn ich in Berlin zu tun habe, übernachte ich in Hannover
(berliner-zeitung.de, Max Florian Kühlem)
Max Florian Kühlem hat sich mit dem ehemaligen Late-Night-Talker Harald Schmidt in Köln ins Café gesetzt und mit ihm über Berlin, Sahra Wagenknecht und das “Robert-Habeck-Modul” gesprochen. Dabei geht es auch um Schmidts Sicht auf die Medien und seine medialen Provokationen.

Dirk Hoerens verrenkte Rentenrechnung

Dirk Hoeren ist bei der “Bild”-Zeitung der Mann für die Zahlen. Wenn die Redaktion mal wieder eine Statistik so verbogen haben will, dass sie damit Stimmung gegen Hartz-IV-Empfänger/Rumänen und Bulgaren/Griechen/ARD und ZDF machen kann, setzen sie ihren Europa-Chefkorrespondenten an die Sache. Heute hat Hoeren mal wieder die Griechen ins Visier genommen:

Okay, dann schauen wir uns das mal an.

Hoeren behauptet, schon jetzt würden …

rund 17 % der Wirtschaftsleistung […] in Griechenland allein für die Altersgelder aufgewendet — zweithöchster EU-Wert (hinter Italien), errechnete der IWF. Das sind 42 Milliarden Euro.

Stimmt. Doch die 17 Prozent sagen nichts über die angeblich unbezahlbaren griechischen Renten aus. Wenn ich im Monat 300 Euro verdiene und davon 90 Prozent für die Miete ausgebe, bedeutet das nicht, dass die Wohnung überteuert ist, sondern mein Einkommen recht niedrig. Soll heißen: Der relative Anteil der Rentenzahlungen ist in Griechenland auch deswegen so hoch, weil er sich an einer krisengebeutelten Wirtschaftsleistung bemisst; und nicht nur, weil der Staat eine Luxusrente nach der anderen spendiert.

Daneben unterschlägt Dirk Hoeren einen noch wichtigeren Aspekt: Die hohen Rentenkosten entstehen in Griechenland auch, weil es dort mehr alte Menschen als anderswo gibt. 20,5 Prozent der Griechen sind 65 Jahre und älter — der dritthöchste Wert in der Eurozone.

Weiter schreibt Hoeren:

Die Durchschnittsrente liegt in Griechenland bei 960 Euro, in Deutschland bei 792 Euro (FAZ).

Die Angabe zur deutschen Durchschnittsrente dürfte in etwa stimmen: Laut Deutscher Rentenversicherung lag sie Ende 2013 bei 682 Euro in Westdeutschland und 801 Euro in Ostdeutschland (PDF).

Bei der griechischen Durchschnittsrente ist es hingegen deutlich komplizierter, an belastbare Zahlen zu kommen, was vor allem am aufgeblähten System aus 133 Pensionsträgern liegt. Hoeren bezieht sich bei seinen 960 Euro auf einen Artikel der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung”, der sich wiederum auf einen Artikel aus der “Welt” bezieht, der sich auf Angaben aus “Verhandlungskreisen in Brüssel” bezieht. Zwei Tage, nachdem Hoerens Kronzeugentext in der “FAZ” erschienen ist, musste die Redaktion enorm zurückrudern:

Es gibt keine aktuellen Berichte der EU-Kommission oder des Internationalen Währungsfonds über das griechischen [sic] Rentensystem und die aktuelle Höhe der Rentenzahlungen. Dennoch kursieren in der deutschen Debatte Zahlen über die Renten in Griechenland, die Vorurteile über „Luxusrenten“ zu bestätigen scheinen, aber die griechische Wirklichkeit nicht wirklich abbilden.

Und diese Vorurteile befeuert Dirk Hoeren selbst zweieinhalb Monate nach der “FAZ”-Klarstellung zu den 960 Euro fröhlich weiter.

Deutlich andere Zahlen zur durchschnittlichen griechischen Rente nennt aktuell die “Financial Times”: Sie spricht von 700 Euro, dazu gebe es eine freiwillige Zusatzrente, die durchschnittlich 170 Euro pro Monat betragen soll. Rund 45 Prozent der griechischen Renter sollen weniger als 665 Euro monatlich bekommen und somit unter der Armutsgrenze liegen. Auch die Zahlen der “Financial Times” sind natürlich mit Vorsicht zu betrachten.

Der nächste Punkt, den Dirk Hoeren bei der “Griechen-Rente” anprangert:

Etwa zwei Drittel der griechischen Senioren bekommen zwei Renten gleichzeitig, in Deutschland sind es nur knapp 20 % (z. B. Witwenrenten).

Die damit angedeutete — vermeintliche — Ungerechtigkeit ergibt sich unter anderem aus dem bereits erwähnten 133-Pensionsträger-System. Wenn Griechen durch verschiedene Tätigkeiten mehrere Rentenansprüche erworben haben, die von unterschiedlichen Trägern verwaltet werden, werden ihnen auch mehrere Renten gleichzeitig ausgezahlt. Gleiches gilt, wenn sie für freiwillige Zusatzrenten eingezahlt haben und diese nun bekommen oder ihnen Witwenrenten zustehen.

Hoeren poltert weiter:

Das griechische Rentenniveau liegt bei 63% des Bruttolohns, bei uns sind es 48%.

Hierbei verschweigt er, wie sich in Griechenland in der Regel das Einkommen zusammensetzt. Einen großen Teil bilden nämlich Zuschläge, im öffentlichen Dienst mitunter sogar den größeren. Die Rente bemisst sich aber am Grundgehalt. Deren Anteil ist dadurch scheinbar hoch; bezogen auf das gesamte Gehalt relativiert sich das aber wieder.

Den krönenden Abschluss seines gesammelten Unfugs hat sich Dirk Hoeren aber fürs Ende seines Artikels aufgehoben:

Wegen der vielen Frühpensionen beträgt das tatsächliche Durchschnitts-Rentenalter in Griechenland 56,3 Jahre. Deutsche Rentner gingen vergangenes Jahr im Schnitt mit 64 Jahren aufs Altenteil.

Eine Quellenangabe für die 56,3 Jahre gibt’s im “Bild”-Text nicht. Auf Nachfrage reagierte Hoeren heute so:

Die Tabelle, die er seinem Tweet angehängt hat, stammt aus einem aktuellen Reformvorschlag der griechischen Regierung (PDF). In der linken Hälfte (“PS Δημóσιο”) gibt sie an, dass sie für das Jahr 2016 im öffentlichen Dienst ein durchschnittliches Renteneinstiegsalter von 56,3 Jahren anpeilt.

Also: das angepeilte Renteneinstiegsalter für den öffentlichen Dienst. Dirk Hoeren macht daraus das aktuelle Renteneinstiegsalter aller Griechen.

Dass der Wert so niedrig ist, weil er beispielsweise Soldaten und Feuerwehrmänner einrechnet, die regelmäßig früher mit ihrem Dienst aufhören, und weil er die Frühverrentung Tausender Staatsdiener im Zuge der Sparauflagen beinhaltet, interessiert Dirk Hoeren nicht. Ebenso wenig, dass vier Spalten weiter rechts das für 2016 anvisierte Renteneinstiegsalter bei der größten Rentenversicherung für Angestellte in der Privatwirtschaft mit 60,6 Jahren angegeben wird. Im Gegenteil: Er packt die knackigen 56 Jahre in die Dachzeile seines Artikels:

Da es noch einige weitere griechische Versicherungsträger gibt, handelt es sich aber auch bei den 60,6 Jahren nicht um das durchschnittliche Renteneintrittsalter aller Griechen. Das gab die OECD 2012 (Excel-Tabelle) mit 61,9 Jahren bei Männern und 60,3 Jahren bei Frauen an. Nun liegt bei Dirk Hoerens Altersangaben aber nicht nur das “Durchschnitts-Rentenalter in Griechenland” (er meint das Renteneintrittsalter) völlig daneben, sondern auch das in Deutschland. Die 64 Jahre hat er nach eigener Angabe von der “Deutschen Rentenversicherung”:

In der Statistik “Rentenversicherung in Zahlen 2014” (PDF) findet man tatsächlich ein “Rentenzugangsalter” von 64,1 Jahren. Dieser Wert bezieht sich allerdings nur auf die Personen, die wegen ihres Alters in Rente gegangen sind. Rechnet man diejenigen hinzu, die beispielsweise aufgrund einer Krankheit früher ihre Arbeit aufgeben musste, ergibt sich ein Renteneinrittsalter von 61,3 Jahren. Diese Angabe deckt sich in etwa mit der der OECD von 2012 (Männer: 62,1 Jahre, Frauen: 61,6, Jahre).

Wenn man es genau betrachtet, ist der Unterschied zwischen dem griechischen und dem deutschen Renteneintrittsalter also gar nicht mehr so groß. Wenn man es genau betrachtet, ist es aber auch viel schwieriger, den Hass gegen die Griechen zu schüren:

Mit Dank an Michalis P.!

Im Westen leider viel Neues

Bei “Der Westen” ist alles ganz, ganz neu:

Wenn du das erste Mal hier bist — hereinspaziert! Wenn du früher schon hier warst — nicht erschrecken, hier ist alles neu.

Ja, zum Beispiel das mit dem Duzen. Gab’s früher nicht. Jetzt aber schon, denn “Der Westen” scheint eine neue Zielgruppe ansprechen zu wollen. Die öden Nachrichten für die Alten hat die zuständige “Funke Mediengruppe” wieder zurückverfrachtet auf die Webseiten ihrer Zeitungen wie “WAZ”, “NRZ” oder “Westfalenpost”. Dort wird auch weiter gesiezt. derwesten.de richtet sich aber an coole Leute einer “coolen Region”, schreibt Chefredakteur Alexander Boecker in seinem Begrüßungstext:

Wir sind mittendrin, denn wir leben hier im Revier — genau wie du. Weil es eine coole Region ist. Nicht geleckt wie München, nicht verhipstert wie Berlin. Vielleicht nicht überall postkartenreif, aber mit Charme. Mit Herz. Mit Ehrlichkeit.

Diese herzliche Ehrlichkeit haben wir uns jetzt mal die vergangenen Tage angeschaut und den Eindruck bekommen, dass es beim neuen “Der Westen” vor allem um eins geht: Clicks, Clicks, Clicks. Nicht das Informieren scheint im Vordergrund zu stehen, sondern das Optimieren der Zugriffszahlen. Viele Artikel tragen Überschriften, die gerade so viel verraten, dass das Clickvieh die Leserschaft angefüttert wird, aber nicht ausreichend verraten, um die Neugierde zu stillen. Clickbait eben.

Eine kleine Auswahl:


























Als hätte jemand eine Parodie auf clickgeile Portale wie Heftig.co entworfen. Nur leider ist das alles ernst gemeint. An jeder Artikelvorschau baumelt ein Knopf, der zum “TEILEN” auffordert. Das sieht dann so aus:

Verstehen wir das richtig, dass die Leser die Artikel schon teilen sollen, bevor sie sie überhaupt gelesen haben?

Am Ende seines Begrüßungstextes schreibt Chefredakteur Boecker noch:

Du merkst schon, was wir auf derwesten.de wollen, geht niemals ohne dich. Deshalb hilf uns, damit wir für dich arbeiten können. (…)

Dafür brauchen wir deine Meinung: Was machen wir gut, wo nerven wir dich? Wir wollen’s wirklich wissen. Offen, ehrlich, direkt, wie man im Revier redet.

Unsere Meinung, “offen, ehrlich, direkt, wie man im Revier redet”? Na gut, wir versuchen es mal: Getz macht ma nich so’n Scheiß, ihr Panneköppe. Wenn dat so weitergeht, gehn wa ma schön bei euch bei mit die Taskforce vonne Clickbait-Abteilung und dann gibtet richtig Hallas!

Mit Dank an Stefan K., Daniel und @19Rhyno04 für die Hinweise!

“BILD weiß”: Aubameyang wechselt sicher nicht doch nach China

Dieser ganze “AUBA-WAHNSINN” (um das bild’sche Wortspiel verstehen zu können, muss man das “AUBA” als “Oba” lesen) begann am 16. Mai dieses Jahres. Da meldeten “Bild” und Bild.de, dass eine Delegation des chinesischen Fußball-Klubs Tianjin Quanjian mit einem “Mega-Angebot” nach Dortmund gekommen sei, um BVB-Stürmer Pierre-Emerick Aubameyang zu verpflichten:

Ausriss Bild-Zeitung - Auba-Wahnsinn! China bietet 30 Mio Gehalt. Netto!
Ausriss Bild.de - Franzosen berichten von Mega-Angebot für BVB-Star - Chinese wollen Auba 50 Mio Euro zahlen pro Jahr!

Etwa einen Monat später, am 15. Juni, war mit dem “AUBA-WAHNSINN” aber auch schon wieder Schluss. Angeblich hätten die Chinesen kein Interesse mehr an “Auba”:

Ausriss Bild.de - Jetzt ziehen auch die Chinesen zurück - Nächste Absage für Aubameyang

Aus und vorbei. Also für knappe zwei Wochen, denn am 28. Juni stand laut “Sport Bild” doch plötzlich felsenfest fest: Pierre-Emerick Aubameyang wechselt zu Tianjin Quanjian in die chinesische Super League:

Ausriss sportbild.de - Nach Sport Bild-Informationen - Aubameyang doch nach China

Die Bild.de-Mitarbeiter übernahmen diese 100-Prozent-Nummer natürlich am selben Tag von ihren “Sport Bild”-Kollegen, versahen sie aber mit einem Fragezeichen:

Ausriss Bild.de - Sport Bild berichtet - Aubameyang doch nach China?

Das mit dem Fragezeichen war keine schlechte Idee. Denn ganz so sicher war das alles dann wohl doch nicht. Am 4. Juli berichtete Bild.de, dass “sich die Wechsel-Optionen mit (…) Tianjin Quanjian (China) zerschlagen” hätten:

Ausriss Bild.de - Transfer-Stau - Auba laufen die China-Millionen weg!

Besonders weit sind diese “China-Millionen” beim Weglaufen aber nicht gekommen. Denn nur einen Tag später stand bei Bild.de:

Ausriss Bild.de - Tianjin will den BVB-Star jetzt doch wieder - Neue 60-Mio-Attacke auf Auba

Es tat sich dann ein paar Tage nichts beim “AUBA-WAHNSINN”, das Ende der Transferperiode in China rückte immer näher. Und deswegen schrieb Bild.de am 13. Juli um 12:40 Uhr:

Ausriss Bild.de - China-Wechsel von Aubameyang unwahrscheinlich

Am späten Abend desselben Tages, um 23:28 Uhr, hatten die Wechsel-Verwechsler von Bild.de dann aber doch noch mal größere Hoffnung, dass sich was tut:

Ausriss Bild.de - Über 30 Mio netto pro Jahr! Auba heute doch Blitz-Wechsel nach China?

Am nächsten Tag schloss das Transferfenster in China dann aber doch ohne einen vorherigen Wechsel von Pierre-Emerick Aubameyang zu Tianjin Quanjian. Keine Chance mehr, das mussten auch die “Bild”-Spekulanten einsehen:

Ausriss Bild.de - Transferfenster dicht - Aubas China-Traum geplatzt!

Doch so leicht geben sie sich bei “Bild” nicht geschlagen. Nach einer Woche Ruhe im Fall Aubameyang hatte die Redaktion es “EXKLUSIV”:

Ausriss Bild.de - Exklusiv - Dortmund-Superstar wechselt - Aubameyang ab Januar in China
Ausriss Bild-Zeitung - Bild weiß - Aubameyang ab Januar in China

Noch am späten Abend des 21. Juli, als der Artikel bei Bild.de bereits erschienen war, die “Bild”-Zeitung aber noch nicht, schrieb der BVB bei Twitter:

Von solch läppischen Details lassen sich “Bild”-Mitarbeiter aber keine Geschichte kaputtmachen. Am 22. Juli schrieben sie in einem Text über ein Testspiel der Dortmunder:

Es ist Spiel eins nach dem neuerlichen Wechsel-Wirbel um Pierre-Emerick Aubameyang (28). BILD berichtete exklusiv über seinen Wechsel im Winter nach China. Nach der Bundesliga-Hinrunde wird sich der Gabuner Tianjin Quanjian anschließen. Der BVB kassiert für ihn die geforderten 70 Mio Euro.

Mit diesen Transfers nach China ist es aber auch knifflig!

Mit Dank an Sven und Max für die Hinweise!

Geld machen mit den “dramatischen Bildern einer Rettung”

Zwei 14-jährige Jungen sind am Sonntag auf ein Dach einer S-Bahn-Haltestelle in Neuss geklettert und haben dabei einen Stromschlag erlitten. Der eine wurde dabei leicht verletzt und konnte aus eigener Kraft vom Dach wieder runterklettern, der andere blieb liegen.

Die “Bild”-Zeitung berichtet heute in der Düsseldorf-Ausgabe über den Vorfall (Überschrift: “SCHEISS LEICHTSINN”). Bei Bild.de erschien bereits gestern am späten Abend ein Artikel dazu:

Screenshot Bild.de - Dramatische Bilder einer Rettung in Neuss - Junge (14) erleidet 15000-Volt-Stromschlag - dazu ein Foto, auf dem Sanitäter und Feuerwehrleute zu sehen sind, die um den auf einer Trage liegenden Jungen stehen
(Unkenntlichmachung durch uns.)

Der Beitrag befinden sich, man sieht es an dem “Bild plus”-Logo, hinter der Bezahlschranke — lesen kann ihn nur, wer ein Abo hat. Wer keins hat, sieht lediglich diese zwei Absätze:

Das Foto zeigt einen Jungen, der flach auf dem Dach des Bahnsteigs einer S-Bahn-Haltestelle in Neuss liegt. Der 14-Jährige hat gerade einen Stromschlag erlitten. Doch die herbeigeeilten Helfer können nicht sofort an ihn heran …

Der Junge und sein Kumpel hatten sich am Sonntagnachmittag in akute Lebensgefahr gebracht. Sehen Sie mit BILDplus die dramatischen Bilder der Rettung.

Na, wollen Sie mal sehen, wie ein 14-Jähriger gerade so noch überlebt und gerettet wird? Da haben wir was für Sie! Bei Bild.de wissen sie, wie man an die Portemonnaies von geifernden Gaffern kommt. Denen bietet die Redaktion dann drei Fotos, die mit diesen Bildunterschriften versehen sind:

Nach dem Stromschlag bleibt der Junge  (14) flach auf dem Dach des Bahnsteigs liegen

Endlich können die Retter zu dem Jungen, er ist sogar ansprechbar

Das schwer verletzte Opfer wird vom Dach geholt

Beide Jungen wurden ins Krankenhaus gebracht, sie sollen sich nicht in Lebensgefahr befinden.

Mit Dank an Janine B. und @unalternativ für die Hinweise!

Was kümmert sie ihr Geschwätz vom Absatz zuvor?

Popstar Sam Smith schrieb am vergangenen Freitag bei Twitter:

Screenshot eines Tweets von Sam Smith - Today is a good day so here goes. I’ve decided I am changing my pronouns to THEY/THEM after a lifetime of being at war with my gender I’ve decided to embrace myself for who I am, inside and out

Mit dieser Aussage landete Smith auch bei Bild.de:

Screenshot Bild.de - Weder Mann, noch Frau - Wie Sam Smith ab jetzt genannt werden will

Sam Smith (27) möchte ab sofort nicht mehr mit männlichen Pronomen angesprochen werden, stattdessen wünscht sich Smith ab jetzt eine genderneutrale Ansprache.

Bereits Anfang des Jahres erklärte Sam Smith, non-binär zu sein, sich also weder dem männlichem, noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig zu fühlen. Damals sagte Smith jedoch, er wolle weiter mit “er”, also dem männlichen Pronomen angesprochen werden. Dies hat sich nun geändert.

Dass Sam Smith aus Sam Smiths Sicht “WEDER MANN, NOCH FRAU” ist, wie Bild.de in der Dachzeile schreibt, kann man zumindest bezweifeln. Vor knapp zwei Jahren sagte Smith in einem Interview mit der “Sunday Times”: “I feel just as much woman as I am man”. Aber eigentlich soll es hier sowieso um etwas anderes gehen, nämlich um dieses lobenswerte Versprechen, das die Bild.de-Redaktion im Artikel gibt:

BILD möchte Sam Smiths Wunsch natürlich folgen, daher wird in diesem Artikel nur der Name genutzt.

Was dieses Versprechen wert ist, sieht man allerdings, wenn man den direkt darauffolgenden Absatz liest:

BILD möchte Sam Smiths Wunsch natürlich folgen, daher wird in diesem Artikel nur der Name genutzt.

Smith schreibt auf Twitter, dass er weiß, dass einige Menschen Fehler machen werden, ohne ihm etwas böses zu wollen. Er wünscht sich nur, dass jeder zumindest versucht, seinen Wunsch nachzugehen.

Bei Bild.de kann Smith sich das offenbar noch lange wünschen.

Mit Dank an @HorstHoof für den Hinweis!

Wie aus dem “Pegida”-Handbuch, Bombenticker, Bushido fliegt raus

1. “Eindeutig Berufsverbot, Zensur ersten Grades”
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Wie erst kürzlich bekannt wurde (siehe dazu auch unsere “6 vor 9” von gestern), stellt der MDR die Zusammenarbeit mit dem Kabarettisten Uwe Steimle ein. “Ich wurde entfernt, das ist eindeutig Berufsverbot, Zensur ersten Grades!”, habe Steimle der Website “Tag24” gesagt. Ein Satz wie aus dem kleinen “Pegida”-Handbuch des Wutbürgers, denn natürlich verbietet keiner Steimle, seiner Tätigkeit nachzugehen. Nur der MDR will nicht mehr mit ihm zusammenarbeiten.

2. Follower kaufen: Wir haben unseren Bürohund zum Influencer gemacht
(vice.com, Sebastian Meineck & Theresa Locker)
Die “Vice”-Redaktion hat ein Experiment angestellt: Wie kann man Bürohund Henri zum (Fake-)Influencer auf Instagram machen? Wie viel Zeit ist dafür nötig, wie lässt sich am besten schummeln, und wo bekommt man die meisten Follower für sein Geld? Das Ganze ist nicht nur ein lustiger Versuch, sondern sagt viel aus über die in großen Teilen manipulierte und künstliche Instagram-Welt.

3. “Investigative Geschichten sind überlebenswichtig”
(fachjournalist.de, Ulrike Bremm)
Ulrike Bremm hat sich für den “Fachjournalist” mit dem Chefredakteur des Medienmagazins “Wirtschaftsjournalist”, Wolfgang Messner, unterhalten. In dem Interview geht es unter anderem um das journalistische Anforderungsprofil, konkrete Tipps für junge Kolleginnen und Kollegen und die Zukunft des Wirtschaftsjournalismus im Allgemeinen. Messners Prognose für Deutschland: “Ein neues Wirtschaftsmagazin wird es zumindest im Printbereich nicht mehr geben. Aber wir werden im Internet viel neuen starken und kämpferischen Journalismus und auch Wirtschaftsjournalismus erleben.”

4. Bushido fliegt bei Youtube raus
(faz.net)
Auf Veranlassung der Medienanstalt von Hamburg und Schleswig-Holstein hat Youtube einige Bushido-Videos für deutsche Nutzerinnen und Nutzer gesperrt. Hintergrund: Bushidos Album “Sonny Black” stehe in Deutschland wegen Frauen- und Schwulenfeindlichkeit sowie Gewaltverherrlichung auf dem Index. Dies sei erstmals 2015 festgestellt und Ende Oktober 2019 vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt worden.

5. Bombenticker hinter Paywall: LVZ-Chefredakteur reagiert auf Shitstorm
(flurfunk-dresden.de, Peter Stawowy)
Da mit Werbung im Internet immer weniger Geld zu verdienen ist, stellen viele Medien Paywalls auf, so auch die “Leipziger Volkszeitung” (“LVZ”). Dafür wird auch jeder Verständnis haben, doch wie sieht es bei lebenswichtigen Informationen für die Allgemeinheit aus? Sollten diese Informationen frei zugänglich sein? Über diese Fragen wurde und wird heftig gestritten. Der konkrete Anlass: Ein “LVZ”-Liveticker zu einer Bombenentschärfung im Leipziger Norden, der nur mit kostenpflichtigem Abonnement zu lesen war.

6. Nichts war erfolgreicher als “Die Zerstörung der CDU”
(spiegel.de)
Zum Ende des Jahres veröffentlichen viele große Plattformen ihre Jahrescharts. Bei Youtube Deutschland wird die Hitliste erwartungsgemäß von Rezo und seinem Video “Die Zerstörung der CDU” angeführt. Neun der Top-Ten-Videos hierzulande kämen laut Youtube aus Deutschland oder hätten einen lokalen Bezug.

Franz Josef Wagner fährt mit Jogi Löw Achterbahn in der Pampa

“Bild”-Briefonkel Franz Josef Wagner hat einen Helden: Bundestrainer Jogi Löw. Und Helden …

Helden schicken wir nicht einfach so in die Pampa.

Soll heißen: Wagner findet, dass Löw nach der 0:6-Niederlage der deutschen Fußballnationalmannschaft gegen Spanien bitte, bitte nicht zurücktreten soll. In seinem heutigen Brief schreibt er:

Ausriss Bild-Zeitung - Post von Wagner - Lieber Jogi Löw - viele erwarten, dass Sie aufgeben nach dem Spanien-Debakel. Bitte geben Sie nicht auf!

Lieber Jogi Löw,

viele erwarten, dass Sie aufgeben nach dem Spanien-Debakel. Bitte geben Sie nicht auf! Was für ein Leben wäre es für Sie, wenn Sie aufgeben? Ein Leben der Leere. Ein Einsamkeitsgrauen. Ein Leben von Gott und den Menschen verlassen.

Ein Mensch, der aufgibt, ist verloren. Ich bin verliebt in Sieger, noch mehr verliebt bin ich in Nicht-Aufgeber.

Wenn Jogi Löw sich nicht aufgibt, dann kann vielleicht die Nationalelf wieder siegen.

Jogi Löw war ein Held. Helden schicken wir nicht einfach so in die Pampa.

Herzlichst
Franz Josef Wagner

Vor gut einem Monat, am 13. Oktober, schreibt Franz Josef Wagner ebenfalls an Jogi Löw. Auch da bestimmt im Ton, inhaltlich aber etwas anders:

Wie schnell das Licht erlischt, das einmal brannte. Jogi Löw, der Weltmeister. Jogi Löw, die Stilikone im weißen, taillierten Hemd. Populärer war kein Bundestrainer.

Leider, lieber Joachim Löw, gibt es keinen Ewigkeitsruhm. Ihre Mannschaft spielt schlecht. Sie stellen schlecht auf, sie wechseln schlecht aus. (…)

Wenn mich jemand fragt, ob ich einen neuen Bundestrainer will, dann sage ich Ja.

Die Verbindung Wagner-Löw ist wie eine Achterbahnfahrt. Im März 2019 schreibt Wagner an den Nationaltrainer und über die Spieler Serge Gnabry und Leroy Sané:

Warum hat Jogi Löw die jungen tollen Spieler nicht mit zur WM 2018 nach Russland genommen?

Sein Fehler war, dass er nicht an die Jugend glaubte. Jogi Löw ist 59. Es fällt ihm schwer, alt zu sein.

Die Spieler haben ihm seine Jugend wiedergegeben. Sie sind sein zweiter Frühling.

… was aus rein biologischer Sicht ein kleines Wunder darstellt, schließlich war der Zweite-Frühling-Jogi laut Wagner eigentlich schon längst “verwelkt”. Vier Monate vor der Löw-Auferstehung, im November 2018, schreibt der “Bild”-Kolumnist:

Lieber Joachim (Jogi) Löw,

ich muss die Natur bemühen, um Sie zu beschreiben. Es gibt die Zeit, wo die Natur erblüht, und die Zeit, wo sie verwelkt. Sie befinden sich in der Zeit des Welkens. (…)

Was mich wundert, ist, dass Sie immer noch Bundestrainer sind. Eigentlich geben nach Misserfolgen Männer, Frauen ihr Amt auf. Ich mag Joachim Löw persönlich sehr. Er ist ein netter, unterhaltsamer Mann. Aber er ist eine verwelkte Blume.

Wagners aktuelle Löw-Verteidigung ist auch deshalb eine überraschende Wendung (gut, bei Wagner vielleicht nicht so ganz überraschend), weil seine Ansage im Oktober 2018 nicht klarer hätte sein können:

Jogi Löw, das ist das Ende des Traums. Wachen Sie auf und treten Sie zurück.

Und auch im Juni 2018 klang es bei Wagner so, als könnte man Helden doch “einfach so in die Pampa” schicken:

Lieber Jogi Löw,

wenn ich jetzt schreibe, dass Sie zurücktreten sollen, dann ist mein Motiv nicht Rache, Vergeltung. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie Sie jetzt weitermachen wollen. Sie sind ein geschlagener Mann.

Mit Dank an Andreas W. für den Hinweis!

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Lückenhafte Kommunikation, C. H. Beck nennt um, Laschet-Generator

1. Kommunikation zwischen Behörden und Sendern lückenhaft
(deutschlandfunk.de, Annika Schneider & Stefan Fries & Bettina Schmieding, Audio: 6:58 Minuten)
Die öffentlich-rechtlichen Sender haben sich verpflichtet, Katastrophenwarnungen der Behörden weiterzugeben. Doch dazu müssen die Warnungen auch in den Funkhäusern ankommen, und das hat nicht überall geklappt. Stefan Fries ist der Sache für den Deutschlandfunk nachgegangen: “Mit den Behörden vereinbart ist, dass der Deutschlandfunk als bundesweites Programm außerdem Meldungen sendet, die mehr als ein Bundesland betreffen. Darauf ist das Warnsystem aber offenbar nicht eingerichtet: Tatsächlich waren bei der Flutkatastrophe zwei Länder betroffen, allerdings gab es keine landesweiten Warnmeldungen, sondern nur regionale und lokale – diese kamen beim Deutschlandfunk nicht an.”

2. C.H. Beck benennt juristische Standardwerke um
(spiegel.de)
Der juristische Fachverlag C. H. Beck hat in einer Pressemitteilung bekanntgegeben, dass er sich entschlossen habe, “die Werke seines Verlags­programms umzubenennen, auf denen als Herausgeber oder Autoren noch Namen von Juristen genannt sind, die während der nationalsozialistischen Diktatur eine aktive Rolle eingenommen haben.” Das betrifft seit Jahrzehnten etablierte Standardliteratur wie den “Schönfelder” und den “Palandt”.

3. Zeitungsbranche verliert 2020 Werbeerlöse, aber steigert Vertriebsumsatz
(meedia.de)
Der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger hat seine Bilanz für das vergangene Jahr vorgelegt. Demnach hätten die deutschen Zeitungen im Corona-Jahr 2020 ein Sechstel ihres Umsatzes mit Anzeigen und Werbung verloren, diesen Rückgang aber im Vertriebsgeschäft zum Teil ausgeglichen.

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4. “Übermedien” in Österreich? “Dafür müssen wir noch weiterwachsen”
(derstandard.at, Oliver Mark)
Der österreichische “Standard” hat den Medienjournalisten und “Übermedien”-Mitgründer Stefan Niggemeier interviewt. Es geht unter anderem um die aktuellen Wachstumsziele des Portals, dessen Unterwerfung unter die Selbstverpflichtungserklärung des Presserats und die Auswirkungen von Corona auf “Übermedien”.

5. Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 199, 27.07.2021
(netzwerkrecherche.org, Annelie Naumann & Albrecht Ude)
Geradezu eine Pflichtlektüre, nicht nur für Journalistinnen und Journalisten aus dem Investigativbereich: der Newsletter des Netzwerk Recherche. Die neueste Ausgabe liefert wie immer einen guten Überblick über aktuelle Nachrichten, Veranstaltungen, Seminare, Stipendien und Preise. Im Pressespiegel gibt es zudem wertvolle Lesetipps zu ausgesuchten Themen.

6. “Lasch-o-mat” Satire-Tool baut Laschet-Zitate um
(tagesspiegel.de, Lea Schulze)
Im “Lasch-o-mat” lassen sich Zitate von Armin Laschet um beliebige Wörter ergänzen. Wie kam es zu der Idee? Und was hat der “6-vor-9”-Kurator des BILDblog damit zu tun?
Weiterer Lesehinweis und Hörtipp: Bei Deutschlandfunk Kultur durfte der Kurator ein paar Sätze zu dem Thema Parodien im Allgemeinen und Besonderen sagen: Bullshit-Bingo mit Armin Laschet (deutschlandfunkkultur.de, Massimo Maio, Audio: 7:30 Minuten).

Falscher “HEIZ-KOSTEN”-“WINTER-WAHNSINN” auf der Titelseite

Momentan wird viel über die steigenden Energiepreise gesprochen und berichtet. Das Heizen könnte in diesem Winter deutlich teurer werden als im vergangenen. Und dann kam gestern die “Bild”-Redaktion mit dieser Hammerzahl auf der Titelseite:

Ausriss Bild-Titelseite - Heiz-Kosten bis zu 650 Euro rauf! Was diesen Winter alles teurer wird und wie Sie trotzdem sparen können

Laut Bild.de herrscht bald der “WINTER-WAHNSINN”:

Screenshot Bild.de - Winter-Wahnsinn - Heiz-Kosten bis zu 650 Euro rauf

Nur leider stimmt das so nicht. Die Kostensteigerung von 650 Euro – oder genauer: 652 Euro – bezieht sich nicht auf die “HEIZ-KOSTEN” eines Musterhaushalts mit drei Personen, sondern auf dessen gesamte Energiekosten. Da gehören die Heizkosten dazu, aber nicht nur, sondern zum Beispiel auch die Kosten fürs Benzin für das Familienauto. Die “Bild”-Autoren Albert Link, Julian Röpcke und Hans-Jörg Vehlewald schreiben das selbst in ihrem Artikel:

Folge für die Verbraucher: Ein Durchschnittshaushalt zahlt (Preisstand August) in diesem Jahr 4063 Euro für Energie (Heizung, Strom, Sprit). 2020 waren es 3411 Euro. Mehrkosten: 652 Euro! Ein Anstieg um satte 19 Prozent, so die Tarifwächter von Verivox!

Auch in der Pressemitteilung des Unternehmens Verivox von Anfang September, auf die sich die “Bild”-Autoren beziehen, wird klar, dass es sich bei der Steigerung um 652 Euro um die allgemeinen Energiekosten handelt:

Die Energiekosten für einen Musterhaushalt lagen im August 2021 bei 4.063 Euro pro Jahr. Im August 2020 kostete die gleiche Menge Energie noch 3.411 Euro. Damit sind die Ausgaben für Energie innerhalb von zwölf Monaten um 19,1 Prozent gestiegen. Die Haushaltskasse eines Drei-Personen-Musterhaushalts wird mit 652 Euro zusätzlich belastet.

Es sind die zwei kraftvollsten Mittel, die der “Bild”-Redaktion zur Verfügung stehen, gesehen von Millionen Menschen: Ein Aufmacher auf der Titelseite der gedruckten “Bild”, eine Top-Story auf der Startseite von Bild.de. Da wäre es doch toll, wenn das, was dort zu lesen ist, auch stimmt.

Mit Dank an Jens für den Hinweis!

Nachtrag, 17:48 Uhr: Die “Bild”-Redaktion hat beim Onlineartikel die Überschrift geändert. Sie lautet nun:

Energie-Kosten bis zu 650 Euro rauf!

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Gut im Bild beim ORF, Schikane gegen Nachrichtenseite, Zeit für Reformen

1. Die Landeshauptfrau sollte stets gut im Bild erscheinen
(faz.net, Stephan Löwenstein)
Es deutet viel darauf hin, dass eine österreichische Landespolitikerin beim öffentlich-rechtlichen ORF auf Anweisung hin in besonders gutem Licht erscheinen sollte. Der Redaktionsrat habe die Suspendierung des zuständigen Generaldirektors gefordert: “Sollte es sich als wahr erweisen, dass Redakteurinnen und Redakteure angewiesen wurden, Beiträge so zu gestalten, dass bestimmte Politikerinnen und Politiker vorkommen, auch wenn dazu keinerlei journalistische Notwendigkeit besteht, ist das ein klarer Verstoß gegen die gesetzliche Pflicht zur Unabhängigkeit.”

2. Arbeitsplätze erhalten
(djv.de, Hendrik Zörner)
Angesichts der Vorgänge beim von RTL übernommenen Traditionsverlag Gruner + Jahr hatte sich Anna Ernst bei der “Süddeutschen” gewundert: “Der Verlag ist erfolgreich, trotzdem kommen jetzt Gruner + Jahr-Titel wie ‘Brigitte’ und ‘Geo’ unter den Hammer. In Hamburg ist man fassungslos. Was ist los beim Mutterkonzern Bertelsmann?” (nur mit Abo lesbar) Nun appelliert der Deutsche Journalisten-Verband an die Magazin-Eigentümer, den Betriebsrat an den Plänen zu beteiligen: “Die Vertreter der Beschäftigten müssen eingeweiht und eingebunden werden. Im Fokus muss der Erhalt der Arbeitsplätze stehen. Es geht auch um menschliche Schicksale.”

3. Zu wenig interkulturelle Kompetenz
(taz.de, Rameza Monir)
Für die Journalistin Rameza Monir hinterlässt die Fußball-WM in Katar einen faden Beigeschmack. Das Sportevent hätte eine Chance für den Westen sein können, sich der arabisch-muslimischen Kultur ernsthaft zu nähern. Stattdessen sei die Berichterstattung arrogant und von orientalistischen, antiarabischen und antimuslimischen Rassismen durchzogen gewesen: “Kritisiert wurde vom hohen Ross herab, mit wenig Offenheit und Respekt für andere Kulturen. An der medialen Resonanz ist unschwer zu erkennen, dass es eindeutig an interkultureller Kompetenz fehlt. Als Bilanz des Turniers steht eins fest: Deutschland muss dazulernen.”

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4. Schikane gegen kritische Nachrichtenseite
(reporter-ohne-grenzen.de)
Die Organisation Reporter ohne Grenzen (RoG) zeigt sich besorgt über die wirtschaftlichen Attacken auf das in Berlin ansässige vietnamesisch-deutsche Medium thoibao.de auf Facebook und kritisiert die mangelnde Kommunikation des Facebook-Mutterkonzerns Meta. “Wieso kann ein Unternehmen auf Facebook einfach behaupten, Urheber der Videos einer regierungskritischen Seite zu sein und das Geld dafür bekommen? Handelt es sich um politisch motivierten Betrug? Facebook muss den Fall gründlich prüfen und mögliche Sicherheitslücken schließen”, so RoG-Geschäftsführer Christian Mihr.

5. Zeit für eine radikale Reform?
(deutschlandfunk.de, Sina Fröhndrich, Audio: 43:55 Minuten)
Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk werden schon lange ein verschwenderischer Umgang mit Geld, Verfilzung und Parteilichkeit vorgeworfen. Die diversen Skandale dieses Jahres haben die Kritik nicht leiser werden lassen. Wie das System reformiert werden könnte, diskutieren Deutschlandfunk-Intendant Stefan Raue, Tabea Rößner (Grüne) sowie die Journalistin Claudia Tieschky (“SZ”) und der Journalist Björn Staschen (NDR).

6. 66 gute Nachrichten, die 2022 untergegangen sind
(krautreporter.de, Mariya Merkusheva u.a.)
So kurz vor Weihnachten wollen wir uns von Euch mit ein paar positiven Meldungen in die Feiertage verabschieden. Ein “Krautreporter”-Team hat 66 gute Nachrichten zusammengetragen, die hoffnungsvoll klingen und das Jahr positiv ausklingen lassen.

Gezahlt, Geklebt, Gewürdigt

1. Zukunft des Journalismus: Von der Absicht, eine Paywall zu errichten
(heise.de, Markus Schwarze)
Marcus Schwarze weiß als Leiter “Digitales” bei der „Rhein-Zeitung“ in Koblenz um die Schwierigkeiten der Onlinevermarktung. In seinem Beitrag bei “Heise” schreibt er über die Mühen der Branche und die des eigenen Blatts, das mittlerweile komplett hinter einer Paywall steht. Es sind teilweise ernüchternde Zahlen, die Schwarze dort verrät. So müsse man z.B. bei der Zusammenarbeit mit Einzelartikelvermarkter “Blendle” gewaltige Abzüge hinnehmen: Die Rückgaberate liege bei der Rhein-Zeitung bei rund 30 Prozent, weitere 30 Prozent würden vom kostenlosen Anfangsguthaben “bezahlt”.

2. ZDF-Werbechef: “Discovery muss auf die Schnauze fallen”
(dwdl.de, Marcel Pohlig)
Im August starten in Rio die Olympischen Spiele, doch ob die Öffentlich-Rechtlichen die Übertragunsrechte erwerben, ist noch nicht entschieden: Die Preise sind explodiert und die Verhandlungen zwischen Vermarkter “Discovery” und Öffentlich-Rechtlichen sind festgefahren. Der Chef des ZDF-Werbefernsehens soll sich recht eindeutig über den Vermarkter geäußert haben: “Meiner Meinung nach müssen die auf die Schnauze fallen, damit wir beim nächsten Mal die Chance haben, wieder dranzukommen”

3. Schmids Reisen
(sueddeutsche.de, Claudia Tieschky)
Ausgerechnet der oberste Lobbyist des Privatfernsehens werde im Oktober neuer Direktor der Medienaufsicht in NRW. “Kann das funktionieren?”, fragt Claudia Tieschky in der “SZ” und macht gleich mit weiteren Fragen weiter: “Was trieb ihn in dieses Amt (in dem er nicht schlecht, aber weniger verdient als jetzt)? Schickt ihn RTL als Geheimwaffe in die Aufsicht? Kann einer wie er die nötigen Einwände gegen Privatsender vortragen, gegen, sagen wir Sachen wie Werbeverstöße?”

4. Kleb’s ab
(zeit.de, Eike Kühl)
Wie gute Beobachter festgestellt haben wollen, verwendet Mark Zuckerberg ein Notebook mit abgeklebter Webcam. Was im Netz zu Belustigung geführt hätte: “Denn klar, es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet der Facebook-CEO seine Webcam abklebt. Schließlich fordert sein Unternehmen die Nutzer ständig auf, möglichst viele Bilder und Livevideos aus ihrem Alltag aufzunehmen, gewissermaßen stets auf Sendung zu sein und sich nicht so viele Gedanken über ihre Privatsphäre zu machen.” Eike Kühl votiert trotzdem für den geklebten Datenschutz: “Mit Paranoia hat das wenig zu tun. Im Gegenteil, im Zeitalter der Hacker und Massenüberwachung kann ein wohlplatziertes Stück Karton nicht schaden.”

5. Facebook bezahlt für Live-Videos Millionen
(infosperber.ch)
Facebook will mit Macht ins Live-Video-Geschäft und lässt sich das einiges kosten: Mehr als 50 Millionen Dollar bezahle das Unternehmen reichweitenstarken Teilnehmern, die das Feature nutzen. Etwa 140 Verträge hätte Facebook dazu abgeschlossen, unter anderen mit News-Outlets wie “CNN”, der “New York Times”, “BuzzFeed” sowie einigen prominenten Einzelpersonen und Organisationen.

6. Der Volks-Reporter
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Seit 1984 berichtet Ulli Zelle für die „Abendschau” des “rbb”. Stefan Niggemeier hat die Berliner Reporterinstitution bei der Arbeit begleitet und ein Porträt verfasst, das zugleich Würdigung ist.

Fake-News-Strudel, Domian-Missverständnis, Weltradio

1. FAZ und Verfassungsschutz im “Fake News”-Strudel
(heise.de, Paul Schreyer)
In letzter Zeit war öfter von angeblichen Cyberangriffen auf deutsche Politiker und den Bundestag die Rede. Die “FAZ” titelte sogar von “präzisen Erkenntnissen über staatliches Vorgehen unter dem Deckmantel von Hackern”. Der freie Journalist Paul Schreyer hat bei Verfassungsschutz und “FAZ” nach Belegen für die Behauptungen nachgefragt und nur ausweichende Antworten erhalten. Der “FAZ”-Beitrag sei insgesamt hart an der Grenze zu “Fake News”. Zudem bestehe eine problematische Nähe zum Verfassungsschutz. So habe ein “FAZ”-Kollege wiederholt auf Konferenzen des Verfassungsschutzes moderiert.

2. “Ein Angriff auf mein persönliches Leben und mein Arbeitsumfeld”
(stern.de, Carsten Heidböhmer)
Gerhard Hensel, (mittlerweile ehemaliger) Executive Strategy Director bei der Agentur Scholz & Friends, wollte Werbetreibende dafür sensibilisieren, keine Banner auf rechten Websites zu buchen. Sein privater Blogpost löste ungeahnte Reaktionen aus. Neben viel Zuspruch sieht sich Hensel in der Mitte eines Shitstorms, der zu einem Angriff auf sein persönliches Leben, sein Arbeitsumfeld, seine Kollegen und seinen Arbeitgeber geworden sei. Im “stern”-Interview erzählt er von den dramatischen Auswirkungen der Aktion.

3. Was von Domian bleiben wird, ist ein großes Missverständnis
(welt.de, Dennis Sand)
Dennis Sand hat für die “Welt” einen Nachruf auf die nach 20 Jahren zu Ende gehende Radiosendung “Domian” verfasst. Obwohl in der Sendung oftmals Extreme zu Wort kamen, sei die Sendung keinesfalls eine “Freakshow” gewesen: “Domians Interesse galt nicht so sehr den Paradiesvögeln. Es galt immer Kerndeutschland. Normaldeutschland. Durchschnittsdeutschland. Menschen, die bei Domian angerufen haben, waren hauptsächlich Menschen, die nicht aus der Masse herausstechen.”

4. Trauma ist kein Tabu mehr
(de.ejo-online.eu, Susann Eberlein & Johanna Mack)
Krisenreporter sind einer größeren Gefahr für ihr Leben und traumatisierenden Erlebnissen ausgesetzt. Im Ausbildungszentrum der Infanterie der Bundeswehr in Hammelburg werden regelmäßig Journalisten von ARD und ZDF ausgebildet, bevor sie für ihre Arbeit in Krisenregionen reisen. Das Training sei eine der wenigen Vorbereitungsmaßnahmen für Kriegsberichterstatter, die es in Deutschland gibt. Doch auch Lokaljournalisten werden gelegentlich mit möglicherweise traumatisierenden Ereignissen konfrontiert. Hier können Fortbildung, Vernetzung und Praxishilfen wie die sogenannten Tip Sheets helfen.

5. Koalition will Verlage retten
(taz.de, Christian Rath)
Nachdem der BGH die Ausschüttungen der VG Wort an die Verlage für illegal erklärt hat, soll diese Praxis anscheinend legalisiert und über ein Gesetz durchs Parlament gepeitscht werden. Ein entsprechender Antrag der Koalitionsparteien wurde am Dienstag im Rechtsausschuss beschlossen und soll bereits nächste Woche abschließend beraten und verabschiedet werden.

6. Radio Garden
(Transnational Radio & Netherlands Institute for Sound and Vision & Studio Moniker)
Recht nett gemachtes Weltradio: Globus drehen, ranzoomen, auf irgendeinen der unzähligen kleinen grünen Punkte klicken und ins dortige regionale Radioprogramm reinhören. Live!

Schwarze G20-Liste, Rechtes Mediennetzwerk, Deutschland-Kurier

1. “Schwarze Liste” bei G20
(tagesschau.de, Arnd Henze)
Die “Tagesschau” spricht von einem “massiven Eingriff in die Pressefreiheit” und nennt es einen “beispiellosen Verstoß gegen den Datenschutz”, was beim G20-Gipfel in Hamburg passierte: 32 Journalisten wurden beim G20-Gipfel nachträglich und ohne Begründung die Akkreditierung entzogen. Ihre Namen tauchten in einer “Schwarzen Liste” auf, die in ausgedruckter Form und größerer Auflage unter den Polizeibeamten verteilt worden war. Den Betroffenen hätte man nicht mitgeteilt, warum sie plötzlich zum Sicherheitsrisiko erklärt worden seien. Alle hatten spätestens zwei Wochen vor dem Gipfel die Akkreditierungsunterlagen eingereicht und wurden danach bereits einer intensiven Sicherheitsprüfung unterzogen. Datenschützer sind entsetzt, auch wegen der Stigmatisierung der Betroffenen. Wie es überhaupt zu dieser Liste kommen konnte, ist derzeit unklar, es stehe jedoch der Verdacht im Raum, dass der türkische Geheimdienst beteiligt war.

2. CDU-Mitglieder in fragwürdigem Mediennetzwerk aktiv
(hessenschau.de, Volker Siefert & Wolfgang Hettfleisch)
“hr-Info” berichtet über ein fragwürdiges Mediennetzwerk, das nach Einschätzung des Verfassungsschutzes Meldungen mit rechtsextremen Inhalten verbreite. Im Hintergrund des verzweigten Medienverbunds würden an zentraler Stelle vier Mitglieder der CDU im Kreis Offenbach agieren. Zwischen unverfänglichen Meldungen würden immer wieder rechtsextreme Artikel gestreut und in kritikloser Form ausführlich über NPD-Politiker berichtet. Als Autoren seien bis vor kurzem Fake-Journalisten benannt worden, für deren Existenz sich keine Belege finden ließen.

3. “Pressefreiheit ist kein Schönwettergrundrecht”
(deutschlandfunk.de, Antje Allroggen, Audio, 7:06 Minuten)
Heribert Prantl äußert sich im “Deutschlandfunk”-Interview kritisch über das Vorgehen von Polizei und BKA beim G20-Gipfel: “Die Pressefreiheit und die Medienvertreter, die Journalisten, sind nicht Störer im demokratischen Konzert. Sie sind Mitspieler und Mitwirkende, und ich denke, das hat man in Hamburg verkannt, so wie man auch verkannt hat, dass das Demonstrationsgrundrecht zu schützen ist, auch vor den Gewalttätern, vor den Randalieren, vor den Plünderern, von den Steinewerfern.”

4. “Deutschland-Kurier” startet am 12. Juli in Berlin
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Morgen startet ein neues Printprodukt: Die Wochenzeitung “Deutschland-Kurier”. Herausgeber ist der AfD-nahe “Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und der bürgerlichen Freiheiten”. Rund 300.000 Berliner Briefkästen will man mit der rechtskonservativen Postille bestücken. Zu den Kolumnisten gehören der ehemalige „Bild“-Chefredakteur Peter Bartels und die heute fraktionslose und frühere CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach.

5. Bedeutet der linke Wahlerfolg in Grossbritannien den Anfang vom Ende des mächtigen Murdoch-Boulevards?
(medienwoche.ch, Peter Stäuber)
Viele britische Kommentatoren, darunter auch “Buzzfeed”, sprächen derzeit vom Niedergang der britischen Revolverpresse: Die Mehrheit der Bevölkerung glaube nicht mehr den rechten Scharfmachern, sondern vertraue linken Blogs und Online-Magazinen. Doch so einfach ist die Sache nicht, wie Peter Stäuber in seinem Artikel ausführt. Wenn linke Blogs und Websites so stark wären, wie sie nun im Zusammenhang mit den Wahlen dargestellt würden, hätten sie ihren Einfluss auch schon früher geltend machen können, so der Autor des Beitrags, der als freier Korrespondent direkt aus London berichtet.

6. Fünfmal mehr Medienberichte bei Muslim-Attentätern
(infosperber.ch, Daniela Gschweng)
Eine Studie der Universität Georgia fand heraus, dass Attentate, die von (ausländischen) Muslimen verübt werden, in den USA mehr als fünfmal* so viel Raum in den Medien bekommen: Wenn der Täter muslimischen Glaubens ist, steigere sich die mediale Abdeckung eines Anschlags um 449 Prozent. Basis der Studie sind mehr als zweitausend Artikel von US-Medien über Anschläge auf US-amerikanischem Boden, die nach der Definition der “Global Terrorism Database” (GTD) als Terrorattacke eingestuft werden.

*Danke an Daniel B. für den Korrekturhinweis!

Wie “Bild” mit einer Vorverurteilung den Rechtsstaat in Verruf bringt

Es gibt ihn noch. Ernst Elitz, vor eineinhalb Jahren von “Bild”-Chef Julian Reichelt als Ombudsmann eingesetzt, als Anwalt für die Leserinnen und Leser, ist noch immer im Amt. Nach wie vor scheint er sich eher als Anwalt der Redaktion zu sehen und verteidigt die “Bild”-Medien gegen kritische Zuschriften aus der Leserschaft, aber manchmal findet selbst Elitz, dass “Bild” und/oder Bild.de was falsch gemacht haben. Vor gut zwei Wochen schrieb er:

Von grundsätzlicher Bedeutung ist auch der Hinweis des Lesers Alexander Neu.

Die Sendung “Hart aber fair” hatte eine offizielle Kriminalstatistik über “tatverdächtige” Ausländer präsentiert. Der Leser kritisiert zu Recht, dass im BILD-Bericht über die Sendung der Eindruck erweckt wurde, es handle sich um eine Statistik bereits verurteilter Täter. Das war sie nicht!

Nicht jeder, der unter Verdacht steht, ist schon ein überführter Krimineller. Gerade bei einem politisch so brisanten Thema muss korrektes Zitieren erstes Gebot sein.

Hört, hört!

Es ist aber schon etwas niedlich, dass jemand in “Bild” und bei Bild.de ernsthaft mahnt, man solle Tatverdächtige nicht als überführte Kriminelle darstellen; in den zwei Medien, die seit jeher wie keine anderen Tatverdächtige als überführte Kriminelle darstellen.

Das aktuellste Beispiel dieser redaktionellen Leidenschaft: Sami A.

Über den Tunesier wurde in den vergangenen Wochen viel geschrieben und diskutiert. Bei Bild.de unter anderem mit dieser Schlagzeile aus dem Juli:

Screenshot Bild.de - Abschiebe-Skandal! Juristisches Tauziehen um Ex-Leibwächter von Osama bin Laden - Kommt Terrorist Sami A. jetzt zurück nach Deutschland?
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)

Das Problem dabei: Sami A. ist kein Terrorist. Jedenfalls wurde er nie als Mitglied einer terroristischen Vereinigung verurteilt. Oder wie Ombudsmann Elitz sagen würde:

Nicht jeder, der unter Verdacht steht, ist schon ein überführter Krimineller. Gerade bei einem politisch so brisanten Thema muss korrektes Zitieren erstes Gebot sein.

Die Berichterstattung der “Bild”-Redaktion zum Fall von Sami A., die man wohlwollend als schlampig und ungenau bezeichnen kann und weniger wohlwollend als böswillig falsch, ist gleich doppelt problematisch: Sie erklärt einen Mann zum Terroristen, der rechtlich gesehen keiner ist. Und vielleicht noch schlimmer: Sie hinterlässt bei der Leserschaft den falschen Eindruck, dass der Staat überlegt, einen verurteilten Terroristen nach Deutschland zurückzuholen. Die daraus resultierende (unberechtigte) Verachtung für Behörden und Gerichte kann man in den Facebook-Kommentaren zum “Terrorist”-Artikel bestens beobachten:

Bitte bitte nicht! Ein Terrorisrt und Mörder oll zurückgeholt werden! Seit ihr jetzt alle komplett durchgeknallt oder habt ihr schlechte Drogen erwischt!

Je mehr Verbrechen du als Migrant begehst und je mehr einer weltweit gejagt wird, desto mehr klammert sich dieser Staat an seine Terroristen.

Jeden Tag kann man sehen warum man Heute die AFD eigentlich schon wählen muss: Alle anderen Parteien hofieren Verbrecher und Terroristen.

Wie kommen andere Länder nur auf die Idee, Deutschland würde Terroristen willkommen heißen. Kann ich ja so gaaaar nicht nachvollziehen.

Das Theater signalisiert allen Terroristen auf der Welt — in D kannst du sicher und vollversorgt auf Kosten Anderer, deinen wohl verdienten Terror Lebensabend geniessen….

Überall wird Terrorismus bekämpft und in Deutschland holt man ihn sich rein….Ganz sauber im Oberstübchen sind wohl hier viele Amtsinhaber nicht mehr.

Jetzt kämpft das Gericht in Gelsenkirchen darum, das der arme Traumatisierte Terrorist sofort wieder an die Sozialtöpfe nach Deutschland zurückkehren kann. Dieser Irrsinn ist nicht mehr zu verstehen.

Natürlich versteht man als nur halbinformierter “Bild”-Leser die Welt und vor allem deutsche Behörden und Gerichte und die Regierung nicht mehr, wenn scheinbar ein Terrorist “jetzt zurück nach Deutschland” kommen soll, und kommentiert bei Facebook wütend drauf los. Dass diese Empörung auf falschen Tatsachen beruht, ist auch “Bild” zu verdanken.

Sami A. kommt 1997 als Student nach Deutschland. 2006 stellt er einen Asylantrag, der 2007 abgelehnt wird. 2010 entscheidet ein Verwaltungsgericht, dass Sami A. nicht abgeschoben werden darf, weil ihm in Tunesien unter anderem Folter drohe. 2014 widerruft das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dieses Abschiebungsverbot, weil in Tunesien ein Regimewechsel stattgefunden hat. 2016 entscheidet ein Verwaltungsgericht erneut, dass Sami A. nicht abgeschoben werden darf, da ihm in Tunesien noch immer “mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung” drohe. Ein Oberverwaltungsgericht bestätigt diese Entscheidung 2017. Am 13. Juli dieses Jahres wird Sami A. doch nach Tunesien abgeschoben, obwohl einen Tag zuvor ein Verwaltungsgericht erneut entschied, dass er dorthin nicht abgeschoben werden darf. Der Mann kam in Tunesien direkt ins Gefängnis. Nun wird diskutiert, ob Sami A. nach Deutschland zurückgeholt werden muss. Bei “Spiegel Online” gibt es eine detaillierte Chronologie.

Mittendrin in diesem Hin und Her, ab März 2006, gibt es Ermittlungen der Bundesanwaltschaft gegen Sami A. wegen des Verdachts auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Er soll um die Jahrtausendwende mehrere Monate im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan gewesen sein und dort eine militärische Ausbildung der Terrororganisation al-Qaida durchlaufen haben. Anschließend soll er zum Mitglied der Leibgarde Osama bin Ladens aufgestiegen sein. Sami A. bestreitet all das. Das Verfahren gegen ihn wird im Jahr 2007 eingestellt, da die Ermittlungsergebnisse nicht für eine Anklageerhebung reichen.

Sami A. ist also kein verurteilter Terrorist. Ihm wurde auch nie von einer Staatsanwaltschaft oder einem Gericht nachgewiesen, Leibwächter Osama bin Ladens gewesen zu sein. Er ist laut Behörden ein islamistischer Gefährder.

Einen Mann, gegen den wegen Mordes ermittelt wird, kann man auch nicht einfach Mörder nennen, wenn die Ermittlungen mangels Beweisen eingestellt werden. Wer es trotzdem macht, hat nichts übrig für den Rechtsstaat und das Prinzip der Unschuldsvermutung. Und wer es so penetrant macht wie die “Bild”-Redaktion, gibt diese Justizverachtung an die eigene Leserschaft weiter.

Nur ein paar Beispiele:

Screenshot Bild.de - Ex-Leibwächter von Osama bin Laden abgeschoben!
Ausriss Bild-Zeitung - Gericht entscheidet zwölf Stunden nach Abschiebung - Bin Ladens Leibwächter muss zurück nach Deutschland!
Ausriss Bild-Zeitung - Schon wieder grobe Fehler beim Abschieben - Nach Bin Ladens Leibwächter soll erneut ein Asylbewerber nach Deutschland zurückgeholt werden
Screenshot Bild.de - Bin-Laden-Leibwächter Sami A. nach Tunesien gebracht. Jetzt soll er zurück
Ausriss Bild-Zeitung - Abschiebung von Bin Ladens Leibwächter - Wer hat Schuld am Chaos?
Screenshot Bild.de - Abschiebung des Bin-Laden-Leibwächters - Dieser Anwalt will Sami A. nach Deutschland zurückbringen
Screenshot Bild.de - Sami A. ist das Sinnbild für den Abschiebe-Irrsinn - Kein Fall mehr für deutsche Gerichte - Bin Ladens Ex-Leibwächter wurde endlich abgeschoben - Anwältin des Terror-Gefährders: Er muss mit Visum zurück

“Bild” veröffentlichte auch eine Art Interview mit Sami A. “Bild”-Reporter Paul Ronzheimer hatte dem Anwalt des Tunesiers Fragen mitgegeben. Sami A. antwortete unter anderen:

“Ich war nie Leibwächter von Osama bin Laden, das ist völlig frei erfunden. Ich war in Saudi-Arabien, Pakistan und Iran in meinem Leben, aber nie in Afghanistan. Auch hier in Tunesien wissen alle, dass diese Vorwürfe einfach nicht stimmen.”

Dass es doch so war, dass die “Bild”-Berichterstattung der vergangenen Wochen und Monate also nicht in einem wichtigen Punkt falsch war — dazu liefern “Bild” und Ronzheimer nicht einen Beweis.

Ende Juli gab es dann gleich zwei größere Überraschungen: Sami A. wurde in Tunesien aus der Haft entlassen, und Bild.de schrieb auf einmal:

Screenshot Bild.de - Breaking News - Mutmaßlicher von Osama bin Laden: Sami A. in Tunesien vorläufig wieder frei

Das Wort “mutmaßlicher” war aber wohl doch nur ein Ausrutscher. Kurz darauf ging es bei “Bild” und Bild.de mit der gewohnten Missachtung der Unschuldsvermutung weiter.

Bild  

Die Gedanken sind frei, nur bei Julian Reichelt sind sie strafbar

Manchmal ist “Bild”-Chef Julian Reichelt auch zuvorkommend. Denn eigentlich hätten wir zu seinem besorgniserregenden Tweet von gestern Abend erstmal den passenden Paragrafen aus dem Strafgesetzbuch raussuchen müssen, um ihm die Falschheit seiner Überlegungen zeigen zu können. Reichelt war aber so freundlich, diesen Paragrafen, der ihm widerspricht, als vermeintliches Argument selbst mitzuliefern:

Screenshot eines Tweets von Bild-Chef Julian Reichelt - Es ist besorgniserregend, wie verbreitet die Lesart ist, terroristische Planspiele (oder Träume von Gefährdern in der Diktion der FAS) wären erlaubt und vom deutschen Rechtsstaat geschützt. Dazu ein Link zu Paragraf 89a Strafgesetzbuch

Natürlich sind “‘Träume’ von Gefährdern” vom deutschen Rechtsstaat geschützt, wie Träume jeder anderen Person vom deutschen Rechtsstaat geschützt sind. Das zeigt auch Paragraf 89a des Strafgesetzbuchs, den Reichelt in seinem Tweet verlinkt und der ziemlich klar regelt, wann es sich um eine strafbare “Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat” handelt. In Absatz 2 steht dazu:

Absatz 1 ist nur anzuwenden, wenn der Täter eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet, indem er

1. eine andere Person unterweist oder sich unterweisen lässt in der Herstellung von oder im Umgang mit Schusswaffen, Sprengstoffen, Spreng- oder Brandvorrichtungen, Kernbrenn- oder sonstigen radioaktiven Stoffen, Stoffen, die Gift enthalten oder hervorbringen können, anderen gesundheitsschädlichen Stoffen, zur Ausführung der Tat erforderlichen besonderen Vorrichtungen oder in sonstigen Fertigkeiten, die der Begehung einer der in Absatz 1 genannten Straftaten dienen,

2. Waffen, Stoffe oder Vorrichtungen der in Nummer 1 bezeichneten Art herstellt, sich oder einem anderen verschafft, verwahrt oder einem anderen überlässt oder

3. Gegenstände oder Stoffe sich verschafft oder verwahrt, die für die Herstellung von Waffen, Stoffen oder Vorrichtungen der in Nummer 1 bezeichneten Art wesentlich sind.

Das Träumen von einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat wird in dem Paragrafen, den Julian Reichelt zum Beweis der Strafbarkeit vom Träumen von einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat anführt, nicht erwähnt.

Nach der Reicheltschen Selbstwiderlegung bleiben noch die “terroristischen Planspiele”, von denen er schreibt. Diesen Ausdruck hat allerdings nicht eine andere Person in die Debatte eingebracht, sondern Reichelt selbst.

Harald Staun schrieb in der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” mit Bezug auf einen Reichelt-Text, der am vergangenen Freitag in “Bild” erschienen ist:

Besonders schlimm aber findet Reichelt das bekannte Dilemma, dass der Rechtsstaat auch jene schützt, die ihn verachten, solange sie nicht gegen die Gesetze verstoßen. Er schützt auch jene Menschen, die “das Bier in der Kneipe und die Bikinis an den Stränden” verachten, seien es Weintrinker, Kulturtouristen oder Islamisten. Und er verbietet nicht einmal, davon zu träumen, Busse, Bahnen oder Verlagshäuser in die Luft zu sprengen. Doch einen Rechtsstaat, der nicht schon böse Absichten bestraft, würde Reichelt gerne abschaffen

Reichelt ärgerte sich bei Twitter über Stauns Text und wandelte dabei innerhalb von zwei Sätzen das Träumen in “Planspiele” um:

Screenshot eines Tweets von Bild-Chef Julian Reichelt - Die FAS würdigt heute die Freiheit von Gefährdern, davon zu träumen, Verlagshäuser in die Luft zu sprengen. Ich glaube nicht, dass terroristische Planspiele von Gefährdern vom Rechtsstaat geschützt sind.

Nur haben Harald Staun und die “FAS” nie von “Planspielen” gesprochen — diese Umdeutung stammt allein von Julian Reichelt.

In den Antworten auf seinen Tweet von gestern versuchen andere Twitter-Nutzer, Julian Reichelt zu erklären, was bei seinen Überlegungen alles schiefläuft. Aber ob ihn überhaupt interessiert, was für einen Unsinn er verzapft?

Klingelingeling, hier kommt der Bullshit-Mann

Auf der “Bild”-Titelseite ist heute wieder alles ganz aufgeregt:

Ausriss der Bild-Titelseite - Datenschutz-Irrsinn - Unsere Klingel-Schilder sollen weg!

Deutschland drohe “EIN KLINGELSCHILD-CHAOS”, weil Vermieter aufgrund der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) womöglich bald überall im Land die Klingelschilder abschrauben müssten. Dieselbe Alarmstufe bei Bild.de:

Screenshot Bild.de - Datenschutz-Irrsinn - Unsere Klingel-Schilder sollen weg - Haben wir bald etwa nur noch Nummer an der Tür?

