1. US-Regierung schränkt Zugang zum Weißen Haus für Journalisten ein (spiegel.de)
Die US-Regierung habe den Zugang für Journalistinnen und Journalisten zu den Büros der Pressesprecherin im Weißen Haus mit sofortiger Wirkung eingeschränkt. Als offizielle Begründung für die Maßnahme sei der Schutz sensibler Informationen genannt worden. Diese Verschärfung folge auf ähnliche Einschränkungen im Pentagon und einen bereits zuvor vollzogenen Ausschluss großer Nachrichtenagenturen aus dem ständigen Reporter-Pool.
2. Verwendet OE24 LLMs? (youtube.com, Mario Zechner, Video: 7:32 Minuten)
Mario Zechner untersucht in seinem Video, ob die österreichische Nachrichtenseite Oe24.at im großen Stil KI-Texte einsetzt, indem er ein verdächtiges Merkmal zählt: die sogenannten Doppelgeviertstriche, also lange Gedankenstriche. Diese würden von KI-Sprachmodellen häufiger verwendet als in redaktionellen deutschen Texten. Zechner hat für seinen Test Tausende Oe24.at-Artikel der vergangenen fünf Jahre heruntergeladen und ausgewertet. Und siehe da: Die Anzahl dieser Striche sei 2025 stark angestiegen, und zwar kurz nachdem Oe24.at eine hohe staatliche KI-Förderung erhalten habe.
Weiterer Lesetipp zur Medienlandschaft in Österreich: Medien am Oasch: “Die Inseratenpraxis und politische Abhängigkeiten stürzen österreichische Zeitungen in die Krise. Es drohen Insolvenz und Hunderte Stellenkürzungen.” (taz.de, Florian Bayer)
3. Leben ohne Lokalzeitung? Bericht aus Thüringen erschienen (netzwerkrecherche.org)
Das Netzwerk Recherche hat einen Zwischenbericht zum Dialogprojekt “Lückenfüller” veröffentlicht, der die Folgen des Rückzugs der gedruckten Lokalzeitung in der Region Greiz in Thüringen untersucht. Darin hätten die Autoren analysiert, welche Informationslücken entstanden sind, wie sich die Menschen nun stattdessen informieren und welche Erwartungen sie an den Lokaljournalismus haben.
4. Scharfe Kritik: Urheberallianz lehnt ZDF-Selbstverpflichtung ab (dwdl.de, Timo Niemeier)
Die “UrheberAllianz”, die Kreativ-Gewerke wie Kamera und Schnitt vertritt, lehne eine vom ZDF angekündigte “Selbstverpflichtung” zur Vergütung als mangelhaft ab. Zuvor seien jahrelange Verhandlungen ergebnislos geblieben. Das ZDF habe einen Schlichtungsvorschlag (PDF), der Wiederholungshonorare vorgesehen habe, abgelehnt. Die Verbände würden die Selbstverpflichtung des ZDF als “rechtlich nicht haltbar” kritisieren.
5. Social Media muss in Therapie (taz.de, Ann-Kathrin Leclère)
Ann-Kathrin Leclère stellt fest, dass die weltweite Nutzung von Social Media sinkt, da die Plattformen mit KI-generierten Inhalten überflutet würden und das Vertrauen der Nutzerinnen und Nutzer in die Beiträge schwinde. Sie vergleicht die Netzwerke mit einem “schlechten Freund”, der kaum noch sozial sei, sondern die Menschen nur noch durch aggressive Algorithmen und Shitstorms ermüde. Statt die Plattformen aufzugeben, fordert Leclère, sie “in Therapie zu schicken”.
6. Warum Pumuckls Stimme Sorgen auslöst (tagesschau.de, Helen Roth)
Im neuen Pumuckl-Film werde die Stimme des Kobolds mithilfe von Künstlicher Intelligenz so verändert, dass sie fast genauso wie die des verstorbenen Originalsprechers Hans Clarin klinge. Dies löse bei professionellen Synchronsprecherinnen und -sprechern wie Katrin Fröhlich, der deutschen Stimme von Cameron Diaz, große Besorgnis aus. Sie fürchten nicht nur um ihre Arbeitsplätze, sondern kritisieren auch die rechtliche Grauzone beim Stimmenklau sowie den künstlerischen Verlust.
Weiterer Gucktipp: Im Podcast “Hollywoodgeflüster” unterhält sich Charles Rettinghaus mit dem Schauspieler und Synchronsprecher Nicolas Böll: “Nicolas gibt ehrliche Einblicke in die Realität des Schauspiel- und Synchronberufs, spricht über den schmalen Grat zwischen Kreativität und Routine und darüber, wie man trotz aller Umstände die Freude an der Arbeit bewahrt.” (youtube.com, Video: 1:05:13 Stunden)
Hurra, Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Wochenendausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!
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1. Wie beeinflussen Influencer den politischen Diskurs? (uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 21:16 Minuten)
Holger Klein unterhält sich im “Übermedien”-Podcast mit Desiree Steppat von der Landesanstalt für Medien NRW. Die Landesanstalt hat untersucht, welche Inhalte politische Influencer zur Bundestagswahl 2025 auf Plattformen wie Instagram und TikTok verbreitet haben. Die Inhalte würden oft “sehr viel Meinung, sehr viel Emotion” transportieren und teils ein negatives Bild der Politik zeichnen.
2. Berichten Medien zu negativ über politische Debatten? (deutschlandfunk.de, Sascha Wandhöfer, Audio: 36:40 Minuten)
Im Deutschlandfunk (DLF) kommen regelmäßig Hörerinnen und Hörer zu Wort. Manchmal liefern sie sogar die Idee für eine ganze Sendung und tauschen sich darin mit Expertinnen und Experten aus. In dieser Folge des Podcasts “Nach Redaktionsschluss” geht es um die Frage, ob Medien zu negativ über politische Debatten berichten. DLF-Hörerin Gabriele Schmitz diskutiert darüber mit Medienforscher Tanjev Schultz und RTL/ntv-Hauptstadtkorrespondent Martin Schmidt.
3. Soziale Medien – Wir brauchen gemeinsame Öffentlichkeiten (ardaudiothek.de, Sibylle Salewski, Audio: 55:37 Minuten)
Der Medienwissenschaftler Pascal Schneiders erklärt in seinem Vortrag, dass klassische Nachrichtenmedien ihre Fähigkeit verlieren, eine gemeinsame Öffentlichkeit zu schaffen. Das Problem sei, dass sich der Journalismus der Logik von Social-Media-Plattformen anpassen müsse, diese aber auf individuelle Nutzerzufriedenheit statt auf Information abzielen würden. Diese “Plattformisierung” zerstöre durch individualisierte Algorithmen die gemeinsame Informationsgrundlage.
4. Medien rauben uns Lebenszeit. Wie wir uns wehren können (wind-und-wurzeln.podigee.io, Marina Weisband, Audio: 44:38 Minuten)
In dieser Folge des Podcasts “Wind und Wurzeln” spricht Marina Weisband mit der Neurowissenschaftlerin Maren Urner und Han Langeslag von “Perspective Daily”. Es geht dabei um die Frage, wie unsere Aufmerksamkeit funktioniert, und wie Medien diese Mechanismen gezielt ausnutzen. Das Gespräch mit Langeslag konzentriert sich darauf, wie der moderne Nachrichtenjournalismus unsere Aufmerksamkeit “triggert” und dadurch unsere Sicht auf die Welt negativ verändert.
5. Superinfluencer und Vertrauen – Zwanzig Trends für 2035 (spotify.com, Christian Jakubetz, Audio: 31:41 Minuten)
Christian Jakubetz spricht mit dem Autor und Digitalberater Thomas Knüwer über dessen neues Buch “20 Trends für 35”, also für das Jahr 2035. Knüwer argumentiert, dass viele Dinge, etwa die Energiewende oder das Comeback der deutschen Industrie (zum Beispiel im Bereich Robotik), besser würden, als es die aktuelle, von “Überangst” geprägte Debatte vermuten lasse. Ein weiteres zentrales Thema ist die Zukunft von Medien, bei der Knüwer eine massive Disruption durch “Superinfluencer” vorhersieht.
6. Games im Journalismus – verschenken Medien Potenzial? (br.de, Linus Lüring, Audio: 26:57 Minuten)
Linus Lüring hat auf den Medientagen München den Game-Design-Professor Clemens Hochreiter und den BR-Experten Matthias Leitner getroffen. Sie diskutierten darüber, warum deutsche Medienhäuser das große Potenzial von Computerspielen für den Journalismus kaum nutzen, obwohl fast 40 Millionen Menschen in Deutschland spielen. Thema war auch die neue Games-Strategie der ARD und die Frage, wie diese zum öffentlich-rechtlichen Auftrag passt.
1. Gute Noten für Erklärjournalismus (verdi.de)
Eine neue Studie der Otto-Brenner-Stiftung habe 853 Videos der politischen “funk”-Erklärformate “Die da oben!”, “Deutschland3000” und “MrWissen2go” analysiert. Die Untersuchung zeige, dass die Hosts eine zentrale Rolle einnehmen und in über 75 Prozent der Beiträge erklärende Inhalte mit ihrer persönlichen Meinung zu einem “Infopinion”-Journalismus vermischen. Die häufig geäußerte Kritik, die Formate seien parteipolitisch einseitig, bestätige die Studie nicht.
2. Wenn die russische Propaganda versucht, sich als Faktenchecks zu tarnen (cemas.io, Julia Smirnova)
Russische Staatsakteure würden gezielt die Sprache und Formate von Faktencheckern und Medienkompetenz-Programmen nachahmen, um sich Glaubwürdigkeit zu verschaffen und westliche Quellen zu diskreditieren. Diese Taktik, zu der auch Projekte wie “War on Fakes” und ein gefälschtes “Global Fact-Checking Network” gehören würden, solle Verwirrung stiften und Kreml-freundliche Narrative verbreiten.
3. Das trojanische Pferd des deutschen Kabaretts (setup-punchline.de, Bernhard Hiergeist)
Bernhard Hiergeist kritisiert den Kabarettisten Vince Ebert dafür, unter dem Deckmantel des “Wissenschaftskabaretts” schlampig recherchierte, reaktionäre und transfeindliche Inhalte zu verbreiten: “Er spannt Wissenschaft ein zum Zweck des Kulturkampfs und verkleidet diese Mischung als Sorge um Freiheit, Evidenzbasiertheit, Rationalität und Menschenrechte.” Hiergeists Kritik richtet sich auch scharf gegen den Deutschlandfunk, der Ebert in der Sendung “Querköpfe” unkritisch als mutigen, unangepassten Denker inszeniert habe.
4. Darum kampagnisieren die Gratismedien gegen Medienminister Babler (kobuk.at, Andrea Gutschi)
Andrea Gutschi wirft den österreichischen Gratiszeitungen “Heute” und “Oe24” vor, eine gezielte Kampagne gegen Medienminister Andreas Babler zu führen und ihn fälschlicherweise als “Totengräber der heimischen Medien-Szene” darzustellen. Der wahre Grund für die Angriffe sei, dass die neue Regierung die Staatsinserate massiv gekürzt habe. Dies treffe die stark anzeigenabhängigen Gratisblätter besonders hart. Babler wolle die zukünftige Medienförderungen an “Qualitätskriterien” binden.
5. Newsletter Netzwerk Recherche 250 vom 31.10.2025 (netzwerkrecherche.org, Greta Linde & Jonathan Sachse)
Wie immer eine Empfehlung wert, nicht nur für investigativ arbeitende Journalistinnen und Journalisten: der Newsletter des Netzwerk Recherche. Die aktuelle Ausgabe beginnt mit einigen Worten von Jonathan Sachse zum Teilabschied der “taz” von der gedruckten Ausgabe und dem Umstieg zur Digitalzeitung. Außerdem gibt es den gewohnten Überblick über medienrelevante Nachrichten, Veranstaltungen, Preise und Stipendien.
6. Welt plant neuen Talk und lädt falschen Sebastian Kurz ein (dwdl.de, Timo Niemeier)
Der Nachrichtensender “Welt” plane eine neue Talkshow namens “Burgard”, die von Chefredakteur Jan Philipp Burgard moderiert werden soll, und wollte dafür offenbar den ehemaligen österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz einladen. Versehentlich ging die Einladung jedoch an CDU-Politiker Sebastian Kurz, den Bürgermeister der Stadt Aichtal in Baden-Württemberg. Dieser habe auf Instagram eine Doppelfolge vorgeschlagen: “Zwei Sebastian Kurz in einem Studio – das wäre sicher ein Gespräch, das zwischen Rathausrealität und Weltpolitik auf angenehme Weise Brücken schlägt.”
2. Totalschaden abgewendet: Sachsen stimmt ÖRR-Reform zu (dwdl.de, Uwe Mantel)
Der neue Reformstaatsvertrag für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk habe im sächsischen Landtag kurz vor dem Scheitern gestanden. Erst nach einer 30-minütigen Beratungspause und einem dramatischen Appell von Ministerpräsident Michael Kretschmer habe es die erforderliche Mehrheit gegeben. Uwe Mantel kommentiert bei “DWDL”: “Ganz durch ist der Reformstaatsvertrag nun aber immer noch nicht. In Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen dürfte die Verabschiedung im Parlament kaum in Frage stehen, spannender wird es in Brandenburg. Dort bräuchte es die Ja-Stimmen des BSW, das in Sachsen nicht zugestimmt hat.”
3. Zu grün, zu links, zu einseitig? Was am ÖRR-Vorwurf dran ist (youtube.com, Konstanze Nastarowitz, Video: 44:38 Minuten)
Der Beitrag des NDR-Medienmagazins “Zapp” untersucht die weit verbreitete Kritik, der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei zu “links-grün” und biete zu wenig Meinungsvielfalt. Als zentrales Beispiel dient der Streit um das NDR-Format “Klar”, bei dem die Absetzung der als konservativ geltenden Moderatorin Julia Ruhs massive Vorwürfe von “Cancel Culture” auslöste. Eine Mainzer Studie sowie Medienexperten würden eine “leichte Schieflage” nach links und ein Defizit an konservativen Perspektiven bestätigen. Sie warnen aber auch davor, dass das Problem von Kritikern oft bewusst übertrieben dargestellt werde.
4. Ergötzen am Leid der anderen (taz.de, Sophia Fichtner)
Sophia Fichtner kritisiert die 30-jährige “Stern-TV”-Langzeitdoku über die Neonazi-Familie Ritter als voyeuristische Ausbeutung von Elend, Gewalt und Drogensucht. Aktueller Anlass ist ein Gerichtsprozess, bei dem Mitglieder der dritten Generation wegen einer brutalen, gefilmten Gewalttat verurteilt wurden. Fichtner wirft “Stern TV” vor, die rechtsextreme Ideologie der Familie (Hitlergrüße, Hetze) völlig unkritisch und ohne Einordnung zu zeigen und aus dem Elend der Ritters ein Geschäftsmodell zu machen.
5. “Diese Leute wollen in die Medienbranche, aber es war vom Lebenslauf her bis jetzt nicht möglich” (uebermedien.de, Annika Schneider, Audio: 46:34 Minuten)
Im “Übermedien”-Podcast “Nice & Nötig” spricht Annika Schneider mit Laura Bohné vom Bayerischen Rundfunk. Bohné leitet dort ein Talente-Programm, das gezielt Menschen mit nicht-akademischen oder “gebrochenen” Lebensläufen in den Journalismus holen soll. Die beiden diskutieren darüber, warum diese Vielfalt für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk notwendig ist und wie diese neuen Talente den Redaktionsalltag und die Themenwahl im Sender konkret verändern.
6. Naomi Seibt beantragt offenbar Asyl in den USA (spiegel.de)
Die AfD-nahe und rechtsextreme Influencerin Naomi Seibt habe laut Medienberichten in den USA Asyl beantragt. Gegenüber dem US-Sender Fox News habe die 25-Jährige behauptet, sie werde in Deutschland von Geheimdiensten überwacht und werde nicht ausreichend vor der Antifa geschützt. Seibt habe in der Vergangenheit rechtsextreme Verschwörungsmythen verbreitet und sei auch von US-Thinktanks sowie Elon Musk unterstützt worden.
7. Neue Netflix-Doku: “Babo: Die Haftbefehl-Story” (radioeins.de, Lorenz Meyer, Audio: 4:11 Minuten)
Zusätzlicher Link, da in eigener Sache: Bei radioeins kritisiert der “6-vor-9”-Kurator die neue Doku über den Rapper Haftbefehl bei Netflix: “Die Doku inszeniert sich als ‘roh’ und ‘ungeschönt’, läuft aber mit schmalziger Musik und manipulativem Schnitt. Sorry, aber das ist kein Dokumentarfilm, das ist ein Trauma-Porno mit Klarlack drüber.”
1. Elon Musk bringt Wikipedia-Alternative an den Start (spiegel.de)
Elon Musk habe mit “Grokipedia” eine eigene Alternative zur Online-Enzyklopädie Wikipedia gestartet. Obwohl Musk behaupte, seine Seite sei bereits “besser als Wikipedia”, befinde sich das Projekt noch in einem sehr frühen Rohbau-Zustand. Zudem scheinen viele Artikel von Wikipedia kopiert worden zu sein. Kritiker bemängeln, dass die Enzyklopädie bereits jetzt Musks rechte Ansichten widerspiegele und unklar sei, wie der versprochene Faktencheck durch die KI “Grok” funktioniert.
Weiterer Lesetipp: Danke, liebe Schwarmintelligenz: “Wikipedia feiert bald sein 25-jähriges Bestehen. In Zeiten von KI und Fake News zeigt die Enzyklopädie: Wissen ohne Menschen bleibt verletzlich und unvollständig.” (taz.de, Luisa Faust)
2. Nachrichtenkonsum fördert die Demokratie (verdi.de)
Obwohl die Mehrheit der Menschen in Deutschland regelmäßig Nachrichten nutze, meide laut einer Studie des Reuters Institute ein wachsender Anteil von 71 Prozent diese zumindest gelegentlich aktiv. Eine Schweizer Studie des Forschungszentrums Öffentlichkeit und Gesellschaft (PDF) stelle fest, dass fast die Hälfte der dortigen Bevölkerung als “News-Deprivierte” gelte, die kaum Nachrichten konsumieren. Die Forscher warnen, dass diese Gruppe nicht nur über weniger politisches Wissen verfüge, sondern sich auch seltener an Wahlen beteilige.
3. Wann sind Hausdurchsuchungen zulässig? (lto.de, Max Kolter)
Bei “Legal Tribune Online” schreibt Max Kolter über die Frage, ob Hausdurchsuchungen wegen möglicherweise strafbarer Internet-Posts, wie kürzlich im Fall von Norbert Bolz, verhältnismäßig sind. Das Hauptproblem sei, dass Ermittler die Geräte, beispielsweise Handys oder Computer, finden müssen, um die Urheberschaft eines Posts zu beweisen. Als milderer Mittelweg werde eine sogenannte Abwendungsbefugnis eingesetzt, bei der die Beamten zwar erscheinen, der Beschuldigte die Durchsuchung aber durch freiwillige Herausgabe verhindern kann.
4. Wenn Berlusconi kocht, schmeckt die Suppe nicht (taz.de, Steffen Grimberg)
Nach seiner Übernahme von ProSiebenSat.1 habe Pier Silvio Berlusconi sofort den gesamten Vorstand ausgetauscht, was der Ex-Finanzchef als Ende der Eigenständigkeit der Sendergruppe bezeichne. Medienstaatsminister Wolfram Weimer habe daraufhin die Münchner Medientage genutzt, um Berlusconi öffentlich zu ermahnen, sein Versprechen einzuhalten, sich nicht journalistisch einzumischen. “taz”-Kolumnist Steffen Grimberg nutzt Berlusconis eigenen Vergleich vom Fernsehen mit Kochen und stellt fest, dass die Suppe bereits “angebrannt” sei und “furchtbar schmeckt”.
5. Die «Sonntags-Zeitung» hat ein Herz für die Reichen (infosperber.ch, Marco Diener)
Marco Diener wirft der Schweizer “Sonntags-Zeitung” vor, nicht objektiv zu berichten, sondern gezielt Stimmung gegen eine Erbschaftssteuer-Initiative zu machen. Als Beleg nennt er ein aktuelles, unkritisches Interview zu einer acht Monate alten Studie, die von den Gegnern der Initiative in Auftrag gegeben worden sei und spekulative Schreckensszenarien verbreite.
6. Future of Search – Wie KI unsere Internetsuche verändert (ardaudiothek.de, Christine Auerbach, Audio: 27:06 Minuten)
Auf den Münchner Medientagen hat Christine Auerbach mit Uli Köppen (Bayerischer Rundfunk) und Wolfgang Kerler (Denkfabrik 1E9) über die Zukunft der Internetsuche diskutiert. Es geht um die Frage, wie KI-generierte Ergebnisse die Internetsuche dominieren und wie dies dazu führt, dass Medienhäuser weniger Besucherinnen und Besucher auf ihren Webseiten haben: “Wie müssen Suchende und Medienhäuser darauf reagieren? Und wie verändert KI unser Wissensmanagement?”
1. In Gaza getöteter Ingenieur war Hamas-Mitglied – Unionspolitiker kritisieren ZDF (spiegel.de)
Das ZDF habe bestätigt, dass ein kürzlich in Gaza getöteter Mitarbeiter einer Partnerproduktionsfirma Mitglied der Terrororganisation Hamas gewesen sei. Führende Unionspolitiker würden dies als “Skandal” kritisieren und vom öffentlich-rechtlichen Sender eine lückenlose Aufklärung fordern. Das ZDF habe die Zusammenarbeit mit der Produktionsfirma bis auf Weiteres eingestellt. Der Sender habe betont, dass der Mann nicht journalistisch tätig gewesen sei.
2. Ermittlungen gegen “Nius”-Chefredakteur Reichelt (taz.de)
Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittele gegen den heutigen “Nius”- und früheren “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt wegen des Verdachts der Volksverhetzung. Grund sei ein Beitrag auf X (vormals Twitter), in dem Reichelt behauptet habe, die deutsche Polizei werde “unterwandert” und bald “arabisch dominiert” sein. Reichelt habe seine Aussage als seine Meinung verteidigt und dabei auf Berichte über kriminelle Polizisten mit Migrationshintergrund verwiesen. Nachtrag, 31. Oktober: Die Staatsanwaltschaft Berlin hat die Ermittlungen gegen Julian Reichelt eingestellt, der Anfangsverdacht habe sich nicht erhärtet.
3. Aktenzeichen X (arminwolf.at)
Der bekannte österreichische Journalist und Fernsehmoderator Armin Wolf hat nach eigener Aussage den Kurznachrichtendienst X angezeigt: “Ich weigere mich einfach, zu akzeptieren, dass X (vormals Twitter), eine der größten und einflussreichsten Social-Media-Plattformen der Welt, einschlägige Gesetze in Österreich und der EU nicht nur ignoriert, sondern ganz offen verhöhnt und sich der Justiz entzieht.”
4. Neues Geschäftsmodell? Journalismus als Ich-AG (ardaudiothek.de, Thomas Bimesdörfer & Christoph Borgans, Audio: 17:20 Minuten)
Wie können sich Journalistinnen und Journalisten abseits der etablierten Medien eine eigene Leserschaft aufbauen? Darüber sprechen Thomas Bimesdörfer und Christoph Borgans bei “Medien – Cross und Quer” mit Nils Minkmar, deutsch-französischer Journalist, Historiker und Publizist. Minkmar kann auf entsprechende eigene Erfahrungen zurückgreifen: Einmal die Woche versendet er seinen Newsletter “Der siebte Tag”.
5. Social-Media-Nutzung sinkt – aber die KI wächst auf diesen Apps (steady.page, Ingrid Brodnig)
Ingrid Brodnig berichtet in ihrem Newsletter über die seit 2022 sinkende Nutzungszeit auf Social Media. Viele Menschen seien ernüchtert und würden weniger posten. Gleichzeitig nehme die Menge an billig produzierten KI-Inhalten, sogenanntem “AI Slop”, auf den Plattformen stark zu. Brodnig vermutet, dass die Konzerne diese KI-Inhalte nutzen, um die Feeds trotz sinkender Nutzeraktivität lebendig wirken zu lassen.
6. “Wir gehen massiv ins Risiko, nur eben an anderer Stelle” (dwdl.de, Alexander Krei)
Im Interview mit dem Medienmagazin “DWDL” spricht YouTube-Deutschlandchef Andreas Briese über das Verhältnis zu klassischen Medien und die Notwendigkeit einer plattformübergreifenden Erfolgsmessung. Er hob hervor, dass die detaillierten Daten, die YouTube seinen Partnern biete, weit über die Aussagekraft der traditionellen TV-Quote hinausgehen würden: “Bei uns kann ein Content Creator sehen, wer was wann wie gesehen hat, wann Zuschauer*innen ein- und wann wieder ausgestiegen sind, oder über welche Suchbegriffe sie/er reingekommen sind, welche Szenen gut funktioniert haben, wie sein bzw. ihr Video im Ausland gelaufen ist und welche Zielgruppe es gesehen hat. Wir sagen immer, unsere Creator sind tagsüber Kreative und in der Nacht Daten-Analyst*innen.”
1. ZDF manipuliert Umfrage: Mehrheit widerspricht Merz (volksverpetzer.de, Frederik Mallon)
Frederik Mallon wirft Bundeskanzler Friedrich Merz vor, mit seiner “Stadtbild”-Aussage rassistische Stimmung zu machen, und beschuldigt das ZDF, Merz mit einer manipulativen Umfrage zu unterstützen. Das ZDF habe fälschlicherweise getitelt, die Mehrheit stimme dem Kanzler zu, obwohl die tatsächliche Umfragefrage irreführend und mehrdeutig gestellt gewesen sei. Mallon zufolge belegen zudem andere Daten derselben ZDF-Umfrage das Gegenteil: Die Mehrheit fühle sich sicher und habe keine Probleme mit Geflüchteten.
Weiterer Lesehinweis: Das ZDF hat auf die vielerorts vorgetragene Kritik an der Umfrage reagiert: “Wir stellen uns jeder inhaltlichen Kritik” (zdfheute.de)
2. Merz’ Stadtbild-Aussage aus Mitschrift gestrichen: Was besagt das Neutralitätsgebot (correctiv.org, Gabriele Scherndl)
Wie “Correctiv” berichtet, sei die Aussage von Friedrich Merz über ein angeblich “problematisches Stadtbild” aus der offiziellen Mitschrift auf der Kanzler-Website entfernt worden. Die Regierung habe dies mit dem Neutralitätsgebot begründete, da Merz als Parteichef gesprochen habe. Diese Praxis der Streichung sei jedoch unüblich, wie Experten bestätigen würden.
3. Sarkasmus schützt nicht vor Strafe (lto.de, Max Kolter)
Da er in einem Social-Media-Post eine verbotene NS-Parole verwendet habe, werde nun gegen den Medienwissenschaftler und “Welt”-Kolumnisten Norbert Bolz ermittelt. Das Vorgehen und der erlassene Durchsuchungsbeschluss seien öffentlich stark kritisiert worden. Da Bolz kooperiert habe, sei es jedoch zu keiner Hausdurchsuchung gekommen. Die Ermittlungen entsprächen jedoch der gängigen Rechtsprechung, erklärt Max Kolter in seinem Beitrag, da Ironie oder Sarkasmus bei der Verwendung von NS-Kennzeichen laut Gesetz meist nicht vor einer Strafe schützen.
4. Kommt jetzt eine Klagewelle gegen ARD und ZDF? (uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 23:34 Minuten)
Im “Übermedien”-Podcast spricht Holger Klein mit Felix W. Zimmermann, Jurist und Chefredakteur von “Legal Tribune Online”. Thema ist ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das Klagen gegen den Rundfunkbeitrag wegen möglicher Einseitigkeit von ARD und ZDF erlaube. Zimmermann erklärt, warum er dennoch keine Klagewelle erwartet und das Urteil für die öffentlich-rechtlichen Sender sogar ein Vorteil sein könnte.
6. Babel in der Wüste (taz.de, Ann-Kathrin Leclère)
Ann-Kathrin Leclère beschreibt Dubai als modernes Babel, das Influencer mit einer glamourösen Fassade und Steuervorteilen anlocke. Diese glänzende Inszenierung verschleiere jedoch die Realität der Stadt, die auf der Ausbeutung von Gastarbeitern sowie auf harter Kontrolle und Repression basiere. Die (bislang unbestätigte) Verhaftung des deutschen Influencers Simon Desue zeige exemplarisch die Gefahren hinter diesem Traum: Desue drohe die Todesstrafe.
Hurra, Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Wochenendausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!
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1. Rechte oder linke Medienmacht? (youtube.com, Ole Nymoen & Wolfgang M. Schmitt, Video: 45:56 Minuten)
“Ist die Meinungsfreiheit bedroht? Ja, wobei zugleich zu sagen ist: Gesetze muss man dafür gar nicht ändern. Meinung kann man wunderbar steuern, wenn man viel Geld hat und dieses sich mit politischer Macht verbindet.” In der neuesten Folge von “Wohlstand für Alle” sprechen Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt über die sich immer mehr zusammenballende Medienmacht einiger weniger, reicher Männer.
Weiterer Gucktipp: Trumps Freunde schalten jetzt die Medien gleich! (youtube.com, Der Dunkle Parabelritter, Video: 33:48). Ebenfalls hörenswert ist Sascha Pallenberg mit Bluesky ist tot – Wie Trump das Netzwerk kapert (youtube.com, Audio: 39:50). Und wer nochmal einen tollen und kurzweiligen Abriss über Trump und den “Trumpismus” bekommen will, der die großen Zusammenhänge herstellt, dem sei der Vortrag von Michael Hochgeschwender empfohlen, Professor für Nordamerikanische Kulturgeschichte, Empirische Kulturforschung und Kulturanthropologie im Amerika-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München. (youtube.com, Video: 1:27 Stunden)
2. Vom Landtag ins Weiße Haus – So vernetzen sich AfD und US-Regierung (ndr.de, Noura Mahdhaoui & Tamara Keller & Nils Altland, Video: 13:13 Minuten)
Der AfD-Landespolitiker Joachim Paul sei von der Oberbürgermeisterwahl in Ludwigshafen ausgeschlossen worden, da aufgrund seiner Kontakte zu rechtsextremen Gruppen Zweifel an seiner Verfassungstreue bestanden hätten. Die AfD und ihr mediales Umfeld hätten daraufhin eine koordinierte Social-Media-Kampagne über X/Twitter orchestriert, die internationale Aufmerksamkeit erzeugte und bis zu Elon Musk und ins Weiße Haus reichte. Das NDR-Medienmagazin “Zapp” ist dem Fall nachgegangen.
3. Warum stirbt das Internet? (ardaudiothek.de, Gregor Schmalzried & Marie Kilg, Audio: 43:43 Minuten)
Im “KI-Podcast” diskutieren Gregor Schmalzried und Marie Kilg über die These, dass das Internet in seiner bisherigen Form stirbt, weil mittlerweile die Hälfte aller Artikel im Netz von Künstlicher Intelligenz generiert und oft fehlerhaft oder qualitativ minderwertig sei. Klassische Websites wie Wikipedia würden massiv an Traffic verlieren, weil Menschen direkt zu Chatbots gehen. Die beiden fragen sich, ob das bisherige Internet überhaupt noch eine Zukunft hat, oder ob Chatbots und KI die Informationssuche komplett verändern werden.
4. Medienverantwortung in Zeiten von verstärkter Kriegspropaganda (youtube.com, Sabine Schiffer, Video: 1:19:07 Stunden)
In ihrem Vortrag kritisiert Sabine Schiffer, dass Medien in Kriegs- und Krisenzeiten oft Regierungs- und PR-Narrative übernehmen, statt Macht kritisch einzuordnen. Sie warnt vor Gesinnungsjournalismus sowie manipulativen Frames und fordert strengere Quellenprüfung, Unabhängigkeit von Think-Tank-Briefings sowie Aufmerksamkeit für Astroturfing. Schiffers Appell: Redaktionen sollen offenlegen, was nicht überprüfbar ist, und systematisch fehlende Aspekte mitdenken. Update nach Leserhinweis: Schiffers Vortrag enthält neben wertvollen Einblicken in PR-Mechanismen und Medienframing auch problematische Passagen: faktische Fehler (zum Beispiel zur Chronologie Japan/Nürnberg), polemische statt präzise Begriffe (“Ukraine-Fetisch”) und steile Thesen ohne ausreichende Belege. Die methodischen Grundlagen (Framing-Analyse, Propagandamuster) bleiben aus unserer Sicht wertvoll, aber bitte mit kritischer Distanz zu den konkreten politischen Einordnungen schauen.
5. „Leute, die nur destruktiv sind, wollen wir nicht“ (uebermedien.de, Annika Schneider, Audio: 45:18 Minuten)
“Was wäre, wenn es eine echte Alternative zu YouTube, Instagram, TikTok und Co. gäbe? Ein öffentlich-rechtliches soziales Netzwerk, das wir vielleicht sogar mit unserem Rundfunkbeitrag finanzieren?” Darüber hat Annika Schneider mit Robert Amlung gesprochen, dem Digitalbeauftragten des ZDF: “Hätte so ein Angebot überhaupt eine Chance gegen die großen Tech-Plattformen? Was würde dort anders laufen? Und wie entscheidet das ZDF, welche Kommentare gelöscht werden und welche nicht?”
6. Markus Beckedahl: So könnte digitale Souveränität konkret funktionieren (laeuft-programmschau.podigee.io, Alexander Matzkeit, Audio: 30:43 Minuten)
Alexander Matzkeit hat bei “Läuft” Markus Beckedahl zu Gast, den Gründer von netzpolitik.org und des Zentrums für Digitalrechte und Demokratie. Das Gespräch dreht sich um digitale Souveränität und die Frage, wie Deutschland und Europa unabhängiger von großen Tech-Konzernen wie Meta, Google und X werden können. Geeignete Maßnahmen dafür wären laut Beckedahl offene Standards, dezentrale Plattformen wie Mastodon und eine stärkere Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
1. Pentagon ersetzt Pressekorps durch regierungsnahe “neue Medien” (n-tv.de)
Das Pentagon habe nach dem Abzug etablierter Korrespondentinnen ud Korrespondenten ein neues Pressekorps aus “neuen Medien” vorgestellt. Mehr als 60 Reporterinnen und Reporter hätten die umstrittenen Richtlinien des US-Verteidigungsministeriums unterschrieben und Zugang erhalten. Hintergrund sei ein Konflikt mit großen US-Medien, die einen 21-seitigen Regelkatalog nicht unterzeichnet hätten. Die Regeln sähen vor, dass Veröffentlichungen nur mit Genehmigung erfolgen dürfen, sonst drohe der Entzug der Akkreditierung. Präsident Donald Trump und Verteidigungsminister Pete Hegseth hätten die Verschärfungen verteidigt und den Zugang zum Pentagon als “Privileg, kein Recht” bezeichnet.
2. Wie die Länder Medien helfen und Tech-Riesen regulieren wollen (dwdl.de, Uwe Mantel)
Wie Uwe Mantel bei “DWDL” berichtet, haben die Bundesländer Eckpunkte für einen neuen Digitalen Medien-Staatsvertrag beschlossen, der Medienunternehmen stärken und Tech-Konzerne stärker regulieren soll. Geplant seien unter anderem lockerere Werberegeln für Privatsender, mehr Haftung und Aufsicht für Plattformen sowie eine Reform des Medienkonzentrationsrechts. Ziel sei es, die Medienordnung an die digital und von KI geprägte Welt anzupassen und faire Wettbewerbsbedingungen zwischen klassischen Medien und globalen Plattformen zu schaffen.
3. Neue Kampagne gegen Instrumentalisierung von Obdachlosen durch Influencer (netzpolitik.org, Paula Clamor)
Immer mehr Influencer würden angebliche Hilfsaktionen für obdachlose Menschen inszenieren und die Betroffenen ohne deren Einverständnis filmen und in ihre Videos einbauen. Die Bahnhofsmission Essen starte deshalb die Kampagne “Mein Gesicht gehört mir!”, um auf den Verlust der Privatsphäre und die Instrumentalisierung von Obdachlosen aufmerksam zu machen. Mit Stickern und Aufklärungsarbeit wolle die Organisation Betroffene vor Stigmatisierung schützen und zeigen, dass echte Hilfe nicht für Klicks oder Likes stattfinden darf.
4. Mediengruppe Pressedruck streicht 350 Stellen (sueddeutsche.de)
Die Mediengruppe Pressedruck mit Titeln wie der “Augsburger Allgemeinen”, dem “Südkurier” und der “Main-Post” wolle bis 2027 rund 350 Stellen abbauen, etwa zehn Prozent der Belegschaft. Begründet werde der Schritt mit den Herausforderungen durch die Digitalisierung und den Medienwandel. Der neue Geschäftsführer Axel Wüstmann habe angekündigt, der Abbau solle sozialverträglich ablaufen und erfolge, “um den Investitionsspielraum des Unternehmens zu erhöhen”.
5. “Medien spielen eine große Rolle bei internationalem Druck” (taz.de, Leo Schurbohm)
Im Interview mit der “taz” spricht die Autorin und Afrikanistin Meret Weber über das geringe Interesse von Medien an der Berichterstattung über den Sudan. So werde der dort stattfindende Krieg in den meisten Medien nur wenig oder gar nicht behandelt: “Der Krieg im Sudan wird zwar nicht durch mehr Aufmerksamkeit aufhören, aber Medien spielen eine große Rolle beim Aufbau von internationalem Druck. Sie können sichtbar machen, dass es Widerspruch gibt. Gerade kriegt das niemand mit und die Staaten werden so nicht unter Druck gesetzt, zu handeln.”
6. Pressekonferenz: “Rettet den Journalismus” (youtube.com, Presseclub Concordia, Video: 22:54 Minuten)
In Wien haben sich die Gewerkschaft GPA und der Presseclub Concordia an die Öffentlichkeit gewandt: “Die wirtschaftliche Lage der Medien-Branche in Österreich ist besorgniserregend. Jobabbau in den Redaktionen führt zu großen Problemen sowohl für die betroffenen Journalist:innen als auch für den (Qualitäts-)Journalismus als solchen. Immer weniger Redakteur:innen sehen sich immer größeren PR-Apparaten gegenüber, die Monetarisierung von Online-Angeboten leidet unter der Konkurrenz internationaler Plattformen.” Damit Redaktionen und Medienschaffende abgesichert sind, seien jetzt schnelle und wirksame Maßnahmen nötig.
1. Was junge Generationen von (sozialen) Medien fordern (dwdl.de, Simon Pycha)
Junge Menschen würden weiterhin intensiv digitale Medien nutzen, doch klassische Social-Media-Plattformen hätten ihren Höhepunkt erreicht. Die Studie “Gen Z & Gen Alpha Decoded” zeige, dass diese Generationen flexible, individuell aufbereitete Inhalte wollen. Entscheidend seien Authentizität, klare Haltung und kreative Formate. Auf den Medientagen München wurde unter anderem über die Studie und deren Auswirkungen diskutiert. Simon Pycha fasst das Thema bei “DWDL” zusammen.
2. BR-Chefin sieht nationale Sicherheit durch Desinformation bedroht (spiegel.de)
Katja Wildermuth, Intendantin des Bayerischen Rundfunks, habe auf den Medientagen München vor bewusst eingesetzten falschen Informationen gewarnt. Diese würden die nationale Sicherheit bedrohen. Die Politik müsse “sich mit der gleichen Leidenschaft um Desinformation kümmern, mit der sie sich um Drohnen kümmert”. Bayerns oberster Medienaufseher Thorsten Schmiege habe zudem strengere Haftung und gleiche Regeln für globale Plattformen wie Google oder ChatGPT gefordert.
3. Mandant bewertet Kanzlei als “absolut enttäuschende Erfahrung” (lto.de)
Wie “Legal Tribune Online” berichtet, habe ein ehemaliger Mandant einer Kanzlei bei einer Google-Bewertung nur einen Stern gegeben und von einer “absolut enttäuschenden Erfahrung” gesprochen. Die Kanzlei habe die Bewertung löschen lassen wollen, doch das Oberlandesgericht Stuttgart habe anders entschieden: Die Kritik des einstigen Mandanten sei eine zulässige Meinungsäußerung, keine Beleidigung. Im Rahmen der Meinungsfreiheit müssten Kanzleien auch scharfe oder überspitzte Bewertungen hinnehmen.
4. Sorgenthema Altersvorsorge: “Zuerst ist kein Geld da und später wird dann irgendetwas gemacht” (dfjv.de, Gunter Becker)
Freie Journalistinnen und Journalisten haben oft Schwierigkeiten, genug für die Rente zu sparen, weil sie, anders als festangestellte Kolleginnen und Kollegen, meist unregelmäßig verdienen. Gunter Becker zeigt am Beispiel einer Journalistin, wie eine Kombination aus gesetzlicher Rente über die Künstlersozialkasse, betrieblicher Vorsorge und privaten Anlagen wie ETFs oder Versicherungen helfen kann. Er hat sich dafür Unterstützung von Experten auf dem Feld der Altersvorsorge geholt.
5. “Renitent junger Hüpfer” (kontextwochenzeitung.de, Roman Deininger)
Der Journalist Josef-Otto Freudenreich, Gründer der unabhängigen Wochenzeitung “Kontext”, wird 75 Jahre alt. Der frühere Chefreporter der “Stuttgarter Zeitung” gelte als unbequemer, hartnäckiger und humorvoller Kritiker von Politik und Medien, der mit “Kontext” seit 2011 für investigativen, werbefreien Journalismus stehe. Kolleginnen und Kollegen, Weggefährten und Freunde würdigen ihn als streitbaren Geist mit scharfem Verstand, großem Herz und ungebrochener Leidenschaft für unabhängige Medien.
6. In eigener Sache: Kobuk startet Mitglieder-Kampagne (kobuk.at, Helge Fahrnberger)
Das österreichische Medienwatchblog “Kobuk” startet eine Mitgliederkampagne, um seine Arbeit langfristig zu sichern. Seit über zehn Jahren deckt das Team Missstände in der Medienberichterstattung auf. Dies geschehe bislang weitgehend ehrenamtlich. Nun soll die erste Stelle einer festangestellten Redakteurin dauerhaft finanziert werden. Dafür sei die Unterstützung von 1.000 Mitgliedern notwendig.
Dies ist die Geschichte, wie der Hamburger CDU-Politiker Robert Heinemann einmal ganz groß bundesweit Schlagzeilen machte.
Es fing ganz unspektakulär an. Am Dienstag vergangener Woche gab Heinemann mehreren Zeitungen Interviews. Es ging um die aktuelle Diskussion, ob auf Schulhöfen deutsch Pflichtsprache sein sollte. Heinemann äußerte sich differenziert: Er begrüße solche Regeln, aber die Schulen dürften und müssten das selbst entscheiden. Eine Regelung “von oben” lehnte er laut “Hamburger Morgenpost” ausdrücklich ab. “Wir werden das nicht vorschreiben”, zitiert ihn das “Hamburger Abendblatt”.
In “Bild” las sich das am selben Tag schon etwas knackiger. Die Hamburger Ausgabe zitierte Heinemann am Mittwoch mit den Worten:
“Sanktionen müßten die Schulen selbst festlegen. Mögliche Strafe: Wer nicht deutsch spricht, soll den Schulhof fegen.”
Die Formulierung fand Heinemann, wie er später erklärte, “zwar erheblich verkürzt — aber noch nicht völlig falsch”. Eigentlich habe er dem “Bild”-Redakteur auf die Frage nach den Sanktionsmöglichkeiten für Schulen, die eine Deutschpflicht durchsetzen wollten, nur geantwortet, dass viele Maßnahmen denkbar seien: “vom erzieherischen Gespräch über Verfahren wie bei den Streitschlichtern bis hin zu Strafmaßnahmen wie dem Fegen des Schulhofes”. Am Mittwoch habe er den “Bild”-Redakteur angerufen und ermahnt, dass das ihm zugeschriebene Zitat “journalistisch an der Grenze” sei.
Am Donnerstag überschritt “Bild Hamburg” diese Grenze und machte aus der möglichen Maßnahme eine Forderung:
In einer Fotounterschrift machte “Bild” aus Heinemann sogar eine Art Grammatik-Polizisten:
Wer nicht richtig deutsch spricht, soll fegen, meint Schulexperte Robert Heinemann.
(Hervorhebung von uns.)
Heinemann sagt, er habe sich daraufhin “massiv bei der Bild-Zeitung beschwert”. Das scheint keinen großen Eindruck gemacht zu haben. Am Freitag erschien die Falschmeldung groß in der Bundesausgabe von “Bild”:
Und am Samstag wieder in der Hamburger Ausgabe, diesmal als “Spruch der Woche”:
Erst am gestrigen Montag, nachdem Heinemanns angebliches Zitat von vielenanderenMedienaufgegriffen worden war, erschien in “Bild” Hamburg so etwas wie eine Richtigstellung. Wobei die “Bild”-Zeitung über die Richtigstellung natürlich nicht “Richtigstellung” schrieb, sondern:
Nichts deutet darauf hin, dass sich in dem folgenden Interview quasi “Bild” korrigiert und nicht Heinemann. Es sei denn, man kennt den Hintergrund – dann versteht man auch die merkwürdig trotzköpfige Fragestellung von “Bild”:
PS: Unsere Anfrage bei “Bild”, zu Heinemanns Vorwürfen Stellung zu nehmen, blieb unbeantwortet.
Nachtrag, 1. Februar. Inzwischen haben wir eine Antwort von “Bild” bekommen. Sie lautet: “Von unserer Seite gibt es dazu nichts zu sagen.”
Dirk Hoeren ist bei “Bild” ein vielbeschäftigter Mann. Am selben Tag, an dem er mit einem großen Interview seine Falschmeldung von letzter Woche wiedergutmachen muss, schreibt er (zusammen mit einer Kollegin) schon wieder einen neuen “Bild”-Aufmacher, an dessen Fehlern er sich die nächsten Tage abarbeiten kann.
Dieser “Schock” ist vielleicht für Menschen, die sich auch aus anderen Quellen als die “Bild”-Zeitung informieren, nicht gar so groß. Denn die Erhöhung der Beitragssätze der Krankenkassen zeichnete sich schon ab. Am 15. Dezember titelte die “Financial Times Deutschland”:
Krankenkassen wollen Beiträge stark erhöhen
Die Spitzenverbände hätten eine Erhöhung um 0,7 Prozentpunkte angekündigt, schrieb die “FTD”. Das “kostet Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammen knapp 7 Mrd. Euro”.
Eine knappe Woche später hat die Schock-Welle endlich die “Bild”-Zeitung erreicht, und sie staunt auf der Seite 1:
Bis zu 7 Milliarden Euro kassieren [die gesetzlichen Kassen] 2007 von Arbeitgebern und Arbeitnehmern mehr ab.
Nun wäre Dirk Hoeren aber nicht Dirk Hoeren, wenn seine Artikel nur spät wären und nicht auch fehlerhaft. Er schreibt:
Die höchsten Steigerungen haben die Versicherten der AOK Rheinland zu tragen: (…).
Nun wäre Dirk Hoeren aber nicht Dirk Hoeren, wenn seine Artikel nur spät und fehlerhaft wären und nicht auch grob irreführend. Er schreibt über die Erhöhung vieler Allgemeiner Ortskrankenkassen (AOK):
Damit liegen die Beiträge dann teilweise schon über 16 Prozent. Absoluter Rekord! Trauriger Spitzenreiter ist die AOK Saarland mit 16,7 Prozent.
“Bild” hat einfach auf alle Beitragssätze 0,9 Prozentpunkte aufgeschlagen. Das ist der Sonderbeitrag, den die Arbeitnehmer zusätzlich zum Regelsatz bezahlen müssen, den Arbeitgeber und Arbeitnehmer paritätisch zahlen. Die höhere Zahl gilt zwar eigentlich nicht als “allgemeiner Beitragssatz”; sie zu nennen wäre aber nicht falsch — würde “Bild” nur einmal erklären, dass ihre Zahlen eben inklusive dieses Sonderbeitrags gemeint sind, und nicht mehrmals den Eindruck erwecken, die Arbeitgeber müssten den gleichen Satz zahlen.
Vollends unzulässig wird die Rechnung aber an der Stelle, an der “Bild” die so erhöhten Beitragssätze mit dem Beitragssatz vergleicht, den Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt einmal als Ziel ausgegeben hatte. Auf die von Schmidt genannten “12,15 Prozent” hat “Bild” nämlich “vergessen”, ebenfalls die 0,9 Prozentpunkte aufzuschlagen — um die Diskrepanz zwischen Ziel und Realität noch größer wirken zu lassen als sie ohnehin schon ist.
Nachdem es “Bild” im Fall des “unheimlichen Aids-Manns” heute sogar berichtenswert findet, dass einem rechtskräftig Verurteilten (ganz so, wie es das Gesetz vorsieht) die Untersuchungshaft auf seine Haftstrafe angerechnet wird…
… müssen wir wohl doch mal auf einen Halbsatz zu sprechen kommen, mit dem “Bild” und Bild.de frühere Berichte über den Fall garniert hatten. Der Fall an sich ist schlimm und verzwickt, aber unstrittig: Beim “unheimlichen Aids-Mann” handelt es sich um den HIV-positiven Kennedy O., den “Bild” auch schon mal den “Aids-Afrikaner” nannte. Obwohl bereits 1999 von einem Gesundheitsamt verpflichtet, seine Sexpartnerinnen über seine HIV-Infektion zu informieren, hatte O. offenbar “mindestens eine seiner Liebhaberinnen” angesteckt und wurde “wegen gefährlicher Körperverletzung und neunfacher versuchter gefährlicher Körperverletzung zu fünf Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt”.
Anwalt Hanjo Schrepfer kämpft dafür, dass O. nach drei Jahren und sechs Monaten wieder freikommt – und bis an sein Lebensende auf Krankenkassenkosten in Deutschland behandelt wird. (Hervorhebung von uns.)
Anwalt Hanjo Schrepfer hatte dafür gekämpft, dass O. nach drei Jahren und sechs Monaten wieder freikommt – und bis an sein Lebensende auf Krankenkassenkosten in Deutschland behandelt wird. (Hervorhebung von uns.)
Ein merkwürdiger Halbsatz: Wäre es “Bild” lieber, wenn der HIV-positive Mann nicht bis an sein Lebensende behandelt würde? Nicht auf Krankenkassenkosten? Nicht in Deutschland? Merkwürdig ist der Halbsatz aber auch, weil Anwalt Schrepfer auf unsere Nachfrage hin bestreitet, dafür gekämpft zu haben, dass O. bis an sein Lebensende auf Krankenkassenkosten in Deutschland behandelt wird. Vielmehr handelt es sich bei der “Bild”-Formulierung offensichtlich um eine Umschreibung dafür, dass Schrepfer sich auch dafür einsetzt, dass sein Mandant, dessen medizinische Versorgung täglich 70 Euro koste, aus humanitären Gründen nicht in sein Heimatland Kenia abgeschoben wird.
Und so gesehen wäre es von “Bild” genau so sinnlosvoll gewesen, zu behaupten, die Staatsanwaltschaft hätte mit ihrem Antrag auf acht Jahre Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung dafür gekämpft, dass der Angeklagte jahrelang auf Staatskosten behandelt wird.
Seit vergangenemSamstag ist bekannt, dass der deutsch-iranische Fußballspieler Ashkan Dejagah nicht am Spiel der U21-Nationalmannschaft gegen Israel teilnehmen will (wir berichteten). Die “Bild”-Zeitung hat die Zeit nicht genutzt, sich ein wenig sachkundig zu machen.
Natürlich steht es jedem Zuwanderer frei, die Staatsbürgerschaft seines Heimatlandes zu behalten. Vielleicht wird Dejagah im Iran auch seinen Militärdienst ableisten, um nur ja nicht die iranische Staatsbürgerschaft zu verlieren.
Ob in seinem Fall jedoch irgendeine Loyalität zu Deutschland besteht, ist mehr als zweifelhaft.
“Dejagah versucht nur, sich an die iranischen Gesetze zu halten. Für einen Doppelstaatler wie Dejagah heißt das, dass er nach dem Gesetz nicht nach Israel einreisen darf — das steht in jedem iranischen Pass. Sonst würden ihm bis zu zwei Jahre Gefängnis drohen. Und davor hat er Angst. Zudem hat er Familie im Iran, sein Bruder spielt in der Ersten iranischen Liga. Da hat er auch für seine Leute eine Fürsorgepflicht. Dejagah ist nicht für die falschen Gesetze im Iran verantwortlich.”
Wendl suggeriert, dass Dejagah bei einem Besuch Israels nur damit rechnen müsste, die iranische Staatsbürgerschaft zu verlieren, und er suggeriert, dass Dejagah das mit seinem “privaten Judenboykott” um jeden Preis vermeiden will. Doch die Konsequenz einer Teilnahme an dem Spiel wäre nicht der Verlust der Staatsbürgerschaft, sondern dass Dejagah vermutlich nicht mehr in den Iran einreisen könnte, wo ein Teil seiner Familie lebt.
Wendl aber erwähnt diese Tatsache nicht. Er behauptet stattdessen kryptisch, Dejagah habe den Eklat “aus privaten Gründen” gewollt — weil er, anders als der ehemalige iranische FC-Bayern-Spieler Vahid Hashemian vor drei Jahren, nicht einfach eine Verletzung vorgetäuscht hat, um nicht gegen israelische Spieler antreten zu müssen* — und unterstellt, Dejagah lehne “mit seinem Verhalten die Herbeiführung einer Aussöhnung zwischen Juden und Deutschen ab”.
*) “Bild” berichtete am 23.11.2004 über den Fall so:
Politische Entscheidung
Gegen Maccabi Tel Aviv wird Bayern-Stürmer Vahid Hashemian (28), wie schon im Hinspiel, nur Zuschauer sein — aus politischen Gründen. Seit der islamischen Revolution 1979 ist es iranischen Sportlern per Gesetz verboten, gegen israelische Teams anzutreten.
Nachdem die Potsdamer Staatsanwaltschaft am Dienstag vergangener Woche bekannt gegeben hatte, dass eine junge Frau tot aufgefunden wurde und gegen einen Mann wegen fahrlässiger Tötung ermittelt werde, berichtete auch “Bild” – und zwar…
… am Mittwoch vergangener Woche, am Donnerstag vergangener Woche, am Freitag vergangener Woche, am Samstag vergangener Woche sowie am Montag dieser Woche und am Dienstag dieser Woche.
Alle diese Berichte, verfasst u.a. von “Bild”-Reporter Jörg Bergmann, waren illustriert mit allerlei Fotos, die “Bild” offenbar aus Internetseiten zusammengesucht hatte: “Bild” jedenfalls nannte als Quelle einfach nur “Web”. Und ab Tag 2 der Berichterstattung zeigten alle diese Fotos das Opfer (das mit der Preisgabe privater Daten im Internet – StudiVZ, MySpace etc. – leider nicht zimperlich gewesen ist) ohne jede Unkenntlichmachung. Wollten wir indes die vielen “Bild”-Berichte ohne irgendeine Urheber- und Persönlichkeitsrechtsverletzung zeigen, bliebe davon wohl nicht mehr viel übrig (siehe Beispielausriss).
Heute nun berichtet “Bild” wieder über den Fall, wieder fast seitenfüllend. Aber anders als bisher wird der heutige Bericht nicht mit Fotos des Opfers illustriert. Anders als bisher wird die junge Frau heute auch nicht mehr bei ihrem richtigen Vornamen und abgekürzten Nachnamen genannt, sondern plötzlich:
Und bei Bild.de sind die bisherigen Veröffentlichungen zum Thema (außer ein paar, in deren URL die, ähm, unbeachtete Aufforderung “ACHTUNG… PIXELN” steht) vollständig aus dem Angebot entfernt.
Erfahrungsgemäß machen “Bild” und Bild.de sowas nicht freiwillig.
Und dass “Bild” nach einer Woche täglicher Berichterstattung auf einmal von selber zur Besinnung gekommen wäre, ist unwahrscheinlich: Über den Mann, gegen den im Zusammenhang mit dem Todesfall ermittelt wird, berichtet “Bild” auch heute wieder ausführlich, vorverurteilend und identifizierbar — und (seit gegen ihn auch wegen Mordes ermittelt wird) auch ohne schwarze Balken oder sonstige Unkenntlichmachung.
1. Augen zu und durch (correctiv.org, Justus von Daniels & Jonathan Sachse)
Es birgt allerlei gesellschaftlichen Sprengstoff und schränkt die Pressefreiheit und Informationsfreiheiten der Bürgerinnen und Bürger ein: das geplante Gesetz zum “Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung”. Justus von Daniels und Jonathan Sachse zeichnen in einem spannenden und gut aufbereiteten Lesestück den Weg vom ersten Entwurf des Gesetzes bis zum aktuellen Stand nach: “Wie konnte es so weit kommen, dass ein Gesetz zu einer Hängepartie wird, weil sich Ministerium und Parlamentarier nicht über den Schutz von Whistleblowern und Journalisten einig werden? Die Frage ist nicht nur für die SPD und ihre Hoffnungsträgerin, Katarina Barley, interessant, sondern für alle Bürger. Denn im Kern wird mit diesem Gesetz die Pressefreiheit, ein Grundpfeiler der Demokratie, neu verhandelt. Und es zeigt, wie ein Gesetz fast unbemerkt durchgewunken worden wäre.”
2. Warum ich dem Tages-Anzeiger ein Interview schenkte (medienwoche.ch, Reto Hunziker)
Mit einer, auch sich selbst gegenüber, schonungslosen und berührenden Offenheit erzählt der freie Journalist Reto Hunziker die Geschichte eines Scheiterns: Hunziker hatte für eine bekannte Zeitung den Astrophysiker, Entertainer und Wissenschafts-Allrounder Harald Lesch interviewt, doch die Zeitung sprang ab. Da er das Interview nicht wegschmeißen will, macht er sich auf die Suche nach einem anderen Abnehmer. Es ist eine aufwändige Irrfahrt, die bei ihm gemischte Gefühle hinterlässt und ihn am Ende fragen lässt: “Wie lange mache ich das noch mit?”
3. Kommando Schrumpfkurs: Hans-Peter Buschheuer über Miss-Management und die “Todesspirale” der DuMont-Titel (meedia.de, Hans-Peter Buschheuer)
Wenn sich jemand bei DuMont auskennt, dann wohl Hans-Peter Buschheuer, der dort lange Jahre Chefredakteur war (“Kölner Express” und “Berliner Kurier”). In seinem Gastbeitrag für “Meedia” erklärt Buschheuer die Gründe für den Untergang des DuMont-Imperiums: 1. Verlags-Patriarch Alfred Neven DuMont habe zu spät erkannt, dass der Junior mit dem Verlags-Einmaleins überfordert war. 2. Der Hofstaat aus Schmeichlern und Ja-Sagern. 3. Der Zwist innerhalb der Gesellschafter-Familien. Und 4. die Erben, die sich nicht für das Mediengeschäft interessieren würden.
4. Auf Twitter ausgesperrt (sueddeutsche.de, Philipp Bovermann)
Es ist eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung: Dürfen Politiker und Bundesbehörden andere Twitter-Nutzer und Nutzerinnen blockieren? Aktueller Anlass der Diskussion: Niels Annen, Staatsminister im Auswärtigen Amt, hatte seinen offiziellen Twitteraccount für einen Korrespondenten der “Jerusalem Post” blockiert und erst nach einer Abmahnung wieder freigegeben.
5. Wie mächtig Framing wirklich ist (spektrum.de, Christian Honey)
Das von Elisabeth Wehling für die ARD verfasste “Framing Manual” beherrschte in den vergangenen Tagen die Schlagzeilen. Der freie Wissenschaftsredakteur Christian Honey setzt sich mit den verschiedenen Aspekten und Denkschulen des Framings auseinander und spart dabei nicht mit Kritik an Wehlings Vorgehen.
6. Das Weltwunder altert (deutschlandfunkkultur.de, Michael Seemann, Audio: 4:13 Minuten)
Vielleicht bist Du in der Wikipedia schon mal auf einen veralteten Beitrag gestoßen. Für den Kulturwissenschaftler Michael Seemann sind diese Beiträge ein Sinnbild für die Krise der digitalen Gesellschaft. Seemann arbeitet den Unterschied der ego-getriebenen Debattenkultur in den sozialen Medien und dem anstrengenden Ringen um den “Neutralen Standpunkt” bei Wikipedia heraus: “Das Internet hat uns Möglichkeiten der Kommunikation gezeigt, die so frei sind, dass wir uns nicht mehr einigen müssen. Aber wenn wir uns nicht mehr einigen, hören wir auf eine Gesellschaft zu sein. Wir sollten gebannt auf die Entwicklung der Wikipedia schauen. Sie ist nicht nur die Infrastruktur unseres Wissens, sondern auch unsere Zukunft.”
3. Liebe Leser*innen: Warum wir ab sofort das Gendersternchen benutzen (linkedin.com, Sara Weber)
Die deutschsprachige Redaktion des Geschäftskontakt-Netzwerks LinkedIn erklärt, warum sie sich für die Verwendung des sogenannten Gendersternchens entschieden hat: “Für viele von Ihnen mag das Sternchen ungewohnt sein, einige wird es womöglich sogar verärgern. Doch gendergerechte Sprache verändert tatsächlich etwas: Kinder trauen sich eher zu, bestimmte Berufe ergreifen zu können, wenn sie gendergerecht dargestellt sind. Frauen werden als geeigneter für Führungsposten angesehen, wenn ein/e Projektleiterin/Projektleiter gesucht wird, nicht nur ein Projektleiter.”
4. Wie eine ARD-Doku absurdes Zeug über Elektromobilität verbreitet und dadurch den Klimawandel verstärkt (graslutscher.de, Jan Hegenberg)
Der “Graslutscher” ärgert sich über eine ARD-Doku über Elektroautos: “Nachdem ich die Hälfte der ARD-Dokumentation “Kann das Elektro-Auto die Umwelt retten” gesehen hatte, rechnete ich schon fast damit, dass Elektroautos am Ende der Sendung nicht nur für eine Menge Umweltschäden, sondern schlussendlich auch beim Einspielen düsterer Musik für die Ermordung Kennedys, die achte Staffel von Game of Thrones und den Prager Fenstersturz verantwortlich gemacht werden.”
5. “Der Polizeischutz war wirklich Wahnsinn!” Tim Wolff im Gespräch – Die Titanic-Years (kaput-mag.com, Linus Volkmann)
Linus Volkmann hat sich mit dem langjährigen “Titanic”-Chefredakteur Tim Wolff über dessen Zeit bei dem Satiremagazin unterhalten. Ein spannendes und unterhaltsames Gespräch, bei dem man viel erfährt, was sonst nicht bekannt ist. Zum Beispiel von den Schwierigkeiten des Satirikers im Brennpunkt des öffentlichen Interesses: “Auf öffentlichen Aufruhr zu reagieren machte mir eigentlich sogar Spaß, du hast die vielen, größtenteils inkompetenten Reaktionen auf ein Geschehnis oder auf einen Skandal und du kannst damit spielen. Wobei es vor Kameras nie leicht ist, seine eigene Version durchzubekommen. Man erzählt dann vor der Kamera seine drei gut vorbereiteten Gags und dann kommen immer wieder Rückfragen und irgendwann sagt man dann doch mal einen ernsten Satz — und der wird dann gesendet! Schriftliche Interviews waren mir deswegen immer viel lieber.”
6. Ministerium erwägt Influencer-Gesetz (tagesschau.de)
Das Justizministerium erwägt ein Gesetz, das es Influencern vorschreibt, etwaige Werbung klar zu kennzeichnen. Zur Zeit sei Werbung in den Sozialen Medien vielfach eine rechtliche Grauzone (tagesschau.de, Audio: 2:39 Minuten).
Ein derartiges Gesetz könnte auch Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner helfen, bei der es anscheinend an Bewusstsein für diese Thematik mangelt. Siehe dazu auch: Blamiert: Klöckners werbliches Video mit Nestlé (ndr.de, Caroline Schmidt & Tim Kukral).
1. “Plötzlich arm, plötzlich reich”: Vorwürfe gegen Sat.1 und Imago TV (dwdl.de, Timo Niemeier)
Der Partyschlager-Sänger Ikke Hüftgold aka Matthias Distel erhebt schwere Vorwürfe gegen den Fernsehsender Sat.1 und die Produktionsfirma Imago TV. In einem Format, das an die Sendung “Frauentausch” erinnert, tauschen eine arme und eine reiche Familie das Leben. Als Distel die Dreharbeiten dazu begann und im Austausch-Haushalt eintraf, habe er Zweifel an dem Projekt bekommen: “Sofort kam die Frage bei uns auf, ob man Kinder im Alter von 8 und 10 Jahren, die offensichtlich psychische Probleme haben, rechtlich und moralisch gesehen in ein Fernsehformat ziehen kann, bei dem 8 Tage am Stück bis zu 10 Stunden gearbeitet werden sollte.” Auf Facebook hat er ein bewegendes Statement in die Kamera gesprochen – ein erschütternder Einblick in die Abgründe des TV-Boulevards.
