Preis für von der Tann, Meta sperrt Konten, Haftbefehl vor Merz

1. Nach Vorwurf der Einseitigkeit: ARD-Israel-Korrespondentin von der Tann mit Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis ausgezeichnet
(tagesspiegel.de)
Die ARD-Korrespondentinnen Sophie von der Tann und Katharina Willinger seien mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis geehrt worden. Die Verleihung sei von Protesten überschattet gewesen, die sich explizit gegen von der Tann gerichtet hätten. Diese habe die Vorwürfe einer einseitigen Gaza-Berichterstattung zurückgewiesen und dabei Unterstützung von der Organisation Reporter ohne Grenzen erhalten.

2. Meta startet mit Ausschluss von unter 16-Jährigen
(taz.de)
Ab dem 10. Dezember gelte in Australien ein striktes Social-Media-Verbot für Personen unter 16 Jahren. Der Meta-Konzern habe bereits damit begonnen, betroffene Konten von Plattformen wie Instagram und Facebook präventiv zu sperren. Ein Sprecher habe den Jugendlichen jedoch zugesichert, dass ihre Daten gespeichert und die Profile vollständig wiederhergestellt würden, sobald sie das geforderte Mindestalter erreicht haben. Das Gesetz sehe bei Zuwiderhandlung hohe Millionenstrafen für die Unternehmen vor. Es schließe auch Dienste wie TikTok oder Snapchat ein.

3. Ein Plädoyer fürs Zuhören
(verdi.de, Till Schmidt)
Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen wirbt für eine “innere Gastfreundschaft” des Zuhörens. Er unterscheidet dabei zwischen dem bloßen Verstehen, dem empathischen Verständnis und dem tatsächlichen Einverständnis als Voraussetzungen für einen echten Dialog. Pörksen kritisiert zudem einen durch Soziale Medien befeuerten “Kult der Kurzfristigkeit”. Um die Qualität des unabhängigen Journalismus langfristig zu sichern, sei neben der Regulierung der Tech-Giganten vor allem eine umfassende Bildungsanstrengung notwendig.

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4. Zentrale Kontrollinstanz für den ÖRR: Neuer Medienrat kommt nach Weimar
(flurfunk-dresden.de)
Die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten der Länder hätten beschlossen, die Geschäftsstelle des neu geschaffenen Medienrates zur Kontrolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks an der Bauhaus-Universität in Weimar anzusiedeln. Das unabhängige, sechsköpfige Expertengremium solle künftig systemübergreifend überprüfen, inwieweit ARD, ZDF und Deutschlandradio ihren im Reformstaatsvertrag definierten Auftrag erfüllen.

5. Wie mit KI-Bildern von einem Weihnachtsmarkt Unsicherheit erzeugt wird
(correctiv.org, Kimberly Nicolaus)
Ein auf TikTok und anderen Plattformen verbreitetes Sharepic, das einen idyllischen Weihnachtsmarkt von 2014 einer angeblichen Hochsicherheits-Szenerie im Jahr 2025 gegenüberstelle, sei von Faktencheckern als KI-Fälschung entlarvt worden. Sie hätten anhand typischer Fehler wie unleserlicher Polizeiaufschriften oder unlogischer Architektur nachgewiesen, dass es sich nicht um reale Orte handele. Mit dem Verweis auf das von Bundeskanzler Friedrich Merz thematisierte “Stadtbild” solle der Beitrag in Sozialen Medien gezielt Unsicherheit schüren und migrationsfeindliche Narrative bedienen.

6. Google-Trends: Netflix dominiert bei Serien, RTL bei Reality
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Laut dem Google-Jahresrückblick 2025 dominiere der Streaminganbieter Netflix das Suchinteresse der Menschen, wobei die Serie “Monster” und der deutsche Film “Babo – Die Haftbefehl-Story” die Spitzenplätze bei den Serien beziehungsweise Filmen belegt hätten. Der mediale Erfolg von “Babo” habe zudem dazu geführt, dass Rapper Haftbefehl noch vor Bundeskanzler Friedrich Merz zur meistgesuchten deutschen Persönlichkeit avanciert sei. Im Reality-Segment habe sich RTL mit dem “Dschungelcamp” als Marktführer behauptet, Amazon Prime mit “Maxton Hall” bei den Serien einen Achtungserfolg erzielt.

Kahlschlag bei RTL, Polizei behindert Presse, Wire­card-Berich­t­er­stat­tung

1. Der Deutsche Journalisten-Verband ist schockiert über die geplanten Stellenstreichungen bei RTL
(djv.de, Hendrik Zörner)
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) zeigt sich “schockiert” über den geplanten Personalabbau bei RTL, der 600 Stellen betreffen soll. “Das ist eine Katastrophe für die Kolleginnen und Kollegen bei RTL und ihren Töchtern”, so der DJV-Bundesvorsitzende Mika Beuster: “Es dürfte für die Redaktionen mindestens schwierig werden, das jetzige Niveau mit noch weniger Personal zu halten”.
Weiterer Hörtipp in eigener Sache: Bei radioeins kommentiert der “6-vor-9”-Kurator: “Hätte man sich die neunzig Millionen für Stefan Raab gespart, hätte man jedem dieser 600 Mitarbeiter ein Monatsgehalt von über 6.000 Euro zahlen können. Und zwar Monat für Monat. Volle zwei Jahre lang. Aber die Senderbosse wollten sich ja unbedingt den vermeintlichen König Midas gönnen. Nur dass der nichts mehr zu Gold macht, sondern alles in Rauch aufgehen lässt, was er anfasst.” (radioeins.de, Lorenz Meyer, Audio: 4:01 Minuten)
Weiterer Lesetipp: Auch beim österreichischen öffentlich-rechtlichen ORF herrsche Spardruck, doch die Auswirkungen sind vergleichsweise gering: Hier sollen lediglich 50 Jobs von 4.000 wegfallen und das auch nur über Nicht-Nachbesetzungen. (dwdl.de, Timo Niemeier)

2. Polizei behindert Presse bei Protesten in Gießen
(netzpolitik.org, Markus Reuter)
Bei den Protesten gegen die Gründung der AfD-Jugend in Gießen habe die Polizei die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten massiv behindert, indem sie Presseausweise ignoriert und den Zugang zu polizeilichen Maßnahmen, beispielsweise Räumungen, verwehrt habe. Betroffen gewesen seien unter anderem Reporter der “taz” sowie des Bundesverbands Freier Radios. Innerhalb der Veranstaltungshalle seien Medienschaffende durch die AfD eingeschränkt worden. Man habe deren Bewegungsfreiheit durch Wachpersonal unterbunden und den Pressebereich eingezäunt.

3. An den Online-Pranger gestellt
(taz.de, Johannes Drosdowski)
Das Weiße Haus habe auf seiner Website eine offizielle Liste eingerichtet, auf der kritische Medienschaffende wie die CBS-Chefkorrespondentin Nancy Cordes als vermeintliche “Media Offender of the Week”, also “Medientäter der Woche”, öffentlich an den Pranger gestellt würden. Cordes werde vorgeworfen, über Appelle der Demokraten an das Militär berichtet zu haben, illegale Befehle zu verweigern, was die Trump-Regierung in begleitenden Propagandavideos als aufrührerisch diffamiere. Neben dieser digitalen Hetzkampagne sehe sich die preisgekrönte Journalistin auch direkten Angriffen Donald Trumps ausgesetzt.

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4. Spiegel siegt vor BVerfG wegen Wire­card-Berich­t­er­stat­tung
(lto.de, Felix W. Zimmermann)
Das Bundesverfassungsgericht habe einem Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) München widersprochen und dem “Spiegel” in einem Rechtsstreit um die Berichterstattung über einen mutmaßlichen Wirecard-Hintermann Recht gegeben. Das Gericht habe klargestellt, dass Redaktionen bei komplexen Wirtschaftsstraftaten auch schon bei einem bloßen Anfangsverdacht identifizierend berichten dürfen. Das OLG München müsse den Fall nun neu bewerten, da es laut Bundesverfassungsgericht die Bedeutung der Meinungsfreiheit grundlegend verkannt und fälschlicherweise journalistische Rechercheergebnisse an rein strafrechtlichen Maßstäben gemessen habe.

5. “Mafia-Themen gehören in Italien zum ganz normalen journalistischen Tagesgeschäft”
(dfjv.de, Ralf Falbe)
Ralf Falbe hat mit der seit über 30 Jahren in Italien lebenden Journalistin Petra Reski gesprochen, die intensiv über die Mafia berichtet. Die italienische Mafia sei laut Reski in Deutschland längst tief verwurzelt. Deutsche Gerichte und Verlage würden die Gefahren für berichtende Journalistinnen und Journalisten oft unterschätzen oder diese im Stich lassen. In dem Interview schildert Reski auch ihre persönlichen Erfahrungen mit Drohungen und juristischen Klagen. Angesichts der prekären finanziellen Lage und einer fehlenden Rechtssicherheit rät sie Berufseinsteigern heute davon ab, sich als Freiberufler auf solch riskante Themen zu spezialisieren.

6. Wie wachsen Kinder und Jugendliche in einer mediatisierten Welt auf?
(leibniz-hbi.de, BredowCast, Audio: 42:22 Minuten)
Im “BredowCast” sprechen die Forscherinnen und Forscher Claudia Lampert, Rudolf Kammerl und Katrin Potzel über die Langzeitstudie “Connected Kids”, deren Ergebnis eine deutliche Verjüngungstendenz aufzeige, da Kinder immer früher Zugang zu Smartphones und digitalen Angeboten erhalten. Zudem konnten die Experten beobachten, dass Jugendliche bereits erste Erfahrungen mit KI-Tools wie ChatGPT sammeln und künftig vermehrt interaktives, KI-gestütztes Spielzeug in den Alltag einziehen könnte.

Schulterschluss gegen Tech-Riesen, Gnade vor Recht, Dichtung lose

1. ARD und Verleger fordern Regulierung von Tech-Riesen und KI
(dwdl.de, Uwe Mantel)
In einem gemeinsamen Appell an die Politik hätten sich die ARD und die Verlegerverbände BDZV und MVFP für eine strengere Regulierung von Tech-Monopolen und Künstlicher Intelligenz (KI) ausgesprochen. Intransparente Algorithmen und KI-Systeme würden zunehmend darüber entscheiden, welche Informationen die Menschen erreichen. Angesichts der Gefahr von Desinformation und Manipulation würden die Unterzeichner faire Rahmenbedingungen fordern. Ziel sei es, die digitale und publizistische Souveränität sowie die Auffindbarkeit journalistischer Qualitätsinhalte sicherzustellen.

2. Böh­m­er­manns Ver­wirr­spiel mit Stefan Aust bleibt ver­boten
(lto.de, Felix W. Zimmermann)
Der Bundesgerichtshof habe die Nichtzulassungsbeschwerde des ZDF im Rechtsstreit mit dem Journalisten Stefan Aust um ein satirisches Fahndungsplakat in Jan Böhmermanns “ZDF Magazin Royale” abgewiesen. Damit sei ein Urteil bestätigt worden, wonach Böhmermann Aust nicht mit dem Foto des Schauspielers Volker Bruch (in dessen Rolle als Stefan Aust im Film “Der Baader Meinhof Komplex”) darstellen dürfe. Felix W. Zimmermann kritisiert in seinem Text, dass die Entscheidung, die eine klare Erkennbarkeit von Satire in jedem Detail verlange, das gesamte künstlerische Konzept Böhmermanns bedrohe. Es sei offen, ob das ZDF wegen der grundsätzlichen Bedeutung für die Kunstfreiheit noch vor das Bundesverfassungsgericht ziehe.

3. Gnade vor Recht
(taz.de, Glafira Zhuk)
Die belarussische Journalistin Ksenia Lutskina, die für ihre journalistische Arbeit zu acht Jahren Haft verurteilt worden sei, lebe nach ihrer Begnadigung und Evakuierung heute in Berlin, kämpfe aber immer noch mit den gesundheitlichen Folgen der Haft. In dem Porträt der “taz” schildert Lutskina die brutale Festnahme im Dezember 2020, die haltlosen Vorwürfe der “Verschwörung” und die unmenschlichen Haftbedingungen in verschiedenen Gefängnissen.

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4. Verlage reagieren zurückhaltend: Verurteilter Ex-Mann von Gisèle Pelicot will Buch veröffentlichen
(tagesspiegel.de)
Der zu 20 Jahren Haft verurteilte Serienvergewaltiger Dominique Pelicot suche derzeit einen Verleger für mehrere Romane, Gedichte und eine Biografie, die er während seiner Haft verfasst habe. Laut seiner Anwältin wolle er darin seine Sicht der Dinge schildern. Dies stoße bei Verlagen bisher jedoch auf große Zurückhaltung. Im Gegensatz dazu werde seine Ex-Frau Gisèle Pelicot, die durch den Prozess zur Symbolfigur gegen sexualisierte Gewalt geworden sei, ihre Memoiren im Februar 2026 weltweit in 20 Sprachen veröffentlichen.

5. Fakten, Fame und Follower
(verdi.de, Bärbel Röben)
Medienexperten würden kritisieren, dass selbst öffentlich-rechtliche Formate wie “Funk” zunehmend auf fragwürdige Methoden wie “Truth Baiting” zurückgreifen, um auf den von Algorithmen dominierten Plattformen Reichweite zu erzielen. Da Soziale Medien inzwischen die Hauptinformationsquelle für junge Menschen seien, verlören Journalistinnen und Journalisten ihre Gatekeeper-Rolle an Influencer. Fachleute würden daher eine strengere Regulierung der Tech-Plattformen sowie eine gezielte Unterstützung demokratischer “Newsfluencer” fordern.

6. Was sich reimt, ist niemals ungereimt
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Stefan Niggemeier betrachtet in seinem “Notizblog” die lyrischen Ambitionen des ehemaligen SWR-Intendanten Peter Voß, der in einem Branchen-Newsletter das politische Geschehen wöchentlich in Reimform kommentiere. Die lyrischen Ergüsse würden inhaltlich von Rentenpolitik bis zur “Woke-Schelte” reichen und stellenweise sogar rassistische Klischees bedienen. Zum Schluss bietet Niggemeier zwei Möglichkeiten an: Entweder man interpretiere gemeinsam die Voß-Gedichte, “oder wir versuchen einfach wieder zu vergessen, dass er Woche für Woche in einem Newsletter Gedichte schreibt.”

Versuchte Einschüchterung, RTL baut ab, Attentat auf Maus

1. RSF kritisiert Einschüchterungsversuche gegen Sophie von der Tann und weitere Journalist*innen
(reporter-ohne-grenzen.de)
Die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) zeigt sich solidarisch mit der ARD-Korrespondentin Sophie von der Tann und übt scharfe Kritik an Vertretern des israelischen Staates, die versuchen würden, Journalistinnen und Journalisten durch gezielte persönliche Angriffe in Sozialen Netzwerken einzuschüchtern. “Selbstverständlich soll und darf journalistische Arbeit sachlich kritisiert werden. Wenn jedoch offizielle Vertreter*innen eines Staates ihre Rolle, ihre Reichweite und ihren Einfluss dazu nutzen, einzelne Medienschaffende namentlich zu diffamieren, überschreiten sie eine Grenze”, so RSF-Geschäftsführerin Anja Osterhaus.

2. RTL Deutschland baut Stellen im höheren dreistelligen Bereich ab
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
Nach Informationen des Medienmagazins “DWDL” plane RTL Deutschland den größten Stellenabbau der Unternehmensgeschichte. Aufgrund des anhaltend schwierigen Werbemarktes und der Transformation hin zum Streaming seien voraussichtlich mehr als 600 Arbeitsplätze von der Maßnahme betroffen. Da auch ganze Geschäftsbereiche abgewickelt werden könnten, würden trotz der Einigung mit dem Betriebsrat betriebsbedingte Kündigungen drohen.

3. Harald Martenstein ersetzt toten Franz Josef Wagner
(taz.de)
Nach dem Tod von Franz Josef Wagner werde Harald Martenstein ab Februar dessen täglichen Kolumnenplatz in der “Bild”-Zeitung übernehmen. Unter dem Titel “Mail von Martenstein” solle das neue Format künftig montags bis freitags erscheinen. Seine bestehende Kolumne in der “Welt am Sonntag” werde er parallel fortführen. Martenstein selbst habe angekündigt, er wolle versuchen, auf seine eigene Art “völlig verrückt” zu sein.
Anmerkung des “6-vor-9”-Kurators: Damit endet laut der “Zeit”-Chefredakteure Giovanni di Lorenzo und Jochen Wegner auch Harald Martensteins Tätigkeit für die “Zeit”: “Harald Martenstein ist eine Säule des ZEITmagazins und einer der bekanntesten Autoren der @zeit. Nach 24 gemeinsamen Jahren sind wir über seinen Wechsel zur BILD-Zeitung mehr als traurig, aber auch dankbar für das, was er geleistet hat.” (Wegners Facebook-Post ist nur für Personen freigeschaltet, die dort mit ihm befreundet sind.)
Und ein Hinweis in eigener Sache: Vor ein paar Jahren hat der “6-vor-9”-Kurator im Rahmen eines Promi-Weihnachtskalenders die Weihnachtsgeschichte im Stil von Harald Martenstein geschrieben: “Nennen Sie mich altmodisch, aber für mich ist es keine Familie, wenn die Mutter eines Kindes eine Pipette oder der Vater ein ‘Heiliger Geist’ ist.” (uebermedien.de, Lorenz Meyer)

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4. Digitale Mobilität als Machtfaktor
(verdi.de, Bärbel Röben)
Auf der Tagung “Gender, Macht & Mobilität” hätten Medienforscherinnen und -forscher darüber diskutiert, wie mobile Technologien über Sichtbarkeit entscheiden und dabei Macht- sowie Geschlechterverhältnisse im digitalen Raum neu aushandeln. Die Beiträge hätten verdeutlicht, dass Plattformen zwar marginalisierten Gruppen wie Migranten oder Feministinnen wichtige Räume für ein Empowerment böten, diese jedoch oft durch algorithmische Unsichtbarkeit oder Überwachung bedroht seien. Umgekehrt sei analysiert worden, wie rechtsextreme Akteure gezielt Künstliche Intelligenz und traditionelle Frauenbilder nutzen würden, um ihre Ideologie im Mainstream zu normalisieren.

5. Sieben stolze Preisträgerinnen und Preisträger: Jugendredaktion Salon5 zeichnet die beliebtesten Jugendbücher aus
(correctiv.org)
Die Jugendredaktion “Salon5” habe sieben Jugendbücher ausgezeichnet, die zuvor von einer jungen Jury in Kategorien wie “Aktivismus”, “Humor” oder “Gefühle” ausgewählt worden seien. Ziel des Preises sei es, die echten Leseinteressen der jungen Generation in den Fokus zu rücken und deren Engagement zu würdigen: “Für den Salon5-Jugendbuchpreis reichen Jugendliche aus ganz Deutschland die Bücher ein, die ihnen wirklich gefallen. Diese liest die Jury, die aus 13- bis 19-Jährigen besteht, und wählt in einem intensiven Prozess die Bücher aus, die in verschiedenen Kategorien ausgezeichnet werden.”

6. Der Elefant war es nicht
(spiegel.de)
Nach der Veröffentlichung von Fahndungsfotos zum Brandanschlag auf die Maus-Statue vor dem WDR-Gebäude seien bei der Kölner Polizei am Wochenende erste Hinweise eingegangen. Gesucht werde ein Unbekannter, der im Juli über eine Stunde lang versucht habe, die beliebte Figur in Brand zu setzen, bevor er auf einem Fahrrad vom Tatort geflüchtet sei. Die durch das Feuer beschädigte Figur stehe nach einer umfassenden Reparatur inzwischen wieder an ihrem angestammten Platz.

ARD streicht Programm, Junger Journalismus, Wandel in Polen

1. Wegen Reformstaatsvertrag: ARD reduziert Radiosender und Onlinetexte
(tagesspiegel.de)
Aufgrund des neuen Reformstaatsvertrags streiche die ARD zahlreiche Radiosender wie “BR Schlager” oder “MDR Klassik”. So solle die festgesetzte Obergrenze von 53 Programmen eingehalten werden. Auch im Internet gälten bald strengere Regeln: Bei tagesschau.de und in der “Tagesschau”-App müssten Texte künftig deutlich hinter Audio- und Videoinhalten zurückstehen. Der Senderverbund befürchte, dass diese Einschränkungen zu einem Verlust an Schnelligkeit und einer geringeren Reichweite in Suchmaschinen führen werden.

2. Zwischen Einfluss und Reform: Zwei Jahre medienpolitischer Wandel in Polen aus der Perspektive junger Medienschaffender
(de.ejo-online.eu, Ilka Gartner)
Zwei Jahre nach dem Regierungswechsel in Polen habe sich die Situation der Pressefreiheit zwar verbessert, doch der öffentlich-rechtliche Rundfunk bleibe ein politisch umkämpftes Feld. Junge Medienschaffende würden die Reformen als Neustart begrüßen, jedoch wegen fehlender rechtlicher Absicherung und der Sorge vor erneuter politischer Einflussnahme skeptisch in die Zukunft blicken. Die jüngere Generation ziehe ihre Informationen zunehmend aus Sozialen Netzwerken statt aus dem Fernsehen.

3. Pressefreiheitspreis 2025 geht an Koelbl und Ronzheimer
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Der “Medienverband der freien Presse” habe die “Spiegel”-Korrespondentin Susanne Koelbl und den stellvertretenden “Bild”-Chefredakteur Paul Ronzheimer für ihre “herausragende Auslands-, Kriegs- und Krisenberichterstattung” mit dem Pressefreiheitspreis 2025 ausgezeichnet. Die mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung würdige den Mut der beiden, die Weltöffentlichkeit unabhängig und direkt vor Ort über komplexe Konflikte zu informieren.

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4. Ein Funken Hoffnung für die Pressefreiheit
(taz.de, Mirco Keilberth)
Die bekannte tunesische Anwältin und TV-Kommentatorin Sonia Dahmani sei überraschend vorzeitig aus der Haft entlassen worden, nachdem sie wegen einer regierungskritischen Äußerung verurteilt worden war. Ihr Fall gelte als Symbol für die Unterdrückung der Meinungsfreiheit in Tunesien durch eine umstrittene Gesetzesvorschrift, die im Land oft gegen Journalisten und Kritiker eingesetzt werde. Beobachter würden Dahmanis Freilassung als vorsichtigen Hoffnungsschimmer für die Zivilgesellschaft und Pressefreiheit in Tunesien werten.

5. Newsletter Netzwerk Recherche 251 vom 28.11.2025
(netzwerkrecherche.org, Greta Linde & Margherita Bettoni)
Wie immer eine Empfehlung wert, nicht nur für investigativ arbeitende Journalistinnen und Journalisten: der Newsletter des Netzwerk Recherche. Die aktuelle Ausgabe beginnt mit einigen Worten von Margherita Bettoni, die an Kolleginnen und Kollegen appelliert, öfter über geschlechtsspezifische Gewalt und Femizide zu berichten. Darüber hinaus gibt es einen Überblick über medienrelevante Nachrichten, Veranstaltungen, Preise und Stipendien.

6. Junger Journalismus: Lernen, vernetzen und schützen
(verdi.de, Linda Niedermüller)
Bei der “YouMeCon” in Dresden hätten junge Medienschaffende durch Redaktionsbesuche und Workshops praktische Erfahrungen in Recherche, Interviewführung und Investigativjournalismus gesammelt. Neben dem Handwerk habe bei der Veranstaltung die Verteidigung der Pressefreiheit im Mittelpunkt gestanden. Linda Niedermüller fasst zusammen, was dort noch alles passiert ist.

KW 48/25: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Wochenendausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. Wo stehen Lokalmedien?
(deutschlandfunk.de, Sascha Wandhöfer, Audio: 35:05 Minuten)
Im Deutschlandfunk-Podcast “Nach Redaktionsschluss” geht es um die Zwickmühle des deutschen Lokaljournalismus: Während eine aktuelle Studie dessen Rolle als unverzichtbaren “Pfeiler der Demokratie” hervorhebt, kämpfen viele Häuser ums wirtschaftliche Überleben. Über diesen Spagat zwischen gesellschaftlicher Relevanz und finanziellem Mangel sprechen “MOZ”-Chefredakteur Claus Liesegang, Ralf Heimann vom Projekt “RUMS” und die Medienforscherin Leyla Dogruel.
Transparenzhinweis: Ralf Heimann hat auch schon für das BILDblog geschrieben, unter anderem die achtteilige Serie “Kleine Wissenschaft des Fehlers”.

2. Peinlich, peinlicher, ARD – Wie der ÖRR Boateng reinwaschen will
(youtube.com, Sashka, Video: 17:26 Minuten)
Sashka kritisiert in ihrem Video, dass die dreiteilige ARD-Dokuserie “Being Jérôme Boateng” wie eine reine Image-Kampagne wirke, die den durch Skandale beschädigten Ruf des ehemaligen Fußballspielers auf Kosten der Gebührenzahler aufpoliere. Statt die schweren Vorwürfe gegen ihn sachlich aufzuarbeiten, biete die Serie Boateng eine unkritische Plattform. Die Perspektiven der betroffenen Frauen und die Machtdynamiken würden weitgehend ausgeblendet.
Weiterer Lesetipp aus dem Archiv: Siehe auch unsere Berichterstattung: Die “Bild”-Redaktion hat vergessen, wie “SCHMUTZIG” sie berichtet hat (bildblog.de, Moritz Tschermak).

3. Wie erklärt man seinen Lesern, dass das Privatleben von Konstantin Wecker die Öffentlichkeit etwas angeht?
(uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 32:49 Minuten)
Die “Süddeutsche Zeitung” (“SZ”) hat eine große Recherche über Konstantin Wecker veröffentlicht (nur mit Abo lesbar), in der es um die Beziehung des Musikers zu einer Minderjährigen geht. Holger Klein spricht mit “SZ”-Investigativchef Ralf Wiegand über die Recherche, für die es auch Kritik gebe: “Wie geht die Redaktion mit der Kritik um? Wieso hat sich die ‘Süddeutsche’ entschieden, die Geschichte – auch in dieser Detailtiefe – zu erzählen? Und was unterscheidet diesen Fall von anderen MeToo-Recherchen?”

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4. Brandon Q. Morris, wie verkauft man zwei Millionen Bücher?
(zeit.de, Jochen Wegner & Christoph Amend, Audio: 5:21:02 Stunden)
Im Podcast “Alles gesagt?” bestimmen nicht die Moderatoren Jochen Wegner und Christoph Amend das Ende, sondern allein der Gast. Diesmal nutzte Matthias Matting diese Freiheit für ein über fünfstündiges Gespräch: Der Physiker und Autor, auch bekannt unter seinem Pseudonym Brandon Q. Morris, verrät sein Arbeits- und Geschäftsmodell hinter zwei Millionen verkauften Büchern, spricht über die Unmöglichkeit des Beamens und blickt auf die Anfänge des Internets sowie auf seine Jugend in der DDR zurück.

5. Wie schützen wir die Demokratie vor Tech Bros und KI?
(wind-und-wurzeln.podigee.io, Marina Weisband, Audio: 45:09 Minuten)
Künstliche Intelligenz könnte viele Berufe obsolet machen. Besonders bitter: Die Systeme lernen mit den Werken von Journalisten, Musikerinnen und Künstlern, die sich nun plötzlich in Konkurrenz zur Maschine befinden und von dieser möglicherweise verdrängt werden. In der neuen Ausgabe von “Wind und Wurzeln” analysiert Marina Weisband diesen gigantischen Werttransfer weg von der Gesellschaft hin zu wenigen Konzernen.

6. Der Absturz von Dieter Bohlen
(youtube.com, Mats Schönauer, Video: 26:46 Minuten)
In seinem neuesten Video macht Mats Schönauer dem Musikproduzenten und “Pop-Titan” Dieter Bohlen schwere Vorwürfe: Bohlen schüre gemeinsam mit dem Goldhändler Dominik Kettner gezielt Panik vor einem angeblichen Wirtschaftskollaps, um daraus Profit zu schlagen. Außerdem verbreite er rechtspopulistische Narrative und Falschinformationen, um Kettners Gold-Produkte als vermeintlich einzige Rettung vor Enteignungen zu bewerben.
Transparenzhinweis: Mats Schönauer ist ehemaliger Leiter des BILDblog und Co-Autor des BILDblog-Buchs “Ohne Rücksicht auf Verluste. Wie BILD mit Angst und Hass die Gesellschaft spaltet”.

Gedrosseltes “Nius”, Libertarismus und Neue Rechte, Ständig überlastet

1. Ei­ne*r von vier hält Berichterstattung für ausgewogen
(taz.de)
Laut einer aktuellen Studie der Ludwig-Maximilians-Universität München halte nur gut ein Viertel der Menschen in Deutschland die mediale Berichterstattung über den Nahost-Krieg für ausgewogen. 30 Prozent nähmen eine Schlagseite zugunsten Israels und lediglich neun Prozent eine Bevorzugung der palästinensischen Seite wahr. 35 Prozent der Befragten hätten sich kein Urteil zugetraut. Die Einschätzung hänge dabei stark von der eigenen Positionierung ab.

2. Reichweiten-Probleme: Wie Nius die Drosselung auf TikTok umgeht
(dwdl.de, Simon Pycha)
Nach wiederholten Sperren und einem mutmaßlichen Shadowban des Hauptaccounts setze das rechtspopulistische Portal “Nius” auf TikTok nun verstärkt auf dezentrale Personenmarken, um die Reichweitenbeschränkungen zu umgehen. Die Strategie gehe auf, da die Kanäle einzelner Hosts als sogenannte Newsfluencer deutlich höhere Abrufzahlen erzielen würden und nicht von den Sanktionen gegen die Dachmarke betroffen seien. Gleichzeitig bewege sich das Vorgehen in einer rechtlichen Grauzone.
Weiterer Lesetipp: NDR-Tochter lässt Nius wie echtes Fernsehen aussehen: “Die NDR-Tochterfirma Studio Hamburg hat Teile des Sets und Sofas für das rechtspopulistische Medium Nius gebaut. Hoppla!” (taz.de, Amira Klute)

3. Wie vernetzt sind Libertarismus und Neue Rechte?
(tagesschau.de, Karin König)
Eine aktuelle Analyse des CeMAS komme zu dem Ergebnis, dass sich auf der Plattform X signifikante ideologische und strukturelle Überschneidungen zwischen dem libertären Milieu und der extremen Rechten zeigen. Die Forscher würden davor warnen, dass libertäre Themen als harmlos wirkender Deckmantel dienen könnten, unter dem rechtsextreme Inhalte in neue Zielgruppen einsickern, etwa über Finanz-Podcasts.

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4. Ständig überlastet: So entkommen Medienprofis der Ressourcenfalle
(kress.de, Attila Albert)
Viele Medienschaffende würden unter chronischer Überlastung leiden, deren Ursachen oft in mangelnder Ressourcenausstattung, schlechter Organisation oder fehlender Abgrenzung zu finden seien. Als Gegenstrategie empfiehlt Attila Albert eine strikte Priorisierung der Kernaufgaben im Dialog mit Vorgesetzten, das Delegieren von Tätigkeiten sowie das Einkalkulieren realistischer Zeitpuffer.

5. Es gibt keine künstliche Intelligenz!
(npj.news, Stephan Weichert)
Der Medienwissenschaftler Stephan Weichert warnt vor der vom Silicon Valley propagierten Verschmelzung von Mensch und Maschine. Dabei handele es sich vor allem um ein aggressives Geschäftsmodell, das journalistische Inhalte ausbeute und durch die Verdrängung klassischer Nachrichtenquellen die Demokratie gefährde. Angesichts der wachsenden Dominanz von Algorithmen müssten Redaktionen seiner Meinung nach eine “KI-Resilienz” entwickeln.

6. “Ich wollte radikal ehrlich sein”
(uebermedien.de, Annika Schneider, Audio: 44:15 Minuten)
“Warum tun sich Redaktionen oft so schwer damit, Fehler einzuräumen? Und bei Kritik auch mal zu sagen: Sorry, das ist nicht optimal gelaufen?” Im “Übermedien”-Podcast “Nice & Nötig” unterhält sich Annika Schneider mit dem Wirtschaftsjournalisten Felix Rohrbeck über den Umgang mit Fehlern. Dabei geht es “nicht um Rechtschreibfehler oder falsche Jahreszahlen, sondern um größere Schnitzer im Journalismus: Unausgewogenheit, Voreingenommenheit, Falschinformationen – und wie ein selbstkritischer Umgang damit aussehen könnte.”

Kulturabbauministerium, Trump und die Medien, “Gefährlichste Straßen”

1. Das Kulturabbauministerium
(taz.de, Georg Seeßlen)
Die aktuelle Kritik an Kultur- und Medienstaatsminister Wolfram Weimer wegen dessen geschäftlicher Verflechtungen verstelle den Blick auf das gravierendere Problem, schreibt Georg Seeßlen in seiner “taz”-Kolumne: eine gezielte Politik des Kulturabbaus. Anstatt die Unabhängigkeit der Kunst zu schützen, betreibe Weimer eine neoliberale Kommerzialisierung und nehme zunehmend direkten Einfluss auf Inhalte. Dies zeige sich unter anderem in der Verdoppelung der Förderung für den rechtskonservativen Thinktank “Republik21” bei gleichzeitigem Spardruck auf andere Projekte. Der Angriff auf die freie Kulturlandschaft leite letztlich den Abbau der Demokratie selbst ein, so Seeßlen.

2. Diese Journalistin bietet Trump die Stirn
(youtube.com, Daniel Bröckerhoff, Video: 7:12 Minuten)
Das NDR-Medienmagazin “Zapp” thematisiert den offenen Angriff von US-Präsident Donald Trump auf die ABC-Korrespondentin Mary Bruce. Trump habe sie nach einer kritischen Frage an den saudischen Kronprinzen zum ermordeten “Washington-Post”-Journalisten Jamal Khashoggi beschimpft und ihren Sender bedroht. “Zapp” zieht das Fazit, dass Trumps Umgang mit Medien zunehmend autokratische Züge annehme. In den USA erfordere kritischer Journalismus inzwischen enormen Mut und starke Nerven.
Zusätzlicher Hörtipp in eigener Sache: Bei radioeins kommentiert der “6-vor-9”-Kurator die jüngste Attacke Trumps auf eine Reporterin: “Der mächtigste Mann der Welt nennt eine Journalistin ‘Schweinchen’. Alle schweigen, und das Protokoll verschweigt es. Wenn Journalismus sich so disziplinieren lässt, ist er kein Wachhund mehr, sondern ein Schoßhund.” (radioeins.de, Lorenz Meyer, Audio: 4:08 Minuten)

3. Wenn die bürgerliche Mitte mit Neonazis paktiert
(blog.campact.de, Matthias Meisner)
Nach dem Abschied von Langzeit-Präsident Thomas Krüger sehe sich der designierte Nachfolger an der Spitze der Bundeszentrale für politische Bildung, der SPD-Politiker Sönke Rix, bereits vor Amtsantritt einer Kampagne konservativer und rechter Medien ausgesetzt. Matthias Meisner warnt in diesem Zusammenhang vor einer zunehmenden Diskursverschiebung. Selbst etablierte Medien wie der “Tagesspiegel”, die “Berliner Zeitung” oder der öffentlich-rechtliche MDR würden durch unkritische Berichterstattung die Grenzen nach Rechtsaußen verschwimmen lassen.

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4. Die “gefährlichsten Straßen Deutschlands”
(rwi-essen.de)
Die Autorinnen und Autoren der “Unstatistik des Monats” kritisieren Medienberichte über eine Allianz-Studie zu den vermeintlich gefährlichsten Straßen Deutschlands. Dort werde systematisch absolutes Verkehrsaufkommen mit tatsächlichem Unfallrisiko verwechselt. Die Einstufung von Nordrhein-Westfalen und Bayern als besonders gefährlich sei ein logischer Fehlschluss, da ohne Bezugsgrößen wie gefahrene Kilometer lediglich die hohe Verkehrsdichte abgebildet werde, nicht jedoch die echte Gefährdungslage.

5. Grokipedia: Musks Angriff auf die Wahrheit
(verdi.de, Lorenz Matzat)
Aus Frust über eine angebliche “Wokepedia” habe Elon Musk mit seiner “Grokipedia” eine KI-basierte Alternative lanciert, die laut ersten Studien gezielt “alternative Fakten” und geschönte Darstellungen rechter Akteure präsentiere. Dieses Vorgehen folge der Desinformationsstrategie Steve Bannons, Kommunikationsräume global zu beeinflussen. Als Gegenmaßnahmen schlügen Experten vor, “Grokipedia”-Inhalte konsequent aus den Trainingsdaten anderer KI-Modelle auszuschließen.

6. Was die Podcast-Branche 2025 bewegt
(blog.medientage.de, Petra Schwegler)
Auf der Fachkonferenz “So Many Voices” hat die Podcast-Szene ihre Erfahrungen ausgetauscht. Der zunehmenden Professionalisierung und drohenden Austauschbarkeit durch Künstliche Intelligenz müsse mit mutigen Experimenten und Authentizität begegnet werden. Trotz der Dominanz von Formaten mit Prominenten und Algorithmen böten Nischen oder hyperlokale Inhalte weiterhin Chancen für Relevanz.

Druck auf EU wächst, Debatte um Social-Media-Verbot, Letzte Rettung?

1. Der Druck auf die EU wächst: Trump greift die freie Presse an
(tagesspiegel.de, Jens Münchrath & Jakob Hanke Vela)
US-Präsident Donald Trump verschärfe in seiner zweiten Amtszeit den Kampf gegen die freie Presse durch Milliardenklagen, Lizenzentzugsdrohungen und die gezielte Drangsalierung von Journalistinnen und Journalisten. Mithilfe verbündeter Tech-Milliardäre treibe er gleichzeitig die Übernahme von Medienplattformen wie TikTok und CNN voran, um die öffentliche Meinung kontrollieren zu können. Die EU-Kommission sei alarmiert und prüfe, wie man die unheilvolle Entwicklung aufhalten könne.

2. DW-Belegschaft protestiert gegen Etat-Kürzungen
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Vor der endgültigen Verabschiedung des Bundeshaushalts 2026 würden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Deutschen Welle (DW) sowie die Gewerkschaft Verdi gegen die vom Haushaltsausschuss geplante Kürzung des DW-Etats um zehn Millionen Euro protestieren. Intendantin Barbara Massing und Aufsichtsgremien hätten die Sparpläne angesichts der globalen Bedeutung freier Informationen scharf als “völlig falsches Signal” kritisiert.

3. Ein Alibi für Pornografie?
(kulturundkontroverse859.substack.com, Johannes Franzen)
Johannes Franzen schreibt, dass True-Crime-Magazine versuchen würden, reine Sensationslust durch eine edle Aufmachung und einen seriösen journalistischen Anstrich kulturell aufzuwerten. Die Zeitschriften würden dabei informative Begleittexte und Experteninterviews lediglich als ethisches Alibi nutzen. Es ginge vor allem darum, den eigentlichen voyeuristischen Konsum spannender Gewaltverbrechen zu rechtfertigen. Das Genre sei eine Mischung aus Kitsch und Pornografie, die echtes menschliches Leid unter dem Deckmantel des Qualitätsjournalismus ausschlachte.

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4. Social Media: Verbote sind nur die “Ultima ratio”
(medientage.de, Bettina Pregel)
“Wo verläuft die Grenze zwischen Schutz und Freiheit? Und wie sinnvoll und durchsetzbar ist ein Verbot?” Bei den 21. Augsburger Mediengesprächen habe es eine kontroverse Debatte über mögliche Altersgrenzen für die Social-Media-Nutzung gegeben. Bettina Pregel fasst die Argumentationslinien zusammen.

5. Neue Gesichter im RBB-Verwaltungsrat
(verdi.de, Volker Nünning)
Am kommenden Donnerstag wähle der RBB-Rundfunkrat sieben sachverständige Mitglieder für die ab 2026 beginnende Amtsperiode in den Verwaltungsrat, wofür aus ursprünglich 71 Bewerbungen 13 Kandidatinnen und Kandidaten vorgeschlagen worden seien. Mit der Neuaufstellung erhalte das Gremium künftig erweiterte Befugnisse und eine feste Vergütung, müsse sich aber auch auf verschärfte Haftungsregeln mit finanziellem Selbstbehalt einstellen.

6. Bulo’s Beobachtungen: Mit Gemini 3 ist dann alles vorbei.
(turi2.de, Bulo)
In seiner Kolumne sieht “Publikaturist” und Agentur-Kreativchef Peter “Bulo” Böhling angesichts des rasanten Fortschritts der KI, insbesondere des neuen Gemini-Modells von Google, nur noch einen Weg: “Entertainment! Künstliche Intelligenz kann alles lernen, aber den subtilen, schwarzen Humor, den die Leser so lieben, wird sie nie verstehen. Also, investieren Sie in Satire, Comedy, Kabarett, Kinos, Filme, Sender, Bewegtbilder, Infotainment, Karikaturen, Kultur … und vielleicht auch in einen Schimpfwort-Kurs für Führungskräfte! Klingt lustig, ist aber kein Scherz.”

Stimme der Mehrheit?, Druck auf dem Kessel, Gefahren von “AI Slop”

1. Ist es egal, ob es eine Kampagne ist?
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Stefan Niggemeier geht der Frage nach, ob etablierte Medien die Enthüllungen des rechten Portals “Apollo News” über Kulturstaatsminister Wolfram Weimer aus politischer Abneigung gegen “Apollo News” zunächst ignoriert haben könnten. Er widerlegt diese These, stellt jedoch fest: “Richtig ist aber, dass Journalisten sich auf eine kompliziertere Medienwelt einstellen müssen, in der rechte Medien nicht nur mit Hetze und Emotionen, sondern auch mit Recherchen und Journalismus den öffentlichen Diskurs beeinflussen.”

2. Stimme der Mehrheit? Wirklich? Wie erfolgreich ist Nius?
(kress.de, Marc Bartl & Markus Wiegand)
Das rechte Medienportal “Nius” habe laut einer Analyse von “kress pro” im September mit Platz 115 die Top 100 der deutschen Onlinemedien verfehlt und liege damit reichweitentechnisch noch hinter dem Konkurrenten “Tichys Einblick” (Platz 104). Gleichzeitig offenbare der “Bundesanzeiger” für das Jahr 2023 bei der “Nius”-Muttergesellschaft “Vius” einen Jahresfehlbetrag von 13,8 Millionen Euro. Damit könne das Portal von Julian Reichelt und Frank Gotthardt sein eigenes Versprechen, die “Stimme der Mehrheit” zu sein, derzeit weder publizistisch noch finanziell einlösen.

3. Druck auf dem Kessel
(taz.de, Harff-Peter Schönherr)
Wie Harff-Peter Schönherr in der “taz” berichtet, hat sich in Osnabrück die Leser-Initiative “Aktion NOZkritisch” formiert, die der “Neuen Osnabrücker Zeitung” (“NOZ”) eine zunehmende Öffnung für rechtspopulistische Narrative vorwerfe. Die Kritiker sähen eine gefährliche Normalisierung rechter Positionen, die mit journalistischer Ausgewogenheit nichts zu tun habe. Verschärft habe sich der Konflikt durch den unangemeldeten Besuch von “NOZ”-Führungskräften beim Gründungstreffen der Gruppe.

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4. Wir versinken in Schrott
(wissenschaftskommunikation.de, Anna Henschel)
Bei Wissenschaftskommunikation.de berichtet Anna Henschel über die Gefahren von “AI Slop”. Gemeint ist damit die Flut minderwertiger, KI-generierter Inhalte, die digitale Räume überschwemmen und seriöse Informationen verdrängen würden. Dieses Phänomen führe zu Identitätsdiebstahl und einer Überlastung von Wissensinfrastrukturen wie der Wikipedia. Außerdem drohe durch das Training von KI mit KI-Daten ein irreversibler Qualitätsverfall (“Model Collapse”).

5. Das EU-Parlament steuert auf den nächsten Konflikt zu
(netzpolitik.org, Anna Ströbele Romero)
Der geplante “Digitale Omnibus” der EU-Kommission, der Digitalgesetze vereinfachen soll, sorge im Europaparlament für heftigen Streit, da Sozialdemokraten, Grüne und Linke eine gefährliche Aushöhlung von Datenschutz und KI-Sicherheitsstandards befürchten würden. Besondere Brisanz erhalte die Debatte durch die Sorge, dass die Konservativen erneut eine Mehrheit mit rechtsextremen Fraktionen bilden könnten, um die Deregulierung durchzusetzen.

6. CNN stoppt Lieferungen von Nachrichten an Apple News
(spiegel.de)
Der US-Nachrichtensender CNN habe die Belieferung von Apple News eingestellt, um in laufenden Vertragsverhandlungen den Druck auf den Tech-Konzern zu erhöhen und die eigene Verhandlungsposition zu stärken. Dahinter stehe ein strategischer Kurswechsel des Senders, der die Abhängigkeit von externen Plattformen verringern und stattdessen das eigene, kürzlich eingeführte Abo-Modell vorantreiben wolle.

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Ist hier irgendwo Geist?

“Bild” schreibt groß über die Entdeckung von Licht ferner Planeten und macht daraus einen gewaltigen Aufmacher. Vielleicht hätten sie jemanden fragen sollen, der sich damit auskennt.

Es ist einer dieser “Bild”-Artikel, bei denen man gar nicht weiß, ob man wirklich versuchen soll, all die Fehler im einzelnen aufzudröseln, oder es beim pauschalen: “Alles Humbug!” belassen soll. Versuchen wir’s.

Erster Blick in die Unendlichkeit

Es fängt an mit dem Bild. Nein, so hat man ihn nicht gesehen, den fernen Planeten, dessen Licht gerade erstmals gemessen werden konnte. So sieht er auch nicht aus. Das Bild ist eine künstlerische Darstellung der Nasa, wie ein Stern und ein ihn eng umkreisender Planet von der Nähe aussehen könnten, und zwar nicht im normalen Licht, sondern in Infrarotlicht. Es ist ein Modell, ein Symbolbild, wie aus der Veröffentlichung der Nasa deutlich hervorgeht. Nur “Bild” hat das ignoriert überlesen.

Und was schreibt “Bild” treuherzig unter die Abbildung?

Feuerrot umkreist der neue Planet seine Riesensonne.

Nein, tut er nicht. Graubeige sähe er vermutlich aus (wenn man ihn sehen könnte). Und was an dem Planeten “neu” ist, weiß “Bild” allein. Von seiner Existenz wussten die Forscher jedenfalls vorher schon.

Der Autor des “Bild”-Textes hat nicht im Ansatz verstanden, was das Besondere an der Entdeckung der Astronomen ist: Erstmals wurde die Wärmestrahlung, das Infrarotlicht von Planeten außerhalb unseres Sonnensystems gemessen. Der Durchbruch besteht nicht darin, dass man Himmelskörper entdeckt hat, die besonders weit von uns entfernt sind, sondern dass es sich um Planeten handelt, nicht um Sterne. Und was schreibt “Bild”?

Menschheit gelingt erster Blick in die Unendlichkeit

Humbug. Die beiden beobachteten Planeten sind rund 150 bzw. 500 Lichtjahre von uns entfernt. Wenn das die Unendlichkeit ist, hat fast jeder von uns schon diverse “Blicke in die Unendlichkeit” getan, und das mit bloßem Auge: Der helle Polarstern zum Beispiel ist 430 Lichtjahre von uns entfernt.

Weiter bei “Bild”:

Astronomen haben erstmals mit dem supermodernen “Spitzer Weltraumteleskop” (es ist mit Infrarotkameras ausgerüstet) das Licht fremder Welten außerhalb unseres Sonnensystems eingefangen.

Was für ein Quatsch. Das “Licht fremder Welten außerhalb unseres Sonnensystems” kennt jedes Kind. Es nennt es Sternenhimmel.

Am besten an dem “Artikel” ist allerdings die Frage:

Ist hier irgendwo Gott?

Genau: Auf irgendeinem Planeten ein paar Hundert Lichtjahre von uns entfernt sitzt Gott. Vielleicht sollte die “Bild”-Chefredaktion da beim nächsten Besuch beim Papst doch noch einmal genauer nachfragen.

(Fundiertere Berichte zum Thema stehen z.B. hier, hier, hier und hier.)

Das Herzlos-Herrchen von Löbau

Hunde sind etwas ganz Wunderbares: Sie kotzen auf den Teppich, müssen ständig raus, haaren das Auto voll, verkratzen das Parkett, knabbern am Sofa, neigen zum Sabbern oder haben Herzfehler – und wenn sie eines Tages sterben, ist das sehr, sehr traurig. Außerdem kosten sie Geld: Futter, Hundehaftpflicht, Tollwutimpfung, Bahn- und U-Bahn-Karten, Quietschetierchen, Leckerli… Glücklich ist, wer einen Hund im bayerischen Windorf hat, denn offenbar gibt’s da wenigstens keine Hundesteuer. Im 180 Kilometer entfernten München hingegen sind’s jährlich 76,80 Euro, 100 Kilometer weiter, in Klais, angeblich sogar 1.200 Euro usw.

Gut 500 Kilometer von der Hundesteueroase Windorf liegt Löbau, wo der Stadtrat am 12. Mai 2005 eine neue Hundesteuersatzung beschlossen hat, wonach ein Hund nun beispielsweise 18 Euro weniger als in Berlin, 54 Euro weniger als in Köln kostet (ja, selbst bei mehreren Hunden mindestens 54 Euro weniger als z.B. in Villingen-Schwenningen). Und am 19. September 2005 fand sich deshalb in “Bild” folgende, mit “vier süßen Welpen” illustrierte, Geschichte:

"Hundesteuer 100 Prozent rauf - Herrchen muss uns einschläfern!"

Mit anderen Worten: “Bild” wollte sich offenbar über die Hundesteuererhöung in Löbau echauffieren und hatte zur Veranschaulichung den Löbauer Bernd Engelmann aufgetan, dessen Riesenschnauzerhündin Maxi im Juli eben jene “vier süßen Welpen” (siehe Ausriss) bekommen hatte, woraufhin “Bild” textete:

“Die Welpen sind erst neun Wochen alt. Aber ihr Besitzer muß sie wohl einschläfern, weil er die teure Hundesteuer nicht bezahlen kann.”

Wiederholt taucht das “einschläfern müssen” in der kurzen “Bild”-Meldung auf. Und das ist nicht nur falsch (weil Engelmanns “süße Welpen” noch gar nicht hundesteuerpflichtig sind und gemäß Hundesteuersatzung erst ab November angemeldet werden müssten), sondern auch grob irreführend: Denn von “einschläfern müssen” kann keine Rede sein – im Gegenteil: Laut Tierschutzgesetz ist das Töten von Wirbeltieren “ohne vernünftigen Grund” verboten und wird mit Freiheits- oder Geldstrafe bestraft. Eine vielleicht nicht unwesentliche Information, die “Bild” jedoch ebenso verschweigt wie die weitaus naheliegendere Möglichkeit, die Welpen einfach zu verkaufen oder zu verschenken.

Mit Dank an Kinga K. und Jana für den Hinweis, danke auch an Ella und Nappo für die Inspiration.

“Bild” rächt sich am Bundestagspräsidenten

Die “Bild”-Zeitung arbeitet in diesen Tagen offenbar gezielt daran, das Ansehen von Bundestagspräsident Norbert Lammert zu beschädigen. Begonnen hat sie damit exakt zu dem Zeitpunkt, als sich Lammert weigerte, in einem von “Bild” gewünschtem Sinne auf von “Bild” gestellte Fragen zu antworten.

Sicher wäre es falsch, das Vorgehen von “Bild” im juristischen Sinne als “Erpressung” zu bezeichnen. Es ist eher so, dass die “Bild”-Zeitung demonstriert, über welche Mittel sie verfügt, um Politikern und anderen Menschen, die nicht bereit sind, sich auf ihre Spielregeln einzulassen, das Leben schwer zu machen.

Die “Bild”-Zeitung greift dazu nicht zu eindeutigen Lügen. Sie verkürzt Tatsachen nur, stellt abwegige Zusammenhänge her, spekuliert vielsagend und führt ihre Leser in die Irre. Die Wahrheit bleibt dabei auf der Strecke.

Es ist mühsam, all die Kleinigkeiten geradezurücken, die die “Bild”-Zeitung in ihrer Kampagne gegen Lammert schief darstellt. Aber da müssen wir jetzt durch.


Am Samstag enthüllte “Bild” (in einigen Ausgaben als Aufmacher auf dem Titel) scheinbar, dass Lammert einen Nebenjob für 25.000 Euro hat. Und geschickt ist schon, wie “Bild” immer das Monatseinkommen als Bundestagspräsident dem Jahreseinkommen durch den Aufsichtsratsposten bei der Ruhrkohle AG (RAG) gegenüberstellt und dadurch die zweite Zahl größer erscheinen lässt, als sie ist:

14 018 Euro/Monat erhält er für den politischen Spitzenjob. Jetzt wird bekannt: Zusätzlich kassiert Lammert als Aufsichtsrat des Essener Kohle-Konzerns RAG 25 000 Euro/Jahr!

Das wird “jetzt” bekannt? Nun ja: Dass Lammert als Aufsichtsrat für die RAG arbeitet, ist so lange bekannt, wie er es macht. Es lässt sich u.a. auf den Internetseiten sowohl der RAG als auch des Deutschen Bundestages nachlesen. Der genaue Betrag von 25.000 Euro scheint öffentlich zwar noch nicht genannt worden. Aber die Größenordnung war klar: Laut RAG-Geschäftsbericht 2004 beliefen sich “die Aufwendungen für die Vergütung des Aufsichtsrats auf 672.214,25 €” — bei 21 Aufsichtsratsmitgliedern und der Annahme, dass die Vorsitzenden etwas mehr bekommen, hätte man Lammerts Anteil annähernd korrekt schätzen können. Im Zusammenhang mit Lammerts Vorgängerin im Aufsichtsrat, Anke Fuchs, schrieb “Bild” schon am 20. September 1995: “Ein Aufsichtsratsposten bringt nicht unter 20 000 Mark, bisweilen bis zu 100 000 Mark im Jahr.”

“Bild” fragt weiter:

Der Parlamentspräsident als Aufseher eines Großkonzerns — geht das überhaupt?

Rein rechtlich schon. Den Job hatte Lammert schon vor seiner Wahl zum Parlamentspräsidenten…

Das ist, wie so vieles, korrekt und doch nicht treffend. Als Lammert den Job antrat, war er nämlich schon Bundestags-Vize-Präsident. Der Eindruck, er habe den Aufsichtsratsposten noch aus einer Zeit, als er im Bundestag noch nicht in verantwortlicher Position war, und weigere sich seitdem, ihn aufzugeben, ist also falsch.

Weiter schreibt “Bild”:

Den Job hatte Lammert (…) auch offiziell bei Amtsvorgänger Thierse angemeldet. Aber: Nach den neuen Bestimmungen müßte Lammert, wie alle Bundestagsabgeordneten mit einem Nebenjob, Angaben über die Einnahmen daraus veröffentlichen.

Doch die entsprechende Regelung hat Lammert in seiner Funktion als Bundestagspräsident vorerst auf Eis gelegt.

Das “Aber” im zweiten Satz ist ohne Sinn. “Bild” versucht einen Zusammenhang zu konstruieren zwischen den Nebeneinkünften Lammerts und seinem Beschluss, die Nebeneinkünfte von Bundestagsabgeordneten aufgrund eines laufenden Verfahrens vorerst nicht zu veröffentlichen. Worin dieser Zusammenhang bestehen soll, lässt “Bild” offen. Denn ganz unabhängig von der Veröffentlichungspflicht war Lammerts Tätigkeit, wie gesagt, bekannt und die Größenordnung der Vergütung auch. Und nach der neuen Regelung, die derzeit auf Eis liegt, müsste er auch keine genaue Zahl angeben, sondern nur, dass er von der RAG im Monat zwischen 1000 und 3500 Euro bekommt.

Weil Lammert angibt, die Vergütung für seinen Aufsichtsratsposten einer “gemeinnützigen Stiftung” zugute kommen zu lassen, beschäftigt sich “Bild” heute mit der Frage, ob es sich dabei vielleicht um die von Norbert Lammert gegründete “Norbert-Lammert-Stiftung” handele. “Bild” kennt zwar die Antwort nicht, findet es aber “merkwürdig”, dass Lammert das nicht ausdrücklich ausschließen, sondern gar nichts dazu sagen will. “Bild” schreibt:

Das ist das gute Recht des Bundestagspräsidenten!

Aber er hätte ausschließen können, daß die Spende oder Teile davon an die beiden Stiftungen gehen, in denen er Führungsfunktionen inne hat. Damit hätte er möglichen Spekulationen die Grundlage entzogen, Lammert spende an Lammert …

Da scheint wieder die alte “Bild”-Logik durch, die schon gegenüber Joschka Fischer und Jürgen Klinsmann galt: Wer nicht ausdrücklich die “Bild”-Unterstellungen gerade rückt, muss damit leben, dass “Bild” sie als wahr annimmt.

Auf geschickte und perfide Weise bringt “Bild” die “möglichen Spekulationen” überhaupt erst selbst in die Welt und tut so, als wäre es anrüchig, wenn Lammert wirklich für seine eigene Stiftung spendete. Das ist grob irreführend. Denn selbst wenn, würde das nicht bedeuten: “Lammert spendet an Lammert”. Die Mittel würden nicht Lammert zugute kommen, sondern ausschließlich gemeinnützigen Zwecken (“Bild” selbst spricht von Projekten in Vietnam und Bolivien). Lammert könnte allenfalls entscheiden, für welche Zwecke das Geld eingesetzt wird. Aber das kann er ja ohnehin schon: Es ist sein Geld, das er völlig legal für seine Aufsichtsratstätigkeit von der RAG bekommt. Für welchen gemeinnützigen Zweck er es ausgibt, ist so oder so seine Entscheidung. Wenn Norbert Lammert das Geld der Norbert-Lammert-Stiftung spendet, ist daran nichts Anrüchiges. Klingt merkwürdig, ist aber so.

Schließlich fragt “Bild” den Bundestagspräsidenten heute: “Warum hat keiner ihrer Vorgänger eine derart hochdotierte Nebentätigkeit ausgeübt?” Interessante Frage. Gegenfrage: Welches Amt hatte Anke Fuchs über viele Jahre inne, während sie die exakt selbe hochdotierte Nebentätigkeit wie Lammert ausübte? Sie war Bundestags-Vize-Präsidentin.

Danke an Lukas L. und Harald L.!

Osthoff nach “Bild”-Recherchen weiter undankbar

Die beiden Geiseln aus Leipzig haben alles richtig gemacht. Nach ihrer Freilassung im Irak haben sie (laut “Bild”) ein Bier verlangt, sich nach dem Stand der Bundesliga erkundigt, bei ihren Familien angerufen und sich sofort bei den Behörden und den Unterstützern bedankt. Das gibt volle Punktzahl von “Bild” und eine freundliche Erwähnung auf der Titelseite.

Susanne Osthoff hat alles falsch gemacht. Und sie macht immer noch alles falsch. Am Donnerstag bei “Johannes B. Kerner” trug sie merkwürdige Irak-Anstecker, rauchte in der Sendung, schimpfte auf Deutschland. Sie hat (laut “Bild”) “bis heute keinen Kontakt zu ihrer Familie aufgenommen”, will nicht sagen, wovon sie lebt, und ihr Bruder ist “nach BILD-Recherchen” gerade von einer vierwöchigen Ägypten-Reise mit Nil-Kreuzfahrt zurückgekehrt. Was immer uns das sagen will.

Und was immer “nach BILD-Recherchen” bedeutet. “Bild”-Autor Sebastian Voigt, der vermutlich das mit der Nil-Kreuzfahrt recherchiert hat, behauptet nämlich auch:

Bis heute hat sich Susanne Osthoff nicht öffentlich für die Anteilnahme an ihrem Schicksal und den Einsatz unserer Behörden bedankt.

Der Vorwurf schaffte es sogar in die Unterzeile der Überschrift:

...und warum hat sie sich immer noch nicht bei den Deutschen bedankt?

Mag sein, dass sich Frau Osthoff nach Meinung der nationalen Punktrichter von “Bild” nicht genug bedankt hat. Aber bedankt hat sie sich. Vor einem Millionenpublikum am 9. Januar 2006 in der ARD-Talkshow “Beckmann”. Sie sagte wörtlich:

“Ich bin jedem dankbar, der sich für mich engagiert hat und für mich seine Zeit geopfert hat.”

Bereits am Tag vor der Ausstrahlung verbreitete dpa eine Zusammenfassung des aufgezeicheten Gesprächs. In der Agenturmeldung hieß es auch:

Die Archäologin kritisierte, dass der deutsche Krisenstab nicht frühzeitig einen Mittelsmann bestellt habe. Trotzdem bedankte sie sich ausdrücklich beim Krisenstab und allen, die zur Beendigung der Geiselnahme beigetragen haben.

Das wäre eigentlich auch für Herrn Voigt nicht so schwer herauszufinden gewesen. Wenn er es denn gewollt hätte.

Wogegen sich Kai Diekmann wehrt V

“Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann streitet sich mit dem toten Rudi Carrell.

Carrell hatte Diekmann im “SZ-Magazin” vorgeworfen, er habe seinen Tod “herbeigesehnt” und sich nie für die verletzende Berichterstattung der “Bild”-Zeitung über seine Krebserkrankung entschuldigt. Diekmann ging daraufhin juristisch gegen die Zeitschrift vor. Nach dem Tod Carrells verlangte er eine “Richtigstellung”, die das Blatt heute abdruckt.

Aber der Reihe nach.

Am 17. März erschien im “SZ-Magazin” ein langes Gespräch mit Rudi Carrell, das “Bild” in Auszügen nachdruckte und in dem es auch um die “Bild”-Zeitung ging:

SZ-Magazin: Wie kam Ihre Krankheit an die Öffentlichkeit?

Carrell: Ich hatte der Bunten ein ehrliches Interview gegeben. Na gut, ich habe versucht, den Krebs etwas herunterzuspielen. “Ich habe zwar eine schwere Krankheit”, habe ich gesagt, “aber ich lebe, habe keine Schmerzen, kann arbeiten.” Und was hat die Bild-Zeitung daraus gemacht? Haarausfall, schwer abgenommen! Ich war stinksauer. Und dann diese schlimmen Fotos: Ich fand die ganze Sache nicht fair – mir gegenüber und Hunderttausenden, die Angst vor einer Krebsvorsorge haben oder selbst vor einer Chemotherapie stehen.

Hat sich die Bild-Zeitung bei Ihnen entschuldigt?

Nein, obwohl ich mich schriftlich beim Chefredakteur beschwert habe: “Ich lasse mich von euch nicht lebendig begraben!” (…)

Haben Sie eine Antwort auf Ihren Brief bekommen?

Ja. “Sie wissen doch, wir sind Ihre größten Fans!”, hat Kai Diekmann zurückgeschrieben. Zwei Tage zuvor hatte er noch meinen Tod herbeigesehnt.

Diekmann erwirkte u.a. gegen diese Passagen eine einstweilige Verfügung. Sie sind deshalb aus dem Online-Auftritt des “SZ-Magazins” spurlos verschwunden.

Außerdem verlangte Diekmann vom “SZ-Magazin” den Abdruck einer Gegendarstellung. Zunächst unterlag er mit dieser Forderung vor Gericht. Wenige Tage vor der nächsten Gerichtsverhandlung starb Carrell. Diekmanns Anwälte verzichteten daraufhin auf ihre Forderung — doch der Tod Carrells war für Diekmann offenbar kein Grund, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Einige Tage später ließ er eine neue Forderung stellen: Das “SZ-Magazin” solle nun eine eigene Richtigstellung abdrucken.

Der Verlag kam dieser Forderung heute nach und stellte im “SZ-Magazin” richtig:

(…) dass der Chefredakteur der Bild-Zeitung, Kai Diekmann, sich in einem Schreiben an Rudi Carrell für die Berichterstattung in Bild über seine Krebserkrankung entschuldigt hat.

(…) dass Kai Diekmann niemals den Tod von Rudi Carrell herbeigesehnt hat.

In der Formulierung, die Diekmann veranlasste, steckt eine erstaunliche Behauptung. Denn wie Carrell können auch wir in Diekmanns Brief keine Entschuldigung für die Berichterstattung entdecken. In seinem Fax vom 22. Dezember 2005 an Carrell räumt er keinerlei Fehlverhalten seiner Zeitung ein. Stattdessen schreibt er:

Sehr geehrter Herr Carrell,

ich finde es sehr bedauerlich, daß Sie sich durch unsere Berichterstattung verletzt fühlen. Das war nicht unsere Absicht. (…)

BILD ist seit Jahren einer Ihrer treuesten Fans. Ich bedaure sehr, daß Sie mit unserer Berichterstattung unzufrieden sind (…).

Was Diekmann bedauert, ist nicht die Berichterstattung von “Bild”, sondern Carrells Unzufriedenheit.

So war das also: In der gleichen Woche, in der Diekmann in seiner Zeitung den Tod “des großen Rudi Carrell”, des “TV-Giganten” und “großen Entertainers” betrauern ließ, beauftragte er seine Anwälte, gegen dessen Aussagen vorzugehen.

Kalter Kaffee “Fake News”, Björn Höcke, Siegeszug der Infografik

1. “Fake News” und der blinde Fleck der Medien
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Alle wollen jetzt alles gegen “Fake News” unternehmen. Sie sei “ein bisschen niedlich, die in Deutschland gerade grassierende Angst, dass Wahlen in Zukunft durch ‘Fake News’ beeinflusst werden könnten”, schreibt Stefan Niggemeier. Denn eigentlich gebe es das doch schon lange: Texte, die zwar einen wahren Kern haben, aber durch einen besonderen Dreh die Vorurteile der Leser bedienen sollen. Bei “Bild” zum Beispiel, Stichwort “Veggie Day”, ohne dass sich wirklich jemand darüber aufregte. Niggemeier: “Wenn die etablierten Medien diesen Kampf nicht als einen Kampf gegen Desinformationen aller Art führen, sondern als einen Kampf Wir gegen Die”, dann hätten sie keine Chance, diesen Kampf zu gewinnen. Ebenfalls zum Thema: Caroline Lees bei “EJO” mit Tipps, “wie man Fake News erkennen kann”. Und James Warren bei “Poynter” über eine neue Studie, die sagt, “Fake News” hätten nicht signifikant zu Donald Trumps Wahlsieg beigetragen (englisch).

2. Schauen Sie diese Rede
(spiegel.de, Sascha Lobo)
“AfD”-Rechtsaußen Björn Höcke hat in Dresden eine Rede gehalten, die nicht nur, aber vor allem wegen seiner Äußerungen zum Holocaust-Mahnmal in Berlin scharf kritisiert wird. “Schauen Sie diese Rede”, fordert Sascha Lobo die Leser seiner Kolumne auf, damit sie später nicht sagen können, man hätte es nicht wissen können: “Wollen Sie das wirklich? Wollen Sie, weil Sie zum Beispiel mit der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung nicht einverstanden sind, einen Mann mit an die Macht bringen, der glaubt, nicht etwa der umgesetzte Holocaust, sondern das deshalb errichtete Holocaust-Mahnmal mache die deutsche Geschichte mies?”

3. Nationale Angelegenheit
(sueddeutsche.de, Karoline Meta Beisel)
Eine Untersuchung der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität zeige, dass Zeitungen nach der Silvesternacht 2015/2016 “sehr viel häufiger als zuvor die Nationalität von Tatverdächtigen genannt” hätten, schreibt Karoline Meta Beisel. Ob sich diese Zunahme auch mit einer Zunahme von Kriminalität unter Ausländern deckt? Das könne man noch nicht endgültig sagen, schließlich sei die dafür nötige Kriminalitätsstatistik noch nicht erschienen. Aber: “eher unwahrscheinlich”.

4. Die Nebenjobs von ARD & ZDF-Sportmoderatoren
(ndr.de, Daniel Bouhs, Video, 6:27 Minuten)
Sportjournalisten berichten über Sport, klar. Aber was, wenn Sportmoderatoren der öffentlich-rechtlichen Sender mal bei einer “FIFA”-Gala moderieren oder beim “Camp Beckenbauer” eine Veranstaltung präsentieren und gleichzeitig im TV kritisch über Franz Beckenbauers Rolle bei der WM-Vergabe berichten? Ist eine kritische Distanz bei der journalistischen Arbeit dann noch möglich? Daniel Bouhs zeigt verschiedene Beispiele, die sich laut Medienwissenschaftler in einer “sehr dunklen Grauzone” bewegen.

5. Die neuen Welterklärer
(tagesanzeiger.ch, Bernd Graff)
“Wenn ein Bild mehr wert ist als tausend Worte, dann ist eine Grafik mehr wert als tausend Zahlen”, schreibt Bernd Graff über den Siegeszug von Infografiken: “Sie vermitteln ein Verständnis von Welt. Die oft schockierenden Bilder der Kriegsfotografie mögen die unmittelbare Wirklichkeit belegen. Doch gegen die Deutungshoheit der Infografik bleiben sie schlichte Dokumente.”

6. Der Trend geht zum Untertitel
(deutschlandradiokultur.de, Mike Herbstreuth, Audio, 5:00 Minuten)
Die wachsende Beliebtheit von Serien aus anderen Ländern, oder Videos, die man sich auf dem stummgeschalteten Smartphone in der U-Bahn anschaut — es gebe verschiedene Gründe für die “Renaissance von Untertiteln”, zeigt Mike Herbstreuth. Aber es gebe ihn, den Trend zur Untertitelung. Herbstreuth hat unter anderem mit einem Hobby-Untertitler gesprochen, der pro Serienfolge schon mal 15 bis 20 Stunden Arbeit investiert.

Rassismus royal, Karikaturenstreit, Social-Media-Papst Papst

1. Rassismus auf allen Kanälen
(taz.de, Frederik Schindler)
Die „taz“ kritisiert die TV-Berichterstattung über das „Royal Wedding“. Die Kommentatoren hätten Meghan Markle mit rassistischen und sexistischen Stereotypen überzogen. Die Hautfarbe der Braut sei ein Dauerthema gewesen, ihre Herkunft sei auf rassistische Weise thematisiert worden und es hätte sexistische und frauenfeindliche Kommentare gegeben.
Weiterer Lesehinweis: Nicola Erdmann (welt.de) bezeichnet die Berichterstattung von ZDF und RTL als Albtraum-TV und konstatiert: „Respekt vor Zuschauern und Protagonisten hatte man nicht.“
Der österreichische Journalist und Fernsehmoderator Armin Wolf ordnet die in der Boulevardpresse genannten Fabel-Einschaltquoten ein: Millionen – nicht Milliarden
Und wer gerne sehen und hören will, worum es bei der Kritik an der Hochzeitsberichterstattung geht: “Übermedien” hat ein Zwei-Minuten-Video zusammengeschnitten: „Ein exotisches Paar, ich sag’s mal so salopp“

2. Stereotype und Klischees
(sueddeutsche.de, Kurt Kister)
Der „SZ“-Chefredakteur Kurt Kister erklärt seine Haltung zur umstrittenen Netanjahu-Karikatur und die Gründe, die zur Trennung vom langjährigen Karikaturisten Dieter Hanitzsch geführt haben.
In diesem Zusammenhang ebenfalls lesenswert der Beitrag von Timur Vermes bei „Spiegel Online“, der Hanitzsch für keinen Antisemiten, jedoch für hoffnungslos überschätzt hält und das mit Beispielen begründet.


3. Die Beef! feiert ein Sausage-Fest
(mixology.eu, Nils Wrage)
Die Food-Zeitschrift „Beef!“ (Gruner+Jahr) hat sich in den vergangenen neun Jahren auf dem Zeitschriftenmarkt etabliert und ist eine publizistische Marke geworden. Man richtet sich an „Männer mit Geschmack“, denen Fleisch ihr liebstes Gemüse ist. Nun eröffnet das Magazin in Frankfurt ein eigenes Restaurant: „Beef! Grill & Bar.“ Passend zum Leitspruch von den Männern mit Geschmack, dürfen zur Eröffnungsfeier Mitte Juni keine Frauen kommen. Nils Wrage kann das, allerlei Erklärungsversuchen zum Trotz, nicht witzig finden und rantet: „Verzieh Dich, Beef! Grill & Bar! Verzieh Dich meinetwegen in irgendein Land, das Frauen von Amts wegen herabstuft; in die tiefsten Tiefen Alabamas und Mississippis; in die alten Herrenclubs, wo man dann zu fortgeschrittener Stunde in Form von Prostituierten zumindest ein paar Frauen vorfahren lässt.“

4. Hate Speech: der Bumerangeffekt
(geschichtedergegenwart.ch, Sylvia Sasse & Sandro Zanetti)
Die beiden Schweizer LiteraturwissenschaftlerInnen Sasse und Zanetti denken darüber nach, was Hate Speech über den Hater selbst aussagt, und zwar in Sachen Selbstinszenierung, Selbstkonstitution und Selbstbeleidigung.

5. DSGVO – Haben wir es alle zusammen vergeigt?
(marcelmellor.com)
Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) habe den Ruf des Datenschutzes geschwächt und das Internet weiter zentralisiert, findet Marcel Mellor. Der Datenschutz stärke die großen Plattformen, sei teuer und befördere das Misstrauen. Er bleibt dennoch optimistisch: „Irgendwie haben wir’s vergeigt, aber wir kriegen das auch wieder hin.“

Weiterer Lesetipp: Lutz Donnerhacke hat in Der praktische Weg zur DSGVO zusammengetragen, was man als Blogger in Sachen DSGVO beachten sollte. Und auch er bleibt allen Schwierigkeiten zum Trotz optimistisch: „Das Internet ist groß und interessant geworden, weil wir nie aufgegeben haben. Lassen wir uns nicht von einer unbegründeten Angst ins Bockshorn jagen.“
Auch Fotografen sollten besonnen bleiben, für Panik gebe es keinen Anlass, so ein neuer Beitrag auf “heise.de”: DSGVO: Ende der Fotografie oder halb so schlimm?

6. Papst stellt Social-Media-Regeln für Nonnen auf
(mdr.de)
„Seine Heiligkeit“ Papst Franziskus teilt anscheinend mit vielen Usern die Leidenschaft für Social Media. Auf Twitter versorgt er Millionen von Followern (deutschsprachiger Raum: mehr als 600.000) mit Bibelzitaten, Sinnsprüchen, Appellen und allerlei anderem Erbaulichen. Nun hat der Papst in einer Richtlinie Ordensfrauen davor gewarnt, ihre Zeit mit sozialen Medien zu vergeuden. Ob dem eigene Erfahrungen zugrunde liegen, ist dem vor wenigen Tagen veröffentlichten Dokument des Vatikans nicht zu entnehmen.

Relotius-Skandal ist Spiegel-Skandal, AKKs Äußerungen, “Bild” doxt Rezo

1. Betrug, Eitelkeit, Versagen
(taz.de, Horand Knaup & Hartmut Palmer)
Horand Knaup und Hartmut Palmer haben fast zwei Jahrzehnte für den “Spiegel” gearbeitet und waren daher besonders auf den Abschlussbericht zum Fall Relotius gespannt, der für sie eher ein Fall “Spiegel” war. In ihrem äußerst lesenswerten Beitrag wird klar, dass es sich um einen Einzelfall handelt, aber einen Einzelfall mit System: “Gewiss: Claas Relotius war Einzeltäter, er hat gefälscht und betrogen, und das gezielt und kunstvoll. Daran besteht kein Zweifel. Ermöglicht habe ihm dies allerdings ein Umfeld, das ihn geradezu ermunterte, Geschichten zu erfinden und Fakten zu fälschen: Ressortleiter, die ihn anstachelten, Chefredakteure, die sich mit den Preisen schmückten; ein Dokumentar, der nicht pingelig genug prüfte; Juroren von Journalistenpreisen, die sich von der literarischen Wucht der Texte blenden ließen. Dass in diesem Wettlauf der Eitelkeiten die Kontrollinstanzen des Magazins versagten, ist nicht verwunderlich. Im System Spiegel wurden Reporter zu Sonnenkönigen, denen man vieles, zu vieles durchgehen ließ.”
Weiterer Lesetipp: Auch Willi Winkler glaubt in seinem Beitrag für die “SZ” an ein systemisches Versagen: “Relotius hat so gedichtet, wie es das Spiegel-Statut von Anfang an vorsah und wie es unter den Chefredakteuren Aust, Büchner und Brinkbäumer mit Blick aufs schwindende Publikum noch forciert wurde. Die reumütig vorgetragenen Zweifel an der “schön geschriebenen” Reportage kommen daher ein bisschen spät”. Die “SZ” hat außerdem bei Journalistenschulen nachgefragt, welche Werte dort gelehrt werden und wie die Ausbildungseinrichtungen auf die neuesten Entwicklungen reagieren: “Für Starreporter ist da wenig Platz”.

2. Zur Löschung vorgeschlagen
(journalist-magazin.de, Matthias Holland-Letz)
Matthias Holland-Letz wollte wissen, wie journalistisch es auf Wikipedia zugeht und hat dort zwei Monate mitgeschrieben. Immer wieder musste sich Holland-Letz damit abfinden, dass Einträge von ihm kommentarlos gelöscht wurden. Seine unterhaltsam geschriebene Reportage eines Selbstversuchs ist auch eine Beschreibung strukturellen Versagens der Online-Enzyklopädie.

3. Die Unterschätzung des digitalen Raums durch Politik und Medien
(indiskretionehrensache.de, Thomas Knüwer)
“Diese Wahl wurde maßgeblich durch das Internet im Ausgang beeinflusst und wir mussten erkennen, dass sowohl der weiteste Teil der Politik als auch klassische Medien auch im Jahr 2019 den digitalen Raum drastisch unterschätzen.” Thomas Knüwer arbeitet in einem längeren Lesestück das peinliche Versagen der Politik im digitalen Raum, ihren Umgang mit der jungen Generation und das aktuelle Wahldebakel mancher Parteien auf.

4. Anders denken als die CDU
(dirkvongehlen.de)
Dirk von Gehlen kommentiert die verstörenden Einlassungen Annegret Kramp-Karrenbauers über eine Begrenzung der Meinungsäußerung: “Kramp-Karrenbauers Worte schaden aber nicht nur dem Image der Union. Sie schüren den Verdacht, dass es hier jemand nicht ernst meint mit den Grundrechten. Das darf nicht passieren, diesen Verdacht muss sie bald möglichst und sehr viel deutlicher als bisher ausräumen. Denn wenn die Frau, die Bundeskanzlerin werden will, tatsächlich das grundlegende Recht auf freie Meinungsäußerung diskutieren will, wenn ein paar junge Menschen davon Gebrauch machen, möchte man sich nicht ausmalen, wie sie reagiert, wenn mehr auf dem Spiel steht als ein paar Prozentpunkte für die CDU.”
Weiterer Lese- beziehungsweise Hörtipp: Das “Deutschlandfunk”-Gespräch mit dem CDU-Digitalpolitiker Tankred Schipanski, der die Äußerungen Kramp-Karrenbauers verteidigt. Tankred Schipanski hat sich auch hier und hier auf Twitter geäußert und hat dafür viel Kopfschütteln geerntet.
Und zum Schluss: Die Redaktion von “quer” hat sich ausgemalt, wie der neue Artikel 5 GG nach einer AKK-Intervention aussehen könnte (“Wladimir, Recep Tayyip und Kim gefällt das”).

5. Redaktionsgeheimnis in Gefahr
(reporter-ohne-grenzen.de)
Wenn es nach den Plänen des Bundesinnenministeriums geht, sollen deutsche Inlands- und Auslandsgeheimdienste Server, Computer und Smartphones von Verlagen, Rundfunksendern sowie freiberuflichen Journalistinnen und Journalisten bald schon hacken dürfen. Damit fiele, so Reporter ohne Grenzen, eine der Säulen der Pressefreiheit: das Redaktionsgeheimnis.

6. @rezomusik schreibt noch, dass er auch Morddrohungen bekommt…
(twitter.com/intr4venous)
Vor ein paar Tagen schrieb der durch sein Video (“Die Zerstörung der CDU”) berühmt gewordene Rezo: “Hätten wir Klarnamen-Pflicht im Internet, hätte ich nun schon ein paar Steine durchs Fenster geworfen bekommen und nach dem was man mir so androht, wären ich und meine Familie tot.” Ein Medium war davon gänzlich unbeeindruckt …
Weiterer Lesetipp: Doxing (wikipedia.de).

Cancel Culture für Anfänger, Don Shitstorm, Kritik an “Volksstimme”

1. Cancel Culture für Anfänger
(spiegel.de, Margarete Stokowski)
“Der Begriff ‘Cancel Culture’ kommt wie alles aus dem Amerikanischen und bedeutet auf Deutsch ‘Ick hab hier schon wieder nen Storno’ (Storno kommt aus dem Lateinischen und heißt ‘Ah nee, ich möchte doch nicht’).” Margarete Stokowski widmet sich in ihrer aktuellen “Spiegel”-Kolumne dem Disput um die Kabarettistin Lisa Eckhart und den damit in Zusammenhang stehenden grundsätzlichen Fragen.

2. Shitstorm nach “Don Alphonso”-Kolumne: “Es gab für die gar keine Grenze mehr”
(belltower.news, Simone Rafael)
Rechtsextremismus-Expertin Natascha Strobl ist regelmäßig das Ziel von Angriffen, doch nach einem Blog-Beitrag des “Welt”-Kolumnisten Rainer Meyer alias “Don Alphonso” habe sie eine besondere Hasswelle erlebt: “Es kamen nur noch Abwertungen, Bedrohungen gegen mich und meine Familie. Auf Twitter geschah das öffentlich, im Sekundentakt, und als Privatnachrichten, auf Facebook, per Mail – und irgendjemand aus dem rechtsextremen Mob hat dann auch die Gedenkseite, die ich für meinen verstorbenen Vater aufgesetzt habe, gefunden, und hat dort das Kondolenzbuch mit Hass gefüllt. Es gab für die keine Grenze mehr.”