Wie die “Bild”-Medien auf den “Datenschutz-Irrsinn” kommen? Mit einem Zitat, das der Zitatgeber so nicht gegeben haben will, falschen Fakten zur DSGVO und viel, viel Biegerei.

Henrik Jeimke-Karge und Kai Weise schreiben gleich zu Beginn ihres Artikels:

“Er gehört zu mir wie mein Name an der Tür …” Damit kann bald Schluss sein!

Schuld daran ist die Europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO).

Zwei Sätze weiter sind sich die beiden “Bild”-Autoren zwar schon nicht mehr ganz so sicher (“Ob darunter auch ein Name auf einem Klingelschild fällt, ist unklar.”), aber dennoch: “Schuld daran ist” für sie erstmal die EU.

Nun gibt es seit einigen Tagen schon Diskussionen darüber, ob Klingelschilder unter die DSGVO fallen. Rechtsanwalt und Datenschutzexperte Niko Härting hat sich bereits vor zwei Tagen die Mühe gemacht, das Thema aufzudröseln. In einem lesenswerten Beitrag bei “CRonline” geht er der Frage nach, ob öffentlich einsehbare Namen auf Klingelschildern mit Blick auf die DSGVO problematisch sein könnten. Seine Antwort in Kurzform: nein. Das eine habe mit dem anderen nichts zu tun. Entscheidend sei dabei, ob die Daten (in diesem Fall: die Namen auf den Klingelschildern) Teil einer “strukturierten Sammlung” und ob sie “nach bestimmten Kriterien zugänglich sind”.

Härting schreibt dazu:

Das Haus, in dem ich wohne, ist “old school”, was die Klingelschilder angeht. Sie sind in Messing geprägt und so angeordnet, dass man nicht erkennen kann, wer in welchem Stockwerk wohnt. Es fehlt somit an jeder “Struktur”. Datenschutzrechtliche Fragen stellen sich nicht. Das Datenschutzrecht bleibt vor der Tür.

Wenn die Klingelschilder so angeordnet sind, dass sich das jeweilige Stockwerk des Bewohners erkennen lässt, fehlt es zwar nicht an einer “Struktur”. Wohl aber stellt sich die Frage einer weitergehenden “Zugänglichkeit”. (…) Eine Datenauswertung, die über die Informationen hinausgeht, die sich aus den Klingelschildern selbst ergeben, wird durch die Beschilderung nicht ermöglicht. Auch hier fehlt es demnach an einem “Dateisystem”, das die Anforderungen des Art. 4 Nr. 6 DSGVO erfüllt. Das Datenschutzrecht bleicht auch hier außen vor.

Eine Ausnahme gebe es, wenn die Klingelschilder nicht analog angebracht seien, sondern “auf einem Monitor sichtbar”. Dann finde die DSGVO Anwendung.

Zu einem ähnlich klaren Ergebnis kommen der Datenschutzexperte Thomas Schwenke, der frühere Bundesbeauftragte für den Datenschutz Peter Schaar, die aktuelle Bundesbeauftragte für den Datenschutz Andrea Voßhoff, die Stiftung Datenschutz, der Spitzenverband der Wohnungswirtschaft GdW und die EU-Kommission.

Nur die “Bild”-Medien, Henrik Jeimke-Karge und Kai Weise sind der Meinung, die DSGVO sei am “KLINGELSCHILD-CHAOS” schuld. Sie haben ja auch diese Ankündigung des Immobilien-Eigentümerverbandes “Haus & Grund”:

Deshalb will der wichtige Immobilien-Eigentümerverband Haus & Grund seinen 900 000(!) Mitgliedern nun empfehlen, die Namensschilder bei vermieteten Wohnungen abzuschrauben!

“Nur so können sie sicher sein, nicht gegen die DSGVO zu verstoßen”, sagt Kai Warnecke, Präsident von Haus & Grund, zu BILD.

Wir haben bei Haus & Grund nachgefragt, ob man wirklich “seinen 900 000(!) Mitgliedern nun empfehlen” wolle, “die Namensschilder bei vermieteten Wohnungen abzuschrauben”. Die Antwort von Pressesprecher Alexander Wiech: Die Empfehlung sei so nicht gegenüber “Bild” angekündigt worden. Man fordere “nicht auf, Klingelschilder abzumontieren.” Stattdessen wolle man die Mitglieder warnen, dass es irgendwann mal soweit kommen könne.

Daraufhin haben wir bei “Bild” nachgefragt, ob die Redaktion dabei bleibe, dass Haus & Grund ein Empfehlung an die vielen Mitglieder gegenüber den “Bild”-Autoren angekündigt habe. Sprecher Christian Senft antwortete uns, dass er uns dringend empfehle, unsere Recherche bei Haus & Grund noch einmal zu verifizieren: “Diese haben nichts relativiert und stehen voll zu der Geschichte und dem Zitat. Sie haben Ihnen nur gesagt, dass sie diese Empfehlung bisher noch nicht ausgesprochen haben, weil sie noch nicht dazu gekommen sind.” Also, noch mal nachgefragt bei Haus & Grund: Alexander Wiech sagt uns noch einmal, dass man keine Empfehlung gegenüber “Bild” angekündigt habe, sondern davon gesprochen habe, die Mitglieder sensibilisieren zu wollen.

Das hat Haus & Grund übrigens auch gegenüber anderen Medien so gesagt — etwa gegenüber “Zeit Online”, gegenüber dem WDR, gegenüber der “Hannoverschen Allgemeinen”.

Inzwischen hat Haus & Grund, nach der Klarstellung durch die Bundesdatenschutzbeauftragte, eine Pressemitteilung rausgegeben, in der der Verband schreibt: “Bundesdatenschutzbeauftragte: Mieternamen an Klingelschildern sind zulässig”.

Nachtrag, 17:40 Uhr: Wir haben die Überschrift von “Klingelingeling, hier kommt der Fake-News-Mann” in “Klingelingeling, hier kommt der Bullshit-Mann” geändert. Der Begriff “Fake News” war für diesen Fall nicht passend.

Andere Zeiten

DFB-Präsident Reinhard Grindel ist heute zurückgetreten. Dieser Schritt ist die Reaktion auf verschiedene Vorwürfe — der ausschlaggebende war wohl jener zu einer teuren Uhr, die Grindel von einem ukrainischen Oligarchen und Fußballfunktionär geschenkt bekommen hatte. Steht auch so bei Bild.de:

Screenshot Bild.de - DFB-Rücktritt nach Uhren-Skandal - Grindel: Ich bin tief erschüttert

Tick, tick, tick…

Der Druck war am Ende zu groß und seine Uhr als DFB-Boss heute Vormittag endgültig abgelaufen.

Über diesen “UHREN-SKANDAL” berichteten zuerst die “Bild”-Medien:

Ausriss Bild-Titelseite - DFB-Präsident Grindel - Skandal um geschenkte Luxus-Uhr
Screenshot Bild.de - DFB-Präsident Grindel - Skandal um geschenkte Luxus-Uhr

Eine “geschenkte Luxus-Uhr”? Sowas würde bei “Bild” ja niemand annehmen. Also, außer … Bei dem ganzen Wirbel um Reinhard Grindel fiel uns eine Geschichte von vor zehn Jahren ein: Damals bekam der Hamburger Sportchef der “Bild”-Zeitung Jürgen Schnitgerhans eine 1000 Euro teure Armbanduhr vom HSV-Vorstand geschenkt — also von dem Verein, über den er selbst und seine Redaktion berichteten. Schnitgerhans und “Bild” fuhren unter anderem eine ordentliche Kampagne zugunsten des HSV-Vorstandsvorsitzenden Bernd Hoffmann.

Konsequenzen aus diesem “UHREN-SKANDAL” bei “Bild”? Keine. Denn das hatte ja alles überhaupt nichts miteinander zu tun. Und außerdem handelte es sich ja auch gar nicht um ein Geschenk, wie der damalige “Bild”-Sprecher Tobias Fröhlich erklärte:

Hr. Schnitgerhans hat sich keine Uhr vom HSV-Vorstand “schenken lassen”. Sondern vielmehr wurde ihm diese Uhr vom gesamten HSV-Vorstand zum 60. Geburtstag als Würdigung und Anerkennung für seine 37-jährige Tätigkeit als Sportreporter für verschiedene Medien und speziell als journalistischer und kritischer Begleiter des Vereins überreicht. Dies wurde auch so in der Ansprache des Vorstands artikuliert.

Er wurde also für seine Gesamtleistung als langjähriger Sportjournalist und nicht als BILD-Reporter ausgezeichnet. Schnitgerhans schrieb über den HSV 1971 beim Sportmegaphon Lübeck, ab 1973 bei der Hamburger Morgenpost, seit 1980 für BILD. Aus diesem Grund sehen wir diese Auszeichnung nicht im Widerspruch zu unseren Leitlinien.

In diesen Leitlinien steht unter anderem:

Schon der Anschein, die Entscheidungsfreiheit von Journalisten könne durch Gewährung von Einladungen oder Geschenken beeinträchtigt werden, ist zu vermeiden.

Klar, so einen Anschein kann man natürlich auch durch Kleinreden vermeiden.

Mit Dank an @MikeGlindmeier für den Hinweis!

Schöner abschieben, MDR-Diskussion geplatzt, Börse für Andersdenkende

1. Ein PR-Coup des Innenministeriums: Schöner abschieben nach Kabul
(fr.de, Katja Thorwarth)
Die Deutsche Presse-Agentur hat auf Einladung des Innenministeriums einen Abschiebeflug nach Afghanistan begleitet und darüber recht einseitig berichtet, wie Katja Thorwarth kritisiert: “Natürlich kann man die Perspektive der Polizei wählen, nur trägt das zur Transparenz maximal 50 Prozent bei. Tatsächlich wird das für die abgeschobenen Menschen dramatische Ereignis auf den Routinealltag von Beamten heruntergebrochen, Emotionen werden mit dem Verweis auf “beklommene Blicke” abgefrühstückt. Eigentlich im Fokus stehende Einzelschicksale der Flüchtlinge sind ausgeblendet, das Individuum inklusive Innenleben findet im ministeriell abgesegneten Propagandastück nicht statt.”

2. Lernen Sie jemanden kennen, der ganz anders denkt als Sie!
(zeit.de)
Beim großen Projekt “Deutschland spricht” vermitteln “Zeit Online” und die beteiligten Partnermedien allen interessierten Teilnehmerinnen und Teilnehmern einen politisch anders denkenden Gesprächspartner. Das Projekt wurde erstmals 2017 initiiert und von 12.000 Personen genutzt. Im vergangenen Jahr waren es dann schon 28.000 Menschen.
Weiterer Lesetipp: Armin Falk hat das Projekt wissenschaftlich begleitet und kommt zu dem Ergebnis, “dass bereits ein zweistündiges Gespräch ­zwischen Menschen mit völlig unterschiedlichen ­politischen Ansichten reicht, um die Polarisierung abzuschwächen. Das Treffen hat Vorurteile gegenüber Andersdenkenden abgebaut: Nach dem Gespräch hielten Teilnehmer Menschen mit anderen Ansichten im Schnitt für weniger inkompetent, ­bösartig und schlecht informiert. Und sie hatten weniger den Eindruck, dass diese völlig andere Werte und Lebensvorstellungen ­haben.”

3. MDR-Diskussion mit Neonazi platzt nach heftiger Kritik
(tagesspiegel.de, Matthias Meisner)
Die geplante Diskussion des MDR zum Film “Chemnitz — Ein Jahr danach”, zu der auch ein Neonazi eingeladen war, findet nicht statt. Nachdem es einige Kritik gegeben hatte, und Diskussionspartner aus Protest ihre Teilnahme widerrufen haben, will der MDR das Publikum stattdessen mit den Machern des Films diskutieren lassen.

4. Gewalt gegen Journalisten eskaliert
(reporter-ohne-grenzen.de)
In Hongkong kommt es seit mehreren Wochen zu massiven Protesten. Auslöser war ein Gesetzentwurf, der die Auslieferung von Verdächtigen nach Festland-China erlaubt hätte. Nun wird die Lage auch für Medienschaffende gefährlich. Christian Mihr, Geschäftführer bei Reporter ohne Grenzen: “Die mittlerweile systematische Gewalt soll Journalistinnen und Journalisten abschrecken, über die Proteste zu berichten. Die Behörden in Hongkong müssen die Gewalt gegen Medienschaffende beenden und die brutalen Übergriffe untersuchen.”

5. Radio erlebt als Audio seinen x-ten Frühling
(fachjournalist.de, Ulrike Bremm)
Im Gespräch mit dem Portal “Fachjournalist” verrät der stellvertretende Hörfunkdirektor des Bayerischen Rundfunks Walter Schmich, was aus seiner Sicht guten Radiojournalismus ausmacht, wie für ihn das Radio der Zukunft aussieht und was er vom Podcast-Boom hält. Um das Radio macht er sich keine Sorge: “Hörfunk hat beispielsweise in Bayern in 20 Jahren nicht einmal vier Prozent an Reichweite verloren — das ist gar nichts. Da ist der Vorteil, dass wir ein Nebenbei-Medium sind: Ich kann z.B. am Computer arbeiten und Radio hören. Ob man uns über UKW, DAB oder als Livestream am PC hört — völlig egal, wir erreichen die Leute.”

6. Warum Bibel TV der Werbemarkt egal sein kann
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Seit mittlerweile 17 Jahren behauptet sich der kleine Nischenkanal Bibel TV am Markt. Der gemeinnützig arbeitende Sender gehört mehrheitlich der Rentrop-Stiftung, die beiden großen Kirchen besäßen jedoch eine Sperrminorität. Timo Niemeier stellt den Sender vor, bei dem “die Ausrichtung am christlichen Wertekanon und an Gewaltfreiheit” im Zentrum stehe.

Mit Grausen, Legitime Sondierungs-Leaks, Indigener Journalismus

1. «Wenn sich alle mit Grausen abwenden, erreicht die Berichterstattung nichts»
(medienwoche.ch, Benjamin von Wyl)
Benjamin von Wyl hat sich für die Schweizer “Medienwoche” mit Matthias Katsch darüber unterhalten, wie eine angemessene und sensible Berichterstattung über Missbrauch aussehen könnte. Katsch kritisiert die Fälle, bei denen “die emotionale Ergriffenheit der Betroffenen herausgefordert wird” und Tränen provoziert werden: “Der Hintergedanke ist mir klar: Tränen machen einen Bericht eindrücklich. Ich möchte nicht im Fernsehen auf so brutale Weise auf menschliches Leid hingewiesen werden. Und es ist auch dem Anliegen gegenüber unfair. Bei vielen Zuseherinnen und Zusehern verursacht das Fremdscham, man möchte das Elend in dieser Brutalität nicht sehen. Man sollte darauf verzichten, Menschen in ihrem Leid in dieser Weise vorzuführen – so wie man keine toten Körper im Fernsehen zeigt oder keine Szenen, die bestimmte Brutalaspekte haben. Wenn sich alle mit Grausen vom Thema abwenden und sagen, das ist ja so fürchterlich und das geht mir zu nah, das ist mir zu persönlich, erreicht die Berichterstattung nichts.”

2. Der Boulevard ist am Ziel
(taz.de, Steffen Grimberg)
Darf man beispielsweise einem Boulevardmedium wie “Bild” übelnehmen, dass dort regelmäßig Indiskretionen aus den Sondierungsverhandlungen verbreitet werden? Nein, findet Steffen Grimberg: “Es ist das Problem der Politik bzw. der handelnden Politiker*innen. Da wird ja alles rausgeblasen. Dass sie danach den Medien vorwerfen, dass sie ihnen zugespielte Info-Schnipsel verwenden und weitermelden, zäumt das Pferd von hinten auf.”

3. Das soll die Zukunft sein?
(sueddeutsche.de, Caspar Busse)
Der Abosender Sky will künftig Fernseher unter der Marke Sky Glass verkaufen. Caspar Busse erklärt die dahintersteckende Strategie: “Mit den neuen Fernsehern soll allerdings nicht unbedingt Geld verdient werden, hieß es am Donnerstag. Ziel sei es, die Abonnenten enger und langfristiger an Sky zu binden. Klar, wer trennt sich schon leichtfertig von seinem Fernseher?”

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4. Die Journalistin, die den “großen Zaren” kritisierte
(deutschlandfunk.de, Florian Kellermann, Audio: 4:40 Minuten)
Der Deutschlandfunk erinnert an die vor 15 Jahren ermordete Journalistin Anna Politkowskaja. Diese hatte unter anderem über den Tschetschenien-Krieg berichtet und dabei aufgedeckt, wie grausam die russische Armee und ihre tschetschenischen Verbündeten vorgingen. Unabhängige Beobachter würden davon ausgehen, dass die Auftraggeber für den Mord an Anna Politkowskaja in Verbindung zu staatlichen Strukturen in Russland und besonders in Tschetschenien stehen.

5. Indigener Journalismus: Das Recht, gehört zu werden
(de.ejo-online.eu, Roman Winkelhahn)
“EJO”-Mitarbeiter Roman Winkelhahn ist im US-Bundesstaat Arizona und hat dort beobachtet, wie indigene Gruppen durch Medien ihre Interessen vertreten. Davon könne auch der deutsche Journalismus etwas lernen: “Angemessener Minderheitenjournalismus (…) muss aktiv von der demokratischen Masse und von etablierten journalistischen Einrichtungen getragen werden, um – so wie im Fall der Native Americans in Nordarizona – effektiv seiner Informationsaufgabe nachgehen zu können.”

6. “Trump-TV”: Fox News sendet seit 25 Jahren
(rnd.de)
Die Abwahl von Donald Trump hat dem Sender anscheinend weniger geschadet als man hätte annehmen können: Der Kanal Fox News ist ein Vierteljahrhundert nach seinem Start der erfolgreichste im US-Kabelnetz. Der verlinkte Beitrag schildert die symbiotische Beziehung zwischen dem Ex-US-Präsidenten und dem Privatsender, die bei einer neuerlichen Kandidatur Trumps eine Fortsetzung erfahren könnte.

Springers Digital-Strategie, Die Wurzel des Übels, Staatstrojaner

1. Medienmacht und Triebe
(freitag.de, Wolfgang Michal)
Wolfgang Michal analysiert Springers Digital-Strategie und geht der Frage nach, warum der Konzern für die Übernahme des Nachrichtenunternehmens “Politico” den vergleichsweise hohen Preis von angeblich einer Milliarde US-Dollar bezahlte: “Offenbar verlangt die Realität zu Hause rasches Handeln. Die Auflagen der beiden Springer-Traditionszeitungen Bild und Welt schmelzen wie Butter an der Sonne. Fand Bild vor 20 Jahren noch 4,5 Millionen Käufer, sind es heute magere 1,1 Millionen. Die harte Auflage der Welt – dazu zählen Abos und Kioskverkäufe – sackte von über 200.000 auf 42.000. Bereits 2023 könnte das Printgeschäft, laut einer internen Studie, in die roten Zahlen rutschen.”

2. Soll Journalismus eingreifen statt berichten? Maren Urner vs. Florian Harms
(deutschlandfunk.de, Marco Bertolaso, Audio: 24:50 Minuten)
Soll Journalismus eingreifen, statt nur zu berichten? Unter anderem darüber diskutieren im Deutschlandfunk der t-online.de-Chefredakteur Florian Harms und die Neurowissenschaftlerin Maren Urner. Harms habe den Eindruck, dass große Teile der Bevölkerung kein grundlegendes Verständnis mehr dafür aufbrächten, wie Journalistinnen und Journalisten arbeiteten. Diese hätten deswegen die Aufgabe zu erklären, wie sie arbeiten. Urner wirbt dafür, bei der Informationsvermittlung nicht nur vollständig, sondern auch wertebezogen zu berichten.

3. Was Merkel nicht gesagt hat, war wenigstens grammatisch nicht falsch
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Medienkritiker Stefan Niggemeier liest regelmäßig die Sprachkolumne des “Hamburger Abendblatt”. Er selbst nennt es eines seiner “abwegigeren Hobbys”, und im Verlauf seines Beitrags wird einem klar, was er damit meint. In der Kolumne von Peter Schmachthagen fabuliert ein “Sprachpurist” allerlei zusammen, was im Zweifel nicht nur inhaltlich falsch ist, sondern auch von sich selbst abgeschrieben.

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4. Fragen und Antworten zur Staatstrojaner-Klage
(reporter-ohne-grenzen.de)
Reporter ohne Grenzen, das Whistleblower-Netzwerk und mehrere Investigativjournalistinnen und -journalisten haben vor verschiedenen deutschen Verwaltungsgerichten Klagen gegen die Befugnisse der deutschen Nachrichtendienste zur digitalen Überwachung von beruflicher Kommunikation eingereicht. Was genau erlaubt das im Juni 2021 reformierte Verfassungsschutzrecht den deutschen Nachrichtendiensten? Welche Konsequenzen haben diese Befugnisse? Und was erhoffen sich die Klägerinnen und Kläger? Reporter ohne Grenzen hat die wichtigsten Fragen samt Antwort zusammengefasst.

5. Die reichsten Verleger 2021
(kress.de, Markus Wiegand)
Das “Manager Magazin” veröffentlicht regelmäßig die auf Schätzungen beruhende Liste der 500 reichsten Deutschen. Wie kress.de berichtet, haben es insgesamt zehn Verleger beziehungsweise Verlegerfamilien ins Ranking geschafft. Auf den ersten drei Plätzen die Familie Mohn (Bertelsmann) mit viereinhalb Milliarden Euro, Friede Springer und Mathias Döpfner (Springer) mit zusammen vier Milliarden Euro und die Familie Burda (Hubert Burda Media) mit ebenfalls vier Milliarden Euro.

6. Rohkost ist die Einstiegsernährung zum Verschwörungsglauben
(belltower.news, Nicholas Potter)
“Rohkost ist die Einstiegsernährung zum Verschwörungsglauben” … Was sich anhört wie ein schlechter Scherz, soll bittere Realität sein: In Teilen der Rohkostszene würden die alternativen Fakten von “Querdenkern” und Verschwörungsfans auf fruchtbaren Boden fallen, berichtet Nicholas Potter. Der Weg zum Verschwörungswahn und einer tödlichen Pseudomedizin sei nicht weit. Das zeige exemplarisch das Vitalkost-Magazin “Die Wurzel”.

Pizza-Boten, Pimmelköpp, Kifferwarnung

1. Ablenkmanöver Olympia-Rechte
(carta.info, Heiko Hilker)
Heiko Hilker fragt sich, ob es ein strategischer Schachzug von ARD und ZDF war, die Olympiarechte 2018 bis 2024 nicht zu erwerben. In der Öffentlichkeit würden ARD und ZDF es so darstellen, dass ihnen 300 Millionen Euro für vier Olympische Spiele zu teuer gewesen seien. Doch die Absage könnte auch andere Gründe haben: “Dadurch, dass man die Olympischen Spiele 2018 bis 2024 erst einmal nicht bekommen hat, schlägt man mehrere Fliegen mit einer Klappe. Man zeigt, dass man nicht bereit ist, Sportrechte um „jeden Preis“ zu kaufen. Man sorgt dafür, dass fast alle Sportverbände fordern, dass sich die Sportübertragung nicht verschlechtern darf und dass die Sender versuchen sollen, weitere Rechte zu erwerben. Eine Differenzierung wird zwischen den einzelnen Sportarten nicht vorgenommen. Die realen Verhältnisse werden nicht beleuchtet. Und so geht unter, dass die Sender bisher vor allem Männer-Fußball finanzieren.”

2. “Für Menschen, die nachdenken, ist das offensichtlicher Bullshit”
(horizont.net, Sebastian Moll)
Medienkritiker Jim Rutenberg arbeitet seit 16 Jahren bei der „New York Times“. Im Interview erklärt er wie das US-Leitmedium mit Donald Trump umgeht. Jenes Leitmedium, das unlängst von der Pressekonferenz des Weißen Hauses ausgeschlossen worden war. Rutenberg gibt sich zumindest in diesem Punkt gelassen: “Ich war selbst Korrespondent im Weißen Haus und habe diese Briefings immer eher als lästig empfunden. Sie bringen einen nicht wirklich weiter. Was einen weiterbringt, ist Recherche.”

3. Wenn Journalisten zu Pizza-Boten werden
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Ein Teigfladen zum Aufbacken, mit etwas Schokoladenkrümeln belegt. Keine große Sache, aber wenn man nach den Reaktionen der Medien geht, eine Weltsensation! Boris Rosenkranz rekonstruiert auf “Übermedien” wie die “Schoko-Pizza” in den Medien zum Marketing-Selbstläufer wurde: “Wenn Journalisten zu Pizza-Boten werden”

4. „Zeit Online“ über Kölner Band Brings, Bläck Fööss und „Pimmelköpp“?
(ksta.de)
Auf “Zeit Online” erscheint ein Artikel über Lukas Podolskis Abschied aus der Nationalmannschaft, in dem – vor allem im Rheinland bekannte – Bands wie Brings, die Höhner, die Bläck Fööss und die “Pimmelköpp” erwähnt werden. Problem: Die “Pimmelköpp” gibt es nicht, gemeint waren wohl die “Klüngelköpp”. Der „Zeit Online“-Sportredakteur streitet jedoch eine Verwechslung ab. Es sollte angeblich nur ein „übertrieben erfundener Gag“ sein… PS: Eine von Witzbolden eingerichtete “Pimmelköpp”-Facebookseite hat bereits mehr als 800 Fans.

5. „Lasst uns streiten“: SLpB-Dialogplattform mit neuem Thema „Medien und Gesellschaft“ online
(flurfunk-dresden.de)
Wie das Dresdner Medienblog “Flurfunk” berichtet hat die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung (SLpB) auf ihrer digitale Dialogplattform “Lasst uns streiten” ein neues Thema zum politischen Meinungsaustausch online gestellt. Noch bis zum 13.4. kann dort über das Thema “Medien und ihr Einfluss auf unsere Gesellschaft” gestritten werden.

6. Zettels Alptraum
(kreuzer-leipzig.de, Tobias Prüwer)
Tobias Prüwer twittert einen Zettel, auf dem ein Barmensch vorm Kiffen warnt, weil am Nebentisch Polizisten sitzen würden. Danach dreht nicht nur das Internet durch, sondern auch die Medien. Redakteure von “Bild”, “Focus” und “Tag24” stürzen sich auf den Zettel und erfinden Storys ohne jede Rücksprache und Recherche. “Mal schauen, was noch passiert. Aber schon jetzt komme ich aus dem Kopfschütteln nicht heraus. Ich weiß, es ist schlecht um den Journalismus bestellt, aber so schlecht? Echt mal, es war nur eine Notiz! Es gibt wichtige Zettel wie den Schabowskis damals 89. Aber der kleine Witz soll die Öffentlichkeit interessieren? Wegen kiffen und so? Überhaupt, ich hätte das Ding ja auch fälschen können, das hat niemanden interessiert.”

Chemnitz im Würgegriff, Verpanschte Sprachkritik, Youtubes Werberausch

1. +++ »Nazis werden Tag als Sieg verbuchen« +++
(neues-deutschland.de, Sebastian Bähr & Robert D. Meyer)
In Chemnitz marschierten Tausende gewaltbereiter Hooligans und Rechtsradikale auf. Ein gefährliches Pflaster auch für erfahrene Journalisten, die sich teilweise akut gefährdet sahen und den Rückzug antraten. Sebastian Bähr war vor Ort und hat das Geschehen protokolliert.
Weitere Lesehinweise: Wolfgang Lünenbürger-Reidenbach stört sich an der Erzählweise von den “rechten und linken Demonstranten”. Auf seinem Blog schreibt er: “Es ist nicht links, gegen Nazis zu sein und aufzustehen, wenn sie marschieren oder rennen. Es ist normal.”
Thomas Laschyk kommentiert beim “Volksverpetzer”: “Durch selektive Wahrnehmung, Bots und Fake-Accounts und Fake News wurde in den letzten Jahren der Grundstein für den Faschismus gelegt. 2015 wurde zur Dolchstoßlegende des 21. Jahrhunderts konstruiert. Ein austauschbarer Anlass wurde genutzt, um die Früchte des Hasses zu ernten und auf die Straße zu tragen. Und jetzt, wird in Chemnitz auf der Straße ausgetestet, ob sich der Faschismus auch da draußen halten kann.”

2. Die Fabrikantin
(sueddeutsche.de, David Denk)
Wenn ihren Namen auch nur Insider kennen: Ute Biernat ist so etwas wie die Frontfrau der deutschen Fernsehunterhaltung. Die 58-Jährige ist Geschäftsführerin der Showsparte des Produktionsriesen Ufa und verantwortet dort Formate wie “Bauer sucht Frau” und “DSDS”. Anlässlich des aktuell bei Sky anlaufenden “X-Factor” hat David Denk die Schnellarbeiterin und Spezialistin für leicht verderbliche TV-Ware porträtiert.

3. Sprachkritik am DFB: Verband distanziert sich von eigenem Sponsor
(stefan-fries.com)
Der “Verein Deutsche Sprache” verleiht jedes Jahr einen Negativpreis. Dieses Jahr ging die Auszeichnung “Sprachpanscher des Jahres” an den Deutschen Fußballbund (DFB). Stein des Anstoßes: Das Motto “Best never rest”, das man mit dem DFB in Zusammenhang gebracht hatte. Der Sportverband reagierte verschnupft, denn das Motto stamme nicht vom DFB, sondern von DFB-Sponsor Mercedes. Stefan Fries kommentiert den in mehrfacher Hinsicht unglücklichen Vorgang: “Es ist schon eine bemerkenswerte Übung in Kritikfähigkeit, die der DFB hier zeigt. Da geht praktisch komplett unter, dass der Verein Deutsche Sprache den Urheber des Slogans tatsächlich falsch ausgemacht hat. Er müsste sich an Mercedes richten. Dass der DFB aber nun plötzlich nichts mehr damit zu tun haben will, wie er hier behauptet, ist von einer interessanten Verantwortungslosigkeit.”

4. „Wir geben nicht auf!“
(message-online.com, Mirjam Bittner & Pia Seitler)
Der französische Journalist Laurent Richard gründete das Netzwerk “forbidden stories”, das die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten weiterverfolgen will, die sich bedroht fühlen oder bereits getötet wurden — wie die bekannte Journalistin Daphne Caruana Galizia, die auf Malta einer Autobombe zum Opfer fiel. Das sogenannte Daphne-Projekt war das erste Projekt von “forbidden stories”: Journalisten von 18 Medienorganisationen aus 15 Ländern recherchierten gemeinsam, um die Arbeit der ermordeten Kollegin weiterzuführen.

5. Youtube: Nicht überspringbare Werbung wird ausgeweitet
(t3n.de)
Bei Youtube wird’s für die Zuschauer ungemütlicher: Das Videoportal weitet seine nicht überspringbare Werbung aus. Das hat natürlich einen handfesten wirtschaftlichen Hintergrund: Man will die Werbeerlöse steigern, aber auch Nutzer für die werbefreien Abo-Modelle Youtube Music und Youtube Premium gewinnen.

6. Die Buchgestalterin und Schriftstellerin Roswitha Quadflieg
(deutschlandfunk.de, Audio, 90 Minuten)
“Die unendliche Geschichte” von Michael Ende kennen Millionen: Das 1979 im Thienemanns Verlag erschienene Buch hat eine ganze Generation von Lesern und Leserinnen geprägt. Gestaltet wurde es von der Schriftstellerin und Diplom-Designerin Roswitha Quadflieg, die seinerzeit kein Pauschalhonorar, sondern einen Anteil von zwei Prozent vereinbart hatte. (Was eine ziemlich gute Entscheidung war, um es zurückhaltend zu formulieren.) Im “Deutschlandfunk” spricht sie über diese Episode, aber auch ihre weiteren schriftstellerischen Projekte.

Bezahlte Demonstranten gegen Uploadfilter? Bild.de hakt nicht nach

Die “Bild”-Medien sind auffallend still beim Thema EU-Urheberrechtsreform. Gestern, als deutschlandweit Zehntausende auf die Straße gingen, um unter anderem gegen die Einführung von Uploadfiltern zu demonstrieren, erschien bei Bild.de einer der wenigen Artikel zu dem großen aktuellen Streitthema. Und der hatte dann auch eine besondere Ausrichtung:

Screenshot Bild.de - Wegen Abstimmung zu Upload-Filtern im Europaparlament - Deutscher Abgeordneter bekam Morddrohungen

Ohne Frage: Morddrohungen gegen CDU-Politiker Axel Voss sind unter keinen Umständen in Ordnung.

Im Bild.de-Artikel kommt nicht nur Voss zu Wort, sondern auch dessen Parteikollege Daniel Caspary. Und der erzählt gar Unglaubliches:

Daniel Caspary, Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, wirft Internet-Konzernen in den USA sogar unlautere Mittel vor, mit denen sie die Reform zu torpedieren versuchten — und sich so die Zahlungen von Lizenzgebühren zu sparen. Caspary zu BILD: “Der Kampf gegen eine faire Bezahlung von Musikern, Journalisten, Fotografen und anderen Kreativen wird mit allen Mitteln geführt.”

Casparys Verdacht: “Nun wird offensichtlich versucht, auch mit gekauften Demonstranten die Verabschiedung des Urheberrechts zu verhindern. Bis zu 450 Euro werden von einer sogenannten NGO für die Demoteilnahme geboten. Das Geld scheint zumindest teilweise von großen amerikanischen Internetkonzernen zu stammen. Wenn amerikanische Konzerne mit massivem Einsatz von Desinformationen und gekauften Demonstranten versuchen, Gesetze zu verhindern, ist unsere Demokratie bedroht.”

Von amerikanischen Internetkonzernen bezahlte Demonstranten? Das ist entweder ein ganz schöner Skandal oder ein ziemlich übler Desinformationsversuch. Da würden wir ja gern mal mehr wissen: Welche “sogenannte NGO” soll das sein? Woher hat Daniel Caspary diese Geschichte? Und: Stimmt die überhaupt? Bild.de-Autorin Anne Merholz und ihr Kollege Florian Kain stellen keine dieser Fragen. Sie haken bei Caspary nicht nach. Sie äußern keine Zweifel. Der CDU-Mann kann das alles einfach so bei Bild.de behaupten. Ein bemerkenswertes Desinteresse einer Redaktion, die sich sonst auf jedes Skandälchen stürzt.

Journalist Dennis Horn hat eine ganz plausible Erklärung, was hinter den angeblichen 450 Euro Demogeld stecken könnte: Die Vereinigung von Bürgerrechts-NGOs EDRi hat für rund 20 Personen, die mit Abgeordneten des Europaparlaments über die Urheberrechtsreform sprechen wollten, die Kosten dieser Lobbyreise übernommen: bis zu 350 Euro Reise- und 100 Euro Übernachtungskosten — insgesamt also bis zu 450 Euro. Die Finanzierung dafür stamme zu zwei Dritteln von der von George Soros gegründeten Open Society Foundation und zu einem Drittel von Copyright 4 Creativity.

Das ist dann doch ein ziemlicher Unterschied zu einer “von großen amerikanischen Internetkonzernen” finanzierten “sogenannten NGO”, die “gekauften Demonstranten” “für die Demoteilnahme” 450 Euro biete. Aber das scheint bei Bild.de niemanden zu interessieren.

Ach, und ein Service-Hinweis noch für alle, die gestern bei den Demonstrationen waren und ihr Demogeld noch nicht bekommen haben: Das kann man sich hier holen. Aber dabei bitte auch diese “wichtigen Informationen” beachten.

Mit Dank an Sebastian für den Hinweis!

“Bild”-Medien lassen zu viele Polizisten im Dienst sterben

“Bild”-Chefreporter Sven Kuschel ist laut eigener Aussage “Tatort-Fan und -Hasser” und obendrein auch noch “BILD-‘Tatort’-INSPEKTOR”: Die “Bild”-Medien beantworten nach der Ausstrahlung eines jeden “Tatorts” am Sonntag immer ein paar Fragen zum aktuellen Fall. Beim “Tatort” aus Dresden, der gestern Abend im Ersten lief, wurde (Achtung, Spoiler!) eine der Kommissarinnen mit einem Messer verletzt. Deshalb fragt Bild.de:

Screenshot Bild.de - Bild-Tatort-Inspektor - Wie viele Polizisten werden im Dienst verletzt?

Antwort von “Inspektor” Kuschel:

Screenshot Bild.de - Gleich zu Beginn wurde Ermittlerin Karin Gorniak (Karin Hanczewski, 37) niedergestochen, musste ins künstliche Koma versetzt werden. In Deutschland sind rund 300.000 Polizisten im Einsatz. Laut den aktuellsten Zahlen aus dem Jahr 2017 wurde 36.000 Polizeibeamte Opfer einer Gewalttat. 45 starben durch Attacken.

45 getötete Polizistinnen und Polizisten in nur einem Jahr? Das war selbst der “Bild”-Zeitung zu viel. Im Blatt schreibt Kuschel von deutlich weniger Beamten, die “durch Attacken” starben:

Ausriss Bild-Zeitung - Gleich zu Beginn wurde Ermittlerin Karin Gorniak (Karin Hanczewski, 37) niedergestochen, musste ins künstliche Koma versetzt werden. In Deutschland sind rund 300.000 Polizisten im Einsatz. Laut den aktuellsten Zahlen aus dem Jahr 2017 wurde 36.000 Polizeibeamte Opfer einer Gewalttat. Acht starben durch Attacken.

Acht statt 45. Doch auch das ist noch zu hoch gegriffen. Beim Bundeskriminalamt (BKA) gibt es die “Bundeslagebilder Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamtinnen/-beamte”. Die aktuellste Ausgabe gilt für das Jahr 2017. Laut der Tabelle auf Seite 24 (PDF) gab es im gesamten Jahr zwei im Dienst getötete Beamte. Bei dem vollendeten Mord an zwei Polizisten handele es sich, so das BKA, um die Tat am 28. Februar 2017 im brandenburgischen Beeskow, “bei der ein Tatverdächtiger zwei Polizeibeamte auf der Flucht überfahren hat, nachdem er zuvor einen Mord im familiären Umfeld begangen haben soll.”

Das kam dann auch irgendwann bei Bild.de an. Dort heißt es nun:

Gleich zu Beginn wurde Ermittlerin Karin Gorniak (Karin Hanczewski, 37) niedergestochen, musste ins künstliche Koma versetzt werden. In Deutschland sind rund 300 000 Polizisten im Einsatz. Laut den aktuellsten Zahlen aus dem Jahr 2017 wurden 36 000 Polizeibeamte Opfer einer Gewalttat. Zwei starben durch Attacken. In 45 Fällen wurden wegen Mord- (17) oder Totschlag (28)-Versuchen gegen Angreifer ermittelt.

Jetzt müsste “BILD-‘Tatort’-Inspektor” Sven Kuschel nur noch ermitteln, dass auch seine Antwort auf die ursprüngliche Frage (“Wie viele Polizisten werden im Dienst verletzt?”) falsch ist: Es sind nicht 36.000 Polizistinnen und Polizisten, die 2017 “Opfer einer Gewalttat” wurden, sondern mehr: In 36.441 Fällen von versuchten oder vollendeten Gewalttaten waren es laut BKA 73.897 Opfer (PDF, Seite 20; wobei ein- und dieselben Person in der Statistik in einem Jahr mehrfach als Opfer gezählt werden kann, wenn sie bei verschiedenen Einsätzen Opfer wird).

Mit Dank an Florian K. und @kongraupner für die Hinweise!

Ego-Masturbator, Allgegenwärtiger Lauterbach, Nackte auf dem Mond

1. Ist die Aufregung berechtigt?
(radioeins.de, Stefan Niggemeier, Audio: 4:52 Minuten)
“Hast Du Dir die drei Stunden komplett angehört?” Eine Frage, die man gelegentlich hört, wenn es um den umstrittenen Podcast mit Florian Schröder und Serdar Somuncu geht. Eine Frage, die andeuten will, dass Somuncus misogyne, rassistische und sexistische Eruptionen in einem “satirischen Kontext” gefallen seien – ausgesprochen von der Bühnenfigur Somuncu und nicht dem Privatmann. Auch Medienkritiker Stefan Niggemeier bekam diese Frage bei radioeins als Erstes gestellt, und ja, er habe sich die drei Stunden komplett angehört. Sein Fazit: “Somuncu und Schröder und letztlich auch radioeins haben sich in eine Beteuerung geflüchtet: Ihr müsst doch wissen, dass wir das nicht so meinen und dass wir nicht wirklich sexistisch sind. Das reicht nicht. Und bei Somuncu habe ich sogar Zweifel, ob es überhaupt stimmt.”
Weiterer Guckhinweis: Die Satirikerin Sarah Bosetti hat eine direkte Botschaft an ihren Kollegen Serdar Somuncu: “… dann hast du keine Empörungsdynamiken unserer Gesellschaft entlarvt, du hast nur Menschen einen berechtigten Grund zur Empörung gegeben und dabei kräftig auf dein Ego masturbiert.” (youtube.com, 3:15 Minuten)

2. Aufklärung oder Panikmache?
(tagesschau.de, Andrej Reisin)
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach ist einer der gefragtesten Gäste in öffentlich-rechtlichen Polit-Talkshows (laut Statista-Zahlen vom Mai der gefragteste Gast) und einer der Top-Twitterer in Deutschland (aktuell auf Platz 16 im Nindo-Twitterranking). Einige seiner Tweets seien jedoch ungenau oder würden bestimmte Aspekte unter den Tisch fallen lassen, so die Kritik von Andrej Reisin. Lauterbach neige zu selektivem Zitieren und korrigiere sich bei Fehlern eher selten.

3. “Komm, die hängen wir ab!”
(sueddeutsche.de, Lea Deuber)
Lea Deuber berichtet über ihr schwieriges Korrespondentinnenleben in China: “Egal, wo man hinreist, werden die Passnummer gespeichert, das Gesicht gescannt, Bewegungsdaten aufgezeichnet. Vielerorts warten die Aufpasser schon, wenn man aus dem Zug steigt. Sie wissen, wohin man fliegt und an welchen Geschichten man arbeitet. Manchmal bleibt einem nichts anderes übrig, als im Hotelzimmer das Telefonkabel aus der Wand zu ziehen und eine Kommode vor die Tür zu schieben, wenn man wenigstens für ein paar Stunden Ruhe haben will vor den ungebetenen Besuchern.”

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4. Ausfallfonds II: Produzenten appellieren an Sender
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Bei Covid-19-bedingten Produktionsstörungen im Filmbereich springt ein 50 Millionen Euro schwerer Ausfallfonds ein. Der gilt jedoch nur für Kinofilme und High-End-Serien. Klassische TV- und Auftragsproduktionen gehen leer aus. Das soll sich nun ändern: Die Produzentenallianz wünsche sich bei einem Auftragsvolumen von geschätzt zwei Milliarden Euro zumindest einen rund 100 Millionen Euro schweren Rettungstopf.

5. Presserat: “Bild” erneut Rügen-König
(verdi.de, Monique Hofmann)
Der Beschwerdeausschuss des Deutschen Presserats hat erneut getagt. Von den 15 öffentlichen Rügen gehen allein sechs auf das Konto von “Bild” oder Bild.de. Damit bleibe die Redaktion weiterhin unangefochtener All-Time-Spitzenreiter im Rügen-Ranking.
Weiterer Lesehinweis: “Mathias Döpfner, Chef des Axel Springer Verlags, gesteht öffentlich Fehler in der Solingen-Berichterstattung der ‘Bild’ ein. Glaubhaft ist das nicht.” Steffen Grimberg schreibt in der “taz” über die kalkulierten Grenzüberschreitungen der “Bild”-Medien.

6. Geburtsstunde der “Fake News”
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers)
Vor 185 Jahren machte die “New York Sun” mit einer für damalige Verhältnisse spektakulären Lügengeschichte auf sich aufmerksam. In insgesamt sechs Teilen berichtete das Blatt von geflügelten und nackten Menschen, die auf dem Mond leben. Es war nicht nur die Geburtsstunde des “Great Moon Hoax”, es war auch die Geburtsstunde der “Fake News”.

ZDF-Doku mit Streeck, Silikon im Hirn, Institut für Rundfunktechnik

1. ZDF-Doku mit Hendrik Streeck: Warum ein Virologe kein TV-Moderator sein sollte
(rnd.de, Matthias Schwarzer)
Matthias Schwarzer hat sich im ZDF die vom Virologen Hendrik Streeck moderierte Corona-Doku angesehen. Er kritisiert die seiner Meinung nach generell zu geringe Distanz zwischen Medien und Experten, darüberhinaus habe die Streeck-Doku jedoch ein besonderes Geschmäckle: “Man wird das Gefühl nicht los, dass auch diese Sendung wieder der eigenen Selbstinszenierung dient. Und man fragt sich, warum das ZDF da mitspielt.”

2. 4,125 Millionen Euro – Kaufpreis für Spahns Villa darf jetzt genannt werden
(tagesspiegel.de, Jost Müller-Neuhof)
Der “Tagesspiegel” berichtet, dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) offenbar nicht mehr gegen Medien vorgehen wolle, die über den Kaufpreis seiner Villa in Berlin-Dahlem berichten. Zuvor habe Spahn, unter anderem gegen den “Tagesspiegel”, gerichtliche Verfügungen erwirkt, denen zufolge die Kaufsumme von 4,125 Millionen Euro öffentlich nicht genannt werden dürfe. Ganz freiwillig sei Spahns Kehrtwende jedoch nicht: Der Ruf nach Transparenz sei immer lauter geworden, und es sei fraglich, ob das Oberlandesgericht Hamburg Spahns Klagen stattgegeben hätte.

3. ZDF: Silikon im Hirn
(klima-luegendetektor.de)
Das Team des “Klima-Lügendetektors” hat sich eine Doku zur Energiewende bei ZDFinfo angeschaut und ist gewissermaßen entsetzt: “Das ist reinstes ‘Energiewende-Bashing’ ohne jegliche Substanz. Erstens erhebt sich die Frage, ob das ZDF keine eigenen Autoren besitzt, um sich fundiert den Nebenwirkungen der Energiewende zu widmen. Zweitens fragt man sich, warum nicht wenigstens der Filmstoff von internen Experten auf Plausibilität geprüft wurde, bevor ihn das ZDF einkaufte.”
Weiterer Hinweis: Bei Twitter weist der “Graslutscher” darauf hin, dass es sich um eine bereits von ihm kritisierte Doku handele, die bei Arte lief und von 89 auf 42 Minuten verdichtet worden sei. Hier sein empfehlenswerter Beitrag zum ungekürzten Original aus dem November: ARTE-Filmemacher wollen die Klimakrise jetzt durch Verzicht auf Windkraft und E-Autos lösen (graslutscher.de, Jan Hegenberg).

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4. Warum drei Schwarze Frauen bei der WDR-Runde zu Rassismus abgesagt haben
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Nachdem die verunglückte Rassismus-Ausgabe der WDR-Talkshow “Die letzte Instanz” (Erstausstrahlung im November, Wiederholung im Januar) viel Kritik geerntet hatte, hat der Sender für gestern einen Themenabend organisiert. Stefan Niggemeier kommentiert: “Der WDR wollte es diesmal besser machen – und hält sich selbst eigentlich für superprädestiniert, es richtig zu machen. Doch ausgerechnet bei der Organisation des großen Themenabends, der auch ein großer Wiedergutmachungsabend sein sollte, mit ‘Reinwaschungs-Talk’, wie es die Komikerin Enissa Amani nannte, ließ die Redaktion offenbar jegliches Gespür für die Anliegen mehrerer Schwarzer Teilnehmerinnen vermissen.”

5. “Innovation ist mehr als ein neues Produkt”
(quotenmeter.de, Sabrina Harper)
Mit dem Förderprogramm Media Company Fellowship des Media Lab Bayern sollen gezielt kleinere Medienhäuser unterstützt werden. “Quotenmeter” hat sich mit den Projekt-Macherinnen Linn Timm und Anita Zielina unterhalten. Es geht um Innovationen in der Medienbranche, Anpassungsfähigkeit und Interdisziplinarität.

6. Ausgeforscht
(taz.de, Steffen Grimberg)
Dem Institut für Rundfunktechnik (IRT) verdanken wir einige revolutionäre Techniken, beispielsweise das Videokompressionsverfahren MPEG. Nun soll das IRT, das bislang allen Öffentlich-Rechtlichen inklusive Schweiz und Österreich gehörte, abgewickelt werden. Es hätte dank lukrativer Patente eine passable Einnahmequelle werden können, aber rund 200 Millionen Euro seien dank eines windigen Rechtedeals in andere Kassen geflossen.

“Pandora-Papers”, Frontex vs. “FragDenStaat”, Handyvideo zulässig

1. So gefährlich können die “Papers”-Recherchen sein
(deutschlandfunk.de, Isabelle Klein & Michael Borgers, Audio: 9:58 Minuten)
“Panama Papers”, “Paradise Papers”, “Luxemburg Leaks” und nun die “Pandora Papers”: Die internationalen Recherchen über kriminelle Machenschaften und fragwürdige Offshore-Geschäfte reißen nicht ab. Hintergrund sei erneut ein Datenleck mit fast zwölf Millionen vertraulichen Unterlagen, die dann mehr als 600 Journalistinnen und Journalisten aus 117 Ländern ausgewertet haben. Der Deutschlandfunk hat mit Petra Blum über den aktuellen Fall gesprochen. Blum ist Mitglied des Investigativ-Zirkels ICIJ, dem die “Pandora Papers” zugespielt wurden.

2. Frontex will kein Bargeld von FragdenStaat
(netzpolitik.org, Markus Reuter)
Es ist ein Vorgang, der selbst vom EU-Parlament getadelt wird: Frontex, die milliardenschwere Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache, hat die vergleichsweise kleine Transparenzinitiative “FragDenStaat” mit einer Forderung von mehr als 10.000 Euro überzogen. Arne Semsrott von “FragDenStaat” sieht darin eine Reaktion auf eine Bitte um Auskunft: “Unsere Klage ist der erste Fall, in dem eine NGO von Frontex vor Gericht die Herausgabe von Dokumenten verlangt hat. An uns soll ein Exempel statuiert werden.”
Auf Twitter berichten die wackeren Streiter für mehr Transparenz von ihrem vergeblichen Versuch einer Geldübergabe: “Wir haben heute versucht, der EU-Grenzpolizei Frontex in Brüssel 10.520,76 Euro bar zu übergeben. Aber Frontex hat die Tür nicht aufgemacht. Offenbar wurde das gesamte Gebäude nach unserer Ankündigung der Geldübergabe geräumt, Polizei war vor Ort.”

3. Han­dy­video von einem Poli­zei­ein­satz ist zulässig
(lto.de)
Weder Bild- noch Tonaufnahmen eines Polizeieinsatzes im öffentlichen Raum sind strafbar. Die Beschlagnahmung des dazu benutzten Handys sei daher nach Ansicht des Landgerichts Osnabrück rechtswidrig. “Legal Tribune Online” fasst die Entscheidung zusammen: Letztlich habe das Gericht ausgeführt, “dass gem. § 201 a StGB das Anfertigen von Bildaufnahmen im öffentlichen Raum grundsätzlich straffrei sei. Warum das Anfertigen von Tonaufnahmen in demselben Raum strenger geahndet werden sollte, sei nicht ersichtlich.”

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4. ARD-Programmdirektorin Strobl attackiert “Bild TV”: “Ausrichtung auf Spaltung der Gesellschaft”
(augsburger-allgemeine.de, Daniel Wirsching)
In einem Gespräch mit der “Augsburger Allgemeinen” wirft die ARD-Programmdirektorin Christine Strobl den Springer-Medien und der AfD vor, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk diskreditieren zu wollen. Auf den neuen Wettbewerber “Bild TV” angesprochen, antwortet Strobl: “Der ambitionierte Versuch, Zeitung und Fernsehen zusammenzubringen, ist nicht uninteressant. Aber ich finde die Art der Berichterstattung hochproblematisch: diese Art des Zuspitzens, diese Ausrichtung auf eine Spaltung der Gesellschaft und der Umgang mit Fakten.”

5. Dritte Mahnwache vor Verleger-Villa
(verdi.de, Frank Biermann)
Thomas Hoof war Landesgeschäftsführer der NRW-Grünen, bevor er das Versandhaus Manufactum (“Es gibt sie noch, die guten Dinge”) gründete. 2008 verkaufte Hoof die Firma für einen zweistelligen Millionenbetrag an das Versandunternehmen Otto und konzentriert sich seither auf seine (zweifelhaften) verlegerischen Aktivitäten. In Hoofs Verlagsbuchhandlung in Lüdinghausen tummeln sich allerlei Autoren der Neuen Rechten. Nun regt sich Widerstand von Kritikern und Kritikerinnen: “Sie haben mit zwei Mahnwachen und in Presseerklärungen bereits deutlich gemacht, was sie von Autoren des Verlages wie den AfD-Politikern Björn Höcke und Alexander Gauland, dem Verschwörungsideologen Jürgen Elsässer und dem Rechtspopulisten Acif Pirincci (‘Die große Verschwulung’) halten.”

6. WDR startet neue Newsmarke tickr im Netz
(dwdl.de, Manuel Weis)
Der WDR hat mit “tickr” ein weiteres junges Online-Newsformat gestartet. Das Angebot richte sich an Menschen unter 25 Jahren und finde auf den Plattformen Instagram und Snapchat statt. Montags bis freitags soll es dort in rund drei Minuten die wichtigsten News, Bilder und Statements des Tages im Hochkantformat geben.

Mehr und weniger Transparenz, Appell an Koalition, Wilhelma-Visionen

1. CORRECTIV setzt sich gegen Bundesrechnungshof durch: Bundesbehörde ist zur Auskunft gezwungen
(correctiv.org)
Sieben Jahre lang hat “Correctiv” für mehr Transparenz beim Bundesrechnungshofs gekämpft und dafür durch die Instanzen bis zum Bundesverwaltungsgericht geklagt. Mit Erfolg: Der Bundesrechnungshof müsse erklären, welche Fälle er überprüft und was er beim Bundeskanzleramt, beim Verkehrs-, beim Wirtschafts- und beim Umweltministerium bemängelt hat. Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands kommentiert: “Das ist ein ermutigender Sieg der Pressefreiheit über die kleinkarierte Geheimhaltungs-Taktik einer Bundesbehörde. Ich gratuliere Correctiv zu diesem Erfolg. Gleichwohl ist es für ein demokratisches Land eine Schande, dass hier überhaupt Gerichte bemüht werden mussten. Die neue Bundesregierung muss deshalb endlich ein Presseauskunftsrecht auf Bundesebene etablieren.”
Weiterer Lesehinweis: An anderer Stelle sieht es nicht so gut aus für Transparenz und Informationsfreiheit: Innenministerium muss Twitter-DMs nicht herausgeben (netzpolitik.org, Alexander Fanta & Markus Reuter).

2. Appell an künftige Koalition
(djv.de, Hendrik Zörner)
Mehrere Organisationen, darunter der Deutsche Journalisten-Verband und der Deutsche Fachjournalisten-Verband, haben sich in einem offenen Brief an die möglichen Koalitionäre von SPD, Grünen und FDP gewandt: “Mit unzähligen Überwachungsgesetzen hat die ‘Große Koalition’ die Grund- und Freiheitsrechte schwer beschädigt. Von einem ‘Ampel’-Koalitionsvertrag mit den Parteien SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erwarten wir eine Beseitigung der schädlichsten Altlast der ‘Großen Koalition’, nämlich der Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsdaten in Deutschland.”

3. Wolfgang Blau: “Hohe Summen werden investiert, um Desinformationen über die Klimakrise zu verbreiten”
(derstandard.at, Oliver Mark)
Wolfgang Blau ist nicht nur langjähriger Journalist und Medienmanager, sondern auch Mitgründer des Oxford Climate Journalism Network. Im Interview mit dem österreichischen “Standard” bezeichnet er den Klimawandel als die größte Herausforderung, mit der der Journalismus jemals konfrontiert war, und fordert: “Eine Redaktion braucht Klimaexpertinnen, und gleichzeitig müssen – ich verwende das Wort müssen so selten wie möglich -, gleichzeitig müssen alle Mitglieder einer Redaktion zumindest Grundwissen zur Klimakrise erwerben. Das ist nötig, weil die Klimakrise sich auf jeden Bereich des Journalismus auswirken wird.”

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4. Die Deutsche Digitale Bibliothek startet das Deutsche Zeitungsportal mit zentralem Zugang zu historischen Zeitungen von 1671 bis 1950
(deutsche-digitale-bibliothek.de)
“Entdecken Sie historische Zeitungen aus den Jahren 1671 bis 1950!” Die Deutsche Digitale Bibliothek schaltet mit dem Deutschen Zeitungsportal einen zentralen Zugang zu digitalisierten historischen Zeitungen aus Kultur- und Wissenseinrichtungen frei. Eine wunderbare Quelle für private, berufliche oder wissenschaftliche Recherchen. Und das Beste: Alles davon ist kostenfrei zugänglich.

5. Neuer “Bild”-Chefredakteur Johannes Boie will Kultur grundlegend ändern
(rnd.de)
Der neue “Bild”-Chefredakteur Johannes Boie wolle sich laut einer Interview in der “Süddeutschen Zeitung” (nur mit Abo lesbar) für eine grundlegende Änderung des Redaktionsklimas bei der Boulevardzeitung einsetzen. Das bedeute ein empathisches Miteinander, “ohne die für ‘Bild’ typische Härte – auch in der politischen Linie – nach außen zu verlieren”. Inhaltlich wolle Boie bei “Bild” jedoch nichts grundlegend ändern.

6. Laut BILD sind im Haushalt 452 Millionen für die #Wilhelma drin.
(twitter.com/FinanzenBW)
Die “Bild”-Zeitung wettert in einem Empörartikel in der Stuttgart-Ausgabe gegen staatliche Verschwendung (“Immer raus mit der Kohle. Wir haben’s ja!”). Für den zoologisch-botanischen Garten der Stadt, die Wilhelma, seien angeblich mehr als 450 Millionen Euro eingeplant. In Wahrheit beträgt das Budget jedoch nur etwa 450.000 Euro, also ein Tausendstel der genannten Aufregersumme. Das Finanzministerium von Baden-Württemberg nimmt den Fehler der “Bild”-Redaktion auf Twitter mit Humor und überlegt, was man mit dem vielen Geld alles anschaffen könnte.

KW 50/22: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Wochenendausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. Ist Print tatsächlich tot oder lohnt sich eine Reanimation?
(uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 20:13 Minuten)
Der “Tagesspiegel” erscheint seit Kurzem im kleineren Tabloid-Format – ein Relaunch, für den der Verlag viel Geld ausgegeben habe. Doch ist es für Medien sinnvoll, am Papier festzuhalten? Und lässt sich damit dauerhaft die junge Zielgruppe erreichen? Darüber diskutiert Holger Klein mit Stephan Weichert, Medienwissenschaftler und Gründer des Online-Magazins “Vocer”.

2. Interview mit Stephan Orth über das Couchsurfing, Bücher schreiben und alles anderes, was wir schon immer wissen wollten
(freienpodcast.letscast.fm, Geraldine Friedrich & Francoise Hauser, Audio: 23:58 Minuten)
Der Journalist und “Reisereporter für Länder mit einem schlechten Ruf” Stephan Orth ist der Autor von Bestsellern wie “Couchsurfing im Iran” und dem Nachfolgeband “Couchsurfing in Russland”. Im Gespräch beim “Freien-Podcast” geht es unter anderem um die Frage, ob man davon leben kann, bei anderen Leuten auf dem Sofa zu schlafen.

3. Zum Austausch zwischen Medien und Publikum
(deutschlandfunk.de, Christoph Sterz, Audio: 33:08 Minuten)
Nachdem Deutschlandfunk-Hörerin Ulrike Dotzer, als Fernsehredakteurin selbst Medienprofi, ihre erste Hörerin-Mail geschrieben hatte, habe sie wochenlang keine Antwort erhalten. Im Medienpodcast “Nach Redaktionsschluss” des Deutschlandfunks (Dlf) geht es um Dotzers persönliche Erfahrung und die Wichtigkeit der Kontaktpflege zwischen Medien und Publikum. Mit Sina Fröhndrich, Leiterin der Dlf-Redaktion Meinung & Diskurs, Kerstin Dolde, Redakteurin und Leseranwältin der “Frankenpost”, und Christoph Sterz aus der Dlf-Medienredaktion.

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4. Green Production – wie nachhaltig ist die Medienproduktion?
(br.de, Sissi Pitzer & Jasmin Brock, Audio: 24:39 Minuten)
Wie nachhaltig ist die Medienproduktion? Wie kann der CO2-Fußabdruck der Branche verkleinert werden? Wie kann man auch über Inhalte das Publikum zu umweltbewusstem Handeln motivieren? Und wie schaut man umweltbewusst, zum Beispiel beim Streaming? Über diese Fragen sprechen Verantwortliche des öffentlich-rechtlichen und des privatwirtschaftlichen Rundfunks.

5. So kommen die Bücher in die Bibliothek.
(buecherrausch.podigee.io, Marcus Anhäuser, Audio: 30:55 Minuten)
Im Podcast der Städtischen Bibliotheken Dresden ist Marcus Anhäuser der Frage nachgegangen, wie Bücher in eine Bibliothek kommen – von der ersten Auswahl der Werke über das Anbringen der typischen Etiketten bis zu dem Moment, in dem das Buch ins Regal gestellt wird.

6. Die Top Ten TV-Serien 2022
(fernsehenfueralle.podigee.io, Dennis Müller, Audio: 1:20:19 Stunden)
Nachdem es bei “Fernsehen für alle” vergangene Woche um “Die Top Ten TV-Momente des Jahres 2022” ging, hat sich Dennis Müller diesmal “Serienjunkies”-Autor Bjarne Bock ins virtuelle Podcast-Studio geholt, um mit ihm die besten Serien des zurückliegenden Jahres zu krönen.

Kriegt auch Bild.de irgendwann die Wendler-Kurve?

Tanja May und Sarina Roocks sind erleichtert. Beinahe hätten sie mitansehen müssen, wie ein deutscher TV-Sender einem “Extremisten” eine Plattform bietet. Denn beinahe hätte RTLzwei eine Dokusoap über Michael Wendler und Laura Müller, “den umstrittenen Sänger und seine schwangere Frau”, wie May und Roocks schrieben, gedreht. Über den Michael Wendler, der “2021 beim Nachrichten-Dienst Telegram Corona-Regeln mit einer erschütternden Holocaust-Verharmlosung kommentiert” hatte, der immer wieder “mit kontroversen Aussagen, Verschwörungstheorien und Werbung für Krisen-Produkte (z.B. Entgiftungskuren, Strom-Aggregatoren und ‘Das große Buch der Überlebenstechniken’) die Öffentlichkeit” schockierte, der “Schwurbel-Geschäfte im Netz” machte, so May und Roocks. Doch soweit wird es nun doch nicht kommen: RTLzwei hat sich nach heftiger Kritik und großem Entsetzen von dem Projekt verabschiedet.

Tanja May und Sarina Roocks, bei “Bild” für die Promi-Berichterstattung zuständig, können aufatmen:

Gut, dass RTLZWEI die Kurve gekriegt hat.

Man stelle sich mal vor, es gäbe eine Redaktion, die durch ihre Berichterstattung einen Typen normalisiert, der auf seinem Telegram-Kanal allen möglichen Unsinn und jegliche Schrecklichkeiten zu “Ufos, Chemtrails, Impf-Panikmache, Antisemitismus, Reichsbürger-Ideologie, Pro-Putin-Propaganda, Wahlbetrug-Lügen, Klimawandelleugnung, Gewaltverherrlichung” verbreitet, wie das Team vom “Volksverpetzer” dokumentiert. Eine Redaktion, die, wenn Michael Wendler und Laura Müller ihr “Mietshaus in der Palmetto Street in Punta Gorda (Südflorida) verlassen” müssen, berichtet:

Screenshot Bild.de - Traumhaus-Aus! Warum der Wendler seine Sachen packen muss

Eine Redaktion, die, wenn Michael Wendler und Laura Müller kurz darauf ein neues Haus gefunden haben, berichtet:

Screenshot Bild.de - Ein Tag im neuen Leben der Wendlers - Neue Bude, Supermarkt und ein Luxus-Auto für Laura

Eine Redaktion, die dann auch noch “Exklusiv! Die Fotos!” dazu zeigt:

Screenshot Bild.de - Kein Pool, Nörgel-Nachbarn und die Ex um die Ecke - Wendlers neues Haus - ob Luxus-Laura darauf abfährt? Exklusiv! Die Fotos!

Eine Redaktion, die selbstverständlich auch über Michael Wendlers “NEUES BOOT” berichtet:

Screenshot Bild.de - Wendler hat ein neues Boot - Hier schlackern nicht nur Lauras Hund die Ohren

Oder eine Redaktion, die einfach mal nur “die wahre Liebesgeschichte” von Michael Wendler und Laura Müller erzählen will:

Screenshot Bild.de - Laura war 16, als sie den Wendler traf - Bei Edeka saß sie an Kasse 3 - Bild hat ihre Mitschüler und Mama Müller getroffen - Die wahre Liebesgeschichte von Laura und Michael Wendler

Das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus der umfassenden Wendler-Berichterstattung der “Bild”-Medien der vergangenen Monate und Jahre. All diese Beiträge da oben sind nach 2021 bei Bild.de erschienen, also nachdem Michael Wendler “beim Nachrichten-Dienst Telegram Corona-Regeln mit einer erschütternden Holocaust-Verharmlosung kommentiert” hatte. Die meisten Artikel befinden sich hinter der “Bild-plus”-Paywall, die Redaktion will mit Michael Wendler Geld verdienen.

Auch über Laura Müllers Schwangerschaft, also das Thema der für kurze Zeit geplanten RTLzwei-Dokusoap, deren Ausfall Tanja May und Sarina Roocks so erleichtert, berichtet die “Bild”-Redaktion ausführlich. Natürlich erstmal über die Nachricht an sich:

Screenshot Bild.de - Unser großes Glück ist unterwegs - Wendlers Laura schwanger!

Sie lässt eine alte Familienfehde aufleben:

Screenshot Bild.de - Bild hat mit Michaels Vater gesprochen - Ein Wendler-Baby? Ich habe erst mal Brechreiz gekriegt!

Schreibt über die Nachwuchsfreude in der Familie:

Screenshot Bild.de - Michaels Vater hat Brechreiz - Wer sich wirklich aufs Wendler-Baby freut!