2. Wie die “Welt” versehentlich “Volksverpetzer” an die Spitze der Twitter-Charts katapultierte (volksverpetzer.de, Thomas Laschyk)
Thomas Laschyk vom “Volksverpetzer” arbeitet in einem langen Beitrag den Disput zwischen seinem Portal und der “Welt” rund um das umstrittene Thesenpapier zur intensivmedizinischen Versorgung in der Corona-Pandemie auf. Laschyk fragt sich: “Warum hat es eine Zeitung wie die WELT nötig, unseren kleinen Blog derart anzugreifen? Und zwar so … nennen wir es ‘böswillig’? Unbelegte Anschuldigungen (eher: Projektion), Fake News, Anprangerungen. Ich glaube, unsere vielen Faktenchecks von WELT–Artikeln in letzter Zeit tun langsam weh.”
3. Indische Regierung verbietet Begriff »indische Variante« (spiegel.de)
In Indien hat sich die Corona-Mutante B.1.617 ausgebreitet, die auch als “indische Variante” bezeichnet wird. Diesen Ausdruck wolle die indische Regierung jedoch aus der Welt schaffen und habe daher alle Onlineplattformen aufgefordert, Stellen, in denen dieser Begriff vorkommt, zu löschen. Man argumentiere, dass die WHO die Variante B.1.617 nicht mit einem bestimmten Land in Verbindung bringe. Für den “Spiegel” zeigt die Reaktion der indischen Regierung, wie stark diese angesichts massiver Fehleinschätzungen unter Druck stehe.
4. Leitfaden für den digitalen Wahlkampf (reporter-ohne-grenzen.de)
Anlässlich des bevorstehenden Online-Wahlkampfs fordert ein Bündnis verschiedener Institutionen eine faire Auseinandersetzung: “Wir fordern alle demokratischen Parteien auf, eine Firewall für die Demokratie zu bauen. Das heißt: Vereinbaren Sie einen Verhaltenskodex für den digitalen Wahlkampf. Dafür haben wir vier einfache Regeln formuliert, deren Einhaltung eigentlich selbstverständlich sein sollte: Volle Transparenz beim Umgang mit Daten, ein umfassender Grundrechtsschutz und der Verzicht auf Desinformation sowie digitale Gewalt.”
5. “Bild”-Chef gewinnt vor Gericht gegen “Spiegel” (sueddeutsche.de)
“Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt hat einen juristischen Erfolg gegen den “Spiegel” erzielt, doch wie ist dieser einzuordnen? Die Auswirkungen sind bislang jedenfalls überschaubar: Der Artikel “Vögeln, fördern, feuern” ist weiterhin beim “Spiegel” online, inzwischen sogar ohne Paywall, und lediglich um eine Anmerkung der Redaktion und eine Stellungnahme Reichelts ergänzt worden. Der “Bild”-Chef hatte moniert, dass er vor Veröffentlichung des Artikels vom “Spiegel” nicht konfrontiert worden sei. Dieser weist darauf hin, dass er mit der Kommunikationsabteilung des Axel-Springer-Verlages in Verbindung gestanden habe, und schreibt: “Julian Reichelt hat in einem Rechtsstreit mit dem SPIEGEL-Verlag eidesstattlich versichert, von der Kommunikationsabteilung des Axel-Springer-Verlages nicht über unsere Fragen informiert worden zu sein.”
6. Youtuber entwirft Fakecreme und legt Social-Media-Stars rein (rnd.de)
Der Youtuber Marvin Wildhage wollte wissen, wie sorgfältig Influencer ihre Kooperationspartner und die von ihnen beworbenen Produkte auswählen, und hat ihnen die vermeintliche Hautcreme “Hydrohype” (ein profanes Gleitgel) zur Anpreisung angeboten. Drei Online-Meinungsmacher seien auf den Streich hereingefallen und hätten die vermeintliche Wundercreme auf ihren Kanälen beworben.
1. ScienceBlogs.de steht vor dem Ende (scienceblogs.de, Jürgen Schönstein)
Als populärwissenschaftliches Portal beherbergten die “ScienceBlogs” eine Vielzahl von Bloggerinnen und Bloggern, und das bereits seit dem Jahr 2008. Seit Februar 2014 wird die Seite von der Konradin Mediengruppe betrieben, die nun beschlossen habe, kein Geld mehr für die Plattform zur Verfügung zu stellen. “In der Praxis heißt das halt, dass keine Miete mehr für den Server bezahlt wird, und dass damit – bildlich gesprochen – auch den Bloggerinnen und Bloggern die Tür vor der Nase zugeschlossen wird”, so Geographie-Blogger Jürgen Schönstein. Auf der Startseite verabschieden sich einige der in der Wissenschaftsszene bekannten “ScienceBlogs”-Autorinnen und -Autoren.
2. Twitter geht offenbar weniger gegen Falschinformationen vor (spiegel.de)
Einem “Bloomberg”-Bericht zufolge soll Twitter die Maßnahmen gegen Desinformation und Hatespeech deutlich zurückgefahren haben. Die meisten Angestellten der damit befassten “Trust-and-Safety”-Abteilung hätten demnach aktuell keine technischen Möglichkeiten mehr, gegen Hassrede und Falschinformationen vorzugehen.
3. Der Neue in der Chefredaktion (sueddeutsche.de)
An der Spitze der “Bild”-Redaktion gibt es Veränderungen: Die bisherige Blattmacherin Antje Schippmann räume ihre Stelle und übernehme “noch in diesem Jahr eine neue Verantwortung bei Axel Springer”, berichtet die “Süddeutsche”. Neu in die “Bild”-Chefredaktion rücke der stellvertretende Politikleiter Kai Weise auf, der auch Politikchef beim Fernsehsender “Bild TV” ist.
4. Accounts klassischer Nachrichtenanbieter werden von Jugendlichen geschätzt (medienpolitik.net, Helmut Hartung)
Für die Studie “Social Media Content Creators aus Sicht ihrer jungen Follower” (PDF) wurden Interviews mit 14- bis 17-jährigen Jugendlichen sowie mit 18- bis 24-jährigen jungen Erwachsenen geführt. Darin wurde gefragt, welchen Accounts sie in Sozialen Medien folgen, welche Nutzungsmotive sie damit verknüpfen und wie sie einzelne Akteurinnen und Akteure bewerten. Helmut Hartung fasst die Ergebnisse zusammen.
5. Medientalk: Die Krise der Regionalmedien (srf.ch, Salvador Atasoy, Audio: 25:28 Minuten)
Im “Medientalk” des SRF geht es um eine im Auftrag der Stiftung Mercator Schweiz durchgeführte Studie zum Stand des Schweizer Lokaljournalismus. Die finanzielle Lage sei vielerorts extrem angespannt. Außerdem fehle es an Möglichkeiten für digitale Innovationen. Und es herrsche Fachkräftemangel. Was ist zu tun?
6. Deutscher Reporter:innen-Preis 2022: Die Nominierten (reporter-forum.de)
Das Reporterforum stellt den ersten Schwung an Nominierten für den “Deutschen Reporter:innen-Preis” vor, der am Abend des 5. Dezember in Berlin verliehen wird. Dank der vielen Links zu den nominierten Beiträgen eine tolle Leseliste!
Schlimmer noch! Viele Bürgergeld-Empfänger stocken sich durch Schwarzarbeit ihr monatliches Einkommen noch auf, kassieren so mehr als viele ehrliche Arbeitnehmer.
Arbeits-Experte Professor Friedrich Schneider (64, Uni Linz) zu BILD: “Ich schätze, dass rund ein Drittel der erwerbsfähigen Bürgergeld-Bezieher schwarz dazu verdienen.”
► Das bedeutet bei aktuell 3,9 Millionen erwerbsfähigen Stütze-Beziehern: rund 1,3 Millionen!
“Rund ein Drittel”, 33 Prozent, etwa 1,3 Millionen Menschen, die Bürgergeld bekommen und schwarz dazu verdienen. Das passte wunderbar indieKampagne, die die “Bild”-Redaktion damals gegen das Bürgergeld und gegen die Personen, dies es beziehen, fuhr.
Umso überraschender diese “Bild”-Titelgeschichte vor eineinhalb Wochen:
Jeder 10. Stütze-Bezieher arbeitet schwarz, obwohl er angeblich keinen Job findet oder nur wenige Stunden pro Woche arbeiten kann.
Quelle damals wie heute: Professor Friedrich Schneider von der Uni Linz. Wir hatten im vergangenen Jahr bei Schneider nachgefragt, wie er auf seine “rund-ein-Drittel”-Schätzung kommt, welche Statistik ihr beispielsweise zugrunde liegt, ob es eine Quelle gibt. Die Antwort des Professors: Dies seien …
alles (Grob-)Schätzungen aus meiner laufenden Forschung, die noch nicht abgeschlossen ist. Quelle wäre also ich; ich hoffe, ich kann in einigen Wochen mehr dazu sagen.
Das konnte er nun offenbar – mit einem deutlich niedrigeren Anteil an schwarz arbeitenden Bürgergeld-Empfängern (wobei es sich auch bei den aktuellen Zahlen laut “Bild” lediglich um eine Schätzung Schneiders handelt). Und so hätte die “Bild”-Schlagzeile auf der Titelseite natürlich auch lauten können:
BÜRGERGELD
Anders als von uns berichtet:
Viel weniger Empfänger arbeiten SCHWARZ
Sowieso hat “Bild” bei der Wahl der Titelzeile einen auffällig speziellen Schwerpunkt gesetzt. Der dazugehörige Artikel im Blatt handelt von der “Schwarzarbeits-Nation Deutschland!” Darin zitiert Autor Sebastian Geisler Professor Schneider:
“Schwarzarbeiter gibt es 12 bis 15 Millionen in Deutschland. Schwarzarbeitende Bürgergeld-Bezieher nur etwa 400 000 bis 500 000”, schätzt der Ökonom.
Die “Bild”-Redaktion hat sich für ihre Schlagzeile auf der Titelseite also die 3,3 Prozent an Schwarzarbeitern herausgepickt, gegen die sich am einfachsten Stimmung machen lässt. Und bei “12 bis 15 Millionen” von Professor Schneider geschätzten Schwarzarbeitern und 47,1 MillionenErwerbspersonen in Deutschland lässt sie dafür sogar die Schlagzeile “Mehr als jeder Vierte arbeitet schwarz” liegen. Klar, wer will schon gegen einen großen Teil der eigenen Leserschaft schießen?
Nachtrag, 20. August: Mehrere unserer Leser weisen darauf hin, dass das von “Bild” im vergangenen Jahr angegebene Alter Schneiders (64 Jahre) nicht stimme. Das ist richtig. Im vor eineinhalb Wochen erschienenen Artikel schreibt Bild.de hingegen korrekt: “Prof. Friedrich Schneider (75, Uni Linz)”.
Hier im BILDblog war es – abgesehen von den “6 vor 9” – lange Zeit sehr ruhig, was unter anderem leider auch immer noch hiermit zu tun hat. Doch das soll sich nun ändern: Es soll wieder mehr und regelmäßig gebloggt werden.
Seit fast 40 Jahren boykottiert der Schriftsteller und Nobelpreisträger Günter Grass, wie einst von der Gruppe 47 beschlossen, den Springer-Konzern. Daran hält er weiter fest. Ende Mai traf er sich allerdings erstmals mit dem Vorstandschef Mathias Döpfner zu einem Gespräch, das von dem Publizisten Manfred Bissinger moderiert wurde.
Grass: Für mich ist die “Bild”-Zeitung aus kaltem, offenbar intellektuellem Kalkül ein Instrument des Appells an die niedrigsten Instinkte. Da wird Schadenfreude mobilisiert, da wird ein Personenkult auf der einen Seite betrieben, ebenso wie ein Niedermachen von Personen, wenn sie ihr zu groß geworden sind, da geht es bis ins Privateste hinein. Da wird es regelrecht widerlich. (…)
Döpfner: Größer als die Schlagzeilen der “Bild”-Zeitung ist gelegentlich nur die Heuchelei mancher Prominenter, wenn sie sich als Opfer stilisieren. Erst wollen sie von der Plattform profitieren, und hinterher, wenn’s mal unangenehm wird, kritisieren sie, dass “Bild” immer noch da ist. Wer Privates schützen will, kann das in der Regel auch[1]. (…) Für die “Bild”-Zeitung gilt das Prinzip: Wer mit ihr im Aufzug nach oben fährt, der fährt auch mit ihr im Aufzug nach unten. Diese Entscheidung muss jeder für sich selbst treffen.
Grass: (…) Sie sollten vielleicht in Ihre Grundsätze noch aufnehmen: “Die Würde des Menschen ist unantastbar.”
Döpfner: Das steht doch schon im Grundgesetz.
Grass: Dann sollten Sie das Grundgesetz den “Bild”-Redakteuren näherbringen.
Bissinger: Gehörte nicht in Ihre Grundlinien hinein, dass Opfern journalistischer Berichterstattung Genugtuung verschafft werden muss? Amerikanische Blätter haben die vielgelesene Korrekturspalte.
Döpfner: Ja, wenn falsch berichtet worden ist, muss das korrigiert werden. Und zwar nicht nur durch eine Gegendarstellung, sondern auch durch einen redaktionellen Widerruf[2]. Ich finde die amerikanische Einrichtung der Korrekturspalte am festen Ort ausgesprochen sinnvoll[3]. Das begrüße ich sehr.
Am 29. Dezember 2004 machte die “Bild”-Zeitung groß auf mit den verwundeten Gesichtern der zehnjährigen Sophia und des neunjährigen Kevin, deren Eltern nach dem Tsunami in Thailand verschollen waren. “Bild” fragte:
Im Inneren zeigte “Bild” weitere Kindergesichter, fotografiert von Till Budde, darunter das eines 13-jährigen Mädchens, das verletzt in einem Krankenhaus schläft.
BILD war im Vachiar-Hospital von Phuket. Auf der Station der traurigen deutschen Kinder.
Unter anderem von der 13-jährigen ließ sich “Bild”-Reporter Julian Reichelt schildern, wie sie das Unglück erlebt hatte, wie sie um ihr Leben kämpfte, wie sie von ihren Eltern getrennt wurde, die seitdem vermisst wurden. Er schrieb alles ausführlich auf.
“Bild” hat mit dieser Berichterstattung damals massiv gegen den Pressekodex verstoßen. Der Presserat urteilte nach einer Beschwerde des Onkels des Mädchens:
In Richtlinie 4.2 ist festgehalten, dass bei der Recherche gegenüber schutzbedürftigen Personen besondere Zurückhaltung geboten ist. Explizit genannt werden (…) u.a. Menschen, die sich nicht im Vollbesitz ihrer geistigen oder körperlichen Kräfte befinden oder einer seelischen Extremsituation ausgesetzt sind, sowie Kinder und Jugendliche. Jedes dieser Merkmale trifft auf das betroffene 13-jährige Mädchen zu. Das Foto wurde zudem unstreitig ohne die Einwilligung eines Erziehungsberechtigten gemacht. (…)
Die Zeitung untermauert die rechtmäßige Beschaffung ihrer Informationen damit, dass der Redakteur mit der 13-Jährigen und mit anderen Kindern gesprochen habe. Alle seien froh gewesen, sich in ihrer Heimatsprache mitteilen zu könne. Diese Schilderung bestärkt die Kammer in der Überzeugung, dass die Kinder und insbesondere die 13-Jährige hier durch die Extremsituation überfordert waren. Dies spricht ebenfalls dafür, dass die besondere Situation der Kinder zur Beschaffung von Informationen ausgenutzt worden ist. (…)
In beiden Veröffentlichungen werden die Persönlichkeitsrechte des 13-jährigen Mädchens verletzt. Es wird jeweils ohne jegliche Unkenntlichmachung und mit voller Nennung seines Vornamens abgebildet. Es wird — verletzt, schlafend und dadurch besonders wehrlos — für einen breiten Leserkreis erkennbar. Diese Abbildung widerspricht nicht nur dem Grundsatz von Richtlinie 8.1, wonach die Nennung der Namen und die Abbildung von Opfern in der Berichterstattung über Unglücksfälle in der Regel nicht gerechtfertigt ist. Auch der in Richtlinie 8.2 geforderte Schutz von Orten der privaten Niederlassung, wie z.B. Krankenhäusern, wird durch diese Veröffentlichung nicht beachtet.
Die Beschwerdekammer sprach “Bild” eine Missbilligung aus.
Das war praktisch für “Bild”, denn eine Missbilligung ist für die Zeitung folgenlos. Insbesondere werden Missbilligungen — anders als Rügen — vom Presserat nicht veröffentlicht. Sie erscheinen nur (im Fall der 13-Jährigen jetzt, also mit eineinhalbjähriger Verspätung) in dessen “Jahrbuch”, allerdings ohne Angabe der jeweiligen Zeitung. Wer nicht weiß, dass die Geschichte der “traurigen deutschen Kinder” von Phuket in “Bild” stand, kann die Missbilligung nicht der Zeitung zuordnen.
Kenner könnten es allenfalls schließen aus der unbeirrten Art, in der die Rechtsabteilung der Axel Springer AG die Berichterstattung von “Bild” gegenüber dem Presserat zu rechtfertigen suchte. Im konkreten Fall gab sie an, “Bild” habe “im allgemeinen Informationsinteresse” gehandelt und den Behörden beim Versuch der Familienzusammenführung geholfen. (Der Presserat stellte dagegen fest, dass “keines der Bilder etwa mit einem Suchaufruf oder ähnlichem verbunden wurde”.)
Das Springer-Justiziariat erklärte weiter:
Dass die Zeitung in diesem Rahmen die berechtigten Interessen der Opfer gewahrt habe, zeige sich u.a. darin, dass auf den Abdruck von Anzeigen neben den Berichten von der Flutkatastrophe verzichtet worden sei, um die menschliche Dimension dieses Ereignisses nicht durch banale Werbetexte zu relativieren.
Auf den Abdruck von Anzeigen “verzichtet”? Der Artikel mit dem Foto, um das es in der Beschwerde ging, erschien auf Seite 2 der “Bild”-Zeitung. Die zweite Seite der “Bild”-Zeitung ist grundsätzlich werbefrei. Jeden Tag.
Und die Bilder der neunjährigen Sophia und des zehnjährigen Kevin standen am selben Tag auf Seite 1 in “Bild”. Unmittelbar links davon war eine Anzeige für Schmerztabletten von “Neuralgin” (“Äußerst günstig!”). Rechts unten auf derselben Seite warb die Firma Quelle für eine Espresso-Maschine im neuen Quelle-Katalog.
Dafür muss man sie dann doch bewundern: dass den Leuten von “Bild” nach Monaten fast täglicher, gelegentlich seitenfüllender Propaganda für den Erhalt des Flughafens Tempelhof immer noch etwas neues einfällt. Heute überrascht “Bild”-Berlin-Kolumnist Reimer Claussen mit der Analyse:
(…) Wir haben in unserer Stadt einige Baudenkmäler, die den jeweiligen wechselnden Herrschern nicht unbedingt gefallen oder nicht in ihr politisches Konzept gepasst haben. Etwa die alten katholischen Kirchen, die manchem protestantischen König ein Dorn im Auge waren — aber es hat sich im alten Preußen durchgesetzt, die Gebetshäuser anderer zu tolerieren, sogar neue zuzulassen. (…)
Die St. Hedwigs- Kathedrale dürfen wir auch aus anderen Gründen heute noch bewundern: Weil es selbst in der DDR Entscheider gab, die gegen das sozialistische Prinzip solche Bauten verteidigten, sie sogar wieder aufbauten. Dazu gehört auch die Staatsoper Unter den Linden, die ein Prachtbau der preußischen Monarchen war — aus Sicht der SED-Diktatoren eigentlich ein Repräsentationsbau des verfemten Ex-Regimes wie das Stadtschloss, das ausradiert gehört.
Aber selbst diese Leute hatten ein Gespür dafür, dass man eine lebendige Geschichte braucht. Und dass man die maßgeblichen baulichen Faktoren einer Stadt nicht abreißen oder entfremden darf, weil man sonst der Stadt ein Stück ihrer gelebten Identität raubt. (…)
Das ist in seiner Perfidie schon geschickt, wie Claussen es schafft, über zig Zeilen vom Abriss von Gebäuden zu sprechen — und an der entscheidenden Stelle unauffällig “abreißen oder entfremden” zu schreiben. Denn niemand will den (unter Denkmalschutz stehenden) Flughafen Tempelhof abreißen. Es geht in dem Volksentscheid am kommenden Sonntag [pdf] allein um die Frage, ob er weiter als Flughafen genutzt werden soll.
— als wolle Wowereit, der geschichtsvergessene Banause, nicht nur das Flughafen-Gebäude, sondern sogar das davorstehende Denkmal sprengen.
Andererseits: Wenn sich am Sonntag in Berlin wider Erwarten nicht die notwendige Mehrheit finden sollte, die sich unverbindlich für eine Fortsetzung des Flugbetriebes ausspricht, könnte das auch an “Bild” und diesen 100 Gründendiesen 100 Gründen gelegen haben. Die machen nämlich schon beim flüchtigen Blick den Eindruck, dass die Zahl der guten Argumente pro Tempelhof überschaubar sein könnte:
Es ist eine — selbst für “Bild”- und Springer-Verhältnisse — erstaunliche Massivität und Parteilichkeit, mit der die Zeitungen des Konzerns versuchen, die Berliner dazu zu bringen, beim Volksentscheid mit Ja zu stimmen. Außer der “Bild”-Titelgeschichte (!) mit den “100 Gründen” sah das allein in dieser Woche so aus:
Das Wort “einseitig” ist fast ein Understatement, um die Absolutheit zu beschreiben, mit der die “Bild”-Zeitung jeden Widerspruch, jede unpassende Tatsache von ihren Seiten fernhält. Sie versucht in aller Regel nicht, die Argumente der Gegenseite zu entkräften oder zu entwerten; sie erwähnt sie sicherheitshalber gar nicht.
Die Information etwa, dass der Betrieb des Flughafens Tempelhof jährlich über zehn Millionen Euro Verlust macht (von denen die meisten der Steuerzahler tragen muss), scheint zuletzt 2003 im Blatt gestanden zu haben. Dass aktuell täglich nicht einmal 1000 Passagiere täglichden Flughafen nutzen, würde ein “Bild”-Leser nicht ahnen. Frühere “Bild”-Artikel, in denen es um Anwohner ging, die unter dem Fluglärm leiden, sind heute undenkbar (siehe Ausriss). Und während jeder vermeintliche “Umfaller” unter den Flughafen-Gegnern in der SPD oder Linke wortreich begleitet wird, scheint die “Bild”-Zeitung vergessen zu haben, dass die CDU, mit der sie sich heute gemeinsam als Tempelhof-Retter zu profilieren versucht, die Schließung selbst mitbeschlossen hat.
Nachtrag, 27.4.2008: Gestern gab die “Bild”-Zeitung in ihrer Berlin-Brandenburg-Ausgabe noch einmal alles:
Und in der heutigen “Bild am Sonntag” teilte auch Kolumnist Peter Hahne den “BamS”-Lesern mit, dass er heute “für den Erhalt des Flughafens” stimmen werde.
1. Sächsische Großzügigkeit (taz.de, Daniel Bax)
Die “Sächsische Zeitung” hat am Silvesterwochenende eine Karikatur veröffentlicht, die Muslime und Schwarze als rassistische Klischees darstellt. Einigermaßen verstört fragt man sich, wie dieses unsägliche Werk von einer Tageszeitung abgedruckt werden konnte und so wenig Widerspruch erntet. Daniel Bax von der “taz” vermutet: “Dass diese Karikatur in der Sächsischen Zeitung kaum Aufsehen erregt hat, mag einem spezifisch sächsischen Humor geschuldet sein. Oder der Tatsache, dass sich die öffentliche Debatte so weit nach rechts verschoben hat, dass viele für solcherart diffamierenden Bilder unempfindlich geworden sind.”
2. Einen Gang herunter schalten (djv.de, Hendrik Zörner)
Hendrik Zörner vom “Deutschen Journalisten Verband” wünscht sich anlässlich der hitzigen Nafri-Debatte von den Medien mehr Hintergrund und Einordnung: “Wie wäre es mal mit einem Erklärstück über die skurrilsten Begriffe aus Polizeiberichten? Zu den “Gefährdern” und “Nafris” würden sich dann “Schamverletzer” und “Hilope” gesellen, zu deutsch: “Exhibitionisten” und “hilflose Personen”. Statt dessen den Hype weiter anzufeuern, entspricht nicht dem Informationsauftrag der Medien. Also, liebe Kollegen: Bitte mal einen Gang herunter schalten.”
3. Es geht um alles (tagesspiegel.de, Thomas Gehringer)
Der “Spiegel” feiert derzeit seinen siebzigsten Geburtstag, doch nach Feiern ist nicht jedem zumute. Wie bei anderen Medien sinkt die Druckauflage und im Haus herrscht Unruhe: 149 von über 1100 Stellen werden gestrichen.
Einen weiteren lesenswerten Beitrag über die Umbaumaßnahmen beim Spiegel gibt es in der “taz”: In Sturmgeschütz der Demokratie? schreiben Anne Fromm und Daniel Bouhs u.a. über die Versuche des Blatts, den Bereich “Investigative Recherche” zu stärken.
Und auch René Zeyer sorgt sich in der “Medienwoche” um das Nachrichtenmagazin und ruft den Mitarbeitern zu: “Spielt wieder mehr den alten Rock’n’Roll des Journalismus: hinschauen, hingehen, recherchieren, beschreiben. Die Welt widerspiegeln, nicht die eigene Befindlichkeit.”
4. Big Data: Gefahren für Journalisten (ndr.de, Melanie Stein)
Auf dem Hackerkongress “33c3” in Hamburg hat der Informatiker David Kriesel ein tolles Data-Science-Projekt vorgestellt: Seit zwei Jahren hat er alle Artikel von “Spiegel Online” gespeichert und die Metadaten von ca. 100.000 Artikel ausgewertet. Herausgekommen ist ein informativer und höchst unterhaltsamer Vortrag. Die NDR-Sendung “ZAPP” hat mit Kriesel, aber auch mit einem Verantwortlichen von “Spiegel Online” gesprochen.
5. Auf Donald Trump folgt der Terminator (sueddeutsche.de, Kathrin Werner)
Über viele Jahre und 14 Staffeln mit 185 Folgen war Donald Trump der Mittelpunkt der amerikanischen Fernseh-Reality-Show “The Apprentice”. An seine Stelle als prominenter Moderator tritt nun Arnold Schwarzenegger, Trump bleibt jedoch geschäftsführender Produzent. Ein klarer Interessenskonflikt, wie Kathrin Werner in der “SZ” findet.
6. Facebook zensiert Bild von Neptun-Statue (haz.de)
Das Wahrzeichen der Stadt Bologna ist der historische Neptunbrunnen im Zentrum. Eine italienische Schriftstellerin hat ein Bild der 3,35 m hohen Statue der nackten Neptunfigur auf Facebook gepostet, das kurz danach wegen „sexuell expliziten“ Inhalts gelöscht wurde. Nach Protesten wurde das Bild nun wieder freigegeben.
1. Somuncu: “Das war im Umgang nicht besonders fair” (dwdl.de, Alexander Krei)
Der Fernsehsender „n-tv“ hat am Dienstag kurzfristig entschieden, die bereits produzierte Ausgabe der Talkshow “So! Muncu” aus dem Programm zu nehmen. Die aktuelle Sendung mit einigen satirischen Einspielern genüge nicht den „Qualitätsansprüchen des Senders“. Im Interview mit “DWDL” schildert Kabarettist Serdar Somuncu Ablauf und Hintergründe und kündigt an, darüber nachzudenken, “ob n-tv unseren Qualitätsansprüchen entspricht”.
2. Journalisten-Verband löscht Falschmeldung über Falschmeldung (uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Der Pressesprecher des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV) ließ sich auf der Internetseite des DJV zu einer kleinen Wutrede gegen „RT Deutsch“ hinreißen, die — wie er sie nennt — „Putin treue Propagandaschleuder“. Problem: Sein Hauptvorwurf, der Sender habe in einem konkret benannten Fall als erster Sender „Fake News“ verbreitet, erwies sich als falsch. Inzwischen hat der DJV-Pressesprecher den Eintrag einfach gelöscht. Mit dem DJV, sagt er, habe das nichts zu tun, was „Übermedien“-Autor Boris Rosenkranz entsprechend kommentiert: „Wenn der DJV-Pressesprecher im DJV-Blog auf der DJV-Internetseite etwas kommentiert, was sollte das dann auch mit dem DJV zu tun haben?“
3. Der Schulz-Höcke-Effekt (taz.de, Lalon Sander)
Die „taz“ hat sich erneut durch die rechten Medien und einschlägigen Plattformen geklickt und die wichtigsten Meldungen des Monats Februar zusammengefasst. Was auffalle: Die Themen der rechten Nische würden denen der so verhassten „Mainstream-Medien“ ähneln. Es sei vor allem um den Aufstieg von Martin Schulz gegangen, den Skandal um Björn Höcke — und den gleichzeitigen Absturz der AfD.
4. Freiheit für Shawkan und andere Inhaftierte (reporter-ohne-grenzen.de)
„Reporter ohne Grenzen“ ruft Bundeskanzlerin Angela Merkel auf, sich bei ihrer Ägypten-Reise für die Freilassung inhaftierter Journalisten und für Reformen an medienfeindlichen Gesetzen einzusetzen. Unter Präsident Abdel Fattah al-Sisi habe die Unterdrückung der Pressefreiheit in Ägypten erschreckende Ausmaße angenommen. Mindestens 25 Journalisten würden wegen ihrer Arbeit im Gefängnis sitzen. Ägypten belege auf der jährlichen Rangliste der Pressefreiheit Platz 159 von 180 Ländern.
5. “Wir verstehen soziale Medien immer noch nicht wirklich” (futurezone.at, Patrick Dax)
Iyad Rahwan beschäftigt sich am MIT Media Lab in Boston mit den gesellschaftlichen Auswirkungen von Technik. „futurezone“ hat mit ihm über die Auswirkungen von “Fake News” gesprochen. Rahwan sieht in Hinblick auf die sozialen Medien dringenden Forschungsbedarf: „Tools wie Facebook und Twitter zu schaffen ist eine Sache, zu verstehen, wie diese Werkzeuge mit menschlichen kognitiven und sozialen Prozessen zusammenspielen, ist eine andere. Wir müssen erforschen, wie soziale Prozesse fehlschlagen, wenn es unterschiedliche Geschwindigkeiten zwischen technischen Entwicklungen und der menschlichen Fähigkeit, darauf zu reagieren, gibt.“
6. Internet der Kuscheltiere (golem.de, Hauke Gierow)
Vernetztes Kinderspielzeug kommt nicht aus den Schlagzeilen: Nach Sicherheitslücken bei „Hello Barbie“ und der Puppe „Cayla“ sitzt diesmal ein Teddy aus der „Cloudpets“-Reihe auf der Anklagebank. Das dahinterstehende Unternehmen sei von verschiedenen Seiten gewarnt worden, dass Hunderttausende von Accountdaten und Millionen von Sprachsamples unzureichend gesichert in der Cloud abgelegt seien, habe jedoch nicht reagiert.
1. Das ist keine Formalie (faz.net, Axel Weidemann)
Die Landesmedienanstalt NRW hat die „Let’s Player“ von „Piet Smiet“ aufgefordert, eine Rundfunklizenz zu beantragen. Live-Streams mit bestimmten Kriterien (u.a. mehr als 500 Zuschauer, Regelmäßigkeit der Ausstrahlung) würden als Rundfunkangebot gelten, für das eine Lizenz zu beantragen sei. Der Rechtsanwalt Christian Solmecke erklärt, was für Konsequenzen der Vorstoß der Medienanstalt hat und ob das Medienrecht angepasst werden muss.
2. Streit um Compact auf der Leipziger Buchmesse (blog.zeit.de, Paul Hildebrand)
„Für das Wort und die Freiheit – #FreeTheWords“, hieß es auf der Leipziger Buchmesse, doch zumindest bei einer Präsentation des rechtspopulistischen “Compact“-Magazins war es damit nicht weit her: Mehrfach sollen Journalisten bedrängt und eingeschüchtert worden sein.
3. Selbst die Natur bleibt von der Schönfärberei nicht verschont (deutschlandfunk.de, Silke Burmester)
Sieben Jahre lang war Silke Burmester für die „taz“ als „Kolumnen-Kriegsreporterin“ unterwegs. Nun ist sie zurück mit ihrer Medienkolumne: beim Deutschlandfunk. Diesmal erzählt sie, warum man viele Reiseartikel nicht “journalistisch” nennen kann und was Leser dagegen tun könnten: “Viele Reisemagazine und Reiseseiten haben den Anspruch “Journalismus” verwirkt. Es wäre jetzt an Ihnen, liebe Hörerinnen und Hörer, für einen Wandel zu sorgen. Machen Sie klar, dass Sie solche Medien nicht wollen. Verweigern Sie den Kauf. Oder gehen Sie den Chefredakteuren gehörig auf die Nerven.“
4. Jörg Meuthen, die AfD und die Talkshows (ndr.de, Anja Reschke, Video, 1:27 Minuten)
AfD-Parteichef Jörg Meuthen will mit seiner Partei öfter in den Talkshows von ARD und ZDF vorkommen. Gleichzeitig hält er das bezahlte, öffentlich-rechtliche Rundfunkwesen für entbehrlich und fordert die Abschaffung aller Gebühren dafür. Anja Reschke vom NDR-Magazin „Zapp“ sieht darin einen Widerspruch, den sie ironisch-süffisant kommentiert. Gänzlich anderer Meinung ist Stefan Niggemeier auf „Übermedien“ und antwortet mit einem herzhaften „Was für ein Unsinn!“
5. „Focus“ streicht weitere Stellen (rnd-news.de, Ulrike Simon)
Ulrike Simon berichtet in der Medienkolumne von den drastisch bis dramatischen Sparmaßnahmen beim „Focus“. Ob das Ganze sinnvoll sei beziehungsweise etwas bewirke, müsse angezweifelt werden: „Vielleicht wäre es ehrlicher, „Focus“ den finalen Todesschuss zu geben, anstatt Jahr für Jahr wahlweise das Konzept zu ändern, den Chefredakteur auszuwechseln, die Redaktion zu verkleinern und dabei jedes Mal so zu tun, als werde nun alles gut.“
6. In der Synchronisationshölle (tagesspiegel.de, Jan Freitag)
Jan Freitag rechnet im „Tagesspiegel“ mit schlecht synchronisierten Filmen ab: „Für die Illusion lippensynchroner Verständlichkeit wird fast jeder fremdsprachige Dialog ins Stahlbad teutonischer Emphase getaucht. Während sich Skandinaviern das Wesen des Originals untertitelt erschließen darf, bügelt Deutschland vom Filmklassiker über BBC-Dokus bis zur Netflix-Serie alles glatt. Der Beelzebub zweidimensionaler Unterhaltung, er heißt Synchronisation.“
Mariah Carey soll sich den Magen verkleinert haben lassen. Das berichtet Bild.de und beruft sich dabei auf einen Artikel des “Promi-Portals ‘Page Six'”, das sich wiederum auf eine “anonyme Quelle” beruft:
Ja, zugegeben, wir haben auch schon mal eine bessere Quellenlage gesehen. Doch ob es nun stimmt oder nicht, dass die Sängerin sich “bereits vor einem Monat” von einem “Star-Chirurgen aus Bevery Hills” “Teile ihres Magens” operativ entfernen lassen hat, ist gar nicht so wichtig. Interessant ist der angebliche Grund, den Bild.de nennt:
Der Grund demnach: das explodierende Gewicht von Mariah Carey — und fiese Online-Kommentare von bösen Mobbern!
Nein! Da machen sich Leute im Internet lustig über das Gewicht von Mariah Carey? Denken sich blöde Wortspiele zu ihrer Figur aus? Schau an!
Wir wissen sogar, wo manche dieser “bösen Mobber” sitzen und ihre “fiesen Online-Kommentare” verfassen: im Axel-Springer-Hochhaus.
Pop-Presswurst Mariah Carey (47, “Butterfly”) treibt die Zahl überzeugter Vegetarier mit ihren ewig einschneidenden Bühnenoutfits dramatisch in die Höhe.
Fleischeslust wecken ihre hautfarben bestrumpften XL-Kurven im XS-Fummel nämlich NICHT!
Carey klettert von einer Millionen-Dollar-Jacht und lässt sich von ihrem Gefolge helfen, wie es sich für eine Pop-Prinzessin gehört. Dabei trägt sie einen hautengen Neopren-Anzug, der ihre prallen Kurven zusammenquetscht — der dazugehörige Reißverschluss hat allerdings schon aufgegeben und bleibt auf Bauchnabel-Höhe hängen.
In China war es gerade wieder so weit: für ein Konzert zwängte sich Mariah Carey (44) in einen Ultra-Mini und bewies einmal mehr, dass sie die prominenteste Presswurst der Welt ist.
Momentan wird ja eine Menge darüber diskutiert, inwiefern es nötig oder vertretbar oder falsch ist, bei Verbrechen auch direkt über die Herkunft eines Täters oder Tatverdächtigen zu berichten. Julian Reichelt hatte dazu vor vier Tagen auch eine Art Gedanken:
Es ging um einen Vorfall im Düsseldorfer Rheinbad, bei dem Jugendliche unter anderem Rutsche und Sprungturm besetzten, woraufhin die Polizei anrücken und das Bad zum wiederholten Male räumen musste. Zum Tweet des “Bild”-Chefs gehören zwei Screenshots — einer von “RP Online”, einer von WDR.de. Worauf Reichelt sich bezieht: Bei “RP Online” steht, die Jugendlichen würden aus Nordafrika stammen (“Eine Gruppe von ungefähr 60 Jugendlichen, die laut Kettler aus Nordafrika stammen sollen”); WDR.de schreibt, die Herkunft der Jugendlichen sei derzeit unklar (“Zur Herkunft der Jugendlichen kann die Polizei im Moment nichts sagen”). Da verschweige und verfälsche die Redaktion des öffentlich-rechtlichen WDR doch was, so Reichelt.
Mal abgesehen von der generell verqueren Logik in seinem Tweet verzerrt der “Bild”-Chef hier die Informationslage: Er vergleicht eine Mutmaßung auf Grundlage von Aussehen durch den Geschäftsführer der Bädergesellschaft Roland Kettler (bei “RP Online”) mit einer offiziellen Aussage der Polizei (bei WDR.de). Außerdem steht auch im Text von “RP Online”:
Die Polizei wollte sich zur Nationalität der Jugendlichen nicht äußern.
Was Julian Reichelt “Verschweigen und Verfälschen” nennt, ist also nichts weiter, als das Wiedergeben der bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung gesicherten, offiziellen Informationen.
Dazu kommt: Reichelt befeuert die Debatte über die Herkunft von Tätern mit Blödsinn, wenn er schreibt, dass die Herkunft der Jugendlichen “so unklar gar nicht zu sein scheint”, und damit meint, dass sie aus Nordafrika kommen dürften. Es ist offenbar nicht so eindeutig, wie er es klingen lässt: Die “taz” berichtet, dass “alle, deren Personalien aufgenommen wurden”, deutsche Staatsangehörige seien. Eine “nordafrikanische Herkunft liege nicht vor.” “RP Online” ergänzt, dass zumindest einer von ihnen “auch die nigerianische Staatsangehörigkeit” besitze.
Glaubt “Bild”-Chef Julian Reichelt denn ernsthaft, dass uns solch unwissendes und vorschnelles Herumgetwittere vor der AfD bewahrt?
“Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt und seinen Stellvertreter Paul Ronzheimer muss man sich vorstellen wie zwei Typen, die vor der brennenden Hütte stehen, den Benzinkanister und das Feuerzeug noch in der Hand, und die später auf dem Polizeirevier groß rumtönen, dass sie fürs Löschen ja ihre zwei Flaschen Bier zur Verfügung gestellt haben.
Nachdem es in den Sozialen Medien deutliche Kritik an der “Bild live”-Sendung zu den rassistischen Morden in Hanau gab, antworteten Reichelt und Ronzheimer nicht etwa mit Einsicht, dass das alles ziemlich schlecht war, oder mit Verständnis dafür, dass das wilde Spekulieren und das Verbreiten von falschen Gerüchten vielen nicht passte. Stattdessen:
“Hier, schaut mal, ihr habt da richtig Mist gebaut.” “Jaha, aber wir haben auch was richtig gemacht.”
Gleicht im “Bild”-Kosmos eine zutreffende Information die ganzen falschen Behauptungen von vorher aus? Denken Reichelt und Ronzheimer, dass die Gerüchte, die in der “Bild live”-Sendung verbreitet wurden, damit aus der Welt sind? Glauben sie wirklich, dass sie mit ihrer “exklusiven Meldung bei BILD” all jene erreichen, denen die “Bild”-Reporter zuvor noch erzählt haben, dass “Russen” hinter den Morden stecken dürften, oder dass das alles was mit dem “Drogenmilieu” oder “Schutzgeldzahlungen” zu tun haben könnte?
Oder sind das einfach nur billige Ausreden, um nicht um Entschuldigung bitten zu müssen? Wir haben schon häufiger darauf verwiesen und wollen es heute wieder tun: Julian Reichelt ist der Mann, der über sich selbst sagt:
Es fällt mir grundsätzlich leicht, mich zu entschuldigen, wenn wir Fehler gemacht haben.
1. Die Intendantin und ihr Kontrolleur (tagesschau.de, Gabi Probst & René Althammer & Jo Goll & Daniel Laufer & Oliver Noffke)
Eigentlich soll im öffentlich-rechtlichen System ein Verwaltungsratsvorsitzender die Arbeit des Intendanten oder der Intendantin überwachen. Der rbb-Verwaltungsratsvorsitzende Wolf-Dieter Wolf und die rbb-Intendantin Patricia Schlesinger pflegten jedoch ein enges, womöglich freundschaftliches Verhältnis, wie neu aufgetauchte Dokumente belegen. Auf Kosten der Beitragszahler erfreute man sich an Delikatessen wie Entenstopfleber (deren Herstellung in Deutschland übrigens aus guten Gründen verboten ist, Anmerkung des “6-vor-9”-Kurators) und Champagner und wäre sogar fast miteinander verreist.
2. Im Auftrag der Pressefreiheit (journalist.de, Celine Schäfer)
Beim “journalist” zeichnet Celine Schäfer der Werdegang von Vera Deleja-Hotko nach, die das Rechercheteam von “FragDenStaat” leitet. Dort recherchiere sie auf Grundlage von Dokumenten, die sie und ihr Team durch Informationsfreiheitsgesetze erhalten. Bis zu ihrer jetzigen Position war es für Deleja-Hotko ein harter und entbehrungsreicher Weg: “Wäre ich es nicht schon aus meiner Schulzeit gewohnt gewesen, so viele Stunden zu arbeiten und Nachtschichten zu machen, hätte ich diesen Weg nicht gehen können.”
3. Die eigenen Irrtümer mitdenken (boersenblatt.net, Lennart Schaefer)
In die Debatte um das Zurückziehen von Begleitbüchern zu einem Winnetou-Spin-off schaltet sich Lennart Schaefer ein und räumt mit Missverständnissen auf: “Es geht nicht um die Empörung einer Gruppe von Aktivisten auf Social Media, sondern um die Kritik der Betroffenen. Es gibt auch keine Zensur, weil nichts verboten wurde, sondern nur Rücksicht genommen. Es steht auch keine Bücherverbrennung vor der Tür, weil das aus einer Diktatur hervorgegangen ist und es gerade um das Gegenteil geht – um Vielfalt, darum, allen zuzuhören und alle verstehen zu wollen.”
4. Gericht verurteilt Querdenker wegen Mordaufrufen im Netz (rnd.de)
Ein 63-jähriger Betreiber einer Facebook-Gruppe wollte die von anderen Gruppenmitgliedern geposteten Hasskommentare und Mordaufrufe partout nicht löschen. Das Amtsgericht Weiden hat den “Querdenker” daraufhin zu einer Bewährungsstrafe von elf Monaten und einer Zahlung von 1.200 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung verurteilt.
5. Newsletter Netzwerk Recherche 212 (netzwerkrecherche.org, Daniel Drepper & Albrecht Ude)
Wie immer eine Empfehlung wert, nicht nur für Journalistinnen und Journalisten aus dem Investigativbereich: der Newsletter des Netzwerk Recherche (nr). Die neueste Ausgabe liefert den gewohnten aktuellen Überblick über Nachrichten, Veranstaltungen, Seminare, Stipendien und Preise. Außerdem gibt es Informationen zur alljährlichen nr-Jahreskonferenz, die am 30. September und 1. Oktober dieses Jahres in Hamburg stattfindet. Im Pressespiegel gibt es zudem wertvolle Lesetipps zu ausgesuchten Themen.
6. Streaming Wars (tagesspiegel.de, Joachim Huber & Hannes Breustedt & Andrej Sokolow)
In wenigen Tagen feiert der ehemalige DVD-Verleiher und heutige Streaminganbieter Netflix ein Jubiläum, doch die Freude dürfte getrübt sein: “An seinem 25. Geburtstag am 29. August steht der Streaming-Marktführer unter Druck wie selten zuvor und es ist unklarer als je zuvor, wer die Streaming Wars gewinnt.”
Diese Geschichte ist uninteressant. Es ist eine von diesen dummen Wowereit-fast-wieder-umgedreht-Geschichten, die “Bild” soliebt, der Anlass ist ein schlichter Begrüßungsbussi mit Franziska van Almsick bei einer Gala.
Aber da gibt es ein bemerkenswertes Detail. Bei Bild.de heißt das Stück “Hier verzaubert Franzi Berlins Regierenden Bürgermeister”. Und fast der gesamte Artikel beschäftigt sich mit diesem Moment, in dem es — so suggeriert Bild.de — zwischen dem schwulen Bürgermeister und dem ehemaligen Sportstar funkte:
Ich schau dir in die Augen, Süße — und geb dir gleich einen Kuß…
Ein Blick, so verträumt wie bei einem Liebespaar, die Lippen erwartungsvoll gespitzt: Hinreißend – hier verzaubert Franzi Berlins Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (51). Der schien ganz begeistert: der Klaus ganz WOWereit! (…)
Kein Wunder, daß selbst der Bürgermeister seinen Blick nicht abwenden konnte.
Doch zu einem Kuß auf Franzis süße Schnute wollte er sich dann doch nicht durchringen: Kurz davor “bog” er ab, drückte ihr einen herzhaften Schmatzer auf die Wange…
All das ist im Grunde nur die Betextung dieses Fotos (Ausriss links), das auch erster Teil einer dreiteiligen Fotogalerie bei Bild.de ist. Bildtext dort: “Klaus Wowereit spitzt schon die Lippen, hat sein Ziel im Visier — und Franzi schmachtet ihn an…” (Auf den nächsten beiden Fotos folgen dann die Bussis.)
Die gleichen Fotos finden sich am 23. September auch in der gedruckten “Bild”, sogar durchnummeriert, aber in anderer Reihenfolge:
Hier soll der Blick von Wowereit und van Almsick nach den Bussis stattgefunden haben, Bildtext: “Danach himmeln sich beide an.”
Wie gesagt: Uns interessiert sehr wenig, in welcher Reihenfolge sich dieses Ereignis wirklich abgespielt hat. Aber wir merken uns: Im Zweifelsfall würde die “Bild”-Zeitung Fotos in jede beliebige Reihenfolge bringen, um zu beweisen, was immer sie beweisen will.
Schräg, kultig, schmutzig? Mit sinkender Auflage und wachsender Hysterie? “Bild” enthüllte, dass der CSU-Politiker Horst Seehofer eine “heimliche Freundin” habe, die von ihm im 4. Monat schwanger sei. Deshalb ist “Bild” heute auch Thema in anderen Medien. Ein kleine, unvollständige Presseschau:
Mittlerweile hat sich die Bild-Zeitung, obwohl ihre Auflage seit Jahren sinkt, eine gewisse Beachtung auch in sogenannten besseren Kreisen verschafft, wo man im Kokettieren mit dem, was man “schräg” oder “kultig” findet, seine Vorurteilslosigkeit beweist. Und so kam es, dass in diesen Tagen ein solches Organ in den Streit um Stoiber eingreifen kann, indem es über einen möglichen Nachfolger schreibt, er habe eine Geliebte, die von ihm schwanger sei. (…) [E]inen Nutzen aus der Geschichte zieht die Bild-Zeitung selbst, die seit je mit der Mischung aus Spannertum und sittlicher Empörung ihre Leser befriedigt. (…) Wie jemand sein Sexualleben führt, ist allein seine Sache und die seiner Partner (…). Es geht nicht darum, irgendjemandem seine Freuden zu verleiden. Aber was ist es für eine Gesellschaft, die sich täglich, millionenfach und öffentlich anzoten lässt?
Das Blatt selbst hat sich in der Überschrift des ersten Artikels zutreffend charakterisiert: Da steht das Wort “schmutzig”. Dieser Selbstbeurteilung kann man nicht widersprechen, denn auf diesem Terrain kennt das Blatt sich aus. (Link von uns.)
Die “Bild” verliert seit zehn Jahren kontinuierlich an Auflage. Mit wachsender Hysterie sucht sie nach Knallern, mit denen sich Auflage machen lässt. Und bei Politikern hat sie keine Hemmungen, schließlich sind da die Anzeigenkunden außen vor. Wenn es um Wirtschaftsthemen geht, sucht die “Bild” viel eher Möglichkeiten der Kooperation – deutlich erkennbar zum Beispiel beim Fall Dieter Bohlen und “Deutschland sucht den Superstar”. Das hat nichts mehr mit Journalismus zu tun, hier geht es um Win-Win-Geschäftsmodelle.
In gut informierten Berliner Kreisen wird eine ganz andere Version gehandelt: Seehofers Freundin selbst soll das Boulevardblatt informiert haben. Und zwar, weil der Minister mit ihr Schluss machen und zur Familie zurückkehren wollte, heißt es. Bild soll die Story schon seit Wochen in der Schublade gehabt haben und nur auf einen günstigen Zeitpunkt zur Veröffentlichung gewartet haben.
Anders, als es die Aufmachung vermuten lässt, berichtet “Bild” heute in einem großen Artikel(Ausriss rechts) vergleichsweise sachlich in Frage und Antwort über die Hintergründe der Hafterleichterung für den ehemaligen RAF-Terroristen Christian Klar. Umso perfider ist es, dass sie ihre Leser darin an einer entscheidenden Stelle desinformiert und die Rechtslage nicht so darstellt, wie sie ist, sondern so, wie “Bild” sie gerne hätte:
Warum muss Klar überhaupt freigelassen werden – trotz “lebenslänglicher” Strafe?
Das deutsche Recht will auch lebenslänglichen Häftlingen die Chance auf Wiedereingliederung in die Gesellschaft geben — wenn sie für andere keine Gefahr mehr darstellen und sich von ihren Taten glaubwürdig distanziert haben.
Man kann es nicht deutlich genug sagen: Das ist grundfalsch. Ob und wie glaubwürdig sich ein Täter von seinen Taten distanziert hat, ob er Reue zeigt und ob er ein Geständnis abgelegt hat, ist für die Entscheidung, ob er nach Verbüßung der Mindesthaftzeit auf Bewährung freigelassen wird, exakt so entscheidend wie seine Haarfarbe, seine Lieblingsspeise und der Mädchenname seiner Mutter.
Um es für die “Bild”-Redaktion auszusprechen, das bedeutet: gar nicht.
Entscheidend ist allein, ob er noch eine Gefahr darstellt. In den Worten von Strafanwalt Udo Vetter:
Das Gericht muss die Bewährung bewilligen, “wenn dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann”.
“Zu den Voraussetzungen eines menschenwürdigen Strafvollzugs gehört, daß dem zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten grundsätzlich eine Chance verbleibt, je wieder der Freiheit teilhaftig zu werden. Die Möglichkeit der Begnadigung allein ist nicht ausreichend; vielmehr gebietet das Rechtsstaatsprinzip, die Voraussetzungen, unter denen die Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe ausgesetzt werden kann, und das dabei anzuwendende Verfahren gesetzlich zu regeln.”
Dass die “Bild”-Zeitung es schwer erträglich findet, in so einem Rechtsstaat zu leben, istbekannt. Dass die “Bild”-Zeitung sich nicht einmal mehr traut, ihre Leser wahrheitsgemäß über die Grundlagen dieses Rechtsstaates zu informieren, ist erschütternd.
Ach ja. Die Politiker reformieren die Erbschaftssteuer, was soll dabei schon herauskommen? Sowas natürlich:
Und der “Bild”-Leser, der diese Meldung heute auf der Seite 1 sieht, sagt vermutlich sowas wie: “Naja, typisch”, fühlt sich in seinem Urteil über die Politik im Allgemeinen wie im Konkreten bestätigt, und freut sich, dass wenigstens seine Zeitung das Elend täglich notiert.
Denn in den meisten anderen Zeitungen steht heute nichts davon, dass “Erben privater Vermögen und Immobilien sich auf deutlich höhere Steuern einstellen müssen” (Ausrufezeichen). Auch morgen wird es kaum anders sein. Verena Köttker, Chefreporterin im “Bild”-Hauptstadtbüro, steht mit ihrer Aussage sehr allein da.
Kein Wunder. Denn als Ausgleich dafür, dass Immobilien nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes in Zukunft mit einem höheren Betrag als bisher versteuert werden müssen, werden die Freibeträge für nahe Verwandte erheblicherhöht: um 63 Prozent für Ehepartner, 95 Prozent für Kinder und 290 Prozent für Enkel. Sie werden zum Beispiel in aller Regel, wie bisher, das normale Eigenheim nicht versteuern müssen. Die Zahl der Fälle, in denen überhaupt Erbschaftssteuer gezahlt werden muss, wird nach den Worten des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch deutlich zurückgehen.
Für nahe Familienangehörige wird das Erben also tendenziell billiger. Belastet werden nur Geschwister oder entferntere Verwandte.
Wie kommt “Bild” aber zu der Formulierung, Erben werde “jetzt doch” teurer? Womöglich bezieht sich das auf die Behauptung, die Freibeträge wären “deutlich weniger als zuvor versprochen”. Aber auch das stimmt bestenfalls in Bezug auf die Enkelkinder. Bei ihnen waren bislang höhere Freibeträge im Gespräch: Mindestens 250.000 Euro statt nun 200.000 Euro.
Aber aktuell liegt der Freibetrag für Enkel nur bei 51.200 Euro. Sie profitieren also besonders stark von der Reform. Und bei ihnen ist die “Bild”-Schlagzeile “Höhere Steuern!” ganz besonders falsch.
Weil es bei ihrer Kampagne für ein härteres Jugend- und Ausländerstrafrecht und die Wiederwahl von Roland Koch schon vergangene Woche so gut funktioniert hat, benutzt die “Bild”-Zeitung heute einfach noch einmal den Trick mit der Statistik — und erweckt wieder den falschen Eindruck, sämtliche Straftaten in bestimmten Bereichen würden von Ausländern verübt.
Der Artikel ist Teil 1 der neuen Serie: “BILD-Report über kriminelle Ausländer”, und anscheinend geht es auch allein darum:
(…) Sieben Jugendliche, arabischer und türkischer Herkunft, 17 bis 21 Jahre alt, zertrümmern die Scheiben einer U-Bahn. (…) Die Polizei fasst drei Täter: Einen Iraker (17), zwei 16-Jährige aus Gaza. (…) Übergriffe krimineller Ausländer in Deutschland — lange war es ein Tabu-Thema. (…) In einer neuen Serie beleuchtet BILD die Brennpunkte der Ausländer-Kriminalität in Deutschland. (…) Drogendealer meist arabischer Herkunft schleichen umher (…). 2006 gab es allein in Berliner Bussen und Bahnen etwa 22.381 Straftaten. (…) In Münchner U-Bahnen gab es 192 Gewalttaten. In Hamburg waren es im letzten Jahr 195 Prügeleien oder Messerstechereien, in Frankfurt/Main immerhin noch 84. (…)
Haben Sie’s gemerkt? Die Zahlen, die inmitten all dieser Ausländergeschichten stehen — es sind keine Ausländerzahlen. Es ist die Gesamtzahl aller Straf- oder Gewalttaten, egal von welchen Landsleuten sie verübt wurden. “Bild” erwähnt das nicht. Auch die anderen Schilderungen von ängstlichen Wachleuten oder resignierten Busfahrern kommen teilweise ganz ohne konkreten Bezug zur Herkunft der Täter auf, so als sei Jugendgewalt ganz selbstverständlich Ausländergewalt.
Analog dazu hat “Bild” ein Interview mit dem CSU-Politiker Peter Gauweiler zwar laut Überschrift “zur Kriminalität von Ausländern” geführt. Tatsächlich geht es darin aber fast ausschließlich um Gewalt in U- und S-Bahnen allgemein — abgesehen vor allem von diesem Satz Gauweilers:
Deutschland wird in der Münchner U-Bahn verteidigt, am Bahnhof Zoo in Berlin und in der Frankfurter Innenstadt.
Christian Pfeiffer, der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, sagte am Sonntag bei “Anne Will” auf die Frage, ob Roland Koch durch seine Vorstöße die Wahlen gewinnen werde:
“Ich denke, diese Koppelung von überzogenen Forderungen mit einer Hetzkampagne der Bild-Zeitung wird ihm nicht helfen, weil es da einfach zu sehr übertrieben wurde und die Einseitigkeit “Ausländer sind kriminell” und das ständig und über Tage wiederholt, das ging zu weit und das begreifen die Bürger.”
Mit “Hetzkampagne” muss Pfeiffer dies hier meinen:
Andererseits:
Die Kriminalität in Deutschland ist in den vergangenen zehn Jahren zurückgegangen.
Die Zahl der nichtdeutschen Tatverdächtigen hat deutlich abgenommen.
Nach Jahren des Anstiegs geht die Jugendkriminalität seit 1996 zurück.
Jugendliche begehen sehr viel weniger Tötungs- und Raubdelikte als noch vor zehn Jahren; die Zahl der von ihnen begangenen Körperverletzungen aber nimmt zu.
Bei der Gewaltkriminalität ist der Anteil der Tatverdächtigen, die keine Deutschen sind, gesunken.
Ob Jugendgewalt häufiger und schlimmer geworden ist, ist unklar. Möglicherweise nimmt die Zahl der Fälle nur deshalb zu, weil häufiger als früher die Polizei gerufen wird.
Jugendliche mit Migrationshintergrund werden häufiger straffällig, aber nicht so viel mehr, wie die Statistiken glauben machen.
Christoph Frank, der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, sagt: “Die Formel härtere Strafen gleich höhere Abschreckung gleich weniger Straftaten ist schlicht falsch.”
Anders als zwischen Strafmaß und Kriminalität gibt es einen Zusammenhang zwischen Bildung und Kriminalität: In München geht die Mehrzahl der Türken nur auf die Hauptschule, in Hannover nicht mehr; in München werden immer mehr Türken Mehrfachtäter, in Hannover immer weniger.
Umfassende und differenzierte Informationen finden sich in Medien, die nicht auf einem politischen Kreuzzug sind, zum Beispiel auf tagesschau.de sowie in “Telepolis”, das den Bericht der Innenministerkonferenz über die Entwicklung der Gewaltkriminalität junger Menschen (pdf) zusammenfasst.
1. Kriminologen wollen Medien auf Terror-Entzug setzen (welt.de, Christian Meier)
Christian Meier beschäftigt sich in der “Welt” mit der Frage, wie konkret und anschaulich Medien über Attentate von Amokläufern und Terroristen berichten sollen bzw. dürfen. In einem gerade erschienenen Buch über “Die mediale Inszenierung von Amok und Terrorismus” hätten sich Wissenschaftler für Zurückhaltung der Medien als das beste Rezept gegen weitere Gewalttaten ausgesprochen. Doch es gäbe auch ein “berechtigtes Erkenntnisinteresse der Gesellschaft”. Ein Dilemma, das sich nicht auflösen lässt, konstatiert Meier in seinem die verschiedenen Positionen abwägenden Beitrag.
2. «Wir müssen Kritik einstecken, weil wir nur Wahrheiten verbreiten» (persoenlich.com, Michèle Widmer)
Vor einigen Tagen kam es in der Schweiz zu einem Amoklauf. Die Kantonspolizei St. Gallen musste sich danach einige Vorwürfe anhören: Zu spärliche Information, ein fehlender Twitter-Account und mangelnde Englischkenntnisse des Medienchefs. Im Interview bezieht Mediensprecher Hanspeter Krüsi Stellung zu den Vorwürfen. Angesprochen auf die vielgelobte Medienarbeit der Münchner Polizei sagt Krüsi: “Die Münchner Polizei hat einen guten Job gemacht. Allerdings haben die deutschen Kollegen über Twitter auch falsche Informationen verbreitetet. Während sie für diese Fehlleistung gelobt werden, müssen wir Kritik einstecken, weil wir nur Wahrheiten verbreiten. Meiner Ansicht nach eine verkehrte Welt.”
3. Skandalberichterstattung: Überschreitung von Normen? (de.ejo-online.eu, Anna Carina Zappe)
„Mediated Scandals – Gründe, Genese und Folgeeffekte von medialer Skandalberichterstattung“ heißt der Sammelband, in dem grundlegende Aspekte der Thematik sowie aktuelle Studien und Sichtweisen aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive vorgestellt werden. Der Band biete nicht nur für Medienwissenschaftler und -schaffende spannende Ansätze, sondern sei auch für Mediennutzer allgemein interessant, so Anna Carina Zappe in ihrer Buchvorstellung.
4. Wie wäre es mit Pokémon Go für Journalisten? (faz.net, Adrian Lobe)
Adrian Lobe hat sich einen neuen Dienst angeschaut, der lokale Berichterstattung mit Echtzeitelementen kombiniert. “Bloom” heißt das Ganze und wird als Plugin für Verlage angeboten. Dabei ist nicht mehr die Titelseite einer gedruckten Zeitung der Ausgangspunkt, sondern eine Karte mit Verknüpfungen. Daher auch die Umschreibung der Anwendung als “Pokémon Go für Journalismus“.
5. Stellungnahme zur Kritik am Tagesthemen-Beitrag vom 14.08.2016 (blog.br.de, Susanne Glass & Markus Rosch)
In der Tagesschau und den Tagesthemen vom 14.8.2016 wurde ein Beitrag zum Thema Wassermangel im Westjordanland ausgestrahlt. Die Wasserversorgung in den palästinensischen Gebieten ist ein umstrittenes Thema und so erntete der Beitrag viel Kritik. Das ARD-Studio Tel Aviv greift die Vorwürfe auf und bezieht Stellung.
6. Das sind die 6 großartigsten Grafiken zu #Rio2016 (medium.com, Frederic Huwendiek)
Mit Datenvisualisierung lassen sich tolle Dinge umsetzen. Frederic Huwendiek hat die nationalen und internationalen Medien durchgescannt und stellt einige gelungene Grafiken zum Thema Olympische Spiele vor.
Stellen Sie sich mal vor, Sie sind Redakteur bei der “Bild”-Zeitung. Okay, vielleicht etwas heftig …
Stellen Sie sich mal vor, Sie sind Redakteur bei einer Zeitung. Am Mittwochmittag erreicht Sie die Mail eines Lesers, in der er Ihnen Fotos eines Liebespaares anbietet. Das Paar knutscht auf einer Wiese mitten in Bremen, und als sich die Frau über den Mann beugt, um ihn weiter zu küssen, rutscht ihr Rock hoch. Man kann auf den Fotos ihren Hintern und ihren Tanga gut erkennen. Es dürfte sich bei den Leuten nicht um Prominenten handeln. Der Leser schreibt Ihnen noch:
“Die beiden waren so mit sich beschäftigt, dass sie die nur wenige Meter entfernt sitzenden anderen Menschen überhaupt nicht mehr wahrgenommen haben. Ich würde das als schweres Fummeln bezeichnen!”
Welcher Gedanke gehen Ihnen als Blattmacher durch den Kopf?
Mögliche Reaktion 1: “Moment mal! Das ist doch aber gar nicht in Ordnung, einer Frau unter den Rock zu fotografieren. Klar, man könnte jetzt sagen: Selbst schuld, wenn die zwei da in aller Öffentlichkeit so eine Nummer abziehen. Aber reicht es nicht, dass die Leute drumherum das Ganze gesehen haben? Und die beiden konnten ja auch nicht wissen, dass da irgendein notgeiler Passant direkt sein Handy zückt, Fotos macht und für ein paar Euros das Material an eine Zeitung verkauft. Ich will nicht alles noch peinlicher für das Liebespaar machen und Fotos von nackten Hintern groß in meiner Zeitung mit einer hohen Auflage veröffentlichen. Die Leute auf den Fotos haben schließlich auch eine Würde. Und die will ich ja nicht mit den Füßen treten.”
Mögliche Reaktion 2: “Boah! Geil! Geiel!! GEIEL!!! Ein nackter Arsch! Darauf habe ich heute den ganzen Tag gewartet. Das bringen wird groß, ach was, riesengroß. Und gleich mit drei Fotos. Dann müssen unsere Leser morgen auch gar nicht auf ihren Lieblingspornoseiten nach Voyeur-Filmen suchen. Und dann packen wir noch ein paar gute Wortspiele dazu. Sowas wie: ‘Hallöchen Popöchen!’ oder ‘Heißes Wetter, heiße Show’. Das wird der Knaller! Vielleicht können wir daraus ja auch eine Serie machen. Morgen schicken wir erstmal den Praktikanten los und lassen ihn nach der Alten fahnden: ‘Ich bin der geile Arsch von der Wiese.’ Und dann suchen wir noch andere Leute, die schon mal jemanden in der Öffentlichkeit geküsst haben. Und dazu bringen wir noch ein Interview mit Nacktschnecke Micaela Schäfer. Vielleicht zeigt die uns ja auch noch ihre Hupen — Jackpot! Ich liebe meinen Job! Genau für solche Geschichten bin ich Journalist geworden!”