3. Ist das noch Journalismus oder schon Werbung?
(facebook.com, Solidarisches Magdeburg)
Das Bündnis “Solidarisches Magdeburg” kritisiert in einem offenen Brief die Berichterstattung der in der Mediengruppe Magdeburg erscheinenden “Volksstimme”. Die Tageszeitung für das nördliche und mittlere Sachsen-Anhalt habe sich unkritisch und wohlwollend zu den Protesten der Corona-Leugner geäußert: “Es ist journalistisch unterirdisch, die Selbstbezeichnungen wie ‘Querdenker’ einfach unkritisch zu übernehmen und zu reproduzieren. Man nennt Nazis, die sich ‘Demokraten’ nennen, ja auch nicht Demokraten, und Lügner, die sich ‘Wahrheitsverkünder’ nennen, Wahrheitsverkünder. Verschwörungsideologen und Antisemiten sind auch keine ‘Querdenker’, sondern müssten korrekterweise als ‘Sackgassen-Denker’ bezeichnet werden.”

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4. “Bild” und CDU irren
(taz.de, Jost Maurin)
Die Grünen werben im nordrhein-westfälischen Kommunalwahlkampf mit einem Plakat, auf dem eine Kartoffel und der Slogan “Grün ist, auch ohne Glyphosat die dicksten Kartoffeln zu haben” zu sehen sind. Darauf hätten sich “Bild” und CDU zu Wort gemeldet. Das Plakat sei “ein Beleg dafür, dass man vom Sachverhalt keine Ahnung hat.” Jost Maurin berichtet über einen Fall, bei dem die Ahnungslosigkeit womöglich eher auf der anderen Seite liegt.

5. Welt am Sonntag mahnt Kritiker wegen Urheberrechtsverletzung ab
(netzpolitik.org, Markus Reuter)
“ND”-Redakteur Daniel Lücking habe auf Twitter einen Text der “Welt am Sonntag” kritisiert und diesen als Foto seinem Tweet beigefügt. Daraufhin habe sich der von Lücking angesprochene “WamS”-Chef gemeldet und ihn aufgefordert, das Foto zu löschen. Dem sei Lücking innerhalb von acht Minuten nachgekommen, habe jedoch trotzdem teure Anwaltspost aus dem Hause Springer erhalten. Eine Abmahnung, die in der Branche eher ungewöhnlich sei, wie netzpolitik.org konstatiert.

6. Wenn alles Werbung ist, was nicht ausdrücklich als “Redaktion” gekennzeichnet ist
(uebermedien.de, Lisa Kräher)
Lisa Kräher stellt einige bedenkliche Beispiele für das Verschmelzen von redaktionellen und bezahlten Inhalten vor. Auf die Spitze getrieben habe dies das “Handelsblatt” mit einer Publikation, in der nicht die Werbung als solche gekennzeichnet wurde, sondern die Nicht-Werbung. Krähers Fazit: “Am Ende geht es immer um die Frage der Abgrenzung – und damit um Glaubwürdigkeit. Es ist nur nicht so klar, was wichtiger ist: die Glaubwürdigkeit für die Leser*innen. Oder die Glaubwürdigkeit einer Werbebotschaft.”

Betr.: “Anwältin des Solingen-Terroristen”

Zum Anschlag in Solingen am vergangenen Freitag, bei dem drei Menschen getötet worden sind, und ein Mann aus Syrien als Tatverdächtiger gilt, fragen die “Bild”-Medien heute:

Wie schaffte es der Solingen-Terrorist, das deutsche Asylsystem auszutricksen?

Laut “Bild” so:

[Issa al H.] umging seine Abschiebung, indem er beim ersten Termin nicht auftauchte und die sechsmonatige Frist verstreichen ließ. Danach meldete er sich wieder, bekam den Schutzstatus und durfte bleiben.

(Das ist eine recht kurze Zusammenfassung des Geschehens. Ausführlicher kann man das beispielsweise hier oder hier nachlesen.)

Die nächste Frage der “Bild”-Medien:

Woher wusste er, dass das funktioniert?

Da hat die Redaktion eine mögliche “Beraterin” ausfindig gemacht, “eine Rechtsanwältin, die auf Abschiebe-Verhinderung spezialisiert” sei:

Nach BILD-Informationen vermuten Behörden, dass sie [al H.] erklärte, wie er die Abschiebung abwenden und wann er wieder risikofrei mit staatlichen Stellen in Kontakt treten konnte.

“Bild” schreibt recht ausführlich über die Rezensionen, die die Anwältin von früheren Mandanten bekommen haben soll, über den von der Kanzlei betriebenen Instagram-Account und lässt einen anonymen “Branchenkollegen” den “Internet-Auftritt der Anwältin” “analysieren”; irgendetwas Illegales, was die Frau gemacht haben soll, speziell im Zusammenhang mit der möglicherweise stattgefundenen Beratung für Issa al H., kann die “Bild”-Redaktion hingegen nicht nennen. Im Gegenteil. Sie schreibt:

Was fragwürdig klingt, ist Alltag in Deutschland. So wie Steuerberater versuchen, mithilfe von Schlupflöchern Steuern zu sparen, suchen Asylanwälte nach Lücken im Asylsystem. Die Anwältin von [al H.] ist eine von Tausenden.

Die Frau scheint einfach ihren Job als Anwältin gemacht zu haben. Und der besteht nun mal unter anderem darin, für die eigenen Mandantinnen und Mandanten das beste Ergebnis herauszuholen, das die Gesetzeslage bietet. Nichts Verbotenes. Dennoch präsentiert “Bild” sie heute wie sonst Schwerverbrecher:

Ausriss Bild-Zeitung - Die Anwältin des Solingen-Terroristen

Die großflächige Unkenntlichmachung stammt von uns. In “Bild” ist ein riesiges Foto der Frau zu sehen, die “Bild”-Redaktion hat ihr Gesicht verpixelt. Genauso auf der Bild.de-Startseite:

Screenshot Bild.de - Half sie dem Solingen-Terroristen, seiner Abschiebung zu entgehen? Migranten feiern Asyl-Anwältin: Empfehle sie jedem

Dass “Bild” die Frau als “Asyl-Anwältin des Solingen-Terroristen” präsentiert, ist bestenfalls fahrlässig formuliert und schlimmstenfalls eine böswillige Verzerrung der Tatsachen: Den Schutzstatus hat Issa al H. Ende 2023 bekommen, also mehrere Monate vor dem Anschlag in Solingen. Er soll zuvor nie als Straftäter aufgefallen sein. Die Frau ist also nicht “die Anwältin des Solingen-Terroristen”, sondern die Anwältin des Mannes, der später wohl als “Solingen-Terrorist” drei Menschen getötet hat. Trotzdem macht die “Bild”-Redaktion sie sprachlich schon fast zu einer Art Komplizin, wenn sie schreibt, “dass diese Anwältin dem Solingen-Terroristen erklärte, wie er die Abschiebung abwenden” konnte.

In derart aufgeladenen Zeiten, in denen schon für Kleinigkeiten Hass und Hetze und Drohungen über Menschen ausgegossen, sie teils tätlich angegriffen werden, ist das unverantwortlich.

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“Bild” macht Sonne geil

Im Juli vergangenen Jahres veröffentlichten Forscher von der Wake Forest Universität eine Studie über den Effekt von ultravioletter Strahlung. 14 Testpersonen ließen sich auf zwei Sonnenbänken bräunen. Eine enthielt ultraviolette Strahlung ähnlich dem Sonnenlicht, die andere nicht. Das Ergebnis: Nach dem Sonnenbad mit UV-Licht waren die Probanden entspannter als nach dem ohne UV-Licht. Die Forscher sahen in diesem Entspannungs- und Wohlfühleffekt eine Erklärung dafür, warum Menschen trotz der bekannten Gesundheitsgefahren immer wieder das Sonnenbad suchen. Sie vermuteten, dass das UV-Licht Glückshormone, Endorphine, im Körper freisetzt.

Spannende Studie? Nicht spannend genug für “Bild”. Dort lautet die Überschrift und die Kernaussage:

Sonne macht geil!

Neben eine entsprechende Illustration schreibt “Bild”:

Bianca (24) reißt sich das Röckchen vom Leib – und kann doch nichts dafür. Die Sonne ist stärker als sie: Das Licht macht uns alle geil, US-Forscher haben es jetzt bewiesen.

(Das Wort “jetzt” ist hier in seiner üblichen “Bild”-Bedeutung als Ausdruck für einen unbestimmten Zeitpunkt in der ferneren Vergangenheit zu verstehen.)

Am Ende der Studie meinten 95 Prozent: Das UV-Licht ist einfach besser. Sie fühlten sich glücklicher, entspannter — und hatten Lust auf Flirts und Sex. Sonnenlicht setzt im Gehirn das Glückshormon Endorphin frei, kurbelt dazu die Produktion von Sexualhormonen an. Wir fühlen uns tatsächlich geiler!

Hallo? Wo kommt plötzlich der ganze Sex her? Nicht aus der Studie jedenfalls. Endorphine werden zwar generell mit der Produktion von Sexualhormonen in Verbindung gebracht. Aber der Zusammenhang zwischen UV-Licht und Endorphinen war bei der Studie nur eine Theorie, nicht Teil der Untersuchung. Die offizielle Pressemitteilung zitiert den Forschungsleiter Steven Feldman so:

Weil wir die Endorphine nicht gemessen haben, wissen wir nicht sicher, dass diese Substanzen für das Phänomen verantwortlich sind.

Sagen wir es direkt: Die Wahrheit war “Bild” einfach nicht geil genug.

Danke an Stefan R. für den sachdienlichen Hinweis!

Parasiten

Dirk Hoeren ist ein Mann, der sich auch schon mal eines beunruhigenden Demokratieverständnisses verdächtig macht, populistische Kommentare schreibt, sich bestens mit “Intim-Verhören” auskennt und sich in der Vergangenheit schon mal als “Hartz IV-Inspektor” verdingte.

Kurzum: Dirk Hoeren arbeitet für “Bild”.

Und was muss das für ein Tag gewesen sein für die “Bild”-Zeitung und ihren Dirk Hoeren, als ihnen ein “Report vom Arbeitsmarkt im Sommer 2005” unterkam, der (herausgegeben von Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit mit einem Vorwort von Wolfgang Clement) gleich mit einem “Thekenwitz” beginnt, in dem von Männerunterhosen, Kühlschrankinhalten, nackten Oberkörpern in Ehebetten, jammernden Libanesen und wiederholt von “Abzocke” die Rede ist und in dem Sätze stehen wie:

“Dieter Schuster aus Mannheim wusste jedenfalls sofort, welche Richtung er einzuschlagen hatte, als er frühmorgens im Flur leise Stimmen und den Begriff ‘Prüfdienst’ hörte. Fluchtartig flitzte Schuster in Unterhose aus dem Schlafzimmer Richtung Terrassentür. Draußen empfingen ihn feiner Nieselregen und bibbernde Kälte – leider kam der Prüfdienst Anfang März.”

Oder dies:

“Biologen verwenden für ‘Organismen, die zeitweise oder dauerhaft zur Befriedigung ihrer Nahrungsbedingungen auf Kosten anderer Lebewesen – ihren Wirten – leben’, übereinstimmend die Bezeichnung ‘Parasiten’. Natürlich ist es völlig unstatthaft, Begriffe aus dem Tierreich auf Menschen zu übertragen. Schließlich ist Sozialbetrug nicht durch die Natur bestimmt, sondern vom Willen des Einzelnen gesteuert. Wer den Grundstock seines Haushaltseinkommens bei der Arbeitsagentur oder der für das Arbeitslosengeld II zuständigen Behörde kassiert und im Hauptberuf oder nebenher schwarzarbeitet, handelt deshalb besonders verwerflich.”

Kurzum: Laut Netzeitung.de wurde aufgrund der 33-seitigen Broschüre gegen Wolfgang Clement bei der Staatsanwaltschaft Ellwangen Strafanzeige wegen Volksverhetzung gestellt. Der paritätische Wohlfahrtsverband nannte die Wortwahl “menschenverachtend”.

Und Dirk Hoeren? Als ihm das obige Papier unterkam, machte er sich an die Arbeit, nannte den Report “Clement-Papier” und das Papier distanzlos einen “aufrüttelnden Report”. Und dann suchte Hoeren darin kurzerhand “die schlimmsten Fälle” und musste, um sie “Bild”-gerecht aufzuschreiben, im Grunde nur hie und da ein wenig kürzen, woraufhin es am vergangenen Montag auf Seite 1 der “Bild”-Zeitung hieß:

Die üblen Tricks der Hartz IV-Scharotzer!

Thea Dückert, Arbeitsmarktexpertin der Grünen, nannte den Report laut FTD anschließend “eine Steilvorlage für eine billige Hetze gegen Leistungsbeziehende in der Boulevardpresse”.

“Bild”-Chef zieht Begehr zurück

Das wird jetzt etwas länger, denn…

… in einem Dossier über die “Großmacht Springer” hatte sich die “Zeit” am 11. August unter anderem folgende Frage gestellt:

“Ist es Vorsatz, wenn ein Foto so beschnitten wird, dass ein Seil in der Hand von Jürgen Trittin als Schlagstock angesehen werden kann (…)?”

Hintergrund dieses Satzes war die Veröffentlichung eines Fotos in der “Bild”-Zeitung vom 29.1.2001. Zu sehen war darauf Jürgen Trittin im Jahr 1994 am Rande einer Demo. Die Aufnahme stammte ursprünglich von Sat.1 und erschien 29.1.2001 auch im “Focus”. “Bild” hatte behauptet, in der Hand eines (unmittelbar neben Trittin abgebildeten) Demonstranten befinde sich ein Schlagstock, obwohl es sich dabei nur um ein Seil handelte, wie sowohl bei Sat.1 als auch im “Focus” deutlich zu erkennen war — nicht jedoch in dem von “Bild” abgedruckten Ausschnitt des Fotos. Nachdem der grobe Fehler öffentlich geworden war, druckte “Bild” eine Richtigstellung und Kai Diekmann, damals seit vier Wochen “Bild”-Chefredakteur, sagte dem “Spiegel”(hier für 50 Cent, Gratisauszüge hier): “Wir sind am Sonntag im Vorabexemplar von ‘Focus’ auf das Foto gestoßen und haben es abgescannt, weil wir das Original nicht besorgen konnten. Die Ausdrucke, mit denen wir dann gearbeitet haben, waren Kopien von Kopien und entsprechend schlecht, so dass die Fortsetzung des Seils nicht erkennbar war.” Zuvor referierte bereits die “Berliner Zeitung” Diekmanns Erklärung mit dem Worten: “Deshalb habe man das Foto für den Druck beschnitten.” Das war vor dreieinhalb Jahren und nicht schön.

“Bild”-Chef Diekmann ist seither mehrfach gerichtlich gegen Berichte anderer Medien vorgegangen, die fälschlicherweise behauptet hatten, “Bild” habe Trittin “einen Schlagstock in die Hand montiert” bzw. “in die Hand gedrückt”. Sowohl die “Berliner Zeitung” als auch die “taz” entschieden sich allerdings, den unabwendbaren Abdruck einer entsprechenden Gegendarstellung Diekmanns ausführlich zu kommentieren.

Was indes die “Zeit” anbelangt, könnte man einwenden, auch die Behauptung, “dass ein Seil in der Hand von Jürgen Trittin als Schlagstock angesehen werden kann” sei sachlich falsch, weil Trittin selbst das Seil auf dem Foto gar nicht anfasst. “Bild”-Chef Diekmann allerdings nahm Anstoß an einem anderen Aspekt des “Seil”-Satzes. Nach unseren Informationen hieß es in einer Gegendarstellung, deren Abdruck er von der “Zeit” forderte, “Bild” ” habe “niemals ein Foto so beschnitten”, dass ein Seil in der Hand von Jürgen Trittin hätte als Schlagstock angesehen werden können: Der Fehler von “Bild” habe darauf beruht, “dass allein aufgrund der schlechten Bildqualität eine verfälschende Bildunterschrift zugeordnet wurde”.

Allerdings weigerte sich die “Zeit”, die Gegendarstellung zu drucken. Und das mit gutem Grund. Schließlich handelt es sich ja bei dem Trittin-Foto in “Bild” zweifelsfrei um einen Ausschnitt des “Focus”-Fotos, auf dessen Original der “Schlagstock” eindeutig als Seil zu erkennen ist. Und so zitiert auch der “Stern” in seiner aktuellen Ausgabe einen “Bild”-Sprecher mit der Aussage: “Der Chefredaktion lag lediglich ein Schwarzweiß-Scan vor, auf dem die Ränder des Fotos schwarz waren. Diese Ränder wurden beim Einstellen des Scans ins Layout … selbstverständlich nicht berücksichtigt.”

Und das ist umso erstaunlicher, als Kai Diekmann doch gegenüber der Pressekammer des Landgerichts Hamburg im August 2005 eine “eidesstattliche Versicherung” abgegeben hat, in der es ausdrücklich heißt, man habe die Abbildung zwar “unzutreffend betextet”, aber:

“Das Foto (…) ist in keiner Weise ‘beschnitten’ worden.”

Das Gericht verlangte daraufhin Ende August zwar zunächst in einer Einstweiligen Verfügung von der “Zeit”, den strittigen “Seil”-Satz aus der Online-Version des Dossiers zu tilgen. Dort fehlt er noch immer, dürfte nach unseren Recherchen aber alsbald wieder in den Text eingefügt sein, denn…

… nachdem die “Zeit” Mitte September Widerspruch angekündigt hatte, nahm Diekmann kurzerhand seinen Antrag zurück, verzichtete freiwillig auf die Ansprüche aus der Einstweiligen Verfügung und muss sämtliche Verfahrenskosten tragen.

Wie es zu Diekmanns überraschenden Sinneswandel kam, entzieht sich unserer Kenntnis. Im “Stern” heißt es, an der Richtigkeit der Eidesstattlichen Versicherung* Diekmanns seien “Zweifel angebracht”.

*) “Wer vor einer zur Abnahme einer Versicherung an Eides Statt zuständigen Behörde eine solche Versicherung falsch abgibt oder unter Berufung auf eine solche Versicherung falsch aussagt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.”
(§ 156 StGB)

neu  

Rufmord an einem schwulen Politiker

Die “Bild”-Zeitung ist empört:

Kevin aus dem Kühlschrank. Skandal-Politiker soll Untersuchungsausschuss leiten

“Vorsitzender [des Untersuchungsausschusses] soll Helmut Pflugradt werden. Ist der Skandal-Politiker der Richtige für diese sensible Aufgabe?”

So fragt “Bild” Bremen am gestrigen Donnerstag. Und man ahnt die Antwort schon, aber für alle Fälle wird “Bild”-Autor Holger Bloethe im nächsten Satz ein bisschen konkreter:

“Der Vize-Fraktionschef der CDU verfügt auch über einschlägige Erfahrung mit Polizei und Staatsanwaltschaft.”

Das Wort “einschlägig” bedeutet eigentlich, dass Pflugradt schon einmal die gleiche Straftat vorgeworfen worden sein müsste, um die es bei Kevin geht. Der Junge ist vor vier Wochen nach schweren Misshandlungen tot in einem Kühlschrank aufgefunden worden.

Mit nichts dergleichen hat Pflugradt selbst “Erfahrung”. Aber vielleicht benutzt die “Bild”-Zeitung das Wort “einschlägig” ja großzügig, so allgemein im Sinne von “negativ”. Sie schreibt:

“Vor zwölf Jahren wurde gegen den bekennenden Homosexuellen wegen angeblicher Vergewaltigung des belgischen Friseurs André W. (damals 21) ermittelt.

Pflugradt gestand Liebesspiele im Swimmingpool seines Hauses in Bremen Nord. Der Politiker damals: “André hat freiwillig mitgemacht. Dass ich dabei seine Hände festhielt und auf ihm lag, gehörte dazu.” Er kam damit durch. Das Verfahren gegen den Christdemokraten wurde eingestellt.”

“Er kam damit durch”? Im Sinne von: Das war natürlich gelogen, half aber?

Als die Staatsanwaltschaft im Februar 1996 das Verfahren gegen Pflugradt nach mehreren Monaten einstellte, teilte sie mit, an der Glaubwürdigkeit des vermeintlichen Opfers hätten sich erhebliche Zweifel ergeben. Doch anders als die Justiz zweifelt “Bild” an der Glaubwürdigkeit Pflugradts, auch noch nach zehn Jahren. Kein Wunder: Der Mann ist schwul.

“… sein Ruf war hin.

Wohl zu Recht. Ein Insider (35) aus der Bremer Homosexuellen-Szene: ‘Ich kenne Pflugradt seit 20 Jahren. Er ist dafür bekannt, dass er auf ganz junge Männer steht. Als ich 17 Jahre alt war, baggerte der Politiker mich hemmungslos an. Er tauchte ständig in dem Geschäft auf, in dem ich arbeitete, quatschte mich an und wollte mich zum Essen einladen. Erst als ich meine Kollegen einschaltete, ließ er mich in Ruhe.'”

Noch einmal zum Mitdenken: “Bild” glaubt also, dass der Ruf von Helmut Pflugradt, nachdem er offenbar Opfer einer Verleumdung wurde, “wohl zu Recht” ruiniert war, weil der Politiker im Jahr 1988 (!) einen jungen Mann “hemmungslos angebaggert” haben soll.

Vielen Dank an die “taz Nord”, die über den Fall heute berichtet, und Sandra M. für den Hinweis.

Nachtrag, 6. November. Am Samstag — zwei Tage nach dem “Bild”-Skandal-Bericht, einen Tag nach dem “taz”-Artikel — veröffentlichte “Bild” Bremen wie zur Wiedergutmachung ein langes, freundliches Interview mit Pflugradt. Es beginnt so:

BILD: Herr Pflugradt. Wir haben Ihnen mit unserer Berichterstattung vom 2. November Unrecht getan. Wir entschuldigen uns dafür in aller Form. Pflugradt: "Ich nehme die Entschuldigung an."

“Bild” trägt jetzt Bügelfalte

Ein BILDblog-Gastbeitrag von Jürgen Siebert

“Bild” führt neue Schriften ein, und kein Leser merkt’s. Während bei der FAZ vor zwei Jahren die dezente Einführung von Rot auf Seite 1 bereits für Aufsehen sorgte und zuletzt die Abschaffung der Fraktur-Headlines, wechselte BILD mit der gestrigen Ausgabe fast seinen kompletten Setzkasten. Dass dies bei einem Boulevard-Blatt weniger auffällt als bei einer diszipliniert gestalteten Tageszeitung liegt an der täglichen Neuinszenierung des Layouts. Doch: Auch wenn es dem Laien nicht ins Auge springt, er spürt den neuen gestalterischen Wind.

Während viele deutsche Tageszeitungen in den letzten Jahren auf Sans-Serif- bzw. neutrale Schriften umgestiegen sind, um “modern” auszusehen, greift “Bild” seit gestern tief in den historischen Setzkasten. Das Blatt bedient sich in den Überschriften einer klassizistischen Antiqua, genauer der Schrift Escrow, die der US-Designer Cyrus Highsmith 2002 für die amerikanische Tageszeitung “Wall Street Journal” entworfen hat. Escrow steht in der Tradition von Bodoni, einer Buchschrift des 18. Jahrhunderts, mit streng symmetrischem, fast monumental anmutendem Aufbau sowie feinen Querstrichen und kräftigen Tropfenserifen.

Vielleicht liegt es ja an der neuen Schrift, dass die obere Hälfte von Seite 1 gestern exklusiv für familiäre Themen reserviert war: “Sie sind beide noch verheiratet” steht elegant über der Schlagzeile zur neuen Liebe zwischen Maybrit Illner und Telekom-Chef René Obermann, während rechts daneben Boris Becker — seinen Nachwuchs umarmend — liebevoll verkündet: “Meine Kinder sind mein größter Sieg”. Die Sätze menscheln in einer Antiqua überzeugender als in einer Franklin Gothic oder Helvetica. Das Kleingedruckte, also die Lesetexte zu den beiden Beiträgen sind übrigens in einer Grotesk-Schrift gesetzt, also ohne Füßchen, die klassischerweise die Lesbarkeit verbessern — verkehrte Welt. Dasselbe gilt für den Nachrichtenblock auf Seite 1.

Auch im Bereich der Kolumnentitel hat sich einiges geändert. Neben der schmalen, auch in Versalzeilen gut lesbaren Neuzeit Grotesk kommt die Interstate zum Einsatz, beispielsweise in “Fernsehen wird durch Bild erst schön.” Das Fernsehprogramm wirkt aufgeräumter und übersichtlicher als zuletzt.

Was bezweckt “Bild” mit dem neuen Auftritt? In erster Linie strahlen die bibliophilen Schlagzeilen mehr Wärme und Charakter aus: Statt enger Jeans tragen die Wörter nun Bügelfalte — aber keinen Anzug. “Bild” schlägt mit ihrer Antiqua einen Weg ein, den das Berliner Schwesterblatt “B.Z.” schon seit längerem mit Schlagzeilen in Garamond praktiziert, ebenfalls eine Buchschrift: Herz statt Schmerz, lautet die Strategie dahinter. Möglicherweise haben die Leser tatsächlich die Nase voll von hochgepeitschten Politik- und Krisen-Meldungen.

Lügen haben schöne FüßchenSchlagzeilen in einer Werksatzschrift zu verkünden assoziiert nicht zuletzt Exklusivität. Im doppelten Sinn: Man verkündet sein eigenes Wort (statt “nur” nüchterne Nachrichten wie alle anderen auch), und natürlich sehen die Antiquas auch rein optisch exklusiv aus – im Sinne von anspruchsvoll.

Jürgen Siebert ist Journalist, Typografie-Experte und Marketing-Vorstand des Schriften-Versandhauses FontShop AG. In seinem Fontblog hat er Details des “Bild”-Redesigns unter die Lupe genommen und beleuchtet die “typografischen Todsünden” des Boulevard-Designs.

Nachtrag, 14. November. Der “Spiegel” berichtet, dass die neuen gestalterischen Elemente ursprünglich für die französische Boulevardzeitung entwickelt worden seien, die Axel Springer eine Zeitlang für Frankreicht entwickelt hat und die optisch edler wirken sollte. “Bild” werde dadurch “leichter und eleganter”, zitiert das Magazin “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann.

Bild.de versetzt Tochter an Tatort

In Offenburg soll gestern ein Mann einen Arzt in dessen Praxis mit einem Messer erstochen haben. Bei Bild.de erzählten sie auf der Startseite diese falsche Geschichte dazu:

Screenshot Bild.de - 26-Jähriger tötet Hausarzt mit Messer - Tochter (10) war dabei, als ihr Vater in der Praxis starb

Der vermeintliche Umstand, dass die Tochter vor Ort gewesen ist, macht den ohnehin schon dramatischen Fall noch dramatischer. Das findet auch Bild.de-Autorin Stephanie Keber:

Am Donnerstagmorgen stürmte ein Mann (26) in eine Hausarztpraxis in Offenburg (Baden-Württemberg), tötete einen Mediziner und dessen Assistentin mit einem Messer. Schrecklich: Die Tochter (10) des Arztes war dabei, als ihr Vater in den Räumen der Praxis starb.

Dass auch die Assistentin getötet wurde, stimmt nicht — sie wurde verletzt und musste ins Krankenhaus. Diese Stelle hat Bild.de inzwischen korrigiert.

Doch zurück zu der Tochter. Dass die ebenfalls in der Praxis gewesen sein soll, berichteten auch anderen Medien. Darunter “Focus Online”:

Screenshot Focus Online - Sie rief noch Papa! Mann ersticht Arzt in Offenburger Praxis - zehnjährige Tochter sieht Drama mit an

HNA.de:

Screenshot HNA.de - Angriff ohne Vorwarnung - Messerattacke in Offenburg: Arzt vor seiner Tochter (10) getötet - Haftbefehl erlassen

Merkur.de:

Screenshot Merkur.de - Messerattacke in Offenburg: Arzt vor seiner Tochter (10) getötet - Haftbefehl erlassen

Sie alle beziehen sich dabei auf die “Bild”-Medien.

Da der mutmaßliche Täter aus dem Ausland stammt, interessiert sich auch die AfD für den Fall. Ein Landtagsabgeordneter der Partei startete noch gestern einen Demo-Aufruf, unter anderem mit der Behauptung:

Anlass ist der feige Mord […] an einem deutschen Arzt vor den Augen seiner 10-jährigen Tochter

Woher die Partei die Information mit der Tochter hat, wird nicht direkt klar. Da aber nur Bild.de und die von Bild.de abschreibenden Redaktionen dieses Detail erwähnten, dürfte auch die AfD es von dort haben.

Das Portal “Baden online” berichtet heute* von der Pressekonferenz der zuständigen Staatsanwaltschaft. Dort ging es auch um die angebliche Anwesenheit der Tochter:

Entgegen diverser Berichte hat die Staatsanwaltschaft keine Hinweise darauf, dass sich Familienangehörige während der Tat in der Praxis aufgehalten haben, sagte [Staatsanwaltschaftsleiter] Schäfer. Unter anderem die AfD Ortenau behauptet auf einem Flyer, dass der Arzt vor den Augen seiner Tochter getötet worden sein soll. Das war den Ermittlern zufolge nicht so.

Mit Dank an Fabian für den Hinweis!

*Nachtrag, 18. August: “Baden online” hat den verlinkten Beitrag in der Zwischenzeit überarbeitet. Daher findet man die oben zitierte Passage nicht mehr in dem Artikel. Stattdessen heißt es dort nun:

Falsch waren Medienberichte und Kommentare in den sozialen Medien, denen zufolge die zehnjährige Tochter des Hausarztes die Tat beobachtet haben soll. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Tat unter den Augen eines Angehörigen stattgefunden habe, betonte Schäfer. Tatsächlich scheint sich das Kind aber in unmittelbarer Nähe des Tatorts befunden zu haben.

Fremdenfeindlich vs. rassistisch, Bunte Lügen-Tweets, Subventionen

1. Zum Begriff Fremdenfeindlichkeit
(blog.tagesschau.de, Marcus Bornheim)
Nach der Tat von Hanau wurde viel über die Verwendung der Begriffe “fremdenfeindlich” und “rassistisch” diskutiert. ARD-aktuell-Chefredakteur Marcus Bornheim stellt dazu fest: “Zum Teil war es und ist es so, dass fremdenfeindlich auch als vermeintliches Synonym für rassistisch verwendet wurde und wird. Dies geschieht beispielsweise dann, wenn der Begriff rassistisch als zu stark empfunden wird. Rassistische Taten sollten aber auch so benannt werden. Die unglaubliche Tat von Hanau war rassistisch. Punkt.”
Weiterer Lesehinweis: Auf Twitter äußert sich dpa-Nachrichtenchef Froben Homburger zur Sprachregelung, die man bei der Agentur gefunden habe.

2. Links: @Bild-Chef @jreichelt beschwert sich über Journalisten, die verfrüht die Niederlage der AfD verkündet haben. Rechts: …
(twitter.com, Stefan Niggemeier)
Stefan Niggemeier stellt auf Twitter zwei in ihrer Aussage höchst konträre Screenshots von “Bild” und “Bild”-Chef nebeneinander. Dabei geht es um das Abschneiden der AfD bei der gestrigen Bürgerschaftswahl in Hamburg. Niggemeier resümiert: “Es ist der ganz normale, alltägliche Realitätsverlust, die Selbstblindheit und der Fanatismus des Bild-Chefredakteurs.”

3. SPIEGEL schafft Ombudsstelle
(spiegel.de)
Mehr als ein Jahr nach dem Fall Relotius hat der “Spiegel” eine sogenannte Ombudsstelle eingerichtet. Es handelt sich um ein aus drei Personen bestehendes Gremium, das “Hinweise auf Unregelmäßigkeiten in der Berichterstattung entgegennimmt und diesen nachgeht”. Auch der anonyme Meldeweg über die Adresse eines externen Rechtsanwalts sei möglich.

4. Twitter will Tweets mit Lügen farblich kennzeichnen
(golem.de, Tobias Költzsch)
Nach Angaben von NBC News testet Twitter ein System zur farblichen Kennzeichnung von Falschbehauptungen und Lügen. Dies könnte in Hinblick auf die kommenden US-Präsidentschaftswahlen im November interessant werden, bei denen mit einem erhöhtem Aufkommen von Unwahrheiten zu rechnen ist.

5. Subventionen für Print
(taz.de, Daniel Bouhs)
Daniel Bouhs berichtet von den widersprüchlichen Positionen der Zeitungsbranche zu staatlichen Subventionen. 40 Millionen Euro wolle die Bundesregierung im nächsten Haushalt zur Verfügung zu stellen — für die einen die Bedrohung verlegerischer Unabhängigkeit, für die anderen die längst fällige, jedoch aus ihrer Sicht viel zu niedrige Unterstützung.

6. So hemmungslos verbreiten Neonazis rechtsextreme Musik auf Telegram
(vice.com, Muriel Kalisch & Sebastian Meineck)
“Wenn Neonazis keinen Bock auf Stress haben, gehen sie zu Telegram.” Muriel Kalisch und Sebastian Meineck haben sich die WhatsApp-Alternative angeschaut, die sich zu einer der wichtigsten Plattformen für Rechtsextreme entwickelt habe: “Mindestens 57 Gruppen und Channels von rechtsextremen Bands lassen sich in der Chat-App finden. Hier machen sie, was sie auf vielen Plattformen sonst nicht mehr dürfen: Sie teilen verbotene Musik, informieren über Konzerte, verkaufen CDs und T-Shirts.”
Weiterer Lesehinweis: Gesucht: Influencer*in, jung rechts (correctiv.org, Alice Echtermann): “Mit großem Aufwand bauen Neue Rechte ein Netzwerk von Medien und Influencern auf, in dem oft Desinformation verbreitet wird. Junge Youtuber wie Niklas Lotz mit seinem Kanal ‘Neverforgetniki’ oder Naomi Seibt profitieren davon.”

Kalbitz im Sommerinterview, “Zapp”, Liebesinvest bei ProSiebenSat.1

1. Bühne frei für den Feind der Demokratie
(spiegel.de, Ann-Katrin Müller)
In bestechender Beweisführung erklärt die “Spiegel”-Redakteurin Ann-Katrin Müller, warum es keine gute Idee des RBB war, dem nachgewiesenen Rechtsextremisten Andreas Kalbitz ein komplettes Sommerinterview zu widmen. “Warum aber sollte der RBB, ein öffentlich-rechtlicher Sender, der selbstverständlich dem Grundgesetz verpflichtet ist, dem Spitzenpolitiker einer Partei Sendezeit geben, über die der dortige Verfassungsschutzchef sagt: ‘Es liegen hinreichend wichtige tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass von ihm Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung ausgehen’? Kalbitz steht wie kaum ein anderer für die Gefahr, die von der AfD für unsere Demokratie ausgeht. Warum soll der RBB ausgerechnet ihm eine Bühne bieten?”

2. Die Willkür muss ein Ende haben
(netzpolitik.org, Constanze Kurz)
netzpolitik.org hat sich mit der Juristin Jacqueline Neumann über Social-Media-Accounts von Amtsträgern und Behörden unterhalten. In dem Interview geht es unter anderem um die Frage, warum die Regierung ihre Kritikerinnen und Kritiker nicht auf Facebook oder Twitter sperren darf. Ein hochinteressantes Gespräch, weil es Licht auf einen bislang nur lückenhaft geregelten Bereich wirft. Und weil es mit dem Fall des thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow und dessen Twitter-Blockade eines ihn kritisierenden Accounts typische Argumentationsmuster und Abläufe nachzeichnet.

3. “Zapp” und die große Frage: Braucht man einen Sendeplatz, um Programm zu machen?
(uebermedien.de, Jürn Kruse)
Für das Medienmagazin “Zapp” brechen schwierige Zeiten an: Laut eines internen NDR-Papiers werde es zukünftig nur “in reduziertem Umfang produziert”. “Zapp”-Redaktionsleiterin Annette Leiterer befürchte eine Etatkürzung von einem Drittel. “Übermedien”-Redakteur Jürn Kruse ordnet den schmerzhaften Schritt ein und überlegt, wie ein Ausweg aus dem Dilemma aussehen könnte.

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4. Rasender Reporter
(faz.net, Sandra Kegel)
Die “FAZ” erinnert an den am vergangenen Donnerstag verstorbenen Schauspieler Tilo Prückner und dessen Rolle im “Willi-Busch-Report” (1979). Darin spielte Prückner einen Reporter, der mit zweifelhaften Methoden um das Überleben seiner Provinz-Postille “Werra-Post” kämpft. (“Die von ihm, zwecks Auflagensteigerung, provozierten Sensationen nehmen ein unkontrollierbares Eigenleben an, dem ihr Urheber nicht gewachsen ist. Eine vielschichtige Tragikomödie, klug entworfen und souverän inszeniert, mit präziser Information über die damalige deutsche Wirklichkeit.”, Lexikon des internationalen Films.)

5. Was machen ARD und ZDF im Sommer?
(deutschlandfunk.de, Michael Meyer, Audio: 5:43 Minuten)
Dieses Jahr fallen verschiedene Sport-Großereignisse wie die Fußball-Europameisterschaft und die Olympischen Spiele, die im Programm der Öffentlich-Rechtlichen fest eingeplant waren, coronabedingt aus. Es müssen also unzählige Programmstunden gefüllt werden, doch womit? Zu befürchten sei: vor allem mit Wiederholungen statt mit neuen Inhalten.

6. Kartellamt sagt Ja zu ProSiebenSat.1 und Lovoo
(wuv.de, Annette Mattgey)
Das Medienunternehmen ProSiebenSat.1 wird immer mehr zum Datingunternehmen. Der Konzern, dem bislang schon die Dating-Plattformen Parship und Elite Partner gehören, verleibt sich aller Voraussicht nach auch Lovoo ein. Das Kartellamt habe bereits grünes Licht gegeben, nun fehle nur noch die Zustimmung aus den USA.

“Bild” übernimmt die PR-Arbeit des Wiener Attentäters

Nach dem rechtsterroristischen Anschlag auf zwei Moscheen in Christchurch sagte Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern über den Attentäter:

Speak the names of those who were lost rather than the man who took them. He may seek notoriety, but we in New Zealand will give him nothing, not even his name.

Arderns Idee, dem Täter nicht zu der von ihm gewünschten Bekanntheit zu verhelfen und ihm nicht mal den Gefallen zu tun, seinen Namen zu nennen, passt gut zu den Erkenntnissen vieler Wissenschaftlerinnen und Experten. Diese warnen seit Jahren vor einer ausführlichen, mitunter sogar heroisierenden Berichterstattung, die den Attentäter in den Mittelpunkt stellt. Im schlimmsten Fall könnte daraus eine Inspiration und ein Ansporn für Nachahmer entstehen. Jennifer Johnston und Andrew Joy von der Western New Mexiko University schreiben beispielsweise in einer Studie:

Die Identifikation mit früheren Tätern, die durch die extensive Berichterstattung berühmt geworden sind, einschließlich der Veröffentlichung ihrer Namen, Gesichter, Lebensgeschichten und Hintergründe, löst einen mächtigeren Schub in Richtung Gewalt aus als psychische Erkrankungen oder der Zugang zu Waffen.

Die daraus abzuleitende Empfehlung für alle Medien: Diese “Identifikation mit früheren Tätern” gar nicht erst möglich machen.

Die “Bild”-Redaktion verfolgt einen anderen Ansatz: Sie baut Attentätern regelmäßig Denkmäler. So auch jetzt, nach dem islamistischen Terroranschlag in Wien am Montagabend, bei dem vier Menschen getötet und 23 weitere verletzt wurden. Etwas kleiner auf der Titelseite und groß im Blatt zeigt die “Bild”-Zeitung heute ein unverpixeltes Foto des Täters:

Ausriss Bild-Titelseite - Das Böse und die Helden von Wien ... und ein Licht für die Opfer - dazu zu sehen ein Foto des Attentäters ohne Unkenntlichmachung
Ausriss Bild-Zeitung - Er trickste die Sicherheitsbehörden aus - Das ist der ISIS-Killer von Wien
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)

Auf dem Foto posiert der Mann mit den Waffen, mit denen er später in Wien seine Opfer tötete. Es soll aus einem Video stammen, das der sogenannte “Islamische Staat” nach der Tat veröffentlicht hat. “Bild” nutzt dieses Propagandamaterial ungefiltert für die eigene Berichterstattung und zeigt den Mann so, wie er sich selbst und wie die Terrororganisation ihn zeigen wollte. Auch auf der Bild.de-Startseite war das Foto an prominenter Stelle zu sehen:

Screenshot Bild.de - Er trickste die Sicherheitsbehörden aus - Das ist der ISIS-Killer von Wien

“Bild” macht sich zum Handlager der Terroristen. Die Redaktion nennt zusätzlich auch den kompletten Vor- und Nachnamen des Täters. Und sendet mit diesem PR-Gesamtpaket allen potentiellen Nachahmern die Botschaft: Solltet ihr einen Anschlag verüben, sorgen wir auf unseren Titel- und Startseiten dafür, dass ihr berühmt werdet.

Dazu auch:

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“Bild” ist Aktuelle-Äpfel-alte-Birnen-Europameister

“Wir setzen uns für eine freie und soziale Marktwirtschaft ein”, lautet einer der fünf “Grundsätze und Werte” des Axel-Springer-Konzerns. Und auch die “Bild”-Redaktion vertritt in ihrer Berichterstattung überwiegend die Ansicht: Soll der Markt es regeln. Aber wenn es ums Autofahren geht oder genauer: um die Spritpreise, ja, dann

Screenshot Bild.de - Zwei-Euro-Marke teilweise schon geknackt - Wann kommt die Spritpreis-Bremse, Herr Scheuer? Wie der Verkehrsminister sein Versprechen halten will

Zum Zapfsäulen-Aktivismus der “Bild”-Redaktion passt auch diese exklusive “Bild”-Meldung von gestern:

Screenshot Bild.de - Auf diesen Titel hätten wir gerne verzichtet - Deutschland ist Spritpreis-Europameister

Keine Frage: Die Preise für Benzin und Diesel sind in letzter Zeit stark gestiegen. Das stellt viele Menschen, die aufs Autofahren angewiesen sind, vor größere finanzielle Herausforderungen. Aber dass die Spritpreise in Deutschland die höchsten in Europa sind, ist schlicht falsch.

Bei Bild.de steht dazu:

Die Preise an deutschen Tankstellen ziehen weiter an: Diesel und Super E10 erreichen 9-Jahre-Hochs, teilte der ADAC am Mittwoch mit. Und damit gewinnt Deutschland das, was Hansis Jungs zuletzt 1996 packten: Wir sind (Spritpreis-)Europameister! (…)

BILD macht den Check, wie es im europäischen Vergleich an den Zapfsäulen anderer Länder preislich derzeit aussieht.

Die erschütternde Bilanz vorab: Deutschland ist Spitzenreiter! Bei teuerstem Super UND Diesel. Dicht gefolgt von Norwegen.

Die “Bild”-Redaktion präsentiert in ihrem Artikel eine Tabelle mit den Super- und Dieselpreisen aus 15 verschiedenen Ländern: Deutschland, Norwegen, Italien, Dänemark, die Niederlande, Frankreich, Griechenland, Spanien, die Schweiz, Tschechien, Kroatien, Österreich, Polen, die Türkei und Bulgarien. Deutschland steht mit den höchsten Preisen ganz oben. Bild.de beruft sich dabei auf die Seite benzinpreis.de. Die schreibt über sich selbst:

benzinpreis.de ist ein Projekt, in dem Benzin- und Dieselpreise weltweit von Benutzern der Seite eingegeben und vom System statistisch aufbereitet werden.

Die Verlässlichkeit der Zahlen von benzinpreis.de hängt also davon ab, wie oft und wie genau die Nutzer dort Preise eintragen. Und das findet nicht so irre häufig statt: Der aktuellste Eintrag für Norwegen beispielsweise stammt sowohl bei Super als auch bei Diesel vom 20. April 2020. Aus den Niederlanden kam die letzte Super-Meldung am 3. August 2020 rein. Für Italien stammt der neueste Eintrag immerhin vom 15. September 2021 – ist damit aber auch schon einen Monat alt. Die Preise aus Kroatien stammen vom 22. Juni 2020. Die aus der Türkei vom 20. April 2020. Und so weiter. Die Preise für Deutschland stammen laut benzinpreis.de hingegen von der Markttransparenzstelle für Kraftstoffe des Bundeskartellamts.

Die “Bild”-Redaktion vergleicht also aktuelle Zahlen aus Deutschland mit veralteten aus dem Ausland, teilweise von vor eineinhalb Jahren.

Schaut man sich hingegen aktuellere Zahlen an, beispielsweise auf der Seite GlobalPetrolPrices.com, die bei der Preisermittlung laut eigener Angabe auf mehrere voneinander unabhängige Quellen zurückgreift (PDF), sieht man, dass Deutschland bei weitem nicht “Spritpreis-Europameister” ist: Beim Superbenzin lagen am 11. Oktober die Niederlande, Norwegen, Dänemark, Griechenland und Italien mit höheren Preisen vor Deutschland. Nimmt man noch weitere europäische Staaten in den Vergleich mit auf, die, warum auch immer, in der “Bild”-Liste nicht auftauchen, liegen auch noch Schweden, Finnland, Island, Portugal und Monaco vor Deutschland. Beim Diesel waren die Preise in Schweden, Norwegen, Großbritannien, Island, Dänemark, Belgien, Monaco, Finnland, Kroatien, Italien, Frankreich, den Niederlanden und der Schweiz höher als in Deutschland.

Mit Dank an Marian und Theo für die Hinweise!

Nachtrag, 17. Oktober: Noch ein nachgereichter Gedanke: Was in dem (falschen) “Bild”-Ranking überhaupt keine Rolle spielt, ist die unterschiedliche Kaufkraft in den verschiedenen europäischen Ländern.

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Pittelkaus Pop-Rüpel

“Bild”-Reporter Mark Pittelkau war in Oberhausen…

…und hat von da eine tolle Geschichte mitgebracht — über “diese jungen Pop-Rüpel” von Tokio Hotel nämlich, Überschrift:

Fummel-Alarm bei Tokio Hotel

Pittelkau schreibt:

“(…) jetzt feierten sie einen peinlichen Party-, Knutsch- und Fummel-Marathon!”

Und wir zitieren auszugsweise:

“Musikpreis-Verleihung ‘Eins Live Krone’ in Oberhausen: Georg (18), Gustav (17), Bill (16) und Tom (16) sind die Stars des Abends. Doch bei der anschließenden Party drehen die Jungs ab, kippen erste harte Drinks im Minutentakt, begrabbeln dann die weiblichen Fans.

Gitarrist Tom: ‘Ich teste erst mal 20 Hühner auf Brust und Lippen, bevor ich eine mitnehme.’ Er knutscht die Blondinen Nike (18) und Marina (18), später gefallen ihm Ann-Kathrin (18) und Jasmin (18).

Doch ‘mitnehmen’ konnte Tom letztlich keine: Sein Manager mußte den betrunkenen Teenager von der Party führen.”
(Hervorhebung von uns.)

Soweit Pittelkaus Geschichte aus Oberhausen.

Man kann sie natürlich auch ein wenig anders erzählen, aus der Sicht einer “Blondine” zum Beispiel. Nike, eine von Pittelkaus “Blondinen”, hat das getan — auf der Jugendseite des “Remscheider General Anzeigers”. Und wir zitieren auch hier auszugsweise, nur mal so:

“(…) Am Ende der Show ziehen die ganzen Promis und Presseleute in Richtung Adiamo, wo die After-showparty stattfindet. (…) Wir sehen uns gerade in der Disko um, als uns Tom und Georg von Tokio Hotel über den Weg laufen. Die beiden Jungs sind echt lieb und lächeln für uns in die Kamera. Wenige Minuten später kommen die Zwei zu uns zurück und fragen: ‘Mädels, hättet ihr vielleicht Lust, mit uns ein Foto für die Bild-Zeitung zu machen?’ Marina und ich sind von der Idee begeistert und nun beginnt ein richtiges Fotoshooting. Reporter Mark Pittelkau und Fotograf Jens Koch geben uns Anweisungen. ‘Ich will Küsschen sehen’, sagt Jens und wir Vier posieren fleißig. Das macht echt Spaß und nach der ersten Runde geht’s auf der Tanzfläche direkt weiter. Immer weiter werden wir fotografiert und die Zeit vergeht wie im Flug. (…)”
(Links und Hervorhebungen von uns.)

Mit Dank an wildersueden für den Link.

neu  

Bloß früher II

Am 17.06.2000 berichtete beispielsweise die “Berliner Morgenpost”, dass an der Paul-Löbe-Oberschule in Berlin sog. “Raucher-Ausweise” eingeführt worden seien.

Am 25.02.2002 berichtete das “Höchster Kreisblatt”, dass an der Eichwaldschule in Höchst “Raucher-Ausweise” eingeführt worden seien.

Am 11.07.2002 berichtete die “Kölnische Rundschau” über die am 1.1.2000 an der Leverkusener Freiherr-vom-Stein-Schule eingeführten “Raucher-Ausweise”.

Am 18.09.2002 berichtete die “Frankfurter Rundschau”, dass am Ernst-Ludwig-Gymnasium in Bad Nauheim “Raucher-Ausweise” eingeführt worden seien.

Am 23.1.2003 berichtete die “Berliner Morgenpost”, dass “Raucher-Ausweise” am Berliner Friedrich-Engels-Gymnasium bereits 2002 wieder abgeschafft worden waren.

Am 15.7.2004 berichtete die “Frankfurter Rundschau”, dass an der Diesterwegschule in Ginnheim “Raucher-Ausweise” eingeführt worden seien.

Am 04.11.2004 berichtete die “Kölnische Rundschau”, dass am Gymnasium Lindlar “Raucher-Ausweise” eingeführt worden seien.

Am 13.01.2005 berichtete der “Lauterbacher Anzeiger”, dass die Schule an der Wascherde in Lauterbach ihre “Raucher-Ausweise” wieder abgeschafft habe.

Am 24.01.2005 berichtete das “Hamburger Abendblatt”, dass an der Ahrensburger Gesamtschule “Raucher-Ausweise” eingeführt worden seien.

Am 2.03.2005 berichteten die “Potsdamer Neusten Nachrichten”, dass an der Voltaire-Gesamtschule in Potsdam “Raucher-Ausweise” eingeführt worden seien.

Am 24.3.2005 berichtete die “Stuttgarter Zeitung”, dass an der Waldorfschule in Faurndau “Raucher-Ausweise” eingeführt worden seien.

Und am 2.2.2006 berichtet “Bild”:

1. deutsche Schule
führt Raucher-Ausweis ein

Lustig.

Mit Dank an Sascha K., Torsten F. und andere für den Hinweis.

Nachtrag, 14:55:
Bild.de hat die Falschmeldung der “Bild”-Zeitung seit gesternabend im Wortlaut übernommen, den Text der Meldung jedoch an einer einzigen Stelle dahingehend verändert, dass die Ziffer in der “Bild”-Überschrift durch das entsprechende Zahlwort ersetzt wurde. Hat nur nicht so richtig geklappt…

Nachtrag, 15:39:
Okay, den Tippfehler in der Überschrift hat Bild.de inzwischen korrigiert. Jetzt ist die Überschrift auch bei Bild.de nur noch sachlich falsch.

Wahrheitsgehalt im Promillebereich

Am 24. August 2005 stand (nur zur Erinnerung) folgende Exklusivmeldung in “Bild”:

"EU schafft Deutsch ab (...) Die EU-Kommission hat die Übersetzung von Dokumenten ins Deutsche gestoppt. (...)"

Heute nun steht in “Bild” wieder eine Exklusivmeldung zur EU-Kommission, diesmal sogar auf der Titelseite:

"EU-Kommission plant Alkohol erst ab 18!"

Ohne Quellenangabe heißt es weiter:

“Die EU-Kommission schlägt jetzt vor, das Mindestalter für den Kauf von Alkohol von 16 auf 18 Jahre heraufzusetzen — eine entsprechende Verordnung ist in Vorbereitung!”

Schlägt sie nicht, ist sie nicht. In einer aktuellen Pressemitteilung der Kommission heißt es:

“Die Europäische Kommission plant keine EU-weit gültige Altersgrenze für den Alkoholverkauf. Medienberichte, dass die EU-Kommission das Verkaufsalter für Bier und Wein von 16 auf 18 Jahre anheben will, entbehren jeglicher Grundlage. (…)”

Außerdem heißt es in einer dpa-Meldung zum Thema unter Berufung auf den EU-Gesundheitskommissar Markos Kyprianou:

“Eine EU-weite Anhebung des Mindestalters für den Alkoholkauf von 16 auf 18 Jahre, von der die ‘Bild’-Zeitung am Donnerstag berichtete, sei aber nicht geplant.

Die Kommission wolle im Sommer Leitlinien zum Thema Alkohol und Gesundheit veröffentlichen, sagte Kyprianous Sprecher Philip Tod. Dabei handele es sich jedoch nur um Empfehlungen in Form einer so genannten Kommissionsmitteilung. ‘Bild’ hatte von einer Verordnung berichtet, die rechtlich bindend wäre. Kyprianou sehe keine Notwendigkeit für eine EU-Gesetzgebung, betonte Tod.”

In diesem Zusammenhang sei den “Bild”-Rechercheuren vor der Abfassung weiterer EU-Falschmeldungen ein Blick auf die Website eu-kommission.de empfohlen. Zum Thema “Alkohol erst ab 18!” etwa stand dort nämlich bereits im Januar:

“Was Beschränkungen für den Verkauf von Alkohol an Minderjährige angeht, so hat die EU-Kommission hier keine Kompetenzen und strebt folglich auch keine EU-weite Regelung an.”

Kurzum: Wir sind gespannt, wann und wie “Bild” ihre heutige Falschmeldung “unverzüglich von sich aus in angemessener Weise richtigzustellen” gedenkt, wie es der Pressekodex empfiehlt. Denn (nur zur Erinnerung) beim letzten Mal, als “Bild” falsch über die EU-Kommission berichtet hatte, sah die angemessene Richtigstellung in “Bild” so aus:

"Gegendarstellung (...) Die EU schafft Deutsch nicht ab."

Mit Dank an Oliver-Sven L. und Michael B. für die Anregungen.

Nachtrag, 17.40 Uhr: Mittlerweile habe wir auch die mutmaßliche Quelle für die mutmaßlich falschen “Bild”-Behauptungen ausfindig gemacht. So stand gestern im Handelsblatt, die EU-Kommission wolle “gegen den Alkoholmissbrauch vorgehen” und “dazu ein Bündel von Vorschlägen machen, etwa die Heraufsetzung des Mindestalters für den Verkauf von Bier und Wein auf 18 Jahre”. Und ein Sprecher der EU-Kommission sagt uns deshalb, die heutige Pressemitteilung beziehe sich durchaus auch auf den “Handelsblatt”-Artikel — in dem sich übrigens auch mehrfach das von “Bild” so fälschlich verwendete Wort Verordnung findet, allerdings, wie man vielleicht dazusagen sollte, in völlig anderem Zusammenhang (“Gestern verabschiedete das EU-Parlament eine Verordnung, welche die nährwert- und gesundheitsbezogene Werbung für Lebensmittel stark einschränkt.”).

Kommentare, Kronenzeitung, Kuppelshow

1. Guardian hat 70 Millionen Leserkommentare untersucht
(netzpolitik.org, Markus Reuter)
Der “Guardian” hat die Leserkommentare der letzten zehn Jahre untersucht, eine Datenbasis von immerhin 70 Millionen Stück. Eines der Ergebnisse: Journalistinnen sind besonders von Hasskommentaren betroffen. “Dabei kam heraus, dass unter den Top10 der Autorinnen und Autoren mit den meisten geblockten Kommentaren acht Frauen waren und nur zwei Männer. Die beiden betroffenen Männer waren schwarz. Zwei der Autorinnen und ein Autor in der Top10 waren homosexuell. Von den acht Frauen war eine Muslima und eine Jüdin.”

2. Ejaculatio praecox: Wenn Medienprofis erst teilen und dann denken
(http://blog.ronniegrob.com)
Ronnie Grob über das von Kai Diekmann auf Facebook lancierte Interview mit Jan Böhmermann, das sich später als falsch herausstellte. Unzählige Medienprofis hätten das Interview verbreitet, ohne die Echtheit zu überprüfen. Dabei hätte bereits die Fotomontage Zweifel aufkommen lassen müssen. “Lernt man heute nicht schon in der Schule, dass man genau prüfen sollte, was man teilt, um nicht betrogen zu werden? Und sollten nicht gerade Journalisten etwas genauer hinsehen, bevor sie offensichtlichen Quatsch als echt verkaufen?”

3. Drohen, wünschen, hoffen
(sprachlos-blog.de)
Das Sprachlos-Blog über eine kleine Meldung der “Thüringer Allgemeinen”, die zeige, wie schnell man mit falscher beziehungsweise auslassender Kontextualisierung einen völlig gegensätzlichen Eindruck erwecken kann. Die Zeitung suggeriere, Antifa-Aktivisten hätten den Thüringer Ministerpräsidenten mit Mord bedroht, weil er sie mit Nazis verglich. Die Drohung sei aber aus der völlig anderen Richtung gekommen.

4. Kronenzeitung verbreitet Falschinfos zur Einbürgerung von Flüchtlingen
(sosmitmensch.at)
Die österreichische Menschenrechtsorganisation “SOS Mitmensch” übt scharfe Kritik an der “Kronenzeitung”, die Falschinformationen zur Einbürgerung von anerkannten Flüchtlingen verbreiten würde. Mit irreführenden Angaben und falschen Zahlen werde der Leserschaft der Eindruck vermittelt, dass nahezu alle Asylberechtigten nach 6 Jahren die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten würden. Davon sei Österreich mit seinen restriktiven Einbürgerungsbestimmungen jedoch meilenweit entfernt.

5. Putins “Untergrund-Truppe”, die von einem “Putin-Experten” aufgedeckt wurde
(heise.de, Florian Rötzer)
Florian Rötzer berichtet auf “Telepolis” über die Meldungen von “Bild” und “Focus”, ein direkt von Putin gesteuertes “Elite-Kämpfer-Netzwerk” habe sich in deutschen Kampfsportschulen angesiedelt. Dieses weltweit bereitstehende angebliche Schläfer-Netzwerk von Putin-Kämpfern würde sich auf den Einsatz nicht in Terroristencamps vorbereitet, sondern in sogenannten “Systema-Kampfschulen”. Hinter den Meldungen stünde der langjährige Leiter des Moskauer Focus-Büros, der Experte darin sei, den russischen Präsidenten Putin zu dämonisieren.

6. Illustrer Infrarotsaunagänger sucht kokette Kurzhaarträgerin
(uebermedien.de)
“Übermedien” weist auf die sprachlichen Spitzenleistungen von RTLs Erfolgssendung „Schwiegertochter gesucht“ hin. Bei der als Kuppelshow getarnten Sendung handele es sich in Wahrheit um ein “Festival der albernen Alliteration und des stupiden Stabreims”. Eine konzentrierte Kompilation, die ohne die lästigen Handlungsstränge auskommt, zeigt, was gemeint ist.

Amerikanische Mädchen, Türkische Presse, Europäische Fußballer

1. Lux-Leaks-Prozess: Bewährungsstrafen für Whistleblower
(sueddeutsche.de, Bastian Brinkmann)
Dass sich deutsche und internationale Konzerne mit Unterstützung Luxemburgs vor Steuerzahlungen in Milliardenhöhe drücken, konnte nur bewiesen werden, weil zwei ehemalige Mitarbeiter der Beraterfirma PwC entsprechende Unterlagen an die Presse weitergaben. Diese Papiere bildeten die Basis für “Lux-Leaks”, eine weltweite Recherche des “Internationalen Konsortiums Investigativer Journalisten”, unter anderem mit “SZ”, “Guardian” und “Le Monde”. Die Whistleblower, die damit eine europaweite Debatte und Veränderungen im Steuerrecht angestoßen haben, stehen nun erneut im Rampenlicht der Aufmerksamkeit. Jedoch nicht als Preisträger eines Preises für Zivilcourage und gesellschaftliches Engagement, sondern weil sie zu Bewährungs- und Geldstrafen verurteilt wurden.

2. Die geheime Welt von Mädchen im Bann der sozialen Medien
(welt.de, Uwe Schmitt)
“American Girls – Social Media and the Secret Lives of Teenagers”, so heißt das Buch der “Vanity Fair”-Reporterin und Jugendkultur-Spezialistin Nancy Jo Sales. Uwe Schmitt von der “Welt” stellt das Buch samt Diagnose vor und diskutiert die in manchen Rezensionen geäußerten Kritikpunkte.

3. Liebe Presse: Gedanken zum EM-Honorar-Skandal
(wortvogel.de, Torsten Dewi.)
Torsten Dewi hat ein Problem mit der Berichterstattung um die angeblich exorbitante Honorare von kommentierenden Fußball-Promis im Fernsehen: “Mir fällt auch auf, dass die Ex-Spieler gar nicht wirklich die konkreten Summen bestreiten. So wird sich eher darauf berufen, dass man ja mehrjährige Verträge mit den Sendern habe und deshalb die Errechnung von “Tagesgagen” Unsinn sei. Das klingt für mich nicht nach Gegenangriff, sondern nach Salami-Taktik. Vor allem habe ich das Gefühl, dass viele Kollegen den Ex-Spielern und den Sendern allzu willfährig dabei helfen, Nebelkerzen zu werfen, anstatt die einzige Frage zu recherchieren und zu beantworten, die tatsächlich Aufklärung brächte: Wie viel Geld bekommen Kahn und Scholl eigentlich für ihre (je nach Auslegung) schlauen Sprüche?” (Anmerkung des 6-vor-9-Kurators: Zum Ringen um Zahlen siehe auch die Mitschrift der ARD Pressekonferenz bei “Planet Interview”)

4. Nach der letzten Instanz
(konkret-magazin.de, Marcus Hammerschmitt)
Buchautor Marcus Hammerschmidt kommentiert im Juni-Heft von “konkret” und online die Reaktion der Verlage auf das VG-Wort-Urteil des BGHs. Dieses untersagt den Verlagen die bisherige Praxis, sich bei der für die Autoren gedachten Urheberrechtsabgabe zu bedienen. Die Verlage würden die bisherige Selbstbedienungspraxis mit einem angeblichen “gentlemen’s agreement” verteidigen. Hammerschmitt dazu: “Um diesen Stuss unter die Leute zu bringen, benutzt man vorzugsweise die komplett Ahnungslosen und die bis zur Besinnungslosigkeit Überangepassten unter den Autoren selbst.”

5. Kritiker unerwünscht: Pressefreiheit in der Türkei
(de.ejo-online.eu, Kristina Karasu)
Die freie Journalistin und Filmemacherin Kristina Karasu berichtet Besorgniserregendes aus der Türkei: Fast alle Medien seien mittlerweile auf Regierungslinie, kritische Journalisten würden als Terror-Unterstützer gelten, Dutzende würden wegen Präsidentenbeleidigung angeklagt. Und wer aus den Kurdengebieten berichte, begebe sich in große Gefahr. Der größte Verlierer sei die Bevölkerung. Nicht nur die Meinungsfreiheit stünde auf dem Spiel – sondern langfristig auch der soziale Frieden.

6. Euro 2016: Reportieren für Fortgeschrittene
(youtube.com, Video, 2:52)
Boris Rosenkranz von “Übermedien” erklärt mit verschiedenen Videobeispielen und in unter drei Minuten, wie Sie zum Star der EM-Reporter werden.

US-Wahlkampf, BND-Gesetz, Stimmungskanone

1. Lügen als Erfolgsrezept
(medienwoche.ch, Casper Selg)
Noch nie sei im amerikanischen Wahlkampf erfolgreich so viel gelogen worden wie aktuell. Das US-Mediensystem begünstige und befördere diese Art von postfaktischem Wahlkampf, so Casper Selg in seinem Artikel über Donald Trump, den politische Prozess und die US-Medien. “Trumps Erfolg hat auch etwas zu tun mit kommerziellen nationalen «News»-Sendern, welche als Information kaschierte politische Demagogie verbreiten. Wie etwa «Fox News». Und es hat zu tun mit dem Diskurs auf den «sozialen» Medien, für welchen letztlich keine Regeln gelten. Wo Leute – neben viel Interessantem – auch frischfröhlich Lügen, Unwahrheiten, Halbwahrheiten herumbieten, die sich blitzartig weit (und damit lukrativ) verbreiten. Ohne dass der Laie beurteilen kann, was wovon zu halten ist.”

2. Regionalliga: Medien in Männerhand
(pro-quote.de)
Der Verein “ProQuote” hat 100 Regionalblätter untersucht, die noch den überregionale Teil selbst produzieren. Das Ergebnis: Auf 95 Prozent der Chefredakteursposten aller untersuchten Zeitungen säßen Männer. Und auch ihre Stellvertreter seien zu 82 Prozent männlich. “ProQuote” hat aus dem Datenmaterial eine übersichtliche Karte angefertigt, der man auch Stellungnahmen der befragten Redaktionen entnehmen kann. Dieser Wert fällt jedoch ebenfalls dürftig aus: 92 Prozent der Chefredakteure hätten auf das Schreiben von “ProQuote” nicht reagiert…

3. Die Erinnerungslücken der Wirtschaftswoche
(bilanz.de, Bernd Ziesemer)
Die “Wirtschaftswoche” feiert mit einem 162-seitigen Sonderheft ihr 90-jähriges Bestehen. Bernd Ziesemer hat sich für seine “Zeitungsschau” das Heft angeschaut. Ziesemer hat selbst fast 15 Jahre für das Blatt gearbeitet und kann nicht allem vorbehaltlos zustimmen, was dort in dem Sonderheft geschrieben steht. Um es vorsichtig auszudrücken.

4. Warum alle gegen das BND-Gesetz sind – außer der Bundesregierung
(netzpolitik.org, Markus Reuter)
Die Bundesregierung ist die einzige Institution, der das von ihr geplante BND-Gesetz gefalle, so Markus Reuter auf “Netzpolitik.org”. Sowohl Opposition im Bundestag als auch namhafte Juristen, nationale und internationale Journalistenverbände, ARD und ZDF, zahlreiche Menschenrechtsorganisationen, die OSZE und sogar drei Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen würden das geplante BND-Gesetz der Bundesregierung kritisieren. Reuter führt die wichtigsten Kritikpunkte an und fasst die Statements von Fachleuten und Politik zusammen.

5. Präsidenten ohne Skrupel
(djv.de, Hendrik Zörner)
Hendrik Zörner vom “Deutschen Journalistenverband” (DJV) kritisiert scharf die trickreichen Umstrukturierungen und Produktionsverlagerungen bei Springer und Burda. Wenn es um das Geschäft ginge, würden die Verbandspräsidenten der Zeitungs- und Zeitschriftenverleger keine Skrupel kennen. Kohle vor Ehre scheine das Motto: “Wie passen solche Entscheidungen mit der Tätigkeit in den Arbeitgeberverbänden zusammen, die immerhin Tarifpartner der Gewerkschaften sind und sich zu fairen Arbeitsbedingungen und Einkommen der Beschäftigten vertraglich verpflichtet haben? Gar nicht. Also liegt der Verdacht nahe, dass Burda und Döpfner ihre Ehrenämter an der Spitze von VDZ und BDZV als Feigenblätter benutzen, die diskret das eigene unternehmerische Rabaukentum verdecken sollen.”

6. Hahaha akbar! Eine Stimmungkanone gegen den Islam
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
In der “Saarbrücker Zeitung” erschien eine wohl lustig gemeinte Glosse zum Thema Islamunterricht, die auf falschen Behauptungen fußt und Ressentiments bedient. Stefan Niggemeier hat dafür die passenden Worte gefunden.

Gewaltfixierte G20-Medien, Schweizer Rechtsdruck, Unprivilegierte Quelle

1. Journalisten fixieren sich auf Gewaltdarstellungen
(deutschlandfunk.de, Claudia van Laak)
Das Berliner “Institut für Protest- und Bewegungsforschung” nimmt die G20-Proteste zum Anlass, um eine Studie zur Berichterstattung über Großdemonstrationen vorzustellen. Die mediale Berichterstattung gehorche ungeschriebenen Gesetzen. Gewaltfixierung ist eines davon. Die Studie kritisiere, dass Demonstrationen in vielen Fällen als lediglich folkloristisch beschrieben würden, es fehlten Hinweise darauf, welche wichtige Rolle Demonstrationen für eine funktionierende Demokratie hätten. In Bezug auf den G20-Gipfel in Hamburg appelliere einer der Protestforscher an die Journalistinnen und Journalisten, die Rolle der Polizei kritischer zu hinterfragen als bislang.
Dazu gleich noch eine weitere Leseempfehlung: Schrödingers Camp oder die Versammlungsfreiheit vor dem Gesetz, in der der gesamte Ablauf um das Protestcamp von einem Juristen, auch für Nicht-Juristen lesbar, aufgearbeitet wird.

2. Rechtsdruck
(sueddeutsche.de, Charlotte Theile)
Nach Angaben der “NZZ am Sonntag” will ein ominöser, AfD-naher Verein mit Verbindungen in die Schweiz eine eigene Zeitung herausbringen: den “Deutschland-Kurier”. Das Blatt soll angeblich mit einer Druckauflage von 200.000 Exemplaren starten und 30 Cent pro Zeitung kosten. Bei dem Projekt mit dabei: Der ehemalige Chefredakteur der “Bild”-Zeitung Peter Bartels. Aber auch andere Schweizer Publikationen planen die Expansion nach Deutschland. “SZ”-Autorin Charlotte Theile dazu: “Aus Schweizer Sicht ist die Deutschland-Strategie naheliegend: Im Vergleich ist die deutsche Medienlandschaft politisch eher links, man vermutet eine Lücke rechts der bestehenden Zeitungslandschaft – und sieht im deutschen Medienmarkt vieles in Bewegung. Hier mitzumischen, das ist sowohl für bürgerlich-liberale Stimmen wie die NZZ als auch für stramm rechtskonservative Journalisten interessant.”

3. Merkel macht’s nur zu sechst: Die bizarren Verhandlungen ums TV-Duell
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Am Sonntag, den 3. September findet das TV-Duell zwischen Bundeskanzlerin und SPD-Kanzlerkandidaten statt, das von “ARD”, “ZDF”, “RTL” und “Sat1” ausgerichtet wird. Hinter den Kulissen wurde zäh um die Modalitäten gerungen, zu einem bestimmten Zeitpunkt stand die Veranstaltung sogar auf der Kippe. Ein Vorgang, den Stefan Niggemeier auf “Übermedien” zu Recht als “bizarr” bezeichnet und der verschiedene Deutungsmöglichkeiten zulässt.

4. Merkel muss Freilassung von Journalisten fordern
(reporter-ohne-grenzen.de)
Noch vor Beginn des G20-Gipfels wird sich Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping treffen. Dies nimmt “Reporter ohne Grenzen” zum Anlass, an die Unterdrückung von Journalisten und Blogger in China zu erinnern. Mindestens 103 Medienschaffende säßen derzeit wegen ihrer Arbeit in Haft. Auf der Rangliste der Pressefreiheit stehe China auf Platz 176 von 180 Staaten.

5. Warum viele Journalisten der Polizei alles glauben
(medium.com, Lorenz Matzat)
Lorenz Matzat plädiert dafür, nicht alle Aussagen der Polizei ungeprüft hinzunehmen, obwohl diese oft als “privilegierte Quelle” eingestuft wird: “Es ist zwar nachvollziehbar, dass es bequem für Redaktionen ist, nicht jede Polizeimeldung über einen Autounfall nachrecherchieren zu müssen. Doch wie kann eine Presse behaupten, sie sei frei und unabhängig, wenn sie staatliche Quellen nicht gleich behandelt wie alle anderen auch? Ist ihr nicht klar, dass sie funktionalisiert wird? Nämlich von der Seite, die von der ungefilterten Weitergabe und dem Nicht-Hinterfragen ihrer Mitteilungen profitiert.”

6. Journalist erteilt «SVP-Blatt» eine Absage
(persoenlich.com)
Krsto Lazarevic arbeitet zurzeit als Osteuropa-Korrespondent für verschiedene Print- und Onlinemedien. Als sich die Schweizer “Weltwoche” bei ihm nach den Nachdruckrechten eines Artikels erkundigt, nutzt er die Situation für eine Generalabrechnung mit dem Blatt. Hier soll nicht alles verraten werden, aber Lazarevic würde eher den “Paradeplatz mit seiner Zunge sauberlecken” …

Der Stuss von der “Grenzöffnung”, Staat als Influencer, Organversagen

1. Hat Merkel 2015 die Grenze geöffnet?
(faktenfinder.tagesschau.de, Patrick Gensing & Konstantin Kumpfmüller)
Immer wieder bedienen sich Politiker der Legende von Angela Merkels angeblicher „Grenzöffnung“. Warum diese Formulierung „grundfalsch“ ist, erklärt der ARD-“Faktenfinder” und bezieht sich dabei unter anderem auf einen Juristen aus der Rechtsredaktion: „grundfalsch, weil es schon seit Jahren keine geschlossenen Grenzen mehr gibt innerhalb des so genannten Schengen-Raums. Es konnten also im Jahr 2015 auch keine Grenzen geöffnet werden.”

2. Organversagen
(kreuzer-leipzig.de, Juliane Streich)
Der „Zeit“-Redakteur Martin Machowecz hat mit einem kritischen Tweet über Journalisten, die privat an Anti-AfD-Demos teilnehmen, eine breite Debatte ausgelöst („Ich finde das problematisch. Kann man denn dann am nächsten Tag wirklich wieder glaubwürdig über die #AfD schreiben?“) Nun greift er die von ihm angestoßene Diskussion in der Printausgabe auf, lässt dort aber viele Argumente der Gegenseite unbeachtet, wie Juliane Streich ausführt.

3. Wenn der Staat zum Influencer wird
(motherboard.vice.com, Anna Biselli & Sebastian Meineck)
Deutsche Behörden und Ministerien haben in den vergangenen Jahren einiges Geld für Social-Media-Werbung und Influencer-Kampagnen ausgegeben. Anna Biselli und Sebastian Meineck haben sich näher angeschaut, wohin die Gelder geflossen sind. Die zwei teuersten Influencer-Kampagnen waren eine des Entwicklungsministeriums (84.600 Euro) sowie die Nachwuchswerbung der Bundespolizei (71.400 Euro). Interessanter Nebenaspekt: Nach derzeitiger Rechtslage sei unklar, ob staatliche Influencer-Kampagnen auf den Kanälen der Influencer überhaupt zulässig seien.

4. Welche Studie darf’s denn heute sein?
(meta-magazin.org, Markus Lehmkuhl)
Markus Lehmkuhl, Professor für Wissenschaftskommunikation in digitalen Medien, hat sich mit der Auswahl von Studienergebnissen durch Wissenschaftsjournalisten beschäftigt. Seine Ergebnisse sind überraschend und nicht überraschend zugleich.

5. Wird der „Strassenfeger“ von der Straße gefegt?
(bz-berlin.de, Björn Trautwein)
Seit 24 Jahren gibt es in Berlin die Obdachlosenzeitung “Strassenfeger”, doch damit ist nun Schluss: Der “Straßenfeger” soll eingestellt werden. Das Entsetzen bei Berlins Obdachlosen sei groß: “Einige Verkäufer hatten Tränen in den Augen, als sie vom drohenden Aus erfahren haben. Für viele ist es die einzige Einnahmequelle.”

6. 40 Jahre Cat Content
(spiegel.de, Danny Kringiel)
Der Zeitungskater Garfield wird 40. Das orangefarbene Katzentier mit der Vorliebe für Lasagne, Kaffee und Zynismus wurde zunächst in 41 amerikanischen Zeitungen abgedruckt, heutzutage sind es 2400 Zeitungen mit 200 Millionen Lesern in 80 Ländern. Das Erfolgsrezept: „Garfield wurde zum Welterfolg, weil er so mittelmäßig war.“

7. “Verwechseln Kritik mit Zensur”: Trump-Tweet sorgt für Twitter-Zoff zwischen Reichelt, Reschke und Bildblog
(meedia.de, Nils Jacobsen)
Außerhalb der üblichen „6 vor 9“, weil es uns BILDblogger direkt betrifft: Angeblich haben wir mit unserem „totalitären Geist“ (und einem Tweet) Julian Reichelts „Faszination für Twitter zerstört“. Darüber beschwert sich jedenfalls der „Bild“-Chef auf Twitter: „Ob @AnjaReschke1 oder @BILDblog –Twitter befindet sich zunehmend in Händen jener, die bestimmen wollen, was zitiert, berichtet werden darf und was unterdrückt werden sollte, weil es gesellschaftlich schädlich ist.“ Wir haben Julian Reichelt erklärt, dass er Kritik mit Zensur verwechselt und hoffen, dass er schon bald wieder zu seiner Faszination für Twitter zurückfindet.

Organisierte Unkenntnis, Polizeikatze, Sommershow zum Selberbasteln

1. Organisierte Unkenntnis
(djv.de, Hendrik Zörner)
Immer wieder werden Journalistinnen und Journalisten bei Demonstrationen von der Polizei an ihrer Arbeit gehindert, indem man ihnen zum Beispiel den Zugang verwehrt. Bei einer Neonazi-Demo hat es erneut den freien Journalisten Arndt Ginzel getroffen, der den Vorfall auf Twitter mit einem Video dokumentiert hat. Hendrik Zörner vom Deutschen Journalisten-Verband kommentiert: “Was ist eigentlich die Unterschrift der Innenminister auf der Rückseite des Presseausweises wert? Welche Bedeutung hat die Aufforderung, Behörden sollten die Arbeit der Presse erleichtern, ihnen Auskünfte und Zugänge geben? Die Unkenntnis der Polizisten vor Ort zeigt, dass wichtige Informationen und Absprachen wie etwa die zum Presseausweis aus den Ministerbüros nicht dahin weitergegeben werden, wo sie hin gehören: an die Polizeidienststellen.”

2. Klage gewonnen gegen BAMF: Hier ist der McKinsey-Report zu Abschiebungen
(fragdenstaat.de)
Dank einer gewonnenen Klage des Transparenzportals “Frag den Staat” gegen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), kann nun McKinseys Report zu Abschiebungen veröffentlicht werden. Hintergrund: Das BAMF hatte sich von der Firma McKinsey beraten lassen und dafür insgesamt 47 Millionen Euro gezahlt. Allein das oben erwähnte Gutachten habe 1,9 Millionen Euro gekostet (auf solche Summen kommt man, wenn man als Behörde externen Beratern Tagessätze von 2.700 Euro bezahlt).

3. “Wir brauchen keine Frauenquote bei Kriminalromanen”
(welt.de, Elmar Krekeler)
Thomas Wörtche wird gerne als Deutschlands “Krimi-Papst” bezeichnet. Im Interview mit der “Welt” erklärt Wörtche den Unterschied zwischen “Grimmi” und “Krimi”, erzählt von seiner literarischen Einstiegsdroge und erläutert, warum der Serienkiller immer noch nicht out ist. Außerdem hat er ein paar schöne Beispiele für die Tücken historischer Kriminalromane parat: “Ich hatte mal Schamanenkrimis auf dem Schreibtisch, da fragt dann irgendwann der Schamane: “Um wie viel Uhr?” Ich mag auch Mittelalter- oder Antikenkrimis, in denen “In fünf Minuten greifen wir an” gesagt wird.”

4. Katzenfilter macht Polizei-Pressekonferenz zur Lachnummer
(spiegel.de)
Eine besonders unangenehme Panne passierte während der Facebook-Videoübertragung einer Pressekonferenz der kanadischen Polizei zu einem Doppelmord: Ein aktivierter Video-Effekt zeigte die Polizeisprecherin während des Live-Videos mit Katzenohren.

5. Die Frauenoffensive
(taz.de, Johannes Kopp)
Zum “Sportschau”-Kommentatorenteam für die kommenden Saison der Fußball-Bundesliga zählen 17 Männer und seit Neuestem eine Frau. Ein Beispiel, das Schule machen sollte, findet Johannes Kopp. Er wünscht sich mehr Mut von den Verantwortlichen: “Die Sender sollten nicht trotz, sondern wegen des Shitstorms von männlichen TV-Zuschauern ihre Kommentatorenteams um mehr Frauen erweitern.”

6. Sommershow zum Selberbasteln: Bei RTL startet “Das Sommerhaus der Stars” – sieben Regeln für ein erfolgreiches Trashformat
(haz.de, Imre Grimm)
Heute startet die vierte Staffel des RTL-Trash-Formats “Das Sommerhaus der Stars”. Du bist Programmchef eines deutschen Privatsenders und brauchst ebenfalls einen trashigen Lückenfüller für das Sommerloch? Imre Grimm zeigt Dir mit sieben einfachen Regeln, wie Beömmelungs- und Fremdschämfernsehen funktioniert. Erfolg garantiert!

So viele Menschen könnten arbeiten und arbeiten auch schon

Kommen wir noch einmal zum Bürgergeld und der Frage, wie die “Bild”-Redaktion mit einseitiger und/oder unvollständiger und/oder verzerrter Berichterstattung versucht, Stimmung zu dem Thema zu machen.