Und dokumentiert den wachsenden Babybauch (“Und SO schön entspannt sieht ihre Schwangerschaft aus”):

Screenshot Bild.de - Exklusive Babybauch-Fotos! So schön schwanger ist Laura - und der Wendler auch

SIE trug ein schlichtes, schwarzes Kleid aus dehnbarem Material, die Haare schnell hochgesteckt. Zeigte glücklich ihre Kugel.

Hoppla! Auch Michael Wendler scheint etwas zugelegt zu haben. Sein Golf-Shirt spannt am Bauch.

Sind sie nicht herrlich normal, die Wendlers?

Die “Bild”-Redaktion rätselt auch über das Geschlecht des Kindes (und will selbst “Kohle” dafür):

Screenshot Bild.de - Laura und der Wendler - Jetzt wollen sie sogar Kohle fürs Baby-Geschlecht - BILD kennt es schon

Und lässt die Leserschaft einen Blick auf den “Schwangerschafts-Alltag bei Wendlers” werfen:

Screenshot Bild.de - Porsche-Cabrio, Weihnachtsmann und ein alter Sauger - Was der Wendler alles in seiner Garage parkt

Da ist Laura Müller “mit süßer Babykugel” unterwegs, Michael Wendler kümmert sich per Aufsitzmäher um den Rasen, und die “Bild”-Redaktion schaut in die offene Garage:

Ob die werdenden Eltern hier bald schon Teile ihrer Baby-Ausstattung parken werden?

Wir werden es zu gegebener Zeit ganz bestimmt erfahren. Denn eigentlich gibt es schon längst eine Dokusoap über Michael Wendler und Laura Müller, in verschriftlichter Form, garniert mit Fotos, bei Bild.de.

Tanja May und Sarina Roocks werden intern sicherlich dafür kämpfen, dass diese Praxis bald ein Ende hat, egal wie geil dieser Wendler-Content geklickt wird, egal wie viele “Bild-plus”-Abos man damit verkaufen kann. Denn wer will schon einen Verbreiter von Verschwörungstheorien und Holocaust-Verharmlosungen zu größerer Prominenz verhelfen?

Diagnose: eine ernst zu nehmenden Computerspiel-Werbesucht

Heute waren es bisher zwei Artikel. Am Dienstag ebenfalls zwei. Am Montag drei. Alle drehen sich um das gleiche Thema: die Fußballsimulation “FIFA 17”. Und alle sind auf der Sport-Website spox.com erschienen. Die Seite berichtet recht häufig über das Spiel. Sehr häufig. Also — sehr, sehr häufig. Allein in den vergangenen 30 Tagen sind auf der Seite 21 Artikel zu “FIFA 17” erschienen, dazu noch viele kurze Meldungen im sogenannten “Fußball-Tag”-Ticker. Man kann sagen: Das Thema beschäftigt die Redaktion.

In zwei Wochen kommt “FIFA 17” auf den Markt. Für die Spieleentwickler von “EA Sports” geht es dabei um viel Geld. Den Vorgänger — “FIFA 16” — konnte die Firma allein im ersten Monat nach Erscheinen 500.000 Mal verkaufen. Dass “FIFA 17” mindestens genauso erfolgreich wird, dafür gibt auch spox.com alles.

Jedes noch so kleine Fitzelchen zu “FIFA 17” ist dem Portal einen Text wert. Ein belgischer Profifußballer ist mit seinen Passfähigkeiten in dem Spiel nicht einverstanden? spox.com jagt einen Artikel raus. “EA Sports” gibt die virtuellen Stärken der Spieler des FC Bayern München bekannt? spox.com jagt einen Artikel raus. Die stärksten Dribbler, die versteckten Talente, “Die besten Spieler der Serie A”, “Die besten Spieler der Ligue 1”, “Die besten Spieler der Primera Division”, “Die besten Spieler der Premier League”, “Die besten Spieler der Bundesliga”. spox.com berichtet über alles:


Die Artikel sind häufig als klickgenerierende Bildergalerien angelegt — ist billig gemacht und bringt irre Zugriffszahlen. Um beispielsweise zu erfahren, dass Manuel Neuer in “FIFA 17” der stärkste Spieler beim FC Bayern München ist, muss sich die interessierte Leserschaft durch eine 27-Seiten-Galerie wühlen.

Natürlich ist es völlig legitim, dass eine Sport-Website über eine der beliebtesten Sportsimulationen berichtet, und das auch ausführlich. Aber dann doch nicht als massive Werbekampagne, die wie ganz normale Berichterstattung daherkommt.

Mit Dank an Florian G. für den Hinweis!

Kurz korrigiert (509)

Es gibt einiges zu korrigieren seit der vergangenen Ausgabe. Fangen wir also am besten direkt an …

***

… und zwar mit “Björn Böhning”, der gar nicht Björn Böhning ist. Heute in der Berlin/Brandenburg-Ausgabe der “Bild”-Zeitung:

Ausriss Bild-Zeitung - Björn Böhning (39), Chef der Senatskanzlei, steht am Kofferband und wartet

Die Person, die “am Kofferband” steht und “wartet”, ist nicht Böhning, sondern “Tagesspiegel”-Redakteur Sidney Gennies. Beide hatten Berlins Bürgermeister Michael Müller in die Partnerstadt Los Angeles begleitet — Böhning in seiner Rolle als Chef der Berliner Senatskanzlei, Gennies als Journalist.

***

Auch mit USA-Bezug, allerdings ein etwas anderes Metier:

Screenshot Bild.de - Vor den Augen seiner Kinder - Wrestling-Irrer springt wieder vom Zehn-Meter-Käfig

Über den Ausdruck “Wrestling-Irrer” lässt sich sicher streiten, schließlich handelt es sich um Shane McMahon, der nicht nur professioneller Wrestler ist, sondern auch der Sohn des “WWE”-Eigentümers Vince McMahon, und dem einigermaßen klar sein dürfte, was er da so macht. Eindeutiger ist die Sache beim angeblichen “10-Meter-Käfig”, der beim sogenannten “Hell in a Cell”-Match traditionell 20 Fuß hoch ist, was umgerechnet etwas mehr als sechs Meter sind. Deswegen sprechen die meisten Redaktionen auch von “20 feet” beziehungsweise einer “Sechs-Meter-Bruchlandung”. Nur bei Bild.de kommen noch mal vier Meter obendrauf.

***

Zehn Jahre obendrauf gab’s für France Gall, von der “WAZ”:

Ausriss WAZ - Heute vor 80 Jahren (1947) wurde France Gall geboren.

Wir haben mehrmals nachgerechnet und kommen zu dem Schluss: Entweder handelt es sich um eine Meldung vom 9. Oktober 2027, oder die “WAZ”-Redaktion hat Schwierigkeiten mit Zahlen. Die französische Sängerin France Gall wurde gestern jedenfalls 70 Jahre alt.

***

Apropos “WAZ”: Die heißt laut sportbild.de nicht mehr “Westdeutsche Allgemeine Zeitung”, sondern “Westfälische Allgemeine Zeit”:

Screenshot sportbild.de - Wer wird neuer Trainer bei den Bayern? Seit dem Rauswurf von Carlo Ancelotti brodelt die Gerüchteküche. Jetzt kommt ein neuer Name ins Spiel: Laut der WAZ (Westfälische Allgemeine Zeit) wird auch Louis van Gaal (66) als neuer Coach im Umfeld des Rekordmeisters diskutiert.

***

Aber zurück zum Jahreszahlen-Durcheinander. So eines hat auch Bild.de hinbekommen — bei dieser Geschichte:

Screenshot Bild.de - Nur null zu null gegen Peru - Messi und Argentinien vor WM-Aus

Heute Nacht entscheidet sich, ob die argentinische Nationalmannschaft und Lionel Messi bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 in Russland dabei sind. Bild.de schreibt dazu:

Dennoch ist die Quali aus argentinischer Sicht bisher eine einzige Enttäuschung!

Und es droht ein doppeltes Drama: Argentinien wäre zum ersten Mal seit 47 Jahren nicht bei einer WM-Endrunde dabei.

Da die Fußball-WM nicht alle 3,917 Jahre stattfindet, sondern alle vier Jahre, wäre Argentinien zum ersten Mal seit 48 Jahren “nicht bei einer WM-Endrunde dabei.”

***

Ebenfalls Fußball, ebenfalls ein einfacher Rechenvorgang, den Bild.de nicht hinbekommt. Nachdem FC-Bayern-Stürmer Thomas Müller gegen den FSV Mainz 05 getroffen hatte, schrieb die Redaktion:

Überragend: Es ist der 200. Scorer-Punkt in Müllers Bundesliga-Karriere (87 Tore, 103 Vorlagen) — und das in nur 261 Spielen!

Tatsächlich hat Müller bisher 97 Bundesliga-Tore geschossen. Die 200 Scorer-Punkte stimmen also — vorausgesetzt die 103 Vorlagen, die Bild.de nennt, sind korrekt. Andere Statistiken sagen allerdings, dass Müller seltener Vorlagengeber in der Bundesliga war.

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Und zum Abschluss noch eine falsche Bild.de-Rechnung. Zu den Gehältern in der ARD schreibt das Portal:

Angeführt wird die Liste von WDR-Intendant Tom Buhrow. Sein Verdienst: 399 000 Euro im 2016 — umgerechnet auf 12 Monate wären das 33 333 Euro!

Nein.

Mit Dank an Peter H., Peter S., Daniel P., Marco F., Lothar Z., Pippo, @BoehningB und @JuergenKuehner, für die Hinweise!

“Sputnik”-Geilphone, “Wikipedia”-Uploadfilter, FDP-Sharepic

1. Sputnik-Moderatoren sollen iPhones seltener geil finden
(uebermedien.de, Yannick von Eisenhart Rothe)
Auf “Sputnik”, dem “Null Werbung”-Jugendradio des MDR gab es eine iPhone-Gewinnaktion mit geradezu penetrant werblichem Charakter: Die Moderatoren im Radio und im Facebook-Livestream überboten sich geradezu in Produktnennungen und im “Geil, iPhone”-Kreischen. Nach Beschwerden reagierte der Sender zunächst trotzig: “Unsere ModeratorInnen präsentieren die Aktion hervorragend und mit großem Engagement.” Mittlerweile hat auch der Rundfunkrat die Aktion kritisiert und sieht darin Verstöße gegen die Werberichtlinien der ARD. “Übermedien” hat beim MDR nochmal nachgefragt. Dort laviert man in einer Form, die einen an der Einsicht des Senders zweifeln lässt: Es bestehe, so die Aussage, ein Unterschied in einer werblichen Wirkung, ob Produkteigenschaften benannt werden, oder ob lediglich von einem “geilen Teil” gesprochen werde.

2. Aufregung bei MDR-Sputnik-Heimattour: Journalistin ausgesperrt
(flurfunk-dresden.de, Rosalie Stephan)
Das Jugendradio des Mitteldeutschen Rundfunks, “MDR Sputnik”, veranstaltet die sogenannte “Heimattour”, eine Reihe von Partys. Man hat bei diesem Projekt offenbar mit zweifelhaften Partnern zusammengearbeitet. So war im Vorfeld der letzten Veranstaltung in Helbra (Sachsen-Anhalt) bekannt geworden, dass der Besitzer des Veranstaltungsortes der Reichsbürger-Bewegung zuzuordnen sei. Auch die “Mitteldeutsche Zeitung” hatte darüber berichtet. Mit Folgen: Der Veranstalter warf bei der wenige Tage später stattfindenden “Heimattour” die “MZ”-Journalistin Anja Förtsch raus und erteilte ihr ein Hausverbot. Der MDR hat sich mittlerweile von dem Vorgehen des Veranstalters distanziert und die Zusammenarbeit beendet.

3. Spiderman spinnt wohl
(sueddeutsche.de, Friederike Oertel)
Friederike Oertel berichtet bei Sueddeutsche.de über einen verstörenden Youtube-Trend: Dort hätte sich eine Szene etabliert, die sinnlose, brutale und teils gewaltverherrlichende Videos mit Helden aus Comic- und Animationsfilmen produziert. Die gefälschten Videos würden mit bunten Vorschaubildern locken, seien durch ihre originalgetreue Gestaltung zunächst nicht als Fake erkennbar und würden erst im Verlauf eine brutale Wendung nehmen. Noch sei unklar, wer hinter den Videos steckt.

4. #No(Upload)Filter – Bedrohen geplante Upload-Filter die Wikipedia?
(blog.wikimedia.de, Lilli Iliev)
“Wikipedia” sieht große Schwierigkeiten auf sich zukommen, sollte die neue Urheberrechtsrichtlinie durchgesetzt werden, die “Uploadfilter” vorschreibt: “Wir brauchen keine Uploadfilter, sondern für möglichst viele Online-Plattformen verantwortungsvolle, aktive Communitys, die den Kontext einer Nutzung bewerten, etwaigen Missbrauch einhegen und “schwarze Schafe” aktiv bekämpfen können. Ein lebendiges Netzwerk sorgt selbst für fairen Umgang miteinander. Ein Zwang zu Uploadfiltern dagegen ist eine Gefahr nicht nur für ungehinderte Aushandlung und Verbreitung von Freiem Wissen, sondern beim Blick auf das Netz insgesamt für die Meinungsäußerungsfreiheit einer digital erschlossenen Gesellschaft.”

5. Investigativer Journalismus in Tschechien
(de.ejo-online.eu, Pavla Holcová)
Nach der Wirtschaftskrise im Jahr 2008 fand in Tschechien ein Umbau der Medien statt: Viele westliche Medienunternehmen haben ihre Beteiligungen an den größten tschechischen Medienhäusern an tschechische und slowakische Großunternehmer verkauft. Nun befinden sich viele Medien in den Händen einiger weniger milliardenschwerer Besitzer. Doch es gibt auch eine Gegenbewegung. So wurden in letzter Zeit einige kleinere unabhängige und investigativ arbeitende Medien gegründet.

6. Lieber falsch reagieren als gar nicht
(stefan-fries.com)
Nachdem die FDP die Sondierungsgespräche mit CDU, CSU und Grünen abgebrochen hatte, veröffentlichte sie eine Grafik mit dem Text: “Lieber nicht regieren als falsch.” Computerkenner wiesen daraufhin, dass die Dateiinformationen/Metadaten nahelegen würden, dass die Grafik bereits vor einigen Tagen erstellt wurde. Für einige ein Indiz, dass die FDP den Abbruch der Sondierungsverhandlungen bereits vor Tagen beschlossen habe. So einfach ist die Sache jedoch nicht, wie Stefan Fries in seinem Blogbeitrag erklärt.

CDU-Zerstörung, AfD-Medien-Treff im Bundestag, Mein Heft und ich

1. Die Zerstörung der CDU durch einen Youtuber
(indiskretionehrensache.de, Thomas Knüwer)
“Die Zerstörung der CDU” heißt das 55-minütige Video des Youtubers Rezo, das innerhalb weniger Tage mehr als 2,5 Millionen Mal aufgerufen wurde. Thomas Knüwer kommentiert: “Ich habe das Gefühl, dass hier eine neue Generation von Journalismus entsteht. Er ist genauso emotional, kommentierend und subjektiv wie der aktuelle Journalismus älterer Generationen — und dies kann ich nicht gut finden. Doch haben Youtuber wie Rezo eine Fähigkeit, die den Redaktionen klassischer Medien abhanden gekommen ist: Sie sprechen die Sprache ihrer Zielgruppe. Und deshalb sind sie in der Lage, diese für sich zu gewinnen.”
Weitere Lesetipps: Das Interview mit Rezo, dem Macher des Videos: Wie der Youtuber Rezo in einer Stunde die Logik der CDU zerlegt (jetzt.de, Sophie Aschenbrenner & Nicolas Freund). Sowie Fridtjof Küchemann bei FAZ.net: Kommt damit klar!

2. “Erste Konferenz der freien Medien”: Wie die AfD rechte Blogger und Identitäre in den Bundestag einlud
(correctiv.org, Till Eckert)
Die AfD hat ein größeres Treffen mit Vertretern alternativer, rechter Medien im Bundestag organisiert. “Die größten Netzwerker der rechten Szene tauschten dort mit Abgeordneten Nummern aus”, schreibt Till Eckert, der für “Correctiv” ebenfalls vor Ort war und seine Eindrücke von der “1. Konferenz der freien Medien” schildert.

3. Facebook hat offenbar Mitglieder einer EU-Expertengruppe unter Druck gesetzt, die Desinformation bekämpfen sollten
(buzzfeed.com, Nico Schmidt & Daphné Dupont-Nivet)
Es sind schwerwiegende Vorwürfe, die Mitglieder einer EU-Expertengruppe gegen Facebook erheben: Das Netzwerk habe ihnen bei zu harter Regulierung mit dem Entzug von Fördergeldern für journalistische und akademische Projekte gedroht. Offenbar nutze Facebook die finanziellen Unterstützungen für Journalismus (für die nächsten drei Jahre 300 Millionen Euro) als Druckmittel.

4. Was ist in unseren journalistischen Beiträgen erlaubt, was nicht?
(blog.zeit.de)
Bei “Zeit” und “Zeit Online” hat eine gemeinsame Arbeitsgruppe “Standards und Regeln” formuliert und mit den Redaktionen diskutiert. Anschließend wurden die Regeln im Sinne der Transparenz im sogenannten “Glashaus-Blog” veröffentlicht.

5. Forscher halten Falschmeldungen für überschätztes Problem
(spiegel.de, Patrick Beuth)
Gemäß einer Untersuchung der Beratungsfirma PriceWaterhouseCoopers geht die Mehrheit der Deutschen davon aus, dass auf Facebook und Twitter vor der Europawahl massiv mit Falschmeldungen Stimmung gemacht und so die Wahl beeinflusst wird. Zu einem anderen Ergebnis kommt das Oxford Internet Institute: Derartige Falschmeldungen seien ein überschätztes Problem. Patrick Beuth stellt de Ergebnisse der Oxford-Studie vor.
Weiterer Lesetipp: EU-Wahl: Gehen Facebook, Google und Twitter ausreichend gegen Desinformation vor? (sciencemediacenter.de).

6. Mein Heft und ich
(taz.de)
Personality-Titel sind im Zeitschriftenmarkt gerade schwer angesagt, ob Barbara Schönebergers “Barbara”, Joko Winterscheidts “JWD”, Guido Maria Kretschmers “Guido” oder Eckhard von Hirschhausens “Stern Gesund leben”. Die “taz” hat ein paar Ideen für weitere Personality-Magazine und sogar schon die passenden Cover dafür parat. Mit dabei: Die Magazine “Verena” von Keks-Erbin Verena Bahlsen und das Wutbürger-Magazin “Hans-Georg”.

Kampf um Köpfe, Feindeslisten und “Nordkreuz”, Gelöschter Unfall

1. Wir verlieren den Kampf um unsere Köpfe
(spiegel.de, Sascha Lobo)

Sascha Lobo schreibt in seiner neuen Kolumne über Trumps neuestes Ablenkungsmanöver, auf das wir alle hereinfallen würden: “Trumps Grönland-Aktion hat bei mir eine Irritation ausgelöst, die wiederum aus zwei wesentlichen Komponenten bestand: Einerseits wurde meine Einschätzung bestätigt, dass Trump eine schwere Störung zu haben scheint. Andererseits habe ich mich — ja, doch: durch die Abstrusität unterhalten gefühlt. Der für die Verarbeitung des Weltgeschehens zuständige Teil meines Gehirns war regelrecht erleichtert. Denn eine Ungeheuerlichkeit, die mich wütend, aber hilflos fühlen ließ, wurde durch eine leicht verarbeitbare Groteske ersetzt. Besser hätte es für Trump in meinem Kopf gar nicht laufen können.”

2. Feindeslisten und “Nordkreuz”: Mit dieser Klage geht es weiter
(fragdenstaat.de, Arne Semsrott & Johannes Filter)
Mitglieder des rechtsextremen Netzwerks “Nordkreuz” haben Feindeslisten erstellt. Seit mehr als zwei Jahren arbeitet die sogenannte Prepper-Kommission im Auftrag des Innenministeriums von Mecklenburg-Vorpommern an dem Fall. Arne Semsrott und Johannes Filter schreiben dazu: “Weil das Ministerium die bisherigen Ergebnisse der Kommission nicht herausgeben will, verklagen wir es jetzt. Die Beamten argumentieren, die Berichte der Kommission seien lediglich Entwürfe — wir gehen aber davon aus, dass auch sie unter das Gesetz fallen. Dabei wollen wir auch herausfinden, ob das Innenministerium noch immer der Meinung ist, dass sich Prepper vor allem vor Starkregen schützen wollen.”

3. “Grund ist politisches Interesse”
(taz.de, Katharina Schipkowski)
Zwei Jahre ist es her, dass die Website linksunten.indymedia verboten wurde. Die “taz” hat sich mit der Anwältin Kristin Pietrzyk über den aktuellen Stand der Angelegenheit unterhalten. Sollte das Bundesverwaltungsgericht das Verbot für rechtmäßig befinden, könne dies weitreichende Konsequenzen haben: “Den Betreibern von Open-Posting-Plattformen wird sich die Frage stellen: Wie stark müssen wir moderieren, um nicht verboten zu werden? Was darf dann noch ein Blog, was darf eine nicht renommierte Onlinezeitung, was darf ein Forum? Das öffnet Tür und Tor für Zensur. Wenn man Pressefreiheit als Säule unserer Demokratie versteht — da wird ganz schön dran gesägt.”

4. Ich wüsste gerne …
(twitter.com, Stefan Niggemeier)
Stefan Niggemeier hat sich das Werbevideo der “Bunte” angeschaut und fragt nicht ohne Süffisanz: “Ich wüsste gerne, wie viele Menschen die @Bunte jede Woche nur wegen ihrer brillant performten und hochglanzproduzierten Werbevideos kaufen.”

5. Eine Influencerin hat ihren angeblichen Motorradunfall auf Instagram dokumentiert
(jetzt.de)
Die amerikanische Influencerin Tiffany Mitchell (mehr als 200.000 Abonnenten) hatte angeblich einen Motorradunfall. Die Bilder davon, auf denen wie zufällig zwei Marken-Wasserflaschen zu sehen sind, postete sie auf Instagram. Zahlreiche Nutzerinnen und Nutzer hatten Zweifel an der Geschichte: Einiges deute darauf hin, dass der Unfall gestellt sei. Mittlerweile hat die Influencerin die Bilder von Instagram entfernt: “Ich will einen so verletzlichen Moment nicht von Menschen missverstanden wissen.”

6. Tele 5 zeigt ein Jahr lang immer wieder den gleichen Film
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Tele-5-Chef Kai Blasberg ist für seine mitunter ungewöhnlichen Aktionen bekannt. Seine neueste Idee: 20 Jahre nach dem Kinostart von “Bang Boom Bang – Ein Todsicheres Ding” wolle man den Film ausstrahlen. Wöchentlich. Ein ganzes Jahr lang.

Neues von Holger und Silke, Hassangriffe, Schalte im Funkloch

1. Wie eine Aussage über “berlin.de” die Berliner Verwaltung aufschreckte
(tagesspiegel.de, Robert Kiesel)
Die Neu-Verleger Silke und Holger Friedrich (“Berliner Zeitung”) machen erneut von sich reden. In der “Neuen Zürcher Zeitung” ließen sie durchblicken, was sie für den “eigentlichen Schatz” ihrer Firmenübernahme halten: die Mehrheitsrechte am Städteportal berlin.de. Holger Friedrich stellt sich die digitale Zukunft so vor: “Man lädt sich die App der Stadt herunter, scannt seinen Ausweis ein, dann wird in wenigen Sekunden verifiziert, ob das Dokument valide ist oder irgendetwas juristisch vorliegt. Als Nächstes wird die Steueridentifikationsnummer abgeglichen, auch die Rückmeldung erfolgt binnen Sekunden. Fertig.” Friedrichs Aussagen stießen bei Datenschutzexperten und Behörden auf breite Ablehnung. Die Berliner Senatskanzlei reagierte umgehend: “Wir sind weit davon entfernt, einem privaten Unternehmen tiefere Einblicke in die sensiblen Daten der Berlinerinnen und Berliner zu gewähren.”
Weiterer Lesehinweis: Wer das bisherige Geschehen um die Neueigentümer der “Berliner Zeitung” nicht verfolgt hat, sei an den Beitrag von Daniel Bouhs verwiesen, der die Sache bei “Zeit Online” zusammenfasst und kommentiert: Alles in eigener Sache.

2. “Wir sind nicht geschützt”
(deutschlandfunk.de, Brigitte Baetz, Audio: 5:37 Minuten)
Brigitte Baetz hat sich für den Deutschlandfunk mit der Publizistin und Kolumnistin Margarete Stokowski über deren Erfahrungen mit Hass im Netz unterhalten. Von der Polizei habe es selbst bei schwersten Bedrohungen wenig Hilfe gegeben: “Ich hatte mal ein Beratungsgespräch, als es sehr konkrete Drohungen gegen mich gab, die man als Vergewaltigungs- oder Morddrohungen interpretieren konnte. Da wurden so Sachen geraten wie: Posten Sie nicht ihren Standort im Internet — das mache ich natürlich ohnehin nicht. Und gehen Sie nicht abends im Dunkeln alleine raus, nicht alleine unterwegs sein, was natürlich faktisch nicht funktioniert. Und wenn doch, dann nehmen Sie am Besten immer eine Taschenlampe mit.” Ein weiterer wichtiger Hinweis von Margarete Stokowski: “Hassangriffe werden auch von Leuten ausgelöst, die publizistisch tätig sind.”
Dazu passend gleich noch ein weiterer Lesetipp: Nicht jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Stephan Anpalagan analysiert mit vielen Quellenangaben die Medienfigur “Don Alphonso”.

3. Mit verknüpfter Suche findet ZDF den “Weltspiegel” der ARD
(netzpolitik.org, Leonhard Dobusch)
ARD und ZDF führen eine Mediatheken-übergreifende Suche ein. Die Lösung ist noch weit weg von perfekt, da es keine gemeinsame Ergebnisliste gibt. Leonhard Dobusch, der den Bereich Internet im ZDF-Fernsehrat vertritt, freut sich dennoch: “Dieser Suchbalken ist ein kleiner Schritt hin zu einer stärkeren Verschränkung der öffentlich-rechtlichen Angebote, aber gleichzeitig ein wichtiger symbolischer Akt: Die hermetisch voneinander abgeschlossenen Sender-Silos werden damit endlich online aufgebrochen.”

4. Geheimhaltung überwiegt nicht, wenn es um Pressefreiheit geht
(sueddeutsche.de, Ronen Steinke)
Hintergrundgespräche des Bundesnachrichtendienstes mit ausgewählten Journalistinnen und Journalisten bilden bereits seit längerer Zeit das Zentrum eines juristischen Streits. Am 18. September gab es dazu ein wegweisendes Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, zu dem jetzt die schriftliche Begründung vorliegt. “Süddeutsche”-Redakteur und Jurist Ronen Steinke ordnet das Urteil und seine möglichen Folgen ein.

5. Sagt Ihr eigentlich auch immer “Schrei doch nicht so laut! Das will er doch nur!” …
(twitter.com/sixtus)
Hater seien keine Trolle, deshalb sollten im Umgang mit ihnen nicht die üblichen “Ignorieren”-Ratschläge gelten. Mario Sixtus erklärt, warum es sich für Opfer und Zeugen lohnt, laut zu werden. Auch und gerade bei Angriffen durch eine rechtsextreme Online-Horde: “Diese Meute ist nur so lange mutig, wie sie nicht auf Widerstand trifft, wie sie sich überlegen fühlt. Wenn aber plötzlich Menschen widersprechen, zurückbrüllen, ihre Tweets melden, öffentlich Blocklisten teilen, laut werden, werden sie schnell zu Mimimi-Schneeflöckchen. Das beste, was ein Opfer tun kann, ist also laut zu werden und um Hilfe zu rufen. Das gilt bei rassistischen oder sexistischen Übergriffen in der U-Bahn genauso wie auf Twitter! Und überall gilt: Helft den Opfern und klugscheißt sie nicht voll!”

6. Unsere Schalte …
(twitter.com/tagesschau)
Das Leben hält manchmal die schönsten Pointen bereit: Als die “Tagesschau” zum Anti-Funkloch-Treffen des Bundeskabinetts ins brandenburgische Gransee-Meseberg schaltet, bricht das Interview nach wenigen Sekunden ab. Wahrscheinlich der Grund: ein Funkloch …

Höcke-Interview, Abgemahnt, Skrupellose Revolverblätter

1. MDR kündigt Höcke-Interview an
(tagesspiegel.de, Markus Ehrenberg)
Sollen öffentlich-rechtliche Sender mit einem AfD-Vertreter sprechen, der für seine extremen Positionen sowie seine rassistische und antidemokratische Agenda bekannt ist? Hat der Grundsatz der Ausgewogenheit seine Grenzen und sollte man deshalb darauf verzichten, derartigen Personen eine Bühne zu geben? Oder müssen wir das in einer Demokratie schlicht aushalten? Das sind ungefähr die Fragen, die sich anlässlich des bevorstehenden Sommerinterviews des MDR mit AfD-Landes- und Fraktionschef Björn Höcke stellen.

2. Radio Bremen verklagt Medienkritiker wegen Urheberrechtsverletzung
(rnd.de, Matthias Schwarzer)
TV-Kritiker Holger Kreymeier hat sich in einem Videobeitrag einen Film von Radio Bremen vorgeknöpft und wenig später eine Abmahnung des Senders erhalten. Hat sich Kreymeier falsch verhalten und, wie von der Gegenseite behauptet, das Zitatrecht überreizt? Oder will da ein übermächtiger Sender einen Kritiker juristisch in die Knie zwingen? Matthias Schwarzer ist dem Konflikt nachgegangen, der Mitte November vor dem Landgericht Berlin verhandelt wird.

3. Der Duden im Kreuzfeuer identitärer Sprachpolitik. Eine Randbemerkung
(scilogs.spektrum.de, Henning Lobin)
Kaum etwas steht für die deutsche Sprache wie das Nachschlagewerk Duden. Leider wird es von Ultrarechten gerne für deren nationalidentitäre Politikagenda instrumentalisiert. Sprachwissenschaftler Henning Lobin zeigt anhand von drei markanten Beispielen, dass dafür keine Unterstellung zu grob sein kann.

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4. Embedded Berichterstatter
(djv.de, Hendrik Zörner)
Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union hat bereits von der Akkreditierung zur Corona-Demo, die am Wochenende in Berlin stattfinden soll, abgeraten (siehe gestrige “6 vor 9”). Nun äußert sich auch der Deutsche Journalisten-Verband in einem Kommentar: “Kein Journalist und keine Journalistin muss sich in Deutschland zu einer Demonstration im öffentlichen Raum anmelden. Und ‘Deeskalationsteam’ stinkt geradezu nach ‘Embedded Journalism’. Wir sind aber nicht im Irak, wo Kriegsberichterstattung lebensgefährlich war, sondern in Berlin. Für die Sicherheit von Journalisten ist hierzulande immer noch die Polizei verantwortlich. Wer sich auf diesen Unsinn einlässt, ist selber schuld.”

5. Verleger Ippen übernimmt Buzzfeed Deutschland
(sueddeutsche.de, Aurelie von Blazekovic)
Nach Monaten der Ungewissheit ist nun klar: Bei “Buzzfeed Deutschland” kann es weitergehen, es wird Teil des Redaktionsnetzwerks Ippen Digital. Das Verlagskonglomerat von Dirk Ippen ist mit Publikationen wie dem “Münchner Merkur”, der “Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen”, der “tz” und der “Frankfurter Rundschau” die fünftgrößte Zeitungsgruppe in der Bundesrepublik. Anmerkung des “6 vor 9”-Kurators: Das Beitragsbild zeigt rechts Karsten Samland (vormals Schmehl), der bereits Mitte vergangenen Jahres “Buzzfeed” verlassen hat und zu TikTok gewechselt ist.
Weiterer Lesehinweis: Auf Twitter feiert Redaktionsleiter Daniel Drepper die Nachricht: “Wir sollen unter gleichen Bedingungen weiter unsere Unterhaltung und unseren Journalismus machen. Alle Mitarbeiter*innen behalten ihre Jobs und Verträge, ohne Einbußen.”

6. Burda-Zeitschrift retuschiert sich Michael Schumacher zurecht
(uebermedien.de, Mats Schönauer)
Mats Schönauer berichtet von einem perfiden Geschäftsmodell: In einer Mischung aus Skrupellosigkeit und nahezu krimineller Energie versuchen Blätter wie “Die Aktuelle” (Funke Mediengruppe), “Woche heute” (Bauer Verlag) und “Freizeit Revue” (Burda), mit dem Ex-Rennfahrer Michael Schumacher Geld zu verdienen.

Steingarts Steuermann, Twitters KI-Kapitulation, Zeitungsbote gewinnt

1. “Überlebt haben fast keine”
(taz.de, Steffen Grimberg)
Kommunikationswissenschaftlerin Mandy Tröger hat untersucht, wie sich der ostdeutsche Zeitungsmarkt nach dem Mauerfall entwickelt hat, und ihre Erkenntnisse in einem Buch zusammengefasst (“Pressefrühling und Profit – Wie westdeutsche Verlage 1989/1990 den Osten eroberten”). Im Interview mit der “taz” erklärt sie, warum die ostdeutschen Verlage es ungleich schwerer hatten, in Westdeutschland Fuß zu fassen, als andersherum die westdeutschen Verlage in Ostdeutschland.

2. “Das klassische Zeitungsmodell hat keine Zukunft”
(journalist.de, Catalina Schröder)
Was für eine Art von Journalismus findet auf dem Berliner Redaktionsschiff von Gabor Steingart statt? Wie sieht der typische Alltag aus? Und wie verläuft die Zusammenarbeit mit einen Chef, der “nicht gerade für sein leises Auftreten bekannt sei” und dessen Buch auf deutliche Kritik gestoßen ist? Catalina Schröder hat sich mit Michael Bröcker unterhalten, dem Chefredakteur und Miteigentümer der Media Pioneer Publishing AG.

3. Twitter verbietet künstlicher Intelligenz den Bildbeschnitt
(spiegel.de, Jörg Breithut)
Twitter ist es nicht gelungen, seine Künstliche Intelligenz so zu trainieren, dass Personen auf Fotos benachteiligungsfrei erkannt und in Bildausschnitten herausgestellt werden. Nun zieht das Unternehmen die Reißleine und lässt die Nutzerinnen und Nutzer wieder über die Bildausschnitte bestimmen: “Wir hoffen, dass wir das Risiko von Benachteiligung reduzieren, indem wir den Nutzern mehr Möglichkeiten geben, die Bilder zu beschneiden, und bereits beim Tweet-Verfassen anzeigen, wie die Fotos später aussehen.”
Weiterer Lesehinweis: Kampf gegen Pornographie: Medienaufsicht prüft Twitter (faz.net).

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4. Zeitungsbote gewinnt in zweiter Instanz
(verdi.de, Frank Biermann)
Die Zeitungsbranche versuche, sich trotz klarer rechtlicher Vorgaben um Nachtzuschläge für ihre Zusteller und Zustellerinnen zu drücken und wortreich Sonderregelungen für sich zu reklamieren. Damit wollte sich ein Zeitungsbote nicht abfinden und hat erfolgreich dagegen geklagt. Nun habe das Landesarbeitsgericht Hamm dessen Arbeitgeber dazu verurteilt, die Nachtzuschläge der vergangenen drei Jahre nachzuzahlen – immerhin etwa 6868 Euro.

5. Döpfners neue Rolle ist kein Erfolgsgarant für Springer
(meedia.de, Gregory Lipinski)
Springer-Chef Mathias Döpfner bekommt von der Verlegerwitwe und Großaktionärin Friede Springer ein Milliardengeschenk und kann damit noch stärkeren Einfluss auf die Geschicke des Konzerns ausüben. Damit sei jedoch längst nicht klar, dass das Verlagshaus in eine sichere Zukunft steuere, findet Gregory Lipinski. Durch die Corona-Pandemie könne schwer eingeschätzt werden, wie sich die Geschäftsmodelle für Immobilien-, Job- oder Autobörsen, in denen das Unternehmen stark investiert ist, entwickeln. Außerdem bestehe der Investor KKR auf ordentliche Renditen und habe einen kritischen Blick auf die publizistischen Flaggschiffe “Bild” und “Welt”.

6. Das Dilemma mit der starken These
(zeit.de, Meike Laaf)
Der US-amerikanische Dokumentarfilm “Das Dilemma mit den sozialen Medien” beschäftigt sich kritisch mit den Folgen der Sozialen Medien für die Gesellschaft. Meike Laaf hat sich die Netflix-Eigenproduktion angeschaut und eine differenzierte Rezension verfasst.

Gerangel um 86 Cent, Wende in der Wende, Spotifys Chartsmanipulation

1. Es geht um die Rundfunkfreiheit – und inzwischen um mehr
(mission-lifeline.de, Ruprecht Polenz)
Eigentlich hatten alle Bundesländer der Erhöhung des Rundfunkbeitrags zugestimmt, doch in Sachsen-Anhalt blockieren sowohl CDU als auch AfD das Vorhaben. Der ehemalige Generalsekretär der CDU Ruprecht Polenz kommentiert das Polit-Gerangel um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) und kritisiert dabei nicht nur die AfD, sondern auch das Timing der CDU in Sachsen-Anhalt: “Es bestand vor wenigen Monaten eine gute Gelegenheit, eine umfassende Diskussion über die Struktur des ÖRR zu führen, wenn man Änderungen herbeiführen wollte. Im September 2020 hat Sachsen-Anhalt den Medienstaatsvertrag ratifiziert – ohne größere Diskussionen oder Vorbehalte. Er regelt den allgemeinen Programmauftrag, die Zahl der Anstalten und der Programme. HIER hätte die CDU-Fraktion ihre Vorstellungen einbringen müssen. Das hat sie nicht getan.”

2. Wirkt der “Greta”-Effekt?
(taz.de, Reinhard Wolff)
Klimaaktivistin Greta Thunberg fungierte bei Schwedens auflagenstärkster Tageszeitung “Dagens Nyheter” (“DN”) für einen Tag als Gastchefredakteurin. Dies sorgte in den schwedischen Medien für geteiltes Echo. Einige Zeitungen kritisierten die Aktion, unter anderem als “Niederlage für den Nachrichtenjournalismus”. Thunbergs “DN”-Gastspiel war ein Besuch in der Redaktion vorausgegangen, bei dem sie der Zeitung ordentlich den Kopf gewaschen hatte: “Ihr sagt, ihr berichtet über die Klimakrise, aber das tut ihr nicht. Ihr berichtet über Klimaaktivisten mit Zöpfen und gelber Regenjacke, die ein paar unbequeme Sachen sagen, die Zitate bringen, die sich gut klicken. Aber das hat nichts mit der Klimakrise zu tun.”

3. Die Wende in der Wende – und die BRD-Medien
(medienblog.hypotheses.org, Michael Meyen)
Gabriel Wonn hat in seiner Masterarbeit die Berichterstattung von “Bild”, “Süddeutscher Zeitung”, “Spiegel” und “Tagesschau” zwischen dem 9. Oktober 1989 und der Volkskammerwahl am 18. März 1990 untersucht: “Vor ihnen ein Garten Eden. Hinter ihnen Stasiland: Eine Diskursanalyse über die Rolle der Westmedien im Wandlungsprozess der Wende” (PDF). Professor Michael Meyen kennt die Arbeit besonders gut, er war der offizielle Prüfer: “Wer den mit vielen Zitaten gespickten Ergebnisteil liest, kann gut nachvollziehen, weshalb sich die Stimmung in der DDR-Bevölkerung binnen weniger Monate so drastisch verändert hat – und wie hier der Grundstein für eine Folgeberichterstattung gelegt wurde, die uns die Anschluss-Lösung bis heute meist als selbstverständlich und alternativlos erscheinen lässt.”

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4. Christian Drosten: Die Stimme der Vernunft
(dwdl.de, Jan Freitag)
In der “DWDL”-Reihe “Bildschirmheldinnen & -helden 2020” geht es diesmal um Deutschlands bekanntesten Virologen Christian Drosten. Jan Freitag merkt an: “Charmante Belehrung mit gesenktem Zeigefinger und fotogenem Dackelblick – wäre Christian Drosten nicht so selbstgenügsam, er hätte das Zeug zum Eckart von Hirschhausen. Zum Glück ist ihm die Forschung wichtiger. SARS-CoV-2 wird nicht die letzte Pandemie bleiben.”

5. EU will Journalisten besser schützen
(verdi.de)
Die Europäische Kommission hat in Brüssel den “Aktionsplan für Demokratie” vorgestellt. Dabei geht es auch um die Rolle von Medien, genauer gesagt um “Maßnahmen zur Förderung freier und fairer Wahlen und einer starken demokratischen Beteiligung, zur Unterstützung freier und unabhängiger Medien und zur Bekämpfung der Desinformation”. Bislang sei der Aktionsplan nur eine umfangreiche Ankündigung. Es bleibt also abzuwarten, wie sich die Initiativen in Entwürfen und Gesetzen niederschlagen.

6. Hör mich an
(zeit.de, Silvia Silko)
“Spotify bietet Musikern an, sich in den Algorithmus des Streamingdienstes einzukaufen, um ihre Songs populärer zu machen. Früher nannte man so etwas Chartsmanipulation.” In ihrer Analyse erklärt Silvia Silko die Funktionsweise von Spotifys umstrittener “Pay-to-play”-Funktion und die daraus entstehenden Konsequenzen für den Musikmarkt.

Rechnungshof rügt BR, Klagen gegen Netflix, Länder setzten Ultimatum

1. Teure Berater
(sueddeutsche.de, Claudia Tieschky)
Der Bayerische Oberste Rechnungshof hat den Bayerischen Rundfunk wegen dessen Auftragsvergabe gerügt. Der BR habe bei Beratungsaufträgen in den Jahren 2015 bis 2020 teilweise gegen seine eigene Beschaffungsordnung verstoßen. In seiner Stellungnahme zum Prüfbericht habe der Sender der Kritik des Rechnungshofs beigepflichtet und angekündigt, seine Prüf- und Kontrollverfahren zu überarbeiten.

2. Länder setzen ARD und ZDF ein Ultimatum
(faz.net, Helmut Hartung)
Die Rundfunkkommission der Bundesländer ist sich einig: Die jüngst bekanntgewordenen Vorfälle in mehreren ARD-Anstalten würden “dem gesamten öffentlich-rechtlichen Rundfunk schaden”. Nun fordern die Länder von den Sendern “finanzwirksame Selbstverpflichtungserklärungen” und eine Überarbeitung ihrer Aufsichts- und Compliancestrukturen.

3. Reizüberflutete Reizlieferanten? Resilienter Journalismus
(sr.de, Thomas Bimesdörfer, Audio: 14:51 Minuten)
Im Interview mit Thomas Bimesdörfer spricht Stephan Weichert, Leiter des “Vocer”-Instituts, über die von ihm und Matthias Daniel (Chefredakteur “journalist”) herausgegebene Essay-Sammlung “Resilienz im Journalismus”: Wie kann sich der Berufsstand gegen Reizüberflutung schützen und für einen konstruktiven Dialog in der Gesellschaft sorgen?

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4. Maria Lorenz-Bokelberg über Podcasts und Perspektiven.
(turi2.de, Tim Gieselmann)
Maria Lorenz-Bokelberg gilt mit ihrer Firma Pool Artists als Deutschlands erfolgreichste Podcast-Produzentin. Im “turi2”-Interview geht es um den beschwerlichen Einstieg (“Es lief zwei Jahre scheiße”), die Frage, wie viel “Family and Friends” im Unternehmen steckt, und die Entscheidung, eine Zusammenarbeit mit Springer auszuschließen. Lesenswert, weil tiefergehend.

5. Ein Politikerleben ohne Twitter ist möglich. Oder nicht?
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Erst Robert Habeck, dann Kevin Kühnert, jetzt Jens Spahn – in letzter Zeit haben sich einige prominente Politiker von Twitter verabschiedet. Eine Tendenz, die Joachim Huber bedauert: “Sicher, das Diskursklima ist toxisch, mir will nur nicht in den Kopf, warum die Schreihälse, die Faktenverdreher, die Leugner und Verschwörungstheoretiker dadurch mehr Platz und Raum bekommen, dass die Vernünftigen und die Venunftbegabten diese räumen. Auf der Straße geht jeder für seine Überzeugungen demonstrieren, warum dann auch nicht im Netz?”

6. Zu falsch, um wahr zu sein?
(taz.de, Daniel Schütz)
Der Streaminganbieter Netflix wurde in Zusammenhang mit Biopics, also: Filmbiografien, diverse Male wegen Verleumdung verklagt – und zwar nicht von den im Zentrum des jeweiligen Films stehenden Hauptpersonen, sondern von Nebenfiguren. Daniel Schütz fragt sich, wie frei Fiktion mit Wahrheit umgehen darf und ob es nicht zumindest ein ethisches Gebot sein sollte, real existierende Personen vor fiktiven Zuschreibungen zu schützen, die negative Auswirkungen auf ihren Ruf haben könnten.

Er steht im Tor, im Tor, im Tor – und blick.ch kommt nicht dahinter

Die Geschichte klingt aber auch wirklich gut: James Bittner, seines Zeichens Langzeit-Ersatztorwart bei zahlreichen englischen Fußballklubs, hat nach 13 Jahren des Wartens seine ersten Einsatzminuten in einer Profiliga bekommen.

Das berichtet jedenfalls blick.ch so:

Da ist der zähe Engländer doch schon seit 13 Jahren Fussball-Profi, spielte bei Swindon, Bournemouth, den Queens Park Rangers, Fulham Exeter, Torquay, Woking, Salisbury, Forest Green, Hereford, Newport und seit 2014 bei Plymouth — und stand tatsächlich noch keine Sekunde im Tor!

Dass am vergangenen Wochenende nun 5400 Sekunden plus Nachspielzeit dazugekommen sind, liege vor allem daran, dass der Stammtorhüter von Plymouth eine längere Haftstrafe absitzen müsse und deswegen Ersatzmann Bittner ran dürfe. Noch so ein irrer Aspekt an dieser Story.

Also, zusammengefasst:

Dieser Typ hat Sitzleder! Die Geschichte von James Bittner (33) ist unglaublich — und extrem lang.

“Unglaublich” ist die Geschichte von blick.ch ebenfalls — und extrem verspätet. Denn Bittner hatte schon einmal einen Einsatz als Profi: Im Januar wurde er im Viertligaspiel — die vierte Liga zählt in England zum Profibereich — gegen Morecambe für eine Halbzeit eingewechselt. Und auch die Sache mit dem Gefängnisaufenthalt des Stammtorwarts liegt schon eine Weile zurück: Luke McCormick wurde bereits 2008 wegen fahrlässiger Tötung durch rücksichtsloses Fahren und Fahren unter Alkoholeinfluss zu einer Haftstrafe von sieben Jahren und vier Monaten verurteilt. 2012 kam er wieder frei. Am vergangenen Wochenende fehlte McCormick wegen einer Verletzung.

Zwar berichten auch zahlreiche britische Medien über Bittners besonderen Einsatz am vergangenen Wochenende. Allerdings schreiben sie vom “first league start”, also von seinem ersten Spiel von Beginn an.

Blick.ch beruft sich übrigens auf einen Bild.de-Artikel. Dort steht die Sache mit dem “Startelf-Debüt” immerhin in der Überschrift richtig …

… im Artikel heißt es aber:

Die Zahl seiner Einsätze in einer der vier englischen Profiligen: 0!

Und bei derwesten.de bekommen sie es sogar hin, in einem kurzen Absatz gleich drei vier Fehler (Alter, Vereinsname, Liga, Anzahl Profispiele) einzubauen:

34 Jahre alt ist der Torwart, der mittlerweile für Plymouth Arglye in der dritten englischen Liga das Trikot überstreift. Denn das kann er eigentlich am besten: nur das Trikot überstreifen. Diesen fiesen Gedanken könnte man zumindest haben, wenn man weiß, dass James Bittner vor 13 Jahren erstmals im Match-Kader eines Profiklubs auftauchte und seitdem genau null (!) Profispiele gemacht hat.

Man könnte auch den fiesen Gedanken haben, dass der Autor null (!) recherchiert hat.

Mit Dank an “hsbasel”.

ZEITgeschichte, Pressemonopol, Rotjäckchen

1. Der Tag, an dem die Gräfin PDS wählte
(christianankowitsch.atavist.com)
Der Gründungs-Redakteur der “ZEIT Online” Christian Ankowitsch interviewt sich selbst und nimmt uns mit in die prähistorische Anfangszeit der Seite vor 20 Jahren. Ein mit nostalgischen Bildern und allerlei Anekdoten (und Seitenhieben) versehenes und hübsch zu lesendes Stück Zeitgeschichte.

2. Netz-Hetze: “Da kommt etwas, das ist groß und böse”
(ndr.de, Fiete Stegers)
Der NDR hat sich mit dem “Spiegel”-Kolumnisten und Blogger Sascha Lobo unterhalten. Es geht u.a. um Lobos Aussage, Facebook sei ein “Deppenmagnet” und seine damit verküpfte Bitte, nicht mit den “stumpfen Horden” alleingelassen zu werden. Zur Preisverleihung des Axel-Springer-Verlags an Mark Zuckerberg als “innovativer Unternehmer, der sich sozialer Verantwortung stelle”, sagt Lobo u.a.: “Das ist mir egal. Ich lehne das Unternehmen Axel Springer grundsätzlich und aus vollem Herzen ab.”

3. Das Ende der Vielfalt für ein ganzes Bundesland
(opinion-club.com, Falk Heunemann)
Die “Mediengruppe Thüringen” legt ihre drei Zeitungstitel im Freistaat zusammen. Das ist ökonomisch kurzsichtig und publizistisch gefährlich, sagt Falk Heunemann. Und der kennt die örtliche Presselandschaft aus eigenem Wirken, hat dort einige Jahre als Redakteur gearbeitet. Durch die Pläne der zu Funke gehörenden Mediengruppe drohe nun das das erste Monopol-Bundesland.

4. Die AfD zu Gast bei der Lügenpresse
(kattascha.de)
Die AfD hat es nicht so mit der “Lügenpresse”. Doch ein Blatt bildet die Ausnahme: Die populistische Verschwörungspostille “Compact – Magazin für Souveränität”. Katharina Nocun in ihrem Schlusssatz: “Es spricht für sich selbst, wenn ausgerechnet die „Lügenpresse“-rufende AfD den Schulterschluss mit “Compact” übt. Beiden geht es keineswegs um den „Mut zur Wahrheit“ sondern darum, mit dem Schüren von Angst Stimmung & Kasse zu machen.”

5.Britta Steinwachs: Abstruse Drehbücher schaffen mediale Zerrbilder
(out-takes.de, Patrick Schreiner)
Die Soziologin Britta Steinwachs befasst sich ideologiekritisch mit popkulturellen Phänomenen. Sie hat ein Buch über die “mediale Inszenierung der Unterschicht” durch Scripted-Reality-Formate geschrieben. Im Interview erklärt sie die speziellen Mechanismen der Formate und ordnet die Sendungen gesellschaftlich ein.

6. Armes Mädchen in roter Jacke: Ein Bild geht um die Welt
(politplatschquatsch.com)
Ein Foto wandert durch die Medien. “Es ist das kleine arme ostdeutsche Mädchen in der roten Jacke. Eine Ikone der modernen Armutsgesellschaft, rettungslos verloren seit Jahren auf kaltem Beton, vergessen im Neubau-Hinterhof, verleugnet von Mutter und Vater, die nie zu sehen sind. Es hat nur die Puppe, manchmal aber auch nicht.”

Kriegsfotografie, Rekrutenclips, Sterbe-TV

1. Von den Straßen Aleppos
(faz.net, Miray Caliskan)
Der Syrer Hosam Katan wollte das Assad-Regime bekämpfen. Er hat dazu jedoch nicht die Waffe, sondern die Handykamera verwendet. Mit Erfolg: Seine Fotos mitten aus dem Bürgerkrieg wurden in den sozialen Medien verbreitet und von Nachrichtenagenturen gekauft. Der 22-jährige Katan ist mittlerweile aus Aleppo nach Deutschland geflohen und hat unlängst einen Workshop für Handyfotografie geleitet. Die “FAZ” hat mit dem geflüchteten Syrer gesprochen, dessen Ziel es ist, an der Universität von Hannover Fotojournalismus zu studieren. Und natürlich werden einige seiner Bilder aus Aleppo gezeigt.

2. Kolumnist und Legende in Haft
(taz.de, Ali Celikkan)
Die schlechten Nachrichten aus der Türkei reißen nicht ab. Nun wurde der 75-jährige “Cumhuriyet”-Kolumnist Hikmet Çetinkaya ins Gefängnis geworfen. Wegen angeblicher Unterstützung der Gülen-Bewegung. Ausgerechnet, denn Çetinkaya berichtet seit Jahrzehnten kritisch über die Gülen-Bewegung und wurde nach eigenen Angaben bereits 170 Mal von Gülenisten verklagt.

3. Bundeswehr verteidigt Web-Serie
(ndr.de)
Die Bundeswehr goes Youtube. Mit der Webserie “Die Rekruten” will man für sich und vor allem für Nachwuchs werben. Die Bundeswehr lässt sich die Filmchen 1,7 Millionen Euro kosten, die Kampagne zur Bewerbung der Clips soll noch einmal 6,2 Millionen Euro kosten. Da ist es fast zwangsläufig, dass die Frage gestellt wird, ob das Geld gut investiert ist.

4. Der fliegende Holländer im Presserecht
(carta.info, Uwe Jürgens)
Wenn es um presserechtliche Vorgänge geht, taucht immer wieder der Begriff des “fliegenden Gerichtsstands” auf. Uwe Jürgens hat einen ausführlichen und in die Tiefe gehenden Artikel über das umstrittene Phänomen verfasst, in dem er die verschiedenen Positionen vorstellt. Jürgens plädiert am Ende seines Beitrags für weniger Gerichtsstände (“Kompetenzsicherung durch Spezialisierung”) und zeigt auf, wie es die Nachbarn in der Schweiz und in Österreich gelöst haben.

5. Syrien, Aleppo. Irak, Mosul. Fragen über Fragen
(infosperber.ch, Urs P. Gasche)
Urs P. Gasche fühlt sich von den Medien schlecht informiert, was die Lage in Syrien anbelangt und hat eine Liste von 23 Fragen erstellt. “Auf alle diese Fragen gibt es keine schnellen Antworten. Wenn Krieg herrscht, sind Informationen ein Teil davon. Medien werden instrumentalisiert und manipuliert, subtil oder weniger subtil. Und zwar von allen Kriegsparteien. Deshalb wäre Zurückhaltung angesagt. Vorsichtiges Formulieren in neutraler Sprache und mit deutlichen Hinweisen auf ungesicherte Quellen.”

6. Warum das Fernsehen sterben wird
(wiwo.de, Oliver Schütte)
Oliver Schütte sieht das öffentlich-rechtliche Fernsehen in ernsthaften Schwierigkeiten: Anspruchsvolle Stoffe und Erzählweisen gebe es nur noch bei den Streamingdiensten. Die herkömmlichen Programmsender würden dagegen nur niveauloses Bügelfernsehen liefern. Schüttes Empfehlung bezüglich öffentlich-rechtlicher Zukunftsgestaltung: “Die Agenda 2025 von ARD und ZDF sollte ehrgeizige Ziele entwickeln, für die deutsche Zuschauer bereit sind, mehr als 200 Euro Rundfunkbeitrag im Jahr zu bezahlen. Nur so wird es den deutschen öffentlich-rechtlichen Sendern gelingen, international erfolgreiche Formate wie die anderer europäischer Sender („Sherlock“, „Downton Abbey“, „Borgen“ und „Gomorrha“ et cetera) zu produzieren. Andernfalls werden sich nur noch die Älteren nostalgisch an ARD und ZDF erinnern können, weil die Sender von der Bildfläche verschwunden sein werden.”

Klöckner-Klau, Katzenberger-Magazin, Straßenbahn des Todes

1. Medienminister will ARD ohne „Tagesschau“
(mz-web.de, Hagen Eichler)
Wie die “Mitteldeutsche Zeitung” berichtet, will der für Medien zuständige Landesminister Sachsen-Anhalts, Staatskanzleichef Rainer Robra (CDU), das “Erste” in seiner jetzigen Form abschaffen. Als nationaler Sender reiche das ZDF aus. Die ARD solle stattdessen “ein Schaufenster der Regionen” werden. Dazu auch: ein Interview der “Mitteldeutschen Zeitung” mit Robra. Nachtrag, 12:16 Uhr: Eine Information, die zur Nur-noch-ZDF-Forderung des CDU-Politikers nicht verlorengehen soll: Rainer Robra sitzt seit Juni 2002 im Fernsehrat — des ZDF.

2. Wie viel Klöckner steckt in Julia Klöckners Text?
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Die CDU-Politikerin Julia Klöckner hat Anfang Oktober einen Gastbeitrag in der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” veröffentlicht. Thema: der Föderalismus in Deutschland. Die Jusos aus Mainz konnten nun zeigen, dass Klöckner einige Sätze und Gedanken aus einem bereits 2007 erschienenen Aufsatz fast wörtlich übernommen hat, ohne die Quelle anzugeben. Boris Rosenkranz ist der Sache nachgegangen und hat für seinen Text auch mit dem Pressesprecher der rheinland-pfälzischen CDU-Landtagsfraktion gesprochen. Dessen Rechtfertigungen machen alles noch schlimmer.

3. kontertext: Kurzer Abstieg in die Provinz
(infosperber.ch, Mathias Knauer)
Der Musikwissenschafter, Publizist und Filmemacher Mathias Knauer beklagt den Zustand der Schweizer Kuturredaktionen und macht dies am Umgang der Medien mit dem jüngst verstorbenen Komponisten Klaus Huber fest: “Die Nachrufe, die man in Schweizer Zeitungen zu lesen bekam, bieten ein Schulbeispiel für den desolaten Zustand der Musikpublizistik in diesem Land.”

4. Auch Daniela Katzenberger bekommt eigenes Magazin
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Seit längerer Zeit gibt es von “Gruner + Jahr” das Magazin “Barbara” mit Barbara Schöneberger. Nun folgt die “Bauer Media Group” dem Trend der personalisierten Zeitschrift und bringt ein Magazin über die Reality-Show-Darstellerin Daniela Katzenberger auf den Markt. Das Heft erscheint mit einer Druckauflage von 100.000 Exemplaren und wird 2,99 Euro kosten. Doch damit ist der Trend der Personality-Zeitschrift nicht am Ende: Nächstes Jahr will “Gruner + Jahr” ein Heft über den Moderator und Entertainer Joko Winterscheidt auf den Markt bringen (“Joko”).

5. Straßenbahn des Todes
(coffeeandtv.de, Lukas Heinser)
Wenn Lukas Heinser sich mit Social Media beschäftigt, fühlt er sich in die “Straßenbahn des Todes” versetzt, in der alle die Gedanken der anderen hören können. Er will sich diese destruktive Social-Media-Kakophonie nicht länger antun und steigt, zumindest temporär, aus. “Natürlich interessiert es Facebook und Twitter kein bisschen, wenn ihnen ein unbedeutender Blogger aus Bochum alle verfügbaren Mittelfinger zeigt, aber: Hey, immerhin bin ich Blogger! Immerhin hab ich hier ein Zuhause im Internet. Und wenn mir einer auf den Teppich pisst, kann ich ihn achtkantig rauswerfen.” Transparenzhinweis: Lukas hat viele Jahre BILDblog verantwortet.

6. CNN trifft AstroTV
(youtube.com, Hans Kirchmeyr, Video, 5:25 Minuten)
Was der österreichische Onlinesender “oe24.tv” am Wahlnachmittag veranstaltet hat, war … nun ja … bemerkenswert. Ein fünfminütiger Zusammenschnitt zeigt eine wilde Mischung aus Pseudonachrichtensendung, Kaffeesatzleserei, Horserace-Berichterstattung und kompetent vorgetragener Inkompetenz.

Bild.de stellt betrunkene Britin bloß, die es gar nicht gibt

Bei Bild.de ist am vergangenen Donnerstag ein interessanter Artikel erschienen:

Screenshot Bild.de - Falsches Foto bei Bild - Geschichte hinter Mallorca-Aufnahme stimmt nicht

Am Dienstag berichtete BILD, dass eine betrunkene Britin in einen Burger-Laden auf Mallorca marschierte und dort mit hoch gerutschtem Rock ihr Essen bestellte.

Das ist leider nicht korrekt.

Das Foto ist vermutlich 2015 in Australien entstanden. Es wurde der Redaktion als angeblich aktuelle Aufnahme zugespielt, BILD ist auf die vorgetäuschte Entstehungs-Geschichte hereingefallen. Dafür bitten wir Sie, liebe Leserinnen und Leser, um Entschuldigung. Dieser Fehler hätte uns nicht passieren dürfen.

Die Redaktion.

Dass “Bild”-Mallorca-Reporter Ingo Wohlfeil und das Bild.de-Team auf einen Fake hereingefallen sind und diese Fake News unter ihren Leserinnen und Lesern verbreitet haben, ist letztlich nur ein weiteres Beispiel für die schlampige Arbeit des Portals und damit geschenkt. Viel gruseliger ist, dass die Redaktion überhaupt den Ursprungsartikel über die vermeintliche Mallorca-Urlauberin mit dem hochgerutschten Rock veröffentlicht hat. Und in welcher Form.

Zu einem Foto der Frau, auf dem man ihren nackten Hintern sieht und das offensichtlich heimlich aufgenommen wurde, schrieb Wohlfeil in seinem inzwischen gelöschten Artikel:

Screenshot Bild.de - Morgens 11 Uhr bei McDonalds - So bestellt man Burger auf Mallorca

Die Frau hat für ihre Bestellung den etwas luftigeren Look gewählt, ordert ganz ohne Scham mit blanker Kehrseite. Der ohnehin schon knappe Rock ist ihr wohl aus Versehen über den Allerwertesten gerutscht.

Ein McDonald’s-Gast zu BILD: “Sie kam aus England, konnte sich nur noch mit Ach und Krach verständigen. Kein Wunder bei gefühlten 2,5 Promille …”

Trotzdem: Bei diesem Bild essen gleich beide Augen mit.

Mal kurz angenommen, das alles wäre keine Lügengeschichte, der Bild.de aufgesessen ist, sondern tatsächlich wahr: eine betrunkene junge Frau mit “‘gefühlten 2,5 Promille'”, die sich “nur noch mit Ach und Krach verständigen” kann und der “wohl aus Versehen” der Rock hochgerutscht ist. Keine Prominente. Kein sonst wie geartetes öffentliches Interesse. Nur ein Foto, das eine ziemlich hilflose Person bloßstellt. Diese Frau macht Bild.de vor einem Millionenpublikum zur Lachnummer, zotige Sprüche inklusive. Und das bestens platziert auf der Bild.de-Startseite:

Screenshot der Bild.de-Startseite mit dem Artikel zur falschen betrunkenen Britin weit oben auf der Seite
(Unkenntlichmachung durch uns.)

“Bild” hat vor zweieinhalb Monaten verkündet, beim “‘Bild’-Girl” künftig auf Oben-ohne-Fotos verzichten zu wollen. Man habe “zunehmend” das Gefühl, “dass viele Frauen diese Bilder als kränkend oder herabwürdigend empfinden, sowohl bei uns in der Redaktion, aber auch unter unseren Leserinnen.” Betrunkene Frauen herabzuwürdigen, ist aber offenbar weiterhin in Ordnung.

Mit Dank an @einlorax für den Hinweis!

Schertzhafte Ambiguitäts-Taktik, Fetisch Schönheit, Kinder des Koran

1. Ambiguität der Aufmerksamkeit: Fallen Sie nicht noch mal auf Claas Relotius rein (Digitale November-Notizen)
(dirkvongehlen.de)
“Wenn es blöd läuft, sorgt ausgerechnet die Dokumentationspflicht, die manche Medien empfinden, dafür, dass Marketingpläne aufgehen und die Berichterstattung als Teil einer Kampagne genutzt wird.” Als Beispiel für die “Ambiguität der Aufmerksamkeit” führt Dirk von Gehlen die kalkulierte Vorwärts-Verteidigung der Relotius-Anwälte an: “Diese Kampagne war so offensichtlich, dass sie als Lehrbeispiel in Sachen Medienkompetenz und Krisenkommunikation gelesen werden kann.” Von Gehlen erklärt den dahinterstehenden Spin, und warum wir kein zweites Mal auf Relotius hereinfallen sollten.
Weiterer Lesehinweis: Laura Hertreiter fragt in der “Süddeutschen Zeitung”: Wie heldenhaft muss Juan Moreno eigentlich sein? “Das Bedürfnis scheint in weiten Teilen des Publikums groß zu sein, ihn entweder als Supermann oder als Gestrauchelten zu sehen. Es ist dasselbe Bedürfnis, das die Hochglanzgeschichten des Claas Relotius so erfolgreich gemacht hat: weil sie die Welt so wunderbar in richtig und falsch, gut und böse, wahr und unwahr sortieren, weil sie keine Fragen und Brüche zulassen.”

2. MDR überdenkt Zusammenarbeit mit Uwe Steimle
(spiegel.de)
Der sächsische Komiker und Kabarettist Uwe Steimle macht seit einiger Zeit durch rechtspopulistischen Äußerungen und Provokationen auf sich aufmerksam. Bislang hielt der MDR stets zu seinem Hauskabarettisten (“Steimles Welt”). Damit könnte es jedoch bald ein Ende haben. Der Sender wolle laut “Spiegel” die Zusammenarbeit überdenken: “Es ist eine Grenze überschritten, wenn uns jemand in die Nähe des Staatsfernsehens rückt”, so MDR-Intendantin Carola Wille.
Weiterer Lesetipp: Bei Tagesspiegel.de kommentiert Joachim Huber: “Uwe Steimle ist ein Kann-Fall. Ja, der MDR kann ihn beschäftigen. Seine Tragbarkeit folgt keinen festgefügten Maßstäben, sie muss stets neu verhandelt werden. Was nicht verhandelbar ist: Der MDR muss den freien Mitarbeiter rausschmeißen, wenn diese Behauptung zur Gewissheit wird: Uwe Steimle ist ein Antisemit.”