Für welche Variante sich die Bremen-Redaktion der “Bild”-Zeitung und Bild.de entschieden haben?
(Nur der Vollständigkeit halber: Unkenntlichmachungen durch uns.)
“Bild”-Chefreporter Peter Hell hat einen Bulgaren gefunden, der den Leserinnen und Lesern mal erklärt, wieso das mit den deutschen Sozialleistungen für EU-Bürger aus Sicht eines Bulgaren eine ganz einfache Rechnung ist:
Blöderweise nutzt er dafür allerdings falsche Zahlen. Und die “Bild”-Medien verbreiten sie weiter:
Einer, der aufgrund der lukrativen Sozialleistungen aus Plovdiv (Bulgarien) mit dem Bus vor acht Jahren mit seiner Familie nach Deutschland reiste, ist Ricky* (20, Name geändert). BILD traf den Bulgaren, seine zwei Geschwister und Eltern in ihrer Dreieinhalb-Zimmer-Wohnung (70 qm) in Dortmund. Zwei Jahre arbeitete Ricky als Koch. Aktuell lebt die gesamte Familie von Sozialleistungen.
Ricky rechnet gegenüber BILD vor: “In Bulgarien bekommst du 7 bis 8 Euro Kindergeld und 15 Euro Arbeitslosengeld pro Monat. In Deutschland ist das besser. Hier sind es fast 200 Euro pro Person. Eine Familie mit drei, vier Kindern kommt auf fast 800 Euro. Die Miete und der Strom werden uns mit 600 Euro auch bezahlt. Außerdem bekomme ich Arbeitslosengeld. Deshalb ist Deutschland für mich das beste Land.”
Erstmal: Wenn Ricky heute 20 ist und vor acht Jahren nach Dortmund kam, dürfte es ausgesprochen unwahrscheinlich sein, dass er als 12-Jähriger auf die Idee kam, sich aufgrund deutscher Sozialleistungen nach Deutschland aufzumachen, wie Bild.de in der Überschrift behauptet. Die Initiative dürfte wohl eher von Rickys Eltern ausgegangen sein.
Dann: Wenn Ricky zwei Jahre als Koch gearbeitet hat, wird er vermutlich in die Sozialkassen eingezahlt haben. Dass er daraus nun Arbeitslosengeld bekommt, ist erstmal nur fair.
Aber vor allem: Leider hat Ricky keine besonders große Ahnung von den Sozialleistungen in Bulgarien. Und leider hat “Bild”-Chefreporter Peter Hell kein besonders großes Interesse an Fakten.
“7 bis 8 Euro Kindergeld und 15 Euro Arbeitslosengeld pro Monat” in Bulgarien — da wird selbst der letzte Stammtischler sagen: “Ist ja klar, dass die zu uns kommen und hier was abstauben wollen!” Nur sind die Zahlen falsch.
Eine bulgarische Familie mit einem Kind bekommt aktuell 40 Lew pro Monat, mit zwei Kindern insgesamt 90 Lew, mit drei Kinder 135 Lew, mit vier Kinder 145 Lew. Für jedes weitere Kind gibt es 20 zusätzliche Lew. Zwei bulgarische Lew sind in etwa ein Euro. Also: 20 Euro für ein Kind, 72,50 Euro für vier Kinder. Das ist, verglichen mit den monatlich rund 200 Euro Kindergeld in Deutschland, immer noch wenig. Aber eben deutlich mehr als von Ricky in den “Bild”-Medien behauptet.
Noch viel weiter entfernt von den tatsächlichen Zahlen ist Rickys Angabe zum Arbeitslosengeld. In Bulgarien hat jeder darauf einen Anspruch, der in mindestens neun der 15 Monate vor der Arbeitslosigkeit in den staatlichen Arbeitslosenfonds eingezahlt hat. Die Höhe des Arbeitslosengeldes richtet sich nach dem durchschnittlichen Nettolohn der vorangegangenen 24 Monate und beträgt 60 Prozent davon. Es gibt allerdings einen Mindestbetrag: Für 2018 liegt dieser bei 9 Lew, also 4,50 Euro — pro Tag. Und nicht, wie von Ricky in “Bild” behauptet, bei 15 Euro pro Monat. Der Höchstbetrag liegt bei 74,29 Lew beziehungsweise 37,15 Euro täglich. Das monatliche Arbeitslosengeld beträgt in Bulgarien bei 30 Tagen im Monat also zwischen 135 Euro und 1114,50 Euro. Wer bis zu drei Jahre in den Arbeitslosenfonds eingezahlt hat, hat vier Monate lang Anspruch auf Arbeitslosengeld; wer über zwölf Jahre eingezahlt hat, hat Anspruch auf zwölf Monate Arbeitslosengeld.
Daneben gibt es in Bulgarien auch eine Sozialhilfe. Der Staat unterscheidet bei der Festlegung der Höhe, je nach Lebenssituation: Eine Alleinerziehende bekommt einen anderen Betrag als ein Rentner. Grundsätzlich orientiert sich die Sozialhilfe aber am monatlichen garantierten Mindesteinkommen von 75 Lew, also 37,50 Euro.
Die “Bild”-Redaktion hat sich mal wieder große Mühe gegeben, eine Debatte möglichst zu verunsachlichen.
1. Zöpfe, Lederhosen, Stasi-Ossis: Bei Sat.1 wird im Duett desinformiert (uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Beim vom berühmt-berüchtigten Claus Strunz geleiteten Sat.1-Frühstücksfernsehen ging es um die zum Skandal hochgejazzte Kita-Broschüre der Amadeu Antonio Stiftung. Stefan Niggemeier hat die “sechseinhalb Minuten Idiotie und Desinformation” fachgerecht seziert und kommt zum Schluss: “Sat.1 kämpft mit Verleumdungen gegen Pädagogen, die sich Gedanken machen, wie sie Kinder vor Menschenfeindlichkeit und rechtsextremer Ideologie schützen können. Und ist auch noch stolz darauf.”
2. Tagesspiegel gewinnt gegen BfV (taz.de)
Ein “Tagesspiegel”-Redakteur verlangte vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) Auskünfte zu den Treffen des ehemaligen Verfassungsschutz-Chefs Maaßen mit AfD-Politikern. Nachdem das Amt ihm diese Auskünfte verweigerte, wandte sich der Journalist an das Verwaltungsgericht Köln und — bekam Recht. Das Bundesamt müsse seine Fragen beantworten.
3. Die Portfolio-Bereinigung (kontextwochenzeitung.de, Josef-Otto Freudenreich)
Die Zeitungskrise ist eine Zeit für Schnäppchenjäger und Krisengewinnler. Josef-Otto Freudenreich berichtet über den Stuttgarter Medienkonzern SWMH, der systematisch kleinere Verlage aufkaufe und sie Stück für Stück “plattmache”. Verlierer seien die Medienvielfalt und die Beschäftigten.
4. Faktencheck: Die Macht der Lüge (ndr.de, Sabine Schaper, Video, 5:10 Minuten)
“Zapp” hat zwei prominente Faktenchecker besucht: Den “Faktenfinder” der ARD, Patrick Gensing, und “Buzzfeed News”-Redakteur Karsten Schmehl. Beide bekommen viel Zuspruch, werden aber auch stark angefeindet.
5. Der üblichste Verdächtige (zeit.de, Frida Thurm)
“Zeit”-Kolumnistin Frida Thurm denkt über die Berichterstattung im Fall der getöteten 17-Jährigen in Sankt Augustin nach. Es sei grundsätzlich richtig, über Flüchtlingskriminalität zu berichten, es gebe jedoch ein Problem: “Wenn wir Medien über Kriminalität durch Flüchtlinge berichten, weil die gesellschaftlich diskutiert wird, trägt das dazu bei, dass sie noch stärker wahrgenommen und diskutiert wird, was wiederum ihre Relevanz erhöht und damit die Wahrscheinlichkeit, dass wir mehr darüber berichten werden. Ein Effekt, der sich selbst verstärkt. Wir erzeugen den Wind, von dem wir uns dann getrieben fühlen.” Der mutmaßliche Täter ist übrigens gar kein Flüchtling.
6. “So lustig wie eine Wurzelbehandlung ohne Betäubung” (sueddeutsche.de)
Til Schweiger hat ein englischsprachiges Remake seines Erfolgsfilms “Honig im Kopf” in die US-Kinos gebracht und die dortigen Medien überschlagen sich vor … nun ja … Reaktionen. Beispiel gefällig? Hier ein “Observer”-Zitat: “Es gibt keinen überzeugenden Moment in diesem Fiasko. Am Ende hat die Hauptfigur ihren Verstand völlig verloren. Gut möglich, dass die Zuschauer sich genauso fühlen.”
1. So bedrohen Neonazis kritische Journalisten (blog.zeit.de, Jonas Miller & Jens Eumann & Henrik Merker)
Journalistinnen und Journalisten, die über Rechtsextremismus und Neonazis berichten, sind immer wieder Einschüchterungsversuchen und Angriffen ausgesetzt. Im “Störungsmelder”-Blog bei “Zeit Online” erzählen Jonas Miller, Jens Eumann und Henrik Merker, “wie es ist, im Fadenkreuz der Szene zu stehen.”
2. Daphne Caruana Galizia: Druck auf Maltas Regierung steigt (ndr.de, Ellen Trapp, Video: 6:00 Minuten)
Zwei Jahre ist es her, dass die maltesische Journalistin Daphne Caruana Galizia durch einen Anschlag mit einer Autobombe ermordet wurde. In den vergangenen Wochen ist wieder Bewegung in den Fall und die dazugehörigen Ermittlungen gekommen — bis hin zu einer Rücktrittsankündigung von Maltas Premierminister Joseph Muscat. Ellen Trapp fasst die Ereignisse im Medienmagazin “Zapp” zusammen.
3. Eine Redaktion im Schleudergang (sueddeutsche.de, Verena Mayer & Jens Schneider)
Die frühere Chefin der Stasi-Unterlagenbehörde Marianne Birthler und der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk legten gestern ein Gutachten zur Stasi-Vergangenheit des Neu-Verlegers Holger Friedrich vor, der gemeinsam mit seiner Frau Silke den Berliner Verlag und damit auch die “Berliner Zeitung” gekauft hatte. Verena Mayer und Jens Schneider fassen die Ergebnisse des Gutachtens (und zusätzlich die weiteren Querelen rund um die Friedrichs) zusammen: “Die Gutachter betonen ausdrücklich ihren Respekt gegenüber den Redaktionen des Berliner Verlags, ‘die in einer schwierigen Situation versucht haben, trotz bestehender Abhängigkeitsverhältnisse so unabhängig wie irgend möglich vorzugehen und vor allem den Leserinnen und Lesern die Möglichkeit zu geben, sich ein eigenes Urteil zu bilden’.”
Weiterer Lesetipp: Die “Berliner Zeitung” richtet sich in einem “In eigener Sache” an die Leserinnen und Leser und veröffentlicht neben einem Brief des Gutachter-Duos Birthler und Kowalczuk auch dessen ausführlichen Bericht.
4. Medien wollen mehr (taz.de, Christian Rath)
Ein Bündnis aus Journalistengewerkschaften und dem Deutschen Presserat, dem Netzwerk Recherche, Verlegerverbänden und dem Verband privater Medien sowie ARD und ZDF fordert vom Bundestag ein Presseauskunftsgesetz. Christian Rath erklärt: “Die Lücke, die ein derartiges Gesetz schließen soll, besteht seit 2013. Bis dahin galt für Medienanfragen an Bundesbehörden das Pressegesetz des jeweiligen Bundeslandes, in dem die Behörde ihren Sitz hatte. Für Anfragen an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Zirndorf galt zum Beispiel das bayerische Pressegesetz. Völlig überraschend stellte jedoch das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig 2013 fest: Für Presseauskünfte gegen Bundesbehörden ist ein Bundesgesetz erforderlich. Ohne ein entsprechendes Bundesgesetz gelte nur ein ‘Minimalstandard’, der unmittelbar aus dem Grundrecht auf Pressefreiheit abzuleiten sei.”
5. Dieser Twitter-Account gibt sich als syrischer Flüchtling aus (correctiv.org, Alice Echtermann)
“Dawuhd Nabil” ist angeblich “Syrian Refugee, Muslim, Activist” und twittert ziemlich provozierende Aussagen, die immer wieder für reale unverschämte Forderungen eines syrischen Flüchtlings gehalten werden. Alice Echtermann hat die Hintergründe des Accounts recherchiert und konnte keine Spuren eines echten “Dawuhd Nabil” finden. Ihr Fazit: Es handele sich “um einen Fake-Account”, der “Beiträge unter falscher Flagge veröffentlicht”.
6. Leuchtender Feind im Klassenzimmer (kontextwochenzeitung.de, Jürgen Lessat)
In der SWR-Sendung “Marktcheck deckt auf” über “Das Geschäft mit LED-Lampen” gab es auch ein “Experiment” in einem Klassenzimmer: Können Schülerinnen und Schüler unter LED-Leuchten schlechter lernen als unter Halogenlampen? Jürgen Lessat hat sich den Beitrag für “Kontext” angeschaut und die Merkwürdigkeiten festgehalten, die Hintergründe der präsentierten “Lichtexperten” recherchiert und beim SWR nachgefragt: “Warum verschweigen die ‘Marktchecker’ das anthroposophische Weltbild der aufgebotenen Lichtexperten? Warum suggerieren sie Wissenschaftlichkeit, wo esoterische Maßstäbe angelegt werden? Das wollte Kontext vom SWR wissen.”
Die “Bild”-Zeitung kann die niederländische RTL-Moderatorin Tooske Ragas nicht ausstehen. Sie hält sie für langweilig, unansehnlich, schwer verständlich und inkompetent.
Es ist das gute Recht der “Bild”-Zeitung, Tooske Ragas für ihr angeblich fehlendes Talent zu kritisieren. Allerdings gibt es Grenzen für die Form dieser Kritik. Sie sind zurückzuführen auf einen Gedanken im Grundgesetz, Artikel 1. Dort heißt es: “Die Würde des Menschen ist unantastbar.”
“Bild” nennt Ragas “Käse-Tussi” und “Gouda-Tooske” und macht in diesem Zusammenhang gleichzeitig alles Holländische verächtlich, vom Bier (“fad und nüchtern”) bis zur Fußball-Nationalmannschaft (“Ihr werdet im Leben nicht mehr Weltmeister”). In einem “offenen Brief” an die Moderatorin (unterschrieben mit “Deine BILD Zeitung”) klingt das heute so:
Käse-Tussi, hops in deinen Wohnwagen und roll zurück Richtung Campingplatz! Ins Land, wo die Menschen ihr eigenes Gras rauchen — und auf’m Rasen spucken, statt Fußball zu spielen.
Wahrscheinlich würde die “Bild”-Zeitung Schwarze, die sie nicht mag, nie als “Nigger” beschimpfen und über Juden, die sie für untalentiert hält, nie Judenwitze reißen. Aber sowohl im Grundgesetz als auch im Pressekodex steht: “Niemand darf wegen (…) seiner Zugehörigkeit zu einer rassischen, ethnischen, (…) oder nationalen Gruppe diskriminiert werden.” Da steht nicht: “außer die lustigen Holländer und andere harmlose Völker, die ja deswegen nicht gleich von Neo-Nazis zusammengetreten werden”.
Eigentlich weiß “Bild” das auch. Als Karl Moik im “Musikantenstadl” von “Spaghettifressern” sprach, war das der “Bild”-Zeitung am 19. April 2004 eine Seite-1-Schlagzeile wert: “Karl Moik beleidigt alle Italiener”, schrieb sie, fragte: “Was hat er sich dabei bloß gedacht” und sprach von “Ausfällen” Moiks.
Die “Bild”-Beleidigungen von Tooske Ragas aber sind Teil einer Eskalationsstrategie. Zunächst fragte die Zeitung: “Sind wir Deutsche nicht mehr gut genug?”. SeitvielenWochenschonsteigert“Bild” die persönlichen Beleidigungen und anti-holländischen Ressentiments. Anstand und Wahrhaftigkeit sind dabei längst unter die Räder geraten. Die Überschrift des Artikels, der den “Offenen Brief” einrahmt, lautet:
RTL will Michelle Hunziker wieder ins Programm nehmen Muß die Käse-Tussi jetzt zurück nach Holland?
Kein deutscher Moderator wäre je einer solchen “Bild”-Überschrift ausgesetzt. Bei keinem Deutschen ließe sich ja auch auf eine solche Art andeuten, dass er nur ein Gastrecht in diesem Land hat, das jederzeit entzogen werden kann, wenn er nicht gut genug moderiert. Natürlich weiß “Bild”, dass Ragas nicht “nach Holland zurück muss”, egal was RTL entscheidet. Aber das Spiel mit ausländerfeindlichen Reflexen macht die Schmähung und Verunglimpfung Ragas noch wirkungsvoller.
Die Überschrift suggeriert darüber hinaus noch einen Zusammenhang, den es nicht gibt. Hunziker soll die Ko-Moderation der Nachfolgesendung von “Deutschland sucht den Superstar” (DSDS) übernehmen. “Bild” lässt offen, welchen Einfluss das auf die Moderation von “DSDS” selbst haben soll — beendet den Artikel über Ragas aber mit den Worten:
(…) sie kann zur Heimfahrt ruhig schon mal den Wohnwagen aus der Garage holen!
“Bild” schreibt, Ragas moderiere “glücklos”, ohne zu erklären, woran das zu messen ist. An den Quoten jedenfalls nicht, die liegen über der zweiten Staffel mit Michelle Hunziker, für deren Rückkehr “Bild” kämpft. Über jene Michelle, die “Bild” heute einen “Engel” nennt, hatte “Bild” am 25. Oktober 2003 geschrieben:
Quoten-Katastrophe bei RTL-Show — Michelle Hunziker droht der Rausschmiss
Jetzt wird’s eng für Michelle Hunziker (26). Ihr Sender RTL hat ihre ständigen Eskapaden endgültig satt. Und die Zuschauer wenden sich von der schönen Moderatorin ab. Der Quotenverfall ist dramatisch. (…)
Mitarbeiter beschweren sich über die schöne Blondine: “Michelle Hunziker sagt ständig Proben und Sendungen ab. Außerdem bringt sie das ganze Team durcheinander. So kann es nicht weitergehen.”
Am 18. Juni 2005 erklärte “Bild” demgegenüber die Vorteile von Tooske Ragas:
Kann tanzen und singen. Und — anders als Michelle — auch frei moderieren.
Aber auch damals schon hieß es in “Bild”:
Was kann Tooske besser als unsere Michelle?
(Hervorhebung von uns.)
Dass Michelle Hunziker Schweizerin ist und eine holländische Mutter hat, erwähnt “Bild” zwar, aber es spielt keine Rolle. Die Nationalität wird erst relevant, wenn man jemanden nicht mag. So ist das mit der Ausländerfeindlichkeit.
Wenn sich eine Frau mit Körbchengröße 75 G plötzlich erinnert, dass sie vor sieben Jahren mal mit Oliver Pocher “ganz öffentlich ins Kino, Hand in Hand über die Straße gegangen” sei (und Oliver Pocher sich dazu bislang “gegenüber BILD nicht äußern” wollte), dann…
… muss das natürlich auf die Tittelseite von “Bild”(siehe Ausriss). Zumal die Frau doch laut “Bild” behauptet, dass sie auch “die Geliebte von Oliver Pocher” gewesen sei bzw. (wie “Bild” selbst es formuliert) “eine Affäre mit dem TV-Star” hatte und “Oliver Pocher ganz nahe kam”.
Überrascht fragt “Bild” deshalb: “Wer ist die hübsche Blonde?” Und hat sogar eine Antwort:
Annina wurde in Bremerhaven geboren, arbeitet heute als selbstständige Immobilienmaklerin in Köln. Sie ist Single, ließ sich in drei Operationen den Busen auf Körbchengröße 75 G vergrößern.
Das ist dann zwar alles, was “Bild” heute über “Annina U. (29)” zu berichten weiß — aber längst nicht alles, was es über Annina Ucatis (so ihr voller Name) zu berichten gäbe. Allein im “Bild”-Archiv fände sich da beispielsweise der Hinweis, dass Ucatis im Frühjahr 2003 von “Bild” als “Bingo-Fee” entdeckt wurde und anschließend in einer “BILD-Sommeraktion” wochenlang “den leckersten Kerl vom Bau” suchen durfte — aber auch diese zweifellos etwas übergeigte “Bild”-Geschichte vor anderhalb Wochen:
Ja, damals wusste “Bild” sogar noch, dass Ucatis “als TV-Assistentin von Harald Schmidt und Verona Feldbusch” aufgetreten ist.
Außerdem tingelte Ucatis mit ihrer “Busen-Sucht” in den vergangenen Monaten durch die diverse TV-Boulevardmagazine. Und RTL fasste zusammen:
Annina (…) entdeckte, dass zwei Argumente reichten, um in den Medien und auf Promi-Parties Karriere zu machen. Annina trat als Nummerngirl in der Erotik-Sendung “Peep” auf, lernte Dieter Bohlen kennen, hatte Kurzauftritte bei “Veronas Welt” und war die Assistentin von Harald Schmidt. Und irgendwann (…) wurde Annina angeblich auch die Freundin von Party-König Michael Ammer. (…) Doch irgendwie verlief sich Anninas Medien-Karriere. Je riesiger ihr Busen wurde, desto weniger war sie gefragt. (…) Zur Zeit ist Annina Single. Ihr letzter Freund hat sie verlassen, weil er ihre Begeisterung für die Riesenbrüste bei nunmehr drei Kilogramm Silikon nicht mehr teilen konnte. Die 29-Jährige will sich jetzt ganz auf ihre Arbeit als Immobilienmaklerin konzentrieren. Nebenbei macht sie Fotos, die in den pornografischen Bereich gehen. (…)
Es wäre jetzt natürlich völlig unangebracht, einen Zusammenhang zwischen Körbchengröße und Glaubwürdigkeit herzustellen. Aber jede Wette, dass “Bild” demnächst wieder Neues von Frau Ucatis zu berichten hat — und sei’s auch sieben Jahre alt.
Fans, Spieler, Mitarbeiter des SV Werder Bremen müssen momentan aber auch wirklich einiges einstecken. Aus im DFB-Pokal gegen einen Drittligisten, in der Bundesliga ohne Punkt aus drei Spielen und ein Torverhältnis von 2:12. Die Bremer sind Letzter, ihren bisherigen Trainer Viktor Skripnik haben sie am Sonntag rausgeworfen. Und gestern machte sie die “Bild”-Zeitung auf der Titelseite auch noch zum “VERLIERER” des Tages:
Andere Medien berichten ebenfalls vom Klettern der Dortmunder in der ewigen Bundesliga-Tabelle — und damit automatisch auch vom Abstieg des SV Werder Bremen. “Focus Online” zum Beispiel:
Oder abendzeitung-muenchen.de:
Oder ovb-online.de:
Oder “Sky”:
Oder echo24.de:
Der Ursprung der meisten dieser Schlagzeilen ist eine Meldung der Sport-Nachrichtenagentur “sid”. Und auch Borussia Dortmund selbst verkündet stolz:
Macht man sich die Mühe, die Zahlen mal etwas genauer zu betrachten, und schreibt nicht einfach ab, kommt man ins Grübeln: Warum sollte der SV Werder Bremen mit seinen 748 Siegen und 440 Unentschieden aus insgesamt 1767 Spielen hinter den Dortmundern stehen, die in ihrer Bundesligahistorie weniger Siege (730) und weniger Unentschieden (427) als die Bremer geholt haben (allerdings haben sie auch 102 Spiele weniger als Werder Bremen absolviert; Stand: vor dem aktuell laufenden Bundesligaspieltag)?
Der Haken an der Sache ist der Unterschied zwischen Zwei- und Drei-Punkte-Regel. Früher bekamen Mannschaften für einen Sieg zwei Punkte und für ein Unentschieden keinen einen Punkt. Ab der Saison 1995/96, als die Drei-Punkte-Regel eingeführt wurde, gab es drei Punkte für einen Sieg und einen Punkt für ein Unentschieden.
Die ewige Bundesligatabelle, die Borussia Dortmund seit dem vergangenen Wochenende auf Platz zwei sieht, wirft diese beiden Regeln durcheinander. Teams, die erst seit der Regelumstellung richtig erfolgreich sind, werden bevorzugt. Werder Bremen, mit vielen Siegen auch schon während der Zeit der Zwei-Punkte-Regel, wird benachteiligt.
Wie bedeutend der Unterschied zwischen Zwei- und Drei-Punkte-Regel im Einzelfall sein kann, zeigen verschiedene Rechenbeispiele: Bayer Leverkusen ist in der Saison 1999/2000 Zweiter hinter Bayern München geworden. Hätte damals noch die Zwei-Punkte-Regel gezählt, wäre Leverkusen Meister geworden. Gleiches gilt für den FC Schalke in der Saison 2000/01. Der 1. FC Nürnberg wäre in der Saison 1998/99 nicht abgestiegen. Und der HSV hätte in den vergangenen Jahren mehrfach als Absteiger festgestanden.
EsgibtübrigenseinigeSeiten, die die Siege, Unentschieden und Niederlagen von früher aufs Drei-Punkte-System umgerechnet haben (merkwürdigerweise gehört die offizielle Bundesliga-Website, auf die sich auch Borussia Dortmund im Tweet bezieht, nicht dazu). Und dort steht der SV Werder Bremen nach wie vor auf Platz zwei. Bleibt den Fans, Spielern und Mitarbeitern immerhin dieser Trost.
Mit Dank an Lennart für den Hinweis!
Nachtrag, 15:35 Uhr: Auf der Vereinswebsite stellt Borussia Dortmund ebenfalls klar, dass es verschiedene Versionen der ewigen Bundesliga-Tabelle gibt und dass der Klub dort auf unterschiedlichen Plätzen zu finden ist:
In der von der DFL offiziell geführten „Ewigen Tabelle“ ist Borussia Dortmund mit 2236 Punkten aus 1665 Spielen Zweiter vor Werder Bremen (2235 aus 1767). Diese Tabelle berücksichtigt die seit 1963 tatsächlich vergebenen Punkte. Bis 1995 gab es für einen Sieg zwei Zähler. In der Tabelle des kicker Sportmagazins sind alle Spiele auf die Drei-Punkte-Regel umgelegt. Hier ist der BVB Vierter hinter Bayern München, Werder Bremen und dem Hamburger SV.
1. “Wir sind gescheitert” (horizont.net, Thomas Strerath)
“Wir könnten enttäuschter nicht sein” lautet das Fazit des Vorstands der bekannten Werbeagentur “Jung von Matt”, die für die CDU-Wahlkampagne verantwortlich war. “Die mediale Thematisierung und Überhöhung der AfD, auch in Social Media, war Futter für die Hydra. Und so wuchs sie auf knapp 13 Prozent am Wahltag, dabei lag sie am 3. September noch bei 8 Prozent. Ein Zuwachs von 60 Prozent in drei Wochen! Deswegen ist es nicht nur sinnlos, sondern sogar kontraproduktiv, sich auf Facebook oder sonstwo permanent über die AfD zu echauffieren oder, noch schlimmer, ihr mit gleichermaßen wütendem Protest und Demonstrationen auf der Straße zu begegnen. Auch das nur Futter für die Wut der Hydra.” In den letzten drei Wochen hätte man keine neue Antwort mehr gefunden. Strerath betrachtet sich als gescheitert: “So haben wir vielleicht erst geholfen, das zu ermöglichen, was wir genau verhindern wollten.”
2. Fragen, mit denen man gegen die AfD nur verlieren kann (uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Stefan Niggemeiers Gedanken zur “Berliner Runde” sind gleichzeitig eine allgemeine Kritik zum journalistischen Umgang mit der AfD, denn vieles, was in der Sendung schief lief, misslingt auch an anderer Stelle. Niggemeier dazu: “Es ist ein Vorsatz zu spüren, die AfD nicht wie eine normale Partei zu behandeln. Dieser Vorsatz ist nachvollziehbar, denn eine Partei, die rassistische, rechtsextreme Positionen einnimmt oder zulässt, ist keine normale Partei. Der Vorsatz führt aber regelmäßig zu einer Angststarre, Pampigkeit und Fixierung, die dem Ressentiment und den Schein-Argumenten der Partei nur Emotion und Empörung entgegensetzt.”
3. Ein Journalist kommt frei, vier bleiben in Haft (faz.net)
Nach elf Monaten Untersuchungshaft hat ein türkisches Gericht die Freilassung des “Cumhuriyet”-Journalisten Kadri Gürsel angeordnet: Bis zu einem Urteil befindet er sich (unter Auflagen) auf freiem Fuß. Die vier anderen seit Monaten inhaftierten “Cumhuriyet”-Mitarbeiter bleiben jedoch weiter eingesperrt. Das “International Press Institute” (IPI) kritisiert das Verfahren als “politisch motiviert”. Durch die lange U-Haft würden die Angeklagten bestraft, ohne verurteilt worden zu sein.
4. Journalistisches Wunschdenken (ndr.de, Annette Leiterer)
Annette Leiterer, Redaktionsleiterin des Medienmagazins “ZAPP” (NDR), antwortet auf den Vorwurf, die öffentlich-rechtlichen Medien hätten den “Rechtsruck herbeigetalkt”. “Dahinter steht eine Vorstellung, die Medien mehr Macht und Journalisten mehr Einfluss zuweist, als sie gemeinhin haben. Selbstüberschätzung nennt man das wohl und interessanterweise wird ja gerade die von Seiten der AfD-Wählerschaft hin und wieder Journalisten vorgeworfen. Aber tatsächlich: Wer meint, dass die vielen Menschen, die nun die AfD gewählt haben, diese nicht gewählt hätten, wenn in ARD und ZDF nicht so viel über sie berichtet hätten, scheint die Meinung von immerhin knapp 13 Prozent der Wählerinnen und Wähler zu negieren.”
Auf Sueddeutsch.de gibt es weitere Stimmen zur Thematik: Sind die Medien Schuld am Erfolg der AfD?
5. Gegen Rechtsextremismus im Netz (deutschlandfunk.de, Christiane Enkeler)
“Den Fake News trotzen” hieß es beim DJV-Kongress “Besser Online”, einer Tagung für Online-Journalisten. Mit Johannes Filous von der Initiative “Straßengezwitscher” und Gerald Hensel von “Fearless Democracy” hatte man gleich zwei Experten für Engagement gegen Rechtsextremismus im Netz eingeladen. Beide haben ihre einschlägigen Erfahrungen gemacht. Johannes Filous: “Wer das macht, der muss sich im Klaren sein, dass man dadurch häufig auch zur Zielscheibe von Hasskriminalität wird.” Und Gerhard Hensel wurde Opfer eines Shitstorms, der auch sein berufliches Umfeld einbezog.
6. „Angeber-Wessi mit Bierflasche erschlagen“ (welt.de, Christian Walther)
Christian Walther, Vorsitzender des Journalistenverbandes Berlin-Brandenburg, blickt auf 400 Jahre Zeitungsgeschichte in Berlin.
1. Journalistin mit Autobombe getötet (tagesschau.de, Jan-Christoph Kitzle)
Die Investigativ-Journalistin Daphne Caruana hat an den “Malta Files” gearbeitet und wollte nachweisen, dass EU-Konzerne mit Hilfe des Inselstaats in großem Stil Steuern hinterziehen. Nun ist sie in ihrem Auto umgebracht worden. Mit einer Bombe, die im Fahrzeug versteckt war.
2. “Spiegel”-Korrespondent Hasnain Kazim über die Entwicklung der Türkei: “Damit habe ich nicht gerechnet” (kress.de, Frank Hauke-Steller)
“Spiegel”-Korrespondent Hasnain Kazim hat vor anderthalb Jahren auf Druck des Erdogan-Regimes seine Korrespondententätigkeit in Istanbul beendet. Nun hat er das Buch “Krisenstaat Türkei” veröffentlicht, eine Analyse, die er mit seinen ganz persönlichen Erfahrungen mischt. Im „Kress“-Interview geht es um die Entwicklungen der letzten Jahre. Kazim ist überrascht, wie rasant die Türkei sich gewandelt hat: „Ich habe mit Veränderungen gerechnet, aber nicht in dieser Dramatik. Dass Erdogan es gelingt, mit brutaler Härte Kritik dauerhaft zu unterdrücken und dass er danach trotzdem noch Wahlen gewinnt, und zwar eindeutig, damit habe ich nicht gerechnet.“
3. “Deutsches Fernsehen war schon immer Qualitätsfernsehen” (dwdl.de, Thomas Lückerath)
Bei der „MIPCOM“-Messe in Cannes fädeln 14.000 Teilnehmer Deals über neue Filme, Fernsehserien und sonstige digitale Inhalte für alle möglichen Plattformen ein. Thomas Lückerath hat sich mit den Geschäftsführern der „Film- und Medienstiftung NRW“ und des „Medienboard Berlin-Brandenburg“ über den Stellenwert der Messe und die Attraktivität des deutschen Fernsehens unterhalten.
4. Amazon kippt Weinstein-Serie (wuv.de, Susanne Herrmann)
Der Missbrauchsskandal um den Hollywood-Produzent Harvey Weinstein hat weitere Konsequenzen. “Amazon” stoppte ein Serienprojekt, das mit Weinsteins Firma „The Weinstein Company“ gemeinsam produziert werden sollte. Das Budget lag bei 160 Millionen Dollar. Allein die Drehbuchentwürfe kosteten 40 Millionen. Ende voriger Woche hatte “Amazon” den eigenen Studiochef Roy Price suspendiert, weil auch gegen ihn Vorwürfe wegen sexueller Belästigung erhoben worden waren. Währenddessen löste Schauspielerin Alyssa Milano eine Twitter-Welle aus. Unter dem Hashtag #MeToo forderte sie Opfer von sexuellen Belästigungen oder sexueller Gewalt, sich bei Twitter kurz zu Wort zu melden.
5. Ab jetzt nur noch neutral (taz.de, Carolina Schwarz)
Die „New York Times“ hat ihre neuen Richtlinien für den Umgang mit Sozialen Medien veröffentlicht. Sie richten sich an alle Journalisten des Hauses und umfassen 16 Punkte. Die Journalisten werden darin zu einem unparteiischen, unvoreingenommenen und verantwortungsvollen Umgang aufgefordert. Auch private Accounts seien betroffen, denn auch private Äußerungen würden auf das Medium zurückfallen. Carolina Schwarz kritisiert das Vorgehen. Durch die Social-Media-Regeln der New York Times werde eine Objektivität vorgegaukelt, die es so gar nicht geben könne.
6. Wie Hustler-Verleger Larry Flynt Donald Trump abservieren will (horizont.net, Marco Saal)
Larry Flynt, der Verleger des Erotik-Magazins “Hustler” hat eine ganzseitige Anzeige in der “Washington Post” geschaltet. Der Inhalt: Ein Plädoyer für die Amtsenthebung Donald Trumps und eine ganze Reihe von Argumenten für das sogenannte Impeachment-Verfahren. Überschrieben ist der Text mit einer Ausschreibung der besonderen Art: “10 Millionen Dollar für Informationen, die zur Amtsenthebung von Donald J. Trump führen”.
Früher, als noch nicht ganz so viel passierte, war Lokaljournalismus ein überschaubares Geschäft. Hin und wieder wurde ein Scheck übergeben, der Bürgermeister gab einen neuen Radweg frei, oder eine Delegation aus der Partnerstadt kam zu Besuch. Aber natürlich war nicht immer alles nur harmonisch. Manchmal platzte am frühen Nachmittag eine Polizeimeldung hinein in die redaktionelle Idylle. Dann hatte zum Beispiel ein Trickbetrüger an der Haustür eine alte Frau überrumpelt. An diesen Tagen waren selbst die Redakteure erschüttert. Dann erschienen Meldungen wie diese:
Und wenn die Betrüger, obwohl Umgangsformen damals noch eine sehr große Rolle spielten, nicht zuvorkommend waren, sondern — ja, das kam vor — ausgesprochen dreist, zögerten die Redakteure natürlich nicht, auch das zu erwähnen:
In vielen Redaktionen ging das über Jahre so, aber dann muss etwas passiert sein, das mit einem Mal alles veränderte.
Möglicherweise hatte sich in der Branche herumgesprochen, dass mit der immer größer werdenden Zahl an alten Menschen ein neuer Markt entstanden war, der deutlich attraktivere Ertragschancen bot als die klassischen Segmente Einbruch und Taschendiebstahl.
Ralf Heimann hat vor ein paar Jahren aus Versehen einen Zeitungsbericht über einen umgefallenen Blumenkübel berühmt gemacht. Seitdem lassen ihn abseitige Meldungen nicht mehr los. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Jörg Homering-Elsner “Bauchchirurg schneidet hervorragend ab — Perlen des Lokaljournalismus”. Fürs BILDblog kümmert er sich um all die unwichtigen Dinge, die in Deutschland und auf der Welt so passieren.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)
Viele Menschen in diesen Gewerben sattelten um. In einigen größeren Städten gab es bald mehr Trickbetrüger als Grundschullehrer. Und natürlich, das hatte auch Vorteile. Die alten Menschen mussten tagsüber nicht mehr alleine sein: Die Enkeltrick-Betrüger meldeten sich oft schon frühmorgens. In den Nachmittagsstunden klingelte der Mann mit dem gefälschten Stadtwerke-Ausweis.
Der große Nachteil war: Sie alle hatten Erfolg. Die Geldverstecke der Senioren ließen sich leichter plündern als ein offener Tresor in der Fußgängerzone. Und so ergab sich bald auch ein Problem für die Journalisten: Keine Redaktion konnte Tag für Tag seitenweise Meldungen veröffentlichen, in denen es einzig und allein darum ging, wie Betrüger und dreiste Diebe alte Menschen mit großer Leichtigkeit um ihr Vermögen brachten. Andererseits konnte kaum eine dünn besetzte Redaktion komplett auf diese Nachrichten verzichten.
Kein triviales Problem. Aber man fand eine Lösung.
Journalisten berichten über außergewöhnliche Ereignisse, nicht über gewöhnliche. Warum sollte man also nicht auch in diesem Fall so vorgehen? Dass ältere Menschen an der Haustür ausgeplündert oder per Telefon erleichtert wurden, war inzwischen der tägliche Normalfall. Ein ganzer Tag ohne überrumpelte Senioren oder ein erfolgloser Versuch — das wäre eine Meldung gewesen!
So fand man einen neuen Ansatz, der das Problem immerhin vorübergehend löste:
Die Praxis setzte sich schnell durch. Mit der weiter steigenden Zahl an Betrugsfällen gingen immer mehr Redaktionen dazu über. Generell wurde nur noch dann berichtet, wenn die Ausführung misslungen war.
Die Betrugswelle hatte mittlerweile so große Ausmaße erreicht, dass sich kaum noch die Möglichkeit bot, über Einzelfälle zu berichten. Besonders dramatisch war dieser Fall:
Lediglich 20 Münsteraner fielen nicht herein. Alle anderen schon?
Die Polizei wurde immer machtloser. In einigen Fällen geriet sie sogar selbst ins Visier der Betrüger und dreisten Diebe. Die Bevölkerung mutmaßte: Wenn auch hier nur über die gescheiterten Versuche berichtet wurde, musste die Zahl der geglückten Fälle gewaltig sein.
Der damit einhergehende Vertrauensverlust in die Polizei zwang auch die Betrüger zum Handeln. Wenn sie weiterhin Erfolg haben wollten, konnten sie in dieser Situation unmöglich, wie bisher, vorgeben, Polizisten zu sein.
Immer öfter scheiterten sie, schließlich sogar in Bremen-Nord.
Jeden Tag las man nun solche Meldungen:
In den Redaktionen ergab sich wieder das gleiche Problem, das man mit der Hinwendung zu den gescheiterten Fällen schon gelöst geglaubt hatte. Täglich häuften sich die Meldungen von erfolglos verlaufenen Enkeltrick-Anrufen, entlarvten falschen Polizisten und furchtlosen Rentnern, die Diebe in die Flucht geschlagen hatten. Wer sollte all das veröffentlichen?
Die Meldungsbeine platzten aus allen Nähten. Große Ratlosigkeit. Dann passierte etwas Unerwartetes, die Geschichte nahm eine überraschende Wendung. Und so löste sich ein weiteres Mal auch für die Journalisten das Problem:
1. Redakteursvertreter befürchten “absichtliche Zerstörung” des ORF (derstandard.at)
Redakteure schlagen Alarm: Dem ORF drohe die “größte existenzielle Krise seit Bestehen”. In einer Resolution beklagen sie die kontinuierliche Reduktion der journalistischen Arbeitsplätze sowie die Auslagerung von Informationsprogrammen: “Wir befürchten die absichtliche Zerstörung des öffentlich-rechtlichen Senders — über einen wirtschaftlichen und politischen Zangenangriff. (…) Währenddessen bauen die Regierungsparteien systematisch ihre PR-Stellen aus.”
3. Ein ungutes Gefühl im Bauch (jmwiarda.de, Jan-Martin Wiarda)
Einer Juristin wurde von der Internet-Plattform “VroniPlag Wiki” vorgeworfen, sowohl bei der Promotion als auch bei der Habilitation plagiiert zu haben. Als Medien darüber berichteten, ging die Juristin dagegen juristisch vor und bekam zunächst Recht. Der Journalist Jan-Martin Wiarda kommt bei dem Konflikt zwischen Pressefreiheit und Persönlichkeitsrecht zu keinem eindeutigen Ergebnis und befindet schlussendlich: “Ich habe keine Antworten. Nur ein ungutes Gefühl im Bauch.”
4. Neues aus dem Fernsehrat (29): Von “funk” für die Zukunft öffentlich-rechtlicher Medien lernen (netzpolitik.org, Leonhard Dobusch)
Seit zwei Jahren existiert das öffentlich-rechtliche Jugendangebot “funk”. Zeit für eine Zwischenbilanz, findet Leonhard Dobusch. Als reines Online-Angebot sei “funk” in vielerlei Hinsicht wegweisend für Öffentlich-Rechtliche im Netz. Potentiale jenseits von YouTube und Facebook würden jedoch bislang nicht genutzt. Dobusch hat Ideen, wie sich das ändern ließe.
5. “Fake-Informationen bedrohen das Leben von Patienten” (vocer.org, Nicola Kurth)
Der diesjährige #Netzwende-Award ging an das von den Wissenschaftsjournalisten Nicola Kuhrt und Hinnerk Feldwisch-Drentrup gegründete Projekt “MedWatch”, das sich für verlässliche Gesundheitsinformationen im Netz einsetzt. Warum Gesundheitsinformationen im Netz journalistische Kontrolle brauchen, erklärte Mitgründerin Kuhrt beim “Vocer Innovation Day” in Hamburg.
6. Die Financial Times hat einen Bot entwickelt, der warnt, wenn nur männliche Experten zu Wort kommen (piqd.de, Simon Hurtz)
Bei der britischen Zeitung “Financial Times” warnt eine Analyse-Software (Bot), wenn nur männliche Experten zu Wort kommen. Der Journalist Simon Hurtz kommentiert: “Der Bot kann keine strukturellen Probleme innerhalb der Redaktionen lösen. Aber ich glaube, dass es manchmal schon reicht, daran erinnert zu werden, Frauen zu zitieren. Gerade im Alltagsstress vergisst Mann (und manchmal auch Frau) das oft, ohne dass Absicht dahinter steckt. Vielleicht kann die Financial Times den Code veröffentlichen, sodass andere Medien vergleichbare Mechanismen implementieren können.”
1. Hetze ohne Spendenquittung (zeit.de, Christian Fuchs)
Das rechtspopulistische Blog “Journalistenwatch” muss in Zukunft ohne steuerliche Vorteile hetzen: Das Finanzamt Meißen hat dem Trägerverein die Gemeinnützigkeit entzogen. Christian Fuchs erklärt als Kenner der Materie (aktuelles Buch: “Das Netzwerk der Neuen Rechten”) die Hintergründe.
3. Das sind die abenteuerlichsten Rechtfertigungen der AfD (tagesspiegel.de, Sebastian Leber)
Es ist ein wiederkehrendes Muster: Zunächst machen AfD-Vertreter mit Provokationen und Tabubrüchen auf sich aufmerksam. Anschließend wird dann mit hanebüchenen Erklärungen und Rechtfertigungen pseudomäßig zurückgerudert. Sebastian Leber hat die bizarrsten AfD-Rechtfertigungen gesammelt. Lesenswert wegen der Kuriosität der Begründungen — und weil sich trotz all der Einzelfallartigkeit ein System dahinter abzeichnet.
4. Das Antike an Sozialen Medien: Hervorragende Reden gehen viral (blog.zhaw.ch, Daniel Perrin)
Wer Grundeinsichten der klassischen Rhetorik verstanden hat, kommuniziert besser, findet der Linguist Prof. Dr. Daniel Perrin. Dies sei in der Antike so gewesen und gelte auch in der Zeit von Facebook, Twitter und Youtube. Im eingebetteten SRF-Interview verrät der Professor (auf Schweizerdeutsch) die Zauberformel für gutes(s) Reden.
5. Kevork Almassian: Ein “Flüchtling” im Auftrag der AfD (disorient.de, Sascha Ruppert)
Der AfD-Bundestagsabgeordneten Markus Frohnmaier hat einen Syrer als Social-Media-Beauftragten eingestellt. Mit Hintergedanken, wie Sascha Ruppert glaubt: “So können sie Almassian als Insider mit speziellen Fakten über die Ursachen der sogenannten Flüchtlingskrise präsentieren, der als “legaler Flüchtling” aufgrund seiner unterstützenden Haltung gegenüber Bashar al-Assad von den deutschen Medien verhetzt wird. Er kann als der Syrer dargestellt werden, der die vermeintlichen Lügen aufdeckt, welche die deutsche Regierung ihrer Bevölkerung über den Syrienkrieg erzählt.”
6. Welt-Moderator ganz durch den Wind (uebermedien.de, Video: 2:51 Minuten)
Zum Schluss noch eine Mutprobe: Wer diesen circa dreiminütigen Zusammenschnitt der “Welt”-Nachrichten-Moderation übersteht, ohne vor Fremdscham einzugehen, ist wirklich hartgesotten. Aber nicht zwischendurch wegschauen oder sich die Ohren zuhalten!
1. Bundeswehr: Social-Media-Leiter sympathisiert mit Rechtsradikalem (daserste.ndr.de, Katrin Kampling & Caroline Walter, Video: 3:13 Minuten)
Der Leiter der Social-Media-Abteilung der Bundeswehr ist für deren Bild in den Sozialen Medien verantwortlich. Ausgerechnet dieser Mann habe laut “Panorama” mit einem Anhänger einer rechtsextremen Bewegung sympathisiert, die vom Verfassungsschutzpräsident als “Superspreader von Hass, Radikalisierung und Gewalt” bezeichnet werde. Was die Angelegenheit zusätzlich pikant mache: “Oberstleutnant Marcel B. war auch zuständig für die ‘Social Media Guides’ der Bundeswehr.”
2. EU fordert Mitgliedstaaten auf, journalistische Vielfalt zu schützen (sueddeutsche.de, Kathleen Hildebrand)
Eine von der EU in Auftrag gegebene Studie zeichnet ein düsteres Bild des Journalismus in Europa. Pressefreiheit und Pluralismus seien gefährdet, die ökonomische Lage des Nachrichtengeschäfts sei in allen europäischen Mitgliedstaaten schlecht. Lediglich bei der Vermarktung von Online-Nachrichten zeige sich, dass traditionelle Medien dem Digitalisierungsdruck standhalten könnten.
3. Lieber @hr1 @hrinfo richtig nice, ihr wart gestern DIE Sensation in den Verschwörungsgruppen (twitter.com, Philip Kreißel)
Philip Kreißels Fachgebiet sind digitale Meinungsmanipulation und Hasskampagnen. Auf Twitter zeigt er anhand eines Beispiels, wie einfach es sei, bei Umfragen mehrfach abzustimmen. Es geht dabei um eine Umfrage des Hessischen Rundfunks über die Bereitschaft, sich bei Vorliegen eines Impfstoffes gegen das Coronavirus impfen zu lassen: “Lieber @hr1 @hrinfo richtig nice, ihr wart gestern DIE Sensation in den Verschwörungsgruppen. Die haben alle koordiniert bei eurer Umfrage abgestimmt. Gestern hat dann mein Bot auch mitgemacht. (…) Das war mit Abstand die am einfachsten zu manipulierende Umfrage, die ich jemals manipuliert habe. Man musste einfach nur einen request nach dem anderen da hinschicken.”
4. “Ich kann nur so objektiv sein, wie es meine Subjektivität zulässt.” (fachjournalist.de, Ulrike Bremm)
Gisela Friedrichsen wird gerne als die Grande Dame der Gerichtsberichterstattung bezeichnet. Kein Wunder, denn Friedrichsen arbeitet seit fast einem halben Jahrhundert als Journalistin. Mehr als 25 Jahre davon war sie als Gerichtsreporterin für den “Spiegel” tätig. Im Interview mit dem “Fachjournalist” erzählt sie vom Gerichtsjournalismus – von der Faszination und den Herausforderungen, aber auch dem Wandel: “Mittlerweile geht es nur um Effizienz. Wenn man irgendwohin geschickt wird, muss man auch auf Teufel komm raus etwas liefern – selbst wenn nichts passiert ist, was berichtenswert ist. Da werden dann Dinge hochgejazzt, hochgepusht, die keine Relevanz haben und mit der eigentlichen Sache nichts zu tun.”
5. Twitters Umsatz bricht ein (spiegel.de)
Der Kurznachrichtendienst Twitter berichtet von einer paradoxen Entwicklung: Die Zahl der täglichen Nutzerinnen und Nutzer habe laut Vorstandschef Jack Dorsey um mehr als ein Drittel auf 186 Millionen zugenommen. Damit habe das Unternehmen seine bislang stärkste jährliche Wachstumsrate erreicht. Gleichzeitig habe man im vergangenen Quartal 19 Prozent weniger eingenommen als im Jahr zuvor. Grund dafür seien die coronabedingt eingebrochenen Werbeerlöse.
6. Attila Hildmann: Buchhandlung Hugendubel schickt Bücher an Verlag zurück (rnd.de, Matthias Schwarzer)
In der Vergangenheit haben bereits zahlreiche Handelspartner die Zusammenarbeit mit Attila Hildmann eingestellt und den Vertrieb seiner Produkte beendet. Nun habe die Buchhandelskette Hugendubel (circa 150 Filialen in Deutschland) angekündigt, Hildmanns Bücher aus dem Sortiment zu nehmen und eventuelle Restbestände an den Verlag zurückzusenden. Die Buchhandelskette Thalia (280 Filialen) wolle Hildmanns Kochbücher jedoch weiter vertreiben.
“Dabei ist sie erst 17 Jahre alt”, schreibt RTL.de über Davina Geiss, die gemeinsam mit ihren Eltern Robert und Carmen sowie ihrer Schwester Shania als TV-Familie “Die Geissens” seit 2011 bei RTL II zu sehen ist. Und sie mag zwar “erst 17 Jahre alt” sein und damit noch minderjährig, aber das hindert die RTL.de-Redaktion nicht daran, Davina Geiss in dasselbe ätzende Bewertungsschema zu pressen, in das solche Portale jede weibliche Person pressen, die irgendwo im Bikini zu sehen ist:
Heute hat sich die 17-jährige Davina allerdings mal fürs Räkeln entschieden – ganz sexy im Bikini. (…)
Mit diesem aktuellen Instagram-Post setzt sich Davina ziemlich freizügig in Szene. Dabei ist sie erst 17 Jahre alt.
Total daneben ist auch die Dachzeile “Hot oder total daneben?”, die die RTL.de-Leserschaft offenbar dazu animieren soll, ein Urteil über eine Minderjährige zu fällen.
Aber warum das alles nur mit einer 17-Jährigen machen, wenn es auch eine 16-Jährige gibt, die man als “sexy” bezeichnen kann? Im selben Artikel schreibt RTL.de über Davinas ein Jahr jüngere Schwester Shania:
Auch Davinas jüngere Schwester, Shania, posiert bekanntlich gerne sexy vor der Kamera.
Nachtrag, 20:51 Uhr: Inzwischen hat sich bei dem RTL.de-Artikel etwas getan. Ruft man die URL auf, wird man automatisch zum Portal VIP.de weitergeleitet, das sich als “PARTNER VON RTL.DE” präsentiert. Dort lautet die Überschrift (ohne die Dachzeile “Hot oder total daneben?”) nun:
Davina Geiss: 17-Jährige Geissens-Tochter sonnt sich im knappen Bikini am Pool
Im Text ist der Halbsatz “ganz sexy im Bikini” verschwunden. Und auch über Schwester Shania heißt es jetzt nur noch: “Auch Davinas jüngere Schwester, Shania, posiert bekanntlich gerne vor der Kamera” – also ohne das schmierige “sexy”.
…heute riesengroß auf Seite 1 der “Bild”. Was ist passiert? “Big Brother”-Kandidatin Daniela hat sich im Container vor laufenden Kameras piercen lassen. Resultat, laut “Bild”:
Tränen, Blut, Schreie.
Oder genauer, nicht laut “Bild”: Keine Tränen, kein Blut, ein Schrei. “Bild” behauptet:
“Big Brother” bricht letztes Tabu.
— och, da würden uns noch ein paar letztere einfallen. Und wo wir gerade dabei sind: Sado-Maso hat mit Folter nichts zu tun, Folter hat mit Piercings nichts zu tun, Piercings haben mit Sado-Maso nichts zu tun.
Warum lässt sich dieses Mädchen vor der TV-Kamera quälen?
Vielleicht weil sie auch so geil aussehen will wie die gepiercten “Bild”-Mädchen und keine Lust hatte auf ein Ansteck-Plastik-Piercing aus dem Kaugummiautomaten?
…widerliche Bilder von einem Busen-Piercing…
So widerlich, dass “Bild” seinen Lesern auch extra nicht mehr als drei Großaufnahmen davon zumutet. Na gut: vier.
Sadomaso-Folter im deutschen TV — jetzt wollen Politiker den Irrsinn stoppen!
Mit anderen Worten: Klicken Sie vor dem Verbot schnell noch rechts neben den Artikel, wo “hier geht’s zum BB-Livestream” steht. Von den 0,98 Euro, die 12 Stunden Big Brother Live kosten (mögliche Sado-Maso-Folter inklusive), kommt ein Teil einem guten Zweck zugute: bild.de.
wir haben eine schlechte Nachricht: Es könnte heute abend später werden. In diesem Artikel müssen fast 120 Zahlen korrigiert werden.
Denn es stimmt zwar: Die deutschen Großkonzerne sind im internationalen Vergleich kleine Nummern. Aber soweit ist es dann doch noch nicht gekommen, dass der deutsche Spitzenreiter Siemens keine 100.000 Euro Umsatz im Jahr macht.
Und, ja, die Entwicklung der T-Aktie ist eine Enttäuschung. Aber noch ist die Deutsche Telekom an der Börse ein klein bisschen mehr wert als 72.000 Dollar.
Nämlich 72.000.000.000 Dollar.
Es war natürlich auch ein bisschen unfreundlich von der “Financial Times”, ihr Ranking der 500 größten Unternehmen nach Marktkapitalisierung ohne genaue Erklärung der Einheiten online zu stellen, so dass man als Laie denken könnte, es handele sich bei den angegebenen Zahlen um Dollar und nicht um Millionen Dollar.
Aber spätestens bei Platz 46 in Deutschland hätte doch jemand stutzen können, dass diese Axel Springer AG im Jahr nur einen Umsatz von 2900 Dollar und 70 Cent machen soll.
Danke für die Millionen Hinweise.
Nachtrag, 20.57 Uhr. Ah, hat dann sogar noch rechtzeitig bis zum Spiel geklappt, überall “Mio.” einzufügen. Auf die Schnelle sind natürlich diverse andere Fehler unkorrigiert geblieben: Unter Südzucker steht der Umsatz von TUI, über Platz 48 steht “Platz 28”, über Platz 49 steht “Platz 1”, usw.
Nachtrag, 14. Juni. Ts. Nun ist der ganze Artikel verschwunden.
Nachtrag, 13.15 Uhr.Da isser wieder, unter neuer Adresse und mit weiteren Korrekturen.
Nachtrag, 15. Juni. Nur dass niemand auf die Idee kommt, da hätte jetzt jemand gründlich gearbeitet: Bei Altana, Porsche, Puma, Karstadt Quelle und Fraport fehlen noch die “Mio.”, dafür steht bei Metro jetzt zweimal “Mio.”, die Depfa Bank ist nicht in der Elektronik-Branche tätig und bei der Deutschen Telekom gibt’s einen lustigen Buchstabendreher.
Nachtrag, 16. Juni. Schon wieder ist der komplette Artikel aus dem Angebot von Bild.de verschwunden. Endgültig? Wir sind gespannt.
Im Sommer 2006, wenige Tage nachdem eine Französin namens Alexandra Paressant dem britischen Boulevardblatt “The Sun” intime Details über den brasilianischen Fußballspieler Ronaldinho erzählt hatte, sah die letzte Seite der “Bild”-Zeitung so aus:
Und man kann nicht einmal behaupten, dass “Bild” damals keine Anstrengung unternommen hätte, sich von der eigenen Geschichte zu distanzieren:
(…) jetzt soll Brasiliens Superstar Ronaldinho (26) angeblich einen echten Traumtreffer gelandet haben. Das französische Top-Model Alexandra Paressant (…) behauptet steif und fest, daß der weltbeste Fußballspieler abseits des Rasens nur für SIE dribbelt. (…) (Fettungen von uns.)
Allerdings: Damit SIE der “Bild”-Zeitung “jetzt zum 1. Mal” erzähle, wie sie Ronaldinho kennengelernt habe, wurde “Ronaldinhos angebliche Geliebte” von den “Bild”-Kollegen Cathrin Gilbert und Florian Scholz extra “aufgespürt”.
Aufgespürt, aha.
Wenige Tage später druckte die “Bild am Sonntag” ein Interview von Gilbert & Scholz mit Paressant, illustriert mit einem der “Bild”-Fotos und einem unscharfen Foto, das zuvor bereits in der “Sun” zu sehen war. Der Text klang ähnlich vertraut:
Weltfußballer Ronaldinho (26) dribbelt neben dem Platz nur noch für Sie [sic]: Alexandra Paressant (26). Das behauptet zumindest das Top-Model aus Frankreich.
Und wiederum kaum eine Woche später berichteten Gilbert & Scholz in “Bild” erneut über Paressant — diesmal mit einem neuen Foto, das angeblich Ronaldinho “und Freundin Alexandra” auf Marbella zeigte, tatsächlich aber etwas ganz anderes zeigte.
Danach dauerte es ein wenig, bis Gilbert & Scholz mit neuen Neuigkeiten aufwarten konnten, aber am 19. Juli war es soweit. Illustriert mit einem der aus “Bild” bekannten Fotos hieß es nun:
Ronaldinho bekennt sich öffentlich zu seiner neuen Liebe, dem französischen Top-Model Alexandra Paressant (…).
Frech oder selbstvergessen, jedenfalls so, als hätte es die “Sun”-Enthüllungen nie gegeben, hieß es über Ronaldinhos “neue Liebe” nun sogar:
BILD berichtete exklusiv.
Die Zeitschrift “Rund” schreibt jedoch in ihrer März-Ausgabe (u.a. unter Berufung auf das französische Magazin “So Foot”):
Laut “Rund”-Magazin handelt es sich bei Paressant vielmehr um “eine Expertin der Medienmanipulation” (oder gar “eine Verrückte”). Ihr sei es mit allerlei Tricks gelungen, “ein virtuelles Double” ihrer selbst zu schaffen — und das so gut zu vermarkten, dass ihre vermeintliche Liebesgeschichte mit dem Fußballstar nicht nur in der “Sun” und vielen, vielen anderen Medien nachzulesen war (und ist), sondern auch “exklusiv” in “Bild”.
Die Fotos, mit denen “Bild” und “BamS” ihre Paressant-Geschichten immer wieder großzügig bebilderten (O-Ton “Bild”: “Wow!”), bekam “Bild” übrigens offenbar von einer vermeintlichen Managerin des “Top-Models” zur Verfügung gestellt (“Bild”-Fotocredit: “privat”). Sie zeigen allerdings leider nicht die “Heckansicht” und “schönsten Fankurven” von Alexandra Paressant, sondern (irgend)ein Mannequin namens Alexandra Kabi.
PS: Laut “Rund”-Magazin wollten sich weder die “Bild”-Autoren noch “Bild” zu den Schwindel-Vorwürfen äußern. Bei Bild.de ist keiner der Paressant-Texte mehr zu finden.
Die Regel, dass man Fragen in “Bild”-Schlagzeilen bis zum Beweis des Gegenteils getrost mit “Nein” beantworten kann, gilt auch bei diesem großen Artikel vom Freitag:
“Bild”-Autor Christian Schmidt malt sich die Sache lustvoll aus:
Schwarze Wolken jagen über den Himmel, schwere Regentropfen fluten auf die Strandpromenade von El Arenal, Sturmböen zerfetzen die Werbeschilder der Kioskbesitzer. Ein Hurrikan trifft Mallorca.
Ein Horror-Szenario für Millionen Sommerurlauber, das schon bald Wirklichkeit werden könnte! (…)
HURRIKAN-ALARM auf MALLORCA!
Nun denkt sich “Bild” ja solche Geschichte nicht aus. Also, jedenfalls nicht ganz. Im konkreten Fall beruft sich die Zeitung auf den Meteorologen und Hurrikan-Experten Thomas Sävert von der Firma Meteomedia, der beim Hamburger Extremwetterkongress die “alarmierendste Studie” vorgestellt habe:
Pro Jahr ziehen bis zu drei Hurrikane über die Mittelmeer-Region. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis einer Mallorca trifft.
Sävert ist die einzige Quelle für das Mallorca-Katastrophenszenario von “Bild”. Ausführlich referiert das Blatt seine angeblichen Erkenntnisse, zum Beispiel die Prognose, dass in Folge der Klimaveränderung im Mittelmeer stärkere Hurrikane entstehen könnten.
Erstaunlich nur: In anderenBerichten von der Konferenz ist von dieser akuten Bedrohung für “unser” Mallorca keine Rede. Oder, vielleicht doch nicht erstaunlich. Gegenüber BILDblog erklärt Thomas Sävert:
“Ich bezog eindeutig Stellung, dass es zwar hurrikanähnliche Stürme im Mittelmeeraum gibt, die aber keinesfalls die Stärke der tropischen Hurrikane erreicht und daher auch nicht als solche bezeichnet werden sollten. Die Insel Mallorca habe ich mit keinem Wort erwähnt, und ich habe auch nicht davon gesprochen, dass diese ‘Hurrikane’ stärker werden sollen. Alle Zitate sind gefälscht. Ich bin eigentlich als seriöser Wissenschaftler bekannt, der solche Aussagen, wie sie in der ‘Bild’-Zeitung getroffen wurden, nie machen würde.”
Sävert hält den Artikel für rufschädigend und prüft rechtliche Schritte.
Das gefährlich aussehende Wirbelwinddings auf der großen Fotomontage, mit der “Bild” die vermeintliche Hurrikan-Gefahr illustriert, ist übrigens nicht einmal ein Hurrikan. Sondern ein Tornado.
“Exhibitionist wird zu einer Geldbuße verurteilt”, steht heute zusammenfassend über einem Artikel in der “Frankfurter Rundschau”, in dem es weiter heißt:
Der Fall an sich ist eher lapidar, wenn auch bizarr. (…)
Das Frankfurter Landgericht verurteilt den Mann zu einer Geldbuße von 800 Euro, die er an das Frankfurter Männerzentrum zahlen muss.
Eine Geldstrafe von 2000 Euro wird zur Bewährung ausgesetzt — er muss sie nur zahlen, wenn er keine Therapie macht. Doch dazu ist er — und seine Lebenspartnerin — durchaus bereit. (…) Er bereut seine Taten und entschuldigt sich ausdrücklich bei seinen Opfern.
Dass er mit einer verhältnismäßig geringen Strafe davonkommt, hat einen Grund. Die Höchststrafe hat bereits eine andere, eine furchtbare Instanz verhängt: die Bild. (Hervorhebung von uns.)
Denn die “Bild”-Zeitung hatte vorgestern über den Mann berichtet, hatte ein großes Foto von ihm gezeigt, seinen vollständigen Namen danebengeschrieben und ihn “TV-Moderator” genannt, weil er gelegentlich als “Schaltgast” im Programm eines Spartensenders aufgetaucht war. Die “Frankfurter Rundschau” vermutet, dass “Bild” den Mann “für eine Person des öffentlichen Interesses” halte, und fragt, “was an dem Mann, dessen Namen kaum jemand kennt, von öffentlichem Interesse sein soll”.
Leider ist die Geschichte damit noch nicht zu Ende.