Und zwar so:

Screenshot Bild.de - Neue Zahlen zum Bürgergeld - So viele Menschen könnten arbeiten, kriegen aber Stütze

Neue Daten der Bundesagentur für Arbeit (BA) belegen: Hunderttausende Menschen könnten in Deutschland arbeiten, bekommen aber Stütze vom Staat.

Im April 2023 zählte die BA rund 3,9 Millionen “erwerbsfähige Regelleistungsberechtigte”. Sprich: Menschen, die arbeiten könnten, aber Bürgergeld erhalten.

Mehrfach schreibt “Bild” im Artikel (und ja auch schon in der Überschrift), dass sogenannte erwerbsfähige Leistungsberechtigte arbeiten könnten, stattdessen aber Bürgergeld beziehen:

Der Anteil “erwerbsfähiger Leistungsberechtigter” – also Menschen, die arbeiten können, aber Bürgergeld erhalten – lag im April …

Nirgendwo im Text steht es explizit, aber es schwingt an vielen Stellen mit: Schaut euch nur diese Faulen an. Die könnten arbeiten, lassen sich aber lieber vom Staat aushalten.

Doch schon die statistische Grundannahme der “Bild”-Redaktion ist falsch.

Die Definition der Bundesagentur für Arbeit (BA) für erwerbsfähige Leistungsberechtigte lautet:

Als erwerbsfähige Leistungsberechtigte (ELB) gelten gem. § 7 SGB II Personen, die

• das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben,
• erwerbsfähig sind,
• hilfebedürftig sind und
• ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben.

3.938.055 ELB gab es im April dieses Jahres, der aktuellste Monat, für den aufgeschlüsselte Daten von der BA vorliegen (Excel-Datei). Während die “Bild”-Redaktion ihrer Leserschaft einhämmert, dass sie alle arbeiten könnten, ist es tatsächlich anders – ein beachtlicher Teil von ihnen arbeitet bereits: 779.801 Personen führt die BA als erwerbstätige erwerbsfähige Leistungsberechtigte. Das sind 19,8 Prozent aller ELB. Manche von ihnen sind Selbstständige, die meisten aber sind abhängig erwerbstätig: Manche in Vollzeit, mehr in Teilzeit oder ausschließlich geringfügig beschäftigt, auch Auszubildende sind dabei. Sie alle arbeiten – und beziehen Bürgergeld als ELB. Häufig werden sie als “Aufstocker” bezeichnet.

Von ihnen ist im “Bild”-Artikel nichts zu lesen. Dort liest man nur platte Parolen wie: “Stütze statt Schuften”.

Und auch einen anderen Aspekt lässt die “Bild”-Redaktion völlig unerwähnt: Von den 3.938.055 ELB führt die Bundesagentur für Arbeit in ihrer Statistik nur 1.683.023 als arbeitslos (42,7 Prozent). Die anderen 2.255.032, also die Mehrheit (57,3 Prozent), sind “nicht arbeitslose ELB”. Und dafür gibt es ganz gute Gründe. Die BA schreibt in ihrem “Monatsbericht zum Arbeits- und Ausbildungsmarkt” (PDF) für den Monat August (der auf die aufgeschlüsselten Daten vom April zurückgreift) über die “Gründe für die Nicht-Arbeitslosigkeit erwerbsfähiger Leistungsberechtigter”:

Es sind vor allem drei Gründe, derentwegen erwerbsfähige Leistungsberechtigte nicht arbeitslos sind. Für 701.000 erwerbsfähige Leistungsberechtigte war eine Arbeit derzeit nicht zumutbar, weil sie entweder kleine Kinder betreuten bzw. Angehörige pflegten oder noch zur Schule gingen bzw. studierten. 441.000 Personen waren nicht arbeitslos, weil sie einer ungeförderten Erwerbstätigkeit von mindestens 15 Wochenstunden nachgingen. 523.000 Personen haben an einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme oder an einem Integrationskurs teilgenommen.

Über diese Gruppen hinaus zählten 253.000 erwerbsfähige Leistungsberechtigte nicht als arbeitslos, weil sie arbeitsunfähig erkrankt waren. Und schließlich galten für 139.000 erwerbsfähige Leistungsberechtigte Sonderregelungen für Ältere.

Auch von diesen Personen, die “Leistungen aus der Grundsicherung für Arbeitsuchende [erhalten], ohne arbeitslos zu sein”, wie die BA schreibt, liest man im “Bild”-Artikel nichts. Es handelt sich dabei natürlich auch um eine definitorische Frage, die die Zahlen für die Bundesagentur für Arbeit besser aussehen lassen kann. Aber dass “Bild” beispielsweise Schülerinnen und Schüler oder arbeitsunfähig Erkrankte als Menschen präsentiert, “die arbeiten könnten, aber Bürgergeld erhalten”, ist grotesk und eine stark verzerrte Wiedergabe der Statistik.

Bildblog unterstuetzen

Neu: “Bild” tut CDU-Politiker Unrecht

Man kann geteilter Meinung darüber sein, wie sinnvoll es ist, Graffiti-Sprayer strafrechtlich und per Hubschrauber zu verfolgen. Man kann das beispielsweise gut finden. Oder auch nicht. Der 21-jährige Stephan Schilling hat sich eher für Letzteres entschieden, wofür er von der “Bild”-Zeitung am gestrigen Samstag als “Milchgesicht” bzw. “grünes Milchgesicht” beschimpft wurde – und als “Chef der ‘Grünen Jugend'” bezeichnet, wiewohl er doch nur deren Sprecher ist. Aber naja: Dass (und wie) sich “Bild” gern kritisch mit Politikern der Grünen auseinandersetzt, ist nicht neu und bekannt.

Wirklich übel mitgespielt hat die “Bild” diesmal aber weniger dem “Milchgesicht” Schilling als vielmehr dem Vizepräsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin, Christoph Stölzl (CDU). Denn unmittelbar im Anschluss an den O-Ton eines FDP-Politikers, der laut “Bild” einen Rücktritt Schillings fordere und ihm “ein gestörtes Verhältnis zum Rechtsstaat” unterstellt, folgt ein Zitat Stölzls – genauer gesagt, dieses:

“Hier zeigt sich die häßliche Fratze der Freude am Rechtsbruch!”

Und in der Tat hat Stölzl das gesagt – als Teilnehmer am “1. Internationalen Anti-Graffiti-Kongress” nämlich, der (von “Bild” leider mit keinem Wort erwähnt) am vergangenen Donnerstag in Berlin stattfand. Nur: Stölzls umstrittenes Zitat bezieht sich offenbar mitnichten auf Schilling, wie “Bild” sogar mühelos in anderen Tageszeitungen aus dem Axel Springer-Verlag hätte nachlesen können. Dort nämlich heißt es:

“Christoph Stölzl (CDU), bezeichnete Graffiti als ‘abgestandenen Abfall der Comic-Malereien der 60er Jahre. Hier zeigt sich die häßliche Fratze der Durchsetzungs-Gesinnung und der Freude am Rechtsbruch.’
(“Berliner Morgenpost” vom 8.4.2005)

Oder noch kürzer:

“‘Hier zeigt sich die häßliche Fratze der Freude am Rechtsbruch.’ Christoph Stölzl (CDU) über Graffiti
(“B.Z.” mit Datum vom 7.4.2005)

Mit Dank an Arne S. für den sachdienlichen Hinweis.

Nachtrag, 22:47:
Schilling selbst findet es übrigens okay, dass man ihn als “Chef” bezeichnet.

Dr. rer. pol. Gabriele Pauli, Dipl. Kauffrau

Gabriele Pauli, 1957 in Schweich an der Mosel geboren und seit 1977 CSU-Mitglied, ist seit 1990 Landrätin des Landkreises Fürth in Bayern. Man könnte sie “beliebt”, “erfolgreich” oder “populär” nennen. Die “Bild am Sonntag” nannte sie gestern “redegewandt und siegesgewohnt”. Aber das sind offenbar nicht die entscheidenden Attribute für “Bild” und “BamS”. Wir zitieren.

“Bild” vom 22.12.2006:

Die attraktive CSU-Landrätin Gabriele Pauli (49) erhebt schwere Vorwürfe gegen Stoibers Staatskanzlei.”

“Bild” vom 23.12.2006:

“Sex-Spitzel-Affäre um diese schöne CSU-Frau

“In der Sex-Spitzel-Affäre um die schöne Landrätin Gabriele Pauli gab es den 1. Rücktritt.”

“Gestern Paukenschlag in der Sex-Spitzel-Affäre um die schöne CSU-Landrätin Gabriele Pauli!”

“Angeblich hatte der enge Stoiber-Vertraute (…) sich nach möglichen ‘Männerbekanntschaften’ und Alkoholproblemen der attraktiven Politikerin erkundigt.”

“Doch damit ist die ‘schöne Landrätin’ nicht zufrieden:”

“CSU-Generalsekretär Markus Söder griff die schöne Landrätin gestern massiv an:”

“Wer ist die attraktive CSU-Frau, die an Stoibers Denkmal rüttelt?”

“BamS” vom 24.12.2006:

Die schöne CSU-Landrätin Gabriele Pauli gibt im Spitzel-Streit nicht nach.”

Die schöne Fürther Landrätin und Stoiber-Rivalin Gabriele Pauli (49)”

“Bild” vom 29.12.2006:

“Kommt es jetzt zum offenen Duell zwischen der schönen Landrätin und Stoiber in den Tegernseer Bergen?”

“Will Mitglieder über Stoiber entscheiden lassen: die schöne CSU-Rebellin Gabriele Pauli (49)”

“BamS” vom 30.12.2006:

SCHÖNE REBELLIN – Die Fürther CSU-Landrätin Gabriele Pauli (49) will Stoiber in seiner Heimat besuchen”

“Bild” vom 6.1.2007:

Die schöne Stoiber-Rebellin: Hat sie das Zeug zur Minister-Präsidentin?”

“Gabriele Pauli (49) – vor dem 18. Dezember kannten außerhalb Frankens nur CSU-Insider die flotte Landrätin (…).”

“Will die attraktive Christsoziale am Ende selbst Edmund Stoiber in der Münchner Staatskanzlei beerben?”

Die attraktive Landrätin aus Fürth wurde 2002 mit 65,42 % wiedergewählt.”

“BamS” vom 7.1.2007:

Schöne Landrätin soll konstruktiv in der CSU mitarbeiten”

“Bild” vom 8.1.2007:

“In der BamS hatte Stoiber seiner Partei-internen Gegenspielerin, der schönen Fürther Landrätin Gabriele Pauli, eine Aussprache angeboten.”

Und dann ist da heute natürlich noch dies:

Weitere Pauli-Attribute in “Bild” und “BamS”: “aufsässig”, “aufmüpfig”.

Sehen alle gleich aus (14)

Der Trikottausch nach einem Fußballspiel ist so sicher wie das Amen in der Kir … ach, lassen wir die Floskeln. Manche Fußballer tauschen inzwischen sogar schon in der Halbzeitpause das erste Mal das Jersey mit einem gegnerischen Spieler. Das gibt zwar auch mal Ärger, ist aber letztendlich total schlau — wie und wo kommt man sonst so günstig an neue Klamotten?

Gestern Abend, beim Europa-League-Rückspiel zwischen dem FC Schalke 04 und PAOK Saloniki (Endergebnis: 1:1), hat Bild.de einen ganz neuen Trend entdeckt: den Trikottausch vor dem Anpfiff. Zumindest lässt die Bildunterschrift zu diesem Foto diesen Schluss zu:


(“Überrascht! Nastasic (2.v.l.) befördert den von Koulouris (M.) nur leicht berührten Ball unhaltbar für Torwart Fährmann (l.) zum 1:1 ins eigene Tor”)

Schalkes Torwart Ralf Fährmann “(l.)” hat offenbar bereits vor Spielbeginn von seinem Gegenüber Panagiotis Glykos ein komplettes PAOK-Outfit überreicht bekommen und dieses auch direkt angezogen: Trikot, Hose, Stutzen. Selbst die Kapitänsbinde hat Glykos ihm überlassen.

Und auch die anderen Spieler auf dem Foto sehen gar nicht so aus wie sonst: Matija Nastasic “(2.v.l.)”, der gestern in der 25. Minute ein Eigentor schoss, sieht aus wie Alessandro Schöpf, der gestern in der 23. Minute ins richtige Tor traf. Und Efthimios Koulouris “(M.)” trägt statt seiner üblichen Trikotnummer 20 auf einmal die 27, mit der eigentlich Ioannis Mystakidis aufläuft.

Entweder waren die Fußballprofis gestern in Gelsenkirchen schon in vorkarnevalistischer Stimmung und haben sich wild verkleidet. Oder Bild.de hat bei der Auswahl und/oder der Beschriftung des Fotos einiges durcheinandergebracht. Unsere Erfahrung sagt uns: Die Fußballer sind nicht schuld.

Mit Dank an Andreas W. für den Hinweis!

“Bild am Sonntag” und die falsche Sekunde beim Anschlag in Dortmund

In der Pressemitteilung, die die Bundesanwaltschaft gestern zur Festnahme des möglichen Attentäters von Dortmund rausgegeben hat, findet man auch einige Informationen zu den Sprengsätzen, die vor elf Tagen neben dem BVB-Mannschaftsbus explodiert waren:

Die drei Sprengsätze waren über eine Länge von 12 Metern in einer Hecke entlang der Fahrstrecke des Mannschaftsbusses angebracht. Die Sprengwirkung der Sprengsätze war auf den Bus ausgerichtet. Die Sprengsätze wurden zeitlich optimal gezündet. Der vordere und der hintere Sprengsatz waren in Bodennähe platziert. Der Mittlere befand sich in einer Höhe von etwa einem Meter. Damit war er zu hoch angebracht, um seine Wirkung voll entfalten zu können.

Auch Bild.de berichtete gestern über diese neuen Erkenntnisse. Die “SEKUNDEN-THEORIE” sei “WIDERLEGT”, schreibt die Redaktion:

Im Text steht unter anderem:

Die Sprengsätze wurden zeitlich optimal gezündet, heißt es in der Mitteilung. Denn zunächst hatte es geheißen, dass die Bomben eine Sekunde zu spät detonierten.

“Zunächst hatte es geheißen”? Wer hat sowas denn verbreitet? Das hier ist die Titelseite der “Bild am Sonntag” vom vergangenen Sonntag:

Der Artikel im Blatt beginnt so:

Es war wohl nur eine Sekunde, die beim Bombenanschlag in Dortmund über Leben und Tod entschieden hat. (…)

Jetzt kommt raus: Es hätte noch viel, viel Schlimmeres passieren können!

Ein Ermittler zu BamS: “Wären die Splitterbomben nur eine Sekunde früher gezündet worden, hätte der Bus eine regelrechte Breitseite bekommen. Es hätte dann bestimmt viele Schwerverletzte und möglicherweise auch Tote gegeben.”

Wer auch immer dieser “Ermittler” ist, den “Bild am Sonntag” da aufgetan hat — er verfügte offenbar über ganz andere Ermittlungsergebnisse als die Bundesanwaltschaft.

Andere Medien und Agenturen griffen die exklusive “BamS”-Titelgeschichte auf und berichteten ebenfalls über die “Sekunde, die beim Bombenanschlag in Dortmund” wohl “über Leben und Tod entschieden hat”. Die “Bild am Sonntag” (Leitspruch: “Immer einen Schritt voraus”) ist ziemlich stolz darauf, die “meist zitierte Sonntagszeitung” (PDF) Deutschlands zu sein.

Ebenfalls zum Thema:

Mit Dank an roy für den Hinweis!

Stammtischjournalismus ohne Recherche

Nach den rassistisch motivierten Schüssen auf einen Eritreer im hessischen Wächtersbach, bei denen das Opfer lebensgefährlich verletzt wurde, haben “Bild”-Reporter die Stammkneipe des Täters im Nachbarort besucht, mit dem Wirt gesprochen und gleich mehrere Artikel veröffentlicht:

Ausriss Bild-Zeitung - Jetzt spricht der Wirt, bei dem der Rassist von Wächtersbach nach der Tat sein Bier trank - Er kam rein und sagte: Ich habe auf einen Asylanten geschossen
Screenshot Bild.de - Rassist feuert auf Eritreer - In meiner Kneipe prahlte er mit seinen Schüssen!
Screenshot Bild.de - Eritreer von Rassisten aus Auto angeschossen - Hier verbrachte Roland K. seine letzten Minuten - Wirt: Wir haben ihn nicht ernst genommen - BILD zu Besuch im Martinseck
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)

In dieser Kneipe soll Täter Roland K. mehrmals angekündigt haben, jemanden umbringen zu wollen, auch am Tattag, bevor er aus dem “Martinseck” loszog und auf den Eritreer schoss. Bei der Polizei meldete das niemand, auch nicht der Wirt, dem die “Bild”-Medien nun eine Menge Platz geben, sich zu rechtfertigen. Immerhin “kursieren Gerüchte”, er “würde die Tat dulden.”

Und so kann der Wirt erzählen, was für ein bunter Haufen das doch in seiner Kneipe so sei:

30 Prozent von Dirks Gästen sind Ausländer: “Ob meine Gäste schwarz oder grün sind, blonde Haare oder braune Locken haben, ist mir egal. Hauptsache, sie zahlen und pöbeln nicht.”

Und die Gäste, die zum türkischen Vorbesitzer gegangen sind, kämen ja auch weiter zu ihm:

Vor vier Jahren hat Dirk “Zum Martinseck” übernommen, von einem Türken: “30 Jahre war die Kneipe in türkischer Hand. Die Gäste von damals kommen heute noch.” Morgens kommen Rentner, Urlauber. Ab halb fünf Lkw-Fahrer, Bauarbeiter nach der Schicht. Krach gab’s noch nie: “Meinungsverschiedenheiten ja. Ich lasse jedem seine Meinung. Wenn es extrem wird, wird er rausgeschmissen.”

Das, was Roland K. gemacht hat, finde der Wirt auch “nicht gut”:

Er sagte zu BILD: “Ganz deutlich, ich bin kein Nazi. Ich verabscheue die Tat aufs Schärfste. Er hat einen unschuldigen Menschen fast umgebracht, das kann man nicht gut finden. Das ist das Allerletzte.”

Und “Nazi-Sprüche”? Nee, die hätte er nicht geduldet:

Wenn Roland K. hier war, war er eher ruhig: “Wir haben eigentlich nur über Essen geredet. Er war ja Metzger, hat das gelernt, ich hab auch ‘ne Metzgerlehre gemacht, das war unsere Basis. Roland fiel nie durch Nazi-Sprüche oder sowas auf, das hätte ich nicht geduldet.”

Mit dem Willen zu fünf Minuten Recherche hätten die “Bild”-Leute mal auf die öffentliche Facebook-Seite des Wirtes gucken können. Und dort hätten sie nach etwas scrollen — denn zugegeben: die Posts liegen schon einige Jahre zurück — entdecken können, dass der Wirt “Nazi-Sprüche” selbst verbreitet hat. Etwa diesen hier von der Neonazi-Partei NPD:

Screenshot eines Posts des Wirts - Jeder Mensch hat das Recht, seine Kultur und seine Identität zu verteidigen. Auch Deutsche!

Er macht auch ganz gern mal Stimmung gegen “die Fremden”:

Screenshot eines Posts des Wirts - Mama ich habe Hunger - Ich weiß mein Schatz, aber erst kommen die Fremden dran. - Wieso Mama? - Weil man uns beide sonst als Nazis bezeichnen würde.

Reichsbürgerhaft sei “für die BRD kein Platz mehr”:

Screenshot eines Posts des Wirts - Es gibt nur ein Deutschland - und da ist für die BRD kein Platz mehr

Zudem würden “immer mehr Ausländer hier angesiedelt”:

Screenshot eines Posts des Wirts - 300.000 Deutsche ohne Wohnung, darunter 30.000 Kinder! Doch die völlig verblödeten Gutmenschen in Deutschland stehen auf der Straße, in der U-Bahn, im Supermarkt und brüllen den letzten Rest ihres Verstandes heraus, dass immer mehr Ausländer hier angesiedelt werden sollen

Außerdem: “DEUTSCH SEIN IST KEIN VERBRECHEN!”:

Screenshot eines Posts des Wirts - 300.000 Deutsche ohne Wohnung, darunter 30.000 Kinder! Doch die völlig verblödeten Gutmenschen in Deutschland stehen auf der Straße, in der U-Bahn, im Supermarkt und brüllen den letzten Rest ihres Verstandes heraus, dass immer mehr Ausländer hier angesiedelt werden sollen

Und Angela Merkel und Joachim Gauck könnte man auch mal ganz gut aus dem Flugzeug “hinunterwefen”, dann “freut sich ganz Deutschland”:

Screenshot eines Posts des Wirts - Angela Merkel und Joachim Gauck fliegen über Deutschland. Sagt Gauck: Angela, wenn ich jetzt einen Fünfhunderter hinunterwerfe, freut sich ein Deutscher. Antwortet Merkel: Wenn aber ich zehn Hunderter hinunterwerfe, freuen sich zehn Deutsche! Plötzlich murmelt der Pilot: Wenn ich euch beide hinunterwerfe, freut sich ganz Deutschland

Natürlich können Menschen ihre Ansichten nach Jahren geändert haben (sollte das so sein, könnten sie allerdings auch alte NPD-Reichsbürger-die-Fremden-kriegen-alles-und-wir-nix-Posts von ihrer Facebook-Seite löschen). Es wäre jedenfalls etwas gewesen, mit dem die “Bild”-Reporter den Wirt hätten konfrontieren können, anstatt ihn unwidersprochen von seiner angeblichen Multikulti-Kneipe erzählen zu lassen. Hätte man mal vorher recherchiert.

Basisdemokratie als Volksmusik, Wahlforscher, Selbstbespieglung

1. #12062020olympia: Die Klimabewegung hat ein Abgrenzungsproblem
(vice.com, Thembi Wolf)
Der umtriebige Geschäftsführer der Firma Einhorn und Initiator des Olympiastadion-Events #12062020olympia hat sich im Gespräch mit Tilo Jung merkwürdig bis ungeschickt zu der Frage geäußert, ob bei dem Event auch Nazis willkommen seien. Anlass für Thembi Wolf, etwas anzusprechen, was sie für ein Problem neuer sozialer Bewegungen hält: die Konsenssucht. “Soziale Bewegungen sind Volksmusik geworden. Alle können sich unterhaken, alle können den Text mitsingen. Ein bisschen Liebe, ein bisschen Frieden. Wer könnte darüber uneinig sein? (…) Mehr Basisdemokratie — klingt gut! Aber ist es vielleicht eher das Setting für einen dystopischen Netflix-Thriller, wenn ein Unternehmen ein Stadion mietet, um darin Petitionen abstimmen zu lassen?”

2. Wen frag ich denn heute?
(katapult-magazin.de, Lukas Brenner)
Medien veröffentlichen gerne und regelmäßig politische Umfragen beziehungsweise Umfrageergebnisse wie die zur bekannten “Sonntagsfrage”. Entsprechend viele “Umfrageinstitute” tummeln sich auf dem Markt: Forsa, Allensbach, Forschungsgruppe Wahlen, Infratest dimap, Infas, Insa, Kantar Emnid, GMS, GESIS, YouGov, Civey … Lukas Brenner hat sich die Methoden der Demoskopen angeschaut. Sein Urteil: “Einige Institute verwenden umstrittene Methoden und sind politisch nicht neutral.”

3. Ist der Ruf erst ruiniert, der Intendant den Halt verliert
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
“DWDL”-Chefredakteur Thomas Lückerath kommentiert das Vorgehen des WDR-Intendanten Tom Buhrow in der Causa “Umweltsau”: “Ausgerechnet in Hochzeiten von Fake News und Stimmungsmache darf ein Journalist und ehemaliger Nachrichtensprecher nicht zulassen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk zum Spielball von Stimmungsmache wird, die langsam aber stetig die Koordination des Erlaubten verschieben will. Satire, ob bissig oder banal, ob mal treffsicher oder weniger gelungen, bleibt Satire. Es beschämt mich allein schon, diese Zeilen schreiben zu müssen. Ohne hyperventilierende Medien und Buhrows Entschuldigung wäre es der Sturm im Wasserglas geblieben.”

4. Eine 18-Jährige beschwört auf Tiktok die Eskalation zwischen USA und Iran zum «Dritten Weltkrieg» herauf – und erreicht damit ein Millionen-Publikum
(nzz.ch, Gabriela Dettwiler & Reto Stauffacher)
Die 18-jährige Schülerin Laura Sophie aus München hat auf Tiktok mehr als 2,2 Millionen Followerinnen und Follower, die sie mit Tanzvideos und kleinen Schulgeschichten versorgt. Am Wochenende veröffentlichte sie ein (nicht mehr öffentlich einsehbares) Erklärvideo, warum es möglicherweise zu einem Dritten Weltkrieg kommen könnte. Die “NZZ” kritisiert: “Es ist fragwürdig, wenn junge Erwachsene wie Laura Sophie unwidersprochen Halbwahrheiten an Millionen von Menschen verbreiten können. Sie scheinen sich nicht bewusst zu sein, dass sie mit ihren Videos mehr Menschen erreichen als viele Tageszeitungen und bei ihren Followern eine Kompetenzfunktion besitzen. Dass ihre «Kriegserklärung» ohne Einordnung auf Plattformen wie Tiktok oder Twitter zirkuliert, ist gefährlich.”

5. “Dieser Bericht ist unanständig”
(deutschlandfunkkultur.de, Martin Böttcher, Audio: 6:52 Minuten)
Vergangenes Jahr sorgte der Film “Leaving Neverland” und die darin enthaltenen Kindesmissbrauchsvorwürfe gegenüber Michael Jackson für einiges Aufsehen. Nun hat der TV-Sender Sat.1 eine Doku gesendet, die anscheinend eine Art Gegenposition beziehen und den Musiker entlasten soll. Filmkritiker Wolfgang M. Schmitt hat sich den 110-Minuten-Beitrag (inklusive Werbeunterbrechungen) angeschaut. Der Film komme wie ein überlanger Bericht aus einem typischen Boulevard-Magazin daher, sei einseitig und ziehe falsche Schlüsse.

6. Alles neu denken – der Prozess hinter dem Relaunch des digitalen SPIEGEL
(medium.com/@devspiegel)
Lust auf eine Überdosis Marketing-Bla-Bla? Dann gönnt Euch diesen Artikel der “Spiegel”-Leute zur neu überarbeiteten Website — ein Mix aus BWL-Gelaber, inhaltsleeren Worthülsen und peinlichem Selbstlob. Es entsteht der fatale Eindruck, dass es nicht von Belang ist, ob hier mit Schrauben oder Journalismus gehandelt wird. Aber vielleicht war es ja auch nur ein emotionaler Ausrutscher im narzisstischem Liebesrausch der Selbstbespieglung.

Olaf Scholz und die Pressefreiheit, Holocaust auf TikTok, Corona-Netz

1. Olaf Scholz und die Pressefreiheit
(berliner-zeitung.de, Kai-Hinrich Renner)
Das “Financial Times”-Duo Stefania Palma und Dan McCrum hat zu einem Zeitpunkt über Unregelmäßigkeiten beim Finanzdienstleister Wirecard berichtet, als Politik und Wirtschaftsprüfer noch Loblieder auf das vermeintliche Vorzeige-Unternehmen gesungen haben. Anstatt sich für die journalistische Aufklärungsarbeit der beiden zu bedanken, erstattete die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) Strafanzeige gegen sie. Und obwohl Wirecards Luftschlösser mittlerweile eingestürzt und fast zwei Milliarden Euro Bilanzsumme auf wundersame Weise verschwunden sind, ermittelt die Staatsanwaltschaft anscheinend weiter gegen Palma und McCrum. Kai-Hinrich Renner hat dazu beim Bundesfinanzministerium nachgefragt – erfolglos. Sein Fazit: “Eigentlich kann das Rumgeeiere von Scholz und seinem Ministerium der SPD nicht gefallen. Wenn bezweifelt werden müsste, dass ihr Kanzlerkandidat ohne wenn und aber zur Pressefreiheit steht, wäre das für die Partei fatal.”

2. Alles automatisch: über die Tücken eines Journalismus ohne Menschen
(medienwoche.ch, Adrian Lobe)
Die Website msn.com von Microsoft ist eine der meistbesuchten Nachrichtenseiten der Welt. Dort, wo früher Menschen über die Nachrichtenauswahl entschieden haben, tun dies heute Algorithmen: MSN habe unlängst seine Redaktion entlassen und lasse das Newsportal automatisch bespielen. Die Folge könnte eine Prioritätenverschiebung bei der Auswahl der Themen sein, wie Adrian Lobe erläutert: “Wenn es wirklich ein Strukturmerkmal algorithmischer Auswahl ist, eher weiche Themen zu selektieren, könnte es für Medienunternehmen grössere Anreize geben, solche Inhalte zu produzieren, um eine entsprechende Reichweite zu erzielen. Die Algorithmisierung der Nachrichtendistribution könnte also langfristig auch zu einer Boulevardisierung führen.”

3. Im Netz der Corona-Gegner
(correctiv.org, Till Eckert & Matthias Bau & Alice Echtermann)
Das Recherche-Team von “Correctiv” hat sich im Lager der Corona-Maßnahmen-Gegner umgesehen und ist dort auf “ein bundesweites Netzwerk von Wissenschaftlern, Meinungsmachern und Anwälten” gestoßen. Der Verbund wirke inzwischen auch direkt auf die Politik ein. “Correctiv” stellt die wichtigsten Köpfe der Bewegung vor und zeigt, mit welchen Mitteln man dort arbeitet, um den Kampf gegen das Coronavirus zu torpedieren.

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4. Medienhaus Bauer geht an Lensing Media
(verdi.de, Holger Pauler)
Das Medienhaus Bauer (nicht zu verwechseln mit dem Bauer-Verlag in Hamburg – um den geht es im nächsten Link) wechselt aller Voraussicht nach den Eigentümer. Das Dortmunder Medienunternehmen Lensing Media übernehme damit, die Zustimmung der Kartellbehörde vorausgesetzt, sechs Tageszeitungen und 180 Beschäftigte. Was der Besitzerwechsel für die Angestellten konkret bedeutet, sei noch ungewiss. Die Redaktionen sollen fast vollständig übernommen werden, bei den Beschäftigten aus der Verwaltung sei dies jedoch noch unklar.

5. Bauer-Verlag hat in der NS-Zeit von Zwangsarbeitern profitiert
(meedia.de)
In der neuen Hamburg-Ausgabe der “Zeit” soll eine Recherche Klarheit über die Vergangenheit des Bauer-Verlags während des Nationalsozialismus bringen, so eine “Zeit”-Vorabmeldung. In der Bauer-Zentrale sollen während der NS-Zeit mehrere hundert italienische Zwangsarbeiter interniert gewesen sein. Über das dunkle Kapitel der Verlagsgeschichte hatten Anfang des Jahres bereits “Spiegel” (nur mit Abo lesbar) und “Zapp” berichtet.

6. Yad Vashem kritisiert Darstellungen von Holocaust-Opfern auf TikTok
(spiegel.de)
Dass gut gemeint nicht automatisch gut gemacht ist, beweist derzeit die angebliche Holocaust-Challenge auf TikTok. Vornehmlich Jugendliche mimen dort Holocaust-Überlebende. Um Aufmerksamkeit für das Leid von Millionen getöteter Juden und Jüdinnen zu erzeugen oder um vornehmlich Aufmerksamkeit für sich selbst zu schaffen – das ist nicht immer klar. Klar ist hingegen die Reaktion der Gedenkstätte Yad Vashem, die darin eine Trivialisierung des Holocaust sieht.

Aufsteigergeschichten, Emoji-Sprache der Rechten, Suche nach Rechnung

1. “Medien lieben Aufsteigergeschichten”
(taz.de, Timo Stukenberg)
Klassismus bezeichnet laut Wikipedia “Vorurteile oder Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft oder der sozialen Position und richtet sich überwiegend gegen Angehörige einer ‘niedrigeren’ sozialen Klasse”. Die Autorin Brigitte Theißl beschäftigt sich in ihrem Buch unter anderem mit klassistischen Narrativen in den Medien: “Medien lieben Aufsteigergeschichten, also die klassischen Hollywoodgeschichten. Diese Geschichten handeln von individuellen Anstrengungen und Erfolgen, aber es werden selten Geschichten erzählt über die Hürden und warum man es nicht oder trotzdem geschafft hat. Klassismus ist eine strukturelle Diskriminierungsform, die ganz individuelle Auswirkungen hat, auf Lebenserwartung, Bildungsabschlüsse oder Gesundheit.” Im “taz”-Interview geht es unter anderem darum, wie eine diskriminierungsfreie und respektvolle Berichterstattung aussehen könnte.

2. Welche Emojis sind bei Nazis, Rechtsradikalen, Rassist*innen beliebt?
(belltower.news, Simone Rafael)
Simone Rafael ist studierte Publizistin und Kunsthistorikerin und hat deshalb vielleicht ein besonderes Auge für die Bildsprache der extremen Rechten. In ihrem Beitrag beschreibt sie, wie Abwertung durch Emojis funktioniert und welche der Piktogramme sich bei Nazis, Rechtsradikalen und Rassisten besonderer Beliebtheit erfreuen.

3. 10 Jahre Atomkatastrophe Fukushima: ARD-Reporter blickt zurück
(br.de, Konstantin König)
Als es vor zehn Jahren zur Atomkatastrophe im japanischen Fukushima kam, war Peter Kujath als ARD-Korrespondent vor Ort. Im BR-Interview erinnert er sich an das Unglück: “Als ARD-Korrespondent war ich für alle Radio-Programme zuständig und es riefen alle Sender an. Ich war nur noch mit Telefongesprächen beschäftigt. Gleichzeitig haben wir überlegt, wie wir – meine Frau, die Mitarbeiterinnen und ich in dem kleinen Studio – mit der Katastrophe umgehen.”

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4. Klimajournalismus neu denken
(deutschlandfunk.de, Mike Herbstreuth & Brigitte Baetz, Audio: 6:52 Minuten)
Zur Klima-Thematik gibt es bereits verschiedene journalistische Angebote (einige davon sind im Artikel verlinkt), ein weiteres stammt von Lorenz Matzat, dem Macher des neuen “Klimajournalismus”-Newsletters. Im Interview mit dem Deutschlandfunk weist Matzat auf die Dringlichkeit der Auseinandersetzung mit dem Klimawandel hin: “Wenn wir wüssten, dass in 20, 30 Jahren regelmäßig ein Schwarm von Meteoriten auf der Erde einschlagen würde, dann wäre wahrscheinlich einiges mehr los in der aktuellen Berichterstattung: Wie gehen wir damit um? Wie bereiten wir uns vor? Und den Eindruck habe ich beim Thema ‘Klimawandel’ nicht wirklich.”

5. Habe ich das Kind mit dir gezeugt?: Fast 80 Journalistinnen beklagen Sexismus und Einschüchterungen bei Tamedia
(kress.de, Marc Bartl)
Bei Tamedia handelt es sich um ein großes Schweizer Medienhaus, das zahlreiche Zeitungen verlegt (unter anderem den “Tages-Anzeiger”) und Druckereien besitzt. In einem Brief an Geschäftsleitung und Chefredaktion beklagen sich 78 Journalistinnen über Einschüchterungen und Sexismus und stellten konkrete Forderungen. Mittlerweile liegt auch ein Solidaritätsschreiben von Männern aus der Tamedia-Redaktion vor.

6. »Wo finde ich denn die Rechnungen?«
(twitter.com, Tim Pritlove)
Nur am Rande ein Medienthema, aber es zeigt exemplarisch, wie ausbaufähig das Verhältnis vieler Medien zu ihren Nutzern und Nutzerinnen ist: Tim Pritlove besitzt ein “Spiegel+”-Premium-Abo und steigert sich auf der Suche nach den Rechnungen in einen unterhaltsamen Rant: “Wenn man Eure Dienste nutzen soll, dann müsst ihr das EINFACH und ATTRAKTIV machen. Aber ich habe einfach keine Lust, für jedes mir rechtlich zustehende Dokument einmal zu Kafka und zurück zu reisen.”

7. Victim Blaming und Julian Reichelt: Vorwürfe gegen Bild-Chef erreichen Politik
(berliner-zeitung.de, Philippe Debionne)
Als siebter und damit zusätzlicher Link, weil unter anderem auch der “6 vor 9”-Kurator im Artikel vorkommt: “Peter Altmaier, CDU-Politiker und Vertrauter von Bundeskanzlerin Angela Merkel, werden Victim Blaming und Sexismus in Zusammenhang mit den Anschuldigungen gegen Reichelt vorgeworfen. Auslöser des Shitstorms ist ein Tweet von Minister Altmaier. In diesem zitiert der Politiker aus der Lore-Ley von Heinrich Heine aus dem Jahre 1824.”

ZDF als Reputations-Waschanlage, Instanzenweg, Gegendarstellung

1. Das ZDF als Reputations-Waschanlage
(uebermedien.de, Christian Schwägerl)
Der Wissenschaftsjournalist Christian Schwägerl hat sich die aktuelle Corona-Doku des ZDF angeschaut (Untertitel: “Fakten mit Hendrik Streeck”). Er kommt zu einem vernichtenden Urteil: “Wenn diese Sendung ein Ziel hatte, dann kann das nicht gewesen sein, das Publikum zu informieren, wie es dem Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks entsprechen würde. Es ging offenbar darum, das Publikum für einen Mann zu gewinnen, über dessen Aussagen sich Spitzenfunktionäre der deutschen Wissenschaft schon seit Längerem mehr als nur ärgern.”

2. “Der Stern hatte mich gestern gebeten …”
(twitter.com, Jörg Kachelmann)
Der Moderator Jörg Kachelmann schreibt, er sei vom “Stern” darum gebeten worden, etwas zu den aktuellen Entwicklungen um Julian Reichelt und “Bild” zu verfassen. Weil die Sammelgeschichte nicht erschienen sei, veröffentliche er seinen Beitrag dazu nun auf Twitter. Wie man es von Kachelmann gewohnt ist, fallen deutliche Worte: “Erst wenn alle den Mut haben, nicht mehr übers Bild-Stöckchen zu springen, den Mut haben, sich nicht mehr nötigen zu lassen und Friede Springer und Mathias Döpfner für ihr bösartig kalkuliertes Geschäft mit der Menschenverachtung gesellschaftlich ausgrenzen, kann Deutschland ein besseres Land werden.”

3. Schönenborn über “Letzte Instanz”: “Kollektiv tiefrote Linien übersehen”
(dwdl.de, Alexander Krei)
WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn hat sich im “Tagespiegel” selbstkritisch zu der verunglückten Rassismus-Ausgabe der Talkshow “Die letzte Instanz” geäußert, dabei aber auch die in seinen Augen schnelle Reaktion des Senders gelobt. Alexander Krei ist anderer Meinung: “Allein, ‘schnell’ ist in diesem Zusammenhang relativ, denn was aus dem Interview im ‘Tagesspiegel’ nicht hervorgeht: Die Entschuldigung des WDR und die genannten Reaktionen erfolgten erst nach der Wiederholung im Januar – und damit zwei Monate nach der Erstausstrahlung, die offensichtlich weitgehend unbemerkt über den Sender ging.”
Weiterer Lesehinweis: Heute soll es im WDR einen Schwerpunkt zum Thema Rassismus geben, zu dem man auch die Comedy-Künstlerin Enissa Amani eingeladen hatte. Amani hatte als Reaktion auf die misslungene WDR-Sendung “Die letzte Instanz” auf eigene Kosten selbst einen Talk auf die Beine gestellt: “Die beste Instanz”. Auf Twitter macht sie ihrem Ärger über die Umstände der Einladung Luft: “Der WDR, hat sich am 20. Februar bei mir gemeldet, PER SMS, (Nummer über einen Comedian rausgefunden, ich war sehr sauer, dass man nicht die Courtesy hat zu mailen bei einer Person der Öffentl.) und wollte mich zum grossen ‘Reinwaschungs-Talk’ einladen. Ich habe abgelehnt.” Im sich daran anschließenden Thread geht es um ihre konkreten Ablehnungsgründe.

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4. Der aktuelle Zustand ist sehr bitter: Warum sich Datenjournalisten über das RKI und die Politik ärgern
(kress.de, Henning Kornfeld)
Die Datenjournalistin Christina Elmer (“Spiegel”) und ihr Kollege Johannes Schmidt-Johannsen (SWR) haben unter dem Dach des Netzwerk Recherche eine Fachgruppe gegründet, die bereits 70 Mitglieder habe. Das Ziel: Auf “eine höhere Verlässlichkeit der Daten zu drängen, zum Beispiel der des Robert Koch-Instituts. Wenn das gelänge, müssten die Kolleg:innen nicht dauernd ihre Skripte umstellen oder Daten händisch einpflegen. Der aktuelle Zustand ist sehr bitter, weil der Datenjournalismus viel mehr leisten könnte, wenn die Daten und Zugänge besser wären. Wir wollen als Fachgruppe darauf aufmerksam machen, dass es da einen großen Nachholbedarf gibt.”

5. Der Cancel-Culture-Strohmann
(taz.de, Malte Göbel)
Das Landgericht München hat die “Süddeutsche Zeitung” dazu verpflichtet, eine Gegendarstellung des Berliner Publizisten und Bloggers Johannes Kram (“Nollendorfblog”, einst auch als BILDblog-Kolumnist tätig) abzudrucken. Das Gericht urteilte, die “Süddeutsche”, konkret der “SZ”-Autor Andrian Kreye, habe Kram falsch wiedergegeben. Malte Göbel dröselt auf, worum es bei dem Konflikt geht, und erklärt, warum die Schlussfolgerung des, seiner Ansicht nach, ansonsten um Ausgewogenheit bemühten “SZ”-Textes falsch sei: “Johannes Kram hat das nie so gesagt oder geschrieben. Er taugt nicht als Hetzer. Kreye hat einen Cancel-Culture-Strohmann aufgebaut und niedergestreckt.”
Weiterer Lesehinweis: Johannes Kram erwirkt einstweilige Verfügung gegen die “SZ” (queer.de, Micha Schulze).

6. Beschwerdestelle verzeichnet Rekord bei gemeldeten Rechtsverstößen
(spiegel.de)
Die Zahl der berechtigten Beschwerden über kriminelle Inhalte im Internet in Deutschland sei weiter angestiegen, so der Internetverband eco in seinem Jahresbericht (PDF). Es habe knapp 19 Prozent mehr Fälle als im Vorjahr gegeben. Wer der eco Beschwerdestelle etwas melden will, kann dies unter beschwerdestelle.eco.de oder internet-beschwerdestelle.de tun.

Lisa-Maria Kellermayr, Klima-Quiz, BBC-Meteorologen im Hass-Sturm

1. Dr. Lisa-Maria Kellermayr: Eine Würdigung
(puls24.at, Corinna Milborn & Magdalena Punz)
Die Redaktion des österreichischen Fernsehsenders Puls 24 ist erschüttert vom Tod der Ärztin Lisa-Maria Kellermayr: “Es steht uns nicht zu, über die Umstände ihres Todes zu spekulieren, aber wir dürfen uns davon nicht abhalten lassen, über ihr Leben zu sprechen: wie viel sie im Kampf gegen Covid leistete, wie sie zum Ziel rechtsextremen Terrors wurde – und wie Behörden und Politik sie in einem beispiellosen Versagen alleine ließen.”
Weitere Lesehinweise: Beim “Standard” ist einem lesenswerten Nachruf eine Chronologie der Ereignisse angehängt, und im “Falter” konnte man bereits Anfang Juli über die verfahrene Situation lesen.
(Solltest Du Suizid-Gedanken haben, dann gibt es Menschen, die Dir helfen können, aus dieser Krise herauszufinden. Eine erste schnelle und unkomplizierte Hilfe bekommst Du etwa bei der “TelefonSeelsorge”, die Du kostenlos per Mail, Chat oder Telefon (0800 – 111 0 111 und 0800 – 111 0 222) erreichen kannst.)

2. BBC-Meteorologen wurden während Hitzewelle für Berichterstattung beschimpft
(derstandard.de)
Als die BBC-Meteorologen über die jüngste Hitzewelle in Großbritannien berichteten, seien sie in noch nie dagewesenem Ausmaß mit Hass und Hetze konfrontiert gewesen. Das Team habe Hunderte von beleidigenden Tweets beziehungsweise E-Mails erhalten, in denen sie beschimpft und ihre Berichte infrage gestellt wurden. Das vermeintliche Vergehen der Wetter-Experten: Sie hatten bei der Präsentation der Rekordtemperaturen auf das Thema Klimawandel hingewiesen.

3. Angriffe aufs System
(tagesspiegel.de, Matthias Meisner)
Die Medienlandschaft ist im Wandel. Mit erheblichem Einsatz versuchen immer mehr verschwörungsideologische Portale, ihre Ansichten unter die Leute zu bringen. Matthias Meisner fasst die jüngsten Entwicklungen zusammen und erklärt, was an den sogenannten Parallelmedien so gefährlich ist.

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4. “Gut wird es erst, wenn wir die Veränderungen annehmen”
(journalist.de, Joachim Braun)
Der freie Journalist Sebastian Dalkowski kritisierte im April dieses Jahres in einem persönlichen Beitrag die Arbeitsbedingungen im Lokaljournalismus und erklärte, warum er gerade zum ersten Mal ans Aufhören denke. Nun greift Joachim Braun, Chefredakteur der “Ostfriesen-Zeitung”, Dalkowskis Beitrag auf: Ist wirklich alles so schlimm?

5. Die “FAZ” war 2021 so profitabel wie seit den 90ern nicht
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Trotz rückläufiger Werbeeinnahmen habe die “FAZ” im vergangenen Jahr ihren Gewinn erheblich steigern können. Sie sei nach eigenen Angaben so profitabel wie seit den 90er-Jahren nicht mehr. Uwe Mantel hat die kompletten Zahlen.

6. Ist TikTok oder Facebook schlechter für das Klima?
(spiegel.de, Max Hoppenstedt)
“Das Netz braucht ungefähr so viel Strom wie ganz Indien. Aber was ist problematischer: Downloaden oder Streamen, Scrollen oder Posten? Und wie viel sparen Sie mit abgeschalteter Kamera im Videoanruf?” Max Hoppenstedt hat ein Quiz mit einigen Schätzfragen zusammengestellt. Die korrekten Antworten sind im einen oder anderen Fall durchaus überraschend.

“Bild” hält “Gaskammer” für Gaskammer

Morgen abend um 18 Uhr wird in der Berliner Axel-Springer-Passage die Ausstellung “Pläne von Auschwitz – Dokumente des systematisch organisierten Völkermordes” eröffnet. Die Ausstellung wird u.a. präsentiert von der “Bild”-Zeitung.

Denn gezeigt werden in der Ausstellung vor allem einige Ende 2008 in Berlin entdeckte Baupläne, die bereits am 8. November erstmals (und zunächst exklusiv) in “Bild” zu sehen waren.

Der Fund ist offenbar für die Fachwelt nicht uninteressant. Der Kulturhistoriker und Auschwitz-Forscher Robert Jan van Pelt beispielsweise ist am Wochenende aus Kanada, wo er als Professor an der Universität Waterloo lehrt, eingeflogen, um sich die Pläne in Berlin genauer anzuschauen, über die “Bild” im November behauptete:

Es sind Pläne des nationalsozialistischen Vernichtungslagers Auschwitz. (…)

Die Dokumente enthüllen aber auch: Jeder, der mit Planung und Bau des Konzentrationslagers im Entferntesten befasst war, wusste, dass hier Menschen fabrikmäßig vergast werden sollten. Die Unterlagen widerlegen darüber hinaus auch die allerletzten Holocaust-Leugner.

Und “Bild” gibt sich sehr sicher, zu wissen, was die Plänen zeigen:

Das erschütterndste Dokument des Grauens: der Plan einer “Entlausungsanlage”. Von einem “Auskleideraum” führen Türen in einen “Wasch- und Brauseraum” und von dort in einen “Ankleideraum”. Vom Ankleideraum gehen aber auch Türen in zwei “Vorräume” und von dort durch “Schleusen” in eine “Gaskammer”. Schwarz auf weiß steht es auf dem Plan: “GASKAMMER”.

Dass in der 11,66 mal 11,20 Meter großen “Gaskammer” nicht Kleidungsstücke mit dem bei der SS üblichen Blausäure-Mittel entlaust, sondern Menschen vergast werden sollten, muss als sehr wahrscheinlich angenommen werden. Denn der Plan, der von einem “Häftling Nr. 127” in Auschwitz gezeichnet wurde, stammt vom 8. November 1941. Zu diesem Zeitpunkt experimentierte Lagerkommandant Rudolf Höß bereits mit dem Blausäuremittel “Zyklon B”, mit dem er im Stammlager Auschwitz kranke Häftlinge und russische Kriegsgefangene ermorden ließ.

Damals jedoch berichtete sogar die “Bild”-Schwesterzeitung “Die Welt” andertags weitaus zurückhaltender:

(…) Es ist gut vorstellbar, dass der Plan mit dem Eintrag “Gaskammer” die zeitweise Planung einer Mordfabrik in Auschwitz-Birkenau darstellt. Sie wurde jedoch in dieser Form nicht realisiert (…).
(Hervorhebung von uns.)

Und Auschwitz-Forscher van Pelt, der als einer der führenden Auschwitz-Experten gilt, zeigt sich mit der “Bild”-Veröffentlichung wenig einverstanden. So finden sich offenbar identische Baupläne, wie die, die “Bild” zeigte und jetzt ausstellt, u.a. in seinem bereits 1996 erschienenen Standardwerk “Auschwitz: Von 1270 bis heute”. Und van Pelt selbst findet für das, was “Bild” im November behauptet hatte, auf Anfrage von uns deutliche Worte:

Tatsächlich ist es der Plan – gezeichnet von Häftling 127 am 8. November 1941 – einer ECHTEN Entlausungsanlage, die für diesen Zweck gebaut und niemals für einen anderen Zweck als zur Entlausung oder Desinfektion vorgesehen war oder genutzt wurde. Die Gaskammer, die der Plan zeigt, ist eine Entlausungs-Gaskammer. Ausgestaltung und Aufbau des Gebäudes sind eine vereinfachte Version der üblichen Bauweise von Entlausungsgebäuden (…) und gleicht in keiner Weise dem Aufbau der Tötungseinrichtungen, die später in Auschwitz-Birkenau oder andernorts erstellt wurden.

Wie übrigens das Schweizer Populärwissenschaftsmagazin “Mysteries” in seiner aktuellen Ausgabe berichtet [pdf], hat Robert Jan van Pelt nach der November-Veröffentlichung “mit der ‘Bild’-Redaktion Kontakt aufgenommen und ihr vorgeschlagen, die Auschwitz-Pläne unbedingt von wissenschaftlichen Experten begutachten zu lassen – etwas, das eigentlich bereits vor der Veröffentlichung durch die Zeitung hätte geschehen müssen”.

Zurückrudern:

“Bei den Bauplänen handelt es sich um die einzigen Originale dieser Art, die in Deutschland bislang gefunden wurden, teilten die Chefredakteure der Zeitungen ‘Bild’ und ‘Welt’ mit (…). ‘Für die Fachwissenschaftler bringen diese Dokumente die eine oder andere Ergänzung; dem Laien verdeutlichen sie, wie systematisch die nationalsozialistischen Täter bei der Ermordung der europäischen Juden vorgingen’, heißt es in einem Begleittext zu der Ausstellung. (Quelle: dpa)

In einer dpa-Ankündigung der morgigen Ausstellungseröffnung (bei der wohl auch van Pelt anwesend sein wird) lässt sich indes bereits erahnen, dass “Bild” inzwischen, ähm, selbst nicht mehr so sicher ist, ob die gefundenen Baupläne wirklich so sensationell sind, wie damals behauptet (siehe Kasten, siehe auch “Welt am Sonntag”).

Nachtrag, 20.39 Uhr: Auf Welt.de heißt es übrigens über die Baupläne: “[D]ie ‘Bild’-Zeitung erwarb diese Originale, um sie der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen und Missbrauch beispielsweise durch Neonazis zu verhindern.” Davon, dass in der eingezeichneten “Gaskammer” Menschen vergast werden sollten, wie “Bild” behauptete, steht bei Welt.de kein Wort (siehe auch “Auschwitz expert: Blueprints found in Berlin not of death camp” in “Haaretz” vom 10.11.2008).

Mit Dank an “Mysteries”-Chef Luc B. für den Hinweis!

Gerichtsstand, Schwarm-Extremisten, Schwatzgelb

1. Trotz ihrer Kritik an “Bild”: Gisela Friedrichsen wechselt zu Axel Springer
(kress.de, Jochen Zenthöfer)
Vor kurzem berichtete der “Spiegel” in einer Meldung in eigener Sache vom Abschied von Gerichtsreporterlegende Gisela Friedrichsen. Nun stellt sich überraschend raus, dass die 72-jährige Friedrichsen zu Axel Springers “Welt”-Gruppe wechselt. Was etwas pikant ist: Im Zuge des Kachelmann-Prozesses hatte Springers “Bild” sie wegen ihrer Berichterstattung im “Spiegel” noch als “Lügenpresse” tituliert.

2. Fußball-Berichterstattung: “Nennen wir das bitte nicht Journalismus”
(kress.de, Frank Hauke-Steller)
Der freie Journalist Ronny Blaschke hat ein Buch geschrieben, in dem er die öffentlich-rechtlichen Sender wegen ihrer Fußballberichterstattung kritisiert. Viele soziale Projekte der Vereine seien nicht ehrlich gemeint, Sportjournalisten seien oft mehr Fans denn objektive Begleiter. “kress.de” hat mit dem Autor gesprochen und unter anderem gefragt, ob die Milliarden, die die Sender für die Übertragungsrechte ausgeben, einen Maulkorb für Reporter bedeuten würden.

3. «Extremisten benehmen sich wie ein Schwarm»
(tagesanzeiger.ch, Jonathon Morgan)
Der US-Amerikaner Jonathon Morgan ist Datenwissenschaftler und untersucht, wie IS-Terroristen oder Rechtsextreme im Netz kommunizieren. Morgan über seine Analysetechnik: “Es ist wie im richtigen Leben. Menschen, die Schaden anrichten, haben bestimmte Verhaltensweisen – online und in der realen Welt. Wir nutzen Algorithmen und Datenanalyse, um diese Muster zu finden. So identifizieren wir Gruppen, die radikale Ideologien annehmen, anhand ihrer Sprache. Extremisten vertreten per Definition extreme Ansichten, sprechen eine extreme Sprache. Das können wir messen.”

4. Koran und Analsex
(taz.de, Natalie Mayroth)
Das Online-Magazin „renk“ soll Klischees über Deutschtürken widerlegen. Dank Crowdfunding erscheint nun auch eine Printausgabe. Natalie Mayroth ist durchaus angetan von dem Projekt: “Designs und Fotografierichtungen werden gemixt, Plätze getauscht: Sie langt ihm an den Po, nicht er; das Inhaltsverzeichnis ist hinten, nicht vorne, und die Schrift wechselt mit jedem Artikel – dennoch hält renk seinen Namen: Es ist sogar rengarenk – kunterbunt. Mit dieser Mischung halten sie ihr buntes Versprechen und stellen sich als Gesellschaftsmagazin auf.”

5. Redaktionsnetzwerk Rumpelding
(bilanz.de, Bernd Ziesemer)
Bernd Ziesemer äußert sich kritisch über Zusammenlegungen von Zeitungen, Redaktionsnetzwerke und Mediengruppen: “Wenn Verlage sich statt ihrer Marken in den Mittelpunkt stellen, geht es mit beiden bergab. Sie werden austauschbar wie die Texte der Gemeinschaftsredaktionen.” Unter den Printmedien würden sich immer noch diejenigen Zeitungen und Zeitschriften am besten schlagen, die ihre Marken weiter in den Vordergrund rücken: Das “Handelsblatt” etwa oder die “Zeit”, der “Spiegel” oder die “Frankfurter Allgemeine”.

6. Kampf gegen Rechts: Die “BVB Freunde Deutschland” im Porzellanladen
(schwatzgelb.de, Malte S.)
Als die “BVB Freunde Deutschland” bekanntgeben, sich aus dem aktiven Kampf gegen Rechtsextremismus zurückzuziehen, gibt es ein großes mediales Echo. Das Fanzine “Schwatzgelb.de” bezweifelt die Aussagekraft der Meldung: Der nach eigenen Angaben rund 1.400 Mitglieder große Fanclub sei weitgehend unbekannt und im Stadion nicht präsent. Belege für ein antirassistisches Engagement gebe es auch nicht: “Dass die BVB Freunde Deutschland also – um es mal vorsichtig auszudrücken – nicht die Speerspitze des antirassistischen Engagements bei Borussia Dortmund bilden, hätte man mit weniger als einer Stunde Recherchearbeit herausfinden können. Dass neben dem eingangs erwähnten sport.de auch Focus Online journalistische Arbeit gegen ein paar sichere Klicks tauscht, überrascht nicht wirklich. Schließlich sind beide Seiten nicht dafür bekannt, fanpolitische Themen differenziert beziehungsweise mit entsprechendem Aufwand aufzubereiten.”

Todes-LKW, Eskalation, Pressereise

1. Ein Todes-LKW im Museum: Wie die DPA sich eine Nachricht strickt
(salonkolumnisten.com, Martin Niewendick)
Die Nachricht, der Lastwagen, mit dem Anis Amri den Anschlag in Berlin ausgeführt hat, könne womöglich einen Platz im Haus der Geschichte bekommen, sorgte für einigen Wirbel und wurde in den Medien oft aufgegriffen und kontrovers diskutiert. Der Schönheitsfehler: Man diskutierte über eine Forderung, die niemand gestellt hat, so Martin Niewendick. Die Nachrichtenagentur “dpa” hätte die Sache trickreich ins Rollen gebracht: “Es ist ein journalistischer Taschenspieler-Trick, einem Interviewpartner etwas in den Mund zu legen, um daraus eine Meldung zu stricken. Der Klassiker geht etwa so: „Herr Politiker, finden Sie die Äußerungen der Opposition unverschämt?“ „Ja.“ Und schon hat man die Meldung: „Politiker findet Äußerungen der Opposition unverschämt.“ Self-Made-Journalismus at its best.”

2. Wenn Facebook in Sekunden eskaliert
(rp-online.de, Sebastian Dalkowski)
“RP Online”-Redakteur Sebastian Dalkowski hat für ein Interview bei Facebook nach Nordafrikanern gesucht, die Silvester in Köln waren. Dazu hat er eine Anfrage im “Nett-Werk Köln” platziert, einer Facebook-Gruppe mit fast 170.000 Mitgliedern, eine Art schwarzes Brett für alle Themen, die mit Köln zu tun haben. Innerhalb von Minuten führte die Anfrage zur Eskalation. Sein Posting wurde von den genervten Administratoren schließlich gelöscht. Im Video erzählt er vom Ablauf des Geschehens und liest aus den Hasskommentaren.

3. Mein erstes Mal
(freitag.de, Bartholomäus von Laffert)
Bartholomäus von Laffert ist freier Journalist und hat das mühselige und spartanische Reporterleben kurzfristig gegen eine von der türkischen Regierung bezahlte Pressereise inklusive Luxushotel eingetauscht. In seinem Artikel berichtet er, wie es dazu kam, wie eine derartige Pressereise abläuft und was das mit ihm und den anderen Pressevertretern gemacht hat. Und er erinnert die Kollegen an den Pressekodex: “Wenn Journalisten über Pressereisen berichten, zu denen sie eingeladen wurden, machen sie diese Finanzierung kenntlich.” Wer dies nicht tue, und die Kollegen von “FAZ”, “Tagesspiegel” und “Süddeutsche” hätten es nicht getan, laufe Gefahr, seine Integrität zu verspielen und den „Lügenpresse“-Schreiern gefällig zu sein.

4. “Wir müssen furchtbare Dinge aushalten”
(zeit.de, Bastian Brauns)
Dominik Höch ist Fachanwalt für Medien- und Persönlichkeitsrecht und beschäftigt sich speziell mit der Haftung für Äußerungen im Internet. “Zeit Online” hat mit ihm über Fake-News, Hetze im Netz, Facebook und Löschfristen gesprochen, innerhalb derer eine falsche Nachricht gelöscht werden müsse. Höch findet pauschale und starre Fristen schwierig: “Zu ergründen, was wahr und was falsch ist, ist Teil des gesellschaftlichen Diskurses. Es braucht ja nur eine vermeintlich falsche und deshalb gelöschte Nachricht, die im Nachhinein doch stimmt. Das würden AfD und zweifelhafte Medien wie Russia Today genüsslich ausweiden. Das kann es nicht sein.”

5. Der Hochglanz-Verleger von Kilchberg
(tagesanzeiger.ch, Stefania Telesca & Thomas Knellwolf)
Der Schweizer “Tagesanzeiger” berichtet über einen kuriosen Fall: Ausgerechnet ein Herausgeber von Luxusmagazinen soll seit Jahren Journalisten, Druckereien, Fotografen und andere Dienstleister um ihre Bezahlung geprellt haben.

6. Here’s 520 Hours of Trump Interviews So You Can Fact-Check the President
(motherboard.vice.com, Jordan Pearson)
Donald Trump hat sich in den letzten Jahrzehnten auf die vielfältigsten Weisen geäußert. Wer sich dafür interessiert, was der Mann so alles von sich gegeben hat: Das “Internet Archive” präsentiert ein noch wachsendes Archiv mit seinen Fernsehinterviews und TV-Auftritten der letzten acht Jahre. Doch Achtung: Wer sich alles anschauen will, sollte jedoch genügend Zeit (um exakt zu sein: 520 Stunden) mitbringen.

“Bild” schickt Konrad Adenauer in den Puff

Eine Warnung vorweg: Wer sich ab heute bei “Sky” oder im kommenden Jahr im “Ersten” vollkommen unbefleckt die Serie “Babylon Berlin” angucken möchte, sollte besser nicht weiterlesen. Hier könnte stark gespoilert werden. Nur so viel: “Bild” hat mal wieder ziemlichen Unsinn verbreitet.

Für alle anderen: “Bild” hat mal wieder ziemlichen Unsinn verbreitet.

Da haben sich die Redakteurinnen und Redakteure des Boulevardblatts gerade erst vom Schock des vergangenen “Tatort” erholt, in dem das Münchner Team in der Pornoszene ermittelte (“So hat die ARD uns den ‘Tatort’ versaut”, “Verstört brutaler TV-Sex mein Kind?”) — und dann das:

Ausriss Bild-Zeitung - ARD macht Adenauer zum Sadomaso-Freier!

… schreibt “Bild” heute auf der Titelseite. Und auf Seite 2:

Ausriss Bild-Zeitung - ARD-Serie macht Polit-Legende zu Puff-Gänger - Das hat Adenauer nicht verdient!

Doch die ARD macht Konrad Adenauer gar nicht “zum Sadomaso-Freier” oder zum “Puff-Gänger”. “Babylon Berlin” macht Konrad Adenauer nicht “zum Sadomaso-Freier” oder zum “Puff-Gänger”. Das macht allein “Bild”.

Im Blatt und beim Onlineableger Bild.de steht, die Zuschauer würden Zeuge …

wie aus Konrad Adenauer, dem Vater der Bundesrepublik, ein Puffgänger gemacht wird, der u. a. auf flotte Dreier und Peitschen-Sex steht.

Die Handlung: Ein Kölner Kommissar wird 1929 nach Berlin geschickt, soll einen heimlich gedrehten Sex-Film mit Adenauer und zwei Prostituierten beschaffen. Am Ende der ersten Folge weiht Kommissar Rath seine Berliner Kollegen ein: “Der Oberbürgermeister von Köln wird erpresst — Herr Dr. Adenauer.” Dazu wird ein Negativ aus dem Sex-Film gezeigt, das einen Mann mit runtergelassenen Hosen und zwei Frauen zeigt, von denen eine eine Peitsche hält.

Was die vier (!) für diesen Text verantwortlichen “Bild”-Mitarbeiter nicht schreiben: Am Ende stellt sich raus, dass es gar nicht Adenauer ist, der in dem Sex-Film zu sehen ist. Der damalige Oberbürgermeister von Köln und spätere Bundeskanzler ist in der Serie also ausdrücklich kein Flotter-Dreier- und Peitschen-Sex-Fan. Das erfahren “Bild”- und Bild.de-Leser nirgendwo. Für sie steht fälschlicherweise nur fest: Es gibt in der Serie einen fiktiven “heimlich gedrehten Sex-Film mit Adenauer und zwei Prostituierten”, und die ARD ist schuld.

Dabei hätten die “Bild”-Mitarbeiter wohl wissen können, dass Adenauer in “Babylon Berlin” nicht zum “Puff-Gänger” gemacht wird. Bei “Spiegel Online” sagt Stefan Arndt, der mit der Firma “X Filme” zum Produzententeam der Serie gehört:

“Es ist fast schon lustig zu sehen, welche Kreise unsere Serie im Bezug auf Konrad Adenauer nun zieht. Wir hatten die ‘Bild’ darüber informiert, wie sich die Geschichte entwickelt, aber natürlich wollen wir unsere eigene Serie nicht am Starttag im Pay-TV spoilern. Dass es dennoch für eine Titelgeschichte zu reichen scheint, finden wir für die Aufmerksamkeit der Serie natürlich gut, aus journalistischer Sicht ist eine solche Vorgehensweise in Zeiten wie diesen schon sehr bedenklich.”

Trotz der Informationen von der Produktionsfirma hat “Bild” für die eigene Geschichte einige Leute aufgescheucht, die mal sagen sollen, was sie davon halten, dass die ARD angeblich was ganz Schlimmes mit Konrad Adenauer angestellt hat. Zum Beispiel Tobias Bott von der “Konrad-Adenauer-Stiftung”:

Bei der angesehenen Konrad Adenauer Stiftung ist man sprachlos. Sprecher Tobias Bott: “Das ist Fiktion und hat mit der Wahrheit nichts zu tun. Die Geschichte ist für einen Kommentar zu absurd.”

Und auch beim 72-jährigen Enkelsohn von Konrad Adenauer, der ebenfalls Konrad Adenauer heißt, hat “Bild” nachgefragt:

Enkel Konrad Adenauer (72) zu BILD: “Von einer Erpressung irgendeiner Art ist mir überhaupt nichts bekannt, aber mit so einer romanhaften Geschichte kann man natürlich viel Aufmerksamkeit erzeugen. In der Tat war Konrad Adenauer als Präsident des preußischen Staatsrates häufig in Berlin. Er pflegte eine intensive Nichtliebe zu Berlin. Das Leichtlebige, das Vulgäre dieser Stadt liebte er überhaupt nicht. Das kann man prüde oder spießig nennen, aber es hat ihn auch vor solchen Geschichten wie in ‘Babylon Berlin’ bewahrt.”

Zum Abschluss ihres Artikels fragen die vier “Bild”-Autoren:

Muss man den Vater der Bundesrepublik wirklich zu einem Sadomaso-Freier machen?

Die Frage würden wir gern zurückgeben.

Dazu auch:

Erstes Yücel-Interview, Scientology-TV, Unsinn über Taiwan

1. “Es liegt an dir, ob sie die Kontrolle über dich bekommen”
(welt.de, Doris Akrap & Daniel-Dylan Böhmer)
Nun ist es da: Das erste Interview mit “Welt”-Korrespondent Deniz Yücel, gemeinsam mit dessen Frau Dilek Mayatürk Yücel. Das lange Gespräch mit dem Journalisten, der über ein Jahr in der Türkei in Haft saß, haben Doris Akrap von der “taz” und Daniel-Dylan Böhmer von der “Welt” geführt. Auch das macht dieses Interview besonders: Akrap und Böhmer sind enge Freunde und Kollegen von Yücel und waren zwei der zentralen Personen bei den Bemühungen um dessen Freilassung.

2. “Bürgerliches Massaker”
(taz.de, Reinhard Wolff)
In Dänemark werden die Öffentlich-Rechtlichen künftig nicht mehr über eine Rundfunkgebühr, sondern steuerlich finanziert. Und, wohl mit noch größeren Auswirkungen: Das Budget von “Danmarks Radio”, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen, soll um ein Fünftel sinken. Die Journalistengewerkschaft des Landes spricht von einem “‘Massaker am dänischen Public-Service.'” Ebenfalls zum Thema: Silke Bigalke bei Süddeutsch.de mit Ein Fünftel weniger Budget sowie Markus Ehrenberg bei Tagesspiegel.de mit Keine Rundfunkgebühr mehr in Dänemark.

3. Nichts als die Wahrheit
(sueddeutsche.de, Jürgen Schmieder)
In den USA hat die Sekte “Scientology” seit einer Woche einen eigenen TV-Kanal. Es handele sich dabei um einen Vertreter “einer neuen Sorte von Fernsehsendern: Agenda-Medien, von denen es nicht nur in den USA immer mehr gibt. Letztlich geht es um die Frage, die Pontius Pilatus im Johannes-Evangelium an Jesus richtet: “Was ist Wahrheit?”, so Jürgen Schmieder. Sein beunruhigendes Urteil: “Das Faszinierende ist, dass es funktionieren könnte.”

4. Unwissenheit oder alles egal? In deutschen News kommt Taiwan immer wieder unter die Räder
(intaiwan.de, Klaus Bardenhagen)
Klaus Bardenhagen ärgert sich über Agenturmeldungen von “AFP” und “Reuters” zum von Donald Trump unterzeichneten “Taiwan Travel Act”, die mehrere Redaktionen übernommen haben. Er beobachte drei Reflexe “vor allem bei Agenturen immer wieder, wenn es um Taiwan geht”: “Taiwans Demokratie wird ausgeblendet”, “Chinas Aggressionen werden gerechtfertigt” und “Der Fokus wird auf Trumps vermeintliche Unzurechnungsfähigkeit gelegt”.

5. Ein negatives Stück Fernsehgeschichte
(medienkorrespondenz.de, Carmen Molitor)
Wer erinnert sich noch an den Skandal um die Dokumentation “Auserwählt und ausgegrenzt — Der Hass auf Juden in Europa”? Genau: Im Juni vergangenen Jahres weigerten sich “Arte” und WDR, diesen Film über Antisemitismus zu zeigen, weil er den Ansprüchen nicht genüge, so die Begründung der Sender. Letztlich zeigten sie ihn dann doch, allerdings unter sehr besonderen Umständen, teils mit erläuternden Texttafeln und korrigierenden Anmerkungen. Carmen Molitor hat jetzt, wo “der Ärger verraucht ist und die Emotionen nicht mehr hochkochen”, die Aufregung um die Doku sowie die Krisenkommunikation der Beteiligten noch einmal analysiert.

6. Expert*in verzweifelt gesucht
(inkladde.blog, Nicola Wessinghage)
Dass neulich Manfred Spitzer wieder mal “seine kulturpessimistischen und unwissenschaftlichen Thesen” in einem Interview verbreiten durfte, dieses Mal im “Deutschlandfunk” zum Thema “digitales Klassenzimmer”, lässt Nicola Wessinghage fragen: “Was macht eine/n ‘Expert*in’ aus und wie findet man sie? Offensichtlich nicht so leicht, warum sonst begegnen uns in Medien so oft die immer gleichen und manchmal auch sehr fragwürdige?” Wessinghage plädiert dafür, “die Suche nach Interviewpartner*innen systematischer und professioneller anzugehen.”

Verstärker für AfD-Unsinn

Die Redaktion von “MDR Aktuell” twitterte heute diese joar, also, ähm Nachricht:

Screenshot eines Tweets von MDR Aktuell - AfD-Abgeordnete fordern Verbot der Antifa: Die Antifa müsse als terroristische Vereinigung eingestuft werden.

Ohne Link zu einem weiterführenden Artikel. Ohne Hintergrundinfo. Nicht mal ein Hashtag, das irgendwas einordnet. Nix. Nur die pure AfD-Forderung.

Etwa zwei Stunden später folgte immerhin ein zweiter Tweet der Redaktion:

Screenshot eines Tweets von MDR Aktuell - Quelle des Tweets ist folgende Agenturmeldung des Evangelischen Pressedienstes epd von heute Vormittag: Fünf AfD-Abgeordnete aus verschiedenen Bundesländern haben ein Verbot der Antifa gefordert. Die Antifa müsse als terroristische Vereinigung eingestuft werden, erklärten die an der Kontrolle der Verfassungsschutzbehörden ihrer Bundesländer beteiligten Parlamentarier nach einem am Montag zu Ende gegangenen gemeinsamen Treffen in Potsdam. Straftaten der Antifa richteten sich in schwerwiegender Weise gegen die innere Sicherheit der Bundesländer und gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. Zur Begründung benannten die fünf AfD-Abgeordneten eine Antifa-Broschüre aus Augsburg, die Ausschreitungen am Rande des G20-Gipfels in Hamburg im vergangenen Jahr und einen Angriff auf einen Bus mit AfD-Demonstrationsteilnehmern in Stuttgart.

Diese epd-Meldung hat auch die Online-Redaktion der “Thüringer Allgemeinen” übernommen.

Was sowohl beim epd als auch bei der “Thüringer Allgemeinen” und im Tweet von “MDR Aktuell” fehlt: Es gibt nicht “die Antifa”. Es gibt keinen Antifa e.V. mit Mitgliedsausweisen, Satzung und Vereinslokal, den man nun verbieten und als “terroristische Vereinigung” einstufen könnte. Es gibt Antifaschistinnen und Antifaschisten. Und die haben verschiedenste Hintergründe: einen bürgerlichen, einen kirchlichen, einen autonomen, einen anarchistischen, einen radikalen. Manche von ihnen akzeptieren Gewalt, manche wenden sie an, manche sind komplett gegen Gewalt. Hinter ihnen allen steht keine homogene Vereinigung. Wen oder was genau wollen die fünf AfD-Abgeordneten also verbieten?

Wenigstens das müssten Redaktionen, Journalistinnen und Journalisten doch hinbekommen: Kurz mal überlegen, ob das, was eine Partei fordert, zumindest ansatzweise Sinn ergibt; ob eine Umsetzung überhaupt möglich ist; ob die damit verbundene Grundaussage — Antifaschismus ist per se Terrorismus — richtig ist. Und die Forderung einordnen, wenn sie keinen Sinn ergibt, statt sich zum willfährigen Verstärker für Unsinn machen zu lassen.

Schweinische Lüge

Falls es jemand nicht mitbekommen haben sollte: Ein privater Kita-Träger hatte sich dazu entschlossen, beim Mittagessen kein Schweinefleisch mehr anzubieten. Die “Bild”-Redaktion machte aus dieser Kleinigkeit, die, wenn überhaupt, für eine Lokalzeitung von Interesse gewesen wäre, eine Riesennummer auf Seite 1, andere Medien sprangen auf, rechte Hetzer übernahmen das Thema, es gab eine Menge Hass und Drohungen gegen die zwei betroffenen Kitas. Aufgrund dieser ganzen Ereignisse setzte die Kita-Leitung ihre Entscheidung aus und will sie bei den nächsten Elternabenden besprechen.

Damit hatte sich das Thema für “Bild” allerdings noch nicht erledigt. Der stellvertretende Chefredakteur Timo Lokoschat legt heute noch einmal nach:

Ausriss Bild-Zeitung - Keine Gummibärchen, kein Schnitzel, kein Osterfest - Kniefall vor den Falschen!

Den “Leiter der Leipziger Kita” — also den Mann, der sich aktuell mit Drohungen von rechten Spinnern rumschlagen muss — bezeichnet Lokoschat als “überengagierten Bessermenschen” und schreibt:

Schweinefleisch und Gummibärchen sollten künftig tabu sein. Und: Statt Weihnachts- und Ostercafé standen plötzlich nur Ramadan und Zuckerfest auf dem Themenplan der Kita.

Die Behauptung, dass Schweinefleisch und Gummibärchen in den zwei Kitas “künftig tabu sein” sollten, also: verboten, hält sich hartnäckig. Tatsächlich wollte die Kita-Leitung künftig schlicht kein Schweinefleisch mehr fürs Mittagessen bestellen. Wenn Eltern wollen, dass ihre Kinder in der Kita Würstchen essen oder gelatinehaltige Gummibärchen naschen, dann können sie ihren Kindern nach wie vor Würstchen oder gelatinehaltige Gummibärchen mitgeben. Ein Verbot von Schweinefleisch gibt es nicht.

Und auch, dass “statt Weihnachts- und Ostercafé (…) plötzlich nur Ramadan und Zuckerfest auf dem Themenplan der Kita” stünden, hat sich Lokoschat ausgedacht. Der Terminkalender der Kitas sah schon immer und sieht auch jetzt Feste und Thementage aller möglichen Religionen vor: christliche, jüdische, hinduistische, muslimische. Das “nur” in Lokoschats Satz ist genauso falsch wie das “plötzlich”.

Tatsächlich wurde den Eltern heute ein neuer “Jahresplan” für die zwei Kitas zugeschickt. Und tatsächlich gibt es dort zwei auffällige Änderungen: Der eingetragene Termin am 6. Dezember 2019, der bisher “ElternCafe” hieß, heißt in der heute rumgeschickten Version “Nikolausfeier”. Und der Termin am 7. April 2020, der bisher ebenfalls “ElternCafe” hieß, heißt nun “Oster Cafe”. Ein Vater sagte uns allerdings, dass im vergangenen Jahr auch schon Nikolaus und in diesem Jahr auch schon Ostern gefeiert wurde (was sonst wird wohl am 6. Dezember und an einem Tag in der Karwoche gefeiert?).

Was Lokoschat verschweigt: Sowohl in der alten Version des “Jahresplans” als auch in der neuen ist für den 11. November, den Martinstag, ein sehr christliches Martinsfest eingetragen. Am 13. September soll es ein chinesisches Mondfest geben (zum Hintergrund: eine der beiden Einrichtungen heißt “Konfuzius Kindergarten”). Am 26. Januar soll in den Kitas das chinesische Neujahr gefeiert werden. Am 24. Februar Fasching. Und am 17. Juli das Zuckertütenfest für die Kinder, die sich Richtung Grundschule aufmachen. Wie gesagt: alles sowohl im alten als auch im neuen “Jahresplan”. Was es weder in der einen noch in der anderen Version gibt: ein Feier zu einem muslimischen Fest. Dafür gibt es einen Eintrag zu Bayram, also zum muslimischen Zuckerfest. Allerdings soll das in den Kitas nicht gefeiert werden — es soll ein Thementag dazu stattfinden: für den 25. Mai ist im alten wie im neuen Kalender “Thementag Bayram” vermerkt. Genauso sollte es in den Kitas schon immer Thementage zum jüdischen Sukkot und zum hinduistischen Diwali geben. Zum muslimischen Ramadan gibt es erst in der neuen Version des “Jahresplans” einen Thementag; im alten waren lediglich der Beginn und das Ende des Fastenmonats als Termine vermerkt. Ein Vater sagte uns, dass die Kinder an den Thementagen nicht teilnehmen müssen. Sie können stattdessen auch spielen oder malen.

Wenn der stellvertretende “Bild”-Chefredakteur Timo Lokoschat also schreibt, dass “plötzlich nur Ramadan und Zuckerfest auf dem Themenplan der Kita” stehen, obwohl er wissen muss, dass das nicht stimmt, schließlich scheint ihm der “Themenplan der Kita” vorzuliegen, dann ist das eine glatte Lüge.

Asteroiden-Clickbait, Mäzen vs. Wikipedia-Hacker, Gute-Laune-Gesetz

1. “Gleich 3 gigantische Asteroiden rasen auf die Erde zu” und anderer Wissenschaftsclickbait bei Futurezone.de (Schlechte Schlagzeilen Folge 25)
(scienceblogs.de/astrodicticum-simplex, Florian Freistetter)
Wissenschaftsautor und Astronom Florian Freistetter ärgert sich über die reißerische Berichterstattung des Portals Futurezone.de zu angeblich bevorstehenden Asteroideneinschlägen und anderen angeblichen Bedrohungen aus dem All: “Ich weiß nicht, wie solche Artikel zustande kommen. Vermutlich war irgendwer der Meinung, man bräuchte mal wieder ein paar Klicks und was geht da besser als potentieller Weltuntergang… Mit irgendeiner seriösen Form von Wissenschaftsjournalismus hat das absolut nichts zu tun.”

2. Wikipedia erhält Millionenspende für IT-Sicherheit
(spiegel.de)
Vergangenen Freitag kam es zu einem Hackerangriff auf Wikipedia, die deutsche Seite war für mehrere Stunden nicht erreichbar. Der Gründer des Anzeigenportals “Craigs List” und Mäzen Craig Newmark hat dem Online-Lexikon nun 2,5 Millionen Dollar gespendet, die der Sicherheit der Plattform zugutekommen sollen.

3. Kein Thema
(kontextwochenzeitung.de, Anna Hunger)
Der Bahnkritiker und Stuttgart-21-Experte Arno Luik hat ein Buch über die Deutsche Bahn (“Schaden in der Oberleitung”) verfasst, das viel mediale Aufmerksamkeit erfährt. Nur in Stuttgart wolle man sich nicht so recht für das Thema interessieren. Anna Hunger erklärt, warum Luik und dessen Buch in den Stuttgarter Zeitungen nicht stattfänden.

4. Prozess um lebendige Geister
(sueddeutsche.de, Wolfgang Janisch)
Der Streit zwischen Ex-Bundesrichter und Kolumnist Thomas Fischer und der “taz”-Journalistin Gaby Mayr über Fischers Kommentierung des Strafrechtsparagraphen 219a (“Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft”) ist mittlerweile beim Landgericht Karlsruhe gelandet. Dort wird man sich unter anderem mit der Grenzziehung zwischen bloßen Werturteilen und Tatsachenbehauptungen beschäftigen.
Weiterer Lesetipp dazu: Ist der “Schlam­perei”-Vor­wurf eine Tat­sa­chen­be­haup­tung? (lto.de, Christian Rath).