3. Verzerrungen und Vorurteile – eine kritische Rezension zu Constantin Schreibers “Kinder des Koran”
(disorient.de, Jan Altaner)
Auf “dis:orient” schreiben unabhängige Journalistinnen und Journalisten, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Aktivistinnen und Aktivisten über die Geschehnisse und Entwicklungen in den Ländern Westasiens und Nordafrikas. In der aktuellen Rezension des Buchs “Kinder des Koran. Was muslimische Schüler lernen” (Autor des Buchs: Constantin Schreiber) werden schwere Vorwürfe erhoben: Schreibers Analyse sei “ungenau, verzerrend und bisweilen faktisch falsch und verbreite xeno- und islamophobe Positionen, Stereotype und Diskurse”. Rezensent Jan Altaner hat viel Mühe für die Beweisführung aufgewandt und eine weitere, noch ausführlichere Langversion verfasst. 
PS: Sollte ein Statement bzw. eine Antwort von Constantin Schreiber vorliegen, werden wir es hier verlinken.

4. Worte, die vergiften
(sueddeutsche.de, Carolin Emcke)
Carolin Emcke beschäftigt sich in ihrer Kolumne mit dem oft verwendeten Begriff der “politischen Korrektheit”. Dabei handele es sich um “das Morsezeichen der Denkfaulen, mit dem sich reflexhaft alles abwehren lässt, was eingeübte Überzeugungen oder Habitus infrage stellen könnte.” Emcke lenkt den Blick auf die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen Sonntagsreden und gelebtem Alltag: “All die vollmundigen Erklärungen und Maßnahmen gegen rechtsradikale, völkische Fanatiker nützen nichts, wenn gleichzeitig all jene Bürgerinnen und Bürger herablassend bespöttelt werden, für die Respekt vor anderen keine elitäre Zumutung, sondern eine soziale Selbstverständlichkeit bedeutet.”

5. Die verrückte Sucht nach Schönheit
(rnd.de, Julia Rathcke & Imre Grimm)
Im Selfie-Zeitalter von Instagram und Co. geht es um das Ausstellen der eigenen Schönheit und die mitunter unschönen Folgen: Immer mehr junge Menschen wollen sich Schönheits-OPs unterziehen. In den Sozialen Medien machen Influencerinnen und Influencer mal mehr und mal weniger direkt Werbung für Eingriffe und Kliniken. Julia Rathcke und Imre Grimm schreiben über den Schönheitswahn der Ära Instagram, erzählen, was alles schiefgehen kann, und diskutieren die bestehende und geplante Gesetzeslage.
Weiterer Lesetipp: Imre Grimm hat mit dem Mediziner Burkard Jäger (Fachgebiet Essstörungen) über den “Fetisch Schönheit” gesprochen, der auch im Fernsehen allgegenwärtig sei: “Was sicher nicht hilft, sind Sendungen wie “Germany’s Next Topmodel”, wo Essstörungen direkt promotet werden. Das ist eine Katastrophe. Da macht sich Heidi Klum schuldig, ohne jeden Zweifel.”

6. Der Flat White unter Deutschlands trüben Showtassen
(dwdl.de, Hans Hoff)
Hans Hoff hält den Entertainer und Comedian Luke Mockridge für zu nett: “Möglicherweise braucht es aber ein bisschen mehr, wenn man herausfallen will aus der Riege der Durchschnittlichen. Bei Tante Ursulas Geburtstag wäre er bestimmt eine Stimmungsbombe, denn er kann gut risikofreies Entertainment, glutenfrei, vegan und auch für laktoseintolerante tolerabel. Man ahnt bei ihm immer, was kommt, und das kommt dann auch. Unter den trüben Showtassen in Deutschland ist er der Flat White, schön warm, aber nicht geschäumt.”
Zusätzlicher Gucktipp: Stefan Niggemeier hat sich die erste “Abendshow” von Ingmar Stadelmann im rbb angeschaut. Ein Akt der Aufopferung, den Niggemeier zu einem unterhaltsamen, wenn auch etwas schmerzhaften Video zusammengeschnitten hat: “Sieben Humor-Hacks von Ingmar Stadelmann” (uebermedien.de, Video: 3:46 Minuten).

VWs Werbeclip, Symbolbild-Idylle, Intimitätskoordinatorin

1. VW entschuldigt sich für rassistischen Werbeclip: “Falsch und geschmacklos”
(rnd.de)
Volkswagen veröffentlichte auf seinem Instagram-Kanal einen rassistischen Werbeclip und reagierte auf die aufbrandende Kritik zunächst uneinsichtig und latent patzig (“Wie ihr euch vorstellen könnt, sind wir überrascht und schockiert, dass unsere Instagram Story derart missverstanden werden kann”). Nach etwas Nachdenken wurde dem Unternehmen anscheinend die Dimension und Brisanz des Falls klar, und man schickte eine Entschuldigung hinterher, die sich ganz anders las: “Es [das Video] beleidigt alle Errungenschaften der Bürgerrechtsbewegung. Es beleidigt jeden anständigen Menschen. Wir schämen uns dafür und können es heute auch nicht erklären. Umso mehr werden wir dafür sorgen, dass wir diesen Vorgang aufklären.”

2. Behind the Scenes II – Talk mit dem Podcast-Team
(ndr.de, Korinna Hennig, Audio: 28 Minuten)
Zum zweiten Mal hat sich das Podcast-Team vom “Coronavirus-Update” (NDR) zum Backstage-Talk getroffen. Wie bereitet sich die Moderatorin auf die Gespräche mit dem Chefvirologen der Berliner Charité Christian Drosten vor? Unter welchen technischen Umständen wird produziert? Warum lässt man Drosten zur Verbesserung der Soundqualität nicht einfach seine eigene Tonspur aufnehmen, wie in der Podcast-Szene oft gefordert? Und was gibt es zu den Abrufzahlen des erfolgreichen Podcast-Formats zu sagen?

3. “Mut und viel Durchhaltevermögen gehören dazu”
(fachjournalist.de, Ulrike Bremm)
Der “Fachjournalist” hat mit Lara Gonschorowski, Chefredakteurin der “Cosmopolitan”, über Modejournalismus gesprochen: Was empfiehlt Gonschorowski Einsteigerinnen und Einsteigern? Welche Qualifikationen sollte man mitbringen? Wie sieht der Alltag in einer Moderedaktion aus? Und wie bespielt man erfolgreich so unterschiedliche Kanäle wie Heft, Online, Podcast und Social Media?

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4. Filmlöwinnen – Alles außer Cat Content
(podplayer.net, Audio, 1:09:11 Stunden)
Beim “Filmlöwinnen”-Podcast ist die Schauspielerin und Intimitätskoordinatorin Julia Effertz zu Gast. In dem Gespräch geht es um “Sex vor der Kamera” und die Frage, wie dabei verantwortungsvoll Grenzen gezogen und gewahrt werden können. Triggerwarnung: Ein Thema, das angesprochen wird, ist sexualisierte Gewalt. Das betrifft sexuelle Übergriffe am Set wie auch die filmische Darstellung von Vergewaltigung.

5. Offenbar nichts gelernt
(deutschlandfunk.de, Matthias Dell)
Matthias Dell fühlt sich beim medialen Umgang mit Teilen der Corona-Maßnahmen-Kritiker an die Zeit der “Pegida”-Proteste erinnert. Medien würden Gefahr laufen, in dieselbe Falle zu tappen: “Wieso können Medien nicht begreifen, dass nicht jeder, der sich auf Meinungsfreiheit beruft, auch an einem Austausch von Meinungen interessiert ist? Dass das Mit-dem-Grundgesetz-Rumfuchteln noch nicht bedeutet, an einer Diskussion von Standpunkten teilnehmen zu wollen? Sondern dass solche Gesten nur dazu dienen, sich in die öffentliche Debatte zu bomben, um dort kindisch die kritiklose Durchsetzung der eigenen Weltsicht zu fordern. Und zwar sofort.”
Weiterer Lesetipp: Hasnain Kazim fragt und antwortet in der “Zeit”: “Ist die Kritik an Corona-Maßnahmen falsch, nur weil Wirrköpfe und Neonazis auf den Demos mitlaufen? Nein. Aber wer sich von ihnen nicht abgrenzt, wird auch nicht gehört.”

6. Sind so brave Kinder
(sueddeutsche.de, Barbara Vorsamer)
Die dpa hat ein Foto veröffentlicht, das Redaktionen bereits hunderte Male als Symbolbild für das Thema Home-Office verwendeten. Es zeichnet ein geradezu idyllisches und friedvolles Bild: “Die Mutter des sechsjährigen Jakob und des vierjährigen Valentin arbeitet Zuhause an einem Laptop, während ihre Kinder neben ihr malen und ein Buch ansehen.” In ihrer Kolumne stellt Barbara Vorsamer die Symbolbild-Idylle infrage: “Echtes Familienleben passt nicht auf ein Symbolfoto, dafür bräuchte es eher ein Wimmelbild. In der Bildunterschrift würde dann stehen: ‘Links im Bild liegen Legosteine im Flur, in der Mitte stolpert jemand übers Ladekabel. Der kleine Junge in der Ecke (rechts) muss ganz dringend aufs Klo, aber Papa hat grad Telko und die Noise Canceller auf, deswegen hört er ihn nicht und muss nachher den See wegwischen.”

Bild.de lässt sich eine Story nicht von sowas wie Fakten kaputtmachen

Spätestens seit in Großbritannien gegen Boris Becker ein Insolvenzverfahren läuft, hat sich die “Bild”-Redaktion auf den ehemaligen Tennisstar eingeschossen (zum Beispiel: “Jetzt wird’s ernst für Boris! Diese Horror-Liste kann ihn in den Knast bringen”). Und Becker schießt zurück: Er lasse es nicht zu, dass “Julian Reichelt und sein Blatt” versuchen, “einen Menschen kaputt zu machen …mich!”

Ende November hatte “Bild” den nächsten Knaller ausgegraben:

Screenshot Bild.de - Britischer Rechtsexperte erstaunt - Boris Becker fährt Luxus-Auto wie ein Dax-Vorstand

Was für ein Auto wird Boris Becker wohl wie so ein richtiger Dax-Vorstand fahren? Den größten BMW, den man kriegen kann? Den dicksten Audi auf dem Markt? Einen Ferrari wie der VW-Vorstandsvorsitzende Herbert Diess? “Bild”-Chefreporter John Puthenpurackal schrieb:

Auch nach der Privatinsolvenz gibt Boris Becker privat weiter Gas – mit einer Luxus-Limousine.

Vor und nach der Verhandlung wurde die Tennis-Legende in einer anthrazit-farbenen E-Klasse der Marke “Mercedes-Benz” gesichtet. Das Fahrzeug gehört laut Experten hinter der S-Klasse zur oberen Kategorie der Limousinen.

Die E-Klasse, die in der einfachsten Ausstattung aktuell knapp unter 50.000 Euro kostet, ist für die meisten sicher ein teurer Spaß. Möglich, dass es auch Dax-Vorstände gibt, die E-Klasse fahren. Allerdings dürfte sich jeder von ihnen auch deutlich teurere Modelle (eine S-Klasse ist erst ab etwa 95.000 Euro zu haben) leisten können: 2019 lag das Durchschnittsgehalt eines Mitglieds im Vorstand eines im Dax gelisteten Unternehmens bei 3,4 Millionen Euro. Ob man also wirklich sagen kann, dass Boris Becker ein “Luxus-Auto wie ein Dax-Vorstand” fährt?

Zumal Becker auf dem Foto, auf das sich Bild.de bezieht, gar nicht in einer E-Klasse sitzt, sondern in einer kleineren C-Klasse. Die ist ab knapp 35.000 Euro zu haben und ein Modell der Mittelklasse.

Es ist bezeichnend, wie die “Bild”-Redaktion mit ihrer falschen Darstellung umgeht.

Ein Twitter-User wies John Puthenpurackal auf den Fehler hin, wofür sich der “Bild”-Autor bedankte. Er habe seinen Artikel aktualisiert, schrieb Puthenpurackal.

Tatsächlich hat Bild.de den Fehler transparent korrigiert (“Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version stand anstelle der C-Klasse die E-Klasse als Fahrzeugtyp. Wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen.”), was gut ist. Der Rest ist schlecht. Trotz der deutlich veränderten Faktenlage bleibt die “Bild”-Redaktion einfach bei ihrer Überschrift “Boris Becker fährt Luxus-Auto wie ein Dax-Vorstand” und bei ihrer “Luxus-Limousinen”-Geschichte:

Auch nach der Privatinsolvenz gibt Boris Becker privat weiter Gas – mit einer Luxus-Limousine.

Denn: Vor und nach der Verhandlung wurde die Tennis-Legende in einem anthrazitfarbenen Mercedes-Benz, einer C-Klasse, gesichtet.

Das Fahrzeug gehört hinter der S-Klasse und der E-Klasse zu der höheren Kategorien der Limousinen. Listenpreis: mindestens 34.000 Euro.

Dass preislich zwischen E- und C-Klasse einiges liegt – na und? Und dass damit die ursprüngliche Grundannahme futsch ist – egal. Von sowas wie Fakten hat sich die “Bild”-Redaktion noch nie eine Geschichte kaputtmachen lassen.

Mit Dank an @nutzwerker für den Hinweis!

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Martensteins (Teil-)Abschied, Orkan-Schalten, Medienliebling Winterhoff

1. Journalist bleibt bei Holtzbrinck
(taz.de)
Nachdem der “Tagesspiegel” eine seiner Kolumnen gelöscht hat, hat der Journalist und Autor Harald Martenstein seinen Abschied dort angekündigt: “Wer meinen Sound gemocht hat, sollte regelmäßig die Wochenzeitung DIE ZEIT aufschlagen, dort findet man mich im Magazin.” Martenstein hatte in der umstrittenen Kolumne über “Judensterne” auf Corona-Demos geschrieben. Seine Aussagen wurden unter anderem von der “Jüdischen Allgemeinen” kritisiert.
Weiterer Lesetipp: “taz”-Redakteurin Silke Mertins findet: Löschen ist feige – “Kommentatoren wie Martenstein gehören zu einer offenen Debattenkultur. Man kann sich an ihnen reiben und die eigenen Argumente schärfen.”

2. Die falsche These vom Tyrannenkind
(journalist.de, Gundi Herget)
Gundi Herget beschäftigt sich mit dem Fall des Kinderpsychiaters Michael Winterhoff, der jahrelang Liebling vieler Medien war, bis er endgültig entzaubert wurde, und auch Strafanzeigen gegen ihn eingingen: “Wie konnte es passieren, dass ein Kinder- und Jugendpsychiater über Jahre hinweg eine mediale Präsenz hatte, wie praktizierende Ärzte sie normalerweise weder anstreben noch zeitlich überhaupt managen können? Und warum wurden die Thesen und wissenschaftlich fragwürdigen Diagnosen eines einzelnen Arztes und Autors in den immerhin dreizehn Jahren seit Erscheinen seines ersten Buchs, Warum unsere Kinder Tyrannen werden, von Journalisten so selten kritisch hinterfragt?”

3. Live-Schalten aus dem Orkan: “Kein Bild der Welt ist es wert, dass wir hier weiter stehen”
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Boris Rosenkranz weist auf den Aberwitz von im Sturm stehenden Journalisten und Journalistinnen hin, die davor warnen, nach draußen zu gehen: “Natürlich ist es der Job von Journalisten, auch die Auswirkungen solcher Naturereignisse zu dokumentieren. Aber müssen sie sich dafür in Gefahr bringen? Müssen sie vormachen, wovor sie gleichzeitig warnen? Oder anders gefragt: Würde jemand ins Abklingbecken eines Atomreaktors tauchen, um davor zu warnen, dass Radioaktivität nicht ganz ungefährlich ist?”

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4. Fatale Schlagseite
(tagesspiegel.de, Marlis Prinzing)
Marlis Prinzing beschäftigt sich mit dem Problem der “False Balance” rund um das Thema Corona, das dazu führe, dass umstrittenen Minderheitenmeinungen überproportionale Aufmerksamkeit geschenkt wird. Sie fordert eine “sachgerechte Ausgewogenheit”: “Dazu gehört, qualitativ zu gewichten, also Ereignisse und Positionen proportional zu den realen Kräfteverhältnissen und Belegbarkeiten darzustellen, sie einzuordnen (Sind es Außenseiterpositionen?) und zu kontextualisieren (Was lässt sich über die Struktur der Querdenken-Bewegung recherchieren? etc.).”

5. Transparenz statt voller Taschen
(djv.de, Hendrik Zörner)
Nachdem bekannt geworden ist, dass der Springer-Konzern einen Bonus von 88,8 Millionen Euro an seinen Vorstand ausschüttet, fordert der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) eine Überprüfung durch unabhängige Wirtschaftsexperten: “Die Journalistinnen und Journalisten der Springer-Medien haben ein Anrecht darauf zu erfahren, wie sich diese absurd hohen Boni mit dem Versagen von Mathias Döpfner & Co. in der Bild-Affäre vertragen”, so der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall.

6. Wie die ARD Anlauf nimmt, um den Fehler der BBC noch mal zu machen
(dwdl.de, Peer Schader)
Peer Schader kritisiert den Umgang der ARD mit ihrem Junge-Leute-Sender One. Die aktuelle Entwicklung erinnere an die Fehler der BBC mit ihrem linearen Programm BBC Three. Schaders Fazit: “Nachdem das ZDF zu Gunsten der Absicherung seines quantitativ messbaren Erfolgs mit Neo so spektakulär am eigenen Anspruch gescheitert ist, wäre es umso wichtiger, dass die ARD erkennt, welche Chance (und Pflicht!) sie hätte, eine öffentlich-rechtliche kanalübergreifende Programmalternative für junge Zuschauerinnen und Zuschauer zu etablieren.”

Bild  

Jetzt bringen auch noch die Fluten “unseren Urlaub” in Gefahr

In Österreich und Slowenien gab es Ende vergangener Woche nach heftigen Regenfällen schwere Überschwemmungen. Die “Bild”-Redaktion berichtete am Montag im Blatt darüber, unter anderem mit diesem Foto:

Ausriss Bild-Zeitung - Zu sehen ist eine Aufnahme eines Hauses, das von den Wassermassen mitgerissen wurde - dazu die Bildunterschrift: Ein Haus in Prevalje (Slowenien) ist nach einer Flutwelle eingestürzt

Im harmlosesten Fall ist auf dem Bild eine zerstörte Lebensgrundlage einer Person oder einer Familie zu sehen, ein weggeschwemmtes Zuhause. Im schlimmsten Fall gab es dort Tote oder Verletzte. Mindestens sechs Menschen sind in Slowenien im Zusammenhang mit dem Unwetter ums Leben gekommen.

Welche eine Frage zur Situation im Katastrophengebiet ist für die “Bild”-Redaktion wohl von so zentraler Bedeutung, dass sie unbedingt in der Überschrift des Artikels gestellt werden muss?

Ausriss Bild-Zeitung - Zu sehen ist dasselbe Foto wie oben mit der Bildunterschrift und nun zusätzlich die Artikelüberschrift: Ist unser Urlaub in Österreich in Gefahr?

Es ist leider wenig überraschend: Wer sich regelmäßig zuallererst um “unseren Urlaub” sorgt, wenn in südeuropäischen Urlaubsregionen die Wälder brennen, sorgt sich natürlich auch zuallererst um “unseren Urlaub”, wenn in mitteleuropäischen Urlaubsregionen Wassermassen durch die Straßen jagen.

Eine Antwort auf die Frage nach “unserem Urlaub in Österreich” gibt es im “Bild”-Artikel übrigens nicht. Nicht mal das.

  • Lesetipp: In der “Süddeutschen Zeitung” schreibt Cornelius Pollmer sehr lesenswert über die “journalistische Reiseantrittsverunsicherung” in der “Bild”-Berichterstattung:

    Nun lässt sich der Boulevard oft ganz gut aushalten, wenn beim Lesen niemand zu Schaden kommt. Bei Feuern und Fluten allerdings kommen durchaus Menschen zu Schaden und die Frage sei in Gedanken kurz erörtert, wie angemessen es ist, zunächst Wohl und Wehe deutscher Jahresurlauber zu erörtern, wenn irgendwo die Hütte brennt oder eben absäuft.

    Der Text ist allerdings nur mit einem Abo lesbar.

Bild  

Ein Herz für Schmutzkampagnen

Das Verhältnis zwischen der “Bild”-Hilfsorganisation “Ein Herz für Kinder” und dem Deutschen Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI) ist — gelinde gesagt — durchwachsen. Während viele andere Hilfsorganisationen sich von der unabhängigen Institution auf die korrekte und transparente Verwendung von Spendengeldern prüfen lassen und dafür das DZI Spenden-Siegel erhalten, sieht “Ein Herz für Kinder” keinen Bedarf hierfür. Entsprechend war nach der Haiti-Spendengala Anfang des Jahres auf Welt.de zu lesen:

Das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI) kritisierte “Ein Herz für Kinder” als intransparent. “Im Gegensatz zu allen anderen Partner-Hilfswerken der Spendengala veröffentlicht die Organisation keine Finanzberichte”, sagte DZI-Geschäftsführer Burkhard Wilke dem EPD. Dadurch sei nicht klar, wie viel Geld “Bild hilft” etwa für Werbung und Verwaltung ausgebe.

Mehr über
“Ein Herz für Kinder”:

Springer wiederum hält herzlich wenig vom DZI Spendensiegel:

Ein “Herz für Kinder” hat das “Spenden-Siegel” nie beantragt. Mit dem eingesparten Geld (10 000 Euro jährlich) hilft die BILD-Aktion lieber denjenigen, die es dringender brauchen als das halbstaatliche DZI.

Diese Aussage findet sich am Ende eines Artikels, der jüngst unter der Überschrift “Zu teuer, zu bürokratisch — Helfer wollen Spendensiegel boykottieren!” in der gedruckten “Bild”, auf Bild.de und sogar auf der Homepage von “Ein Herz für Kinder” erschienen ist. Die beiden Autoren Einar Koch und Hans-Jörg Vehlewald geben sich darin größte Mühe, das baldige Ende des DZI Spendensiegels heraufzubeschwören:

Es gilt als “TÜV der guten Tat” — doch jetzt droht dem “Spenden-Siegel” nach fast 20 Jahren das Aus!

Begründet wird das folgendermaßen:

Hilfsorganisationen wie DRK, Johanniter und Malteser erwägen einen Boykott des Siegels. Sie befürchten dramatisch steigende Verwaltungskosten zu Lasten von Notopfern. In einem Brandbrief der Johanniter heißt es: “Wissend um die Notwendigkeit von Effizienz und Transparenz müssen wir in Erwägung ziehen, auf das DZI-Spenden-Siegel zu verzichten”. Der Deutsche Caritasverband moniert: “Die mit dem Spenden-Siegel verbundenen Kosten stehen in keinem Verhältnis mehr zum erzielbaren Nutzen!”

Zwar sind oder waren alle von “Bild” genannten Hilfsorganisationen tatsächlich unzufrieden mit den neuen Vergabeleitlinien des Spendensiegels. Von Boykott oder auch nur Boykottdrohungen kann aber keine Rede sein und das wäre auch leicht herauszufinden gewesen, wenn sich auch nur einer der beiden Redakteure bequemt hätte, bei den betreffenden Hilfsorganisationen rückzufragen.

Auf Anfrage von BILDblog erklärte Svenja Koch vom Deutschen Roten Kreuz (DRK), man plane keinen Boykott und sei zudem von “Bild” nicht um Stellungnahme gebeten worden. Christoph Zeller von den Maltesern hat dieselbe Erfahrung gemacht. Er teilte mit:

Eine Bitte um Stellungnahme seitens der “Bild”-Redaktion hat uns nicht erreicht. Wir Malteser sind grundsätzlich für ein Spendensiegel und bleiben weiter im Gespräch mit dem DZI.

Caritas-Sprecherin Claudia Beck erklärte gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd):

Wir werden das Siegel nicht infragestellen. Ein vertrauenswürdiges Siegel hilft den Bürgern, sich auf dem unübersichtlich gewordenen Spendenmarkt zu orientieren.

Und was ist mit dem angeblichen “Brandbrief” der Johanniter? Pressesprecher Patrick Schultheis stellte auf Anfrage von BILDblog klar:

Weder hat die Johanniter-Unfall-Hilfe vor, das DZI-Spendensiegel zu “boykottieren”, noch wurde ein “Brandbrief” an das DZI formuliert. Vielmehr hatte das DZI die Johanniter um eine Bewertung des ersten Entwurfs der neuen Vergabe-Leitlinien gebeten. In dieser Bewertung haben die Johanniter (ähnlich wie andere Hilfsorganisationen) bereits im März 2010 auf einzelne, problematische Passagen hingewiesen. Daraufhin entstand ein intensiver, konstruktiver Austausch mit dem Ziel, angemessene und für alle Seiten akzeptable Kriterien für die Vergabe des Spendensiegels zu entwickeln. Dieser Prozess ist ergebnisoffen und noch nicht abgeschlossen – momentan befindet sich der dritte Entwurf in der Diskussion. Die Johanniter hoffen auf ein positives Resultat und darauf, auch künftig zu den durch das DZI zertifizierten Organisationen zählen zu können. Das DZI-Siegel hat sich aus unserer Sicht in seiner bisherigen Form als Orientierungshilfe für Spender bewährt.

Das von “Bild” verkürzt wiedergegebene Zitat aus der vierseitigen Stellungnahme lautet im Original: “Bei aller Wertschätzung sowie grundsätzlicher Anerkennung des DZI und wissend um die Notwendigkeit von Effizienz und Transparenz müssen wir bei einer Verabschiedung der neuen Leitlinien in der jetzigen Entwurfsform (März 2010) auch in Erwägung ziehen, auf das DZI-Spenden-Siegel zu verzichten oder das Spenden-Siegel nur für einen einzelnen Arbeitsbereich der Organisation beantragen.”

“Bild” hat uns weder vor noch nach Veröffentlichung des Beitrags um eine Stellungnahme gebeten.

Mit Dank an die Hinweisgeberin!

Podcast-Renaissance, Anonymus.Kollektiv, Medien-Trump

1. Die Renaissance des Podcasts
(get.torial.com, Tobias Lenartz)
Eine Renaissance des Podcasts zeichnet sich ab, wenn man den Zahlen der aktuellen ARD/ZDF-Onlinestudie Glauben schenkt. Tech-und Medienriesen wie Apple und Google verteilen Podcasts, und auch der Musikstreamingdienst Spotify hat Podcasts in sein Programm aufgenommen (aktuelles Aushängeschild: “Fest & Flauschig” von Jan Böhmermann und Olli Schulz). Selbst MTV versuche, dem Zuschauerschwund mit Podcasts entgegenzuwirken. In Deutschland seien es vor allem zwei Firmen, die die Podcast-Landschaft beleben würden: Die “Castronauten” und das unlängst gestartete Podcastlabel “Viertausendhertz”.

2. Mutmaßlicher Betreiber der Hetzseite Anonymous.Kollektiv taucht unter
(sueddeutsche.de, Simon Hurtz)
Es liest sich wie ein Krimi, was “SZ”-Autor Simon Hurtz da über das Abtauchen des mutmaßlichen Betreibers der Hetzseite “Anonymus.Kollektiv” zusammengetragen und recherchiert hat. Die Facebookseite war bis vor kurzer Zeit eine der wichtigsten Anlaufstellen für Islamhasser, Verschwörungstheoretiker und Fremdenfeinde. Sie hatte fast zwei Millionen Likes, darunter auch viele von Leuten, die fälschlicherweise dachten, sie hätten es mit der “echten” Anonymusseite zu tun. Nach dem Abschalten verschwand auch der mutmaßliche Betreiber, doch Indizien weisen darauf hin, dass der Spuk damit noch lange nicht vorbei ist. Sogar mit dem Verkauf von Schusswaffen an Flüchtlingsfeinde ist zu rechnen…

3. Krebs durch Erdölförderung?
(rwi-essen.de)
Mit der „Unstatistik des Monats“ hinterfragen der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer, der Dortmunder Statistiker Walter Krämer und RWI-Vizepräsident Thomas Bauer jeden Monat sowohl jüngst publizierte Zahlen als auch deren Interpretationen. Aktuell beschäftigt man sich mit dem Artikel „Die rätselhaften Krebsfälle von Rodewald“ in der “Hannoverschen Allgemeinen Zeitung”. Die Experten rechnen vor, dass solche Häufungen, entgegen der Berichterstattung, nicht signifikant seien und enden mit der Feststellung: Viel Lärm um nichts.

4. Britische Medien sind für den Brexit
(de.ejo-online.eu, Caroline Lees)
Am 23. Juni stimmen die Briten über einen Austritt Großbritanniens aus der EU ab (“Brexit”). Ein Großteil der britischen Medienberichte spreche sich im Vorfeld des Referendums stark zugunsten eines Brexits aus. Dies zeige eine Studie, die das “Reuters Institute for the Study of Journalism” veröffentlicht hat. Caroline Lees von der englischen Website des “European Journalism Observatory” stellt die wichtigsten Zahlen der Studie vor.

5. Die emotionale Macht von Sprache und Bildern in der Integrationsdebatte
(migazin.de, Dieter Sell)
Das “Migazin” (Migration in Germany) berichtet von einer Diskussion über die emotionale Macht von Sprache und Bildern in der Integrationsdebatte. Im Deutschen Auswandererhaus in Bremerhaven erörterten Experten, wie ein solcher Sprachgebrauch Menschen ausgrenzt und Ängste schürt. Der Artikel gibt die Aussagen der Diskussionsteilnehmer wieder und zeigt die schwierige Gemengelage zwischen Stimmungsmache und Political Correctness.

6. Trumps Spiel mit den Medien
(carta.info, Tobias Endler)
Trump führt die Medien am Nasenring durch die Manege der Öffentlichkeit, schreibt Amerikakenner Tobias Endler. Das gelinge, weil den Medien Selbstreflexion oder gar Selbstkorrektur abgehen und Einschaltquoten das Maß der Dinge seien. Ja, zu Komplizen des politischen Populismus würden sie sich machen. “Das ist tragisch, denn damit vernachlässigen die Medien ihre ureigenste Funktion: die Politik zu kontrollieren, für Transparenz zu sorgen, Fakten zu prüfen, Druck aufzubauen, wenn es um Themen, um Dringlichkeiten geht. Trump hat das auf den Kopf gestellt: Er gibt Inhalte und Richtung vor. Er bestimmt das Tempo, die Taktung der Debatte.”

Deniz Yücel, Weiße Mexikaner, #LastNightinSweden

1. Ein Drama, zu dem wir nicht schweigen dürfen
(spiegel.de, Hasnain Kazim)
In der Türkei werden seit Jahren Journalisten eingeschüchtert, verfolgt und eingesperrt. Nun hat es den Journalisten Deniz Yücel erwischt, der lange Jahre für die “taz” tätig war und seit einiger Zeit für die “Welt” berichtet. Offensichtlich hat der Türkei seine kritische Berichterstattung über den Umgang der türkischen Regierung mit den Medien nicht gefallen. Hasnain Kazim plädiert im “Spiegel” für Klartext: “Es ist an der Zeit, deutliche Worte zu finden und politische und wirtschaftliche Konsequenzen folgen zu lassen auf das, was in der Türkei geschieht: die Abschaffung von Demokratie und Freiheitsrechten.”
(Nur lesen, wenn genügend Beruhigungstee in der Nähe: Michael Martens empfiehlt in der “FAZ” deutschen Verlagen ihre Entsendungspolitik zu überdenken und fragt, ob es gut sei, ein Land zu lieben, über das man berichtet. Außerdem fallen noch weitere verstörende Äußerungen wie “Die Verlage schulden den Lesern Journalisten, nicht Türken vom Dienst.”)

2. “Unter drei” – die Sache mit den Hintergrundgesprächen
(tagesspiegel.de)
Das Verwaltungsgericht Berlin hat das Bundeskanzleramt zur teilweisen Offenlegung von geheimen Gesprächen mit Journalisten verpflichtet. Geklagt hatte der “Tagesspiegel”-Redakteur Jost Müller-Neuhof, der die Abläufe derartiger Geheimgespräche und seine Beweggründe für die Klage schildert. Endgültig entschieden sei die Sache noch nicht: Demnächst wird das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg über den Fall beraten und auch danach gibt es weitere juristische Optionen.

3. Von Füchsen und Gänsen: Spinnen wir alle?
(dwdl.de)
Hans Hoff ist in seiner Sonntagskolumne befremdet, wie auf “Stern TV” mit dem hochgradig aufgebauschten Fall der Veganerin und dem Glockenspiel von Limburg umgegangen wurde. “Jeder ist verantwortlich für das, was er weitergibt, und wenn man nicht sicher ist, ob das, was man weiterverbreitet komplett richtig ist, dann sollte man es vielleicht besser nicht weiterverbreiten oder wenigstens mit einem Bedenkensternchen als Verweis auf eine warnende Fußnote kenntlich machen. Schöne Geschichten sind eben nicht unbedingt jene, die schön klingen. Schöne Geschichten sind vor allem jene, die auch wahr sind.”

4. Prekäre Beschäftigungssituation in der Filmbranche
(mediathek.rbb-online.de, Video, 3:29 Minuten, noch verfügbar bis 23.02.17)
Amerikanische Filmproduzenten sprechen abfällig von “weißen Mexikanern” und meinen damit die Deutschen, die in der Filmwirtschaft arbeiten. Und in der Tat: Im deutschen Filmbusiness regieren Knebelverträge und Lohndumping. Der “rbb” lässt eine Regieassistentin zu Wort kommen, die 200 Euro Wochenlohn bekam, für Wochen von mehr als 50 Arbeitsstunden. Auch ein Filmproduzent und eine Vertreterin der Filmförderanstalt ffa wurden befragt: Man gibt sich als Gefangene des Systems.

5. Fake News: Grenzen sich seriöse Journalisten aktiv (genug) von unseriösen ab?
(scilogs.spektrum.de, Markus Pössel)
Markus Pössel wünscht sich mehr Medienkritik und mehr Abgrenzung der seriösen gegenüber den unseriösen Medien: “Warum muss ich für Analysen der neuesten Beispiele für unseriöse Praktiken bei Bild, Bunte & Co. auf uebermedien.de oder BILDblog.de gehen? Warum finde ich nicht in der FAZ, in der Sueddeutschen, in der ZEIT, ganz selbstverständlich entsprechende Kolumnen? Die seriösen Medien sind doch eigentlich am direktesten davon betroffen, wenn unter dem Oberbegriff Journalismus Falschmeldungen und Übertreibungen verbreitet werden.”

6. Schweden bittet um Erklärung der USA
(tagesschau.de)
Die schwedische Botschaft in Washington hat das US-Außenministerium gebeten, die Äußerung von Präsident Donald Trump zu erklären: “Schaut Euch an, was gestern in Schweden passiert ist!” Nachdem sich das ganze Twitteruniversum bereits über den Vorgang lustig gemacht hat, hat der Präsident nun Stellung bezogen. Er hatte wohl was auf “FoxNews” gesehen und das in den falschen Hals bekommen bzw. falsch wiedergegeben. Natürlich hat er seinen Fehler nicht zugegeben, sondern getwittert: “My statement as to what’s happening in Sweden was in reference to a story that was broadcast on @FoxNews concerning immigrants & Sweden.”
(Weitere Lesehinweise: Der BILDblog-6-vor-9-Kurator hat es auf Twitter satirisch verarbeitet und BILDblog-Kollege Moritz Tschermak geht augenzwinkernd der Vermutung nach, Donald Trump könne auf einen Tweet der “WAZ” reingefallen sein …)

Sex-Mob aus der Enten-Fabrik, Trump-Checker, Bulgarien 1946

1. Sexmob in “Bild”: Die Entstehung einer Ente
(ndr.de, Caronline Schmidt & Aimen Abdulaziz-Said, Video, 6:04 Minuten)
“Sex-Mob tobte in der Freßgass'”, schlagzeilte die Frankfurter “Bild”-Ausgabe. In der Silvesternacht sollte es angeblich zu Übergriffen und Diebstählen durch Nordafrikaner und Flüchtlinge gekommen sein, schrieb man 37 Tage später. Andere Journalisten bezweifelten die Horrorstory. Die Polizei sprach nach Ermittlungen von “haltlosen Vorwürfen”, so dass “Bild”-Chef Julian Reichelt nichts anderes übrig blieb, als sich zu entschuldigen. “Zapp” ist der Sache nachgegangen und hat recherchiert, wie es zu dieser Ente kommen konnte. Und jetzt kommen ein umtriebiger US-Amerikaner und Trump-Unterstützer, ein dubioser Szene-Gastronom, eine falsche Kronzeugin und ein AfD-Politiker ins Spiel …

2. Flüchtlinge im Deutschen Paradies
(taz.de, Ewa Wanat)
Die “taz” beschäftigt sich mit einem Beitrag einer polnischen Zeitung, der ein wahres Katastrophenbild von der deutschen Flüchtlingspolitik zeichnet. In einem Aufsehen erregenden Interview mit der Warschauer Tageszeitung “Gazeta Prawna” hätte eine Polin Erschütterndes berichtet: “Ich kehrte Deutschland den Rücken, weil in meinem Dorf Flüchtlinge alles verdreckten, weil sie stahlen und die Touristen verschreckten. Deutsche hingegen zündeten ihre Asylbewerberheime an”. Die Journalistin Ewa Wanat ist dem nachgegangen. Am Ende ihrer Recherche bleibt nicht viel mehr, als dass eine Polin Deutschland verlassen hat.

3. 100 days of Trump claims
(washingtonpost.com)
Die Factchecker der “Washington Post” ziehen eine Zwischenbilanz: In den letzten 35 Tagen hat man 133 falsche oder irreführende Behauptungen gezählt. In einer übersichtlichen Liste zeigt man die Trump-Aussagen nebst Factchecking-Überprüfung und Pinocchio-Rating.

4. Abschreckung per Fernsehserie
(taz.de, Katrin Gänsler)
In Nigeria herrscht eine große Filmbegeisterung. Die Filme haben meist unterhaltenden, aber oft auch erzieherischen Charakter. Dies will sich jetzt die Schweiz zu Nutze machen und produziert eine TV-Serie für Nigeria. Ziel der 13-teilige Reihe: Migranten und Flüchtlinge sollen von der Reise nach Europa abgehalten werden…

5. Interessen schlagen Fakten
(faz.net, Renate Köcher)
Renate Köcher ist Geschäftsführerin des “Instituts für Demoskopie Allensbach” und hat im Auftrag der “FAZ” eine Umfrage zu Trump und den Umgang mit Fakten durchgeführt. Ein Ergebnis: “Auch wenn die überwältigende Mehrheit der Deutschen diesen Präsidenten kritisch sieht, imponiert immerhin jedem Dritten sein radikaler Kollisionskurs. Besonders AfD-Anhänger finden es faszinierend, wie Trump sich durchsetzt. In den Vereinigten Staaten spricht wenig dafür, dass sein Rückhalt bröckelt. Die letzten veröffentlichten Umfragen zeigen Zustimmungsraten zwischen 41 und 45 Prozent der amerikanischen Bevölkerung – dies sind weitaus mehr, als ihn gewählt haben.”

6. Copyright-Streit: Bulgarischer Radiosender spielt nur Musik von vor 1946
(heise.de, Martin Holland)
Nach einer deftigen Preiserhöhung stand das öffentlich-rechtliche Radio Bulgariens vor der Wahl, den vierfachen Preis zu zahlen oder nur noch Musik von vor 1946 abzuspielen. Man entschied sich für Letzteres und fährt überraschenderweise gut damit: Obwohl viele einen Einbruch befürchtet hatten, seien die Zuhörerzahlen im Januar um 20 Prozent gestiegen.

Heilige Hetzjagd, Verlags-Datenräuber, In-Ear-Trump

1. AfD, Broder und Tichy verleumden Margot Käßmann als Rassistin
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Boris Rosenkranz nennt es eine “heilige Hetzjagd”, was die AfD in den letzten Tagen mit der Theologin Margot Käßmann veranstaltet hat. Mit einem vermeintlichen Zitat wollte man ihr Rassismus andichten, doch das gegen sie verwendete Zitat war aus dem Zusammenhang gerissen und sinnentstellend verkürzt. Die Verleumdungsbotschaft wurde bereitwillig unterstützt von rechten Blogs und Foren und Personen wie Henryk M. Broder (“Die Welt”) oder Roland Tichy (“Tichys Einblick”), aber auch Leuten wie der ehemaligen CDU-Politikerin Erika Steinbach und der Berliner AfD-Vorsitzenden Beatrix von Storch. Boris Rosenkranz hat sich Inhalte und Form der Käßmann-Kampagne näher angeschaut und analysiert. Mittlerweile hat sich auch der Faktenfinder der “Tagesschau” mit dem Vorgang beschäftigt und auch auf der neuen Plattform “Fearless Democracy” gibt es eine Aufarbeitung des Falls mit einer Visualisierung des Twitterverhaltens: Wie sowas läuft: Ein Blick in Margot Käßmanns Shitstorm

2. E-Privacy-Verordnung: Verlage wollen Leser beim Tracking entmündigen
(netzpolitik.org, Markus Reuter )
In einem offenen Brief an das Europäische Parlament haben sich einige europäische Verlage (darunter aus deutscher Sicht die “FAZ”, die “Zeit”, “Gruner + Jahr” und die “SZ”) gegen die neue ePrivacy-Verordnung der EU gewandt. Stein des Anstoßes ist eine Passage, die es Nutzern erlaubt, das Werbetracking auf Webseiten zu unterbinden. Darin sehen die Verlage eine Gefährdung ihrer Einnahmequellen. Markus Reuter ordnet das Ganze aus netzpolitischer Sicht ein. Beim Thema Datenschutz würden sich die Verlage einmal mehr als Gegner der Rechte von Bürgerinnen und Bürgern zeigen.

3. Breitbart stürzt ab
(deutschlandfunknova.de, Diane Hielscher & Martina Schulte)
Donald Trump hat seinen Wahlsieg auch dem rechten Medienportal “Breitbart” zu verdanken, das unablässig für ihn trommelte und seine Gegner niederschrieb. Nach seiner Inauguration ernannte Trump den damaligen Chefredakteur Steve Bannon zu seinem zukünftigen Berater und Chefstrategen. Man hätte meinen können, dass “Breitbart” nun zum neuen Mediengigant der Trump-Ära wird, doch das Gegenteil ist der Fall: Die Reichweite der Seite ist dramatisch gesunken. Martina Schulte ist dem Phänomen nachgegangen.

4. Tagesschau-Chefredakteur wartet vergeblich auf Trolle
(faz.net, Frank Lübberding)
“ARD-aktuell”-Chef Kai Gniffke hat Hasskommentatoren zu sich in den Videochat eingeladen, doch es kam keiner. Kein Wunder, findet Frank Lübberding: “Es gehört zu den kulturellen Codes einer funktionierenden Gesellschaft, nicht jedem alles ins Gesicht zu sagen. Nicht jede Wahrheit (oder auch Lüge) auszusprechen, erleichtert das menschliche Zusammenleben. Das Lästern hinter dem Rücken der Betroffenen hat das noch nie verhindert. Diese Erfahrung wird man sicherlich auch in den diversen ARD-Redaktionen schon gemacht haben. Trotzdem wirkte Gniffke regelrecht enttäuscht, warum keiner der Hasskommentatoren dieses Gesprächsangebot namens „Sag’s mir ins Gesicht“ angenommen hatte. Er wurde weder beleidigt, noch hat ihm ein Zuschauer seinen Hass auf die ARD erklärt.” Nachtrag: Mittlerweile hat sich auch Anja Reschke im Life-Chat ihren Kritikern gestellt. Auf “tagesschau.de” gibt es ein Interview mit Reschke: “Ich bin keine ARD-Marionette”.

5. Donald Trumps (fast) unsichtbarer Kopfhörer
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Hat Donald Trump tatsächlich nicht zugehört, als der italienische Ministerpräsident Paolo Gentiloni über Afrika sprach? Trump trug schließlich keine direkt sichtbaren Kopfhörer für die Simultanübersetzung wie viele der Anwesenden. Viele Medien nahmen dies als Anscheinsbeweis, doch so einfach ist die Sache nicht wie Stefan Niggemeier auf “Übermedien” ausführt.

6. Klarstellung in Sachen “Die Hölle erwartet euch”
(facebook.com, Mathias Richel)
Vielleicht haben Sie das Bild gesehen, das die letzten Tage viral ging: Ein Mann hält eine Art selbstgebasteltes Transparent hoch, auf dem er einer wirr zusammengesetzten Zielgruppe (“Säufer, Lügner, Partytiere, Drogen-Freaks, Ehebrecher, Porno-Freaks, Selbstbefriediger, Huren, Diebe, Zauberer, Lästerer, Heuchler, Homosexuelle, Habsüchtige, Götzendienen, Feministen, Falsche Christen, Atheisten”) zuruft: “Die Hölle erwartet euch”.
Das Bild wurde oft fälschlicherweise dem Kirchentag in Berlin zugeordnet, ist jedoch beim DFB-Pokalfinale entstanden, wie Mathias Richel anmerkt, der das Foto direkt vor dem Stadion geschossen hat. “Mir ist vollkommen klar, dass dieser erklärende Beitrag hier fast niemanden von denen erreichen wird, die jetzt mit dem Bild beweisen wollen, dass die Christen auf dem Kirchentag nicht alle Tassen im Schrank haben. Aber ich will wenigstens alles dafür getan haben, damit dieses Bild zunächst einmal genau das nur für diesen Mann belegt und nicht andere fälschlicherweise mit dem verrührt werden.”

Yücels Wünsche, Anti-Troll, Bestsellerlisten-Löschaktion

1. Türkei-Korrespondent müsste man jetzt sein…
(welt.de, Deniz Yücel)
Der Türkei-Korrespondent der “Welt” Deniz Yücel befindet sich seit März 2017 in Einzelhaft. Seinen Anwälten hat er diktiert, was man so alles zum Thema Türkei schreiben müsste. Und das ist eine ziemliche Menge… Yücels Schlusssätze: “Als Journalist könnte ich mir in diesen Tagen keine interessantere und als Bürger dieses Landes keine sinnvollere Aufgabe vorstellen als diese. Ich sag’s ja: Türkei-Korrespondent müsste man jetzt sein. Journalismus ist schließlich kein Verbrechen.”

2. Der Anti-Troll
(spiegel.de, Carline Mohr)
Carline Mohr stellt den Kommentierer “ekkwolf” vor. Dahinter steckt der 74-jährige Wolf Ekkehard Melzer, ein Überzeugungstäter, der den “Lügenpresse”-Rufern widersprechen will und ein “Anti-Troll”. Er kommentiere unter den Artikeln klassischer Medien wie “Sueddeutsche.de”, “spiegel.de”, “nzz.ch”, “Zeit.de” und auf sogenannten alternativen Nachrichtenseiten, wie “Tichys Einblick”, “Sputnik” oder “Epoch Times”. In den letzten zweieinhalb Jahren über 6.000 mal. Wer ist dieser Mensch und was treibt ihn an?

3. Der rechte, rechte Platz ist frei: „Spiegel“ löscht heimlich Skandalbuch aus Bestsellerliste
(uebermedien.de, Mats Schönauer)
Ein Mitarbeiter des “Spiegel” hievt als Mitglied einer Jury ein rechtslastiges Buch trickreich auf eine Bestenliste. Die Sache fliegt auf, der Juror tritt zurück, das umstrittene Buch wird jedoch zum Bestseller. Nun wurde es im Stil einer heimlichen Löschaktion kommentarlos von der Bestsellerliste gestrichen. Mats Schönauer kommentiert den Vorgang, den er “beachtlich” nennt: “Hätte der „Spiegel“ das Buch wenigstens transparent entfernt, wäre ihm Kritik aus der rechten Ecke gewiss gewesen, doch zumindest hätte er sich in vielen anderen Ecken Glaubwürdigkeit bewahrt. So aber untergräbt er diese nicht nur selbst, sondern gießt auch weiteres Öl ins „Lügenpresse“-Feuer — und verschafft dem Buch einmal mehr Aufmerksamkeit.”

4. Korruption im Journalismus?
(message-online.com, Volker Lilienthal)
“Message”, die “Internationale Zeitschrift für Journalismus” veröffentlicht eine Rede von Journalismus-Professor Volker Lilienthal über Korruption im Journalismus. Die Rede wurde zwar bereits zu Beginn des Jahres gehalten, hat ihre Aktualität jedoch nicht eingebüßt. Lilienthal versucht sich zunächst an einer Anamnese und stellt Ergebnisse einer Journalistenbefragung vor. Zum Schluss seines Vortrags schlägt er einen Katalog mit konkreten Maßnahmen zur Korruptionsprophylaxe vor.

5. Sag die Wahrheit
(sueddeutsche.de, Kathrin Hollmer)
Faktenchecken sei im Wahljahr ein Modethema, schreibt Kathrin Hollmer in ihrer Einleitung und kommt gleich auf die jüngste Faktenchecker-Plattform zu sprechen. Die heißt “Stimmtdas” und überprüft mit einem Team von 15 Mitarbeitern Aussagen von Politikern. Die Seite wolle den Betreibern zufolge über die Bundestagswahl hinaus langfristig arbeiten. Bisher prüfte “Stimmtdas.org” sieben Aussagen von Angela Merkel, Cem Özdemir, Katrin Göring-Eckardt, Frauke Petry, Gregor Gysi und zwei von Alice Weidel. Zwei bis drei Statements sollen in Zukunft pro Woche folgen.

6. Instagramming für Faule
(zeit.de, Eike Kühl)
Sie wollen der Held der Landschaftsfotografie auf Instagram werden? Dann sollten sie sich anschauen, was zwei Google-Forscher gemacht haben. Statt aufwändig an entfernte Orte der Erde zu reisen und dort auf den richtigen Moment zum Drücken des Auslösers zu warten, haben sie Bilder aus Googles Street View ihren Algorithmen zum Fraß vorgeworfen. Die Ergebnisse seien so gut geworden, dass selbst professionelle Fotografen keinen Unterschied festgestellt hätten.

Resozialisierung? Nicht mit “Bild”!

Zwischen Donnerstag und Samstag vergangener Woche muss irgendetwas passiert sein, das nur die “Bild”-Medien mitbekommen haben. Jedenfalls schien der am Donnerstag für “Bild” und Bild.de offenbar noch geltende Anspruch von Dieter Degowski auf Resozialisierung am Samstag aus Sicht von “Bild” und Bild.de nicht mehr zu gelten.

Degowski, einer der zwei Täter bei der Geiselnahme von Gladbeck im August 1988, ist seit dem 15. Februar dieses Jahres wieder auf freiem Fuß. Er hat seine lebenslange Freiheitsstrafe abgesessen, im Gefängnis eine Therapie absolviert, eine Ausbildung gemacht, der Rechtsausschuss im Landtag von Nordrhein-Westfalen urteilte, dass von Degwoski keine Gefahr mehr ausgehe. Dass seine Entlassung für die Angehörigen der zwei bei der Geiselnahme getöteten Menschen wahnsinnig schmerzhaft sein kann, steht außer Frage.

Nach der Ausstrahlung von Teil 1 des erfolgreichen Gladbeck-Zweiteilers im “Ersten” titelte “Bild” am Donnerstag:

Ausriss Bild-Titelseite - Millionen sahen den ARD-Film - Das Leben der Gladbeck-Gangster heute

Im Blatt zeigte die Redaktion ein aktuelles Foto von Dieter Degowski, das Gesicht hatte sie verpixelt.

Zwei Tage später schreibt Rainer Fromm, ein Fotograf, der für “Bild” bei dem Geiseldrama dabei war und zur Medienmeute gehörte:

Ausriss Bild-Zeitung - Es ist eine Schande, dass Degowski frei rumläuft

Dass Fromm schreibt, Degowski sehe “noch genauso dümmlich aus wie damals” — geschenkt. Und es ist auch völlig legitim, es schwer auszuhalten und falsch zu finden, dass der einstige Geiselnehmer wieder in Freiheit leben darf, während der von ihm erschossene Emanuele De Giorgi nicht älter als 15 Jahre werden konnte. Wirklich problematisch ist, dass die “Bild”-Medien ein neues Foto von Degowski zeigen, ohne dabei sein Gesicht unkenntlich zu machen:

Ausriss Bild-Zeitung - Übersicht der ganzen Seite mit dem Degowski-Foto
Screenshot Bild.de - Foto von Dieter Degowski
(Unkenntlichmachungen — auch beim Foto des blutverschmierten Emanuele De Giorgi, das “Bild” ohne Rücksicht auf Angehörige zeigt — durch uns.)

Damit könnte die Redaktion die Resozialisierung Degowskis enorm erschweren. Es ist im Interesse der Gesellschaft, dass dessen Wiedereingliederung, die jedem Ex-Häftling zusteht und die nicht von den “Bild”-Mitarbeitern nach Gutdünken mal zugelassen werden kann und mal nicht, klappt — schließlich erhöht sie die Chance, dass er nicht rückfällig wird. Für diesen Zweck hat Degowski auch die Erlaubnis bekommen, seinen Namen zu ändern. Am Donnerstag schrieb “Bild” zur Namensänderung:

Den neuen Namen bekam Degowski auch, weil befürchtet wird, dass die Mafia den Mord an dem italienischen Jungen Emanuele de Giorgi rächen könnte.

Sollte das stimmen, kennt die Mafia jetzt vielleicht noch nicht den Aufenthaltsort von Dieter Degowski und auch nicht den neuen Namen. Aber dank “Bild” und Bild.de hat sie immerhin ein aktuelles Foto.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Bild.de verrät nicht, wo die Kanzlerin wohnt, dafür aber, wo sie wohnt

Manchmal — also wirklich nur manchmal — finden wir, dass selbst die “Bild”-Redaktion auf ganz gute Ideen kommt. Wenn sie zum Beispiel bei Bild.de dieses Foto …

Screenshot Bild.de - Hatte der Weihnachtsmarkt-Attentäter auch die Kanzlerin im Visier? Dieses Selfie vor Merkels Wohnhaus fand das BKA auf Amris Handy
(Unkenntlichmachung des Gesichts durch uns, Verfremdung des Foto-Hintergrunds durch Bild.de.)

… extra verfremdet und im Artikel in einer Bildunterschrift dazu erklärt:

Dieses Selfie von Anis Amri fanden die BKA-Ermittler auf dem Handy des Terroristen. Es zeigt den späteren Weihnachtsmarkt-Attentäter vor dem Berliner Wohnhaus von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Das Foto entstand am 23. Oktober 2016, wenige Wochen vor dem Anschlag. BILD hat das Foto verfremdet, um keine Rückschlüsse auf den Wohnort von Angela Merkel zuzulassen

Das klingt ja erstmal so, als hätte sich jemand richtig Gedanken gemacht. Blöd nur, wenn im selben Artikel ein paar Absätze weiter unten steht:

Wenige Minuten zuvor hatte der Terrorist sich auch vor dem Wohnhaus von Merkel abgelichtet. Die Ermittler des BKA erwähnen in ihrer Auswertung jedoch nur das benachbarte […]-Haus, seit Jahren Sitz der […] Gesellschaft.

Viel mehr konkrete Hinweise, die “Rückschlüsse auf den Wohnort von Angela Merkel zulassen”, kann man kaum geben. Google braucht nicht mal eine Sekunde und spuckt einem dann aus, wo genau sich dieses “Haus” und diese “Gesellschaft” befinden.

Mit Dank an Chris B. für den Hinweis!

Nachtrag, 25. Oktober: Mehrere Leserinnen und Leser haben uns geschrieben, dass die Adresse von Angela Merkels Wohnhaus in Berlin durchaus bekannt ist, bei Stadtrundfahrten gern auf das Haus hingewiesen wird, und selbst bei Wikipedia die Information zu finden ist, wo genau die Bundeskanzlerin wohnt.

Uns ging es in diesem Beitrag auch gar nicht so sehr darum, dass Bild.de ein großes Geheimnis verraten haben könnte — wir fanden einfach die Widersprüchlichkeit innerhalb eines Artikels ganz amüsant. Und wir fanden die Scheinheiligkeit interessant, denn in anderen Fällen ist die Redaktion nicht so rücksichtsvoll. Daher fänden wir es gut, wenn die “Bild”-Redaktion mit den Wohnadressen der Personen, über die sie berichtet, generell vorsichtiger umginge.

Abhören mit Auflagen, Kahlschlag bei Twitch, Weniger Frauen im Krisenjahr

1. Abhören mit Auflagen
(sueddeutsche.de, Ronen Steinke)
Als die Bundesregierung den Entwurf für ein neues BND-Gesetz vorlegte, waren viele Medienschaffende entsetzt. Er sah unter anderem die Möglichkeit für den Bundesnachrichtendienst (BND) vor, ausländische Journalistinnen und Journalisten abzuhören. Im neuen Gesetzestext wurden die Möglichkeiten des BND in diesem Bereich eingeschränkt. Nicht freiwillig, denn zuvor hatten Journalistenverbände eine Verfassungsbeschwerde angestrengt – und gewonnen.

2. Dieser Song ist in deinem Stream leider verboten
(zeit.de, Eike Kühl)
Die Livestream-Plattform Twitch hat mit den großen Musiklabels keine Vereinbarungen getroffen, die den Streamern und Streamerinnen die Verwendung von urheberrechtlich geschützter Musik erlaubt. Nun verlangt die US-amerikanische Musiklobby von Twitch, unzählige Videos zu löschen. Von “Kahlschlag” und “Blutbad” ist die Rede. Eike Kühl erklärt den Konflikt und verrät, wie ein möglicher Ausweg aussehen könnte.

3. Verstößt Artikel 17 der EU-Urheberrechts-Richtlinie gegen EU-Grundrechte?
(irights.info)
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte hat eine Studie zum umstrittenen Artikel 17 der EU-Urheberrechtsrichtlinie vorgelegt (PDF, englisch). In Artikel 17 geht es um die Haftung von Plattformanbietern wie Youtube für hochgeladene Inhalte und die sogenannten Uploadfilter. Im Interview sprechen Julia Reda und Joschka Selinger, die die Studie verfasst haben, darüber, welche Schwierigkeiten der Artikel aus ihrer Sicht mache und warum er grundgesetzwidrig sei.

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4. Exklusiv: Bei Berichten von Tagesschau, heute-journal und Co. sind Frauen im Krisenjahr noch weniger gefragt als sonst
(kress.de, Roland Schatz)
Der Branchendienst “Kress” hat nachzählen lassen, wie oft in den vergangenen Jahren in ausgewählten TV-Nachrichtenformaten von ARD, ZDF, BBC und SRF über Männer und über Frauen berichtet wurde. Das Ergebnis ist besonders für das aktuelle Jahr ernüchternd: “Ausgerechnet im Covid-19 Jahr spielen Frauen in den Hauptnachrichten-Sendungen von ARD und ZDF eine noch geringere Rolle als in den Jahren zuvor.”

5. Die “New York Times” auf digitalem Erfolgskurs
(deutschlandfunk.de, Sinje Stadtlich, Audio: 5:19 Minuten)
Die “New York Times” schafft es, seit Jahren kontinuierlich zu wachsen. Dafür verantwortlich ist die Digitalstrategie mit ihren, im Vergleich zu deutschen Medien, kleinen Abo-Preisen und Podcasts wie dem auch international erfolgreichen “The Daily”. Der Deutschlandfunk hat mit Stephen Dunbar-Johnson gesprochen, der bei der “New York Times” das internationale Geschäft verantwortet. Bei aller Euphorie warnt er davor, sich die “NYT” zu sehr zum Vorbild zu nehmen: “Unser Modell ist nicht für jede Zeitung richtig. Es gibt viele mögliche Geschäftsmodelle. Ich denke, das Minimum müsste sein, dass Zeitungen ihre Leser dazu bringen, sich zu registrieren, um Inhalte zu lesen. Man muss eine Beziehung zu seinen Lesern aufbauen. Und dann kann man anfangen, unter den registrierten Nutzern verschiedene Bezahlmodelle zu testen.”
Weiterer Lesehinweis: “The Daily” steht in den Spotify-World-Charts aktuell an dritter Stelle (Anmerkung des Kurators: Für Staunen sorgt das Format “Gemischtes Hack”, das es als einziges nicht-englischsprachiger Podcast in die Top 10 geschafft hat).

6. GfdS wählt »Corona-Pandemie« zum Wort des Jahres 2020
(gfds.de)
Die Gesellschaft für deutsche Sprache hat entschieden: Wort des Jahres 2020 ist “Corona-Pandemie”. Auf den weiteren Plätzen liegen “Lockdown”, “Verschwörungserzählung”, “Black Lives Matter”, “AHA”, “systemrelevant”, “Triage”, “Geisterspiele”, “Gendersternchen” und “Bleiben Sie gesund!”.

KW 02/22: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. Wie war das Medien-Jahr 2021, Hajo Schumacher?
(wasmitmedien.de, Daniel Fiene & Sebastian Pähler, Audio: 1:35:21 Stunden)
Bei “Was mit Medien” gibt es den traditionellen Jahresrückblick mit Hajo Schumacher. Wer oder was hat den Medienprofi in diesem Jahr kalt erwischt, weil extrem positiv aufgefallen, aber überhaupt nicht erwartet? Wie haben Medien in Bezug auf Corona agiert? Und was haben wir 2021 über Medien, Journalismus und das Publikum gelernt?
Weiterer Hörtipp: Wie verändert sich die Social-Media-Welt 2022, Franziska Bluhm?

2. Ferngespräche: USA
(radioeins.de, Holger Klein, Audio: 55:52 Minuten)
Holger Klein hat die USA-Korrespondentin Nicole Markwald zu Gast, und die erzählt in einer überaus erfrischenden und fröhlichen Art von den Besonderheiten des US-amerikanischen Medienbetriebs sowie vom Leben mit Familie jenseits des Atlantiks.

3. Welche Wirkmacht hat noch der SPIEGEL? | Wer hat 2021 im TV abgedankt?
(ardaudiothek.de, Daniel Bouhs & Jörg Wagner, Audio: 1:24:06 Stunden)
“Welche Wirkmacht hat noch der SPIEGEL? Wer hat 2021 im TV abgedankt?” Das sind die beiden beherrschenden Themen im “Medienmagazin” von radioeins. Daniel Bouhs und Jörg Wagner lassen den “Spiegel”-Chef Steffen Klusmann, den Politik-Beobachter Albrecht von Lucke und Melanie Amann zu Wort kommen, die das Hauptstadtbüro des “Spiegel” leitet.

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4. Wie deutsche Medien über Taiwan berichten – und warum
(intaiwan.net, Klaus Bardenhagen, Audio: 36:58 Minuten)
Der Auslandskorrespondent Klaus Bardenhagen berichtet seit mehr als zehn Jahren aus Taiwan. Im Gespräch mit der Radiojournalistin Carina Rother geht es um die Frage, wie deutsche Medien auf den Inselstaat blicken, und das Wechselspiel von Politik und Medien.

5. Trimedialität und digitaler Journalismus am Beispiel von BILD
(journalistik.blogs.uni-hamburg.de, Jonathan Deupmann & Volker Lilienthal, Audio: 33:30 Minuten)
In der aktuellen Folge des “JKW”-Podcasts (“Journalistik und Kommunikationswissenschaft”) spricht der Hamburger Medienwissenschaftler Volker Lilienthal über mögliche Folgen der Technisierung, neue Anforderungen an Medienschaffende und seine Beobachtungen bei “Bild”. Die Folien zum Vortrag gibt es hier (PDF).

6. Inside Medien: Yelda Türkmen – Chefin von “Kanakfilm”
(anchor.fm, Lisabell Shewafera, Audio: 44:22 Minuten)
“Inside Medien” versteht sich als “Interview-Podcast mit deutschen Medienmenschen mit interkulturellem Background”. Dieses Mal zu Gast: Yelda Türkmen, die als Redaktionsleiterin bei “Five Souls” arbeitet, einer Talkshow des SWR. Außerdem ist Türkmen Gründerin der Produktionsfirma Kanakfilm Berlin, die unter anderem für Netflix, den rbb und den SWR produziert. Davor war sie unter anderem Leiterin bei “Joko und Klaas”, “DSDS” und “Jäger und Sammler”. Ein spannender Blick hinter die Kulissen einer Produktionsfirma.

Küssen verboten

“Die 25 verrücktesten Sex-Gesetze” versprach Bild.de am Donnerstag – selbstverständlich immer mit Blick auf den Bildungsauftrag gegenüber dem Leser – und lieferte dazu eine 25-teilige Klickstrecke. Viel Zeit für Recherche dürfte dabei nicht draufgegangen sein, denn ausnahmslos alle Beispiele geistern zum Teil schon seit den späten Neunzigern in zahllosen Sammlungen und häufig sogar im gleichen Wortlaut durchs Internet oder erschienen schon einmal auf Bild.de.

Noch leichter macht man es sich da nur noch beim Online-Auftritt der Schweizer Boulevardzeitung “Blick”, wo die 25 verrückten “Sex-Gesetze” von Bild.de einfach zwei Tage später als “Verrückte Erotikgesetze” im selben Wortlaut erschienen. Einzige nennenswerte Eigenleistung: blick.ch sortiert nach Ländern.

Bei vielen dieser Gesetze ist es auch aufgrund des komplizierten angelsächsischen Fallrechts nahezu unmöglich zu überprüfen, ob sie immer noch gültig sind oder ob sie überhaupt jemals existiert haben. Zwar lässt sich ein Teil der Gesetze auf der Seite dumblaws.com wiederfinden, aber auch dort fehlt häufig eine Quellenangabe.

Ganz sicher falsch sind jedoch folgende:

Nr. 17 (Bild.de):

Auf Hawaii darf ein Mann nicht mit einer Unter-18-Jährigen zusammen sein. Verstößt er gegen das Gesetz, müssen die Eltern des Mädchens drei Jahre ins Arbeitslager, weil sie ihre Tochter “freizügig” erzogen haben.

Abgesehen davon, dass es im US-Bundesstaat Hawaii keine “Arbeitslager” gibt, findet sich dieses Gesetz weder auf dumblaws.com, noch erscheint es realistisch, wenn man bedenkt, dass auf Hawaii selbst “Unter-18-Jährige” für eine Abtreibung keine elterliche Zustimmung benötigen.

Nr. 20:

Im US-Bundesstaat Connecticut dürfen Kondome offiziell nicht verkauft werden.

Tatsächlich ist der Kondomverkauf in Connecticut seit einem Grundsatzurteil des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten (Griswold v. Connecticut) im Jahre 1965 zulässig.

Nr. 21:

Und in Indiana ist es nur Frauen verboten, Kondome zu kaufen.