Heute nämlich berichtet “Bild” wieder über den Mann (siehe Ausriss), nennt ihn “Börsenstar” — und illustriert den Artikel u.a. mit einem großen Foto, auf dem die Augenpartie des Mannes halbherzig verpixelt wurde. Keine 20 Zentimeter neben diesem Foto jedoch zeigt “Bild” (und Bild.de auch) noch eines, auf dem der Mann ohne jede Unkenntlichmachung zu sehen ist und eine entwürdigende Zeichnung (“So sieht der BILD-Zeichner die ‘privaten’ Auftritte von TV-Experte [Name des ‘Börsenstars’] — mit heruntergelassener Hose”), auf dem das Gesicht des Mannes ebenfalls wiedererkennbar ist.
Die “Frankfurter Rundschau” schließt mit der “Erkenntnis”, dass sich bei “Bild” offenbar “am sorglosen Vernichten von Existenzen seit Wallraff-Zeiten nichts, aber auch gar nichts geändert hat”.
1. “Cumhuriyet” und “Weißhelme” geehrt (tagesschau.de)
Der Alternative Nobelpreis geht diese Jahr an vier Preisträger: Die syrische Organisation “Weißhelme”, die türkische Zeitung “Cumhuriyet”, die russische Menschenrechtsaktivistin Gannuschkina und die ägyptische Feministin Mozn Hassan mit ihrer Organisation “Nazra” für feministische Studien. Die “Tagesschau” stellt die Preisträger und ihre Verdienste vor.
Deniz Yücel beschäftigt sich in einem Meinungsbeitrag in der “Welt” speziell mit der Vergabe des Alternativen Nobelpreises an die türkische Zeitung „Cumhuriyet“. Yücel stellt eine Besonderheit heraus: “Doch eines unterscheidet die „Cumhuriyet“ von den übrigen Preisträgern: Diese haben es nicht mit Regimen zu tun, die zu den engen Verbündeten des Westens zählen. Zu ihnen gehört die Türkei schon, erst recht seit dem Flüchtlingsdeal. Der Preis für die Zeitung ist daher nicht nur ein verdienter Tadel für Erdogan, sondern ebenso für Europa.”
2. “Die besten Geschichten gibt es nur noch gegen Geld” (futurezone.at, Patrick Dax)
Mathias Müller von Blumencron, Digitalchef der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” (FAZ), hat sich mit “Futurezone” über kostenpflichtige Angebote im Internet, Werbeblocker und Facebooks Vorstoß ins Nachrichtengeschäft unterhalten. Und natürlich die Zukunft der Zeitung als solche.
3. Repression in ungekanntem Ausmaß (reporter-ohne-grenzen.de)
“Reporter ohne Grenzen” (ROG) hat einen ausführlichen Länderbericht zur Situation in der Türkei veröffentlicht, in dem untersucht wird, welche Folgen der nach dem Putschversuch vom 15. Juli verhängte Ausnahmezustand für die Pressefreiheit hat. Zwei Monate nach der Verhängung des Ausnahmezustands habe die Repression gegen Journalisten in der Türkei ein nie gekanntes Ausmaß erreicht. Rund 100 Journalisten seien im Gefängnis, rund 100 Zeitungen, Zeitschriften, Radio- und Fernsehsender seien geschlossen, die Reisepässe vieler Journalisten annulliert worden.
4. Die Zukunft des Journalismus reloaded (de.ejo-online.eu, Tina Bettels-Schwabbauer)
Die leitende Redakteurin der deutschen Journalismus-Seite “EJO” Tina Bettels-Schwabbauer hat sich das neue Buch von Christian Jakubetz angesehen. In „Universalcode 2020“ beschreibt Jakubetz, wie der Journalismus von morgen aussehen wird und gibt viele handwerkliche Tipps. Vor allem der praktische Teil des Buchs hat es der Rezensentin angetan. Davon würden besonders Berufseinsteiger und Altgediente mit Berührungsängsten vor dem Digitalen profitieren.
5. “Ein symbiotisches Verhältnis” (mediendienst-integration.de)
Kai Hafez ist Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Erfurt und beschäftigt sich unter anderem mit Theorien der Auslandsberichtserstattung und kulturvergleichender Medienethik. Im “Mediendienst”-Interview spricht Hafez darüber, warum die AfD medial erfolgreich ist und warum Engagierte in der Flüchtlingshilfe eher selten in den Medien vorkommen. Die “Alternative für Deutschland” (AfD) und die Medien würden voneinander profitierten. Hafez warnt: “Viele Journalisten bemerken gar nicht, was sie da tun. Faktisch bedienen sie rechte Neigungen, und wenn diese Früchte tragen, erschrecken die Medien und warnen vor der AfD. Davon profitiert die Partei bisher – es ist ein Teufelskreis der rechtspopulistischen Öffentlichkeitsbildung.”
6. „Der talentierte Mr. Vossen“ (freitag.de, Sebastian Grundke)
Sebastian Grundke empfiehlt die Geschichte um den Fall des Aktienhändlers und mutmaßlichen Betrügers Felix Vossen, die als siebenteiliger dokumentarisch-literarischer Podcast aufbereitet wurde. Grundke ist begeistert von der Arbeitsweise des für Recherche und Stück verantwortlichen Reporters Christoph Heinzle: “Dazu greift Heinzle auf eine eher literarische Erzählweise zurück, montiert Interviewschnipsel und Notizen aus seinem Reisetagebuch oder nutzt Cliffhanger am Ende jeder Folge. Dabei bricht Heinzle auch mit klassischen journalistischen Gepflogenheiten, zum Beispiel wenn er zum Ich-Erzähler seiner monatelangen Spurensuche wird. Das Ergebnis ist jedoch meisterhaft.”
Am späten Freitagabend schien Henning Feindt, der stellvertretende “Sport Bild”-Chefredakteur, mächtig stolz zu sein:
Thomas Tuchel, bis zur vergangenen Bundesligasaison noch Trainer bei Borussia Dortmund, wurde am Düsseldorfer Flughafen fotografiert, unterwegs nach München. Der FC Bayern München hat gerade erst seinen Trainer Carlo Ancelotti entlassen und sucht derzeit nach einem Nachfolger — was Tuchels München-Trip zumindest für den Sport-Boulevard interessant macht (wobei man auch erwähnen muss, dass Thomas Tuchel schon seit längerer Zeit eine Wohnung in München hat). Die “exklusiv-fotos”, die Henning Feindt in seinem Tweet — retweetet von “Bild”-Sportchef Walter M. Straten, geliket von “Sport Bild”-Chefredakteur Alfred Draxler sowie von “Sport Bild”-Fußballchef Chrisitan Falk — beklatscht und die er seinem “Sport Bild”-Kollegen Sven Westerschulze zuschreibt, sind aber alles andere als ein “Great Job”. Sie sind geklaut.
Simon Schlenke war am Freitag gerade auf dem Weg nach Prag, als er und sein Bruder am Flughafen in Düsseldorf Thomas Tuchel sahen. Schlenke machte ein Foto und postete es um 14:28 Uhr bei Twitter:
Nach eigener Aussage schickte er das Bild auch per WhatsApp an Freunde.
Am Freitagabend tauchte ein Ausschnitt von Schlenkes Foto bei Bild.de auf:
Einer der drei Autoren des dazugehörigen Textes: Sven Westerschulze. Am Samstag erschien “Fußball Bild” mit diesem Titelfoto …
… und mit dieser Aufmachung auf den Seiten 2 und 3:
Am selben Tag sah die erste der Sportseiten in der “Bild”-Bundesausgabe so aus:
Überall war das Foto zu sehen, das Simon Schlenke gemacht hatte (und in “Fußball Bild” und “Bild” auch noch ein Foto, das laut Schlenke sein Bruder aufgenommen hatte). Und überall stand als Fotocredit “Exklusiv-Foto SPORT BILD”. Eine Erlaubnis, das Foto zu benutzen, hatten offenbar weder Bild.de noch sportbild.de noch “Fußball Bild” noch “Bild”. Auf Nachfrage erklärte Schlenke bei Twitter:
Eine große Leidenschaft der “Bild”-Redaktion: das Aufzählen von Managergehältern. Jedes Jahr, wenn Analysten und Beratungsunternehmen die Geschäftsberichte der größten Konzerne ausgewertet und daraus Gehaltsranglisten erstellt haben, verwursten die “Bild”-Medien diese zu Artikeln. Vor einer Woche schrieb Bild.de beispielsweise über “die Gehälter von Europas Top-Managern 2018”. Vor drei Tagen dann noch einmal. Bereits vor zwei Monaten ging es um “die Bezüge deutscher Topmanager”.
In den Beiträgen nennt Bild.de die Jahresgehälter von Steve Angel (Linde), Severin Schwan (Roche), Carlos Brito (Anheuser-Busch InBev), Sergio Ermotti (UBS), Bill McDermott (SAP), François-Henri Pinault (Kering), Carlo Messina (Intesa Sanpaolo), Stefan Heidenreich (Beiersdorf), Oliver Bäte (Allianz), Dieter Zetsche (Daimler), Harald Krüger (BMW) und Herbert Diess (VW). Sie reichen von 5,8 Millionen bis 55,8 Millionen Euro für das Jahr 2018 (wobei die Grundlagen für die Berechnungen teils unterschiedlich sind — bei manchen sind “Boni und Pensionsansprüche” oder Aktienoptionen dabei, bei manchen nicht).
Jetzt könnte man natürlich fragen, ob Julian Reichelt die FamiliendieserManagerinGefahrbringt und würde damit nur strikt der Logik des “Bild”-Chefs folgen.
Interessanter aber finden wir, wen die “Bild”-Redaktion in ihren Aufzählungen nie erwähnt, obwohl er mit der Höhe seines Gehalts locker reinpassen würde: ihren eigenen obersten Chef Mathias Döpfner. Das Gehalt des Vorstandsvorsitzenden der Axel Springer SE soll im vergangenen Jahr laut “kress” 7,63 Millionen Euro betragen haben. 2017 sollen es laut der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz und der Technischen Universität München 7,41 Millionen Euro gewesen sein (PDF — wobei noch Döpfners Anteil an einer Sonderzahlung von General Atlantic hinzukommt; diese betrug für alle fünf Springer-Vorstandsmitglieder zusammen 12 Millionen Euro). Und 2016 sogar über 19 Millionen Euro und damit mehr als bei allen Vorständen der 30 Dax-Unternehmen. Dabei ist die Axel Springer SE, die im MDax gelistet ist, mit rund 16.350 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie 3,18 Milliarden Euro jährlichem Umsatz deutlich kleiner als die meisten Dax-Konzerne.
Zu Döpfners möglichem Rekord-Gehalt von 2016 sagte eine Springer-Sprecherin, dass diese Berechnung auf “extrem wackeligen Füßen” stehe. Und tatsächlich sind das alles nur Schätzungen. Denn während fast jedes andere Unternehmen im Dax und im MDax die Gehälter seiner einzelnen Vorstandsmitglieder veröffentlicht, nennt Springer in seinen Geschäftsberichten (PDF, Seite 86) lediglich eine Summe für den gesamten Vorstand. Aktionärsschützer kritisieren dieses Vorgehen schon länger.
Mit dieser intransparenten Praxis des Springer-Konzerns dürfte allerdings bald Schluss sein: Eine neue EU-Aktionärsrechterichtlinie, die den Einzelausweis bei Spitzengehältern zur Pflicht werden lässt, muss bis zum 10. Juni dieses Jahres in deutsches Recht umgesetzt werden. Wir sind uns allerdings ziemlich sicher, dass die “Bild”-Redaktion trotz ihrer großen Leidenschaft für Managergehälter auch dann nicht über Mathias Döpfner berichten wird.
1. Eine Spur führt ins Querdenker-Milieu (tagesspiegel.de, Andreas Busche & Hannes Soltau & Julius Geiler & Matthias Dell)
Unter dem Schlagwort #allesdichtmachen hatten ursprünglich mehr als 50 Schauspielerinnen und Schauspieler nach eigener Ansicht satirische Videos ins Netz gestellt, in denen sie wohl durch polemische Überzeichnung die staatliche Corona-Politik kritisieren wollten. Der “Tagesspiegel” ist dem Rätsel nachgegangen, von wem diese Aktion ausging und wer sie womöglich orchestriert hat: “Auch wenn es anfangs wie eine dezentrale Bewegung aussah: #allesdichtmachen hatte einen Kopf. Und sie war professionell geplant. Das ergibt eine Spurensuche, eine Woche nachdem die Aktion online ging. Dabei tauchen immer neue Unstimmigkeiten auf.”
2. Die Rolle der Medien im Fall Metzelder (deutschlandfunk.de, Michael Borgers & Andrea Titz & Sebastian Wellendorf, Audio: 6:54 Minuten)
Wie sollten Redaktionen über laufende Prozesse berichten? Was darf die Öffentlichkeit erfahren? Worin liegen die Gefahren und Risiken der Verdachtsberichterstattung? All diese Fragen konnte man sich auch in Zusammenhang mit dem Prozess gegen den ehemaligen Fußballer Christoph Metzelder (der mittlerweile zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde) stellen. Es tut sich ein Spannungsfeld auf: Auf der einen Seite Medien, die an aufsehenerregenden Informationen interessiert sind, auf der anderen Seite gelegentlich Rechtsanwälte, die für ihre Mandanten als eine Art Pressesprecher auftreten (“Litigation-PR”).
3. Wenn aus Fakten “Vorurteile” werden (uebermedien.de, Jürn Kruse)
“Leben & Erziehen” versteht sich als Elternmagazin, da dürfen Beiträge zur Gesundheit natürlich nicht fehlen. In der neuesten Ausgabe wurde ein Aufklärungsbeitrag zum Thema Homöopathie versprochen: “Kügelchen-Alarm. Zehn Homöopathie Vorurteile im Check”. Die Redaktion hatte sieben Expertinnen und Experten gebeten, um über die “Vorurteile” gegenüber der Homöopathie aufzuklären. Das Problem: Sieben davon sind Homöopath*innen. Kritische Einordnung? Fehlanzeige! Jürn Kruse hat Personen befragt, die sich mit dem Thema auskennen und ihm weniger positiv gegenüberstehen.
4. #allesdichtmachen vs. #NoCovid im Medienecho – wir haben nur noch Boulevard (scilogs.spektrum.de, Markus Pössel)
Markus Pössel hat eine Medienauswertung zu den beiden Themen #allesdichtmachen und #NoCovid vorgenommen. Es ging also einerseits um die Protestaktion der Schauspielerinnen und Schauspieler gegen die Corona-Maßnahmen und andererseits um die Strategie der konsequent niedrig gehaltenen Infektionszahlen. Pössels Eindruck: “So karg und steril die Berichte über die NoCovid-Strategie, so fetzig die Beiträge zu #allesdichtmachen. Bei diesem Thema überschlagen sich Süddeutsche, Spiegel und FAZ wie die sensationsgeilsten Boulevardblätter. Ein Thema mit vergleichsweise wenig Substanz, aber einer gehörigen Ladung A- und B-Promis, überzogener Kritik und Empörung, das zudem in das Cancel-Culture-oder-Meinungsfreiheit-Schema passt, wird mit allen Regeln der Kunst gemolken.”
5. Umstrittenes EU-Gesetz gegen Terrorinhalte beschlossen (reporter-ohne-grenzen.de)
Gestern wurde die EU-Verordnung zur “Verhinderung der Verbreitung terroristischer Inhalte im Internet” verabschiedet. Zuvor hatten mehr als 60 Journalismus- und Menschenrechtsorganisationen ihre Besorgnis über die Auswirkungen dieser Verordnung auf die Presse- und Meinungsfreiheit in einem Offenen Brief (PDF) zum Ausdruck gebracht. Christian Mihr, Geschäftführer von Reporter ohne Grenzen: “Die Verordnung setzt Medienschaffende einem nicht gerechtfertigten Risiko politischer Zensur aus. Rechtsstaatliche Mindeststandards auszuhebeln, um schneller gegen illegale Inhalte im Netz vorgehen zu können, ist der falsche Weg.”
6. Landlust-Gründerin Ute Frieling-Huchzermeyer: »Erfolg entsteht durch die unterschiedlichen Fähigkeiten verschiedener Menschen« (meisterstunde.de, Peter Wagner)
Das Magazin “Landlust” ist vielleicht eine der überraschendsten Print-Erfolge der vergangenen Jahrzehnte. Ein landwirtschaftlicher Fachverlag, der sonst nur für Special-Interest-Titel wie “top agrar” steht, versucht sich an einer Lifestyle-Publikumszeitschrift und verkauft davon auch heute noch rund 900.000 Exemplare je Ausgabe. Ute Frieling-Huchzermeyer stand dem Magazin bis 2020 als Chefredakteurin vor. Im Gespräch mit Peter Wagner geht es unter anderem um die Gründe für den Erfolg, die Wünsche der Leserschaft und die Wichtigkeit von Gipsengeln.
Vergangene Woche hat der Deutsche Presserat mal wieder Rügen verteilt. Traditionell ganz vorne mit dabei: die “Bild”-Medien. Sieben der 17 ausgesprochenen Rügen gingen an “Bild”, Bild.de oder “Bild am Sonntag”, weil die jeweilige Redaktion …
… in einem Artikel über angebliche Alkoholprobleme einer Person berichtete, obwohl sich diese Person dazu nicht äußern wollte.
… in einem anderen Artikel private Sprachnachrichten derselben Person ohne deren ausdrückliche Einwilligung veröffentlichte.
… in einem Artikel unverpixelte Fotos des Täters und der Opfer eines Tötungsdelikts zeigte.
… in einem Artikel ein unverpixeltes Foto eines minderjährigen Opfers veröffentlichte, “offensichtlich ohne Einwilligung der Angehörigen”.
… in einem Artikel ein unverpixeltes Foto eines anderen minderjährigen Opfers zeigte.
… in einem Artikel ein Foto einer getöteten Frau veröffentlichte, das sie von deren Facebook-Seite genommen hatte, ohne Einwilligung der Angehörigen.
Auf die siebte Rüge wollen wir etwas detaillierter eingehen, weil der Vorgang dahinter wunderbar zeigt, wie die “Bild”-Redaktion und Chefredakteur Julian Reichelt mit Kritik umgehen. Und weil das problematische Verhältnis von “Bild” zur Wahrhaftigkeit deutlich wird.
In der März-Ausgabe der “Blätter für deutsche und internationale Politik” schrieb der Publizist Albrecht von Lucke eine lesenswerte ausführliche Analyse des TV-Projekts “Bild live”. Der Beitrag ist ausgesprochen kritisch. Schon im Teaser heißt es:
Die neueste Ideologieproduktion aus dem Hause »Springer«
Und im Text:
Kaum ein Politiker oder eine Politikerin, sieht man einmal von der Kanzlerin ab, der oder die sich den Anfragen von “Bild” entzöge; alle rennen – auch mangels anderer Live-Möglichkeiten im Corona- und Superwahljahr – dem neuen Sender förmlich das Studio ein. So etwa nach dem jüngsten Corona-Gipfel am 10. Februar, als sich Kanzleramtschef Helge Braun den Fragen von “Bild”-Vize Paul Ronzheimer stellte – im Laufband untertitelt nicht, wie sonst üblich, mit “Gespräch” oder “Interview”, sondern mit “Merkels wichtigster Mann im Verhör”. Ebenfalls kurz zuvor “im Bild-Verhör”: Gesundheitsminister Jens Spahn. Hier artikuliert sich die zugrundeliegende aggressive, fast schon inquisitorische Geisteshaltung – “Bild live” als die Stimme des Volkes gegen die Politikerkaste.
Die “Bild”-Redaktion griff Luckes Artikel auf, drehte dessen Aussage aber komplett um. Aus der scharfen Kritik an “Bild live” wurde am 27. Februar in “Bild” ein großes Lob für “Bild live”:
Er zählt zu den profiliertesten Politikexperten des Landes: Albrecht von Lucke (54), Autor zahlreicher Bücher (u.a. “Die gefährdete Republik”)!
Jetzt hat Lucke in einem Beitrag in “Blätter für deutsche und internationale Politik” den Erfolg des TV-Formats BILD live auf BILD.de gewürdigt. (…)
BILD Live sei “die Stimme des Volkes gegen die Politikerkaste”, konstatiert von Lucke.
Die von Lucke dargelegte “aggressive, fast schon inquisitorische Geisteshaltung” im “Bild”-TV-Studio lässt “Bild” lieber unerwähnt; das Selbstverständnis von “Bild live”, das Lucke der Redaktion zuschreibt, verdreht diese zu einer Bewertung von Lucke selbst. Und mal abgesehen davon, dass die “Bild”-Redaktion das alles gänzlich aus dem (kritischen) Zusammenhang reißt: Das wörtliche Zitat aus der Überschrift ist in dieser Form frei erfunden.
(Nur nebenbei bemerkt: Wie traurig und klein ist es eigentlich, dass die Redaktion der größten Zeitung Deutschlands es offenbar nötig hat, auf der eigenen Seite 2 einen Artikel darüber zu veröffentlichen, wie toll jemand anderes das eigene TV-Format vermeintlich findet?)
Für die Verfälschung des Zitats von Albrecht von Lucke gab es die bereits erwähnte Rüge vom Presserat. Der sah “einen gravierenden Verstoß gegen das Gebot zur wahrhaftigen Wiedergabe wörtlicher Zitate” und den “Bild”-Artikel generell als “Verstoß gegen das Gebot zur Wahrhaftigkeit nach Ziffer 1 des Pressekodex”.
Es handelt sich dabei nicht um einen einmaligen Ausrutscher. Dass sich die “Bild”-Redaktion aus Kritik ein Lob bastelt, oder dass sie Kritik an der eigenen Berichterstattung aus Zitaten streicht, kommt häufiger vor. Als sich beispielsweise Günter Wallraff mal anerkennend über eine “Bild”-Reportage äußerte, kürzte Bild.de die gleichzeitige “Bild”-Kritik aus dem wörtlichen Zitat Wallraffs einfach raus.
Unser Buch ist überall erhältlich, zum Beispiel bei euren lokalen Buchhändlern, bei GeniaLokal, bei Amazon, bei Thalia, bei Hugendubel, bei buch7, bei Osiander oder bei Apple Books. Es ist auch als eBook und Hörbuch erschienen.
In unserem Buch “Ohne Rücksicht auf Verluste” geht es in einem ganzen Kapitel um den Umgang von “Bild” mit Kritik. Darin beschreiben wir das generelle Vorgehen der Redaktion und erwähnen unter anderem zwei weitere konkrete Beispiele. Hier ein Auszug:
Für die Macher der “Bild”-Medien ist das keine unbekannte Strategie, mit Kritik umzugehen: löschen, verschweigen, verstecken. Wenn sich zum Beispiel Prominente negativ über “Bild” äußern, gibt sich die Redaktion große Mühe, ihren Lesern diese Kritik vorzuenthalten. Als die Zeitung 2018 behauptet, Helene Fischer könne aufgrund eines Infekts womöglich “nie wieder singen” und habe einen “Wunderheiler aus den USA” einfliegen lassen, veröffentlicht die Sängerin einen langen Facebookpost über ihren Gesundheitszustand, in dem sie unter anderem schreibt, die Wunderheiler-Geschichte sei “totaler Quatsch”. Über diesen Beitrag berichtet auch “Bild”, druckt ihn in der Zeitung ab – setzt dabei eine Bildunterschrift jedoch exakt so, dass ausgerechnet die kritischen Worte von Helene Fischer verdeckt werden.
Ein ähnlicher Fall im Jahr darauf, als der TV-Moderator Walter Freiwald bekannt gibt, dass er unheilbar erkrankt ist. Bei Twitter schreibt er:
Bevor die @BILD oder @RTLde irgendwelche Unwahrheiten über meine Person verbreiten, will ich selbst mitteilen, dass ich unheilbar krank geworden bin und diese Krankheit nicht überleben werde.
“Bevor irgendwelche Unwahrheiten über meine Person verbreitet werden, will ich selbst mitteilen, dass ich unheilbar krank geworden bin und diese Krankheit nicht überleben werde.”
Wenn man zynisch wäre, könnte man sagen: Was Dieter Bohlen passiert ist, ist das Beste, was “Bild” passieren konnte. Dass der “Pop-Titan” Dieter Bohlen, der Beruf und Privatleben in einem außerordentlichen Maße mit “Bild” teilt, in seinem Haus spektakulär überfallen und ausgeraubt wird und eine Überwachungskamera eine Fülle eindrucksvoller Aufnahmen von dem Geschehen liefert. Den größten Teil der Titelseite und zwei ganze Seiten im Inneren (siehe Ausrisse) füllte “Bild” am Dienstag mit Fotos, Zeichnungen, Berichten und Einzelheiten — und dass die Polizei Bohlen vorwirft, er habe dadurch, dass er gegenüber “Bild” und RTL so viele Details ausplauderte, die Ermittlungen erschwert, damit wird “Bild” leben können.
“Bild” war offensichtlich schon kurz nach dem Überfall vor Ort — oder versucht jedenfalls nachhaltig, diesen Eindruck zu erwecken. Ein langes “Bild”-Interview mit Bohlen beginnt so:
Gestern morgen, 11.42 Uhr. Dieter Bohlen (52) sitzt auf der Eckbank in der Küche seiner 600-Quadratmeter-Villa in Tötensen. Lebensgefährtin Carina (23) reicht ihm Früchtetee. Im Flur und an der Haustür sichern die Beamten der Kripo Buchholz Spuren. Es ist gerade 117 Minuten her, dass zwei bewaffnete Männer sein Haus gestürmt, ihn gefesselt und mit der Pistole bedroht haben. Dieter Bohlen wirkt sehr gefasst. An den Unterarmen hat er Schürfwunden, die er bei der Rangelei mit den Tätern erlitten hat.
BILD: Herr Bohlen, wie fühlen Sie sich? …
Und vermutlich meint “Bild” nicht 117, sondern 177 Minuten, denn der Überfall war um 8.45 Uhr. Dennoch ist das ja wirklich eindrucksvoll, das Tempo, mit dem die “Bild”-Leute und Bohlen sich nach so einem Überfall an die “journalistische” Aufbereitung des Geschehens machen. Allerdings endet das “Bild”-Interview, das um 11.42 Uhr begann, so:
BILD: Wie geht es Ihrer Lebensgefährtin?
Bohlen: “Carina war die ganze Zeit sehr tapfer. Aber am Nachmittag brach dann alles aus ihr raus. Sie bekam Beruhigungsmittel, inzwischen geht es ihr besser.”
(Hervorhebungen von uns.)
Und falls Bohlen diesen Satz überhaupt gesagt hat, dann jedenfalls nicht am Vormittag. Aber eine gute Erklärung für diese erstaunliche Diskrepanz müssen Sie sich schon selbst ausdenken. Wir haben nämlich keine.
Danke an Sebastian L., Svenja K., Günther F., Knut I. und Felix S.
Nachtrag, 13. Dezember. Die Störung des Raum-Zeit-Kontinuums ist anscheinend noch größer als bisher angenommen. Bohlens Freundin Carina sagt heute “EXKLUSIV” in “Bild”, sie habe es am Montag nicht mehr in dem Haus in Tötensen ausgehalten und sei deshalb am Nachmittag mit Bohlen nach Köln geflogen. Wenn das stimmt, wäre an dem “Bild”-Interview entweder nicht nur die Zeitangabe, sondern auch die Ortsangabe falsch — oder natürlich das Interview.
Was ist noch überflüssiger als ein belangloser Bericht über einen hierzulande nahezu unbekannten britischen Promi? Richtig: Ein Bericht darüber, wie überflüssig der belanglose Bericht über einen hierzulande nahezu unbekannten britischen Promi ist. Genau dieses phänomenale und gleichzeitig zutiefst verstörende Kunststück hat “Spiegel Online” im ebenfallsüberflüssigen Panorama-Ressort mit einem Artikel über Petra Ecclestone fertiggebracht.
Da heißt es unter der Schlagzeile (!) “Luxussorgen: Miss Ecclestone und der Jacken-Fauxpas”:
Die Töchter von Formel-1-Boss Bernie Ecclestone rutschen immer wieder in die Schlagzeilen, was ihr stattliches Vermögen angeht. Sie müssen dafür nicht mal etwas (Ungewöhnliches) tun.
Anschließend berichtet “Spiegel Online” – natürlich ohne Verlinkung – darüber, wie das britische Boulevardblatt “Daily Mail” darüber berichtet, dass Petra Ecclestone ihren Partner während eines Restaurantbesuchs ohne Jacke auf eine Zigarette nach draußen begleitet — “trotz eisiger Temperaturen”.
Selbst die kleinsten Details aus dem “Daily Mail”-Artikel teilt der “Spiegel Online”-Autor seinen Lesern mit und weist mehrfach darauf hin, wie unsinnig es ist, dass über den “Vorfall” überhaupt berichtet wird:
Es scheint schlichtweg darum zu gehen, dass die Tochter aus Ecclestones Ehe mit dem ehemaligen Model Slavica Radic einfach nur vermögend ist.
Das allein wäre ja schon absurd genug, aber dass “Spiegel Online” es dann auch noch fertigbringt die Chronologie der Nichtnachricht durcheinanderzubringen, setzt dem ganzen die Krone auf:
Dann die Sensation: Kurz darauf erblicken sie Papparazzi und siehe da – Petra Ecclestone trägt über dem schlichten Kleid tatsächlich eine Jacke. Vielmehr scheint es bei der Berichterstattung darum zu gehen, dass das Paar in einem schwarzen Lamborghini davonbrauste, (…)
Die Jacke trug Petra Ecclestone jedoch bereits vor der Raucherpause, bei der Ankunft (“on arrival”). Und es ist zwar wahrscheinlich, dass das Paar auch wieder davonbrauste, aber davon steht nichts bei der “Daily Mail”. Dort heißt es:
The pair made a dramatic entrance in a black Lamborghini.
(Hervorhebung von uns.)
PS: Wir sind uns bewusst, dass unser Artikel über einen überflüssigen Artikel über einen überflüssigen Artikel über ein belangloses Ereignis möglicherweise irrelevant erscheinen mag. PPS: Aaargh!
Ein Punkt lag den drei “Bild am Sonntag”-Autoren Markus Balczuweit, Kurt Hofmann und Daniel Peters offenbar besonders am Herzen, als sie ihren Bericht über das Bundesligaspiel zwischen dem VfL Wolfsburg und Werder Bremen verfassten:
Werders Schießbude hat den Deppen-Rekord!
Nach dem Deppen-Rekord von Galvez brach das Team von Trainer Viktor Skripnik (46) völlig auseinander.
Immerhin gab’s den Deppen-Rekord.
In der Tat hat Werders Innenverteidiger Alejandro Gálvez am vergangenen Wochenende mit seinem Eigentor zum 0:1 nicht nur die deutliche 0:6-Niederlage eingeleitet, sondern seinem Verein auch einen Negativrekord beschert: Werder Bremen ist jetzt der Klub mit den meisten Eigentoren der Bundesligageschichte. Das ist für “Bild am Sonntag” und Bild.de der “Deppen-Rekord”.
Betrachtet man die Zahlen, um die es geht, mal etwas genauer, sieht das alles aber schon deutlich weniger dramatisch aus. Gálvez’ Eigentor war das 54. eines Werderaners in der obersten deutschen Fußballliga. Werder Bremen war allerdings auch 1963 Gründungsmitglied der Bundesliga und hat seitdem lediglich eine Saison in der zweiten Liga gespielt. Hinter dem HSV sind die Bremer daher der Verein mit den zweitmeisten Bundesligaspielen, aktuell 1743. Im Schnitt schießen die Spieler von Werder Bremen also alle 32 Spiele mal ein Eigentor. Davon ist in den “Bild”-Medien natürlich nicht die Rede.
Auf Platz zwei der “Bild am Sonntag”-“Deppen-Rekord”-Rangliste liegt übrigens Eintracht Frankfurt mit 53 Eigentoren. Die Frankfurter haben allerdings auch deutlich weniger Bundesligaspiele als Werder Bremen, derzeit 1573. Somit schießt die Eintracht durchschnittlich alle 30 Spiele ein Eigentor. Immer noch sehr selten, aber im Schnitt häufiger als die Bremer “Deppen-Rekord”halter.
Immer wenn “Bild” diese “Deppen”-Keule rausholt, müssen wir an die Worte von “Bild”-Sportchef Walter M. Straten denken, mit denen die “Süddeutschte Zeitung” ihn nach dem Suizid von Robert Enke zitierte:
Aber auch das Boulevardblatt ist nach dem Enke-Tod nicht einfach so zur Tagesordnung übergegangen. Über vieles sei diskutiert worden, auch über Noten, und man sei schließlich zu dem Ergebnis gekommen, bei der Benotung so weiter zu machen wie bisher, sagt Straten. Auch in seiner Redaktion soll es zu einem etwas sensibleren Umgang mit den Zensuren kommen: “Wir werden wohl mit extremen Noten etwas vorsichtiger sein”, sagt der stellvertretende Bild-Sportchef. Man werde sich einmal mehr überlegen, “ob der Spieler, der eine klare Torchance vergeben hat, oder der Torwart, der den Ball hat durchflutschen lassen, eine Sechs bekommt oder eine Fünf reicht”.
Das Vorhaben war schnellüberBordgeworfen. Und heute reicht ein Eigentor, um zum “Deppen” gemacht zu werden.
Dass Alejandro Gálvez sich seinen Fauxpas offenbar ziemlich zu Herzen genommen hat, konnte man am Montag in der Bremen-Ausgabe der “Bild”-Zeitung lesen:
Doch was juckt das schon die Haudraufreporter bei “Bild”? Eine Seite weiter vorne titeln sie Gálvez und seine Teamkollegen zu “Versagern”:
1. “Jetzt hilft nur noch ein Nobelpreis” (boersenblatt.net, Holger Heimann)
Unter dem Motto “Verlage (in) der Zukunft” haben sich drei Verleger Gedanken über die Planbarkeit des Erfolgs und das Bild von Verlagen in der Öffentlichkeit gemacht: Felicitas von Lovenberg, seit etwa 50 Tagen Verlegerin des Piper-Verlags, Hanser-Verleger Jo Lendle und Jonathan Beck vom Verlag C.H. Beck. Letzterer klagte: “In den letzten Jahren hat es eine ganze Reihe von Entscheidungen gegeben, die ein Bild von Verlagen als bloße Verwerter transportieren, die Manuskripte lediglich an Druckereien weitergeben und arme Autoren dazu zwingen, für sie ungünstige Verträge zu unterschreiben”. Was für ein Wunder möchte man hinterherrufen, wenn man liest, wie unsouverän die anwesende Kulturstaatsministerin mit der höchstrichterlichen Entscheidung umgeht, der nichterlaubten Selbstbedienung der Verlage an den VG-Wort-Einnahmen (Ministerdeutsch: “bewährte Praxis”) endlich ein Ende zu bereiten.
2. Niederländer sollen mit Kritik an Erdogan vorsichtig sein (faz.net)
Der türkische Ministerpräsident weitet seine Zensurzone auf immer mehr Länder aus und wertet anscheinend soziale Netze aus. Nun hat der niederländische Außenminister Bert Koenders seine Landsleute zur Vorsicht ermahnt. Es gebe „keine Garantien“ für Niederländer, die sich etwa in sozialen Netzwerken kritisch zur türkischen Führung geäußert hätten und dann in die Türkei reisten, sagte Koenders bei einer Parlamentsdebatte am Dienstag.
3. Regelwerk mit Lücken an den entscheidenden Stellen (de.ejo-online.eu, Silke Fürst & Mike Meißner)
Wie groß die Angst vor sinkenden Werbeerlösen in der Zeitungsbranche sein muss, kann man derzeit in der Schweiz sehen. Da fordert der Chef der “Basler Zeitung” die Anzeigenkunden auf, gegen missliebige Berichterstattung vorzugehen und verteidigt sogar einen Boykott: Inserierende Unternehmen müssten sich nicht „auf der Nase rumtanzen“ lassen. Und der Verlegerpräsident Lebrument verstieg sich in der “NZZ” sogar zu der Aussage, dass die saubere Trennung zwischen redaktionellem Teil und Werbung heute nicht mehr funktioniere und “Kompromisse” notwendig seien. Im Artikel kommen verschiedene Stimmen zu Wort, auch jene, die diese Aussagen problematisieren.
4. Wie man Leser verhohnepipelt (bilanz.de, Wolf Schneider)
Journalistenlegende Wolf Schneider (u.a. Korrespondent der “Süddeutschen Zeitung” in Washington, Chefredakteur der “Welt”, Moderator der NDR-Talkshow, Gründer und Leiter der Henri-Nannen-Schule) meldet sich auch noch mit 90 regelmäßig zu Wort. In seinem neuen Artikel nimmt er einen Brockhaus-Eintrag auseinander und seziert ein verzwirbeltes Satzmonstrum aus der „Frankfurter Allgemeinen Woche“. Schneider macht Texte verständlicher, indem er sprachlichen Ballast abwirft und die Lesbarkeit verbessert. Das ist nicht nur für Journalisten interessant, sondern für jeden Schreibenden.
5. Ruthe zum Tag des geistigen Eigentums (facebook.com/ruthe.de)
Cartoonist Ralph Ruthe gehört zu den meistbestohlenen Comic-Künstlern im Netz. Anlässlich des “Tags des geistigen Eigentums” schreibt er, mit welchen Übernahmen er leben kann und mit welchen nicht. Und er geht mit viel Geduld und Höflichkeit auf all die gängigen Argumente der Kopierbefürworter ein (“Das ist doch Werbung für dich!”).
6. “sanft & sorgfältig” jetzt bei Spotify | NDR (Daniel Bouhs, Video, 7:35)
Hinter dem Erfolg einer Radiosendung steht auch immer ein Programmchef, der diese mitverantwortet. Im Fall von Deutschlands beliebtester Radiosendung “sanft & sorgfältig” mit Jan Böhmermann und Olli Schultz ist es RadioEins-Chef Robert Skuppin. Im Interview zum Wechsel von Böhmermann und Schulz zu Spotify erklärt er auf sympathisch gelassene Art, warum er auf den privaten Streamingdienst richtig sauer ist, auf Jan Böhmermann und Oli Schulz dagegen nicht.
1. Journalismus wird immer besser – seine Reputation immer geringer (de.ejo-online.eu, Michael Haller)
Ende April hat der Stern den Nannen Preis für herausragende Arbeiten im deutschsprachigen Journalismus verliehen. Medienwissenschaftler Michael Haller hat für das Sonderheft „Nannen Preis 2016“, in dem sich alle nominierten Arbeiten finden, einen einführenden Essay verfasst. Sein Thema: Gründe für den Widerspruch zwischen exzellentem Journalismus und schwindendem Medienvertrauen.
2. Gibt es ein Recht auf kritische Berichterstattung? (medienwochw.ch, Mike Meißner & Silke Fürst)
Die Autoren beschäftigen sich mit der Frage, wie man den Journalismus in der Schweiz stärken und seine Unabhängigkeit sicherstellen kann. Wirtschaftlicher Druck stelle die Unabhängigkeit des Journalismus in Frage, Werbekunden würden mit Samthandschuhen angefasst und in der Berichterstattung geschont. Ein Blick ins Arbeitsrecht zeige, dass ein Gesamtarbeitsvertrag, wie es ihn in der Westschweiz und für die SRG gibt, die unabhängige und kritische Berichterstattung stärken kann.
3. Erdogan will sie mit allen Mitteln zum Schweigen bringen (faz.net, Karen Krüger)
“Recep Tayyip Erdogan sägt jeden ab, der ihm bei seinem Projekt, die Türkei in einen autoritären Staat zu verwandeln, in die Quere kommt. “, so direkt formuliert es Karen Krüger zu Beginn Ihres Artikels. Das Urteil gegen die Journalisten Can Dündar und Erdem sei ein Exempel für das Vorgehen gegen die Pressefreiheit in der Türkei. Wer dem türkischen Präsidenten Paroli biete, hätte keine Rechte.
4. Panama ist auch in Spanien (taz.de, Reiner Wandler)
Die “taz” berichtet über einen Fall, der derzeit die spanische Medien beschäftigt und Juan Luis Cebrián, den Chef der spanischen Medienholding Prisa, wild um sich schlagen lasse: Auf Berichte, dass seine Exfrau in den Panama-Papieren erwähnt wird, reagiere Cebrián, zu dessen Unternehmen auch die größte spanische Tageszeitung El País und Cadena Ser, der populärste Radiosender des Landes, gehören, mit Entlassungen und Verboten.
5. Huch, da sitzen ja Menschen (zeit.de, Eike Kühl)
Auf einem amerikanischen Onlineportal erhebt ein ehemaliger, anonymer Facebook-Mitarbeiter schwere Vorwürfe: Das Netzwerk filtere Meldungen zu Ereignissen und von bestimmten Quellen bewusst aus und beeinflusse somit die Nutzer. Unter anderem sollen Mitarbeiter dafür gesorgt haben, dass Nachrichten über konservative Politiker wie Mitt Romney und Rand Paul nicht als Trend auftauchten, obwohl die Facebook-Nutzer darüber diskutierten.
6. Insolvenz – War wohl NIX (sueddeutsche.de, Hans Hoff)
Nachdem bereits im März Insolvenzantrag gestellt wurde, stellt Helmut Thomas Fernsehsender “NRW TV” nun den Sendebetrieb ein. “War wohl NIX”, kommentiert die “SZ” und spielt damit auf die Marke “NIX TV” an, mit der Thoma vor allem bei jungen Leuten Punkten wollte.
1. Journalisten nicht willkommen (djv.de, Eva Werner)
Journalisten nicht willkommen! Die AfD Baden-Württemberg will auf ihrem Landesparteitag keine Medien dabeihaben. Der Deutsche Journalisten-Verband wertet dies als Zeichen für ein massiv gestörtes Demokratieverständnis. DJV-Bundesvorsitzender Frank Überall: “Geradezu lachhaft ist, dass die AfD Baden-Württemberg statt der Teilhabe am Landesparteitag Journalisten mit einer Pressekonferenz mit vorgefilterten Informationen abfrühstücken will.“
2. Warum “Programmatic Advertising” der eigenen Marke schaden kann: Wenn Werbung Wunder verspricht, haben Medien ein Problem (kress.de, Bülend Ürük)
Von den politisch motivierten Fake-Nachrichtenseiten war die letzten Tage oftmals die Rede. Doch es gibt noch andere Desinformationsseiten und mit denen wird viel Geld verdient. Dabei geht es um Themen wie Diätpillen, Nahrungsergänzungsmittel, Glücksspiel und Kosmetik. Daniel Brückner von “testbericht.de” berichtet, dass die Werbung dieser Fakenachrichtenseiten auf 72 von 100 überprüften seriösen Nachrichtenseiten erscheint. Schuld daran sei unter anderem das “Programmatic Advertising” das Brückner als “Hintertürchen für Fake-Nachrichten” bezeichnet.
3. Obama sollte Manning die Reststrafe erlassen (reporter-ohne-grenzen.de)
“Reporter ohne Grenzen” appelliert an US-Präsident Barack Obama vor seinem Ausscheiden aus dem Amt, der inhaftierten Whistleblowerin Chelsea Manning den Rest ihrer Freiheitsstrafe zu erlassen: “Chelsea Manning sitzt schon jetzt länger im Gefängnis als jeder andere verurteilte Whistleblower in der US-Geschichte und hat während ihrer Haft grausam gelitten. Ihre unverhältnismäßige Strafe weiterhin zu vollstrecken, wäre eine unnötige Verlängerung ihrer Qualen. Schon jetzt zeichnen sich schwere Zeiten für die Pressefreiheit in den USA unter dem künftigen Präsidenten Donald Trump ab. Gnade für Chelsea Manning und Jeffrey Sterling wäre eine späte Gelegenheit für Obama, sich nach seinem erbitterten Feldzug gegen Whistleblower mit einem positiven Signal aus dem Amt zu verabschieden.”
4. Totficken, Steinigen, Kreuzigen – Wir haben getestet, ob Facebook Hetze und Morddrohungen löscht (vice.com, Stefan Lauer)
“Vice”-Autor Stefan Lauer hat eine Woche lang mehr oder weniger wahllos, wie er sagt, auf den Facebook-Seiten von NPD, diversen Pegida-Ablegern, anderen rechten Facebook-Seiten und öffentlich einsehbaren privaten Profilen Hasskommentare gemeldet und abgewartet, was passiert. Die Ergebnisse sind, nunja, ernüchternd: “Facebook scheint in einer braunen Hasslawine zu versinken und nicht zu wissen, wie damit umzugehen ist. Oder sie wollen sich gar nicht darum kümmern.”
5. Ein Urteil gegen Ankara (taz.de, Reinhard Wolff)
Die Türkei hatte beim Satellitenbetreiber Eutelsat einen Ausstrahlungsstopp des kurdischen TV-Kanals “Newroz” bewirkt. Dies hat ein Gericht nun kassiert: Der Sendestopp wurde für rechtswidrig erklärt, Eutelsat muss das Programm wieder ausstrahlen.
6. Was soll der Hype um “Game of Thrones”? (sueddeutsche.de, Luise Checchin)
Luise Checchin metzelt für die “SZ” die US-amerikanische Fantasy-Fernsehserie “Game of Thrones” nieder: “Wäre Game of Thrones einfach nur platt und redundant, es wäre alles halb so schlimm. Aber da ist eben auch diese schmierige Grundstimmung, die ab der ersten Episode vorhanden ist und die nach und nach bei jedem einigermaßen kritisch denkenden Menschen einen fundamentalen Selbst- und Fremdekel auslösen müsste. Game of Thrones ist eine Aneinanderreihung von sexistischem und gewaltverherrlichendem Schund.”
Es ist noch gar nicht so lange her, da wollte sich die “Bild”-Redaktion als Speerspitze der deutschen Willkommenskultur inszenieren. Den Slogan “Wir helfen” ließ sie damals Politiker auf Pappschildern hochhalten und Fußballprofis auf deren Ärmeln tragen.
Es ist noch gar nicht so lange her, aber es hat sich seitdem viel geändert. Auch und vor allem ist die Berichterstattung von “Bild” und Bild.de über Flüchtlinge und Asylbewerber eine ganz anderegeworden. Die “Bild”-Medien meinen, sie seien nur ehrlich, sprächen nur Wahrheiten aus und Probleme an. Aber das ist falsch. “Bild” und Bild.de bringen immer wieder auch völlig falsche Informationen und Zahlen in Umlauf. Heute etwa mit dieser Titelgeschichte:
Schon im Anreißer auf Seite 1 klingt es dramatisch:
Neuer, unfassbarer Behördenskandal: Von gut 30 000 abgelehnten, sofort ausreisepflichtigen Asylbewerbern wissen die Behörden nicht, wo sie stecken. Zum Teil haben sie Deutschland wohl einfach verlassen — oder sind hier untergetaucht.
Auf Seite 2 breitet Autorin Larissa Krüger den “ABTAUCH-SKANDAL” dann so richtig aus:
Das darf doch nicht wahr sein. BILD deckt die nächste Behörden-Panne im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise auf.
Regierung und Behörden wissen nicht, wo gut 30 000 abgelehnte und vollziehbar ausreisepflichtige Asylbewerber derzeit sind.
In Deutschland — warum auch immer — untergetaucht? Außer Landes? Keine Ahnung!
Nur: “Bild” deckt hier gar nichts auf. Außer die eigene Ahnungslosigkeit und die eigene Unfähigkeit, die richtigen Zahlen rauszusuchen.
Krüger schreibt:
Die Fakten: Laut Bundesregierung waren Ende Dezember 2016 genau 54 437 Personen vollziehbar ausreisepflichtig (inzwischen sind es rund 65 000). Aber laut Statistischem Bundesamt bezogen im Jahr 2016 nur 23 617 dieser Personen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Über den Verbleib des Restes von 30 820 Personen (Stichtag 31.12.2016) haben die Behörden und Statistiker KEINE Informationen.
Die zwei Zahlen von der Bundesregierung beziehungsweise dem Statistischen Bundesamt mögen stimmen. Aber sie passen nicht zueinander. Denn die 54.437 vollziehbar ausreisepflichtigen Personen, die die Bundesregierung nennt, sind nicht nur Asylbewerber, sondern auch andere Ausländer, die ausreisepflichtig sind, zum Beispiel Urlauber mit abgelaufenen Visa. Diese Gruppe ist — Überraschung — gar nicht in der Lage, Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu bekommen, und kann daher auch nicht in den Zahlen des Statistischen Bundesamts auftauchen (oder dort fehlen).
Und es sind nicht nur ein paar wenige visalose Urlauber, die Larissa Krüger in ihrer Apfel-Birnen-Rechnung übersieht. Das Bundesinnenministerium schreibt uns in einer Stellungnahme zum heutigen “Bild”-Bericht:
Die Differenz zwischen der Zahl der Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und der Zahl der im Ausländerzentralregister (AZR) erfassten ausreisepflichtigen Ausländer ohne Duldung lässt nicht den Schluss zu, dass sich die genannte Personengruppe allein aus abgelehnten Asylbewerbern zusammensetzt.
So verkennt der Artikel schon grundsätzlich, dass es sich überhaupt nur bei etwa 49 % aller im AZR als ausreisepflichtig registrierten Ausländer um Personen handelt, zu denen auch die Ablehnung eines Asylantrages im AZR eingetragen ist.
51 Prozent der Personen, die Krüger in ihre Asylrechnung einbezieht, gehören dort überhaupt nicht rein, weil sie nicht abgelehnte Asylbewerber sind, sondern beispielsweise Urlauber ohne Visa. Das heißt: Statt mit 54.437 Personen müsste die “Bild”-Autorin mit 26.674 Personen rechnen. Diese Zahl passt auch viel besser zu der Statistik, die das Statistische Bundesamt heute rausgegeben hat und nach der 28.000 Schutzsuchende am Stichtag 31. Dezember 2016 vollziehbar ausreisepflichtig waren.
Statt um 30.820 geht es also lediglich um 3057* Personen. Und auch das dürfte noch nicht die endgültige Anzahl “spurlos verschwundener” abgelehnter Asylbewerber sein, wie “Bild” sie nennt. Denn nicht alle ausreisepflichtigen abgelehnten Asylbewerber beziehen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Wenn der Betroffene etwa selbst über ein ausreichendes Vermögen verfügt, oder Angehörige zum Unterhalt verpflichtet sind, tauchen diese Personen nicht in der Statistik auf, die Larissa Krüger herangezogen hat.
Dazu kommt, dass auch die Verantwortlichen im Statistischen Bundesamt sagen, dass ihre Zahl, die Krüger für die Rechnung genutzt hat, dafür nicht taugt. Gudula Geuther vom “Deutschlandfunk” hat mit ihnen gesprochen (Audio, 2:57 Minuten). So notieren zum Beispiel die Kommunen, die die Gelder auch an die ausreisepflichtigen abgelehnten Asylbewerber auszahlen, nicht immer deren genauen aufenthaltsrechtlichen Status dazu. Die Zahl der 23.617 ausreisepflichtigen Leistungsempfänger nach dem Asylbewerberleistungsgesetz dürfte tatsächlich also noch mal etwas höher sein, was die Differenz noch mal etwas kleiner werden lassen dürfte als 3057.
Oder in Kurzform und ohne die vielen Zahlen und Rechnungen: Die heutige Schlagzeile von “Bild” ist kompletter Unsinn, auf wenn die Kollegen von Larissa Krüger das Zahlenwirrwarr für eine “tolle Recherche” halten.
Krügers Geschichte hat bereits eine ordentliche Populisten- und Hetzerrunde gedreht. Bei Bild.de ist sie hinter der Bezahlschranke gestartet …
… von dort aus in Facebook-Gruppen wie dem “Viktor Orban Fanclub Deutschland” gelandet …
… und bei faktenfeindlichen Anheizern wie Claus Strunz …
… und David Berger:
“Wir helfen”, haben “Bild” und Bild.de mal behauptet. Heute helfen sie vor allem rechten und noch rechteren Gruppen mit Vorlagen für deren Stimmungsmache.
*Nachtrag, 18:46 Uhr: Durch einen Rechenfehler unsererseits war in einer früheren Version von 4146 Personen die Rede. Tatsächlich ist die Differenz zwischen der “Bild”-Zahl und der Zahl, die die Statistiken wirklich hergeben, noch größer.
Nachtrag, 22:14 Uhr: Die Geschichte geht weiter: Bild.de behauptet nun, Kanzleramtschef Peter Altmaier bestätige den “Bild”-Bericht. Dabei sagt Altmaier nur, dass niemand wisse, wie viele abgelehnte Asylbewerber verschwunden sind.
Julian Reichelt will ja bekanntermaßen nicht, dass man sein Gehalt öffentlich schätzt. Das könne schließlich seine Familie in Gefahr bringen, so der “Bild”-Chef. Aber was laut Julian Reichelt für Julian Reichelt gilt, gilt bei “Bild” längst nicht für alle Menschen.
Reichelts Redaktion kündigt in ihrer Überschrift an: “Das kassieren die Manager der 18 Bundesliga-Klubs”. Im Artikel folgen recht konkrete Angaben zu den Gehältern von Michael Zorc (BVB), Jörg Schmadtke (VfL Wolfsburg), Ralf Rangnick (RB Leipzig), Hasan Salihamidzic (FC Bayern München), Christian Heidel (FC Schalke 04), Rudi Völler (Bayer 04 Leverkusen), Horst Heldt (Hannover 96), Max Eberl (Borussia Mönchengladbach), Frank Baumann (Werder Bremen), Fredi Bobic (Eintracht Frankfurt), Stefan Reuter (FC Augsburg), Michael Preetz (Hertha BSC), Rouven Schröder (Mainz 05), Alexander Rosen (TSG Hoffenheim), Michael Reschke (VfB Stuttgart), Andreas Bornemann (1. FC Nürnberg), Jochen Saier (SC Freiburg) sowie Lutz Pfannenstiel (Fortuna Düsseldorf).
Spricht man Julian Reichelt auf die Diskrepanz zwischen dem, was er für sich selbst beansprucht, und seinem Handeln an, antwortet er, dass die Bundeskanzlerin zum Beispiel “eine Angestellte der Menschen in diesem Staat” ist, und es daher selbstverständlich sei, dass ihr Gehalt öffentlich ist:
In der Privatwirtschaft ist das eben nicht so, weil da kein zwingendes öffentliches Interesse besteht. Denn die Öffentlichkeit bezahlt mein Gehalt ja nicht.
Dass die Öffentlichkeit auch nicht das Gehalt von Michael Zorc, Jörg Schmadtke und all den anderen oben Genannten zahlt, muss Reichelt übersehen haben.
Und wer will am In-Gefahr-bringen-von-Fußball-Manager-Familien auch noch etwas verdienen? Julian Reichelts Bild.de — es handelt sich schließlich um einen “Bild plus”-Artikel.
Wen Julian Reichelt nach Julian-Reichelt-Logik sonst noch in Gefahr gebracht haben könnte:
1. Pressefreiheit gilt auch für Assange (netzpolitik.org, Markus Reuter)
Gestern hat Ecuador dem “WikiLeaks”-Gründer Julian Assange den Asylstatus aberkannt, woraufhin er von der britischen Polizei verhaftet wurde. Markus Reuter kommentiert: “Man kann Assange wegen mutmaßlicher sexueller Übergriffe gegen Frauen ein Arschloch nennen. Man kann Julian Assange für einen politisch Irrlichternden halten, der im US-Präsidentschaftswahlkampf zu Gunsten von Trump agierte. Man kann ihn für einen rücksichtlosen Egomanen halten, dem andere egal waren. Man muss Assange dafür kritisieren, dass Wikileaks Informationen oftmals unredigiert veröffentlichte und damit Menschen in Gefahr brachte. All das ist richtig. Was man allerdings nicht kann, ist ihn für seine offensichtlich relevanten Leaks sowie die Etablierung einer neuen digitalen Veröffentlichungskultur zu verurteilen. Hier hat sich Julian Assange verdient gemacht.”
Weiterer Lesehinweis: “Reporter ohne Grenzen” fordert: Assange nicht an die USA ausliefern.
2. Das ist das Weltpresse-Foto des Jahres 2019 (faz.net)
Das Foto des weinenden Flüchtlingskindes an der texanischen Grenze zu Mexiko ist zum Weltpresse-Foto des Jahres 2019 gewählt worden. “Das Bild zeigt eine andere, psychologische Art der Gewalt”, so Jury-Mitglied Alice Martins.
3. Flut von Fake News (faktenfinder.tagesschau.de, Silke Diettrich)
Im Zeitraum vom 11. April bis zum 19. Mai wird in Indien ein neues Parlament gewählt. Für die größte Demokratie der Welt mit den mehr als 900 Millionen Wahlberechtigten eine gewaltige logistische Herausforderung. Außerdem könnten Fake News die Wahlen beeinflussen: In den sozialen Medien würden unzählige Falschmeldungen, Gerüchte und gefälschte Fotos kursieren.
4. Der YouTuber Leon Lovelock verbreitet gefährliche Verschwörungstheorien (vice.com, Johann Voigt)
Der Fitness-YouTuber Leon Lovelock interviewt seit Kurzem verschiedene deutsche Rapper, von denen einige ohne weitere Einordnung ihre kruden Verschwörungstheorien verbreiten können. Johann Voigt schreibt dazu: “Es wirkt so, als wäre Leon Lovelock mit der guten Absicht YouTuber geworden, Leute dazu zu bringen, besser mit sich selbst umzugehen. Doch er hat sich in der Idee verrannt, dass man als Mensch in irgendeiner Form fremdgesteuert wird. Mit diesem Mindset bietet er zusammen mit Kollegah, Pa Sports oder Kianush, die in ihren Ansichten um einiges radikaler sind als er, einen Nährboden für Verschwörungstheorien. Nicht in den dunklen Ecken des Internets, sondern im YouTube-Mainstream.”
5. Wie Roger Schawinski und die “Welt” eine Sex-Arbeiterin bloßstellen (uebermedien.de, Juliane Wiedemeier)
Juliane Wiedemeier erzählt, was es mit dem Konflikt zwischen der Luxus-Prostituierten und studierten Philosophin Salomé Balthus und dem Schweizer Talkmaster Roger Schawinski, ihrem anschließenden Rauswurf bei der “Welt” und der Tätigkeit des “Welt”-Kolumnisten Don Alphonso als “ungebetener Job-Vermittler” auf sich hat.
6. Warner stoppt Trumps Wahlwerbung (wuv.de, Susanne Herrmann)
Donald Trump hat auf Twitter ein Wahlkampfvideo verbreitet, das mit Batman-Filmmusik unterlegt war (“The Dark Knight Rises”). Das fand das amerikanische Filmstudio Warner Bros. weniger witzig und ließ das Video bei Twitter sperren.
1. So beeinflussen Verleger die Berichterstattung im Lokaljournalismus (correctiv.org, Jonathan Sachse)
Der Lokaljournalismus ist anfällig für Beeinflussungen, und die kommen oft aus dem eigenen Haus: Immer wieder überschreiten Verleger ihre eigentlichen Befugnisse und greifen in das redaktionelle Tagesgeschehen ein. Jüngstes und bekanntestes Beispiel: Die Intervention des Verlegers Dirk Ippen, der die Veröffentlichung einer Recherche über den damaligen “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt stoppte. Jonathan Sachse hat sich bei Lokalmedien umgehört und gefragt: “Hat sich ein Verleger in eure redaktionelle Arbeit eingemischt?”
2. Der Deutschen Welle droht ein Tsunami (tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Bei der Deutschen Welle beziehungsweise einem Medienpartner gibt es einen neuerlichen Fall von Israelhass und Antisemitismus. Joachim Huber kommentiert: “Aktuell wird der Eindruck vermittelt, dass auf der Verantwortungsebene des Auslandssenders Naivität und erstauntes Augenaufschlagen vorherrschen, was auf der Arbeitsebene so alles gesendet und gepostet wird. Das reicht nicht. Die neue Kulturstaatsministerin von der Partei Bündnis 90/Die Grünen, Claudia Roth, hat ein Thema auf der Agenda, mit dem sie sicherlich nicht gerechnet hat: die Neue Deutsche Welle.”
3. “Eine Art männliche Merkel” (deutschlandfunk.de, Brigitte Baetz, Audio: 5:31 Minuten)
Angela Merkel hat während ihrer Kanzlerschaft nur wenige Interviews gegeben und sich medial auch ansonsten rar gemacht. Wie wird ihr Nachfolger Olaf Scholz mit den Medien umgehen? Weitgehend ähnlich vermutet Lars Haider, Chefredakteur des “Hamburger Abendblatts” und Verfasser einer Scholz-Biografie. Wer Scholz in Interviews knacken will, solle versuchen, ihn mit Freundlichkeit und Humor einzuwickeln – “damit erreicht man mehr, als wenn man ihm versucht, die Pistole auf die Brust zu setzen.”
4. Das Diversity-Lexikon (journalist.de, Sebastian Pertsch)
Für ein kleines “Diversity-Lexikon” hat Herausgeber Sebastian Pertsch 34 Betroffene und Fachleute gebeten, sich einen Begriff aus dem Themenfeld “Vielfalt und Inklusion” auszusuchen und ihn zu erklären. Die Begriffe reichen von Ableismus über Klassismus und Misogynie bis Zionismus.
5. Mein Leben mit der Ablehnung (uebermedien.de, Isabell Beer)
Isabell Beer arbeitet als Investigativjournalistin in der Recherche-Einheit von “funk”. Bei “Übermedien” schildert sie in einem sehr persönlichen Beitrag, wie sie mit Ablehnung und Hassnachrichten umgeht. Der Text handelt auch von Trans- und Queer-Feindlichkeit, Mobbing, Hassnachrichten mit Gewalt- und Mordfantasien und Suizidgedanken. (Solltest Du Suizidgedanken haben, dann gibt es Menschen, die Dir helfen können, aus dieser Krise herauszufinden. Eine erste schnelle und unkomplizierte Hilfe bekommst Du etwa bei der “TelefonSeelsorge”, die Du kostenlos per Mail, Chat oder Telefon (0800 – 111 0 111 und 0800 – 111 0 222) erreichen kannst.)
6. Die Google-Trends des Jahres 2021 (spiegel.de)
Google hat zum Ende des Jahres wie üblich aufgelistet, für welche Begriffe das Suchvolumen in den vergangenen zwölf Monaten besonders gestiegen ist. Den kompletten Jahresrückblick für Deutschland aus Sicht der Suchmaschine gibt es hier. Tipp: Es lohnt, in die einzelnen Begriffe reinzuklicken. Das führt zu einer Anzeige des Interesses im zeitlichen Verlauf und einer Deutschlandkarte mit dem Interesse nach Regionen. Wer sich für andere Länder und deren Suchvorlieben interessiert, kann diese hier auswählen.
Die gute Nachricht für alle Übergewichtigen und Gutgläubigen: Die fette Schlagzeile, mit der “Bild” heute aufmacht, ist nicht ganz falsch. Und es könnte sogar stimmen, wenn “Bild” im Artikel selbst schreibt:
Nach dem geplanten Schlank-Programm der Bundesregierung (“Fit statt fett”) sagen Forscher: Schlank allein macht nicht froh — oft sind Dicke sogar glücklicher!
(Hervorhebung von uns.)
Denn vielleicht hat Professor Finn Rasmussen vom Stockholmer Karolinska-Institut das Ergebnis seiner Studie, wonach das Selbstmordrisiko bei Männern mit steigendem Gewicht sinkt, gegenüber “Bild” tatsächlich gestern noch einmal bestätigt. Womöglich, wir wissen es nicht, mit einer Formulierung wie: “Ach, Sie meinen unsere alte Untersuchung, die wir Januar 2006 im ‘American Journal of Epidemiology’ veröffentlicht haben und über deutsche Medien wie die ‘Süddeutsche Zeitung’ oder ‘Focus’ schon vor 16 Monaten berichtet haben? Ja, nee, da hat sich seit damals nichts verändert, da können Sie ruhig noch einmal drüber schreiben.”
Warum “Bild” diese alten Beweise “neue Beweise” nennt? Vermutlich einfach, weil es sonst komisch ausgesehen hätte, mit dem Ausrufezeichen und als Schlagzeile einer Tageszeitung. Dass Rasmussen damals ausdrücklich formulierte, sein für Dicke positives Ergebnis gelte nur für Männer, bei Frauen sei es laut anderer Studien genau umgekehrt, dass die “Bild”-Schlagzeile also auch insofern in die Irre führt, fand die Zeitung offenbar nicht entscheidend.
Die gute Laune der Übergewichtigen trübt sie aber noch im selben Artikel wieder, wenn sie behauptet, ab einem Body-Mass-Index von 25 leide man an “extremen Übergewicht” und brauche “professionelle Hilfe”. Nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation WHO endet bei 25 gerade erst der Bereich des “Normalgewichts”, auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung spricht erst bei einem BMI von 29 bis 30 von “deutlichem Übergewicht”.
Im Fall der “Todesmutter von Darry” hat sich “Bild” offensichtlich entschieden, Vater und Mutter der getöteten Kinder zu anonymisieren:
Pressekodex:
“Liegen Anhaltspunkte für eine mögliche Schuldunfähigkeit eines Täters oder Tatverdächtigen vor, sollen Namensnennung und Abbildung unterbleiben.”
“Bild”:
“Die Mutter (…) befindet sich wegen schwerer psychischer Störungen in einer geschlossenen Anstalt.”
Bild.de:
“[Die Mutter] gilt als schuldunfähig. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die 32-Jährige bei der Begehung der Taten ‘infolge einer krankhaften seelischen Störung unfähig war, das Unrecht ihrer Taten einzusehen'”.