5. Joko Winterscheidt und G+J verabschieden sich von “JWD”: “Glauben Sie mir, es fällt uns allen nicht leicht”
(meedia.de, Gregory Lipinski)
Gruner + Jahr stellt das Magazin “JWD – Joko Winterscheidts Druckerzeugnis” zum Jahresende ein. “Meedia” hat mit Moderator Winterscheidt und dem G+J-Verantwortlichen Frank Thomsen über die Gründe gesprochen. Das ist insofern interessant, als es gleich zwei Segmente betrifft: das der Männermagazine und das der Personality- und Testimonial-Postillen à la “Barbara”.

6. Gute-Laune-Gesetze
(journalist-magazin.de, Sebastian Pertsch & Udo Stiehl)
Die Floskel-Spezialisten Sebastian Pertsch und Udo Stiehl beschäftigen sich mit den beschönigenden Umschreibungen, mit denen Politiker und Politikerinnen neuerdings ihre Gesetze versehen: “Sollte es bald zu einem Geile-Soldaten-Gesetz, Super-Schnelles-Internet-Abkommen oder Klima-Nein-Danke-Erlass kommen, wäre etwas mehr Widerstand gegen die politisch motivierten Tarnungen begrüßenswert. Aufgabe des Journalismus ist nicht, PR-Sprüche aus der Politik zu wiederholen.”

Google News und seine Quellen, Rechtes Netzwerk, Trauerarbeit

1. Google News verkauft Staatspropaganda als “vertrauenswürdig”
(netzpolitik.org, Sebastian Meineck & Alexander Fanta & jocca)
Google News präsentiert sich als vertrauenswürdige Quelle für Nachrichten, doch zwischen seriösen News würden chinesische Staatspropaganda und für Falschmeldungen bekannte rechte Blogs auftauchen, so das Ergebnis einer netzpolitik.org-Recherche: “Google teilt gegenüber netzpolitik.org mit, es verstoße gegen die Richtlinien, wenn Inhalte dem wissenschaftlichen oder medizinischen Konsens zuwiderlaufen. Bei wiederholten oder schwerwiegenden Verstößen könne es passieren, dass eine Website nicht mehr bei Google News erscheinen dürfe. Fakten spielen bei Google News also durchaus eine Rolle. Aber Selbstbeschreibung und Wirklichkeit klaffen offenbar weit auseinander.”

2. “Der Kampf ist derselbe”: Wie “Unser Mitteleuropa” ein Netzwerk rechter Medien in Europa aufbaut
(correctiv.org, Alice Echtermann)
Recherchen von “Correctiv” zeigen, dass die Medienkooperation “Unser Mitteleuropa” wohl mehr als 25 Websites aus dem konservativen bis rechtsextremen Spektrum umfasst und Verbindungen zu mehreren rechtspopulistischen Parteien aus Europa aufweist: “Die Zusammenarbeit der Medien folgt einem simplen Prinzip: Unser Mitteleuropa übernimmt und übersetzt ihre Berichte und verhilft diesen – und sich selbst – zu größerer, internationaler Reichweite.” Alice Echtermann erklärt, wie das Netzwerk funktioniert.

3. Fassade des kritischen Journalismus in Katar
(deutschlandfunk.de, Ronny Blaschke, Audio: 5:16 Minuten)
Es sind nur noch wenige Wochen, bis im arabischen Wüstenstaat Katar mit großem Aufwand die Fußball-Weltmeisterschaft ausgetragen wird. Das Land will sich als moderner Gastgeber präsentieren und um Investitionen, Touristen und Fachkräfte werben. Doch es könne sein, dass sich Katar kurz vor der WM als liberaler präsentiert, als es eigentlich ist, wie der Journalist Benjamin Best berichtet.

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4. Eure Plattform, unsere Lügen
(faz.net, Nina Bub)
Nina Bub hat sich angeschaut, was das “Disinformation Situation Center” über die Bemühungen Facebooks, die Verbreitung russischer Staatspropaganda einzudämmen, sagt. Bubs Ansicht nach versage Facebook “nicht nur darin, Inhalte auf der Plattform zu moderieren und zu entfernen, es bietet Anhängern des Kremls die Möglichkeit, Putin und Russland zu verherrlichen.” Außerdem zeige das Ausweichen auf andere Websites, dass die russische Regierung auf die Sperrung ihrer staatlichen Sender vorbereitet war. Bubs Fazit: “Es be­darf wohl weiterer Anstrengungen seitens der EU, um den Fluss der Desinformation des Kremls in der Europäischen Union zu unterbrechen.”

5. Drohen bei “Welt”- und “Bild”-Gruppe tiefgreifende Veränderungen?
(meedia.de, Gregory Lipinski)
Der Branchendienst “Meedia” berichtet von einer E-Mail der Springer-Führungsspitze für das Ressort “News Media National”, in der diese die Neustrukturierung von “Welt” und “Bild” ankündigt. “Meedia”-Redakteur Gregory Lipinski berichtet: “Die betroffenen Mitarbeiter befürchten tiefgreifende Veränderungen. Dabei kochen diverse Spekulationen hoch. Von der Einstellung der werktäglich gedruckten Ausgabe der ‘Welt’ bis zu radikalen Änderungen in der Redaktionsstruktur bei der blauen und rote Gruppe machen die Runde, auch die Sorge über einen Stellenabbau ist im Gespräch.”

6. Trauer auf Twitter
(taz.de, Jagoda Marinić)
Jagoda Marinić hat Schwierigkeiten mit dem kollektiven Trauern über den Tod der Queen: “Über Tage zieht sich das Trauern, eine der längsten Warteschlangen in der Geschichte der Wartschlangen, um der Queen die letzte Ehre zu erweisen, die mediale Dauerpräsenz, die darin gipfelte, das königliche Begräbnis auf ARD und ZDF zu senden, als wollte man selbst für eine Zusammenlegung der beiden plädieren. Tagelang.”

Musks acht Dollar, Gabriel klagt, Neues Karikaturen-Konzept

1. Verifizierte Twitter-Accounts kosten künftig acht Dollar pro Monat
(zeit.de)
Elon Musk will verifizierte Twitter-Nutzerinnen und -Nutzer künftig mit acht Dollar zur Kasse bitten. Darin enthalten seien weitere Vorteile, wie etwa weniger Werbeeinblendungen, die Möglichkeit, längere Videos und Audioinhalte zu posten, und mehr Sichtbarkeit. Nachdem sich kritische Stimmen zu Wort meldeten, reagierte Musk mit einem knappen Tweet: “An alle Nörgler, beschwert euch bitte weiter, aber es kostet acht Dollar.” (Anmerkung des “6-vor-9”-Kurators: Nun denn, wir werden sehen. Es wäre nicht das erste Mal, dass der Tech-Milliardär seine Meinung ändert. So hatte er zunächst von 20 Dollar gesprochen, war dann aber in einem Tweet-Wechsel mit dem Autor Stephen King umgeschwenkt.)

2. SZ will’s mal mit moderneren Karikaturen versuchen
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
“Man kann als Freund der ‘Süddeutschen Zeitung’ an ihren Karikaturen verzweifeln”, schickt Stefan Niggemeier seinem Text voraus, und in dieser Aussage werden sich sicher viele Leser und Leserinnen wiederfinden. Doch nach einer langen Phase mit teils “altbackenen, humorlosen und schlechten” Karikaturen, besteht nun Anlass zur Hoffnung: Die “SZ”-Redaktion wolle ein neues Karikaturen-Konzept ausprobieren.

3. “Gazprom-Lobby”-Recherche: Gabriel zieht gegen CORRECTIV vor Gericht
(correctiv.org, Justus von Daniels & Annika Joeres & Frederik Richter)
Im September schrieb “Correctiv” über “Die Gazprom-Lobby” in Deutschland und thematisierte dabei auch die Rolle des früheren Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel sowie dessen Forderungen nach dem Abbau von Russland-Sanktionen 2016. Nach Angaben von “Correctiv” sehe sich Gabriel in dem Artikel in ein falsches Licht gerückt. Der frühere SPD-Politiker, der 2015 dem Verkauf von Gasspeichern an Gazprom zustimmte, ziehe nun wegen einer bestimmten Formulierung vor Gericht – gegen “Correctiv”.

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4. “Besorgniserregende Berichte”
(taz.de, Lisa Schneider)
Sherif Mansour gehört der Presserechts-NGO Committee to Protect Journalists an, die sich unter anderem für Journalistinnen und Journalsiten im Iran einsetzt. Sein Appell an die westlichen Staaten: “Das Wichtigste ist, dass Möglichkeiten geschaffen werden, mit denen Ira­ne­r:in­nen die Unterbrechung des Internets umgehen können, etwa indem sie sich über Satellit mit dem Netz verbinden, zum Beispiel über Technologie des US-Unternehmens Starlink. Es muss zudem Möglichkeiten für Journalist:in­nen geben, zu fliehen oder ins Exil zu gehen, wir müssen Ira­ne­r:in­nen einen sicheren Hafen gewähren.”

5. Scholz muss Freilassung von Zhang Zhan fordern
(reporter-ohne-grenzen.de)
Reporter ohne Grenzen hält die China-Reise von Olaf Scholz prinzipiell für “unangemessen”, bittet den Bundeskanzler jedoch darum, sich für die Freilassung von inhaftierten Medienschaffenden wie Zhang Zhan einzusetzen: “Aufgrund der katastrophalen Haftbedingungen und des Hungerstreiks, den die Journalistin dagegen geführt hat, ist ihr medizinischer Zustand besorgniserregend. Wird Zhang Zhan nicht bald freigelassen, droht ihr für ihre Berichterstattung über die Covid-19-Pandemie der Tod hinter chinesischen Gittern.”

6. FKK-Partys und Selbstversuche: Der neue Journalismus?
(ndr.de, Zapp, Lia Gavi, Video: 19:29 Minuten)
Auf Youtube gibt es unzählige Filme, in denen Reporter und Reporterinnen nicht nur über ein Thema berichten, sondern sich mittels Selbstversuch quasi selbst zum Thema machen. “Zapp”-Reporterin Lia Gavi fragt sich: Geht es dabei um Selbstdarstellung, um Unterhaltung, oder sind solche Reportagen auch journalistisch sinnvoll?

Der Kannibale ist kein Kannibale

Ja, die Welt ist manchmal kompliziert, und deshalb, liebe Kollegen von “Bild”, gehen wir die Sache langsam und zum laut Mitlesen noch einmal durch. Also: Ein Kannibale ist jemand, der einen anderen Menschen verzehrt. Klar soweit? Gut, dann weiter: Wer keinen anderen Menschen verzehrt, ist kein Kannibale.

Seit Donnerstag steht fest, dass der Berliner, der einen Sexpartner ermordet und zerstückelt haben soll, kein Kannibale ist. Ein Sprecher der Berliner Justiz sagte, es gebe nach der Obduktion keine Anhaltspunkte dafür, dass es zu Kannibalismus gekommen sei. Das berichteten übereinstimmend verschiedene Agenturen. Am Donnerstag, wie gesagt.

Am Freitag ist der mutmaßliche Mörder in “Bild” (Ausgabe Berlin) immer noch “Der Kannibale von Berlin”. “Bild” vergleicht die Straftat mit der des (tatsächlichen) “Menschenfressers von Rotenburg” und spricht vom “neuen Kannibalen-Fall”.

Am Samstag zeigt “Bild” “Das Gesicht des Kannibalen”, nennt ihn weiter den “Kannibalen von Berlin” und verzichtet an keiner Stelle auf die falsche Bezeichnung. Neben einem weiteren Foto steht: “Kannibale Ralf M. (41) wird von Polizisten zum Haftrichter gebracht.”

Man könnte das für eine Kleinigkeit halten, schließlich hat der Verdächtige ja allem Anschein nach sein Opfer aus sexueller Lust und mit kannibalistischen Fantasien getötet. Aber hinter der Entscheidung für die Bezeichnung “Kannibale” steckt mehr als nur eine sprachliche Boulevard-Kurzformel für jemanden, der aus solchen Motiven mordet. Die Information, dass die Polizei keine Anhaltspunkte für Kannibalismus gefunden hat, die andere Zeitungen zu Formulierungen brachte wie: “Der ‘Kannibale von Neukölln’ ist nun doch kein Kannibale”, fehlt konsequent in “Bild”-Berlin. Hier heißt es allein: “Er gab an, nichts von dem Toten gegessen zu haben.” Warum unterschlägt “Bild” die Information, dass diese Angabe des mutmaßlichen Mörders längst von der Polizei bestätigt ist und er also kein Kannibale ist? Ist die Wahrheit nicht aufregend genug?

Übrigens: Auf die Gefühle der Angehörigen des Opfers kann die “Bild”-Zeitung in ihrem Blutrausch natürlich keine Rücksicht nehmen. Neben ein Bild des Toten stellte sie die sensibel formulierte Überschrift: “Waldorfschule ehrt ihren geschlachteten Pianospieler”.

Schleichwerbung: Bild.de verliert vor Gericht

“Bild” und Bild.de haben mit der Art, wie sie für das “Volks-Sparen”-Angebot der Deutschen Bank geworben haben, unzulässige Schleichwerbung betrieben. Das Kammergericht Berlin erließ in zweiter Instanz eine einstweilige Verfügung (pdf), die es Bild.T-Online untersagt, in gleicher Weise in redaktionell gestalteten Beiträgen für einzelne Unternehmen zu werben. Andernfalls muss Bild.T-Online Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro zahlen. Geklagt hatte ein Journalist, der Internet-Seiten mit Verbraucherinformationen betreibt und sich als Wettbewerber von Bild.de sieht.

Für das “Volks-Sparen” wurde im Februar 2005, wie bei diesen Aktionen üblich, in einer Beilage in der “Bild”-Zeitung und auf Bild.de geworben. Auf der Internetseite war neben der Überschrift “Dieser Zins bringt’s” ein Sparschwein mit dem “Volks-Sparen”-Logo zu sehen — sauber durch das Wort “Anzeige” als Anzeige gekennzeichnet. Unter diesem Werbelink stand — wie als Trenner — eine Leiste, die zu anderen Bild.de-Seiten führte. Danach folgten redaktionelle oder scheinbar redaktionelle Artikel (“Umfrage: Für welchen Traum sparen Sie?”, “Wissenswertes rund um den Zaster” …) sowie die Ankündigung: “Prominente Sparfüchse nehmen das Volks-Sparen unter die Lupe” (statt Prominenten waren Max Schautzer und Jochen Sattler abgebildet).

Dieser vermeintliche Test war (wie weitere “Artikel”) Teil der Anzeige — aber nach Ansicht des Gerichtes “nicht hinreichend eindeutig als Werbung erkennbar”. Die Deutsche Bank als werbendes Unternehmen werde nicht einmal genannt. Und der schwarze Balken mit dem Wort “Anzeige”, der über dem Sparschein-Teaser steht, könnte “von einem unbefangenen Durchschnittsleser ohne weiteres” nur auf diesen bezogen werden.

Auch die Bild.T-Online-Werbebeilage der “Bild”-Zeitung enthielt nach Meinung des Gerichts “unerlaubte Schleichwerbung”. Die Aufmacherseite gebe sich zum Beispiel “den Anschein einer redaktionellen Zeitungsseite”. Dass ganz oben auf der Seite sehr klein “Sonderveröffentlichung” stand, helfe auch nicht, im Gegenteil: Das verstärke eher den Eindruck einer objektiven Sonderberichterstattung.

Bereits im Juli 2005 hatte das Landgericht Berlin in einem Fall die Praxis der Trennung (oder genauer: Vermischung) von Werbung und Redaktion bei Bild.de für unzulässig erklärt. Das Kammergericht bestätigte jetzt, dass im Internet zwar bei einem werblichen Inhalt nicht zwingend das Wort “Anzeige” stehen muss. Der Nutzer muss aber in jedem Fall klar erkennen können, welche Inhalte werblicher Natur sind. Und er muss vor jedem einzelnen Klick wissen, ob er auf eine Anzeigenseite kommt oder auf redaktionelle Inhalte.

Diese Vorgabe erfüllt Bild.de von sich aus nach wie vor nicht. Die samstags erscheinende Bild.T-Online-Beilage in “Bild” ist allerdings inzwischen (klein) als “Anzeige” gekennzeichnet.

Die “Bild”-Zeitung hat sich bislang nicht entschieden, ob sie sich uns gegenüber zu dem Gerichtsbeschluss äußern will. Auch ob sie Rechtsmittel einlegen wird, konnte oder wollte uns der “Bild”-Sprecher noch nicht sagen.

Nachtrag, 30. Juli. Inzwischen hat sich “Bild” entschieden: Man werde sich nicht zu dem Urteil äußern.

Der Presserat lebt!

Juli 2006. Erinnern Sie sich? Jens Lehmann war der Held des Landes, weil er gegen Argentinien zwei Elfmeter gehalten hatte, ein Amokfahrer raste in die Berliner Fanmeile, Susan Stahnke brachte ein Kind zur Welt, Jan Ullrich sagte überraschend die Teilnahme an der Tour de France ab, und der Reisechef der “Bild am Sonntag” schwärmte in ganzseitigen Artikeln für den Heide-Park Soltau und den Holiday Park Hassloch.

Es kommt einem vor, als wäre es erst gestern vorletztes Jahr gewesen.

Wir hatten im Juli 2006 an den Deutschen Presserat geschrieben und ihn gebeten, die “Bild am Sonntag” für die beiden Artikel zu rügen, die wir für Schleichwerbung hielten. Einige Wochen später antwortete uns der Presserat, unsere Beschwerde sei “offensichtlich unbegründet”: Es handele sich, wie der Geschäftsführer gemeinsam mit dem Vorsitzenden des zuständigen Beschwerdeausschusses kurzerhand entschied, “eindeutig” um werbliche Veröffentlichungen, die für den Leser “unzweideutig” als solche erkennbar seien. Im August 2006 baten wir den Presserat, uns seine Entscheidung erstens zu erläutern und zweitens noch einmal zu überprüfen: Wir hatten nämlich beim Sprecher der “Bild am Sonntag” nachgefragt, und der sagte, bei den Artikeln handele es sich — ganz im Gegenteil — eindeutig um redaktionelle, nicht-werbliche Berichterstattung (wir berichteten)

Der Herbst kam und ging; es wurde 2007. Im Januar erinnerten wir den Geschäftsführer des Presserates telefonisch an den Vorgang. Im Juni 2007 schrieben wir einen weiteren Brief und fragten, ob schon absehbar sei, wann wir mit einer Antwort rechnen könnten. Der Geschäftsführer schrieb zurück, dass ihm nicht klar gewesen sei, dass unsere Bitte im Sommer 2006, die Entscheidung noch einmal zu überprüfen, ein Einspruch gegen diese Entscheidung gewesen sei. Im Juli 2007 schickten wir daraufhin den Brief von damals noch einmal, diesmal sicherheitshalber groß überschrieben mit dem Wort “Einspruch”.

Der Herbst kam und ging; es wurde 2008. Und in dieser Woche nun teilt uns der Geschäftsführer des Presserates mit, der Beschwerdeausschuss habe unsere Beschwerde behandelt. Er habe sie bei einer Enthaltung einstimmig als unbegründet bewertet. Die Erklärung dafür lautet in voller Länge:

Nach Ansicht des Beschwerdeausschusses werden auch werbliche Bestandteile eines Blattes im Inhaltsverzeichnis aufgelistet. Bei den Beiträgen handele es sich für den Leser — und hierauf stellt der Presserat bei seiner Prüfung ab — erkennbar um eine gemeinsame Werbeaktion zwischen BILD AM SONNTAG und dem Heide-Park Soltau. Trotz der vom Beschwerdeführer vorgebrachten Einrede kann der Presserat hier nicht eindeutig Schleichwerbung erkennen.

Schön, dass wir das geklärt haben.

Serkan A., “Bild” und der Rechtsstaat

Vermutlich weiß die “Bild”-Zeitung genau, warum sie Meldungen wie diese am vergangenen Freitag als Riesenschlagzeile auf die Seite 1 setzt:

Sie tut es vermutlich, weil sie weiß, dass sie damit bei vielen Lesern eine Reaktion erreicht wie die von Norbert S., dessen Leserbrief sie am folgenden Tag veröffentlichte:

Das klingt nach einer legitimen Meinungsäußerung — so wie auch die Frage von “Bild” legitim scheint, ob der “U-Bahn-Prügler Serkan A. (21)” seine langjährige Freundin, mit der er ein gemeinsames Kind hat, nur heiratet, “um die drohende Abschiebung zu verhindern”.

Nach Ansicht von “Bild” wäre das ein “Trick”. Ein treffenderer Begriff wäre in diesem Fall “sein gutes Recht”. Das ist keine Lappalie. Man nennt die Bundesrepublik Deutschland einen “Rechtsstaat”, weil zu seinen Grundsätzen gehört, dass das Recht für alle gilt. Auch für Menschen wie Serkan A.

Tatsächlich ist es so, wie “Bild” schreibt, dass durch die Heirat eine (von “Bild” dringend herbeigewünschte) Abschiebung von Serkan A. schwieriger würde. Dabei würden, wie uns der Strafverteidiger und Lawblogger Udo Vetter auf Nachfrage erklärte, die verschiedenen Interessen gegeneinander abgewogen werden. “In der Regel wird darauf abgestellt, ob die Ehegatten vorher zusammengelebt haben oder ob zu erwarten ist, dass sie zusammenleben werden. Bei einem gemeinsamen Kind hat der Betroffene gute Karten.” Dass Serkan A. aber eine Beziehung nur vortäuscht, beide gar nicht verlobt sind oder das Kind nicht von ihm ist, behauptet nicht einmal “Bild”.

Vetter kommentiert die Aufregung der “Bild”-Zeitung so:

Ich glaube, die Empörung ist mehr darin begründet, dass Serkan von seinen Rechten Gebrauch macht und sich im Rahmen seiner Möglichkeiten wehrt. Wenn man allerdings anfängt, Rechtsschutz zu kritisieren, sollte daran denken, dass man ihn vielleicht mal selbst braucht. Die Zeitungen sind voll davon, wie Deutsche mitunter im Ausland behandelt werden. Da regt man sich regelmäßig auf, wenn sie ohne fairen Prozess auf Jahre weggesperrt werden. Hier bei uns hätte man dann aber keine Probleme mit etwas mehr Bananenrepublik. Bemerkenswert!

Das ist ein Motiv, das immer wieder in der Berichterstattung der “Bild”-Zeitung durchschimmert: Dass sie es empörend findet, dass auch Kriminelle Rechte haben — und es sogar wagen, sie in Anspruch zu nehmen. (Manchmal findet “Bild” das sogar nicht nur bei Tätern, sondern auch bei Opfern empörend.)

Mit jedem solchen Artikel, in dem die “Bild”-Zeitung den Volkszorn schürt und Leser wie Norbert S. in ihrem Gefühl bestätigt, dass ausländische Straftäter ihr Recht auf das Recht verwirkt haben, nimmt sie in Kauf, den Rechtsstaat zu unterminieren.

Unverbesserlich VI

Im Frühjahr dieses Jahres wurde bekannt, dass eine Mutter in einem Zeitraum von über 20 Jahren drei Babys zur Welt gebracht, möglicherweise nach der Geburt getötet und in die Tiefkühltruhe gelegt hatte. Was danach geschah, fasst die Nachrichtenagentur AP wie folgt zusammen: “Nach dem Fund der Babys war die [Frau] mit ihrem Ehemann und ihrer [erwachsenen] Tochter auf einer Polizeiwache erschienen und hatte Selbstanzeige erstattet. Nach einem Teilgeständnis äußerte sie sich nicht weiter zu den Vorwürfen und galt während ihrer Zeit in der Untersuchungshaft als nicht vernehmungsfähig. Seit Oktober ist die Frau auf eigenen Wunsch in einer psychiatrischen Klinik untergebracht.”

Aus dem Pressekodex:

“Bei der Berichterstattung über Unglücksfälle, Straftaten, Ermittlungs- und Gerichtsverfahren (…) veröffentlicht die Presse in der Regel keine Informationen in Wort und Bild, die eine Identifizierung von Opfern und Tätern ermöglichen würden. (…) Sensationsbedürfnisse allein können ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit nicht begründen. (…) Liegen Anhaltspunkte für eine mögliche Schuldunfähigkeit eines Täters oder Tatverdächtigen vor, sollen Namensnennung und Abbildung unterbleiben.”

Zum heutigen Prozessauftakt vorm Landgericht Siegen hatte sich die Angeklagte bis zur Unkenntlichkeit vermummt, trug einen schwarzen Schal überm Kopf und vorm Gesicht und eine Sonnenbrille mit verspiegelten Gläsern vor den Augen – und es ist nicht anzunehmen, dass das einem eigenwilligen Modebewusstsein geschuldet war. Es hatte einen guten Grund.

Denn wie groß das Medieninteresse hier auch sein mag: Das Persönlichkeitsrecht der Angeklagten ist größer. Oder um es – ohne Wenn und Aber – mit den Worten des Presserates zu sagen: Medien müssen in Fällen wie diesem “auf eine erkennbare Darstellung des Betroffenen verzichten” (siehe auch Kasten).

Fast überall, wo heute über den Prozess berichtet wird, finden sich Fotos der vermummten Frau – auch in einem großen Teaser auf der Bild.de-Startseite. Bild.de hat es allerdings nicht dabei belassen, sondern den Teaser und den dazugehörigen Artikel um ein weiteres Foto ergänzt:

Das zweite Foto veröffentlicht Bild.de nicht zum ersten Mal. Schon im Frühjahr, als der Fall bekannt wurde, war es – exklusiv – auf Bild.de und andertags auch auf der Titelseite der “Bild”-Zeitung zu sehen (wir berichteten). Es zeigt die Frau ohne Unkenntlichmachung.

Ob es sich bei dem Foto auf Bild.de jedoch nur um ein (unentschuldbares) Versehen handelt, wird sich spätestens morgen zeigen, wenn die gedruckte “Bild” ihre elfeinhalb Millionen Leser über den heutigen Prozessauftakt unterrichtet.

Nachtrag, 12.11.2008: Nun… Während das unverpixelte Foto der “Todes-Mutter” auf Bild.de nach wie vor online ist, hat die “Bild”-Zeitung (“Hier versteckt sich die Horrormutter”) heute offenbar auf dessen Abdruck verzichtet.

Lichtermarkt-Hysterie, “Addendum” mit Brause-Millionen, Kaffee ist alle

1. Wie sowas läuft: Die rechte Digital-Kampagne gegen Elmshorn.
(fearlessdemocracy.org, Gerald Hensel)
Gerald Hensel hat bei “Fearless Democracy” die Social-Media-Kampagne gegen die Stadt Elmshorn und ihren Lichtermarkt analysiert, vom ersten Tweet bis hin zur hunderttausendfachen Verbreitung. Ein konstruierter Shitstorm, der jeden treffen kann, so Hensel: “Ein Tweet reicht, ein Event-Name, der ins Weltbild passt, und am Ende ein schwarzes Kind auf einem Plakat. Fertig ist die Kampagne. Und eine Stadt, deren Vorweihnachtszeit empfindlich gelitten haben dürfte.”

2. Addendum arbeitet grundsätzliche Themen mit großem Besteck auf
(get.torial.com, Bernd Oswald)
Für seine neue Medienplattform “Addendum” hat der österreichische Multimilliardär und “Red Bull”-Brauer Dietrich Mateschitz etwas tiefer in die Brieftasche gelangt und gleich 40 Mitarbeiter angeheuert. Mateschitz haftet der Ruf an, rechts der Mitte zu stehen, entsprechend kritisch wurde und wird das Projekt von außen beäugt. Bernd Oswald kann der Seite in seiner Rezension durchaus Gutes abgewinnen. Außerdem fänden sich keine Ansatzpunkte dafür, in “Addendum” ein populistisches Projekt oder die Schaffung einer “Gegenöffentlichkeit” zu sehen. Er kritisiert jedoch das Fehlen von konkreten Lösungsvorschlägen.

3. Wenn zwei sich streiten
(deutschlandfunk.de, Thomas Wagner)
Vor 20 Jahren griff der “Südkurier” aus Konstanz mit einer neuen Lokalausgabe die Konkurrenz der “Schwäbischen Zeitung” auf deren Gebiet an. Die “Schwäbische Zeitung” konterte kurze Zeit später mit drei neuen Lokalausgaben im Stammgebiet des “Südkuriers”. Der Wettbewerb findet nun ein Ende: Zum Jahresende will der “Südkurier” seine Lokalausgabe dichtmachen. Die “Schwäbische Zeitung” wiederum habe die Schließung ihrer drei Lokalredaktionen im “Südkurier”-Stammgebiet angekündigt. Kritiker bedauern das Schrumpfen der publizistischen Vielfalt.

4. „Townhall-Meetings“ als Nonplusultra der Wahlberichterstattung? Ein Einspruch von Journalismus-Professor Bernd Gäbler
(meedia.de, Bernd Gäbler)
Neuwahlen würden auch einen erneuten Wahlkampf bedeuten. Wie werden die Medien darüber berichten? Auf welche Formate werden sie setzen? Nachdem das letzte “TV-Duell” eher kritisch gesehen wurde, könnten die Medien verstärkt auf sogenannte “Townhall-Meetings” mit Bürgerbeteiligung setzen. Journalistik-Professor Bernd Gäbler kann dem Format nur wenig abgewinnen: “Wenn die Politik-Journalisten von sich aus beginnen, in die einseitigen Lobeshymnen dieser “Townhall”-Formate einzustimmen, die als gelegentliche Ergänzung in einem Wahlkampf ihre Berechtigung haben mögen, dann stimmen sie letztlich ein in den Abgesang auf ihre eigentliche Profession.”

5. Cyberkriminologe Thomas-Gabriel Rüdiger über Hass im Netz
(blmplus.de, Elena Lorscheid, Video, 3:59 Minuten)
Thomas-Gabriel Rüdiger ist Kriminologe am “Institut für Polizeiwissenschaft” der Fachhochschule der Polizei des Landes Brandenburg. Die Schwerpunkte des Cyberkriminologen liegen unter anderem auf “digitalen Straftaten und Interaktionsrisiken sozialer Medien”. Auf den Augsburger Mediengesprächen 2017 fordert er beim Thema “Hass im Netz” mehr Schutzmaßnahmen für Opfer und ein höheres Risiko für Täter.

6. Schleichwerbung beim SWR – Jugendradio DASDING handelt sich wegen Kaffeeaktion einstweilige Verfügung ein
(allgemeine-zeitung.de, Markus Lachmann & Mario Thurnes)
Dem Jugendsender des SWR wurde per einstweiliger Verfügung untersagt, im Rahmen der “DASDING Morningshow” Werbung und/oder Sponsoring für Dritte zu betreiben. Bei der sogenannten “Hallo wach”-Aktion hatte man an verschiedenen Orten kostenlosen Kaffee ausgeschenkt. “Powered by McCafé”, wie es hieß. Dies hätte teilweise vor “McDonald’s”-Filialen stattgefunden. Zudem sei im Internet das “McDonald’s”- Logo abgebildet und auf die “McDonald’s”-Seite verlinkt worden.

Polizeiliche Selbstgespräche, Doppelstandards, Kollegah auf Eis

1. In Görlitz interviewt der Polizeisprecher seinen Chef einfach selbst – und die Sächsische Zeitung veröffentlicht es
(buzzfeed.com, Marcus Engert)
In Görlitz hat der Polizeisprecher seinen Chef interviewt und das Gespräch als „Medieninformation“ veröffentlicht. Was seinen Weg in die „Sächsische Zeitung“ fand und dort wie redaktioneller Inhalt aussah. Marcus Engert ist dem Vorfall nachgegangen, stieß aber auf wenig Gesprächsbereitschaft: Die Polizei reagierte abwehrend, die „Sächsische Zeitung“ konnte keinen mit dem Vorgang vertrauten Gesprächspartner ermitteln. Mittlerweile hat die Zeitung den Artikel gelöscht und bedauert die Vorgehensweise via Twitter: „Nicht unser Standard“.

2. Von wegen europäische Standards für alle: Facebook ändert Vertragsbedingungen von 1,5 Milliarden Menschen
(netzpolitik.org, Ingo Dachwitz)
Vor kurzem hatte Facebook-Chef Mark Zuckerberg noch vollmundig verkündet, man wolle sich in Sachen Datenschutz an der ab Ende Mai geltenden Datenschutz-Grundverordnung DSGVO orientieren. Nun sieht es eher so aus, als ob der Social-Media-Gigant die nicht-europäischen Mitglieder von den neu geltenden Standards explizit ausschließt.

3. Erfolgreiche Bezahl-Nachrichten aus Frankreich
(deutschlandfunk.de, Suzanne Krause, Audio, 5:01 Minuten)
Die französische Online-Zeitung “Mediapart” sei der lebende Beweis, dass Leser bereit sind, für hochwertige Online-Nachrichten zu zahlen, so Suzanne Krause im Deutschlandfunk. Die für ihre hochwertigen Nachrichten und Enthüllungsgeschichten bekannte Online-Zeitung schreibe seit sieben Jahren schwarze Zahlen.

4. BGH: Sieg auf ganzer Linie für Adblock Plus
(heise.de, Torsten Kleinz)
Der BGH hat entschieden: Der Werbeblocker Adblock Plus der Firma Eyeo verstößt nicht gegen das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb. Diesen Vorwurf hatte der Verlag Axel Springer erhoben und Schadensersatz für entgangene Werbeumsätze verlangt. Der unterlegene Springer-Konzern hält das Urteil für falsch und will Verfassungsbeschwerde einlegen.

5. Schweizer Zeitungsmarkt neu sortiert
(taz.de, Andreas Zumach)
Der Schweizer Medienmarkt ist in Bewegung: Der bisherige Eigentümer der „Basler Zeitung“ (BaZ), der Milliardär und Chefstratege der rechtspopulistischen SVP, Christoph Blocher, hat das Blatt an den Tamedia-Konzern verkauft. Im Gegenzug erhält Blocher von Tamedia eine 65-prozentige Beteiligung am „Tagblatt der Stadt Zürich“ sowie vier weitere Gratiszeitungen. Es steht jedoch noch die Genehmigung der eidgenössische Wettbewerbskommission aus.

6. Plattenfirma setzt Zusammenarbeit mit Kollegah und Farid Bang aus
(spiegel.de)
Die Bertelsmann Music Group (BMG) hat angekündigt, die Zusammenarbeit mit den Rappern Kollegah und Farid Bang zu pausieren. “Wir hatten den Vertrag über ein Album. Jetzt lassen wir die Aktivitäten ruhen, um die Haltung beider Parteien zu besprechen“, so der Vorstandschef in einem Gespräch mit der „FAZ“. 

Weiterer Lesetipp: Was sagt eigentlich Bertelsmann zum Kollegah-Skandal? (welt.de, Christian Meier) Dort taucht auch die in den sozialen Medien heftig kritisierte Stellungnahme eines BMG-Sprechers auf: „Zweifellos haben einige der Texte auf ,JBG3’ (das Album) viele Menschen tief verletzt. Auf der anderen Seite haben sich viele Menschen eindeutig nicht gekränkt gefühlt (…).“
Und für all diejenigen, die mehr über die Hintergründe und die strittigen Textstellen erfahren wollen, hat Christian Buß auf “Spiegel Online” einen Tipp: „Die TV-Doku “Die dunkle Seite des deutschen Rap” beleuchtet, wie tief der Antisemitismus bei Kollegah und Co. verankert ist. Hätten die Echo-Verantwortlichen doch diesen Film gesehen.“

Verhaftet und bedroht, Mahnmal “Heinsberg Protokoll”, Leere Stühle

1. Verhaftet, angegriffen, bedroht
(sueddeutsche.de, Paul-Anton Krüger)
In einigen Ländern ist es schwer bis nahezu unmöglich, über die Corona-Pandemie zu berichten. Wer es dennoch tut, werde mit Arbeitsverbot belegt, drangsaliert, bedroht und bestraft. Besonders stark werde die Pressefreiheit laut “Reporter ohne Grenzen” derzeit zum Beispiel im Irak, in China und in Ägypten eingeschränkt.

2. 7+1 Ideen für Social-Distancing-Journalismus
(freienbibel.de, Anja Reiter & Jakob Vicari)
Freie Journalisten und Journalistinnen haben es derzeit besonders schwer: Weil es schwerer geworden ist, Abnehmer für Geschichten zu finden, aber auch, weil es schwerer ist, über Menschen zu schreiben, wenn man sie nicht persönlich treffen darf. Anja Reiter und Jakob Vicari haben “7+1” Vorschläge für einen gelingenden “Social-Distancing-Journalismus” — das reicht von Berichten aus dem virtuellen Raum bis hin zu kollaborativen Recherchen und Drohnenjournalismus.

3. VICE-Recherche: So radikalisiert Xavier Naidoo seine Fans mit Verschwörungstheorien
(vice.com, Sebastian Meineck)
Sebastian Meineck sieht in Xavier Naidoo mehr als einen vereinzelten Promi, der den Bezug zur Realität verloren habe: “Hinter Verschwörungserzählungen über gefolterte Kinder stecken gefährliche Weltanschauungen, die Menschen Angst machen und zu Gewalt treiben können. Auch der mutmaßliche Attentäter von Hanau sprach in einem seiner Videos von Kindern, die im Geheimen getötet würden. Der Fall Naidoo macht sichtbar: Verschwörungsglauben ist ein unterschätztes Problem, das weit über die Fantasien eines Sängers hinausgeht.”

4. Das üble Geschäft mit der Corona-Angst
(freitag.de, Katharina Nocun)
Katharina Nocun schreibt über erfolgreiche Quacksalber, windige TV-Evangelisten und geschäftstüchtige Scharlatane, die in der Corona-Pandemie ein Geschäft wittern.

5. Heinsberg: Fragwürdige Arbeit von Storymachine
(ndr.de, Sebastian Friedrich)
Sebastian Friedrich ist für das Medienmagazin “Zapp” den fragwürdigen Vorgängen um die mediale Vermarktung des sogenannten “Heinsberg Protokolls” nachgegangen und hat dazu auch einen Vertreter der Organisation “Lobbycontrol” befragt.
Weiterer Lesehinweis: In einem Gastbeitrag für “Meedia” bezeichnet der Kommunikationsexperte Jens Rehländer das “Heinsberg Protokoll” als “ein Mahnmal missglückter Wissenschaftsvermittlung”.

6. Warten auf Merkel: Medien, die auf Stühle starren
(yotube.com, Übermedien, Video: 3:55 Minuten)
Mittwochnachmittag. Die Medien warten gespannt auf die Pressekonferenz von Angela Merkel zu ihrem Gespräch mit den Ministerpräsidenten. Auch in den TV-Redaktionen herrscht große Spannung, und so wird immer wieder zum Ort des Geschehens geblendet. Dort ist jedoch wenig zu sehen, außer ein paar leeren Stühlen. Boris Rosenkranz mit einem oscarreifen Zusammenschnitt: “Medien, die auf Stühle starren”.

Bauers Daniel-Küblböck-Lüge, “Welt” schrumpft, Händewaschen in Wien

1. “InTouch” hat zu Daniel-Küblböck-Lüge nichts zu sagen
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Der Bauer-Verlag geht bei der Jagd auf Klicks gerne mal über Leichen. Ein Beispiel: Ein besonders verwerflicher Versuch der Promi-Postille “InTouch”, mit dem verstorbenen Daniel Küblböck Reichweite und Kapital zu generieren. Medienkritiker Stefan Niggemeier hat den Fall dem Presserat gemeldet und Antwort erhalten: Der Bericht verletze die Wahrhaftigkeit und das Ansehen der Presse. Der Bauer-Verlag hat den Artikel daraufhin von der Website entfernt – mehr oder weniger achselzuckend.

2. Springer: Kürzungen bei “Welt”, “WamS” auch samstags
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Seit Jahren geht es bei der gedruckten “Welt” abwärts. Allein im ersten Quartal 2021 sei die harte Auflage – also die Summe aus Abo- und Einzelverkauf – um mehr als 20 Prozent auf nur noch 42.000 Exemplare gesunken. Nun hat der Axel-Springer-Verlag ein neues “redaktionelles Konzept” für die “Welt” angekündigt. Und das besteht anscheinend hauptsächlich darin, den Umfang der Zeitung zu reduzieren.

3. Die AfD läuft sich auf TikTok warm
(belltower.news, Thilo Manemann & Theresa Lehmann)
Die AfD habe es laut Thilo Manemann und Theresa Lehmann längst geschafft, sich in den großen Sozialen Medien Räume zu sicher, und versuche nun, das nächste Netzwerk zu erobern: “Gerade hier funktioniert aber die demagogische Sprache der Partei besonders gut, da sie viele Reaktionen hervorruft und so durch die Algorithmen größere Reichweite erhält. Nachdem es den Rechtsradikalen auf Facebook, Twitter und Instagram gelungen ist, Unterstützer:innen zu finden, heißt das neue Ziel TikTok.”

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4. Es gibt mehr Meinungsfreiheit als je zuvor – Wir müssen schauen, dass das so bleibt
(volksverpetzer.de, Constantin Huber)
Die Meinungsfreiheit sei vielleicht so frei wie noch nie, findet Constantin Huber in einem Gastbeitrag für den “Volksverpetzer”. Es müsse jedoch auch Gegenrede möglich sein: “Die Angst der Mehrheitsgesellschaft vor Kritik, wenn öffentlich Unsinn verbreitet wird, fußt auf falschen Prämissen. Das zur Verantwortung ziehen von Menschen, die Fragwürdiges äußern, das Hinterfragen von Privilegien & Machtstrukturen, das Eindämmen von sektenhaften Handhabungen und begründete Einschränken der Meinungsfreiheit sind nicht per se verwerflich, sondern in der Regel der Gesellschaft enorm dienlich.”

5. “Es sind strukturelle Probleme”
(taz.de, Volkan Ağar)
Daniela Kraus ist Generalsekretärin des in Wien ansässigen Presseclubs Concordia, der sich für unabhängigen Journalismus und die Interessen von Journalistinnen und Jour­na­lis­ten einsetzt. Im ihrem Gespräch mit der “taz” geht es um die massiven strukturellen Probleme bei der Unabhängigkeit (beziehungsweise der Abhängigkeit) der österreichischen Medienlandschaft. So nutze die Regierung ihre Inseratenpolitik als Druckmittel gegenüber Medien. Die Boulevardmedien führen im Gegenzug Kampagnen, “die entweder Abstrafung dafür sind, dass sie nicht genug Werbung bekommen, oder eine Drohgeste, damit mehr kommt.”

6. Der SPIEGEL – die Lage am Morgen: Korrekturhinweis
(spiegel.de, Martin Knobbe)
Der “Spiegel” ist auf eine satirische CDU-Fake-Gruppe hereingefallen. In einem Korrekturhinweis schreibt der Leiter des “Spiegel”-Hauptstadtbüros Martin Knobbe: “Wir haben heute in der »Lage am Morgen« auf eine angekündigte Pressekonferenz eines »CDU-Zukunftsrates« hingewiesen. Wie das Konrad-Adenauer-Haus mitteilt, handelt es sich offenbar um eine Fake-Gruppierung, kreiert von Klimaschützern.”

Das “Hallo”-Rätsel, Nach Kritik degradiert, TikToks Versagen

1. Aber Hallo
(rums.ms, Constanze Busch)
Warum bleiben in Münster jede Woche große Stapel der Gratiszeitung “Hallo” unverteilt an der Straße liegen? Dieser Frage sind die Digitaljournalistinnen und -journalisten von “Rums” (“Neuer Journalismus für Münster”) mit detektivischer Neugier nachgegangen und haben in einen der rumliegenden Stapel einen GPS-Tracker gesteckt. Die Recherche hat Spannendes zutage gefördert und die Erkenntnis gebracht, dass es wirtschaftlich interessant sein kann, ein Gratisblatt zu drucken und sofort danach zu vernichten.

2. Kulturchef nach Kritik am Verleger degradiert
(zeit.de, Johannes Schneider)
Als Ungarns Regierungschef Viktor Orbán kürzlich in Deutschland weilte, wurde er vom Verleger Holger Friedrich (“Berliner Zeitung”) zu einem Podiumsgespräch eingeladen. Dies wurde von Hanno Hauenstein, bis dahin Leiter des Kulturressorts der “Berliner Zeitung”, auch auf Twitter kritisiert (“for the record: ich halte es nicht für sinnvoll, Viktor #Orbán zu Gesprächen einzuladen.”). Daraufhin habe Hauenstein seinen Posten als Ressortleiter verloren, dürfe jedoch weiterhin für “seine Themen” zuständig sein.

3. TikTok erlaubt Werbung mit Falschinformationen
(spiegel.de)
Die NGO Global Witness und Forscher der New York University haben untersucht, wie Social-Media-Plattformen mit Fake News in Anzeigen zur Wahl umgehen. Die Untersuchung habe große Mängel beim Umgang mit falschen Informationen in politischen Werbeanzeigen offenbart: “Die Kurzvideo-App TikTok etwa hat 90 Prozent aller getesteten Anzeigen freigeschaltet, obwohl diese den Richtlinien der Plattformen widersprachen.”

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4. Focus bewirbt ein Gespräch mit dem “Wildpflanzenexperten” Markus Strauß über Lieferengpässe und Blackouts
(twitter.com, Sebastian Lipp)
Der Journalist Sebastian Lipp kritisiert den “Focus”. Dieser habe ein Gespräch mit dem “Wildpflanzenexperten” Markus Strauß über Lieferengpässe und Blackouts veröffentlicht und dabei Entscheidendes nicht erwähnt: Strauß pflege eine Nähe zur rechtsesoterischen Anastasia-Bewegung und anderen Rechten und vertrete selbst entsprechende Positionen. Und auch der Host der Show sei “nicht ganz ohne”.
In diesem Zusammenhang noch ein Hörtipp: Für ihre sechsteilige Podcast-Produktion “Seelenfänger” (BR) sind Emeli Glaser und Dennis Müller dem Anastasia-Kult nachgegangen: “Sie besuchen Anastasia-Landsitze, begleiten Aussteiger bei der schwierigen Rückkehr in die Normalität und kommen am Ende sogar in Kontakt mit dem Gründer des Kults, dem russischen Autor Wladimir Megre.”

5. Die ungewisse Zukunft von Mateschitz’ multimillionenschwerem Medienreich um Servus TV und Redbull.com
(derstandard.at, Harald Fidler)
Der österreichische Milliardär und Red-Bull-Inhaber Dietrich Mateschitz ist im Alter von 78 Jahren gestorben. Mateschitz war nicht nur Brause-Produzent, sondern hinterlässt auch ein Hunderte Millionen Euro schweres Medienimperium – von der Streamingplattform redbull.com über das Magazin “Terra Mater” bis Servus TV. Wie geht es mit dem zweitgrößten Medienkonzern Österreichs weiter?

6. Politik-Vermittlung im Fernsehen: Geht das auch in leichter?
(dwdl.de, Peer Schader)
Peer Schader hat sich die “ProSieben Politik Show” mit Linda Zervakis und Louis Klamroth angeschaut. Er fragt sich: “Warum tun sich die Sender so schwer damit, neue Zielgruppen mit aufgelockerten Formaten zu erreichen, in denen relevante Themen diskutiert werden?”
Und noch etwas leichte Kost hinterher: Für web.de hat Christian Vock eine recht vergnüglich zu lesende Kritik der “RTL Wasserspiele” verfasst.

neu  

Herr Pocher hat Recht

Heute vor einer Woche rückte “Bild” auf der Titelseite Oliver Pocher in die Nähe von Kinderschändern. Mehrere Wochen, nachdem er bei Johannes B. Kerner über das Thema Kindesmissbrauch gesprochen hatte, verkürzte und verdrehte das Blatt seine Aussagen (siehe hier). Pocher setzte gerichtlich eine Gegendarstellung durch, die sich heute auf der Homepage von bild.de und auf der Seite 1 der “Bild”-Zeitung findet:

Auf der BILD-Titelseite vom 20. Oktober 2004 schreiben Sie in einer Überschrift über mich: „Oliver Pocher TV-Star schützt Kinder-Schänder“.

Weiter heißt es dort: „… Der Komiker gab in der Kerner-Talkshow zu, von einem Kindesmißbrauch zu wissen. Den Täter zeigte er aber nicht an!“

Hierzu stelle ich fest: Der hierdurch erweckte Eindruck, ich würde aktuell einen Kinderschänder schützen, ist falsch. Meine Aussage in der Sendung Kerner bezog sich auf einen Fall, von dem ich vor zehn Jahren erfahren habe und der zum damaligen Zeitpunkt bereits 3 Jahre zurücklag. Die Tat ist verjährt und den Behörden bekannt.

Die Redaktion hat dem Text einen Satz hinzugefügt:

Herr Pocher hat Recht.

Das ist interessant. Denn gegenüber der FAZ hatte “Bild” vergangene Woche noch beharrt, im Recht zu sein. Und die Gegendarstellung hat “Bild” nicht freiwillig gedruckt, sondern erst, nachdem Pocher eine entsprechende Gerichtsentscheidung erreicht hatte. Von der Managerin des TV-Komikers ist zu erfahren: Entschuldigt habe sich “Bild” bei Oliver Pocher bis heute nicht.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Korrektur, 18.30 Uhr: Pochers Anwalt Christian Schertz sagt, eine Gerichtsentscheidung zur Erzwingung der Gegendarstellung sei nicht nötig gewesen. “Bild” habe die Gegendarstellung gedruckt, nachdem er die Zeitung abgemahnt habe. Am heutigen Donnerstag habe sich die “Bild”-Reporterin auch bei Pochers Managerin entschuldigt.

Cui bono?

Dies ist die heutige “Bild”-Schlagzeile:

Und die Stellen, an denen “Bild” erklärt, warum das die heutige “Bild”-Schlagzeile ist, sehen maßstabsgetreu ungefähr so aus:


Es handelt sich dabei um neun kleine Worte (“Nun ist er als Chef der CSU im Gespräch”), irgendwo mitten in einem Seite-2-Kommentar, 20 kleine Worte am Anfang eines Seite-2-Artikels (“In der Führungskrise der CSU gilt er als heißester Anwärter auf den Parteivorsitz für die Zeit nach Edmund Stoiber”). Aber der Reihe nach. Schließlich wird ohnehin niemand ernsthaft behaupten wollen, dass die Details aus dem Privatleben des CSU-Politikers Horst Seehofer, die von “Bild” heute zur Titelschlagzeile gemacht werden, zufälligerweise gerade heute zur Titelschlagzeile gemacht werden.

Und während Stern.de beispielsweise darauf verweist, dass “”Bild” durch die Seehofer-Schlagzeile “mit einem ungeschriebenen Gesetz der deutschen Presse” in Konflikt gerate, wonach “über das Privatleben von Politikern nicht berichtet wird — zumindest nicht ohne deren Einverständnis”, rechtfertigt “Bild” selbst den Tabubruch als moralische Entscheidung:

“Wer sein Privatleben groß plakatiert, wer es politisch einsetzt, muss sich daran messen lassen. Und genau das tun wir.”

So jedenfalls steht es, sprachlich etwas holprig, am Ende des erwähnten Seite-2-Kommentars. Und das wirkt so scheinheilig wie der vorgebliche, auf geradezu alberne Art irreführende Anlass für die Veröffentlichung über Seehofers “heimliche Freundin” (“Jetzt ist die 32-Jährige schwanger — vierter Monat!”, “Wie erklärt er das seiner Frau?”): Horst Seehofers “Baby mit heimlicher Geliebten” ist nicht die Promi-Geschichte mit Herzschmerz, die ebenso gut auch anderntags und anderswo hätte in “Bild” stehen können, als die sie uns die neue “Bild”-Chefreporterin Verena Köttker heute auf Seite 2 verkauft (siehe Ausriss).

Wenn seit Wochen öffentlich und parteiintern über die weitere politische Karriere des CSU-Vorsitzenden Edmund Stoiber nachgedacht, wenn Horst Seehofer als möglicher Stoiber-Nachfolger gehandelt wird und dieser Tage im bayerischen Wildbad-Kreuth die alljährliche Klausurtagung der CSU stattfindet, profitiert beileibe nicht nur die “Bild”-Zeitung von ihrem Scoop.

Im Gegenteil warnt Stern.de davor, sich mit solchen Berichten “politisch instrumentalisieren zu lassen”. Und auch andernorts wird spekuliert, wer denn die Seehofer-Geschichte lanciert habe. (Erstaunlicherweise verteilt die bayerische Staatskanzlei angeblich ein Fax der “Bild”-Redaktion, in dem die Behauptung, Gerüchte um Minister Seehofer wären gezielt aus dem Umfeld der Staatskanzlei an ‘Bild’ gestreut worden, als “blanker Unsinn” dementiert werden, was wiederum Lawblog.de zu der Frage veranlasst, “ob Bild auch so vehement abstreitet, wenn andere verdächtige Kreise genannt werden”.)

Wir aber halten fest: “‘Bild” macht sich bewusst zum Handlanger der (parteipolitischen) Interessen anderer — entweder um von der Aufmerksamkeit zu profitieren oder weil die (parteipolitischen) Interessen anderer auch ihre eigenen sind.

Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan

Ende April, also vor sechs Wochen, hatte “Bild” bekannt gegeben, dass der Afrika-Aktivist Bob Geldof kurz vorm anstehenden G8-Gipfel “für 1 Tag BILD-Chefredakteur” werden würde. Der Ankündigung folgte eine sechsteilige “Bild”-Serie “Sir Bob Geldof exklusiv in BILD” und am vergangenen Freitag schließlich Geldofs “Afrika-BILD”.

“Pop trifft Politik”

Geldof erinnerte Merkel laut “Bild” unter anderem an die Zusage, “die Entwicklungshilfe bis 2010 auf 0,51 Prozent der Wirtschaftskraft der G8-Staaten anzuheben”, Merkel erwiderte, die deutsche Entwicklungshilfe werde “2008 um etwa 750 Millione Euro aufgestockt”, Geldof fand das zu wenig, Merkel erwiderte, man werde gemachte Zusagen erfüllen.

“Bild” hatte Bob Geldof gelobt, Bob Geldof hatte sich bei “Bild” bedankt — und Bundeskanzlerin Angela Merkel treffen dürfen (O-Ton Geldof: “Angela Merkel ist eine Vermittlerin, wie sie im Buche steht. (…) Diese Frau hat echt was im Kopf. Zu meiner Überraschung ist Angela Merkel aber auch eine sehr warmherzige Persönlichkeit. Mit ihrem Intellekt habe ich gerechnet, aber nicht mit dieser Wärme und Offenheit”). Geldofs Interview mit Merkel (siehe Kasten) war einer der Höhepunkte seiner “Afrika-BILD”.

Tags drauf durfte Bob Geldof noch einmal sagen, wie gut ihm seine “Afrika-BILD” gefallen hat und dass sein Tag als “BILD-Chefredakteur” einer der besten Tage seines Lebens gewesen sei.

Danach wurde es in “Bild” stiller um Geldof:

  • eine kurze Meldung aus London: “Bob Geldof (55) und Naomi Campbell (37) unterstützen die Krebs-Stiftung”
  • eine kurze Meldung aus Rostock: “Pop-Stars wie Herbert Grönemeyer, U2-Sänger Bono, Bob Geldof und die ‘Die Toten Hosen’ haben gestern bei einem Konzert in Rostock vor 70000 Zuhörern ihre ‘Stimmen gegen Armut’ erhoben.”
  • und am vergangenen Donnerstag unter der Überschrift “G8-News: Bauern wollen Geld für zertrampelte Felder” dies:

    (…) Kanzlerin Merkel traf gestern auch mit Bono und Bob Geldof zusammen (Foto) – die Popstars forderten sie zu einer Umsetzung der Versprechen gegenüber Afrika auf. Abends wollte Geldof, der erst vor wenigen Tagen eine BILD-Afrika-Ausgabe gestaltet hatte, auch mit US-Präsident Bush sprechen. (…)

Anderen Medienberichten zufolge gibt diese kurze Zusammenfassung vielleicht nicht so ganz den Kern des Treffens zwischen Bono, Geldof und Merkel wieder. Und dass Geldof den G8-Gipfel gestern abschließend als “Farce” bezeichnet hatte, weil sich Merkel “zwar bei einem Treffen ihre Vorschläge für eine größere Afrikahilfe angehört, aber leider alle zurückgewiesen” habe und das G8-Abschlussdokument zu Afrika [pdf] “ein zynischer Text” sei, in dem lediglich alte Versprechungen wiederholt würden, findet sich heute in der kläglichen “Bild”-Formulierung (“Bob Geldof und Bono kritisierten die Beschlüsse.”) wieder. Es gibt schließlich, nun ja, Wichtigeres.

Und außerdem hatte “Bild” diese leidige Afrika-Sache doch bereits gestern schon auf gewohnte Weise abgehakt:

Wie “Bild” gegen den Mindestlohn kämpft

Wenn sich die “Bild”-Zeitung gegen die Meinung der überwältigenden Mehrheit ihrer Leser stellt, lohnt es sich fast immer, genauer hinzuschauen. Rund 90 Prozent der Deutschen sind laut einer Umfrage von Infratest dimap für Mindestlöhne entweder in allen oder bestimmten Branchen. In “Bild” stand diese oder eine ähnliche Zahl nicht. Dafür aber seit drei Wochen Tag für Tag ein beeindruckendes publizistisches Trommelfeuer gegen den Mindestlohn im Allgemeinen und bei den Briefzustellern im Besonderen.

“Bild”, 19. September:

MINDESTLOHN Ist das wirklich gut für die Beschäftigten?

Nein, sagen Experten! Wirtschaftsweiser Prof. Wolfgang Franz zu BILD: “Die Erfahrung zeigt, dass Mindestlöhne Jobs kosten, vor allem bei den Geringqualifizierten. Ein Mitarbeiter darf ein Unternehmen nicht mehr kosten, als er der Firma einbringt. (…)”

Nach Berechnungen des Ifo-Instituts würde ein bundesweiter Mindestlohn von 7,50 Euro/Stunde rund 1,1 Millionen Arbeitsplätze in Deutschland vernichten. (…)

Welche Folgen hätte der Mindestlohn für die privaten Post-Firmen?

Laut Branchenverband DVPT würden die Kosten der Betriebe dadurch deutlich steigen. Verbandschef Elmar Müller: “Von den rund 750 privaten Post-Unternehmen müßten 200 um ihre Existenz bangen.” Tausende Jobs wären bedroht.

“Bild”, 20. September:

MINDESTLOHN? Dann gehen wir pleite!

“Bild”, 26. September:

“Steuerbefreiung statt Mindestlohn!”

Prof. Ulrich Blum (54), Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle: “Forderungen nach Mindestlöhnen sind völlig falsch! Sie steigern erst Kosten, dann die Arbeitslosigkeit.”

“Bild”-Kommentar, 29. September:

Mindestlöhne vernichten Arbeitsplätze!

(…) gesetzliche Mindestlöhne gefährden Arbeitsplätze. Das angesehene Ifo-Institut rechnet damit, dass die Einführung eines bundesweiten Mindesteinkommens mehr als eine Million Stellen vernichten könnte. (…)

Dass durch gesetzliche Mindestlöhne neue Jobs entstehen, ist ein Märchen. Das Gegenteil ist richtig!

“Bild”, 1. Oktober:

Ein Mindestlohn für die Post-Branche würde bis zu 50 000 Arbeitsplätze vernichten, befürchtet das Bundeswirtschaftsministerium (“Spiegel”).

“Bild”, 4. Oktober:

Herr Gerster, warum sind Sie gegen Mindestlöhne?

BILD-Interview mit Florian Gerster (58), dem ehemaligen Arbeitsminister und Chef der Bundesagentur für Arbeit, heute Präsident des Arbeitgeberverbandes Neue Brief- und Zustelldienste

(…) Ein Mindestlohn von 9,80 Euro schützt nicht die Arbeitnehmer, sondern vernichtet Arbeitsplätze.

“Bild”-Kommentar, 4. Oktober:

… der arbeitsplatzfeindliche Mindestlohn …

“Bild”, 5. Oktober:

US-Nobelpreisträger warnt vor Mindestlohn

“Bild”, 8. Oktober:

Mindestlohn? Der kostet uns den Job!

(…) Die privaten Postkonkurrenten warnten am Wochenende erneut davor, dass eine Mindestlohn-Höhe von bis zu 9,80 Euro pro Stunde bis zu 50000 Jobs gefährdet.

“Bild”-Kommentar, 8. Oktober:

Auch einen Mindestlohn gibt es nicht zum Nulltarif. Wenn der Staat festsetzt, was ein Arbeitnehmer zu bekommen hat, wird mancher Chef seinen Laden zumachen müssen und Angestellte vor die Tür setzen. (…)

Mindestlohn ohne “Mindestgewinn” kostet Arbeitsplätze, belastet die Sozialkassen und würgt den Aufschwung ab.

In den ganzen drei Wochen lässt “Bild” keinen einzigen unabhängigen Experten zu Wort kommen, der sich für den Mindestlohn ausspricht. (Dabei gibt es sie durchaus, und sie verweisen zum Beispiel auf die positiven Wirkungen, die der Mindestlohn auf den Arbeitsmarkt in Großbritannien und den USA gehabt habe.) Nur DGB-Chef Michael Sommer wird mit einem kurzen Plädoyer für den Mindestlohn zitiert.

Der “Bild”-Leser findet in dieser Zeit auch keinen Hinweis darauf, was “Bild” motivieren könnte, so massiv gegen den Mindestlohn zu kämpfen. Dabei gibt es eine einfache Antwort: Die Axel Springer AG, die “Bild” herausgibt, hat vor einem Vierteljahr für eine halbe Milliarde Euro die Mehrheit an der PIN-AG erworben, einem privaten Briefzusteller. Die PIN-AG ist mittlerweile der zweitgrößte deutsche Anbieter und hat mehr als 7000 Mitarbeiter.

Wie “Bild” erklärt, die eigenen Interessen nicht offenlegen zu müssen
 
“Wenn über das Thema Mindestlöhne berichtet wird, ist das nicht ein Thema der PIN, sondern betrifft in erster Linie alle privaten Postdienstleister…”
 
“Bild”-Sprecher Tobias Fröhlich gegenüber “Report Mainz”

Das ARD-Magazin “Report Mainz”, berichtete gestern ausführlich über die Anti-Mindestlohn-Kampagne der “Bild”-Zeitung und anderer Springer-Blätter. Dort sagte der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel, Springer spekuliere bei der PIN-AG auf Niedriglöhne, sonst gehe die Kalkulation des Unternehmens nicht mehr auf (PIN-Mitarbeiter berichteten gegenüber “Report Mainz” und “Plusminus” von Stundenlöhnen von unter 5 Euro.). Ein Sprecher der Gewerkschaft Ver.di sagte “Report Mainz”, “der Druck auf die Journalisten” bei Springer, im Interesse des Post-Engagements des Verlages zu berichten, sei “sehr groß”. Er sprach von “Aktionärsjournalismus”.

Der von “Bild” in den vergangenen drei Wochen viermal in Sachen Mindestlohn zitierte Präsident des neuen Arbeitgeberverbandes “Neue Brief- und Zustelldienste”, Florian Gerster, ist übrigens laut “FAZ” auf Druck von Springer an diese Position gekommen.

Vielen Dank an alle Hinweisgeber!

Fortsetzung hier…

… und nichts als die halbe Wahrheit

Beim Linksabbiegen hat ein Autofahrer im Oktober 2007 einen entgegenkommenden Motorradfahrer tödlich verletzt. Der Autofahrer hatte keinen Führerschein. Er wurde gestern vom Amtsgericht Dortmund wegen fahrlässiger Tötung zu einer Bewährungsstrafe von neun Monaten verurteilt bzw. “marschiert wieder in die Freiheit”, wie “Bild” heute formuliert, weil der Richter “ihn laufen ließ”.

“Bild”-Schlagzeilen

  • “Mit dickem BMW: Sozialhilfe-Empfänger raste Biker tot”
    (Überschrift vom 21.4.2008)
  • “Kein Asyl, kein Führerschein:             fährt Motorrad-Fahrer tot! …und marschiert wieder in die Freiheit”
    (Überschrift vom 22.4.2008)

Zuallererst aber nennt “Bild” seinen Vornamen, seine Nationalität (“Bild” gestern: “           * ist Iraker.” – “Bild” heute: “Er ist Iraker”), den Autotyp (“ein dicker 5er BMW”). “Bild” hat sein Gesicht weniger als halbherzig anonymisiert und schreibt zudem, er sei in Deutschland “nur ‘geduldet'”, bekomme “60 Euro Sozialhilfe monatlich” und sei “bereits dreimal wegen Verkehrsdelikten erwischt” worden, u.a. offenbar “wegen Fahrens ohne Führerschein”. Letzteres spricht – anders als seine Nationaliät und sein sozialer Status – fraglos gegen den Unfallverursacher mit dem “Luxusschlitten (zugelassen auf die Freundin)”. Und trotzdem nur “9 MONATE AUF BEWÄHRUNG” für den “Todesfahrer”?

Vielleicht aber liegt das Unverständnis über das Urteil, das sich beim Lesen des “Bild”-Artikels fast unwillkürlich einstellen will, nicht nur am Urteil selbst. Dort, wo “Bild” sich mit irrelevanten und ausländerfeindlich anmutenden Details aufhält, wäre hinreichend Platz gewesen für das, was uns auf Anfrage ein Gerichtssprecher sagt:

Der Motorradfahrer ist zu schnell gefahren. Hätte er die zulässige Geschwindigkeit nicht überschritten, wäre es nach der Vermeidbarkeitsberechnung eines Gutachters nicht zum Zusammenstoß gekommen.

Offenbar wollte “Bild” die Meinungsbildung ihrer Leser nicht mit dieser Information verkomplizieren.

*) Unkenntlichmachung von uns.

“Bild” der Frau

Am 24. Mai dieses Jahres verkündete die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau auf einer Pressekonferenz, dass es zwei Festnahmen wegen eines Sexualmords gegeben hat. Eine chinesische Studentin wurde zwei Wochen zuvor erst vergewaltigt und dann umgebracht. Die beiden mutmaßlichen Täter — ein Mann und eine Frau — sind Deutsche.

Am nächsten Tag titelte die “Bild”-Zeitung:

Dazu schrieb die Redaktion:

Zwei Deutsche sind dringend tatverdächtig, vergewaltigt und sogar gemordet zu haben. Aber kann und darf die Tat mit ihrer Herkunft in Verbindung gebracht werden? Die Fakten, die Debatte, was Deutsche sagen — SEITE 7

Stop! Natürlich hat “Bild” nicht so getitelt und auch nicht diesen Text veröffentlicht. Das haben wir uns nur ausgedacht. Zum Glück hat “Bild” nicht so getitelt und auch nicht diesen Text veröffentlicht. Denn was wäre das für eine irrsinnige Debatte: Zwei Deutsche sollen eine schreckliche Tat gegen eine Frau verübt haben — und schon diskutiert man über das Frauenbild aller Deutschen? Ein Rückschluss von zwei Personen auf eine Gruppe von Millionen von Menschen? Und dann müssen sich Personen aufgrund ihrer Herkunft noch von den Taten, mit denen sie rein gar nichts zu tun haben, distanzieren, sich erklären?

Gestern verkündete die Staatsanwaltschaft Bochum auf einer Pressekonferenz, dass es eine Festnahme wegen Vergewaltigung und versuchten Mordes gegeben hat. Zwei chinesische Studentinnen wurden im August beziehungsweise im November vergewaltigt. Der mutmaßliche Täter — ein Mann aus dem Irak — ist als Flüchtling nach Deutschland gekommen.

Heute titelt die “Bild”-Zeitung:

Dazu und zu einem Sexualmord in Freiburg, bei dem der mutmaßliche Täter aus Afghanistan stammt, schreibt die Redaktion:

Zwei Flüchtlinge sind dringend tatverdächtig, vergewaltigt und in einem Fall sogar gemordet zu haben. Aber kann und darf die Tat mit ihrer Herkunft in Verbindung gebracht werden? Die Fakten, die Debatte, was Flüchtlinge sagen — SEITE 7

Diese Schlagzeile und diesen Text wiederum haben wir uns nicht ausgedacht. Das ist so alles tatsächlich heute erschienen.

Auch diese Debatte ist natürlich irrsinnig. Es fängt schon damit an, wer “die Flüchtlinge” sein sollen, über deren Frauenbild “Bild” gerne debattieren möchte. Sind es die Flüchtlinge aus dem Irak und aus Afghanistan, weil die Taten vermutlich von einem Iraker und einem Afghanen verübt wurden? Sind es die Flüchtlinge aus Syrien? Die aus Nigeria? Aus Eritrea? Aus Albanien? Aus Russland? Und selbst wenn man sich auf zwei oder drei Herkunftsländer festlegen würde, ist die Verallgemeinerung noch immer dieselbe.

“Bild”-Chefin Tanit Koch hat heute morgen getwittert, dass ja auch der Oberbürgermeister von Freiburg, der Grünen-Politiker Dieter Salomon, im Interview mit dem “Deutschlandfunk” das problematische Frauenbild von Flüchtlingen erwähnt hat:

Das stimmt. Das Frauenbild der beiden Flüchtlinge, die in Freiburg beziehungsweise in Bochum festgenommen wurden, ist, sollten sie sich als die tatsächlichen Täter herausstellen, ganz sicher ein Problem. Und es wird unter den vielen Flüchtlingen auch noch viele weitere Männer geben mit einem sehr problematischen Frauenbild. Zwischen Salomons Aussage über “manche Flüchtlinge” und Tanit Kochs Schlagzeile über die Flüchtlinge liegen aber Welten. Es gibt schließlich auch manche Österreicher, manche Portugiesen, manche Deutschen, manche Kölner, manche Berliner mit einem ausgesprochen problematischen Frauenbild. Aber es sind eben nicht die Österreicher, nicht die Portugiesen und so weiter. Und “Bild” würde auch nicht auf die Idee kommen, nach zwei Sexualmorden durch Franzosen verallgemeinernd eine Debatte “um das Frauenbild von Franzosen” auszurufen.

Das soll freilich nicht das Geschehene relativieren. Aber die Suche nach den Ursachen für so grausame Taten wie in Bochum und in Freiburg erfordert schlicht mehr als einen Blick in den Reisepass. In einem lesenswerten Interview mit WDR.de erklärt der Kriminologe Christian Pfeiffer, dass Nationalitäten bei Kriminalität keine Rolle spielten:

“Richtigerweise müsste gefragt werden: Wie sind die Merkmale von Männern, die Frauen vergewaltigen? Dann merken Sie, dass Nationalität bei Kriminalität keine Rolle spielt, aber sehr wohl Faktoren, die in der Kindheit prägend sind. Männer, die als Kinder zum Beispiel von ihren Eltern geprügelt wurden, die Ohnmacht oder wenig Liebe erfahren haben, neigen später dazu, ihr Sexualverhalten als Machtspiel zu gestalten und die Demütigung des Gegenübers als einen lustvollen Aspekt zu erleben.”

Und zum Einfluss der Kultur:

Macho-Kultur baut sich also drastisch ab durch einen kulturellen Lernprozess. Das sind keine festen Merkmale bestimmter Nationen, sondern kulturell gelernte Verhaltensmuster, die sich sehr schnell auch verflüchtigen, wenn die Menschen eine Integrationschance haben.

In einigen Kommentaren zur heutigen “Bild”-Schlagzeile findet man den Hinweis, dass die “Bild”-Medien mit ihren ständigen Bikini-Fotos und Busen-Wortspielen ebenfalls ein ganz besonderes Frauenbild propagieren. Nun muss man sicher zwischen brutaler Unterdrückung von Frauen in manchen Ländern und den Herrenwitzen der “Bild” unterscheiden. Und dennoch führen ganz bestimmt auch das ständige Reduzieren von Frauen auf ihr Aussehen, das ständige Lustigmachen über ihr Aussehen, das ständige Degradieren zum Lustobjekt, das Desinteresse an ihren Leistungen, das Abdrucken von Nippelblitzern und “Huch, Höschen vergessen”-Bildern zu einem schiefen, problematischen Frauenbild. “Bild” und Bild.de hämmern ihren Lesern dieses Frauenbild seit Jahren und Jahrzehnten ein. Unsere Beobachtung ist, dass es unter der ersten Chefredakteurin der “Bild”-Zeitung nicht besser geworden ist.

Dieses Blatt nimmt jetzt also “das Frauenbild von Flüchtlingen” in Angriff. Der zugehörige Artikel ist übrigens weitaus differenzierter und weniger reißerisch als man nach dem Schreck über die Schlagzeile erstmal befürchten könnte.

Aber was interessiert das die Leser, die die “Bild”-Redaktion mit ihrer Pauschalschlagzeile anspricht und damit deren Ressentiments und Rassismus bedient? Auf der Facebookseite der Zeitung geht es aktuell ordentlich rund. “Bild” scheint dabei kein großes Interesse an einer Moderation der “Debatte um das Frauenbild von Flüchtlingen” zu haben:

Schwanz ab und raus

wir schaffen das … nur Geduld, lasst euch ermorden und vergewaltigen . Und immer daran denken , 1 Armlänge Abstand dann passiert nix …. armes Deutschland

Aha……kommen damit nicht klar….ich brech im Kreis….und das gibt ihnen das Recht zu morden und zu vergewaltigen? RAUS MIT SOLCHEM PACK!!!!!!

Der Islam passt hier in Deutschland nicht rein! Und trotzdem nehmen wir diese degenerierten Affen auf, naja wie heißt es so schön jeder (Land) ist seines Glückes Schmied.

Sofort am wand stehlen

Das Problem lässt sich nicht lösen…. die Menschen sind unter schweren Bedingungen groß geworden….. das ist alles so scheissegal was dieses Dreckspack hinter sich hat, diese Elendige Bongobuschbande hat sich hier an Regeln zu halten und wenn nicht sofort raus damit scheissegal ob die dann auf der Straße sitzen… die haben hier nichts verloren, am besten garnicht erst rein lassen. Ps. Als böser Deutscher noch das Schlusswort – Refugees not welcome…

Ganz einfach egal wer Vergewaltigt, Kinder missbraucht oder Tötet hat seine Menschenrechte verloren und gehört standrechtliche Erschossen .

viel eher sind die flüchtilinge ein problem sie sind als kultur als menschen zu primitiv nicht zivilisiert genug deswegen last sie untersich irgend wo auf der welt noch ein wenig erwacksen werden bevor man sie in eine stadt frei laufen läst , ganz friedlich und zivilisiert gesagt

Nicht das Frauenbild ist das Problem, es ist das Problem das diese Invasoren hier sind!!!

In den Knast Lebenslänglich Morgens Mittags und Abends 20 Stockschläge.So geht man mit dem Pack um ich möchte die Politiker mal hören wenn es ihr Kinder oder Frauen wären.

Deutschland fürt doch ma die Todesstrafe ein das bissen was die an Knast bekommen wow so Leute verdien kein Leben die nehmen Leben also können sie auch mit ihrem Leben bezahlen

Einfach mal eine angemessene Strafe : —Schwanz ab

Überhaupt die Flüchtlinge sind das Problem. Zumindestens die die sich hier illegal aufhalten : Leider gibt es gewissen Sachen und Gebäude nicht mehr

Nicht langen Fackeln weg mit dem Dreck,nein bin kein Rassist!

Ihr könnt euch alle bei Merkel bedanken, hoffentlich wird sie iwann mal auch vergewaltigt. So blickt sie es dann vielleicht und lässt keine Afghanen rein

Da bringt es nur eins, die Strafen hier müssen drastischer ausfallen, entweder sofortige Abschiebung oder zwangskastration.

Alle Vergewaltiger kastrieren und danach verbrennen.. Unabhängig von der Herkunft

Egal welche Nationalität solche abscheulichen Verbrechen begeht, den Tätern gehört die Rübe vom Hals geschossen !!!!!!

Keine lange diskussion !! Schwanz ab und zurück in die heimat!!!!!!!

Wenn ich meine Meinung hier reinschreiben würde dann würde das SEK in wenigen minuten vor meiner tür stehen.. Wählt die AFD

normal die arschgesichttttter haben doch nie eine normale frau gesehen.Allne zurück schicken

Die gehören in einen Knast wo sie den ganzen tag gefoltert werden , dieses dreckspack

Eine Frau ist wenig wert in diese Länder. Das hat mit fremdfeindlichkeit nichts zu tun.es ist einfach so

357 kaliber sag ich blos.auge um auge zahn um zahn steht auf schon in der bibel

Sofort Hinrichten. Da muss man nicht noch Jahre lang Verhandlung führen..

Nicht das frauenbild ist ein Problem… Die Flüchtlinge sind das Problem!

Schwanz ab! Lebenslang Knast mit Wasser+Brot+unter Aufsicht sein Leben lang Arbeiten! Natürlich ist das Wasser und das Brot sein ganzer Lohn!!!…

Hinrichten & Öffentlich um 20:15 auf allen Fernsehsendern übertragen.

Mit Dank an Jan H. und Alexander M. für die Hinweise!

Roseannes Aus, Rollenverständnis, Asoziales (Tumblr)Design

1. TV-Star Roseanne twittert sich ins Aus
(sueddeutsche.de, Beate Wild)
Die amerikanische Schauspielerin Roseanne Barr hat dem Fernsehsender „ABC“ mit der Wiederaufnahme der TV-Serie „Roseanne“ tolle Quoten beschert, doch nun hat der Sender die Serie abgesetzt. Der Grund: Eine rassistische Bemerkung Barrs über die afroamerikanische Juristin Valerie Jarrett, die als ranghohe Beraterin für Ex-Präsident Barack Obama arbeitete. Doch das Problem reicht wesentlich tiefer: So hatte Roseanne Barr sich auf Twitter bereits verschiedentlich auf unsägliche Weise geäußert, Personen denunziert und wüste Verschwörungstheorien verbreitet. Mittlerweile hat Barr auf Twitter um Entschuldigung gebeten und ihren Twitter-Rückzug angekündigt, danach jedoch eine ganze Kaskade an Tweets bzw. Retweets losgelassen, die im Widerspruch dazu stehen und Zweifel an Aufrichtigkeit und Einsicht aufkommen lassen.

Weiterer Lesehinweis: Buzzfeed mit einem Artikel über den Krieg der Hashtags und Filterblasen: Here’s How The Same #BoycottABC Hashtag Was Used By The Right And Left

2. “Journalisten müssen ihre Rolle im Blick behalten”
(deutschlandfunk.de, Hanning Voigts & Brigitte Baetz & Michael Borgers, Audio, 5:40 Minuten)
Darf man als Journalist gegen die AfD demonstrieren und anschließend wieder über die Partei berichten? Mit dieser Frage hat „Zeit”-Redakteur Martin Machowecz vor wenigen Tagen auf Twitter eine teilweise leidenschaftlich geführte Debatte ausgelöst. Der Deutschlandfunk hat sich beim Journalisten Hanning Voigts nach seiner Sicht erkundigt und lässt im Artikel weitere Journalisten zu Wort kommen.
Die „taz“ hat sich mit Debatten-Initiator Machowecz über seine Sichtweise unterhalten: „Man ist kein Zweifelnder mehr“
Weiterer Lesehinweis: Umgang mit der AfD: Ein Land hat das Stockholm-Syndrom (metronaut.de, Mikael in den Fahrt)

3. Kein Hochglanz-Smalltalk mehr
(taz.de, Carolina Schwarz)
Das Ende der 60er Jahre von Andy Warhol mitbegründete „Interview Magazine“ wird eingestellt. Zu finanziellen Schwierigkeiten kamen Vorwürfe wegen sexueller Belästigung, über die der „Boston Globe“ berichtet hatte.

4. Faktencheck: Satire-Beitrag über Claudia Roth falsch verstanden
(correctiv.org, Tania Röttger)
Eine dubiose Seite hat unter dem Label der angeblichen Satire Fake-News über Claudia Roth veröffentlicht. Dieser Artikel hat sich im Netz verbreitet und auch die Rechtsaußen-Politikerin Erika Steinbach (ehemals CDU) erreicht, die gleich zu ihrer Lieblingswaffe gegriffen hat: Twitter.

5. kontertext: Die Rassentheorie wird wieder salonfähig
(infosperber.ch, Rudolf Walther)
Der Historiker und freie Journalist Rudolf Walther wirft der „NZZ“ vor, die Rassentheorie wieder salonfähig zu machen. Dabei geht es um den Tenor eines Artikels über einen vom Genetiker David Reich ausgelösten Wissenschaftlerstreit.
(Mehr zu der Diskussion u.a. bei „Deutschlandfunk Kultur“: Wissenschaftler streiten über den Begriff “Rasse”)

6. Asoziales Design
(uarrr.org, Marcel Wichmann)
Die beliebte Blogging-Plattform „Tumblr“ hat wegen der in Europa neu geltenden Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ihre Datenschutzeinstellungen überarbeitet. Marcel Wichmann hat sich durch die benutzerunfreundlichen und verschachtelten Optionen gequält, die augenscheinlich einzig eines zum Ziel hätten: „(…) dass die Wahrscheinlichkeit möglichst gering ist, dass Leute Tumblr die Möglichkeit nehmen mit ihren Daten Geld zu verdienen. Aus Business-Sicht völlig nachvollziehbar, aber aus menschlicher Sicht einfach unmoralisch und ja, asozial.“

Geier Sturzflug (3)

Die Auflagen von “Bild” und “Bild am Sonntag” sinken weiter deutlich:

Auflagenentwicklung von Bild und Bild am Sonntag im 2. Quartal seit 1998 - aktuell verkaufte Auflage von Bild: 1,55 Millionen, aktuell verkaufte Auflage von Bild am Sonntag: 0,83 Millionen

Damit ist die verkaufte “Bild”-Auflage — die seit 2017 übrigens nur noch zusammen mit der Auflage der “Fußballbild” ausgewiesen wird — so niedrig wie vor gut 65 Jahren. Die der “Bild am Sonntag” hat ungefähr das Niveau aus dem Jahr 1957, also kurz nach Gründung des Blatts, erreicht:

Auflagenentwicklung von Bild und Bild am Sonntag seit den 1950er-Jahren
(Draufklicken für größere Version)

Zum Gesamtbild gehört allerdings auch, dass Bild.de seit Jahren mehr und mehr Visits verzeichnen kann:

Entwicklung der Visits von Bild.de seit 2002 - aktuelle monatliche Visits von Bild.de: 397,52 Millionen

Die “Bild”-Medien haben erst vergangenen Monat den fünften Geburtstag des Bezahlangebots “Bild plus” gefeiert. Und gleichzeitig 400.000 “Bild plus”-Abonnenten. Diese zahlen, je nach Abo-Modell, zwischen 3,99 Euro und 12,99 Euro pro Monat. Viele sicher auch weniger, weil es immer wieder Kombi-Spar-Angebote gibt in Zusammenarbeit mit Streaming-, Mobilfunk- und Wasauchimmer-Anbietern.