Kondome werden in Indiana sowohl geschlechts- als auch altersunabhängig verkauft — und zwar in Drogerien, Apotheken, Supermärkten und online.

Nr. 22:

Wenn Sie nach Irland fahren, nehmen Sie lieber einen großen Vorrat an Kondomen mit: Auch im streng katholischen Inselstaat sucht man vergeblich nach Lümmeltüten.

Ja, die Mehrheit der Iren ist katholisch. Deshalb sind Kondome auf der grünen Insel auch erst seit 1979 nicht mehr verschreibungspflichtig. Und erst seit 1993 können sie auch von Jugendlichen unter 17 Jahren legal erworben werden. Aber wenn Sie am Flughafen jemanden sehen, der wegen eines Koffers voller “Lümmeltüten” Übergepäck anmelden muss, handelt es sich sicher um Redakteure von Bild.de oder blick.ch.

Andere “verrückte” US-Gesetze wie etwa die gesetzliche Beschränkung auf maximal “zwei Dildos pro Haushalt” in Arizona (Nr. 24) versuchte der amerikanische Jurist Daniel Enevoldsen zu verifizieren — erfolglos. Ihm gebührt das Schlusswort, das wohl auf den Großteil der Gesetze aus der Liste zutreffen dürfte:

Ich glaube, dass es sich dabei irgendwann tatsächlich um Gesetze gehandelt hat, die aber inzwischen nicht mehr angewendet werden. Sie sind vermutlich so alt, dass sie nicht in Online-Datenbanken aufgezeichnet sind. Möglich ist auch, dass die Gesetze nie existiert haben und einfach von irgendwelchen Leuten erfunden wurden. Wie auch immer: Es scheint sie nicht mehr zu geben.
(Übersetzung von uns.)

Mit Dank an Michael und einen anonymen Helfer!

Berufsbild, Druckstellen, Beigeschmack

1. Der neue „Unternehmensjournalismus“ oder: Die Umdeutung eines Berufsbildes
(get.torial.com, Lutz Frühbrodt)
Die Vermischung von Werbung und Marketig und Journalismus geht in die nächste Runde. Nun wollen die sogenannten “Content Marketer” als reinrassige Journalisten angesehen werden. Mit schwerwiegenden Folgen für den Journalismus insgesamt, wie Lutz Frühboldt schreibt: “Er würde in erster Linie nur noch über seine äußere Hülle und sein Handwerkszeug definiert und nicht mehr über seine Funktionen, nämlich Kritik und Kontrolle. Die Folgen für die Meinungsbildung werden nicht ausbleiben: Es drängt mehr interessengeleitete Information in den öffentlichen Raum, Aufklärung und Einordnung geraten dagegen ins Hintertreffen.”

2. Wenn Algorithmen Journalismus machen
(de.ejo-online.eu, Andreas Graefe & Mario Haim)
Der automatisierte Journalismus bleibt ein umstrittenes Thema. Einerseits funktioniert er in bestimmten Ressorts wie Sport und Finanzen gut und bietet den Medienhäusern wirtschaftliche Vorteile, andererseits wollen die Leser laut Umfragen lieber von Menschen geschriebene Texte. Die Autoren des Beitrags berichten über die sachlichen und emotionalen Aspekte der Technologie. Außerdem haben sie ein Forschungsvorhaben angeschoben, das anhand eines Beispiels herausfinden will, wie automatisierte Nachrichten beim Leser ankommen.

3. Druckstelle
(Frank Nienhuysen, sueddeutsche.de)
Die “RBK”-Mediengruppe wurde bislang als eine der wenigen kritischen, unabhängigen Stimmen Russlands genannt. Nun wurde die Chefredaktion entlassen mit einer schwammigen Begründung (“unterschiedliche Meinungen über Fragen der Entwicklung”). Viele sehen darin den Versuch des Kremls, Druck auf das unbequeme Blatt und den Eigentümer der Medienholding auszuüben.

4. Finnland droht Journalisten
(Reinhard Wolff, taz.de)
Finnland rangiert auf der aktuellen Pressefreiheits-Rangliste von “Reporter ohne Grenzen” auf Platz eins. Ausgerechnet dort wird derzeit Druck auf Journalisten ausgeübt: Die finnischen Finanzbehörden bestehen auf Herausgabe der sogenannten “Panama Papers”, was von Journalistenseite mit Hinweis auf den Quellenschutz verweigert wird. Die Behörden drohen daraufhin mit Polizei, Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen.

5. Eine Versöhnung mit Beigeschmack
(faz.net)
Megyn Kelly gilt als eine der smartesten und schärfsten politischen Journalistinnen Amerikas, die mit ihrer Sendung auf Fox News für Furore sorgte und sogar Donald Trump Angst machte. Dieser hatte als Reaktion für Kellys inhaltliche Konfrontationen und direkte Fragen einen Monate anhaltenden Kleinkrieg gegen die Moderatorin angezettelt und sie mit allerlei hässlichen Beleidigungen bedacht. Der Fox-News Chef hat die Moderatorin zur öffentlichen Versöhnung beordert. Einer Versöhnung mit Beigeschmack…

6. Radio Gaga: Der beste Mix auf den dümmsten Wellen
(dwdl.de, Hans Hoff)
Hans Hoff redet sich den Frust über das heutige Radio von der Seele: “Heute ist Radio gaga. Endgültig. Es ist vorbei, das Medium liegt im Sterben. Und das beste Zeichen fürs Siechtum ist, wenn jemand „Der beste Mix“ sagt. Dann kann man sehr sicher davon ausgehen, dass jene, die da am Mikrofon stehen, ihre Hörer für dümmer als Brot halten.”

Deniz Yücel, Angst-Studie, Ludwig-Schwindel

1. “Der Fall Yücel sollte kein Politikum sein”
(welt.de, Daniel-Dylan Böhmer)
“Welt”-Korrespondent Deniz Yücel sitzt nun seit mehr als 250 Tagen im Gefängnis. Eine Anklageschrift gibt es noch immer nicht. Daniel-Dylan Böhmer hat mit Yücels Anwalt Veysel Ok gesprochen, der seinen Mandanten regelmäßig besucht und der durchaus Hoffnung hat, dass der Fall Yücel noch juristisch zu lösen ist. Am Ende des Interviews gibt es alle nötigen Informationen, wie man Deniz Yücel einen Brief zukommen lassen kann — auf Deutsch oder auf Türkisch.

2. Der Preis der Anna-Lena Schnabel
(3sat.de, Jan Bäumer, Video, 44:56 Minuten)
Anna-Lena Schnabel hat einen Preis bekommen, den “Echo Jazz”, weil sie hervorragend Saxophon spielt. Bei der Preisverleihung durfte sie allerdings keines ihrer eigenen Stücke ihres Albums “Books, Bottles & Bamboo” spielen, für das sie die Newcomer-Auszeichnung bekommen hat. Die seien zu sperrig fürs Fernsehpublikum, das dann nur wegschalten würde, so die Befürchtung des NDR, der die Preisverleihung übertragen hat. Jan Bäumers 45-minütige sehenswerte Doku ist eigentlich ein Portrait über Anna-Lena Schnabel. Sie zeigt aber auch das hochpeinliche Vorgehen eines TV-Senders, wenn er mit Kultur in Berührung kommt. Bei “Zeit Online” ist eine Rezension zu Bäumers Film erschienen. Nachtrag, 13:28 Uhr: Thomas Schreiber, Unterhaltungschef des NDR, widerspricht der Darstellung von Anna-Lena Schnabel.

3. So hetzt ‘RT Deutsch’ seine Fans gegen einen Berliner Kritiker auf
(vice.com, Matern Boeselager)
Bei einer Demonstration gegen die AfD stellt sich ein junger Mann vor die Kamera von “RT Deutsch” und kritisiert auf Englisch den deutschen Ableger des russischen Staatssenders. Nach einem späteren Interview des Mannes mit der “Welt” veröffentlicht “RT Deutsch” in einem als “Satire” gekennzeichneten Beitrag den vollen Namen des Mannes, Fotos von ihm, seine angebliche Arbeitsadresse. Darauf folgen Drohungen und Beleidigungen. Matern Boeselager über “die Methode RT Deutsch”.

4. Wenn das Gericht dem Amt nicht traut
(taz.de, Christian Rath)
Ist die journalistische Sorgfaltspflicht gewahrt, wenn sich Autoren auf amtliche Berichte berufen? Ja und nein, hat der Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) kürzlich entschieden. Es ging um ein 2008 erschienenes Buch der Mafia-Expertin Petra Reski, die darin einen Mann als “mutmaßliches Mitglied” der kalabrischen Mafia beschrieb. Reski stützte sich dabei auf zwei interne Berichte des Bundeskriminalamts (BKA). Wären die BKA-Berichte veröffentlicht worden, wäre laut EGMR alles in Ordnung. Da sie aber unveröffentlicht bleiben, hätte Petra Reski die dort enthaltenen Informationen weiter prüfen müssen, so das Gericht. Christian Rath schreibt zum Urteil: “Journalisten sollen also nicht ungeprüft Aussagen veröffentlichen, die der Staat (noch) nicht für veröffentlichungsfähig angesehen hat.”

5. Eine Studie, die Angst macht
(stefan-fries.com)
Die “R+V”-Versicherung veröffentlicht jedes Jahr die Ergebnisse ihrer “Langzeitstudie” zum Thema “Die Ängste der Deutschen”. Redaktionen im ganzen Land greifen diese gern auf. Stefan Fries sieht das kritisch, weil die Fragen der Studie einen engen Rahmen vorgäben, und an einer entscheidenden Stelle Transparenz fehle: “So bleibt am Ende die ernüchternde Erkenntnis, dass trotz aller Transparenz, was die Erhebung der Umfrage angeht, diese bei den Ergebnissen fehlt. Was freilich Journalisten nicht daran hindert, die Ergebnisse und damit auch Werbung für die Versicherung in die Berichterstattung zu heben.”

6. Der Schwindel des Journalisten, dem Ludwig II. scheinbar sein Herz öffnete
(sueddeutsche.de, Hans Kratzer)
1886 war es eine Sensation, ein Scoop, als der Journalist Lew Vanderpoole im angesehenen “Lippincott’s Monthly Magazine” eine große Geschichte über Ludwig II. veröffentlichte. Vier Jahre zuvor soll er den bayerischen König getroffen haben — keinem Autor vor ihm und keinem nach ihm ist das gelungen. Aufgrund dieser Einzigartigkeit wird Vanderpooles Artikel noch heute häufig zitiert. Nun gibt es allerdings Zweifel an der Echtheit des Stücks. Süddeutsche.de berichtet über die Entdeckungen des Privatgelehrten Luc Roger, der sagt: “Vanderpooles Bericht über seine Audienz mit König Ludwig II. ist höchstwahrscheinlich ein Betrug.”

Kein Nikoloverbot, “Forbidden Stories”, Rheinland-Pfalz-Klüngel

1. Zehn Festnahmen im Mordfall Galizia
(taz.de)
Wenige Wochen nach dem Mord an der Investigativreporterin Daphne Caruana Galizia in Malta wurden bei Razzien zehn Verdächtige festgenommen. Caruana Galizia hatte unter anderem zu Korruption, Geldwäsche und Briefkastenfirmen recherchiert und sich zwei Wochen vor ihrer Ermordung wegen Todesdrohungen an die Polizei gewandt. Im vergangenen Jahr hatte die Reporterin im Rahmen der “Panama Papers” enthüllt, dass Mitarbeiter des maltesischen Premierministers Offshorekonten eröffnet hätten, was vom Premierminister als Lüge zurückgewiesen worden war.

2. Verbotene Geschichten
(tagesspiegel.de, Felix Hackenbruch)
Bei “Forbidden Stories” geht es darum, die Recherchen getöteter und inhaftierter Journalisten fortzusetzen. “Wir möchten die Geschichten am Leben erhalten und sicherstellen, dass so viele Menschen wie möglich Zugang zu unabhängigen Information haben”, so der Initiator und Gründer der Plattform “Freedom Voices”, der sich für das Projekt unter anderem mit den “Reportern ohne Grenzen” zusammengetan hat. Einen ersten Erfolg hätten die “Forbidden Storys” bereits verzeichnen können: Nach dem Tod eines mexikanischen Enthüllungsjournalisten konnte nachgewiesen werden, dass ein Politiker Verbindungen zu einem Drogenboss unterhielt.

3. Handyverbot: möglich, aber aufwendig
(omr.com, Martin W. Huff)
Kann ein Vorsitzender Richter das Twittern aus dem Gerichtssaal verbieten wie er auch das Telefonieren untersagen kann? Ohne Begründung dürfte das rechtlich kaum möglich sein, führt Rechtsanwalt Martin W. Huff aus: “Gerichtsverhandlungen sind öffentlich. Der Zugang zum Saal muss ebenso jederzeit möglich sein wie das Verlassen eben jenes. Jeder Zuschauer kann und darf also den Saal verlassen und draußen erzählen, was drinnen passiert ist. Er kann dazu Stellung nehmen und seine Einschätzung wiedergeben. Wer nun aus dem Saal mittels eines zugelassenen Geräts Meldungen schreibt, tut nichts anderes. Er benimmt sich nur unauffälliger und leiser, als wenn er den Saal verließe. Einen anderen Charakter hat sein Verhalten nicht.”

4. Brauchtum: Die Legende vom Nikolo-Verbot
(kurier.at, Katharina Zach)
Fast gewohnheitsmäßig tauchen in Österreich kurz vor dem 6. Dezember Meldungen über ein angebliches “Nikolo-Verbot” in Kindergärten auf. Diese gehen wohl auf eine falsch interpretierte Meldung zurück, nach der auf Fremde als Nikolaus-Darsteller verzichtet werden solle, damit Kinder der Figur ohne Angst begegnen können. Verkürzt wurde daraus dann das angebliche “Nikolo-Verbot”.
Weiterer Lesehinweis: Die Meldung der Stadt Wien, die einen Bericht in der Tageszeitung “Österreich” als “vollständig falsch” bezeichnet: “Entgegen eines heutigen Berichts in der Tageszeitung “Österreich” sind Nikolo und Christkind nicht nur prinzipiell an Wiens Schulen willkommen und somit Teil des schulischen Alltags, sondern stimmen die im Bericht genannten Vorwürfe gegenüber einer Schule in Wien-Floridsdorf ausnahmslos nicht.”

5. “Beim Wort ‘Muslime’ geht das Kopfkino an”
(mediendienst-integration.de, Daniel Bax)
Wird sich der Anteil der Muslime an der deutschen Bevölkerung aufgrund von Einwanderung und höherer Geburtenrate bis zum Jahr 2050 verdoppeln, wie es das “Pew Research Center” vorausgesagt hat? Im Interview mit dem “Mediendienst Integration” erklärt die Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus, was von diesen Prognosen zu halten ist, welche Reaktionen sie hervorrufen und worauf wir uns tatsächlich einstellen sollten.

6. Neues aus der Anstalt: Rettet Rechtsanwalt Rechtsstaat Rheinland-Pfalz?
(kanzleikompa.de)
Für den Chefposten der rheinland-pfälzischen Landesmedienanstalt soll unter konspirativen Umständen ein Ex-Staatssekretär der SPD ausgekungelt worden sein. Rechtsanwalt Markus Kompa kritisiert das Verfahren, das er als “pseudodemokratische Ritual” bezeichnet: “Diese Wahlvorbereitung ohne Ausschreiben oder sonstig transparentes Verfahren scheint mir eine originelle Interpretation des eigentlich auch in Rheinland-Pfalz geltenden Art. 33 Abs. 2 GG zu sein, der bei Besetzung von Staatsämtern eigentlich den Leistungs- und Wettbewerbsgedanken vorsieht.” In einer ironischen Videobotschaft bewirbt sich Kompa nun seinerseits um das Amt. Update: Der ausgekungelte SPD-Politiker wurde tatsächlich gewählt, wenn auch sehr knapp, wie Michael Hanfeld in der “FAZ” berichtet.

G20-Hilfssheriffs, Einzelfälle?, DSGVO und Panikmache

1. Der Journalist, dein Freund und Helfer
(taz.de, Marco Carini)
Unterstützen einige Hamburger Medien die Polizei bei der Verfolgung mutmaßlicher G20-Straftäter und fungieren dabei gar als willfährige Hilfssheriffs? Der Eindruck könnte zumindest entstehen, wenn man liest, was Marco Carini für die „taz“ aufgeschrieben hat.

2. „Wir wissen, dass es keine Einzelfälle sind“
(journalist-magazin.de, René Martens)
Journalisten vom „Recherchezentrum Correctiv“ und dem „Stern“ haben über mehrere Fälle sexueller Belästigung beim „WDR“ berichtet. Im Interview erzählen die beiden Autoren, wie es zu der Geschichte gekommen ist, ob noch mit weiteren Fällen zu rechnen ist und wie sie damit umgehen, dass von Seiten des rechten Milieus versucht wird, die Recherchen für den Propagandakampf gegen das öffentlich-rechtliche System zu instrumentalisieren. 

Weiterer Lesetipp: Frauen machen sich für freigestellten WDR-Mann stark (sueddeutsche.de)

3. Liebesgrüsse aus Moskau
(medienwoche.ch, Adrian Lobe)
Vom 14. Juni bis zum 15. Juli 2018 findet in Russland die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 statt. Pünktlich dazu hätten Russlands Auslandmedien eine mediale Charmeoffensive gestartet voller Positiv-Geschichten und Promis, so Adrian Lobe. Der TV-Sender „RT“ würde sich das Unternehmen einiges kosten lassen und hätte eine Menge Geld für Prominenz aus dem Westen aufgewendet.

4. #journalistenschule
(2018.djs-online.de)
Zum Tag der Pressefreiheit (3. Mai 2018) besuchten Absolventen der Deutschen Journalistenschule ihre ehemaligen Schulen, um über Journalismus zu sprechen, von ihrer Arbeit in Redaktionen und Pressestellen zu berichten und über ethische Grundsätze, Fehlerquellen und “Fake News” zu diskutieren. Im Blog berichten sie nun von ihren Erlebnissen und Eindrücken in den von ihnen besuchten Schulen.

5. Fotografieren in Zeiten der DSGVO – Große Panikmache unangebracht
(rechtambild.de, Florian Wagenknecht)
Die ab dem 25. Mail geltende Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) sorgt bei vielen Menschen für regelrechte Panik. Besonders Fotografen sehen sich durch die neuen Regelungen bedroht, manche sogar existenziell. Der Jurist Florian Wagenknecht hält derlei Panik für übertrieben und ordnet die Regelungen ein.

6. Spam: 40 Jahre Werbe-Mails
(heise.de, Detlef Borchers)
Hurra, die Spam-Mail wird 40! Am 3. Mai vor 40 Jahren wurde die erste Werbe-Mail an 320 Postfächer von Nutzern des damaligen Arpanets verschickt. Detlef Borchers erinnert an das denkwürdige Datum und erzählt noch einmal die Geschichte nach, wie es zu dem Begriff um das „Frühstücksfleisch in Dosen“ kam.

Sondertrack re:publica 2018: Empfehlungen für Besucher und Daheimgebliebene

1. Erfrischend, erstaunlich, bedrückend – ein Zwischenfazit
(tagesspiegel.de, Sebastian Leber & Hendrik Lehmann & Carsten Werner & Kurt Sagatz & Jana Demnitz & Marius Mestermann & Markus Lücker)
Das „Tagesspiegel“-Team hat den kompletten zweiten Konferenztag im Newsblog begleitet und seine Eindrücke in gut lesbaren Häppchen zusammengeführt.

2. “Keinen Rekrutierungsstand für ihre Cyberarmee”
(deutschlandfunk.de, Markus Beckedahl, Antje Allroggen)
Republica-Gründer Markus Beckedahl bleibt im Gespräch mit dem Deutschlandfunk dabei, dass es die richtige Entscheidung war, die uniformierte Bundeswehr nicht auf der Konferenz zuzulassen: “Wir haben gesagt, dass wir keinen Rekrutierungsstand für ihre Cyberarmee haben möchten.“

3. re:publica: Sascha Lobo plädiert für offensiven Sozial-Liberalismus
(heise.de, Torsten Kleinz)
Torsten Kleinz fasst bei „heise“ den Republica-Vortrag von Sascha Lobo zusammen, in dem dieser vor einem Abdriften Europas in autoritäre Gesellschaftsstrukturen warnte. Den für Populismus anfälligen Bevölkerungsschichten müssten bessere Alternativen aufgezeigt werden, so Lobo.
 Außerdem plädierte er für mehr Toleranz: “Lasst die Leute einfach tun – solange es im Rahmen der Werte der liberalen Demokratie bleibt.”
Der Vortrag ist auch auf YouTube verfügbar: Pop und Anti-Pop – Wie das Internet uns lehrte zu kämpfen. Und wofür. (65 Minuten)

Deutsche Erfolgsgeschichte, Doppelt schäbig, Rendezvous mit Putin

1. Unsere Titelseite von Montag. #Gauland
(facebook.com/Tagesspiegel)
Anlässlich der relativierenden Aussagen des AfD-Politikers Alexander Gauland über „Hitler und die Nazis“ und seinen Kommentar über „1000 Jahre erfolgreiche Geschichte“, hat der „Tagesspiegel“ seine Titelseite ausschließlich diesem Thema gewidmet. Es sind Schwarz-Weiß-Bilder aus alten Zeiten, die für sich sprechen…

Weiterer Lesetipp: Thomas Fischer, Kolumnist und Autor des Standard-Kommentars zum Strafgesetzbuch, hat Gaulands Äußerungen analysiert und juristisch eingeordnet. (spiegel.de)

2. Raus aus den sozialen Netzwerken
(deutschlandfunkkultur.de, Christoph Drösser)
Der amerikanische „Internet-Guru“ Jaron Lanier ist für seine teilweise zugespitzten und provozierenden Thesen zu IT-Themen bekannt. Für sein digitalisierungskritisches Buch „Wem gehört die Zukunft“ erhielt er 2014 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. In seinem neuen Buch fordert Lanier dazu auf, die sozialen Netzwerke zu verlassen. Christoph Drösser hat den Internet-Kritiker zum Interview besucht. Wie er es vor 20 Jahren schon einmal getan hat.

3. Rendezvous mit Wladimir Putin
(arminwolf.at)
Ein Interview mit dem russischen Präsidenten Putin zu bekommen, ist normalerweise fast ein Ding der Unmöglichkeit. Armin Wolf ist es gelungen. In seinem Blog erzählt er auf unterhaltsame Art, wie es dazu kam („…in Wahrheit habe ich gar nichts dazu getan”), berichtet von den Abläufen vor und beim Termin und verrät Putins beliebteste fünf Antwort-Strategien.

4. Die Verdopplung der Schäbigkeit
(freitag.de, Klaus Raab)
Klaus Raab kommentiert in seinem „Medientagebuch“ die Nachricht der beiden Medienhäuser „Madsack“ und „DuMont“ zukünftig, eine gemeinsame Berlin-Redaktion zu betreiben: „Dass mit einer solchen Kooperation eine Verringerung der Pressevielfalt einhergeht, ist offensichtlich.“, so Raab. Außerdem sei die in Aussicht gestellte Verdoppelung der Stellen Blendwerk, eher handele es sich um eine „Dreiviertelung“.
Unbedingt beachtenswert dazu auch Anne Fromms Beitrag in der taz: Bericht aus Berlin

5. Gummibegriff «öffentliches Interesse»
(nzz.ch, Rainer Stadler)
Das Schweizer Boulevardblatt „Blick“ hat berichtet, dass der Sohn eines Prominenten im Verdacht stehe, am G-20-Gipfel in Hamburg randaliert zu haben. Nach Meinung des Bezirksgerichts Zürich war dies nicht statthaft: Der „Blick“ musste den Namen des prominenten Schweizers löschen. Richtig so, findet Rainer Stadler: „Die Redaktionen berufen sich regelmässig aufs öffentliche Interesse, wenn sie in die Privatsphäre von Prominenten eindringen. Es handelt sich hier um einen höchst dehnbaren Begriff, mit dem sich fast alles rechtfertigen lässt. Der hohe Anspruch wirkt öfters scheinheilig. Mit welchem guten Grund dürfen Journalisten eine Magistratsperson ins Scheinwerferlicht zerren, wenn deren Sohn Haschisch konsumiert hat oder in einen Autounfall verwickelt war? Es gibt keinen – solange der betreffende Politiker sich nicht einmischt und Polizei oder Justiz frei ihres Amtes walten lässt.“


6. Ignorieren, bis es zu spät ist
(spiegel.de, Patrick Beuth)
Selten ist ein Gesetz so dysfunktional wie das Leistungsschutzrecht für Presseverleger gewesen, befindet Patrick Beuth, doch die Bundesregierung weigere sich das einzugestehen. Ganz im Gegenteil: Die Regierung trete dafür ein, das in vielerlei Hinsicht problematische Gesetz zum Modell für eine europäische Regelung zu machen.

7. Nein, „Hart, aber fair“ ist an dieser Sendungsankündigung überhaupt nichts!
(facebook.com, Lorenz Meyer)
Weil der 6-vor-9-Kurator keinen Platz in eigener Sache wegnehmen will, hier ausnahmsweise eine siebte Leseempfehlung. Es geht um die aktuelle Sendungsankündigung zu Frank Plasbergs „Hart, aber Fair“ zum Thema „Flüchtlinge und Kriminalität“:
„Hier wird mit sprachlichen Mitteln und einigen als Fragen verkleideten Unterstellungen ein Framing betrieben, das die Köpfe der Zuschauer vergiftet. Derartige Formulierungen und Zuschreibungen sind ein Nährboden für Angst, Hass und Hetze.“

“Bild” belästigt “letzte Hitlers”, die gar nicht Hitler heißen

Alexander Hitler heißt nicht Alexander Hitler, und dennoch nennen “Bild” und Timo Lokoschat ihn Alexander Hitler, denn andernfalls käme ihre Titelgeschichte von heute noch ein Stück dünner daher:

Ausriss Titelseite der Bild-Zeitung - Bild traf den Groß-Neffen in den USA - Letzter Hitler bricht sein Schweigen! Mit zweitem Namen heißt er Adolf

Ihre komplette Seite 3 hat die Redaktion für die Story freigeräumt:

Ausriss Bild-Zeitung - Was Alexander Hitler über Merkel und Trump denkt
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)

Bei Bild.de, dort hinter der Bezahlschranke, prangte sie heute lange Zeit ganz oben auf der Startseite:

Screenshot Bild.de - Bild traf den Groß-Neffen in den USA - Letzter Hitler bricht sein Schweigen! Mit zweitem Namen heißt er Adolf

Und auch online ist fast ausschließlich von Alexander Hitler die Rede, was — das möchten wir hier gern noch mal betonen — falsch ist, da der Mann, den Lokoschat und “Bild” aufgestöbert haben, gar nicht Alexander Hitler heißt: Er ist tatsächlich mit Adolf Hitler verwandt, um einige Ecken, laut “Bild”-Medien soll er dessen Großneffe sein. Aber den Nachnamen des Diktators trägt er nicht, hat er nie. Das schreibt auch Lokoschat:

Ihren Namen hat die Familie 1946 verändert. Zuerst in Hiller, später in einen englischen Doppelnamen.

Alexander wurde 1949 geboren. Und dennoch heißt es in dem Artikel unter anderem:

“DEAD END” steht auf dem Schild vor der Straße, in der Alexander Hitler wohnt.

Alexander Hitler lebt in einem Holzhaus

Gepflegt sind dafür die vielen Topfpflanzen, die hier stehen. Fleißiges Lieschen, Bartnelken, Eisbegonien, Funkien. Die amerikanischen Hitlers haben einen grünen Daumen.

Herr Hitler fährt Hyundai.

Er ist groß, zirka 1,85 Meter, trägt ein türkis-weiß-kariertes Hemd und eine beigefarbene Cargohose. Alexander Hitler.

“Deutsche Politik?”, wiederholt Alexander Hitler ungläubig und zieht die Augenbrauen hoch.

Und so weiter. Mehrere Dutzend Mal fällt der Name Hitler. Auch wenn seit 72 Jahren niemand mehr so heißt.

Zum Aufplustern der “Bild”-Titelgeschichte gehört auch: Es handelt sich gar nicht, wie auf Seite 1 behauptet, um den “letzten Hitler”. Es gibt noch mindestens zwei weitere — die allerdings auch nicht Hitler heißen. Bei den beiden Brüdern von Alexander, die wohl zusammenleben, stand Timo Lokoschat ebenfalls vor der Haustür. Einer von ihnen öffnete die Tür, schloß sie sehr schnell wieder, als der “Bild”-Mann sein Anliegen schilderte, und schaltete die Rasensprenger an. Viel deutlicher kann man nicht sagen: “Lass uns in Ruhe”.

Alexander sprach hingegen mit Lokoschat. Was aber nicht das rechtfertigt, was “Bild” und Bild.de mit ihm anstellen. Mal abgesehen von der hingebogenen Schlagzeile, penetrant genutzten falschen Nachnamen und den ganzen Belanglosigkeiten (Lokoschat klammert sich nicht nur an die bahnbrechenden Entdeckungen von grünen Daumen und Automarken, sondern auch an solche “kuriosen Zufälle”: “Kurioser Zufall: Die Nachbarin kommt aus Österreich!” Große Enttäuschung direkt im nächsten Satz: “Aber auch sie weiß nichts.”) ist das eigentlich Grässliche an dem Artikel: Das Eindringen in die Privatsphäre eines Menschen, der sich nichts hat zuschulden kommen lassen; der nichts dazu beigetragen hat, dass die “Bild”-Redaktion sich für ihn interessieren könnte; der einfach nur das verdammte Pech hat, dass es sich bei einem entfernten Verwandten um eine der schlimmsten Personen der Menschheitsgeschichte handelt.

Und das gilt für Alexander genauso wie für seine zwei Brüder. Von dem einen — Alexander — haben “Bild” und Bild.de ein Foto veröffentlicht, ohne Verpixelung, das ganz offensichtlich aus größerer Entfernung aufgenommen wurde. Man sieht darauf noch den Maschendrahtzaun des Grundstücks, vor dem der Fotograf steht. Wir haben bei Lokoschat nachgefragt, ob der Mann wusste, dass er fotografiert wird, und ob er eingenwilligt hat, dass dieses Foto veröffentlicht wird. Der “Bild”-Redakteur wollte uns darauf nicht antworten.

Von den zwei Brüdern, von denen der eine Lokoschat per Rasensprenger deutlich gemacht hat, dass er nichts mit ihm zu tun haben will, haben die “Bild”-Medien eine Außenaufnahme des Hauses veröffentlicht. Zu ihnen steht im Text:

Sie sind die letzten Hitlers.

Das weiß in der 20 000-Einwohner-Stadt fast niemand.

Mit etwas Pech wissen es dort bald ganz viele. Die “Bild”-Redaktion feiert sich jedenfalls schon dafür, dass ihre Geschichte auch international Widerhall findet:

Screenshot Bild.de - So kommentiert die internationale Presse den Besuch bei den Hitler-Nachfahren

Bei Twitter erklärt Timo Lokoschat, dass er in seinem Text “aus Prinzip” nicht den richtigen Nachnamen von Alexander und dessen Brüdern (natürlich erst recht nicht in anonymisierter Form) verwendet hat:

Screenshot eines Tweets von Timo Lokoschat - Der Nachname ist eigentlich auch weithin bekannt, auch der Ort lässt sich leicht herausfinden. Wollte beides trotzdem aus Prinzip nicht hineinschreiben. Macht die Story nicht besser.

Was so eine Story offenbar “besser” macht: Leute immer wieder Hitler nennen, die gar nicht Hitler heißen und auch nicht Hitler heißen wollen, und Fotos von ihnen und ihren Häusern in Millionenauflage unter die Leute bringen. Julian Reichelt, der schon dann sauer wird, wenn jemand öffentlich nur sein Jahresgehalt schätzt, und dadurch seine Familie bedroht sieht, scheint kein Problem mit der Veröffentlichung all dieser Details zu haben.

An einer Stelle im Artikel steht zum Vater der drei von “Bild” besuchten Männer:

Den Fluch des schlimmsten Familiennamens der Weltgeschichte wollte er seinen Söhnen ersparen.

“Bild” und Timo Lokoschat wollen das offenbar nicht.

Dazu auch:

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Fast ohne Zutun, Rechtstrend “Dark Social”, Digital Darlings unter Druck

1. Wie ein privates Video fast ohne Zutun von Journalisten “an die Öffentlichkeit kam”
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Ein an die Öffentlichkeit gelangtes, privat gedrehtes Video einiger junger Kommissaranwärterinnen sorgt für einen Mix von künstlicher Aufregung, Heuchelei und Doppelmoral. Stefan Niggemeier fasst zusammen: “Und so ist nun ein privates Video in der Welt und alle reden über die Verantwortung junger Polizistinnen und die Gefahren von Social Media — nur für die Journalisten von “Focus” und “Bild”, die es hochgeladen und für seine Verbreitung gesorgt haben, ist die Sache erledigt.”

2. Bremer Ex-AfD-Vorstand Lührssen: Der Preis des politischen Engagements
(weser-kurier.de, Jürgen Theiner)
Als der Journalist Hinrich Lührssen (u.a. Radio Bremen, “Stern TV”) vor einigen Monaten Teil des Bremer AfD-Landesvorstandes wurde, sorgte dies in der Branche für Verwunderung. Lührssen bezeichnet seine Zeit bei der AfD heute als “Trip nach Nordkorea und zurück”, was vor allem an seinen gescheiterten Karriereplänen liegt: Der Journalist konnte sich nicht als AfD-Spitzenkandidat für die Bürgerschaftswahl durchsetzen und fühlt sich ausgebootet.

3. Dark Social ist auch Trend bei Rechtsextremen
(belltower.news, Simone Rafael & Miro Dittrich)
Nachdem einige rechtsextreme Gruppierungen aus den sozialen Netzwerken geschmissen wurden, verlagerten sie ihre Aktivitäten zu Messengerdiensten wie Whatsapp und Telegram. Miro Dittrich vom Monitoring-Projekt “De:hate” der Amadeu Antonio Stiftung erklärt die Hintergründe.

4. Digital Darlings unter Druck
(spiegel.de, Isabell Hülsen & Martin U. Müller)
Die drei Medienmarken “BuzzFeed”, “Vice”, “Huffpo” mussten jüngst kräftig Federn lassen: “BuzzFeed” entlässt 15 Prozent seiner Belegschaft, bei “Vice” verlieren 250 der weltweit 2500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihren Job, die deutsche “Huffington Post” hat den Betrieb komplett eingestellt. Das liege vor allem an der Werbe-Übermacht von Facebook, Google und Amazon. Außerdem gebe es eine wachsende Konkurrenz durch klassische Medienhäuser, die immer mehr zahlende Abonnentinnen und Abonnenten für ihren Journalismus im Netz gewinnen.

5. Das Fragezeichen passt besser zu unserem Beruf als das doppelte Ausrufezeichen
(journalist-magazin.de, Georg Mascolo)
Der ehemalige “Spiegel”-Chef Georg Mascolo leitet seit 2014 den Rechercheverbund von NDR, WDR und “Süddeutscher Zeitung”. In einem Beitrag für das Medienmagazin “journalist” beschäftigt er sich mit der mangelnden Selbstkritik und Fehlerkultur von Journalistinnen und Journalisten und bezieht sich durchaus auch selbst mit ein: “Seit mehr als 30 Jahren bin ich nun im Beruf. Meine Arbeitgeber waren und sind das, was man “Qualitätspresse” nennt. Aber ich habe nicht immer “Qualität” abgeliefert. Manche meiner Fehler erinnere ich bis heute schmerzlich, vor allem, weil ich sie meinem Publikum verschwiegen habe.”

6. Ein TV-Sender mit Gaulands Zahnarzthelferin
(deutschlandfunk.de, Doris Anselm)
Der sächsische AfD-Bundestagsabgeordnete Tino Chrupalla plant der “Sächsischen Zeitung” zufolge eine Liste mit Namen “unseriöser” Journalistinnen und Journalisten. Das hat Doris Anselm in ihrer Glosse zu weiteren “guten Vorschlägen” inspiriert. Sie gibt der AfD zum Beispiel den Tipp, selbst eine AfD-kritische Zeitung zu gründen: “Man würde erfahren, dass Jörg Meuthen früher Rastalocken hatte oder dass Alexander Gauland insgeheim in seine Zahnarzthelferin verknallt ist, die ein Kopftuch trägt und ihn natürlich nicht mehr mit dem Arsch anguckt, aber genau da drauf steht er auch ein bisschen und so weiter, und so weiter — alles erfunden natürlich. Aber kritisch! Das wird toll.”

Hochgekochtes Satirevideo, Namensnennung, Kotzender Kühnert

1. Polizisten als Mörder: Wie “Bild” aus einer Satire einen ARD/ZDF-Skandal macht
(rnd.de, Imre Grimm)
Ein rund zweieinhalbminütiges Satire-Video beim öffentlich-rechtlichen Jugendportal Funk zum Thema Rassismus bei der Polizei lässt die Emotionen hochkochen. Imre Grimm hält das Filmchen nicht für besonders gelungen, aber daraus ein Generalversagen von ARD und ZDF abzuleiten, sei falsch: “Der Clip ist blöd und beleidigend. Ihn aber – wie mancher Zeuge der Anklage – als weiteren Baustein einer linksgrünmedialen Diffamierungskampagne gegen die Polizei zu brandmarken, schießt weit über das Ziel hinaus.”

2. RBB schafft Sommerinterview-Reihe ab
(sueddeutsche.de)
Der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) kassierte wegen seines weitgehend unkritischen Sommerinterviews mit Brandenburgs früherem AfD-Chef Andreas Kalbitz viel Kritik. Nun stellt der Sender seine Sommerinterview-Reihe mit brandenburgischen Spitzenpolitikern ein.
Weiterer Lesehinweis: “Das Sommerinterview des RBB mit Andreas Kalbitz sorgte für einen Skandal. Nun hat der MDR den nächsten AfD-Rechtsaußen eingeladen: Björn Höcke. Und will alles besser machen.” Anne Hähnig und Martin Machowecz fragen in der “Zeit”: “Gehört er ins Fernsehen?”

3. Mit Verlaub: Ich kotze im Strahl.
(twitter.com, Kevin Kühnert)
Der SPD-Politiker Kevin Kühnert hat der Newsseite “Watson” ein Interview gegeben, aus dem sich die “Welt”-Redaktion einen Teilaspekt herausgepickt und zugespitzt hat (genauer: eine dpa-Überschrift weitergedreht hat). Entsprechend frustriert reagiert Kühnert auf Twitter: “Wenn der Versuch, differenzierte Antworten zu geben, in solch bewusstem Missverstehen mündet, dann braucht sich niemand wundern, dass Politiker*innen in Interviews nur Blabla von sich geben.” Kühnert weiter: “Diese ‘Zuspitzung’ ist leider auch ein erneutes Beispiel für das verbreitete Desinteresse an politischen Inhalten. Wer mit wem? Wer gegen wen? Welche Koalition hätten’s denn gern? Welches Ministerium wollen Sie führen? Das alles klickt sich leider besser als Steuern/Rente/Klima.”

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4. So geht die tagesschau mit der Nennung von Namen in Gerichtsprozessen um
(blog.tagesschau.de, Marcus Bornheim & Helge Fuhst & Juliane Leopold)
“Tagesschau” und “Tagesthemen” gelten als “Dokumente der Zeitgeschichte”, wodurch den Sendungen eine besondere Verantwortung in der Berichterstattung zukommt: Sie dürfen unbegrenzt online gestellt werden und bleiben unter Umständen Jahrzehnte sichtbar. Ein besonders sensibler Bereich ist die Nennung von Namen in Berichten über Gerichtsprozesse. Für den Verzicht auf Namensnennung kann der Schutz des Persönlichkeitsrechts sprechen, aber auch das Bestreben, sich von einem Angeklagten nicht instrumentalisieren zu lassen, wie ein aktueller Fall zeige. Die Chefredaktion von ARD-aktuell schreibt über das Spannungsfeld dieses Teilbereichs ihrer Arbeit.

5. Aktivisten wollen Facebooks Falschmeldungs-Spreader “bändigen”
(spiegel.de, Max Hoppenstedt)
Die Online-Bewegung Avaaz hat zahlreiche Facebook- und Webseiten untersucht, die falsche oder irreführende Informationen zu medizinischen Themen verbreiten. Avaaz fordert Facebook auf, nicht nur Warnhinweise, sondern auch Richtigstellungen zu veröffentlichen. Studienautor Christoph Schott dazu: “Facebook hat bis heute jenen Nutzerinnen und Nutzern keine spezifischen Korrekturen angezeigt, die die Falschinformation gesehen hatten, dass es als Covid-19-Test ausreiche, zehn Sekunden die Luft anzuhalten. Das ist schon grob fahrlässig aus unserer Sicht.”

6. Vom Newsroom zum Newszoom
(deutschlandfunk.de, Samira El Ouassil, Audio: 3:44 Minuten)
Coronabedingt sind derzeit viele Newsrooms verwaist. Wie kann unter diesen Bedingungen Journalismus gelingen? Können virtuelle Treffen das persönliche Gespräch ersetzen? Samira El Ouassil hat eine einfache Antwort: “Journalismus wird nicht an Orten gemacht, sondern von Menschen”. Außerdem erzählt sie die hübsche Anekdote, wie sie einmal in einem vollbesetzten Newsroom einen O-Ton vom Konsul von Georgien einholen wollte, aber jemanden aus den USA an der Strippe hatte …

WDR lässt Westen im Stich, “Fake-News”-Eigentor, Sportwetten

1. Unterlassene Hilfeleistung: WDR lässt den Westen im Stich
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
Als es in weiten Teilen des WDR-Sendegebiets zu Unwettern mit dramatischen Folgen kam, habe der Sender die Menschen weitgehend im Stich gelassen, kommentiert Thomas Lückerath: “Man kann dem WDR nur raten, sich in der Verteidigung dieses Totalausfalls in Radio und TV nicht zu viel auf einen einsamen Live-Ticker auf der Website oder Twitter einzubilden. Wenn sich die gesamte Kompetenz des mächtig ausgestatteten Westdeutschen Rundfunk in einer Krisensituation, die weite Teile des Landes erfasst hat, in einem banalen Text-Ticker erschöpfen soll, dann ist das ein Armutzeugnis, aber nicht nur: Wenn Angebote im Netz das Angebot im Rundfunk ersetzen soll, dann untergräbt man damit selbst die Legitimation eines bis heute über TV und Radio definierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks.”

2. Wo endet Berichterstattung, wo beginnt Werbung?
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers, Audio: 5:00 Minuten)
Bremens Innensenator Ulrich Mäurer wirft “Bild” eine “besorgniserregende, da gezielt verharmlosende” Berichterstattung über Sportwetten vor und hat sich deswegen an den Presserat gewandt. Der Axel-Springer-Konzern gibt sich unschuldig und weist alle Vorwürfe zurück. Was ist dran an den Vorwürfen? Und welche Rolle spielt der neue Glücksspielstaatsvertrag? Darüber hat der Deutschlandfunk mit Ilona Füchtenschnieder vom Fachverband Glücksspielsucht gesprochen.

3. Springers neue “Welt”-Strategie ist ein Frontalangriff gegen die “FAS”
(meedia.de, Gregory Lipinski)
Der Axel-Springer-Verlag will die “Welt am Sonntag” mit einer Frühausgabe bereits am Samstag an die Kioske bringen. Ein schlauer Schachzug, wie Gregory Lipinski findet, der sich vor allem gegen die “Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung” richte. Profiteur der neuen “Welt”-Vertriebsstrategie sei Springer-Chef Mathias Döpfner, der sich vor den Investoren von KKR für die schwache Sparte rechtfertigen müsse.

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4. Plädoyer für die Plagiatsjagd
(medienwoche.ch, Lothar Struck)
Lothar Struck hält ein Plädoyer für die Plagiatsjäger, die er als Korrektive für schläfrig gewordene Institutionen bezeichnet: “Sie werden immer dann aktiv, wenn ein Versagen vorliegt. Wenn Promotionsausschüsse ihren Prüfungspflichten nicht ausreichend nachkommen, Lektorate in Verlagen nur oberflächlich ausgeführt werden oder Journalisten in politischer Sympathie Bücher von Mandatsträgern nicht genau untersuchen – dann schlägt ihre Stunde.”

5. Antisemitismus-Eklat um Corona-Bestsellerautor
(t-online.de, Lars Wienand)
Der umstrittene Wissenschaftler Sucharit Bhakdi ist so etwas wie ein Held der Corona-Leugner-Szene. Nun sorgt er mit Äußerungen für Aufsehen, die als antisemitisch wahrgenommen werden können. Der Goldegg-Verlag, der auch Bhakdis letzten Corona-Verharmlosungs-Bestseller veröffentlichte, geht auf vorsichtige Distanz und verlangt von seinem Autoren eine Erklärung. “T-Online”-Redakteur Lars Wienand weist in seinem Beitrag auf einen interessanten Umstand hin: “Bhakdi selbst fasste seine Äußerungen in dem Interview möglicherweise nicht antisemitisch auf: Er sagte in dem Interview auch, er habe Juden verehrt und sei jüdischen Künstlern nachgereist. Marina Weisband, Jüdin, Psychologin und heute bei den Grünen aktive frühere Geschäftsführerin der Piratenpartei, ordnete das auf Twitter ein: ‘Ich glaub ihm das’, schrieb sie. ‘Philosemitismus [jemanden verehren, weil er Jude ist, Anm. d. Red.] ist die kleine Schwester des Antisemitismus. Niemand, der sich als ‘Juden-Verehrer’ bezeichnet, hat ein sauberes Verhältnis.”

6. Fake News Eigentor
(twitter.com, Tilo Jung, Video: 7:07 Minuten)
Tilo Jung dokumentiert auf seinem Youtube-Kanal regelmäßig Veranstaltungen der Bundespressekonferenz. Von der gestrigen Sitzung hat Jung etwas mitgebracht, das er als “Fake News Eigentor” bezeichnet: “Ein ‘Reporter’ von Russia Today hat es heute in der Bundespressekonferenz geschafft, gleich zweimal bei der Verbreitung von Desinformation live entlarvt zu werden.”

Liveaufgezeichnet, Zuckerkram, Filterblasen

1. Die Sprachartisten vom Bayerischen Rundfunk
(fair-radio.net, Lennart Hemme)
In den Frühnachrichten bei Bayern 1 sollte alles klingen wie ein Live-Gespräch. Live war hier allerdings nur die Anmoderation, wie “Fair Radio” aufdeckt. In verschiedenen Nachrichtensendungen hätte derselbe Reporter “live” berichtet – mit derselben aufgezeichneten „Antwort“. Leider kein Einzelfall, das Ganze scheint System zu haben. Mit den Vorwürfen konfrontiert, versucht sich der Bayerische Rundfunk zunächst mit identischen Manuskripten herauszureden, doch die Analyse im Schnittprogramm beweist “alle Atmer, alle Pausen, alle Betonungen sind auf die Tausendstelsekunde identisch.”
UPDATE: Der Bayerische Rundfunk bestätigt nach Angaben von “Fair Radio” nun die Recherchen und spricht von einem Verstoß gegen Grundsätze. Man werde die Regeln “intern nochmals in Erinnerung rufen”.

2. Sind die Autoren so reich, dass sie ihr Geld verschenken können?
(wolfgangmichal.de)
Die VG-Wort trifft sich am Wochenende in München. Es geht um die Rückzahlung der Gelder, die laut Bundesgerichtshof zu Unrecht an die Verlage ausgeschüttet wurden. Die VG-Wort-Oberen wollen, dass die Autoren zugunsten der Verleger auf das Geld verzichten. Wolfgang Michal fehlt dafür jegliches Verständnis: “Es gehört nicht zu den Aufgaben der VG Wort, den Autoren berechtigte Vergütungsansprüche auszureden oder Verzichtsformulare aufzusetzen. Ginge es mit rechten Dingen zu, wäre es die Aufgabe der VG Wort, Irrtümer der Vergangenheit anzuerkennen und das den Verlagen unter Vorbehalt überwiesene Geld im Rahmen der üblichen Zahlungsfristen zurückzufordern. Dieses Vorgehen wäre die VG Wort den 179.000 Autoren schuldig. Stattdessen schlägt sie sich auf die Seite der Verlage und tut alles, um die Rückzahlung an die Autoren so schwer und langwierig wie möglich zu gestalten.”

3. “Mutterblues”-Autorin Silke Burmester: “Nur wenn du peinlich bist, bist du gut”
(kress.de, Anna von Garmissen)
Die vielen als “Kriegsreporterin” bekannte Silke Burmester hat kürzlich ihre Medienkolumne in der “taz” beendet. Nach sieben Jahren unermüdlichen Kampfs in einer “Branche der Schisser und Anpasser” hatte sie “keine Lust mehr, den Kopf hinzuhalten”. Nun hat sie ein Buch geschrieben. “Mutterblues” handelt vom Schmerz der Mütter, wenn das Kind aufhört Kind zu sein. Im Interview mit “Kress” erzählt sie, wie es zu dem Buch gekommen ist, über Schwierigkeiten und Vorteile ihrer journalistischen Tätigkeit und dem Konzept für ein neues Print- und Onlinemagazin, an dem sie gerade basteln würde.

4. US-Zeitungsverleger streichen “Zeitung” im Namen
(sueddeutsche.de)
Eine Meldung mit Symbolkraft: Der Verband der nordamerikanischen Zeitungsverleger, die “Newspaper Association of America”, benennt sich in “News Media Alliance” um. Grund sei die stark gesunkene Zahl von Zeitungen im Verband. Mit der Umbenennung öffne sich der Verband digitalen Portalen wie zum Beispiel “Buzzfeed”, “Mic” oder “Vice”.

5. “Fernsehwerbung kostet immer mehr”
(haz.de, Ulrike Simon)
Ulrike Simon hat mit einem mächtigen Kunden der Medienindustrie gesprochen. Uwe Storch heißt er und ist Mediachef des Süßwarenherstellers Ferrero. Sein Werbeetat für Nutella, Duplo, Mon Chérie, Tic-Tac und Co.: Mehr als 400 Millionen Euro und das jedes Jahr aufs Neue. Der überwiegende Teil entfalle dabei auf klassische TV-Spots. Fernsehen sei nach wie vor ein reichweitenstarkes Medium, hätte jedoch an Kraft verloren: “Wenn in absoluten Zahlen weniger und immer die gleichen Menschen den einzelnen Spot sehen, müssen wir entsprechend mehr Spots schalten, um die Reichweite stabil zu halten. Dadurch steigen unsere Kosten. Um es auf den Punkt zu bringen: Fernsehwerbung kostet immer mehr, leistet aber immer weniger.”

6. Von wegen Algorithmen: Unsere Filterblasen sind pure Handarbeit
(t3n.de, Mario Sixtus)
Mario Sixtus schreibt über das Filterblase genannte Phänomen, dass Internetseiten über spezielle Algorithmen dem Benutzer nur Informationen anzeigen, die mit den bisherigen Ansichten des Benutzers übereinstimmen und ihn in einer “Blase” isolieren würden. Sixtus sieht das Problem vor allem auf der anderen Seite des Bildschirms: “Weder Facebooks Sortier-Ranking „Edge“ noch Googles Versuche der individualisierten Ergebnisausgabe kleben die Filterblasen dicht. Die Bubbles sind pure Handarbeit. Algorithmen sind bislang schlicht zu dumm für die Herstellung solch filigraner Filtergebilde und werden das auf absehbare Zeit auch bleiben.”

Der Anschlag von Berlin und die Medien

Vor knapp fünf Stunden, als bekannt wurde, dass die Berliner Polizei daran zweifele, gestern Abend den Richtigen festgenommen zu haben, sagte ein Moderator von “N24” sinngemäß: Da sehe man mal, was passieren könne, wenn man ungeprüft Dinge verbreite.

Oh ja. Und die Berichterstattung gestern und heute zum Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz zeigt einmal mehr, wie heftig Journalisten in solchen Extremsituationen, die dann auch zu medialen Extremsituationen werden, Gerüchten hinterherjagen, sie in die Welt setzen und am Ende doch wieder zurückrudern müssen.

Man könnte an den vielen Artikeln und Live-Streams und TV-Beiträgen rund um das Geschehen am Breitscheidplatz sicher einiges kritisieren. Da wäre zum Beispiel ein Reporter der “Berliner Morgenpost”, der über Facebook Livebilder von Opfern und Helfern zeigte, obwohl die Berliner Polizei explizit darum gebeten hatte, dies nicht zu tun. Einige TV-Sender sollen ähnliche Aufnahmen vom Weihnachtsmarkt verbreitet haben, mit Zooms auf Opfer, die gerade behandelt wurden. Die “Berliner Morgenpost” hat ihr Video inzwischen gelöscht.

Oder diese Bitte der Polizei …

… die Bild.de nicht im Geringsten interessierte:

Bleiben wir aber mal bei dem einstigen Tatverdächtigen, der gerade erst wieder von der Polizei freigelassen wurde, und den Berichten über ihn. Die Spekulationen, Mutmaßungen und Ratereien über ihn zeigen, wie hysterisch Medien agieren, wie sie Halbwissen herausposaunen, sich widersprechen.

Um 23:16 Uhr verkündete Welt.de, dass es sich bei dem angeblichen Täter um einen Tschetschenen handele:

“Unbestätigte Informationen”, soso. Sowieso war Welt.de gestern und heute immer ganz vorne mit dabei, wenn es Neuigkeiten gab — egal, ob diese nun richtig oder falsch waren. Nur 16 Minuten nach der Tschetschenen-Meldung tauchten die nächste “unbestätigten Informationen” bei Welt.de auf:

Da war das Gerücht mit dem Tschetschenen aber schon raus und bei anderen Portalen aufgetaucht, auch weil “Welt”-Chefredakteur Ulf Poschardt die Falschinformation seines Teams über den Twitter-Account des “Zeit Magazins” verbreitete, wo er momentan Gast-Twitterer ist. Der Tweet des “Zeit Magazins” ist inzwischen gelöscht. Die Journalistin Lena Niethammer hat das Ganze aber dokumentiert:

Um 1:24 Uhr brachte das Onlineteam der “Berliner Zeitung” die nächste Nationalität ins Spiel:


Bild.de übernahm dann sowohl Pakistan als auch Afghanistan als Herkunftsland und erklärte den Festgenommenen direkt zum “Todes-Fahrer von Berlin”:

Die Onlineredaktion der “B.Z.” machte den Verdächtigen ebenfalls schon zum “Täter” und produzierte diese merkwürdige Überschrift:

Als heute, am frühen Nachmittag, bekannt wurde, dass die Ermittler sich nicht mehr so recht sicher seien, ob der festgenommene Mann aus Pakistan tatsächlich der Fahrer des Lkw ist, hatten zahlreiche Medien schon etliche Informationen über ihn verbreitet: Alter, Herkunft, dass er als Flüchtling gekommen sei, wo und wann er die Grenze nach Deutschland übertreten habe. Jetzt, wo es so scheint, als habe er nichts mit der Tat zu tun, stellt es sich als großes Glück heraus, dass bisher kein Foto von ihm veröffentlicht wurde.

In der Zwischenzeit haben auch die Medien Zweifel bekommen. Völlig egal, dass sie vorher schon vermeldet haben, dass der Verdächtige auch der Täter sei. Hier zum Beispiel Bild.de:


Das Gegenteil von all dieser Hysterie und dem Gerüchtehinterherlaufen wäre: abwarten, die ermittelnden Behörden ihre Arbeit machen lassen, dann berichten, wenn es gesicherte Fakten gibt. Das machen viele Redaktionen auch. Zu viele aber auch nicht. “Zeit”-Journalist Yassin Musharbash schlägt vor: “An einem Tag wie diesem heißt es geduldig sein.”

*Nachtrag, 21. Dezember: Ziemlich früh nach den ersten Meldungen zum Vorfall am Breitscheidplatz nannte die “heute”-Redaktion des “ZDF” bei Twitter den eigentlichen Fahrer des Lkw aus Polen als Verursacher. Die Redaktion bezog sich dabei auf eine angebliche Feuerwehrmeldung:

Wenige Minuten später schickte das “ZDF”-Team eine Korrektur raus:

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Fordert Heiko Maas wirklich “Rock gegen Links”?


(morgenpost.de)


(“Huffington Post”)

(n-tv.de)

(jungefreiheit.de)

(Welt.de)

(Bild.de)

Die angebliche Aussage von Justizminister Heiko Maas zu einem möglichen Konzert unter dem Motto “Rock gegen Links”, die viele Medien aufgegriffen haben, schlägt vor allem in den Sozialen Netzwerken ziemlich hohe Wellen. Nun ist es angesichts früherer Erfahrungen mit Rockkonzerten, die sich bewusst gegen “links” oder auch gegen den Kommunismus positioniert haben und die bis heute in der neonazistischen Szene als tolle Feste gesehen werden, vielleicht nicht die beste Idee von “Rock gegen Links” zu sprechen. Und auch dass die rechtsextreme Band “Freikoprs” vor vielen Jahren einen Song mit dem Namen “Rock Gegen Links” veröffentlicht hat, macht Maas’ vermeintliche Wortwahl nicht besser.

Aber hat Heiko Maas tatsächlich so etwas wie ein “Rock gegen Links”-Konzert gefordert?

Der Ursprung dieser ganzen Geschichte liegt bei Bild.de. In dem dortigen Talk-Format “Die richtigen Fragen” interviewten heute morgen das Moderatoren-Duo Anna von Bayern und Ali Aslan sowie “Bild”-Politik-Chef Nikolaus Blome Bundesjustizminister Maas. Blome fragte mit Bezug auf die Ausschreitungen rund um den G20-Gipfel in Hamburg:

Eine Frage, wenn ich noch darf. Nach solchen Schandtaten, nach solchen Gewaltausbrüchen, wenn sie von rechtsextremistischer Seite kommen, und das hat es ja oft genug gegeben, sammelt sich so eine gesellschaftliche Gruppe, oftmals Künstler, Sänger, und veranstalten so was wie “Rock gegen rechts”. Sie haben da, glaube ich, auch schon mal einschlägige Erfahrungen gesammelt beim Belobigen einer solchen Veranstaltung. Also, “Rock gegen rechts” gibt’s. Warum gibt’s kein “Rock gegen Links”?

Heiko Maas antwortete darauf:

Das kann ich Ihnen nicht sagen, weil Sie, das muss man die fragen, die sowas organisieren. Aber ich glaube, dass es niemanden in unserer Gesellschaft gibt, und zwar in allen gesellschaftlichen Gruppen, die das akzeptieren, was in Hamburg geschehen ist. Und ich will auch gar nicht ausschließen, dass das eine gesellschaftliche Reaktion hervorruft. Und ich würde mir auch wünschen, dass jegliche Form von politischem Exptremismus, der dann umschlägt in sinnlose Gewalt, in Straftaten, bis hinzu zum versuchtem Mord, nicht ohne gesellschaftliche Reaktion bleibt. Wir sind viel zu lange

Maas konnte den Satz nicht mehr zu Ende führen, weil Anna von Bayern ihm ins Wort fiel:

Also Sie wünschen sich ein “Rock gegen Links”?

Maas’ Antwort:

Ja, ein “Rock gegen Links” oder was auch immer. Das werden diejenigen entscheiden müssen, die so etwas auf die Beine stellen. Aber so was kann doch nicht ohne gesellschaftliche Reaktion bleiben. Wir sind viel zu oft die schweigende Mehrheit, die ein tolerantes und respektvolles Land will, aber die dann auch glaubt, dass es reicht, die schweigende Mehrheit zu sein. Und das reicht eben nicht mehr, wie wir permanent sehen.

Das ist alles, was Heiko Maas zum Thema “Rock gegen Links” gesagt hat: “Das kann ich Ihnen nicht sagen” und ein leicht unwirsches “Ja, ein ‘Rock gegen Links’ oder was auch immer. Das werden diejenigen entscheiden müssen, die so etwas auf die Beine stellen.” Er schloss ein “Rock gegen Links”-Konzert also nicht aus — die Idee dafür stammt aber nicht von Maas, sondern von Nikolaus Blome. Und auch die Formulierung “Rock gegen Links”, die gerne von Neonazis gebraucht wird, stammt von Nikolaus Blome.

Diese Details interessieren Nikolaus Blome aber nicht. Er, der eigentlich sehr genau wissen müsste, wie das Gespräch mit Heiko Maas abgelaufen ist, twitterte heute Mittag:

Bei CDU-Generalsekretär Peter Tauber, der übrigens auch die Lüge der Polizeigewerkschaft DPolG über die “Tagesschau”-Berichterstattung zu den G20-Ausschreitungen glaubte und bei Twitter verbreitete, war Heiko Maas dann schon derjenige, der “Rock gegen Links” vorgeschlagen hat:

“Bild”-Redakteure haben eine Idee. Sie fragen einen Politiker, was er davon hält. Dieser stimmt nicht explizit zu oder fordert etwas anderes. “Bild” und Bild.de schreiben trotzdem, dass der Politiker die Idee toll finde. Und politische Konkurrenten stimmen mit ein. Dieses Vorgehen ist nichts Neues bei den “Bild”-Medien. Ganz ähnlich haben sie schon mal dem Grünen-Bundestagsabgeordneten Omid Nouripour die Forderung in den Mund gelegt, dass Christen “im Weihnachts-Gottesdienst muslimische Lieder singen” sollen.

Die bigotten Hüter des Persönlichkeitsrechts

Vor einer Woche hat Bild.de einen für Bild.de bemerkenswerten Satz geschrieben:

BILD zeigt das Gesicht des blonden Mädchens nicht, das Original-Foto ist nach wie vor auf Sarahs Facebook-Seite zu sehen.

In dem Artikel, aus dem dieser Satz stammt, ging es um ein Foto, das Sängerin Sarah Lombardi auf ihrer Facebook-Seite gepostet hat. Es zeigt ihren zweijährigen Sohn, von hinten aufgenommen, der zu einem etwa ähnlich alten Mädchen schaut, das Mädchen guckt zurück. Sarah Lombardi hat dazu “Casanova” geschrieben.

Es folgte viel Empörung in den Kommentaren, wobei der Tenor meist der gleiche war: “Das eigene Kind schützen, aber ein anderes Kind zur Schau stellen — geht gar nicht!” Die Bild.de-Redaktion berichtete über all das, legte ein Emoji über das Gesicht des Mädchens und schützte dadurch deren Rechte. Nicht die schlechteste Entscheidung, die die “Bild”-Medien in letzter Zeit getroffen haben.

Aber ganz gewiss keine aus Überzeugung.

Heute berichtet “Bild” in der Bundesausgabe über einen tragischen Unfall an einem Vulkankrater in der Nähe von Neapel. Ein Elfjähriger ist dort in ein Loch gefallen, aus dem heiße Gase aufsteigen. Der Junge starb noch am Unfallort. Und auch seine beiden Eltern, die versuchten, ihren Sohn zu retten, kamen ums Leben.

Die “Bild”-Mitarbeiter, die vor sieben Tagen noch betonten, dass sie “das Gesicht des blonden Mädchens” nicht zeigen, drucken heute in Millionenauflage Fotos von der 42-jährigen Mutter, von dem 45-jährigen Vater und auch von dem elfjährigen Kind — alle ohne Verpixelungen:

Ausriss Bild-Zeitung - Überschrift des Artikels - Drei Tote in Italien - Familien von Vulkan-Loch verschluckt - dazu die Fotos der Verstorbenen
(Die Unkenntlichmachungen bei der Mutter, dem Vater und dem elfjährigen Jungen stammen von uns, die Unkenntlichmachung bei dem zweiten Kind im obersten Foto stammt von “Bild”.)

Die Art und Weise, wie “Bild” in diesem Fall berichtet, ist wahrlich kein Einzelfall. So gut wie jeden Tag findet man in dem Blatt — ob nun in der Bundesausgabe oder in einer der 24 Regionalausgaben — Fotos verstorbener Menschen, ohne Unkenntlichmachung, ohne Rücksichtnahme auf Persönlichkeitsrechte, ohne Interesse daran, was all das mit Angehörigen und Freunden macht.

Mit Dank an @DPRuettler für den Hinweis!

Sarrazins Stöckchenspringer, Supernova des “ND”, Stumme Stimme

Hinweis: Wegen des aktuellen Geschehens in Chemnitz gibt es heute eine “6 vor 9”-Sonderausgabe, die sich ausschließlich diesem Thema widmet.

1. Sarrazin, Trump und die Medien: Ah, ein Stöckchen!
(dwdl.de, Hans Hoff)
Anlässlich der Vorstellung von Thilo Sarrazins neuem Faktenverdreh-Schmöker fragt sich Hans Hoff, ob die Medien über jedes Stöckchen springen sollten, das man ihnen hinhält. Natürlich nicht, so seine Botschaft, aber das sei alles andere als einfach: “Wie man’s macht, macht man es falsch. Im Prinzip müsste ich diesen Text noch vor Veröffentlichung in die Tonne kloppen, um nicht auch zum heimlichen Umsatzbeförderer zu werden. Ich tue es nicht und spüre sofort, in welchem Dilemma all die Kollegen da draußen stecken. Man möchte was sagen, was man besser nicht sagen sollte, aber meint, unbedingt sagen zu müssen. Und dann sagt man es halt und macht es wieder falsch. Stinknormaler Journalismus dieser Tage.”

2. Facebook ist das neue Sportfernsehen
(medienwoche.ch, Adrian Lobe)
Facebook wehrt sich stets gegen die Einordnung als Medienunternehmen mit dem Hinweis, man würde keine eigenen Inhalte anbieten. Doch im Sportbereich tritt Facebook durchaus als Inhalteanbieter auf: Das Netzwerk hat für viel Geld Übertragungsrechte für europäischen Spitzenfußball gekauft. Was es damit auf sich hat und welche Technologie-Konzerne ebenfalls im lukrativen Sportgeschäft mitmischen wollen, erklärt Adrian Lobe in der “Medienwoche”.

3. Hoffen auf ein helles Wunder
(taz.de, Anne Fromm)
Viele Medien haben sich in den letzten Jahren Online-Begleitboote für Millenials und junge Leser zugelegt. Nun will es auch das “Neue Deutschland” wissen und startet am Mittwoch ein Portal für junge Linke. “Supernova” heißt die Seite, auf der sich künftig drei Redakteure um eine jüngere Leserschaft bemühen wollen.
Weiterer Lesehinweis: Hier erklärt das “Supernova-Kollektiv” die Intention des linken Lifestyle-Magazins: Hauptsache, es knallt.