Das ist, vor allem was die Mutter angeht, zwar eigentlich nicht der Rede wert, sondern im Pressekodex sogar vorgeschrieben (siehe Kasten), aber dann doch erstaunlich, weil “Bild” und Bild.de die Mutter in der Vergangenheit schon wiederholt ohne Unkenntlichmachung gezeigt haben und der Vater selbst sogar mit vollem Namen im Fernsehen aufgetreten ist.
Doch es sieht so aus, als habe “Bild” heute tatsächlich dafür Sorge tragen wollen, dass Mutter und Vater zumindest für “Bild”-Leser nicht ohne weiteres identifizierbar sind. Und auch Bild.de hat sich entschieden, in der Übernahme des “Bild”-Berichts weitere Fotos, die ein “Bild”-Fotograf während der Exhumierung der Kinder geschossen hat, nachträglich so zu bearbeiten, dass auch auf den Grabsteinen der Kinder der Nachname der K.s nicht erkennbar ist:
Das alles ist erfahrungsgemäß für “Bild” ein bemerkenswerter Aufwand. Er ist nur leider völlig bedeutungslos.
Denn die “Bild”-Zeitung weist in ihrem heutigen “Todesmutter”-Artikel auf ein “aktuelles Video zum Fall” bei Bild.de hin, das dort seit gestern anzuschauen ist. Anders als auf den Fotos jedoch war bis heute Nachmittag* in mehreren Sequenzen des Videos der Nachname auf den Grabsteinen problemlos zu entziffern:
*) Rund 24 Stunden lang war das mangelhaft anonymisierte Video online. Und das, obwohl die Redaktion (nach einem Hinweis von BILDblog) bereits kurze Zeit nach der Veröffentlichung von der “Bild”-Pressestelle über die Anonymisierungslücke informiert worden war, wie uns die “Bild”-Pressestelle mitteilte. Handlungsbedarf sahen die Verantwortlichen aber offenbar zunächst nicht: Erst nach weiteren Anfragen unsererseits wurden die Namen auf den Grabsteinen nun auch im Video verpixelt.
Seit Anfang des Monats läuft die Youtube-Serie “Die Rekruten”, mit der die Bundeswehr versucht, junge Leute für sich und die Grundausbildung zu begeistern. Und das scheint ganz gut zu klappen — jedenfalls hat der zugehörige Kanal inzwischen mehr als 200.000 Abonnenten, einzelne Videos wurden bereits hunderttausendfach angeschaut. Ob sich die Youtube-Nutzer alle direkt bei der Bundeswehr bewerben, ist freilich eine andere Sache.
Und auch von Seiten der Medien gibt es positive Rückmeldungen. Also, von zwei Medien zumindest. Die hat die Bundeswehr jedenfalls auf ihre “Rekruten”-Webseite gestellt:
“Bild am Sonntag” — geschenkt.
Aber die “ARD”?
Es gibt dieses Zitat (“Geheimnis, Spannung, Abenteuer”) tatsächlich. Der Text, in dem man es nach kurzer Suche findet, ist im Blog des “ARD”-Hauptstadtstudios erschienen:
Interessanter als die drei Schlagworte, die die Bundeswehr als Lobpreisung daraus übernommen hat, ist allerdings das, was danach kommt:
Geheimnis, Spannung, Abenteuer — das ist der Sound der neuen Reality-Doku “Die Rekruten”. Wie der Vorspann einer angesagten amerikanischen Serie. Dabei geht es um etwas, was eigentlich so spannend gar nicht klingt: die Grundausbildung bei der Bundeswehr.
Und etwas weiter hinten im Beitrag heißt es:
Betten machen, früh aufstehen, Ausrüstung schleppen — natürlich wirkt das angesichts der knalligen Aufarbeitung in den Filmchen deutlich spannender als es in Wahrheit ist.
Und noch mal etwas weiter hinten:
Die Bundeswehr hat sich diese Reality-Doku übrigens einiges kosten lassen, nämlich 1,7 Millionen Euro. Dafür gab es schon Kritik.
Von all dem ist auf der Seite der Bundeswehr nichts zu lesen. Sie reißt ein paar Schlagworte aus dem Zusammenhang, wirft so den Tarnanzug über einen durchaus kritischen Beitrag des “ARD”-Hauptstadtstudio-Blogs und schmückt sich mit dem Endprodukt.
“Bild”-Redakteur Julian Röpcke hat sich das Hashtag #Wahlbetrug mal genauer angeschaut, unter dem seit Samstag bei Twitter AfD-Inhalte verbreitet werden und das von vielen Bots “gepusht” werde:
BILD analysierte den Hashtag “Wahlbetrug”. Im Netz wird er am engsten im Zusammenhang mit den Begriffen “AfD”, “Islamisierung”, “Wahlbeobachter” und “btw17” verwendet. Außerhalb Deutschlands wird er vor allem von drei Ländern gepusht. Den USA auf Platz 1, Großbritannien auf Platz 2 und Russland auf Platz 3.
Röpcke und Bild.de hätten also genauso gut (und eigentlich noch besser) titeln können: “Ausgewachsener Ami-Angriff auf unsere Wahl”. Doch stattdessen:
Für Röpcke und seine Kollegen steht schon seit vielen Monaten fest, dass die heutige Bundestagswahl von russischen Kräften, genauer: von Wladimir Putin und dem Kreml, massiv beeinflusst werde. Allerdings hatten sie ganz andere Kaliber vorausgesagt als nur einige Bots aus Russland, die nun kontinuierlich AfD-Hashtags retweeten. Zusammen mit seiner Kollegin Karina Mößbauer veröffentlichte Röpcke im Dezember vergangenen Jahres dieses Dossier zu Putins buntem Propaganda-Blumenstrauß:
Attacke auf unsere Bundestagswahl! Es ist ein hybrider Großangriff auf die Wahrnehmung der Deutschen. Und er hat mehrere konkrete Ziele.
Experten sind sich einig: Mit seinen Kampagnen will Russen-Präsident Wladimir Putin (64) das Vertrauen der Bevölkerung in den deutschen Staat, die Behörden und insbesondere Angela Merkel (62, CDU) erschüttern und die Menschen in die Hände von linken und rechten Extremisten treiben.
Manche Punkte dieses “Geheim-Krieg”-Dossiers sind ein bisschen lustig, zum Beispiel jener mit den “bewusst gestreuten Fake-News”. Die einzige uns bekannte richtige “Fake News”, die es in diesem Jahr in ein großes deutsches Medium geschafft hat, wurde von der “Bild”-Zeitung verbreitet und betraf einen vermeintlichen Flüchtlings-“Sex-Mob”, der an Silvester durch Frankfurt am Main “getobt” sein soll. Die Frankfurter “Bild”-Redaktion war dabei auf eine Lüge eines AfD-Sympathisanten reingefallen.
Der Artikel von Mößbauer und Röpcke hat wirklich alle Zutaten, die auch ein Neuntklässler wählen würde, wenn er in einer Hausaufgabe eine kreative Verschwörungstheorie erfinden soll: Putin, Flüchtlinge, syrischer Geheimdienst, irakischer Geheimdienst, Mafia, Tote, Sex-Mob. Denn “jenseits von Desinformation”, so Mößbauer und Röpcke, “könnte es noch schlimmer kommen!”
In Sicherheitskreisen wird bereits diskutiert, wie Russland versuchen könnte, mit Störaktionen ein radikales Umdenken in der Bevölkerung zu erzwingen — womöglich sogar mit tödlicher Gewalt. (…)
Eine bislang unbekannte Komponente ergebe sich aus der engen Zusammenarbeit von russischen, syrischen und anderen Geheimdiensten sowie russischer Mafia, sagt Russland-Experte Gustav Gressel (European Council on Foreign Relations).
“Ein Teil der Flüchtlinge aus dem Irak und Syrien, wenn auch nur ein sehr kleiner Teil, hatte Verbindungen zu Assads oder Saddam Husseins Geheimdiensten.”
Diese Menschen könnten gezielt von Geheimdienstagenten oder aus Mafiakreisen angesprochen und für Störaktionen instrumentalisiert werden, warnt Gressel.
“Was würde zum Beispiel passieren, wenn sich auf einem Sommerfestival vor der Wahl etwas ähnliches wiederholt wie in Köln zur Silvesternacht? Wie würde Merkel dann da stehen? Was wäre die Konsequenz für die Bundestagswahl? Natürlich ist das ein extremes Beispiel, aber es ist im Bereich des Möglichen”, sagt Gressel weiter.
Wir haben nun bis kurz vor Ende der Bundestagswahl gewartet. Nirgends trat ein Putin-Assad-Saddam-Mafia-Flüchtlings-Sex-Mob auf. Auf keinem “Sommerfestival” und auch sonst nirgendwo in Deutschland. Schon bei der Veröffentlichung im Dezember 2016 klangen die Aussagen von Gustav Gressel abwegig genug, um sie für höchst fragwürdig zu halten. Doch statt sie zu hinterfragen, adoptieren Röpcke, Mößbauer und “Bild” die Verschwörungstheorie ihres Experten bereits in der Überschrift.
Julian Röpcke schreibt heute zu den retweetenden Twitter-Accounts aus Russland:
Unklar ist, ob es sich bei der Kampagne um mehr als bloße Propaganda handelt.
1. Neue Wege im Journalismus (carta.info, Frederik Fischer)
Für die meisten Menschen besteht die Medienwelt aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk einerseits und den etablierten Verlagen andererseits. Doch es wächst eine dritte Säule von unabhängigen Plattformen, die keinen großen Verlag im Rücken haben und unabhängig von Werbegeldern sind. Frederik Fischer stellt einige der interessanten Indie-Startups des Journalismus vor.
2. “Handelsblatt” – Gabor Steingarts Abgang wirft Fragen auf (abendblatt.de, Kai-Hinrich Renner)
Ende letzter Woche wurde bekannt, dass sich der Verleger Dieter von Holtzbrinck vom bisherigen “Handelsblatt”-Herausgeber Gabor Steingart trennen würde. Kai-Hinrich Renner spekuliert über die Gründe der Trennung. Der unter Steingarts Ägide erworbene Mediendienst „Meedia“ habe nicht die wirtschaftlichen Erwartungen erfüllt, die Personalpolitik bei der „Wirtschaftswoche“ sei umstritten, „Global Edition“ erweise sich als Fass ohne Boden und Steingart hätte sich mitsamt seiner Redaktion aufwändige Reisen und einen supermodernen Neubau geleistet. Sein umstrittenes „Morning Briefing“ mit einer martialischen Passage über Schulz und Gabriel ist anscheinend nur ein Nebenkonflikt. Renner ergänzt auf Twitter: „Erst nach Redaktionsschluss erfuhr ich, dass Dieter von Holtzbrinck auf einer Betriebsversammlung gesagt haben soll, das entscheidende Gespräch in dieser Causa hätte er mit Steingart Montagnachmittag geführt — also bevor dieser seinen umstrittenen Text über Schulz schrieb.“
3. So werden öffentliche Sender in den USA finanziert (nzz.ch, Marc Neumann)
Marc Neumann erklärt, wie sich die öffentlichen Sender in den USA finanzieren, nämlich zu einem guten Teil über freiwillige Beiträge des Publikums. Die Stationen würden regelmäßig zu Spenden aufrufen, was lästig sei, aber funktioniere.
4. „Das kann ja wohl nicht wahr sein“ (taz.de, Jürn Kruse)
Die Journalisten Hajo Seppelt und Markus Harm berichten seit Jahren über Doping und Korruption im Sport, der eine bei der ARD (Seppelt) und der andere beim ZDF (Harm). Seppelt fragt sich, warum wir der Illusion eines „guten, echten“ Sports anhängen würden, und liefert gleich die Antwort: „Weil Leute wie Thomas Bach uns auf Eröffnungsfeiern von Olympischen Spielen suggerieren, dass es so sei. Aber das ist die Lebenslüge des Sports.“ Und Harm stimmt zu: „Gerade das IOC betont mit seiner eigenen Hymne und der eigenen Charta ja immer wieder, wie sehr es für Ethik und Moral stünde. Aber die sind eben nicht besser. Und genau das kritisieren wir.“
5. Weniger Facebook, mehr Blog (arminwolf.at)
Der österreichische Journalist und Fernsehmoderator Armin Wolf ist das, was man einen „Influencer“ nennen kann. Knapp 300.000 Menschen haben auf Facebook seine Postings abonniert. Doch Facebooks neue Algorithmen senken seine Reichweite und so will sich Wolf zukünftig mehr auf seinen Blog konzentrieren.
Weitere Lesetipps: Die Drosselung von Medien-Reichweiten hat verschiedenste Auswirkungen. Hier zwei weitere davon: “Brasiliens bedeutendste Zeitung postet nicht mehr auf Facebook” (“FAZ”). Und das Debattenportal “Die Kolumnisten” hat bei Facebook ein “Manifest für einen Neustart der #Blogosphäre” veröffentlicht.
6. Muss man einschreiten, wenn Frauen “Topmodel” schauen? (dwdl.de, Hans Hoff)
Hans Hoff fragt sich in seiner aktuellen Kolumne, wie es zu erklären sei, dass sich auch emanzipierte Frauen plötzlich versammeln, um gemeinsam “Germany’s Next Topmodel” und “Der Bachelor” zu schauen: „Es geht letztlich bei solchen Sendungen darum, dass Macht ausgeübt wird. Macht über Frauen, über die niemand Macht ausüben sollte. Wo man Macht über andere ausübt, wird Macht immer auch missbraucht. Siehe Harvey Weinstein und Konsorten. Zu spüren auch beim Bachelor und bei GNTM. Wie kann so etwas in Zeiten von #metoo nicht zu einem Aufschrei führen? Stattdessen schauen sich intelligente Frauen so etwas an und giggeln. Sie haben Spaß, dabei zuzusehen, wie das Fernsehen zu einem medialen Bordell verkommt, in dem Frauen als Quotenfutter geknechtet und verschachert werden.“
Weiterer Lesetipp: “Heidi Klum ist nicht das Problem” (“SZ”, Ruth Schneeberger)
1. Deutsche Ermittler nehmen untergetauchten Rechtsextremen in Budapest fest (sueddeutsche.de, M. Hoppenstedt & S. Hurtz & D. Mützel & S. Pittelkow & K. Riedel)
Deutsche Ermittler haben den untergetauchten Rechtsextremen Mario Rönsch in Budapest festgenommen. Rönsch soll die Hetzseiten “Anonymous.Kollektiv” und Anonymousnews.ru betrieben haben. Außerdem wird ihm vorgeworfen, über den Online-Shop “Migrantenschreck” hunderten Deutschen illegale Waffen verkauft zu haben.
2. Imageschaden und Werbeeinbußen (deutschlandfunk.de, Bettina Köster)
Mögliche Werbeverluste und drohende Milliardenstrafen: Der Datenskandal könnte für Facebook teuer werden. Der „Deutschlandfunk“ hat sich mit Dennis Horn über die wirtschaftlichen Folgen der Causa “Cambridge Analytica” unterhalten.
Weiterer Lesetipp: Facebook-Großkunden drohen mit dem Exodus (sueddeutsche.de, Kathrin Werner)
Unterdessen hat Mozilla eine Browsererweiterung vorgestellt, mit der Facebook-Nutzer ihre Privatsphäre besser schützen können, den “Facebook Container”.
Und noch ein Lesetipp: Wie die “Zeit” berichtet, wollen EU-Parlamentarier mit dem Facebook-Whistleblower Christopher Wylie über mögliche Einflussnahmen auf den Brexit sprechen.
Für iPhone-Besitzer interessant: iOS-Entwickler warnt: Fotofreigabe erlaubt Apps tiefe Einblicke (heise.de, Leo Becker). Ein iOS-Entwickler weist auf die Problematik hin, die dadurch entstehen könnte, wenn iPhone-Apps Facebooks “Software Development Kit” verwenden. Dann ließen sich “tausend Fotos pro Minute” direkt auf dem Gerät auswerten und Alter und Geschlecht der abgebildeten Personen sowie weitere Bildinhalte erfassen.
3. Jetzt also doch: Wir erhalten die Akkreditierung bei der EU (netzpolitik.org, Alexander Fanta)
Es bedurfte erst einigen öffentlichen Drucks, um eine Akkreditierung von Netzpolitik.org bei der EU-Kommission durchzusetzen. Die EU-Kommission hatte der Nachrichten-Website zu digitalen Freiheitsrechten und anderen netzpolitischen Themen zunächst den Zugang verwehrt. Mit einem merkwürdigen Grund: „netzpolitik.org“ sei keine Medienorganisation. Nun hat die Kommission eingelenkt, doch die Handhabung der Akkreditierung bleibt generell problematisch und wirft einige Fragen auf.
4. Eine Frau ist kein Hulk (spiegel.de, Margarete Stokowski)
„Spiegel“-Kolumnistin Margarete Stokowski beschäftigt sich mit einer seltsamen journalistischen Erkrankung:„Es ist eine Art Virus. Journalistinnen und Journalisten schreiben Texte über Frauen, die irgendwas auf die Reihe bekommen, und schaffen es traurig oft nicht, ihre Verwunderung darüber geheim zu halten, dass diese Frauen aussehen wie Frauen eben oft aussehen und nicht so, wie Leute sich eine durchgedopte ukrainische Kugelstoßerin vorstellen.“
5. «Facebook hat lange ein Auge zugedrückt» (republik.ch, Adrienne Fichter)
Die Sozialwissenschaftlerin Zeynep Tufekci forscht zu den sozialen und politischen Auswirkungen von Plattformen wie Facebook. Die „Republik“ hat sich mit der renommierten Wissenschaftlerin über die derzeitige Situation unterhalten und weshalb auch die europäische Datenschutzverordnung einen Fall wie Cambridge Analytica in Zukunft nicht verhindern wird. Tufekci sieht dringenden Handlungsbedarf: „Wir brauchen einfach eine dringende Debatte, warum welche Daten gespeichert werden, wann es Sinn macht, wann nicht. Diese kommerzielle Vorratsdatenspeicherung. Das sollten wir jetzt dringend angehen.“
6. „Fick die Cops“ – Wieso hassen Rapper die Polizei? | STRG_F (youtube.com, Johannes Edelhoff, Video, 23:38 Minuten)
Woher kommt der Hass vieler Rapper auf die Polizei? Warum wird in den Texten etlicher Hip-Hop Songs gegen die „Cops“ gerappt? Johannes Edelhoff hat mit Rappern, Fans und Polizisten gesprochen.
1. Ein Angriff auf die Freiheit der Kunst (netzpolitik.org, Markus Reuter)
Die Staatsanwaltschaft in Gera ermittelt gegen die Aktionskunstgruppe “Zentrum für Politische Schönheit” wegen “Bildung einer kriminellen Vereinigung”. Nicht nur ein Skandal allererster Güte, sondern ein Angriff auf die Freiheit der Kunst, wie Markus Reuter in seinem Kommentar findet: “Wer auch immer dieses Verfahren eröffnet und für 16 Monate nicht eingestellt hat, sollte von seinem Amt zurücktreten.”
2. Theodor-Wolff-Preis Lebenswerk für Michael Jürgs (bdzv.de)
Der Theodor-Wolff-Preis ist “die renommierteste Auszeichnung, die die Zeitungsbranche zu vergeben hat”. So urteilt jedenfalls der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger über den von ihm vergebenen Journalistenpreis. Dieses Jahr auf der Nominierungsliste: Das vielfach kritisierte Pro und Contra der “Zeit” über die Seenotrettung von Geflüchteten “Oder soll man es lassen?”. Es wäre interessant zu erfahren, was der Namensgeber Theodor Wolff von dieser Nominierung halten würde. Wolff musste nämlich selbst flüchten (vor den Nazis).
Über den nominierten Beitrag siehe auch: Leben oder sterben lassen?: “In der “Zeit” wird diskutiert, ob Schiffsbrüchige gerettet werden dürfen — mit halben Wahrheiten und kruden Vergleichen. Ein Faktencheck.” (taz.de, Christian Jakob).
3. Karl Lauterbach zu Gesundheits-Fakes News im Netz: “Der Verbraucherschutz ist überhaupt nicht ausgeprägt” (medwatch.de, Nicola Kuhrt & Hinnerk Feldwisch-Drentrup)
“MedWatch” hat sich mit dem SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach über die Qualität von Gesundheitsinformationen im Internet unterhalten. Außerdem geht es um eine mögliche Impfpflicht, Homöopathie und Heilpraktiker, sowie um Pläne von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zur Kostenerstattung.
5. So werden aus Politikern wieder Journalisten (deutschlandfunk.de, Mike Herbstreuth und Stefan Fries)
Reinhard Grindel könnte nach seinem Rücktritt als DFB-Präsident theoretisch wieder zum ZDF, seinem alten Arbeitgeber, zurückkehren. Der Sender hält ihm jedenfalls eine Stelle frei. Der “Deutschlandfunk” hat bei öffentlich-rechtlichen Sendern nachgefragt, wie sie mit möglichen Rückkehrern umgehen.
Weiterer Lesehinweis: Ex-DFB-Chef Grindel: Drehtür zurück zum ZDF? (deutschlandfunk.de, Christoph Sterz).
6. System der Angst (freitag.de, Lennart Laberenz)
Herrscht auf dem Buchmarkt oder in der Fernsehunterhaltung ein “System der Angst” vor allem, was neu, andersartig und mutig ist? Über diese Frage hat der “Freitag” mit zwei Autorinnen gesprochen: Heidi Goch-Lange, die unter dem Pseudonym Sofie Cramer Bestseller wie “SMS für dich” geschrieben hat, und Drehbuchschreiberin Dorothee Schön (u.a. “Tatort”, “Charité”).
Als vor zehn Jahren Fußballtorwart Robert Enke starb, nahmen sich viele Redaktion vor, feinfühliger und rücksichtsvoller mit Profifußballern umzugehen. Selbst “Bild”. Walter M. Straten, damals noch stellvertretender Leiter des “Bild”-Sportressorts, äußerte sich gegenüber der “Süddeutschen Zeitung”:
Aber auch das Boulevardblatt ist nach dem Enke-Tod nicht einfach so zur Tagesordnung übergegangen. Über vieles sei diskutiert worden, auch über Noten, und man sei schließlich zu dem Ergebnis gekommen, bei der Benotung so weiter zu machen wie bisher, sagt Straten. Auch in seiner Redaktion soll es zu einem etwas sensibleren Umgang mit den Zensuren kommen: “Wir werden wohl mit extremen Noten etwas vorsichtiger sein”, sagt der stellvertretende Bild-Sportchef. Man werde sich einmal mehr überlegen, “ob der Spieler, der eine klare Torchance vergeben hat, oder der Torwart, der den Ball hat durchflutschen lassen, eine Sechs bekommt oder eine Fünf reicht”.
Heute, einen Tag nach Robert Enkes zehntem Todestag, ist von “einmal mehr überlegen” nicht viel zu sehen. “Bild” und Bild.de titeln über die Spieler von Borussia Dortmund, die nach einer ziemlich schwachen Leistung 0:4 gegen den FC Bayern München verloren haben:
Julian Brandt, Paco Alcácer, Mats Hummels und Mario Götze — sie alle seien “keine Männer!” Walter M. Straten ist inzwischen Leiter des “Bild”-Sportressorts und für diesen Mist verantwortlich.
Solltest Du Suizid-Gedanken haben, dann gibt es Menschen, die Dir helfen können, aus dieser Krise herauszufinden. Eine erste schnelle und unkomplizierte Hilfe bekommst Du etwa bei der “TelefonSeelsorge”, die Du kostenlos per Mail, Chat oder Telefon (0800 – 111 0 111 und 0800 – 111 0 222 und 116 123) erreichen kannst.
Mit drei Fotos will die “Bild”-Redaktion zeigen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) entgegen anderslautender Versprechen gar nicht “rund um die Uhr” arbeiten, obwohl sie doch über die Zulassung des Corona-Impfstoffs in der EU entscheiden müssen. Gestern Abend auf der Bild.de-Startseite:
Und auch heute in der Zeitung kann man den Versuch beobachten, eine Institution zu diskreditieren und Verunsicherung zu verbreiten:
Weil auf den Fotos die meisten Büros, die um 21 Uhr noch hell erleuchtet waren, um 23 Uhr dunkel sind, urteilt die “Bild”-Redaktion: “‘Rund um die Uhr’ ist dann doch etwas anderes …”. Dass Menschen, die derart bedeutende und weitreichende Entscheidungen treffen müssen und von denen viele offenbar mindestens von 8 Uhr morgens bis 21 Uhr abends arbeiten, auch mal schlafen sollten, zählt offenbar nicht. Dass manche von ihnen sich Arbeit mit nach Hause genommen haben könnten oder sich gänzlich im Homeoffice befinden (schon vor der Corona-Pandemie fand bei der EMA ein beachtlicher Teil der jeweiligen Zualssungsverfahren per Videokonferenzen statt), zählt offenbar auch nicht. Stattdessen:
Am Dienstagabend brannte bis kurz vor 23 Uhr noch in einigen Büros Licht. Dann war alles dunkel. Die letzten Mitarbeiter offenbar auch zu Hause. Um 7 Uhr morgens kehrten die ersten zurück in die Büros. “Rund um die Uhr” ist dann doch etwas anderes …
Es stimmt natürlich nicht, dass “alles dunkel” war, und “die letzten Mitarbeiter offenbar auch zu Hause” waren. Man sieht auf der 23-Uhr-Aufnahme schließlich noch Licht in manchen Büros. Bild.de änderte den Absatz später klammheimlich in:
Am Dienstagabend brannte bis kurz vor 23 Uhr noch in einigen Büros Licht. Dann sind fast alle Lichter aus. Ab 7 Uhr gehen in vielen Büros die Lichter wieder an. Und es wird weiter an der Zulassung des Corona-Impfstoffs gearbeitet…
Ralf Schuler, Leiter des “Bild”-Parlamentsbüros, findet, die EMA-“Entscheider” sollten sich ein Beispiel an den “Autobahn-Bauern” nehmen: “Autobahn-Bauer arbeiten nachts, die Entscheider in der Krise nicht”, schreibt Schuler bei Twitter. Nun sind die Autoahn-Bauer, die nachts arbeiten, ja in der Regel nicht dieselben, die auch schon tagsüber gearbeitet haben. Auch diese Nachtarbeiter haben mal Pause und dürfen irgendwann mal schlafen. Und allein das Einführen eines Schichtbetriebs mit beispielsweise zwei Schichten bringt nicht von selbst eine Verdoppelung der Arbeitsleistung. Wenn die eine Hälfte tagsüber zwölf Stunden arbeitet, und die andere Hälfte nachts zwölf Stunden arbeitet, dann ist zwar die ganze Zeit das Gebäude erleuchtet, und “Bild” könnte nicht polemisieren, am Ende haben aber immer noch alle zwölf Stunden gearbeitet. Man müsste schon die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhöhen, um auch die Arbeitsleistung zu erhöhen.
Außerdem haben eine ganze Reihe von Abteilungen der EMA überhaupt nichts mit der Zulassung des Covid-19-Impfstoffs zu tun. Oder sollte aus “Bild”-Sicht etwa auch der Ausschuss für Tierarzneimittel in der aktuellen Lage besser nachts die Stellung im Büro halten?
Aber zurück zu den Fotos vom EMA-Gebäude. Die Perspektive, die die “Bild”-Medien gewählt haben, zeigt die Ostseite des sogenannten Vivaldi Buildings. Neben einer schmaleren Nord- und einer schmaleren Südseite gibt es natürlich auch noch eine Westseite, die bei “Bild” nicht zu sehen ist. Sie ist größer als die Ostseite, denn um das Gebäude herum liegt eine Art Hufeisen – allerdings nur auf der Westseite. Dort befinden sich laut Grundriss (PDF) beispielsweise auch alle großen Konferenzräume. Ob auf der Westseite am Dienstag um 23 Uhr noch die Lichter brannten, wissen wir selbstverständlich auch nicht. Es zeigt sich aber, wie unvollständig das Bild ist, das die “Bild”-Medien für ihre Artikel nutzen.
Hinzu kommt: Bei der 23-Uhr-Aufnahme, die auf der Bild.de-Startseite zu sehen war, hat die Redaktion getrickst, damit das Gebäude noch dunkler aussieht. In den unteren Stockwerken brannte durchaus großflächig Licht. Das ist im Bild.de-Artikel klar zu erkennen. Bei der Version auf der Startseite hat die Redaktion offenbar selbst nachgedunkelt. Hier der Vergleich:
(links von der Bild.de-Startseite, rechts aus dem Bild.de-Artikel)
Bei einem Foto, bei dem es ausschließlich darum geht, wie viele Büros erleuchtet sind und wie viele dunkel, selbst per Photoshop Büros abzudunkeln – den Willen, auf so eine Idee zu kommen, muss man erstmal haben.
1. Blick hinter die Kulissen: Wie liefen die Recherchen für Xinjiang Police Files? (br.de, Lisa Weiß, Audio: 28:31 Minuten)
Lange schon hatten Beobachter von Menschenrechtsverletzungen an der ethnischen Minderheit der Uiguren im Norden Chinas berichtet. Nun gab es ein neues Dateleak, das erstmals anhand von Bildern das Ausmaß zeigt. Die “Xinjiang Police Files” wurden von verschiedenen deutschen und internationalen Medienpartnern gemeinschaftlich ausgewertet. Auch dabei: der Bayerische Rundfunk (BR). Wie kam die Redaktion zu den Informationen über die Straflager in Xinjiang? Wie prüft man, ob Daten und Fotos über verfolgte und inhaftierte Uiguren echt sind? Darüber spricht Lisa Weiß im BR-Medienmagazin mit Hakan Tanriverdi, Datenjournalist beim BR, und Astrid Freyeisen, BR-China-Expertin und viele Jahre ARD-Korrespondentin in Shanghai.
2. Hilfe nachbessern (djv.de, Hendrik Zörner)
Der Deutsche Journalisten-Verband fordert die Bundesregierung auf, die jüngst beschlossenen Hilfen für Journalistinnen und Journalisten aus Russland nachzubessern. Kritisiert wird vor allem die Voraussetzung, eine Bedrohungslage nachzuweisen: “Der geforderte Nachweis schließt alle Journalistinnen und Journalisten aus, die den Ukrainekrieg und die Repressionen durch den Kreml zwar ablehnen, aber ihre Opposition noch nicht durch Medienberichte öffentlich gemacht haben.”
3. Wie können Journalistinnen und Journalisten unter den Taliban noch arbeiten? (uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 34:05 Minuten)
“Vor dem Sieg der Taliban gab es in Afghanistan eine diverse Medienlandschaft. Jetzt müssen Nachrichtensprecherinnen im Fernsehen ihr Gesicht verschleiern, im Radio läuft keine Musik mehr, und es gelten vage, willkürliche Regeln, mit denen die Arbeit von Journalisten erschwert wird.” Der Journalist Emran Feroz war vor Kurzem wieder in Afghanistan und schildert im Gespräch mit Holger Klein, wie sich die Medienlandschaft und das Leben dort verändert haben.
4. “Wir sind kritikfähig” (tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Nach dem Abbruch eines Interviews durch den Fußballspieler Toni Kroos äußert sich nun ZDF-Sportchef Thomas Fuhrmann zu der Angelegenheit: Was ist richtig, was falsch gelaufen? Und sind derlei Befragungen unmittelbar nach Spielschluss wirklich ergiebig?
Weiterer Hörtipp: Auch beim Deutschlandfunk beschäftigt man sich noch einmal mit dem Thema. Sportredakteurin Jessica Sturmberg bezweifelt die Notwendigkeit von derlei Interviews: “Der Erkenntnisgewinn ist selten groß. Wir haben eher Anteil an einer Stimmung – und die Frage ist, ob wir das wirklich wollen.”
5. Burda meldet Rekord-Zahlen im Geschäftsjahr 2021 (dwdl.de, Uwe Mantel)
Das Unternehmen Hubert Burda Media hat 2021 nach eigenen Angaben das beste Geschäftsjahr seiner Geschichte hingelegt. Der Umsatz sei um rund sechs Prozent auf nahezu drei Milliarden Euro gestiegen. Uwe Mantel hat einen genaueren Blick auf die Zahlen geworfen.
6. Ekel Eistee: So Dirty ist DirTea von Shirin David (youtube.com, ZDF besseresser, Video: 17:34 Minuten)
Shirin David ist eine deutsche Rapperin, Webvideoproduzentin und seit einiger Zeit auch Eistee-Vermarkterin. “Wie hat die Instagram-Ikone es geschafft, dass ihre Drinks so populär werden? Was ist da überhaupt drin? Und wie schmecken die verschiedenen Eistee-Sorten?”, fragt das Team der “ZDF besseresser”. Mit der Vermarktung von derlei Produkten ist Shirin David übrigens nicht allein: Auch andere Rapper wie Capital Bra und Haftbefehl sind in den Supermarktregalen vertreten.
Unter der Überschrift “Aaaaaah! Grasser gegen Bild – das Medienrecht ist zahnlos” berichtet heute auch die “Zeit” über die Paparazzi-Fotos vom österreichischen Finanzminister Karl-Heinz Grasser und seiner Gattin Fiona, die “Bild”, wieberichtet, am vergangenen Freitag (teilweise verpixelt) abgedruckt hatte und gegen deren Veröffentlichung Grasser juristisch vorgeht.
Eine “Bild”-Sprecherin hatte ja bereits versucht, die Veröffentlichung damit zu rechtfertigen, dass Grasser und seine Frau “ganz klar als Society-Paar” aufträten, “bereits seit geraumer Zeit die Spalten der Yellow-Presse” füllten. Die Berichterstattung stünde deshalb “auch auf einer anderen Basis” als etwa der von “Bild” scharf kritisierte Abdruck vergleichbarer Fotos von Angela Merkel in anderen Medien. Die “Zeit” zitiert nun nicht nur aus dem suggestiven “Bild”-Text (“Hier sucht die Kristallerbin die Kronjuwelen des Finanzministers. Da liegt ER! Und genießt. Ihr Verwöhnprogramm. Ihre Küsse. Ihre Liebkosungen. Herzen, busseln, tasten, suchen. Nach Kronjuwelen? Mozartkugeln? Aaaaaah! (…) Fiona (…) und ihr Minister arbeiten nach einer Fehlgeburt an einem Baby. Kleiner Tipp, verehrte Liebende: DAS geht irgendwie anders.”), sondern auch den stellvertretenden “Bild”-Chefredakteur Alfred Draxler mit den rätselhaften Worten:
“Wir haben ja nicht behauptet, dass der Sex vollzogen wurde.”
Weiter heißt es in der “Zeit”:
“Das Foto sei im Übrigen gar nicht von Bild-Reportern geknipst worden, sondern von italienischen Paparazzi. Als britische Boulevard-Kollegen ein Foto mit nacktem Po der deutschen Kanzlerin Angela Merkel druckten, schäumte Bild und schwor Rache. Der Fall des österreichischen Finanzministers liege hingegen anders, beteuert nun Draxler. Der zähle halt zum ‘Jetset'”.
Es ist eine sehr eindrucksvolle Liste von Prominenten und Politikern, die die “Bild”-Zeitung in ihrer heutigen Sonderausgabe versammelt hat, um für mehr Hilfe für Afrika zu werben. Und es ist eine eindrucksvolle Demonstration, was eine Zeitung wie “Bild” auf die Beine stellen kann, wenn sie versucht, ihre Beziehungen, ihre Reichweite und die Mittel des Boulevardjournalismus für einen guten Zweck einzusetzen. Keine Frage.
“Bild” selbst ist auch ganz begeistert und lässt die eigene Aktion von Ersatz-Chefredakteur Bob Geldof als “historische BILD-Ausgabe” feiern, die eine “einmalige Koalition aus Künstlern, Unternehmern, Politikern, Journalisten, Sportlern, Staatsmännern und den Völkern aller Nationen” versammelt habe. Sogar der amerikanische Präsident George W. Bush scheint Teil dieser Koalition zu sein und eigens für die Afrika-Ausgabe einen Gastbeitrag geschrieben zu haben:
Auch eine solche womöglich gut gemeinte Sonderausgabe ist für “Bild” also kein Grund, plötzlich wahrhaftig zu berichten, denn Bushs Text ist alles andere als “exklusiv”. Es handelt sich um eine Rede, die George W. Bush am Mittwochmittag (Ortszeit) im Rosengarten des Weißen Hauses vor Journalisten gehalten hat — in einer gekürzten, übersetzten und mit Flüchtigkeitsfehlern durchsetzten Version.
When I took office, an HIV diagnosis in Africa’s poorest communities was usually a death sentence. Parents watched their babies die needlessly because local clinics lacked effective treatments.
Als ich mein Amt antrat, war eine HIV-Infektion in Afrikas ärmsten Gemeinden ein Todesurteil. Eltern mussten zusehen, wie ihre Babies einen unnötigen Tod starben, weil die örtlichen Kliniken keine wirkungsvollen Behandlungen anbieten konnten.
This modern-day plague robbed Africa and other countries of the hope of progress, and threatened to push many communities toward chaos.
The United States has responded vigorously to this crisis.
Diese moderne Plage raubte Afrika und anderen Ländern ihre Hoffnung auf Fortschritt und drohte viele Gemeinschaften ins Chaos zu stürzen. Wir reagieren mit aller Macht auf diese Katastrophe.
Der Preis für das Bemühen, die längste und imposanteste Liste von Gast-Autoren aller Zeiten zusammenzubringen, ist hoch. Nicht nur, weil “Bild” dazu eine Presseerklärung zu einem Gastbeitrag umetikettieren muss. Sondern weil die Zeitung dadurch auf die Möglichkeit verzichtet, Bushs Aussagen kritisch zu hinterfragen. Neben drei süßen Fotos, die ihn mit dem Sohn einer HIV-infizierten Mutter zeigen, behauptet Bush in “Bild”:
Wegen dieses Erfolges beantrage ich beim amerikanischen Kongreß [sic], dass die Anstrengungen im Kampf gegen die Plage HIV/Aids verdoppelt werden und zusätzliche 30 Milliarden Dollar für die Prävention, Behandlung und Nachsorge von HIV/Aids in den nächsten 5 Jahren zu genehmigen. (…)
Soviel Hilfe gab es noch nie und diese Hilfe ist die größte Zusage die je eine Nation im Kampf gegen eine einzelne Seuche in der Geschichte der Menschheit gemacht hat.
Kritiker relativieren diese Superlative. Sie weisen zum Beispiel darauf hin, dass die Zahl der Patienten, die von den amerikanischen Hilfen profitieren, gegenüber dem bereits bestehenden Programm nur leicht steigen würde — prozentual entspräche das sogar einem Rückgang. Und von einer “Verdoppelung” der Ausgaben zu sprechen, wie Bush es tut, sei ohnehin irreführend.
Darüber kann man natürlich streiten. Aber man kann es nicht, wenn man ohne jede journalistische Einordnung einfach eine Presseerklärung des amerikanischen Präsidenten unter der Überschrift “US-Präsident George W. Bush exklusiv in BILD: Soviel Hilfe gegen Aids gab es noch nie!” abdruckt.
PS:“Spiegel Online” sieht in der Afrika-“Bild” einen Beweis dafür, “wie rasch moralische Beweggründe sich in einen wohlfeilen Moralismus verwandeln können, der in verlogenem Kitsch und objektivem Zynismus endet”.
Denn so berichtete “Bild” am Samstag groß auf Seite 2.
“Bild”-Redakteurin Ulrike Brendlin und der Leiter des “Bild”-Hauptstadtbüros, Rolf Kleine, schreiben dazu:
Gestern: Voller Bundestag debattiert über höhere Diäten und Pensionen
Wenn es im Bundestag mal richtig voll ist…
… dann wird wahrscheinlich gerade über eine Diätenerhöhung (…) debattiert.
Und tatsächlich wurde am vergangenen Freitag im Bundestag über eine Diäten-Erhöhung debattiert. Und richtig voll war’s auch. Das Foto allerdings, mit dem “Bild” zu illustrieren behauptet, wie voll es deswegen im Bundestag gewesen sei, hat mit der “Bild”-Behauptung (“so voll”) nichts zu tun.
Das Foto (“voller Bundestag”)* zeigt vielmehr, wie uns der Bundestag an Anfrage mitteilt, den Plenarsaal gegen 13.58 Uhr — also kurz vor der namentlichen Abstimmung [pdf] über das umstrittene Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung**, die am Freitag (neben anderen Themen wie Tempolimit, Einheitsdenkmal, Unterhaltsrecht und Diäten-Erhöhung) ebenfalls auf der Tagesordnung stand.
Augenzeugen berichten uns, dass viele Abgeordnete nur kurz für die Abstimmung in den Saal gekommen seien. Und dass es beim Thema Diäten-Erhöhung nicht leer, aber deutlich leerer war als auf dem “Bild”-Foto, zeigt nicht zuletzt das offizielle Parlamentsfernsehen des Bundestages.
*) Das zweite “Bild”-Foto (“Leerer Bundestag”) zeigt übrigens den Plenarsaals am 13. Juni 2007 während der “2. und 3. Beratung (…) eines Dritten Gesetzes zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR”.
**) Die Meldung zur beschlossenen Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung findet sich in “Bild” in einer kleinen 7-Zeilen-Meldung (rechts neben dem Wort “DIÄTEN-ERHÖHUNG”).
Bei Bild.de sorgen sie vor allem für eine Falschmeldung:
Was man bei Bild.de offenbar übersehen hat: Im Sächsischen Landtag sitzen auch vier fraktionslose, ehemalige NPD-Mitglieder, von denen nach Aussage des Landtagssprechers drei ihre Stimme abgegeben haben.
Soviel ist sicher: Was Bild.de gerade für sicher hält, ist es nicht.
Mit Dank auch an Michael Z. und Thomas W.
Nachtrag, 13.16 Uhr: Während sich “Spiegel Online” inzwischen bei den Lesern für eigene Voreiligkeit entschuldigt hat, kommt man bei der “taz” leider zu einem ähnlich falschen Fazit wie Bild.de: “Das heißt: Er wurde er von mindestens drei Abgeordneten einer demokratischen Partei gewählt”, heißt es auf taz.de.
Nachtrag, 14.36 Uhr: Mittlerweise haben viele Nachrichtenseiten ihre Berichte “entschärft” oder wie taz.de klammheimlich komplett umgeschrieben (Nachtrag, 14.56 Uhr: und sich nachträglich immerhin auch eine Entschuldigung für “den Fehler” abgerungen), während Bild.de unbeirrt bei seiner (falschen) Darstellung bleibt.
Nachtrag, 16.22 Uhr: Später als so ziemlich alle anderen hat nun auch Bild.de den Artikel nachgebessert — bzw. (ähnlich wie z.B. taz.de) komplett neu geschrieben und enteklarisiert, aber (anders als z.B. “Spiegel Online”, taz.de und stern.de) ohne auch nur ansatzweise auf die frühere, falsche Darstellung hinzuweisen. Unter der Überschrift “Ein Sorbe regiert Sachsen” heißt es an der Stelle, an der zuvor die “Soviel ist sicher”-Formulierung stand, nun:
Außer acht NPD-Mitgliedern sind jedoch noch vier weitere ehemalige NPD-Fraktionsmitglieder als fraktionslose Abgeordnete im Landtag vertreten.
Der Verdacht, es könnten Mitglieder der CDU, SPD, FDP, Linken oder Grünen dem NPD-Kandidat ihre Stimme gegeben haben, wurde vollständig aus dem Text getilgt.
Die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” schlägt in ihrer heutigen Ausgabe Alarm:
Eines der Probleme: Das durchschnittliche Renteneinstiegsalter der Griechen soll so verdammt niedrig sein:
Die griechische Regierung von Alexis Tsipras spricht in ihrer Vorlage für die Reformpartner und Gläubiger Griechenlands davon, dass man für das kommende Jahr als Zielgröße ein durchschnittliches Renteneintrittsalter von 56,3 Jahren ansteuern wolle
Okay, dann noch einmal extra für die “FAZ”: Das stimmt nicht.
Die ausführliche Erklärung haben wir gestern hier aufgeschrieben. Zusammengefasst: Die 56,3 Jahre, die die “FAZ” als geplantes “durchschnittliches Renteneintrittsalter” Griechenlands verkauft, beziehen sich nicht auf alle Griechen, sondern nur auf Angestellte im öffentlichen Dienst. Das steht so auch in einer Tabelle (Rententräger “PS Δημóσιο”) der “Vorlage für die Reformpartner” (PDF), auf die sich die “FAZ” beruft. Hätte die Redaktion vier Spalten weiter rechts geguckt, hätte sie gesehen, dass das gleiche Papier das für 2016 geplante Renteneinstiegsalter für Angestellte in der griechischen Privatwirtschaft (Rententräger “IKA-ETAM”) mit 60,6 Jahren angibt.
Schon vor drei Tagen hatte die “FAZ” den Quark mit den 56,3 Jahren verbreitet:
In der heutigen Ausgabe setzt die “FAZ” aber noch einen drauf:
In Deutschland liegt der durchschnittliche Rentenbeginn derzeit bei 64 Jahren.
Auch das stimmt nicht. Eine Statistik der Deutschen Rentenversicherung (PDF) sagt zwar, dass das durchschnittliche Zugangsalter bei Renten “wegen Alters” 64,1 Jahre betrage. Rechnet man jedoch all die Fälle hinzu, die “wegen verminderter Erwebsfähigkeit” früher in Rente gehen (durchschnittlich mit 51 Jahren), sinkt der Wert auf 61,3 Jahre.
Die “FAZ” baut also zwei Schnitzer — zufälligerweise genau die, die auch “Bild” gemacht hat. Und wer klammert sich wiederum an die “FAZ”, um seinen eigenen Mist zu rechtfertigen? Na klar:
Asylthemen haben eigentlich einen Stammplatz auf dem Cover des “Compact”-Magazins. Im Oktober verkündete das Rechtsaußen-Blatt auf seiner Titelseite beispielsweise eine “Invasion aus Afrika”. In der aktuellen November-Ausgabe kommt Asyl im Vergleich zu den Vormonaten hingegen nur am Rande vor. Vorne auf dem Titel geht es um einen angeblichen “Angriff auf deutsche Sparer”, den Kampf der “Presstituierten (sic) gegen Trump” und Andreas Gabalier (“Alpen-Elvis” — “Der Heimat-Rocker”). Erst im Heftinnern findet man die übliche Hetze gegen Flüchtlinge. Ein genauerer Blick auf Martin Müller-Mertens’ Artikel zur “heimlichen Kolonisierung” lohnt sich aber.
Die amtliche Asylstatistik sei falsch, so Müller-Mertens’ These, weil sie den Familiennachzug verschweige. “Unter diesem Schwindeletikett werden in den nächsten Jahren Millionen Muslime zu uns geholt — auch auf Druck der EU”, heißt es im Teaser. Ob damit zwei Millionen Muslime in den nächsten zehn Jahren oder zehn Millionen in zwei Jahren gemeint sind, verrät Müller-Mertens nicht. Stattdessen peitscht er sein Publikum mit Schlagworten der extremen Rechten auf:
Rund zwei Jahre nach Beginn der Siedlerinvasion staut sich die nächste Welle von Fremden gerade auf. Nach Abschluss ihrer Aufnahmeverfahren dürfen sogenannte Flüchtlinge Teile ihrer Familien legal nach Deutschland holen — und zwar auf direktem Weg. Quasi unbemerkt, vorbei an jeder Asylstatistik, führt sie ihr Weg in Angela Merkels gelobtes Land.
Er stütz seine Argumentation auf eine Kleine Anfrage der Grünen an die Bundesregierung (PDF). Den politischen Hintergrund der Anfrage nennt der “Compact”-Autor nicht: Die Grünen fragten nach der Datengrundlage für die Behauptung von Teilen der Bundesregierung, es würden demnächst besonders viele Flüchtlinge über den Familiennachzug nach Deutschland kommen.
Zu Teilaspekten der Anfrage lieferte die Bundesregierung keine Daten, “da für § 29 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) kein separater Speichersachverhalt zur Verfügung steht” — die einzige Passage des langen, 20-seitigen Antwortschreibens, die “Compact” zitiert. Übersetzt heißt das: Beamte können im Datensatz des Ausländerzentralregisters kein Häkchen für einen Aufenthaltstitel nach diesem speziellen Paragraphen 29 setzen, er wird statistisch also nicht erfasst.
Martin Müller-Mertens fragt: “Kennen die Behörden tatsächlich keine Zahlen — oder sollen diese vor der Öffentlichkeit verschleiert werden?” Eine Antwort auf die Frage spart sich der Autor, suggeriert doch allein die Überschrift des Artikels (“Die heimliche Kolonisierung”), dass Letzteres stimme.
Wer unsere Serie “Mut zur Wirrheit” kennt, kann ahnen, was jetzt kommt. Die Antwort auf die Frage von “Compact” lautet: Natürlich kennen die Behörden entsprechende Zahlen. Sie machen sie auch regelmäßig öffentlich.
Was stimmt: Fälle nach Paragraph 29 des Aufenthaltsgesetztes sind im Ausländerzentralregister tatsächlich nicht eigens aufgeführt. Der Paragraph regelt die allgemeinen Grundsätze des “Familiennachzugs zu Ausländern”. Die Beamten der Ausländerbehörden haben trotzdem einige Felder, bei denen sie Häkchen zum Familiennachzug im Sinne des Aufenthaltsgesetzes setzen können: der Ehegattennachzug nach Paragraph 30, der Kindesnachzug nach Paragraph 32 sowie der Nachzug der Eltern und sonstiger Familienangehöriger nach Paragraph 36 wird im Ausländerzentralregister einzeln erfasst (PDF, ab Seite 33).
“Compact” ist das nicht aufgefallen oder egal, weil es nicht zur Linie des Blattes passt. Dabei nennt Autor Martin Müller-Mertens sogar selbst Zahlen, die es laut ihm ja eigentlich gar nicht geben dürfte:
Stellten deutsche Botschaften im Jahre 2005 insgesamt noch 80.000 Visa für Familienangehörige aus, waren es von Januar bis Oktober 2015 nur 49.000.
Sein Artikel basiert zu großer Wahrscheinlichkeit auf dem “Wikipedia”-Eintrag zur Familienzusammenführung. Dort findet man jedenfalls die von ihm genannten Zahlen, mit Verweis auf zweiTexte der “Zeit” beziehungsweise von “Zeit Online”. Die erste Zahl, die “Wikipedia” als Fakt präsentiert, ist eine vorläufige Schätzung aus dem Jahr 2006 — und somit nicht, wie von “Compact” behauptet, die Zahl der tatsächlich ausgestellten Visa.
Diese findet man im Migrationsbericht von 2014 (PDF, Seite 37): Für 2005 sind dort genau 53.213 Visa zum Zweck des Ehegatten- und Familiennachzugs ausgewiesen. Auch die 49.000 Visa für die ersten neun Monate des Jahres 2015 findet man im Migrationsbericht (Seite 10). Und noch mehr:
Auch das Ausländerzentralregister (AZR) bestätigt einen Anstieg des Familiennachzugs für das erste Halbjahr 2015 um 22% im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.
Es gibt also sehr wohl Zahlen zum Familiennachzug, sogar im Ausländerzentralregister. Mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das das Zentralregister betreibt, und dem Auswärtigen Amt, das die Visastatistik erstellt, gibt es somit zwei Institutionen, die jeweils eigene Zahlen zum Familiennachzug kennen — zwei mehr, als “Compact” seinen Lesern nennt.
Und was ist nun mit der “Compact”-Prognose, nach der “in den nächsten Jahren Millionen Muslime zu uns geholt” würden? An dieser Stelle bietet sich ein Rückblick an: Addiert man die Zahlen des Migrationsberichts zum Familiennachzug von 2005 bis 2014, kommt man nicht mal auf eine halbe Million Menschen in den vergangenen zehn Jahren. Wohlgemerkt: Menschen insgesamt, also nicht nur die Familien von muslimischen Flüchtlingen, sondern etwa auch die ausländischen Familien deutscher Staatsbürger, Menschen aus vielen Ursprungsländern und aller Religionen.
Wenn, wie “Compact” behauptet, demnächst tatsächlich “Millionen Muslime” so nach Deutschland kommen sollten, müsste sich also die Zahl der Familiennachzügler vervielfachen und nicht nur um 22 Prozent steigen. Martin Müller-Mertens glaubt auch schon zu wissen, wie es zu so einem Anstieg kommen werde:
Dank einer weitgehend unbekannten Neuregelung vom August 2015 können Asylanten “einen Antrag auf Familiennachzug stellen, auch wenn sie nicht ausreichend Wohnraum und einen gesicherten Lebensunterhalt vorweisen können”, freute sich seinerzeit der Flüchtlingsrat Bayern in einem Merkblatt.
Die Regelung ist so “unbekannt”, dass sie nur im gleichen “Wikipedia”-Artikel zu finden ist, aus dem der Autor vermutlich seine Zahlen zieht. Als Quelle dient dort das von ihm genannte Merkblatt des Bayerischen Flüchtlingsrats (PDF). Dass sich dieser darin freue, ist Müller-Mertens Interpretation einer nüchternen Erklärung in Form einer kurzen FAQ.
Anders als von “Compact” behauptet, bestand die Neuregelung auch nicht darin, dass alle “Asylanten” ohne gesicherten Lebensunterhalt den Antrag auf Familiennachzug stellen können. Anerkannte Flüchtlinge konnten das beispielsweise auch schon vorher. Die genannte Neuerung bezog sich nur auf die sogenannten “subsidiär Schutzberechtigten”, die nicht als Flüchtlinge nach der Genfer Konvention anerkannt werden, aber auch nicht abgeschoben werden, weil ihnen in ihren Heimatländern Schaden droht. Sie konnten den Antrag auf Familiennachzug zudem nur für kurze Zeit stellen: Zum 1. August 2015 wurde der Familiennachzug für sie erleichtert, bis er im Januar 2016 für zwei Jahre ausgesetzt wurde.
“Compact”-Autor Müller-Mertens meint wohl diese Verschärfung des Asylrechts Anfang des Jahres, wenn er in seinem Artikel von einer “nur für eine Minderheit relevanten Zwei-Jahres-Sperre” schreibt. “Minderheit” trifft es nun auch nicht mehr ganz, denn im Juli 2016 wurde bei fast jedem dritten Asylantrag nur noch der subsidiäre Schutz bewilligt, berichtet etwa “Spiegel Online”.
Die Redaktion von “Compact” stellt nicht nur falsche Behauptungen auf, sondern berichtet treffsicher das genaue Gegenteil der Faktenlage. Dahinter dürften keine Fehler oder einfach nur schlampige Recherche stecken. Die “Lügenpresse”-Rufer von “Compact” treiben so ihre politische Agenda voran, sie machen Propaganda.
Allein die Synonyme, die das Magazin für geflohene Menschen verwendet, zeigen, wo es politisch zu verorten ist. Es nannte Flüchtlinge in den letzten Ausgaben etwa “Asylforderer”, “Invasoren”, “Siedler”, “Vaterlandsverräter” oder “Rapefugees”. Es finde eine “Islamisierung” statt, eine “Siedlerinvasion”, es herrsche “Kolonialismus”, bei dem Deutschland die Kolonie sei, es gebe eine “schwarze Flut” oder gleich einen “Asyl-Tsunami”. Es fällt auch das alte NPD-Schlagwort der “Völkervermischung”. Wer nicht in diesem Stil gegen Flüchtlinge hetzt, ist laut “Compact” Teil eines “Gutmenschenclubs”, der “Multikulti-Religion”, der “Vielfaltlobby” oder gleich der “Refugee-welcome-Sturmtruppen” und betreibe wahlweise “linksgrünen Tugendterror” oder “Gesinnungsterror”.
Bei der Bebilderung des Magazins gehört die Agitation ebenfalls zum festen Programm. Nur ein besonders dreistes Beispiel aus der April-Ausgabe, das neben einem Artikel zu finden ist, der sexuelle Übergriffe von Asylbewerbern auf junge Mädchen zum “Alltag in Deutschland” erklärt:
Die Illustration ist natürlich keine Anleitung zur Vergewaltigung. Sie stammt aus einer internationalen Kampagne zur sexuellen Aufklärung, die sich an alle richtet, die diese nötig haben, und die sich auch gegen jegliche Form des sexuellen Missbrauchs ausspricht.
“Compact” behauptet von sich selbst, weder rechtsradikal noch ausländerfeindlich zu sein. Die Redaktion sieht sich als Opfer von Verleumdungskampagnen und Zensurbemühungen. Ihre Zeitschrift befindet sich weiterhin deutschlandweit im Vertrieb und verkauft — nach eigenen Angaben — monatlich 41.000 Exemplare.
Heute hat Gabor Steingart noch einmal nachgelegt, und er hat es tatsächlich geschafft, inhaltliche Argumente zu bringen. Der “Handelsblatt”-Herausgeber hat sich in seinem morgendlichen Newsletter “Morning Briefing” noch einmal den möglichen SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz vorgenommen. Steingart erklärt, was ihm an Schulz nicht passt: Der Präsident des Europäischen Parlaments sei “ein parteipolitisches Schlitzohr, aber kein Staatsmann”, er liebe die Ränkespiele des Parteienstaates mehr als die Sachpolitik, er habe in Brüssel deutsche Interessen hintangestellt und plädiere stets für zusätzliche Schulden und weniger Sparsamkeit. Schulz sei “ein Umverteilungspolitiker alter Schule” sowie ein “Europäer des Brüsseler Establishments”.
Diese Einschätzungen und Beurteilungen kann man richtig oder falsch finden. Sie orientieren sich aber immerhin an der Sache. Das sah am vergangenen Freitag noch ganz anders aus. Da hatte Gabor Steingart — ebenfalls im “Morning Briefing” — Martin Schulz auf persönlicher Ebene angegriffen:
Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,
auf vielen Titelseiten wird EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, der von Brüssel nach Berlin umziehen will, heute wie ein Erlöser gefeiert. Dass viele Medien diesem im Volk weithin unbekannten Mann — der die Zulassung zum Abitur nicht schaffte, wenig später zum Trinker wurde, bevor er als grantelnder Abstinenzler für 22 Jahre im Brüsseler Europaparlament verschwand — plötzlich die Befähigung zur Kanzlerschaft zutrauen, ist nur mit journalistischer Telepathie zu erklären.
Ein kleiner Einschub, drei Stichpunkte, um einen Politiker, einen Menschen schnellstmöglich zu diskreditieren, niederzumachen. Natürlich könnte man die Punkte auch umdrehen, wenn man wollte: “Beeindruckend, dass Martin Schulz, der aus seiner früheren Trinkerei kein Geheimnis macht, es trotz einer schwierigen Biographie bis zum Präsidenten des Europäischen Parlaments gebracht hat.” Steingarts Worte sind stattdessen voller Häme und Menschenverachtung.
Nach “Handelsblatt”-Angaben haben mehr als 500.000 Personen das “Morning Briefing” abonniert:
All diesen Leuten schickt Steingart einen Text, der exakt in die Kerbe haut, in die sonst Politikverdrossene, Stimmungsmacher, die AfD schlagen. Unsachlich und persönlich gegen Politiker und das politische Establishment.
Da wird in kurzem Staccato einer niedergemacht. Ein Politiker, also einer, bei dessen Kritik man sich des Beifalls des Publikums schnell sicher sein kann.
Nun fand Gabor Steingart seine Einfälle zu Martin Schulz wohl so bemerkenswert, dass er sie gleichzweimal bei Facebook gepostet hat:
Und unter beiden Beiträgen zeigt sich erfreulicherweise, dass Peter Ruhenstroth-Bauer mit seiner Beifall-Prognose danebenlag. Vereinzelt gibt es zwar Zustimmung für Steingarts Worte. Zum größten Teil aber klingen die Kommentare so:
Sehr geehrter Herr Steingart, Ihr Kommentar ist leider ein gutes Beispiel, weshalb heute kaum noch gute Leute in die Politik gehen wollen. Da schafft man es trotz mangelndem Abi bis nach Brüssel, vertritt dort die europäische Idee in schwierigsten Zeiten gegen Separatisten, Nationalisten und Populisten und muss sich dann von Journalisten wegen einer traurigen und für den Betroffenen übrigens ohnehin schon quälenden und zehrenden Erkrankung ans Bein pinkeln lassen. Ich finde das unfair, unwürdig und mies. So eine Beschimpfung hat ein Mensch nicht verdient, der sich so für die Gesellschaft einsetzt!
Fangen jetzt auch noch Journalisten an mit diesem billigen Politikerbashing, das jeden Respekt vermissen lässt? Unglaublich.
Das ist unterste Schublade und hat mit Journalismus nichts mehr zu tun.
das ist niveaulos!!
Seit wann benötigt man Abitur um Kanzler zu werden?
Und nur weil ein Mann mit jungen Jahren einen Fehler gemacht hat soll ihn das ein Leben lang verfolgen?
Dann hätte Herbert Wehner, einer der populärsten Politiker der Nachkriegszeit, niemals etwas werden können.
Ihr Text liest sich mit viel Verachtung die ihnen nicht steht und die Herr Schulz nicht verdient hat.
Lieber Herr Steingart, Ihr Teasing auf den Artikel ist reißerisch — auf Schulz Biografie geht der Text nicht ein. Das Alkoholthema nur auszupacken, um Stimmung zu machen, ist billig.
Das muss dieser Qualitätsjournalismus sein, den wir vor Trump beschützen müssen.
Ich verstehe nicht, weshalb man gleich so persönlich werden muss? Es ist doch hoch anzuerkennen, was für eine Karriere Schulz, trotz seiner Probleme in frühen Jahren, gemacht hat. Ein bisschen mehr Respekt im
Umgang mit anderen Menschen tut immer gut!
Mensch, Herr Steingart. Das zeugt wirklich von journalistischer Größe und inhaltlicher Auseinandersetzung, wie sie hier dem grantelnden Trinker einen mitgeben. Genau der Journalismus, auf den Deutschland gewartet hat. Stark. Weiter so.
Und Sie nennen sich Journalist? Einfach nur billig! Sie widern mich an, Herr Steingart!
…das nicht vorhandene Abitur und seine überwundene Alkoholkrankheit als Argumente für eine fehlende Eignung zum Kanzler zu machen, ist wirklich sehr unangebracht.
Herr Steingart, nach dem abwertenden Kommentar über Frau Merkel jetzt ein sehr abwertender Kommentar zu Herrn Schulz. Man muss Herrn Schulz nicht mögen, aber diese Art der Berichterstattung ist weit unter Ihrem Niveau und Ihrer Zeitung unpassend. Diese polemische Art zu schreiben vergiftet auch die politische Kultur.
Wow, hämisch auf einer Krankheit herumhacken — echtes Format! Hut ab!
Ojee, ein Versager … Unglaublich, dass das Handelsblatt zum Ramschblatt verkommt.
Klasse finden ich die vielen kritischen Kommentare zu Steingarts beleidigenden und voll daneben liegenden Eingangskommentar zu Schulz!!!
Für ein solches Geschreibsel hat FB leider keinen Button.
Herr Steingart, ihren Text kann man nur mit unterirdisch bezeichen.
Beleidigender Kommentar
Ähm, ich bin ja wirklich sehr oft Ihrer Meinung, Herr Steingart, aber das ist unwürdiges Bashing. Martin Schulz hat es auch ohne Abitur, aber mit vielen Fremdsprachen, geschafft, Karriere zu machen. Ein Alkoholproblem haben weitaus mehr “Führungskräfte” als ein Herr Schulz und er hat es wohl im Unterschied zu vielen anderen überwunden, oder
Mein Gott, ist das billig.
Lieber Herr Steigart, egal welche Meinung Sie über Herrn Schulz haben verbreiten Sie diese bitte ohne Beleidigungen. Ich weiß, gutes Benehmen ist aus der Mode gekommen, aber als Journalist sollten Sie eigentlich den Ehrgeiz haben in Ihren Texten ohne Beschimpfungen auszukommen.
Immerhin das hat Gabor Steingarts Martin-Schulz-Bashing gebracht: Die Erkenntnis, dass die Kommentar-Kultur im Internet doch noch nicht völlig hinüber ist.
Im Nahen Osten ist sowieso immer und zurzeit besonders größere Vorsicht geboten. Jeder Fehltritt kann zu einer weiteren Eskalation führen, etwa im Konflikt zwischen den USA und dem Iran. Da sollte man genau arbeiten, auch und gerade Redaktionen, und nicht noch zündeln. Und schon sind wir bei Bild.de.
Am vergangenen Sonntag veröffentlichte das United States Central Command, kurz Centcom, ein Statement, in dem es hieß, eine iranische SA-7-Rakete habe eine amerikanische MQ-9-Drohne verfehlt. Eine Analyse der Vorfälle deute darauf hin, dass es ein Versuch gewesen sei, die Drohne abzuschießen oder die Überwachung des Angriffs der Iranischen Revolutionsgarde auf zwei Tanker zu stören. Beweise führte das Centcom dafür bislang nicht an.
Interessant ist, wie Medien anschließend mit so einem Statement des Centcom, also einer der beteiligten Parteien, umgehen.
In der “Süddeutschen Zeitung” von gestern etwa hieß es:
Das US-Zentralkommando Centcom brachte indes neue Vorwürfe gegen Iran vor. So hätten iranische Revolutionsgarden erfolglos versucht, eine US-Drohne über dem Golf von Oman abzuschießen. Belege dafür gab es zunächst keine.