Demgegenüber steht der Verlust von etwa 980.000 “Bild”-Käufern im selben Zeitraum, die nun nicht mehr rund 20 Mal im Monat am Kiosk zwischen 75 Cent und 1 Euro bezahlen, je nach Regionalausgabe.

Mathias Döpfner, Vorsitzender des Springer-Verlags, sagte vor wenigen Tagen im Interview mit “Meedia” zur Auflagen-Entwicklung von “Bild”:

Aktuell aber freuen wir uns bei Bild, dass der Rückgang etwas verlangsamt worden ist. Der Kurs von Julian Reichelt wird von vielen Lesern begrüßt.

Diese Wertschätzung des “Kurses von Julian Reichelt” bedeutet konkret, dass “Bild” nun nicht mehr 12,3 Prozent der harten Auflage (nur Einzelverkauf und Abo, ohne Bordexemplare im Flugzeug und andere Auflagen-Kosmetik) innerhalb eines Jahres verliert, sondern nur noch 10,5 Prozent — und damit weiterhin deutlich mehr als andere überregionale Tageszeitungen. Dazu auch von uns: herzlichen Glückwunsch!

Reality-TV ohne Grenzen?, Die Ärzte in den “Tagesthemen”, Bad Practice

1. Wie weit zu weit ist
(taz.de, Carolina Schwarz)
Reality-TV scheint immer mehr von der Grenzüberschreitung zu leben. Das belegen Beispiele aus dem Ausland, aber auch welche aus dem Inland. In Sendungen wie “Sommerhaus der Stars” wird geschubst, gedroht, geschrien und gespuckt. “Wer trägt dafür die Verantwortung, dass ‘erfolgreiches’ Mobbing, Missbrauch und Beleidigungen im Fernsehen gezeigt werden? Die Kandidat:innen, die Produzent:innen, der Sender? Sie alle – und auch die Zuschauer:innen. Solange die Sendungen weiterhin so erfolgreich sind, werden wohl weitere Grenzen ausgetestet – und überschritten”, schreibt Carolina Schwarz.

2. Viel Zuspruch im Netz für Ärzte-Auftritt in den ARD-“Tagesthemen”
(rnd.de)
“Hier ist das Ärzte Deutsche Fernsehen mit den Tagesthemen”: Am Freitagabend gab es einen denkwürdigen Liveauftritte der Band “Die Ärzte” in den “Tagesthemen”. Neben dem musikalischen Beitrag appellierte das Trio in der ARD-Sendung an die Politik, in der Corona-Krise die Kulturbranche nicht zu vergessen. Die Aktion wurde von vielen Zuschauern und Zuschauerinnen gefeiert, hinterließ bei anderen jedoch einen schalen Beigeschmack: Sollte man einer Band die Möglichkeit geben, eine Nachrichtensendung als Werbeplattform für sich selbst und ihr parallel erscheinendes Album zu nutzen?

3. Das Streaming-Dilemma: Taugt die ARD Mediathek als zweites Erstes?
(dwdl.de, Peer Schader)
Weil immer mehr Menschen in Deutschland ihren Medienkonsum zu Streamingdiensten und Online-Plattformen verlagern, verwenden die Öffentlich-Rechtlichen einige Anstrengungen auf ihre Mediatheken. Doch reicht dies angesichts der immer größer und stärker werdenden Konkurrenz von Netflix, Amazon Prime und Co.? Peer Schader hat sich die Mediatheken-Nutzung genauer angeschaut und seine, für die Öffentlich-Rechtlichen teilweise schmerzhaften, Erkenntnisse aufgeschrieben.

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4. Bild steigt ins Sportwetten-Business ein
(wuv.de, Manuela Pauker)
“Bild” will sich mit dem internationalen Wettanbieter BetVictor zusammentun und noch dieses Jahr im Rahmen einer “strategischen Markenkooperation” eine neue Sportwetten-Plattform starten: “BildBet”. Anmerkung des Kurators: Es wäre interessant, eine Experteneinschätzung zu einer möglichen Interessenkollision zu hören: Wie verträgt es sich, einerseits durch die Sportberichterstattung (wenn auch nur indirekten) Einfluss auf die Wettquoten auszuüben und andererseits Wettanbieter zu sein?

5. Bad Practice
(datenjournalist.de, Lorenz Matzat)
Nicht einen Fall von “Best Practice”, sondern von “Bad Practice” hat der Datenjournalist Lorenz Matzat beim “Tagesspiegel” entdeckt. Dort habe man ein Diagramm des Robert-Koch-Instituts falsch interpretiert und auf entsprechende Korrekturhinweise nur verzögert und unzureichend reagiert. Matzat belässt es nicht bei seiner Kritik, sondern macht konstruktive Vorschläge, was der “Tagesspiegel” hätte besser machen können: “Plausibilätsprüfung, Fachmenschen um Einschätzung bitten, Quellen genau benennen und verlinken”.

6. Die Plattform Onlyfans erlebt in der Pandemie einen Hype, doch sie hat einen kontroversen Ruf
(nzz.ch, Corinne Plaga)
Weil viele Instagram-Influencer Geld mit ihren Inhalten verdienen wollen, docken sie sich an die Bezahlplattform OnlyFans an. Das Netzwerk erlebt seit Beginn der Corona-Pandemie einen wahren Boom und konnte die Zahl der registrierten Nutzerinnen und Nutzer auf über 50 Millionen verdoppeln. Da auch pornografische Inhalte erlaubt seien, würden sich auf der Seite immer mehr Sexarbeiter, Erotikmodels und Pornodarsteller tummeln. Corinne Plaga stellt das Geschäftsmodell für Influencer vor.

7. Seit 20 Jahren bürstet das Altpapier die Medienkritik gegen den Strich
(mdr.de, Steffen Grimberg)
Die Kollegen und Kolleginnen des Medien-Watchblogs “Altpapier” feiern ihren 20. Geburtstag! In der nächsten Zeit gratulieren zahlreiche Gastautorinnen und -autoren dem Team mit “Geschenkpapieren”. Den Anfang macht radioeins-Moderator Jörg Wagner mit “Medienkritik ist Langstrecke”. Das BILDblog schließt sich den Glückwünschen an und wünscht dem “Altpapier” alles Gute für die nächsten 20 Jahre!

KW 46/22: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Wochenendausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. Chez Krömer – Zu Gast: Ex-Bild-Chefredakteur Julian Reichelt
(youtube.com, Kurt Krömer, Video: 29:51 Minuten)
Der Komiker Kurt Krömer begrüßt in der aktuellen Ausgabe von “Chez Krömer” Julian Reichelt. Passend zum Setting des kargen Verhörraums geht Krömer den ehemaligen “Bild”-Chefredakteur mit konfrontativer Schärfe an.
Lesetipp: Bei kress.de hat Marc Bartl einige Pressereaktionen des viel diskutierten Schlagabtauschs zusammengestellt: “Verbal-blutiger Gladiatorenkampf”: Was Medienprofis zum Krömer-Reichelt-Rededuell sagen. Außerdem hat “journalist”-Chefredakteur Matthias Daniel auf Twitter eine lesenswerte Einordnung veröffentlicht.

2. Iran-Proteste; Medienarbeit der Mullahs
(ndr.de, Zapp, Video: 30:53 Minuten)
Im Medienmagazin “Zapp” spricht Shahrzad Eden Osterer, Journalistin beim Bayerischen Rundfunk, über die Nachrichtenlage in Iran und die Rolle der Exil-Medien. Außerdem geht es in der Sendung um die “Medienarbeit der Mullahs”, die Social Media für Propagandazwecke nutzen.

3. Al Jazeera – katarisches Machtinstrument oder wichtige Stimme der arabischen Welt?
(br.de, Linus Lüring, Audio: 25:14 Minuten)
Al Jazeera ist ein Nachrichtensender mit Sitz in Doha, der Hauptstadt Katars, der bei vielen die Hoffnung auf einen neuen arabischen Journalismus auslöste. Manche sprachen in den Anfangsjahren von einer “journalistischen Revolution”. Doch wofür steht der Sender heute? Darüber spricht Linus Lüring mit Anne Allmeling (ARD-Korrespondentin Naher Osten), Carola Richter (Professorin für internationale Kommunikation an der FU Berlin) und Stephanie Doetzer (ehemalige Journalistin bei Al Jazeera).

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4. Melanie Amann, Leiterin des SPIEGEL Hauptstadtbüros
(ndr.de, Norbert Grundei, Audio: 59:27 Minuten)
Der Journalist und Medienmanager Norbert Grundei hat sich mit Melanie Amann unterhalten, die das “Spiegel”-Hauptstadtbüro leitet: “Wie lange hält die Koalition? Wie gut gehen Regierung und Opposition mit den vielen aktuellen Herausforderungen um? Wer kann gut mit wem in Berlin? Wie authentisch kann und sollte ein ein Politiker sein? Wie hat es sich angefühlt, mit Richard David Precht und Harald Welzer bei Markus Lanz über ihr Buch zum Thema Journalismus zu diskutieren?”

5. Elon Musks Twitterübernahme: Folgen für die Wissenschaft
(podcast.hans-bredow-institut.de, Johanna Sebauer, Audio: 43:27 Minuten)
Im “Bredowcast”, dem Podcast des Leibniz-Instituts für Medienforschung, geht es um Elon Musks Twitterübernahme und die daraus resultierenden Folgen für Wissenschaft und Medienforschung. Johanna Sebauer hat sich dazu den Medienforscher Jan-Hinrik Schmidt eingeladen. Twitter biete der Wissenschaft bislang großflächigen Zugang zu seinem bis ins Jahr 2006 zurückreichenden Archiv. Schmidt hofft, dass dies unter Musk weiterhin der Fall bleibt, wenn auch zu anderen Konditionen: “Plausibel erscheint mir, dass er die Wissenschaft zur Kasse bittet und den Zugang zum Archiv nur gegen Bezahlung gewährt.”

6. Ein Urteil des LG Frankfurt am Donnerstag könnte Twitter zwingen Recht zu beachten oder zu schließen
(youtube.com, Anwalt Jun, Video: 13:12 Minuten)
“Twitter ist kaum noch handlungsfähig. Ein Urteil des LG Frankfurt könnte die Betriebseinstellung bedeuten, wenn Programmierer die nötigen Auflagen nicht rechtzeitig umsetzen könnten.” Chan-jo Jun erklärt, warum eine Betriebseinstellung von Twitter nicht ausgeschlossen sei, egal, ob durch eine Verfügung eines deutschen Gerichts (“Ja, das ist nicht so sehr wahrscheinlich, das wäre eine Sensation. Aber gleichwohl juristisch ist das nicht völlig ausgeschlossen”) oder durch eine Verbraucherschutzbehörde in den USA initiiert.

Das Handwerk des Peter Heinlein

Dirk Merbach ist zwar Art Director der “Zeit”, aber viel toller findet er eigentlich die “Bild”-Zeitung.

Klingt erstaunlich? Steht aber so in der Medienkolumne “Der Heinlein”, die Peter Heinlein für die Hamburger Ausgabe der “Bild”-Zeitung schreibt. Heinlein hat dafür in dieser Woche ein Interview Merbachs mit der Design-Zeitschrift “Page” ausgewertet.

Er schreibt:

(…) Die tägliche Gestaltung von BILD, findet Merbach übrigens “meisterhaft”, spricht von “grandiosen” Schlagzeilen. Merbach: “Was Visualisierung angeht, das Zusammenspiel von Zeilen und Bildern, hat BILD nun mal die besten Handwerker.”

Okay, dann reden wir jetzt mal über das Handwerk, Zitate so geschickt ihres Zusammenhangs zu entledigen, dass das Wesentliche ungesagt bleibt — auch da beschäftigt “Bild” wahre Meister. Merbach sagte gegenüber “Page” nämlich unter anderem dies:

“Was Visualisierung angeht, das Zusammenspiel von Zeilen und Bildern, hat BILD nun mal die besten Handwerker. Das Wertegerüst einmal weggelassen, ist das zum Teil meisterlich. Zeilen wie ‘Wir sind Papst’ sind schon grandios. Ich finde es richtig und wichtig, dass Boulevardzeitungen in Designwettbewerben Beachtung finden. Wo es um die Umsetzung von Ideen geht, muss man anerkennen, was die leisten, von der mangelnden inhaltlichen Erträglichkeit abgesehen.

Hervorhebungen von uns.

So. Und jetzt zum Vergleich die Überschrift, die “Bild” Merbachs Aussagen verpasste:

Mit ähnlicher Technik erweckt Heinlein auch den Eindruck, der Artdirektor der “Zeit” habe ein sehr gespanntes Verhältnis zu seinem Arbeitgeber. Gegenüber “Page” hatte Merbach auf die Frage, wie die Titelbilder in der “Zeit” entstehen, gesagt:

In Zusammenarbeit mit der Chefredaktion. Das beschäftigt mich oder den stellvertretenden Artdirektor manchmal die ganze Woche und ist recht kräftezehrend, zumal übers Wochenende oft noch zwei Titelthemen stehen. “Die Zeit” hat eine sehr ausgeprägte Diskussionskultur. “Diese Zeitung wird zusammengequatscht” — so hat Michael Naumann, einer unserer Herausgeber, mal treffend formuliert.

“Bild”-Handwerker Heinlein schnitzt sich daraus diese Aussage:

[Merbach erzählt] von Kräfte zehrenden Diskussionen mit der Chefredaktion des Blattes und zitiert Herausgeber Michael Naumann: “Diese Zeitung wird zusammengequatscht.”

Handwerk hat goldenen Boden: Mit solcher Kunstfertigkeit kann Heinlein aus jedem Zitat alles machen. Oder wie es das Redaktionsblog von “Page” zusammenfasst: “grandios irreführend”.

“Einfach so eine Lüge in den Mund gelegt”

Eine Kleinigkeit zur Einstimmung: Die von Kai Diekmann aus Hamburg herausgegebene “Bild” berichtet heute in Teilen ihrer Ausgabe darüber, dass das Wetter auf Mallorca am Wochenende offenbar schlechter war als in Deutschland (“Ätsch! Wir haben Mallorca die Sonne geklaut!”) und zitiert, passend zur “Ätsch”-Geschichte, einen Mallorca-Urlauber mit den Worten “So ein Mist! Und dafür habe ich das viele Geld ausgegeben.” Laut “Bild” handelt es sich bei dem zitierten Urlauber um “Dyck Kaimann aus Hamburg”. Aber das, wie gesagt, nur zur Einstimmung, denn…
 
… keine Frage: Es war ein Fehler dieser jungen Frau, kürzlich in Bremen, dass sie sich von “Bild”-Reporter Sebastian Rösener ansprechen und sogar überreden ließ, ein Paar Ohrenschützer aufzusetzen, um damit fotografiert zu werden. Wäre sie (“Nein, danke, kein Interesse.”) einfach weitergegangen, sie hätte sich im Nachhinein nicht so “benutzt und lächerlich gemacht” gefühlt.

So aber sah die Seite 3 der Bremer “Bild” am vergangenen Donnerstag wie folgt aus:

Und die junge Frau mit dem blauen Tanktop (“Schülerin S       * (18) trägt Ohrenschützer: ‘Ich halte den Stadtlärm nicht mehr aus'”) sah sich anschließend genötigt, ein Fax “an die Chefredaktion der Bremer Bild und besonders an Herrn Sebastian Rösener” zu schicken, aus dem wir ein wenig zitieren möchten:

Ich, S                           , schreibe Ihnen wegen des heutigen Berichts der Bild-Zeitung auf Seite 3, zu dem ich, man kann wirklich sagen, benutzt und lächerlich gemacht wurde. Ich finde es eine bodenlose Frechheit, dass Sie auf der Straße irgendwelche Passanten anreden, penetrant nerven, ein dämliches Foto schießen und dieses dann auch noch riesengroß und vor allem mit ausgedachten Zitaten veröffentlichen. (…) Ich habe, und das würde ich vor aller Welt schwören, nie gesagt, dass mich der Lärm in Bremen stört, sondern auf Ihre herausfordernde Frage, ob es in Bremen nicht viel zu laut wäre, lediglich geantwortet, dass ich gar nicht aus Bremen komme, sondern aus W          , und dass es dort sehr ruhig ist. Zusätzlich sagte ich noch, dass ich sowieso nicht in Bremen leben möchte, sondern in Hamburg, und dass es dort bestimmt noch lauter ist. Ihr werter Kollege Rösener meinte dann noch frech zu mir, dass er das, was ich gesagt habe, ja gar nicht so hören wollte, sondern wohl vielmehr das Gegenteil. Ihr Zitat: “Ich halte den Stadtlärm nicht mehr aus!”, das Sie mir verbotener Weise angehängt haben, entspricht nicht einmal im Ansatz der Wahrheit, obwohl die Bild doch ständig damit wirbt, die Wahrheit ans Licht zu bringen, oder etwa nicht?!? (…) Sie haben mich vor allen absolut lächerlich gemacht und mir einfach so eine Lüge in den Mund gelegt. (…) aber vielleicht könnten Sie sich ja nächstes Mal jemanden suchen, der auch Ihre erwarteten Antworten gibt und hinter Ihnen steht. Sonst sollte man sich vielleicht andere Themen suchen, für die sich die Leute interessieren und womit sie niemanden lächerlich machen.

Nach unseren Informationen hat der Leserbrief der jungen Frau die Verantwortlichen bei “Bild” erreicht. Geantwortet wurde ihr bislang nicht.

*) Unkenntlichmachungen von uns.

neu  

Bild.de verliert beim Memory mit Maddie

Selbst wenn man sie Tag für Tag liest, die ganzen unrecherchierten, unredigierten Artikel auf Bild.de, deren Fehler wir in der Masse längst aufgehört haben zu korrigieren — manchmal ist es trotzdem schockierend zu sehen, welche Gleichgültigkeit und Verachtung die Redaktion Tatsachen entgegenbringt. Wie sie nicht einmal das Minimum an Arbeit und Sorgfalt investiert, um bei Artikeln, die sie nur aus anderen Boulevardzeitungen abschreibt oder übersetzt, den Originaltext wenigstens im Kern verstanden zu haben.

Vielleicht ist es auch so, dass Bild.de-Mitarbeiter in diesen Fällen in einer Art redaktionsinternem Memory-Spiel die jeweilige Quelle nur eine Minute gezeigt bekommen und dann mit verbundenen Augen aufschreiben müssen, was sie behalten haben.

Jedenfalls glaubt Bild.de, diese Neuigkeiten über den Fall Maddie aus der britischen Zeitung “Daily Mail” übernommen zu haben:

Aber das Foto, das Bild.de zeigt, ist nicht von der Polizei geheim gehalten worden. Es ist nicht in einem “Supermarkt in Holland” aufgenommen worden. Es wurde auch nicht “nur Stunden nach dem Verschwinden von Madeleine McCann (5) aus der Ferienanlage in Portugal in einem Amsterdamer Geschäft gefilmt”. Und das behauptet auch nicht die “Daily Mail”.

Das Foto, das Bild.de zeigt, ist einen halben Tag nach Maddies Verschwinden in einer Tankstelle in Portugal aufgenommen worden. Es ist ihren Eltern noch am selben Tag gezeigt worden, die sofort ausschlossen, dass es sich um ihre Tochter handele. So berichtet es die “Daily Mail”.

Die “Daily Mail” berichtet in ihrem Artikel auch davon, dass einige Tage später ein Mädchen in einem Geschäft mit Partyartikeln in Amsterdam gesehen worden sei, bei dem es sich um Maddie gehandelt haben könnte. Davon gibt es aber keine Videoaufnahmen oder Fotos. Der “Daily Mail”-Artikel ist also ein Artikel über mehrere Vorfälle.

Die gedruckte “Bild”…

hat es übrigens geschafft, das Foto dem richtigen Land, Zeitpunkt und Vorfall zuzuordnen, fügt aber hinzu: “War es Maddie?” — eine Frage, die die Eltern laut “Daily Mail” längst mit Nein beantwortet haben.

Das ist schon zuviel für die Aufmerksamkeitsspanne der Bild.de-Mitarbeiter. Sie haben die Fakten der beiden Fälle so gründlich durcheinander gewürfelt, dass im Ergebnis nichts mehr stimmt. Sie sind schon an der Aufgabe gescheitert, auf der Grundlage eines Artikels einen eigenen Artikel zu schreiben.

Mit Dank an Vengo für den sachdienlichen Hinweis.

Polizei? Da könnte ja jeder bitten!

Seit knapp eineinhalb Wochen sucht die Polizei Niedersachsen nach einer Familie aus Drage. Mutter, Vater und Tochter waren spurlos verschwunden, die Polizei startete eine öffentliche Fahndung. Dafür hat sie Scans der drei Passfotos auf die eigene Internet- und auf eine Facebook-Fahndungsseite gestellt. Zahlreiche Medien haben die Fotos in der aktuellen Berichterstattung verwendet — macht ja auch Sinn bei einer öffentlichen Fahndung.

Inzwischen haben die Beamten die Leiche des Familienvaters gefunden. Die dazugehörige Pressemitteilung endet mit diesem Absatz:

Medienhinweis: Die Öffentlichkeitsfahndung nach dem 41-jährigen Marco S. ist somit beendet. Es wird darum gebeten, die Fotos aus der Berichterstattung zu nehmen.

Den Hinweis hat die zuständige Polizeiinspektion Harburg spätabends am vergangenen Freitag veröffentlicht.

Und so sieht die Berichterstattung von “Bild”, Bild.de und “Bild am Sonntag” seitdem aus:

Bild.de, 1. August:

(Alle Unkenntlichmachungen von uns.)
“Bild am Sonntag”, 2. August:

Bild.de, 2. August:

“Bild”, 3. August:

“Bild”, 4. August:

Nun kann es eine etwas aufwendigere Sache sein, schon publizierte Online-Artikel zu durchkämmen und einzelne Fotos per Hand rauszulöschen. Aber all die aufgeführten Berichte sind eben erst nach der Bitte der Polizei erschienen.

Jan Krüger, Sprecher der Polizeiinspektion Harburg, sagte uns, dass eine Missachtung des Medienhinweises keine rechtlichen Schritte von Seiten der Polizei nach sich ziehe. Familienangehörige müssten sich dagegen wehren und das Persönlichkeitsrecht des verstorbenen Vaters durchsetzen.

Krüger und sein Team hätten das Foto direkt nach der Identifizierung der Leiche aus dem Internet genommen, online fänden sich nur noch die Bilder der Mutter und der Tochter, nach denen weiterhin gesucht wird. Bei den Medien könne man nur darauf hoffen, dass sie der Bitte nachkommen.

Allerdings haben wir das Gefühl, dass diese Hoffnung bei den Leuten von “Bild” vergebens ist.

Mit Dank an @macerarius.

Pistenbully-PR-Gag, Olympia im Privaten, Regenbogen-Klon

1. Pistenbully auf Abwegen war PR-Aktion
(ndr.de, Jörg Jacobsen)
Ein LKW-Fahrer mit einem Bully für Schneepisten auf der Ladefläche fährt nach Seefeld (Schleswig-Holstein) statt nach Seefeld (Tirol). Haha, hihi, große Freude auf den Panorama-Seiten von Zeitungen und Online-Portalen. Jetzt zeigt sich: War alles nur eine PR-Aktion, und viele Medien sind drauf reingefallen. Manchen Redaktionen kann man durchaus Vorwürfe machen, weil sie die Story zu leichtgläubig aufgeschrieben haben; anderen aber nicht: Sie haben recherchiert, bei den zuständigen Personen nachgefragt — und die blieben frech bei ihrer Mogelgeschichte. Auch die “dpa” ist auf den PR-Gag reingefallen und nun selbstkritisch der Angelegenheit nachgegangen.

2. Die dunkle Seite der Macht
(spiegel.de, Jan Fleischhauer)
Die Geschichte zu dieser Geschichte geht zusammengefasst so: Nach der Wahl von Donald Trump lässt der Mediendienst “Meedia” unter anderem “Weltwoche”-Boss und Rechtsaußen-Politiker Roger Köppel die Leistung deutscher Medien bewerten. Überschrift: “‘Am schlimmsten ist der Spiegel’: Weltwoche-Chef Köppel rechnet mit deutscher Trump-Berichterstattung ab”. Gestern antwortete “Spiegel Online”-Kolumnist Jan Fleischhauer und schoss gegen Medienkritik im Allgemeinen und “Meedia” im Speziellen: “Köppel zu Blättern wie dem SPIEGEL oder der ‘Süddeutschen’ zu befragen, ist in etwa so, als ob man eine katholische Nonne bitten würde, Herrenmagazine zu rezensieren.” Daraufhin meldete sich “Meedia”-Chef Georg Altrogge: “Leider gibt es zu ‘positiver Berichterstattung’ über den Spiegel aktuell wenig Anlass, und genau das scheint der Grund zu sein, warum die Nerven in der Chefredaktion blank liegen.” Das Popcorn steht bereit.

3. Was ARD und ZDF mit den gesparten Olympia-Ressourcen machen müssen
(sueddeutsche.de, Hans Hoff)
Die Olympischen Sommer- und Winterspiele 2018 bis 2024 wird es nicht live im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu sehen geben. “Für ARD und ZDF sieht das Scheitern der Verhandlungen auf den ersten Blick natürlich aus wie eine Niederlage”, schreibt Hans Hoff, doch: “Richtig ist aber auch, dass ARD und ZDF weiter über Probleme hinter den Kulissen berichten können, berichten müssen. Das ist der Auftrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Und vielleicht gelingt die Erfüllung dieses Auftrags noch ein Stückchen besser, wenn man nicht abgelenkt ist, weil man nebenbei noch die Übertragung stemmen muss.”

4. Die Lügner sind immer die anderen
(deutschlandradiokultur.de, Nana Brink & Mark Heywinkel, Audio, 6:26 Minuten)
Mal poltern sie heftig gegen Hillary Clinton, mal geben sie Tipps, welche Waffen man am besten an Weihnachten verschenken kann: Die Website “Breitbart” ist eines der großen Sprachrohre der sogenannten “Alt-Right”-Bewegung in den USA, “Breitbart”-Chef Steve Bannon inzwischen Chefstratege von Donald Trump. “Ze.tt”-Redakteur Mark Heywinkel hat eine Woche lang “Breitbart” gelesen. Bei “Deutschlandradio Kultur” erzählt er, was er dort entdeckt hat.

5. Bürgerjournalismus belebt das Mediensystem
(de.ejo-online.eu, Tobias Eberwein & Colin Porlezza)
Graswurzeljournalismus, Laienberichterstattung, Jekami-Journalismus (“Jeder kann mitmachen”) — das war vor einigen Jahren ein großes Thema, verbunden mit einigen Hoffnungen für die Medienbranche. Tobias Eberwein und Colin Porlezza haben geschaut, wie es heute “in sechs europäischen Ländern” beim digitalen Bürgerjournalismus ausschaut. Ihre Studie zeigt: Zur Medienvielfalt habe er zwar beigetragen, die einst prophezeite Revolution von unten sei allerdings weitgehend ausgeblieben.

6. Wunderheilung durch Wiederholungsdrama
(uebermedien.de, Mats Schönauer)
Die große Titelgeschichte des zweimonatlich erscheinenden Regenbogenblatts “Freizeit Total” im Dezember/Januar: “Familien-Drama”. Im Februar/März: “Familien-Drama”. Im April/Mai: “Schock-Nachricht”. Im Juni/Juli: “Familien-Drama”. Im August/September: “Familien-Drama”. Im Oktober/November: “Familien-Drama”. Erkennen Sie ein Muster?

Wein-Journalismus, US-Flugzeugträger, NRW-Einbrüche

1. Exklusiv: Journalismus zum Heulen
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Hat der Mann, der im Verdacht steht, ein Attentat auf den BVB-Mannschaftsbus begangen zu haben, wirklich unter Tränen ein Geständnis abgelegt? Wer “Focus Online” liest, muss genau das annehmen. Das Problem: Das Bundeskriminalamt widerspricht dieser Behauptung mit deutlichen Worten. Das hält “Focus Online” jedoch nicht ab, erneut … Ach, lesen Sie selbst, was Boris Rosenkranz auf “Übermedien” dazu aufgeschrieben hat.

2. Mediennotizen #1: Petry/”Spiegel” und DJV
(daniel-bouhs.de)
Daniel Bouhs sieht in den Aussagen von Frauke Petry über die “Spiegel”-Reporterin Melanie Amann ein Symbol für das verstörte Verhältnis der AfD zu vielen Journalisten. Er hat dazu die Langfassung des Interviews von Doku-Filmer Stephan Lamby mit Frauke Petry herangezogen und eine Antwort von “Spiegel”-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer eingeholt. Im zweiten Teil seines Blogbeitrags geht es um die Causa der Mafia-Rechercheurin Petra Reski, der vom “Freitag” die juristische Unterstützung in einer Rechtssache verweigert wurde, und die Frage, inwieweit diese von Verdi oder DJV geleistet worden wäre. Weiterführender Link: Die “FAZ” berichtet über Petra Reskis Fundraising zur Abdeckung der Kosten für den gegen sie angestrengten Rechtsstreit: Nicht allein gegen die Mafia.

3. Das Ende der Zukunft des Journalismus’
(medium.com/@lorz, Lorenz Matzat)
Lorenz Matzat konstatiert: “Ohne Vorstellung von einer digitalen Gesellschaft braucht es auch keinen entsprechenden digitalen Journalismus.” Seit rund zwei Jahren sei hierzulande ein Stillstand zu beobachten. Je mehr das Wort “Innovation” überstrapaziert werde, desto weniger trete diese im Journalismus ein. “Die traurige Ironie ist, dass wir in Deutschland mit den Öffentlich-Rechtlichen Einrichtungen besitzen, die mit rund 8.000 Millionen Euro im Jahr von der Gesellschaft ausgestattet werden, um Information und Unterhaltung zu organisieren. Das sind etwa 100 Euro pro Jahr pro Einwohner dieses Landes. Wo wären wir, wenn davon ein Euro pro Jahr pro Einwohner in Experimente, in Format- und Technologie-Entwicklung, in Open-Source-Software gesteckt würde?”

4. Falschmeldungen über US-Drohkulisse
(faktenfinder.tagesschau.de, Wolfgang Wichmann & Jenny Stern)
Der “Faktenfinder” der “Tagesschau” beschäftigt sich mit den widersprüchlichen Meldungen über die Flugzeugträger der US-Marine bzw. deren derzeitigen Aufenthaltsort. Die Meldung der südkoreanischen Agentur “Yonhap”, dass sich drei Flugzeugträger auf dem Weg nach Nordkorea befänden, sei falsch.

5. Journalisten zensieren sich selbst
(deutschlandfunk.de, Thomas Otto)
Eine aktuelle Studie des Europarates fördert Erschreckendes zu Tage: Weit mehr als jeder zweite befragte Journalist habe angegeben, in den letzten drei Jahren mindestens einmal das Opfer von Demütigung, Herabsetzung, Einschüchterungsversuchen, Verleumdung oder Schmutzkampagnen gewesen zu sein. Das Ergebnis dieser unschönen Entwicklung sei oftmals Selbstzensur.

6. Faktencheck: Christian Lindner behauptet, dass Einbrüche in NRW massiv zugenommen haben. Richtig oder falsch?
(correctiv.org, Jacques Pezet)
FDP-Chef Christian Lindner hat der “Bild”-Zeitung ein Interview gegeben. Dort wurde ihm unter anderem die Frage gestellt: “Leben die Menschen in NRW weniger sicher als in anderen Bundesländern?” Darauf entgegnete Lindner, dass die Einbruchskriminalität massiv gestiegen sei, während die Aufklärungsquote stagniere.
Jacques Pezet von “Correctiv” hat sich in den amtlichen Statistiken schlau gemacht und schreibt: “Zwischen 2012 und 2016 ist die Zahl der Wohnungseinbrüche in NRW um 2,9 Prozent gesunken. Wir wissen nicht, wie FDP-Chef Christian Lindner zu der Auffassung gelangt ist, dass die Zahl der Einbrüche ‘massiv gestiegen’ sei. Jedenfalls — ist seine Behauptung komplett falsch.” Nachtrag, 22:10 Uhr: Zum Faktencheck von “Correctiv” hatten wir allerdings auch noch was zu sagen: “Vercheckt”.

(K)ein Böhmermann-Interview, Ein Mann wie ein Schrang, Löwenherz

1. Böhmermann veröffentlicht umstrittenes FAZ-Interview auf Twitter
(welt.de)
Jan Böhmermann hat der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” ein großes Interview gegeben, das der Herausgeber Jürgen Kaube unmittelbar vor Drucklegung aus dem Blatt gestrichen haben soll. Böhmermann reagierte mit einem offenen Brief bei Twitter (“Sowas habe ich wirklich noch nicht erlebt”). Warum die “FAS” das Interview gestrichen hat, ist derzeit nicht bekannt.
Update: Kurz vor Mitternacht postete Jan Böhmermann das Interview als 73-teiligen Twitter-Thread. Medienrechtler Markus Kompa fragte sogleich keck: “Wird die FAZ nun ihr Urheberrecht an den Interviewfragen einfordern …?”
Weitere Lesehinweise: Besprechungen des gerade erschienenen Böhmermann-Buchs gibt es unter anderem beim “Spiegel” (Der Robert Habeck der linken Twitterblase, Jonas Leppin) und bei der “Süddeutschen Zeitung” (Früher fand ich mich mal gut, Quentin Lichtblau).

2. Liebe Medien, hier sind 199 unserer Klima-Themenideen, die ihr einfach klauen könnt
(krautreporter.de, Rico Grimm & Isolde Ruhdorfer)
Derzeit wird viel über den medialen Umgang mit der Klimakrise diskutiert. Am Montag wiesen wir in den “6 vor 9” auf die Bemühungen der “taz” hin, besser übers Klima zu schreiben, und auf den Kampf des ZDF-Wettermoderators Özden Terli gegen Klimawandel-Leugner. Gestern ging es in den “6 vor 9” um die Forderung einiger Klima-Aktivisten nach einem neuen Format vor der “Tagesschau”: “#Klima vor 8” (deutschlandfunk.de, Annika Schneider).
Nun haben sich die “Krautreporter” des Themas angenommen: “Liebe Medien, hier sind 199 unserer Klima-Themenideen, die ihr einfach klauen könnt. Ernst gemeint. Nehmt sie, und macht was draus.”

3. Bild Boykott: Wie werden wir die Bild-Zeitung los?
(youtube.com, Sarah Bosetti, Video: 5:40 Minuten)
“Nichts hilft gegen die ‘Bild’-Zeitung. Unsere Empörung ist ihr Frühstück. Unsere Sensationslust ist ihr Viagra. Nichts hilft – außer sie zu ächten.” Die Kabarettistin Sarah Bosetti fragt sich: “Wie werden wir die ‘Bild’-Zeitung los, und ist ein ‘Bild’-Boykott der richtige Weg?”
Weiterer Lesehinweis: In seiner “Medienmacher”-Kolumne bei der “Berliner Zeitung” fragt Kai Hinrich-Renner: Wie sehr wackelt der “Bild”-Chefredakteur?

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4. RTL-Chefredakteure räumen ein: “Wir haben Fehler gemacht”
(uebermedien.de, Jürn Kruse & Boris Rosenkranz)
Nicht nur die “Bild”-Redaktion, sondern auch RTL wurde für die unethische Berichterstattung aus Solingen kritisiert, bei der aus privaten Chat-Nachrichten eines Minderjährigen in einer Extremsituation zitiert wurde. Die offiziellen Statements des Senders klingen relativ kühl und uneinsichtig, intern sei der Vorfall jedoch “intensiv diskutiert und analysiert” worden.

5. Nichts zu dumm, aber alles geheim
(mission-lifeline.de, Felix M. Steiner)
Heiko Schrang ist ein Verschwörungsideologe, der auf seinem Youtube-Kanal regelmäßig seine rund 180.000 Abonnenten mit allerlei Abwegigkeiten und rechtem Unsinn versorgt. Wer ist dieser dauergebräunte “bekennende Buddhist”? Und was unterscheidet Schrang vom Standard-Hetzer rechter Couleur? Felix M. Steiner berichtet über die bizarre Figur: “Wenn man nicht sonderlich anfällig für den Quatsch ist, den Schrang erzählt, ist er ein verdammt lustiges Kerlchen. Bei Schrang ist immer alles ‘geheim’, wird immer die wahre Wahrheit verbreitet oder der ‘Wahnsinn’ hinter den Plänen der Eliten offengelegt. Und das alles gemischt mit einem kräftigen Schuss esoterischem Quatsch auf dem Niveau der Kalendersprüche, die ich früher immer in der Küche meiner Großeltern lesen durfte.”

6. Eklat im Traditions-Verlag Kampfsportler als Boss vorgestellt – dann wird’s turbulent
(mopo.de, Thomas Hirschbiegel)
Die Geschichte liest sich wie eine Mischung aus April-Scherz und Seifen-Oper: Die Verlegerin Alexandra Jahr stellt ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern den neuen starken Mann im Haus vor: den Kampfsportler Ardalan Sheikholeslami (Spitzname: das “persische Löwenherz”). Was dann passiert, ist verstörend schön, jedenfalls unter Trash-Gesichtspunkten, aber für die Belegschaft ein ziemlicher Graus. Eine unbedingte Leseempfehlung für alle, denen auch Netflix-Serien wie “Tiger King” gefallen haben.

Leichenfledder-Portal “Mannheim24”, Zahnloser Tiger, Kreischsäge Klum

1. “Wir staunen bis heute”: Das Portal “Mannheim24” und die Klicks mit Jan Hahns Tod
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Dem Portal “Mannheim24” ist offenbar jedes Mittel Recht, an Klicks und Reichweite zu kommen, und beutet dazu auf – man muss es leider so sagen – scheinheilige und verabscheuungswürdige Weise den Tod eines TV-Moderators aus. Boris Rosenkranz ist der Sache für “Übermedien” nachgegangen und hat sich an den verantwortlichen Geschäftsführer gewandt. Und der hat Rosenkranz sogar partiell Recht gegeben: “Sie haben in der Grundrichtung ihrer Vorhaltung recht: In der Gesamtbetrachtung mutet es in der Tat seltsam an, dass wir den Vorwurf erheben, dass Instagramer:innen den Tod von Jan Hahn für Reichweite ausnutzen, und wir ebenfalls mit der Berichterstattung Reichweite erzielen.”

2. “Die Medienaufsicht ist ein zahnloser Tiger”
(deutschlandfunkkultur.de, Stephan Karkowsky, Audio: 8:20 Minuten)
Der Partyschlager-Sänger Ikke Hüftgold aka Matthias Distel erhob vor einigen Tagen schwere Vorwürfe gegen den Fernsehsender Sat.1 und die Produktionsfirma Imago TV. Es ging dabei um das Ausnutzen der Not von psychisch vorbelasteten Kindern aus einer prekär lebenden Familie für ein “Frauentausch”-ähnliches TV-Format. Bei Deutschlandfunk Kultur kommentiert Medienwissenschaftler Bernd Gäbler den Vorgang. Gäbler weiß, wovon er spricht: Er ist der Autor der Studie “Armutszeugnis. Wie das Fernsehen die Unterschichten vorführt”.
Weiterer Lesehinweis: Der Streit zwischen dem Partyschlager-Sänger und der Produktionsfirma geht weiter. Distel habe seine Ankündigung wahr gemacht und Strafanzeige gegen Sat.1 und Imago TV gestellt. Die Produktionsfirma gehe ihrerseits mit einer Unterlassungsaufforderung gegen den Entertainer vor: Imago verlangt Unterlassung von Distel, der erstattet Anzeige (dwdl.de, Timo Niemeier).

3. Facebook News in Deutschland, Kampagne gegen Biontech, Wie Influencer Geld verdienen, Aufmerksamkeitsmaschine TikTok
(socialmediawatchblog.de, Simon Hurtz)
Im “Social Media Watchblog” analysiert Simon Hurtz den Facebook-News-Deal vieler deutscher Verlage: Warum machen fast alle großen Verlage mit? Was bezweckt Facebook mit seinem News-Angebot? Warum sollten Verlage vorsichtig sein? Und welche Rolle spielt der Axel-Springer-Konzern? Hurtz bricht das weite Themenfeld im bewährten Analysestil auf die wesentlichen Fakten herunter und endet mit einer überraschenden Schlussbemerkung.

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4. ARD führt “Sprüche vor acht” am Vorabend ein
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Die ARD führt ein neues Format ein: Immer Freitags gegen 19:45 Uhr sollen in der Mini-Sendung “Sprüche vor acht” Redensarten erklärt werden. Die Initiative “Klima vor Acht” hatte lange Zeit (und bislang erfolglos) mit der ARD um ein paar Sendeminuten für Klimaberichterstattung gerungen und ist nun wenig begeistert: “Kein Witz: Das Erste führt nun ‘Sprüche vor acht’ zur besten Sendezeit ein. In jeder Sendung soll eine Redensart anschaulich erklärt werden. Seit Monaten werben wir und tausende Unterstützer:innen für #KlimaVor8. Aber die ARD muss halt Prioritäten setzen.”
Zwar nicht in direktem Zusammenhang mit der “Sprüche-vor-acht”-Entscheidung der ARD, aber inhaltlich doch nah dran – ein weiterer Lesehinweis: Hände mit Sekundenkleber festgeklebt: Klimaaktivisten protestieren bei mehreren ARD-Anstalten (dwdl.de, Timo Niemeier).

5. “KenFM” unter Beobachtung
(tagesschau.de, Florian Flade & Georg Mascolo)
Wie die “tagesschau” berichtet, wird die Plattform “KenFM” nun vom Berliner Verfassungsschutz beobachtet: Die Seite verbreite Falsch- und Desinformation und treibe damit die Radikalisierung der sogenannten “Querdenker”-Szene voran. Das Vorgehen der Behörde sei nicht unumstritten: “Kritiker merken an, der Inlandsnachrichtendienst dürfe sich nicht mit immer mehr Beobachtungsobjekten übernehmen, schließlich gebe es vor allem in den Landesbehörden nur begrenzt Ressourcen. Zudem drohe das Risiko von Klagen. Der Verfassungsschutz müsse außerdem im Bereich von Medien besonders sensibel agieren. Mangelnde Qualität in der Berichterstattung könne beispielsweise kein Grund für eine Überwachung sein.”

6. Faszination “Germany’s Next Topmodel”
(deutschlandfunk.de, Christoph Sterz, Audio: 6:02 Minuten))
Gestern Abend ging die 16. Staffel der Castingshow “Germany’s Next Topmodel” bei ProSieben zu Ende. Was macht die Faszination dieses vielfach kritisierten Formats aus? Der Deutschlandfunk hat dazu zwei Experten befragt, die Journalistikprofessorin Margreth Lünenborg und den Regisseur Kai Tilgen, der selbst für ähnliche Formate gearbeitet hat. Tilgen sagt: “Beim Privatfernsehen erzählt man manchmal halt auch Geschichten, die es gar nicht gegeben hat. Oder die es mit diesem Ende nicht gegeben hat, oder die es mit der Konnotation nicht gegeben hat. Das kann man prima machen.”
Weiterer Lesehinweis: Bei der “Süddeutschen Zeitung” kommentiert Ulrike Nimz das Staffelfinale: “Aufgewachsen mit Instagram, Tiktok, Youtube sind die jungen Frauen längst Profis der Selbstvermarktung. Nach 16 Staffeln ist keine mehr überrascht, wenn sie eine Kakerlake aufs Dekolleté gesetzt oder die Haare abrasiert bekommt, was immer Heidi Klum auch anstellt, um zu verschleiern, dass die Show sich von ernstzunehmender Talentsuche abgewandt hat wie Wolfgang Joop vom natürlichen Alterungsprozess.”

Politische Vokabeln, Fernspäher Franz, Kliemanns Sammelaktion

1. Warum sich Medien mit Schlagwörtern der Politik oft schwertun
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers & Pia Behme, Audio: 6:39 Minuten)
Sollten Medien in ihrer Berichterstattung Begriffe wie “Sondervermögen” oder “Tankrabatt” unhinterfragt übernehmen? Darüber hat sich der Deutschlandfunk mit zwei Journalisten unterhalten. Vor allem “FAS”-Redakteur Oliver Georgi kritisiert die Übernahme und kann das auf mehreren Ebenen begründen. Georgi hatte sich in seinem Buch “Und täglich grüßt das Phrasenschwein” bereits vor einigen Jahren mit der Sprache der Politik auseinandergesetzt und hört deshalb vielleicht besonders genau hin.

2. Fernspäher Franz
(kontextwochenzeitung.de, Josef-Otto Freudenreich)
“Minister Thomas Strobl könnte über einen Artikel stürzen, dessen Autor niemand nennt, obwohl er eine bekannt schillernde Figur ist. Warum ist das so, warum gerade er?” Josef-Otto Freudenreich stellt bei “Kontext” den Journalisten Franz Feyder vor, dessen Artikel Baden-Württembergs Innenminister Strobl die Karriere kosten könnte. Zum Hintergrund siehe auch: Auch Journalist beschuldigt (taz.de, Christian Rath).

3. Machen!
(journalist.de, Michel Abdollahi)
Der preisgekrönte TV-Journalist (“Im Nazidorf”) und Moderator Michel Abdollahi erzählt beim “journalist”, warum er den Onlinekanal das “Vierte Deutsche Fernsehen” gegründet hat, warum es lohnen kann zu scheitern, und warum es seiner Ansicht nach in nahezu allen jungen Formaten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks an konservativen Stimmen fehlt.

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4. Investment in Fynn: Wie Influencer Kliemann rund 700.000 Euro in seinem Freundeskreis einsammelte
(correctiv.org, Gabriela Keller & Frederik Richter & Jonathan Sachse)
Der “Correctiv”-Redaktion liegen neue Details zum Geschäftsmodell des Influencers Fynn Kliemann vor, der unter anderem wegen seiner Masken-Geschäfte in die Kritik geraten war: “Nicht nur Caro Daur hat sich am Kliemannsland beteiligt. Bisher unbekannte E-Mails geben nun einen tieferen Einblick in die Geschäfte des Influencers: Sie legen nahe, dass mindestens 15 zum Teil prominente Personen den Kreativbauernhof unterstützt haben, darunter Joko Winterscheidt, Ina Müller und Severin Kantereit.”

5. ARD und ZDF bieten neue Tonspur “Klare Sprache” an
(tagesspiegel.de, Kurt Sagatz)
Das ZDF führt eine akustisch verbesserte Tonspur namens “Klare Sprache” ein. Der Sender wolle damit die Sprache deutlicher hervorheben und die Sprachverständlichkeit verbessern. Die ARD plane eine ähnliche Funktion. Kurt Sagatz erklärt, wie das Ganze funktioniert, und wie man die neue Tonspur aktiviert.

6. »Die Fernsehsender entscheiden, wann gespielt wird«
(spiegel.de)
Das Viertelfinale beim Tennisturnier French Open zwischen Rafael Nadal und Novak Đoković begann am Dienstagabend gegen 21 Uhr und endete um 1:15 Uhr am Mittwoch. Beide Spieler kritisierten die späte Terminierung, zeigten aber auch Verständnis: “Die Fernsehsender zahlen viel Geld, um diese späten Spiele zu haben. So macht das Turnier Geld und so machen auch die Spieler Geld”, so Rafael Nadal, der sich für die Zukunft eine “vernünftige Balance” zwischen allen Interessen wünscht.

“Bild” verlegt Vergewaltigungen in den Görlitzer Park

Im Görlitzer Park in Berlin soll es eine Gruppenvergewaltigung gegeben haben. Die Ermittlungen dazu laufen, die Polizei hat bisher zwei Verdächtige festgenommen. Die mutmaßliche Tat soll sich bereits im Juni dieses Jahres ereignet haben, öffentlich bekannt wurde sie erst vergangene Woche. Die “Bild”-Redaktion erklärte den Görlitzer Park jedenfalls vor wenigen Tagen zu:

Screenshot Bild.de - Allein dieses Jahr acht Vergewaltigungen! Deutschlands Park der Angst

Dass die Dachzeile “ALLEIN DIESES JAHR ACHT VERGEWALTIGUNGEN!” so nicht stimmt, wird bereits beim Lesen des ersten Absatzes desselben Artikels klar:

Er ist Berlins Horror-Park: Allein acht Vergewaltigungen und sexuelle Übergriffe gab es von Januar bis Ende Juni im Görlitzer Park.

Also: bisher “acht Vergewaltigungen und sexuelle Übergriffe” im Görlitzer Park im Jahr 2023 laut “Bild”. Diese Zahl taucht in aktuellen Berichten der Redaktion immer wieder auf:

Allein von Januar bis Ende Juni gab es im Görlitzer Park acht schwere Taten unter dem Stichwort “Vergewaltigung/sexuelle Nötigung/sexueller Übergriff”

Laut einer aktuellen Polizeistatistik gab es von Januar bis Ende Juni im Görlitzer Park acht schwere Taten unter dem Stichwort “Vergewaltigung/sexuelle Nötigung/sexueller Übergriff”.

Doch auch das ist falsch.

Die Polizeistatistik, die die “Bild”-Redaktion erwähnt, findet man in einer Antwort der Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport (PDF) auf eine Anfrage der Linken-Politiker Niklas Schrader und Ferat Koçak. Darin geht es um “Neue Entwicklungen am sogenannten kriminalitätsbelasteten Ort ‘Görlitzer Park/Wrangelkiez'”. Tatsächlich findet man in der Statistik die acht Fälle von “Vergewaltigung/sexuelle Nötigung/sexueller Übergriff”, die sich von Januar bis einschließlich 26. Juni ereignet haben sollen. Aber längst nicht alle im Görlitzer Park.

Die Bezeichnung “kriminalitätsbelasteter Ort” (“kbO”) geht auf eine Einordnung der Berliner Polizei zurück, die in der Stadt insgesamt sieben solcher Gebiete als Kriminalitäts-Hotspots sieht. Dort gelten für die Beamten besondere Befugnisse. Sie können beispielsweise verdachtsunabhängige Kontrollen durchführen. Der Name “kbO Görlitzer Park/Wrangelkiez” deutet ja schon an, dass das Gebiet, um das es in der Polizeistatistik geht, nicht nur den Görlitzer Park umfasst. Dieser ist etwa 140.000 Quadratmeter groß; die gesamte von der Polizei Berlin als “kbO Görlitzer Park/Wrangelkiez” deklarierte Fläche umfasst aber mehr als 300.000 Quadratmeter. Wo genau die Grenzen verlaufen, verrät die Berliner Polizei aus taktischen Gründen nicht. Auf jeden Fall gehört aber ein beachtlicher Teil des belebten Wrangelkiezes, in dem es viele Wohnhäuser, Hostels und Firmen gibt, zum “kbO”.

Unter den acht Fällen von “Vergewaltigung/sexuelle Nötigung/sexueller Übergriff” befinden sich laut Polizeistatistik sechs Vergewaltigungen oder versuchte Vergewaltigungen. Dazu hat “taz”-Redakteur Erik Peter bei der Polizei genauer nachgefragt. Mit dem Ergebnis:

Einzig die mutmaßliche Gruppenvergewaltigung aus dem Juni fand tatsächlich im Görlitzer Park statt. Sie ist zudem die einzige der registrierten Vergewaltigungen, die im öffentlichen Raum geschah.

In den fünf anderen Fällen vergewaltigten die mutmaßlichen Täter demnach in Privaträumen im umliegenden Kiez: Laut der Polizei kam es demnach zu einer versuchten Vergewaltigung in einem Gewerbebetrieb, zwei Vergewaltigungen in Hostels sowie zwei Vergewaltigungen in Wohnhäusern. Nähere Auskünfte zu den Ermittlungsständen gab die Polizei mit Verweis auf laufende Ermittlungsverfahren nicht.

Natürlich macht der Ort einer Vergewaltigung diese nicht weniger schrecklich. Aber wenn die “Bild”-Redaktion schreibt: “Allein acht Vergewaltigungen und sexuelle Übergriffe gab es von Januar bis Ende Juni im Görlitzer Park”, ist das grob falsch. Sie heizt damit eine eh schon hitzige Debatte mit falschen Behauptungen weiter an.

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Schall & Rauch

Der bild.de-Artikel, um den es hier geht, trägt die Autorenzeile “Von THOMAS KRALICEK und VIM VOMLAND”, aber so richtig wundern würde es uns nicht, wenn sich herausstellte, dass er eigentlich von Günther Kralitscheck und Wim Womland geschrieben wurde.

Es geht darin um Reiner Calmund, der aufregende neue Fernsehpläne haben soll. Es wäre allerdings erstaunlich, wenn die Angaben des Artikels über die angebliche neue Show stimmen würden, denn im übrigen stimmt ungefähr nichts in dem Stück.

Mal abgesehen davon, dass die Casting-Show “Big Boss” mit Calmund alles andere als ein Erfolg ist (kein Wort davon bei “Bild”). Und dass das Zitat eines anonymen Pro-Sieben-Menschen, man sehe in ihm “einen Erfolgstypus”, weil der Dicke Volksnähe ausstrahle, doch nicht ganz nach einem konkreten Job-Angebot klingt. Und dass das gleiche für das Zitat des RTL-Unterhaltungschefs gilt, der gesagt haben soll: “Wir können uns mit Herrn Calmund sehr gut eine weitere Zusammenarbeit vorstellen.”

Also mal abgesehen davon, heißt der RTL-Unterhaltungschef Tom Sänger und nicht “Senger”, wie bild.de schreibt. Und der Deutschland-Chef von Endemol heißt Borris Brandt und nicht “Boris Brandt”, wie bild.de schreibt. Und die Produktionsfirma der ARD-Talkshow “Sabine Christiansen” heißt TV21 und nicht “Sabine Christiansen Production”.

Und jetzt sind wir sehr gespannt, wann der Selbstverständliche-Standards-Beauftragte bei bild.de seinen Dienst antritt und die schlimmsten Fehler korrigiert. (Ach so, und ob es die beschriebene neue Show mit “Calli” je geben wird, natürlich.)

Update, 11.25 Uhr: Sämtliche Fehler stehen auch in der gedruckten “Bild”. Und immer noch online.

Update, 14.35 Uhr: Der Selbstverständliche-Standards-Beauftragte von bild.de hat offenbar immer noch nicht seinen Dienst angetreten. Womöglich ist er mit Burn-Out-Syndrom krank geschrieben. Allerdings verbreitet inzwischen die Nachrichtenagentur ddp die “Bild” Meldung mitsamt der darin enthaltenen Fehler weiter. Das muss Chefredakteur Kai Diekmann meinen, wenn er “Bild” als “DAS LEITMEDIUM” bezeichnet: “Bild” schreibt die Fehler auf, und alle anderen schreiben sie ab.

Update, 20.10 Uhr: Ts. Alle Fehler wie gehabt. Schrecklicher Verdacht: Es gibt gar keinen Selbstverständliche-Standards-Beauftragten bei “Bild”.

Update, 9. Dezember, 0.00 Uhr: Was etwas beunruhigend ist: Der eine Autor des Fehler-Textes, Thomas Kralicek, 38, ist nicht irgendein unterbezahlter bild.de-Hilfsarbeiter, sondern neuer “Ressortleiter Show” bei “Bild”. Vorher war er bei RTL Newmedia für die People-Berichterstattung veranwortlich. RTL Newmedia ist eine Tochter von RTL. RTL ist der Laden, bei dem Tom Sänger (nicht “Senger”) Unterhaltungschef ist. Und der andere Autor des Fehler-Textes, Vim Vomland, ist auch nicht irgendein unterbezahlter bild.de-Hilfsarbeiter, sondern — laut “Bild”-Schwesterblatt “Welt” — eine “Bild”-Reporter-Legende. (Danke an Franz K. für den Hinweis!)

Kleinste Zweifel

FAZ:Wie war das eigentlich mit Gregor Gysis Hirn? Haben Sie Gysis Hirn gezeigt oder irgendeinen anderen Schädel?

Kai Diekmann: “Auf die hübsche Idee mit dem Gehirn hat uns zuerst Gregor Gysi selbst gebracht, als wir mit ihm über seinen Gesundheitszustand und die Belastungen der kommenden Wahl sprachen. Da hat er uns zu seinem Arzt geschickt. Bei dem Termin hat der Professor sogar noch mit Gregor Gysi telefoniert und uns mitgeteilt, er könne die Unterlagen aus der Krankenakte Gysi, die wir dann veröffentlicht haben, herausgeben. Da gibt es nicht den kleinsten Zweifel.”

(Aus einem FAZ-Interview mit dem “Bild”-Chef vom 15.9.2005)

Unter der Überschrift “Keine hübsche Idee” veröffentlicht die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” heute zu obigem Interview folgenden Leserbrief:

“K. Diekmann wird unter anderem gefragt, ob auf der Titelseite der ‘Bild’ vom 14. Juni mein Gehirn gezeigt worden sei oder nicht. Dieser Frage weicht K. Diekmann wohlweislich aus, es gibt nämlich nicht den kleinsten Zweifel, daß der abgebildete Gehirnquerschnitt nicht von mir stammt. Im Widerspruch zu seinen Behauptungen ist ‘die hübsche Idee’ mit dem Gehirn keineswegs auf mich zurückzuführen. Auch habe ich die Journalisten nicht etwa zu meinem Arzt geschickt. Schon gar nicht hat der Professor diesen gegenüber geäußert, er könne Unterlagen aus meiner Krankenakte zur Veröffentlichung herausgeben. Die Veröffentlichung ist ohne meine Kenntnis und ohne mein Zutun erfolgt. Ich habe nicht einmal geahnt, daß ‘Bild’ plante, meinen Gehirnquerschnitt auf der Titelseite zu präsentieren.

Dr. Gregor Gysi, Berlin”
(Verlinkung von uns.)

Die FAZ hat die eingangs zitierte Interview-Passage in ihrer Online-Ausgabe inzwischen ersatzlos und unkommentiert entfernt.

Mit Dank an Markus H. fürs FAZ-Lesen.

Nachtrag, 17:55:
Mittlerweile findet sich unter dem gekürzten Interview bei FAZ.net folgende “Anmerkung der Redaktion”:

Einzelne Absätze des Gesprächs sind aus rechtlichen Gründen bis zu einer abschließenden Prüfung entfernt worden.

Liegt ein Fluch über dem Sommer?

Es ist Sommer. Ein Sommer der Wiederwiederwiederholungen. Und heute fragt “Bild” anlässlich Elisabeth Volkmanns Tod:

Liegt ein Fluch über der Klimbim-Familie?

Und wir zitieren auszugsweise:

“Sie machten die Menschen glücklich — und wurden selbst so unglücklich.”

“Regisseur Michael Pfleghar († 58) erschoß sich 1991 in der Badewanne seiner Düsseldorfer Wohnung – er war des Lebens überdrüssig.”

“Im November 2005 erlitt Peer Augustinski einen schweren Schlaganfall – 14 Tage Intensivstation, Schädel-Akupunktur. Seitdem ist er halbseitig gelähmt, kämpft sich mit harter Therapie zurück ins Leben.”

“Ingrid Steeger hatte nie Glück mit den Männern. Sie war mit Michael Pfleghar liiert, der sie ausnutzte – wie alle anderen auch. Heute lebt sie mit ihrem Dackel zurückgezogen in einer Zweizimmerwohnung in München.”

Und jetzt? Jetzt zitieren wir auszugsweise aus einem Artikel der “Bild am Sonntag”, erschienen vor fast genau zehn Wochen:

"Der Klimbim-Fluch"

“Muß man selber unglücklich werden, wenn man Millionen andere glücklich macht?”

“Am 23. Juni 1991 erschoß sich der lebensüberdrüssige Pfleghar in der Badewanne seiner Düsseldorfer Wohnung.”

“Peer Augustinski hat immer sehr gesund gelebt. (…) Im November vergangenen Jahres dann ein Schlaganfall, einer von der schweren Sorte. 14 Tage Intensivstation, linksseitige Lähmung, Schädel-Akupunktur. Augustinski kämpft sich durch. Beißt sich durch die Therapie:”

“Und dann ist da noch immer Ingrid Steeger, heute 59. (…) War mit dem genialischen Michael Pfleghar liiert – der hat sie ausgenutzt wie alle ihre anderen Männer auch. Lebt jetzt mit einer alten Dackelhündin in einer Münchner Zweizimmerwohnung, die sie kaum verläßt.”

Und nur zum Vergleich wiederholen wir nun noch ein paar “Bild”- und “BamS”-Aufregersätze der vergangenen zehn Jahre:

“Das ist der Gipfel aller TV-Unverschämtheiten! Erst im April wurden die Gebühren fürs öffentlich-rechtliche Fernsehen (…) erhöht. Und jetzt bekommen wir von ARD und ZDF trotzdem einen TV-Sommer voller Wiederholungen.”
(“Bild” vom 30.7.2005)

“Der TV-Sommer der Wiederwiederwiederholungen: TV-GÄHN! Egal, wohin man zappt – fast nur noch Wiederholungen. Gähnende TV-Langeweile. (…) Wofür zahlen wir eigentlich noch TV-Gebühren!”
(“Bild” vom 16.7.2003)

“(…) jeden Sommer der gleiche Ärger über Wiederholungen im TV. (…) Deshalb fordert jetzt Hans-Joachim Otto, medienpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion: Runter mit den TV-Gebühren während der Sommermonate!”
(“BamS” vom 14.7.2002)

“Gähn-TV immer schlimmer: Das Sommer-Gähn-TV. Nur Wiederholungen, fast alle Show- und Talkmaster im Urlaub.”
(“Bild” vom 3.8.2001)

“Wofür zahlen wir im Sommer eigentlich Gebühren? Politiker fordern weniger Gebühren wegen Gähn-TV”
(“Bild” vom 28.7.2001)

“Noch nie sendete das Fernsehen so viele Wiederholungen wie im kommenden Sommer: Der trostlose TV-Sommer”
(“BamS” vom 2.7.2000)

“Ab Juni fast nur noch Wiederholungen: Das Fernsehen fällt in den Sommerschlaf”
(“BamS” vom 30.5.1999)

“Nur noch Wiederholungen: Frechheit: Fernsehen fällt drei Monate in Sommerschlaf”
(“BamS” vom 1.6.1997)

“Bild” zeigt irgendetwas exklusiv

“Bild” druckt heute exklusiv ein Foto, das zeigen soll, wie die Leiche des Berliner Tierpflegers Thomas Dörflein, eingehüllt “in einen grauen Plastiksack”, von zwei Mitarbeitern der Gerichtsmedizin abtransportiert wird:

Ralph Große-Bley, “Bild”-Redaktionsleiter Neue Bundesländer, stört an diesem Foto (wie er heute in der Blattkritik der “Bild”-Zeitung sagte), dass in der Bundesausgabe der Zeitung nicht dabei steht, dass “der erste Bestatter, der vorne läuft, die Stiefel von Dörflein in der Hand hält”.

Interessante Kritik. Wir hingegen haben Zweifel, ob das Foto überhaupt das zeigt, was “Bild” behauptet. BILDblog-Leser Moritz M. schreibt uns nämlich, dass auf dem Foto womöglich nur zwei Sanitäter zu sehen seien und auf ihrer Liege “(höchstens) ein bisschen Gerät, eingepackt in eine Vakuummatratze”.

Wir sind für sowas keine Experten, halten das aber für nicht unplausibel. Weil die Berliner Behörden uns leider nicht weiterhelfen konnten, aber unsere Leser alles wissen, fragen wir Sie:

Wer kennt sich aus und klärt uns auf?

Nachtrag, 24.9.2008: Eindeutig beantworten können wir die Frage leider auch nach den vielen sachdienlichen Hinweisen nicht: Rettungssanitäter transportieren offenbar keine Leichen; Bestatter tragen aber wohl auch mal Hosen mit Reflektorstreifen, benutzen solche Ferno-Fahrgestelle und Leichenhüllen mit sackförmiger Ausprägung am Fußende. Es bleibt am Ende also nicht unwahrscheinlich, dass auf dem “Bild”-Foto tatsächlich das zu sehen ist, was “Bild” behauptet.

Mit Dank an Claudius R., Dominik M., Maro, David A., Andreas H., Hagen M., Michael D., Inga J., Arne K., Christian K., Holger K., Michael S., Frauke M., Nils-Christian C., Dirk B. Florian S., Silvio G., Thomas L., Moritz E., W.S., Kim D. S., Fabian, Timo G., Marc D., Murat B., Philip H., Nicolas G., Nils F., Florian S., kr51-2, Björn M., Simon S., Janis S., Veit, Alexander Z., Marcel B., Lukas R., Marco P., Kerstin, Helge J. G., Norbert, Matthias S., F.W.H., Michael P., Martin G., Stefan H., Ina L., Holger, Michael M., Michael B., Jens G., Henning S., Roland R., Michael K., Martin G., Björn L., Nico van G., Hanno L., Martin B., Lennart S., Niklas P., Thomas B. und Tom vom Bestatterweblog.

Huffbaiting-Post, Lügenpartei, Aufwachen

1. “FAZ Woche”: Jung und ohne Perspektive
(wuv.de, Manuela Pauker)
Die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” hat für den 22. April eine neue Publikation angekündigt: Die “FAZ Woche”. Das Magazin ist laut Verlag “auf die spezifischen Ansprüche der jungen Elite zugeschnitten, einer Zielgruppe die “always on” ist”. Manuela Pauker, Ressortleiterin Medien bei “W&V”, räumt dem Vorhaben keine großen Chancen ein: “Ein ehrenwerter und ambitionierter Versuch. Nur: Es wird mit großer Wahrscheinlichkeit schiefgehen. Denn wenn die letzten, sagen wir, zehn Jahre etwas gebracht haben, dann die Gewissheit, dass die nachwachsende Generation immer weniger Bock auf althergebrachte Darreichungsformen von Informationen hat”.

2. Das macht die „Huffington Post“ mit Einwanderern
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
“Die „Huffington Post“ betreibt Clickbaiting, das offenbar ganz gezielt rassistische Reflexe triggern soll – und triggert.” Diesem Resümee kann man sich nur anschließen, wenn man die Beispiele sieht, die Boris Rosenkranz in seinem Beitrag zusammengestellt hat. Ob durch manipulative Überschriften, Bebilderung oder Teasertexte: Die scham- und rücksichtslose Jagd nach dem schnellen Klick hat Methode. Auch, wenn die klicksüchtigen Berufszyniker der “Huffington Post” in einem allzu schäbigen Fall zurückrudern mussten.

3. Dreist: AfD fälscht Abendzeitungs-Überschrift
(abendzeitung-muenchen.de, Timo Lokoschat)
Die “Abendzeitung” macht auf einen besonders dreisten Fall von Fälschung aufmerksam: Die AfD (Kreisverband Nürnberg) hat auf Facebook einen “Abendzeitung”-Artikel geteilt, diesen jedoch mit einer selbstgetexteten, tendenziösen Überschrift versehen. Besonders pikant bei einer Partei, die sich fortwährend über die “Lügenpresse” beklagt und von der “Pinocchiopresse” höhnt. (Update 08:05 Uhr: Die AfD Nürnberg hat nun kommentarlos gelöscht.)

4. “Dann schreib doch unter nem Männernamen!”
(herlandnews.com, Zoë Beck)
Zoë Beck, als Verlegerin, Autorin, Übersetzerin und Synchronregisseurin seit langer Zeit erfolgreich im Mediengeschäft, macht sich Gedanken, wie es wäre, wenn ein Männername ihre Buchcover zieren würde: “Natürlich reizt es mich entsprechend auch schon seit Jahren, diesen Test zu machen: Wie käme derselbe Text an, stünde ein Männername drauf? Das Experiment müsste aber noch weitergehen: Gäbe es andere Vorschüsse? Andere Werbemaßnahmen? Würde der Buchhandel anders vorbestellen? Sähen die Verkaufszahlen anders aus?”

5. Eine Frage der Ethik
(daniel-bouhs.de)
Daniel Bouhs berichtet von den aktuellen Diskussionen im Presserat, dem Selbstkontrollgremium der Medien. Streitgegenstand ist derzeit eine Richtlinie des Pressekodex zur Nennung von Abstammungen: „die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten [wird] nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht“. Bouhs berichtet über das Pro und Contra und die Interessenlage der Medien.

6. A!096 – American Saleswoman
(aufwachen-podcast.de, Stefan Schulz & Tilo Jung)
Wer Podcasts mag und sich für Medien interessiert, kommt am “Aufwachen-Podcast” nicht vorbei. Hier seziert ein, sich aufs Vorteilhafteste ergänzendes, Zweimann-Team regelmäßig die Nachrichten der Öffentlich-Rechtlichen: Auf der einen Seite der Soziologe und ehemalige FAZ-Journalist Stefan Schulz, auf der anderen Seite Tilo “Bundespressekonferenz” Jung. Ein aktueller Anlass zum Einschalten ist die Berichterstattung über den amerikanischen Wahlkampf: Eine derart ausführliche Auseinandersetzung mit den derzeit stattfindenden Debatten der Präsidentschaftsbewerber wird man schwer finden.

Dämonisierung, Hayalis Pöbel-Replik, Instagramliebling Nico

1. In ein ganz schlechtes Licht gerückt: die fotografische Dämonisierung der Elke Twesten in den Medien
(meedia.de, Hendrik Steinkuhl)
Der Wechsel der Grünen-Abgeordneten Elke Twesten zur CDU beendet die Rot-Grün-Mehrheit in Niedersachsen. Da ist es klar, dass die Medien heiß laufen. Um die Überläuferin besonders diablisch aussehen zu lassen, bediente sich ein “dpa”-Fotograf eines Tricks und lichtete die Politikerin mit einer von unten nach oben scheinenden Lichtquelle ab. Zahlreiche Medien verwendeten die manipulativen Bilder. Hendrik Steinkuhl hat den Vorgang aufgearbeitet und auch die “dpa” dazu befragt. Sein Fazit: “Am Ende sind nur zwei Dinge relevant: Diese Fotos manipulieren die Leser und verletzen die Ehre von Elke Twesten.”

2. Löschung von Hayali-Kommentar – Facebook entschuldigt sich
(spiegel.de)
Die “ZDF”-Moderatorin Dunja Hayali antwortete jüngst auf einen Hasskommentar, indem sie ihn sprachlich spiegelte: “Emre… du endgeiler Ficker warum so ein hass auf deutsche??” Anscheinend schlugen daraufhin die Alarmsysteme an und Facebook löschte den Beitrag, der innerhalb kurzer Zeit mehr als 4.000 Mal kommentiert und über 1.600 geteilt worden war. Nun hat sich Facebook für das Löschen der Pöbel-Replik entschuldigt und Hayalis Antwort wiederhergestellt.

3. “Ein bisschen mehr Aufmerksamkeit hätte ich schon erwartet”
(deutschlandfunk.de, Brigitte Baetz)
Seit 100 Tagen befindet sich die Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu in türkischer Haft. Der “Deutschlandfunk” hat sich mit Baki Selçuk vom Solidaritätskreis unterhalten. “Wenn sich die Politik ein bisschen mehr für die Freiheit der Journalisten oder politisch Inhaftierten einsetzen würde, würde sich auch bei der Bevölkerung mehr bewegen.”

4. Die sozialen Stars
(taz.de, Lalon Sander)
Lalon Sander hat sich für die “taz” angeschaut, was die extremen Rechten im Juli beschäftigt hat. Dazu hat er Internetseiten besucht, die als beliebte Anlaufstellen für Verschwörer, Rechte und Populisten gelten. Drei dieser Seiten galt sein besonderes Augenmerk: “Junge Freiheit”, “Compact” und “PI-News”. Beliebte Themen sind Flüchtlingsfeindlichkeit, Rassismus, Merkelhass und die AfD. Sander hat viele der Artikel verlinkt, jedoch dafür gesorgt, dass sich die Verlinkung nicht positiv auf das Suchmaschinenranking auswirkt.

5. Kayleigh McEnany – von CNN zu Trumps “Real News”
(sueddeutsche.de, Johanna Bruckner)
“CNN”-Kommentatorin Kayleigh McEnany (29) hat die Seiten gewechselt und arbeitet nun für “Real News”. Dabei handelt es sich um ein Nachrichtenformat, das US-Präsident Donald Trump vergangene Woche auf seiner Facebook-Seite vorgestellt hat. Wie leider nicht anders zu erwarten, handelt es sich um eine einseitige Propagandaschau. Passend werden die “Real News” nicht irgendwo, sondern in Trumps privatem Revier, dem New Yorker Trump Tower aufgezeichnet.

6. Can I have your Instagram name?
(canihaveyourinstagramname.tumblr.com, Nico Kaiser)
Nico Kaiser ist schon lange auf Instagram und daher in den Genuss eines einprägsamen und kurzen Profilnamens gekommen: Sein Instagram-Benutzername heißt schlicht “Nico”. Dies ruft viele andere Nicos auf den Plan, die ihm den Namen abkaufen/ausleihen/wegnehmen wollen. Die lustigsten dieser “Anfragen” stellt er in einem Tumblr-Blog vor.

Abzockverlag mit Fake-Magazinen, Auflagenschwund, Regenbogenpresse

1. So zockte eine Familie reihenweise Konzerne ab
(sueddeutsche.de, Leo Klimm & Alexander Mühlauer)
Von einer schier unglaublichen Geschichte berichtet die „Süddeutsche“: Eine französische Familie soll über viele Jahre namhafte Anzeigenkunden mit Fake-Magazinen geneppt haben. “Das Krankenhaus-Register”, “Technik-Revue der Verteidigungs-Ausrüster” oder “Das Nuklear-Magazin” hießen die Zeitschriften, denen man Auflagen von bis zu 48.500 andichtete. In Wahrheit druckte man jedoch nur einige wenige Exemplare, die für die Anzeigenkunden bestimmt waren. Die mehr oder weniger journalistischen Beiträge in den Magazinen seien “aus dem Internet kopiert” worden. Als Herausgeber der Zeitschriften fungierten Gewerkschaftler, die Beschäftigte französischer Ministerien, Behörden oder der französischen Bahn SNCF vertreten und die man mit ein paar tausend Euro im Jahr abspeiste. Der Fake-Verlag muss riesige Gewinne abgeworfen haben: Noch nach seiner vorübergehenden Festnahme sei es dem Clan-Chef gelungen, mehr als fünf Millionen Euro in ein Steuerparadies zu verschieben.

2. Selbst Nackte auf dem Cover retten IVW-Bilanz nicht mehr
(wuv.de, Petra Schwegler)
Petra Schwegler kommentiert die Print-Auflagenzahlen des letzten Quartals. Die Kurve gehe weiter nach unten. Bei einigen Titeln sogar dramatisch wie beim „Stern“, der ein Minus von 15 Prozent an verkaufter Auflage hinnehmen musste. Aber auch „Bild“, „Focus“ und „Spiegel“ zählen zu den Verlierern.

3. Wolfgang M. Schmitt im Gespräch (1)
(moviebreak.de)
Auf seinem YouTube-Kanal „Die Filmanalyse“ beleuchtet Wolfgang M. Schmitt aktuelle Großproduktionen und Kinoklassiker und bedient sich dabei der „ideologiekritischen Analyse“. Fast 15.000 Abonnenten schauen sich Woche für Woche an wie Schmitt beispielsweise Produktionen wie „Fack Ju Göthe 3“ zerlegt (den Schmitt übrigens für einen reaktionären und zynischen Film hält). Im auf vier Webseiten verteilten Interview spricht er von seiner Tätigkeit als Kritiker und seinem Verständnis von Filmen

4. Audio ist der Text der mobilen Generation
(zeitgeist.rp-online.de, Michael Bröcker)
Michael Bröcker, Chefredakteur der „Rheinischen Post“, berichtet über Audio als neuen Trend im Journalismus. Bei der Rheinischen Post setze man auf den Amazon-Assistenten „Alexa“ und demnächst Spotify. Außerdem habe man gleich vier Podcast-Formate pro Woche am Start. Das erfolgreichste Format sei der morgendliche Nachrichtenüberblick um sieben Uhr, mit dem man die Pendler erreiche.

5. Native Advertising – eine Mogelpackung
(de.ejo-online.eu, Georgia Ertz)
Gleich zwei Studien haben sich mit „Native Advertising“ beschäftigt, einer Werbeform, die sich als redaktioneller Inhalt tarnt. Die Ergebnisse sind ernüchternd: Trotz entsprechender Warnhinweise würden die meisten Mediennutzer Native Advertising nicht erkennen, wenn sie es sehen: „Beide Studien zeigen, dass Native Advertising somit ein Täuschungsmanöver bleibt, das vermutlich vor allem der Glaubwürdigkeit des Journalismus und der Medienunternehmen schadet.“

6. Elton trennt Barbara Schöneberger von ihrem Glück
(uebermedien.de, Mats Schönauer)
Haben Sie das Zeug zum Regenbogenredakteur? Finden Sie es heraus! Mats Schönauer vom „Topf voll Gold“ gibt Ihnen eine Nachricht, und Sie versuchen, eine angemessene Knallschlagzeile daraus zu basteln. Sie müssen sich jedoch anstrengen: Die Lügenbarone von der Regenbogenpresse haben Ihnen einiges an Berufserfahrung, Unverschämtheit und Skrupellosigkeit voraus.

Journalistische Rechtslust, Igel an den Orgeln, Herr des Türenzischens

1. Populismus und Appeasement
(journalist-magazin.de, Michael Kraske)
Der “journalist” hat seine aktuelle Titelgeschichte online gestellt. Michael Kraske führt in dem längeren Lesestück aus, wie der Rechtspopulismus auch den Journalismus erreicht: “Magazine entdecken die Lust an Krisen- und Untergangstiteln. Bild schürt wieder Ängste gegen Minderheiten. Polit-Talker treten als Volkes rechte Stimme auf, und Redakteure werben für einen verständnisvollen Umgang mit der AfD. Derweil geht das Sterben im Mittelmeer weiter. Journalisten sind dabei, Grundwerte preiszugeben. Das dürfen wir nicht zulassen.”

2. „Ohne Igel an den Orgeln“
(taz.de)
Die “taz” startet ihren traditionellen “Unterbringwettbewerb”, bei dem ein vorgegebener Nonsense-Satz in einen Zeitungsartikel, eine Radiosendung, ein Fernsehstück oder einen Internetbeitrag geschmuggelt werden muss. Je ernsthafter, desto besser! Dieses Jahr lautet der Satz: “Ohne Igel an den Orgeln keine Orgien in Georgien.” Einsendeschluss ist der 4. Oktober 2018.

3. Wisch und weg?!?
(spiegel.de, Margarete Stokowski)
Margarete Stokowski knöpft sich in ihrer neuen “Spiegel”-Kolumne die Kritiker der aktuellen Rassismus-Debatte vor: “Die aktuelle Diskussion über Özil und #MeTwo lässt sich auf die doch etwas jämmerliche Frage reduzieren: Gibt es in Deutschland mehr Rassismus als Deutsche wahrnehmen, die von Rassismus nicht betroffen sind? Das ist für diejenigen, die Rassismus erfahren, eine Frage der Sorte “Ist der Papst katholisch?” und für andere ein richtig schönes Debattenthema. Es scheint für einige Leute naheliegender, dass sehr viele Menschen, die ein Ü, Y oder Z im Namen tragen, paranoid sind und sich Diskriminierung einbilden, als dass sie selbst etwas nicht mitgekriegt haben.”

4. “Journalisten leben eben auch in einer Blase”
(ndr.de, Caroline Schmidt, Video, 8:18 Minuten)
Die Moderatorin des Schweizer Fernsehens (SRF) Susanne Wille spricht im “Zapp”-Sommerinterview über journalistische Haltungen, ihr Eintreten für den Schweizer Rundfunk und den Sinn einer emotionalen Debatte.

5. Papierzölle gefährden US-Presse
(deutschlandfunk.de, Sebastian Schreiber)
Eine Papierfabrik im amerikanischen Bundesstaat Washington hat darüber geklagt, dass kanadische Produzenten subventionsbedingt billiger anbieten könnten. Darauf hat die Trump-Regierung höhere Einfuhrzölle für kanadisches Papier verhängt. Was die amerikanische Papierindustrie stärkt, schwächt jedoch eine andere Branche: Die eh schon angeschlagene amerikanische Zeitungsindustrie. Sind die neuen Zölle ein gezielter Angriff auf die US-amerikanische Pressefreiheit?