4. Reuters-Journalisten in Myanmar zu sieben Jahren Haft verurteilt
(diepresse.com)
Zwei Journalisten der Nachrichtenagentur Reuters sind in Myanmar wegen der “Verletzung von Staatsgeheimnissen” zu siebenjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Sie hatten über die Ermordung von zehn Männern und Jungen recherchiert, die der muslimischen Minderheit der Rohingya angehörten.
Weitergehende Informationen zur Lage der Pressefreiheit in Myanmar gibt es bei den “Reportern ohne Grenzen”.

5. Network des Schweigens
(faz.net)
Nach Angaben von “New York Times” und “The Daily Beast” soll der amerikanische Fernsehsender NBC News versucht haben, die Missbrauchsvorwürfe gegen den früheren Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein zu vertuschen. Nach monatelangen Recherchen hätte es von der Chefetage die Anweisung gegeben, kein Interview mit einem mutmaßlichen Weinstein-Opfer zu führen und die ganze Geschichte fallenzulassen.

6. Eine Stimme verstummt
(sueddeutsche.de, Nikolaus Piper)
Die “Village Voice”, die älteste Alternativzeitung Amerikas, wird eingestellt. Ende der Sechzigerjahre war die “Voice” die meistverkaufte Wochenzeitung der Vereinigten Staaten, vor knapp einem Jahr wurde die Druckausgabe eingestellt, und nun hat der Verleger das endgültige Aus des Magazins verkündet.

Bei Bild.de ruckt es acht Jahre zu spät nach rechts

Gestern fand in Finnland die Parlamentswahl statt. Mit Blick auf das vorläufige Endergebnis fasst Bild.de zusammen:

Screenshot Bild.de - Sozialdemokraten vorn, aber ... Rechtsruck bei Parlamentswahl in Finnland - Auszählungs-Krimi im hohen Norden - Ist das Ergebnis ein Omen für die Europawahl im Mai?

Dazu schreibt die Redaktion:

Finnland gilt als glücklichstes Land der Erde. Mit dem Ergebnis der Parlamentswahl dürften viele Europäer angesichts der bevorstehenden Europawahl aber nicht so glücklich sein.

Die rechtspopulistische Partei Die Finnen schafft es bei der Parlamentswahl weit nach vorne: Sie erhielt 17,5 Prozent der Stimmen und kommt nun auf 39 der 200 Sitze im Parlament.

Und:

Das Abschneiden der Finnen-Partei gilt als Omen für die Europawahl am 26. Mai: Die Finnen-Partei gehört neben der AfD und der italienischen Lega zu den Parteien, die im EU-Parlament eine neue Allianz der Rechtspopulisten bilden wollen.

Wir können uns nicht erklären, wie Bild.de darauf kommt, dass es gestern einen “Rechtsruck” bei der Wahl in Finnland gegeben habe. Die rechtspopulistische PS (“Basisfinnen” oder “Die Finnen”) hat im Vergleich zur vorherigen Parlamentswahl 0,2 Prozentpunkte verloren: 2015 hatte sie noch 17,7 Prozent der Stimmen bekommen, 2011 sogar 19,1 Prozent. Damals gab es wirklich einen “Rechtsruck”: Die PS hatte vor acht Jahren einen Zugewinn von 15,0 Prozentpunkten. Das Wahlergebnis von gestern ist seitdem das schlechteste der Partei. Und damit ist es auch definitiv falsch, wenn der “Deutschlandfunk” dazu schreibt:

Die Rechtspopulisten konnten die Zahl ihrer Sitze damit mehr als verdoppeln.

Tatsächlich hat die PS gestern, trotz des Minus von 0,2 Prozentpunkten, einen Parlamentssitz dazugewonnen und hat nun 39 Mandate.

Aber zurück zum angeblichen “Rechtsruck” von Bild.de. Auch das Ergebnis der anderen größeren finnischen Partei aus dem rechten Spektrum, der konservativen Nationalen Sammlungspartei (KOK), spricht nicht dafür: Sie hat im Vergleich zur Wahl 2015 ebenfalls verloren, minus 1,2 Prozentpunkte. Der größte Verlierer von gestern ist die liberale Zentrumspartei (KESK) mit einem Minus von 7,3 Prozentpunkten. Weil KOK und KESK stärker verloren haben als die PS, ist diese nun zweitstärkste Partei im finnischen Parlament.

Stärkste Kraft ist die Sozialdemokratische Partei (SDP) mit 17,7 Prozent und 40 Parlamentssitzen. Sie hat gestern 1,2 Prozentpunkte und sechs Sitze gewonnen. Das Linksbündnis (VAS) hat 1,1 Prozentpunkte und vier Sitze gewonnen. Größter Gewinner von gestern ist der Grüne Bund (VIHR) mit einem Plus von 3,0 Prozentpunkten und fünf Parlamentssitzen. Wenn also gestern überhaupt irgendetwas in Finnland irgendwohin geruckt ist, dann nach links.

Mit Dank an Darius D. und Simon für die Hinweise!

Wer den Schaden hat, braucht für die “Bild”-Erfindung nicht zu sorgen

Screenshot Bild.de - Nach KSC-Aufstieg in Münster - 100.000 Euro Schaden durch Platzsturm

titelte Bild.de am Samstagabend, nachdem die Drittliga-Fußballer des Karlsruher SC 4:1 beim SC Preußen Münster gewonnen und damit den Aufstieg in die 2. Bundesliga klargemacht hatten. Joachim Schuth, bei “Bild” stellvertretender Sportchef für Nordrhein-Westfalen, beschreibt das Ganze hinter der “Bild plus”-Paywall so:

Über 3000 mitgereiste Karlsruher Fans feierten nach dem 4:1-Erfolg bei Preußen Münster die geglückte Zweitliga-Rückkehr. Mit dem Abpfiff von Schiri Lasse Koslowski (Berlin) gab’s kein Halten mehr, kletterten die freudetrunkenen Anhänger der Badener über die Barrikaden. (…)

Dabei ging im alten Stadion an der Hammer Straße einiges zu Bruch. Kaputte Zäune, LED-Anzeigen und auch die Trainerbänke mussten dran glauben.

Erste Schätzung der Schadenshöhe: über 100.000 Euro. Doch der KSC hat bereits angekündigt, die Kosten zu übernehmen.

Und auch in der Stuttgart-Ausgabe der “Bild”-Zeitung steht zu den Vorkommnissen in Münster:

Wilde Szenen nach Abpfiff: Gäste-Fans stürmen den Rasen, zerstören Zäune, LED-Bildschirme und Trainerbänke. Es soll ein Schaden von mehr als 100 000 Euro entstanden sein.

Auf eine Nachfrage der Fanhilfe Karlsruhe, woher denn diese Summe stamme, antwortet Preußen Münster:

Screenshot eine Antwort von Preußen Münster bei Twitter - Frage: Wie hoch ist der Sachschaden im Innenbereich? Wirklich 100.000 Euro wie die Bild berichtet? Woher hat die Bild diese Zahl? - Antwort: Eine finale Schadenserhebung liegt noch nicht vor, da insbesondere die überrannten LED-Banden noch ausgiebigen Funktionstests unterzogen werden müssen. Woher die 100.000 Euro stammen, wissen wir nicht.

Und Bernhard Niewöhner, Geschäftsführer bei Preußen Münster, sagt, die Summe von 100.000 Euro sei frei erfunden.

Bei Bild.de stehen die angeblichen Kosten von 100.000 Euro unverändert in Überschrift und Artikel.

Mit Dank an Sebastian F. und Nicolaj Z. für die Hinweise!

Völlig wurst, Deutsche Brille, Impfgegner verlaufen sich

1. Völlig wurst
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Eine von vielen VW-Kantinen streicht – auf Wunsch der dort Speisenden – die Currywurst aus dem Angebot, und Medien und Netz überschlagen sich: “Großes Getöse: Die schaffen die Currywurst ab! O Gott! Kann jemand die Hintertür abschließen? Möglicherweise stehen da schon Herr und Frau Gendergaga, Annalena Baerbock und das Seitan-Monster. Das ist ungefähr die Stimmung in Teilen der digitalen Netzwerke.” In seiner Glosse ist Boris Rosenkranz der Wurst, Pardon, der Sache nachgegangen.

2. Worum es jetzt im Verfahren gegen Julian Assange geht
(zeit.de, Lisa Hegemann)
Das Tauziehen um die Auslieferung von Wikileaks-Gründer Julian Assange an die USA geht weiter. Im Januar hatte ein britisches Gericht Assanges Auslieferung wegen seines psychischen Gesundheitszustandes und der zu erwartenden Haftbedingungen in den USA untersagt. Doch nun hätten die USA im Auslieferungsprozess einen wichtigen Teilerfolg erzielt, wie Lisa Hegemann bei “Zeit Online” berichtet.

3. Zu viele Kommentare durch die “deutsche Brille”
(deutschlandfunk.de, Matthias Dell, Audio: 4:05 Minuten)
Manche Olympia-Kommentare seien so auf die deutschen Teilnehmerinnen und Teilnehmer fixiert gewesen, dass sie die spannendsten Wettkampfszenen verpasst hätten, findet Deutschlandfunk-Kolumnist Matthias Dell: “Bei den Olympischen Spielen war mein Leiden an der nationalen Fixierung bei der Kommentierung so groß, dass ich irgendwann froh war, wenn es keine deutsche Beteiligung im Wettbewerb mehr gab.”

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4. Wie Medien die Sichtbarkeit von Para-Sportlern fördern können
(de.ejo-online.eu, Roman Winkelhahn)
Im Journal “Media and Communication” geht es aktuell unter anderem um das Thema Paralympics und die mediale Darstellung von Sportlerinnen und Sportlern mit Behinderung. Eine Studie habe festgestellt: “Die Globalisierung der Paralympics ist eng verbunden mit der zunehmenden Fernsehberichterstattung und dem Aufkommen neuer digitaler Medien und sozialer Netzwerke, auf denen live oder zeitversetzt Wettkämpfe übertragen werden.” Roman Winkelhahn fasst die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung zusammen.

5. Sagen, was besser sein muss
(taz.de, Frederic Valin)
Wie verändert die Coronakrise Medien und Publikum? Welche Chancen ergeben sich für den Journalismus nach der Pandemie? In der “taz”-Serie “Manöverkritik” geht es jeden Monat aufs Neue um diese und die damit in Zusammenhang stehenden Fragen. In der aktuellen Folge fordert Frederic Valin einen aktivistischen Journalismus ein: “Journalismus hat den Anspruch, objektiv zu sein; es scheint aber zu wenig Bereitschaft gegeben zu haben, sicheres Terrain zu verlassen. Es hätte eines Journalismus bedurft, der jenen eine Stimme gibt, die keine Pressekonferenzen abhalten, kurzum: eines engagierten, auch aktivistischen Journalismus. Sagen, was ist, heißt auch: sagen, was besser sein muss.”

6. Leider verlaufen: Impfgegner wollten BBC-Hauptquartier stürmen
(sueddeutsche.de, Dennis Müller)
In London wollten Impfgegner das BBC-Hauptquartier stürmen, um das Nachrichtenprogramm des Senders zu stören. Das Problem: Die Meute war nicht so ganz auf dem neuesten Stand und stand vor einem Haus, aus dem die BBC schon viele Jahre nicht mehr sendet.

“Bild”s Corona-Pranger, Intensivbetten, Umgang mit Reichelt

1. “Bild” prangert an, dass die Politik gegen Corona nicht das getan hat, wogegen “Bild” gekämpft hat
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Kaum jemand habe in den vergangenen Monaten so vehement gegen Masken, Tests und andere Anti-Corona-Maßnahmen gekämpft wie die “Bild”-Redaktion. Warnungen von Expertinnen und Experten wurden als “Panikmache” abgetan, um nun in einer wilden Kehrtwende der Politik Untätigkeit vorzuwerfen. Medienkritiker Stefan Niggemeier macht es noch einmal ganz klar: “Dieser journalistische Kurs von ‘Bild’ hat maßgeblich dazu beigetragen, dass Menschen glauben, die Pandemie sei beendet, das Tragen von Masken sei überflüssig, das Verlangen von Tests sei völlig abwegig und hinter all den Maßnahmen stünden nur ein übergriffiger Staat und Politiker, die einfach ihre sadistische Lust ausleben wollen, die Bürger zu gängeln. Letztlich hat dieser journalistische Kurs von ‘Bild’ auch dazu beigetragen, dass die Corona-Lage jetzt noch schlimmer ist, als sie sein müsste.”

2. Schwache Belege: Der Umgang mit Reichelt in den Medien war nicht fair
(kress.de, Markus Wiegand)
Bei “Kress” kritisiert Chefredakteur Markus Wiegand den Umgang der Medien mit dem ehemaligen “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt: “Kaum beachtet worden ist bisher, dass sowohl im Artikel der ‘New York Times’ als auch in der ‘Spiegel’-Ippen-Geschichte der zentrale Vorwurf des Machtmissbrauchs trotz monatelanger Recherchen nur sehr schwach belegt werden konnte: Die Kritiker des Ex-‘Bild’-Chefs stehen in diesem Punkt auf ziemlich dünnem Eis.” Nun ja, möchte man anmerken: Reichelts Haupt-‘Kritiker’ war zuletzt ja vor allem sein eigener Arbeitgeber, der Springer-Konzern.

3. Kampf gegen Facebook: Unterwegs mit Whistleblowerin Frances Haugen
(ndr.de, Svea Eckert & Lena Kampf, Video: 14:18 Minuten)
Die frühere Facebook-Mitarbeiterin und Whistleblowerin Frances Haugen fordert, Facebook müsse von staatlicher Seite reguliert werden. Um ihrer Botschaft Nachdruck zu verleihen, reist sie durch die politischen Zentren der Welt, darunter auch Berlin. Svea Eckert und Lena Kampf haben Haugen auf ihrer Mission begleitet.

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4. Erziehungsberechtigte in der Verantwortung
(deutschlandfunk.de, Mike Herbstreuth & Stefan Fries)
Die Netflix-Serie “Squid Game” hat zu einer neuerlichen Debatte über den Jugendmedienschutz geführt. Marc Jan Eumann, Vorsitzender der Kommission für Jugendmedienschutz, sieht vor allem die Eltern in der Pflicht: “Netflix hat die gesetzlichen Regelungen nach meiner Einschätzung eingehalten. Sie haben für das Angebot eine Altersbewertung vorgenommen, und die Nutzerinnen von Netflix haben die Möglichkeit, über die Einstellungen genau sicherzustellen: wer kann eigentlich in meinem Haushalt diese Inhalte nutzen?”

5. DIVI-Präsident: Zitat zu 4.000 Intensivbetten ist verkürzt und falsch interpretiert
(correctiv.org)
Immer wieder kursieren in den Sozialen Netzwerken Meldungen, die Politik habe Intensivbetten abgebaut. Aktuell macht ein angebliches Zitat von DIVI-Präsident Gernot Marx die Runde, wonach 4.000 solcher Betten wegen Misswirtschaft weggefallen seien. “Correctiv” weist auf den fehlenden Kontext des Zitatschnipsels hin: “Betrachtet man also nicht nur einen Teil des Satzes, den Marx äußerte, sondern das gesamte Zitat, wird klar, dass seine Aussage sich auf fehlendes Personal bezieht. Dass durch Personalmangel viele Intensivbetten nicht betrieben werden können und deshalb zeitweise aus der Statistik fallen, haben wir bereits mehrfach berichtet.”
Siehe dazu auch die “Correctiv”-Faktenchecks: Video von Sahra Wagenknecht: Intensivbetten-Statistik erneut falsch interpretiert und Nein, während der Pandemie wurden nicht “nonstop” Intensivbetten abgebaut.

6. Klick mich
(sueddeutsche.de, David Steinitz)
Fast alle Streamingdienste, von Apple über Amazon bis Disney, machen ein großes Geheimnis aus den Zuschauerzahlen ihrer Sendungen. Nun bietet Netflix einen neuen Chart-Service an: Auf top10.netflix.com kann man sich für mehr als 90 Länder ansehen, welche die dort beliebtesten Sendungen sind, sortiert nach Filmen und Serien. Eine Blackbox bleibe Netflix trotzdem, wie David Steinitz in seinem Beitrag anmerkt.

KW 49/22: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Wochenendausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. Wie funktioniert die Aufsicht über das ZDF?
(youtube.com, Rene Pickhardt, Video: 2:15:14 Stunden)
Im “Redefreiheit”-Podcast von Rene Pickhardt ist der österreichische Wirtschaftswissenschaftler und Netzpolitik-Experte Leonhard Dobusch zu Gast. Im Gespräch geht es um Probleme und Herausforderungen rund um die öffentlich-rechtlichen Medien: Wie kann man dem Vertrauensverlust entgegenwirken? Wie geht man mit False Balance und Objektivität um? Und wie bindet man die Gesellschaft in redaktionelle Prozesse ein?

2. WM in Katar: Zwischen berechtigter Kritik und rassistischen Klischees
(sueddeutsche.de, Nadia Zaboura & Nils Minkmar, Audio: 33:35 Minuten)
Bei “Quoted”, dem Medienpodcast mit Nadia Zaboura und Nils Minkmar, geht es um die Berichterstattung über die Fußball-Weltmeisterschaft und um das Land, in dem sie stattfindet: “Warum polarisiert gerade diese WM so sehr? Ist es richtig, Katar das Recht abzusprechen, eine WM auszutragen? Oder ist die Empörung heuchlerisch?”

3. Sascha Lobo, warum brauchen wir ein neues soziales Netzwerk?
(zeit,de, Jochen Wegner & Christoph Amend, Audio: 6:20:53 Stunden)
Bei “Alles gesagt”, dem (zumindest theoretisch) unendlichen Podcast von “Zeit Online”, muss man sich auf lange Laufzeiten einstellen, dafür erfährt man aber oft mehr über die Gäste und deren Ansichten als in anderen Formaten. Dies trifft auch auf die aktuelle Folge mit dem “Spiegel”-Kolumnisten, Buchautor und Netz-Experten Sascha Lobo zu, die mehr als sechs Stunden dauert.

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4. Warum wir Kommentare löschen
(youtube.com, Zapp, Tilo Bernhardt & Fritz Lüders, Video: 10:00 Minuten)
In der aktuellen Folge von “Medienwissen2go” erklärt der Journalist und Youtuber Mirko Drotschmann (“MrWissen2go”), welche Kommentare typischerweise im Internet gelöscht werden, und wie die Löschpraxis beim öffentlich-rechtlichen Medienmagazin “Zapp” aussieht.

5. Journalismus in der Bestseller-Literatur
(journalistenfilme.podigee.io, Patrick Torma, Audio: 46:23 Minuten)
Frank Überall, Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes, hat sich für eine Studie über einen Zeitraum von drei Jahren Woche für Woche angeschaut, inwieweit es in der jeweils aktuellen “Spiegel”-Bestsellerliste auch um Journalismus geht. Er hat dabei 51 Werke und 1.700 Passagen ermittelt. Patrick Torma hat sich mit Überall über das interessante Forschungsprojekt und die daraus gezogenen Erkenntnisse unterhalten.

6. Die Top Ten TV-Momente des Jahres 2022: Menschen, Bilder, Konfrontationen
(fernsehenfueralle.podigee.io, Dennis Müller, Audio: 1:04:28 Stunden)
Wer sich für leichte Fernsehkost interessiert, kommt nicht an den unterhaltsamen Analysen und Nachbesprechungen bei “Fernsehen für alle” vorbei. Im lockeren Plauderton seziert dort Dennis Müller mit wechselnden Mitstreiterinnen wöchentlich die angesagten Trash-Produktionen. In der aktuellen Ausgabe widmet er sich zusammen mit Natalie den Top Ten TV-Momenten des Jahres 2022: “In einer Mischung aus dem RTL-Jahresrückblick mit Günther Jauch, einer beliebigen Rankingshow mit Sonja Zietlow und der Ultimativen Chartshow heben wir besondere Leistungen im Bereich ‘Beste Unterhaltung TV’ hervor und loben, was es zu loben gibt, und lachen aus, was es auszulachen gibt.”

NPD-Unfall, Atom-Ente, Porno-Reißleine

1. Von NPD-Kadern und Flüchtlingen
(hanningvoigts.de)
Seit Jahren schreibt Hanning Voigts in der “Frankfurter Rundschau” u.a. über eine Führungsfigur der rechtsextremen NPD. Doch, was ihm da zunächst als unscheinbare Polizeimeldung auf den Schreibtisch flattert und von ihm recherchiert wird, entwickelt sich zur weltweit verbreiteten Meldung: Der NPD-Politiker hat einen schweren Unfall gebaut, die Ersthelfer stammen aus Syrien und dem Sudan… Die lesenswerte Geschichte einer Meldung, die um die Welt ging.

2. Falsch bleibt falsch
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
“Übermedien” beschäftigt sich mit eine der Top-Falschmeldungen der letzten Tage: Vor einem Atomkraftwerk in Belgien sei ein Wachmann erschossen worden. Und die Täter seien im Besitz seines Dienstausweises! Ein Medium nach dem anderen übernimmt ungeprüft die Falschmeldung, und dichtet teilweise klickheischende Überschriften, die mit der Angst vor einem atomaren Terroranschlag spielen. Als sich herausstellt, dass an all dem nichts dran ist, korrigieren die Wenigsten.

3. “Der Spiegel” und seine Haltung
(sprengsatz.de, Michael Spreng)
Der Journalist und Politberater Michael Spreng ist unzufrieden mit einem Interview des “Spiegel” mit der AfD-Vorsitzenden Frauke Petry. Diese habe unwidersprochen die geschönte Version ihrer menschenverachtenden Äußerungen über Schusswaffengebrauch an der Grenze vortragen können. Sie hätte mehrfach auf ihr Originalinterview verwiesen, das den “Spiegel”-Redakteuren offenbar nicht vorgelegen hätte, denn sie hätten ihr nicht widersprochen. So erscheine Petry am Ende dieser Gesprächspassage im “Spiegel” als ein Opfer der Medien.

4. Warnstreik bei „Zeit Online“
(taz.de, Anne Fromm)
Nach jahrelangen erfolglosen Verhandlungen von Betriebsrat und Verlagsgeschäftsführung ist es nun soweit: Im April wollen Mitarbeiter von “Zeit Online” mit einem Warnstreik auf ihre Forderungen aufmerksam machen. Der Hintergrund: Onliner verdienen deutlich weniger als ihre Print-Kollegen bei der “Zeit”. Sie sind in eine Digital-GmbH ausgelagert und müssen nicht nach dem Tarifvertrag für Zeitschriften bezahlt werden.

5. Alles „Lügenpresse“ oder was?
(medienkorrespondenz.de, Norbert Schneider)
Der ehemalige Direktor der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) Norbert Schneider setzt sich ausführlich mit dem Begriff Lügenpresse auseinander, von der historischen Dimension bis zur Bedeutung in der Jetztzeit. Schneider kommt zum Schluss: “Wer Lügenpresse schreit, betreibt nicht eine besonders radikale Pressekritik. Er gibt zu verstehen, dass er keine Presse will.”

6. This Charity Bookstore Is Begging People To Stop Donating Their Copies Of ‘Fifty Shades Of Grey’
(distractify.com, Lindsey Robertson)
Ein Oxfam-Charity-Buchladen in South Wales zieht die Reißleine: Keine Buchspenden von “Fifty Shades Of Grey” mehr! Die Bücher seien Ladenhüter und wegen der Spezialbindung nicht recyclebar. Im Büro haben die Mitarbeiter nun im Trockenbauverfahren aus Exemplaren des Hausfrauen-Softpornos eine architektonisch imposante Mauer samt Durchgang errichtet.

Störungsorgan, Nackte Tatsachen, Willkommen

1. Gericht: „Störungsmelder“ ist ein Organ der Presse
(blog.zeit.de, Christoph Dowe)
Die Staatsanwaltschaft Memmingen wollte eine Routine-Anfrage eines freien Journalisten nicht beantworten und bekam dafür Rückendeckung vom Verwaltungsgericht Augsburg: Die Richter erkannten den “Störungsmelder”-Blog der “Zeit” nicht als “Organ der Presse” an. Vielleicht weil die Juristen schlicht den Unterschied zwischen redaktionellem Teil des Blogs und Kommentarbereich nicht verstanden hatten… Jedenfalls ging der Journalist mit Unterstützung der “Zeit” in die nächste Instanz zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof und beantragte eine Eilentscheidung. Diese Eilentscheidung wurde nun in seinem Sinne und dem der Pressefreiheit gefällt.

2. Willkommensjournalismus – wie Formate wie Marharba, NewsforRefugees und WDRforyou Geflüchteten das Ankommen erleichtern wollen
(get.torial.com, Tobias Lenartz)
Mittlerweile haben die Medien einige Formate entwickelt, die geflüchteten Menschen in ihrer Sprache hiesige Werte, Gewohnheiten und Institutionen erklären wollen. “Marhaba – Ankommen in Deutschland” heißt eine Sendung auf n-tv, der SWR startete im Oktober 2015 “News for Refugees” und der WDR lancierte im Januar 2016 “WDRforyou”. Tobias Lenartz stellt die erfolgreichen Formate vor, deren Fortbestehen jedoch nicht garantiert sei: “Die Zukunft der journalistischen Integrationsangebote ist allerdings noch offen. Denn je länger die Menschen hier sind, desto eher könnte auch die Anfangseuphorie der Intendanten erlahmen.”

3. Make Print great again
(taz.de, Daniel Bouhs)
Es ist in der Tat ein gewagtes Projekt, an das sich Magazinmacher Oliver Wurm gemacht hat: Die Teens sollen ihr Smartphone beiseitelegen, sich sein Panini-Album “Webstars 2017” kaufen und es nach und nach mit mehr als 200 Stars von YouTube, Instagram und Co. befüllen. Trotz hoher Initialkosten ist man ins Risiko gegangen und hat 800.000 Tütchen – also vier Millionen Bildchen – gedruckt, dazu 100.000 Sammelalben. Nun muss sich erweisen, ob die Online-Kids auf das Offlineprojekt anspringen.

4. “In diesem Jahr geht es um harte, klare Fakten”
(horizont.net, Ingo Rentz)
Dem Kampf gegen Fake News bekommt im Bundestagswahljahr eine besondere Bedeutung zu. Das “ZDF” will mit einem neuen Projekt Fake News aufspüren und Propaganda entgegenwirken: dem “#ZDFcheck17”. Der ZDF-Chefredakteur Elmar Theveßen erklärt, was es für eine Bewandtnis mit dem sperrigen Kürzel hat

5. Ich kenn’ da jemanden! Wie internationale Journalistenagenturen die Medienbranche verändern könnten
(fachjournalist.de, Franziska Knupper)
Vielen ist nicht bekannt, dass es Agenten nicht nur für Buchautoren, sondern auch für Journalisten gibt. Internationale Journalistenagenturen wie “Storyhunter”, “Paydesk” oder “ARA” vernetzen Freelancer mit Redaktionen und kassieren dafür Vermittlungsgebühren zwischen 10 und 25 Prozent. Franziska Knupper blickt hinter die Kulissen der Online-Auftragsbörsen.

6. Ein Hauch von nichts
(sueddeutsche.de, David Pfeifer)
Der amerikanische “Playboy” bekam vor einem Jahr viel Aufmerksamkeit für seine Entscheidung, keine nackten Frauen mehr abbilden zu wollen. Nun bekommt er sie für seine Rückkehr zu den nackten Tatsachen. “SZ”-Autor David Pfeifer ordnet die Entscheidung ein, die wahrscheinlich vor allem wirtschaftlicher Verzweiflung geschuldet ist.

Angebliche Rufmordkampagne, Wahlkampf-Youtuber, Altpapier

1. “Enthüllungsbuch”: Maschmeyer rehabilitiert?
(daserste.ndr.de, Kristopher Sell)
Ein ehemaliger AWD-Mitarbeiter behauptet, eine mediale Schmutzkampagne gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber betrieben zu haben. Vor einigen Jahren habe er zahlreiche Redaktionen mit Insider-Informationen aus dem AWD versorgt, darunter auch Journalisten von “Panorama – die Reporter”, “Stern”, “SZ” und “Spiegel”. Im Gegenzug sei er von einem damaligen Konkurrenten des AWD mit mehreren tausend Euro monatlich honoriert worden. Ziel der Aktion sei es gewesen, AWD-Chef Carsten Maschmeyer zu schaden. Panorama-Autor Kristopher Sell kommentiert: “Offensichtlich soll der Eindruck erweckt werden, als hätten sich verschiedene Redaktionen, darunter auch Panorama, gegen Maschmeyer und dessen AWD instrumentalisieren lassen und ungerechtfertigte Beschuldigungen verbreitet. Dem kann und muss entschieden widersprochen werden.” Außerdem lenkt er den Blick auf den Kern der AWD-Kritik: “Das Buch kann nicht von den noch immer real existierenden Opfern des Systems AWD ablenken: Tausenden Menschen, die von Carsten Maschmeyer und seinen Verkäufern um ihre Ersparnisse, teilweise um ihre Altersversorgung gebracht und damit ins Unglück gestürzt worden sind.”
Weiterer Hörtipp: Opfer einer Rufmordkampagne? Kristopher Sell im Gespräch mit Henning Hübert (Audio: 5 Minuten)
Weiterer Lesetipp: Gerhard Hensel über wirtschaftliche Rufmordkampagnen im digitalen Zeitalter: Fake-News im Unternehmens-Einsatz: Wenn es für Marken ganz plötzlich gefährlich wird.

2. Umfrage unter Branchen-Experten: Sollten Robotertexte gekennzeichnet werden? Ja, sagen die meisten Befragten.
(presseportal.de)
Wenn Verlage computergenerierte Texte verwenden, dann handelt es sich meist um Sportergebnisse, Börsendaten oder Wetternews. Es ist jedoch damit zu rechnen, dass fortschreitende Technik auch computergenerierte Texte in anderen Feldern ermöglicht. Da stellt sich die Frage nach der Kennzeichnung: Sollen maschinell erstelle Beiträge auch als solche benannt werden? Das Medienmagazin “journalist” hat sich in der Branche umgehört.

3. “Ich möchte mich ungern instrumentalisieren lassen”
(spiegel.de, Markus Böhm)
Erfolgreiche Youtuber haben das, was sich Politiker sehnlichst wünschen: Zugang zu jungen Menschen. Da liegt es nahe, dass sich die Kanzlerin in der Hochphase des Wahlkampfs gleich mit vier Webstars zum Interview trifft: Das Quartett kommt auf drei Millionen Youtube-Abonennten. “Spiegel”-Autor Markus Böhm hat bei verschiedenen Youtube-Stars nachgefragt, wie ihr Umgang mit der Bundestagswahl aussieht, darunter auch Deutschlands beliebtestem Macher von Gamingvideos “Gronkh”.

4. Programmieren als Königsdisziplin
(message-online.com, Louise Sprengelmeyer & Mira Taylor)
Sollten Journalisten auch programmieren können? Bei Datenjournalisten liegt dies auf der Hand, aber auch für klassische Onlineredakteure kann es sich lohnen. Fünf Journalisten und Programmierer berichten über die Erfahrungen aus einem Einsteigerworkshop im Coden.

5. Wie eine unsaubere Hundestory der „Krone“ weltweit viral ging
(kobuk.at, Hans Kirchmeyr)
“Kobuk” geht einer Titelgeschichte der österreichischen “Krone” nach, die es zu weltweiter Verbreitung in islamfeindlichen Kreisen gebracht habe: Eine “somalischen Asylantin” hätte eine Wienerin wegen ihrer “unreinen Hunde” brutal angegriffen, so dass die Hundehalterin mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. “Kobuk”-Autor Kirchmeyr geht nach seinen Nachfragen bei der Landespolizei eher von einem anderer Geschehen aus: “Ein nicht angeleinter Hund ohne Beißkorb lief auf eine Frau zu, die ausgeprägte Angst vor Hunden hat (was übrigens auch an wilden Hunden in Somalia liegen kann). Die Hundehalterin lief dem Hund hinterher, um ihn zurückzuholen. In einer Panikreaktion dürfte sich die Frau so an diese geklammert haben, dass beide stürzten und sich die Hundehalterin am Knie schwer verletzte.”

6. Pro und contra und quo vadis
(evangelisch.de)
Beim renommierten Medien-Watchblog “Altpapier” teilen sich vier Journalisten die Aufgabe, von Montag bis Freitag die gedruckte und digitale Medienlandschaft zu kommentieren. Doch die Zukunft des “Altpapiers” ist ungewiss: Am Freitag ist leider vorerst Schluss. Wer per E-Mail informiert werden möchte, ob, wie und wann es weitergeht, kann bei den Machern seine Mail-Adresse hinterlegen. Wer den Autoren außerdem bei der Verbesserung ihrer Medienkolumne helfen möchte, kann an einer schnell beantwortbaren 15-Fragen-Umfrage teilnehmen. Der “Freitag” diskutiert die Zukunft des “Altpapiers” mit einem Pro und Contra-Artikel: Ist das “Altpapier” noch wichtig? Wir vom BILDblog antworten: “Ja, natürlich!” und wünschen den Kollegen alles Gute und uns allen ein baldiges Comeback.

Bezahl-Reputation, Wumpehaftigkeit der AfD, Männer-Journalistenpreis

1. Wirtschaftspreise: Positive PR gegen Geld?
(ndr.de, Stefanie Groth & Inga Mathwig)
In der Wirtschaft ist es verbreitet, dass sich Unternehmen mit allerlei dekorativen Siegeln und Auszeichnungen schmücken. Ob “Beste Sales Performance”, “innovativstes Unternehmen im Mittelstand” oder “Top100”: All diese Auszeichnungen samt Gala und Promiauftritt kann man erhalten, wenn man die Teilnahmegebühr von bis zu 9900 Euro berappt. “Zapp” berichtet anhand eines Praxisbeispiels, was solche Auszeichnungen wert sind. Spoiler: Der ausgezeichnete Unternehmer sitzt mittlerweile in Untersuchungshaft, wegen Verdachts auf Untreue und Betrug.

2. Unabhängiger Journalismus oder PR? Greenpeace-Magazin-Chef Stukenberg verteidigt Nominierung für Reporterpreis
(meedia.de, Kurt Stukenberg)
Als ein Beitrag des “Greenpeace Magazins” für den “Deutschen Reporterpreis” nominiert wurde, kam der Vorwurf auf, dass sich damit der Journalismus der interessengeleiteten PR öffne. In einem Gastbeitrag bei “Meedia” verteidigt der Chefredakteur die Nominierung und wehrt sich gegen einen kritischen “taz”-Beitrag. Das “Greenpeace Magazin” sei keine Mitgliederzeitschrift und sei redaktionell, inhaltlich und finanziell unabhängig.

3. Warum die AfD den Medien gerade wumpe ist
(deutschlandfunk.de, Arno Orzessek)
Es ist ein Phänomen: Vor der Bundestagswahl berichteten die Medien ausführlich über die AfD und sprangen teilweise über jedes noch so kleine hingehaltene Stöckchen. Nun, da die AfD im Bundestag sitzt, ist es erstaunlich ruhig. Arno Orzessek ordnet das Phänomen in seiner Glosse ein und erklärt, warum den Medien die AfD gerade “wumpe” ist.

4. Zahlt sich Sensationsmache aus?
(de.ejo-online.eu, Rana Khaled)
Wissenschaftler einer holländischen Universität haben untersucht, ob sich Sensationsmache auf die Sehdauer von Nachrichten-Videos auswirkt. Dazu haben sie 190 Teilnehmer unterschiedlich aufgemachte Nachrichtenbeiträge der niederländischen Hauptnachrichtensendung “Het Journaal” schauen lassen und die Sehdauer pro Beitrag gemessen. Das Ergebnis: Eine boulevardeske Aufmachung bringe die Zuschauer dazu, sich Nachrichtenbeiträge mit neutralen Inhalten länger anzuschauen. Bei negativen Inhalten aber, für die die Zuschauer sich sowieso schon interessierten, mache es keinen Unterschied. Je mehr, desto besser gelte dort also nicht.

5. Faktencheck: Wie Spiegel Online und Der Standard wegen eines Übersetzungsfehlers einer Nachrichtenagentur Fake News verbreiteten
(correctiv.org, Jacques Pezet)
Haben “Spiegel Online” und der österreichische “Standard” Fake News verbreitet, als sie über die Verhaftung einer Gruppe Rechtsradikaler in Frankreich berichteten? Dies behauptete jedenfalls die rechtsradikale Webseite “Breitbart”. In der Tat war die Nachricht falsch, was jedoch an einer Meldung der Presseagentur “AFP” lag. Agentur und Medien hätten sich nach Bekanntwerden des Fehlers entsprechend korrigiert.

6. Es ist 2017 und bei diesem Journalisten-Preis haben 100% Männer gewonnen
(buzzfeed.com, Karsten Schmehl)
Auf dem Gruppenbild des “Georg von Holtzbrinck Preises für Wirtschaftspublizistik” sieht man ausschließlich Männer. Die Organisation “Pro Quote”, die sich für mehr Frauen an der Spitze der Medien einsetzt, twitterte: “Es entsteht der Eindruck, dass auf diesem Planeten keine Frauen leben.” Und auch sonst hagelte es negative Stimmen im Netz (“Männer feiern Männer”).
Dazu passend ein weiterer Lesetipp: “ARD will Frauenanteil in Filmen und Shows erhöhen” bei “DWDL”. Und was passiert, wenn eine Frau eine Hauptrolle in einem Film spielt (wie gerade Diane Kruger in Fatih Akins neuem Film über den NSU-Komplex), kann man beispielhaft im Magazin “DB Mobil” verfolgen: Dort sei Kruger zu Problemzonen und Schönheits-Ops befragt worden, so die “taz”-Autorin Elisabeth Kimmerle in ihrer heutigen “Geht’s noch”-Kolumne.

Ist Bild.de doch egal, worum das BKA bittet

Das Bundeskriminalamt (BKA) konnte in der vergangenen Nacht bei Twitter einen Fahndungserfolg melden:

Screenshot eines Tweets des Bundeskriminalamts - Verdacht des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern - Fahndung ist erfolgreich beendet. Festnahme des Tatverdächtigen. Wir sagen Danke! Bitte löschen Sie alle geteilten Bilder. Weitere Informationen werden hier im Laufe des Tages veröffentlicht.

Nach dem Verdächtigen wurde seit gestern per Öffentlichkeitsfahndung gesucht. Zahlreiche Medien zeigten das Gesicht des Mannes, der zwei Jungen missbraucht, Aufnahmen von ihnen gemacht und diese Kinderpornographie in Foren verbreitet haben soll. Die Bitte des BKA, die Fotos, die den Verdächtigen zeigen, nun zu löschen, erscheint logisch: Die Fahndung ist abgeschlossen, der Verdächtige geschnappt — warum also weiter sein Gesicht zeigen?

Ja, Mitarbeiter von Bild.de, warum also weiter sein Gesicht zeigen?

Screenshot Bild.de-Startseite - Nach Öffentlichkeitsfahndung - Kinderschänder von Viersen gefasst - mit unverpixeltem Foto des Verdächtigen
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)

In dem Artikel zur Festnahme des Gesuchten, den die Redaktion heute morgen auf ihrer Startseite anteaserte, hat sie auch den Tweet des BKA eingebettet, in dem die Behörde um die Löschung der Fotos bittet. Dieser Artikel startet so:

Screenshot eines Bild.de-Artikels - Zu sehen ist die Überschrift Kinderschänder von Viersen gefasst und direkt darunter das Gesicht des Tatverdächtigen in Großaufnahme

Etwas weiter unten im Text folgt dann der BKA-Tweet:

Screenshot des Bild.de-Artikels - Zu sehen ist der eingebettete BKA-Tweet

Ein paar Stunden später hat Bild.de einen weiteren Text zu der Festnahme gebracht — wieder mit dem BKA-Tweet, wieder mit einem unverpixelten Foto des Verdächtigen. Und wieder hat die Redaktion den Beitrag prominent auf der Startseite verlinkt:

Screenshot Bild.de-Startseite - Leberflecke überführen Kinderschänder - mit unverpixeltem Foto des Verdächtigen

Wir haben bei “Bild”-Sprecher Christian Senft nachgefragt, warum Bild.de das Gesicht des Mannes ohne jegliche Unkentlichmachung zeigt und ob der Redaktion die Bitte des Bundeskriminalamts egal ist. Bisher haben wir keine Antwort erhalten.

Dass es auch anders geht, zeigen die “Springer”-Kollegen der “B.Z.”: Auf deren Website ist ebenfalls ein Artikel zu der Festnahme erschienen, auch sie haben den BKA-Tweet eingebettet — und über das Gesicht des Verdächtigen immerhin einen großen schwarzen Balken gelegt.

Dazu auch:

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Menschen im Koma schützen? Nicht mit “Bild”!

Bei “Bild” und Bild.de interessieren sie sich offenbar nicht für den Schutz von hilflosen Personen.

Vor vier Monaten stürzte ein Mann beim Joggen in einem Park in Berlin-Wilmersdorf. Er wurde bewusstlos und liegt bis heute im Koma. Da er keinen Ausweis bei sich hatte und ihn niemand als vermisst meldete, wusste die Polizei lange nicht, wer der Mann ist. Bis gestern. Da meldete sich ein andere Mann, der auf einem von der Polizei veröffentlichten Foto einen Schlüssel wiedererkannte. Mit Hilfe des Anrufers konnten die Beamten die Wohnung des Joggers ausfindig machen und damit dessen Identität klären.

Bild.de veröffentlichte gestern einen Artikel zu der aktuellen Entwicklung. Darin auch dieses Zitat von Uwe Dziuba, Hauptkommissar in der Vermisstenstelle:

Screenshot Bild.de - Als er anrief, waren mein Kollege und ich gerade unterwegs, fuhren aber sofort zu der Adresse – die Schlüssel des Joggers passten. Im Flur fanden wir seinen Ausweis und seine Krankenkassenkarte, die wir mitnahmen und der Betreuerin übergaben. Sie bat uns darum, seine Identität zu schützen, deshalb geben wir seinen Namen nicht heraus. Die Betreuerin wurde umgehend informiert.

Nur drei Absätze später, unter der Zwischenüberschrift “Das ist der Jogger”, nennt die Bild.de-Autorin den Namen des Mannes:

Screenshot Bild.de - Sein Name
(Unkenntlichmachung durch uns.)

Sie nennt die zwei Vornamen des Mannes und den abgekürzten Nachnamen, auch in der gedruckten “Bild”. Sie nennt das Alter des Mannes und den Namen der Straße, in der sich seine Wohnung befindet (beide Informationen stehen auch in einer Pressemitteilung der Polizei). Sie nennt den Familienstand des Mannes, schreibt, wie lange er bereits in seiner Wohnung wohnt. Sie und ihre Redaktion zeigen ein Foto der Straße, in der sich die Wohnung des Mannes befindet. Sie zeigen ein Foto des Briefkasten des Mannes. Und sie zeigen ein Foto, auf dem der Mann im Koma zu sehen ist, ohne Verpixelung. Dieses Foto hatte die Polizei rausgegeben, als die Identität des Mannes noch nicht geklärt war. Nun ist sie geklärt. Für die “Bild”-Medien offenbar kein Grund, das Gesicht einer hilflosen Person nicht mehr zu zeigen.

Inzwischen hat die Bild.de-Redaktion eine wichtige Information aus ihrem Artikel gelöscht. Allerdings nicht den Namen des Mannes, oder den der Straße, in der sich seine Wohnung befindet. Sondern einen Teil des Zitats von Uwe Dziuba, dem Polizeibeamten, der sagt, dass man die Identität des Mannes schützen wolle. So wurde aus …

Screenshot Bild.de - Als er anrief, waren mein Kollege und ich gerade unterwegs, fuhren aber sofort zu der Adresse – die Schlüssel des Joggers passten. Im Flur fanden wir seinen Ausweis und seine Krankenkassenkarte, die wir mitnahmen und der Betreuerin übergaben. Sie bat uns darum, seine Identität zu schützen, deshalb geben wir seinen Namen nicht heraus. Die Betreuerin wurde umgehend informiert.

… auf einmal:

Screenshot Bild.de - Als er anrief, waren mein Kollege und ich gerade unterwegs, fuhren aber sofort zu der Adresse – die Schlüssel des Joggers passten. Im Flur fanden wir seinen Ausweis und seine Krankenkassenkarte, die wir mitnahmen und der Betreuerin übergaben.

Mit Dank an Daniel B., Ulrike, wolkenzottel und @kentrail_ticker für die Hinweise!

In Verruf gekürzt

Die Räumung des Hambacher Forsts geht weiter. Eine Woche, nachdem ein Journalist von einer Hängebrücke gestürzt und kurze Zeit später gestorben ist, ließ die Polizei nun auch die Gedenkstätte für diesen Journalisten entfernen. Sie sicherte allerdings zu, dass die Kerzen und Blumen und Fotos nach Abschluss der Arbeiten wieder aufgebaut werden könnten.

Zu diesem aktuellen Vorgang und dem tödlichen Unfall in der vergangenen Woche schreiben Morgenpost.de, Abendblatt.de und “DerWesten” (alle Teil der Funke Mediengruppe) unter anderem:

Der 27-Jährige war am vergangenen Mittwoch in dem von Aktivisten besetzt gehaltenen Waldgebiet durch die Bretter einer mindestens 15 Meter hohen Hängebrücke gebrochen, die zwischen zwei Baumhäusern gespannt war. Er starb noch am Unglücksort. “Er war wohl zu schnell eine Leiter hochgeklettert und dann abgerutscht. Von uns helfen lassen wollte er sich anschließend nicht”, sagte ein Polizeisprecher.

Das, was so klingt, als sei jemand lieber gestorben, als sich von der Polizei helfen zu lassen, ist tatsächlich nur schlampige Arbeit der Funke-Redaktionen.

Ihre Artikel sind ein Mix aus Meldungen der Agenturen dpa und epd. Die oben zitierte Passage stammt von der dpa, wobei Morgenpost.de, Abendblatt.de und “DerWesten” sie so unglücklich gekürzt haben, dass ein völlig falscher Eindruck entsteht.

Man kann das zum Beispiel beim “Greenpeace Magazin” nachvollziehen, wo die dpa-Meldung ungekürzt veröffentlicht wurde:

Der 27-Jährige war am vergangenen Mittwoch in dem von Aktivisten besetzt gehaltenen Waldgebiet zwischen Köln und Aachen durch die Bretter einer mindestens 15 Meter hohen Hängebrücke gebrochen, die zwischen zwei Baumhäusern gespannt war. Er starb noch am Unglücksort. Die Landesregierung hatte daraufhin die Räumung der Baumhütten im Wald vorübergehend gestoppt.

Bei einem Sturz aus rund zwei Metern Höhe verletzte sich am Dienstag ein Baumbesetzer leicht. «Er war wohl zu schnell eine Leiter hochgeklettert und dann abgerutscht. Von uns helfen lassen wollte er sich anschließend nicht», sagte ein Polizeisprecher.

Die Aussage des Polizeisprechers bezieht sich also auf einen völlig anderen, viel harmloseren Vorfall.

Mit Dank an @bjokie für den Hinweis!

Nachtrag, 27. September: Die drei Redaktionen haben ihre Texte inzwischen korrigiert und im Sinne der Transparenz diesen Hinweis hinzugefügt:

(Anm. d. Red.: In einer früheren Fassung dieses Artikels haben wir leider einen Polizeisprecher aus dem Kontext gerissen zitiert. Im Anschluss an den oberen Absatz hieß es: “‘Er war wohl zu schnell eine Leiter hochgeklettert und dann abgerutscht. Von uns helfen lassen wollte er sich anschließend nicht’, sagte ein Polizeisprecher.” Diese Aussage bezog sich aber auf einen anderen Vorfall. Wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen.)

Mit Dank an @de_noogle für den Hinweis!

Fake on my dear, Rezo-Fallout, Facebook kennt keine Privatsphäre

1. Bloggerin soll Holocaust-Opfer erfunden haben
(tagesspiegel.de, Julia Prosinger)
Der Erfolg der promovierten Historikerin und Bloggerin (“Read on my dear, read on”) Marie Sophie Hingst beruht anscheinend auf weitgehend erfundenen Geschichten. So habe Hingst ihre jüdische Familiengeschichte erlogen. Auch sei fraglich, ob Hingst im Alter von 19 Jahren tatsächlich ein Slumkrankenhaus gegründet habe. “Zeit Online” rückt mittlerweile von einem Beitrag über eine angebliche Aufklärungs-Sprechstunde mit Geflüchteten ab. Die “FAZ” hat ein mit Hingst veröffentlichtes Interview offline genommen.
Weiterer Lesetipp: Anke Gröner kommentiert in ihrem Blog: “Holocaust-Opfer zu erfinden, ist nicht nur geschmacklos, es ist gefährlich. Es ist Wasser auf den Mühlen der Holocaust-Leugner, es ist Wasser auf den Mühlen derer, die Opfern eine Mitschuld unterstellen, ganz gleich, von was sie Opfer geworden sind, es ist Wasser auf den Mühlen der Geschichtsverfälscher und -umdeuter, die im Nachhinein besser wissen wollen, was passiert ist und wie wir damit umgehen sollten (“Schlusstrich”, “langt jetzt auch”, “DRESDEN!”).”
Und wer sich noch weiter einlesen will: Die Causa Hingst – Fragen und erste Antworten zu einem Skandal der Blogosphäre (archivalia.hypotheses.org, Klaus Graf).

2. Angaben zu Social-Media-Profilen sind jetzt Pflicht
(spiegel.de)
Antragsteller für ein US-Visum müssen zukünftig ihre Social-Media-Identitäten offenlegen und sowohl ihre aktuellen als auch ihre früheren Telefonnummern angeben. USA-Urlauber seien davon jedoch derzeit nicht betroffen. Für sie gilt das visumlose ESTA-Programm für Besuche mit befristeter Aufenthaltsdauer.

3. Lügen, Sex und YouTube
(gutjahr.biz)
Anlässlich der jüngsten Videoveröffentlichungen mit politischem Rückhall, kommentiert Richard Gutjahr: “Stellen wir uns vor, das Ibiza-Video wäre kein Video gewesen, sondern nur ein Audio-Mitschnitt. Oder ein verschriftetes Wortprotokoll. Ich gehe jede Wette ein, Kurz und Strache wären heute noch im Amt. Oder die “Zerstörung der CDU”. Nehmen wir mal an, Rezo hätte seinen Rant nicht als Video, sondern in Schriftform ins Netz gestellt. Wort für Wort. Mit allen Fußnoten und Quellenhinweisen. Rezo… wer?” Gutjahrs Prognose: “Die Bedeutung von Video wird in den kommenden Jahren nicht nur weiter linear wachsen, sondern geradezu explodieren.”

4. Nutzer können laut Facebook keine Privatsphäre erwarten
(golem.de, Friedhelm Greis)
In einem Prozess um den Cambridge-Analytica-Skandal verteidigt sich Facebook mit einer bemerkenswerten Argumentation: Das Unternehmen habe nicht gegen Datenschutzvorgaben verstoßen, da es bei Sozialen Medien “keine vernünftige Erwartung auf Datenschutz” gebe und weiter: “Es gibt keine Verletzung der Privatsphäre, da es überhaupt keine Privatsphäre gibt”.

5. Rezo-Fallout: “Wir brauchen Regeln gegen Desinformation”
(heise.de, Markus Kompa)
Markus Kompa kommentiert ein Interview, das Tobias Schmid, Direktor der Landesanstalt für Medien NRW, der “FAZ” zur Netzregulierung gegeben hat (Wir brauchen Regeln gegen Desinformation). “Landesmediendirektor Schmid behauptet im Interview allen Ernstes, die Einhaltung journalistischer Standards überwache bei der Presse der Presserat. Bei solch weltfremder Naivität möchte man in die Tischkante beißen. Der Presserat ist nichts weiter als eine Propaganda-Veranstaltung der Verlagsbranche, mit der man in den 1950er Jahren den Erlass eines lästigen Ehrenschutzgesetzes verhindern wollte. Das geplante Gesetz wurde aber überflüssig, weil die Rechtsprechung praktisch die gleichen Ergebnisse durch Entwicklung des aus der Verfassung hergeleiteten allgemeinen Persönlichkeitsrechts erzielt.”

6. Diese Instagram-Accounts gingen im Mai durch die Decke
(horizont.net, Giuseppe Rondinella)
“Horizont” hat die Wachstumsraten aller deutschsprachigen Instagram-Kanäle ab 100.000 Follower für den Monat Mai analysieren lassen. Die Top 10 werden von den Teilnehmerinnen von “Germany’s Next Topmodel” dominiert. Mit dabei sind aber auch ein Fußballer und ein PARTEI-Politiker.

Kaufbares Klimaleugner-Institut, Angeschossene Funkhäuser, Hoaxfibel

1. Das Heartland Institute: Wie US-Klimaleugner Politik in Europa machen
(correctiv.org, Annika Joeres & Susanne Götze)
Undercover bei den Klimawandelleugnern: “Frontal 21” (ZDF) und “Correctiv” haben verdeckt zur Strategie des sogenannten Heartland Institute recherchiert, einer der wichtigsten Lobbygruppen in der Szene der Klimawandelleugner. Hinter dem dubiosen Institut stecke wohl vor allem das Geld von Kohle- und Erdölindustrie. Für die Investigativrecherche hat “Correctiv” eine fiktive PR-Agentur gegründet und sich als angebliche Auto- und Kohle-Lobbyisten ausgegeben — um herauszufinden, ob und wie man sich bei dem Institut Agitation gegen Umweltschutz und den menschengemachten Klimawandel erkaufen kann, samt dazugehöriger Stimmen aus der Wissenschaft. Eine erschütternde und lesenswerte Recherche, die “zeigt, wie das US-amerikanische Heartland Institute Leugner des Klimawandels in Deutschland unterstützt, um Maßnahmen zum Klimaschutz zu untergraben. Undercover lernen wir den Chefstrategen des Instituts kennen: James Taylor. Er wird uns erzählen, wie das Netzwerk der Klimawandelleugner funktioniert, wie Spenden verschleiert werden und wie sie eine deutsche, AfD-nahe Youtuberin nutzen wollen, um ‘die Jugend’ zu erreichen.”
Der dazugehörige “Frontal 21”-Bericht ist in der ZDF-Mediathek zu sehen (ab Minute 24:08).

2. Sollten wir alle in Panik verfallen? Ich bitte um Handzeichen!
(uebermedien.de, Jürn Kruse)
Jürn Kruse hat sich die neue Talkshow von “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt und dessen fehlgeschlagene Bemühung um mehr Empörung angeschaut: “Wenn die Diskutierenden in ‘Hier spricht das Volk’ die normalen Menschen sind, wie Reichelt sagt, ‘ein Querschnitt durch unsere Gesellschaft, ein Querschnitt durch Deutschland’, dann bildet seine Zeitung diese Gesellschaft nicht mehr ab. Dann hat ‘Bild’ den Großteil unserer Gesellschaft verloren. Dann bleibt ihr nur noch der Rand.”

3. Sieben Statistiken zum Journalismus und zum Geschäft der Republik
(republik.ch, Oliver Fuchs & Thomas Preusse)
Das von rund 19.000 Unterstützerinnen und Unterstützern getragene Schweizer Online-Magazin “Republik” lässt sich in die Karten schauen: Woher kommt die Leserschaft? Wann wird “Republik” gelesen? Wie gewinnt man Mitglieder, und wie hält man sie bei der Stange? Und welche der Recherchen und Analysen wurden am meisten aufgerufen?
Weiterer Lesehinweis: Zehn Learnings aus zwei Jahren Republik.

4. Das waren 2019 die beliebtesten Magazine im Netz
(horizont.net, David Hein)
Der Flatrate-Digitalkiosk Readly bietet mehr als 4.000 Magazine zur Lektüre an. Doch auf welche Inhalte stürzen sich Leser und Leserinnen am liebsten? Es ist ein Hang zum Seichten zu erkennen: Zu den beliebtesten Magazinen bei Readly würden Technik- und Autozeitschriften sowie Klatschblätter zählen. Die beliebteste Kategorie sei vergangenes Jahr “Stars & Entertainment” gewesen.

5. Angeschossene Funkhäuser: Die sieben größten Probleme von ARD und ZDF
(rnd.de, Imre Grimm)
Für ARD und ZDF brechen schwierige Zeiten an: Der Spardruck wachse, die Kritik am Rundfunkbeitrag werde lauter, und den Sendern laufe die junge Generation davon. Imre Grimm beschreibt die sieben größten Probleme der Öffentlich-Rechtlichen.
Weiterer Lesehinweis: Der Deutschlandfunk hat mit dem ARD-Vorsitzenden Tom Buhrow gesprochen: “Rundfunkanstalten müssen Prioritäten setzen” (deutschlandfunk.de, Christoph Sterz, Audio: 10:05 Minuten).

6. “Verschwörungsideologien und Fake News – erkennen und widerlegen” (Kostenlose Broschüre)
(dergoldenealuhut.de, Giulia Silberberger)
Giulia Silberberger und Rüdiger Reinhardt vom “Goldenen Aluhut” haben eine Fibel über Hoaxes, “Fake News” und Verschwörungstheorien zusammengestellt. Die Online-Version der Broschüre steht ab sofort zum kostenlosen Download bereit (PDF), die Printversion soll Mitte Februar folgen.

KW 49: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. Hinter den Kulissen von “Slahi”
(viertausendhertz.de, Maren Fußwinkel , Audio: 37:15 Minuten)
Im investigativen Dokumentarfilm “Slahi und seine Folterer” (ARD) geht es um Mohamedou Slahi, der 14 Jahre lang im Gefangenenlager Guantanamo saß und dort schwer gefoltert, aber schließlich von einem US-Gericht freigesprochen wurde. Der Film handelt von Slahis Suche nach den Personen, die an seiner Folter beteiligt waren, und bringt ihn mit seinen einstigen Peinigern zusammen. Zu dieser Geschichte gibt es auch einen zwölfteiligen Podcast von Bastian Berbner. Im oben verlinkten Interview spricht Maren Fußwinkel mit ihm über die Entstehung von “Slahi”, über Überraschungsmomente in Interviews und über die redaktionelle Arbeit beim US-Podcast “This American Life”.

2. Ballaballa-Balkan spricht….mit Sebastian Leber (Tagesspiegel)
(ballaballa-balkan.de, Danijel Majić, Audio: 31:55 Minuten)
Ende November wurde der “Tagesspiegel”-Reporter Sebastian Leber bei Recherchen zu illegalen Push-Backs an der bosnisch-kroatischen Grenze von der kroatischen Polizei festgenommen. “Ballaballa-Balkan”-Podcaster Danijel Majić hat sich mit Leber über die Festnahme, die gegen ihn erhobenen, absurden Vorwürfe, seine Recherchen und über die Hintergründe der Push-Backs unterhalten.

3. Der Berliner Verlag mit der Berliner Zeitung: Holger Friedrich zwei Jahre nach dem Besitzerwechsel
(radioeins.de, Daniel Bouhs & Jörg Wagner, Audio: 1:28:36 Stunden)
Vor zwei Jahren übernahm das Unternehmerpaar Silke und Holger Friedrich den Berliner Verlag mitsamt der “Berliner Zeitung”. Diese Übernahme sorgte damals für viel Aufsehen in der Medienbranche, weil das Ehepaar Friedrich branchenfremd war und damit aus dem üblichen Schema herausfiel. Wie ist es seitdem weitergegangen, und wie sehen die nächsten Schritte aus? Darüber haben sich Daniel Bouhs und Jörg Wagner mit Holger Friedrich unterhalten. Ein, trotz einiger Tonprobleme, hörenswertes Gespräch.

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4. Shanghai (China)
(ardaudiothek.de, Holger Klein, Audio: 42:07 Minuten)
Einmal im Monat bittet radioeins-Moderator Holger Klein Auslandskorrespondenten oder -korrespondentinnen aus aller Welt zum Gespräch. In der aktuellen Folge ist Steffen Wurzel zu Gast, der seit fast sechs Jahren aus Shanghai über China berichtete. Hörenswert, weil es einen Einblick in den Alltag eines Journalisten im totalüberwachten China bietet.

5. Fritz Pleitgen – sein Leben
(ardaudiothek.de, Jochen Rausch, Audio: 7 Episoden)
Fritz Pleitgen war in den 1970er- und 1980er-Jahren Fernsehjournalist. Er berichtete als ARD-Korrespondent aus Moskau, Ost-Berlin, Washington und New York. Beim WDR wurde er später Chefredakteur, Hörfunkdirektor und Intendant. In einer siebenteiligen Podcastreihe erinnert sich Pleitgen an die wichtigsten Stationen seines beruflichen Lebens, ein halbes Jahrhundert Rundfunkgeschichte.

6. Wie die Literatur bei Fake News helfen kann
(deutschlandfunknova.de, Sibylle Salewski, Audio: 47:52 Minuten)
Bei Deutschlandfunk Nova geht es um die “Kunst des Erzählens”. Der Literaturwissenschaftler Thomas Strässle von der Hochschule der Künste Bern erklärt, welche Stilmittel in falschen Geschichten und “Fake News” zum Tragen kommen, und wie wir sie erkennen können. Sein Vortrag hat den Titel “Faketionales Erzählen. Über die Erfindung von Wahrheit”. Strässle ist der Überzeugung, “dass die Literaturwissenschaft eine politische Funktion bekommen kann, weil sich an der Literatur ein unendliches Reservoir an Strategien, Techniken, Verfahren aufzeigen lässt, wie man so erzählen kann, dass es einem jemand glaubt.”

Die Qualen der Wahlen

Liebende haben es schwer. Kaum schweben sie im Glückshormonrausch, droht ihr Gemüt ins Negative zu kippen. Eifersucht mischt sich mit der Angst, der oder dem Auserwählten könnte Böses widerfahren. Nachdem wir uns im ersten Teil unserer Reihe “Mut zur Wirrheit” den Minnesang des “Compact”-Chefredakteurs Jürgen Elsässer auf AfD-Politikerin Frauke Petry angeschaut haben, nun zur unheimlichen Seite der Romantik.

Für den Fall, dass die AfD bei den morgigen Landtagswahlen nun doch nicht so gut abschneidet, wie von Jürgen Elsässer erhofft, hat “Compact” bereits vorgesorgt: Es könnte umfangreiche Wahlfälschungen gegeben haben! “Geisterwähler aller Orten” heißt der Artikel, der belegen soll, dass solche auch hierzulande allgemein üblich seien.

Tatsächlich geht es nicht um “aller Orten”, sondern um Bremerhaven, Stendal, Köln, Hamburg und Halle. Auch sonst hängt der Autor alles etwas höher und vermischt grundsätzlich unterschiedliche Dinge, damit sich ein Bild allgemein üblichen, schwerwiegenden Wahlbetrugs ergibt.

Auf Verhältnismäßigkeit legt die “Compact” dabei keinen großen Wert. So setzt sie eine teilweise Wahlwiederholung (nicht nur eine Neuauszählung, wie im Artikel behauptet), die der rechtspopulistischen Wählervereinigung “Bürger in Wut” bei der Wahl 2007 einen Sitz in der Bremer Bürgerschaft sicherte, auf eine Stufe mit der Kommunalwahl im deutlich kleineren Stendal 2014. Bei dieser gab es tatsächlich nicht nur Fehler, sondern einen handfesten Betrugsskandal, infolgedessen der CDU-Politiker Holger Gebhardt zurücktrat und die Staatsanwaltschaft gegen ihn und mutmaßliche Helfer bis heute ermittelt.

Den nächsten großen Sprung macht der Artikel von den Wahlen im 40.000-Einwohner-Städtchen nach Hamburg zur Bundestagswahl 2013:

In Hamburg verschwanden 103.000 Briefwähler-Stimmen – im statistischen Durchschnitt hätten es höchstens 30.000 sein dürfen. Trotz 301.884 angeforderter Wahlscheine waren angeblich nur 198.739 zurückgekommen. Nach massiver Kritik und widersprüchlichen Erklärungen des Wahlleiters tauchten auf wundersame Art und Weise 70.000 Briefe wieder auf. Die Ausfallquote war zurecht gebogen.

Das klingt, als könnten diese fiesen Wahlbetrüger einfach Stimmzettel vernichten und wieder auftauchen lassen, wie es ihnen passt. Dabei deutet der Autor schon selbst an, wo der Haken ist: Von den Wahlscheinen sind lediglich “angeblich” nur 198.739 im Briefwahlbüro angekommen. Nicht die Wahl war gefälscht — die Angabe der erhaltenen Stimmen war verkehrt. Die Lücke zu den zu erwartenden Stimmen ergab sich, weil eine Datenbankabfrage des Statistischen Landesamtes einige Briefwahlbezirke ignoriert hatte. Drei Tage nach der Verkündung des vorläufigen Ergebnisses gab die Behörde bekannt (PDF), dass die Abfrage der Datenbank falsch programmiert gewesen sei. Anders als von “Compact” suggeriert, ging es nie um verschwundene physische Briefe. Nichts musste “auf wundersames Art und Weise” geschehen, sondern nur ganz banal nachgerechnet werden.

Eine weitere Halbwahrheit rundet den Artikel ab. Im beigefügten Infokasten steht, dass die Politikwissenschaftler Christian Breunig und Achim Goerres die Ergebnisse der Bundestagswahlen zwischen 1990 und 2005 untersucht und Verstöße gegen das Benfordsche Gesetz festgestellt hätten, einer mathematisch-statistischen Regel über die Häufigkeit von Zahlen in großen Datenmengen. Das ist wahr. Die Studie erschien bereits 2011. Unwahr ist alles nach dem Gedankenstrich:

Während die Erststimmen bei Bundestagswahlen dem Muster entsprachen, wichen die wichtigeren Zweitstimmen-Ergebnisse signifikant davon ab — und zwar jeweils zum Vorteil der in dem jeweiligen Bundesland dominanten Partei. Dies deutet darauf hin, dass deren Wahlhelfer bei der Auszählung geschummelt haben.

Die Methode der beiden Wissenschaftler lässt weder eine Aussage darüber zu, in welche Richtung manipuliert wurde, noch in welchem Umfang und erst recht nicht von wem. Das hätte man einfach nachlesen können, etwa beim “Cicero”. Oder bei den Forschern direkt, die ihre Studie so deuten:

Insgesamt offenbaren die Ergebnisse dieser Tests, dass es wenig Grund zur Beunruhigung gibt. Dafür, dass der Wahlprozess in Deutschland sehr komplex und vielschichtig ist, gab es erstaunlich wenige Verletzungen des Benfordschen Gesetzes. Kurz: dieses Fieberthermometer bescheinigt der deutschen Demokratie höchstens eine leicht erhöhte Temperatur, die sicherlich erforscht werden, aber nicht Anlass zum Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Wahlauszählung geben sollte.