Auch CNN ordnete den Vorgang mit einfachen rhetorischen Mitteln im Titel so ein, wie man es eben macht, wenn eine Behauptung nicht belegt ist: “Iranians fired missile at US drone prior to tanker attack, US official says”, heißt es in der Überschrift des Online-Artikels. Ein Komma und drei Worte, die einen großen Unterschied machen.
Anders sieht es bei Bild.de aus. Die Redaktion titelte am Sonntag:
Kein “sollen”, kein “angeblich”. Nur die vollendete Tatsache.
Nun wird man in den nächsten Tagen oder Wochen wohl sehen, ob die USA Beweise für die Anschuldigung vorlegen können. Und natürlich kann am Ende rauskommen, dass die Vorwürfe tatsächlich so stimmen. Aktuell weiß das aber auch die Bild.de-Redaktion nicht so sicher, wie sie in der Überschrift tut. Und auch wenn sie die Situation im Artikel differenzierter darstellt — wer, wenn nicht “Bild”, weiß, welche Wirkung Überschriften haben?
1. Das Coronavirus und die Medien (ndr.de, Armin Ghassim & Gabor Halasz, Video: 2:51 Minuten)
Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie an der Charité Berlin, hält die Berichterstattung über das Coronavirus für teilweise kontraproduktiv: “Die Bundespressekonferenz zuletzt habe ich als Zeitverschwendung empfunden. Ich wurde nur nach leeren Fußballstadien und dem CDU-Parteitag gefragt, anstatt inhaltliche, medizinische Fragen zu beantworten.”
Weiterer Lesehinweis: Sternstunde für die Regionalen: “Die überregionalen Medien berichten längst nicht mehr über jede Neu-Infektion mit Corona. Nun schlägt die Stunde des Lokaljournalismus — zum Beispiel beim ‘Bonner General-Anzeiger'” (deutschlandfunk.de, Annika Schneider, Audio: 4:53 Minuten).
Und auf vielen Ebenen interessant: So veranschaulichen Datenjournalist:innen das Coronavirus (netzpolitik.org, Dominic Lammar) — aber Achtung: Diese Coronavirus-Karte stiehlt Passwörter (futurezone.at).
2. RTL trennt sich mit sofortiger Wirkung von Xavier Naidoo (dwdl.de, Thomas Lückerath)
Nachdem fragwürdige Videos des Künstlers Xavier Naidoo mit äußerst irritierenden, teils rassistischen Textstellen aufgetaucht sind, hat sich RTL von Naidoo getrennt. Dem Wortlaut der Stellungnahme des Privatsenders nach, beziehe sich das zunächst aber nur auf die nächste “Deutschland sucht den Superstar”-Ausgabe. “Dass Naidoo jedoch zu ‘DSDS’ zurückkehren wird, hält man nicht nur bei der Produktionsfirma UFA Show & Factual für unwahrscheinlich”, so “DWDL”-Chefredakteur Thomas Lückerath.
3. Irreführende Aussagen über rechten Terror (tagesschau.de, Patrick Gensing & Georg Mascolo)
Der heutige AfD-Europaabgeordnete und frühere stellvertretende “Bild am Sonntag”-Chefredakteur Nikolaus Fest weiß in einem Video von angeblich brisanten Informationen zu berichten: Ein Bericht der EU-Polizeibehörde Europol sehe seiner Aussage nach keine Gefahr durch rechten Terror. Vielmehr seien Islamismus und Linksterror die großen Bedrohungen. Dies wolle man jedoch, so die Fest-Diktion, aus politischen Gründen nicht eingestehen und habe den Bericht daher als geheim eingestuft. Der ARD-“Faktenfinder” ist dem Fall nachgegangen und kommt zum gegenteiligen Ergebnis. Damit konfrontiert, gerät Fest ziemlich ins Rumeiern.
4. NDR verzichtet auf Studiopublikum und sagt Veranstaltungen ab (presseportal.de)
Der Norddeutsche Rundfunk hat ein ganzes Bündel an Maßnahmen beschlossen, um die Ausbreitung des Corona-Krankheitserregers zu verlangsamen. Das reicht von der Einschränkung des Besucherverkehrs bis hin zu Veranstaltungsabsagen. Sendungen, die auf dem NDR-Gelände produziert werden, etwa die “NDR Talk Show” und “extra 3”, fänden bis auf Weiteres ohne Studiopublikum statt.
5. Und dann will das BKA an Ihr Passwort (zeit.de, Lisa Hegemann)
Am heutigen Donnerstag wird im Bundestag ein Gesetzesentwurf diskutiert, der Rechtsextremismus und Hasskriminalität in Sozialen Netzwerken bekämpfen soll. Was sinnvoll klingt, hat seine Tücken, denn das Gesetz greife massiv in unsere Grundrechte ein und sei untauglich. Lisa Hegemann erklärt die Problemfelder und berichtet von den Bedenken der Kritikerinnen und Kritiker.
6. Kundendienst (sueddeutsche.de, Helena Ott)
Hinter der Gesundheitspostille “Apotheken-Umschau” steckt ein pfiffiges Konzept: Das Gratisblatt bezahlen nämlich nicht die Leser und Leserinnen, sondern die Apotheken. Je nach Vertrag sollen dies um die 35 Cent pro Stück sein. Nun wolle der Verlag den Erfolg mit einem anderen Magazin wiederholen: Er habe dazu 650.000 Exemplare des “Digital-Ratgebers” gedruckt und bundesweit an Apotheken ausgeliefert. Das erste Heft sei für die Apotheken kostenlos. Wie es danach weitergeht, sei noch nicht bekannt.
1. Der WDR und die “jüdischen Wurzeln” (uebermedien.de, Andrej Reisin)
In der WDR-Doku-Reihe “Unterwegs im Westen” fragte die Reporterin Rachel Patt “Wie jüdisch ist Deutschland?” und führte eine Telefonaktion durch, die bei einigen Zuschauerinnen und Zuschauern für heftiges Kopfschütteln sorgte. Es gibt aber noch weitere Kritikpunkte an der Sendung. Auf “Übermedien” kommentiert Andrej Reisin: “Nicht die Ergebnisse von Patts Recherche sind das Problem, sondern dass sie schlicht zu wenig recherchiert hat, dass sie nach Bauchgefühl agiert, statt simpelste Fakten wie die jüdische Einwanderungsgeschichte nach 1991 auf dem Kasten zu haben. Und kein:e Redakteur:in irgendetwas davon merkt.”
2. Schrecken mit Ende (kontextwochenzeitung.de, Minh Schredle)
Wie an dieser Stelle vergangene Woche zu lesen war, warb die AfD in der “Frankfurter Rundschau” ganzseitig gegen die Corona-Impfpflicht. Die Verlagsverantwortlichen verteidigten die Schaltung der Anzeige zunächst als “Teil der geltenden Meinungsfreiheit”, ruderten dann jedoch zurück: Geschäftsführer Max Rempel bat um Entschuldigung und versprach, “dass es künftig keine Anzeigen der AfD mehr in der Frankfurter Rundschau geben wird”. Minh Schredle fragt sich, wie es zu dem Vorgang überhaupt kommen konnte, und ordnet den Fall ein.
3. Wider die Willkür (sueddeutsche.de, Philipp Bovermann)
Wenn Youtube Videos oder ganze Kanäle löscht, kennen die Uploader und Betreiber häufig den Grund dafür nicht. Es gibt oft nur einen lapidaren Hinweis auf einen angeblichen Verstoß gegen die Community-Regeln. Wer sich damit nicht abfinden will, muss gegen den Großkonzern juristisch vorgehen. Die Europäische Union wolle diesen Zustand mit einem “Gesetz über digitale Dienste” beenden. Philipp Bovermann ist skeptisch: “Es sieht also so aus, als dürften die digitalen Plattformen künftig zwar nicht mehr so willkürlich wie bisher agieren, ihre souveräne Macht über die Inhalte aber behalten – auf expliziten Wunsch der EU. Das dürfte noch zu interessanten Debatten führen.”
4. Renate Künast erringt klaren Sieg gegen Facebook-Hetzer (spiegel.de)
Das Bundesverfassungsgericht hat der Politikerin Renate Künast im Streit über gegen sie gerichtete Beleidigungen bei Facebook in vollem Umfang recht gegeben: “Facebook dürfte damit in der Folge verpflichtet werden, weitere Daten von Nutzerinnen und Nutzern, die Renate Künast im Netz beleidigt haben, an die Grünenpolitikerin herauszugeben.”
5. Goldene Blogger 2022: weniger Blog, mehr Gold (indiskretionehrensache.de, Thomas Knüwer)
Anfang April wird “Deutschlands ältester Social Media-, Creator- und Influencer-Award” verliehen, der noch den Namen aus alten Zeiten trägt: “Die goldenen Blogger”. Mit-Ausrichter Thomas Knüwer ist begeistert von den Nominierten, beklagt aber den abnehmenden Textanteil.
Transparenzhinweis: Der “6-vor-9”-Kurator des BILDblogs ist Bestandteil der Nominierungsliste.
6. ABC suspendiert Whoopi Goldberg nach Holocaust-Aussagen (dwdl.de, Alexander Krei)
Die US-amerikanische Schauspielerin Whoopi Goldberg hat in einer Talkshow, an der sie als Co-Moderatorin teilnimmt, gesagt, dass es beim Holocaust “nicht um Rasse”, sondern um “Unmenschlichkeit des Menschen gegenüber dem Menschen” gegangen sei. Trotz ihrer hintergeschobenen Entschuldigung ist sie vom TV-Sender für zwei Wochen suspendiert worden.
Was die Polizei am 28. Oktober in Block N des Cottbusser Fußballstadions fand, war keine Bombe und hat, so die Polizei Cottbus, “objektiv nichts mit einer solchen zu tun”.
Aber zurück zu “Bild”, obwohl Überschriften wie “Chemobombe in Fanblock” (Blick Online) oder gar “Sprengstoff in Cottbusser Stadion gefunden – (…) Für einen Anschlag hätte die Menge gereicht” (Netzeitung) sicherlich auch nicht besser sind als die “Giftbombe im Bundesliga-Stadion” oder die “8-Kilo-Bombe im Fan-Block” die Bild.de und “Bild” gestern über diese “Horror-Meldung” schrieben.
Schlimm genug auch, dass man von “Bild” nicht erwartet, darüber so sachlich wie der betroffene Verein Energie Cottbus (siehe “News” vom 08.11.04) zu berichten oder, wie etwa Spiegel Online, komplett auf das missverständliche Wort “Bombe” zu verzichten. Natürlich schrieb “Bild” es wiederholt (“Giftbombe”, “8-Kilo-Bombe”, “Bombe”, “Bomben-Schock”, “Bombe”, “Gift-Bombe”) in ihre Meldung, bevor ihr zuletzt doch noch die vergleichsweise treffene “Rauchbombe” einfiel. Gewiss, die Sache wurde erst am Sonntagnachmittag, zehn Tage nach dem Fund, bekannt. Da blieb wenig Zeit, um daraus eine Schlagzeile zu machen. Und “Rauchsatz in Zweitligisten-Stadion vor elf Tagen frühzeitig entdeckt” wäre keine gewesen, weshalb auch “Bild” fix über “Giftsubstanzen” schrieb, “die vor allem Leber und Nieren schädigen”, und weiter:
“Die Folgen (…) wären dramatisch gewesen. Zwar hätte die Bombe keinen Krater gerissen, aber giftige Dämpfe hätten zu schweren Verätzungen und Vergiftungen geführt.”
Und abgesehen davon, dass es “hätten dramatisch sein können” und “hätten (…) führen können” hätte heißen müssen, ist es nach der überzogenen Meldung vom Vortag um so erfreulicher, dass “Bild” die Sache heute, also 12 Tage nach dem Fund, weiterverfolgt und nachfragt:
“Wie gefährlich war das 40×30 Zentimeter große Paket wirklich (…)?”
Ja, “BILD sprach mit Experten“, schreibt “Bild” – auch wenn’s nur zwei Mitarbeiter von Pyrotechnikfirmen sind, von denen der eine sagt: “(…) Es wäre ein mächtiges bengalisches Feuer geworden, der Rauch hätte das ganze Stadion vernebelt. Furchtbar.” Und der andere fügt hinzu: “(…) Theatergruppen und Feuerwehren nutzen zum Beispiel diese Mittel.”
Und siehe da: Anschließend heißt die “Bombe” aus der Überschrift tatsächlich nur noch:
Franz-Josef Wagner schreibt heute einen Brief an Klaus Wowereit, und wir müssen ein bisschen ausholen.
Der Regierende Bürgermeister von Berlin musste sich nämlich gestern im Abgeordnetenhaus dafür rechtfertigen, dass er bei einer öffentlichen Veranstaltung Désirée Nick geküsst hat. Einige Fotos von diesem Moment machten in Berlin und in “Bild” Schlagzeilen. Nachdem ein CDU-Abgeordneter gefragt hatte, ob das mit der Würde seines Amtes vereinbar sein, rechtfertigte sich Wowereit ausführlich.
Franz-Josef Wagner fühlte sich bei dieser Rede an die Sätze von Willy Brandt und Richard von Weizsäcker im Abgeordnetenhaus erinnert, bzw.: nicht erinnert. Denn die hätten die Freiheit verteidigt, Wowereit aber sein “Fundi-Schwulsein”.
Unter “Fundi-Schwulsein” versteht Wagner dem Anschein nach das, was gemeinhin “Homosexualität” genannt wird: Männer, die nicht schwach werden, wenn plötzlich, sagen wir, Paris Hilton vor ihnen steht. Das ist ein bisschen unflexibel, aber das gibt es. “Fundi” ist natürlich alles andere als ein positiv besetzter Begriff in der Welt von “Bild”.
Wagner weiter:
Sie verwahrten sich gegen Unterstellungen, Désirée Nick habe Sie umgedreht.
Das ist typisch, riefen Sie in den Plenarsaal, da ist ein schwuler Mann und eine schöne Frau (na, na, der Kolumnist) und schon heißt es “umgedreht”. Das sei wie bei Frau Schavan, die als lesbisch diskriminiert wird. Es sei gegen die Menschenwürde, ereiferten Sie sich.
Mon cher ami, ist es wirklich so schrecklich, in den Verdacht zu geraten, nicht 150prozentig schwul zu sein?
“Nein”, rufen natürlich an dieser Stelle die “Bild”-Leser im Chor, die nicht aufgepasst haben. Denn darum ging es Wowereit nicht. Als diskriminierend bezeichnete er die Annahme, dass man Schwule nur mit einer schönen Frau konfrontieren müsse, und schon könne man sie ändern.
Das ist genau, was “Bild” mit seiner Titel-Schlagzeile getan hat, und das ist in der Tat diskriminierend. Es ist auch mehr als nur ein lustiger Boulevardzeitungswitz, wie man zum Beispiel hier nachlesen kann.
Wagner suggeriert weiter, Wowereit hätte sich mit dem Thema in die Öffentlichkeit gedrängt, anstatt wichtigere Dinge zu verhandeln. Jedenfalls ist zu vermuten, dass er das suggerieren will, wenn er diese Sätze hintereinander schreibt:
Mon cher ami, ist es wirklich so schrecklich, in den Verdacht zu geraten, nicht 150prozentig schwul zu sein? Ist es nicht viel schrecklicher, daß 40 Prozent unserer Berliner Türken arbeitslos sind. Die Quote der türkischen Sozialhilfeempfänger ist dreimal so hoch. Ist es nicht schrecklich, daß ein Türke, der Deutsch lernen will, in Berliner Volkshochschulen abgelehnt wird – kein Geld, keine Lehrer.
Nach Darstellung verschiedenerMedien hat Wowereit wohl tatsächlich sehr, sehr lange zu dem Thema geredet. Tatsache ist aber auch, dass Wowereit das Foto und das Thema nicht groß in die Öffentlichkeit gebracht hat (das war “Bild”) und dass er es auch nicht auf die Tagesordnung im Berliner Abgeordnetenhaus gesetzt hat (das machte die Opposition durch ihre Frage danach).
O-Ton Wagner:
Die Würde der Schwulen geht mir langsam auf den Keks – und Ihr Markenzeichen schwul auch. Schwulsein ist nicht besser.
Noch einmal zum Mitdenken: “Bild” stellt ein Foto vom knutschenden Wowereit auf die Titelseite und bringt es in absurder Weise in Verbindung mit seinem Schwulsein. Und wenn Wowereit sich darüber beschwert, schreibt “Bild”, er soll doch aufhören, dauernd sein Schwulsein in den Vordergrund zu stellen.
Den Satz “Die Würde der Schwulen geht mir langsam auf den Keks” muss man sich merken. Das ist ungefähr so, als würde sich ein Schläger darüber beklagen, dass die Schreie seiner Opfer immer so einen ruhestörenden Lärm verursachen.
Auf der Facebookseite des Wiener Nachtclubs “Grelle Forelle” ist gerade ordentlich Rambazamba. Grund dafür ist ein Artikel des Gratis-Boulevardblatts “Heute” aus Österreich:
Der Text hat bei den Betreibern des “Grelle Forelle” für ziemlichen Unmut gesorgt. Denn irgendwie schien da so einiges nicht zu stimmen:
Dieser Facebook-Post verbreitete sich in den vergangen Stunden irre schnell — aktuell über 9400 Likes, mehr als 2400 Mal geteilt, über 350 Kommentare. Da konnte auch die “Heute”-Redaktion nicht anders als zu reagieren:
Und die Reaktion des “Grelle Forelle”-Teams darauf:
Weil der Fall etwas komplizierter ist, und in den Sozialen Netzwerken einiges zum Thema durcheinandergebracht wird, mal der Reihe nach: Völlig falsch dürfte der “Heute”-Artikel nicht sein. Es gab in der Nacht von Freitag auf Samstag tatsächlich einen Diebstahl im Backstage-Bereich eines Wiener Clubs. Und auch die Adresse stimmt. Nur sitzt dort nicht nur die “Grelle Forelle”, sondern auch “Das Werk”. Und dort war eben dieser Vorfall. In der “Grelle Forelle” kann es tatsächlich nicht gewesen sein, weil dort erst am kommenden Samstag nach mehrwöchiger Pause das Programm wieder startet.
Es gibt da aber noch weitere Probleme beim “Heute”-Artikel. Zum Beispiel das Foto der Sängerin Alison Lewis. Das zeigt tatsächlich eine Frau, die Alison Lewis heißt und mit ihrer Band “String of Ponies” auch tatsächlich Musik macht. Doch das ist nicht die Australierin Alison Lewis, die am vergangenen Wochenende in Wien aufgetreten ist, sondern irgendeine US-Sängerin aus Detroit, Michigan. Die richtige Alison Lewis hat sich bei Facebook inzwischen zu Wort gemeldet. Sie betreibt dort ein Profil unter ihrem Künstlernamen “Zanias” und schreibt unter anderem:
I was indeed robbed on Friday night in Vienna. While I was on stage someone snuck into the backstage, went through my bag and took my phone and wallet. However…
– As anyone reading what I post on this page probably knows, that photo is not of me.
– The club was Das Werk not Grelle Forelle.
– My wallet contained no Australian notes, no cash at all.
Womit wir schon beim nächsten Problem des “Heute”-Artikels sind: Der australische Fünf-Dollar-Schein, durch den der Dieb aufgeflogen sein soll. Aus Alison Lewis’ Portemonnaie konnte er ihn jedenfalls nicht haben, weil die Sängerin, wie sie selbst schreibt, gar kein Geld dabeihatte — und erst recht kein australisches, schließlich lebt sie in Berlin. In einer Polizeimeldung ist allerdings auch von diesem Fünf-Dollar-Schein aus Australien die Rede.
Dann ist da noch die Uhrzeit, zu der der Dieb zugeschlagen haben soll. “Heute” gibt sie mit “gegen 5 Uhr Früh” an. Da stand Alison Lewis beziehungsweise “Zanias” aber gar nicht auf der Bühne, sondern zwischen 2 und 3 Uhr. Der “Das Werk”-Betreiber bestätigte uns auf Nachfrage, dass der Diebstahl zu dieser Uhrzeit stattgefunden haben muss.
In den Kommentaren unter dem Facebook-Post des “Grelle Forelle”-Teams wird noch ein weiterer Aspekt des Artikels heftig kritisiert: die Nennung der Nationalität des Diebes. Der Vorwurf ist in diesem Fall nicht, dass die Information falsch ist, sondern dass sie überhaupt im Artikel steht. Auch aus unserer Sicht macht es keinen Sinn, das Herkunftsland eines Handy-Diebes in einem Nachtclub zu nennen. Die beklaute Alison Lewis schreibt ebenfalls: “Why the fuck is his nationality even relevant to the story?” In der Polizei-Meldung ist von der Nationalität nichts zu lesen. Der Vorwurf vieler Kommentatoren lautet, dass “Heute” hier nur gegen Ausländer hetzen will.
Eine Frau in der Kommentarspalte gibt sich übrigens als Autorin des Artikels aus, und in ihrem Facebook-Profil steht tatsächlich “Heute” als Arbeitgeber — gut möglich also, dass ihre Angabe stimmt. Sie entschuldigt sich bei den Mitarbeiter der “Grelle Forelle” und versichert, dass sie sich die Geschichte nicht ausgedacht hat. Auf die Nachfrage, warum sie denn nicht wenigstens etwas recherchiert und mal bei der “Grelle Forelle” angerufen hat, antwortet sie:
An einem Sonntag ein bissl schwierig…
Mit Dank an Sander und @KaiOliverKraft für die Hinweise!
1. Analyse: So gefährlich ist das neue Hate-Speech-Gesetz für die Meinungsfreiheit (netzpolitik.org, Markus Reuter)
Justizminister Heiko Maas hat einen Gesetzenwurf gegen Hate Speech und Fake News vorgestellt (“Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung
in sozialen Netzwerken”). Experten kritisieren das Vorhaben. Markus Reuter fasst auf “Netzpolitik.org” zusammen: “Würde der Entwurf Gesetz werden, macht man die betroffenen Netzwerke ohne vorhergehende richterliche Überprüfung zu Ermittler, Richter und Henker über die Meinungsfreiheit.” Des Weiteren zitiert Reuter aus einer Stellungnahme der “Digitalen Gesellschaft”, welche die Meinungsfreiheit in Gefahr sieht: “Da eine vorherige gerichtliche Kontrolle nicht vorgesehen ist, müssen die Anbieter selbst entscheiden, ob diese Verpflichtung im Einzelfall greift oder nicht. In Anbetracht der hohen Bußgeldandrohungen bei Verstößen dürfte dies zu einer höchst proaktiven Löschpraxis der Anbieter führen, die im Zweifel stets zu Lasten der Meinungsfreiheit gehen wird.”
2. Der Fake-News-König bereut sein Tun (spiegel.de, Fabian Reinbold)
Jahrelang hat der Amerikaner Jestin Coler das Internet mit Falschnachrichten geflutet, die sich viral verbreiteten. Die von ihm gebastelte Fake-Seite “Denver Guardian” wurde bis zur amerikanischen Wahl 500.000 Mal geteilt und kommentiert. Auf der aktuell stattfindenden Tech-Konferenz “South by Southwest” gibt sich Coler geläutert, doch “Spiegel”-Reporter Fabian Reinhold ist skeptisch.
3. Fake News und Wahlen: Danke, Donald Trump! (blmplus.de, Stephan Weichert)
Der Blog der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien hat den Journalismus-Professor Stephan Weichert gefragt, wie Fake News Wahlen beeinflussen und was sie für den Journalismus bedeuten. Donald Trump sei ein Desaster für den Journalismus und werde ihm dennoch nutzen: Die Relevanz qualifizierter Berichterstattung werde erhöht und es komme zu einem Glaubwürdigkeitsverlust von Populisten. Außerdem hätte Trump viele Journalisten zu Aktivisten gemacht und damit eine Repolitisierung unter Intellektuellen, Medienschaffenden und Kreativen bewirkt.
4. Sparen am falschen Ende (djv.de, Anna-Maria Wagner)
Das ZDF will im Zuge seines Sparprogramms das fast 30 Jahre alte Traditionsmagazin „ML mona lisa“ einstellen. Die Referentin für Digitale Kommunikation beim “Deutschen Journalisten-Verband” Anna-Maria Wagner kritisiert die Entscheidung. Selbst wenn die Sendung in der bisherigen Form nicht mehr den Zeitgeist treffe, gäbe es einen wachsenden Markt für anspruchsvolle Frauen-Formate: “Der Erfolg neuer, feministisch geprägter Medienangebote zeigt aber, wie antiquiert die Begründung des ZDF-Intendanten ist, ein frauenspezifisches Format als solches sei überholt. Das Gegenteil ist richtig.”
5. “Darüber berichten die Medien nicht!” Wirklich nicht? (deutschlandfunk.de)
Ob AfD, Pegida, Lügenpresse-Rufer oder Verschwörungstheoretiker: Immer wieder wird unterstellt, dass bestimmte Themen von den Medien totgeschwiegen werden würden. Doch stimmt das? Für eine schnelle Überprüfung haben der Journalist Marc Krüger und der Internetentwickler Rolf-Thomas Langer den “Claim Checker” ins Leben gerufen: Eine Google-Suchmaske, die es einfacher macht, gezielt bei GoogleNews auf bestimmten Medienseiten nach einem Thema zu suchen. Der “Claim Checker” soll in Zukunft noch ausgebaut werden, die Entwickler freuen sich über Ideen, Kritik und Anregungen dazu.
6. Ryan Gosling Impersonators Have Been Fooling Conan For Years (youtube.com, Video, 2:54 Minuten)
Der Ryan-Gosling-Prank während der “Goldenen Kamera” hat sich bis nach Amerika rumgesprochen. Nun behauptet der US-amerikanische Talkshow-Moderator Conan O’Brien, ebenfalls Opfer von Gosling-Doppelgängern geworden zu sein.
Bei “Bild” und Bild.de gibt es heute die nächste Runde Stimmungsmache. Während es gestern um Asylanträge von (angeblichen oder tatsächlichen) “Mördern, Drogenhändlern, Vergewaltigern und anderen Schwerverbrechern” ging, hat die Redaktion heute “die schlimmsten Drohungen beim Asyl-Amt” zusammengetragen:
Wie gestern gilt auch heute: Die “Bild”-Autoren haben keine Ahnung, was aus den Leuten geworden ist, die bei ihren Anhörungen im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge diese Drohungen von sich gegeben haben sollen; ob die Anträge abgelehnt oder angenommen wurden, ob diese Personen zurückgeschickt wurden oder bleiben durften. Nichts wissen sie darüber. Und dennoch schreien sie laut: “neuer Irrsinn im Flüchtlingsamt BAMF”.
Und sie stellen solche Behauptungen auf:
Es geht um Menschen, die sich selbst als ausgebildete Selbstmord-Attentäter, ISIS-Kämpfer und religiöse Fanatiker darstellen. Sie alle finden im Schutz des Asylrechts Zuflucht in Deutschland.
Für die Aussage, dass “sie alle”, diese selbsternannten Selbstmord-Attentäter, ISIS-Kämpfer und religiösen Fanatiker, “im Schutz des Asylrechts Zuflucht in Deutschland” finden, hat “Bild” keinen einzigen Beleg.
Im Gegenteil: In einem der sechs Fälle, die das “Bild”-Autorenteam heute im Blatt präsentiert, klingt es stark nach Ablehnung des Asylantrags:
Bei den anderen fünf Fällen ist die Faktenlage noch dünner:
BILD dokumentiert erneut skandalöse Fälle. Und wieder will das Flüchtlingsamt nicht sagen, was aus diesen Menschen wurde und wo sie bei uns leben.
Interessant: Für “Bild” ist es gar keine Frage mehr, ob diese Menschen noch in Deutschland sind, sondern wo. Dabei müsste erstmal das Ob geklärt werden.
Damit könnte man der Leserschaft aber natürlich nicht so viel Angst machen:
Auch in Deutschland könnte von vielen Asylbewerbern offenbar noch große Gefahr ausgehen. Das zeigen BAMF-Dokumente, die BILD vorliegen.
Die “BAMF-Dokumente, die BILD vorliegen” zeigen erstmal nur, dass sechs Personen Drohungen bei ihren Anhörungen ausgesprochen haben. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Es kann durchaus sein, dass alle sechs längst nicht mehr in Deutschland sind.
1. “Bild”-Chef im Delirium (kontextwochenzeitung.de, Mario Damolin)
Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma hatte zur Podiumsdiskussion eingeladen. Thema der Veranstaltung: “Ethik und Moral im Boulevard?” Ein Thema, das angeblich einer der Talk-Gäste persönlich entworfen hatte: “Bild”-Chef Julian Reichelt. Mario Damolin hat die Veranstaltung besucht, die er als “einwandfreies Schmierenkabarett” bezeichnet: “Tatsächlich ist zu fragen, wer im Heidelberger Dokumentations- und Kulturzentrum der Deutschen Sinti und Roma auf die grandiose Schnapsidee gekommen ist, mit einem Schmierenjournalisten — oder wie es Peter Zudeick im Deutschlandfunk formulierte: mit einer “Krawallschachtel” — über journalistische Ethik reden zu wollen.”
2. Keine “postnatale Abtreibung” gefordert (faktenfinder.tagesschau.de, Patrick Gensing & Andrej Reisin)
Der oft scharf an der Fake-News-Grenze operierende “Zeit”-Kolumnist Harald Martenstein hat mal wieder zugeschlagen: In den USA würden Demokraten und Feministinnen angeblich fordern, Kinder nach der Geburt noch abtreiben zu dürfen. Der ARD-“Faktenfinder” ist der Sache nachgegangen und befindet: “Diese Behauptung ist nicht korrekt”. In Martensteins Kolumne würden verschiedene Debatten aus dem Kontext gerissen und grob vereinfacht bis falsch dargestellt.
3. Der kommerzielle Journalismus steckt in der Krise. So könnten Auswege aussehen. (netzpolitik.org, Christopher Buschow)
Das wahrscheinliche Ende vieler Zeitungen der DuMont-Gruppe ist ein neuerlicher Beweis für die Krise des kommerziellen Journalismus. Neugründungen könnten den Weg in die Zukunft zeigen, doch die Startbedingungen sind schwer. Medienforscher Christopher Buschow denkt darüber nach, wie Medien-Start-ups und journalistische Experimente gefördert werden können.
4. Ausgeliefert (spiegel.de, Rafael Buschmann)
Für Whistleblower Pinto (“Football Leaks”) war es die größtmögliche Niederlage: Ein ungarisches Gericht entschied, dass er nach Portugal überführt werden soll. Zuvor hatten ihm französische Ermittler die Aufnahme ins Zeugenschutzprogramm angeboten. In Portugal drohe ihm nicht nur juristisches Ungemach, wie er Anfang Februar sagte: “Ich fürchte, dass, wenn ich ein portugiesisches Gefängnis betrete, vor allem eines in Lissabon, ich dort nicht lebend herauskomme.”
5. Wenn die Verachtung von der Leine gelassen wird (uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Der “Achse des Guten”-Autor Bernhard Lassahn hat dem kürzlich in Ruhestand getretenen “SZ”-Ressortchef Heribert Prantl vorgeworfen, dieser verbreite Lügen über Väter und beschimpft ihn als Menschenverächter. Prantl sei der “wahre Relotius der ‘Süddeutschen'”. Ein dummer Vergleich, wie Boris Rosenkranz findet: “Man kann Prantl ja kritisieren: seine pastorale Art zu kolumnieren, die Formulierung im aktuellen Video, seine Thesen und Schlüsse, die er zieht. Doch an einer ernsthaften Diskussion, die abwägt und nicht ins Gegenteil verkehrt, sind Leute wie Lassahn nicht interessiert.”
6. Wenn extrem rechte Vereine als gemeinnützig gelten (tagesspiegel.de, Matthias Meisner)
Es ist schon makaber: Manche rechtsradikale Vereine genießen die Vorteile der Gemeinnützigkeit, während der Staat sie einer Organisation wie Attac entzieht. Matthias Meisner über fragwürdige steuerliche Begünstigungen, trickreiche Vereine und überforderte Finanzämter.
1. Facebook trackt Nutzer auf drei Viertel aller deutschen Nachrichtenseiten (rufposten.de, Matthias Eberl)
Matthias Eberl hat 130 deutsche Nachrichtenseiten ausgewertet. 75 Prozent würden Seitenaufrufe an Facebook weiterleiten, obwohl die Gesetze diese Form von Tracking untersagen würden. Auf das Argument, dass Nutzerinnen und Nutzer sich dagegen durch technische Maßnahmen schützen könnten, entgegnet Ebner: “Die systematische Auswertung unserer persönlichen Mediennutzung durch Facebook ist aber kein privates Problem, es hat eine gesellschaftliche Dimension. Daher sollte das Problem direkt bei den Verlagen gelöst werden.” Bis dies hoffentlich irgendwann geschieht, hat Ebner Tipps zur Selbsthilfe.
2. Ibiza-Video: Strache zeigt auch “Spiegel” und “Süddeutsche” an (derstandard.at, David Krutzler)
Der wegen des Ibiza-Videos zurückgetretene FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache hat seinen Anwalt Strafanzeige gegen alle Personen erstatten lassen, “die für Herstellung, Verbreitung und Veröffentlichung des Videos mitwirkend verantwortlich sind”. In Wien hatte er bereits eine derartige Anzeige erstattet, nun erfolgte dies auch in Hamburg und München, wo “Spiegel” und “Süddeutsche” ansässig sind. “Auch diese Strafanträge erfolgen in dem Bestreben, die Hintergründe, Beteiligten und möglichen Auftraggeber der Videoherstellung und Videoverbreitung zu ermitteln”, so Straches Anwalt.
3. Statement des Orga-Teams zur Bloggerin des Jahres 2017 (die-goldenen-blogger.de)
Das Organisationsteam der “Goldenen Blogger” hat der “Bloggerin des Jahres 2017” die Auszeichnung aberkannt: “Wir haben uns an diesem Wochenende untereinander beraten, recherchiert und mit fachkundigen Menschen gesprochen, um eine angemessene Reaktion zu finden. Was bringt Menschen dazu, so zu handeln? Diese Frage hat uns in den vergangenen Tagen umgetrieben. Wir fürchten: Die Antwort ist ebenso düster und traurig wie viele der Geschichten auf Readon, my dear.”
Zum Hintergrund: Bloggerin soll Holocaust-Opfer erfunden haben (tagesspiegel.de, Julia Prosinger).
4. Was macht eine gute Multimedia-Reportage aus? (journalist-magazin.de, Jens Radü)
Jens Radü hat sich als “Head of Multimedia” beim “Spiegel” Gedanken darüber gemacht, was eine gute Multimedia-Reportage ausmacht, jenseits von Bauchgefühl und Klickraten. Radü hat zehn Qualitätskriterien definiert, ist sich jedoch bewusst, dass dies nicht die Antwort auf alle Fragen ist: “Und? Ist das nun die Ikea-Bauanleitung für eine perfekte Multimedia-Geschichte? Die Schablone, mit der alles gut und einfach wird? Nein. Eine schlechte Geschichte wird auch mit den zehn Kriterien nicht außergewöhnlich gut werden. Und wenn die grundlegenden Qualitätskriterien — Richtigkeit, Vollständigkeit, Relevanz und dergleichen — nicht erfüllt sind, retten auch sanfte Übergänge oder ein Introvideo die Geschichte nicht. Aber der Katalog kann helfen, eine mittelmäßige Story zu verbessern, handwerkliche und dramaturgische Standards zu etablieren, mit denen ein gewisses Niveau nicht mehr unterschritten wird.”
5. Schein-Dementi und Nebelkerzen von Seehofer (reporter-ohne-grenzen.de)
“Reporter ohne Grenzen” hat vor wenigen Tagen vor brisanten Plänen des Bundesinnenministeriums gewarnt. Danach soll es deutschen Geheimdiensten künftig erlaubt sein, Medien im In- und Ausland digital auszuspionieren. Innenminister Horst Seehofer verteidigte in einem Interview mit “Bild” das Gesetzesvorhaben. Man wolle Terrorismus und Extremismus bekämpfen, nicht aber Medien oder Journalisten. Ein Schein-Dementi, wie “Reporter ohne Grenzen” findet: “Diese Versprechungen Seehofers sind rhetorisch geschickt, räumen die zentrale Kritik an der Aufweichung des Redaktionsgeheimnisses jedoch nicht aus.”
6. Programmzeitschrift muss für Krebs-Clickbait zahlen (lto.de)
Das Oberlandesgericht Köln hat die Programmzeitschrift “TV Movie” dazu verdonnert, dem Fernsehmoderator Günther Jauch 20.000 Euro zu zahlen wegen einer besonders unanständigen Form des Clickbaits: Die Zeitschrift hatte 2015 auf Facebook die Krebserkrankung eines anderen Moderators mit einem Jauch-Bild illustriert, um Aufmerksamkeit und Klicks zu erzeugen.
1. Hallo Leser, noch da? (kontextwochenzeitung.de, Rainer Stephan)
Rainer Stephan hat sich Gedanken zum Medienwandel gemacht und zieht einen interessanten historischen Vergleich: “An wen erinnern wir uns, wenn wir an große deutsche Publizisten denken? An Maximilian Harden, der sich im Untertanenklima des deutschen Kaiserreichs nicht scheute, den Monarchen persönlich in die Schranken zu fordern. An Karl Kraus — als die tonangebenden Geistesgrößen 1914 unisono den Krieg begrüßten, überzog er sie unnachgiebig mit seinen Wut- und Intelligenztiraden. Weil die großen Zeitungen das nicht ertrugen, gründeten Harden wie Kraus kurzerhand eigene Blätter, “Die Zukunft” und “Die Fackel”, die sie praktisch im Einmannbetrieb gestalteten. Sie, und nicht die heutigen Leitmedien, sind die Vorgänger der kritischen Blogger und Youtuber.”
2. “Die nächsten Monate werden supergefährlich” (sueddeutsche.de, Martin Bernstein)
Der Journalist Robert Andreasch ist für seine jahrelange Dokumentation der rechtsextremen Szene mit dem Publizistikpreis der Stadt München ausgezeichnet worden. Andreasch geht seiner Tätigkeit bereits seit mehr als 25 Jahren nach und ist dabei sowohl ins Visier von Neonazis als auch Verfassungsschutz geraten.
Weiterer Lesetipp: Drohbriefe an Journalisten: ABC-Alarm beim WDR Studio Dortmund (wdr.de).
3. Der Nutzer wünscht sich einen Kiosk im Netz (faz.net, Nora Sefa)
Die Landesanstalt für Medien NRW hat Menschen zur “Zahlungsbereitschaft für digitaljournalistische Inhalte” befragt. Von vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Befragung wurde die Idee einer allumfassenden Kiosk-Lösung geäußert, die Inhalte verschiedener Medienhäuser zum Einzelabruf anbietet. Kommentar des “6 vor 9”-Kurators: Die Befragten mögen sich ein derartiges Angebot wünschen, ob sie es nutzen, ist eine andere Frage. Bemühungen in dieser Richtung blieben in der Vergangenheit erfolglos (“Blendle”). Und auch “Readly” mit seiner Magazin-Flatrate tut sich noch schwer in Deutschland.
4. Wenn der Mensch mit der Maschine: die Zukunft des Journalismus ist hybrid (medienwoche.ch, Adrian Lobe)
Der US-Journalist Nicholas Diakopoulos hat ein Buch zur Automatisierung des Journalismus geschrieben (“Automating the News”). Adrian Lobe hat sich das Buch angeschaut und fasst die wichtigsten Erkenntnisse daraus zusammen.
5. Lizenz zum Lesen, oder auch nicht (taz.de, Helena Werhahn)
Stell dir vor, dein Buchhändler bricht nachts in dein Haus ein, entwendet einige deiner Bücher und schleicht sich wieder aus dem Haus. Was in der Realwelt schwer vorstellbar ist, praktiziert derzeit Microsoft mit dem Einstellen seiner E-Book-Sparte. Microsofts E-Book-Kunden können nicht nur keine weiteren Bücher erwerben, es gehen auch alle in der Vergangenheit erworbenen Bücher verloren. Der deutsche Buchhandel hätte sich kein besseres Szenario zur Bewerbung des klassischen Buchs ausdenken können.
6. Presserat: “Bild”-Artikel über Ausgewogenheit von “Bild” zu einseitig (uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Der Deutsche Presserat stellt nach einer Beschwerde von “Übermedien” fest, dass der “Bild”-Artikel über die Ausgewogenheit von “Bild” zu unausgewogen war, und spricht einen “Hinweis” (PDF) aus. “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt gibt sich wie gewohnt uneinsichtig. Stefan Niggemeier dröselt den Vorgang auf.
1. Kurzarbeit trotz hoher Nachfrage (deutschlandfunk.de, Christoph Sterz)
Durch das wegbrechende Anzeigengeschäft verzeichnen Zeitungs- und Zeitschriftenverlage derzeit hohe Einnahmeverluste. Die Medienhäuser verfallen daher oft auf das Mittel der Kurzarbeit. Dabei hätten Arbeitsaufwand und Nachfrage in Zeiten von Corona zum Teil deutlich zugenommen, so Christoph Sterz im Deutschlandfunk. Der Deutsche Journalisten-Verband habe darauf hingewiesen, dass “viele Kolleginnen und Kollegen derzeit mehr arbeiten als vor Corona, weil die digitalen Angebote erheblich ausgeweitet wurden und gewohnte Abläufe umgestellt werden mussten”.
Weiterer Lesehinweis beziehungsweise Hörtipp: Kurzarbeit beim “Tagesspiegel”: “Müssen sehen, dass wir wirtschaftlich überleben”, ein Gespräch mit der “Tagesspiegel”-Geschäftsführerin Ulrike Teschke im Deutschlandfunk.
2. Besondere Auszeichnung für herausragende Kommunikation in der Coronavirus-Pandemie (dfg.de)
Christian Drosten, Virologe an der Berliner Charité, erhält den “Sonderpreis für herausragende Kommunikation der Wissenschaft in der Covid19-Pandemie”. Der Preis wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Stifterverband vergeben und ist mit 50.000 Euro dotiert. Drosten erkläre den Menschen “auf anschauliche, transparente und faktenbasierte Weise, was die Wissenschaft weiß, wie sie arbeitet und welche Unsicherheiten bestehen.”
Hörtipp: “Das Coronavirus-Update”, der vielgelobte NDR-Podcast mit Christian Drosten.
3. Medien im Corona-Rausch: Finger weg vom Alkohol (uebermedien.de, Frederic Servatius)
Laut Gesellschaft für Konsumforschung habe der Einzelhandel in den vergangenen Monaten im Vergleich zum Vorjahr deutlich mehr alkoholische Getränke verkauft. Es gehe um Steigerungsraten von 31 Prozent für klare Spirituosen und 34 Prozent bei Wein. Einige Medien sahen die Republik bereits im coronabedingten Vollrausch, unterschlugen dabei jedoch einen wichtigen Aspekt, so Frederic Servatius: “Natürlich verlagert sich in einer Zeit, in der Bars und Restaurants geschlossen haben, der Einkauf von Alkohol auf den Einzelhandel. Gibt ja quasi keine Alternative mehr. Die Folge ist aber nicht, dass insgesamt mehr Alkohol gekauft wird. Es wird bloß im Einzelhandel mehr gekauft.”
4. Zensurheberrecht: Bundesregierung sieht keinen Handlungsbedarf (fragdenstaat.de, Arne Semsrott)
Das Informationsfreiheitsgesetz gewährleistet den Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen gegenüber Bundesbehörden und sonstigen Bundesorganen. Doch was nützt ein Rechtsanspruch, wenn er von behördlicher Seite mit oftmals zweifelhaften Begründungen (“Urheberrecht”) unterlaufen und abgewimmelt wird? Das Portal “FragDenStaat” kennt dieses Problem nur zur Genüge — es wurde wegen der Veröffentlichung eines Gutachtens zu Krebsrisiken von Glyphosat sogar von Behördenseite verklagt. Eine Kleine Anfrage der Grünen habe nun ergeben, dass das klagende Bundesamt für dieses und ähnliche Verfahren bereits mehr als 100.000 Euro ausgegeben habe.
5. Wie die Tagesschau auf TikTok junge Leute erreicht (anchor.fm, Levin Kubeth, Audio: 1:04:34 Stunden)
Als die “Tagesschau” ihr Angebot auf die Kurzvideo-Plattform TikTok ausdehnte, um dort mit eigenen Inhalten ein junges Publikum zu erreichen, wurde dies von vielen belächelt und bespöttelt. Doch das Angebot wird von den TikTok-Userinnen und -Usern sehr geschätzt: Rund 450.000 Follower freuen sich über die Info-Schnipsel, die kurzen Erklärvideos und das Behind-the-scenes-Material. Im “Unter zwei”-Medienpodcast hat sich Levin Kubeth mit Antje Kießler unterhalten, die im “Innovationslabor” der “Tagesschau” arbeitet und verschiedene Formate auf TikTok und Instagram moderiert.
6. Schlechtes Timing für den Abgang (sueddeutsche.de, Cathrin Kahlweit)
Die britische Boulevardpresse kann es anscheinend nur schwer verwinden, dass sich die beiden nunmehr Ex-Royals Harry und Meghan dem Yellow-Press-Zirkus entziehen und wettert und geifert ihnen noch einmal hinterher. Das Paar dürfte sich deshalb in seinem Entschluss bestätigt fühlen, den Kontakt mit vier großen britischen Boulevardmedien (“Sun”, “Daily Mirror”, “Daily Mail”, “Express”) abgebrochen zu haben. Cathrin Kahlweit berichtet aus London über den Konflikt, der auch auf juristischem Weg ausgetragen wird: Demnächst beginnt ein Prozess wegen eines privaten Briefs von Meghan an ihren Vater, der ohne ihre Erlaubnis von der “Mail on Sunday” abgedruckt worden war.
1. Kommentar: Die Kritik an Rezo und dem Nannen-Preis zeigt ein Grundproblem des alten Journalismus (meedia.de, Tobias Singer)
Als der Youtuber Rezo mit dem Nannen-Preis ausgezeichnet wurde, gab es nicht nur Glückwünsche, sondern auch Kritik. An manchen Stellen hieß es, die Wahl der Jury sei ein Fehler gewesen. Der Hauptvorwurf: Rezo sei kein Journalist und arbeite auch nicht wie einer. Deshalb käme er für die Verleihung eines Journalistenpreises nicht in Frage. Tobias Singer ist anderer Meinung und nennt dafür einige gute Gründe.
2. Von “Welt”-Experten und wirklichen Fachleuten (uebermedien.de, Rüdiger Bachmann)
Der Wirtschaftswissenschaftler Rüdiger Bachmann kritisierte auf Twitter die “Welt” dafür, dass sie zwei Ökonomen eine Stimme gebe, die er für “brandgefährlich” und “Scharlatane” halte. “Welt”-Chefredakteur Ulf Poschardt bot ihm daraufhin einen Gastbeitrag an: “Schreiben Sie für uns doch mal auf, wie Sie Wissenschaft in Massenmedien sehen wollen.” Bachmann setzte sich an den Rechner, verfasste einen Beitrag und schickte ihn an die “Welt”. Dort habe man jedoch überraschend die Veröffentlichung abgelehnt. Nun ist “Übermedien” für die “Welt” eingesprungen und veröffentlicht Bachmanns Beitrag.
3. Warum so viele Menschen an Corona-Verschwörungstheorien glauben (socialmediawatchblog.de, Simon Hurtz & Martin Fehrensen)
Warum glauben so viele Menschen an Corona-Verschwörungstheorien? Was wird auf Social Media geteilt, wie wird geteilt und wer steckt dahinter? Um diese und viele weitere spannende Fragen geht es im heutigen Social Media Briefing, das ausnahmsweise auch für Nicht-Abonnenten frei zugänglich ist.
4. Nichts mit Quatschen auf dem Flur – funktioniert Journalismus als Videokonferenz, Jochen Wegner? (horizont.net, Volker Schütz, Video/Audio: 16:55 Minuten)
“Horizont”-Chefredakteur Volker Schütz und “Zeit Online”-Chefredakteur Jochen Wegner haben sich zum Video-Talk getroffen (auch als Audiomitschnitt abrufbar). In ihrem Gespräch geht um die Auswirkungen der Corona-Krise auf den Journalismus, um Digitalisierung und Datenjournalismus und um die Frage, wie die Redaktion ihre organisatorischen Abläufe neu gestaltet. Derzeit befänden sich 200 Redakteurinnen und Redakteure im Home Office. In Zoom-Meetings schlössen sich wöchentlich 80 von ihnen zur Videokonferenz zusammen.
5. Analyse von Talkshows zu Corona in Das Erste und ZDF (planet-interview.de, Jakob Buhre)
Jakob Buhre hat die Corona-bezogenen TV-Talkshows der vergangenen zwei Monate ausgewertet (“Markus Lanz”, “Maybrit Illner”, “Hart aber fair”, “Anne Will” und “Maischberger”). Er wollte vor allem wissen, welche Parteien in den Sendungen vorkommen, und wie häufig ostdeutsche Gesprächspartnerinnen und -partner eingeladen werden. Eine der Erkenntnisse: “Karl Lauterbach (SPD) ist mit 12 Auftritten genauso häufig zu sehen wie alle ostdeutschen Politiker zusammen.”
6. Warum Ausgangsbeschränkungen kein Lockdown sind (deutschlandfunk.de, Stefan Fries, Audio: 1:56 Minuten)
Lockdown, Shutdown, Ausgangsbeschränkungen, Ausgangssperre, Kontaktsperre … In der Berichterstattung zum Coronavirus gehen derzeit viele Begriffe durcheinander und werden oft falsch verwendet. Im rund zweiminütigen Sprachcheck erklärt Stefan Fries die korrekte Verwendung des Corona-Vokabulars.
Weiterer Hörtipp: Warum die Autoprämie gar keine Prämie ist (deutschlandfunk.de, Stefan Fries, Audio: 2:22 Minuten).
Na sowas: Am 2. August meldete “Bild” auf Seite 1: “Bewiesen! Alkohol macht schlau” – und unter Verweis auf eine britische Studie hieß es, dass regelmäßige Trinker bei Intelligenztests “deutlich besser als Abstinenzler” abgeschnitten hätten. “Die besten Resultate”, so “Bild” weiter, “erreichten diejenigen, die eine halbe Flasche Wein oder rund einen Liter Bier pro Tag trinken”. Die Meldung begann mit dem Satz: “Na denn: Prost!”
Am 8. September wiederum meldete “Bild” auf Seite 1: “1 Liter Bier täglich ist gesund” – und unter Verweis auf eine österreichische Studie hieß es: “Männer können täglich 1 Liter Bier trinken, Frauen die Hälfte.” Denn Bier, so “Bild” weiter, beuge Schlaganfälle, Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen, Knochenschwund vor und “mache nicht dick”. Die Meldung begann mit dem Satz: “Na dann Prost!”
Zwischendurch, am 30. August, hieß es auf Seite 1 sogar: “Ein ganzes Leben ohne Alkohol kann tödlich sein!” Und jetzt das:
Da meldet “Bild” doch tatsächlich mit Datum vom 5. November 2004, “daß die tägliche Trinkmenge, bei der langfristig keine Schäden drohen, viel niedriger liegt als zumeist angenommen”! Nachdem nämlich die “Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen” (DHS) und die Barmer Ersatzkasse vorgestern eine Pressekonferenz zum “Umgang mit Alkohol” abhielten, ist Schluss mit lustig. Denn “Bild” hat nicht nur mit einem “Alkoholforscher” gesprochen (“Problematisch ist, daß sich Alkoholkranke durch Meldungen über die Schutzwirkungen bestätigt fühlen könnten.”), sondern auch einen DHS-Experten. Der sagt:
“Der Risikokonsum beginnt bei Frauen mit ca. 20 Gramm und bei Männern mit ca. 30 Gramm reinen Alkohols täglich. Ein Glas Rotwein (0,2 Liter) enthält circa 19 Gramm Alkohol, dieselbe Menge Weißwein nur 18 Gramm. Eine Flasche Bier (0,5 Liter) enthält 20 Gramm reinen Alkohol.”
“Hitler” macht sich hierzulande meistens ziemlich gut in einer Überschrift, das Wort “geheim” auch, “UFO” immer. Und “Bild” hatte es am gestrigen Montag geschafft, alle drei Wörter in einer einzigen Schlagzeile unterzubringen und schrieb also:
“Historiker enthüllen: Hitlers geheime UFO-Pläne”
Und natürlich sind – um das vorweg zu sagen – die erwähnten UFOs keine Fortbewegungsmittel Außerirdischer, wie das Wort “UFO” im alltäglichen Sprachgebrauch suggeriert, sondern bloß bombentragende, fürs Radar unsichtbaren, tragflächenlose „Flugkreisel” mit Propeller an der Unterseite, Düsenantrieb und einem Cockpit mit Plexiglas-Kuppel, wie auch “Bild” die Enthüllungen einer Doku des “renommierten TV-Senders ‘Discovery'” zusammenfasste, auf welcher der komplette Artikel beruhte und die, wie “Bild” nicht mal unerwähnt ließ, bloß “neue, größenwahnsinnige Details” zu bieten hat.
Worin genau die neuen “Details” bestehen, machte “Bild” zwar in ihrer Berichterstattung nirgends deutlich. Aber egal, denn Tatsache ist: “Hitlers geheime UFO-Pläne” waren damals, vor ungefähr 60 Jahren, fraglos geheim. Inzwischen sind sie es aber nicht mehr so. Und mehr dazu würde hier auch definitiv zu weit führen – odernochweiter.
Tatsache ist aber außerdem, dass die Geschichten und Verschwörungstheorien rund um “Hitlers geheime UFO-Pläne” insbesondere in der Neonazi-Szene verbreitet sind und werden, wie man, wenn man will, vielleicht am besten beim “Informationsdienst gegen Rechtsextremismus”* von Margret Chatwin nachlesen kann. Aber auch das führt hier vielleicht zu weit. Schließlich handelte es sich bei der “Bild”-Geschichte doch im Grunde nur um eine Art Programmhinweis (bei dem “Bild allerdings in ihrem Mitteilungsbedürfnis über die “bizarren Wunderwaffen” völlig zu erwähnen vergaß, wann, wo oder wieso der “Discovery Channel” die Doku zeigt/gezeigt hat/zeigen wird), oder? Außerdem ist “Bild” ja heute bereits wieder bei ganz anderen Themen angelangt und berichtet lieber über:
“Hitlers irre Wunder-Waffen”
Mit Dank an Thomas H., Adrian J., Daniel. R., Henrik T., Denis M., Rainer M. und andere für die Hinweise.
Nachtrag, 13:23:
Okay, überall dort im Lande, wo die gestrige “Hitler”-Story sogar die Titelschlagzeile war, stand (anders als z.B. in der Berlin-Ausgabe) offenbar auch ein Hinweis, dass die Doku vom “Discovery Channel” am 18.12. ausgestrahlt werde. Beim “Discovery Deutschland” weiß man davon allerdings auf Nachfrage nichts. Auch im Programmablauf ist nichts dergleichen verzeichnet. Aber das muss ja noch nichts heißen…
Nachtrag, 15:37:
Zum Glück weiß ein “Bild”-Sprecher auf Nachfrage Genaueres: So ging die Berichterstattung in “Bild” offenbar zurück auf eine Veröffentlichung im britischen “Daily Express”, der am 5.12. über die TV-Doku berichtete, die wiederum im britische Spartensender “Discovery Science” am 18.12. um 20 Uhr (Ortszeit) ausgestrahlt werde – womit (nachdem bei Bild.de – Nachtrag, 8.12.2004 – nachträglich sogar der Hinweis “am 18. Dezember im TV” hinzugefügt wurde) wenigstens das soweit geklärt ist.
Im Sommer 2002 kam es in einem Zweifamilienhaus in Burladingen, in der Nähe von Tübingen, zu einem Familienstreit. Das Haus gehört dem Sohn, der mit seiner Familie im Erdgeschoss lebte; im Obergeschoss wohnten seine Mutter und sein Stiefvater. Vom Balkon aus bewarfen beide einen Gast des Sohnes mit einer Bierflasche und einem Aschenbecher und beschimpften ihn heftig.
Nach weiteren ständigen Streitereien kündigte der Sohn seinen Eltern im Juli 2004 und setzte die Räumung der Wohnung vor dem Amtsgericht Hechingen durch. Entscheidend für dessen Urteil war der Vorfall zwei Jahre zuvor. Laut “Zollernalbkurier” ging die Mutter daraufhin zur “Bild”-Zeitung. Die veröffentlichte in ihrer Stuttgarter Ausgabe in großer Aufmachung eine herzzerreißende Geschichte über die guten Eltern, die ihr Leben lang alles für ihren Sohn getan haben, und nun zum Dank von ihrem Sohn und der unbarmherzigen Schwiegertochter auf die Straße gesetzt werden. Den entscheidenden Vorfall mit Bierflasche und Aschenbecher erwähnte “Bild” nicht. Die Schlagzeile lautete:
Die Herzlosigkeit des Sommers
Illustriert wurde der Artikel mit einem Foto des Hauses der Familie, einem großen Portraitbild des Sohnes in Anzug und Fliege (mit schwarzem Balken über den Augen) und einem Foto von den Eltern in ärmlicher Kleidung.
Der Sohn klagte wegen dieser Berichterstattung gegen den Springer-Verlag als Herausgeber der “Bild”-Zeitung — und bekam am vergangenen Freitag Recht. Laut “Südwest Presse” (nachzulesen auch hier) wurde die “Bild”-Reporterin vom Landgericht Tübingen “in scharfer Form” gerügt:
Sie habe (…) in grober Weise gegen die journalistische Sorgfaltspflicht verstoßen. (… Bei dem Artikel) sei es der Verfasserin nur auf die “Story” angekommen, “ohne Rücksicht darauf, ob diese Story der Wahrheit entspricht”.
Das Gericht sah darin eine gravierende Verletzung des Persönlichkeitsrechts, weil “Bild” ihn als “herzlosen und unbarmherzigen Unhold” öffentlich in einer Auflage von 400.000 Exemplaren an den Pranger stellte, ohne die Hintergründe des Streits untersucht zu haben. Springer muss dem Sohn 10.000 Euro Schmerzensgeld zahlen.
Wenn “Bild” heute auf Seite 2 mal wieder “weitere wichtige Fragen zum Besuch von Benedikt XVI.” beantwortet, dann ist das doch eine gute Gelegenheit, mal eben auf den 21. April zurückzukommen, oder? Schließlich hieß es da in “Bild”:
“Die Wahl des deutschen Kardinals Joseph Ratzinger wirft viele Fragen auf. BILD beantwortet die wichtigsten”
Und auf die wichtige Frage “Hat der Papst ein neues Wappen?” antwortete “Bild” damals:
Bedauerlicherweise stimmte an der “Bild”-Antwort nur das Wörtchen “Ja” am Anfang. Der Rest ist Unfug: Das auf dem “Foto” abgebildete Wappen nämlich war mitnichten “vorläufig” (oder gar “neu”, wie es dazu bei Bild.de heißt), es ist nicht mal ein “Papstwappen” und erst recht nicht das von Benedikt XVI.. Dessen neues Wappen wurde laut Radio Vatikan (und pfarre-horn.at) “erstmals zur Amtseinführung”, also erst ein paar Tage nach Erscheinen der “Bild”-Antwort, “in einer skizzenhaften grafischen Version” veröffentlicht und sieht selbst in der endgültigen Fassung nicht nur ganz anders aus, sondern hat auch eine komplett andere Bedeutung.
Das “Foto” in “Bild” indes zeigt nichts weiter als das offizielle Wappen des Vatikans – und das wiederum nicht erst seit April oder so, sondern (mehr oder weniger) schon seit dem 14. Jahrhundert. Dumm nur, dass die Erklärung von “Bild” nicht mal dazu passt: Die “große Kordel” beispielsweise verweist im Vatikanwappen auf den Bund zwischen der Macht des Himmelreichs und der göttlichen Herrschaft des Papstes auf Erden. Dass die Kordel “den starken Zusammenhalt des Papstes mit den katholischen Christen” symbolisiert, hatte sich “Bild” daher wohl spontan zurechtphantasiert.
Aber davon, dass “Bild” wichtige Fragen auch richtig beantwortet, war in “Bild” ja auch nie die Rede.
Mit Dank an Filippo R. für den Hinweis.
Nachtrag, 20.8.2005:
Wen wundert’s da, dass “Bild” auch die Frage “Wer schützt den Papst?” u.a. mit dem Satz “Die Schweizergarde ist nicht in Köln.” beantwortet, obwohl das offenbargarnichtstimmt?
Natürlich ist es möglich, dass in den nächsten 30 Jahren die Teuerungsrate jährlich zwei Prozent beträgt, die Löhne aber nur um ein Prozent steigen und die Renten gar nicht. Möglich ist aber auch, dass uns in den nächsten 30 Jahren der Himmel auf den Kopf fällt oder sich herausstellt, dass das Erdinnere aus Schokoladenpudding besteht. Man kann diese Dinge nicht völlig ausschließen. Aber es empfiehlt sich vielleicht auch nicht, seine Lebensplanung darauf einzustellen.
“Bild” sieht das anders.
Die “Bild”-Zeitung tut zur Zeit wieder einmal, was sie routinemäßig mehrmalsjährlichtut: Sie behauptet, dass unsere Rente noch viel weniger sicher ist, als sie beim letzten Mal schon behauptet hat. Aktueller Aufhänger ist die Prognose des Freiburger Ökonomieprofessors Bernd Raffelhüschen in der “Rheinischen Post”, wonach es in den kommenden Jahrzehnten möglicherweise keine oder nur geringe Rentenerhöhungen geben könnte. Die “Bild”-Zeitung berichtete über diese These am Montag groß auf den Seiten 1 und 2 — und bis hierhin geht das auch in Ordnung.
Am Dienstag aber war ihr die ohnehin schon dramatische Prognose nicht mehr dramatisch genug, und sie spitzte sie erheblich zu: Nun ging “Bild” (anders als Raffelhüschen) davon aus, dass es in keinem einzigen der nächsten 30 Jahre eine Rentenerhöhung geben werde. Verschärfend nahm das Blatt (als “vorsichtige Schätzung”) eine konstante Dauerinflation von zwei Prozent an (vor vier Monaten ging der gleiche “Bild”-Autor Oliver Santen bei einer ähnlichen Geschichte noch von einer Inflationsrate von 1,4 Prozent aus, warum auch immer).
Daraus errechnete “Bild” dann eine bedrohliche Tabelle, aus der “Bild”-Leser ablesen konnte, wieviel ihr heutiger Rentenanspruch 2020 oder 2025 oder gar 2035 wert sein wird. Die Berechnungen könnte man leicht mit dem Taschenrechner anstellen (für jedes Jahr einfach zwei Prozent abziehen), aber “Bild” gibt als “Quelle” das “Deutsche Institut für Altersvorsorge” (DIA) an. Auf dessen Know-How greift die Zeitung gerne zurück, und vergaß nur, wie schon früher, den Hinweis, dass es sich dabei nicht um unabhängige Experten handelt, sondern eine Gesellschaft, hinter der Firmen stehen, die ihr Geld nicht zuletzt damit verdienen, dass sie Menschen private Altersvorsorge verkaufen — also genau das, was das Studium der beunruhigenden Tabelle nahelegt. (Dass private Altersvorsorge auch sinnvoll erscheint, wenn man nicht auf die “Bild”-Panikmache hereinfällt, steht auf einem anderen Blatt.)
Selbst das DIA kommt sonst zu ganz anderen Ergebnissen, als denen, die es für “Bild” errechnete — was zeigt, wie abwegig die Annahmen der Zeitung sind. In seiner “aktuellen Prognose zum Rentenniveau” geht das Institut von einer deutlich niedrigeren Inflationsrate und besseren Lohnentwicklung aus als “Bild”. Entsprechend deutlich unterscheidet sich die Rentenentwicklung: Während “Bild” prognostiziert, dass der reale Wert der Renten zwischen 2010 und 2035 um 40 Prozent sinkt, nimmt er laut DIA-Prognose sogar marginal zu.
Weil “Bild” solche Geschichten gerne über mindestens drei Tage zieht, fragen heute in gewaltiger Größe auf Seite 1 viele Menschen mit “Bild”-Zeitung in der Hand: “SCHRUMPF-RENTE — Wovon sollen wir im Alter leben?” Da ist der Hotelfachfrau-Auszubildenden Katharina, “ganz mulmig”, seit sie glaubt, dass ihr Rentenanspruch gerade mal 140 Euro wert sei. Vielleicht sollte jemand die 21-jährige in den Arm nehmen und ihr sagen, dass sie doch (hoffentlich) noch viele Jahre vor sich hat, in denen sie mehr verdient und ihren Rentenanspruch erheblich steigert.
Die (in der Sache natürlich parteiische) “Deutsche Rentenversicherung” nannte die “Bild”-Berichte heute “unverantwortlich”, die ihr zugrunde liegenden Annahmen “unseriös und nicht nachvollziehbar” und die Berechnungen “unrealistisch”. In der Pressemitteilung heißt es, wenn die Annahmen von “Bild” über Inflation und Lohnsteigerungen einträfen, hätte das “unabsehbare Auswirkungen auf die Wirtschaft unseres Landes, die weit über die Verschlechterung der Einkommenssituation der Rentner hinaus gingen”. Mit anderen Worten: Dann dürfte auch durchschnittlichen “Bild”-Redakteuren ganz mulmig werden, weil sie sich schon vor dem Ruhestand von ihrem Gehalt nichts mehr kaufen könnten.