6. Der Herr des Türenzischens ist tot
(golem.de, Tobias Költzsch)
Der US-amerikanische Sounddesigner Doug Grindstaff ist im Alter von 87 Jahren gestorben. Wenn Sie von Grindstaff noch nie etwas gehört haben, trifft dies wahrscheinlich nur teilweise zu: Er hat die Klangkulisse für die Star-Trek-Serie aus den Sechzigern (“Raumschiff Enterprise”) kreiert. Von ihm stammen unter anderem bekannte Sounds wie das Zischen der Türen, die Sirenen für den roten Alarm, das Piepen der Kommunikatoren sowie das Geräusch, das die Transporter der Enterprise machen.

Bild.de klaut Counter-Strike-Glossar

Klaut man einem Teamkollegen im Spiel Counter-Strike den Abschuss eines Gegners, nennt man das: “Killsteal”. Klaut man einer anderen Website das Counter-Strike-Glossar, nennt man das: das Vorgehen von Bild.de.

Bleiben wir mal beim “Killsteal”. Den Begriff definiert Bild.de im eigenen “Counter-Strike-Lexikon”, das vor zwei Tagen erschienen ist, so:

Screenshot Bild.de - Von Aimbot bis Wallhack - Das Counter Strike-Lexikon - Killsteal - Jemanden den Abschuss klauen

Die Counter-Strike-Szeneseite “99Damage” definiert “Killsteal” in einem Glossar, erschienen am 3. Februar 2017, so:

Screenshot 99Damage - Killsteal - Jemanden den Kill klauen

Klar, könnte ein Zufall sein — “Killsteal” ist ja schnell mit “Abschuss klauen” übersetzt. Dann wäre es aber einer von vielen Zufällen. Zum Begriff “Ninja (Defuse)” etwa schreibt Bild.de:

Die Entschärfung der Bombe, wenn noch nicht alle Terroristen ausgeschaltet sind.

Und “99Damage”:

Die Entschärfung der Bombe bei noch lebenden Terroristen

Bild.de zum “Wallbang”:

Den Gegner durch eine Wand oder andere Objekte anschießen oder ausschalten.

“99Damage”:

Den Gegner durch eine Wand oder andere Objekte verletzen oder töten

Einige der Definitionen hat Bild.de nicht mal plump umgeschrieben, sondern komplett abgeschrieben. Zu “Prefire” beispielsweise steht bei Bild.de:

Auf Verdacht auf eine bestimmte Position schießen.

… genauso wie bei “99Damage”.

Zu “Wallhack” schreibt Bild.de:

Ein Cheat, der es ermöglicht, den Gegner durch Wände zu erkennen.

Auch das findet man exakt so bei “99Damage”.

Insgesamt listet die Bild.de-Redaktion 71 Counter-Strike-Begriffe auf. 66 davon gibt es auch bei “99Damage”, zumeist ähnlich oder komplett gleich definiert. Neben Killsteal, Ninja (Defuse), Prefire, Wallbang und Wallhack sind das:

Ace
A-D-A-D-A-D’ing
ADR
Aimbot
Aimpunch
Anti-Eco
Assist
Backstabbing
Buffed
Callout
Camper
Carry
Choke
Clutch
Crossfire (Kreuzfeuer)
Crouch-Jump
Deagle
Dinked
Drop
Eco
Entryfrag
Exitfrag
Fake
Flawless
Force(-buy)
Frag
GG
Headglitch
HP
IGL
Jumpshot
Jumpthrow
Krieg
Legged
Long Jump
Lurker
Molly
Nade
Nerf
No Scope
Noob
Peek
Pick
Pistol-Round
Push/Rush
Recoil
Recoil Control
Refrag
Retake
Rotate
Run’n’Gun
Save
Scout
Split
Stack
Step
Tagging
Tappen
Team-Ace
TK
Toxic

Wir haben bei den Mitarbeitern von “99Damage” nachgefragt, ob sie Bild.de erlaubt haben, sich am Glossar zu bedienen. Haben sie nicht. “Bild”-Chef Julian Reichelt spricht in solchen Fällen gern von digitalen Hühnerdieben.

Mit Dank an Reyk M. für den Hinweis!

Nachtrag, 16:25 Uhr: Was schon in der Schule verräterisch ist, ist auch für Redaktionen blöd: beim Abschreiben Fehler zu übernehmen. Zum Begriff “Killsteal” muss es korrekterweise natürlich heißen: “Jemandem den Abschuss klauen” und nicht, wie Bild.de schreibt, “Jemanden den Abschuss klauen”.

Mit Dank an Frank M., Ralf S. und @Gunneone für die Hinweise!

KW 39/22: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich (langes) Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. Mildes Urteil nach Nazi-Angriff auf Journalisten
(ndr.de, Zapp, Julian Feldmann, Video: 15:36 Minuten)
Vor vier Jahren kam es in Thüringen zu einem heftigen Zwischenfall: Als zwei Fotografen vor dem Haus eines NPD-Politikers fotografierten, wurden sie von zwei Neonazis angegriffen und schwer verletzt. Eines der Opfer erlitt einen Schädelbruch, das andere einen Messerstich ins Bein. Nach einem langwierigen Verfahren kam es nun zu einem Urteil, das sowohl von den Opfern als auch von Außenstehenden als verstörend mild empfunden wird. Julian Feldmann ist ins thüringische Fretterode gereist und hat mit einem der Opfer sowie dem Sprecher des Landgerichts gesprochen.

2. Markus Feldenkirchen in der “Hörbar Rust”
(ardaudiothek.de, Bettina Rust, Audio: 1:22:43 Stunden)
In der “Hörbar Rust” begrüßt Bettina Rust den Journalisten Markus Feldenkirchen, der im Hauptstadtbüro des “Spiegel” arbeitet und den “Spiegel”-Video-Talk “Spitzengespräch” moderiert. Darüber hinaus ist Feldenkirchen auch als Gast von TV-Talkshows und als Sachbuchautor (“Die Schulz-Story”) bekannt. Im Gespräch mit Bettina Rust geht es um seinen Werdegang, beginnend mit seiner “phantastischen Jugend” bis hin zur Jetztzeit.

3. Warum sollten sich Medienschaffende regelmäßig mit Medienrecht auseinandersetzen, Dr. Gabriele Stark?
(newsfluence.podigee.io, Eva-Maria Schmidt, Audio: 23:29 Minuten)
In der aktuellen “Newsfluence”-Folge erklärt die auf Medienrecht spezialisierte Juristin Gabriele Stark, wie sich Journalistinnen und Journalisten vor unnötigen Abmahnungen und teuren Strafen schützen können und welche Rechte sie kennen und beachten müssen.

Bildblog unterstuetzen

4. Wieso werden Werkstätten für behinderte Menschen in den Medien kaum kritisiert?
(uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 15:33 Minuten)
Beim RBB-Hörfunksender Radio Eins sprachen vergangene Woche Menschen mit und ohne Behinderung täglich über Themen wie Barrierefreiheit und die Frage, wie inklusiv der RBB selbst ist. Dabei trafen der Aktivist Raul Krauthausen, der mit seinem Verein “Sozialhelden” für mehr Teilhabe kämpft, und Beatrix Babenschneider, eine ehemalige Werktstatträtin, aufeinander. Das Publikum der Diskussion sei offenbar fast ausschließlich mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Werkstätten für Menschen mit Behinderung besetzt gewesen. Das habe für eine erhebliche Schieflage gesorgt, so die vielgeäußerte Kritik in den Sozialen Medien. Holger Klein hat sich mit Raul Krauthausen über das Thema ausgetauscht.

5. Interviews freigeben – Fluch oder Segen?
(talkingdigital.de, Kristin Dolgner & Sachar Klein & Giuseppe Rondinella, Audio: 35:01 Minuten)
Bei “Talking Digital” geht es um den Freigabeprozess von Interviews: “Warum haben solche gescheiterte Interviews in den vergangenen Jahren gefühlt zugenommen? Warum überhaupt hat sich diese Autorisierungspraxis nur in Deutschland durchgesetzt? Was sind Vor- und Nachteile? Und warum machen Medien gescheiterte Interviews selbst zum Thema?”

6. “Markus Lanz” vom 29. September 2022
(zdf.de, Markus Lanz, Video: 1:16:05 Stunden)
Das neue Buch von Philosoph Richard David Precht und Soziologe Harald Welzer (“Die vierte Gewalt – Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist”) kam in den bisherigen Rezensionen (“FAZ”, “Übermedien”, “Frankfurter Rundschau”, “Stern”) nicht allzu gut weg. In der Talksendung von Markus Lanz diskutierten die beiden Buchautoren mit der “Spiegel”-Journalistin Melanie Amann und dem “Welt”-Journalisten Robin Alexander. Ein bemerkenswertes Aufeinandertreffen.

Pfusch beim Sicherheitscheck

Wenn Sie sich jetzt bitte anschnallen, die Rücklehnen senkrecht stellen und die Tische nach vorne klappen — die “Bild”-Zeitung ist in die Luft gegangen und wir erwarten Turbulenzen. Bitte lassen Sie sich auch von der Überschrift nicht in die Irre führen:

Wie sicher ist meine Fluggesellschaft?

steht zwar über dem betreffenden Artikel bei Bild.de, aber er richtet sich auch an Menschen, die sich nicht extra eine Fluggesellschaft kaufen, um bequem eine Fernreise antreten zu können.

Die Zeitschrift “Aero International” hat, wie jedes Jahr, die Unfallstatistiken der 50 größten Fluggesellschaften ausgewertet. Grundlage ist das “Jet Airliner Crash Data Evaluation Centre”. Bild.de bezieht sich in seinem Artikel auf “Aero”, verblüffenderweise unterscheidet sich das Bild.de-Ranking jedoch in wesentlichen Punkten von dem “Aero”-Ranking.

Auf Platz 4 steht bei Bild.de “El Al”:

Die Fluggesellschaft aus Israel fliegt seit dem Berechnungszeitraum von 1973 ebenfalls absolut unfallfrei.

Der Satz ist nicht nur grammatisch falsch: Am 4. Oktober 1992 stürzte eine 747-200 von El Al in Amsterdam in ein Wohnhaus; 3 Besatzungsmitglieder, ein Passagier und 43 Menschen am Boden kamen ums Leben. Aber “El Al” ist im “Aero”-Ranking 2004 ohnehin gar nicht vertreten, weil sie nicht mehr zu den 50 größten Fluggesellschaften gehört.

Platz 6 bei Bild.de: “Austrian Airlines”:

Die österreichische Fluggesellschaft, Gründungsjahr 1957, fliegt auch seit 1973 absolut unfallfrei.

Sicherheitsrate 0,00

Bei “Aero” liegen die “Austrian Airlines” nur auf Platz 16, und das aus gutem Grund: Am 4. Januar 2004 musste eine Fokker 70 dieser Gesellschaft nach einem Triebwerksschaden bei München notlanden. Die “Sicherheitsrate” liegt in Wahrheit nur bei 0,07.

Es gibt noch viel mehr Ungereimtheiten, und am Ende eine schlichte Erklärung für alle. Bild.de berichtete vor einem Jahr bereits über das damalige “Aero”-Ranking. Die Überschrift 2004 lautete:

Zum Vergleich die Überschrift von 2005:

Der Texte darunter wurde zwar leicht verändert, aber irgendwer hatte dann offensichtlich keine Lust mehr, auch noch mühsam die neuen Ergebnisse einzutragen, und kopierte stattdessen die Daten von 2004 einfach nach 2005. Und um das Chaos komplett zu machen, führen die Links im aktuellen Artikel zu zwei verschiedenen Adressen: Die Worte “Top-10-Airlines” führen zum Pop-up von 2004, die Worte “die zehn sichersten Airlines der Welt” zum Pop-up von 2005, dessen Daten allerdings bei Bild.de ja ohnehin fälschlicherweise mit denen von 2004 identisch sind.

Verwirrt? Ja, wir auch. Sagen wir es so: Wenn Bild.de eine Fluggesellschaft wäre, würden wir vor der Buchung dringend zu einem Sicherheitscheck raten.

Vielen Dank an Christoph W.!

Nachtrag, 25.02.: Bild.de hat den neuen Artikel mit den falschen Daten anscheinend als Totalschaden klassifiziert und nun komplett aus dem Verkehr gezogen.

Charlotte Roche redet in, aber nicht mit “Bild”

Gestern stand in “Bild” ein großer Artikel, der aus drei Gründen ungewöhnlich ist.

Erstens stimmt in ihm jedes Wort.

Zweitens stellt er bundesweit auf breitem Raum eine Lesung vor, die es bereits seit eineinhalb Jahren gibt, was nicht nur für eine Zeitung, die mit den Worten “Informationsvorsprung mit vier Buchstaben” für sich wirbt, ganz schön lange ist.

Und drittens erweckt der Artikel den Eindruck, als berichte er freundlich für eine Veranstaltung von und mit der Moderatorin Charlotte Roche, so als habe Roche ebenso freundlich mit der “Bild”-Zeitung zusammengearbeitet. Was erstaunlich wäre, denn eben jene Charlotte Roche ist eine der schärfsten öffentlichen Kritikerinnen der “Bild”-Zeitung — aus gutem Grund: Sie musste die Methoden der Zeitung auf eine extreme Art kennen lernen.

Aber scheinbar herrscht jetzt eitel Sonnenschein. “Bild” zeigt groß ein freundliches Foto von ihr und ihrem Bühnen-Partner Christoph Maria Herbst und berichtet über die “seltsame Lesung” in der Bonner Kunsthalle aus einer Doktorarbeit mit dem Titel “Penisverletzungen bei Masturbation mit Staubsaugern”. “Bild”-Mitarbeiterin Alexandra Würzbach zitiert nicht nur aus dem Vortrag, sondern hat auch mehrere ausführliche Zitate von Charlotte Roche zu bieten. Etwa über ihre Beziehung zu Staubsaugern oder über die Idee zur Lesereise:

“Wir saßen abends zusammen und haben uns — mal wieder — über Sexunfälle unterhalten. Von leeren Cola-Flaschen bis zu anal eingeführten tiefgeforenen Forellen.” Bitte was? “Das Problem bei denen ist…”

Das “Bitte was?” ist interessant, denn man könnte denken, das wäre die Nachfrage von “Bild” gewesen. Aber das steht nicht da, und so war es auch nicht.

Fragt man Charlotte Roche, sagt sie, dass sie nicht mit “Bild” geredet hat. Nach der Lesung sei sie zwar von einer “Bild”-Mitarbeiterin angesprochen worden, habe die Bitte um ein Gespräch aber abgelehnt. Auch das große Foto ist weder von einem “Bild”-Fotografen, noch aktuell, sondern mindestens acht Monate alt.

Das Management der Lesung-Tournee habe die ausdrückliche Anweisung, sagt Charlotte Roche, Anfragen von “Bild” oder anderen Springer-Medien abzulehnen. Auf vielerlei Arten hätten es “Bild”-Leute und freie Mitarbeiter versucht, in die ausverkaufte Lesung zu kommen, und schließlich auch geschafft. Alle Zitate von Charlotte Roche stammen aus dem Frage- und Antwortspiel mit dem Publikum im Anschluss an die Lesung.

Das steht zwar nicht in dem “Bild”-Artikel, aber das Gegenteil auch nicht. Alles ist völlig korrekt. Und nur Charlotte Roche fragt sich verärgert, wie viele Leute nach dem Lesen des Artikels wohl fälschlicherweise angenommen haben, sie und “Bild”, das sei eine ganz normale Beziehung.

Wie “Bild” sich selbst korrigiert

Naja, so ein paar Links am Anfang können natürlich nie schaden. Ebensowenig wie die Information, dass Joachim Huber beim Berliner “Tagesspiegel” Redakteur der Medienseite ist, auf der in der Vergangenheit öfters mal “Bild”-kritische Artikel erschienen sind. Aber es geht auch ohne.

Schließlich ist dies nicht die Geschichte, wie Joachim Huber einmal dafür sorgte, dass die “Bild”-Zeitung auf ihr Seite-1-Girl verzichtet und stattdessen lieber das Foto einer verschleierten Frau gezeigt hatte. Nein, es ist nicht einmal eine Geschichte darüber, wie ein “Tagesspiegel”-Kollege Hubers Susanne Osthoff für den renommierten Grimme-Preis vorgeschlagen hatte und Huber daraus eine Nachricht bastelte, die ihm einigen Ärger einbrachte, zumal Huber selbst in die Grimme-Preis-Jury berufen worden war (siehe Links am Anfang), die am kommenden Samstag erstmals tagt. Und dass “Bild” Hubers Osthoff-Nachricht tags drauf auf der Titelseite brachte (siehe Ausriss), auf den “Tagesspiegel” als Quelle verzichtete und stattdessen lieber sinnentstellend zugespitzt behauptete, für ihre Auftritte “soll sie nun den bedeutenden Grimme-Medienpreis bekommen” – geschenkt. Wer erwartet schon, dass “Bild” sich mit den Regularien der Grimme-Preis-Vergabe vertraut macht, bevor sie darüber berichtet, anstatt zu verschleiern, dass Osthoff ja, wie gesagt, mitnichten nominiert, sondern lediglich vorgeschlagen worden war, was wenig bedeutet, weil über die Nominierungen eine Nominierungskommission entscheidet, und anschließend eine Preis-Jury über die Preisträger?

Nein, dies ist die Geschichte, wie “Bild” eine Falschmeldung korrigiert. Denn am Montag hatte “Bild” berichtet, Huber bleibe trotz seiner umstrittenen Meldung Grimme-Juror (siehe Ausriss links). Genauer gesagt hatte “Bild” ungeprüft eine kleine Meldung aus dem “Focus” übernommen – und anschließend sogar bei diversen Jury-Kollegen Hubers nachgefragt, was die denn eigentlich so davon halten. Das Ergebnis der Umfrage allerdings ist nie erschienen, was unter anderem daran gelegen haben könnte, dass die Meldung von Hubers Jury-Mitgliedschaft bereits überholt war, als der “Focus” erschien – und umso überholter, als “Bild” sie nachdruckte…

… wobei das jetzt eben nicht heißen soll, dass “Bild” die “Focus”-Ente nicht umgehend korrigiert hätte. Im Gegenteil: Bereits am Dienstag stand die Richtigstellung (also dass Huber bereits am Freitag vergangener Woche freiwillig auf seinen Platz in der Jury verzichtet hatte) sogar auf der “Bild”-Titelseite und originellerweise in der “Verlierer”-des-Tages-Rubrik. Dort hieß es:

“Joachim Huber (47), Redakteur des Berliner ‘Tagesspiegel’, zieht sich aus der Jury des Grimme-Preises zurück. Der Journalist hatte ‘exklusiv’ über die angebliche Nominierung von Irak-Geisel Osthoff für den begehrten Medienpreis berichtet – obwohl der Vorschlag von einem ‘Tagesspiegel’-Redaktionskollegen stammte und Huber selbst Mitglied der Grimme-Jury ist. (…)”

PS: Dass Huber über den Osthoff-Vorschlag berichten konnte, hat nichts mit seiner Jury-Mitgliedschaft zu tun. Und dass Huber, anders als “Bild”, niemals fälschlicherweise “über die angebliche Nominierung” Osthoffs berichtet hatte, sondern faktisch korrekt über den tatsächlichen Vorschlag, blieb in “Bild” bis heute unberichtigt.

“Bild” lässt eigenen Fehler klarstellen

Ganz am Ende des heutigen “Steuer-Schock”-Artikels “So teuer wird 2007” steht in “Bild” ein merkwürdiger Satz. Er lautet:

Das Bundesfinanzministerium stellte unterdessen klar: Die Besteuerung der Bergmannsprämien (5 Euro je voller Schicht unter Tage) bringt nur 25 statt 300 Millionen Euro.

Das klingt, als habe das Bundesfinanzministerium da einen blöden Fehler gemacht. Als hätte man sich verrechnet. Als müsse man nachträglich, peinlicherweise, zugeben, dass die Besteuerung der Prämien viel weniger Geld bringt, als man sich erhofft hatte.

Nur hat das Bundesfinanzministerium von Anfang an von 25 Millionen Euro gesprochen. Nachzulesen war das am Mittwoch und Donnerstag u.a. im “Hamburger Abendblatt”, in der “Financial Times Deutschland”, bei n-tv, im österreichischen “Standard”, im “Handelsblatt” und in der “Frankfurter Rundschau”.

Von 300 Millionen Euro Mehreinnahmen hatte nicht das Bundesfinanzministerium gesprochen, sondern — Sie ahnen es: die “Bild”-Zeitung. Neben einem Artikel des Hauptstadtbüroleiters Sebastian von Bassewitz stand am Donnerstag:

Bergmannsprämien: 5 Euro / Tag für jede volle Schicht unter Tage müssen versteuert werden. Mehreinnahmen: 300 Millionen Euro.

“Bild”-Chefkorrespondent Einar Koch (der sich schon bei den Rechtsextremen verzählt hatte) nutzte die (falsche) Zahl gleich in seinem Kommentar und schrieb:

Die “Reichensteuer”, die gerade mal vergleichsweise lächerliche 127 Millionen Euro Mehreinnahmen bringt, dient nur dazu, Neidkomplexe zu bedienen, die breite Masse der Geschröpften ruhig zu stellen.

Zum Vergleich: Allein die fünf Euro, die künftig die Kumpel von ihrer Bergmannsprämie versteuern müssen, bringen dem Fiskus mehr als das Doppelte!

Das war großer Unsinn von “Bild”. Der Zeitung ist es aber offenbar unmöglich, eigene Fehler einzugestehen. Und deshalb klingt es also, wenn “Bild” sich entschieden hat, einen eigenen Fehler richtigzustellen, so:

Das Bundesfinanzministerium stellte unterdessen klar: Die Besteuerung der Bergmannsprämien (5 Euro je voller Schicht unter Tage) bringt nur 25 statt 300 Millionen Euro.

Vielen Dank an David H. und Torben K.!

Knallhart recherchiert

Anders als bei dieser gemeinsamen Aktion von “Bild” und Lidl hat der Presserat nun u.a. die “Bild”-Zeitung “wegen Schleichwerbung” gerügt. In einer aktuellen Pressemitteilung heißt es dazu:

BILD hatte unter Angabe von Preisen über das erstmalige Angebot von Reisen durch einen Lebensmitteldiscounter berichtet und dabei auf eine telefonische Bestell-Hotline und eine Internetseite hingewiesen.

Und tatsächlich war (nachdem “Bild” vorab schon mal berichtet hatte) am 4. Januar folgender Artikel erschienen:

“Bild” schrieb (für alle, die das jetzt nur schwer entziffern können):

Ab morgen gibt’s beim Lebensmittel-Discounter ALDI auch Urlaub! BILD hat die besten Angebote jetzt schon recherchiert.
(Hervorhebung incl. Ausrufezeichen von “Bild”)

Es folgten fünf Angebote, weitere Ausrufezeichen sowie der — bereits vom Presserat erwähnte — fettgedruckte Hinweis auf Bestell-Hotline und Internetseite. Dann war der Artikel zu Ende.

Am 5. Januar fand sich in “Bild” folgende halbseitige Aldi-Anzeige mit allen (!) tags zuvor von “Bild” recherchierten (!) Angeboten (die damals übrigens nicht nur die “besten”, sondern auch die einzigen Angebote waren) samt Bestell-Hotline und Internetseite:

Und am 6. Januar meldete “Bild” Vollzug fand sich schließlich noch folgende kleine Meldung auf der “Bild”-Titelseite:

Für “Bild”-Chef Kai Diekmann handelt es sich bei dem ursprünglichen Aldi-Artikel um “einwandfreie journalistische Arbeit”, die (wie es weiter in einer “Bild”-Pressemitteilung heißt) “allein das Informationsinteresse der Öffentlichkeit” befriedigt habe.

Die Rüge des Presserats hingegen sei “inakzeptabel” und stelle einen “massiven Angriff auf das journalistische Selbstverständnis” dar, bei dem sich der Presserat von “politischen Beweggründen” habe leiten lassen*.

*) Um welche “politischen Beweggründe” es sich bei der Entscheidung des Presserats handeln soll, lässt “Bild” offen. Wir haben deshalb bei “Bild” angefragt — und melden uns wieder, sobald wir eine Antwort erhalten haben.
 
P.S.: Öffentlich gerügt wurde “Bild” zudem für “einen Verstoß gegen die wahrhaftige Berichterstattung nach Ziffer 1 sowie eine unangemessen sensationelle Darstellung (Ziffer 11) und Diskriminierung (Ziffer 12)”. Der Presserat schreibt über den Artikel, “der sich mit der Nutzung eines Hauses als Heim für schwererziehbare Kinder und der Bürgerbewegung gegen dieses Heim befasste”:

Die Zeitung hatte unter der Überschrift “Ein Dorf hat Angst” und “Behörde will Heim für Kindergangster im friedlichen […] eröffnen” berichtet und zudem ein ungekennzeichnetes Symbolfoto beigestellt, das einen mit einem Messer bewaffneten Jungen zeigte. (…) Die Zeitung hatte dadurch insgesamt den Eindruck erweckt, als sollten in dem Heim gefährliche Kinder und Jugendliche untergebracht werden. Durch die übertriebene Beschreibung der Ängste eines Teiles der Bevölkerung wird die Situation unangemessen und nicht wahrheitsgemäß berichtet.

Mehr dazu hier, hier, hier und hier.

RTL  

Journalisten ohne Klasse dringen in Klasse ein

Manchmal kann man gar nicht glauben, welche moralischen Grenzen Journalisten überschreiten, um an Informationen zu einem Mordfall, an Fotos von Verstorbenen, einen O-Ton ihrer Angehörigen oder Videoaufnahmen vom Tatort zu kommen. Im baden-württembergischen Villingendorf, einem kleinen Ort mit rund 3300 Einwohnern, konnte man dieses Grenzenüberschreiten in der zurückliegenden Woche gut beobachten.

Am vergangenen Donnerstag sind in Villingendorf drei Menschen getötet worden. Ein sechsjähriger Junge, eine 29-jährige Frau und ein 34-jähriger Mann starben, nachdem mit einem Sturmgewehr auf sie geschossen wurde. Sie feierten gerade eine kleine Einschulungsparty für den Jungen, als sie angegriffen wurden. Der 40-jährige Tatverdächtige ist am Dienstagnachmittag von der Polizei gefasst worden. Viele Redaktionen hatten Mitarbeiter in den Ort geschickt. Für RTL soll ein freies Produktionsteam nach Villingendorf gefahren sein.

Über dieses Team schrieb die “Neue Rottweiler Zeitung” (“NRWZ”) vorgestern:

Ein Team des Fernsehsenders RTL hat sich an dem Fall fest gebissen. Wie Leser der NRWZ berichtet haben, waren die TV-Journalisten in den vergangenen Tagen in Rottweil und Villingendorf unterwegs. Ihr Ziel, so heißt es: O-Töne aus dem Umfeld der Opferfamilie zu bekommen, beispielsweise. So forschen sie nach Informationen der NRWZ gezielt auch nach Adressen von Mitschülern des getöteten Jungen an der GWRS Villingendorf. Nach Adressen von Erstklässlern.

Allein das klingt schon sehr eklig. Laut Peter Arnegger, der den Artikel der “NRWZ” geschrieben hat, am Donnerstag der erste Journalist am Tatort und in den vergangenen Tagen sehr nah am Geschehen und an den Leuten in Villingendorf war, war damit aber noch lange nicht Schluss. Dasselbe Fernsehteam soll auch in die Schule des Sechsjährigen eingedrungen sein und versucht haben, Lehrer vor deren Schulklassen — wohlgemerkt: Erstklässler! — zu interviewen:

Gestern dann der vorläufige Höhepunkt: Wie die NRWZ verschiedentlich erfahren hat, war das RTL-Team in der Schule selbst. Offenbar ohne sich anzukündigen, sind die TV-Leute in zwei Klassenräume eingedrungen, um die Lehrer vor der versammelten Klasse zu interviewen. Zunächst haben die Reporter die Klasse verwechselt — und wurden vom überraschten Lehrer hochkant raus geworfen.

Dann fanden sie den richtigen Klassenraum. Die Klassenlehrerin — die in diesen Stunden eigentlich auch den kleinen Jungen unterrichten sollte, der am Donnerstag von seinem Vater getötet worden ist — reagierte dem Vernehmen nach geistesgegenwärtig. Sie schmiss die TV-Journalisten nicht nur raus, sie verwies sie auch der Schule.

Die Gemeinde Villingendorf hielt es daraufhin sogar für nötig, einen Aushang an der Schule anzubringen, in der sie die Journalisten bat, die Grundschüler in Ruhe zu lassen:

Foto von einem Aushang an der Grundschule - Aus gegebenem Anlass bitten wir von Filmaufnahmen auf dem Schulgelände Abstand zu nehmen. Des Weiteren bitte wir es zu unterlassen, die Schülerinnen und Schüler zu dem tragischen Vorfall zu interviewen. Für Fragen steht Ihnen die Gemeindeverwaltung Villingendorf zur Verfügung.
(Foto: Benno Schlagenhauf)

Laut Peter Arnegger seien selbst gestern noch zwei Polizisten am Schulhof gewesen, um die Kinder zu beschützen. Nicht vor dem Tatverdächtigen, der zu dem Zeitpunkt schon längst gefasst war, sondern vor den Journalisten.

Foto eines Polizeiautos, das vor der Grundschule in Villingendorf steht
(Foto: Peter Arnegger)

Möchtegern-Journalisten schreiben aus der “Wikipedia” ab

Wie läuft wohl eine Recherche bei Bild.de ab, wenn dort jemand über ein Thema schreiben soll, von dem er oder sie gar keine Ahnung hat? Vielleicht erstmal in der “Wikipedia” nachschauen, was da so zur Sache steht. Und dann, ja, dann einfach den Text aus der “Wikipedia” abschreiben. Fertig, Feierabend.

Am Freitagnachmittag erschien beim “Bild”-Onlineportal ein Artikel über einen 21-jährigen Russen, der sich seit einiger Zeit täglich ein Öl-Gemisch selbst in die Arme spritze, damit seine Bizepse — zumindest optisch — wachsen:

Screenshot Bild.de - Russe spritzt sich Öl in Bizeps - Möchtegern-Popeye droht Arm-Amputation

Beim Bodybuilding kommt dieses Injizieren zum optischen Vergrößern der Muskulatur nicht selten vor. Das Öl-Gemisch, das dabei verwendet wird, ist häufig Synthol. Weil sich viele Leute wohl fragen: Was ist Synthol?, fragt auch Bild.de in einem Info-Kasten:

Screenshot Bild.de - Was ist Synthol? Synthol ist ein Gemisch verschiedener Öle, das im Bodybuilding zur optischen Vergrößerung der Muskulatur verwendet wird. Die Rezeptur wurde Anfang der 1990er Jahre von dem Deutschen Chris Clark entwickelt. Um einen spezifischen Muskel zu vergrößern, wird Synthol in den untersten Teil des Muskels gespritzt. Dieser Vorgang wird mindestens 3 Wochen drei Mal täglich durchgeführt, wobei immer in die gleiche Stelle injiziert wird. Die regelmäßigen Injektionen führen zu einer Verkapselung des Öls im Gewebe, die einige Monate erhalten bleibt. Das im Muskel eingelagerte Öl hebt den über ihm liegenden Teil des Muskels an und führt so zu einer optischen Vergrößerung des Muskels. Die Zunahme von Muskelvolumen ist rein optisch und nicht mit einem Kraftzuwachs verbunden. Die Injektion in ein großes Blutgefäß kann zu Embolien, Herzinfarkten, dauerhaften Gehirnschädigungen oder Atemkrisen führen. Über mögliche Langzeitfolgen durch den Einsatz von Synthol liegen derzeit keine gesicherten Erkenntnisse vor.

Die Antwort stammt zu 100 Prozent aus dem Synthol-Artikel der “Wikipedia”, was die Bild.de-Redaktion allerdings an keiner Stelle erwähnt:

Screenshot Bild.de - Gegenüberstellung des Bild.de-Textes und des Wikipedia-Textes, die zeigt, dass Bild.de abgeschrieben hat
(Draufklicken für größere Version.)

Mit Dank an Sebastian L. für den Hinweis!

VW-Postille “Welt”, Stumme Radios, Abgezockte Influencer abgezockt

1. Poschardts “Welt” macht Volkswagen den Autohof
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Wer sich am Dienstag die “Welt” kaufte, rieb sich verwundert die Augen. Wesentliche Teile der Zeitung bestanden aus VW-PR. Im Impressum tauchte sogar der Name des VW-Vorstandsvorsitzenden als “Welt”-Chefredakteur auf. Stefan Niggemeier kommentiert: “Axel Springer hat VW mit der “Welt”-Sonderausgabe ein Geschenk gemacht, das ungleich größer ist, als wenn man dem Unternehmen kostenlos alle Seiten für Anzeigen zur Verfügung gestellt hätte. Gerade die scheinjournalistische Inszenierung der VW-Botschaften im redaktionellen Umfeld einer Tageszeitung verschafft ihnen eine besondere Wirkung.”

2. Farbanschlag auf Redaktion in Zürich
(persoenlich.com)
Roger Köppels “Weltwoche” ist Opfer eines Farbanschlags geworden. Zuvor war bereits “Weltwoche”-Redakteur Alex Baur bei einer Feier zum 1. Mai angegriffen worden.

3. Solitär auf allen Kanälen
(kontextwochenzeitung.de, Moritz Osswald)
Ein angehender Medienschaffender berichtet von seinem Besuch im Hauptquartier der Südwestdeutschen Medienholding, dem Pressehaus. Dort “kämpft man ums Überleben”. Entsprechend machen sich beim Besucher gemischte Gefühle breit.

4. Alle mal herschauen
(sueddeutsche.de, Jaqueline Lang)
Die Onlinetalkshow “Black Rock Talk” wendet sich vornehmlich an Menschen mit Migrationshintergrund. Ohne nennenswertes Budget produziert Esra Karakaya alle paar Wochen ihre Sendung in den Räumlichkeiten des Communitysenders Alex Berlin. Es gehe hauptsächlich um Rassismus und Diskriminierung. “Ich will, dass wir über Schmerzhaftes sprechen, aber mit popkulturellem Aufhänger”, so die Moderatorin.

5. Massenhafter Ausfall von Internetradios
(heise.de, Michael Link)
Seit Anfang Mai funktionieren viele Internetradios nicht mehr, da ein Dienstleister für die Senderdatenbank seine Arbeit eingestellt hat. Die Umstellung auf einen anderen Anbieter ist lästig und geht zu Lasten des Komforts.

6. 20 deutsche Influencer in der Türkei abgezockt: Kein Hotel, Reisepässe weg
(maz-online.de)
20 deutsche Influencer sollen von einem falschen Reisebüro in die Türkei gelockt und dort beklaut worden sein. Angeblich sollen es die Diebe nur auf die Reisepässe der ReiseteilnehmerInnen abgesehen haben. Die derart bestohlenen Influencer blieben auf den Kosten für Übernachtung und Rückflug sitzen.

Sommerinterviews, Zahlungsbereit?, Let’s Plays und Walkthroughs bedroht

1. Wie Artikel 17 der EU-Urheberrechtsrichtlinie die Let’s Play-und Walkthrough-Kultur bedroht
(irights.info, Till Kreutzer)
Artikel 17 der neuen EU-Urheberrechtsrichtlinie bedroht auch Gaming-Videos wie Let’s Plays und Walkthroughs, so der Jurist Till Kreutzer: “Aufgrund der erheblichen Haftungsverschärfung durch Artikel 17 der EU-Urheberrechtsrichtlinie wird den Plattform-Anbietern zukünftig gar nichts anderes übrig bleiben, als solche Inhalte zu blockieren.. (…) Im Ergebnis könnten also massenhaft Let’s play- und Walkthrough-Inhalte blockiert oder gelöscht werden, könnten viele Creators ihre Kanäle präventiv schließen. Damit würde diese spezielle, weltweit populäre Fan-Kultur nahezu verschwinden.”

2. Gretchenfrage Umwelt: Die Themen der Sommerinterviews 2019
(einfacherdienst.de)
Der “Einfache Dienst” hat die Themensetzung der diesjährigen Sommerinterviews ausgewertet und zieht Vergleiche zum Vorjahr. Zu wenig Beschäftigung mit Sachthemen, zu viel parteipolitische Selbstbeschau, so das Resümee: “Dass es auch 2019 wieder viel um parteistrategische Erwägungen geht und wichtige Sachthemen kaum berührt werden, ist auch eine verpasste Chance, den PolitikerInnen aller Parteien in wichtigen Zukunftsfragen auf den Zahn zu fühlen.”

3. Großer Bogen um die Provinz
(taz.de, Patrick Guyton)
Der Lokaljournalismus hat es wahrlich nicht leicht. Neben den Sorgen über die Auswirkungen des Strukturwandels sei es immer schwerer, Nachwuchs zu gewinnen. Früher habe man nach den Besten der Besten gesucht, so ein Lokalredakteur, heute suche man nach dem Besten der Schlechten. Patrick Guyton kommentiert: “Viele Beobachter sehen einen dramatischen Niedergang der Branche. Die Abonnentenzahlen gehen kontinuierlich zurück, die Anzeigen bleiben aus. Für viele Jüngere ist Zeitung etwas von gestern, angebliche Infos bekommt man gratis im Internet oder in den sozialen Netzen. Welcher Studienabsolvent will also in eine Branche gehen, die ihre Krise und den vermeintlichen Untergang selbst immer wieder beschreibt?”

4. Hallo Deutschland
(sueddeutsche.de, Kathrin Müller-Lancé)
“WDRforyou” ist ein multikulturelles Programm, das sich vor allem an Geflüchtete richtet. Kathrin Müller-Lancé hat die Redaktion in Köln besucht. Dort sorgen rund zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dafür, dass es stets neue Inhalte gibt. Was macht die journalistische Arbeit bei einem derartigen Format aus? Worin liegen die Chancen, worin die Schwierigkeiten?

5. Der Nutzwert des Journalismus
(meta-magazin.org, Franco Zotta)
Wie ist es um die Zahlungsbereitschaft für journalistische Inhalte bestellt? Mit dieser Frage haben sich Christopher Buschow und Christian Wellbrock in einer Studie (PDF) beschäftigt. Die Bilanz ist eher ernüchternd: “In den vergangenen Monaten gab es einen spürbaren Hype um Leserzahlungen im Journalismus. Aus meiner Sicht unterstreicht unsere Studie, dass diese Hoffnungen überzogen sind. Es besteht m.E. durchaus die Gefahr, dass die Zahlungsbereitschaft der Nutzer — abseits weniger Nischen — zu niedrig ist, als dass ausschließlich auf Grundlage dieser nutzerseitigen Einnahmen die heute etablierten Redaktionsstrukturen für hochwertigen Journalismus finanziert werden können.”

6. So schreibt man heisse Schlagzeilen
(nzz.ch, Rainer Stadler)
Rainer Stadler beschäftigt sich in seiner Kolumne mit dem “So”-Virus. Damit ist die Eigenart von Onlineredaktionen gemeint, viele Schlagzeilen mit dem Wörtchen “So” einzuleiten: “Fröhlicher Gestimmte werden die «So»-Sätze als Zeichen einer dienstleistungsorientierten Branche deuten, welche gleich auf den Punkt kommen und den Konsumenten nicht mit langfädigen Betrachtungen versäumen will. Sie verspricht schnelle Aufklärung: Wer das, was nach dem «So» folgt, gelesen hat, weiss sogleich Bescheid. Umgekehrt heisst das aber auch, dass in den entsprechenden Schlagzeilen eine redaktionelle Anmassung mitschwingt: Wir Informationsvermittler haben die Weisheit gefressen und sagen nun dem Publikum, was der Fall ist.”

Tilo Jung kritisiert DJV, F wie Falschheit, “Nachhilfe-Thread”

1. Talk mit Tilo Jung – 70 Jahre DJV
(youtube.com, Jörg Wagner)
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) hat anlässlich seiner Jubiläumsfeier (“70 Jahre DJV”) Tilo Jung für ein Podiumsgespräch eingeladen. Und der wäscht der Organisation und deren Spitze tüchtig und in unverblümter Direktheit den Kopf. Jung kritisiert die seiner Meinung nach unglückliche Vorgehensweise des DJV beim Kommentar zum Rezo-Video, die nicht genügende Trennschärfe von Journalismus und PR, die ausgebliebene Solidarität mit dem seinerzeit inhaftierten Journalisten Billy Six und die wiederholt nötigen Berichtigungen und Löschungen von fehlerhaften Statements. Jung wünscht sich ausdrücklich einen Wechsel an der Führungsspitze des Verbands: “Der Fisch stinkt vom Kopf her.”

2. Das F steht für Falschheit
(journal-frankfurt.de, Ronja Merkel)
Das F in “FAZ” stehe nicht für Freiheit — sondern für Falschheit und Feigheit. Jedenfalls im Fall des zur Geburtstagsfeier der Zeitung eingeladenen AfD-Chefs Alexander Gauland, so Ronja Merkels Kommentar im “Journal Frankfurt”. Der “FAZ”-Mitherausgeber Berthold Kohler habe vor einem knappen Jahr die “politischen Phantasien” Gaulands wie folgt kommentiert: “Die Verleumdung des freiheitlichsten und demokratischsten Systems, das es je auf deutschem Boden gab, darf man den Brandstiftern im Biedermann-Sakko nicht durchgehen lassen.” Ronja Merkel greift dies auf und fügt an: “Und doch feiert eben dieser Biedermann-Sakko tragende, die Demokratie verleumdende Mann Seite an Seite mit den Herausgebern einer Zeitung, die, würden die Phantasien Gaulands Realität werden, ihre so groß auf die Fahne geschriebene Freiheit umgehend verlieren würden.”

3. Von Schreibern, Sprechern und Seitenwechslern
(tagesspiegel.de, Markus Ehrenberg)
Viele Journalistinnen und Journalisten wechseln die Seite und arbeiten als Pressesprecher für Unternehmer oder Organisationen. Der DJV schätze die Zahl auf mittlerweile etwa 15 Prozent seiner 32.000 Mitglieder, mit Trend nach oben. Markus Ehrenberg erzählt, was DJV und Seitenwechsler zu Berufsverständnis und Besonderheiten zu sagen haben.

4. Schon öfter gehört, kein Witz: “Aber wie kriegen wir denn nun mehr #Frauen in unsere Berichterstattung?”
(twitter.com/JuliaKarnick)
Die freie Journalistin, Kolumnistin und Autorin Julia Karnick hat auf Twitter einen “Nachhilfe-Thread” für “verzweifelte männliche Redakteure” verfasst, die sich mehr Frauen in der Berichterstattung wünschen: “Genug Frauen zu finden, über die es sich zu berichten lohnt, ist 0 Problem. Man muss es nur wollen. Und ein paar Dinge beherzigen …”

5. Der Streaming-Krieg: Wie Apple und Disney Netflix und Amazon angreifen wollen
(rnd.de, Imre Grimm)
Die globale Fernsehwelt befindet sich im Umbau: Nach Netflix und Amazon steigen nun auch Apple und Disney in den Streaming-Markt ein. In der Branche sei bereits vom “Streaming War” die Rede, so Imre Grimm: “Es ist ein kreativer Krieg um die Aufmerksamkeit eines verwöhnten Publikums — und um die besten Geschichtenerzähler. Der große Verlierer heißt Hollywood, denn der Exodus von Autoren, Stars und Filmemachern hin zu den Streamern ist atemberaubend.” Außerdem werde der Einstieg von Apple und Disney Auswirkungen auf Geschmack und Moralempfinden haben. Die Konzerne würden sich auf “keimfreie, unanstößige, den Geschmacksgrenzen des amerikanischen Purismus folgende brave Massenware” konzentrieren.

6. Aus dem Textbuch für Trainerentlassungen
(faz.net, Achim Dreis)
Beim FC Bayern gibt es anscheinend ein Textbuch für Trainerentlassungen. So kommentiert man aktuell den Rausschmiss von Trainer Niko Kovač mit den Worten: “Ich erwarte jetzt von unseren Spielern eine positive Entwicklung und absoluten Leistungswillen, damit wir unsere Ziele für diese Saison erreichen.” Mit exakt den gleichen Worten habe man 2017 den Rauswurf von Bayern-Trainer Carlo Ancelotti kommentiert.

Widde-widde-wie sie mir gefällt

Bevor wir hier aus einem “FAZ”-Interview mit dem Fotografen Jaques Langevin zitieren, schauen wir doch mal in die gestrige “Bild” — zur Erinnerung quasi:

“Bild” hatte ja vorn auf der Titelseite und weiter hinten noch einmal (siehe Ausrisse) ein großes Foto gedruckt, auf dem (wenn man’s weiß) die 1997 tödlich verunglückte Lady Diana “Minuten vor dem Unfall” bzw. “wenige Minuten vor dem Drama im Pariser Alma-Tunnel” bzw. “wenige Minuten vor dem tödlichen Unfall” zu sehen ist, denn “Minuten später krachte der Mercedes im Tunnel gegen den 13. Pfeiler” — und “BILD beantwortet die wichtigsten Fragen dazu”.

Und einige der “Bild”-Fragen sind richtig gut:

    (1) “Wen sehen wir auf dem Bild?”
    (2) “Wo und wann ist das Foto entstanden?”
    (3) “Welche Situation dokumentiert das Foto?”

ad (1): “Bild” schreibt: “Den Wagen steuert Henri Paul. (…) Prinzessin Diana (…) ist deutlich (…) zu erkennen. Sie ist nicht angegurtet! Sie dreht sich von den Kameras weg, nach hinten, schaut über ihre linke Schulter aus dem Rückfenster. In der Scheibe spiegelt sich der Scheinwerfer eines Motorrads.”

ad (2): “Bild” schreibt: “Am 31. August, ca. 0.20 Uhr. Diana und Dodi verließen (…) das Ritz-Hotel in Paris. (…) Die Gruppe nahm den Hinterausgang. In 50 Meter Entfernung wartete der französische Fotograf Jacques Langevin auf der Straße. Als die Diana-Limousine vorbeiraste, drückte er auf den Auslöser.”

ad (3): “Bild” zitiert den einen Fotografen der britischen Boulevardzeitung “Sun”: “(…) Fahrer Henri Paul sieht aus, als habe er fast Spaß an der Situation, den Fotografen davonzurasen. Diana schaut sich nach den Fotografen um. Wahrscheinlich war sie besorgt, wollte sehen, wie nah die Verfolger schon sind.” Und “Bild” schreibt selbst: “Das letzte Foto vor dem Crash: Diana sitzt (…) auf der Rückbank (…), ist nicht angeschnallt. Sie guckt durch die Heckscheibe, ob sie verfolgt wird. (…) Wenige Minuten nach diesem Foto raste der Wagen gegen einen Tunnelpfeiler.”

Und nun vergleichen Sie bitte die Vorstellung, die Sie von der Situation im Kopf haben, mit dem folgenden Auszug aus dem FAZ-Interview mit dem Fotografen:*

Die Fotos habe ich am Hinterausgang des Hotels Ritz gemacht, in der Rue Cambon, kurz bevor der Mercedes losfuhr.
Der Wagen stand also noch?
Ja (…).

*) Nachtrag, 14.45 Uhr: In einem “Bild”-Infokasten (“Franzose schoss Sensations-Fotos”) finden sich zudem drei O-Töne des Fotografen Langevin , die er, so “Bild”, 1997 “gegenüber BILD” geäußert habe. Erstaunlicherweise können wir die “gegenüber BILD”-Zitate im “Bild”-Archiv nirgends finden, sondern nur sehr ähnlich klingende Langevin-Aussagen aus einem Interview der Zeitung “Liberation”, aus dem “Bild” am 4.9.1997 ausführlich zitierte.

Gerührt oder geschüttelt

Gestern illustrierte die “Bild am Sonntag” einen Bericht über den tragischen Skiunfall zweier Freundinnen (bei dem die eine schwer und die andere tödlich verletzt worden war) u.a. mit Fotos der beiden Unfallopfer — ohne Unkenntlichmachung und möglicherweise auch ohne Erlaubnis. Das Foto der Toten jedenfalls (und weitere persönliche Angaben zur Person) hatte die “BamS” aus dem Internetangebot von SchülerVZ übernommen. (Wir berichteten.)

Nun hat sich, entsetzt über das Vorgehen der Zeitung, eine Bekannte der Unfallopfer bei uns gemeldet, weil ihr einer der “BamS”-Autoren gestern über ihren SchülerVZ-Account eine Nachricht zukommen ließ, die wir (mit ihrem Einverständnis) hier dokumentieren. Denn so bekommt man eine genauere Vorstellung davon, wie es klingt, wenn “Bild” Witwen schüttelt versucht, an persönliche Informationen zu kommen.

Liebe             , entschuldige bitte, dass ich Dich hier so von der Seite anschreibe. Mein Name ist Sven Kuschel. Ich bin Journalist und bearbeite gerade diesen furchtbar tragischen Ski-Unfall in Österreich. Wir werden für morgen in der BILD noch einmal auf einige Details eingehen (Pistengefahren und was man in Zukunft besser machen kann, um ähnliches zu verhindern: Helme, etc.). Es tut mir sehr leid, dass Eure Freundin so schwer verunglückt ist. Für uns wäre es wichtig, noch einmal einige Details von der Piste zu bekommen. Hast Du denn einen Draht zur            [zweites Unfallopfer]? Gestern haben die Behörden gesagt, sie sei mittlerweile ausgeflogen und es gehe ihr den Umständen entsprechend. Vielleicht kann sie bei all der Tragik zumindest noch dabei helfen, ein Problem mit der Piste oder ähnlichem aufzuklären. Wie gesagt, bitte entschuldige den “Überfall” hier. Ich bin entweder hier erreichbar oder telefonisch in der Redaktion Köln unter 0221            .

Ich wünsch Dir einen nicht ganz so schweren Tag
Sven

PS: Soweit wir wissen, ist Kuschels Service-Artikel über “Pistengefahren und was man in Zukunft besser machen kann” bislang noch nicht in “Bild” erschienen. Der “Bild am Sonntag”-Artikel allerdings wurde am heutigen Nachmittag komplett aus dem Angebot von Bild.de entfernt.

Tabubruch-AfD, Fake News, Ausgeloggt

1. Wie der Tabubruch für Aufmerksamkeit sorgt
(heute.de, Dominik Rzepka)
Gerade in den sozialen Medien kann man mit provozierenden Tabubrüchen viel Aufmerksamkeit erzeugen. Besonders die AfD macht in dieser Hinsicht immer wieder von sich reden, zuletzt ein bayerischer Kreisverband mit einer Bildtafel mit einem Foto der Widerstandskämpferin Sophie Scholl. Darauf der Werbeslogan: “Sophie Scholl würde AfD wählen”. Wie mit derartigen Dingen umgehen: Widerspruch und damit der Sache eventuell unnötig Gewicht geben oder mehr Gelassenheit und die Provokation ins Leere laufen lassen?

2. Wie real ist Fake News? Es ist mal wieder Zeit für eine kleine Datenanalyse im Zeichen der Statistical Correctness.
(herrfischer.net, Martin Fischer)
Die Macher von “Hoaxmap.org” sammeln falsche Gerüchte und Meldungen zum Thema Flüchtlinge zusammen und tragen diese in eine Landkarte ein. Martin Fischer hat den etwa 450 Falschmeldungen der letzten beiden Jahre eine Stichprobe von 50 entnommen und statistisch ausgewertet. In seiner Stichprobe seien nur vier Fake News-Beiträge, so Fischer. Man mache mit dem Begriff Fake News für ein relativ kleines Problem ein sehr großes Fass mit vielen Nebenwirkungen auf.

3. Jeder Fünfte hält “Lügenpresse”-Vorwurf für berechtigt
(horizont.net, Marco Saal)
“infratest dimap” hat im Auftrag des Westdeutschen Rundfunks (WDR) eine repräsentative Befragung zur Glaubwürdigkeit der Medien durchgeführt: Jeder fünfte Deutsche halte den Begriff “Lügenpresse” im Zusammenhang mit Medien für richtig. Dreiviertel der Deutschen würden das dagegen nicht so sehen.

4. Wir gegen sie
(sueddeutsche.de, Pia Rauschenberger)
Noch ist nicht bekannt, wann und ob die populistische US-Website “Breitbart” einen Deutschland-Ableger startet. Trotzdem haben sich unter dem Projektnamen “Schmalbart” Gegner in Berlin zu einer Tagung getroffen.

5. ARD erwägt Klage gegen AfD – und lädt Parteichefin Petry ein
(tagesspiegel.de, Markus Ehrenberg)
Am Samstag wollen sich führende Vertreter rechtspopulistischer Parteien in Koblenz treffen, darunter Marine Le Pen, Geert Wilders sowie AfD-Chefin Frauke Petry. Medienvertreter sind ausgeschlossen. Die ARD behält sich rechtliche Schritte gegen den Ausschluss vor – und lädt unverdrossen Parteichefin Petry in Talkshows ein.

6. Geldstrafe für früheren taz-Redakteur
(taz.de, Martin Kaul & Sebastian Erb)
Das Amtsgericht Berlin hat den früheren “taz”-Redakteur Sebastian Heiser wegen seines Keylogger-Einsatzes zur Zahlung von 160 Tagessätzen à 40 Euro verurteilt. Nach seinem Auffliegen im Februar 2015 hatte sich Heiser in ein Land in Südostasien abgesetzt, das mit Deutschland kein Auslieferungsabkommen abgeschlossen hat. Sollte Heiser, der dem Gerichtstermin ferngeblieben war, nicht innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung Einspruch gegen den Strafbefehl einlegen, würde ein Urteil ergehen und er wäre dann vorbestraft. Sollte er den Strafbefehl nicht akzeptieren und einer weiteren Verhandlung erneut fernbleiben, könne ein Haftbefehl erlassen werden. Nach spätestens zehn Jahren wäre der Fall jedoch verjährt.

Facebooks Gedankenlese, Unfallopfer, schleimiges Geldverdienen

1. Facebook will Gedanken lesen
(zeit.de)
Auf Facebooks hauseigener Entwicklerkonferenz „F8“ wird über spektakuläre Dinge gesprochen: Das Unternehmen arbeite daran, Hirnsignale direkt in Schrift umzuwandeln. Man wolle jedoch nicht wahllos Gedanken ausforschen. Dazu habe niemand das Recht, sagte die zuständige Facebook-Managerin. Ähnlich wie man viele Fotos mache und nur einige davon anderen zeige, “haben Menschen viele Gedanken und beschließen, nur einige davon zu teilen”. Nur solche Gedanken, die an das Sprachzentrum weitergeleitet würden, seien gemeint.

2. Fake News spielen im Alltag von Redaktionen eine große Rolle. Daniel Fiene berichtet
(blmplus.de, Elena Lorscheid)
Daniel Feine ist Journalist bei der „Rheinischen Post“ und dort auch für die „Digitalstrategie“ zuständig. In einem kurzen Interviewschnipsel berichtet er, wie Fakenews in den Alltag von Redaktionen eindringen und wie teilweise gezielt Falschinformationen über Journalisten verbreitet werden.

3. Beifahrer auf der Überholspur
(faz.net, Michael Hanfeld)
Jüngst wurde gemeldet, dass der frühere „Bild“-Herausgeber Kai Diekmann die Taxi-Konkurrenz „Uber“ berät. Nun stellt sich heraus, dass Diekmanns früherer Arbeitgeber Axel Springer Anteile an dem Fahrdienst erworben hat. Michael Hanfeld fragt sich in der “FAZ”, wo das hinführt und ob die Kombination Sinn macht.

4. Augen auf bei der Bildauswahl: LVZ, DNN und Tag24 zeigen Unfallopfer unverpixelt
(flurfunk-dresden.de, Benjamin Kutz)
Bei der Berichterstattung über einen tödlichen Verkehrsunfall in Sachsen zeigten verschiedene Medien Bilder vom Unfallort, auf denen auch das Opfer unverpixelt zu sehen war. Die “LVZ” hat ein entsprechendes Bild auf Facebook gepostet, es später gelöscht, sich dafür entschuldigend, um es dann am nächsten Tag unverpixelt und im Großformat in der Zeitung abzudrucken.

5. Gut verdienen? Dis kannste nich bezahlen!
(schnipselfriedhof.de, Volker Strübing)
Immer wieder machen Statistiken die Runde, nach denen die Top-Verdiener als steuerlich schwerst belastete Menschen dargestellt werden. So auch in einer Studie des “Instituts der deutschen Wirtschaft”, das wie folgt mitteilt: “Diese knapp zehn Prozent der Top-Verdiener in Deutschland sind mit 48,2 Prozent fast für die Hälfte des gesamten Einkommensteueraufkommens verantwortlich, die 30 Prozent Spitzenverdiener demnach sogar für 79 Prozent.” Volker Strübig erklärt, warum er das Ganze für ein schönes Beispiel für „Tatsachenverdrehung durch Auslassung“ hält.

6. Wie Teenager Tausende von US-Dollar verdienen, indem sie Schleim über Instagram verkaufen
(onlinemarketingrockstars.de, Roland Eisenbrand)
Ein neuer Trend durchzieht Instagram: Schleim! Mittlerweile lassen sich dort mehr als 2,6 Millionen Posts zum Hashtag #slime finden und es haben sich „Slime-Influencer“ herausgebildet: 47.000 Posts stammen von Accounts mit mehr als 15.000 Followern. Roland Eisenbrand erklärt, was es mit dem rätselhaften Phänomen auf sich hat.

B.Z., Bild  

“Bild” und “B.Z.” legen Grünen-Politikerin falsches Zitat in den Mund

Rummms!

Mit dieser Haudrauf-Interjektion zeigt die “Bild”-Zeitung in der Regel, dass irgendjemand irgendetwas Knalliges/Heftiges/Stammtischiges gesagt hat. Und sie freut sich in der Regel dann, weil sie dadurch eine Debatte anheizen kann.

Gestern gab es in der Berliner Regionalausgabe mal wieder einen “Bild”-“Rummms!”, in einem Vorabbericht zur inzwischen durchgeführten Zwangsräumung des linken Kiezladens Friedel54 im Neuköllner Reuterkiez:

In BILD spricht jetzt Grünen-Politikerin Katrin Schmidberger (34) Klartext: Sie wohnt in diesem Kiez, befürchtet gewalttätige Ausschreitungen.

Schmidberger sagt: “Ich will nicht, dass Rigaer-Straße-Wixxer in meinen Kiez kommen und alles zerdeppern. Das ist unser Kiez. Schreiben Sie Wixxer mit zwei x.”

Und weiter: “Spaß haben, sich auf den Gipfel in Hamburg eingrooven, das können sie meinetwegen auf dem Tempelhofer Feld. Da haben sie genug Platz zum Steineschmeißen.”

Rummms!

Das Problem dabei: Katrin Schmidberger hat weder das eine noch das andere gesagt. Sie hat überhaupt nicht mit “Bild”-Autor Olaf Wedekind gesprochen. Und sie wohnt auch nicht “in diesem Kiez”. Es ist alles völlig falsch.

Doch der Reihe nach.

Gestern veröffentlichte die Berliner “Bild”-Redaktion einen großen Artikel über eventuelle Ausschreitungen während der Friedel54-Räumung:

Das Aufmacher-Foto zeigt Katrin Schmidberger, Sprecherin für Wohnen und Mieten der Grünen-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Sie setzt sich schon lange für bezahlbaren Wohnraum und gegen die Verdrängung aus den Kiezen ein. Dass ausgerechnet sie, wie von “Bild” durch die Sprechblase illustriert, die Aktivisten in der Rigaer Straße in Berlin-Friedrichshain als “Wixxer und Steinewerfer” bezeichnet, wäre eine große Überraschung. Genau das richtige “Rummms!”-Potential, nach dem “Bild” stets sucht.

Die Redaktion warb mit dieser Geschichte auch auf Aufstellern, die vor Kiosken in der ganzen Stadt stehen — unter anderem vor einem Laden in der Rigaer Straße, wo die “‘Rigaer-Straße-Wixxer'” vorbeikommen.

“Bild”-Rechercheur Peter Rossberg erklärte den Artikel am Abend vor dessen Erscheinen bei Twitter zu seiner “Lieblingsgeschichte morgen”:


(Den Tweet hat Rossberg inzwischen gelöscht.)

Die “B.Z.” brachte ebenfalls einen Text von Olaf Wedekind zum Thema, zwar etwas kürzer, aber genauso falsch:

Die Zitate in “Bild” und “B.Z.” stammen nicht von Katrin Schmidberger, sondern von ihrer Fraktionskollegin Anja Kofbinger. Die hat, anders als Schmidberger, auch tatsächlich ihr Wahlkreisbüro im Reuterkiez. Die Verwechslung der beiden Politikerinnen durch “Bild” und “B.Z.” dürfte nach Angaben der Grünen in etwa so zustande gekommen sein: Nach einem Anruf der Redaktion bei den Grünen in Neukölln, hat Anja Kofbinger zurückgerufen. Ein Kollege von Olaf Wedekind leitete den Anruf an diesen weiter, womöglich mit der Ansage, dass Katrin Schmidberger am Apparat sei. Wedekind hat dann mit der Frau am anderen Ende der Leitung telefoniert, ohne wirklich zu wissen, mit wem er da spricht. Anja Kofbinger soll allerdings mehrfach gesagt haben, dass sie Anja Kofbinger ist.

Katrin Schmidberger veröffentlichte gestern auf ihrer Website eine “Richtigstellung zu angeblichen Zitaten in der Bild/B.Z.” und schrieb bei Facebook, dass sie mit niemandem aus dem Springer-Verlag gesprochen habe.

“Bild” hat heute eine “Richtigstellung” veröffentlicht:

Sie finden sie nicht auf Anhieb? Sie steckt dort rechts, eingeklemmt zwischen “Bier-Botschafter” und “U-Bahn-Strecken”:

Und auch in der “B.Z.” gibt es eine “Berichtigung”:

Medien verbreiten Ehe-für-alle-Unsinn der AfD

Wenn Sie gestern eine Runde auf deutschen Online-Nachrichtenseiten gedreht haben, ist es nicht unwahrscheinlich, dass Sie auch auf diese Schlagzeile hier gestoßen sind:


(“Spiegel Online”)

Oder auf diese:


(Stern.de)

Oder diese:


(Welt.de)

Oder auf eine von diesen:


(FAZ.net)

(“Focus Online”)

(Morgenpost.de)

(“Deutschlandfunk”)

(derstandard.at)

(Express.de)

(FR.de)

(rp-online.de)

(Merkur.de)

(derwesten.de)

(maz-online.de)

(rbb-online.de)

(orf.at)

Die Liste ließe sich noch lange weiterführen — es stand gestern so gut wie überall, auch weil Agenturen die Nachricht übernommen und verbreitet haben: Die AfD prüfe, ob sie die gerade erst im Bundestag beschlossene “Ehe für alle” vor dem Bundesverfassungsgericht verhindern könne.

Als Ursprung für diese Neuigkeit nennen die Artikel, die hinter den oben aufgeführten Titelzeilen stecken, alle die gleiche Quelle: “Bild am Sonntag”. Die “BamS”-Redaktion hatte die AfD-Info gestern, beziehungsweise online bereits vorgestern am späten Abend, exklusiv:

Die AfD plant, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen und die am Freitag im Bundestag beschlossene “Ehe für alle” zu kippen. AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland (76) zu BamS: “Wir prüfen derzeit eine Klage beim Bundesverfassungsgericht. Ich bin für einen solchen Schritt. Die Ehe für alle bedeutet eine Wertebeliebigkeit, die unserer Gesellschaft schadet.”

Nun kann die AfD das so sehr wollen und planen und prüfen, wie sie mag — sie kann nicht wegen der “Ehe für alle” vor das Bundesverfassungsgericht ziehen.

Wie Patrick Gensing bereits gestern am Nachmittag beim ARD-“Faktenfinder” schrieb, gibt es verschiedene Wege, die dazu führen, dass sich das Bundesverfassungsgericht mit einem Gesetz beschäftigt. Im Fall der “Ehe für alle” kommt eigentlich nur die abstrakte Normenkontrolle in Frage. Und die kann nicht von jedem einfach so beantragt werden. Das Bundesverfassungsgericht schreibt dazu:

Der Antrag kann nur von der Bundesregierung, einer Landesregierung oder eines Viertels der Mitglieder des Bundestages gestellt werden. Bürgerinnen und Bürger sind in dieser Verfahrensart nicht antragsberechtigt.

Die AfD sitzt zwar in einigen Landesparlamenten, sie gehört aber weder der Bundesregierung noch einer Landesregierung an, und keiner ihrer Mitglieder ist aktuell Bundestagsabgeordneter. Über die abstrakte Normenkontrolle kann sie eine Überprüfung der “Ehe für alle” durch das Bundesverfassungsgericht derzeit nicht beantragen.

Eine Verfassungsbeschwerde, die auch einzelne AfD-Mitglieder initiieren könnten, macht bei der “Ehe für alle” auch keinen Sinn. Denn dazu schreibt das Bundesverfassungsgericht:

Die beschwerdeführende Person muss selbst, gegenwärtig und unmittelbar in ihren Rechten betroffen sein.

Und wer soll schon ernsthaft in seinen Rechten betroffen sein, weil nun auch Frauen Frauen und Männer Männer heiraten können sollen und sonst durch die “Ehe für alle” niemandem etwas weggenommen wird?

All das hätten auch die zwei “Bild am Sonntag”-Autoren herausfinden können, bevor sie (und in der Folge all die anderen Redaktionen, die auch nicht recherchierten) der AfD riesige Werbeflächen für eine Null-und-nichtig-Ankündigung einräumten.

Desinformations-Champions, Verleger im Jammertal, Realfake Jasmin

1. Welche deutsche Nachrichtenseite verbreitet die meisten Falschmeldungen auf Facebook?
(motherboard.vice.com, Theresa Locker)
Welche deutsche Nachrichtenseite verbreitet die meisten Falschmeldungen auf Facebook? “Vice” hat über einen Zeitraum von sechs aufeinanderfolgenden Tagen die Facebook-Seiten von acht verschiedenen deutschsprachigen Online-Nachrichtenmedien mit großer Reichweite untersucht. Gewinner der Stichprobe ist der “Spiegel”, Verlierer sind “Sputnik DE”, “Huffington Post DE” und “RT Deutsch”. Tiefer gehende Infos zu den “Postingstrategien” der untersuchten Medien sind in einem separaten Artikel aufbereitet. Außerdem hat man ein FAQ zum Untersuchungs-Setup der Recherche zusammengestellt. Und zum Schluss noch der Hinweis auf Stefan Niggemeiers Kommentar ‘Fake News’-Debatte: Warum wir die Wahrheit nicht relativieren dürfen

2. Der rechtsextreme Flügel hat sich durchgesetzt
(nwzonline.de, Andreas Herholz)
Die “Nordwest Zeitung” (NWZ Online) hat sich mit dem Politikwissenschaftler Hans-Joachim Funke über die Chancen der AfD bei der anstehenden Bundestagswahl unterhalten. Funke spricht von einer drohenden Zäsur in der Geschichte des Bundestages und appelliert die Medien, ihrer Aufklärungsfunktion gerecht zu werden: “Viele Talkshows, die wie etwa Maybrit Illner im ZDF oder Plasberg in der ARD, AfD-Politiker geradezu hofieren, werden ihrem öffentlichen Auftrag nicht mehr gerecht.”

3. Ganz schön sportlich – für eine Frau
(sueddeutsche.de, Werner Bartens)
Wissenschaftlerinnen aus Kalifornien haben analysiert, wie sich die Darstellung von Sportlerinnen in den letzten Jahrzehnten geändert hat. Das Resümee: Wenn Frauen-Sport im Fernsehen übertragen wird, gibt es immer noch unangemessenen Kommentaren über Äußerlichkeiten und Nebensächliches. Der Sexismus komme jedoch verkleidet daher: “Es geht um die vermeintlichen Schwächen der weiblichen Leistungsfähigkeit. Damit wird den Zuschauern subtil vermittelt, dass Frauensport weniger aufregend und interessant ist.”

4. AfD wirft Google Sabotage vor
(spiegel.de, Melanie Amann & Marcel Rosenbach)
Die AfD fühlt sich von Google diskriminiert. Der Suchmaschinenriese würde sich nach “Spiegel”-Informationen seit mehr als einer Woche weigern, bestimmte Anzeigen für eine Anti-Merkel-Seite der AfD zu schalten. AfD-Kampagnenchef Kunkel spricht von Sabotage und will den fünfstelligen Etat für die Bewerbung der Anti-Merkel-Inhalte nun bei Facebook investieren.

5. Schuld sind die anderen
(taz.de, Benno Stieber)
Beim Jahreskongress der deutschen Zeitungsverleger ging es laut “taz”-Korrespondent Benno Stieber recht einseitig zu: Die Verleger hätten sich ausführlich ihren erklärten Gegnern gewidmet und tüchtig auf die großen Internetmultis wie Facebook und Google sowie die öffentlich-rechtlichen Sender geschimpft. Die eigenen Fehler seien dabei nicht zur Sprache gekommen.

6. Mein Fake Jasmin Nicoletta Goldmann
(fritschis-welt.de, Denise Fritsch)
Online einen Menschen kennenlernen, den man schätzt und in den man sich irgendwann vielleicht sogar verliebt, um nach Monaten der Kommunikation festzustellen, dass es diesen Menschen gar nicht gibt… Genau das ist Bloggerin “Fritschi” passiert, als sie Opfer des Realfakes “Jasmin Goldmann” wurde. Nachdem sich das Lügengebäude nicht mehr halten ließ, fingierte die falsche “Jasmin” ihren angeblichen Tod. Denise Fritsch hat die verstörende Geschichte dokumentiert.

Tod auf Raten, “Klimawandel” im Sprachcheck, Krauses Angst

1. Bedenken ernst nehmen
(djv.de)
Die mögliche Verschmelzung des Verlags Gruner + Jahr mit dem Privatsender RTL wird von Seiten der Arbeitnehmervertretung kritisch beurteilt. Frank Überall, Bundesvorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbands, teilt die Sorgen und warnt davor, die G+J-Titel radikalen Stellenstreichungen zu unterwerfen: “Das wäre für Geo, Stern und andere der langsame Tod auf Raten.”

2. Rechercheplattform “Dossier” kämpft ums Überleben
(derstandard.at, Oliver Mark)
Hinter dem österreichischen “Dossier” steht eine gemeinnützig arbeitende Redaktion, die seit 2012 investigativen und Datenjournalismus betreibt. Doch nun ist das Projekt in Not: “Mit der Absetzung der ORF-Sendung Gute Nacht Österreich haben wir einen wichtigen Auftrag verloren. Nun klafft ein Loch in unseren Büchern – und die sprechen eine deutliche Sprache: Aus eigener Kraft und mit unserem bisherigen Wachstum schaffen wir es nicht. Wir brauchen einen kräftigen Schub.”

3. Ist “Klimawandel” der passende Begriff?
(deutschlandfunk.de, Stefan Fries, Audio: 2:16 Minuten)
In den Medien ist oft vom “Klimawandel” die Rede. Doch taugt der Begriff zur Beschreibung des Phänomens? Im “Sprachcheck” des Deutschlandfunks kommentiert Stefan Fries: “Wer deutlicher über die Veränderungen sprechen will, kann auch deutlichere Worte wählen, die die Folgen des ‘Klimawandels’ konkreter benennen.”

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4. Zeilen für den Minister
(de.ejo-online.eu, Roman Winkelhahn)
Ende März veröffentlichte die Otto-Brenner-Stiftung eine Analyse über “Gastbeiträge von Politiker*innen in ausgewählten Tageszeitungen” (PDF). Roman Winkelhahn hat sich das Diskussionspapier angeschaut und die aus seiner Sicht wichtigsten Erkenntnisse herausgestellt.

5. Die Zukunft bleibt spannend
(medium.com, Katharina Kulzer)
Als Mitglied des “BR-Next”-Teams arbeitet Katharina Kulzer an der Zukunft des Bayerischen Rundfunks. Beim WDR machen das Lisa Zauner und Alexander Nieschwietz vom “Innovation Hub”. Die drei jungen Journalisten und Journalistinnen haben sich über Trendforschung im Allgemeinen und Besonderen unterhalten. Es geht um Tanker und Schnellboote, Kapitäne und Matrosen sowie um echte Veränderung und bloßes Innovationstheater.

6. Herr Krause hat Scheißangst
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz, Video: 1:40 Minuten)
Die “Pierre M. Krause Show” ist eine Late-Night-Show des SWR, in der Gastgeber Krause auf prominente Gäste trifft. In den Gesprächen scheint ihn eine Angst besonders umzutreiben, die ich hier aus Sorge vor einem möglichen Shitstorm jedoch nicht nennen will.

KW 19: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. Till Eckert im Podcast zu Kein Filter für Rechts
(stern.de, Steffen Gassel, Audio: 44:05 Minuten)
“Correctiv”-Faktenchecker Till Eckert spricht bei “Stern nachgefragt” über die Instagram-Recherche “Kein Filter für Rechts” und erklärt, wie Rechtsextreme das Netzwerk nutzen, um Nachwuchs zu rekrutieren. Die vollständige Geschichte kann man hier nachlesen.

2. Wie entsteht das NDR Coronavirus Update?
(wasmitmedien.de, Daniel Fiene & Sebastian Pähler, Audio: 1:16:00 Stunden)
Der Podcast “NDR Coronavirus-Update” mit dem Virologen Christian Drosten und dessen Kollegin Sandra Ciesek erfreut sich großer Beliebtheit und wurde bereits vielfach ausgezeichnet. Doch das Format wird nicht nur von den zwei Fachleuten getragen. Im Hintergrund arbeitet eine zehnköpfige Redaktion. Korinna Hennig und Katharina Marenholtz gehören seit Beginn an zum Podcast-Team. Bei “Was mit Medien” geben sie einen Einblick in ihre Arbeit: Wie läuft die Zusammenarbeit mit Drosten und Ciesek? Wie sieht die Qualitätskontrolle aus? Was haben sie in den letzten Monaten über Medien gelernt?

3. Ulrike Meinhof: Von der Journalistin zur Terroristin
(youtube.com, Zapp, Caroline Schmidt, Video: 29:14 Minuten)
Für “Zapp” begibt sich Caroline Schmidt auf die Spur der ehemaligen Journalistin und späteren Terroristin Ulrike Meinhof – einer der Köpfe der sogenannten Baader-Meinhof-Gruppe beziehungsweise der Roten Arme Fraktion aus den 70er-Jahren. Schmidt hat sich dazu mit Zeitzeugen unterhalten wie dem ehemaligen “Konkret”-Redakteur und heutigen “Welt”-Herausgeber Steffan Aust und dem Schriftsteller Peter Schneider: “Es ist die Geschichte einer dramatischen Radikalisierung, von Meinhofs großer Zeit als Kolumnistin bei ‘Konkret’, über die Jahre im Untergrund und dann im Gefängnis bis hin zu einer letzten Geiselnahme, mit der Meinhofs Anhänger sie freipressen wollten – und scheiterten.”

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4. ARD-Zukunftsdialog und Radio nur für Frauen
(wdr.de, Anja Backhaus, Audio: 43:27 Minuten)
Das WDR5-Medienmagazin behandelt in der Sendung folgende Themen: Tom Buhrow: “Da hingehen, wo die Leute sind”; Angriff auf den App-Store; Serie über Schwule – bitter nötig?; DAB+ kommt, UKW geht?; “Femotion” – Radio nur für Frauen; Medienschelte – Gepriesen sei der Lanz! Und Achtung, Tipp in eigener Sache: das neue Buch unserer BILDblog-Autoren Mats Schönauer und Moritz Tschermak.

5. Auf gelb gesetzt – Pressefreiheit in Deutschland und Spanien
(sr-mediathek.de, Isabel Sonnabend & Thomas Bimesdörfer, Audio: 17:29 Minuten)
Im Medien-Podcast des Saarländischen Rundfunks geht es um die Pressefreiheit in Spanien und die Frage, warum es dort an der Situation mehr auszusetzen gibt als in Deutschland. Beide Länder werden von den Reportern ohne Grenzen mit gelb (zufriedenstellend) eingestuft. Deutschland taucht in der 180 Staaten umfassenden Rangliste der Pressefreiheit derzeit an Platz 13 auf, Spanien liegt an 29. Stelle.

6. Warum Youtube jetzt immer mehr Werbung zeigt
(youtube.com, Walulis Story, Video: 15:08 Minuten)
Für Youtube kann es in letzter Zeit gar nicht genug Werbeclips geben, findet Philipp Walulis, egal wie dumm sie seien: “Hauptsache viel!” Walulis fragt sich, woher der Massenangriff der Werbeanzeigen kommt und welche Strategie dahinter steckt. Die habe etwas mit den Monetarisierungsmöglichkeiten für “Creator” und die zunehmende Konkurrenz durch Mitbewerber TikTok zu tun.

Die Uber Files, Depressionen, Die Rückkehr des Dieter B.

1. Wie Uber deutsche Medien umwarb
(tagesschau.de, Petra Blum & Andreas Braun & Catharina Felke & Benedikt Strunz)
Eine anonyme Quelle hat dem “Guardian” mehr als 124.000 vertrauliche Dokumente aus dem inneren Kreis des Fahrtenvermittlers Uber zugespielt. Die Auswertung der Daten wurde durch das Internationale Konsortium Investigativer Journalistinnen und Journalisten (ICIJ) durchgeführt. Ein Ergebnis: Bei seiner Lobby-Arbeit habe Uber in Deutschland auf den Springer-Konzern gesetzt und sich dabei vor allem für den damaligen “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann interessiert. Der Springer-Konzern habe nicht nur Hilfe angeboten, sondern auch in in das Start-up investiert.
Weitere Lesehinweise: Die “Süddeutsche Zeitung” fasst zusammen: Was man über die Uber Files wissen muss. Und auch der “Spiegel” bietet eine Zusammenstellung der wichtigsten Fragen und Antworten. Die “FAZ” könnte Betroffene der Uber-Lobbyarbeit sein. Dort hatte der Ökonom Justus Haucap einen Gastbeitrag verfasst. Nur wenige Tage später hatte Haucap einen Vertrag mit Uber geschlossen – unter anderem über das Verfassen eines Presseartikels. Haucap könne “heute nicht mehr rekonstruieren, um welchen Beitrag es sich dabei gehandelt haben soll.”

2. In eigener Sache: Ich habe Depressionen
(uebermedien.de, Larena Klöckner)
“Ich habe Depressionen. Und bin der Meinung, dass darüber im Journalismus mehr gesprochen werden muss. Nicht etwa, weil ich mir anmaße, zu sagen, dass es eine depressive Person im Journalismus schwerer als in anderen Berufen hat. Darum soll es nicht gehen. Vielmehr darum, die täglichen Herausforderungen in einer Branche zu zeigen, die Auszeiten nicht vorsieht und Überarbeitung etwa in Form von möglichst vielen und oft unbezahlten Praktika quasi voraussetzt.” In einem sehr persönlichen Text hat Larena Klöckner aufgeschrieben, wie sie als Journalistin mit Depressionen arbeitet und lebt: “Es geht um Druck, Versagensängste und Hilflosigkeit.”
(Solltest Du Depressionen oder gar Suizidgedanken haben, dann gibt es Menschen, die Dir helfen können, aus dieser Krise herauszufinden. Eine erste schnelle und unkomplizierte Hilfe bekommst Du etwa bei der “TelefonSeelsorge”, die Du kostenlos per Mail, Chat oder Telefon (0800 – 111 0 111 und 0800 – 111 0 222) erreichen kannst.)

3. Elon Musk will Twitter nicht mehr übernehmen: Was wird jetzt aus der Plattform? – Interview mit Simon Hurtz
(deutschlandfunk.de, Mirjam Kid, Audio: 6:48 Minuten)
Wie gestern in den “6 vor 9” berichtet, hat Tech-Milliardär Elon Musk seine Vereinbarung zum Kauf von Twitter für aufgelöst erklärt. Der Deutschlandfunk hat Simon Hurtz vom “Social Media Watchblog” angerufen und um seine Einordnung gebeten. Hurtz erklärt die möglichen Szenarien, gibt eine Einschätzung ab, weist aber auch auf die Unsicherheitsfaktoren hin.
Weiterer Lesehinweis: Twitter rüstet sich für Gerichtsschlacht mit Musk (spiegel.de).

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4. Weitere Schikanen gegen Medien
(djv.de, Hendrik Zörner)
Der Deutsche Journalisten-Verband protestiert gegen die Sperrung des Nachrichtenportals Welt.de durch die russischen Zensurbehörden sowie gegen die geplante Liquidierung des russischen Journalistenverbands. Die Sperrung der digitalen “Welt” sei ein Akt der Verzweiflung: “Diktator Putin schlägt panisch gegen alles, was seine Propaganda Lügen straft.”

5. RTL holt Bohlen zurück zu “Deutschland sucht den Superstar”
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
“Im Frühjahr 2021 war es für den neuen RTL-Chef Henning Tewes eine Frage der Haltung, sich von Dieter Bohlen zu trennen. Aus Mangel an Erfolg bei ‘DSDS’ fliegt die Haltung über Bord – und Bohlen ist zurück.” “DWDL”-Chef Thomas Lückerath kommentiert die Rolle rückwärts: “Weil Neuausrichtung des Senders und Unternehmens bei RTL Deutschland im vergangenen Jahr Hand in Hand gingen, wird man sich auch im Haus fragen: Welche ehrbaren Worte bzw. welche Haltung, die man im vergangenen Jahr bedeutungsschwanger vorgetragen hat, wird als nächstes kassiert?”

6. Satirischer Wochenrückblick: Ich muss mich bei Bild TV entschuldigen
(web.de, Marie von den Benken)
In einem satirischen Text lobt Marie von den Benken “Bild TV” für die, nun ja, Erfolge und entschuldigt sich bei dem Sender: “Im Prinzip ist Bild TV ein personifiziertes ‘Das wird man ja wohl noch sagen dürfen’ und erkämpft sich damit langsam, aber wacker und kontinuierlich Quoten-Promille um Quoten-Promille aus dem inzwischen reich bestückten deutschen Selbstdenker-Lager, in dem konsequent intellektuelle Nebensaison herrscht.”