Auf Anfrage bestätigte Achim Goerres gegenüber BILDblog, dass die Studie falsch wiedergegeben wurde und sie gerne von extremen Parteien für Verschwörungstheorien herangezogen werde. “Compact” schaut auf das “Fieberthermometer” der Forscher und behauptet, damit ein Erdbeben vorhersagen zu können.

Doch selbst das ist noch nicht annähernd so manipulativ wie das Artikelbild: Es zeigt Demonstranten gegen die Wahlfälschungen bei den Kommunalwahlen in der DDR 1989. Offizielles Ergebnis damals: 98,85 Prozent aller Stimmen für den Wahlvorschlag — nachdem es viel aufwändiger gewesen war, gegen diesen Vorschlag zu stimmen, und Wahlbeobachter häufig an ihrer Arbeit gehindert worden waren. Eine völlig andere Größenordnung in einem ganz anderen politischen System als die Ereignisse, die der Artikel beschreibt. Denn in diesen geht es abgesehen vom Hamburger Rechenfehler nur um einzelne Sitze und relativ wenige Stimmen.

“Compact” hat sich dennoch dafür entschieden, alles als Beleg massenhafter Wahlfälschung darzustellen. Dabei könnte man aus den Beispielen genauso gut schließen, dass selbst kleinere Unregelmäßigkeiten und Fehler immer wieder an die Öffentlichkeit gelangen und untersucht werden.

Jürgen Elsässer und sein Blatt wollen auf Teufel komm raus den Eindruck erwecken, dass es morgen Wahlbetrug geben wird, um der AfD ihre Stimmen zu klauen. Wer ihnen glaubt, sollte sich Elsässers fremdenfeindlichem Bündnis “Ein Prozent” als Wahlbeobachter anschließen (“Merkel auf die Finger schauen – Wahlbetrug verhindern!”). Dort werden die Freiwilligen explizit angewiesen, die Stimmen für die AfD morgen noch mal separat zu zählen — die der anderen Parteien scheinen weniger wichtig zu sein.

Hoax erkennen, Anschlagsadoption, Schwiegertochter gesucht

1. Hoax: Wie erkenne ich Falschmeldungen?
(digitalcourage.de)
Immer wieder werden Falschmeldungen im Internet lanciert, die teilweise jahrelang die Runde machen. Ob über E-Mail oder Messenger, als Tweets oder auf Webseiten. Doch wie erkennt man, dass es sich um ein falsches Digitalgerücht (“Hoax”) handelt? Der sich für “Grundrechte, Datenschutz und eine lebenswerte Welt im digitalen Zeitalter” engagierende Verein “Digitalcourage” listet die Indizien auf, die für einen Hoax sprechen könnten und gibt Tipps für einen Faktencheck. Damit man sich “hinterher nicht auslachen lassen muss, weil man irgendeinen Unsinn geglaubt und weitergegeben hat.”

2. Die Schlacht um die Netzneutralität ist geschlagen und wir Journalisten haben es versemmelt
(djv-bw.de, Peter Welchering)
Beim Thema Netzneutralität haben die Netzaktivisten trotz einer groß angelegten Petition anscheinend die entscheidenden Schlachten verloren. Es gelang nicht, eine breitere Öffentlichkeit für das Thema zu interessieren. Journalist Peter Welchering lastet dies in seinem Zwischenruf vor allem seinen Berufskollegen an. “Nicht selten steckte da die mangelnde Bereitschaft dahinter, sich mit technischen Fragen auseinanderzusetzen. Unschöne Erinnerungen an den Mathematikunterricht längst vergangener Tage waren da leider allzu oft Triebfeder des Nicht-Handelns. Also müssen wir Journalisten mit dem Vorwurf vieler Internet-Ingenieure leben: Das mit der Netzneutralität haben wir Journalisten versemmelt. Und wir haben keine Entschuldigung dafür.”

3. 100 Jahre Elektrischer Reporter: So geht es weiter
(sixtus.net, Mario Sixtus)
Mario Sixtus feiert das zehnjährige Jubiläum des “Elektrischen Reporters”. Knapp 200 Folgen des Kurzmagazins rund ums Digitale entstanden bis zur aktuellen Sendung, die zugleich die letzte Sendung ist. Doch keine Sorge: “Aber das ist mitnichten das Ende des Elektrischen Reporter, im Gegentum! Künftig werden wir unter diesem Label für ZDFinfo Dokumentarfilme zu Digitalthemen produzieren. Die Zeiten haben sich geändert, vierminütige Beiträge werden dem Digitalen des Jahres 2016 einfach nicht mehr gerecht. Deswegen werden es künftig 45 Minuten sein. Zwei dieser Filme befinden sich bereits im Stadium der Vorproduktion.”

4. Wenn der IS Anschläge adoptiert
(zeit.de, Yassin Musharbash, Video, 5:05 Min.)
Der für das Investigativressort der “Zeit” tätige Journalist Yassin Musharbash spricht über die Probleme bei der Täterzuschreibung nach Attentaten. Die Anschläge von Orlando, Nizza und Würzburg seien beispielsweise von der IS-nahen Medienstelle Amaq dem IS zugeschrieben worden. Musharbash sortiert und bewertet die verschiedenen Aspekte und rät zum Schluss zu Skepsis und sorgfältiger Prüfung. Auch, wenn dies Zeit koste: “Alleine, weil der IS etwas behauptet, ist es noch nicht wahr. Es ist oft wahr, es ist aber oft auch nur halbwahr. Und dann gilt es auch die Ermittlungsarbeiten der Sicherheitsbehörden abzuwarten, was sich in Übereinstimmung bringen lässt. Und ehrlich gesagt: Dann dauert es halt eine Woche, bis wir wissen, ob Amaq und der IS die Wahrheit gesagt haben.”

5. 21.07.1816 – Geburtstag von Paul Julius Reuter
(wdr.de, Ronald Feisel, Audio 14:36 Min.)
Mit vierzig Brieftauben überbrückte Paul Julius Reuter 1849 die Telegrafen-Lücke zwischen Aachen und Brüssel. Was so klein begann, sollte später Milliarden wert sein: Die nach Reuter benannte Nachrichtenagentur wechselte im Jahr 2007 für stolze 13 Milliarden den Eigentümer und ist nun im Besitz der kanadischen Thomson-Gruppe. In “WDR-Zeitzeichen” geht es um den umtriebigen Agenturgründer und die bewegte Unternehmensgeschichte.

6. Regeln gesucht
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Es gibt Sendungen, in denen regelmäßig medienunerfahrene Menschen mit oft geringem Bildungsgrad vor den Augen der Fernsehnation lächerlich gemacht werden. “Schwiegertochter gesucht” von RTL ist ein derartiges Format. Nachdem Jan Böhmermann („Neo Magazin Royale“) RTL einen falschen Bewerber untergejubelt hatte, gelobte der Sender Besserung. Nun hat man mit der Niedersächsischen Landesmedienanstalt „eine Reihe von Vorgaben zur Auswahl und Präsentation der Bewerber“ vereinbart. Boris Rosenkranz hat sich die Angelegenheit näher angeschaut und nachgefragt. (Um es positiv auszudrücken: Fans des unappetitlichen Demütigungs- und Voyeurformats mit ihren über den Tisch gezogenen und als skurril-schaurige Jahrmarktsattraktionen vorgeführten Mitwirkenden, brauchen sich keine allzu großen Sorgen um ihre Lieblingssendung machen.)

“Spiegel Online” widerlegt Propaganda-Vorwurf mit Propaganda

Eigentlich war es ja eine ganz schöne Idee, die “Spiegel Online” gestern hatte: In einem 3:50-Minuten-Video den Politikredakteur Christoph Sydow erklären lassen, wieso die Redaktion über Aleppo und Mossul berichtet, wie sie berichtet. Das Ganze war eine Reaktion auf kritische Kommentare in Leserbriefen und den Sozialen Netzwerken (zum Beispiel: “heute im propagandaspiegel: keine gefahr für zivilisten! während aleppo von den bösen russen und assad ‘zerstört’ wird, wird mossul von den braven irakern, türken und amerikanern ‘befreit’. …wer hätte das gedacht”):

Immer wieder werfen uns Leser vor, die Belagerung von Aleppo pauschal als böse und jene von Mossul als gut zu bewerten. Das so nicht richtig [sic]. Politikredakteur Christoph Sydow erklärt die Gemeinsamkeiten und Unterschiede.

Sydow sagt, “Spiegel Online” messe nicht mit zweierlei Maß, und erklärt, welche Gemeinsamkeiten und welche Unterschiede er zwischen den Situationen im syrischen Aleppo und im irakischen Mossul sieht. Auf die im Video eingeblendete Frage “WIE SIEHT ES IN DEN STÄDTEN AUS?” antwortet er:

Ost-Aleppo ist seit Monaten von der Außenwelt abgeschnitten. Es kommt keine Hilfe in die Stadt. Die Menschen hungern, es gibt kein Trinkwasser, es gibt wenig Strom. In Mossul ist die Lage im Moment noch anders. Die Stadt kann versorgt werden, die Menschen haben Wasser, die Menschen haben Strom, die Menschen haben genug zu essen. Es muss bislang dort noch niemand hungern.

Um die deutlich bessere Situation in Mossul zu belegen, zeigt “Spiegel Online” diese Videoaufnahmen:



Das ist Propagandamaterial des sogenannten “Islamischen Staats”. Die Terrororganisation, die derzeit über Mossul herrscht, hat diese Bilder aus der Stadt vor einigen Tagen veröffentlicht, um zu zeigen, wie normal das Leben dort sein soll. In den Standbildern kann man rechts oben neben dem “Spiegel”-Logo auch das von “Amaq” sehen. “Amaq” sieht sich selbst als Sprachrohr des “Islamischen Staats”.

Der “Weltspiegel” hatte die Aufnahmen in seinem Beitrag “Irak: Inside Mossul” am vergangenen Sonntag ebenfalls gezeigt. Im Gegensatz zu “Spiegel Online” hat die ARD-Sendung allerdings den Hinweis “Quelle: Propaganda-Video IS” eingeblendet:


Dazu sagt der Sprecher:

Das jüngste Propaganda-Video vom IS, das vor fünf Tagen ins Netz gestellt wurde. Es soll Normalität in Mossul zeigen, glückliche Menschen, denen es an nichts fehlt. Tatsächlich mangelt es an Wasser, Lebensmitteln, Medikamenten und Strom. Das berichten Menschen aus Mossul ihren Verwandten in heimlichen Telefonaten.

Später im Video-Beitrag mit Christoph Sydow zeigt “Spiegel Online” dann noch weitere Sequenzen aus dem Propagandamaterial, wieder mit “Amaq”-Symbol und wieder ohne jegliche Kennzeichnung oder Distanzierung:




Wenn “Spiegel Online” sich Propagandamaterial von Terroristen zu eigen macht, dann kann man seinen harschen Kritikern, die vom “propagandaspiegel” schreiben, in diesem Fall leider nicht mal widersprechen.

Mit Dank an Daniel B. für den Hinweis!

Nachtrag, 21:01 Uhr: “Spiegel Online” hat inzwischen mit zwei Tweets auf unseren Blogpost reagiert:

Jegliche Videosequenzen, die von “Amaq” stammen, sind jetzt mit dem Hinweis “Quelle: Propagandavideo des IS” versehen:

Nicht-Fake-Studie, Terror-TV, GNTM-Finale

1. “Das ist mindestens verleumderisch”
(spiegel.de, Peter Maxwill)
Im Auftrag der Bundesregierung haben Politologen des “Göttinger Instituts für Demokratieforschung” den Fremdenhass in drei ostdeutschen Orten untersucht. In der “Welt” wurden schwere Vorwürfe gegen die Studie erhoben. “In dieser Regierungsstudie wurden sogar Gesprächspartner erfunden” hieß es dort in der Überschrift. Peter Maxwill ist den Vorwürfen nachgegangen: “Der SPIEGEL kennt den Namen des angeblich erfundenen Gesprächspartners sowie die Audioversion des Interviews – und es gibt nach derzeitigem Stand keinen ernstzunehmenden Zweifel daran, dass die Politologen Danny Michelsen und Michael Lühmann dieses Gespräch tatsächlich geführt haben.”

2. Anschlagsopfer! Und die Kriegsopfer?
(infosperber.ch, Urs P. Gasche)
Urs P. Gasche prangert die Terror-Berichterstattung der Medien an und stellt ein paar unbequeme Fragen: “Warum lösen vereinzelte (Terror-)Anschläge in Europa in den Medien und bei den Politikern eine derart breite Resonanz aus, während die vielen zivilen Opfer von Kriegen nur selten eine Erwähnung finden? Warum wird nicht heftig darüber debattiert, wie Kriege beendet werden können? Und warum nicht darüber recherchiert und informiert, wer die Kriege finanziert und wer die Waffen liefert? Schürt die Art und Weise der Information über die Terroranschläge in Europa irrationale Ängste, welche Regierungen dazu ausnützen können, Freiheiten der Bürgerinnen und Bürger ungebührlich einzuschränken?” Nachtrag, 15:39 Uhr: Wir haben den Link zum Text von Urs P. Gasche hier in die Sammlung genommen, weil wir die Fragen, die er stellt, richtig und wichtig finden (deswegen auch der Fokus in unserem Teaser auf “ein paar unbequeme Fragen”). In seinem Artikel trifft Gasche allerdings auch Aussagen (zum Beispiel: “Nach der rücksichtslosen Vertreibung des IS aus dem syrischen Aleppo durch die Russen”), die mindestens fragwürdig, wenn nicht völlig falsch sind. Nach Hinweisen unserer Leser bleiben wir dabei, dass es sich lohnt, über die Fragen, die Gasche stellt, nachzudenken. Den Rest seines Textes sollte man sehr kritisch lesen.

3. „Vom Völkermord berichten“
(taz.de, Dominic Johnson)
Dominic Johnson, Ressortleiter Ausland bei der “taz”, wirft einen Blick zurück ins Jahr 1994 als der Völkermord in Ruanda begann. Damals war es noch schwierig, an Informationen zu gelangen, also schickte die “taz” ihre Ostafrika-Korrespondentin Bettina Gaus auf den Weg. Johnson lässt die damalige Berichterstattung Revue passieren und diskutiert den Begriff der “Gegenöffentlichkeit”, der für ihn mehr denn je heißt: “Selber nachsehen.”

4. «Der mediale Overkill spielt den Terroristen in die Hände»
(tagesanzeiger.ch, Philippe Zweifel)
Das Schweizer Fernsehen verzichtete auf eine Sondersendung zum Terroranschlag in Manchester, was ihm von vielen Zuschauern als mediale Fehlleistung vorgeworfen wurde. Im Interview erklärt der SRF-Chefredakteur seine Beweggründe: “Der mediale Overkill in den westlichen Medien, an dem auch SRF beteiligt ist, spielt den Terroristen letztlich in die Hände. Dem wollten wir etwas entgegensetzen. Einen ersten bewussten Entscheid fällten wir schon letzten Sommer, nämlich die Namen und Bilder von Attentätern nicht mehr zu publizieren. Der «Tages-Anzeiger» und zuvor die Zeitung «Le Monde» gingen uns da ja mit gutem Beispiel voran. Den «Heldenstatus» erreichen die Täter nur, wenn die Medien mitmachen und ihre Namen und ihre Gesichter in die Welt tragen.”

5. Donald Trumps Symbiose mit den Medien
(de.ejo-online.eu, Maximilian Hempel & Andreas Neukam)
Unlängst hat der amerikanischer Journalismus-Professor Robert Byrd im Sendezentrum des ZDF einen Vortrag „Enemy of the People? Trump, ‚Fake News‘ and the Press“. Die deutschen Medien, so sein Credo, sollten aus den Fehlern der US-Medien lernen und sich nicht von Trump zu einer Reality-TV-Show verwandeln lassen. Byrd wünscht sich, dass die Nachrichtenkanäle wieder mehr Wert auf Fakten setzen und weniger auf Emotionen und appelliert an die Journalisten: „Entfolgt Donald Trump auf Twitter oder blockiert ihn sogar!“

6. Namenlose Gewinnerin, es tut uns leid für Dich
(sueddeutsche.de, Juliane Liebert)
Juliane Liebert hat sich das Finale von “Germany’s Next Topmodel” angesehen und die Botschaft der Sendung herausdestilliert: “GNTM ist so weitab von jeder Schönheit wie nur irgendwas, und die eigentliche Message ist: Kauft James Blunts neues Album. Kauft Wolfgang Joops neue Kollektion. Naomi Campbell lebt noch. Beth Ditto ist fett. Kauft Helene Fischers neues Album. Kauft einen Opel. Kauft einen Opel. Los jetzt! Oh, und ihr seid hässlich, und wenn ihr keinen Opel kauft, werdet ihr für immer hässlich bleiben. Aber so hässlich wie GNTM werdet ihr nie.”

Rosarote Olympiabrille, Rechte Twitterkrieger, Kampf ums Vong

1. Tageszeitung „Kieler Nachrichten“ wirft Polizei Bespitzelung vor
(netzpolitik.org, Simon Rebiger)
Wurden wirklich mehrere Journalisten der “Kieler Nachrichten” von der Polizei Schleswig Holsteins abgehört und überwacht? Diesen Verdacht äußert zumindest die Zeitung unter Verweis auf Polizei-Quellen. An einem Fahrzeug eines der Reporter hätte es zudem Hinweise auf einen Peilsender gegeben, ein E-Mail-Konto eines Kollegen sei gehackt worden. Hintergrund ist die sogenannte Rocker-Affäre, bei der es um Ungereimtheiten in einem Ermittlungsverfahren gegen die Rockerbande „Bandidos geht. Opposition und Journalistenverbände würden nun Aufklärung verlangen. Der neue Innenminister (CDU) weist die Vorwürfe zurück.

2. Wer redet hier von Doping?
(sueddeutsche.de, Jürgen Schmieder)
Am Wochenende wurde der amerikanische Kabelkanal “Olympic Channel: Home of Team USA” für 35 Millionen US-Haushalte freigeschaltet. Die NBC-Gruppe zahlt dem IOC für die Übertragungsrechte der Olympischen Spiele von 2014 bis 2032 mehr als 12 Milliarden US-Dollar. Den neuen Kanal betreibt NBC gemeinsam mit dem IOC. Kritische Themen wie Doping, Bestechung, Vergabe der Olympischen Spiele an autoritäre Staaten etc. bleiben ausgeklammert. Eine Tatsache, für die ein NBC-Manager eine Erklärung von George-Orwellschen Dimensionen gefunden hat: “Diskussionen bringen häufig das Schlechteste im Menschen hervor, uns dagegen geht es um das Beste: um inspirierende Geschichten, die alle zwei Jahre für zwei Wochen die Leute zu begeistern scheinen.”

3. Russland kopiert Gesetz gegen Hassbotschaften
(reporter-ohne-grenzen.de)
Das russische Parlament diskutiert derzeit ein Gesetz, das sich am umstrittenen deutschen NetzDG orientiert (“Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken”). “Reporter ohne Grenzen” ist entsetzt: „Unsere schlimmsten Befürchtungen werden wahr: Das deutsche Gesetz gegen Hassbotschaften im Internet dient undemokratischen Staaten nun als Vorlage, um gesellschaftliche Debatten im Internet einzuschränken. Auch in Russland sollen in Zukunft Mitarbeiter sozialer Netzwerke unter hohem Zeitdruck darüber entscheiden, welche Informationen gelöscht werden. In einem Land ohne unabhängige Gerichte, die den Schutz der Meinungsfreiheit durchsetzen könnten, ist das eine verheerende Entwicklung.”

4. Reichweitenschnorrer, Replysurfer, Sockenpuppen?
(volkerkoenig.de)
Volker König schreibt über ein Phänomen, das ihm auf Twitter aufgefallen ist. Immer wieder würden sich Accounts in Diskussionen unter Tweets von Medien und Tageszeitungen oder auch von linken Aktivisten einmischen, die nur 50 oder deutlich weniger Follower haben. Auch nach den G20-Krawallen in Hamburg sei eine hohe Anzahl von “danke @PolizeiHamburg”-Twitterern dieser Gruppe zuzuzordnen. “Ich sehe hier eine Tendenz. Entweder sind “rechte Stammtischkrieger” auf Twitter gekommen und randalieren mit ihren Meinungen nun hier herum statt nach ein paar Bier in der Stammkneipe, oder es ist möglicherweise eine Reihe von meist AfD-nahen Personen, die mit Sockenpuppen nicht nur ihre Reichweite erhöhen, sondern durch die scheinbar große Zahl an zustimmenden Meinungen auch die Relevanz.”

5. Ein Geschenk an alle kritischen Geister
(taz.de, Ebru Tasdemir)
Am Jahrestag des türkischen Putschversuchs druckte die “Süddeutsche Zeitung” eine Erdogan-Propaganda-Anzeige und erntete heftige Kritik dafür. Zu Unrecht wie Ebru Tasdemir in der “taz” findet: Die Anzeige sei in sich schon so entlarvend, dass sich eigentlich niemand aufzuregen bräuchte. “Es ist doch ein Geschenk an alle kritischen Geister, das diese Lobbyarbeit so deutlich und plump daherkommt.” Außerdem könnten von den 86.000 Euro, die die Anzeige in etwa gekostet haben dürfte, Journalisten bezahlt werden, die weiter unabhängig über die Türkei berichten.

6. Vongolisch für Fortgeschrittene
(sueddeutsche.de, Jan Stremmel)
Wem gehört das Vong von der Urheberschaft her? Jan Stremmel hat sich auf Spurensuche begeben und mit den Vongolisch-Größen des Internets Kontakt aufgenommen: “Aus einer wunderbar albernen Idee, die deutsche Sprache gemeinschaftlich kreativ zu verhunzen, ist ein kleinlicher und ziemlich deutscher Streit um Deutungshoheit und Urheberschaft geworden. Es wird beleidigt, beschimpft, bedroht. Und ein paar der ironischsten Witzbolde des Internets keifen plötzlich wie die Hausmeister.”

“Berliner Kurier” findet falsches Hitler-Uran

Auf der Titelseite des “Berliner Kuriers” ist heute Doppelapokalypse:

Ausriss der Titelseite des Berliner Kuriers - Atom-Klumpen-Fund in Oranienburg - War es Hitler-Uran? Radioaktives Material löst Großeinsatz aus. Polizei sieht Zusammenhang mit Atombomben-Forschung der Nazis - zu sehen ist ein Foto von Adolf Hitler sowie ein großer Atompilz

Hilter. Atompilz. Ein Boulevard-Traum.

Tatsächlich hat die ganze Sache aber nichts mit Uran zu tun, erst recht nichts mit einem Atompilz und höchstwahrscheinlich auch nichts mit Adolf Hitler.

Aber von vorne.

Im brandenburgischen Leegebruch, einem kleinen Ort mit etwas weniger als 7000 Einwohnern, gab es am Mittwochabend große Aufregung. Ein 64-jähriger Mann, der gerne mit seinem Metalldetektor in der Region nach Schrott und Schätzen sucht, war auf einen etwa 1,3 Kilogramm schweren Gegenstand gestoßen, der zwar metallähnlich aussah, aber nicht magnetisch war. Er nahm den Klumpen mit nach Hause, ließ ihn ein paar Tage rumliegen, schaute ihn dann zusammen mit seinen Kindern an, googelte ein wenig rum — und zack: Atom-Alarm in Leegebruch.

Polizei und Feuerwehr rückten an, zogen einen Sperrkreis um das Haus des Mannes und untersuchten den Gegenstand, bei dem der Finder inzwischen meinte, dass es sich um Plutonium handeln könnte. Die zuständige Polizeidirektion Nord gab gestern eine Pressemitteilung raus, die mit “Radioaktiver Fund” überschrieben ist und in der steht:

Die gemessene Strahlung war schwach. (Achtung: Wert von ca. 400 Nanosievert ist noch unbestätigt.)

Ja, das, was die Feuerwehr vor Ort gemessen hatte, war zu diesem Zeitpunkt alles “noch unbestätigt”. Wichtig in diesem Zusammenhang auch: Die benachbarte Stadt Oranienburg gilt als der radioaktiv am meisten belastete Ort Deutschlands, nachdem die Alliierten im Zweiten Weltkrieg mit Tausenden Bomben die dort ansässigen Auerwerke, in denen unter anderem Uranoxid angereichert wurde, komplett zerstört hatten.

Ein Mann findet einen bislang unbekannten Gegenstand in einer Region, in der Mal mit Uran hantiert wurde — für den “Berliner Kurier” reichte diese Faktenlage, um heute auf der Titelseite von einem “Atom-Klumpen-Fund” zu sprechen. Im Blatt hat die Geschichte eine komplette Doppelseite bekommen:

Ausriss Doppelseite des Berliner Kuriers - Überschrift Auf der Jagd nach dem Hitler-Uran

Die zwei Autoren schreiben dort:

Denn allem Anschein nach haben sie [der Mann und seine Kinder] etwas gefunden, aus dem die Nazis im Zweiten Weltkrieg eine Atombombe bauen wollten.

Und:

Kurz darauf die Bestätigung der Behörden: Ja, der Klumpen von Bernd T. ist radioaktiv. Und strahlt.

… was den Zusatz “Achtung: Wert von ca. 400 Nanosievert ist noch unbestätigt.” in der Polizeimeldung komplett missachtet.

Inzwischen haben sich auch Mitarbeiter der Strahlenschutzbehörde den 1,3-Kilo-Klumpen angeschaut und kommen zu dem Ergebnis: null Radioaktivität.

Wir wissen nicht, wann beim “Berliner Kurier” Redaktionsschluss ist. rbb24.de brachte die Nachricht, dass es sich bei dem Fund in Leegebruch nicht um radioaktives Material handelt, gestern bereits um 17:06 Uhr.

Das “Uran” in der “Kurier”-Schlagzeile ist also Quatsch. Bleibt noch der Zusammenhang mit Adolf Hitler, über den die Redaktion auf der Titelseite schreibt:

Polizei sieht Zusammenhang mit Atombomben-Forschung der Nazis.

Im Artikel machen die Autoren keine Scherze:

Kein Scherz: Auch die Polizei geht davon aus, dass strahlende Fund (sic) aus einer alten Nazi-Fabrik stammt.

Sie zitieren die Polizei sogar:

Doch wie kommt ein radioaktiv strahlender Metall-Klumpen nach Brandenburg? Die Polizei geht von einem Zusammenhang “mit der früheren Geschichte Oranienburgs und den Auer-Werken” aus.

Die komplette Aussage der Polizei steht in der bereits erwähnte Pressemitteilung und geht so:

Nicht ausgeschlossen wird derzeit ein Zusammenhang mit der früheren Geschichte Oranienburgs (Auer-Werke).

Die Polizeidirektion Nord kann sicher auch einen Zusammenhang mit dem nordkoreanischen Atomprogramm nicht hundertprozentig ausschließen. Der “Berliner Kurier” hätte also auch titeln können: “Schießt der Irre aus Nordkorea auf Leegebruch?”

Wir haben uns erlaubt, die “Kurier”-Titelseite von heute etwas zu korrigieren:

Ausriss der Titelseite des Berliner Kuriers, allerdings mit Korrekturen von uns - Durchgestichen sind Atom, Uran, radioaktives Material, Polizei sieht Zusammenhang mit Atombomben-Forschung der Nazis, der Atompilz, Fragezeichen liegen über dem Foto von Adolf Hitler und dem Namen Hitler

“Nach BILD-Informationen”

Bei dieser Nachricht vom vergangenen Freitag …

Screenshot Bild.de - JVA Heidering - U-Bahn-Treter im Knast verprügelt

… johlte das Volk mal wieder los:

Und das, liebe Freunde, nennt man Karma. Da hats mal den/die richtigen getroffen

der sollte jeden Tag Prügel bekommen, Täterschutz geht mir schon lange auf den …… wer schützt in Deutschland die Opfer

Wenn der Staat bei der Gerechtigkeit versagt kümmern sich halt die Häftlinge darum 👍 finde ich klasse und hoffe, dass es nicht das letzte mal war.

Und das sind noch die harmloseren der rund 4000 Kommentare unter dem Facebook-Post der “Bild”-Redaktion. Das Problem dabei, abgesehen von der breiten Zustimmung zur Selbstjustiz: Die Berichte von “Bild” und Bild.de sind ziemlich fehlerhaft — es ist auch heute nicht ganz klar, ob wirklich der “U-Bahn-Treter im Knast verprügelt” wurde, auf jeden Fall wurde er nicht “krankenhausreif geprügelt”, wie die “Bild”-Medien behaupten.

Am Freitagabend berichtete Bild.de, dass ein Mann in der Justizvollzugsanstalt Heidering von anderen Häftlingen zusammengeschlagen worden sei. Am Samstag gab es dazu auch in der Berlin/Brandenburg-Ausgabe der “Bild”-Zeitung einen Artikel:

Ausriss Bild-Zeitung - U-Bahn-Treter von Häftlingen krankenhausreif geschlagen

Es soll sich dabei laut “Bild”-Redaktion um jenen Mann handeln, der im Oktober 2016 auf dem Berliner U-Bahnhof Hermannstraße einer Frau in den Rücken trat. Der Fall sorgte bundesweit für Aufsehen. Nach einer Öffentlichkeitsfahndung wurde der Mann wegen gefährlicher Körperverletzung zu zwei Jahren und elf Monaten Haft verurteilt.

Bild.de schreibt zu dem angeblichen Vorfall in der JVA:

Nach BILD-Informationen soll der Angriff auf S[.] in Haus 1 der Berliner Haftanstalt passiert sein. Offenbar hatten die Angreifer die sogenannte Laufzeit abgewartet — Zeit, in der die Gefangenen zu ihren Arbeitsstellen, oder anderen Abteilungen in der JVA — gehen dürfen. […]

Pikant: S[.] wurde offenbar erst gestern nach Großbeeren gebracht, weil er in der JVA-Tegel nicht mehr “sicher” war. Wie es hieß, soll er “sicherungsverlegt” worden sein. […]

Meldepflichtig sind solche Angriffe auf Mithäftlinge spätestens dann, wenn das Opfer in ein Krankenhaus zur stationären Behandlung gebracht werden musste. Das soll gestern der Fall gewesen sein.

Wir haben bei der Berliner Senatsverwaltung für Justiz nachgefragt. Pressesprecher Sebastian Brux sagte uns, dass er zu einzelnen Häftlingen keine Informationen geben dürfe, allerdings sei allgemein festzustellen, dass “am Freitag in der JVA Heidering kein Gefangener krankenhausreif geschlagen” worden sei. Es habe auch keine Verlegung “in das Justizvollzugskrankenhaus Berlin oder in ein öffentliches Krankenhaus” stattgefunden. Brux bestätigte, dass es am Freitag “eine gewalttätige Auseinandersetzung zum Nachteil eines Gefangenen” gegeben habe. Allerdings sei dieser Insasse “zuvor nicht von der JVA Tegel in die JVA Heidering, sondern von der JVA Moabit in die JVA Heidering verlegt” worden. Es habe sich dabei auch nicht, wie von der “Bild”-Redaktion behauptet, um eine Sicherheitsverlegung gehandelt. Außerdem habe sich der Vorfall “nicht in einem Arbeitszusammenhang” ereignet.

Die “Bild”-Geschichte ist mit all ihren Fehlern bei vielen anderen Medien gelandet. “Der Westen” hat sie zum Beispiel übernommen:

Screenshot derwesten.de - Berliner U-Bahn-Treter im Knast krankenhausreif geprügelt

Genauso tz.de, immerhin mit einem Fragezeichen:

Screenshot tz.de - Wurde Berliner U-Bahn-Treter im Gefängnis krankenhausreif geschlagen?

t-online.de:

Screenshot t-online.de - Trotz Sicherheitsverlegung - U-Bahn-Treter in Gefängnis verprügelt

… wurde der 28-jährige Svetoslav S[.] von anderen Insassen attackiert und krankenhausreif zugerichtet.

rtl.de:

Screenshot rtlnext.de - Berliner U-Bahn-Treter in JVA-Heidering von Mithäftlingen krankenhausreif geprügelt

oe24.at:

Screenshot oe24.at - U-Bahn-Treter von Häftlingen verprügelt

Der 28-Jährige wurde am Freitag attackiert und krankenhausreif geprügelt.

Krone.at:

Screenshot krone.at - Berliner U-Bahn-Treter krankenhausreif geprügelt

Die Kommentare unter dem eingangs erwähnten Facebook-Post wurden irgendwann so grässlich, dass es selbst der “Bild”-Redaktion zu viel war. Sie schrieb:

Liebe User, diese Geschichte hat uns alle sehr schockiert. Aber der Täter wurde verurteilt und verbüßt seine Strafe. Es gibt ein Rechtssystem in Deutschland. Und auch, wenn manche Urteile einem persönlich nicht fair erscheinen, ist das trotzdem keine Berechtigung, Selbstjustiz zu verüben. Auch nicht im Gefängnis. Auch eine JVA ist kein rechtsfreier Raum. Darum bitten wir euch, bei euren Kommentaren sachlich zu bleiben. Hetzerische, beleidigende oder diskriminierende Aussagen werden moderiert und bei Bedarf gelöscht.

SZ-Karikaturisten-Kündigung, ND-Krise, Gesetzeswidriger Ausschluss

1. „Süddeutsche Zeitung“ trennt sich von ihrem Zeichner
(faz.net)
Die “Süddeutsche Zeitung” (SZ) hat ihre jahrzehntelange Zusammenarbeit mit dem Karikaturisten Dieter Hanitzsch beendet. Auslöser war eine eine als antisemitisch kritisierte Karikatur, die vielerorts für Empörung gesorgt hatte (Ein Beispiel: Der offene Brief der Schauspielerin und Sängerin Sandra Kreisler).
Zu einer anderen Einschätzung kommt der langjährige Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung im Deutschlandfunk, der die Kritik an der Karikatur für ungerechtfertigt hält: Die Zeichnung sei unfreundlich für Israels Ministerpräsidenten, aber nicht judenfeindlich.
Der Zeichner Dieter Hanitzsch ist sich nach wie vor keiner Schuld bewusst, wie er im Gespräch mit dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (RND) erklärt.

2. Grundstück boomt, Zeitung kriselt
(taz.de, Anne Fromm)
Dem „Neuen Deutschland“ geht es wirtschaftlich nicht gut: Die Vor-Wenden-Auflage von einer Million Exemplaren ist auf knapp 25.000 Exemplare gesunken, die Erlöse aus Anzeigengeschäft und Online sollen bescheiden sein. Doch da ist ja noch ein Trumpf: Das Verlagshaus steht auf einem Premium-Grundstück, das Schätzungen zufolge mehrere Millionen Euro wert sein soll. Nun bangt die ND-Belegschaft um ihre Zukunft.

3. Ausschluss von Pressevertretern ist gesetzeswidrig
(djv.de, Eva Werner)
Der Kreisverband der AfD Erding hat der Lokalredaktion der „Süddeutschen Zeitung“ ein Hausverbot erteilt. Wohl weil man mit der Berichterstattung unzufrieden war. Nun hat das zuständige Landratsamt in einer Pressemitteilung erklärt, dass ein solcher Ausschluss von Medienvertretern gesetzwidrig ist und mit Geldbußen bis 3.000,00 € geahndet werden kann.

4. Noch nicht 100 Tage im Amt: Barley irrlichtert
(carta.info, Christian Humborg)
Christian Humborg ist “Leiter Zentrale Dienste” bei “Wikimedia Deutschland”, dem gemeinnützigen Verein hinter dem Onlinelexikon Wikipedia. In einem Kommentar auf „Carta“ kritisiert er die Arbeit der neuen Justizministerin Katharina Barley: „Mit ihrer geplanten Unterstützung der EU-Urheberrechtsreform in der gegenwärtigen Form bricht die Justizministerin den Koalitionsvertrag, schränkt die Meinungsfreiheit ein, stellt sich gegen das Europaparlament und vertritt Axel Springer-Interessen.“

5. BND beendet illegale Datenverarbeitung
(reporter-ohne-grenzen.de)
„Reporter ohne Grenzen“ konnte im Streit mit dem Bundesnachrichtendienst einen Erfolg für sich verbuchen: Der BND hat nach jahrelangem Rechtsstreit mit der Organisation verbindlich erklärt, die illegale Analyse von Telefon-Verbindungsdaten zu beenden. In zwei weiteren Verfahren ginge der juristische Kampf von Reporter ohne Grenzen gegen anlasslose Überwachung von Journalistinnen und Journalisten durch den BND jedoch weiter.

6. “Selbst ich könnte die Regeln der DSGVO umsetzen”
(zeit.de, Lisa Hegemann)
Věra Jourová ist seit 2014 EU-Kommissarin für Justiz, Verbraucherschutz und Gleichstellung und für die in wenigen Tagen geltende Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) mitverantwortlich. Im Interview nennt sie einige gute Argumente für die Verordnung, über die derzeit (auch intern bei uns im BILDblog) so viel geächzt und gestöhnt wird.

Angst und Geld machen in Zeiten von Corona

Es ist nur ein Beispiel, aber dafür ein recht typisches, das zeigt, wie die “Bild”-Redaktion in diesen unsicheren Tagen a) Angst verbreitet und b) versucht, mit dieser Angst der Menschen Kohle zu machen:

Screenshot Bild.de - Italien schließt Zapfsäulen - Machen auch bei uns die Tankstellen dicht?

Jeder, der bisher nicht daran gedacht hat, dass ja vielleicht “auch bei uns die Tankstellen dicht” machen könnten, kann nun denken: Oh Gott, machen auch bei uns die Tankstellen dicht?

Wenn man kein “Bild plus”-Abo hat, erfährt man dazu nur:

In Italien schließen demnächst die ersten Tankstellen, kündigen die Betreiberverbände an. Ab Mittwochabend sollen demnach zunächst die Zapfstellen an Autobahnen dichtmachen, dann sollen nach und nach andere Tankstellen folgen.

Tankstellen dicht — ist das auch bei uns möglich?

Lesen Sie mit BILDplus, wie die Mineralöl-Industrie die Versorgungslage in Deutschland einschätzt!

Die Antwort auf die “Bild”-Überschrift lautet, wie so oft, wenn dort ein Fragezeichen am Ende steht: nein. In Deutschland sei es “offenbar nicht der Fall”, dass Tankstellen bald schließen müssen, steht im Artikel. Ein Sprecher des Mineralöl-Wirtschaftsverbands sagt, “bei uns” sehe es gut aus. Und der Hauptgeschäftsführer des Verbands antwortet auf die Frage, ob die Versorgung aufrechterhalten werden kann:

“Eindeutig ja, Benzin und Diesel sind jederzeit verfügbar.”

Die durchaus wichtige Info, dass an der Tankstellenfront alles in Ordnung ist, gibt es nur gegen Bezahlung.

Klar, auch die “Bild”-Redaktion muss zusehen, wie sie ihre Arbeit finanziert. Aber muss sie dafür wirklich die Notlage von Menschen ausnutzen, wie in diesem Fall?

Screenshot Bild.de - Diesen Artikel lesen Sie nur mit Bild plus - Was gestrandete Urlauber jetzt wissen müssen - So kriegen Sie einen Platz im Rettungsflieger

Zumal gestrandete Urlauberinnen und Urlauber die Antworten auf ihre wichtigsten Fragen sowieso beim Auswärtigen Amt bekommen — ohne vorher ein Abo abschließen zu müssen.

Wir würden gar nicht soweit gehen, dass alle Artikel zum Coronavirus, egal von welcher Redaktion, kostenfrei abrufbar sein sollten. Aber die grundlegenden. Die, die Menschen zum Beispiel bei der drängenden Frage helfen, ob sie sich “jetzt testen lassen” sollen. Die “Bild”-Redaktion will mit der “ANGST VOR CORONA-INFEKTION” aber lieber Geld machen:

Screenshot Bild.de - Angst vor Corona-Infektion - Soll ich mich jetzt testen lassen?

Eine kostenlose Antwort darauf gibt es bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.

Mit Dank an Bloodtrain für den Hinweis!

Parlament gegen SLAPP-Klagen, Diversität, Dislike für Dislikes

1. EU-Parlament gegen SLAPP-Klagen
(verdi.de)
“SLAPP” ist die englische Abkürzung für strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung (Strategic Lawsuits Against Public Participation). Sie dienen dazu, Medienschaffende sowie Aktivistinnen und Aktivisiten einzuschüchtern und von ihrer Arbeit abzuhalten. In einer gestern in Brüssel mit großer Mehrheit verabschiedeten Resolution haben die EU-Abgeordneten unter anderem Regeln für die frühzeitige Abweisung solcher Klagen gefordert.

2. Moderator Dirk Steffens: “Es ist falsch, Verblendeten das Wort zu erteilen”
(rnd.de)
Der “Terra-X”-Moderator Dirk Steffens hat im Gespräch mit der Nachrichtenagentur “teleschau” den Umgang von Medien mit Corona- und Klimaleugnern kritisiert und als “Grundversagen” bezeichnet: “Es ist falsch, über Unsinn zu berichten und Verblendeten das Wort zu erteilen. Wir haben das journalistisch die ganze Zeit gemacht und damit riesigen Schaden angerichtet.”

3. Üble Nachrede: Wolfgang Fellner bekennt sich falscher Aussagen über Katia Wagner schuldig
(derstandard.at)
Bis zuletzt hatte Wolfgang Fellner, Herausgeber der Zeitung “Österreich” und des Onlineportals oe24.at, die gegen ihn erhobenen Belästigungsvorwürfe abgestritten und als “frei erfunden” bezeichnet. Nun hat die Angelegenheit vor Gericht eine Wendung und damit ein unerwartet rasches Ende gefunden: Nachdem der Anwalt der Opferseite angeboten hatte, dem Gericht als Beweismittel Tonaufnahmen vorzulegen, knickte Fellner ein.

Bildblog unterstuetzen

4. Youtube verbirgt Zahl der “Mag ich nicht”-Klicks bei Videos
(faz.net)
Youtube will seinen Uploadern künftig die Möglichkeit einräumen, die Zahl der Negativ-Bewertungen (“Dislikes”) unter ihren Videos verbergen. Damit sollen Mobbing und sogenannte “Dislike-Attacken” verhindert werden, so das Unternehmen. Die Nutzer und Nutzerinnen sollen sich laut Youtube sicher fühlen, sich auf der Plattform auszudrücken.

5. Das Streben nach Diversität in deutschen, britischen und schwedischen Redaktionen
(de.ejo-online.eu, Olivia Samnick)
In einer neuen Studie diskutieren die Autorinnen und Autoren, wie sich Redaktionen divers(er) gestalten lassen. Sie haben dazu 18 Nachrichtensender in Deutschland, Schweden und Großbritannien untersucht. Olivia Samnick fasst die Ergebnisse zusammen und macht auf ein dort benanntes, weiteres Problem aufmerksam: “Vergangene Untersuchungen legen nahe, dass ein diverses Team noch lange nicht diversere Medieninhalte hervorbringt.”

6. Wetten, dass das alte Fernsehen eine Zukunft hat?
(meedia.de, Tobias Singer)
Gegen alle Streaming-Tendenzen bricht “Meedia”-Redakteur Tobias Singer eine Lanze für das lineare Fernsehen und wagt eine Prognose: “Der Streaming-Hype wird abebben. Netflix und Co. sichern sich die großen Marktanteile, aber am Ende gibt es eine Übersättigung, dann kommt die Langeweile, gefolgt von einer Abkehr. Und auch Netflix staubt als Label für gute Unterhaltung an. Und das lineare Fernsehen wird eine Sehnsucht nach einem festen Programm zu einer festen Uhrzeit befriedigen.”

Flüchtlingszitat, #keinZwerg, ARD-Idiotien

1. Vergleichsweise kriminell: Das Flüchtlingszitat des Innenministeriums
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Das Bundeskriminalamt (BKA) hat in der vergangenen Woche erstmals bundesweit erhobene Daten zu Straftaten von Zuwanderern veröffentlicht. In dem Zusammenhang fiel die Äußerung: „Zuwanderer sind nicht krimineller als Deutsche.“, was jedoch nicht aus den Zahlen des BKA-Berichtes abgeleitet werden könne, so Medienjournalist Stefan Niggemeier auf “Übermedien”. Vermutlich sei die Aussage nicht einmal richtig, werde aber ungeprüft von vielen Medien verbreitet. Niggemeier rätselt über die Motive und fragt sich und die Leser: “Ist das die Nachrichtenroutine, in der ein korrektes Zitat erst einmal ein korrektes Zitat ist, auch wenn es inhaltlich nicht korrekt ist? Oder spielt dabei ein Wunsch der Journalisten eine Rolle, solche eine positive Nachricht zu verbreiten?”

2. Matthias Matussek und andere Leidensgenossen
(rnd-news.de, Ulrike Simon)
Ulrike Simon beschäftigt sich mit den Meldungen eines Branchendienstes, der jüngst bei Springer unrühmlich ausgeschiedene Matthias Matussek und sein umstrittener Anwalt Joachim Steinhöfel könnten eine Videokolumne bekommen: ausgerechnet bei einer zum Springer-Kosmos gehörenden Webseite. Eine etwas voreilige Meldung, denn dort ist man mittlerweile zurückgerudert. Ulrike Simon schreibt: “Matussek bleibt vorerst die „Weltwoche“, bei der ihn Roger Köppel als regelmäßiger Autor engagiert hat, und Steinhöfel lässt sich entweder auf der illustren Seite „Achse des Guten“ oder gleich im eigenen Blog aus, wo er mal dem „Welt“-Vize Ulf Poschardt unterstellt, geistige Miniaturen zu verfassen oder einen anders als er denkenden Redakteur der „Süddeutschen“ einen „gemütsverrotteten Spitzbuben“ nennt. Es ist also jeder da, wohin er gehört.”

3. Kleiner Mann – und nun? #KeinZwerg
(leidmedien.de, Lilian Masuhr)
Anlässlich des Todes des Schauspielers Michu Meszaros, der im Kostüm des TV-Außerirdischen “Alf” steckte, hat die “SZ” eine betextete Bilderstrecke über “Kleinwüchsige in der Showbranche” veröffentlicht. Einige der Formulierungen des “Lobs auf die menschliche Verschiedenheit” sorgten sowohl bei Betroffenen als auch Nicht-Betroffenen für Kritik. “Leidmedien” schreibt, was genau an den Sätzen als störend empfunden wird. Mittlerweile hätte sich auch der Autor des Ursprungsartikels mit einer Leserbriefantwort gemeldet. Wie viel von der Eigenbeschreibung “Lernt viel und gern und von jedem immer was dazu.” zutreffend ist, muss dabei jeder selbst entscheiden.

4. Will they stay or will they go? Brexit und die Medien
(carta.info, Fridtjof Küchemann)
Nina Trentmann arbeitet als Korrespondentin in London und verfolgt mit besonderem Interesse die Medienberichterstattung über das Referendum, den sogenannten “Brexit”. Was sie immer wieder wundere: Die klar erkennbare Parteinahme führender britischer Blätter und Sender. Dies sei in Wahlzeiten so, wo die führenden Blätter sogar Wahlempfehlungen abgegeben hätten und wiederhole sich nun beim Brexit. Einer Studie des “Reuters Institute for the Study of Journalism” zufolge herrsche bei den führenden Medien des Landes eine Präferenz für den Brexit.

5. „Österreich” hat eine kriminelle Dauerexplosion
(kobuk.at, Martin Straudi & Gabriele Scherndl)
Das Medienwatchblog “Kobuk” kritisiert die Panikmache des Gratisblatts “Österreich”. Obwohl die Kriminalstatistik das Gegenteil belege, werde Österreich in „Österreich” immer gefährlicher. In einer Chronologie der Kriminalberichterstattung zeigt man einige Beispiele für die reißerische Berichterstattung des Blatts.

6. “Beckmanns Sportschule”: Wie viele Idiotien soll diese Welt noch aushalten?
(spiegel.de, Jürgen Roth)
Die ARD-Sendung “Beckmanns Sportschule” sorgt allerorten für Entsetzen und Verstörung. Auch Schriftsteller Jürgen Roth hat entsprechende Erfahrungen gemacht und schreibt auf “Spiegel Online”: “Der peinliche, das Laienschauspiel im läppisch-jovialen Zwinkerzwinkertonfall krönende Plauderoheim Reinhold Beckmann tapert mit seinen Gästen durch Gänge und Treppenhäuser, und irgendwann krault Horst Hrubesch auf der Couch im “Bernsteinzimmer des deutschen Fußballs” den zehnjährigen (ja, das erfahren wir) Hund des Moderators, der gestern ausgiebig übers pittoreske Gelände strolchen durfte. Das haben sie sich beim Sat.1-Frühstücksfernsehen abgeguckt, allwo jahrelang ein Mops herumhoppelte. Hier, in dieser “etwas wahnsinnigen Männer-WG” ist nichts mehr zu retten.”

Ob rot, ob braun, Bild.de schreibt nur über blonde Frau’n

Am Montagabend gegen 20:15 Uhr muss wieder die tönende Sirene durch die Redaktionsräume von Bild.de geschrillt haben: “Achtung! Achtung! Bei ‘Wer wird Millionär’ sitzt eine Blondine auf dem Kandidatenstuhl. Ich wiederhole: eine Blondine!” Und schon machten die Mitarbeiter den Fernseher an und sich selbst ans Werk.

Bild.de veröffentlicht häufig eine Nachlese zur aktuellen “Wer wird Millionär”-Folge, vermutlich für all diejenigen, die sich brennend für das 17 Jahre alte TV-Format interessieren, aber dann doch nicht einschalten. Und am Montagabend sitzt dann eben eine junge Frau Günther Jauch gegenüber. Sie ist blond. Sie studiert Psychologie. Für Bild.de ist sie “Psycho-Blondi”:

Die Haarfarbe ist Bild.de besonders wichtig, wenn es um die “RTL”-Quizshow geht. Zumindest wenn sie in etwa blond ist und zu einer Frau gehört. “Sitzt eine Blondine bei ‘Wer wird Millionär'” könnte der Beginn eines ollen Blondinenwitzes sein, der bei einem Großteil des Bild.de-Publikums sicher gut ankommen würde.

Hier eine kleine Auswahl der Bild.de-Blondinenberichterstattung:





Das Netz lachte sich über die Jauch-Blondine kringelig.

All ihre Selbstironie („Und jetzt wäre es schön, wenn ich mal was wissen würde“ und „Hauptsache, ich blamier mich hier nicht“) half der Blondine aber nicht

Obwohl die Blondine in Jauchs Sendung ziemlich selbstbewusst wirkte

Auf YouTube hat die Blondine übrigens einen eigenen Kanal

lässt sich gerade zur Stuntfrau ausbilden und trägt ihr Haar rosa-blond

Die Blondine: „Ich bin nervös.“

Jauch belehrte die Blondine erst einmal

Die Blondine ruft ihren Freund an

“Bessere Publicity, als dass eine blonde Mode-Studentin […]”

Als die Blondine sich immer noch nicht entscheiden konnte

Er ließ die kichernde Blondine auf ihrem Stuhl sitzen

Als der Mann erzählte, dass er auch eine blonde Tochter habe

Die 50-Euro-Frage konnte die Blondine als erste Kandidatin aller Zeiten nicht richtig beantworten.

stürmte die Blondine auf Jauch zu

um der Blondine diese Blamage zu ersparen

grinste die blonde Rebecca

verabschiedete sich die blonde Rebecca dann aus der Sendung

Tagsüber verkauft die attraktive Blondine Versicherungen

An der ersten Frage scheiterte vor der Blondine zwar noch keiner

Diese Blondine war bei “Wer wird Millionänr” [sic] nicht auf den Kopf gefallen

eher wenig Verständnis für die junge Blondine

Die blonde Synchronsprecherin

will Jauch von der Blondine wissen.

Der war sofort Feuer und Flamme und machte der Blondine einen Vorschlag

Als sich die Blondine die Seitennaht genauer ansehen wollte, griff sie beherzt den Zipfel von Jauch’s Hemd

Die Blondine entschied sich fälschlicherweise für D.

Mühsam lavierte sich die Blondine durch den Fragendschungel

Deshalb hat die fußballbegeisterte Blondine wieder angefangen

Blond, hübsch und nicht bei jeder Frage immer sofort auf der Höhe

Die hübsche Blondine Verena

Die hübsche Blondine verstand die Frage nicht

Die hübsche Blondine lächelt verschmitzt

Da hatte die hübsche Blondine dem Moderator einen Zettel zugesteckt.

an dem Beruf der hübschen Blondine aus dem Harz

Außerdem bat er die hübsche Blondine darum

Die blonde Augenweide leitet die „Jodelschule Kreuzberg“ in Berlin.

Wenn man stattdessen mal nach brünetten “Wer wird Millionär”-Kandidatinnen sucht, bei denen die Haarfarbe für Bild.de eine Erwähnung wert war, ist die Ausbeute übrigens deutlich mauer:

Babykatzengate, Fusselnabelschau, BILDverschwörer

1. ROG entsperrt blockierte Webseiten
(reporter-ohne-grenzen.de)
Am gestrigen Welttag gegen Internetzensur hat “Reporter ohne Grenzen” fünf zensierte Webseiten in Aserbaidschan, Katar, Saudi-Arabien, der Türkei und Turkmenistan entsperrt. Um die zensierten Seiten zugänglich zu machen, wurden die Webseiten gespiegelt und auf den Cloud-Servern großer Anbieter wie Amazon, Microsoft und Google abgelegt. “Zahlreiche autoritäre Regime sperren Inhalte im Internet, um kritische Informationen von ihren Bürgern fernzuhalten. Mit dieser Aktion protestieren wir gegen die Bemühungen von Staaten, unabhängige Informationsquellen zu sperren. Regierungen dürfen nicht nach Belieben entscheiden, was Menschen wissen und welche Meinungen sie sich bilden.“

2. Fünf Vorschläge für den Umgang mit Fake News
(sueddeutsche.de, Georg Mascolo)
Georg Mascolo macht auf “sueddeutsche.de” fünf Vorschläge für den Umgang mit Fake News. Gleich am Anfang klärt er einen beliebten Irrtum in der Fake-News-Debatte auf: “Irrtümer, falsche Einschätzungen, Übertreibungen oder schlechter Journalismus sind keine Fake News. Nur wenn Journalisten trotz späteren besseren Wissens erkannte Fehler nicht korrigieren, wird aus einem Irrtum eine Lüge. Journalismus lebt von sorgfältiger Abwägung und doppelter Überprüfung, Vereinfachung ist notwendig, darf aber die Substanz nicht verändern.”

3. Michael Wolffsohn weiß die „Wahrheit“ über sämtliche Axt-Angriffe
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Einen “außergewöhnlich dummen und gefährlichen Kommentar” nennt Stefan Niggemeier das, was der Historiker Michael Wolffsohn an unbewiesenen Behauptungen und Verschwörungsvermutungen um die Axt-Angriffe in Düsseldorf zusammengezimmert hat. “Wolffsohn ist damit nicht allein, er ist in bester rechter und rechtsextremer Gesellschaft. Man findet Leute wie ihn, die nichts mehr glauben und alles schon wissen, die eine große Verschwörung zur Irreführung der Bevölkerung vermuten, an vielen Stellen im Internet. „Bild“ verschafft ihnen Gehör.”

4. Berliner Nabelschau
(faz.net, Andrea Diener)
Zwischen 1912 und 1937 erschien in Berlin das Magazin “Die Dame”. Die Texte drehten sich um Kultur, Mode und Gesellschaft, das Frauenbild war fortschrittlich. Nun relauncht der Axel Springer Verlag das historische Magazin. Andrea Diener kann dem Unternehmen wenig Gutes abgewinnen: “Diese Zeitschrift guckt auf sich selbst, seziert die Fusseln im eigenen Nabel und stolpert dabei über die zu großen Stöckelschuhe. Man möchte ihr beim besten Willen nicht dabei zusehen müssen, Unfälle gibt es auf der Straße schon genug.”

5. Er hat CIA gesagt!
(zeit.de, Patrick Beuth)
Das Ansehen von Wikileaks hat in den letzten Jahren sehr gelitten. Kritiker werfen der Plattform vor, durch das unredigierte Veröffentlichen, Unschuldige zu gefährden, fragwürdige Botschaften zu verbreiten und einer politischen Agenda zu folgen. Wie also mit den Leaks umgehen? Patrick Beuth hat sich auf “Zeit Online” Gedanken zu diesem Problem gemacht.

6. Babykatzengate
(taz.de, Malte Göbel)
Die Literatin und Bachmann-Preisträgerin Stefanie Sargnagel muss sich seit Tagen eines absurden Shitstorms erwehren, losgetreten von der rechten österreichischen Boulevardzeitung “Kronenzeitung”. Im Zuge des “Babykatzengates” ist sie nun auch noch für 30 Tage auf Facebook gesperrt worden. Sargnagel vermutet, “weil FPÖ-Wähler und Kroneleser mein Profil gemeldet haben“. Auf Twitter hat sie den Vorgang aus ihrer Sicht zusammengefasst.

Anhörung des Facebook-Roboters, Schreiende Stille, Amokredakteure

1. Das Pokerface
(zeit.de, Julian Heißler)
Facebook muss sich seit dem neuerlichen Aufflammen der Cambridge-Analytica-Affäre unangenehme Fragen stellen lassen. Nun hat es auch den Chef erwischt: Der US-Senat hatte Mark Zuckerberg zu einer Anhörung eingeladen. Zuckerberg gab sich ernst, reuig und kontrolliert. Kein Wunder: Facebooks Aktienkurs hatte jüngst spürbar nachgelassen. Und zog nach seinem Auftritt prompt wieder an.

Weitere Lesetipps: Spickzettel fotografiert: Auf diese Fragen hatte sich Zuckerberg vorbereitet (spiegel.de)
Und: Was wir Herrn Zuckerberg gerne mal ganz naiv fragen würden (netzpolitik.org, Alexander Fanta)
In Europa will sich Zuckerberg keiner Befragung stellen. Sollte er aber doch mal in den Bundestag zitiert werden, hat Netzpolitik.org schon mal ein paar passende Fragen bereit.


Wem nach etwas Aufheiterung ist: Im Twitch-Chat wurde während der Übertragung der Anhörung fleißig am Zuckerberg-Robot-Meme gewerkelt: Twitch roasts Mark Zuckerberg the only way that Twitch can (polygon.com, Julia Alexander)


2. Wo bleibt der Aufschrei?
(spiegel.de, Christoph Sydow)
Am vergangenen Freitag hat die israelische Armee bei den Protesten im Gazastreifen den palästinensischen Journalisten Yaser Murtaja erschossen. Dieser stand mehr als hundert Meter vom Grenzzaun entfernt und trug eine Schutzweste mit der Aufschrift „Press“. Israels Verteidigungsminister Avigdor Lieberman ist sich keiner Schuld bewusst: “Man muss verstehen, dass es keine unschuldigen Menschen in Gaza gibt. Jeder ist mit der Hamas verbunden, die werden alle von der Hamas bezahlt“. Nahost-Kenner und „Spiegel“-Redakteur Christoph Sydow wundert sich, warum sich in Deutschland kaum ein Journalist über den Vorfall aufregt und stellt fest: „Murtajas Tod wird achselzuckend zur Kenntnis genommen. Das ist falsch.“

3. “Ein Mann”, Max M. oder Max Mustermann?
(deutschlandfunk.de, Francisca Zecher & Henning Hübert)
Viele Medien haben den Namen des Amokfahrers von Münster genannt, nicht jedoch der „Deutschlandfunk“. Der Name habe für die Hörerinnen und Hörer keinen Nutzen oder Mehrwert. Außerdem mahne der Pressekodex in solchen Fällen zur Zurückhaltung. Es habe jedoch schon Ausnahmen von dieser Praxis gegeben, so Francisca Zecher aus der “DLF”-Nachrichtenredaktion.

4. MDR darf Aufnahmen von Tierquälerei zeigen
(sueddeutsche.de)
In einem Bericht über Missstände in Bio-Hühnerställen hatte der MDR 2012 heimliche Filmaufnahmen gezeigt. Dagegen wehrte sich der Betreiber der Anlage juristisch und verklagte den Sender auf Unterlassung. Jetzt hat der BGH die heimlichen Filmaufnahmen für rechtens erklärt.

5. Fahndung wegen 6.400 Euro
(taz.de, Sebastian Erb & Martin Kaul)
Neuigkeiten in Sachen Keylogger-Affäre: Der frühere “taz”-Redakteur Sebastian Heiser wird nun per Haftbefehl gesucht. Heiser war wegen Ausspähung von Daten verurteilt worden, nachdem er dabei erwischt wurde, wie er einen als USB-Stick getarnten Keylogger von einem Rechner abzog. Wie sich später herausstellte, hatte er über ein Jahr lang Kolleginnen und Kollegen ausspioniert. Nach dem Auffliegen kam das Ausfliegen: Der frühere „taz“-Redakteur soll mittlerweile in Südostasien leben. In einem Land, das über kein Auslieferungsabkommen mit Deutschland verfügt.

6. Live: Alles, was n-tv und Welt nicht so genau wissen
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
In Zusammenhang mit der Amok-Fahrt in Münster hatte die Polizei auf Twitter darum gebeten, nicht über das Motiv des Täters oder den Tathergang zu spekulieren. Die privaten Nachrichtensender „n-tv“ und „Welt“ (ehemals: „N24“) sahen das anders und haben aus dem Vorfall ein Boulevardstück zusammengezimmert, in dem geraunt und fantasiert wurde, dass sich die Einschaltquotenbalken bogen. Nach Lektüre der Aufarbeitung von Boris Rosenkranz bei „Übermedien“ fragt man sich, wie den vermeintlichen Nachrichtenprofis so etwas geschehen konnte: War es Inkompetenz, Fahrlässigkeit oder ignoranter Vorsatz?

Es gibt kein Modern-Talking-Comeback

Die — je nach Musikgeschmack — gute beziehungsweise schlechte Nachricht vorweg: Es wird kein Modern-Talking-Comeback geben. Auch wenn viele Medien das heute behaupten:

Screenshot bz-berlin.de - Live-Konzert im August - Dieter Bohlen feiert Modern-Talking-Comeback in Berlin
(bz-berlin.de)
Screenshot derstandard.at - Dieter Bohlen verkündet via Bild Modern-Talking-Comeback
(derstandard.at)
Screenshot Stern.de - Comeback - Modern Talking kehrt zurück - diesmal ohne Thomas Anders - Ende August wird You're My Heart, You're My Soul wieder in Deutschland auf der Bühne zu hören sein: Modern Talking startet ein Comeback. Das kündigte Dieter Bohlen an. Auf Thomas Anders will er dieses Mal aber verzichten.
(Stern.de)
Screenshot Volksstimme.de - Modern-Talking-Comeback mit Dieter Bohlen
(Volksstimme.de)

Was es gibt: Einen geschickten PR-Schachzug von Dieter Bohlen und “Bild”, und zahlreiche Redaktionen, die mal wieder blind hinterherlaufen.

Tatsächlich kündigt “Bild” heute exklusiv an, dass Dieter Bohlen nach langer Zeit mal wieder in Deutschland auftreten wird. In der Titelzeile auch das Wort “Comeback”:

Ausriss Bild-Zeitung - Nach 16 Jahren! Dieter Bohlen - Comeback als Modern Talking

Gestern Abend bereits gab es die Meldung bei Bild.de, allerdings ohne das Wort “Comeback”:

Screenshot Bild.de - Das erste Konzert nach 16 Jahren - Warum Dieter Bohlen wieder Modern Talking singt und keine Lust mehr auf Thomas Anders hat

Dass “Bohlen wieder Modern Talking singt” trifft es deutlich besser als das Gerede vom Modern-Talking-Comeback. Denn: Bohlen wird bei seinem Auftritt im August auch Modern-Talking-Songs spielen. Auch. Genauso werde es aber Songs von “Blue System” zu hören geben oder welche von “Deutschland sucht den Superstar”. Das steht so auf dem Plakat, das den Bohlen-Auftritt ankündigt. Und Dieter Bohlen erzählt es auch im Interview mit Bild.de:

Auf was dürfen sich die Fans freuen?

Bohlen: “Ich habe 21 Nummer-1-Hits — und die wollen die Fans ja hören. Ich habe die Bands früher immer gehasst, wenn sie ihre alten Hits nicht gespielt haben, sondern den aktuellen Mist, den sie selber gerade gut finden. Am Ende kam dann der Hit. Das ist Mist. Daher spiele ich Modern Talking, Blue System aber auch ‘We have a dream’ von DSDS oder ‘Midnight Lady’ von Chris Norman. Ein Abend mit den Meilensteinen meiner Karriere.”

“Ein Abend mit den Meilensteinen” aus Dieter Bohlens Karriere wird zum Modern-Talking-Comeback. Man stelle sich vor, Paul McCartney singt bei “Carpool Karaoke” Beatles-Songs. Das wäre dann auch kein Beatles-Comeback. Oder Thomas Anders, Bohlens früherer Partner, spielt auf Konzerten die alten Modern-Talking-Sachen. Genau das macht er auch seit Jahren. Und niemand spricht oder schreibt von einem Modern-Talking-Comeback.

Dass bei vielen Medien nun doch von einem solchen Comeback die Rede ist, und dass das Hashtag #ModernTalking bei Twitter trendet, ist vor allem ein Erfolg für Dieter Bohlen und “Bild”. Denn beide wollen an der Sache verdienen. Bohlen, klar, indem er Tickets verkauft. Und die “Bild”-Redaktion ebenfalls, indem sie Tickets (und Abos) verkauft. Denn die gibt es exklusiv bei Bild.de und nur mit einem “Bild plus”-Abo:

Screenshot Bild.de - Diesen Artikel lesen Sie nur mit Bild Plus - Endlich wieder die Songs von Modern Talking live - Hier gibt es die Tickets für Bohlens Mega-Comeback - Mittwoch, 10 Uhr, startet in diesem Artikel der exklusive Vorverkauf für das erste Deutschland-Konzert von Dieter Bohlen seit 2003!

Vom Witwenschüttler zum Chefredakteur

Vergangene Woche jährte sich der Amoklauf in Winnenden zum zehnten Mal. Ein Jugendlicher tötete am 11. März 2009 an seiner Schule 15 Menschen und sich selbst.