Wir haben aber sicherheitshalber noch einen Unbeteiligten um sein Urteil gebeten. Fragt man Carsten Germis, Wirtschaftsredakteur der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung”, nennt er die “Bild”-Berichterstattung “kompletten Schwachsinn” und “Leuteverarschung”.
Als der Presserat kürzlich seinen 50. Geburtstag feierte, sagte der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer AG, Mathias Döpfner, einen Satz, der ihm “großen Beifall” einbrachte. Er kritisierte, dass die Freiwillige Selbstkontrolle der Presse nicht für den Online-Bereich gelte und fügte hinzu:
“Es ist gespenstisch, wie das Internet ausgeklammert wird.”
Recht hat er. Die mangelnde Selbstkontrolle zwingt zum Beispiel Bild.T-Online, eine Tochter der Axel Springer AG, deren Vorstandsvorsitzender Mathias Döpfner ist, geradezu, Werbung verbotenerweise als redaktionellen Inhalt zu verkaufen.
“Botschaft an die Medien: Das einzige, wovor die Presse mich verschonen soll, sind die ewigen Verleumdungen meiner selbst, die Fehlinterpretationen, die Besserwisserei und der mangelnde Respekt mir gegenüber.” (Natascha Kampusch im August 2006)
Wie schon im letzten Sommer hat die Wiener Gratiszeitung “heute” nun abermals ihren mangelnden Respekt gegenüber Natascha Kampusch öffentlich gemacht und auf fünf Seiten “bislang unter Verschluss gehaltene Dokumente” veröffentlicht, die, um’s bei einer Formulierung der Nachrichtenagentur APA zu belassen, “sehr persönliche Details aus der Zeit von Kampuschs Gefangenschaft” beinhalten.
Nach der Veröffentlichung hat Kampuschs Anwalt rechtliche Schritte gegen “heute” angekündigt; die Wiener Staatsanwaltschaft ermittelt wegen “Verletzung des Amtsgeheimnisses”; und Kampusch selbst schreibt in einer Stellungnahme:
Ich bin entsetzt, dass diese vertraulichen Akten in die Öffentlichkeit gelangen konnten.
Der Satz stand gestern auch in “Bild” — nachdem “Bild” selbst ausführlichst aus den vertraulichen Akten zitiert und die “Akte Kampusch” sogar zur Titelschlagzeile gemacht hatte und nachdem “Bild” sich bereits tags zuvor nicht zu schade war für Fragen wie: “Wurde Natascha als Sex-Sklavin missbraucht?”
Aber auch das war ja schon im Sommer 2007 so — als Kampuschs Anwalt es für notwendig hielt, abermals darauf hinzuweisen, dass “auch Frau Kampusch (…) das Recht auf Privatsphäre” hat, in der “Medien wirklich nichts verloren” haben.
Die “Bild am Sonntag” hat sich heute übrigens für eine Kampusch-Doppelseite entschieden, aber zwischen psychologischen Ferndiagnosen, abwegigen Verdächtigungen, Überschriften wie “Wie freiwillig war der Sex mit ihrem Peiniger?” und “War Natascha schwanger?” für Kampuschs Empörung und ihr Recht auf Privatsphäre keinen Platz mehr gefunden.
1. Mit Gabor Steingart in der Welt von Streichers “Stürmer” (carta.info, Peter Ruhenstroth-Bauer)
“Handelsblatt”-Herausgeber Gabor Steingart schrieb am Freitag in seinem morgendlichen Newsletter dem SPD-Politiker Martin Schulz die Fähigkeiten als Kanzlerkandidat ab: kein Abitur, früher mal Trinker, jetzt grantelnder Abstinenzler.
Peter Ruhenstroth-Bauer sieht im Erledigen eines Menschen “in sechs Sätzen” eine “Stürmer-Manier”: “Es läuft etwas schief bei uns, wenn der Herausgeber einer weithin nicht unbekannten Wirtschafts- und Finanzzeitung in sechs Sätzen einen Politiker so menschenverachtend beschreibt. Das, was da als journalistisch flotter morgendlicher Anreißer daherkommt, ist in Wahrheit eine ganz bewusste Grenzüberschreitung.”
2. Neun Tage für eine neue Zeitung (nzz.ch, Viola Schenz)
Viola Schenz schreibt über den überraschenden Erfolg der britischen Wochenzeitung “The New European”, die sich an die Brexit-Gegner richtet: “Dabei ist sie nicht einmal hübsch: Mit der plumpen Typografie, den grossen, sehr bunten Fotos und Karikaturen gleicht sie einem aus der Zeit gefallenen Boulevardblatt. Aber um Ästhetik geht es bei dieser Schnellgeburt nicht, sondern um Inhalte und Symbolik. Jede Ausgabe ist 48 Seiten dick, entsprechend dem Prozentsatz der Brexit-Gegner, gefüllt mit meist klugen Essays über den Unsinn eines EU-Austritts und die Vorzüge gesamteuropäischer Lebensart, mit Karikaturen und britischem Humor (‘Warum wir Lego lieben und die Brex Pistols hassen’).”
3. “Trump ist die Bewunderung der ‘New York Times’ wichtig” (zeit.de, Daniel-C. Schmidt)
Was Donald Trump von den meisten US-Medien und ihren Vertretern hält, ist inzwischen ziemlich klar: die Presse sei verlogen, Journalisten seien Abschaum, er entzog manchen Redaktionen die Akkreditierungen für seine Veranstaltungen. Bei vielen Publikationen ist inzwischen ähnlich klar, was sie vom künftigen US-Präsidenten halten: nicht viel. Aber, das zeigte sich schon früh im Wahlkampf, Trump bringt Quote. Daniel-C. Schmidt spricht mit Margaret Sullivan, Kolumnistin bei der “Washington Post”, über das komplizierte, ambivalente Verhältnis zwischen Trump und den Medien.
4. Last man standing (taz.de, Markus Sehl)
Am Mittwoch wird die letzte Ausgabe der türkischen Zeitung “Zaman” an Kiosken in Deutschland liegen. Dann ist Schluss, Ende, finito. Markus Sehl hat das Verlagsgebäude und die Druckerei in Offenbach besucht. Dort, wo früher mal 150 Menschen gearbeitet haben, sieht es jetzt aus wie in einem Geisterhaus.
5. VW-CEO Matthias Müller im Interview-Check-Up (pressesprecher.com, Stefan Zuber)
Vorletzte Woche erschien in der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” ein Interview mit VW-Chef Matthias Müller, das für einigen Wirbel sorgte — Müller setzte darin gleich zweimal zur Attacke in Richtung Kunden an. Stefan Zuber bewertet Schritt für Schritt “die Performance” von Müller und des VW-Kommunikationsteams aus Sicht eines Pressesprechers (“Aufgabe der Medienleute ist es, den Chef sorgsam vorzubereiten und gegebenenfalls durch eine behutsame Nachbearbeitung der Zitate Unschärfe zu bereinigen.”). Sein Fazit: lief nicht so gut für VW. Achtung, kann Spuren von PR-Sprache enthalten.
6. Liebe gegen Hasskommentare — ein Selbstversuch (faz.net, Friederike Haupt)
Hass, Hass, Hass, wohin man im Internet nur schaut. Friederike Haupt wollte mal was Nettes dagegensetzen: “Ich wollte einen Tag lang nur Liebeskommentare schreiben: Komplimente, Dankeschöns, Besinnliches. Nichts davon sollte gelogen sein.” Spoiler: Der Erfolg war mittelmäßig.
Schon gehört? Kroatien ist nicht mehr Mitglied in der Europäischen Union. Außerdem liegt Bulgarien jetzt in Südamerika. Und den Sieg der deutschen Nationalmannschaft 2014 bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien? Den hat es nie gegeben. Steht so alles bei Bild.de.
Denn “Bild”-Mitarbeiter haben nicht nur ein Talent für die große Desinformation, sie sind auch besonders gut darin, Details zielgenau durcheinanderzubringen. Hier eine kleine Auswahl aus den vergangenen Tagen.
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Was war das für eine Klatsche für das Team von Bundestrainer Joachim Löw! 1:7 verloren gegen Brasilien im Halbfinale der WM 2014. An dieses Debakel erinnert sich bestimmt jeder. Jedenfalls jeder bei Bild.de:
Als Brasilien im Halbfinale der WM 2014 mit sieben zu eins gegen Deutschland gewonnen hat (#Brager), war #Blitzkrieg kurzzeitig der am häufigsten gebrauchten Hashtag auf Twitter.
Es waren allerdings nicht die Brasilianer, liebe Bild.de-Historiker, die 1939 Polen angegriffen und damit das Wort “Blitzkrieg” geprägt haben, sondern die Deutschen. Und die deutsche Fußballnationalmannschaft hat das WM-Halbfinale 2014 7:1 gegen Brasilien gewonnen. Und schon erklärt sich das makabere Hashtag #Blitzkrieg.
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Vor dem TV-Duell am vergangenen Sonntag zwischen Angela Merkel und Martin Schulz hatte Bild.de schon mal das “Netz-Duell” zwischen der Bundeskanzlerin und dem Herausforderer durchgespielt:
Was die Grafik in der Kategorie “Twitter-Follower” vergleicht, ist allerdings ziemlicher Quatsch. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hat in der Tat einen eigenen Twitter-Account, im Gegensatz zu Angela Merkel. Die Rolle von Regierungssprecher Steffen Seibert, der den Account @RegSprecher füllt, heißt Regierungssprecher, weil Seibert Regierungssprecher ist und nicht Angela-Merkel-Sprecher und auch nicht CDU-Sprecher. Er twittert zwar häufig über die Arbeit der Bundeskanzlerin, aber auch über die Arbeit der restlichen Bundesregierung. Und die besteht unter anderem aus SPD-Mitgliedern. Es existiert kein Twitter-Account, den man allein Merkel zuordnen kann.
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Bei Bild.de schaffen sie es, mit einem Halbsatz ein ganzes Land aus der EU zu kegeln. In einem Artikel über den Fußballer Ante Rebic, der trotz einiger Interessenten nicht nach England wechselte, schreibt die Redaktion:
Doch weil der Kroate kein aktueller Nationalspieler ist, bekommt er als Nicht-EU-Bürger in England keine Spielgenehmigung.
Den Kroxit — so würden die “Bild”-Medien ihn wohl nennen — gab es aber nie. Ante Rebic ist als Kroate sehr wohl ein Bürger der Europäischen Union.
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Bulgarien haben die Bild.de-Geographen nicht nur aus der EU geschmissen, sondern direkt nach Südamerika verlegt. Dort sollten die Fußballer des Landes gegen Kolumbien um die Teilnahme bei der kommenden WM spielen:
Tatsächlich spielt die Nationalmannschaft Kolumbiens heute gegen Brasilien. Immerhin auch mit “B”.
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Doch bei Bild.de kennen sie sich nicht nur nicht in Südamerika aus, sondern auch nicht in Süddeutschland. Gestern hielten mehrere Politiker Bierzeltreden im niederbayerischen Abensberg. Dort fand der Gillamoos statt, ein recht bekanntes Volksfest. Bild.de berichtete über die Politiker-Auftritte:
In Gillamoos witzelte er darüber
So machte Christian Lindner in Gillamoos Wahlkampf
Cem Özdemir, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, in Gillamoos
Bei den politischen Bierzeltreden in Gillamoos
und wurde in Gillamoos gefeiert
“Bild”-Redakteur Ralf Schuler war sogar extra vor Ort:
R.SCHULER (ZZ. IN GILLAMOOS)
Gillamoos ist aber kein geographischer Ort. Man kann nicht “in Gillamoos” sein, nur beim Gillamoos oder auf dem Gillamoos.
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Am vergangenen Mittwoch meldete Bild.de:
Die Sängerin des Songs “Back to Life”, Caron Wheeler, ist aber gar nicht gestorben. Sondern die Sängerin des Songs “Wish”, der vier Jahre später von derselben Band aufgenommen wurde. Und die hieß Melissa Bell. Andere Redaktionen habenBellebenfalls fälschlicherweise mit dem Song “Back to Life” in Verbindung gebracht.
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Mit Orten haben Bild.de-Mitarbeiter also Schwierigkeiten, genauso mit Namen. Fehlen noch die Zahlen.
Nach den astronomischen Ablösesummen, die der französischen Fußballklub Paris Saint-Germain vor Kurzem zahlte, hat Bild.de mal zusammengerechnet, wie viel die Pariser für ihre Startelf ausgegeben haben:
Nur sind 375 Millionen Euro nicht die Hälfte von 588 Millionen Euro. Und man kommt auch nicht, rechnet man 375 Millionen Euro und 113 Millionen Euro zusammen, auf 588 Millionen Euro, sondern auf 488 Millionen Euro.
Zumindest Fehler 1 hat auch das Bild.de-Team bemerkt und die Stelle geändert:
Die Differenz zwischen der “Pariser Startformation” und der des FC Bayern München beträgt allerdings nicht 113 Millionen Euro, sondern 348,75 Millionen Euro. Dass Bild.de gleich zwei Fehler auf einmal korrigiert, ist dann wohl doch etwas zu viel verlangt.
1. “So weit kann man gehen” (sueddeutsche.de, Kathleen Hildebrand)
In einer gemeinsamen Aktion verlassen alle acht Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der österreichischen “Vice” die Redaktion. Der Grund: Umstrukturierungen, die die “Vice”-Zentrale in Berlin für die Redaktionen in Deutschland, der Schweiz und Österreich plant. Im Interview mit der “SZ” erklärt Vize-Chefredakteurin Hanna Herbst, warum sich die Redakteurinnen und Redakteure nicht von Deutschland aus steuern lassen wollen.
Weiterer Lesehinweis: Bei “Meedia” kommt die “Vice”-Chefin zu Wort: Laura Himmelreich zum Vice-Exodus in Austria: “Möchte nicht Chefin von Leuten sein, die nicht zu meinem Team gehören wollen”
2. Neuanfang mit Schleudertrauma (deutschlandfunk.de, Nicole Markwald, Audio, 4 Minuten)
Die “Los Angeles Times” hat bewegte Zeiten hinter sich. Im “Deutschlandfunk” erzählt Redakteurin und Gewerkschafterin Carolina Miranda von den letzten Monaten: “Wir sahen Chefredakteure kommen und gehen, wir sind der Gewerkschaft beigetreten, wir bekamen einen neuen Eigentümer und dann sind wir auch noch umgezogen. Es fühlt sich wie ein Schleudertrauma an — wir freuen uns über einen neuen Besitzer, der Journalismus für wichtig hält, aber wir mussten uns auch nach fast einem Jahrhundert von unserem Zuhause verabschieden.” Eine spannende, in Teilen boulevardeske Geschichte, fast wie aus dem Netflix-Universum.
3. Was machen Zeitungen online besser als Radiosender? (radioszene.de, James Cridland)
Radio-“Futurologe” James Cridland ist unzufrieden mit den Websites der Radiosender, die sich oft auf einen Livestream ihres Hörangebots beschränken: “Ein Livestream ist eine feine Sache, und es gibt sicherlich ein Publikum dafür. Aber auch Zeitungen bieten auch längst mehr als die plumpe PDF-Version ihrer neuesten Ausgabe. Vielleicht sollten auch mehr Radiosender sich die Vorteile des Internets zunutze machen und mehr bieten als nur das Audio-Pendant einer PDF-Datei.”
4. 7 Gründe, weshalb “Markus Lanz” besser ist als sein Ruf (dwdl.de, Timo Neumeier)
Auf “DWDL” bricht Timo Neumeier eine Lanze für Markus Lanz und dessen Talkshow beim ZDF. Sendung und Moderator würden oftmals kritisiert, doch das Format sei seit zehn Jahren erfolgreich, und dafür gebe es gute Gründe.
5. Warum schwindet die größte Kolonie der Kaiserpinguine? Weshalb schaden Kopfbälle Frauen mehr als Männern? Science Media Newsreel No. 19 (30.07. bis 05.08.2018) (meta-magazin.org)
Wie kommt Wissenschaft in die Massenmedien? Welche Themen erfahren die größte mediale Aufmerksamkeit und wird zutreffend berichtet? Diesen Fragen geht das “Science Media Center” in seinem wöchentlichen Rückblick nach. Diesmal dabei: Eine Meldung aus dem Journal “Antarctic Science”, nach der die einst weltgrößte Königspinguin-Kolonie schrumpft, und die Erkenntnis aus dem Fachjournal “Radiology”, dass Kopfbälle bei Frauen größeren Schaden anrichten als bei Männern.
6. Ich bin jetzt auch auf Twitter, und es ist die Hölle (welt.de, Boris Pofalla)
Boris Pofalla hat sich vor ein paar Monaten mit einem Fantasienamen auf Twitter angemeldet und damit etwas geradezu Unvorstellbares für sich gewagt: “Ich war bei ICQ, AOL, Yahoo und bei Myspace, ich bin auf Instagram und auf Facebook, aber Twitter habe ich mir immer verkniffen. So wie ich es mir auch immer verkneife, mitzukommen, wenn bei einer Party mal wieder Leute zu dritt auf der Toilette verschwinden und ihnen vor lauter Fröhlichkeit danach die Augen aus dem Kopf zu laufen scheinen wie zwei zu weich gekochte Eier.“
Ein Rant, der mit der Erkenntnis schließt: “Der nächste Weltkrieg, da bin ich mir sicher, wird mit einem Tweet beginnen.”
Der Schwierigkeitsgrad dieser journalistischen Aufgabe war eigentlich nicht so hoch: Bild.de wollte testen, wie gut verschiedene automatische Übersetzer im Internet funktionieren. Man sucht sich einige deutsche Sätze aus, gibt sie ein, lässt sich das Ergebnis zurückübersetzen. Eine, sagen wir, machbare Aufgabe.
Unser Testsatz: “Es war so schön mit dir. Wann werden wir uns wiedersehen?”
Die Übersetzung: “It was with you when we will so beautifully see itself again?”
Moment, das ist gar nicht die Übersetzung von Babelfish! Das ist nur dann die Übersetzung, wenn man zu blöd ist vergisst, zwischen den beiden Testsätzen den Punkt mit einzugeben. Gibt man tatsächlich die Sätze von Bild.de ein, bekommt man die deutlich sinnvollere Übersetzung: “It was so beautiful with you. When will we see ourselves again?”
Testsatz: “Es war so schön mit dir. Wann werden wir uns wiedersehen?”
Die Übersetzung: “It was with you when we will so beautifully see itself again?”
Die Gegenprobe: “Es war mit Ihnen, wenn wir so schön uns wieder sehen?”
Bewertung: Die zwei Sätze scheinen es in sich zu haben. Google liefert dieselbe Wirrwarr-Übersetzung wie Babelfish.
Tja, und wie kommt das? Weil die Autorin schon wieder zu doof war vergessen hat, den Testsatz korrekt mit dem entscheidenden Satzzeichen zu übertragen. Trotzdem: Gibt Punktabzug für Google.
Und wir halten als tatsächliches Testergebnis fest: Wenn man es nicht schafft, in Übersetzungsprogramme das einzugeben, was man übersetzen lassen will, schaffen es die Übersetzungsprogramme nicht, das zu übersetzen, was man übersetzen wollte, aber nicht eingegeben hat.
Korrektur und Nachtrag, 17.13 Uhr: Die Autorin hat etwas anderes falsch gemacht, als wir dachten. Sie hat nicht den Punkt weggelassen, sondern aus “dir” im Testsatz “Dir” gemacht. Das hat Babelfish und Google verwirrt. Und uns auch.
Und noch einen Testsatz hat Bild.de nicht so eingegeben wie behauptet. Mit dem Wort “schau” in “Ich schau dir in die Augen, Kleines” haben Google und Babelfish nämlich Probleme: Sie übersetzen es gar nicht. Die Autorin muss es in “schaue” geändert haben, um zu den angegebenen Ergebnissen gekommen zu sein.
Und überhaupt, die Bewertung: Babelfish und Google liefern exakt die gleichen Übersetzungen. Aber Babelfish bekommt dafür von Bild.de ein “befriedigend” und Google ein “gut”.
Und den von Lycos produzierten Satz “Do we go to you or to me?”, der jeden Engländer grausen lässt, hält Bild.de für eine “tadellose” Übersetzung der Frage “Gehen wir zu dir oder zu mir?”
P.S.: Verblüfft stellt Bild.de auch fest, dass in dem Testsatz “Gehen wir zu dir oder zu mir?” nach Hin- und Rückübersetzung bei allen Angeboten aus dem “Du” ein “Sie” geworden ist.
Auch Google kennt keinen Unterschied zwischen einem höflichen “Ihnen” und einem vertrauten “dir”. Davon abgesehen ist das Ergebnis aber sehr gut.
Menschmenschmensch, dass Google da aber auch keinen Unterschied kennt… Ob es daran liegen könnte, dass die englische Sprache da keinen Unterschied kennt? (Ja, könnte es, und im Lycos-Test räumt Bild.de das sogar ein.)
Nachtrag, 18.00 Uhr: Dass Bild.de zum Testergebnis von Online-Translator den Screenshot von Babelfish zeigt, ist dann auch schon egal.
Danke an Gulli für den Hinweis und Mayweather für die Inspiration und viele andere für Aufklärung bei der Sache mit dem Punkt.
“Bild” nannte sie am 15. März: “Bohlen ist jetzt 1414-Reporter!” — und zeigte ein paar Fotos von Bohlen und seiner Freundin (“Bild” nennt sie “Carina”), von denen “Bild” und Bohlen behaupteten, er habe sie selbst auf den Malediven “mit Selbstauslöser” fotografiert.
Knapp einen Monat später war Bohlen zu Gast in der ZDF-Show “Johannes B. Kerner” und erklärte nach einigem Gefrotzel den “Sinn dahinter”:
Bohlen: Also meine Freundin wird ja gejagt von Paparazzis. Jeden Tag. Und wenn du natürlich selber Fotos… Kerner:Das heißt, die fahren jeden Tag hinter ihr her, egal wo sie hinfährt und holen sie ab bei dir zuhause… Bohlen: Ja, pass auf… ich komm aus der Tennishalle raus, seh’ mein’twegen Paparazzi, mach’ so ‘ne Fresse. Du kannst denen ja nicht mit ‘nem Tennisschläger ein’ über’n Schädel zieh’n — würd’ ich ganz gerne machen, weil es nervt total. Kerner:Is’ auf lange Sicht kein gutes Rezept. Bohlen: Wie, das mit’m Tennisschläger? Nee, genau. Und dann kommst du, guckst du raus und guckst böse. So. Und dann fotografieren die dich — bumm: Bohlen guckt böse. (Macht eine Schlagzeilengeste in die Luft.) “Das Doppelleben von Dieter Bohlen! In seinem Privatleben ist er überhaupt nie lustig! Er ist total deprimiert! Er liegt am Boden!” Und so weiter. Die Scheiße muss ich mir doch nicht immer geben. Dass ich da am Boden lieg’ und wer weiß was. Und wenn wir jetzt ab und zu, Carina und ich, ‘n paar Privatfotos einfach rausgeben, ist dieser Druck auf diese Paparazzis auch nicht mehr so da, weil dann können die ihre blöden Fotos hoffentlich irgendwann nicht mehr verkaufen.
Genutzt hat das offenbar nichts. Denn “Bild” orakelt heute:
(…) Ui-ui-ui, was ist denn DA bloß passiert? Es sind Nacktfotos von Pop-Produzent Dieter Bohlen (53) und seiner Freundin Carina (23) aufgetaucht, die das Pärchen nahtlos brutzelbraun gebraten und splitterfasernackt in einer Bucht auf Mallorca zeigen.
Die Nackig-Bilder wurden von einer Berliner Zeitung gedruckt – und sind auch im Internet (…) zu bewundern.
Bohlen, der auf Mallorca urlaubt, ist entsetzt, hat einen Rechtsanwalt eingeschaltet. Er ließ die Veröffentlichung der Fotos verbieten und sogar Schmerzensgeld verlangen. (…)
“Bild” zeigt die “Nackig-Bilder” nicht, sondern findet es “erstaunlich, dass Bohlen wegen der Nacktfotos so heftig reagiert”, und spekuliert anschließend eifrigst über eine angebliche Busen-OP von Bohlens Freundin. Außerdem druckt “Bild” — quasi als “Fotobeweis”-Ersatz — eines der Bohlenschen 1414-Fotos aus vom März (“Ihr Busen ist offensichtlich sehr gewachsen”). Dass die Busengrößenfrage damals für “Bild” kein Thema war, bleibt seltsamerweise unerwähnt.
Merkwürdig auch: Bei der von “Bild” anonymisierten Berliner Zeitung handelt es sich um das “Bild”-Schwesterblatt “B.Z.”, wo die “Nackig-Fotos” vorgestern Titelstory waren. Die “B.Z.” schrieb: “Robinson Bohlen zeigt sein nacktes Badeglück” — und hatte allzu pikante Körperstellen mit kleinen gelben Sonnensymbolen unkenntlich gemacht (siehe Ausriss).
Und: Auf der Internetseite der “B.Z.” ist der Artikel nicht mehr verfügbar. Und heuteblog.de, wo die “B.Z.”-Titelseite in einem Blogeintrag abgebildet war, hat das Titelseiten-Bild geschwärzt, nachdem man dort gestern “gegen 21.30 Uhr von der B.Z.-Redaktion (…) gebeten bzw. aufgefordert [worden sei], diesen Ausriss zu entfernen”. “Bild” hingegen gibt (anders als Bild.de übrigens) heute eine komplette Webadresse an, auf der ausschließlich Faksimiles des “B.Z.”-Berichts zu sehen sind — hochgeladen von einem anonymen Nutzer, der in seinem Profil Vor- und Nachnamen von Bohlens Freundin verwendet und über “sich” schreibt: “Offener Typ, Kontakfreudig, Spaß am Leben!!!! Ich bin Weiblich und Vergeben. bei Hamburg, Deutschland”
Was für eine knifflige Situation: Da gibt es also “Nackig-Fotos”, wie gemacht für “Bild”. Andererseits gibt es da ja diese langjährige Freundschaft zwischen “Bild” und “Pop-Titan” — und der will die Fotos offenbar partout nicht in der Zeitung sehen — auch nicht in der “B.Z.”. Aber die Fotos zu verurteilen als “Aufnahmen aus dem Privatbereich, die kein Mensch von sich in der Zeitung sehen möchte”, klappt auch nicht, weil es sich bei “der Zeitung” ja ausgerechnet ums “Bild”-Schwesterblättchen handelt. Ein Dilemma! Und der Ausweg? Ein abstruser Gedanke:
Da wird man die “B.Z.”-Fotos doch wohl nicht selber ins Internet gestellt haben.
Nachtrag, 17.6.2007: Inzwischen finden sich auch auf der von “Bild” angegebenen Internetadresse keine Inhalte mehr. Dort heißt es nur noch, der Nutzer sei “nicht mehr (…) aktiv”. Bild.de hat den Hinweis auf den Namen der Internetseite inzwischen getilgt, den Text entsprechend angepasst. Dort heißt es nun nur noch:
Die Nackig-Bilder wurden von einer Berliner Zeitung gedruckt – und waren auch im Internet zu bewundern.
Irrste Zeitung der Welt (…) wird nach 28 Jahren eingestellt
Nein, nicht was Sie jetzt denken…! (“Bild” ist ja auch schon 55.)
“Bild” berichtet heute bloß darüber, dass das US-Magazin “Weekly World News” (in dem “alles garantiert erfunden” sei) eingestellt werde. Und zum vermeintlichen “Aus und vorbei”* druckt “Bild” heute “noch einmal die besten Schlagzeilen der ‘WWN'”, also beispielsweise:
“Russen klonen 600 Hitlers!” — “Hitler war ein Vampir – darum war er tagsüber so unentspannt” — “Staubsauger saugt Deutschem das Gehirn raus!” — “Deutscher Erfinder kann aus Katzen Benzin machen – für eine Tankfüllung reichen 20 Miezen” — “UFO-Sekte will jetzt Hitler klonen!” — “Wird süßer Knut jetzt totgespritzt?” — HALT! STOPP! Die letztendreiBeispiele stammen ja gar nicht aus den “WWN” und sind uns hier leider irgendwie dazwischengerutscht…
Aber wo wir gerade schon bei irren Schlagzeilen sind, am 8.1.1996 beispielsweise berichtete “Bild”:
Nach Blitzschlag — Mann friert nie mehr Elektriker Harold Deal wurde vom Blitz getroffen. So heftig, daß das Kleingeld in seiner Hosentasche zu einem Klumpen verschmolz. Nebenwirkung: Seitdem friert der Amerikaner nicht mehr. Der Handwerker aus South Carolina kann selbst bei minus 20 Grad Celsius mit Shorts und T-Shirt ins Freie gehen.
Am 27.8.1999 hieß es:
Nach einem Blitzschlag: Frau steht unter Strom (…) Kein Witz! Flaminia Cima (29) aus Cremona (Norditalien) wurde von einem Blitz getroffen und überlebte. Seitdem sprechen Ärzte von ihr als “medizinisch höchstseltenen Fall”. Denn der Blitzschlag hat die Frau elektromagnetisch dermaßen aufgeladen, dass es ihr unerträglich ist, mit anderen Elektro-Abstrahlern in Berührung zu kommen. Sie darf kein Fernsehen mehr gucken, Computer, Telefone, Küchengeräte, sogar das Radio, von allem muss sie die Finger lassen. Inzwischen ist der Strom abgestellt, sie hat Kerzen aufgestellt.
Und am 14.7.2005:
Beim Knutschen von Blitz getroffen Stockholm – Magnus (20) und Elin (19) aus Göteborg (Schweden) lernten sich am Strand kennen, küßten sich. Als ein Unwetter aufzog, suchten sie unter dem Dach einer Hütte Zuflucht. Beim Knutschen wurden sie plötzlich von einem Blitz getroffen! Beide bekamen einen starken Stromschlag ab. Das Wunder der Liebe: Sie wurden kaum verletzt.
Womit wir immerhin wieder bei der heutigen “Bild” angelangt wären. Denn heute berichtet “Bild” mit zwei Wochen Verspätung auf der Titelseite unter der Überschrift “1. Papst-Wunder?”(siehe Ausriss), dass ein italienischer Polizist einen Blitzeinschlag offenbar unbeschadet überlebt hat.
Das Fragezeichen ist angebracht — nicht nur, weil im Pressekodex steht: “Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sind als solche erkennbar zu machen.” Und auch nicht, weil beispielsweise ilGiornale.it schrieb: “Es wird kein Wunder gewesen sein…”
Nein, um das erste Papst-Wunder kann es sich schon deshalb nicht handeln, weil “BILD-Vatikan-Sonder-Korrespondent” Andreas Englisch, der die heutige Meldung verfasste, schließlich schon am 28. August vergangenen Jahres Zeuge eines Papst-Wunders geworden war — des legendären “Wunders von Castel Gandolfo”!
*) Dass die “Weekly World News” offenbar nur ihre Print-Ausgabe einstellt, um ausschließlich im Internet weiterzuarbeiten, verschweigt “Bild” ebenso wie die Tatsache, dass “Bild” selbst in der Vergangenheit nicht davor zurückschreckte, unter Berufung auf “die US-Zeitschrift ‘Weekly World News'” deren Fake-Meldungen (“Castro trained killer sharks to attack U.S.”) mehr oder weniger distanzlos (“Schickt Castro Hai-Guevaras nach USA?”) weiterzuverbreiten…
Mit Dank an Max M. für die Anregung sowie Silke und Mandy fürs Italienisch.
Ein Mitarbeiter des Münchner Ausbildungsradiosenders “afk M94.5” hat bei seinem Streifzug übers Münchner Oktoberfest gestern Arnold Schwarzenegger entdeckt. Er machte ein Foto des früheren US-Gouverneurs, packte eine Sprechblase drauf und postete es bei Facebook:
Der Witz dahinter: Das Zitat, das “afk M94.5” Schwarzenegger in den Mund gelegt hat, ist eine Anspielung auf “Die Simpsons – Der Film”. In seiner Gastrolle als US-Präsident sagt der gezeichnete Arnold Schwarzenegger dort:
Die haben mich gewählt, um zu lenken, nicht, um zu denken.
Und daraus machte das Team von “afk M94.5” dann eben Schwarzeneggers fiktives Wiesn-Zitat “I’m not here to think, I’m here to drink!”
Auf den Facebook-Post wurden ein paar andere Redaktionen aufmerksam und fragten bei “afk M94.5” nach, was es mit dem Schwarzenegger-Zitat auf sich habe. Man sagte den Anrufern, dass es sich um einen Witz handele — Sache gegessen. “Focus Online” hat hingegen nicht bei “afk M94.5” angerufen. Und so tauchte im Oktoberfest-News-Ticker der Seite (ja, doch, den gibt es bei “Focus Online” tatsächlich) diese Meldung auf:
Arnold Schwarzenegger schaltet auf der Wiesn den Kopf aus
16.02 Uhr: Der Mann, der der “Terminator” war und den “Predator” getötet hat, hat dem Oktoberfest einen Besuch abgestattet: Arnold Schwarzenegger. Begleitet wurde er von seiner Freundin Heather Milligan und mehreren breitschultrigen Leibwächtern.
“I’m not here to think, I’m here to drink”, sagte der ehemalige Gouverneur des US-Bundesstaates Kalifornien laut Radio M94.5. Frei übersetzt: Schwarzeneggers Oberstübchen hat während des Wiesn-Besuchs Sendepause, Trinken und Feiern stehen im Vordergrund.
Nun hat “Focus Online” ja sowieso immer mal wieder Schwierigkeiten beim Dechiffrieren von Witzen. Und so machte “afk M94.5” die Mitarbeiter des Portals vorhin bei Facebook darauf aufmerksam, dass sie was falsch verstanden haben:
“Focus Online” hat inzwischen reagiert und die Passage mit dem ausgedachten Zitat gestrichen. Dass Arnold Schwarzenegger “auf der Wiesen den Kopf” ausschalte, steht aber weiterhin in der Überschrift.
1. Schweigen gegen Fake News (tagesschau.de)
Die SPD setzt im Kampf gegen die Verbreitung von Fake News auf eine Selbstverpflichtung der Parteien. Strafverschärfungen hält SPD-Vize Schäfer-Gümbel für wenig hilfreich – im Gegensatz zum Koalitionspartner. Die CSU fordert sogar einen neuen Straftatbestand.
2. Weltweit mindestens 348 Journalisten in Haft (reporter-ohne-grenzen.de)
Die Repressionswelle seit dem Putschversuch in der Türkei hat die Zahl der weltweit inhaftierten Journalisten in diesem Jahr deutlich in die Höhe getrieben: Mittlerweile befinden sich weltweit mindestens 348 Journalisten in Haft. Das sind sechs Prozent mehr als vor einem Jahr wie aus der Jahresbilanz der Pressefreiheit von “Reporter ohne Grenzen” hervorgeht.
3. Es ist (wieder) riskant, Links zu setzen (internet-law.de, Thomas Stadler)
Das Landgericht Hamburg hat mit seiner aktuellen Entscheidung zur Haftung beim Setzen von Links viel Kritik auf sich gezogen. Rechtsanwalt und Lawblogger Thomas Stadler hält den Europäischen Gerichtshof als den Schuldigen an der Entwicklung: “Das Problem ist der EuGH, der das Internet nicht verstanden und zudem eine Entscheidung getroffen hat, die auch in rechtsdogmatischer Hinsicht schwer nachvollziehbar ist. Wir werden abwarten müssen, was andere nationale Gerichte aus der Vorgabe machen und ob der EuGH demnächst die Möglichkeit wahrnimmt, seine Entscheidung abzuschwächen.”
4. Grundrechtsaffine Rechtsprechung (taz.de, Johannes Eisenberg)
Michael Mauck, Vorsitzender der Berliner Pressekammer, verabschiedet sich am Dienstag in den Ruhestand. Die Pressefreiheit habe ihm viel zu verdanken, findet der Anwalt der “taz” Johannes Eisenberg.
5. “Der heiße Stuhl”: Echt jetzt, so streitet Deutschland? (dwdl.de, Peer Schader)
RTL hat den “heißen Stuhl” aus der TV-Mottenkiste geholt und zur Formatswiederbelebung den umstrittenen Thilo Sarrazin Platz nehmen lassen. Kolumnist Peer Schader fand wenig Erhellendes:”Es war eine erschöpfende Stunde, die in keinerlei Hinsicht zur Perspektiverweiterung auf einer der beiden Seiten beigetragen haben dürfte. Vielleicht passt eine Sendung wie “Der heiße Stuhl” aber auch einfach nicht mehr in die aktuelle Zeit, in der sich Kommentatoren in den sozialen Medien permanent selbst neue Feuerchen unter ihren Hintern machen.”
6. Der rechte Comedyhimmel hat einen neuen Star (vice.com)
Als “neuen Stern am rechten Comedyhimmel” lobpreist “Vice” den ehemaligen Sat-1-Gameshow-Leiter (“Bube, Dame, Hörig”) Elmar Hörig. Die Redaktion hat einige seiner Posts auf Facebook untersucht und vergibt per Mario-Barth-Skala Punkte für Pointen, Witzigkeit, Pegida-Tauglichkeit und Rassismus.
Es ist eine wirklich positive Entwicklung: Wenn Redaktionen über Suizide berichten, dann binden sie inzwischen fast immer einen kleinen Kasten in ihre Artikel ein, in dem die Leserschaft die Internetadresse der “TelefonSeelsorge” (telefonseelsorge.de) sowie die kostenlosen Telefonnummern (0800 – 111 0 111 und 0800 – 111 0 222) der Organisation finden kann.
In der heutigen Düsseldorf-Ausgabe der “Bild”-Zeitung gibt es auch einen solchen Kasten. Er ist überschrieben mit “Selbstmordgedanken? Hier bekommen Sie Hilfe” und endet mit den Worten: “Unter der kostenlosen Hotline (…) erhalten Sie Hilfe von Beratern, die Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen können.” Wie gesagt: Das ist gut. Aber es ist fragwürdig, wie ernst die Redaktion es wirklich mit der Suizidprävention rund um ihre Berichterstattung meint.
Der Hinweis zur “TelefonSeelsorge” gehört zu einem Artikel über einen 17-Jährigen, der sich das Leben genommen hat:
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)
Auch bei Bild.de erschien der Artikel, weit oben auf der Startseite:
Der Junge hatte eine Ausbildung zum Busfahrer begonnen und ist — ohne den nötigen Busführerschein — reguläre Linienbusse mit Fahrgästen durch Wuppertal gefahren. Nach einigen Fahrten ist er aufgeflogen. Die “Wuppertaler Stadtwerke” sollen laut “Bild” daraufhin Schlüssel und Dienstausweis zurückgefordert und dem Jungen Hausverbot erteilt haben. Die “Bild”-Autorin schreibt dazu einen ausgesprochen bedenklichen Satz:
Bis ihn die Wuppertaler Stadtwerke (WSW) bei einer seiner illegalen Touren erwischten. Da sah B(.) keinen Ausweg — und nahm sich das Leben.
Es gibt verschiedene Leitfäden für Medien, wie sie — wenn sie denn unbedingt wollen — am besten über Suizide berichten sollten. Denn seit Jahrzehnten zeigt sich, dass eine intensive Berichterstattung über Suizide zu weiteren Suiziden durch Nachahmer führen kann (“Werther-Effekt”). Rücksichtslose Schlagzeilen und Artikel können Menschenleben kosten. Einer dieser Leitfäden stammt von der “Stiftung Deutsche Depressionshilfe” (PDF), ein anderer von der “Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention” (PDF). In beiden Leitfäden wird vor einem solchen Satz, wie ihn “Bild” und Bild.de heute veröffentlichen, gewarnt:
In der Berichterstattung sollte alles vermieden werden, was zur Identifikation mit den Suizidenten führen kann, zum Beispiel den Suizid als nachvollziehbare, konsequente oder unausweichliche Reaktion oder gar positiv oder billigend darzustellen beziehungsweise den Eindruck zu erwecken, etwas oder jemand habe “in den Suizid getrieben”. (“Für ihn gab es keinen Ausweg”)
… schreibt die “Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention”. Und die “Stiftung Deutsche Depressionshilfe” schreibt:
Nachahmung setzt Identifikation voraus. Diese Gefahr steigt, wenn der Suizid als nachvollziehbare Reaktion oder als einziger Ausweg bezeichnet wird
Der so wichtige Ausweg, den es so gut wie immer gibt und mit dem “Bild” die Hotline der “TelefonSeelsorge” bewirbt, fehlt im “Bild”-Beitrag komplett.
Und auch weitere Aspekte, die in den Medienleitfäden gennant werden, missachtet der Artikel:
Die “Bild”-Medien berichten groß und ausführlich und prominent platziert über den Fall (im Leitfaden steht: “Diese Gefahr steigt, wenn durch Titelgeschichten, Schlagzeilen und Fotos Aufmerksamkeit erregt wird”).
“Bild” (im Blatt) und Bild.de (auf der Startseite) zeigen ein unverpixeltes Foto des Jungen, vermutlich mit Erlaubnis der Eltern. Jedenfalls hat die “Bild”-Autorin mit den Eltern gesprochen, Zitate der Mutter kommen im Artikel vor, genauso ein Foto der Eltern (im Leitfaden steht: “In der Berichterstattung sollte vermieden werden, ein Foto der betreffenden Person (besonders auf der Titelseite) zu präsentieren”).
Die “Bild”-Autorin nennt die Suizidmethode, den (anonymen) Ort sowie weitere Details zum Suizid (im Leitfaden steht: “Diese Gefahr steigt, wenn die Suizid-Methode detailliert beschrieben wird”).
Ja, es hat sich einiges verbessert bei der Berichterstattung über Suizide, auch bei den “Bild”-Medien. Es bleibt aber vieles, was sich noch verbessern muss.
1. “Das hier ist eine PR-Veranstaltung”: Journalistin Laura Meschede lehnt Helmut-Schmidt-Journalistenpreis ab (meedia.de, Marvin Schade)
Die Verleihung des diesjährigen Helmut-Schmidt-Journalistenpreises verlief überraschend: Die “SZ Magazin”-Autorin Laura Meschede lehnte in ihrer Rede die Annahme des ihr zugedachten Preises ab: “Das hier ist eine PR-Veranstaltung, so viel ist klar. Und deswegen stehe ich auch hier, um PR zu machen. Aber nicht für die ING Diba. Sondern für den Gedanken, dass es eine Alternative gibt, dazu, wie die Welt jetzt ist.”
2. BILD – Vorfeldorganisation der AfD (sprengsatz.de, Michael Spreng)
Der Journalist Michael Spreng war 1989 bis 2000 Chefredakteur bei “Bild am Sonntag”, was seine heftige Kritik an “Bild” unter Julian Reichelt umso bemerkenswerter macht: “BILD zersetzt mit dieser Kampagne systematisch den Respekt vor den Institutionen und Repräsentanten des Staates und delegitimiert die liberale deutsche Demokratie. (…) Dieser Rückfall von BILD in ein Kampagnenblatt geschieht offenbar im Einverständnis mit dem Vorstand des Verlages Axel Springer. Denn andernfalls hätte er den Chefredakteur schon abgelöst. So kann BILD ungehemmt der AfD Schützenhilfe leisten und die Achse der Bundesrepublik nach rechts verschieben.” Spreng hatte die Wandlung von “Bild” unter Reichelt zuvor schon in der ZDF-Sendung von Markus Lanz ähnlich und ähnlich deutlich kritisiert.
3. Die Fahrrad-Verschwörung (donaukurier.de, Johannes Hauser)
Der “Donaukurier” veröffentlichte vergangene Woche ein harmloses Bild einer Radtour. Mit dabei: Ingolstadts Oberbürgermeister Christian Lösel, in dessen Rad sich ein Ast verfangen hatte. Ihr fragt euch, warum dies der Erwähnung wert ist? Dann schaut euch die Stellungnahme der Lokalredaktion an, die sich in den Sozialen Medien heftigen Fälschungsvorwürfen und Verschwörungstheorien ausgesetzt sah.
4. Demokratie in Zeiten der Desinformation (sueddeutsche.de, Carolin Emcke)
Die 2016 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnete Autorin Carolin Emcke macht sich Gedanken über demokratische Entscheidungsprozesse in Zeiten der Desinformation. Mit Blick auf das Vereinigte Königreich fragt Emcke: “… wie naiv ist es, eine existenzielle Entscheidung wie den Brexit als vermeintlich informierten Wählerwillen umzusetzen — wenn dieser Wille durch Desinformationskampagnen zersetzt wurde? Wie prekär ist es, Meinungen und Stimmungen zu folgen, die auf einem Zerrbild der Wirklichkeit beruhen? Wäre es so undenkbar, dass eine Regierung auch einmal zurücktritt, weil sie ein Votum zwar als legitim, aber fehlgeleitet einstuft?”
5. Landtag muss Auskunft in Abgeordnetenaffäre geben (nordbayerischer-kurier.de)
Das Bundesverwaltungsgericht hat ein Urteil gefällt, das grundsätzliche Bedeutung haben dürfte und die Rechte der Medien stärkt: Der bayerische Landtag muss dem früheren Chefredakteur des “Nordbayerischen Kuriers”, Joachim Braun, das Gehalt nennen, das der ehemalige Bayreuther CSU-Abgeordnete Walter Nadler auf Steuerzahlerkosten seiner Ehefrau im Abgeordnetenbüro zukommen ließ. Dem Auskunftsanspruch der Presse gebühre “Vorrang gegenüber der verfassungsrechtlich geschützten Freiheit des Mandats und dem Schutz personenbezogener Daten des Abgeordneten und seiner Ehefrau”, so das Gericht.
6. Geschlechterklischees, Nein Danke! (buzzaldrins.de, Linus Giese)
Buchhändler Linus Giese wird von Kunden und Kundinnen immer wieder explizit nach Büchern für Jungen oder für Mädchen gefragt. Weil ihm Rollenerwartungen und Geschlechterklischees nicht behagen, hat er ein paar Kinderbuchempfehlungen zusammengestellt, die ohne die typischen Prinzessinen und Feuerwehrmänner auskommen.
1. Nach tödlichem S-Bahn-Streit: Familien mahnen “Bild” ab (nordbayern.de)
Nach Angaben von nordbayern.de haben die beiden Familien der bei dem Unglück an der Nürnberger S-Bahn-Station Frankenstadion ums Leben gekommenen Jugendlichen einen Medienanwalt beauftragt und die Axel Springer SE abgemahnt. “Bild” hatte unverpixelte Fotos veröffentlicht, auf denen die beiden verstorbenen 16-Jährigen gut zu erkennen waren.
2. Sich mit den Tätern anlegen (kontextwochenzeitung.de, Oliver Stenzel)
Die “Kontext Wochenzeitung” hat sich mit dem Enthüllungsjournalisten und langjährigen “Stern”-Autor Arno Luik über dessen Spezialgebiete Stuttgart 21 und Deutsche Bahn unterhalten. Luik kommentiert das Versagen von Politik und Medien. Schon der Einstieg sei nicht einfach gewesen: “(…) als ich KollegInnen vorgeschlagen hatte, etwas über S 21 zu machen, da hieß es zunächst sinngemäß: S 21, was ist denn das? Interessiert doch kein Schwein. Sollen die Stuttgarter unter sich ausmachen. Es hat auch deswegen niemanden interessiert, weil Stuttgart von Hamburg aus gesehen so sexy ist wie ein überfahrener Frosch.”
3. Die Macht der Geschichten (spektrum.de, Theodor Schaarschmidt)
Diplompsychologe und Wissenschaftsjournalist Theodor Schaarschmidt hat sich Gedanken gemacht, warum wir immer wieder auf Hochstapler hereinfallen und warum packende Geschichten eine derartige Sogwirkung entfalten: “Offenbar brauchen wir narrative Strukturen, um uns die Welt zu erschließen. Wo keine Geschichten zu finden sind, halluzinieren wir manchmal sogar welche herbei!”
4. Die frustrierend falsche Berichterstattung zu Implantaten, Prothetik und Wissenschaftsthemen (ennopark.de)
Forscher und Forscherinnen der New Yorker Columbia University haben mit einem Hirnimplantat gemessen, was im Hörzentrum des Gehirns passiert, wenn Menschen gesprochener Sprache zuhören. Über ein KI-System sei es gelungen, die gehörte Sprache während des Zuhörens aus dem Hörzentrum zu rekonstruieren. Mit “Gedankenlesen” habe dies ausdrücklich nichts zu tun, doch genau das behaupteten viele internationale Medien in ihrer Berichterstattung. Enno Park, Vorsitzender des Vereins Cyborgs e.V., kommentiert: “Manchmal sind die Artikel schlicht falsch, manchmal haben die Autor:innen völlig korrekt abgeliefert aber Redakteur:innen offenbar den Inhalt des Textes ignoriert und eine Clickbait-Überschrift drübergetackert. Der Verantwortung der Medien wird ein solches Vorgehen jedenfalls nicht gerecht.”
5. «Aus Frust schlug er zu!» (infosperber.ch, Barbara Marti)
Immer wieder wird in der Berichterstattung über Gewalttaten gegen Frauen die Täterperspektive übernommen. Dann ist vom “Flirt-Frust” die Rede, vom “Beziehungsdrama” oder der “Eifersuchtstat”. Dadurch werden die Taten bagatellisiert, den Opfern wird eine Teilschuld zugeschoben. Auch Heute.at berichtete in dieser Form und korrigierte sich erst nach zahlreichen Protesten im Netz.
6. Geistige Umnachtung an der Falkenstrasse (nureinefrage.blogspot.com, Benjamin Blume)
Die “NZZ am Sonntag” veröffentlichte ein “Quiz” über die junge Klimaaktivistin Greta Thunberg, in dem verschiedene Krankheitsformen zur Auswahl gestellt wurden. Mittlerweile hat sich der Chefredakteur der “NZZ am Sonntag” bei Twitter mit einem knappen “Wurde geändert. Danke für die Hinweise” gemeldet. Für ein Wort des Bedauerns oder eine Entschuldigung reichte es augenscheinlich nicht …
7. “Abtreibungsärzte” (twitter.com, Lorenz Meyer)
Als siebter und damit zusätzlicher Link, weil vom “6 vor 9”-Kurator: “Abtreibungsärzte”…. Müssen wir wirklich solche Vokabeln framen, lieber Spiegel Online?
1. Vorsicht, Ferndiagnose! (uebermedien.de, Hinnerk Feldwisch-Drentrup)
Bei Kriminalfällen und Katastrophen bemühen die Medien gern Experten, die auf die Schnelle und aus der Ferne Täter und Tathergang begutachten. Oft, ohne vor Ort gewesen zu sein und ohne mit dem oder den Betroffenen gesprochen zu haben. Hinnerk Feldwisch-Drentrup schreibt über ein mediales Phänomen, das sich an der Grenze zum Unredlichen und Unmoralischen bewegt.
2. “Ein großes Missverständnis” (sueddeutsche.de, Peter Münch)
Der Tiroler Blogger Markus Wilhelm sollte eigentlich einen mit 10.000 Euro dotierten Journalistenpreis erhalten, doch er hat die Annahme des Preises abgelehnt. Das habe vor allem mit den beiden neuen Sponsoren zu tun: Dem Land Burgenland und der Esterházy-Stiftung, denen er eine “Law-and-Order-Politik” und “feudalistisches Denken” vorwirft: “Ich schreibe nicht ein Leben lang gegen diese Zustände, um mich dann mit ihnen gemein zu machen.”
3. Instagram-Fakes: Wenn die Wolken immer gleich schön aussehen (netzpolitik.org, Markus Reuter)
Eine argentinische Reise-Influencerin hat auf Instagram Bilder gepostet, bei denen immer die gleichen Wolkenformationen zu sehen sind. Ermöglicht durch eine App, die den Bildhintergrund austauscht und für mehr Drama sorgt. Nun wird diskutiert, ob ein derartiges Fälschen von Bildern erlaubt sei, oder ob Instagram eh ein Ort von Inszenierung und Manipulation sei.
4. Neu: DIE POLITIKANALYSE #1 – Kandidatencheck Sachsen & Brandenburg (youtube.com, Wolfgang M. Schmitt & Tilo Jung, Video: 20:47 Minuten)
Auf Tilo Jungs Youtube-Kanal gibt es ein neues Format: Die Politikanalyse von Wolfgang M. Schmitt. Dabei dienen Ausschnitte aus Jungs Politikerinterviews als Basis für einen “ideologiekritischen Blick auf die Politik von heute”. In der ersten Folge befasst sich Schmitt mit den Interviews vor den Wahlen in Brandenburg und Sachsen.
5. Christian Fuchs über… Grenzen (message-online.com, David Baldauf)
Im Interview mit “Message” spricht Investigativreporter Christian Fuchs über Schwierigkeiten bei der Recherche im rechten Umfeld, ethische Grenzen und die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit internationalen Kollegen: “Gerade im investigativen Bereich geht es oft nur noch in Gruppen, weil einem einfach die Expertise für andere Länder fehlt. Die allermeisten Kooperationen und Verbünde, die ich mit ausländischen KollegInnen hatte, waren sehr fruchtbar und für alle Seiten ein Gewinn. Ich würde es jedem empfehlen, seine Fühler auch in die anderen Länder auszustrecken, denn ich glaube, die allermeisten Themen sind heute international und man braucht die Kontakte ins Ausland, um sauber arbeiten zu können.”
6. Ich, Jan Böhmermann, bewerbe mich als SPD Vorsitzender! (youtube.com, Jan Böhmermann)
Jan Böhmermann möchte Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands werden. Ein in vielerlei Hinsicht ehrgeiziges Vorhaben: Die Bewerbungsfrist endet am Sonntag um 18 Uhr. Bis dahin muss Böhmermann in die Partei aufgenommen worden sein. Außerdem müssen fünf SPD-Unterbezirke, ein Bezirk oder ein Landesverband seine Kandidatur unterstützen.
1. Prof. Dr. Verschwörung (sueddeutsche.de, Bastian Brinkmann)
Der Finanzwissenschaftler und Direktor des Instituts für Öffentliche Finanzen der Leibniz-Universität Hannover Stefan Homburg ist während der Corona-Krise zur Medienfigur geworden. Bekannt gemacht haben ihn jedoch nicht seine wirtschaftspolitischen Forschungen, sondern seine öffentlichen Äußerungen zu der angeblichen Wirkungslosigkeit von Kontaktbeschränkungen, einer angeblich bevorstehenden “Zwangsimpfung” und den “Sklaven-Masken, mit denen die Bevölkerung psychisch niedergehalten werden soll”. “SZ”-Redakteur Bastian Brinkmann hat sich fast zwei Stunden mit dem Professor unterhalten, den er bei aller Kritik als durchaus eloquent empfand.
Weiterer Lesehinweis: Homburgs Reaktion auf Twitter fiel weniger eloquent aus: “Medienprostitution vom Feinsten. Wenn Sie Ihr Abo kündigen, tut das der Süddeutschen wegen der neuen Subventionen für Linientreue nicht weh. Wer einem ‘Bastian Brinkmann’ ein Wort glaubt, ist selbst schuld. Schreiben Sie ihn an!”
2. “Bild” filmt Sidos Garten – Rapper geht auf Kamerateam los (rnd.de, Matthias Schwarzer)
Ein “Bild”-Kamerateam hat dem Rapper Sido vor dessen Haus aufgelauert, um ihn über den Gartenzaun zu seinen verschwörerischen Äußerungen zu befragen. In dem Zusammenhang kommt es zu einem Wortgefecht, Sido geht auf das Kamerateam los, es scheint ein Gerangel zu geben. Ein Vorfall, den “Bild” samt Video gleich gewinnbringend hinter der Bezahlschranke verkauft. Matthias Schwarzer kommentiert: “Medienrechtlich ist die Aktion der ‘Bild’-Zeitung derweil mindestens heikel. Denn auch Prominente haben das Recht auf Privatsphäre und müssen es keineswegs hinnehmen, mit jedem Teil ihres Lebens in die Öffentlichkeit gezerrt zu werden — dazu zählt zum Beispiel auch das private Grundstück.”
3. Follower bei der Arbeit (deutschlandfunk.de, Mirjam Kid & Michael Borgers)
Deutschlandfunk-Autor Stefan Römermann berichtete vor einigen Tagen über die Wirkmächtigkeit des Messengerdienstes Telegram für die Verschwörungsszene (Audio: 6:31 Minuten). Er zitierte dabei auch die ehemalige Moderatorin Eva Herman, die sich missverstanden fühlte und an ihre mehr als 100.000 Accounts umfassende Telegram-Gefolgschaft schrieb: “Deutschlandfunk hört meinen Telegram-Kanal ab und reißt meine Äußerungen willkürlich aus dem Zusammenhang. So arbeiten die zwangsgebührenfinanzierten Sender”. Wie zur Bestätigung der These von der enormen Wirkmächtigkeit des Messengerdienstes hätten sich daraufhin unzählige Telegram-Nutzerinnen und -Nutzer bei Römermann gemeldet.
4. Sechs Tipps für den Umgang mit Verschwörungstheoretiker*innen (editionf.com, Dana Buchzik)
Die Journalistin Dana Buchzik ist in einer radikalen Sekte aufgewachsen und lebte einige Zeit in einem Umfeld radikaler Meinungen. In ihrem Beitrag verrät sie sechs Tipps, wie man mit davon betroffenen Personen umgehen kann, denn: “Wenn wir verstehen, wie Radikalisierungsprozesse ablaufen, können wir im Gespräch nicht nur uns selbst besser schützen, sondern auch unserem Gegenüber vermitteln, dass es noch immer einen gemeinsamen Boden humanistischer Werte gibt, auf den sie*er zurückkehren kann.”
5. Das sind die Corona-Unwörter (spiegel.de, Samira El Ouassil)
Samira El Ouassil beschäftigt sich in ihrer neuen “Spiegel”-Kolumne mit Sprache in der Krise: “Wörter wie ‘Grenzöffnung’, ‘Klimahysterie’ und ‘Lockdown’ ermöglichen auf geradezu magische Weise die Beschreibungen einer Gegenwart, die nicht stattgefunden hat, von der wir jedoch glauben, dass wir sie so wahrgenommen und erlebt haben.”
6. “Man muss den Leuten etwas erzählen und erklären wollen” (fachjournalist.de, Ulrike Bremm)
Silke Hansen ist als Leiterin des ARD-Wetterkompetenzzentrums unter anderem für den Wetterbericht in der “Tagesschau” verantwortlich. Im Interview mit dem “Fachjournalist” schildert sie ihren Alltag als Wettermoderatorin, spricht über spannende Wetterphänomene und erzählt, was sie mit der Formel 1 und dem Rallyesport verbindet.
“Ein schöner Beleg für die bekannte Reiselust unserer Politiker: Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn ist gerade von einer hochoffiziellen Dienstreise zum Amazonas aus Brasilien zurückgekommen. Einzige Begleitung: die Kuhn-Mitarbeiterin Marianne Tritz , eine ehemalige Bundestagsabgeordnete. Mittwoch gab’s dann ein streng vertrauliches Gipfeltreffen in einem Hinterzimmer der Pizzeria ‘Cinque’. (…) Doch um die Dienstreise an den Amazonas ging es dem Vernehmen aus der Grünen-Spitze nach mit keinem Wort. So wichtig kann die ja dann nicht gewesen sein…”
Und sagen wir’s so: Was auch immer uns “BamS”-Chefkolumnist Martin S. Lambeck mit diesem kleinen Textchen mitzuteilen gedachte über Fritz Kuhn — Kuhns “einzige Begleitung” war Marianne Tritz nicht. Mit dabei waren zumindest Kuhns Parteikollege Winfried Hermann und die Vorsitzende der Heinrich-Böll-Stiftung, Barbara Unmüßig, die gemeinsam mit Kuhn am 4. Mai um 19 Uhr (und mehrere tausend Kilometer vom Amazonas entfernt) an einer Diskussionsveranstaltung im Goethe-Institut Sao Paulo teilnahmen.
Allein deshalb kann man durchaus nachvollziehen, dass Kuhn heute bekanntgeben ließ, “eine Gegendarstellung und eine Unterlassungserklärung” gegen die “BamS” durchsetzen zu wollen, deren Meldung, wie es in einer Pressemitteilung heißt, “offensichtlich mit gezielten Falschinformationen den Eindruck einer ‘Vergnügungsreise’ erwecken” sollte.
Mit anderen Worten: Eine Gegendarstellung beweist tatsächlich nicht, dass eine Zeitung falsch berichtet hat. Aber wozu gibt’s schließlich Fakten?
Nachtrag, 22.5.2006: Martin S. Lambeck hat sich nun, eine Woche später, in seiner “BamS”-Kolumne selbst korrigiert. Er schreibt:
“In Sachen Brasilien-Dienstreise des Grünen-Fraktionschefs Fritz Kuhn muß ich mich korrigieren: Kuhn war nicht nur mit der für Außenpolitik zuständigen Referentin Marianne Tritz nach Brasilien gereist, sondern der Delegation gehörten insgesamt sechs Personen, darunter auch der Bundestagsabgeordnete Winfried Hermann, an. Übrigens ging es auch nicht zum Amazonas, sondern in die Hauptstadt Brasilia, nach Rio de Janeiro und São Paulo, wo die Delegation unter Leitung von Kuhn intensive Gespräche über außen-, wirtschafts- und umweltpolitische Themen führte. Die Reise war also politisch doch wichtig.”
Angenommen, jemand behauptet fälschlicherweise über Sie, Sie würden regelmäßig Giraffen mit Hustenbonbons bewerfen. Und dieser jemand erzählt das der “Bild am Sonntag”. Und die “Bild am Sonntag” ruft bei Ihnen an und fragt Sie, ob das stimmt. Und Sie haben keine Lust, mit der “Bild am Sonntag” zu reden, und sagen das auch der “Bild am Sonntag”. Darf die “Bild am Sonntag” dann über Sie schreiben: “… bewirft regelmäßig Giraffen mit Hustenbonbons”?
Natürlich nicht. Aber genauwie ihre Schwesterzeitung “Bild” glaubt die “Bild am Sonntag”, das zu dürfen.
Und findet es deshalb sehr ungerecht, heute diese Gegendarstellung von Günther Jauch abdrucken zu müssen:
Am 6. August 2006 hatte die “Bild am Sonntag” behauptet, Jauch müsse wegen einer Klage des Boxers Rene Weller vor Gericht erscheinen:
Diese Behauptung, die offenbar vom Anwalt von Rene Weller stammte, war zweifellos falsch. Das räumt nach Bild.de heute auch die “Bild am Sonntag” ein. Sie fügt aber u.a. hinzu:
Mit anderen Worten: Wenn es der “Bild am Sonntag” nicht gelingt, korrekte Tatsachen über Günther Jauch zu recherchieren, liegt das nicht an den Recherchemängeln von “Bild am Sonntag”, sondern an der fehlenden Mitwirkungsbereitschaft von Günther Jauch.
Noch aus einem anderen Grund scheint die “BamS” es ungerecht zu finden, dass sie gerichtlich zum Abdruck der Gegendarstellung gezwungen wurde. Sie schreibt:
[Wir haben] unsere Leser bereits in der Ausgabe vom 13. August darüber informiert, dass Günther Jauch vom persönlichen Erscheinen vor dem Landgericht befreit worden ist.
Das klingt, als hätte die “BamS” ihren Fehler schnell korrigiert. Und wenn sie das getan hätte, wäre Jauch es tatsächlich schwer gefallen, eine Gegendarstellung durchzusetzen.
Richtig ist zwar, dass die “BamS” am 13. August berichtet hatte:
“BamS”-Redakteurin Angelika Hellemann, die schon den falschen ersten Artikel geschrieben hatte, vermied dabei aber konsequent den Hinweis, dass dies bereits seit Monaten feststand. Mit vielen Formulierungen erweckte sie den Eindruck, erst nach ihrem ursprünglichen Artikel hätte sich der neue Sachverhalt ergeben:
“Sie müssen sich vor Gericht doch nicht in die Augen blicken.”
“…braucht nicht mehr persönlich im Gerichtssaal zu erscheinen…”
“…teilte Gerichtssprecher Dr. Tiemann jetzt mit.”
“Jetzt ist Weller enttäuscht…”
(alle Hervorhebungen von uns)
Einen Fehler zuzugestehen, war der “Bams” offenbar nicht möglich. Kein Wunder: Nach ihrem journalistischen Verständnis lag der Fehler ja nicht bei ihr, sondern bei Jauch.
PS: Unmittelbar über die große Jauch-Gegendarstellung hat die “BamS” heute dieses Stück u.a. von Angelika Hellemann platziert:
Und was “Bild” schreibt, stimmt soweit: Eine Debatte zum Thema Kinderbetreuung musste gestern peinlicherweise vorzeitig beendet werden, weil sich nicht genügend Bundestagsabgeordnete an einer Abstimmung, dem sog. Hammelsprung, beteiligt hatten, bei der die anwesenden Abgeordneten den Sitzungssaal verlassen und anschließend durch verschiedene Türen (Ja/Nein/Enthaltung) wieder betreten müssen.