“Bild”-Artikel sind Anzeigen

Ist es vorstellbar, dass sich Unternehmen ganze Artikel in der “Bild”-Zeitung kaufen können? Schwerlich, oder?

Die “Bild”-Zeitung sah in dem Film “Da Vinci Code”, der von der Kritik sonst heftig verrissen wurde, “die Kino-Sensation des Jahres”. Das könnte daran liegen, dass “Bild”-Autor Norbert Körzdörfer der Film einfach gefiel. Oder daran, dass er “als einziger Reporter weltweit” die “Hollywood-Legende Tom Hanks” “exklusiv in Los Angeles” treffen durfte. Oder daran, dass die “Bild”-Zeitung von der Produktionsfirma Sony für die Lobeshymmne bezahlt wurde.

Insgesamt drei Artikel hat Körzdörfer, laut Impressum “Berater des Chefredakteurs”, in der “Bild”-Zeitung über den Film geschrieben. Am 12. und 13. April 2006 erschienen zwei jeweils fast ganzseitige Artikel über das Treffen mit Tom Hanks. Am 18. Mai 2006 brachte “Bild” eine Filmkritik unter Körzdörfers Pseudonym “Blieswood”.

Abgesehen von der positiven Bewertung und der mangelnden Distanz, die aber so etwas wie ein Markenzeichen Körzdörfers ist, deutete für “Bild”-Leser nichts darauf hin, dass es sich hier um Texte handeln könnte, für die die Produktionsfirma Geld gezahlt hat.

Anders bei Bild.de. Das “Bild”-Interview, das Körzdörfer geführt hat, ist hier unter einer Adresse veröffentlicht, die bei Bild.de normalerweise für “Partner” (im Klartext: Werbekunden) reserviert ist und Sony als Auftraggeber nennt:

Das könnte man noch für ein Versehen halten. Aber nur, bis man die Ressortseite “Kino & TV” von Bild.de besucht hat. Dort gibt es einen als “Anzeige” gekennzeichneten Teaser für ein “Da Vinci Code”-Special (siehe Ausriss rechts, Hervorhebung von uns).

Der Teaser führt zu einer Bild.de-Seite, die komplett als Sony-Anzeige gekennzeichnet ist und den Copyright-Hinweis “© 2006 CTMG, Inc.” trägt. Hier sind nicht nur Videoclips und Werbespiele zum Film verlinkt — sondern auch das Interview Körzdörfers und seine Filmkritik. Und alle sind pauschal und eindeutig als Werbung ausgewiesen:

Ist es also vorstellbar, dass sich Unternehmen ganze Artikel in der “Bild”-Zeitung kaufen können?

(Danke an Franzi für die Inspiration!)

neu  

Was “Bild” weglässt (außer Weichspüler)

Eine Möglichkeit ist es natürlich, Khaled al-Masri (wie berichtet) als “durchgeknallten Schläger, Querulant und Brandstifter” zu bezeichnen, als “irren Deutsch-Libanesen”, der “monatelang die Bundesregierung, Parlament und Öffentlichkeit terrorisierte”.

Aber es gibt auch andere, leisere und nicht minder effektive Möglichkeiten, einen Menschen zu diffamieren. In ihrer Berichterstattung über das Urteil im Prozess gegen al-Masri zeigen “Bild” und Bild.de, dass sie auch diese Variante beherrschen.

Der Bild.de-Artikel beginnt mit dem Satz:

Der Deutsch-Libanese (bekannt als angebliches Folter-Opfer) ist vom Landgericht Memmingen zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt worden.

Erstaunlich an dieser Formulierung ist nicht nur, dass ein Medium, das sonst schon aus kleinsten Gerüchten größte Schlagzeilen macht, plötzlich im Fall al-Masris das Wort “angeblich” im Wortschatz der deutschen Sprache entdeckt. Erstaunlich ist vor allem, dass Bild.de mit dem Wort “angeblich” wieder einmal Zweifel an al-Masris Aussagen ausdrückt, die zuständige Behörden nicht haben.

Bild.de enthält den Lesern ebenso wie die gedruckte “Bild”-Zeitung (siehe Ausriss rechts) auch die Begründung des Gerichtes vor, warum es jemanden, den es immerhin der Brandstiftung, gefährlichen Körperverletzung, Beleidigung und Hausfriedensbruch für schuldig befindet, trotzdem nur zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Die “Schwäbische Zeitung” formulierte es so:

Seine Traumatisierung durch die fast sechsmonatige Gefangenschaft in Händen des amerikanischen Geheimdienstes CIA in Afghanistan und sein umfassendes Geständnis waren es, die dem 44-Jährigen einen weiteren Aufenthalt im Gefängnis ersparten.

Und die Nachrichtenagentur dpa fasste das so zusammen:

Das Gericht rechnete El Masris Geständnis, die Entschuldigungen bei den Opfern und die Traumatisierung durch seine Entführung nach Afghanistan als strafmildernd an.

Natürlich hat “Bild” das weggelassen, sonst hätten vermutlich Millionen “Bild”-Leser gefragt: “Traumatisiert? Wovon das denn??” Schließlich hat ihre Zeitung ihnen al-Masri bislang und konsequent nur als “durchgeknallten Schläger, Querulant und Brandstifter” und potentiellen Lügner vorgestellt, dem nicht mehr passiert ist, als dass er “versehentlich in Mazedonien verschleppt und für fünf Monate inhaftiert wurde”, was aber kein Skandal sei.

Der psychiatrische Gutachter Norbert Ormanns sagte im Verfahren übrigens, al-Masris Taten hätten sehr wahrscheinlich verhindert werden können, wenn al-Masri, der vor seiner Entführung 20 Jahre lang unbescholten in Deutschland gelebt hat, die dringend notwendige Therapie bekommen hätte. Auch das steht nicht in “Bild”. Vermutlich, weil die Zeitung solche Zusammenhänge erklärtermaßen für “irre” hält.

Als “Bild” vor zwei Wochen schrieb:

Wir werden unsere Berichterstattung [über al-Masri] nicht weichspülen – so wenig wie bei Hasspredigern, Nazis oder sonstigem durchgeknallten Gesindel.

meinte die Zeitung also in Wahrheit vermutlich ungefähr:

Wir werden auch in Zukunft so manipulativ und irreführend berichten, dass unsere Leser keine Wahl haben, als die von uns verbreiteten Vorurteile bestätigt zu finden.

Bild  

Wer gegen Massenunterkünfte ist, muss gegen Flüchtlinge sein

In Potsdam sieht es derzeit so aus, wie in vielen anderen Städten und Gemeinden: Die Verwaltung sucht dringend nach möglichem Wohnraum für Geflüchtete. Bei der durchaus schwierigen Suche nach freien Plätzen hat die Stadt Potsdam auch beim örtlichen Kulturzentrum “freiLand” nachgefragt. Und das hat in einem offenen Brief geantwortet:

Am Montag dem 14.09.2015 erreichte uns über eine Arbeitsgruppe der Stadt Potsdam die Anfrage, ob auf dem freiLand-Gelände über einen längeren Zeitraum Unterkünfte für Geflüchtete aufgestellt werden könnten. Längerer Zeitraum bedeutet hier eine Unterbringung von Flüchtlingen über mehrere Jahre und nicht ein vorübergehendes Provisorium.

Die Pläne sähen vor, “zwei Container mit Stoffdächern” aufzustellen, die “jeweils 48 Geflüchteten Platz bieten sollen.” In diesen Containern befänden sich lediglich Schlafplätze, “Sanitäreinrichtungen würden zusätzlich auf dem Gelände installiert werden.” Gemeinschaftsräume und Küchen seien nicht vorgesehen, die Beheizung solle per Heißluftgebläse erfolgen.

Das ist nach Meinung des Kulturzentrums keine angemessene Lösung:

Aus unserer Sicht ist diese Form der massenhaften Unterbringung von Geflüchteten über Monate und Jahre hinweg unzumutbar. Sie nimmt den Menschen die letzten Möglichkeiten, selbstbestimmt zu leben und zu handeln.

Das “freiLand”, nach eigenen Angaben recht aktiv in der Flüchtlingshilfe vor Ort, schreibt aber auch, dass es “absolut bereit” sei, “Menschen einen Zufluchtsort — auf bestimmte oder unbestimmte Zeit — zu bieten.”

Also: Ein Angebot, Flüchtlingen einen Platz zu bieten, gleichzeitig die Forderung nach einer würdevollen Unterbringung — müsste doch eigentlich was für die “Wir Helfer” der “Bild”-Zeitung sein. Oder?

Mal abgesehen von der Verkürzung, der Verdrehung und der einseitigen Auslegung des offenen Briefes: Einer Einrichtung, die sich für eine würdevolle Unterbringung von Geflüchteten stark macht, vorzuwerfen, sie sei “richtig herzlos”, ist so, als würde man dem FC St. Pauli vorwerfen, er hätte “Kein Herz für Flüchtlinge”.

Bausparfuchsterror, anonyme Quellen, Lückenpresse

1. Die „SZ“ macht den Blockblock
(taz.de, Peter Weissenburger)
Auf “sueddeutsche.de” kann man jetzt keine Werbung mehr ausblenden. Ein Wagnis, findet Peter Weissenburger: “Nun wird sich zeigen müssen, ob die neue Politik NutzerInnen abschreckt oder sie sich auf den Deal einlassen: Entweder zahlen – oder Bausparfuchsterror. In jedem Fall ist löblich, dass sueddeutsche.de sich als Erster zum Spielverderber macht. Langfristig wird die Branche nämlich ohnehin überlegen müssen, wie sie mit steigender Online-Nutzung und sinkenden Printabonnements umgeht.”

2. “Wir hauen Dir die Geschichten um die Ohren”
(digtator.de, Christian Fahrenbach)
Stacy-Marie Ishmael leitet bei “BuzzFeed” als “Managing Editor of Mobile” das mobile Nachrichtengeschäft. Im Interview erzählt sie von der 2015 erschienenen Nachrichten-App. Es geht um Nutzerverhalten, Individualisierung und die Buzzfeed-Firmenphilosophie. Und einen Vorwurf, den die Managerin wohl öfter zu hören bekommt: “Wir schreiben die Push-Nachrichten nicht so, dass du klicken musst, um die Story zu erfahren oder die News zu verstehen. Das gilt aber für die gesamte BuzzFeed Philosophie. Die Leute sagen immer: „Oh, BuzzFeed macht Clickbait.“ Aber das ist nicht wahr. BuzzFeed macht Überschriften, die dir die komplette Geschichte um die Ohren hauen. Wir erzählen dir die Story in der Überschrift.”

3. Die Medienkonzerne verlieren Meinungsmacht
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Laut dem neuesten Medienvielfaltsmonitor der Landesmedienanstalten verlieren die großen deutschen Medienkonzerne immer mehr an Meinungsmacht. Meinungsbildner-Medium Nummer eins bleibe das Fernsehen, doch das Internet hole auf, sagt “dwdl”-Autor Timo Niemeier und dröselt die Zahlen detailliert auf.

4. «Rundschau»: SRF-Propaganda vs. Assad-Propaganda
(infosperber.ch, Stefan Schaer)
Stefan Schaer bemängelt die Syrien-Berichterstattung des “Schweizer Radio und Fernsehen” (SRF). Der Sender falle seit Längerem durch einseitige Berichterstattung auf, wenn es um Konflikte mit NATO/US-Beteiligung gehe. Gegenstand seiner aktuellen Kritik ist die “SRF”-Sondersendung “«Rundschau»- Interview mit dem syrischen Präsidenten Assad”. Schaer bewertet die einzelnen Sendungsteile und macht den Sendungsmachern schwere Vorwürfe.

5. Über den Umgang mit anonymen Quellen
(de.ejo-online.eu, Alice Antheaume)
Die französische Journalistin Alice Antheaume beschäftigt sich mit der Frage, ob es vertretbar ist, anonyme Quellen zu benutzen. Anstoß zu dieser Überlegung waren Artikel von “Libération” und “Le Parisien”: Der eine enthielt elf Quellen ohne Namen, der andere fünf unbenannte Quellen. Antheaume hat Verantwortliche dazu befragt und auch Medien wie die “New York Times” oder den “Guardian” mit in ihre Betrachtung aufgenommen.

6. Buchvorstellung und Diskussion: Ulrich Teusch – Lückenpresse
(youtube.com, Video, 1:34 Stunden)
Ulrich Teusch hat unlängst ein medienkritisches Buch vorgelegt: „Lückenpresse. Das Ende des Journalismus, wie wir ihn kannten“. Bei einer gemeinsamen Veranstaltung von Verlag und IG Metall haben Ulrich Teusch, Jens Berger, Stephan Hebel und Peter Zudeick über Buch und Thematik diskutiert.

Gema-Youtube-Lizenzfrieden, Oettinger-Hilfe, Digitales Brauchtum

1. Youtube zahlt Gema
(faz.net, Michael Hanfeld)
Gute Nachricht für Musikfans: Nach jahrelangem Rechtsstreit schließen Gema und Youtube einen Lizenzvertrag, der heute in Kraft tritt. Musikvideos, die unter Gema-Lizenz laufen, werden nicht mehr mit der Sperrtafel belegt, sondern können laut “FAZ”-Information ab heute abgespielt werden. Und die rund 70.000 Komponisten, Textdichter und Verleger werden an den von Youtube erwirtschafteten Einnahmen beteiligt.

2. Kein Geld, keine Kritik
(taz.de, Ali Celikkan)
Um die Medien in der Türkei ist es schlecht bestellt. Allein seit dem Putschversuch haben 3.000 Journalisten ihre Jobs verloren, sodass nun insgesamt 10.000 Journalisten in der Türkei arbeitslos sind, so Ali Celikkan in der “taz”. Mit einem neuen Gesetz will die türkische Regierung nun unliebsamen Medien die Anzeigeneinnahmen entziehen. Betroffen ist auch die finanziell nicht so gut ausgestattete überregionale Tageszeitung „Cumhuriyet“. Eine Anklage reicht und dem entsprechenden Medium werden alle staatlichen Anzeigen entzogen. Außerdem muss jeder Angestellte, der wegen Verstößen gegen die Verfassungsordnung oder der Unterstützung terroristischer Organisationen angeklagt wird, innerhalb von fünf Tagen entlassen werden.

3. Fragwürdiger Beistand der “Welt” für Oettinger
(ndr.de, Hendrik Maaßen)
EU-Kommissar Günther Oettinger hat für seine umstrittene Rede vor Unternehmern in Hamburg viel Kritik geerntet. Springers “Welt” hält jedoch zu Oettinger und leistet in auffälliger Weise Beistand. “Waren die freundliche Worte Schützenhilfe für einen Helfer in eigener Sache? EU-Digitalkommissar Günther Oettinger will mit einer geplanten Urheberrechtsreform Verlagen helfen, an den Gewinnen von Google und Co. beteiligt zu werden. Ein sogenanntes europaweites Leistungsschutzrecht soll Medienhäuser “auf Augenhöhe” mit IT-Giganten bringen.”

4. „Trumps Wahlkampf wird wie von einem Verrückten geführt“
(faz.net, Oliver Georgi)
Der amerikanische Wahlkampfberater Jim Walsh ist Experte für “digital campaigning”. Im Interview spricht er über die Strategien der Bewerber und wie man sich in den USA personalisierter digitaler Wahlwerbung bedient. Die Vorgehensweise lässt jeden deutschen Datenschützer zusammenzucken: “Vereinfacht gesagt kaufen wir gewaltige Mengen an Cookie-Daten, die von speziellen Datenhändlern angeboten werden. Unserem Unternehmen gehören rund 800 Millionen Cookie-Daten, die Nutzer im Netz hinterlassen haben: Wer hat sich wann auf welchem Browser eingeloggt, welche Mailadresse hat er in Diensten wie Amazon oder Yahoo benutzt, welche Seiten hat er besucht? Diese Datensätze vergleichen wir dann mit den sehr detaillierten Wählerdaten, die in Amerika in vielen Bundesstaaten öffentlich sind, und suchen nach Gemeinsamkeiten.”

5. Gruselpresse: Journalisten in Horrorfilmen
(journalistenfilme.de, Patrick Torma)
Pünktlich zu Halloween hat Patrick Torma auf “journalistenfilme.de” 13 Filme rausgesucht, in denen Journalisten eine gruselig-düstere Rolle spielen. Ein blutiges Potpourri des Grusel-Trashs.

6. Digitaler Heimat- und Brauchtumsverein (Digitale Oktober Notizen)
(dirkvongehlen.de)
Dirk von Gehlen fordert einen digitalen Heimat- und Brauchtumsverein, denn: “Wer im Internet Zuhause ist, hat das gleiche Recht auf Brauchtums- und Heimatpflege wie all die anderen Interessengruppen, die in Schulen, Behörden, Gremien, Kirchen, Parteien und Gewerkschaften Einfluss nehmen.” Update: Zwischenstand zum „Digitalen Heimat- und Brauchtumsverein“

Trumps Adblocker, Grimmige Grimme-Juroren, Kluger Kotau

1. Endlich Klarheit: Adblocker sind schuld an Trump und Brexit
(netzpolitik.org, Markus Reuter)
Der Zeitungsverleger-Verband Nordrhein-Westfalen will Adblocker verbieten lassen, zum “Schutz der Integrität von journalistisch-redaktionellen Telemedienangeboten”. Der Verband feilt in einer für den Landtag bestimmten Stellungnahme sogar an der Theorie, Adblocker hätten Donald Trump an die Macht gebracht: “Die Meinungsbildung für die breite Masse erfolgt dann durch Blogger ohne journalistische Standards und soziale Netzwerke. Erste Auswirkungen eines solchen Trends lassen sich in den letzten Wahlen in Großbritannien und den USA besichtigen.” Darüber hinaus werden die Onlineannoncen im bedeutungsschweren Schwampfdeutsch als “Nachrichten” bezeichnet, die einen “informations-, meinungs- und bildungsfördernden Einfluss auf den Leser hinsichtlich des jeweiligen Sachgebietes” hätten. Markus Reuter hat auf “Netzpolitik.org” ein paar Anmerkungen dazu.

2. Kluger Kotau
(taz.de, Georg Löwisch)
Demutsgesten der freien Presse gegenüber ihren Gegnern seien gefährlich, doch der Brief von “Welt”-Chef Poschardt an Erdogan sei richtig, so “taz”-Chefredakteur Löwisch: “Sein Ziel ist es, Deniz Yücel freizubekommen, den der Autokrat als Geisel genommen hat. Der Chefredakteur verspricht nichts, er entschuldigt sich nicht. Er macht sich allerdings klein, damit sich Erdoğan größer machen kann. Er setzt darauf, dass der Präsident vom Bild des starken Mannes lebt, der jedes Armdrücken gewinnen muss.”

3. Opposition ist kein Mist
(sueddeutsche.de, Hans Hoff)
Das Politikmagazin “Monitor” (WDR) kann auf mehr als 50 Jahre Fernsehgeschichte zurückblicken. Seit 2012 wird die Sendung von “Monitor”-Chef Georg Restle moderiert, der auch vor Kritik am eigenen Haus nicht zurückschreckt. “Wenn man Restle eine Weile zuhört, wie er die Dinge beschreibt, wie er das Feuer seiner sechsköpfigen Redaktion beschreibt, wie er die Widerständigkeit seiner Mannschaft skizziert, dann kommt man auf das Bild vom kleinen gallischen Dorf, das sich in seiner Sendung ganz allein alle drei Wochen eine halbe Stunde lang gegen die Römer wehrt.”

4. Organversagen
(kreuzer-leipzig.de, Juliane Streich)
Ein in Leipzig über lange Jahre wegen vieler Großprojekte bekannter Baudezernent wird neuer Chef des Berliner Flughafenprojekts BER. Man möchte meinen, dass ein lokales Medium wie die “Leipziger Volkszeitung” den Mann gut kennen und entsprechend berichten müsste, doch dort wird vor allem seine Haartolle erwähnt. Was eventuell an Stellenabbau und Umstrukturierung liegen wird, die dafür gesorgt haben, dass derartige Texte jetzt wahrscheinlich aus dem fernen Hannover kommen. Im Leipziger Stadtmagazin “Kreuzer” kommentiert Juliane Streich den Vorgang: “In der Praxis des Redaktionsalltages scheint dieses Konzept leider oft nicht aufzugehen, wie nicht nur dieses Beispiel zeigt. Mit Stärkung des Lokaljournalismus hat dies nichts mehr zu tun, wobei nur noch ein Motivationsgrund bleibt: Sparen. Das Zeitungssterben wird man so nicht aufhalten können, denn Lütke Daldrups Haartolle kann man im kostenlosen Internet weitaus besser sehen als in der LVZ.”

5. Merkels Geheimgespräche mit der Presse bleiben geheim
(tagesspiegel.de, Jost Müller-Neuhof)
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG) wies die Informationsklage eines Tagesspiegel-Redakteurs ab, der unter anderem Auskünfte zu Treffen begehrte, bei denen Merkel mit anderen Journalisten über die Flüchtlingskrise, den Brexit sowie den Umgang mit der AfD gesprochen hatte. Bundeskanzlerin Angela Merkel muss nach dem neuen Richterspruch und anders als erstinstanzlich entschieden, keine Auskünfte über ihre geheimen Zusammenkünfte mit Journalisten geben.

6. Zwei Jury-Mitglieder distanzieren sich von Grimme-Preisvergabe an Oliver Polak und seine Sendung “Applaus und raus”
(medienkorrespondenz.de)
Comedian Oliver Polak hat für seine mittlerweile abgesetzte Talkshow “Applaus und raus” einen Grimme-Preis bekommen. Die Entscheidung der Jury ist umstritten. Von den sieben Jury-Mitgliedern haben sich zwei von der Entscheidung öffentlich distanziert: „Medienkorrespondenz“-Chefredakteur Dieter Anschlag und der Leiter des “taz”-Medienressorts Jürn Kruse. Beide Juroren finden es unter anderem nicht hinnehmbar, dass für die Sendung der Hashtag “#gastoderspast” verwendet wurde. Weiterer Lesetipp: Unter Bist du behindert, du Spast? berichtet eine Bloggerin davon, was sie nach ihrer Kritik an dem Hashtag Unschönes erlebte und wie der Sender reagierte.

“Bild” lässt falsche Geburtenrate in Afrika rasant steigen

Als Bundeskanzlerin Angela Merkel vergangene Woche verschiedene afrikanische Länder besuchte, ging es für “Bild”, Bild.de und “Bild”-Parlamentsbüro-Leiter Ralf Schuler vor allem um eine Frage:

Ausriss Bild-Zeitung - Kann Merkel in Afrika Flüchtlinge aufhalten?
Screenshot Bild.de - Kann Merkel in Afrika Flüchtlinge aufhalten?

Die Dringlichkeit dieser Frage unterstreicht Schuler unter anderem mit dieser Aussage:

Aber es ist auch ein Wettlauf gegen die rasant steigenden Geburtenraten, zwischen fünf und sieben Kinder sind üblich.

Das ist schlicht falsch.

Es gibt kein afrikanisches Land, in dem die Geburtenrate “rasant steigt” (wobei Schuler sowieso wohl eher die Fruchtbarkeitsrate und nicht die Geburtenrate meint). Im Gegenteil: Die Geburtenraten auf dem afrikanischen Kontinent gehen seit Jahren und Jahrzehnten zurück. Für die drei Länder Senegal, Ghana und Nigeria, in die Ralf Schuler die Bundeskanzlerin bei ihrer Reise begleitet hat, sieht das laut Weltbank so aus:

Senegal:
1960: 7,0
1970: 7,3
1980: 7,3
1990: 6,5
2000: 5,5
2010: 5,1
2016: 4,8

Ghana:
1960: 6,7
1970: 7,0
1980: 6,5
1990: 5,6
2000: 4,8
2010: 4,3
2016: 4,0

Nigeria:
1960: 6,4
1970: 6,5
1980: 6,8
1990: 6,5
2000: 6,1
2010: 5,8
2016: 5,5

Auch für die gesamte Region südlich der Sahara geht die Rate deutlich nach unten.

Schulers Behauptung, dass “zwischen fünf und sieben Kinder” üblich seien, passt auch nicht mit den vorliegenden Statistiken zusammen. Laut Weltbank hatten 2016 nur zwölf der 54 afrikanischen Länder (mit der nur teilweise anerkannten Westsahara sind es 55) eine Fruchtbarkeitsrate von über fünf: Niger (7,2), Somalia (6,3), Demokratische Republik Kongo, Mali (je 6,1), Tschad (5,9), Burundi, Angola (je 5,7), Uganda (5,6), Nigeria (5,5), Gambia, Burkina Faso (je 5,4) und Mosambik (5,2). Im “World Factbook” der CIA, wo es bereits die geschätzten Zahlen für 2017 gibt, sind es 13: Niger (6,5), Angola (6,2), Mali, Burundi (je 6,0), Somalia (5,8), Burkina Faso, Uganda (je 5,7), Sambia (5,6), Malawi (5,5), Mosambik, Südsudan, Nigeria und Liberia (je 5,1). Üblich ist also eine Fruchtbarkeitsrate von weniger als fünf Kindern.

Bevor man mit großen Fragen (etwa: “Kann Merkel in Afrika Flüchtlinge aufhalten?”) in den Diskurs eisnteigen will, sollte man vielleicht erstmal die kleinen Fakten richtig haben.

Mit Dank an Jonas H. für den Hinweis!

Axel Voss und das Kopf->Tisch-Interview, Reichelt, Gottschalk

1. Streit um Uploadfilter: Wie Axel Voss das Internet sieht
(vice.com, Theresa Locker)
Achtung! Diesen Artikel solltest Du nur in gesicherter Umgebung lesen. Das verzweifelte Lachen könnte Dritte verunsichern. Außerdem solltest Du vorher die Tischplatte abpolstern wegen der vielen zu erwartenden “Kopf->Tisch”-Situationen. Und darum geht’s: “Vice” hat mit Axel Voss (CDU) gesprochen, der als Vater der geplanten Urheberrechtsreform gilt. Und der liefert eine Vielzahl verstörender Sätze. Zum Thema Uploadfilter: “Ja, es kann sein, dass was blockiert wird, was nicht blockiert werden soll. Man muss schon davon ausgehen, dass das nicht 100 Prozent funktioniert.” Außerdem gebe es Ausnahmen: “Wenn ich meinem Nachbarn auf einer Plattform den neuesten Song von Shakira vorspielen will, dann fällt das immer noch unter die Ausnahmen.” Auf die Frage wie viele YouTube-Kanäle er abonniert habe: “Keine”. Zu den Demonstrationen gegen die Reform: “Da waren ja immer nur so’n paar Leute da.” Auf die Frage, ob Uploadfilter die Zukunft der Wikipedia bedrohen: “Ich weiß das nicht mehr so im Detail, das ist alles so rasant und schnelllebig.” Aber vielleicht muss man auch etwas nachsichtig mit dem Mann sein, denn: “Ich bin kein Techniker”.

2. Falscher Eindruck erweckt: WDR entfernt Reportage
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Der WDR hat erneut Ärger mit einer Sendung seiner Reportagereihe “Menschen hautnah”. In der Folge “Ausgerechnet — Billig-Kreuzfahrt” wurde der Eindruck suggeriert, dass der Reporter in einer der billigen Innenkabinen übernachtete. Tatsächlich hatte er jedoch ein hochwertigeres Zimmer bezogen. Aufgefallen war der Schmu nicht etwa der Redaktion, sondern einigen aufmerksamen Zuschauern auf Youtube. Die hatten nämlich die Kabinennummer des Reporters gecheckt und das unter anderem in den Kommentarbereich gepostet. Nun hat der WDR die Sendung aus der Mediathek gelöscht. Man bedauere den falschen Eindruck.

3. Da waren’s nur noch drei
(taz.de, Steffen Grimberg)
Steffen Grimberg kommentiert in der “taz” den Abgang des “FAZ”-Herausgebers Holger Steltzner. Die “FAZ” hatte sich zu den Gründen nicht geäußert und lediglich mitgeteilt: “Die Grundlage für eine weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den anderen Herausgebern war nicht mehr gegeben.” Ein Vorgehen, das Grimberg einen Vergleich heranziehen lässt: “Das beweist vom Stil her einmal mehr die Parallelen zwischen FAZ und taz — hier beschränkt man sich beim Kegeln von ChefredakteurInnen ja auch kurz und knapp aufs rustikal Notwendigste.”

4. “Ich muss Ihre Einladung leider ausschlagen”
(kontextwochenzeitung.de, Mario Damolin)
“Kontext”-Autor Mario Damolin berichtete unlängst von einer Podiums-Diskussion über “Ethik und Moral im Journalismus”, auf der “Bild”-Chef Julian Reichelt zugegen war (“Bild”-Chef im Delirium).
Damolins Artikel weckte anscheinend die Aufmerksamkeit des Delirierenden und bescherte dem “Kontext”-Autor eine Einladung in die Berliner “Bild”-Redaktion. Trotz Reichelts, nennen wir sie einfach schmeichelhafter, Einleitung (“mit Ihrem Artikel haben Sie nahezu all meine Vermutungen über autoritäre BILD-Hasser bestätigt”) hat sich Damolin entschieden, lieber zu Hause zu bleiben. In einem offenen Brief an den “Bild”-Chef erklärt er, warum er dessen Einladung ausschlagen muss. Ohne zu viel verraten zu wollen: Es hat am Ende etwas mit Hohlräumen zu tun.

5. dpa arbeitet für Facebook – und will trotzdem kritisch berichten
(deutschlandfunk.de, Daniel Bouhs)
Im Kampf gegen Desinformation arbeitet Facebook mit 43 Medienorganisationen zusammen. Ganz neu dabei: Die Deutsche Presse-Agentur (dpa), die dafür voraussichtlich drei Vollzeit-Faktenchecker abstellt. Eine Interessenkollision sieht die dpa nicht: Die Agentur werde ihrem Sprecher zufolge “genauso unabhängig” über Facebook schreiben wie bisher.

6. Fernsehkritik: Gottschalk liest? – Altherrenbräsigkeit lockt nicht zum Buch
(literaturcafe.de, Wolfgang Tischer)
Warum sollte Thomas Gottschalk nicht auch mal eine Literatursendung moderieren? Diese Frage kann nach der ersten Sendung durch folgende Frage ersetzt werden: “Warum sollte Thomas Gottschalk eine Literatursendung moderieren?” So jedenfalls die Meinung des Kritikers und “Literaturcafe”-Gründers Wolfgang Tischer: “Es wird leider nicht automatisch eine Literatursendung daraus, wenn man Gottschalk mit Autorinnen und Autoren auf eine Sitzgruppe setzt. Sein »Wetten, dass …?«-Elan ist längst dahin, seine Altherrenbräsigkeit lockt niemand zum Buch.”
Weiterer Lesehinweis: In der “FAZ” kommt die Sendung ähnlich schlecht weg: Prominenz statt Kompetenz (faz.de, Andreas Platthaus).

Zum Würfeln: Musikkritiken im Feuilleton

Zeitknappheit, Personalmangel, begrenzte Ressourcen …

Wir kennen die Probleme der Redaktionen nur allzu gut und haben dafür die Lösung: Mit unserem neuen Würfelspiel “Kurz vor Redaktionsschluss” lassen sich, jawoll, auch kurz vor Redaktionsschluss auf die Schnelle druckreife Teaser, kurze Artikel und ganze Besprechungen von neuen Songs und Alben erstellen.

Folge 5 unserer 16-teiligen Serie: Musikkritiken im Feuilleton.

Das neue BILDblog-Würfelspiel Kurz vor Redaktionsschluss - nur viermal würfeln, schon haben Sie eine komplette Musikkritik beisammen - Schritt 1: Würfeln Sie den Einleitungssatz - Schritt 2: Würfeln Sie das erste Kritikelement - Schritt 3: Würfeln Sie das zweite Kritikelement - Schritt 4: Würfeln Sie den Schlusssatz - Variante 1: Das apokalyptische Endzeitwerk paraphrasiert eine poetisch-nihilistische Eskapade und entwickelt eine Ästhetik der Durchlässigkeit: Die Musik zu einem Film, der nie gedreht wurde! Variante 2: Der dissonante No-Wave-Sound auf das Wiegenlied enthält Versatzstücke afroamerikanischer Musiktradition und oszilliert zwischen Eleganz und Quietschigkeit: ein Meisterwerk der Geschmackstransgression! Variante 3: Die ohrenbetäubend lapidare Soundlawine produziert ein dahintreibendes subsonisches, sinistres Rollen und trägt das ferne Echo einer dystopischen Welt: Zuckerwürfel-Pop am Ende des Regenbogens! Variante 4: Das fragrante und idiosynkratische Werk konstruiert düstere Tracks einer klerikalen Teufelsaustreibung und verweigert sich einer eindeutigen Genrezuschreibung: das in Musiknoten gegeossene Aufklärungsmanifest! Variante 5: Der Gattungs-Mix mit der modernen Klangästhetik erschafft futuristisch dahinwabernden Schaltkreis-Pop und verharrt zwischen Konstanz und Kontinuität: ein Schrei nach Liebe voller Wumms, Utopie und Eskapismus! Variante 6: Die groovende Selbstermächtigung für die Generation Z entfacht ein postfaktisches und redundantes Erhabenheitsgetöse und beschwört den Wunsch nach Katharsis herauf: ein aufgekratztes Sammelsurium von Ernst und Schäbigkeit!

Hier gibt es ein größeres JPG und hier ein größeres PDF zum Ausdrucken.

Am Mittwoch folgt Ausgabe 6.

Bisher erschienen:

KW 09/22: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. Krieg gegen die Ukraine – Wie berichten, was zeigen?
(br.de, Linus Lüring & Sissi Pitzer, Audio: 24:11 Minuten)
Es wird zunehmend schwieriger, über den Krieg Russlands gegen die Ukraine zu berichten. Im Medienmagazin des Bayerischen Rundfunks spricht Daniel Bouhs darüber, wie viele Reporter und Reporterinnen deutsche Medien in das Kriegsgebiet entsenden, und welche Probleme diese vor Ort haben. Außerdem geht es um die Verifikation von Bildern und Videos aus dem Kriegsgebiet und das EU-weite Verbot der russischen Staatsmedien.

2. Zwischen Professionalität und Emotion: Journalismus im Ukraine-Krieg
(deutschlandfunk.de, Stefan Fries, Audio: 38:02 Minuten)
Auch beim Deutschlandfunk geht es um die Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine: Wie behalten Journalistinnen und Journalisten den Überblick, welche Herausforderungen gibt es, wie schaffen sie den Spagat zwischen Hoffnung und Alarmismus, und welche Rolle spielen eigene Ängste? In “Nach Redaktionsschluss” diskutieren die freie Reporterin Rebecca Barth in der Ukraine, der ehemalige Moskau-Korrespondent des Deutschlandfunks (Dlf), Thielko Grieß, und die Medienwissenschaftlerin Marlis Prinzing von der Macromedia-Hochschule Köln mit Stefan Fries aus der Dlf-Medienredaktion.

3. Kriegsbilder auf TikTok, Seitenwechsel im Journalismus, Stalking mit Trackinggeräten
(deutschlandfunkkultur.de, Katja Bigalke & Marcus Richter, Audio: 34:47 Minuten)
In der aktuellen Ausgabe von “Breitband” sprechen Katja Bigalke und Marcus Richter über Kriegsbilder auf TikTok, Seitenwechsler im Politik-Journalismus und den Missbrauch von Ortungsgeräten wie Apples AirTag.

Bildblog unterstuetzen

4. Der Fall Gil Ofarim
(ndr.de, Kathrin Drehkopf, Video: 24:27 Minuten)
Im dritten und letzten Teil der “Zapp”-Serie “Verurteilt im Netz” geht es um den Fall von Gil Ofarim, der in den Sozialen Medien angab, in einem Leipziger Hotel antisemitisch diskriminiert worden zu sein, und die darauffolgende mediale Debatte. Die ersten beiden Folgen der Serie beschäftigten sich mit dem Fall Luke Mockridge und dem Fall Nemi El-Hassan (jeweils 25 Minuten).

5. Gespräch mit Dalia Antar
(anchor.fm, Lisabell Shewafera, Audio: 40:43 Minuten)
Bei “Inside Medien” ist diesmal Dalia Antar zu Gast. Sie arbeitet beim “heute journal” des ZDF als Redakteurin, Reporterin und Co-Chefin-vom-Dienst. Im Podcast gibt Antar unter anderem Auskunft zu folgenden Themen: Wie kann man sich den Arbeitsalltag als Redakteurin und Reporterin beim ZDF vorstellen? Wie ist das, in der aktuellen Berichterstattung zu arbeiten? Und wie komme ich an ein Praktikum in öffentlich-rechtlichen Medienhäusern?

6. Diener des Volkes
(arte.tv, Video: Serie mit 23 Folgen)
“Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, ehemaliger Schauspieler und Komiker, spielt in der Serie ‘Diener des Volkes’ die Rolle, die sein Leben veränderte: einen Geschichtslehrer, der über Nacht zum Präsidenten der Ukraine wird.” Arte zeigt in der Mediathek alle 23 Folgen in der Originalfassung mit deutschen Untertiteln.

Werbedurchfall bei Bild.de

Im vergangenen Herbst wurde die Arbeitsstruktur bei Bild.T-Online geändert. Damit sollte, wie der Vorstandsvorsitzende scherzte, die “konsequente Trennung von Redaktion und werblichen Inhalten noch stärker” im Unternehmen verankert werden. Seitdem weiß jeder Mitarbeiter exakt, ob er für Werbung oder Redaktion zuständig ist.

Schön wäre es, wenn man das auch als Leser wüsste. Zum Beispiel bei Marion Helmes. Sie hat u.a. diesen Artikel im Ressort “Spiele” von Bild.de verfasst:

Der Artikel ist erstaunlich euphorisch verfasst, was vielleicht kein Wunder ist — er ist über weite Strecken fast identisch mit der Pressemitteilung, die das Unternehmen herausgegeben hat, von der das Spiel stammt. Nichts deutet darauf hin, dass Frau Helmes das Spiel, das sie so begeistert bewertet (“auf keinen Fall entgehen lassen”), selbst gespielt hat.

Die Redaktion von Bild.de war offenbar so beeindruckt von dem “Flitzkacke”-Spiel, dass sie es sogar direkt von ihrer Seite zum Download anbietet — nicht ohne vorher 14,95 Euro vom Bild.de-Leser zu kassieren, von denen mutmaßlich ein Teil an den Lizenzgeber “Bluefish Media” geht und ein anderer in die Kassen von Bild.T-Online.de fließt.

An keiner Stelle wird der Bild.de-Leser auf dem Weg von der Homepage zum Kauf des Produktes durch ein Wort wie “Anzeige” gebremst. Bis zuletzt erfährt er nicht, ob er ein Spiel von Bild.de oder von jemand anderem kauft, geschweige denn, ob die Euphorie bei der redaktionellen Ankündigung tatsächlicher journalistischer Begeisterung geschuldet ist oder schnöden Geschäftsmodellen.

Im gesamten “Spiele”-Ressort von Bild.de gibt es keinerlei Trennung zwischen redaktionellen und werblichen Inhalten. Möglicherweise ist jeder einzelne “Artikel” in diesem Ressort (ähnlich wie beim “Erotik”-Ressort) in irgendeiner Form gekauft — doch zu erkennen ist das entweder gar nicht oder sehr unvermittelt, wenn der Besucher nach einem Klick auf einen scheinbar redaktionellen Link plötzlich mitten in einer Anzeige steht.

Ein Beispiel von Dutzenden: Über das Spieleportal “Deutschland spielt” berichtet Bild.de einerseits scheinbar redaktionell und verzichtet bei Teasern auf der “Spiele”-Startseite auf das sonst übliche Wörtchen “Anzeige”. Wer aber in der (redaktionellen) Menuleiste auf “Deutschland spielt” klickt, kommt auf eine Seite, in der die gleichen Teaser und Artikel plötzlich vollständig als “Anzeige” markiert sind.

Diese Praxis ist rechtswidrig. Und sie verstößt gegen die angeblich sowohl bei Springer als auch bei Bild.T-Online geltenden “Leitlinien”.

Und obwohl niemand von Bild.T-Online auf unsere Mails oder unsere Briefe antwortet und obwohl BILDblog nach Angaben des Unternehmenssprechers “unterhalb der Wahrnehmungsschwelle” von Bild.T-Online liegt, werden innerhalb weniger Tage nach Veröffentlichung dieses Eintrags bestimmt wieder einmal viele kleine “Anzeigen”-Schildchen bei Bild.de auftauchen.

Danke an Jörg für den Hinweis!

Nachtrag, 16.30 Uhr. Marion Helmes, von der die meisten scheinbar redaktionellen Spielebesprechungen auf Bild.de stammen, arbeitete übrigens zuvor bei der Firma Intenium, die das Portal “Deutschland spielt” betreibt, für das Bild.de so eifrig (und oft ungekennzeichnet) wirbt. Auf ihrer Seite im Business-Netzwerk openbc.com hat sie unter “Ich suche” unter anderem angegeben: “hochmotivierte Praktikanten für eine Online-Redaktion (Standort Berlin)”.

(Fortsetzung hier.)

Wer tankt da so spät noch am Baggerloch…

Die “BamS” hat anscheinend tatsächlich ein paar Kronzeugen für ihre Behauptung gefunden, aufgrund der hohen Kraftstoffpreise könnten sich manche “sogar nicht mehr leisten, mit dem Auto in Urlaub zu fahren”.

Zum Beweis zitiert der groß aufgemachte “BamS-Report” (siehe Ausriss) unter anderem einen 45-jährigen Baggerfahrer aus Hamburg, der diesen Sommer mit seiner Familie keine “1500-Kilometer-Tour nach Ungarn” machen will, mit den Worten:

“(…) für Benzin für unseren alten Escort gehen locker 800 Euro drauf. Das kann doch nicht sein!”

Und in der Tat: Das kann nicht sein!

Denn 800 Euro entsprächen bei einem Literpreis von 1,42 Euro (“BamS”) einem Durchschnittsverbrauch des “alten Escort” (Baggerfahrer) von 18,8 l/100 km — bzw. über 20 l/100 km, wenn er die offenbar benötigten 563 Liter Urlaubsbenzin nicht kanisterweise an deutschen Tankstellen abzapfen, sondern auf der Reise einfach den (sogar laut “BamS”) wesentlich günstigeren tschechischen und ungarischen Treibstoff nachtanken würde…

Und dass die Baggerfahrer-Rechnung nicht stimmen kann, hätte eigentlich auch dem “BamS”-Autorenteam Silke Sperling, Jörg Diehl, Roman Eichinger, Holger Karkheck, Alexandra Kemna, Carsten Paulun, Burkhard Uhlenbroich und Uwe Wojtuschak auffallen können: Schließlich wäre eine ebenfalls von der “BamS” herbeizitierte Kölner Monteursfamilie bei der Fahrt mit ihrem Escort [!] ins ähnlich weit entfernte Kroatien nur “auf knapp 400 Euro Benzinkosten für die Hin- und Rückfahrt gekommen”. Und der Stralsunder Hafenmeister, der sich in diesem Jahr lieber auf Rügen erholt, hätte nach eigenen Angaben für eine Fahrt ans ebenfalls ähnlich weit entfernte Mittelmeer sogar nur “locker 150 Euro für Benzin ausgeben müssen”. Wofür der gute Mann das viele, teure “Benzin” gebraucht hätte, lässt die “Bild am Sonntag” allerdings offen: Laut “BamS” ist er “Mercedes-Diesel-Fahrer”.

PS: “BamS”-Familie H. aus Leipzig (2 Erwachsene., 2 Kinder unter 6) hingegen, die sich in diesem Jahr die 250 Euro Spritkosten für den Nord- oder Ostseeurlaub sparen will, hätte natürlich auch mit der Bahn fahren können: Hin- und Rückreisen nach Norddeich Mole, Westerland, Heiligendamm oder Baabe gibt’s nämlich auf www.bahn.de schon für unter 120 Euro (ohne BahnCard).

Mit Dank an Udo H., Jens G., Marvin F., Christian L., Manfred H., Matthias T., Ralf S., Ronny K., Fritz K. und Dennis S. fürs Rechnen.

neu  

Schmerzensgeld für “Nymphomanin”

Es ist schon zwei Jahre her, und es war Sommer. Damals war gerade ein Buch erschienen, und “Bild” versprach:

“BILD druckt exklusiv die aufregendsten Kapitel.”

Die dritte der insgesamt fünf Folgen erschien unter der Überschrift “Ich stellte mich aufs Bett. Dann setzte ich mich auf sein kleines Ausrufezeichen” — und begann so:

Sex ist ihr Leben. Und Hemmungen sind ihr fremd: Valérie Tasso (35). Die ehemalige Verlagsmanagerin aus Paris, die sich selbst als “sexsüchtig” bezeichnet, schrieb das Skandalbuch des Sommers.

Danach fing Tassos Ich-Erzählung an, die sich um ein großes Nacktfoto einer wolllüstig dreinblickenden Brünette schmiegte (siehe Ausriss). Betextet war das Foto mit den Worten:

“Gleicht wirst du merken, daß du’s mit einer Französin zu tun hast”, sage ich und drehe dabei meinen Kopf zu ihm, damit er mein Gesicht sehen kann…

Dafür allerdings wurde der Verlag Axel Springer am vergangenen Donnerstag, zwei Jahre später also, vom Landgericht Kaiserslautern (2 O 970/05) zu 12.000 Euro Schmerzensgeld verurteilt. Denn: Die barbusige Frau, die “Bild” zeigte, war nicht die ehemalige Verlagsmanagerin Valerie Tasso aus Paris, sondern eine Studentin aus Kaiserslautern — ein Symbolfoto quasi.

Die Abgebildete fand das gar nicht lustig (sondern, wie es in der Urteilsbegründung heißt, “obszön und Frauen verachtend”) — und klagte. Denn ihre Aufnahmen waren von einer Foto-Agentur nur mit dem ausdrücklichen Vermerk “Aproval Frei. Nutzung nur in einem positiven Zusammenhang!” angeboten worden. Das war auch der “Bild”-Redaktion bekannt, als sie das Foto für 200 Euro kaufte, um damit Valerie Tassos “Nymphomanin”-Text zu illustrieren.

Wie “Bild” sich vor Gericht rechtfertigte

1.) Man habe das Foto “nicht im Bereich der Pornografie genutzt, sondern der Berichterstattung über erotische Literatur und damit im Bereich der Kunst”, also “in positivem Zusammenhang”.
Das Gericht widersprach: Schamlos geschilderte “Sexerlebnisse” und “obszöne Details” seien der Frau “inhaltlich geradezu in den Mund gelegt” worden, was “die sexuelle Verfügbarkeit der Klägerin suggeriert” habe.
2.) Man könne und müsse sich “im Tagesgeschäft” auch bei Fotos auf die Informationen der Agenturen verlassen und könne nicht jedesmal nachfragen.
Das Gericht widersprach: Bei einem Buch-Abdruck hätte die Zeitung auf das OK warten können und müssen; ihr Handeln sei “fahrlässig” und “leichtfertig”.
3.) “Bild” habe sogar trotzdem von einer Mitarbeiterin der Agentur “vor der Veröffentlichung” telefonisch das Einverständnis eingeholt.
Das Gericht zweifelte: Die Mitarbeiterin der Agentur habe unwiderlegt ausgesagt, dass “Bild” erst anrief, nachdem die Klägerin sich beschwert hatte.

Als Folge der “Bild”-Veröffentlichung habe die Frau “von Albträumen berichtet sowie Schlafstörungen, Angstgefühle, Nervosität und Antriebsstörungen beklagt”, sagte ihr Arzt dem Gericht. Sie sei knapp anderthalb Jahre in psychiatrischer Behandlung gewesen.

Das Gericht urteilte, die Aufmachung des “Bild”-Artikels habe beim Leser “eindeutig den Eindruck erweckt, dass die Klägerin die in dem ‘Tagebuch’ erwähnte Nymphomanin oder eine andere Nymphomanin ist, also eine Frau mit gesteigertem Geschlechtstrieb”. Kurzum:

Die Veröffentlichung des Nacktfotos stellt eine schwer wiegende Verletzung der allgemeinen Persönlichkeitsrechte der Klägerin dar (…). Durch die Veröffentlichung (…) ist die Klägerin in ihrer Menschenwürde aber auch in ihrem Ansehen empfindlich herabgesetzt worden.

Prozessbeobachter vermuten jedoch, dass Springer die 12.000 Euro Schmerzensgeld nebst Zinsen und 60 Prozent der Prozesskosten nicht zahlen, sondern in Berufung gehen wird.

PS: Dass eine Rückfrage von “Bild” bei der abgebildeten Frau für den Abdruck irgendwie hilfreich gewesen wäre, ist unwahrscheinlich: Der Fotograf erklärte vor Gericht, er sei sich mit seinem Modell darüber einig gewesen, dass die Nacktfotos “auf keinen Fall in der ‘Bild’-Zeitung” veröffentlicht werden sollten…

Mit Dank auch an Tomchen und Dirk S. sowie Heinz M. und swr.de.

Correctiv-Kontroverse, DontFreeDeniz, Reichsbürger-Hymne

1. Correctiv macht Privatleben von AfD-Frau zum „Sexskandal”
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Stefan Niggemeier hat auf “Übermedien” seine Sicht auf die Causa “Correctiv und der angebliche Sexskandal bei der AfD” aufgeschrieben. Er merkt u.a. an: “Eine besondere Ironie ist es, dass Correctiv der AfD vorwirft, ein „Frauenbild aus den 50er Jahren“ durchsetzen zu wollen, gleichzeitig aber fünfzigerjahrehaft die sexuelle Betätigung der Kandidatin beschreibt und geißelt („vermietete ihren Körper übers Internet“), um sie skandalisieren zu können.”
Niggemeier rätselt, was das Recherchebüro zu dieser Geschichte bewogen haben könnte: “Vielleicht hängt es mit der gewissen Breitbeinigkeit und Dickhodigkeit zusammen, mit der vor allem Correctiv-Chef David Schraven immer wieder auftritt, die der gewünschten Wahrnehmung als unabhängiges, grundsolides, seriöses Rechercheunternehmen im Wege steht. Vielleicht war es die Begeisterung dafür, das lukrative Hobby der AfD-Kandidatin sogar mit Screenshot vom Internetprofil dokumentieren zu können, die jede ernsthafte Abwägung verhinderte, ob diese Enthüllung von öffentlichem Interesse ist. Vielleicht ist es aber auch Ausdruck davon, wie sehr sich Correctiv dem – sicher gut gemeinten – Kampf gegen die AfD verschrieben hat – und diesem Ziel ethische Bedenken im Zweifel unterordnet.”

2. Flaggezeigen unerwünscht
(taz.de, René Martens)
Auf Anregung des “NDR” sollten die ARD-Intendanten am Internationalen Tag der Pressefreiheit einen offenen Brief für Deniz Yücel im Fernsehen vorlesen. Doch das Vorhaben kam, angeblich nach einer Intervention des ARD-Chefredakteurs, nicht zustande. René Martens kommentiert: “Dass die ARD nicht einmal in der Lage ist, sich auf etwas Selbstverständliches zu einigen und Flagge zu zeigen, wenn es um Menschenrechtsverletzungen gegen einen Journalisten aus Deutschland geht, ist allemal besorgniserregend. Wie die Intendanten agieren, wenn wirklich einmal ein kontroverses Thema auf der Agenda steht, mag man sich gar nicht vorstellen.”

3. A!200 – Guten Morgen, Sigmund
(aufwachen-podcast.de, Video, 2:20 Stunden)
Tilo Jung und Stefan Schulz haben sich für die zweihundertste Folge ihres medienkritischen “Aufwachen Podcasts” etwas Besonderes einfallen lassen: Abweichend vom normalen Procedere haben sie vor Livepublikum aus Berlin gevideopodcastet. Als Überraschungsgast war der ehemalige BR-Chefredakteur Sigmund Gottlieb eingeladen.

4. Der „Freitag“ montiert aktuelle Fragen in fünf Wochen altes Interview
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Die Wochenzeitung „Der Freitag“ veröffentlichte ein Interview mit dem französischen Autor und Soziologen Didier Eribon, in dem es u.a. um die Präsidentschaftswahlen in Frankreich ging. Das Problem: Es handelt sich um ein altes Interview aus der Zeit vor der ersten Wahlrunde, bei dem “Der Freitag” die ersten beiden Fragen ohne Zustimmung des Interviewten verändert hat. Gegenüber “Übermedien” sagt Ebion, dass er anders geantwortet hätte, wenn das Interview nach der ersten Runde stattgefunden hätte.

5. “Pack dein Zeug und verschwinde!”
(deutschlandfunk.de)
Bei der Unterdrückung von Pressefreiheit denkt man oft automatisch an Repressionen durch den Staat. Dies trifft auch auf viele Länder zu. In Deutschland wird die Pressefreiheit an anderen Stellen unterdrückt. Zum Beispiel, wenn Journalisten eine Pegida-Demonstration in Dresden begleiten wollen. Gewalt und Drohungen seien dort an der Tagesordnung.

6. Xavier Naidoo hat eine Reichsbürger-Hymne geschrieben
(faz.net, Leonie Feuerbach)
Leonie Feuerbach hat sich den Text von Xavier Naidoos neuem Lied “Marionetten” genauer angeschaut. Der Song stecke voller Anspielungen auf rechtspopulistische Themen wie Lügenpresse und Volksverrat, aber auch auf handfeste Verschwörungstheorien wie pädophile Politiker und die Reichsbürger-Ideologie. Und ein paar möglicherweise antisemitische Anspielungen seien auch dabei. Feuerbach erklärt die im Song verwendeten Anspielungen und bezieht auch die Wortmeldungen von Bandmitgliedern in ihre Analyse ein. Die Sache sei mehr als offensichtlich: “Inzwischen ist aber ein Punkt erreicht, an dem keiner der Käufer und Zuschauer sagen kann, Naidoo werde bloß falsch verstanden. Denn es ist ziemlich offensichtlich, dass er das, was er schreibt und singt, auch genau so meint.”

Urteil gegen Türkei, falsche Hartz-Rechnung in “FAZ”, Manipulation

1. Bit­terer Erfolg in Straßburg
(lto.de, Markus Sehl)
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die Türkei für die Inhaftierung der beiden Journalisten Sahin Alpay und Mehmet Altan verurteilt: Ihre Untersuchungshaft verstoße gegen das Recht auf Freiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung, so die Richter in Straßburg. Markus Sehl schreibt, dass das EGMR-Urteil, das lediglich die Untersuchungshaft betrifft, zumindest für Altan zu spät kommen könnte: Er wurde inzwischen zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.

2. Bringt Hartz IV mehr Geld als Arbeit? FAZ verbreitet falsche Zahlen
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Die Überschrift in der “FAZ” war eindeutig: “Hartz IV lohnt sich oft mehr als Arbeit”. Mit Hilfe des Vereins “Bund der Steuerzahler” wollte die Redaktion zeigen, dass man in bestimmten Familienkonstellationen deutlich über Mindestlohn verdienen müsste, um netto ähnlich viel zur Verfügung zu haben wie Hartz-IV-Empfänger in derselben Familienkonstellation. Das Problem bei den Zahlen, die die “FAZ” nutzt: Der “Bund der Steuerzahler” hat einfach das Kindergeld aus der Rechnung gelassen, zu Ungunsten der vermeintlich üppigen Hartz-IV-Bezieher. Stefan Niggemeier schreibt: “Dass ausgerechnet der für ihre Wirtschaftskompetenz gerühmten FAZ ein solch gravierender Fehler unterläuft, ist peinlich. Aber er blieb nicht auf die FAZ begrenzt.”

3. Malta: Informantin von ermordeter Journalistin stellte sich
(orf.at)
Eine Informantin der ermordeten maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galizia hat sich der Polizei in Griechenland gestellt. Die frühere Bankangestellte, die per Haftbefehl gesucht wurde, soll entscheidende Unterlagen geliefert haben für die Anschuldigung, dass die Ehefrau des maltesischen Regierungschefs Bestechungsgelder aus Aserbaidschan erhalten habe.

4. Zur Jagd freigegeben?
(journalist-magazin.de, Michael Kraske)
Wer als Reporter von Demonstrationen und Kundgebungen berichtet, bekommt oft zu spüren, wie medienfeindlich die Stimmung vor Ort ist. “Es wird beleidigt, bedroht und nach Kameras geschlagen. Gefahrenzonen sind längst nicht mehr nur Aufmärsche erkennbar extremistischer Organisationen”, schreibt Michael Kraske. Er hat ausführlich mit Journalisten und Polizisten gesprochen, um herauszufinden, welche Maßnahmen die Situation verbessern könnten.

5. Presserat: Lügenpresse-Rufer nehmen Polizei als “Kronzeugen” gegen Journalisten
(netzpolitik.org, Alexander Fanta)
Die deutsche Polizei hat sich in Sozialen Netzwerken eine beachtliche Reichweite aufgebaut. Wie sie diese nutzt, ist mitunter diskussionswürdig, beispielsweise wenn sie die Herkunft von Straftätern nennt. Alexander Fanta schreibt: “Mit immer stärkerem Selbstbewusstsein nutzt die Exekutive ihre amtliche Informationshoheit dazu, selbst ins Rampenlicht zu treten. Dabei zeigt die Exekutive wenig Rücksicht auf die ethische Frage, die durch ihr neues Sendungsbewusstsein aufgeworfen wird. Denn die Polizei entscheidet in der Auswahl der Straftaten, die sie an die Öffentlichkeit trägt, und auch in den Detailinformationen, die sie preisgibt, viel über die öffentliche Wahrnehmung der Fälle mit. Mit der Nennung von Herkunftsländern von Tatverdächtigen macht die Polizei Politik.”

6. Wir haben die Kontrolle über unser Gesicht und unsere Stimme verloren
(medienwoche.ch, Adrian Lobe)
Dass sich mit Photoshop Bilder manipulieren lassen, dürfte sich inzwischen rumgesprochen und Menschen beim Betrachten von Fotos vielleicht etwas misstrauischer gemacht haben. Adrian Lobe berichtet nun vom nächsten Schritt: dem Manipulieren von Video- und Audiomaterial. Er befürchtet weitreichende Folgen, sollte dadurch die “Integrität der Information” nachhaltig korrumpiert werden: “An der Integrität der Information hängt auch die Integrität einer funktionierenden Öffentlichkeit. Ist Journalismus unter den Bedingungen der totalen Manipulation überhaupt noch möglich?”

Überforderte Staatsanwälte, Verzichtbare “Mitte”, Re-publiziert

1. “Wir sind keine Zensurbehörde”
(tagesschau.de, Marie von Mallinckrodt)
Plattformen wie Facebook sollen Hass- und Hetzposts zukünftig der Staatsanwaltschaft melden. Dort ist man jedoch angesichts des drohenden Arbeitsanfalls wenig begeistert: “Da werden sehr, sehr viele Anzeigen auf uns zukommen. Das können wir mit dem aktuellen Personalbestand nicht leisten”, kommentiert der zuständige Staatsanwalt Christoph Hebbecker. Sein Gegenvorschlag: “Man könnte sich beispielsweise diejenigen aussuchen, die von den Betreibern der sozialen Plattformen rausgeworfen werden von ihrer Plattform. Vielleicht könnte man sich mit den Betreibern der sozialen Plattformen darauf einigen, dass diese Extremfälle bei uns angezeigt werden — und dass wir diese Extremfälle schnell, konsequent verfolgen und dann auch sanktionieren.”

2. Netzaktivist startet Archiv für Verfassungsschutzberichte
(spiegel.de, Jörg Breithut)
Obwohl Verfassungsschutzberichte für die Öffentlichkeit bestimmt sind, ist es nicht möglich, ältere Ausgaben im Internet einzusehen — nur die Berichte der vergangenen drei Jahre sind abrufbar. Alles, was älter ist, werde “depubliziert” (sprich gelöscht), angeblich aus Gründen des Datenschutzes. Ein Berliner Aktivist wollte sich damit nicht abfinden und hat unter verfassungsschutzberichte.de insgesamt 320 Verfassungs­schutz­berichte zusammengestellt und durchsuchbar gemacht.

3. Ein eiserner Vorhang für das Netz
(zeit.de, Lisa Hegemann)
China hat Internetzensur vorgemacht, nun will die russische Regierung nachziehen und einen “eisernen Vorhang für das Netz” errichten. Lisa Hegemann erklärt, wie das technisch funktionieren soll. Eine komplette Abschirmung sei bislang nicht möglich, “aber der digitale eiserne Vorhang wird auf russischer Seite deutlich undurchlässiger”.

4. Alte weiße Zeitung
(taz.de, Peter Weissenburger)
Die “FAZ” hat ihren 70. Geburtstag offenbar mit AfD-Chef Alexander Gauland gefeiert. “taz”-Redakteur Peter Weissenburger kommentiert das Verhalten der Kolleginnen und Kollegen aus Frankfurt: “Fast hätten wir uns mit dem altehrwürdigen Blatt in dieser bürgerlichen Mitte einkuscheln wollen, die gerade ständig beschworen wird. Aber nun sind wir uns wieder sicher, dass wir auf eine Mitte verzichten können, zu der der rechte Rand selbstverständlich dazugehört.”

5. Der erste Schritt – Holger und Silke Friedrich über den Neustart des Berliner Verlags
(berliner-zeitung.de, Jochen Arntz & Elmar Jehn & Julia Haak)
Für den Berliner Verlag und die “Berliner Zeitung” beginnt eine neue Ära. Seit Freitag gehört das Unternehmen (vormals im Besitz von Dumont) offiziell dem Ehepaar Silke und Holger Friedrich. Im Interview mit dem eigenen Blatt sprechen die beiden Neueigentümer über ihre Pläne mit dem traditionsreichen Verlagshaus, den Zeitungsmarkt und ihre “verlegerische Mission”.
Weiterer Lesetipp: Ulrike Simon mit einem kritischeren Blick als das “Wohlfühl-Interview mit den Chefredakteuren des eigenen Hauses” auf die Entwicklung beim Berliner Verlag: “Ösis helfen Ossis” (zum Lesen ist eine kostenlosen Registrierung bei “Horizont” nötig).

6. Steffi Graf: Er wollte ihr nur an die Haare!
(uebermedien.de, Mats Schönauer)
Mats Schönauer ist der offizielle Regenbogenpressebeauftragte des medienkritischen Portals “Übermedien”. Dort ruft er regelmäßig zum “Schlagzeilenbasteln” auf: “Hätten Sie das Zeug, Redakteurin oder Redakteur bei der Regenbogenpresse zu werden? Finden Sie es heraus! Wir geben Ihnen eine Nachricht, und Sie versuchen, eine titelseitentaugliche Schlagzeile daraus zu basteln.” Wie immer ist man hin- und hergerissen zwischen Lachen und Weinen.

Erfinder des Drosten-Podcasts, Restle und Naiv, Pekinger Bettdecke

1. Meinungsfreiheit in Zeiten von Corona – Monitor studioM
(youtube.com, Monitor, Video: 1:08 Stunden)
Bei “studioM” sprechen “Monitor”-Chef Georg Restle und Tilo Jung (“Jung & Naiv”) über journalistisches Arbeiten in Zeiten des Coronavirus und über die Gefahren, die aus den derzeitigen Grundrechtseinschränkungen erwachsen können. Außerdem dabei: Die Journalistin Katja Gloger, die als Vorstand bei Reporter ohne Grenzen über die Lage in anderen Ländern berichten kann.

2. Über 15 Mio. Abrufe: Der gewaltige Erfolg des “Coronavirus Update” mit Professor Christian Drosten
(meedia.de, Stefan Winterbauer)
Nur wenige kennen Norbert Grundei, Leiter des Radiosenders N-Joy und des NDR-Audio-Labs Think Radio. Viele kennen jedoch einen Podcast, den er angestoßen hat: Das “Coronavirus-Update” mit dem Virologen der Berliner Charité Christian Drosten. Bei “Meedia” verrät Grundei, wie es zu der Idee kam, wieviele Personen an der Produktion beteiligt sind und wie es um die Reichweite bestellt ist.

3. Wenn die Wahrheit zur Corona-Pandemie nicht ans Licht kommen soll
(tagesspiegel.de, Gloria Geyer)
Die Corona-Krise ist in vielen Teilen der Welt auch eine Medienkrise. Der Geschäftsführer der Reporter ohne Grenzen habe sich im Gespräch mit dem “Tagesspiegel” alarmiert gezeigt: “‘Ich bin selber überrascht, dass es fast auf der ganzen Welt Einschränkungen wegen der Coronavirus-Ausbreitung gibt.'” In vielen Ländern würden die Sichtweisen, die nicht dem Handeln der Regierung entsprechen, eingeschränkt.

4. Wie wir jetzt arbeiten – Journalismus in Zeiten von Corona
(stern.de)
Auch beim “Stern” entstehen Magazin und Website mittlerweile an vielen verschiedenen Orten und in den unterschiedlichsten Homeoffice-Umgebungen. Die Arbeitsbedingungen sind so vielfältig wie die Journalisten und Journalistinnen selbst, die über die ganze Welt verstreut sind — von Hamburg bis nach New York, von Berlin bis nach Shanghai.

5. Wie das Coronavirus Journalist:innen auf die Probe stellt
(netzpolitik.org, Dominic Lammar)
Volker Stollorz ist Geschäftsführer und Redaktionsleiter des Science Media Center Germany. Im Gespräch mit netzpolitik.org geht es um den Umgang der Medien mit wissenschaftlichen Fakten: Wie sollen Journalistinnen und Journalisten mit wissenschaftlichen Unklarheiten umgehen? Wie kann der Umgang mit ungeprüften Studien und widersprüchlichen Aussagen erfolgen? Und wie lassen sich Falschnachrichten herausfiltern?
Weiterer Lesehinweis: Beatrice Lugger ist Direktorin des Nationalen Instituts für Wissenschaftskommunikation. Bei “Zeit Online” ermuntert sie Forscherinnen und Forscher zum Dialog mit den Nichtexperten: “Forscher sollten lernen, mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren.”

6. Wenig Licht am Ende des Tunnels
(blog.tagesschau.de, Tamara Anthony)
Tamara Anthony berichtet für die “Tagesschau” aus dem ARD-Studio Peking. Was zu normalen Zeiten schon schwierig ist, gestaltet sich jetzt als besondere Herausforderung: Anthony befindet sich in Quarantäne. Im Blog der “Tagesschau” erzählt sie, wie sie und ihr Team mit den derzeitigen Umständen umgehen, einschließlich der Vertonung unter der akustikverbessernden Bettdecke.

Unglaubliche Podcast-Umfragen, Staatstrojaner, Kreml unsportlich

1. Russland verweigert ARD-Journalist Zugang zu EM-Spielen
(sueddeutsche.de)
Dem ARD-Journalisten Robert Kempe wurde nach Angaben des WDR die Zulassung zu den Fußball-EM-Spielen in St. Petersburg entzogen. Anscheinend ist man im Kreml äußerst nachtragend: Kempe hatte in der Vergangenheit kritisch über die WM 2018 in Russland und über das Wirken des Internationalen Olympischen Komitees berichtet. Für den Reporter sei es nicht das erste Mal, dass ihm die Berichterstattung bei Sportereignissen erschwert beziehungsweise unmöglich gemacht wird. Vor ein paar Jahren habe ihm Bahrain die Einreise und den Besuch eines anderen Fußball-Events verweigert.

2. RSF strebt Verfassungsbeschwerde an
(reporter-ohne-grenzen.de)
Reporter ohne Grenzen (RoG) hat Verfassungsbeschwerde gegen den gestern im Bundestag mit den Stimmen der Großen Koalition genehmigten Einsatz von Staatstrojanern angekündigt: “Ungeachtet aller Warnungen der Sachverständigen wollen die Regierungsfraktionen nun allen Nachrichtendiensten die Möglichkeit zum Hacking vertraulicher Kommunikation und Daten einräumen. Journalistinnen und Journalisten schließen sie dabei als potenzielle Ziele bewusst nicht aus”, so RoG-Geschäftsführer Christian Mihr: “Einen so massiven Angriff auf die Vertraulichkeit journalistischer Recherchen und die Anonymität von Quellen dürfen wir nicht hinnehmen.”

3. Unglaubliche Umfragen und trickige Schlüsse
(verdi.de, Kai Rüsberg)
Der Podcastmarkt ist schwierig einzuschätzen und noch schwieriger zu messen, da es verschiedenste Verbreitungswege und Plattformen gibt. Der Erfolg von Podcasts werde daher gerne über Umfragen von Meinungsforschungsinstituten wie YouGov abgefragt. Kai Rüsberg sind dabei interessante Dinge aufgefallen: Die “Wirtschaftswoche” habe in ihrer Kolumne “Digitale Welt” wortwörtlich YouGov-Formulierungen verwendet, und das sei in diesem speziellen Fall besonders bemerkenswert, so Rüsberg: “Wer ist Autor? Unglaublich: Philipp Schneider, Kolumnist der Wiwo ist Marketing-Chef bei YouGov.”

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4. “Natürlich wird es satirische Angebote weiterhin geben”
(deutschlandfunk.de, Sebastian Wellendorf, Audio: 7:59 Minuten)
Am 1. Januar 2023 soll der neue Medienstaatsvertrag in Kraft treten. Dirk Schrödter (CDU) war als Chef der Staatskanzlei in Schleswig-Holstein von Anfang an beteiligt am Gesetzentwurf und sei “für mehr Information, Bildung und Kultur und weniger Unterhaltungsangebote”. Der Deutschlandfunk hat mit Schrödter über die anstehenden Änderungen des Staatsvertrags gesprochen.

5. “Klima Update”: RTL arbeitet für neues Format mit Klimainitiative zusammen
(rnd.de)
Der Privatsender RTL strahlt ab dem 8. Juli zweimal wöchentlich das Format “Klima Update” aus. Das Format soll in Partnerschaft mit der Zeitschrift “Geo” und der im August 2020 gegründeten Initiative “Klima vor acht” entstehen. Letztere hatte sich bei der ARD lange Zeit vergeblich für ein eigenes Klimaformat eingesetzt.

6. Wo keine Villa ist, ist auch kein Weg
(uebermedien.de, Olivier David)
Nach langem Kampf sollen ab dem 1. Juli alle ZDF-Praktika mit 350 Euro pro Monat vergütet werden. Immer noch zu wenig, findet Olivier David: “Liebe Kolleg*innen des ZDF, ich habe eine schlechte Nachricht für euch: Wer Vielfalt will, sollte bereit sein mehr zu zahlen als die Miete eines 13 Quadratmeter großen Zimmers in Mainz-Bretzenheim.”

KW 45: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. Auf der Spur des Geldes
(arte.tv, Susanne Binninger & Britt Beyer, Video: 1:27:27 Stunden)
Die Regisseurinnen Susanne Binninger und Britt Beyer haben für Arte über Monate das Investigativteam von “Correctiv” begleitet. Ihr Film zeichnet die Wege von zwei Recherchen nach, die in letzter Zeit große Aufmerksamkeit bekamen: die internationalen Enthüllungen rund um den Cum-Ex-Steuerraub und der AfD-Spendenskandal, der ein immer größeres Ausmaß annehme.

2. Die letzten Reporter
(ardmediathek.de, Jean Boué, Video: 1:33:33 Stunden)
Der Dokumentarfilm “Die letzten Reporter” begleitet drei Journalistinnen und Journalisten, die für Lokalzeitungen schreiben: eine Nachwuchsjournalistin, einen Gesellschaftsreporter und einen Sportberichterstatter. Der Film bietet interessante Einblicke in den Berufsalltag der drei Medienschaffenden, wurde aber auch kritisiert, unter anderem, weil er zu wenig hinterfrage.

3. Medien und Klima: Versagt?!
(ndr.de, Daniel Bouhs, Video: 20:34 Minuten)
Der Klimawandel ist das Top-Thema unserer Zeit. Das spiegelt sich jedoch nicht in der medialen Berichterstattung wider. Daniel Bouhs hat sich mit Experten wie dem ARD-Meteorologen Karsten Schwanke über die Defizite in der Behandlung dieses wichtigen Themas unterhalten. Schwanke wünscht sich von seinem Haus mehr Unterstützung: “Es würde der ARD gut zu Gesicht stehen, eine Sendung zu kreieren, bei der das Wort ‘Klima’ wirklich im Titel steht – neben der Berichterstattung in allen anderen Formaten. Wir können auch nicht sozusagen die Ausputzer für die ARD sein, für das, was vielleicht noch nicht gemacht wird.”

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4. Verbindend? – das Lesen
(wdr.de, Jürgen Wiebicke, Audio: 55:53 Minuten)
“Das Lesen hat ein gutes Image. Es bringt die Persönlichkeit weiter und auch die Gesellschaft, so heißt es oft. Aber worüber genau reden wir eigentlich, wenn wir über das Lesen sprechen?” Darüber sprechen im “philosophischen Radio” der Hörfunk-Journalist und Schriftsteller Jürgen Wiebicke und die Philosophin Julika Griem.

5. Fakten, Folter, Fakenews: Interview mit einem globalen Wikipedia-Administrator
(youtube.com, Niklas Steenfatt, Video: 1:59:54 Stunden)
Wer sind eigentlich die Menschen, die hinter der Wikipedia stecken? Youtuber Niklas Steenfatt hat mit einem von ihnen gesprochen: “Martin Rulsch ist eine der aktivsten und einflussreichsten Figuren in der Wikipedia-Szene. Unter dem Benutzernamen ‘DerHexer’ wirkt er seit 16 Jahren an Wikipedia und ihren Schwesterprojekten mit. Er schreibt Artikel, nimmt Fotos auf, organisiert Community-Projekte, programmiert Software-Tools und bekämpft Vandalismus.” Ein Gespräch, das tiefe Einblicke in das Online-Lexikon liefert. Tipp: In der Videobeschreibung auf Youtube gibt es Kapitelmarken (“Timestamps”), über die man die einen interessierenden Themen direkt anspringen kann.

6. Wie Kommunisten-Nazis in Deutschland Nordkorea-Propaganda machen (ernsthaft!)
(youtube.com, Walulis Story – SWR3, Philipp Walulis, Video: 15:52 Minuten)
Das nordkoreanische Regime betreibt seit jeher einen großen Aufwand zur medialen Selbstinszenierung, seit Kurzem auch auf Social Media und in deutscher Sprache. Das Walulis-Team hat sich die Medienarbeit der Nordkoreaner angeschaut – wie immer mit der nötigen Portion satirischer Distanz.

KW 42/22: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

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1. Die vierte Gewalt – Medien auf dem Prüfstand
(ardmediathek.de, Daniel Bouhs, Video: 52:21 Minuten)
Medienkritiker Stefan Niggemeier diskutiert auf der Buchmesse mit Richard David Precht und Harald Welzer über deren neuestes Buch “Die vierte Gewalt”. Dabei geht es unter anderem um eine “Hart-aber-fair”-Ausgabe zum Thema Impfpflicht, die von Precht angegriffen wird. Niggemeier, erklärtermaßen kein Fan der Sendung, kann dem Beispiel nicht folgen: “Diese Zuspitzung auf Schwarz-Weiß, die Sie den Medien vorwerfen, fand zum Beispiel in dieser ‘Hart-aber-fair’-Sendung nicht statt. Aber in Ihrem Buch in der Zusammenfassung. Was das so ironisch macht, weil ich an vielen Stellen das Gefühl hatte, dass Sie diese Mechanismen, die Sie da beschreiben, in einem viel stärkeren Maße selbst anwenden.”

2. Auf welche Probleme stößt eine Investigativreporterin, wenn es um Tesla geht?
(uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 24:39 Minuten)
Die “Verschlossene Auster”, ein vom Netzwerk Recherche verliehener Negativpreis für “den Informationsblockierer des Jahres” ging dieses Jahr an den Automobilhersteller Tesla. Das Unternehmen sei “seit Jahren dafür bekannt, Recherchen und Berichterstattung aktiv und aggressiv zu behindern”, so der Netzwerk-Recherche-Vorsitzende Daniel Drepper in der Begründung. Janine Richter, Investigativreporterin bei der “Märkischen Oderzeitung”, kann dies aus eigenem Erleben bestätigen: Teslas Fabrik in Grünheide bei Berlin ist ihr Themenschwerpunkt. Im Gespräch mit Holger Klein berichtet Richter über ihre Erfahrungen mit dem Unternehmen von Elon Musk, das noch nicht mal eine Pressestelle hat: Wie kommt sie dennoch an Informationen? Was erlebt sie bei ihren Recherchen? Wie nimmt sie Behörden und Politik im Umgang mit Tesla wahr? Und welche Risiken sieht sie für die Natur in der Umgebung?

3. IS-Prozesse: Welche Rolle spielen Journalisten?
(ndr.de, Mandy Mülling & Jochen Becker, Video: 19:12 Minuten)
Einige deutsche IS-Anhänger und -Anhängerinnen landeten in kurdischen Gefangenenlagern in Nordsyrien und haben dort mit Medienschaffenden über ihre Geschichten gesprochen – auch in der Hoffnung, nach Deutschland zurückgeholt zu werden, und auch, wenn ihnen hier eine Anklage droht. Einigen IS-Frauen sei die Rückkehr mit ihren Kindern gelungen. “Für Ermittler und Staatsanwälte ist es interessant, was Journalisten über sie wissen. Aber sollen sich Journalisten aktiv an der juristischen Aufklärung von IS-Verbrechen beteiligen?”

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4. Jochen Wegner über persönliches und publizistisches Glück.
(turi2.de, Aline von Drateln & Markus Trantow, Audio: 54:57 Minuten)
Im Podcast “turi2 Clubraum” ist Jochen Wegner zu Gast, “Zeit-Online”-Chef­redakteur und mit “Alles gesagt” selbst Podcaster. In dem Gespräch geht es um die Finanzierbarkeit von Journalismus, Werbung als Geschäftsmodell und natürlich Wegners eigenes Hörformat. Außerdem spricht er über von Maschinen erzeugte Kunst, TikTok und die Frage, warum “Zeit Online”, anders als beispielsweise die Website des “Spiegel”, die Lesedauer der eigenen Artikel nicht ausweist.

5. Die Zerstörung des Buches
(hr-inforadio.de, Anne-Katrin Eutin & David Ahlf, Audio: 48:29 Minuten)
Anlässlich der Frankfurter Buchmesse hinterfragen Anne-Katrin Eutin und David Ahlf von “Studio Komplex” die Institution Buch samt dazugehörigem Buchmarkt: “Das Medium Buch ist wie kein anderes ein Kulturgut, das Intellekt und wahren Tiefgang garantiert. Bloß: Tut es das wirklich? Wir glauben nicht und gehen sogar noch weiter: Wir glauben, dieses Image schadet uns sogar als Gesellschaft.”

6. Kommunikationsstrategien zum Klimawandel
(soundcloud.com, DJV NRW, Sascha Fobbe, Audio: 38:04 Minuten)
Bei “Block und Bleistift” unterhält sich Sascha Fobbe mit Özden Terli, Journalist, Diplom-Meteorologe und Wettermoderator beim ZDF. Terli ist besorgt wegen der Klimathematik, sieht sich und seine Kollegen und Kolleginnen jedoch mehr denn je in der Pflicht: “Natürlich könnte man jetzt sagen, ich stecke den Kopf in den Sand und sage‚ es ist sowieso alles vorbei, aber nein: Wir müssen dafür kämpfen, dass es weitergeht und dafür sind wir Journalist:innen auch da, eben die Sachen richtig darzustellen.”

“Bild” streut Aids-Gerüchte

Wir schreiben das Jahr 2005. Vor 22 Jahren wurde das menschliche Immunschwäche-Virus (HIV) entdeckt. Und Deutschlands größte Tageszeitung hat immer noch nicht verstanden, dass es einen Unterschied zwischen HIV und Aids gibt.

Vor einem guten halben Jahr schaffte Bild.de es, aus einem Statement von Erasure-Sänger Andy Bell, HIV-infiziert zu sein, aber nicht Aids zu haben, die Überschrift zu machen: “Andy Bell: Ich habe AIDS”.

Und natürlich hat “Bild” aus diesem Fehler nicht gelernt. Heute lautet eine Überschrift:

Angelina Jolie — Aids-Gerüchte um ihr Baby

Tatsächlich kann es sich bei dem “Gerücht”, das das Blatt unbekümmert kolportiert, nur um die Vermutung handeln, das Kind sei HIV-positiv. So steht es dann auch im Artikel.

Als Quelle für das angebliche Gerücht gibt “Bild” die britische Boulevardzeitung “Daily Mirror” an, die laut “Bild” berichtet haben soll: “Sie hat AIDS”. In einem Artikel vom Montag dieser Woche findet sich tatsächlich diese Behauptung, allerdings verdächtig beiläufig:

It emerged that Ethiopian-born Zahara, who has Aids, spent a week in a New York hospital.

Der “Mirror”-Artikel enthält also nicht einmal die Andeutung einer Quelle für seine weitreichende Behauptung. Es spricht einiges dafür, dass sie nicht stimmt, sondern auf einer Verwechslung beruht: Die Eltern des Kindes sollen an Aids gestorben sein. Mit Datum von heute findet sich ein Artikel auf der Internetseite des “Mirror”, in dem von einer Aids-Erkrankung oder HIV-Infektion des Kindes nicht mehr die Rede ist. Darin wird das Mädchen zwar als “Aids tot” (Aids-Kleinkind) und “Aids orphan” (Aids-Waise) bezeichnet. Gemeint ist damit allerdings, dass es sich um ein Kind von Eltern handelt, die an Aids gestorben sind.