Das NDR-Medienmagazin “Zapp” zeigte Ende Februar noch einmal, wie Medien und Journalisten damals vor Ort vielfach Grenzen überschritten. Dafür führten die “Zapp”-Reporter Daniel Bouhs und Sabine Schaper auch ein Interview mit SWR-Reporter Knut Bauer, der vor zehn Jahren für den ARD-Hörfunk in Winnenden war. Bauer erzählt unter anderem diese Geschichte:

Noch schlimmer habe ich es erlebt in einem Fotogeschäft. Auch da habe ich nicht drüber nachgedacht. Und da war es auch eine ganz bizarre Situation, dass die Frau in diesem Fotoladen mich eigentlich fast wieder rausschmeißen wollte. “Gehen Sie, gehen Sie, gehen Sie.” Und ich habe dann gesagt: “Jetzt lassen Sie uns erstmal in Ruhe drüber reden. Ich weiß, dass es ganz schwierig ist. Ich mache ja auch nur meinen Job und mir ist es auch nicht wohl dabei.” Und dann kam ein anderer Mitarbeiter oder ihr Sohn — ich weiß gar nicht, wer es war — und hat das Gespräch dann übernommen und hat mir erzählt, dass am Tag vorher auch Boulevardjournalisten da waren, die Geld auf den Tisch gelegt haben, um Fotos, Konfirmationsfotos von den toten Schülerinnen und Schülern zu bekommen. Also das ist dann schon bizarr und abstoßend. Und ich muss ganz ehrlich sagen: Da gab es viele Situationen, wo ich mich dann auch geschämt habe.

Wer macht sowas? Wer bedrängt Leute, die trauern, die mitgenommen sind, die sich in einer emotionalen Ausnahmesituation befinden — nur um an Fotos von getöteten Menschen zu kommen? Zum Beispiel “Bild”-Chef Julian Reichelt.

Reichelt war damals, als die Medienmeute in Winnenden einfiel, natürlich noch nicht Chefredakteur. Aber er war für Bild.de als Reporter dabei. Es gibt ein Video von ihm:

Screenshot eines Bild.de-Videos, in dem Julian Reichelt in Winnenden zu sehen ist

Reichelt sagt darin:

Hier in Süddeutschland, in dieser scheinbaren Idylle, begann einer der blutigsten Amokläufe der deutschen Kriminalgeschichte.

Leutenbach, in der Nähe von Stuttgart in Baden-Württemberg, eine Stadt unter Schock. Hier in dem Haus hinter mir hat Amokläufer Tim K. gewohnt. Von hier brach er auf auf seinen blutigen Feldzug.

Patrick S. hatte gerade Deutschunterricht an der Albertville-Realschule in Winnenden, als der kaltblütige Amokschütze Tim K. sein Blutbad begann. Mehrere Kugeln trafen den Schüler.

“Bild” sitzt im Wohnzimmer der Familie von Patrick S. und lässt den Schüler seine mit Pflastern überklebten Verletzungen zeigen. Es folgt ein Interview, das offenbar nicht Reichelt führt, jedenfalls klingt die Stimme des Interviewers anders. Patrick S. kann zu den Fragen (“Was hatte er für eine Waffe?”, “Eine Waffe? Oder hatte er mehrere?”, “Was hatte er an?”, “Wie oft hat er geschossen?”, “Hat denn jemand geschrien?”) nicht wirklich etwas sagen. Es schüttelt wiederholt den Kopf, atmet tief durch.

Dann setzt Reichelt erneut ein, als Off-Sprecher:

Patricks Mitschülerin Chantal ist eine der ermordeten Schülerinnen. Er zeigt uns ein altes Klassenfoto. Ein weiteres Opfer des Killers von Winnenden ist Jana. Sie galt unter Mitschülern als beliebt, kontaktfreudig, lebensfroh. Wie Patrick ging auch sie in die neunte Klasse der Realschule und stand kurz vor ihrem Schulabschluss. Jana und Chantal — junge Mädchen aus der Nachbarschaft des Täters.

Im Video sind die Bilder der beiden Mädchen unverpixelt und in Großaufnahme zu sehen (daher verzichten wir auf einen Link). Der Vater von Chantal äußerte sich kurze Zeit später dazu, dass “Bild” und einige Fernsehsender Fotos seiner Tochter zeigten: “Dreimal hintereinander sind Bilder von Chantal erschienen, ohne dass wir das gewollt hätten. Wir hätten das nie erlaubt.” Die “Bild”-Medien veröffentlichten nach dem Amoklauf wieder und wieder Fotos, auf denen die Opfer zu sehen waren. Und Julian Reichelt hat mitgemacht.

Heute leitet Reichelt also die “Bild”-Medien. Und es sieht nicht danach aus, als würde seine Redaktion in absehbarer Zeit darauf verzichten, Fotos von Verstorbenen zu zeigen. Solche Aufnahmen begegnen uns immer wieder, mitunter groß auf der “Bild”-Titelseite. Erst vor ein paar Tagen, nach dem Absturz eines Flugzeugs in Äthiopien, bei dem 157 Menschen ums Leben kamen:

Ausriss Bild-Titelseite - Die deutschen Opfer aus dem Todesflieger
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag stammen von uns.)

Wobei “Die deutschen Opfer” vor allem bedeutet: Die drei deutschen Opfer, bei denen die “Bild”-Redaktion an Fotos gelangen konnte (und von denen “Bild” auch noch die Berufe und die kompletten, teilweise falschen Namen nennt). Die zwei weiteren Deutschen, die bei dem Absturz gestorben sind, spielen in der “Bild”-Ausgabe keine Rolle.

Es müssen auch gar nicht große Ereignisse wie ein Amoklauf oder ein Flugzeugabsturz sein, nach denen die “Bild”-Mitarbeiter losziehen, Fotos von Verstorbenen zusammenklauben und diese groß und ohne Unkenntlichmachung abdrucken:

Ausriss Bild-Titelseite - F (16) und L (16) von S-Bahn überrollt - zwei 17-Jährige in U-Haft - Nach Disco in den Tod gestoßen - dazu zwei unverpixelte Fotos der verstorbenen Jugendlichen

In diesem und in manchen anderen Fällen bringen die Familien der Verstorbenen die bewundernswerte Kraft auf, sich in einer Zeit tiefster Trauer gegen die Schweinereien der “Bild”-Redaktion zu wehren.

Cola light im Keller statt Kreml

Julian Reichelt und sein “Bild”-Team witterten direkt die ganz große Sache:

Normalerweise ist das eine Methode der Hacker des russischen, auf Cyberkrieg spezialisierten Militärgeheimdienstes GRU.

Bei russischen Geheimdiensten heißt solches Material “Kompromat” — Erpressungs-Material.

Dritte Spur: der russische Militärgeheimdienst GRU. Putins Cyberkrieger hackten sich bereits ins Bundestagsnetz. Reste dieser Angriffe könnten jetzt für den erneuten Daten-Angriff genutzt worden sein

Als Urheber oder Unterstützer kämen Staaten wie Russland und China infrage, hieß es zunächst. Besonders Russland steht im Verdacht, seit Jahren massiv Hackerangriffe auf Deutschland zu befehlen. Auch ein Zusammenwirken Russlands mit rechtsextremen deutschen Gruppen sei nicht auszuschließen.

Und der “Bild”-Chef selbst sprach von “einer größeren Struktur”, die dahinterstecken müsse. Das seien “nicht ein oder zwei Jungs” gewesen, “die bei Pizza und Cola light im Keller gesessen haben, bisschen Computerspiele, bisschen Youtube und dann bisschen was gehackt haben”. Das müsse “eine größere Zahl von Personen” gewesen sein “und vor allem eine professionell vorgehende große Anzahl von Personen, die dieses Material aufbereitet hat.” Wie viele? Reichelt tippte auf “eine gut zweistellige Zahl von Personen”, “die sich damit beschäftigt haben muss”, und zumindest mit “staatlicher Unterstützung, von welcher Seite auch immer”.

Jetzt, ein gutes halbes Jahr nach dem großen Diebstahl von Daten zahlreicher Prominenter und Politiker, steht fest: Weiter hätten Reichelt und “Bild” nicht danebenraten können.

Die Sonderkommission “Liste” des Bundeskriminalamts hat viele Monate ermittelt, zweitweise mit 50 Beamten, mit Experten des Staatsschutzes. Es sei eine “ungewöhnlich gründliche Ermittlung” gewesen, schreiben Georg Mascolo und Ronen Steinke bei Süddeutsche.de. Im Herbst soll es am Amtsgericht im hessischen Alsfeld einen Prozess gegen Johannes S. geben, wegen des Ausspähens von Daten, Datenhehlerei und Verstößen gegen das Datenschutzgesetz. Mehr nicht. Und nichts deutet auf “den russischen Militärgeheimdienst GRU”, “Putins Cyberkrieger” oder eine “staatliche Unterstützung, von welcher Seite auch immer” hin. Johannes S. gilt nach wie vor als Einzeltäter.

Auch Reichelts Geraune vom professionellen Vorgehen ist offenbar Quatsch. Mascolo und Steinke schreiben:

Denn Johannes S., so steht inzwischen fest, war kein sonderlich talentierter und schon gar kein genialer Hacker: Er hatte einfach viel Zeit und Geduld, er rüttelte an jeder elektronischen Tür. Blieb eine verschlossen, versuchte er es bei der nächsten.

Die Methoden, die Johannes S. verwendet haben soll, klingen tatsächlich ziemlich simpel:

Die eine war das Fischen in uralten Datenbanken. Gehackte Email-Passwörter liegen millionenfach in Datenbanken von Kriminellen im Netz, viele wollen damit Geld verdienen. Sind die Passwörter schon älter, bekommt man sie aber auch umsonst. Johannes S. soll gezielt solche Uralt-Passwörter gesucht haben, die einst seinen potenziellen Opfern gehörten. Anschließend soll er deren aktuelle Accounts gesucht und das alte Passwort dort ausprobiert haben. Und siehe da, manche Menschen verwenden jahrelang dasselbe Passwort. So einfach war es.

Bei Methode Nummer zwei habe er sich Fotomontagen von Personalausweisen seiner Opfer besorgt. Mit den vermeintlichen Ausweisscans “soll er dann Provider wie Facebook angemailt haben, mit der höflichen Bitte: Ich habe meine Zugangsdaten vergessen, aber ich kann mich ausweisen. Könnten Sie mir bitte ein neues Passwort geben?”

Ziemlich einfach, aber immer noch aufwändiger als die Recherchen der “Bild”-Redaktion bei diesem Thema.

Dazu auch:

Zu Besuch bei Gujer, Zukunft von “Buzzfeed”, Fragerecht per Los

1. Wie war ich?
(republik.ch, Daniel Ryser)
Daniel Ryser hat ein überaus lesenswertes Porträt des “NZZ”-Chefredakteurs Eric Gujer verfasst. Er hat ihn im Schweizer Stammhaus besucht und ist nicht davor zurückgeschreckt, Gujer auch mit unangenehmen Fragen zur wirtschaftlichen Entwicklung zu konfrontieren: “Gujer lächelt das mit einem Kopf­schütteln weg, und natürlich kann man durchaus sagen, dass es völlig unwesentlich ist, dass in meinen komplett vernachlässigbaren, in Bubbles erstickenden linken Zecken­kreisen niemand mehr die NZZ liest, weil man es zum Beispiel in einer Welt der Trumps, Erdoğans, Putins, Orbáns, Bolsonaros und Johnsons irgendwann als intellektuelle Beleidigung empfand, wöchentlich erzählt zu bekommen, dass wir offenbar — zumindest in der Wahrnehmung an der Falkenstrasse — kurz vor einer totalitären Diktatur eines queer­feministischen Regen­bogens stehen. Aber 30’000 verloren gegangene Print-Jahres­abos lassen sich womöglich doch nicht so einfach mit Bubble und ‘lesen einfach keine Zeitung mehr’ schönreden.”

2. Was wird aus der deutschen Redaktion?
(deutschlandfunk.de, Daniel Bouhs, Audio: 4:51 Minuten)
Vergangenes Jahr wurde “Buzzfeed News”-Chef Daniel Drepper noch als “Chefredakteur des Jahres” ausgezeichnet. Heute bangen er und seine Redaktion um die berufliche Existenz. Die “Buzzfeed”-Zentrale will seinen mit Lob und Preisen ausgezeichneten deutschen Ableger abstoßen. Man möchte meinen, dass sich deutsche Medienhäuser um das tüchtige Team reißen, doch die derzeitigen Aussichten seien ungewiss.

3. Rechtsextreme podcasten ungestört bei Spotify
(rnd.de, Matthias Schwarzer)
Rechtsextreme haben das Medium Podcast für sich entdeckt — um in der Corona-Krise die Deutungshoheit zu erlangen und um ihre Ideen unters Volk zu bringen. Matthias Schwarzer hat sich angeschaut beziehungsweise angehört, wie die Gruppierung “Ein Prozent” bei ihren Audio-Produktionen vorgeht und welche Köpfe hinter dem Netzwerk stecken.

4. Lotterie: Gewinner dürfen Fragen stellen
(verdi.de, Reiner Wandler)
Pressekonferenzen der spanischen Regierung finden derzeit online und vor leeren Stuhlreihen statt. Journalistinnen und Journalisten, die eine Frage stellen wollen, müssen auf eine Art Gewinnspiel hoffen: Nur wer ausgelost werde, könne per Videoschalte auf der Pressekonferenz zu Wort kommen. Dagegen richte sich nun der Widerstand zahlreicher Medienschaffender: Mittlerweile hätten über 400 von ihnen ein Manifest mit dem Titel “Die Freiheit zu fragen” unterzeichnet.

5. Podcasts zwischen Corona-Hype und Spotify-Monopol
(medienwoche.ch, Nick Lüthi)
Corona-Podcasts haben viel für die Akzeptanz des Mediums Podcast getan. Gleichzeitig versuche Spotify, eine marktbeherrschende Stellung zu erreichen, so Nick Lüthi in der Schweizer “Medienwoche”: “Befürchtungen gehen dahin, dass sich Spotify zu einem Gatekeeper entwickelt, vergleichbar mit der Rolle von Google oder Facebook im Netz. Noch ist es nicht so weit, aber Spotify geht den Weg in diese Richtung ziemlich zielstrebig. Dabei profitiert das Unternehmen auch von jenen Produzenten, die ihre Podcasts dort zum Abruf einstellen. Und das sind so ziemlich alle.”

6. “Misstrauen Sie dieser Video-Kolumne!”
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz, Video: 1:19 Minuten)
“Focus”-Kolumnist Jan Fleischhauer kommentiert die Video-Kolumne von Jan Fleischhauer. Boris Rosenkranz hat eine Video-Collage mit Fleischhauer-Sprech-Schnipseln arrangiert und lässt ihn unter anderem sagen: “Misstrauen Sie dieser Video-Kolumne! Bis irgendwann die Polizei kommt.”

KW 34: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. Journalismus in Afghanistan
(inforadio.de, Jörg Wagner, Audio: 15:40 Minuten)
Im “Medienmagazin Spezial Afghanistan” des rbb geht es um die Rolle der in- und ausländischen Medien in den vergangenen rund 20 Jahren. Jörg Wagner hat dazu mit Willi Steul gesprochen, der zeitgleich mit dem Einmarsch sowjetischer Truppen 1979 ARD-Sonderkorrespondent in Afghanistan geworden war.
Weitere Hörtipps: Im Schweizer “Republik”-Podcast analysiert “Republik”-Autor Emran Feroz die dramatische Lage in Afghanistan: “Es gibt international keinen anderen Weg mehr, als mit den Taliban zu reden” (republik.ch, Marguerite Meyer, Audio: 36:20 Minuten). Und auch beim WDR5-Medienmagazin geht es in einem Beitrag um das Thema Afghanistan: Bangen um afghanische Ortskräfte; Schwieriges Berichten aus Kabul (wdr.de, Anja Backhaus, Audio: 41:21 Minuten). Außerdem interessant: Frauen in Afghanistan: Wie kann man Journalistinnen, Filmemacherinnen, Bloggerinnen schützen? (br.de, Audio: 28:00 Minuten). Und beim Deutschlandfunk kommt Saad Mohseni zu Wort, Chef der Moby Group, dem größten privaten Medien- und Nachrichtenunternehmen in Afghanistan: “Wir haben viele Mitarbeitende verloren” (deutschlandfunk.de, Katja Bigalke & Martin Böttcher, Audio: 17:27 Minuten).

2. Diskurs zur Wahl
(play.acast.com, Audio)
In der Podcastreihe “Diskurs zur Wahl” geht es um die Frage, ob und wie der Wahlkampf 2021 von Online-Hass und Falschinformationen beeinflusst wird. Dazu spricht Gilda Sahebi mit Expertinnen und Experten aus Medien, Zivilgesellschaft, Politik und Wissenschaft. Mittlerweile stehen sechs Folgen zur Verfügung, weitere vier sollen noch erscheinen.

3. BILD TV: Wie Julian Reichelt mit Emotionen Fernsehen macht
(ndr.de, Daniel Bouhs, Video: 16:26 Minuten)
“Bild” hat einen eigenen Fernsehsender gestartet. Daniel Bouhs hat für das Medienmagazin “Zapp” hinter die Kulissen geschaut und mit “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt sowie “Bild-TV”-Programmchef Claus Strunz darüber geredet, mit welcher Strategie der neue Kanal andere Sender angreift. Bei dem früheren “Bild”-Journalisten Georg Streiter und dem ehemalige n-tv-Geschäftsführer Hans Demmel hält sich die Begeisterung über “Bild TV” in Grenzen. Streiter sieht ein großes Problem: “Es ist ein Verdienst der ‘Bild’-Zeitung, dass sie AfD-Politiker nie groß rausbringt, aber sie sprechen die Sprache der AfD.”

Bildblog unterstuetzen

4. “Kulturzeit extra: Gefahr aus dem Netz – Wege, die Macht von Facebook, Twitter und Co. zu brechen”
(3sat.de, Vivian Perkovic, Video: 38:04 Minuten)
Facebook, Twitter und Co. machen Daten zu ihrem Geschäft. Was wäre alles zu erreichen, wenn die Bürgerinnen und Bürger die Hoheit über ihre Daten wieder übernähmen? Ein “Kulturzeit extra” berichtet über erfolgreiche Alternativen.‎ Mit im Studio dabei: Michael Seemann, Kulturwissenschaftler, Sachbuchautor und Journalist.

5. Wie habt ihr Krautreporter neu erfunden, Leon Fryszer?
(wasmitmedien.de, Daniel Fiene & Sebastian Pähler, Audio: 50:35 Minuten)
Das Online-Magazin “Krautreporter” hat in den vergangenen Jahren Höhen und Tiefen erlebt. Leon Fryszer ist seit 2020 “Krautreporter”-Vorstand und verrät bei “Was mit Medien”, wie sich die “Krautreporter” neu erfunden haben, was er über durch Mitgliedschaften finanzierte Medienangebote gelernt hat, und was die “Krautreporter” für die Zukunft planen.

6. Die Zerstörung der ARD Mediathek
(youtube.com, Walulis Story, Philip Walulis, Video: 15:16 Minuten)
Schlechte Suchmöglichkeiten, abbrechende Streams, keine Livefunktion, ein fehlender Abo-Button, Ausweispflicht für FSK16-Inhalte … “Wir finden, es ist Zeit, mal en Detail zu klären, warum die ARD-Mediathek so scheiße ist. Und wir wollen wissen, wer ist schuld. Wer hat dieses Desaster zu verantworten?” Philipp Walulis und sein Team klären die Sache mit einem Beitrag, der Anklage und Verteidigung in einem ist.

Interview mit Guérot, Gegen-PEN, Plattformisierung

1. betr. Interview mit Ulrike Guérot
(planet-interview.de, Jakob Buhre)
“Wenn nach ihrem jüngsten Auftritt bei ‘Markus Lanz’ Kritik laut wurde, Ulrike Guérot würde in der Öffentlichkeit unbelegte Tatsachenbehauptungen aufstellen, so kann ich dem, nach dieser Erfahrung, leider nicht widersprechen.” Der freie Journalist Jakob Buhre hat die umstrittene Politikwissenschaftlerin interviewt und anschließend um die Autorisierung ringen müssen: “Die allermeisten Antworten hat Frau Guérot überarbeitet, z.T. sind Äußerungen, auf die ich meine Nachfragen bezog, nun nicht mehr im Text enthalten. Weiterhin hat Frau Guérot viele Aussagen schriftlich hinzugefügt. Viele davon hätte ich im direkten Gespräch gerne kritisch hinterfragt”.

2. Alle 88 Zeugen bleiben anonym, die Namen der Staatsanwälte dürfen nicht genannt werden
(spiegel.de)
Etwa ein Jahr ist es her, dass der prominente niederländische Kriminalreporter Peter R. de Vries auf dem Weg vom Fernsehstudio zur Parkgarage erschossen wurde. Die beiden mutmaßlichen Auftragsmörder wurden schnell gefasst, bei den mutmaßlichen Auftraggebern aus dem Drogenhandel gibt es Vermutungen. Vielleicht sorgt der anstehende Strafprozess für Klarheit.

3. Ein Gegen-PEN? PEN Berlin gibt Gründung bekannt
(br.de, Knut Cordsen)
Vor wenigen Wochen traf sich der Schriftstellerverband PEN zur Mitgliederversammlung in Gotha, es kam zum Eklat. Der bisherige PEN-Präsident Deniz Yücel überstand erst einen Abwahlantrag knapp, um sein Amt kurz danach angewidert niederzulegen (“Bratwurstbude”) und seinen Austritt aus dem Verband zu erklären. Nun gründet sich ein neuer, weiterer PEN: der PEN Berlin. Auch dabei: Deniz Yücel.

Bildblog unterstuetzen

4. “Plattformisierung” des Journalismus
(deutschlandfunk.de, Mike Herbstreuth & Brigitte Baetz, Audio: 9:40 Minuten)
Die öffentlich-rechtlichen Medien produzieren mittlerweile zahlreiche Formate speziell für die Verbreitung in den Sozialen Netzwerken. Dies sei nicht unproblematisch, so eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung. Es bestehe die Gefahr, dass sich ARD, ZDF und Deutschlandradio von den Algorithmen und der Logik der Sozialen Medien abhängig machen.

5. Pazifismus als Markenkern
(taz.de, Peter Nowak)
Dieses Jahr feierte die anarchistische Zeitung “Graswurzelrevolution” ihren 50. Geburtstag. Peter Nowak stellt das Nischenblatt vor, das sich einem konsequenten Pazifismus verschrieben hat und sich über Abogebühren und Spenden finanziert.

6. Copy & Paste
(noemix.wordpress.com, Michael Nöhrig)
Unter jedem Online-Artikel des österreichischen “Standard” steht unter der Überschrift “Fair bleiben. Zurückgeben.” der Hinweis “Hinter jedem Artikel steckt hoher technischer und finanzieller Aufwand.” Auf mindestens einen Artikel trifft dies nicht zu, wie Michael Nöhrig herausgefunden hat.

Adblock-Krieg, Gerichts-Satire, Talkshow-Blindflug

1. OLG Köln: Schlechte Karten für Adblock Plus
(heise.de, Torsten Kleinz)
Durch Adblocker gehen den Medienhäusern riesige Werbeeinnahmen verloren. Kein Wunder, dass man sich da wehrt, auch mit juristischen Mitteln. Nachdem Werbeblocker “Adblock Plus” bislang fünf Prozesse für sich entscheiden konnte, zeichnet sich im Berufungsverfahren vor dem OLG Köln eine Niederlage ab. Ein Verbot des Werbeblockers steht im Raum. Und Schadensersatz. Doch Köln wird aller Voraussicht nach nur eine Zwischenstation sein. Zur endgültigen Klärung wird man sich wohl vor dem Bundesgerichtshof wiedersehen.

2. Journalismus aus der Vogelperspektive
(medienwoche.ch, Adrian Lobe)
Das Geschäft mit Drohnen boomt wie nie zuvor und auch im Journalismus werden immer öfter kamerabewehrte Drohnen als fliegende Beobachter eingesetzt, ob bei Sportveranstaltungen oder zur Recherche und Verifizierung. Doch der Einsatz ist im journalistischen Umfeld nicht frei von Problemen. Es geht im Wesentlichen um Sicherheitsaspekte und Persönlichkeitsrechte. Lobe erzählt, wie es die Kollegen des BBC machen und kommt angesichts der Gesamtproblematik zum Schluss: “Es ist ein schmaler Grat.”

3. Böhmermann – Satire geht weiter
(diekolumnisten.de, Heinrich Schmitz)
Heinrich Schmitz ist nicht nur Kolumnist, sondern auch Strafverteidiger. In einer Mischung aus beiden Funktionen arbeitet er die umstrittene Entscheidung des Landgerichts Hamburg in der Causa Böhmermann auf. “Die Frage sei erlaubt, ob die Pressestelle des OLG Hamburg auf ihrer Homepage eine eigene Satirerubrik unterhält. Sie macht in ihrer Mitteilung über die Entscheidung des Landgerichts Hamburg nämlich ziemlich genau dasselbe wie Jan Böhmermann. Sie erklärt – genau wie dieser – dass das in Rahmen der Böhmermann-Performance vorgetragene Schmähgedicht ein Schmähgedicht ist. Dazu hätte es nun keines Gerichtes bedurft. Das wussten wir schon.”

4. Lohnt sich die “Frankfurter Allgemeine Woche”?
(dwdl.de, Nora Jakob)
Seit einigen Wochen gibt es die “Frankfurter Allgemeine Woche”. DWDL-Autorin Nora Jakob wagt sich an eine Zwischenbilanz. Richtig festlegen will sie sich nach der kurzen Zeit noch nicht, findet aber trotz einiger Kritikpunkte überwiegend positive Worte für das wöchentlich erscheinende Heft.

5. radioeins Medienmagazin PodCast
(radioeins.de, Jörg Wagner, Audio 1:39:19)
In der aktuellen Ausgabe des radioeins-Medienmagazins mit Jörg Wagner ist Medienanwalt Prof. Dr. Christian Schertz zu Besuch. In der kurzweiligen Sendung, die auch zum Download bereitsteht, geht es um die Themen: Schmähgedicht / Junge Konkurrenz für “heute Show” und “Extra 3” / rbb intern: Ist Autorisierung = Zensur? / Ein Jahr im ZDF: heute+ und “#rpten: @heuteplus oder wie wir Journalisten lernen, den Shitstorm zu lieben”.

6. Wie man eine Talkshow bespricht, ohne sie gucken zu müssen
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Sascha Lobo ist bei Maybrit Illner zu Besuch und Bild.de berichtet darüber. Sie ahnen, was dabei herauskommt… (Sascha Lobo hat auf Facebook eine Art einordnende Gegendarstellung veröffentlicht). Vollends aberwitzig wird es, wenn nun noch “Focus Online” und ein Autor der “Huffington Post” mit Morbus Guttenberg dazukommen, der augenscheinlich Fernsehsendungen bespricht, ohne sie gesehen zu haben. Stefan Niggemeier dröselt den Fall auf.

Burgerjournalismus beim “Express”

Spontane Feiern in den Straßen Kölns, wildfremde Menschen knutschen sich ab wie sonst nur an Rosenmontag, und die Jubelstimmung breitet sich nach und nach auch in ganz Nordrhein-Westfalen, ach was, in ganz Deutschland aus.

Sollten Sie also etwas Verschüttbares in der Hand halten — legen Sie es zur Seite, bevor Sie weiterlesen. Und Personen mit einem schwachen Herzen raten wir, sich hinzusetzen und erstmal tief durchzuatmen. Denn heute konnte der “Express” ganz aufgeregt auf seiner Startseite verkünden:

Doch, doch, Sie lesen richtig: Die Fast-Food-Kette “McDonald’s” nimmt jetzt einen Burger, den es sonst nur ab und zu mal gab, permanent ins Angebot. Potztausend!

Dem Kölner Boulevardblatt ist das einen ganzen Artikel wert:

Saftiges Rindfleisch, Bacon, Salat und Käse zwischen zwei Weizenbrötchen …

Die Fans hatten immer wieder gebettelt und nie locker gelassen — jetzt werden sie erhört! McDonald’s nimmt den Big Tasty Bacon ins Standard-Sortiment auf!

Na, haben wir zu viel versprochen?

“Ihr solltet wirklich den Big Tasty Bacon dauerhaft einführen!” oder “Ich wollte mal fragen wie lange ich jetzt wieder auf den Big Tasty Bacon warten muss?” — zahlreiche Fragen und Hinweise dieser Art erreichten den Fast-Food-Riesen in den vergangenen Wochen und Monaten.

“Und der Gast hat gesprochen — der Big Tasty Bacon wird ab dem 11.08. dauerhaft in unseren Restaurants angeboten” so Holger Beeck, Vorstandsvorsitzender McDonald’s Deutschland.

Klar, die fehlenden Kommata hätte die Redaktion beim Abschreiben der Pressemitteilung natürlich noch ergänzen können. Aber das sei dem “Express” verziehen — kann bei all dem Trubel schon mal untergehen, schließlich kommt so eine Knallermeldung ja auch nicht jeden Tag rein.

Immerhin haben die Mitarbeiter noch dran gedacht, auch das “McDonald’s”-Werbefoto in den Artikel einzufügen:

Boah, dieses saftige Rindfleisch und der Bacon und der Salat und der Käse und alles zwischen zwei Weizenbrötchen. Da kann man als Journalist schon mal schwach werden. Jedenfalls: saubere Arbeit.

Nur bei der Rubrik hätten wir anders entschieden: Da gehört statt “Politik und Wirtschaft” (warum eigentlich “Politik”? Hat der Sicherheitsrat der “Vereinten Nationen” etwa auch noch interveniert, damit “McDonald’s” den “Big Tasty Bacon” “Endlich!” ins “Standard-Sortiment” aufnimmt?) ein dickes, fettes “Anzeige” hin.

Mit Dank an Alex für Hinweis und Screenshot!

Nachtrag, 12. August: Die “Morgenpost” aus Dresden berichtet ebenfalls über das “Big Tasty Bacon”-Wunder. “Focus Online” hat der Entscheidung von “McDonald’s” sogar ein Video gewidmet.

Mit Dank an Jens L. und Carsten N. für die Hinweise!

Freundliche Volksverhetzer, Millionäre-Check, Kommentare-Quiz

1. Keine Zeit für den Fascho-Check
(taz.de, Dinah Riese)
Eine verurteilte Volksverhetzerin postet bei Instagram ein Foto von sich mit einer Cola in der Hand und hinterlässt einen freundlichen Spruch. Das Social-Media-Team des Hamburger Brauseherstellers antwortet nett zurück, ohne zu wissen, um wen es sich auf dem Foto handelt — und bekommt dafür ordentlich Online-Haue. Dinah Riese fragt: Zu Recht? Zu Unrecht? “Gehört es zu den grundlegenden Kompetenzen von Social-Media-Redakteur*innen, Mitglieder der rechten Szene zu erkennen?”

2. Zahal, Dschihad und anderes
(juedische-allgemeine.de, Daniel Killy)
Die Vorwürfe, die Daniel Killy bei der “Jüdischen Allgemeinen” in Richtung “DRadio Wissen” schickt, haben es in sich: Der Sender habe einen Beitrag über zwei junge Jüdinnen verhindert, weil er nicht Israel-kritisch genug gewesen sei. “DRadio Wissen” hat inzwischen auf die Anschuldigungen geantwortet: Anders als die “Jüdische Allgemeine” suggeriere, “wurde der fragliche Beitrag nicht aus inhaltlichen, sondern aus handwerklichen Gründen von der Redaktion abgelehnt.”

3. Deutsche rechnen mit Fake News — und informieren sich vor allem im Fernsehen
(horizont.net, Marco Saal)
In einer “Exklusivumfrage zur Bundestagswahl” hat “Horizont” herausfinden lassen, auf welchem Wege sich die Deutschen zu politischen Themen informieren (Junge: Internet, Alte: Fernsehen). In die Überschrift hat es allerdings ein anderes Umfrage-Thema geschafft: “Fake News”. “Deutsche rechnen mit Fake News”, steht über dem Text von Marco Saal. Das stimmt schon, aber nicht die Mehrheit, sondern 44 Prozent. Der größere Teil der Befragten, 51 Prozent, glaubt hingegen, dass Falschmeldungen im Bundestagswahlkampf keine Rolle spielen werden (wobei man die Gleichsetzung von “Fake News” und “Falschmeldungen” durch “Horizont” sicher kritisch sehen kann).

4. Millionäre lieben Deutschland — und wandern nicht aus
(indiskretionehrensache.de, Thomas Knüwer)
“Tausende Millionäre verlassen Deutschland”, schreibt das “Manager Magazin”. “Business Insider” alarmt: “Massen-Auswanderung”. Und “Sputnik” fragt in freudiger Endzeitstimmung: “Sinkt das Schiff?” Thomas Knüwer hat sich die Zahlen, die eine südafrikanische Beratungsgesellschaft namens “New World Wealth” veröffentlicht hat, und aus denen einige Medien in Deutschland Artikel gebaut haben, genauer angeschaut. Er klingt selbst ein wenig überrascht, wie viele Zweifel er “mit nur einer Viertelstunde googlen” erzeugen konnte.

5. Wie die Medien zu Parteien wurden
(wolfgangmichal.de)
Wolfgang Michal beobachtet, dass Medienunternehmen “zu politisch-idealistischen Kampfgruppen” würden, “die die Richtung der Politik bestimmen wollen und können”: “So wurden die großen Medien, die ‘dem Internet’ vor Jahren noch erzählten, was guter und verantwortungsvoller Journalismus ist (nämlich professionelle Zurückhaltung), im Verlauf eines knappen Jahrzehnts zu Parteien, die für die gute Sache kämpfen — so wie politische Parteien, Internet-Konzerne oder NGOs seit jeher für sich in Anspruch nehmen, für die gute Sache zu kämpfen: To Make The World A Better Place.” Das sei “nicht die schlechteste Entwicklung”, findet Michal.

6. Haben Sie’s gelesen?
(sueddeutsche.de, Silke Bigalke)
Nun gibt es hier im BILDblog keine Kommentarfunktion. Aber wenn es sie gäbe, und Sie kommentieren wollten, dann müssten Sie erstmal eine Frage beantworten, die mit diesem Blogpost zu tun hätte. Zum Beispiel: Wie heißt die südafrikanische Beratungsfirma, deren Zahlen Thomas Knüwer hinterfragt? So macht es jedenfalls das norwegische Technik-Blog “NRKbeta”, das zum staatlichen Sender “NRK” gehört: Wer kommentieren will, muss vorher drei simple Fragen beantworten, die sich auf den Text beziehen, den man kommentieren möchte. Das soll Hitzköpfe ausschließen, die nur rumpöblen wollen. Und funktioniert in den ersten Testwochen recht gut.

Schorndorfer Alarmismus, Gebrandmarkt, Cartoonfigur Erdogan

1. Die Wahrheit über den “Einwanderermob” von Schorndorf
(vice.com, Matern Boeselager)
Wahrer Horrormeldungen waberten durch Netz und Medien: Bis zu 1.000 Asylbewerber hätten sich zusammengerottet, um ein deutsches Volksfest zu sprengen, deutsche Polizisten anzugreifen und deutsche Mädchen anzugrapschen. Aber was war wirklich passiert in Schorndorf, einem kleinen Ort in der Nähe von Stuttgart? Jedenfalls nicht annähernd so viel wie die übertriebenen Panikmeldungen denken lassen. Wobei wohl auch eine alarmistische Pressemitteilung der Polizei eine Rolle spielte: “Derjenige, der die Pressemitteilung geschrieben hat, war selbst nicht im Schlosspark und hat vorher womöglich nie direkt mit den Kollegen gesprochen, die im Einsatz waren. Und so wurde aus einer ungemütlichen Situation mit Flaschenwürfen und anderen verstreuten Delikten schließlich ein “Einwanderermob”, der ein deutsches Volksfest gesprengt hat.” Vice hat mit der Polizei gesprochen und Schülerinnen, die vor Ort waren. Weitere Lesetipps: Der Faktencheck von “Correctiv”: Was ist in Schorndorf passiert? und der Faktencheck der “Tagesschau”: Der kurze Weg von Schorndorf nach Köln

2. Stimmtdas.org
(stimmtdas.org)
“Stimmdas” nennt sich eine neue unabhängige und nicht-kommerzielle Faktencheck-Plattform, bei der ein zehnköpfiges Kernteam und einige freie Autoren Aussagen von PolitikerInnen auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen. Alle “Stimmtdas”-Mitglieder arbeiten ehrenamtlich. Finanziert wird das Ganze ausschließlich über Spenden und Unterstützung parteiunabhängiger Stiftungen. Die zu überprüfenden Aussagen sollen einen Gesprächswert haben und müssen überprüfbar sein. Am Ende steht dann eine von neun Bewertungen, die von “stimmt” bis “Scharlatanerie” reichen kann. Einige Beiträge sind bereits auf der Website vorhanden.

3. G20-Diskreditierung: »Wir sind gebrandmarkt, wir 32«
(neues-deutschland.de, Elsa Koester)
Die “Neues Deutschland”-Redakteurin Elsa Koester schreibt über die Entziehung ihrer Akkreditierung für den G20-Gipfel in Hamburg durch das BKA. Beim Lesen ihres sehr persönlichen Beitrags, in dem es auch um Berufsverständnis und Haltung geht, wird klar: Hier geht es um mehr als eine “Formalie”, über die man schnell hinweggehen sollte. Koester sieht sich und die 31 anderen Kollegen gebrandmarkt. Sie schließt mit den Worten: “Diese Liste diskreditiert mich und meine journalistische Arbeit zu Unrecht. Ich werde sie nicht akzeptieren, jetzt nicht und auch in Zukunft nicht.”

4. „Wir müssen das jetzt versuchen“. Ein Interview mit Lamya Kaddor.
(fearlessdemocracy.org, Gerald Hensel)
Gerhard Hensel von “Fearless Democracy” hat sich mit der Islamwissenschaftlerin und Publizistin Lamya Kaddor unterhalten. Kaddor ist die Initiatorin des “Ramadan Friedensmarsch”, mit dem sich Muslime und Freunde für eine friedliche gemeinsame Umwelt und explizit gegen Terror wandten. Im Gespräch geht es unter anderem um das mediale Echo der Aktion und Hass und Häme im Netz.

5. Olympia doch bei ARD und ZDF?
(taz.de, Jürn Kruse)
Nachdem sich das Medienunternehmen “Discovery” die europäischen Übertragungsrechte der nächsten Olympischen Spiele für einen Milliardenbetrag gesichert hat, sollen die öffentlich-rechtlichen Sender dem neuen Rechteinhaber 100 Millionen geboten haben. Die Verhandlungen scheiterten, worauf Olympiakritiker schon einwarfen, dass der Betrag dann Informations- und Nachrichtensendungen zugute kommen könnte. Nun sieht es so aus, als ob hinter den Kulissen weiter um Liveübertragungen und/oder Zusammenfassungen gefeilscht wird.

6. „Erdogan findet den Vergleich mit Diktatoren angebracht“
(jetzt.de, Nadja Schlüter)
Heute wird in der Galerie „Caricatura“ in Kassel die Ausstellung „Schluss mit lustig. Aktuelle Satire in der Türkei“ eröffnet. Die Ausstellung zeigt Werke von 50 türkischen Cartoonisten, die sich für Pressefreiheit positionieren. Zusammengestellt wurde die Sammlung von der deutschen Journalistin und Filmemacherin Sabine Küper-Büsch, die seit 25 Jahren in Istanbul lebt und deren Buch diese Woche erscheint.

Startup-ernüchtert, Einnahmequelle Fotorecht, Automobiler Maus-Spott

1. Angriff auf den Journalismus
(spiegel.de, Bülent Mumay)
Der türkische Journalist Bülent Mumay hat bei der linksliberalen Tageszeitung “Radikal” gearbeitet und leitete die Online-Redaktion der “Hürriyet”. Bis er 2015 für fünf Tage festgenommen wurde und seinen Arbeitsplatz verlor. In einem Gastbeitrag für “Spiegel Online” erklärt er wie Erdogan und die AKP systematisch die türkische Medienlandschaft zerstören. Vor allem der Putschversuch habe sich in dieser Hinsicht als hilfreich erwiesen: “Jetzt wurden sämtliche kritischen Journalisten eingesperrt – weil sie angeblich Anhänger der Gülen-Bewegung waren. Auch Leute wie ich, Leute wie die Kollegen von “Cumhuriyet”, die immer gegen die Gülenisten waren, sind verhaftet worden.”

2. Retten Start-ups den Journalismus?
(de.ejo-online.eu, Christopher Buschow)
Der Kommunikationswissenschaftler Christopher Buschow hat das Potenzial von Medien-Startups untersucht. Mit ernüchternden Ergebnissen: “Weil sie sich mitunter an alten Traditionen orientieren, kopieren manche Neueinsteiger das Erlösmodell der Tageszeitung. So geraten sie jedoch in dieselben Probleme wie etablierte Medienhäuser: Auf Seiten der Leser besteht kaum Zahlungsbereitschaft für Online-Inhalte, Anzeigenkunden platzieren ihre Werbung nur noch zurückhaltend in journalistischen Umfeldern.” Die Gründer würden außerdem nicht selten ihre Doppelrolle von Journalist und Medienmanager und die bürokratischen Verwaltungsaufgaben unterschätzen.

3. Fotorecht – eine verborgene Einnahmequelle für Journalisten
(fachjournalist.de, Frank C. Biethahn)
Rechtsanwalt Frank C. Biethahn hat einen Übersichtsartikel zum Fotorecht für Journalisten verfasst. Oft könnten die Fotografen mehr verlangen, als ihnen bewusst sei, sowohl bei der “an sich legalen” Nutzung als auch bei der illegalen Nutzung. Viele Journalisten würden ihre Rechte allerdings kaum nutzen, oft schlicht aus Unwissenheit.
Interessante Informationen für Journalisten, die ihrer Einkommen aufbessern wollen, aber auch für diejenigen, die allzu sorglos mit fremden Fotos umgehen und teure Abmahnungen riskieren.

4. Kachelmann siegt vor Gericht gegen Staatsanwaltschaft
(dwdl.de, Alexander Krei)
Jörg Kachelmann hat einen weiteren juristischen Erfolg erzielt. Die Staatsanwaltschaft Mannheim darf die in einer Pressemitteilung geäußerten Behauptungen zu DNA-Spuren auf einem vermeintlichen Tatmesser nicht wiederholen und hat eine Unterlassungserklärung abgegeben. Die Pressemitteilung mit den nicht zutreffenden Behauptungen der Staatsanwaltschaft war seinerzeit bei “SternTV” wiedergegeben worden.

5. Ohne Distanzierung verlinken?
(taz.de, Christian Rath)
Der Grünen-Abgeordnete Volker Beck will verhindern, dass “Spiegel Online” ein altes Manuskript zur Pädophilie-Debatte veröffentlicht – ohne die von ihm zwischenzeitlich vorgenommene Distanzierung. Der Fall ist juristisch verzwickt. Der BGH hat die Sache an den EuGH weitergegeben.

6. „Sendung mit der Maus“ spottet über deutsche Autobauer
(welt.de)
Die “Sendung mit der Maus” erklärt Kindern seit 1971 die Welt, zum Beispiel mit den beliebten “Lach- und Sachgeschichten”. Anlässlich der Autoskandale und Kartellabsprachen haben die Mausmacher ein Filmchen produziert, das sich ausdrücklich an die Großen wendet.

Die Verlierer von “Bild”

Es braucht nicht viel, um für die “Bild”-Redaktion der “VERLIERER” des Tages zu sein. Ein Tweet reicht schon. Und in diesem Tweet muss nur ein einziger Buchstabe an der falschen Stelle stehen — schon landet man schwarzumrandet auf der “Bild”-Titelseite:

Ausriss Bild-Zeitung - Verlierer des Tages - FDP-Chef Christian Lindner (38) betätigt sich als Geschichtslehrer. Auf Twitter erinnerte er an die Bedeutung des Datums 9. November (1918 Republikgründung, 1938 Reichspogromnacht, 1989 Mauerfall): lehrt, dass Demokratie immer neu gewonnen werden muss. Allerdings schrieb er statt Pogrom Progrom. BILD meint: Nachsitzen!

Da müssen wir aber erstmal schauen, ob in dem Raum mit all den Nachsitzern noch Platz für Christian Lindner ist. Dort befinden sich schließlich schon einige Mitarbeiter der “Bild”-Medien.

Bild.de gestern, also an dem Tag, an dem Lindner “Progrom” twitterte:

Screenshot Bild.de - Landes-, Stadt- und Regionspolitiker legten an der Roten Reihe Kränze mit weißen Nelken nieder, vor der Gedenktafel zur Reichsprogromnacht vor 79 Jahren.

Im Teaser zu dem Artikel derselbe Fehler:

Screenshot Bild.de - Landes-, Stadt- und Regionspolitiker legten an der Roten Reihe Kränze nieder, vor der Gedenktafel zur Reichsprogromnacht.

Bild.de am 4. Mai dieses Jahres:

Screenshot Bild.de - Die Skulptur steht in unmittelbarer Nähe zu dem Ort, an dem bis zur Progromnacht am 9. November 1938 die Synagoge der jüdischen Gemeinde Hannovers stand.

Bild.de am 11. November 2016:

Screenshot Bild.de - Unfassbar! Zum Gedenktag der Reichsprogromnacht haben Neonazis auf einer widerlichen Hass-Seite eine Karte mit 70 Standorten veröffentlicht, die jüdische Einrichtungen und Geschäfte in Berlin markiert.

Bild.de am 16. Juli 2016:

Screenshot Bild.de -In der Reichsprogromnacht 1938 wurde das Geschäft verwüstet und angezündet.

Bild.de am 2. Mai 2015:

Screenshot Bild.de - Die Hauptsynagoge der Deutsch-Israelitischen Gemeinde wurde 1938 in der Reichsprogromnacht verwüstet, im Juli 1939 abgerissen.

Bild.de am 11. November 2013:

Screenshot Bild.de - Reichsprogromnacht: Gedenken an ermordete Mitbürger

Im Artikel kommt auch noch diese Variante vor:

Screenshot Bild.de - Zur Gedenkfeier anlässlich der Reichsprogomnacht vor 75 Jahren kamen deutlich mehr Menschen ins Alte Rathaus als vorgesehen.

Bild.de ebenfalls am 11. November 2013:

Screenshot Bild.de - Bewegende Rede von Bundespräsident Joachim Gauck (73) zum Gedenken an die Progromnacht vom 9. November 1938

Bild.de am 13. Mai 2009:

Screenshot Bild.de - Bremens Juden erhielten erst 1850 ihre vollen Bürgerrechte. Nationalsozialisten zerstörten in der Reichsprogromnacht (1938) die erste Synagoge im Schnoor.

Bild.de am 10. November 2006:

Screenshot Bild.de - Nach Gedenken an Progromnacht in Frankfurt (Oder)

Und:

Screenshot Bild.de - Neonazi-Randale nach einer Gedenkveranstaltung zur Progromnacht vom 9. November 1938.

Nachtrag, 13. November: Die “Bild”-Redaktion hat sich heute selbst zum “VERLIERER” des Tages erklärt:

Ausriss Bild-Zeitung - Verlierer des Tages - Am Freitag forderten wir FDP-Chef Christian Lindner (38) an dieser Stelle zum Nachsitzen auf. Grund: Er hatte das Wort Pogrom (russisch für Zerstörung) falsch geschrieben. Allerdings nicht er allein: Bild leider auch. Sogar ziemlich oft. Bild meint: Wer im Glashaus nachsitzt

Mit Dank an Patrick für den Hinweis!

TikToks gute Laune und Zensur, “Mini-mini-Episode”, Borat vs. Mark

1. Gute Laune und Zensur
(netzpolitik.org, Markus Reuter & Chris Köver)
Die Videosharing-Plattform TikTok wächst rasant und wurde bereits über eine Milliarde Mal heruntergeladen. Was von den chinesischen Betreibern gern gesehen wird, sind vor allem lustige, kreative und harmlose Filmchen. Kritische und politische Inhalte hätten es nach Aussagen vieler Kritiker weitaus schwerer. Netzplitik.org hat mit einem TikTok-Insider gesprochen und einen Einblick in die internen Moderationsregeln gewinnen können, die teilweise Zensurregeln gleichen. Auch Christian Mihr von Reporter ohne Grenzen habe das chinesische Unternehmen bereits kritisiert. TikTok sei Teil der Medienstrategie Pekings, seine totalitäre Vision handzahmer, gelenkter Medien auch international durchzusetzen.

2. “Spiegel”-Gesichts­unterricht mit Angela Merkel
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Dirk Kurbjuweit ist preisgekrönter Journalist und Leiter des Hauptstadtbüros des “Spiegel” und beherrscht die Kunst, das Nichts in viele Worte zu kleiden. Das hat er jedenfalls eindrucksvoll bewiesen, als er am Freitag den CDU-Parteitag “aus der Perspektive der Kanzlerin” beschrieb und dabei mit Beobachtungen punktete wie “Als Handy-Nutzerin bevorzugt Merkel einen Winkel von 45 Grad” sowie mit fragwürdigen Interpretationen ihres Mienenspiels. Medienkritiker Stefan Niggemeier kommentiert: “Diesen Luxus können sich nicht mehr viele Medien leisten: Einen leitenden Mitarbeiter einen ganzen Parteitag-Tag dafür abstellen, jede Gesichts-Regung und vor allem alle Gesichts-Nicht-Regungen im Gesicht der Kanzlerin zu notieren, um daraus schließen zu können, dass man daraus nichts schließen kann.”

3. Warum der Datenhunger der politischen Parteien weiter wachsen wird
(medienwoche.ch, André Haller)
Wahlkämpfe wandern verstärkt in die reichweitenstarken Social-Media-Plattformen wie Facebook. Zu verlockend sind die riesigen Datenbestände und die vielfältigen Möglichkeiten der gezielten Wähleransprache (“Microtargeting”). André Haller beschreibt Entwicklungen und Status quo in den USA und in Europa. Dass es in Europa noch nicht so social-media-aggressiv zugehe wie in den USA, liege am strengeren Datenschutz, aber auch an “einer mangelnden Professionalisierung der Kampagnenzentralen, die den Schwerpunkt immer noch auf Offline-Instrumente wie Wahlplakate und Informationsveranstaltungen legen.”

4. Mehr als 7.000 demonstrieren gegen NPD-Aufmarsch
(ndr.de)
Als rund 120 Neonazis in Hannover bei einer Kundgebung gegen drei namentlich genannte kritische Journalisten protestierten, stellten sich dem mehr als 7.000 Gegendemonstranten entgegen. Zuvor hatte das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg die Rechtmäßigkeit der Nazi-Demo festgestellt. Die Polizei habe einem angemeldeten Redner jedoch die Redeerlaubnis entzogen, “um eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren”.

5. “Berliner Zeitung”-Herausgeber Michael Maier: “Die Stasi war nur eine Mini-mini-Episode”
(derstandard.at, Birgit Baumann)
Der österreichische “Standard” hat mit Michael Maier gesprochen, dem aus Österreich stammenden Herausgeber der “Berliner Zeitung”. Maier war in den 90er-Jahren selbst Chefredakteur der “Berliner Zeitung” und will sich in der Berichterstattung künftig nicht auf den Großraum Berlin beschränken. Auf die Stasi-Vergangenheit seines Verlegers Holger Friedrich angesprochen, verteidigt er ihn mit den Worten: “Friedrich hat länger im neuen Deutschland gelebt als in der DDR. Die Stasi war nur eine Mini-mini-Episode, nicht einmal zwei Jahre.”
Weiterer Lesehinweis: Verleger Holger Friedrich lässt Aufsichtsratsposten bei Centogene ruhen (tagesspiegel.de).

6. Sacha Baron Cohen rechnet mit Facebook ab
(spiegel.de)
Der britische Comedian Sacha Baron Cohen (bekannt unter seinen Rollennamen “Ali G”, “Borat” oder “Brüno“) hielt eine vielbeachtete Rede zur Verantwortung der Sozialen Netzwerke, die vor allem eine Abrechnung mit Facebook und Mark Zuckerberg wurde. Meinungsfreiheit heiße nicht, dass man ein Recht auf Reichweite habe: “Leider wird es immer Rassisten, Misogynisten, Antisemiten und Kinderschänder geben”, so Cohen. “Aber ich denke, wir sind uns alle einig, dass wir Fanatikern und Pädophilen keine kostenlose Plattform bieten sollten, um ihre Ansichten zu verbreiten und ihre Opfer zu erreichen.”

Internetüberwacher BND, Corona-Daten, “Zensurheberrecht”

1. So überwacht der BND das Internet
(spiegel.de, Max Hoppenstedt & Wolf Wiedmann-Schmidt)
Heute urteilt das Bundesverfassungsgericht über die Rechtmäßigkeit der Internetüberwachung durch den Bundesnachrichtendienst (BND). Was bedeutet die Internetüberwachung durch eine der mächtigsten deutschen Behörden für unseren Alltag? Kann der BND auch verschlüsselte Kommunikation knacken? Und welche privaten Daten sind für den BND tabu? Max Hoppenstedt und Wolf Wiedmann-Schmidt geben Antworten auf die wichtigsten Fragen.

2. Medien fordern bessere Corona-Daten vom RKI
(ndr.de, Daniel Bouhs)
45 Datenjournalisten und Datenjournalistinnen fordern vom Robert-Koch-Institut (RKI) die Herausgabe der detaillierten Corona-Daten. In ihrem “#OpenCoronaData-Appell” wenden sie sich an RKI-Präsidenten Lothar Wieler: “Bitte tragen Sie auch Sorge dafür, dass Ihre Behörde (und insbesondere Ihre Pressestelle) personell, technisch und inhaltlich in die Lage versetzt wird, diesem datenbezogenen Informationsinteresse der Medien Rechnung tragen zu können.”

3. Redaktionsstart unter genauer Beobachtung
(deutschlandfunk.de, Vera Linß, Audio: 5:55 Minuten)
Nun schwimmt es also tatsächlich auf der Spree im Berlinger Regierungsbezirk: Gabor Steingarts Redaktionsschiff “Pioneer One”. Rund 15 Journalistinnen und Journalisten sollen sich dort um Newsletter, Podcasts und Events kümmern — bezahlt von Abonnenten und Abonnentinnen. Der Deutschlandfunk stellt das Projekt vor und lässt dabei auch Wiebke Loosen zu Wort kommen, die als Professorin an der Universität Hamburg zu Pionierjournalismus forscht.
Weiterer Lesetipp: Der Erklärungsversuch von Stefan Niggemeier auf “Übermedien”: “Ich male mir das so aus, dass Gabor Steingart irgendwann zu Springer-Chef Mathias Döpfner gegangen ist und ihn überzeugt hat, Millionen in das neue Unternehmen zu stecken statt in sowas wie, sagen wir, die ‘Welt’, indem er es nicht als Schnäppchen, sondern absurd teure Sache verkauft hat. Je mehr es kostete, je absurder es wurde (und dann lassen wir ein eigenes Schiff bauen und fahren damit auf der Spree zwischen Friedrichstraße und Hauptbahnhof hin und her!), desto attraktiver schien die Investition.”

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4. Oberstes Gericht setzt Grenzen für “Message Control” durch Zensurheberrecht
(netzpolitik.org, Leonhard Dobusch)
Die österreichische Regierung bemüht sich um die totale Kontrolle ihrer Außenwirkung. Das führte unter anderem dazu, dass ein unpassend erscheinendes Hintergrundbild noch zwei Jahre später durch eine Heimatlandschaft mit Kühen ersetzt wurde. Als Online-Medien darüber berichten wollten, verfiel man auf einen Trick: die Berichterstattung verletze angeblich das Urheberrecht des Fotografen. Dem habe nun letztinstanzlich der Oberste Gerichtshof widersprochen: Die Nutzung als Bildzitat sei zulässig gewesen. Leonhard Dobuschs Fazit: “Meinungsfreiheit schlägt hier also klar ein Urheberrecht, das für die Zwecke der Message Control instrumentalisiert werden sollte.”

5. Das sind die Podcast-Tipps im Mai
(sueddeutsche.de, Kathleen Hildebrand & Nicolas Freund & Carolin Gasteiger & Stefan Fischer & Theresa Rauffmann)
Die “Süddeutsche Zeitung” stellt einige empfehlenswerte Podcasts vor und zeigt, dass es jenseits unterhaltsamer Laber-Formate auch anspruchsvolle und aufwändige Produktionen gibt. Diesen Monat mit dabei: ein fünfteiliges Feature zum Tod des Asylbewerbers Oury Jalloh, der unter zweifelhaften Umständen in der Gefängniszelle einer Polizeiwache in Dessau starb, ein amerikanisches Format über die Auswirkungen von Corona im Mississippi-Delta, eine Produktion zur Zukunft der Arbeit, ein Krimi sowie eine Chronologie der Pannen beim Bau des Berliner Flughafens.

6. Amazon steigt kurzfristig in Bundesliga ein – mit Pannen
(faz.net)
Amazon versuchte sich an einer Übertragung eines Bundesliga-Spiels, kämpfte jedoch mit technischen Problemen. Der Einstieg von Amazon in das Fußball-TV-Geschäft ist auch angesichts der Differenzen der bisherigen Rechteinhaber bemerkenswert. Dazu auch der weitere Lesehinweis: Bundesliga kurios: Eurosport produziert für Amazon (dwdl.de, Alexander Krei).

Desinformations-Organ “Bild”, Paid Content der Verlage, Buchmesse

1. “Bild” schiebt Karl Lauterbach falsche Aussage unter, die er nicht gemacht hat
(uebermedien.de, Frederik von Castell)
Die “Bild”-Redaktion hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach in einer Schlagzeile eine Aussage untergeschoben, die dieser nie getätigt hat. Frederik von Castell ist der Sache nachgegangen und hat die entsprechenden Stellen um Stellungnahmen gebeten. Sein Fazit: “Was bleibt, ist eine nachweislich nicht den Sachverhalt wiedergebende Überschrift, die eifrig geteilt und als Aussage Lauterbachs wahrgenommen wird. Wer eine Aussage in dieser Weise verfälscht, wie es ‘Bild’ getan hat, muss sich auch den harten Vorwurf der Desinformation gefallen lassen.”

2. Bild ist eine Rügenpresse!
(katapult-magazin.de, Lilly Graschl & Daniela Krenn & Fahima Makanga)
“Die Bild hat es geschafft, 26 von den 60 verteilten Rügen des Presserats 2021 abzubekommen. Was es dazu braucht? Die konstante Missachtung des Pressekodex.” Das “Katapult”-Magazin hat die Informationen des Deutschen Presserats in eine Grafik umgesetzt, die auf eindrucksvolle Weise zeigt, wer Deutschlands meistgerügtes Medium ist.
Weiterer Lesehinweis: Das Geschäft mit Falschbehauptungen und Verstößen gegen die Branchenregeln scheint ein lukratives zu sein: Bonusrunde: Den Springer-Vorstand erwarten 88,8 Millionen Euro (kreiss.de, Markus Wiegand).

3. Warum Paid Content Verlage (so) nicht retten wird
(indiskretionehrensache.de, Thomas Knüwer)
“Betrachtet mit den Mitteln der Betriebswirtschaft kann Paid Content in seiner aktuellen Form nicht funktionieren”, lautet die These von Thomas Knüwer, für die er in einem ausführlichen Beitrag viele Argumente aufzählt. Er diskutiert dort auch die immer wiederkehrenden Vorschläge einer Nachrichten-Flatrate und eines Einzelartikelverkaufs. Außerdem zeigt Knüwer die mangelhafte Service-Orientiertheit vieler Verlage auf, die ihre Prozesse immer noch nicht an aktuelle Erfordernisse angepasst hätten.

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4. Heinrich Breloer wird 80: Der Mann, der das Dokudrama erfand
(deutschlandfunk.de, Annika Schneider & Sebastian Wellendorf, Audio: 6:06 Minuten)
Heinrich Breloer gilt als der Erfinder des Filmgenres Dokudrama und wurde für seine Arbeit mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Nun ist er 80 Jahre alt geworden – für den Deutschlandfunk ein schöner Anlass, an Breloers Arbeit und dessen Einfluss auf die nach ihm kommenden Filmemacher und Filmemacherinnen zu erinnern: “Sein Werk legte den Grundstein für ein ganzes Genre: Das von ihm erfundene Dokudrama ist heute weit verbreitet. Auf Streaming-Plattformen finden sich unzählige Beispiele, und selbst für Netzwerke wie Instagram wird Zeitgeschichte inzwischen dramaturgisch aufbereitet”.

5. Zeitgenosse der Tiefen und Untiefen deutscher Geschichte
(tagesspiegel.de, Hermann Rudolph)
Der ARD-Journalist und Publizist Peter Merseburger ist im Alter von 93 Jahren in Berlin gestorben. Hermann Rudolph erinnert an den Mann, der in den 1970er-Jahren zu einer der zentralen Figuren der kritischen Fernsehberichterstattung wurde: “Als Leiter von ‘Panorama’, dem Magazin des NDR, war er damals eine höchst streitbare – und umstrittene – Größe, der mit in charakteristischer Manier vorgeschobenen Kopf die Republik gleichsam auf die Hörner zu nehmen schien.”

6. buchmesse_popup in Leipzig vom 18.-20. März 2022
(buchmarkt.de)
Nach der Absage der Leipziger Buchmesse haben sich über 50 Verlage zusammengetan und bieten eine Alternativveranstaltung an. Mit dabei sind unter anderem die Aufbau Verlage, C.H.Beck, Hanser, Jung und Jung, Kampa, Kanon, Katapult, Klett-Cotta, Kunstmann, Mare, Matthes & Seitz, Schöffling, Suhrkamp/Insel, Verbrecher, Voland & Quist und Wagenbach. Die “buchmesse_popup” findet vom 18. bis 20. März dieses Jahres in Leipzig statt.

Desinformation aus Österreich, Eingebettet im Donbas, Sylt

1. Desinformation aus Österreich
(taz.de, Matthias Meisner)
Der rechtsextreme österreichische Online-Sender AUF1 wolle nach eigenen Angaben nach Deutschland expandieren und eine feste Redaktion in Berlin aufbauen. Matthias Meisner erklärt, was es mit dem verschwörungslastigen Rechts-Medium auf sich hat.
Weiterer Lesehinweis: “Russlands abgeschalteter Propagandasender RT hat einen Nachfolger: Das Portal AUF1 verfolgt eine aggressive Taktik fern aller journalistischer Standards”: Aktivismus statt Journalismus (zeit.de, Hendrik Merker).

2. “Zeigen, wie schlimm die Situation im Donbass ist”
(tagesspiegel.de, Anastasia Trenkler)
Der ZDF-Reporter Winand Wernicke konnte vier Tage lang russische Soldaten im Donbas begleiten – “als Embedded-Reporter” und streng kontrolliert in seiner Berichterstattung. Im Interview mit dem “Tagesspiegel” erzählt Wernicke, wie es dazu kam, welche Auflagen ihm gemacht wurden und wie er zu deratigen Reportage-Reisen steht.

3. «Aufregerschlagzeilen sind wie Fast Food: attraktiv, aber ungesund»
(nzz.ch, Ruth Fulterer, Judith Blage)
“Perspective Daily” ist ein Online-Magazin, das nach den Prinzipien des konstruktiven Journalismus arbeitet. Die “NZZ” hat sich mit einem der Gründer, dem Neurowissenschaftler Han Langeslag, über das Projekt unterhalten und ihn gefragt, wo in Zeiten von Klimawandel, Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg noch Platz für Positives bleibt.

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4. Wie Starjournalisten al-Sisis Drecksarbeit machen
(reporter-ohne-grenzen.de)
In einem 27-seitigen Bericht (PDF, englisch) zeigt Reporter ohne Grenzen, wie sich in Ägypten regierungsnahe Fernsehmoderatoren zu Komplizen der Regierung machen: “Als Marionetten des diktatorischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi verleumden und diskreditieren sie die wenigen verbliebenen kritischen Medienschaffenden im Land.” Der Bericht beleuchte einen blinden Fleck in der ägyptischen Medienlandschaft und zeige, wie das Regime bekannte Fernsehpersönlichkeiten bewusst einspannt.

5. So viel weiß TikTok über Ihr Handy
(spiegel.de, Janne Knödler & Frederik Obermaier & Anton Rainer & Marcel Rosenbach)
“TikTok steht seit Langem für seine Geschäftspraktiken in der Kritik. Nun hat ein IT-Sicherheitsunternehmen den Quellcode der Video-App untersucht – und ist dabei auf eine verdächtige Verbindung gestoßen.” Es geht unter anderem um “mögliche Datenweiterleitungen nach China”. Beim “Spiegel” kann man nachlesen, was die Sicherheitsexperten genau festgestellt haben und warum die Angelegenheit für TikTok noch unangenehm werden könnte.
Nachtrag: Auch das Team der “zerforschung” hat sich die TikTok-Analyse angeschaut und ist nicht besonders überzeugt von den Ergebnissen: “Das ist größtenteils Quatsch.” Dem Bericht fehle technische Tiefe, sinnvolle Informationen seien ebenfalls nicht zu finden: “Hier wurden großteils Ausgaben automatischer Tools unhinterfragt wiedergekäut. Das macht noch keine Analyse.” In Richtung “Spiegel” heißt es: “Hier wären auch große Medien wie @derspiegel in der Pflicht, solche Behauptungen kritisch zu überprüfen, statt sie direkt mit einer clickbaity Schlagzeile zu übernehmen.”
Weiterer Lesehinweis zum Thema Datennutzung durch China, allerdings im Zusammenhang mit einer anderen App: Politische Kontrolle mit Corona-App: “Ohne Gesundheits-App geht in Chinas Großstädten nichts: Wer einen roten statt grünen Code hat, kommt weder in den Bus noch in den Supermarkt. Inzwischen setzen Behörden die App ein, um missliebige Personen festzusetzen.” (tagesschau.de, Tamara Anthony)

6. Sylt, ein juris­ti­sches Wim­mel­bild
(lto.de, Martin Rath)
Als “Insel der Schönen und Reichen” steht Sylt oft im Fokus der Boulevardmedien. In Zusammenhang mit dem 9-Euro-Ticket und der Hochzeit von Finanzminister Christian Lindner berichteten auch viele andere Redaktionen über beziehungsweise von der Nordseeinsel. Martin Rath hat ein paar interessante Rechtsgeschichten rund um Sylt zusammengesucht. Es entsteht ein trotz der trockenen Materie unterhaltsames “juristisches Wimmelbild”.