Danke an René H. Außerdem an Andreas W. und Stefan B. für den Original-Artikel, auf dem die “Bild”-Berichterstattung offensichtlich beruht, und der in der ersten Version dieses Eintrages fehlte.

In Amerika sind die Türken Indianer

Wir müssen über den “Brief von Wagner” von gestern reden. Das ist, wie so oft bei den Kolumnen von Franz Josef Wagner, nicht so leicht, also fangen wir mit einem schlichten Fehler an:
Wagner behauptet, dass eine Berliner Schule ihren überwiegend aus ausländischen Familien stammenden Schülern “ab sofort” vorschreibt, auf dem Pausenhof ausschließlich deutsch zu sprechen. Dabei gilt die Regel schon seit fast einem Jahr.

Soweit die Kleinigkeiten.

Doch Wagner gibt in seinem Brief den “lieben türkischen Schülern” noch gute Ratschläge mit:

Wenn Deutschland zu Eurem Land werden soll, dann müßt Ihr fließend Deutsch sprechen. Oder Ihr übernehmt die Rolle der Indianer in Amerika. Straßenräuber, Drogenkranke, Geächtete.

Ohne Deutsch kein Schulabschluß, ohne Deutsch keine Lehrstelle, ohne Deutsch ein Indianer.

(…) Eine schöne Wohnung, ein Auto in der Garage, eine Topfpflanze auf dem Balkon, geachtet von den Nachbarn – all das kriegst Du, wenn Du deutsch kannst. In unserer Sprache heißt das Glück.

Hoppla. Die Rolle der Indianer in Amerika ist es, zugedröhnt unschuldige Leute zu überfallen? Wissen das die Indianer? Und hätten sie das verhindern können, wenn sie nur rechtzeitig
aufgehört hätten, ihre komischen Dialekte zu sprechen?

Da kommt man natürlich ins Grübeln, wie die amerikanische Geschichte verlaufen wäre, wenn die Indianer sich nur rechtzeitig an die Gepflogenheiten ihres Gastlandes… Moment: Gastland? Waren nicht die Indianer zuerst da? Wären dann nicht die Bleichgesichter die Türken Amerikas? Also quasi die Indianer? Oder, ganz anders, waren die Indianer einfach nicht integrationswillig genug, um es in der amerikanischen Geschichte zu einer anständigen Rolle zu bringen? Und wer hat hier auf dem Pausenhof wieder gekifft?

Und schon haben wir uns fröhlich in einer Kolumne von Wagner verlaufen und finden den richtigen Ausgang nicht mehr. Denn womöglich müsste man sich ernsthaft damit auseinandersetzen, dass Wagner unter der wirren Oberfläche hier eine klare Ideologie vertritt, welche Rolle Türken seiner Meinung nach in Deutschland haben sollten: brave Konsumenten, die ihren (deutschen) Nachbarn nicht unangenehm auffallen. Glückliche Türken sind die, die “wir” gar nicht als Türken erkennen.

Magermilchmädchen von morgen

Huch:

Was “Bild” uns heute mit dieser Seite-2-Überschrift sagen will, ist: In Zukunft werden ganze Generationen weniger Geld aus der gesetzlichen Rentenkasse herausbekommen, als sie eingezahlt haben.

Und wie kommt “Bild” zu dieser Prognose?

Aufhänger des Artikels ist ein “Welt”-Artikel. Darin sagt Hans-Jürgen Papier, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, es könne verfassungswidrig sein, “wenn das eingezahlte Kapital regelhaft bei weitem das übersteigt, was der einzelne später an Leistungen erhält”. Wohlgemerkt: Papier sagt — anders als der flüchtige “Bild”-Leser glauben könnte — nicht, dass dies so kommen wird. Er spricht von den Konsequenzen, falls es so kommt.

Aber die “Bild”-Zeitung weiß ja schon, was kommt. Sie druckt eine Tabelle, über der es heißt: “Soviel Rente gibt es pro 100 Euro Rentenbeitrag”. Daneben steht: “Hier sehen Sie, ob Sie ein Gewinner oder Verlierer sind”. Männer und Frauen sollen anhand ihres Jahrgangs erfahren können, mit wieviel Auszahlungen sie je 100 Euro Einzahlungen rechnen können.

Und für eine grobe Abschätzung, wie seriös die “Bild”-Tabelle ist, genügt es vielleicht schon, sich vor Augen zu halten, dass sie sich Vorhersagen zutraut für Menschen, die die nächsten 34 Jahre noch nicht einmal geboren sind und voraussichtlich im Jahr 2107 in Rente gehen werden.

Und bevor man dann noch in Panik gerät, weil ja auch die Kinder und Kindeskinder irgendwann im Alter von irgendwas leben müssen, lohnt es sich, auf die Quelle für “die BILD-Tabelle” zu schauen: Errechnet wurden die Zahlen laut “Bild” vom “Institut für Wirtschaft und Gesellschaft Bonn” von Meinhard Miegel, der auch das “Deutsches Institut für Altersvorsorge” berät, eine Lobbyorganisation von Banken und Versicherungen zur Förderung der privaten Altersvorsorge.

Andere Quellen kommen zu Prognosen, die von denen, die “Bild” distanzlos übernimmt, massiv abweichen. Die Zeitschrift “Finanztest” hat in ihrer Mai-Ausgabe ebenfalls nachgerechnet und kam zu dem Ergebnis, dass von einer “Minus-Rente” keineswegs die Rede sein könne:

Die nominalen Renditen werden drastisch sinken, doch bleiben nach derzeitigem Rentenrecht voraussichtlich immer positiv für alle, die bis 2070 in Rente gehen.

“Finanztest” weist aber auch darauf hin, dass so weit in die Zukunft reichende Prognosen grundsätzlich “sehr problematisch” seien. “Bild” weist nicht einmal darauf hin, dass es sich überhaupt um Prognosen handelt.

Danke an Holger R. für den Hinweis!

Verarschen kann “Bild” uns alleine!

Einen der größten Erfolge unter Chefredakteur Kai Diekmann feierte die “Bild”-Zeitung im Jahr 2003 mit ihrer wochenlangen Berichterstattung über einen in den USA lebenden deutschen Sozialhilfeempfänger, den sie “Florida Rolf” nannte. Die Kampagne erreichte nicht nur, dass der Mann nach Deutschland zurückkehrte, sondern auch, dass der Bundestag in kürzester Zeit die Gesetzeslage verschärfte. Dabei betraf die Regelung nicht einmal 1000 vermeintliche “Sozialschnorrer” und bedeutete möglicherweise sogar höhere Ausgaben für die Steuerzahler.

In diesen Tagen arbeitet sich “Bild” wieder an einem vermeintlichen “Abzocker” ab: Henrico Frank, ein Arbeitsloser, der SPD-Chef Kurt Beck dafür verantwortlich machte, Hartz-IV-Empfänger zu sein, und dafür von ihm gesagt bekam, er solle sich erst einmal waschen und rasieren, dann bekomme er auch Arbeit. Frank ließ sich von Journalisten zu einem Friseurbesuch überreden, Beck vermittelte ihm darauf mehrere Stellenangebote, Frank ließ ein Treffen mit Beck jedoch platzen und lehnte auch die angebotenen Jobs ab. Seitdem ist er für “Bild” “Deutschlands frechster Arbeitsloser” und heute zum zweiten Mal großer Seite-1-Aufmacher:

Warum kriegt so einer Stütze?

Die Frage klingt, als wollte “Bild”, ähnlich wie bei “Florida-Rolf”, eine vermeintliche oder tatsächliche Ungerechtigkeit im Gesetz anprangern. In Wahrheit hat der Bundestag erst vor kurzem die Gesetzeslage für Menschen wie Henrico Frank drastisch verschärft. Wer innerhalb eines Jahres drei Angebote seiner Arbeitsagentur ohne guten Grund ablehnt, bekommt vom kommendem Jahr an für ein Vierteljahr sämtliche Zahlungen gestrichen, ist nicht krankenversichert, bekommt kein Geld für Unterkunft und Heizung. Nach Ansicht von Kritikern dieses Gesetzes kann das für viele hartnäckige Arbeitsverweigerer bedeuten, obdachlos zu werden. Die neue Regelung ist juristisch umstritten, weil eigentlich jeder Mensch einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf das Existenzminimum hat.

“Faulenzern” und “Abzockern” wie Henrico Frank droht also nach dem verabschiedeten Gesetz, nichts zu bekommen. Da es schwer ist, Menschen weniger als nichts zu geben, ist nicht ganz klar, auf welche Art Gesetzesverschärfung die “Bild”-Kampagne zielen könnte: Die Möglichkeit, “Faulenzer” und “Abzocker” aus dem Land zu jagen?

Aber vielleicht geht es der “Bild”-Zeitung hier auch nicht um das Gesetz. Vielleicht hat sie mit Henrico Frank eine persönliche Rechnung offen. Darauf deutet zum Beispiel der gestrige “Bild”-Artikel hin, der so begann:

ER HAT UNS ALLE VERARSCHT!

Die “Bild”-Zeitung lässt offen, ob sie mit “uns” uns meint oder “Bild”-Mitarbeiter. Deren Gefühl, “verarscht” worden zu sein, könnte aber daher rühren, dass die Geschichte so schön auf ein Happy-End hätte hinauslaufen können: Dank tatkräftiger Unterstützung der Medien wird aus nichtsnutzigem Hartz-IV-Suff-und-Schmuddel-Punk ein glückliches Mitglied der arbeitenden Gesellschaft. Henrico Frank wollte dieses Spiel, hinter dem er eine PR-Aktion von Beck vermutet, offenbar nicht mitspielen — ob er dabei klug vorging, ist eine andere Frage.

Die “Bild”-Zeitung jedoch erweckt den Eindruck, Frank habe sie in die Irre geführt. Dabei zeigte Frank von Anfang an wenig Bereitschaft, die ihm von dem Medien zugeteilte Rolle zu spielen — selbst den Frisurwechsel bereute er schnell. Dass Frank “vier Handys” hat (nach eigenen Angaben alle Prepaid, ohne laufende Kosten), war “Bild” ebenso bekannt, wie dass er weiter seinen Anstecker “Arbeit ist Scheiße” trug. Erst im Nachhinein machte sie daraus Belege, um Frank zu “Deutschlands frechstem Arbeitslosen” zu stempeln.

Die “Bild”-Berichte über den Arbeitslosen sind inzwischen voller bösartiger Interpretationen und einseitiger Verdrehungen. Aus dem Angebot, für “5,50 Euro / Stunde” zu arbeiten, macht “Bild” einen von acht “gut bezahlten Jobs”. Dass sich die Sprecherin Franks bei den Arbeitgebern erkundigte, ob sich die Stellen (u.a. Straßenbauarbeiter, Maurer, Maler) überhaupt eignen für jemanden, der “nur noch eine Niere, dazu einen Bandscheibenvorfall und eine Schulterprellung” hat, nennt “Bild” schlicht “dreist”: “Motto: Ich kann nicht, aber was gibt’s denn?” Nebenbei fabriziert “Bild” aus den Zitaten mehrerer Politiker der Linkspartei, die grundsätzlich begrüßen, wenn Arbeitslose in die Politik und die Parlamente gehen, eine mögliche Kandidatur Franks für den Bundestag.

Den CDU-Politiker Michael Fuchs hingegen zitierte “Bild” gestern mit den Worten:

Was wirft das für ein Licht auf all die anderen Arbeitslosen! Henrico Frank bringt sie alle in Verruf.

Tut er das wirklich? Oder tun das nicht “Bild” und die anderen Medien, die das Verhalten Franks in einer Breite diskutieren, die gar keinen Sinn ergäbe, wenn sie davon ausgingen, dass Franks Verhalten ein völliger Einzelfall wäre. Dadurch, dass sie den Fall seit einer Woche ausführlich begleiten, suggerieren sie erst, dass es sich um ein grundsätzliches Phänomen und Problem handelt.

Der Politologe Frank Oschmiansky hat vor einigen Jahren die Konjunktur der immer wiederkehrenden “Faulheitsdebatten” untersucht und befand, sie folgten “zu einem guten Teil politischen Kalkülen”. Sie ließen bei den Bürgern den Eindruck entstehen, der “Missbrauch sozialer Leistungen” sei eines der größten Probleme dieses Landes — dabei sei der Schaden rechnerisch “marginal” gegenüber Delikten wie Schwarzarbeit, Subventionsmissbrauch, Korruption oder Steuerhinterziehung. Oschmianskys Fazit:

Zudem zielen die “Faulheitsvorwürfe” darauf, das sozialpsychologische Klima zu schaffen, um Leistungseinschränkungen oder auch Zumutbarkeits- oder Sanktionsverschärfungen den Boden zu bereiten. (…) Durch die Skandalisierung des Leistungsmissbrauchs wird ein Klima erzeugt, in dem Kürzungen von Sozialleistungen leichter durchsetzbar sind.

Erdogans “Hassrede gegen Israel”

In den Unternehmensgrundsätzen von Axel Springer ist die “Unterstützung der Lebensrechte des israelischen Volkes” ein zentraler Punkt. Die “Bild”-Zeitung interpretiert ihn regelmäßig als Auftrag, Nachrichten über Israel zu manipulieren (siehe Kasten). Für Kritik am Handeln der israelischen Regierung gibt es in “Bild” nie einen Anlass; wer es dennoch tut, muss folglich Antisemit sein.

Wie routiniert “Bild” das macht, zeigt der heutige Seite-1-Bericht über den Eklat auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Der israelische Präsident Shimon Peres hatte zum Teil lautstark ein langes, flammendes Plädoyer für den Gaza-Krieg gehalten und den neben ihm sitzenden türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan direkt angesprochen. Als Erdogan antworten wollte, brach der Moderator das Gespräch aus Zeitgründen ab. Erdogan verurteilte noch Israels Vorgehen in Gaza und die vielen unschuldigen Opfer (“Wenn es ums Töten geht, mit dem Töten kennt ihr euch sehr gut aus. Wir wissen, wie ihr Kinder am Strand getötet und erschossen habt” – Wortlaut in der dpa-Übersetzung) und verließ dann wutentbrannt das Podium (ausführliche Schilderung bei Spiegel Online).

Es gibt natürlich viele Möglichkeiten, diesen Eklat zu bewerten. Aber “Bild”-Leser sind heute vermutlich die einzigen, die glauben, dass Erdogan eine “Hassrede gegen Israel” gehalten hat. “Bild” verschweigt seinen Lesern nicht nur den Kontext, sondern erweckt auch den falschen Eindruck, der Moderator habe Erdogan deshalb am Reden gehindert, weil es sich um eine “Hassrede” handelte.

[Ausriss Seite-1-Artikel] "Hassrede gegen Israel in Davos: Eklat um Türkei-Premier"

Den Platz, den “Bild” durch das Weglassen wesentlicher Fakten gewann, nutzt die Zeitung für ein anonymes Zitat:

Ein Besucher schockiert: “Mit seinem Antisemitismus stellt sich Erdogan in eine Reihe mit den Israel-Hassern im Iran.”

Um wen es sich handelte, scheint für “Bild” dabei ebenso irrelevant zu sein wie die Tatsache, dass es sich um eine extreme Minderheitenmeinung handeln muss. Erdogan hatte in einer Pressekonferenz im Anschluss erklärt, “in keinster Weise die israelische Bevölkerung, Präsident Peres oder das jüdische Volk angegriffen” zu haben, und Antisemitismus als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnet. Peres sagte, er habe Erdogan angerufen “und ihm gesagt, dass ich die Sache nicht persönlich nehme”. Sein Respekt vor ihm habe sich nicht geändert.

Mit Dank an Katrin G., Bernhard W., Attila S., Daniela F. und Christopher I.

Wechselnde Wechselgerüchte

Der frühere Fußballnationalspieler Stefan Kießling hat am vergangenen Wochenende stark gespielt. Beim 5:0-Sieg von Bayer Leverkusen über Borussia Mönchengladbach traf Kießling zweimal, zwei weitere Tore bereitete er vor. Eine “Gala”, wie “Bild am Sonntag” anschließend schrieb, aber nicht irgendeine:

Denn das Autoren-Quartett Vim Vomland, Dirk Krümpelmann, Phillip Arens und Christian Hornung hat herausgefunden:

Es ist die stärkste Leistung seiner Karriere — und auch die letzte vor seinen Leverkusener Fans.

Der Abschied aus Leverkusen, der schon seit einiger Zeit gerüchteweise im Raum stand, werde konkreter. Die vier Rechercheure haben dafür eindeutige Zeichen ausgemacht:

Jetzt ist es wohl so weit. Kießlings Ehefrau Norina verdrückte während des Spiels Tränen auf der Tribüne. Der Stürmer selbst verabschiedete sich nach Abpfiff von 200 Fans, die extra für ihn zurück ins Stadion gekommen waren. Bewegende Abschiedsszenen.

Vor allem aber gebe es die (nicht weiter konkretisierten) “Bild am Sonntag”-Informationen, die für Kießlings Abgang im Winter sprächen:

Nach BamS-Informationen wird Kießling innerhalb der Bundesliga wechseln.

Gestern dann bei Bild.de, Autor Vim Vomland:

Definitiv kein Wechsel! Stefan Kießling (31) bleibt bei Bayer Leverkusen.

Heute früh saßen Sportchef Rudi Völler, Manager Jonas Boldt und der Stürmer zusammen. Das Ergebnis der Gesprächsrunde: Kießling wird Leverkusen nicht verlassen.

Und nicht nur wird er Leverkusen nicht frühzeitig verlassen, sondern wahrscheinlich auch noch viel länger bleiben als bisher geplant:

Nach dem Machtwort von Rudi Völler (“Er muss bleiben!”) spricht nun Vieles dafür, dass Völler den bestehenden Vertrag noch über 2017 hinaus verlängern will. Es ist auch wahrscheinlich, dass Völler und Bayer Kießling ein Job-Angebot für die Zeit nach der aktiven Karriere machen werden.

Zwischen der Wechselankündigung in “Bild am Sonntag” und dem kompletten Gegenteil bei Bild.de gab’s am Montag auf der Titelseite der Kölner “Bild”-Ausgabe diese Schlagzeile:

In der Onlineversion rufen die zwei Autoren Vim Vomland und Phillip Arens Leverkusens Sportchef Rudi Völler zu: “Richtig, Rudi!”

Rudi Völlers Klartext in Sachen Kießling ist klug, das einzig Richtige. Es war aber auch höchste Zeit!

Es darf nicht soweit kommen, dass ein Trainer der Bayer-Legende Kießling so einfach die Lust am Fußball nimmt und ihn aus dem Klub vertreibt.

Aber ihn einfach aus dem Klub schreiben — das geht natürlich schon in Ordnung.

Mit Dank an @JulezRulez13!

Senderwende, Ikonographische Wende, VG-Wort-Wende

1. Medienanstalt stoppt Radio für Flüchtlinge
(rnd-news.de, Ulrike Simon)
Wie eine gute Idee manchmal versandet bzw. rigide abgewürgt wird, erzählt Ulrike Simon in ihrem Artikel über das geplante und nun doch nicht zu Stande kommende Integrationsradio für Flüchtlinge. Im vorigen Jahr hätte der frühere Deutsche-Welle-Programmchef vom Direktor der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB), den Auftrag bekommen, über ein Flüchtlingsradio nachzudenken. Das Konzept hätte gestanden, alle Parameter gestimmt, doch dann kam die überraschende Wende: Der Medienrat entschied, das Projekt zu beerdigen. Den Grund dafür soll Ulrike Simon nicht nennen. Sie tut es dennoch: “Immer wieder, mit wem ich auch sprach, bekam ich zu hören: Die Stimmung habe sich gedreht, das gesellschaftliche Klima habe sich verändert, seit dem 31.12. sei die Welt eine andere, die Euphorie verflogen, die Willkommensbereitschaft vorbei, man denke bitte an Köln, an Brüssel…”

2. Online-Leser wollen längere Storys und weniger Listen
(de.ejo-online.eu, Scott Maier)
Das American Press Institute (API) hat in einer Studie das Nutzerverhalten von Online-Lesern unter die Lupe genommen. Mehr als 400.000 Artikel von 55 Publikationen hat man analysiert. Dabei sei die gängige Annahme, dass Journalisten sich für Online kurz und für mobile Plattformen noch kürzer fassen sollten, widerlegt worden. Die Ergebnisse der Studie hätten gezeigt, dass Online-Leser mehr wollen als Geschichten über Stars und Sternchen, kurze Meldungen ohne Tiefgang und die beliebten “Listicles”.

3. Geschichten eines Bilderstürmers
(zeit.de, Uwe Jean Heuser)
Der 32-jährige Gründer des Foto-Netzwerks Instagram Kevin Systrom kann auf eine einzigartige Erfolgsgeschichte zurückblicken: Innerhalb weniger Jahre ist Instagram die führende Plattform zum Teilen von Fotos geworden. Und Facebook blätterte vor wenigen Jahren die stolze Summe von einer Milliarde für das Bildernetz hin. In London sprach Systrom nun von der “ikonographischen Wende”. Täglich 80 Millionen Bilder würden täglich auf Instagram gespeichert. “Dass wir diese Momente hochauflösend aufnehmen und für immer speichern können, wird wichtiger sein für die Menschheitsgeschichte als die Erfindung der Schriftsprache.” Systrom glaube, dass die Erinnerungen der Menschen künftig nicht mehr aufgeschrieben, sondern abgebildet werden. “Wir waren immer eher visuelle als sprachbezogene Wesen.” (Leider hat man den Digitalbildrevolutionär und visionären Schriftsprachenablöser nicht gefragt, wieviel Prozent der täglichen Instagram-Bilder auf Duckface-Selfies und Foodfotos entfallen.)

4. BGH kippt VG-Wort-Ausschüttung
(faz.net)
Der Bundesgerichtshof hat gesprochen: Die Verwertungsgesellschaft (VG) Wort darf keine Einnahmen aus Urheberrechten mehr an die Verlage ausschütten. Das Geld stehe nach derzeitiger Gesetzeslage ausschließlich den Autoren zu. Vor allem kleine Verlage trifft der Urteilsspruch, freuen können sich die Autoren, die nun eventuell sogar rückwirkend Ansprüche auf Nachzahlungen geltend machen können. Doch das Urteil könne auch Auswirkungen für die Vielfalt der Angebote journalistischer Aus- und Weiterbildung haben.

5. Der Hass im Netz – und was dagegen zu tun ist
(carta.info, Ingrid Brodnig)
Montag erscheint Ingrid Brodnigs Buch „Hass im Netz. Was wir gegen Hetze, Mobbing und Lügen tun können. Auf “Carta” gibt es eine gekürzte und leicht abgeänderte Fassung des Kapitels „Hass als Instrument“, in dem sie auch auf die Facebook-Thematik eingeht: “Würde Facebook allein jene Wortmeldungen löschen, die strafrechtlich relevant sind oder gegen die eigenen Regeln des Netzwerks verstoßen, wäre die Situation schon deutlich besser als bisher. Facebook hingegen betont gerne, wie wichtig Widerrede („Counter Speech“) sei – also dass Menschen gegen hasserfüllte Rede das Wort ergreifen. Das stimmt. Es braucht aber beides: Mutige Bürger und Webseitenbetreiber, die sie vor den schlimmsten verbalen Übergriffen oder gar Bedrohungen schützen.”

6. Wutdruck
(sueddeutsche.de, Viola Schenz)
Das konservative britische Wochenmagazin “The Spectator” ruft seine Leser auf, Schmähgedichte auf den türkischen Präsidenten einzusenden – “so schmutzig und beleidigend wie möglich”.

Frisierte Abgeordnete, Zielgruppe Judenhasser, Homophobie bei der FAZ

1. Wikipedia-Artikel über Abgeordnete vom Bundestag aus geschönt
(br.de, Christine Auerbach & Maximilian Zierer)
Eine Analyse der Datenjournalisten des Bayerischen Rundfunks zeigt, dass viele Wikipedia-Artikel über Bundestagsabgeordnete umgeschrieben beziehungsweise geschönt und frisiert werden. Das Bemerkenswerte dabei: Die Analyse hat ergeben, dass in dieser Legislaturperiode die Wikipedia-Seiten von einem Drittel aller Abgeordneten von Bundestags-PCs aus verändert wurden. Über einen anonymen Wikipedia-Account von einem Computer aus dem Deutschen Bundestag wurde beispielsweise ein vormals überzeugter Atomkraft-Anhänger durch Löschen der einschlägigen Passage („Joachim Pfeiffer gilt als Befürworter des Einsatzes von Atomkraftwerken.“) zum glühenden Energiewende-Fan: “Die Energiewende bezeichnet er als Umbau der Energieversorgung und drängt in diesem Zusammenhang auf eine schnelle Markteinführung der Erneuerbaren Energien.”

2. Zielgruppe “Judenhasser”
(sueddeutsche.de, Simon Hurtz)
Immer wieder gerät Facebook wegen seiner fragwürdigen Werbemöglichkeiten in die Kritik. So ließen sich im Werbetool bis letzten Donnerstag gezielt Antisemiten (Interesse: “Wie verbrennt man Juden”), Islamhasser (“Muslime töten”), Frauenfeinde (“Bitches umbringen”) oder Rassisten (“Ku-Klux-Klan”) ansprechen. Nachdem ein Recherche-Kollektiv Facebook damit konfrontierte, reagierte Facebook und deaktivierte die entsprechenden Werbemöglichkeiten. Doch Simon Hurtz von der „SZ“ musste bei seiner Recherche feststellen, dass dies vom Social-Media-Riesen nur unzureichend umgesetzt wurde: Zumindest Freitagmittag sei es nach wie vor möglich gewesen, in Facebooks Anzeigenmanager Interessen wie “Heil Hitler!”, “Juden raus!” oder “German Schutzstaffel” auszuwählen.

3. Homophober Text war homophob
(taz.de)
Der Presserat rügt einen FAZ-Beitrag aus dem Sommer, in dem ein anonymer Autor (Pseudonym: Johannes Gabriel) behauptete, dass adoptierte Kinder von homosexuellen Paaren einer besonders hohen Gefahr eines sexuellen Missbrauchs ausgesetzt seien. Diese Behauptung stelle einen schweren Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot nach Ziffer 12 des Pressekodex dar, so der Presserat.

4. Rechts vor links
(daily.spiegel.de, Ulrike Simon)
Ulrike Simon schreibt in ihrer Medienkolumne bei „Spiegel Daily“ über einen Konflikt in der Madsack Mediengruppe. In den Stadtausgaben der “Hannoverschen Allgemeinen Zeitung” (HAZ) und “Neuen Presse” (NP) erschien eine mehrseitige Werbebeilagen der AfD. Eine Aktion, die auch beim größten Gesellschafter des Madsack-Konzerns nicht gut ankam: Der Medienholding der SPD… Kolumnistin Simon ordnet den Vorgang ein.

5. „Recht am geistigen Eigentum stärken“
(stuttgarter-zeitung.de, Markus Grabitz)
EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger spricht sich im Interview mit der „Stuttgarter Zeitung“ für ein von vielen Medienhäusern und Branchenverbänden gefordertes europäisches Verlegerrecht aus. Die Position der Verlage gegenüber Konzernen wie Google müsse gestärkt werden. Außerdem sei es überfällig, dass Gerichte den öffentlich-rechtlichen Sendern “ihre Grenzen aufzeigen”, so Oettinger: „Die Sender sorgen für ein kostenloses und umfassendes journalistisches Angebot im Netz, das für die privat finanzierten Verlagshäuser eine scharfe Konkurrenz darstellt. Die Öffentlich-Rechtlichen finanzieren dies auch aus Rundfunkbeiträgen. Dies ist unfair gegenüber den vollständig privat finanzierten Zeitungshäusern und stellt für sie eine Gefahr dar.“

6. Wonach User in Wahlprogrammen von CDU, SPD, Linke, Grüne, AfD googeln
(kosmos.welt.de, Kritsanarat Khunkham)
Die “Zeit” hat ausgerechnet, dass die Wahlprogramme der sechs größten Parteien rund 225.000 Wörter umfassen, was ungefähr 350 eng bedruckten DINA4-Seiten entspräche. “Welt”-Autor Kritsanarat Khunkham hat Google raussuchen lassen, welche Begriffe in den letzten sieben Tagen bei den jeweiligen Wahlprogrammen von Union, SPD; Linke, Grüne, AfD und FDP die häufigsten „Mitsuchworte“ waren.

Wie “Bild” das Schicksal des zweijährigen Julen ausschlachtet

In Spanien ist ein kleiner Junge in einen rund 110 Meter tiefen Schacht gefallen. Seit neun Tagen läuft die Rettungsaktion für den zweijährigen Julen nun. Und fast genau so lang belagern Reporter nun den Ort Totalán, wo das Unglück passierte und wo die Rettungskräfte versuchen, einen Tunnel zu dem Jungen zu bohren.

“Bild” ist natürlich mit dabei, aber auch andere Knallportale berichten fleißig, Stern.de zum Beispiel, “Focus Online”, RTL.de und so weiter.

Heute meldete Bild.de:

Screenshot Bild.de - Mediziner über das Bohrloch-Unglück - Es ist nur theoretisch möglich, dass Julen lebt

… was nicht besonders überraschen dürfte, angesichts der Tatsache, dass ein Zweijähriger erst einen sehr tiefen Brunnenschacht hinunterstürzt und anschließend viele Tage ohne Essen und Trinken verbringen muss. Aber wie hätte man ohne Hoffnung dem gierigen Klickvolk die vielen Akte dieses Dramas verkaufen sollen?

Screenshot Bild.de - Rettung sehr gefährlich - Junge (2) stürzt 110 Meter tief in Brunnen
Screenshot Bild.de - Junge in 110 Meter tiefen Brunnenschacht gestürzt - 2017 starb sein Brüderchen - Das Schicksal schlug schon einmal zu
Ausriss Bild-Zeitung - Junge (2) stürzt in 110 Meter tiefen Schacht
Screenshot Bild.de - Junge in 100-Meter-Schacht gestürzt - Gibt es noch Hoffnung für den kleinen Julen?
Screenshot Bild.de - Julen stürzte in 110-Meter-Loch - Das furchtbare Warten auf ein Wunder
Screenshot Bild.de - Ganz Spanien bangt um Jungen im Schacht - Bagger und Bohrer sollen Julen retten
Ausriss Bild-Zeitung - Das furchtbare Warten auf ein Wunder
Screenshot Bild.de - Junge stürzte in 110 Meter tiefes Brunnenloch - Julen und das Prinzip Hoffnung
Ausriss Bild-Zeitung - Kinder beten für Jungen im Schacht
Screenshot Bild.de - Beklemmende Kamerafahrt in das Brunnenloch - Hier stürzte der kleine Julen hinein
Screenshot Bild.de - Wie die Helfer zu dem Jungen im Brunnenloch vordringen wollen - Neuer Rettungsversucht für den kleinen Julen
Ausriss Bild-Zeitung - Vor der Haustür steht noch Julens Dreirad
Screenshot Bild.de - Kleiner Julen seit Sonntag verschüttet - Vor der Haustür steht noch das Dreirad
Screenshot Bild.de - Seit Sonntag im Schacht gefangen - So wollen sie den kleinen Julen retten
Screenshot Bild.de - Kleiner Julen im Brunnenschacht - Nur noch wenige Stunden, bis es regnen soll
Screenshot Bild.de - Junge stürzt in 110 Meter tiefes Loch - Dieser Bohrer ist Julens letzte Hoffnung
Ausriss Bild am Sonntag - Retter bohren endlich Schacht zu kleinem Julen
Screenshot Bild.de - Retter kämpfen um Julen in Schacht - Bohrer schafft drei Meter pro Stunde
Screenshot Bild.de - Kleiner Junge stürzte vor einer Woche in 100 Meter tiefen Bohrschacht - Retter müssen sich per Hand zu Julen durchgraben
Screenshot Bild.de - Kleiner Julen fiel vor einer Woche in Bohrschacht - Retter stoßen auf fünf Meter Granit
Screenshot Bild.de - Julen fiel vor acht Tagen in Bohrschacht - Jetzt beginnt die kritische Phase
Ausriss Bild-Zeitung - Julen soll mit Käfig geborgen werden
Screenshot Bild.de - Julens Eltern am Unglücksort in Totalan - Acht Tage Albtraum
Screenshot Bild.de - Kind im Brunnenschacht - Heute wollen sie Julen finden
Screenshot Bild.de - Vor mehr als einer Woche fiel der Junge in einen Bohrschacht - Retter wollen heute Mittag zu Julen vordringen
Screenshot Bild.de - Bild sprach mit dem Feuerwehr-Chef der Rettungsmission am Bohrloch - Ich gehe erst wieder heim, wenn wir Julen haben
Screenshot Bild.de - Julen fiel vor neun Tagen in ein Bohrloch - Wiederholt sich das Schicksal des kleinen Alfredo?
Screenshot Bild.de - Schon wieder Verzögerung bei Drama um Julen - Parallel-Schacht einsturzgefährdet

Gnadenlos und ohne Rücksicht auf irgendwas oder irgendwen schlachten sie das Schicksal eines Zweijährigen aus.

Im Mai 2017, nach dem Terroranschlag in Manchester, verteidigte Ombudsmann Ernst Elitz die Berichterstattung der “Bild”-Redaktion, die Fotos von verstorbenen Kindern und Jugendlichen gezeigt hatte, so:

Viele Mitarbeiter haben Kinder im Alter der Ermordeten. Und so wurde die Auswahl der Fotos eben nicht nur von Journalisten getroffen, sondern von Müttern und Vätern, die sich fragten: Würde ich mein Kind so zeigen, wenn meine eigene Familie von diesem Grauen betroffen wäre? (…)

Die Auswahl eines jeden Fotos war eine Gewissensentscheidung. Ich finde, das Gewissen der Mütter und Väter in der Redaktion hat bei der Auswahl der Fotos aus Manchester richtig entschieden.

Auch vor diesem Hintergrund kann man den Beitrag des “Postillon” von heute sehen: “Bild-Chef Reichelt: ‘Wenn mein 2-jähriges Kind in ein 100-Meter-Loch fällt und wahrscheinlich tot ist, hätte ich auch gern, dass die gesamte Welt live daran teilnimmt’.”

Mit Dank an Sebastian E. und Olaf für die Hinweise!

Rätsel Lanz, Gerichtsreporterin Friedrichsen, Altkanzler mit Knarre

1. TV-Kritik zu Markus Lanz: Niveaumäßig auf Grasnarben-Höhe
(fr.de, Daland Segler)
Bei Markus Lanz waren zuletzt die Grünen-Politiker Annalena Baerbock und Robert Habeck zu Gast und wurden von diesem teilweise scharf angegangen. Daland Segler kritisiert: “… ein Moderator, der nicht moderiert, sondern Fragen abschießt, der in seiner typischen Haltung, ganz vorne auf der Stuhlkante sitzend, als wolle er sich auf das Gegenüber stürzen (und so seine Nervosität und Überforderung zeigt) fast nie schafft, seine Gäste ausreden zu lassen und dann irgendwann sagt: “Lasst uns diese Schärfe rausnehmen” — die er selbst hineingebracht hat in das Gespräch: Solch ein Mann dürfte nie und nimmer eine Talkshow leiten. Nun tut das aber Markus Lanz seit Jahren, und es ist eines der großen Rätsel der bundesdeutschen Fernsehlandschaft, dass er das trotz seiner offensichtlichen Unfähigkeit immer noch tut.”

2. “Ich war die einzige Frau”
(taz.de, Doris Akrap)
Die bekannte Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen arbeitete 16 Jahre für die “FAZ”, 27 Jahre für den “Spiegel” und seit nunmehr drei Jahren schreibt sie für die “Welt”. Im Interview spricht sie über ihren beruflichen Werdegang, die Besonderheiten des NSU-Prozesses und darüber, mit welchem Blick sie auf eine Gerichtsverhandlung schaut.

3. «Journalismus ist nicht marktfähig»: Warum Verlage nun experimentieren müssen
(tagblatt.ch, Michael Genova & Kaspar Enz)
Den Zeitungsverlagen brechen mehrheitlich die Einnahmen weg. Was tun? Der Medienwissenschafter Guido Keel plädiert für Hinwendung zum Digitalen, spricht sich für Bezahlschranken aus und rät den Lokalzeitungen zu Experimenten.

4. Der Altkanzler und die Knarre – wenn Fotos einen schlechten Eindruck machen
(maz-online.de)
Vor ein paar Tagen postete die “heute show” ein Bild von Ex-Kanzler Gerhard Schröder, das diesen in James-Bond-Pose mit seiner Frau im Arm und einer Pistole zeigte. Daraufhin hagelte es in den Sozialen Medien Kritik und Häme. Entstanden war das Bild anlässlich der Kieler Woche. Bei der “Waffe” handelte es sich um die Startpistole für eine Segelregatta. Anders als der Altkanzler hätten andere Politiker solch ein Bild nicht zugelassen: “Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) meidet zum Beispiel jegliches Kriegsgerät im Hintergrund, das sich später wieder als zu teuer oder zu kaputt oder als ethisch umstritten herausstellen könnte, also zum Beispiel Kriegsdrohnen. Sucht man nach “Startschuss”-Fotos von ihr, wirft sie deshalb eher eine Sektflasche gegen einen Schiffsrumpf oder hält einen symbolischen Schlüssel oder eine Korvetten-Silhouette in die Höhe.”

5. Journalistin Jana Avanzini wegen Hausfriedensbruch verurteilt
(sueddeutsche.de, Isabel Pfaff)
Nun ist es tatsächlich so gekommen, wie es viele Schweizer Medienschaffende befürchtet haben: Das Luzerner Bezirksgericht hat die Journalistin Jana Avanzini wegen Hausfriedensbruchs verurteilt. Die Journalistin hatte für eine Recherche ein besetztes Haus betreten. Die Buße beträgt 500 Franken, doch dazu kommen Gerichtskosten und die Anwaltskosten der Klägerin, so dass Avanzini insgesamt etwa 4.300 Franken berappen muss.

6. Warum wir uns für uns und andere schämen
(deutschlandfunknova.de, Dominik Schottner, Audio: 24:08 Minuten)
Im “Ab 21”-Podcast auf “Deutschlandfunk Nova” geht es um Peinlichkeit. Warum schämen wir uns, und warum hat das Filmpublikum ein so hohes Interesse an schambesetzten Themen? Darüber geben der Peinlichkeitsforscher Paulus Frieder (Uni Lübeck) und der Filmexperte und Youtube-Filmkritiker Wolfgang M. Schmitt (“Die Filmanalyse”) Auskunft.

Falsche Falschmeldungsmeldung

Falschmeldungen gibt es natürlich nicht nur in “Bild”. Auch im “Spiegel” stand vor knapp drei Wochen eine “fehlerhafte Meldung”. Und im Anschluss daran wurde andernorts eifrig spekuliert und/oder dementiert, wie es dazu kommen konnte, dass der “Spiegel” ein geplantes Treffen prominenter Medienleute, Künstler und Schriftsteller im Kanzleramt vermeldet hatte, zu dem die genannten Personen offenbar z.T. noch gar nicht eingeladen waren. Klaus Staeck etwa sagte als einer der Betroffenen zur “taz”:

“Das ist für mich Schmierenjournalismus allerschlimmster Güte, wie ich ihn vom ‘Spiegel’ nie erwartet hätte, von der ‘Bild’-Zeitung schon.”

Nun ja. Aber auch “Bild” und Bild.de berichteten in der Rubrik “Berlin vertraulich”. Dort hieß es am 23. Juni zu der “vorzeitig publik” gewordenen Einladung:

“Im Kanzleramt wird nach dem Schuldigen gesucht.”

Anschließend zitierte “Bild” den Journalisten Heiko Gebhardt (laut “Bild” ein “Schröder-Freund” und “einer der Verdächtigen”) mit den Worten:

“Ich war’s nicht. Hab’ gar keine Zeit, muss hier ein Blatt machen.”

Mit anderen Worten: Nach der “Bild”-Lektüre hätte man den Eindruck haben können, Gebhardt würde insbesondere vom Kanzleramt verdächtigt, die Information über das vom Kanzleramt geplante Treffen an den “Spiegel” lanciert zu haben. Und sah es nicht auch ganz so aus, als habe die “Bild”-Zeitung Gebhardt auf einen solchen Verdacht angesprochen und Gebhardt sich wie zitiert geäußert?

Aber so war’s wohl nicht. Im Anschluss an eine Gegendarstellung Gebhardts heißt es (bislang nur auf Bild.de, nicht in “Bild”) in einer “Richtigstellung” der Redaktion:

“Der erweckte Eindruck, Herr Gebhardt würde insbesondere vom Kanzleramt verdächtigt, die Information über ein vom Kanzleramt geplantes Treffen an den Spiegel lanciert zu haben, ist falsch. Herr Gebhardt wurde auf einen solchen Verdacht von uns auch nicht angesprochen. entsprechen hat sich Herr Gebhardt auch nicht wie zitiert geäußert.”
(Hervorhebungen von uns, Tippfehler nicht.)

Nachtrag, 14.7.2005:
Inzwischen wurde auch der Fehler in der Richtigstellung richtiggestellt.

Wo Schwulsein nicht normal ist

Bei manchen Artikeln in “Bild” ist es schwer, zurückhaltend und sachlich zu bleiben. Versuchen wir es trotzdem.

Auf Seite 1 der heutigen “Bild”-Zeitung ist neben der halbnackten Mandy (23), die sich gerade zwischen die Beine greift, und über einem Artikel “Nasa sucht Außerirdische auf Saturn-Mond” ein Foto von einer Hinrichtung abgebildet.

Die Überschrift lautet:

Hier werden zwei Kinderschänder gehängt

Und der vollständige Artikel geht so:

Teheran — Ihre Augen sind verbunden, die vermummten Henker legen ihnen die Stricke um den Hals: Wenige Sekunden später sind diese beiden Kinderschänder tot. Die jungen Männer waren von einem iranischen Gericht zum Tode verurteilt worden, weil sie einen 13jährigen Jungen entführt und vergewaltigt haben sollen.

Wäre die “Bild”-Zeitung nicht die “Bild”-Zeitung, hätte sie vielleicht nicht einfach unkritisch die offizielle iranische Version der Geschichte übernommen. Sie hätte darauf hingewiesen, dass die beiden getöteten “jungen Männer” zur Tatzeit noch minderjährig waren. Sie hätte die Gehenkten nicht zweimal “Kinderschänder” genannt, als sei diese Tatsache in einem rechtsstaatlichen Verfahren bewiesen worden, denn es gibt Berichte, die diesen Vorwurf zweifelhaft erscheinen lassen. Sie hätte darauf hingewiesen, dass schon einvernehmliche homosexuelle Handlungen im Iran mit dem Tode bestraft werden können und genau dies auch der Grund für die Hinrichtung gewesen sein könnte.

Vielleicht hätte auch noch ein Wort des Entsetzens in den “Bild”-Artikel gepasst. Oder nur ein Zitat aus dem Statement von Amnesty International, das die Hinrichtungen verurteilt. Oder ein Hinweis auf die internationalen Zweifel an dem Verfahren und Proteste gegen das Urteil. Oder die Schätzung der britischen Homosexuellen-Organisation “Outrage!”, wonach von den 100.000 Menschen, die im Iran seit 1979 hingerichtet wurden, 4.000 wegen angeblicher homosexueller Handlungen hingerichtet wurden, darunter politische Gegner.

Aber vielleicht hätte es auch schon gereicht, wenn “Bild” zwei Jugendliche, die möglicherweise nur deshalb sterben mussten, weil sie homosexuell waren, nicht nach ihrem Tod noch als “Kinderschänder” bezeichnet hätte.

Wie es sich liest, wenn “Bild” sich von staatlichen Entscheidungen distanzieren möchte, kann man übrigens auf Seite 2 derselben Ausgabe sehen:

“Schwul sein ist ganz normal” — Riesen-Ärger um Homo-Fibel für Lehrer

(…) In dem Handbuch, das noch die im Mai abgewählte rot-grüne Landesregierung herausgegeben hat, werden Pädagogen dazu angehalten, im Unterricht Sätze zu vermitteln wie: “Mein Schatz, schwul zu sein ist ganz normal.”

Aber das ist natürlich ein ganz anderes Thema.

Vielen Dank an Michael M., Johannes S., Tobias B. und andere.

Nachtrag, 10.1.2006:
Im Anschluss an eine Beschwerde hat der Presserat die Veröffentlichung eines (zu obiger Überschrift gehörigen) Agenturfotos in “Bild” missbilligt*. In der Begründung heißt es:

“Die Darstellung der beiden Männer, wie ihnen Schlinge um den Hals gelegt werden, ist – egal vor welchem Hintergrund dies passieren mag – unangemessen sensationell. Nach Meinung der Beschwerdekammer hätte dieses Foto in der Form nicht veröffentlicht werden sollen. Daher sieht die Beschwerdekammer in der Veröffentlichung des Fotos einen Verstoß gegen die Ziffer 11 des Pressekodex. Auch wenn dieses Foto von einer Agentur verbreitet wird, liegt es immer im Ermessen der Redaktion, selbst zu entscheiden, ob sie solches Material veröffentlichen will oder nicht. Eine Agentur kann und muss grundsätzlich Materialien liefern, wie in diesem Fall auch das Foto. Die Redaktion selbst muss dann jedoch entscheiden, ob eine Veröffentlichung des Agenturmaterials notwendig ist oder nicht.”

*) Eine Missbilligung ist für das betroffene Medium folgenlos.

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Von Katzen und dummen Menschen

Gestern berichtete “Bild”:

… und okay-okay, im letzten Absatz, ganz am Ende ihrer Berichterstattung hat “Bild” im Vornamen der darin zitierten Tierschützerin “Annelise Krauß” ein “e” vergessen. Aber selbst Anneliese Krauß findet das nicht so schlimm. Allerdings steht ihr Name natürlich nicht nur zum Spaß in “Bild”. Zitiert wird sie dort – und zwar wie folgt:

‘Das ist so schlimm wie grausame Tierversuche’, wettert Annelise Krauß vom Tierschutzverein Dresden.”

Und das sei nun wirklich “Quatsch”, sagt Krauß, wenn man sie fragt. Weil sie nämlich den von “Bild” zitierten Satz weder gewettert noch gesagt habe. Im Gegenteil: “Das wäre ja auch idiotisch,” sagt Krauß, “denn wenn es um tote Tiere geht, dann ist das ja kein Problem des Tierschutzes!” Zusammenfassend sagt uns die Tierschützerin über die Erfindung von Christian Koch (der laut “Bild” ja “aus Katzen Benzin machen” kann):

“Von unserer Seite ist daran nichts auszusetzen.”

Und genau so habe sie das im Übrigen auch zu “Bild” gesagt. (Aber, so Krauß weiter, wenn “der Herr Helfricht”, also einer der Autoren des “Bild”-Artikels, sie anrufe, dann wisse sie schon aus Erfahrung, dass hinterher Sachen in “Bild” stünden, die sie so gar nicht gesagt habe. Das gehe in Dresden schließlich schon über zehn Jahre so, so Krauß. — Und soviel vielleicht nur zum letzten Absatz des obigen Artikels.)

Kommen wir zum Rest, dem Eigentlichen, also darum, dass “Dr. Christian Koch (55) aus Kleinhartmannsdorf (Sachsen)”, wie es in “Bild” heißt, “aus Katzen Benzin machen” könne: Denn dass die “Benzin”-Überschrift Unsinn ist, verrät schließlich schon der dazugehörige “Bild”-Text selbst, weil darin nur von “Bio-Diesel” oder “Diesel” die Rede ist… Tatsächlich aber hat Koch offenbar eine ungewöhnliche und effektive Alternativmethode zur Treibstoffgewinnung entwickelt: die katalytische drucklose Verölung (KDV), über die beispielsweise schon der MDR im Mai 2003, 3sat im Juli 2004, die “Welt” im Januar 2005, die “Pirmasenser Zeitung” im Juli, der RBB vergangene Woche oder auch RTL berichteten. Und all diesen Berichten ist eines gemein: dass sie dem Gegenstand, über den sie (durchaus auch kritisch) berichten, gerecht werden.

“Bild” indes nennt Kochs Erfindung einen “Spezialreaktor” und schreibt Sätze wie diesen:

“Die Katzen-Kraft lässt sich theoretisch exakt berechnen: Aus einem ausgewachsenen 13-Pfund-Kater könnten 2,5 Liter Sprit entstehen, vier Miezen würden für 100 Kilometer reichen, für eine Tankfüllung wären 20 tote Katzen erforderlich.”

Und fragt man einfach mal nach bei dem “Mann, der (Stuben-)Tiger in den Tank packen kann” (“Bild”), antwortet Christian Koch, der “Bild”-Bericht habe “nichts mit der Wahrheit zu tun” und sei “zudem grenzenlos dumm”. Koch weiter:

“Wie kann man mit gekochtem tierischen Material Auto fahren? Wasser würde jeden Motor sofort zum Stillstand bringen. Hier wird an die niedrigsten Instinkte von dummen Menschen appelliert, um eine wertvolle Entwicklung zu verunglimpfen. (…) Mir zu unterstellen, dass ich mit Tierkadavern herumhantiere, ist kriminell. Das ist nicht im geringsten der Inhalt der Entwicklung und kann deshalb nur als gezielte Verleumdung angesehen werden.”

Auf der Website von Kochs Firma heißt es zudem inzwischen:

Mit Dank an Jan S. für die Anregung.
 
Nachtrag, 12:15:
“Bild” hat die Sache mit der “Katzen-Kraft” heute noch einmal aufgegriffen:

Darf man aus Katzen wirklich Benzin machen?

Doch wenn es jetzt etwas vorsichtiger als gestern heißt, dass Christian Koch “theoretisch auch aus Katzen” Bio-Diesel herstellen “könnte”, wenn jetzt nicht Koch, sondern ein Konkurrent die gestern von “Bild” aus der Luft gegriffene Skandalisierung zurechtrücken darf, wenn nun auch die gelassene Position der Tierschützer weniger sinnenstellend als gestern wiedergegeben wird und sich im heutigen “Bild”-Bericht immerhin ein einziger halbwegs sinnvoller Satz (“Die Diskussion ist überflüssig”) wiederfindet, dann macht das alles den Nonsens von gestern weder ungeschehen noch besser — und sei es nur deshalb, weil es “Bild” offenbar immer noch nicht gelingen will, zwischen “Benzin” (Überschrift) und “Diesel” (Text) zu unterscheiden…

Mehr dazu hier und hier.

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Franz Josef Wagner und die Nebel von Avon

Jedes Jahr um diese Zeit feiert Franz Josef Wagner zwei Geburtstage. Seinen eigenen und den von Mick Jagger. Eine ganz besondere Beziehung verbindet den “Bild”-Autor mit dem Sänger. Kein Wunder: Ihre Biographien weisen verblüffende Parallelen auf.

Beide sind im Sommer 1943 geboren. Beide sind Männer. Jaggers Mutter war Avon-Beraterin, Wagners Mutter Handarbeitslehrerin. Jagger macht Musik, Wagner hört sie.

Zum 60. Geburtstag Jaggers schrieb Wagner in der “Welt”:

Wenn man an 60 denkt, dann denkt man, dass die betreffende Person Schwierigkeiten beim Einparken hat und gelegentliche Unsicherheit im Personengedächtnis. Ich glaube, dass man mit 60 triumphierend jung sein kann — wenn man ein Rock ‘n’ Roller ist. Jeder Orthopäde sagt, dass das Geheimnis die Bewegung sei. Tanzen wir den Tod zum Teufel. Der 60-jährige Mick Jagger tanzt das Leben vor. In einer Woche werde ich 60.

Zum 63. Geburtstag Jaggers schrieb Wagner in “Bild”:

Rock ‘n’ Roll ist ein Lebensentwurf – es ist auch mein Lebensentwurf. Wir rocken uns den Tod weg, die Bandscheibe, die Prostata, die Röchel-Lunge. Ich liebe Mick Jagger nicht nur, weil er “Satisfaction” singt, sondern weil seine Mutter Avon-Beraterin war. Der Sohn einer Avon-Beraterin wird Mick Jagger — was für ein Traum, was für ein Märchen!

Und ein paar Tage später in der “taz”, nach einem Konzert der Stones:

Mick Jagger ist eine Woche älter als ich, er wird am 26. Juli 63, ich am 7. August. Aber es waren viele tausend noch Ältere im Berliner Olympiastadion als wir beide. Vielleicht war es das, was wir feierten: dass die Katastrophen wie Weltuntergang, Raucherkrebs, Prostata, Herz, Venen nicht eingetreten waren und auch in dieser Nacht nicht eintreten würden. (…)

“What can a poor boy do except to sing for a rock’n’roll band”, fragte Mick Jagger vor 40 Jahren in seinem Ur-Song “Street Fighting Man”. Vor 40 Jahren — wo war ich?

Vor 40 Jahren hing ich auch an den Fersen des Glücks. What can a poor boy do … Micks Mutter war Avon-Beraterin, meine Handarbeitslehrerin, sie unterrichtete Mädchen im Stricken und Tischdecken. Da war nicht viel Kohle zu holen. Also, what can a poor boy do?

Er kann Zahnarzt werden, Astronaut werden, er kann sein Leben verschlafen, er kann Mick Jagger werden, oder er kann im Drogenrausch wie der beste Rolling Stone, Brian Jones, im Swimmingpool ertrinken. Er kann ein Gesicht wie Keith Richards kriegen, er kann Bianca Jagger heiraten, Jerry Hall. Er kann sieben Kinder mit vier Frauen zeugen, er kann aber auch als PR-Gag auf eine Palme klettern und herunterfallen. Er kann Boulevard-Reporter werden, Gossen-Goethe. Er kann eigentlich alles werden, wenn er ein Street Fighting Man ist.

Und heute nun wird Mick Jagger 65. Und Franz Josef Wagner, der “Gossen-Goethe”, schreibt in “Bild”:

Sie sind eine Woche älter als ich, heute werden Sie 65, ich am 7. August. Was gibt’s für uns 65-Jährige zu feiern? Zuallererst, dass wir überlebten und Leber, Lunge, Arterien sich bisher nicht bemerkbar machen. Den Genen sei Dank!

Es war im Sommer 62, vor 46 Jahren, als ich Ihren Ursong “Street Fighting Man” zum ersten Mal hörte. Ich war damals ein Junge wie Sie. Ihre Mutter war Avon-Beraterin, meine Mutter war Handarbeitslehrerin. (…) Man konnte damals schnell abgleiten in die Hippie- und Kifferkultur.

Von einem Tag auf den anderen riss mich Ihr “Street Fighting Man” aus dem Kiffen heraus. “What can a poor boy do except to sing for a rock ‘n’ roll band”. (…)

Ihr Song hat mich gerettet. Ihr Song war eine Aufforderung, seine eigene Kraft zu entdecken.

Ja, so war es. Es war dieser Song. Alle, die dabei gewesen waren und heute Zahnärzte sind, Therapeuten, Rechtsanwälte, werden es bestätigen. Es war dieser Song. (…)

Rock ‘n’ Roll hat die Welt immer verbessert. Vor 46 Jahren wurde ich durch Mick Jagger Rock ‘n’ Roller – ich liebe die Freiheit.

Aber was immer Franz Josef Wagner vor 46 Jahren vom rechten Weg abbrachte und ihn veranlasste, einen Karrierepfad einzuschlagen, an dessen Ende er heute täglich einen Brief in der “Bild”-Zeitung schreibt — die Rolling Stones und “Street Fighting Man” waren es nicht. Ihr erstes Album brachten die Stones 1964 heraus. “Street Fighting Man” wurde, inspiriert von den Studentenunruhen in Paris, 1968 aufgenommen und veröffentlicht.

Wann hörte Franz Josef Wagner also mit dem Kiffen auf? Man weiß es nicht. Aber nach dem Konzert der Stones fuhr er mit dem Taxi nach Hause: “Richtung Paris Bar, um mich mit Alkohol noch ein bisschen mehr in Stimmung zu bringen.”

Mit Dank an Steffen B., Manfred L., Maren, Andreas und Map!

Wohin hinkt Brüderles Vergleich?

“Stasivergleiche machen immer was her”, muss sich Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) gedacht haben, als er gestern auf dem fünften nationalen IT-Gipfeltreffen in Dresden folgende Worte sagte:

Manches, was ich bei Wikileaks da entnehme, erinnert mich an die Sammelwut, die früher Institutionen im Osten hatten, die Stasi dabei.

Beim absehbaren kollektiven Aufschrei, etwa auf Twitter, hinterher gab es allerdings ein Problem: Wen oder was genau hat Brüderle denn jetzt eigentlich mit dem berüchtigten DDR-Geheimdienst verglichen?

Für die “Financial Times Deutschland” war ganz klar die US-Botschaft gemeint:

Wikileaks-Enthüllungen Brüderle vergleicht US-Sammelwut mit Stasi Die Enthüllungen auf Wikileaks erregen noch immer die Gemüter der Liberalen. Der Wirtschaftsminister sieht Parallelen zwischen der US-Botschaft und dem Überwachungsapparat der früheren DDR. Das geht selbst Parteifreunden zu weit. Brüderle rudert zurück.

Ähnlich berichteten gestern die Nachrichtenagentur dpa und “Focus online”, sowie in jeweils abgeschwächter Form “Spiegel Online” und die “Süddeutsche Zeitung”.

Auch Brüderles Parteifreund Wolfgang Kubicki, der den Wirtschaftsminister nach dessen Rede heftig kritisierte, sah hier einen Affront gegen die Amerikaner. Der “Leipziger Volkszeitung” sagte er laut Vorabbericht:

Die Depeschen der US-Botschaften mit Stasi-Unterlagen zu vergleichen, heißt erstens das Unrecht der DDR zu relativieren und heißt zweitens, einen Rechtsstaat mit einem Unrechtsstaat zu vergleichen. Beides sollte sich von selbst verbieten.

Dennoch hatte eine ganze Reihe anderer Medien und Blogs aus Brüderles Aussage einen ganz anderen Adressaten herausgehört — nämlich die Enthüllungsplattform Wikileaks selbst.

Bild.de etwa titelte:

Internet-Portal: Brüderle vergleicht Wikileaks mit Stasi. Minister: Eine "Sammelwut, die früher Institutionen im Osten hatten"

Im Artikel heißt es:

Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) hat die Internet-Plattform Wikileaks scharf attackiert. Das Vorgehen der Enthüllungsplattform bereite ihm Unbehagen und erinnere ihn an die DDR-Staatssicherheit!

Ähnlich sehen das die Presseagentur dapd, “Welt online” und zunächst auch netzpolitik.org und “Carta”. Beide Blogs schwächten allerdings im Laufe des gestrigen Abends ihre Artikel noch ab.

Aber wer ist denn nun wirklich gemeint? BILDblog hat beim Wirtschaftsministerium nachgefragt und von Pressesprecherin Beatrix Brodkorb die Bestätigung erhalten: Brüderle habe tatsächlich nicht die US-Botschafter mit der Stasi vergleichen wollen, sondern den Überbringer der Nachricht, Wikileaks. Der Wirtschaftsminister sei unter anderem wegen der Ankündigung weiterer Veröffentlichungen zu den Geschäftspraktiken amerikanischer Großbanken in Sorge.

Alle Unklarheiten beseitigt? Dann empören Sie sich jetzt!

BILDipedia, Whistleblowerleid, Werbesprechstunde

1. Plickbaiting mit BILD
(hogymag.wordpress.com, almasala)
“Hogymag” ist ein “Bild”-Beitrag aufgefallen, der im Wesentlichen aus wörtlichen oder umgepfriemelten Übernahmen aus der Wikipedia bestehe. Es handele sich um eine Kombination von Plagiat mit Clickbaiting (“Plickbaiting”). Die Vorgehensweise der “Bild”-Plickbaiter stelle sich wie folgt dar: “Erwecke Neugier mit lahmer Überschrift a la Einsamer Tod hinter grünen Mauern in Chile. Plagiiere den Hauptteil des Artikels. Verfasse einen Manteltext um den Hauptteil. Überlade den Artikel mit vielen Bildern und Verweisen zu anderen BILD-Artikeln.”

2. Fünf Jahre Haft für “Cumhuriyet”-Journalisten
(sueddeutsche.de, Mike Szymanski)
Was befürchtet wurde, ist traurige Realität geworden: In der Türkei wurden die regierungskritischen Journalisten Dündar und Gül am Freitagabend zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Die Journalisten hatten über angebliche Waffenlieferungen der Türkei an Islamisten in Syrien berichtet. Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan hatte darauf persönlich Anzeige erstattet und trat im Prozess als Nebenkläger auf. Kurz vor Verkündung des Urteils kam es zu einem Attentatsversuch auf Dündar, der jedoch unverletzt blieb (ein Berichterstatter erlitt einen Streifschuss).

3. Enthüller im Visier
(taz.de, René Martens)
Der Regisseur Daniel Harrich hat für seine Recherchen zu illegalen Waffenexporten vor wenigen Wochen einen Grimme-Preis erhalten. Seine Arbeit, und die seines Teams, hatte dazu geführt, dass die Staatsanwaltschaft Stuttgart Ermittlungen gegen sechs frühere Verantwortliche der Rüstungsfirma Heckler & Koch einleitete. Nun wird bekannt, dass die Staatsanwaltschaft auch gegen ihn ermittelt, wegen der widerrechtlichen Veröffentlichung von Dokumenten gemäß §353d StGB. “Taz”-Autor Martens kommentiert: “Folgt man der Logik des Paragrafen, hätten die ARD-Journalisten mit der Verwendung des selbst beschafften Materials warten müssen, bis die Staatsanwaltschaft in die Gänge kommt. Die brauchte fünfeinhalb Jahre, ehe sie Anklage erhob.”

4. Gemartert
(tagesanzeiger.ch, Michèle Binswanger)
Die berühmte Whistleblowerin Chelsea Manning (ehemals Bradley Manning) beschreibt für den “Guardian” die Folter der Isolationshaft. Manning hatte hunderttausende von Geheimdokumenten kopiert und an Wikileaks übergeben und wurde dafür zu 35 Jahren Haft verurteilt. 11 Monate musste sie in Isolationshaft verbringen und dabei Torturen über sich ergehen lassen, die von Amnesty International und dem UNO-Beauftragten für Folter stark kritisiert wurden. Manning sagt dazu: “Es ist eine Folter ohne Berührung. Wir sollten sie nicht weiterführen.”

5. Bumsti & die Lügenpresse
(noemix.twoday.net)
Blogger “Nömix” ärgert sich: Alle Jahre wieder werde vom Bundeskriminalamt Österreichs eine aktuelle Kriminalstatistik veröffentlicht, und alle Jahre wieder werde in Österreichs “auflagenzweitstärkster Gratis-Volksinformationspostille der altbekannte Lügenscheiß” berichtet. Während die Kriminalitätstatistik einen Rückgang verzeichne, mache das Kostenlosblatt “Österreich” mit “Kriminalität stark gestiegen – Österreich wird immer gefährlicher” auf.

6. Berits Werbesprechstunde
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Boris Rosenkranz von “Übermedien” erklärt in dreieinhalb vergnüglichen Minuten, was es mit der Sendung “Meine Gesundheit” auf RTL auf sich hat.

Diskursvergifter, Auf Vivasehen!, Google befeuert Podcasts

1. “Echt guter Auftritt”
(zeit.de, Christopher Lauer)
Sind politische Talkshows ein Segen oder ein Fluch für die Demokratie? Muss man sie gar einstellen? Gegen die letzte Forderung wandte sich letzte Woche Sandra Maischberger in der “Zeit” und verteidigte, nicht ganz uneigennützig, das Format. Darauf antwortet nun Christopher Lauer, der Talkshows als Zuschauer, aber auch als Teilnehmer kennt. Lauer ruft zu einer Diskussion über die demokratische Kontrolle der Plauderrunden auf: “Einer solchen Debatte müssen sich auch die Macherinnen und Macher von Talkshows stellen. Es sei denn, um bei Sandra Maischberger zu bleiben, sie haben Angst vor Streit.”

2. Warum Googles neue App mehr ist als ein Podcast-Programm
(t-online.de, Marc Krüger)
Marc Krüger hat für “T-Online” aufgeschrieben, warum Googles neue Podcast-App eigentlich keine richtige App ist, sondern eine neue Strategie: “Google hat nicht nur eine neue App veröffentlicht, sondern eine neue Chance geschaffen, Podcasts und Audios im Internet zu finden. Damit wird die Dominanz von Text und Video vielleicht nicht beendet, aber es gibt eine neue Bühne für alle, die Podcasts hören, entdecken oder machen wollen. Dass Google dabei das Quasi-Monopol von Konkurrent Apple angreift, könnte ein willkommener Nebeneffekt sein.”

3. Wir sagen auf Vivasehen!
(faz.net)
25 Jahre nach seiner Gründung stellt der Musiksender Viva sein Programm ein: Zum Jahresende ist Schluss! Bei der “FAZ” verabschieden sich einige Redakteure und Redakteurinnen mit persönlichen Erinnerungen an den Musiksender. Und auch Anne Fromm von der “taz” erinnert mit einem persönlichen Nachruf an den Musiksender.
Weiterer Lesetipp: “Horizont” hat mit dem Viacom-Manager Mark Specht darüber gesprochen, warum und wie es ohne Viva weitergeht: Viacom stellt Viva ein (Juliane Paperlein)

4. 800 Millionen Twitter-Beiträge analysiert: Abends wirds emotional und impulsiv
(heise.de)
Forscher der Universität Bristol haben 800 Millionen Tweets mit insgesamt sieben Milliarden Worten ausgewertet und kategorisiert. Dabei sind ihnen zeitliche Zusammenhänge aufgefallen: So gehe es morgens rationaler und gesitteter und abends emotionaler und impulsiver zu.

5. Face­book und die Toten
(lto.de, Bastian Biermann)
Seit Jahren streitet eine Mutter mit Facebook um den Zugang zum Facebook-Account ihrer verstorbenen Tochter. Nun bahnt sich die Entscheidung an: Am 12. Juli spricht der BGH sein Urteil. Es geht dabei auch um den Konflikt zwischen Erbrecht und Telekommunikationsrecht. Der Autor und Jurist Bastian Biermann hat am Ende seiner Einordnung einen wichtigen Tipp parat: “Solange es nur bei der Rechtsprechung des BGH bleiben sollte und sich Provider ohne ausdrücklicher gesetzlicher Regelung weiterhin zur Herausgabe von Daten des Erblassers weigern sollten, ist es unvermeidbar, sich zu Lebzeiten zu überlegen, ob und wem die eigenen Daten — sowohl im Falle des Eintritts einer Geschäftsunfähigkeit als auch im Falle des Todes — zur Verfügung stehen sollen.”

6. Roseanne soll ohne Roseanne weitergehen
(sueddeutsche.de)
Roseanne soll ohne Roseanne weitergehen? Nicht ganz, aber der amerikanische TV-Sender ABC plant einen Spinoff, der sich um den Rest der fiktiven Familie Conner drehen soll. Die ehemalige Hauptdarstellerin habe dem Projekt unter Verzicht etwaiger finanzieller Ansprüche zugestimmt, um die Jobs der rund 200 Ensemble- und Crewmitglieder zu retten.

Lästige Prozesswelle, Klöckner-Video wohl Schleichwerbung, Todes-Drama!

1. Euros für Ärzte: CORRECTIV wehrt sich gegen Prozesswelle
(correctiv.org, Frederik Richter)
Es ist wahrlich eine verrückte Geschichte, die der stellvertretende “Correctiv”-Chef Frederik Richter erzählt. Ein Berliner Anwalt überziehe “Correctiv” und “Spiegel Online” wegen der Datenbank “Euros für Ärzte” mit einer beispiellosen Prozesswelle. Mit jedem der nahezu identischen Schriftsätze trete er irgendwo in Deutschland vor Gericht an und kassiere eine Niederlage. Es gäbe bereits 53 Urteile für “Correctiv” und 83 Urteile für “Spiegel Online”. Was sich unsinnig anhört, kann aus der Sicht des Anwalts jedoch sinnvoll sein: Er kassiert jedesmal nicht nur eine Niederlage, sondern auch das Geld seiner Mandanten beziehungsweise das ihrer Versicherungen. Für die betroffenen Redaktionen gestaltet sich die Sache jedoch weitaus weniger attraktiv, denn neben der vielen Arbeit besteht ein erhebliches finanzielles Risiko.

2. Niemand sieht Dein YouTube-Video
(heise.de, Daniel AJ Sokolov)
Nach den Erhebungen der Video- und Musiksuchmaschine Pex würden nur 0,64 Prozent aller Youtube-Videos mehr als 100.000 Zugriffe erreichen. Diese seien jedoch für mehr als vier Fünftel des Traffics verantwortlich. Daniel AJ Sokolov konstatiert: “Mehr als 99 Prozent aller gehosteten Videos könnte YouTube theoretisch löschen, ohne nennenswerte Umsatzeinbußen zu erleiden — denn diese Videos schaut sowieso fast niemand an.”

3. Bundesweit Razzien wegen Hasskommentaren im Internet
(zeit.de)
Anlässlich des dritten Aktionstags zur Bekämpfung von Hasspostings (das Bundeskriminalamt (BKA) spricht vom vierten Aktionstag) ist die Polizei in 13 Bundesländern gegen Hasskommentierer vorgegangen, hat Wohnungen durchsucht und Verdächtige vernommen. Laut BKA ließen sich 77 Prozent der Hasspostings dem rechtsextremen Spektrum zuordnen, 14 Prozent entsprängen unterschiedlichen Ideologien und neun Prozent würden aus dem linksextremen Milieu stammen.

4. Wendepunkt am Buchmarkt 2018: Verlage und Buchhandlungen entwickeln erfolgreich Wege zum Leser
(boersenverein.de)
Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels blickt auf ein positives Jahr 2018 zurück. Die Zahl der Buchkäufer sei erstmals seit 2012 wieder gestiegen. Die Branche habe vergangenes Jahr ihren Umsatz gehalten und sei mit Zuwächsen ins Jahr 2019 gestartet. Der stationäre Buchhandel sei immer noch für rund 47 Prozent Buchverkäufe verantwortlich. Den stärksten Umsatzzuwachs habe es bei Sachbüchern gegeben (+5,5 Prozent).

5. “Sie hätte das Posting als Werbung kennzeichnen müssen”
(deutschlandfunk.de, Sebastian Wellendorf)
Kurz nachdem die Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner ihr umstrittenes Nestlé-Video veröffentlichte, tauchte die Frage auf, ob es sich dabei um Werbung beziehungsweise Schleichwerbung handele. Der “Deutschlandfunk” hat dazu den Medienanwalt Christian Solmecke nach dessen Einschätzung befragt: “Es gibt zwar unterschiedliche Urteile der verschiedenen Gerichte zum Thema Schleichwerbung, aber hier hat sich Frau Klöckner ausnahmslos positiv zugunsten eines Unternehmens ausgesprochen, und da muss man auch, gerade wenn man die Influencer-Urteile der letzten Monate ins Kalkül zielt, sagen, ja, sie hätte das Posting als Werbung kennzeichnen müssen.”

6. “Neue Post”: Schwerer Abschied von Roland Hag
(uebermedien.de, Mats Schönauer & Boris Rosenkranz, Video: 4:14 Minuten)
Todes-Drama bei der “Neuen Post”! Chefredakteur Roland Hag verlässt das Blatt. Sterben damit nun auch all die Lügen- und Quatschgeschichten, mit denen die Leserinnen und Leser 25 Millionen Mal im Jahr hinters Licht geführt werden? Keiner kann darauf eine schönere Antwort geben als Mats Schönauer und Boris Rosenkranz in diesem Video. Überaus gut angelegte vier Minuten vor dem Start ins Wochenende.

Dünnbartbohrer, Heimliches Strategiepapier, Falscher Tod

1. Exklusiv: Deutschlands beste Corona-Ticker
(kress.de, Christian Lindner)
Medienberater Christian Lindner stellt 15 beispielhafte Corona-Ticker vor. Sein Überraschungssieger: Der Corona-Feed der “Hamburger Morgenpost”. “Total regional, stimmig, kraftvoll, nüchtern im Sound und optisch perfekt.”
Wie es um Europas Presse in Zeiten der Pandemie steht, berichten “SZ”-Korrespondenten aus sechs Ländern. Angenehm kurze Infohäppchen der Auslandsreporterinnen und -reporter.
Doch wie wirkt sich die Corona-Krise im Inland aus? Gregory Lipinski hat sich für “Meedia” bei den großen Verlagshäusern umgeschaut. Nach Bertelsmann, Funke, SWMH und “Zeit”-Verlag wolle jetzt auch Axel Springer zumindest partielle Kurzarbeit anmelden. Und auch beim “Tagesspiegel” werde es wegen massiver Anzeigenrückgänge bald Kurzarbeit geben.
Im Podcast “Unter Zwei” von Levin Kubeth geht es ebenfalls um Die Herausforderungen der Coronakrise. Kubeth hat, wie so oft, hochkarätige Interviewgäste aus der Medienbranche in der Sendung.
Die “taz” plant eine Sonderausgabe für und gefüllt durch freie Fotografen und Fotografinnen: “Die taz wird am Donnerstag, Gründonnerstag Dokumente dieser Zeit aufbereiten — Dokumente, die uns unsere Fotograf:innen selbst bereitstellen, als visuelle Zeitzeug:innen.”
Beim “Fachjournalist” gibt es ein Interview mit dem Datenjournalisten Marcel Pauly vom “Spiegel”: “Die Coronakrise dominiert den Arbeitsalltag aller Datenteams”.
Lesenswert ist zudem Dennis Horns Einordnung der Medienkritik des Virologen Christian Drosten.
Und wer nach all den Corona-News etwas Abstand und Ablenkung braucht: Die “Süddeutsche” hat eine tolle Zusammenstellung von Kulturlinks: Konzerte, Lesungen und Kunst von zu Hause erleben.

2. Der Dünnbartbohrer
(neues-deutschland.de, Christian Y. Schmidt)
Christian Y. Schmidt ärgert sich über die journalistische Begleitung der Corona-Krise durch den Wirtschaftsjournalisten Gabor Steingart in dessen Newsletter: “Seit 2018 verschickt er per E-Mail ein sogenanntes ‘Morning Briefing’, eine Art ‘Breitbart light’ für Wirtschaftsliberale, das stilistisch den schmalen Grat zwischen Claas Relotius und Franz Josef Wagner auslotet. ‘Dünnbart’ wäre kein schlechter Name. Für den Verfasser aber müsste man aufgrund seiner Corona-Verlautbarungen ebenfalls eine neue Bezeichnung finden. Am besten würde eine passen, die ich hier nicht hinschreibe, denn ich habe keine Lust, mich von Steingart verklagen zu lassen.”

3. Veröffentlicht die Dokumente!
(uebermedien.de, Arne Semsrott)
In der Presselandschaft zirkuliert ein vertrauliches Strategiepapier des Bundesinnenministeriums zum Umgang mit der Corona-Pandemie. Viele Medien hätten sich aus dem 17-seitigen Papier unterschiedliche Aspekte herausgepickt und würden daraus zitieren. Obwohl das Strategiepapier bereits in der Branche kreise, weigere sich das Innenministerium, es auch anderen Journalistinnen und Journalisten auf Basis des Pressegesetzes herauszugeben. Arne Semsrott ist deshalb initiativ geworden: “Es über das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) zu bekommen, würde sich einen Monat hinziehen, viel zu lange. Und auch kein Sender, kein Verlag hat das Papier bisher veröffentlicht. Deshalb haben wir von ‘FragDenStaat’ das gemacht.”

4. Umstrukturierung als Mentalitätswandel
(deutschlandfunk.de, Daniel Bouhs, Audio: 5:21 Minuten)
Der Hessische Rundfunk befindet sich mitten in der Transformation. Das betrifft sowohl die Personalstruktur als auch die Inhalte und Ausspielwege. Es ist eine gewaltige Herausforderung, denn die Änderungen finden an vielen Stellen gleichzeitig statt, und die Corona-Krise verlangt dem Sender Weiteres ab. Daniel Bouhs hat sich die Reformanstrengungen näher angeschaut.

5. Konkurrenz mit Sonntags-Talks
(sueddeutsche.de)
Neulich lagen ARD und ZDF im Clinch wegen zeitgleich laufender Nachrichtensendungen, nun sollen parallel angesetzte Polit-Talkshows für Unmut sorgen. Spezial-Talkshowausgaben rund um das Coronavirus mit Maybrit Illner (ZDF) kollidierten mit dem festen Sendetermin ihrer ARD-Kollegin Anne Will.

6. Korrektur: Meldung zum Tod von Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger war falsch
(nzz.ch)
Die “Neue Zürcher Zeitung” (“NZZ”) ist offenbar auf einen berühmt-berüchtigten Twitter-Hoaxer hereingefallen, der sich als “Suhrkamp Verlag” ausgegeben und den angeblichen Tod des Schriftstellers Hans Magnus Enzensberger verkündet hatte.
Weiterer Lesehinweis: Felix Neumann hat mit dem Mann Kontakt aufgenommen, der sich als Politiker, Bischof und Künstler ausgebe: Tommasso Debenedetti – “Meisterfälscher” und Papst-Serienmörder (katholisch.de).
PS: Die “NZZ”-Redaktion wäre besser gefahren, wenn sie Neumanns 4 Strategien gegen Twitter-Fakes gelesen hätte, bevor sie die Falschnachricht ungeprüft weiterverbreitete. Ein Artikel für den digitalen Handwerkskoffer und die ewige Bookmarkliste.

Neue Narrative der “Querdenker”, Umzug nach Riga, Informationskrieg

1. Mehr als einhundert Journalisten haben Land verlassen
(reporter-ohne-grenzen.de)
Reporter ohne Grenzen appelliert an die Bundesregierung, russische Journalistinnen und Journalisten unbürokratisch aufzunehmen: “Durch seine drakonischen Zensurmaßnahmen hat der Kreml seit Beginn des Angriffs auf die Ukraine eine große Zahl unabhängiger Journalistinnen und Journalisten zur Flucht ins Ausland gezwungen. Die deutsche Bundesregierung, aber auch die Regierungen benachbarter Staaten müssen diese Medienschaffenden unbürokratisch aufnehmen und ihnen Schutz bieten.”

2. Pro-russische Propaganda: Die “Querdenken”-Szene findet neue Narrative
(deutschlandfunk.de, Pia Behme & Mirjam Kid, Audio: 6:59 Minuten)
Wie kommt es, dass die “Querdenker”-Szene so empfänglich für pro-russische Propaganda ist? Die Journalistin und Publizistin Ingrid Brodnig hat eine Vermutung: “Diese Szene braucht Anschlusserzählungen, über die man sich dann wieder aufregen kann. Da ist zum einen das Klima-Thema interessant. Aber auch Russland, weil ich da wieder eine Wahrheit gegen den Mainstream habe, die ich verbreiten kann. Es kann auch eine Überlebensstrategie für die Szene sein, sich neue Themen zu erarbeiten.”

3. Wie die Deutschen in den ersten Kriegstagen fernsahen
(rnd.de)
Die von den Fernsehsendern mit der Ermittlung der Einschaltquoten beauftragte AGF Videoforschung hat auf Anfrage der dpa den Fernsehkonsum in Deutschland in der ersten Kriegswoche im Vergleich zu den Vorwochen ausgewertet. Vor allem die Nachrichtensender hatten starken Zulauf, aber auch das Interesse an den Onlineangeboten und Sozialen Netzwerken war groß. ARD und ZDF hätten bei der jüngeren Zielgruppe punkten und deutlich zugelegen können.

Bildblog unterstuetzen

4. “Man muss die Risiken abwägen”
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Mathias Bölinger berichtet seit Anfang Januar für die Deutsche Welle aus der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Im Interview mit dem “Tagesspiegel” erzählt er von seiner schwierigen Arbeitssituation, von Einschränkungen, aber auch von der Unterstützung durch Bewohner und ukrainischen Staat.

5. DW: Berichterstattung künftig aus Lettland nach Schließung des Moskauer Studios
(dw.com)
Die Deutsche Welle (DW) verlegt ihren russischen Auslandsstandort von Moskau ins lettische Riga. Der Kreml hatte den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der DW zuvor die Presseakkreditierungen entzogen. Intendant Peter Limbourg verspricht: “Wir werden weiterhin alles technisch und organisatorisch Mögliche tun, um unser Publikum in Russland und weltweit mit wichtigen Informationen zu versorgen. Wir setzen weiterhin auf eine unabhängige, objektive Berichterstattung. Auch wenn unser Internetauftritt und die meisten Sozialen Medien von der Regierung Putin in den vergangenen Tagen blockiert wurden, gibt es für interessierte Menschen in Russland vielfältige Wege der Zensurumgehung.”

6. “Wenn man nicht in diesem Fall Pro­pa­ganda ver­bietet, wann dann?”
(lto.de, Annelie Kaufmann)
Tobias Keber ist Professor für Medienrecht und Medienpolitik. Im Interview mit “Legal Tribune Online” erläutert er sein Verständnis eines “Informationskriegs” und erklärt, wie im Kriegsfall die Informations- und Meinungsfreiheit verloren gehen. Er bewertet auch die EU-Sanktionen gegen die russischen Staatsmedien “Russia Today” und “Sputnik”: “Als Medienrechtler sehe ich das kritisch, es ist schon eine sehr weitgehende Einschränkung der Informationsfreiheit, wenn ganze Sender verboten werden. Als Völkerrechtler halte ich es für richtig. Das Gewaltverbot ist der Kern der Nachkriegsordnung der internationalen Staatengemeinschaft. Der Einmarsch Russlands in die Ukraine ist ein so eklatanter Verstoß, wenn man nicht in diesem Fall den Völkerrechtbruch begleitende und ihn rechtfertigende Propaganda verbietet, wann dann?”