Allerdings kann man durchaus bedauern, dass “Bild” in ihrem Bericht unterschlägt mit keinem Wort erwähnt, dass die fragliche Debatte zeitgleich mit der eingangs erwähnten Protestaktion stattfand, bei der die Demonstranten nicht nur die Debatte selbst störten, sondern immerhin auch den Reichstagsschriftzug “Dem deutschen Volke” mit einem Transparent “Der deutschen Wirtschaft” verhüllt hatten. In einem “Spiegel TV”-Bericht heißt es deshalb sogar: “Später wollen viele Abgeordnete nicht wieder ins Plenum kommen. Anscheinend ist die Plakataktion vor dem Gebäude für sie interessanter.” Womit sich die “Bild”-Frage “War das schöne Wetter vielleicht wichtiger…?” zumindest nicht mehr so leicht beantworten ließe, wie “Bild” sich das gedacht hat.
Ärgerlicher aber ist das große Foto, mit dem “Bild” den “Riesen-Eklat” illustriert (“Leere Ränge im Bundestag gestern Mittag: Die Debatte über den Ausbau der Kinderbetreuung wurde abgebrochen”, siehe oben). Das nämlich zeigt — wenn man der “Tagesschau” glauben mag, die “Bild” selbst als Quelle für das Foto angibt — gar nicht die abgebrochene Debatte über den Ausbau der Kinderbetreuung. Stattdessen handelt es sich bei dem “Bild”-Foto laut “Tagesschau” um eine Szene aus einer vorangegangenen, ganz anderen Debatte, in der nach rund 10 Jahren mit großer Mehrheit (!) endlich eine Reform im Strafvollzug verabschiedet wurde (s. Screenshot).
Nicht, dass es bei dem abgebrochenen Tagesordnungspunkt, über den “Bild” berichtet, wesentlich vollergewesen wäre. Aber wenn die “Bild”-Zeitung sowieso keinen echten “Foto-Beweis” (“Bild”-Slang) für die “leeren Ränge” zeigen wollte, dann hätte sie den “Riesen-Eklat im Bundestag” ebensogut auch so bebildern können:
Ein 21-jähriger Türke hat am vergangenen Mittwoch versehentlich ein jahrzehntelang von linken Gutmenschen kunstvoll aufgeschichtetes Lügengebäude zum Einsturz gebracht, indem er in der Gesprächssendung “Hart aber fair” nicht “Deutschland” die Schuld daran gab, dass er kriminell wurde. Dass er sich so offen und wahrheitsgemäß äußerte, war nämlich ein dramatischer Fehler: SPD, Grüne oder der WDR hatten versäumt, den Gast vor der Show zu “briefen”, wie es sonst immer üblich ist: den Türken also zu sagen, dass sie in den Medien gefälligst die mangelnden Möglichkeiten in diesem Land anprangern müssen.
Es geht um Alaattin Kaymak, einen 21-jährigen Türken, der früher gewalttätig war. Moderator Frank Plasberg fragte ihn in seiner Sendung, was “der Staat Deutschland” für ihn persönlich hätte besser machen können. Kaymak musste lange überlegen, offenbar war er auf die Frage nicht vorbereitet. Es entstand eine Pause, dann sagte er:
“Da fällt mir jetzt eigentlich nicht viel zu ein, weil es ist hier eigentlich alles gegeben an Möglichkeiten — man muss sie auch ein bisschen selber suchen.”
Unmittelbar darauf flüsterte der Grünen-Politiker Özcan Mutlu der neben ihm sitzenden Justizministerin Brigitte Zypries zu: “Wurde der gar nicht gebrieft?”, worauf sie antwortete: “Doch!”
“Bild” fragt:
Hat Zypries und Mutlu diese Antwort nicht gefallen? (…)
Gibt es bei Plasberg Absprachen mit Gästen über ihre Antworten? Einen Tag nach der Sendung gab es Riesenwirbel. So gab es bei “FAZ-online” und anderen Internetforen den Verdacht, dass hinter dem Rücken der Zuschauer manipuliert wurde.
FAZ.net hat diesen Verdacht keineswegs. Der “FAZ”-Redakteur nennt ihn im Gegenteil eine “Verschwörungstheorie”, denn “die Erklärung” für den Vorfall sei, wie Özcan Mutlu der “FAZ” gesagt habe, “ganz einfach”:
Weil er erst in letzter Sekunde ins Studio gekommen war und die Gespräche, die Plasberg vor Sendebeginn mit den einzelnen führte, nicht mitbekam, habe ihn gewundert, warum der junge Mann bei dieser Frage so ins Stottern kam.
Es gibt aber tatsächlich ein “Internetforum”, das den Verdacht der Manipulation verbreitet: die Seite “Politically Incorrect”, ein erfolgreiches islamfeindliches Blog, das immer wieder durch Falschinformationen und rassistische Kommentare bis hin zu Morddrohungen auffällt. Es verbreitete bereits gestern Vormittag die Behauptung, bei dem “Flüsterdialog” handele es sich um einen “unfassbaren Skandal im deutschen Fernsehen und der deutschen Politik”.
Der anonyme Autor von “Politically Incorrect” behauptet, die Tatsache, dass einem jungen Türken keine Antwort auf die Frage einfiel, was Deutschland denn besser hätte machen können, sei von wegweisender Bedeutung und nennt Kaymaks Satz:
Eine Aussage, die gerade der üblichen Argumentation, Deutschland würde den Migrantenkindern nicht genug bieten und sich nicht genügend um Integration bemühen, vollkommen den Wind aus den Segeln nimmt.
Das klingt doch arg überinterpretiert, würde bedeuten, dass wir fortan nicht einmal mehr über Mängel bei der Integration reden müssten, sondern wirklich nur noch übers Wegsperren und Ausweisen, aber es handelt sich ja auch um ein für diese und andere extremen Meinungen bekanntes Blog. “Bild” dagegen nennt Kaymaks Satz:
Eine Ansicht, die der häufigen Argumentation, dass mehr für die Integration von Migrantenkindern getan werden muss, den Wind aus den Segeln nahm.
Die Folgen der Landtagswahl, des Stimmengewinns für die SPD und des Einbruchs für die CDU, für die Wirtschaft und den Wohlstand werden verheerend sein, da sind sich ausnahmslos alle Experten einig. Also, alle Experten, die in “Bild” zum Thema Wort kommen:
Klaus Zimmermann vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung fürchtet eine “gefährliche Politik”, die “dauerhaft nicht zu mehr Wohlstand führt”, “negative Folgen für die Verbraucher” und “weiter steigende Energiepreise”,
Michael Heise, Chefsvolkswirt der Allianz, erwartet, dass es Arbeitslose “noch schwerer haben werden, Jobs zu finden”,
Anton Börner, Präsident des Bundesverband des Deutschen Groß- und Außenhandels, geht davon aus, dass sich ausländische Firmen “mit Investitionen in Deutschland stärker zurückhalten” werden,
und Jürgen Thumann, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, ist schlicht in “allergrößter Sorge”.
Es geht nun, kurz gesagt, alles den Bach runter, weil nicht genug Menschen die CDU gewählt haben.
Wahlempfehlungen
Als Wolfgang Clement sich gegen die Wahl der SPD aussprach, urteilte “Bild”-Autor Hugo Müller-Vogg (der seinen 60. Geburtstag mit Koch feierte) über Clement: “Ihm ist das Land wichtiger als die Partei.”
Und als die CDU in den Meinungsumfragen abrutschte, erklärte Müller-Vogg, dass wer SPD wähle, quasi automatisch die Linke an die Macht bringe: “Für die SPD geht’s nur mit Links.”
Eine Art Doppelpass spielte die hessische CDU mit “Bild” mit dem Berliner Staatsanwalt Roman Reusch. Nachdem “Bild” den Mann, der im vergangenen Jahr nach einem Disziplinarverfahren “ermahnt” wurde, als “Deutschlands mutigsten Staatsanwalt” bezeichnet hatte, wollte der hessische Justizminister ihn in eine “länderübergreifende Expertengruppe” holen, was “Bild” mit der Traumwahlkampf-Überschrift vermeldete: “Hessen holt Deutschlands mutigsten Staatsanwalt.”
Womöglich hat sich auch nur der Ehrgeiz der “Bild”-Zeitung in Grenzen gehalten, andere Stimmen zu finden. Schon vor der Wahl stand sie treu an der Seite von CDU-Ministerpräsident Roland Koch (siehe Kasten). Und “Bild” war (wie mehrfachberichtet) Kochs Medienpartner bei seiner spektakulären Kampagne gegen Ausländer in den vergangenen Wochen. Insofern ist das Debakel für Roland Koch auch eine Niederlage für die “Bild”-Zeitung. “Spiegel Online” kommentiert es so:
Koch konnte mit seinen xenophoben Attacken niemanden mobilisieren außer seinen Kellner in Springers Boulevard.
Wenn “Bild”-Kommentator Jörg Quoos heute den Absturz Kochs erklären muss, muss er also indirekt erklären, warum die “Bild”-Kampagne so wenig gegriffen hat. Ein Fehler war sie natürlich nicht, deshalb kann auch Koch nichts falsch gemacht haben, und Quoos analysiert:
(…) Die Bürger haben es einfach gespürt: Roland Koch war schon lange vor der harten Wahlschlacht der letzte CDU-Kämpfer für die Werte, die die Partei groß gemacht haben. Streitlustig, unerschütterlich, aber ohne echte Deckung.
Im Reservat für Konservative reitet er wie der einsame Sheriff Richtung Sonnenuntergang. Am Ende hat der Wähler Roland Koch nicht mehr abgenommen, dass er allein die CDU auf altem Kurs halten kann.
Das schlechte Abschneiden in Hessen ist der Preis für das populistische Streben der CDU-Führung Richtung links, weg von der Mitte. (…)
Die Menschen haben Roland Koch nicht gewählt, weil sie genau seiner Meinung sind? Sie wollten ihm, der für den richtigen, rechten Kurs stand, keine Stimme geben, weil die anderen in der CDU längst auf einem anderen, linken Kurs sind?
Die Argumentation dehnt die Grenzen der Logik, aber vermutlich funktioniert sie auch, um zu erklären, warum die “Bild”-Zeitung seit Jahren alles richtig macht und trotzdem immer seltener gekauft wird.
Heute ist das neue Buch von Rainer Wendt erschienen. Es heißt “Deutschland schafft sich ab” “Deutschland in Gefahr”. Und es wird von “Bild” und Bild.de ordentlich beworben:
Hauptberuflich ist Rainer Wendt Talkshowgast. Das lässt sich nämlich besonders gut mit seiner Nebentätigkeit als Bundesvorsitzender der “Deutschen Polizeigewerkschaft” (eine von mehreren Polizeigewerkschaften in Deutschland) verbinden. In dieser Rolle fordert er immer wieder strikte Law-and-Order-Maßnahmen: Wenn Wendt so vor sich hindampfplaudert, bringt er schon mal “einen Zaun entlang der deutschen Grenze” ins Spiel oder “strenge Leibesvisitationen” beim Einlass ins Fußballstadion.
Jetzt also ein ganzes Buch mit lauter Wendt’schen Vorschlägen. Und damit das auch so richtig durch die Decke geht, veröffentlichen die “Bild”-Medien Auszüge daraus — riesige Ankündigung auf der heutigen Titelseite inklusive.
Gemessen an der Abrechnungsankündigung ist der Text relativ zurückhaltend. Neben ziemlich inhaltsleeren (“Ist schon irgendwie recht spät, aber immerhin.”) und etwas verqueren Sätzen (“Beschäftigte des Rechtsstaates, die in ausreichender Zahl vorhanden, respektiert und abgesichert und vernünftig bezahlt und versorgt werden müssen.”) sticht ein Gedanke von Rainer Wendt besonders raus:
Selbstverständlich sind Tunesien, Marokko und Algerien sichere Herkunftsländer — es sind deutsche Urlaubsländer!
Was auch immer “deutsche Urlaubsländer” sein mögen — daran sollte sich die Politik laut Rainer Wendt, immerhin Vertreter von 94.000 Polizisten in Deutschland, also orientieren: “Waren da schon mal Deutsche im Urlaub? Na dann, sicheres Herkunftsland!” Für den Südsudan oder Somalia werden sich doch bestimmt auch noch ein paar abenteuerlustige deutsche Rucksacktouristen aus den vergangenen Jahren finden lassen.
Aber selbst wenn man bei den Ländern bleibt, die Wendt in seinem Text nennt: Was haben Urlaubsstatistiken und gut besuchte Edel-Wellness-Spa-Ressorts mit Menschenrechten oder der Sicherheitslage der Einheimischen zu tun?
Und dazu sind vor allem Algerien und Tunesien in Teilen aktuell alles andere als empfehlenswerte Urlaubsziele. Zu Algerien hat das “Auswärtige Amt” beispielsweise eine Teilreisewarnung herausgegeben:
Aufgrund der angespannten Sicherheitslage in der gesamten Region und anhaltender Drohungen von terroristischen Gruppen wird bei Reisen nach Algerien zu erhöhter Vorsicht geraten.
Es besteht weiterhin die Gefahr von Entführungen und Attentaten durch terroristische Gruppierungen, die sich auch gegen westliche Ausländer richten können.
Die tunesische Regierung unternimmt weiterhin umfangreiche Anstrengungen, um Touristen vor dem Risiko terroristischer Anschläge zu schützen. Das Auswärtige Amt rät jedoch angesichts der weiter bestehenden terroristischen Gefährdung zu erhöhter Aufmerksamkeit, insbesondere in der Nähe touristischer Anziehungspunkte und religiöser Kultstätten sowie an symbolträchtigen Daten
Wo wäre Rainer Wendt mit seinen Parolen besser aufgehoben als bei “Bild” und Bild.de? Die Werbekampagne ist übrigens als Serie angelegt — morgen geht’s in den “Bild”-Medien weiter mit Teil 2.
1. Journalismus im Ausverkauf (dossier.at)
Die Redaktion von “Dossier” behauptet im Besitz von internen E-Mails zu sein, die belegen würden, dass die Tageszeitung “Österreich” regelmäßig Schleichwerbung verbreitet hat. Der Herausgeber der Zeitung, Wolfgang Fellner, hätte beispielsweise eine mehrwöchige Serie an redaktionellen Berichten über einen seiner größten Werbekunden veranlasst. Auch von Gefälligkeitsinterviews für Firmenchefs ist die Rede. Und den Unternehmen sei die Entscheidung überlassen worden, ob Sie „klassische Werbung“ oder doch lieber positive Berichterstattung kaufen wollten. Juristisch seien die aufgezeigten Fälle verjährt, doch Gegenwart und Zukunft sehen, was dies Thema anbelangt, laut “Dossier” düster aus: “Solange die Behörden das Gesetz so schlampig, wenn nicht gar fahrlässig vollziehen wie bisher, so lange wird das System Fellner funktionieren. So lange wird er in Österreich zu haben sein, der Journalismus im Ausverkauf, wie man auch anhand der Ausgabe vom 2. September 2016 vermuten kann.”
2. Chlorgasangriff auf Aleppo? (blog.tagesschau.de, Michael Wegener)
In Aleppo soll es einen Chlorgas-Angriff des syrischen Regimes mit rund 80 Opfern gegeben haben. Die Tagesschau hat entsprechendes Bild- und Videomaterial gesichtet, es jedoch nicht verwendet. Im Blog erklärt Michael Wegener, warum man sich so entschieden hat und welcher technischen Mittel man sich bediene, um die Authentizität von Videomaterial zu prüfen.
3. Laut MOPO: Schweres ‚Sichselbstverletzen‘ aufgrund von ‚Übersehen‘ (inside-ottensen.de)
Das Stadtteilblog “Inside Ottensen” macht am Beispiel eines Berichts der “Hamburger Morgenpost” über einen Unfall auf ein verbreitetes Problem aufmerksam: Radfahrern würde in vielen Unfallberichten durch die Verwendung bestimmter Formulierungen unterschwellig eher die Schuld zugewiesen als Autofahrern.
4. Roland Tichy startet Monatsmagazin zum Meinungsportal (horizont.net, Roland Pimpl)
Seit geraumer Zeit betreibt der ehemalige “Wirtschaftswoche”-Chef Roland Tichy die Internetseite “Tichys Einblick”, eine “liberal-konservative Meinungsseite” wie er sie nennt. Nun setzt der streitbare Publizist zum Sprung Richtung Print an. Im Oktober erscheint erstmals “Tichys Einblick” als Monatsmagazin mit einer Auflage von 70.000 Heften, zum Copypreis von 8 Euro für rund 100 Seiten. “Horizont”-Autor Roland Pimpl stellt die Frage, warum Leser Geld für ein paar Texte auf Papier bezahlen sollten, wo es doch auf Tichys Portal diese und noch viel mehr Beiträge gratis gebe. Der Herausgeber selbst spricht von einem “Fanartikel”, zum Sammeln oder zur Auslage im Ärzte-Wartezimmer. Pimpl dazu: “Betriebswirtschaftlich formuliert, will Tichy mit seinem Heft die hohe Zahlungsbereitschaft einer kleinen Zielgruppe für eine besondere Darreichungsform eigentlich kostenloser Inhalte abschöpfen.”
5. Media Startup Fellowship (vocer.org, Thilo Kasper)
Das VOCER Innovation Medialab und das Media Lab Bayern starten gemeinsam ein neues Förderprogramm. Gesucht werden “innovative Teams, die Ideen für neue Medienangebote und Geschäftsmodelle in der Multichannel Distribution umsetzen wollen”. Die Gewinner des Auswahlverfahrens will man mit dem Media Startup Fellowship vier Monate lang mit 10.000 Euro, Mentoring, Business-Coaching und Workshops unterstützen. (Es geht um “Lean-Startup-Methoden”, um das Entwickeln einer Roadmap, “Insights in die Branche gebende Medien-Mentoren”, ein “Prototyping-Budget” und ein “Comitment”. Nur, ob auch ein Denglisch-Kurs enthalten ist, ist leider nicht ersichtlich. Und nicht vergessen: “Wenn ihr Technologie macht, habt ihr Coder dabei, macht ihr Content, kennt ihr euch im Storytelling aus.”)
6. Ich habe den Bericht über den veganen Selbstversuch im aktuellen SPIEGEL gelesen, damit Ihr es nicht tun müsst. (graslutscher.de, Jan Hegenberg)
Der “Spiegel” hat in der aktuellen Ausgabe eine Reportage über vegane Lebensweise abgedruckt. Genauer gesagt war es ein Selbstversuch, bei dem Autorin Barbara Rupp sieben Tage auf Fleisch, Käse, Leder, Wolle, Milch und Honig verzichtet hat. Verbunden mit der Frage: “Und wenn wir alle Veganer wären? Wo kämen wir da hin?” Der Blogger und “Graslutscher” Jan Hegenberg hält das Ganze für eine “Aneinanderreihung absurd arrangierter Selbsterfahrungsberichte” und schlechter Recherche und kommt zu dem Schluss: “Jemand, der sich nach vier Tagen veganer Ernährung ernsthaft als besserer Mensch vorkommt, obwohl er laut eigener Aussage schon das Steak für die Zeit nach dem Versuch deponiert hat, der wirkt einfach vollkommen unglaubwürdig. Ihrer eigenen Projektion eines veganen Dummkopfes kann sie vermutlich einfach selbst wenig abgewinnen.”
1. Helmut Kohl – im Halbdunkel (dbate.de, Stephan Lamby)
Im Jahr 2003 fand Helmut Kohls letztes großes TV-Interview statt. Das Interview zog sich über vier Tage – zwei Tage im Frühjahr, zwei Tage im Herbst. Dokumentarfilmer Stephan Lamby erinnert sich an das ungewöhnliche Gespräch, das er und sein Co-Autor Michael Rutz mit dem Ex-Kanzler führten. Wer sich nach der Lektüre für das Gespräch interessiert: “dbate” zeigt das Interview in sechs einstündigen Folgen.
2. Dieses BILD-Interview über Germanwings-Pilot Andreas Lubitz ist offenbar erfunden (buzzfeed.com, Petra Sorge)
Drei Tage nach dem Absturz des Germanwings-Fluges 4U9525 im März 2015, bei dem 150 Menschen starben, brachte “Bild” ein Interview mit der angeblichen Geliebten des Co-Piloten. Nachdem die “Zeit” schon Zweifel geäußert hatte, scheint sich nun zu bestätigen, dass “Bild” offenbar einer Hochstaplerin Gehör geschenkt und eine frei erfundene Geschichte abgedruckt hat.
3. “Zeitungen werden nicht überleben” (swissinfo.ch, Roger Nickl & Thomas Gull)
Zwei Medienexperten aus der Schweiz sprechen über die Zukunft der Medien: Otfried Jarren, Professor für Publizistik an der Universität Zürich (UZH) und der lange Jahre als Auslandskorrespondent und Chefredakteur und nunmehr als freie Journalist tätige Casper Selg. Einig sind sich beide, dass die klassischen Nachrichtenmedien nicht überleben werden: “Zeitungen sind Produkte, die Themen aus Politik, Unterhaltung, Kultur mit Werbung kuppeln und integral zu einem Preis verkaufen. Diesen Markt gibt es so nicht mehr, weil die Digitalisierung es erlaubt, journalistische Inhalte anders abzusetzen und individuell und selektiv zu konsumieren. Die Werbung und die Nutzerinnen und Nutzer werden bestimmen, wohin die Reise geht.” (Otfried Jarren)
4. Der paranoideste Mensch in Amerika? (deutschlandfunk.de, Brigitte Baetz)
Der Amerikaner Alex Jones ist ein berühmt-berüchtigter Moderator einer täglichen Radiosendung, in der er regelmäßig wilde Verschwörungstheorien verbreitet, oft von wilden Wutausbrüchen und Schreiattacken begleitet. Außerdem betreibt er die umstrittene Webseite “infowars.com”. Nun hat sich Star-Moderatorin Megyn Kelly (vormals “FoxNews”, jetzt “NBC”) mit dem Schreihals getroffen, um ihn zu interviewen. Dies ruft vielerlei Kritik hervor. Für weitere Diskussionen sorgt, dass Alex Jones die unerlaubt mitgeschnitten Vorgespräche veröffentlicht hat. US-Zeitungen und Online-Dienste seien sich weitgehend einig, dass das Medienevent ein Fehler von Kelly und NBC war.
5. NetzDG: Grundlegend neuer Ansatz nötig (www.reporter-ohne-grenzen.de)
“Reporter ohne Grenzen” appelliert an den Bundestag, das geplante Netzwerkdurchsetzungsgesetz in seiner aktuellen Form abzulehnen: „Strafbare Inhalte in sozialen Netzwerken sind ein reales Problem und sollten gelöscht werden. Aber dieser Gesetzentwurf vermischt ganz verschiedenartige Rechtsprobleme, setzt auf untaugliche Mittel und ist schlecht begründet“, so der Geschäftsführer der Organisation. Weitere Leseempfehlung: Netzwerkdurchsetzungsgesetz: Experten haben gravierende verfassungsrechtliche Bedenken bei “Heise Online”.
6. Von Postergirls und Dunklen Rittern – Wie man über die Neue Rechte schreiben sollte und wie nicht (blog.zeit.de, Michael Barthel)
Michael Barthel berichtet im “Störungsmelder”-Blog der “Zeit” von der Schwierigkeit, über die Neue Rechte zu schreiben. Schaue man sich den Journalismus zum „Institut für Staatspolitik“ und „Identitärer Bewegung“ an, so entdecke man neben einigen guten Artikeln etliche, die auf die Selbstinszenierung der „Neuen Rechten“ reinfallen: “Die unverhältnismäßige Aufmerksamkeit durch die Medien hat dazu geführt, dass sich die Protagonisten der IB mittlerweile wie Popstars — oder eben Postergirls — vorkommen müssen.”
1. Rechte Propaganda-Plattform sucht Asyl in Sachsen (tagesspiegel.de, Matthias Meisner)
Das rechte Internetportal “JouWatch” hat seinen Sitz von Thüringen nach Sachsen verlegt. Einer der Gründe: Das Finanzamt Jena wollte anscheinend die Gemeinnützigkeit prüfen, eine Aberkennung hätte sich negativ auf den Betrieb der Plattform auswirken können. In Sachsen erhofft man sich wohl ein angenehmeres Klima.
2. Verwischte Grenzen (deutschlandfunk.de, Stefan Fries, Audio, 8:21 Minuten)
Der ehemalige Mitherausgeber und Chefredakteur des “Focus” ist auch mit 81 Jahren noch recht fleißig: In seinem alten Blatt schreibt Helmut Markwort jede Woche das “Tagebuch”. Gleichzeitig kandidiert er bei den bayerischen Landtagswahlen für die FDP. Das Verlagshaus Burda sieht darin keinen Interessenkonflikt. Der Erlanger Medienethiker Prof. Schicha empfiehlt Markwort zumindest eine Schreibpause.
3. BGH – ZDF muss formulierte Erklärung eines polnischen Gerichts nicht veröffentlichen (wbs-law.de)
In einer ZDF-Doku aus dem Jahr 2013 über die Befreiung verschiedener Konzentrationslager wurden die Lager Majdanek und Auschwitz als “polnische Vernichtungslager” bezeichnet. Nachdem die Formulierung von der polnischen Botschaft beanstandet wurde, änderte das ZDF den Text seinerzeit in “deutsche Vernichtungslager auf polnischem Gebiet”, veröffentlichte eine Korrekturnachricht und bat bei einem ehemaligen Häftling um Entschuldigung, der sich deswegen beschwert hatte. Dies ging dem ehemaligen KZ-Häftling jedoch nicht weit genug. Er wollte mit Hilfe eines polnischen Gerichts das ZDF dazu zwingen, eine vorformulierte Erklärung zu veröffentlichen. Wozu das ZDF jedoch nicht verpflichtet ist, wie jetzt der Bundesgerichtshof entschied. Dies würde gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie gegen die Medienfreiheit verstoßen.
4. Im Zeichen des Hashtags (sueddeutsche.de, Carolin Werthmann)
Eine im Auftrag des Hamburger Hans-Bredow-Instituts durchgeführte Studie hat untersucht, inwieweit das Stimmungsbild auf Twitter dem der Bevölkerung ohne Twitter-Account entspricht. Das Ergebnis ist relativ ernüchternd: Twitterdiskurse würden nicht repräsentieren, was die Allgemeinheit im Netz bewegt, und schon gar nicht, was Menschen ohne Internetzugang beschäftige. “SZ”-Autorin Carolin Werthmann: “Dennoch können die Hashtag-Debatten eine andere Funktion erfüllen: Indem sie extreme Standpunkte aufzeigen, sind sie ein Seismograf für radikale Trends und Positionen.”
5. Journalist erhält Strafbefehl wegen Veröffentlichung von Zyto-Akte (deutsche-apotheker-zeitung.de, Hinnerk Feldwisch-Drentrup)
Im Prozess um den Bottroper Zyto-Apotheker soll ein Journalist Teile einer Strafakte ins Internet gestellt haben. Dies könnte für ihn unangenehme Folgen haben: Die Staatsanwaltschaft hat Strafbefehl gegen ihn beantragt, den das Amtsgericht Essen nun erlassen hat. Wissenschaftsjournalist Hinnerk Feldwisch-Drentrup erklärt den Fall, bei dem es auch um Prozesstaktik geht. Heikel sei zudem, dass der Journalist mehrfach kritisch über die Staatsanwaltschaft berichtet hatte, die gegen ihn ermittelte.
6. Her mit meinen Daten! (spiegel.de, Markus Böhm & Angela Gruber & Judith Horchert)
Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) räumt Nutzern umfassende Auskunftsrechte gegenüber Websitebetreibern ein. Beim “Spiegel” haben zwei Redakteurinnen und ein Redakteur die Probe aufs Exempel gemacht und Facebook, Netflix sowie Onlinehändler angeschrieben. Man ahnt, dass es sich um viele Daten handeln wird, aber ist dennoch überrascht: Allein die Antwort von Netflix auf die Datenabfrage umfasste 450 PDF-Seiten. Überrascht ist man jedoch auch von des “Spiegels” eigenem Umgang mit Daten.
(Und ja, auch hier im BILDblog gibt es noch Werbetracker, aber damit ist dank Euch bald Schluss.)
1. Goldener Handschlag für Ex-Chefredakteur des rbb (rbb24.de, Marcus Engert & René Althammer & Jo Goll)
Wie Recherchen von NDR und RBB sowie vertrauliche Dokumente zeigen, gab der RBB seinem scheidenden Chefredakteur Christoph Singelnstein einen gut dotierten Beratervertrag mit auf den Weg – zusätzlich zur gesetzlichen Rente und einem lebenslangen Anspruch auf ein jährliches Ruhegeld von mehr als 100.000 Euro. Ein Sprecher des RBB habe auf Anfrage erklärt, man könne sich “zu Vertragseinzelheiten aus vertragsrechtlichen Gründen (Verschwiegenheitsklausel) nicht äußern”.
2. Beschäftigte wehren sich juristisch gegen Kündigungen (golem.de, Ingo Pakalski)
Alle Twitter-Beschäftigten in Deutschland, die von einer Kündigung durch den neuen Eigentümer Elon Musk betroffen sind, sollen in die Gewerkschaft eingetreten sein. Die Kündigungsschutzklagen würden sie nun mit gewerkschaftlicher Unterstützung führen. Außerdem solle ein Betriebsrat gegründet werden.
3. Wie Behörden, Medien und NGOs Mastodon für sich entdecken (netzpolitik.org, Sebastian Meineck)
Twitter laufen die Nutzerinnen und Nutzer weg, und selbst Behörden, Medien und NGOs sehen sich nach Alternativen um. Als Ausweichmöglichkeit bietet sich derzeit Mastodon an. Sebastian Meineck erklärt, welche Politiker und Politikerinnen, Institutionen und Akteure der Zivilgesellschaft es bereits dorthin gezogen hat und was bei einem möglichen Umzug zu beachten ist.
4. Böll-Stiftung nimmt Podcast vom Netz: Eingeknickt vor Anthroposophen (volksverpetzer.de, Matthias Meisner)
Die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung in Baden-Württemberg und ihre bayerische Schwesterorganisation Petra-Kelly-Stiftung haben einen etwa 45-minütigen Podcast zum Thema Anthroposophie offline genommen. Dem sei eine Intervention der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland vorausgegangen. Matthias Meisner führt aus, worum es bei der Auseinandersetzung im Einzelnen geht.
5. Massive Kritik an Einsparplänen bei der Ostsee-Zeitung (verdi.de)
Wie die Gewerkschaft ver.di berichtet, soll es bei der “Ostsee-Zeitung” Pläne für größere Einsparungen geben. So soll zum Jahresende der “Ostsee-Anzeiger” eingestellt werden. Außerdem sähen die Sparpläne die Schließung des Druckstandortes, des Anzeigensatzes und der Bildbearbeitung vor. “Die Überrumpelungstaktik, mit der die Unternehmensführung die geplanten Maßnahmen kommuniziert hat, ist zeitlich wie inhaltlich unakzeptabel und wird von uns so nicht hingenommen”, so eine Gewerkschaftsvertreterin.
6. Die Macht der Klischeebilder (deutschlandfunk.de, Sandro Schroeder, Audio: 28:44 Minuten)
Im Medienpodcast “Nach Redaktionsschluss” geht es um die oftmals klischeebehaftete Bebilderung von Themen wie Rente und Alter. Es diskutieren eine Hörerin des Deutschlandfunks (Dlf), Andi Weiland (freier Fotograf und Projektleiter beim Verein “Sozialhelden”) Tatjana Blobel (Redaktionsleiterin von “Brigitte Wir” und “Brigitte Woman”) und Sandro Schroeder aus der Dlf-Medienredaktion.
wir mögen uns nicht ausmalen, was bei Ihnen los ist. Ob vielleicht die ganze Mannschaft krank im Bett liegt, dahingerafft von einem Virus. Oder bei den aktuellen Umstrukturierungen irgendetwas schief gelaufen ist und gerade die Techniker für die Texte zuständig sind. Oder die Weihnachtsfeiern in einem Maße eskaliert sind, dass tagsüber wirklich niemand mehr seine Sinne halbwegs beisammen hat.
Aber so geht es nicht weiter. Um noch einmal kurz auf den Roxette-Artikel von gestern zurückzukommen, in dem die Namen sämtlicher vier Hauptpersonen falsch geschrieben waren. Heute früh hat jemand versucht, das zu korrigieren, aber offensichtlich nicht einmal eine schlichte “Suchen & Ersetzen”-Funktion zur Verfügung gehabt. Jedenfalls heißt der arme Per Gessle immer noch einmal “Gessele“. In demselben Artikel wird auch das Alter des Sohnes Oscar falsch angegeben (acht statt neun). Und das Lied, das Marie Fredriksson gesungen hat, heißt nicht“I’ve Never Loved A Man Like I Loved You”, sondern “I Never Loved a Man (The Way I Love You)”.
Anna Nicole Smith (28) läßt tief blicken… zu tief! Ihr offenherziger Auftritt beim “Life 8” kommt sie jetzt wahrscheinlich teuer zu stehen.
Anna Nicole Smith ist ganze zehn Jahre älter. Und das Konzert schreibt sich nicht “Life 8”, sondern “Live 8”.
Wie ist das möglich, all diese Fehler (und noch viele mehr) zu produzieren, die doch so einfach zu vermeiden wären? Werden diese Texte von einem erkälteten Mitarbeiter per Mobiltelefon über eine sehr schlechte Verbindung einem Legastheniker diktiert? Raten Sie das Alter und die Namen der Personen, über die Sie berichten? Guckt da niemand, wirklich niemand mehr drauf?
Liebe Bild.de-Redaktion, wir kommen nicht mehr nach. Tun Sie doch sich und Ihren Lesern einen Gefallen: Nehmen Sie sich ein paar Tage frei, legen Sie sich hin, und dann, nächste Woche oder vielleicht besser nächstes Jahr, gehen Sie die Arbeit mit frischem Schwung wieder an.
Besorgt,
Ihr BILDblog.de
Nachtrag, 10. Dezember. Anscheinend gibt es noch irgendjemanden, der bei Bild.de ein paar Fehler korrigiert, aber sehr groß ist sein Ehrgeiz nicht. Das Alter der Kinder der ehemaligen Roxette-Sängerin Marie Fredriksson ist nicht verbessert, sondern entfernt worden; auch der Name des von ihr gesungenen Titels fehlt nun ganz. Immerhin hat er die beiden Fehler über Anna Nicole Smith und “Live 8” korrigiert — zumindest im Text, in der dazugehörigen Bildbeschriftung hingegen steht leider noch immer “Life 8”.
Nachdem die Berliner Boulevardzeitung “B.Z.” am Dienstag vergangener Woche vorab hatte verbreiten lassen, was anderntags Titelschlagzeile werden sollte (siehe Ausriss), stand die Sache, wie berichtet, natürlich auch in “Bild”. Unter Verweis auf die “B.Z.”-Meldung hieß es dort am Mittwoch auf der Titelseite:
“Der Grüne Hans-Christian Ströbele schockte Deutschland gestern mit einem unglaublichen Vorstoß: Er will, daß es von der dritten Strophe unserer Nationalhymne eine türkische Version gibt.”
Und “Bild”-Kolumnist Franz Josef Wagner schrieb (an Ströbele):
“Sie fordern eine offizielle türkische Version der deutschen Nationalhymne.”
Außerdem hatte “Bild” bei verschiedenen Politikern nachgefragt, was sie von dem “Vorstoß” hielten, woraufhin sie ihn als “völlig absurde Idee” (Frank Henkel) oder “absolut durchgeknallt” (Markus Söder) bezeichneten. Nur auf die Idee, vielleicht doch noch mal bei Ströbele selbst nachzufragen, ob’s überhaupt stimmt, was die Schwesterzeitung über ihn zu berichten wusste, kam bei “Europas größter Tageszeitung” offenbar niemand.
Ein Fehler. Denn laut Ströbele stammt die “völlig absurde Idee” gar nicht von ihm. Vielmehr habe die “B.Z.” bei ihm nachgefragt, “ob angesichts der vielen Menschen aus der Türkei, die in Deutschland leben, die deutsche Nationalhymne ins Türkische übersetzt und auch in türkischer Sprache gesungen werden könne”: “Meine Antwort war, dagegen hätte ich nichts, auch das sei OK”, so Ströbele in einer Stellungnahme.
Wie wenig Ströbeles lapidares “OK” mit einem “unglaublichen Vorstoß” gemein hat (und wenig offenbar “Bild” — wie vielen anderen Medien — an einer sachdienlichen Berichterstattung gelegen war), zeigt jedoch eine weiterer Absatz in Ströbeles Stellungnahme. Dort heißt es nämlich:
“Nachträglich habe ich erfahren, dass es bereits seit dem Jahr 2000 ein Taschenbuch des Referats Öffentlichkeitsarbeit des Deutschen Bundestages mit dem Grundgesetz in deutscher und türkischer Sprache gibt. Und auf der Umschlagseite findet sich die dritte Strophe des Deutschlandliedes mit Noten in deutscher Sprache — und mit einer Übersetzung in die türkische Sprache.”
Eigentlich lustig. Lustiger jedenfalls als die “590 Hassbriefe von beleidigten Deutschen”, die Ströbele seither offenbar zugeschickt bekam.
“Wenn ich etwas mache, was für andere
19-jährige ganz selbstverständlich ist,
muss das nicht gleich in der Zeitung stehen.” (Natascha Kampusch im März 2007)
Nachdem die österreichische Gratiszeitung “heute” gestern mehrere Paparazzifotos von Natascha Kampusch (aufgenommen auf der Tanzfläche einer Wiener Diskothek) veröffentlicht hatte, schreibt der “Standard”, die Gratiszeitung habe “mit einem Tabu gebrochen”:
Kampuschs Wunsch, keine Privatfotos ohne ihre ausdrückliche Zustimmung veröffentlicht zu sehen nämlich. Ein Wunsch, den die jahrelang eingekerkerte Frau bei Bedarf auch mit anwaltlichem Nachdruck artikuliert.
Auch “Bild” berichtet* heute über die Kampusch-Fotos — oder sagen wir lieber: “Bild” zeigt sie (siehe Ausrisse). Und in der Überschrift ist von einer “Schonzeit” nirgends die Rede. Stattdessen heißt es:
“Nach 8 Jahren Geiselhaft hat sie jetzt richtig ins Leben zurückgefunden”
Richtig ins Leben? Oder auf Seite 1 von Europas größter Tageszeitung?
*) Es ist uns übrigens nicht ganz klar, was die “Bild”-Zeitung (wo die “heute”-Veröffentlichung mit keinem Wort erwähnt wird) eigentlich meint, wenn sie schreibt: “‘Bei dem Auserwählten’, so die Wiener Tageszeitung ‘Krone’, ‘handelt es sich angeblich um den 21-jährigen Sohn von Nataschas Anwalt Gabriel Lansky.'” In der “Krone” heißt es nämlich: “(…) bei dem Auserwählten (…) handelt es sich nach Medienberichten angeblich um…” Die Behauptung selbst stammt ursprünglich aus der Tageszeitung “Österreich”. Die österreichische “Presse” hingegen schreibt zur “Bild”-Titelgeschichte:
Weil sie sich ja alle so für sie freuen, nehmen sich die Boulevardmedien auch großzügige Interpretationen heraus. Nataschas Gesicht, “ist ein einziges seliges Lächeln”. Tatsächlich lacht Kampusch auf keinem einzigen Foto.
Viel besser hätte die neue Woche für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Bild.de nicht starten können. Sie sind ganz verzückt:
Ob Eva beim Anblick des Vater-Tochter-Gespanns auch jedes Mal wieder ins Schwärmen kommt? Wir schon!
Mit “Eva” ist die Schauspielerin Eva Mendes gemeint, der “Vater” ist Schauspieler Ryan Gosling und die “Tochter” ist eines von zwei gemeinsamen Kindern des Ehepaares.
Ryan Gosling war mit seiner zweijährigen Tochter vor Kurzem in Los Angeles unterwegs. Paparazzi entdeckten die beiden und schossen Fotos, auf dem das Gesicht des Mädchens zu erkennen ist. Eines dieser Bilder hat nun also auch die Bild.de-Redaktion in die Hände bekommen. Und seitdem kommen die Promi-Kinder-Glotzer aus dem Schwärmen nicht mehr raus:
Die Unkenntlichmachung stammt von uns, Bild.de zeigt das Kind komplett unverpixelt auf der Startseite. Und das, obwohl die Redaktion sehr genau weiß, dass “Eva und Ryan” stets zu verhindern versuchen, dass ihre Kinder auf klickgeilen Internet-Portalen ausgestellt werden.
Im Artikel von Bild.de steht:
Esmeralda ist zwar schon ganze zwei Jahre alt und hat offensichtlich die besten Star-Appeal-Gene abbekommen — Bilder dieser Art sind aber eine absolute Rarität. Eva und Ryan achten sehr auf die Privatsphäre ihre [sic] Sprösslinge und halten sie fern von Blitzlichtgewitter und Paparazzi.
Den Schutz der Privatsphäre eines Kindes kann man natürlich schon mal vergessen, bei all der Begeisterung über solche “Star-Appeal-Gene” einer Zweijährigen.
Bei Bunte.de sind sie hingegen ganz erleichtert. Endlich ist er weg, dieser wahnsinnige Druck! Schließlich habe man “lange gewartet”:
Auf diese Bilder haben wir lange gewartet: Endlich zeigt uns Ryan Gosling seine Tochter Esmeralda!
Das Burda-Portal veröffentlicht ebenfalls das Foto von Gosling mit seiner jungen Tochter. Das Burda-Portal verzichtet dabei ebenfalls auf eine Verpixelung. Und das Burda-Portal schreibt ebenfalls, dass “Ryan und Eva” ihr Privatleben “weitgehend geheim” hielten:
Ryan und Eva sind bereits seit 2011 ein Paar, doch die Hollywood-Stars leben zurückgezogen und halten ihr Privatleben weitgehend geheim. Nicht mal von den beiden Schwangerschaften der schönen Schauspielerin erfuhr die Öffentlichkeit — bis die Geburten jeweils kurz bevor standen.
Dennoch — oder gerade deswegen — hat das Team von Bunte.de für ihren nächsten Beutezug einen Bitte an Ryan Gosling:
Esmeralda hat seit etwa einem Jahr eine kleine Schwester namens Amada (1). Auch auf sie würden wir gerne mal einen Blick werfen. Vielleicht beim nächsten Ausflug, Ryan?
Vergangenen Mittwoch ist ein Schlauchboot mit mehreren Dutzend Flüchtlingen an Bord am spanischen Playa de los Alemanes angekommen. Die Personen sprangen ins Wasser, liefen über den Strand und verschwanden. Drumherum standen Urlauber und Einheimische in Badehosen und Bikinis, die meisten wohl ziemlich überrascht.
Verschiedene Medien berichteten über die Ankunft der Geflüchteten, darunter auch express.de. Dort klang die Situation recht beängstigend. Auf ihrer Startseite schrieb die Redaktion:
Einige der Badegäste hatten ihre Handys gezückt und das Geschehen gefilmt. Im Artikel von express.de ist ein 20-sekündiges Video eingebettet. Was man dort nicht sieht: “Strandbesucher in Angst und Schrecken”.
Für ein paar mehr Klicks dichtet express.de eine Schlagzeile, die kaum etwas mit der Realität zu tun hat, und lässt Flüchtlinge Angst und Schrecken verbreiten.
Bild.de hat zu dem Thema ebenfalls einen Artikel veröffentlicht. Immerhin kommt die Redaktion ohne größere Angstmacherei aus, dafür ist geografisch einiges danebengegangen.
Gleich zu Beginn des Textes schreibt Bild.de:
Knapp 100 Kilometer liegen zwischen der afrikanischen Küste und dem Urlaubsort Cadiz auf dem südspanischen Festland. 100 Kilometer, die für viele Flüchtlinge den Unterschied zwischen zwischen (sic) Armut und Arbeit, Hoffnung und Hoffnungslosigkeit ausmachen — dafür riskieren viele ihr Leben.
Und:
Unwirkliche Szenen mitten in der Urlaubs-Idylle am Strand von Cadiz
Allerdings sind die Geflüchteten gar nicht am Strand der Stadt Cádiz angekommen, sondern an einem Strand in der Provinz Cádiz. Genauer: in der Nähe des Küstenortes Zahara de los Atunes. Dorthin sind es von der afrikanischen Küste (nehmen wir als Startpunkt mal die marokkanische Stadt Tanger) auch nicht 100 Kilometer (wie bis zur Stadt Cádiz), sondern etwas über 40 Kilometer — was noch immer eine verdammt weite Strecke ist, wenn man in einem überfüllten Schlauchboot sitzt, das nicht für solche Überfahrten gemacht ist.
Gestern Abend veröffentlichte Bild.de einen Artikel mit dieser Überschrift:
Da könnte man ja fast denken, dass Heinz-Peter Meidinger, der Präsident des “Deutschen Lehrerverbandes”, in seinem Interview mit der “Bild”-Redaktion gesagt hat, dass “unsere Schulen” “außer Kontrolle” sind. Nur hat er das nicht. Auf die Frage, was die Folgen von (Gewalt-)Problemen an deutschen Schulen seien, sagt Meidinger:
Meidinger: “Manche Schulen werden inzwischen von privaten Wachdiensten beschützt. Sie sollen in den Gebäuden, auf den Schulhöfen und an den Eingängen für Sicherheit sorgen. Das ist zwar gleichbedeutend mit einer Kapitulation der Pädagogik, aber zum Teil auch nachvollziehbar, denn immer wieder bringen Schüler Messer oder Reizgas-Sprays mit in die Schule. Wenn wir bei der Integration in diesen Problembezirken keine Fortschritte machen, drohen amerikanische Verhältnisse. Und an einigen Brennpunkt-Schulen in Problembezirken laufen wir Gefahr, dass die Situation außer Kontrolle gerät. Das dürfen wir nicht zulassen.”
Wir laufen Gefahr, “dass die Situation außer Kontrolle gerät”, “an einigen Brennpunkt-Schulen in Problembezirken”. Sie ist laut Meidinger noch nicht “außer Kontrolle”. Vor allem nicht flächendeckend an “unseren Schulen”.
So schnell verdreht die Bild.de-Redaktion eine Aussage und lässt es für eine gut klickende Überschrift so wirken, als herrsche in den Klassenzimmern und auf den Pausenhöfen im Land vornehmlich Chaos.
Aus der darauffolgenden Antwort Meidingers macht Bild.de gleich die nächste akrobatische Verrenkung:
Hat die Flüchtlingskrise die Lage an den Schulen noch einmal verändert?
Meidinger: “Es gab schon vorher massive Integrationsprobleme in einer Reihe von Brennpunkt-Regionen. Durch den Zustrom nach 2015 hat sich aber der Problemdruck noch einmal verschärft.”
Diese Aussage vermischt die Redaktion mit jener zu den “amerikanischen Verhältnissen”:
Auch hier: Heinz-Peter Meidinger sagt lediglich, es “drohen” “amerikanische Verhältnisse”, “wenn wir bei der Integration in diesen Problembezirken keine Fortschritte machen”. Er sagt nicht, dass sie vorherrschen. Und er bringt sie auch nicht direkt mit Flüchtlingen in Verbindung.
Nun könnte man einwenden, dass es sich ja nur um eine kleine Dachzeile ganz oben im Artikel handelt. Sie ist allerdings von großer Bedeutung, denn diese Zeile wird in der Regel als Überschrift angezeigt, wenn man den Bild.de-Artikel bei Facebook teilt.
Und wem könnte eine solche (hingebogene) Aussage wohl besonders gut gefallen?
Zum Beispiel Nicolaus Fest, der früher mal stellvertretender Chefredakteur bei “Bild am Sonntag” war, dort auf übelste Weise gegen den Islam feuerte und jetzt Sprecher der AfD Berlin Charlottenburg-Wilmersdorf ist:
Oder Andreas Bleck, der für die AfD im Bundestag sitzt:
Christian Titz, Trainer der Profi-Fußballer des HSV, soll die Tradition seiner Vorgänger, Extrawürste an “Bild”-Reporter zu verteilen, nicht fortgeführt haben. Dafür soll Titz nun den Zorn der “Bild”-Redaktion spüren. Das berichten jedenfalls andere Hamburger Medien.
Tatsächlich steht Christian Titz in den “Bild”-Medien besonders in der Kritik. Nach der — zugegeben, blamablen — 0:5-Heimniederlage gegen Jahn Regensburg stellte Bild.de den Posten des Trainers direkt in Frage:
Und “Bild” titelte zur Niederlage:
Es folgten ein 0:0 gegen die SpVgg Greuther Fürth und ein weiteres 0:0 im Stadtderby gegen den FC St. Pauli am vergangenen Wochenende. Und schon wieder fragen sie sich bei “Bild”, ob es das für Christian Titz jetzt gewesen ist:
Dazu muss man wissen: Aktuell liegt der HSV auf Platz 4 der 2. Fußball-Bundesliga. Nach der 0:5-Klatsche gegen Regensburg stand der Klub sogar noch auf Platz 2. In den Sportteilen der lokalen Medien gab und gibt es natürlich auch Kritik am HSV-Trainer, gerade nach der deutlichen Niederlage vor eineinhalb Wochen. Es wird dort aber längst nicht so hart gegen ihn geschossen wie bei “Bild”.
Woher kommt die harsche Kritik der “Bild”-Redaktion? Lars Albrecht, stellvertretender Sportchef der “Hamburger Morgenpost” erklärte sie bereits am 25. September so:
Eine Zeitung mit vier Buchstaben, die nicht MOPO heißt, hat es sich zum klaren Ziel gemacht, Christian Titz als HSV-Trainer abzusägen. Die Kampagne läuft schon lange vor und hinter den Kulissen auf Hochtouren, das 0:5 gegen Regensburg kam da gerade recht, im Derby wird dann nun wohl St. Pauli die Daumen gedrückt.
Klar, der “Trainer-Lehrling” (BILD) hat Fehler gemacht – wie jeder andere Trainer auch. Er hat es aber auch mit seiner unvergleichlichen Art geschafft, die Fans trotz des Abstieges für die 2. Liga zu mobilisieren, sie wieder hinter die Mannschaft zu stellen. Der HSV lebt!
Nach dem Derby gegen den FC St. Pauli wird die “Mopo” konkreter. Simon Braasch und Christian Jung schreiben:
Erschwert, und auch das beklagt Titz offen, werde dieser Prozess durch äußere Einflüsse. “Wenn du beim HSV Trainer bist und deine Spiele nicht gewinnst, gibt es immer ein gewisses mediales Tohuwabohu”, erklärt der Coach und schmückt etwas nebulös aus: “Ich nehme gewisse Aufmerksamkeiten wahr. Das Thema, dass man sich auf gewisse Dinge fokussiert, hat schon vor einiger Zeit begonnen.”
Um zu wissen, was genau Titz damit meint, muss man die Hintergründe kennen. Denn einen seit Monaten wirklich schweren Stand (unabhängig von Ergebnissen) hat der Trainer eigentlich nur bei einem Medium, allerdings Deutschlands lautestem, der “Bild”. Darüber, warum das so ist, hält sich vor allem eine Darstellung hartnäckig.
So soll der Trainer zu Beginn seiner Amtszeit im März recht zügig klargestellt haben, dass er im Gegensatz zu vielen seiner Vorgänger nicht beabsichtige, gesondert mit “Bild” kooperieren zu wollen, woraufhin ihm gegenüber unverhohlen angedeutet worden sein soll, er könne sich dann auf ein deutlich schwereres Leben als HSV-Trainer einstellen. War dem so, wurde diesbezüglich Wort gehalten.
Dass nach dem dritten Spiel in Folge ohne Sieg und ohne Tor nicht jeder Kritiker so schnell zufriedengestellt werden kann, dürfte Trainer Titz spätestens nach der Lektüre der “Bild”-Zeitung am Morgen klar gewesen sein. “Jetzt letzte Chance für Titz?”, hatte die Boulevardzeitung getitelt — und damit den roten Faden der Berichterstattung der vergangenen Tage konsequent aufgenommen. “Dieser HSV ist ein Titz”, hatte die “Bild” nach dem 0:5 gegen Regensburg getitelt. Danach folgte: “Titz unter Druck — zwei Pleiten könnten schon sein Aus bedeuten.”
Warum Titz, der noch bis zur vergangenen Woche hinter Legende Branko Zebec der nach Punkten und Siegen erfolgreichste HSV-Coach der Clubgeschichte war, so hart kritisiert wird, beantwortet Matthias Müller, Sportchef der Hamburg-Ausgabe der “Bild”, auf Nachfrage so: “Unsere Berichterstattung über den HSV spiegelt das Ergebnis unserer Recherchen wider. Nicht mehr — und nicht weniger.”
Ein anderer Erklärungsansatz könnte dieser sein: Nach Informationen des Abendblatts hatte sich Titz direkt nach seiner Beförderung zum Cheftrainer die Chuzpe herausgenommen, der “Bild” — anders als die meisten seiner Vorgänger — keine Privataudienz nach den wöchentlichen Spieltagskonferenzen zu gewähren. Was erlauben Titz?
Mit Dank an Dirk H., Martin R. und Anonym für die Hinweise!
Nun wird Christine Lieberknecht also doch nicht Übergangsministerpräsidentin in Thüringen. Die CDU-Politikerin und frühere Ministerpräsidentin des Landes habe “ihre Bereitschaft zurück gezogen, eine Übergangsregierung bis zur Durchführung von schnellen Neuwahlen anzuführen”, berichtet die “Thüringer Allgemeine”:
“Ich bin aus der Debatte raus”, sagte sie am Mittwochmorgen unserer Zeitung. Sie habe sich von Anfang an nur für die Lösung von Ex-Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) bereit erklärt. Doch der Widerspruch zu ihrer CDU, die keine schnellen Neuwahlen wolle, lasse sich “nicht auflösen”.
Einzige Alternative für Lieberknecht ist nun eine Koalition von Linke und CDU. “Wer jetzt keine Neuwahlen will, muss Bodo Ramelow mit verlässlicher Mehrheit zurück ins Ministerpräsidentenamt verhelfen und dann am besten mit ihm in eine Regierung gehen, ob das nun Projekteregierung oder anders heißt”, sagte sie.
Christine Lieberknecht sagt also, sie sei nur für die Lösung von Bodo Ramelow zu haben gewesen, sie begründet ihre Absage mit der Haltung der CDU und plädiert nun für eine Rückkehr Ramelows ins Ministerpräsidentenamt.
In einer ersten Meldung bei Bild.de klang das etwas anders. Die Redaktion verdrehte Lieberknechts Rückzug zu dieser Schlagzeile:
Und auch bei Twitter verkündete “Bild” die “BREAKING NEWS”:
Die Behauptung, dass Bodo Ramelow “einen Korb” bekommen hat, passt auch viel besser in die Kampagne, die die “Bild”-Medien seit einigen Tagen fahren:
Bild.de hat die Überschrift des Artikels zur Entscheidung von Christine Lieberknecht inzwischen geändert. Sie lautet nun:
1. Julian Reichelt und das Dilemma des Medienjournalismus (deutschlandfunk.de, Brigitte Baetz, Audio: 3:55 Minuten)
“Meine Güte, ist das schwer. Wir haben lange heute überlegt in der Medienredaktion des Deutschlandfunks: Wie umgehen mit dem großen Interview, das Ex-‘Bild’-Chefredakteur Julian Reichelt der Wochenzeitung ‘Die Zeit’ gegeben hat?” Der Fall sei ein gutes Beispiel für das Dilemma des Medienjournalismus, wie Brigitte Baetz erklärt: “Wir wollen und müssen Medienhypes hinterfragen, wollen aber nicht gerade deshalb diese Hypes weitertransportieren.”
2. Gericht untersagt Teile des “Spiegel”-Berichts über Mockridge (dwdl.de, Timo Niemeier)
Das Landgericht Hamburg hat zentrale Teile eines “Spiegel”-Texts über den Comedian Luke Mockridge (“Die Akte Mockridge”) untersagt. Es handele sich um eine unzulässige Verdachtsberichterstattung. Mockridges Anwalt habe gegenüber der “Süddeutschen” angekündigt, er wolle nun vom “Spiegel” eine sechsstellige Entschädigungssumme für seinen Mandanten geltend machen. “Spiegel”-Redakteurin Ann-Katrin Müller schreibt bei Twitter: “Der SPIEGEL wird alle Rechtsmittel ausschöpfen, um die Freiheit seiner Berichterstattung zu verteidigen.”
3. Steffen Seibert, die Tausendeinhundertfünfundsechzigste (uebermedien.de, Hans Jessen)
In seiner Funktion als Sprecher der Bundesregierung und persönlicher Sprecher der Kanzlerin war Steffen Seibert mehr als eintausend Mal Gast der Bundespressekonferenz (BPK). Journalismus-Urgestein und BPK-Experte Hans Jessen blickt auf die Tätigkeit Seiberts zurück und stellt ihm eine Art qualifiziertes Abschlusszeugnis aus.
4. So isoliert sind Kanäle von Coronaleugner:innen auf YouTube (netzpolitik.org, Christina Braun)
“Wie sieht YouTube Deutschland eigentlich aus? Wer ist mit wem vernetzt? Und welche Lager bilden sich dabei?” Der Youtuber Fynn Kröger vom Kanal “Ultralativ” hat untersucht, wie Youtube-Kanäle in Deutschland miteinander vernetzt sind. Ein Ergebnis seiner Analyse: Kanäle von Coronaleugnern seien zwar untereinander, aber darüber hinaus wenig verbunden.
5. netzwerk recherche fordert mehr Geld für Journalist:innen von der VG Wort (netzwerkrecherche.org, Malte Werner)
Eine geplante Neuregelung sieht vor, dass Verlagen eine Beteiligung an den Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaften zusteht. Das netzwerk recherche (nr) lehnt diese geplante Neuregelung ab. Die Ausschüttungen würden maßgeblich zum Lebensunterhalt von Medienschaffenden beitragen. Sie sollten daher in vollem Umfang den Urheberinnen und Urhebern zur Verfügung stehen. Damit schließt sich das nr einem Vorstoß des Berufsverbands Freischreiber an.
6. Witzige Panne: “Tagesschau”-Moderator spricht von Kanzler Kohl (rnd.de)
“Tagesschau”-Sprecher Claus-Erich Boetzkes sprach in einer Anmoderation versehentlich von “Kanzler Kohl” – tatsächlich ging es aber um Merkel-Nachfolger Olaf Scholz. Twitter reagierte auf den kleinen Lapsus erwartungsgemäß mit Humor, und die “Tagesschau” kommentierte trocken: “Like, wer ihn noch kennt. #Scholz #Kohl”.
1. GNTM Exposed: Mi$$brauch, Lügen und Minderjährige (youtube.com, Rezo, Video: 31:19 Minuten)
Der Youtuber Rezo hat die aktuellen Vorwürfe hinsichtlich “Germany’s Next Topmodel” (GNTM), etwa von Kayla, Alicia und Lijana, zum Anlass genommen, die Kritikpunkte zusammenzufassen und die ProSieben-Sendung einer Bewertung zu unterziehen. Seine Botschaft an Heidi Klum und das GNTM-Team: “Völlig unabhängig, wie mager Ihr seid oder was für freshe Lederjacken Ihr tragt: Ihr seid einfach menschlich hässlich.”
2. Schwere Vorwürfe gegen Kinderfotograf Lippoth (sueddeutsche.de, Anna Ernst & Mareen Linnartz)
Ein deutscher Kinderfotograf mit internationalem Renommee soll sich über Jahrzehnte an mehreren seiner jungen Models vergangen haben, wie das “Zeit Magazin” unter Berufung auf zahlreiche Zeugen berichtet (nur mit Abo lesbar). Seit mehr als neun Monaten befinde sich der Fotograf in Untersuchungshaft, nun werde ihm der Prozess gemacht.
3. Wer @Tim_Roehn von der @welt kritisiert, muss mit Einschüchterungsversuchen rechnen. (twitter.com, Matthias Meisner)
Tim Röhn, Chefreporter der “Welt”, hat dem Journalisten Matthias Meisner eine Unterlassungserklärung des Axel-Springer-Justiziariats zukommen lassen. Meisner ordnet diesen Vorgang in einem Twitter-Thread aus seiner Sicht ein, er spricht von einem “Einschüchterungsversuch” des “Welt”-Reporters. Tim Röhn wiederum antwortet bei Twitter: “Einschüchterung? Kritik? Weder noch.” Röhns Vorgehen wirft, neben Stilfragen, inhaltliche Fragen auf. Auch formal kann das Vorgehen kritisiert werden. Der IT-Anwalt Chan-jo Jun kommentiert auf Twitter: “Der Weg über einen unerfahrenen, aber günstigen Springer-Justitiar war für einen Chef-Reporter stümperhaft. Formale und materielle Fehler machen ihn und seinen Verlag selbst angreifbar und der parallele Disput auf Twitter ist juristisch schlecht abgestimmt und unüberlegt.”
4. “Das hat mich schockiert” (tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Die ehemalige “heute”-Moderatorin Petra Gerster ist für ihre genderbedingten Sprechpausen heftig kritisiert und beschimpft worden, was sie sehr schockiert habe. Joachim Huber kommentiert: “Die Kritikerinnen und Kritiker der Gendersprache übersehen gerne, dass der Gebrauch von Sprache individuell und universell ist. Sprache gehört allen und niemandem. Sprache, sensibel wie sie ist, kann nicht unter Gender-oder-nicht-Gender-Kuratel gestellt werden.”
5. Twitter zahlt 150 Millionen Dollar Strafe für Nutzertäuschung (spiegel.de)
Twitter hat sich mit dem US-Justizministerium auf die Zahlung einer Geldstrafe in Höhe von 150 Millionen US-Dollar geeinigt. Das Unternehmen habe laut eigenen Angaben einige der zu Sicherheitszwecken bereitgestellten E-Mail-Adressen und Telefonnummern für Werbezwecke verwendet – “versehentlich”, wie es sagt.
6. Getrennt – und dem Internet entstiegen (deutschlandfunk.de, Samira El Ouassil, Audio: 4:36 Minuten)
Das Youtube-Promi-Paar Bianca (“Bibi”) und Julian (“Julienco”) Claßen hat sich getrennt, was in den Sozialen Medien für viel Aufregung und Aufmerksamkeit sorgt. In ihrem Kommentar ordnet Samira El Ouassil den Fall medial ein: “Mit dem Influencer Rezo nahmen wir vielleicht am stärksten eine Politisierung der Influencer-Kultur war, mit Fynn Kliemann wurden vielen möglicherweise zum ersten Mal die Ausmaße einer Influencer-Ökonomie bewusst. Spätestens jetzt mit der Berichterstattung über die Trennung eines YouTube-Paares stellen wir fest: auch das Internet ist ein Boulevard.”
Am 28. August, drei Wochen vor der Bundestagswahl, erschien eine “Bild am Sonntag”, deren Titelseite so aussah:
Und heute, fünf Wochen danach, sieht die Titelseite der “BamS” so aus:
Und weil die Titelgeschichte der “BamS” damals, vor acht Wochen, natürlich im Blatt weiterging, steht das Wort Gegendarstellung heute ein zweites Mal auf Seite 4:
Mit anderen Worten: In der längsteskaliertenPrivatfehde zwischen der “Bild am Sonntag” und Oskar Lafontaine, aus der von Anfang an nicht ersichtlich war, wer denn nun Recht hatte (oder den Streit geschickter für den Wahlkampf zu nutzen wusste), hat sich der ehemalige “Bild”-Kolumnist das Recht erstritten, den Tatsachenbehauptungen der “BamS” seine eigenen entgegenzusetzen. Laut Lafontaine ist die “BamS”-Behauptung nämlich “falsch”, ein sog. “Protokoll der Privatjet-Affäre” des “BamS”-Korrespondenten Bernhard Keller würde belegen, dass Lafontaine die Unwahrheit gesagt habe, als er öffentlich bestritt, für die Anreise zu einem “BamS”-Interview einen Privatjet angefordert zu haben: Weder habe seine Mitarbeiterin für ihn “einen Privatjet gefordert”, noch habe er selbst “eine solche Forderung gestellt”.
Unmittelbar unter der Gegendarstellung steht:
“BILD am SONNTAG ist zum Abdruck der vorstehenden Gegendarstellung unabhängig von deren Wahrheit gesetzlich verpflichtet. Wir bleiben bei unserer Darstellung.”
Und unmittelbar neben der Gegendarstellung steht dies:
Denn die “BamS” hat Matthias Prinz, “Deutschlands bekanntestem Medienanwalt”, einfach mal so ein paar Fragen gestellt: “Herr Professor Prinz, was ist eine Gegendarstellung?” zum Beispiel, “Steht in einer Gegendarstellung immer die Wahrheit?” oder eben: “Beweist der Abdruck einer Gegendarstellung, daß eine Zeitung falsch berichtet hat?”
Auf die letzte Frage antwortet Prinz:
“Nein, und deswegen sieht man ja manchmal auch Gegendarstellungen mit Anmerkungen der Redaktion, in denen es heißt: ‘Die Redaktion bleibt bei ihrer Darstellung. Es liegen uns die folgenden Beweise vor, aus denen sich ergibt, daß die Gegendarstellung unwahr ist…'”
Und dem ist nichts hinzuzufügen – außer zweierlei.
Weil die “Bild am Sonntag” am 6. November eine Reportage über “die älteste Frau der Welt” im el salvadorianischen San Agustin im Blatt hatte, antwortete “BamS”-Chef Claus Strunz gestern in der “BamS”-Rubrik “Der Chefredakteur antwortet” auf eine Frage von Elfriede Pietrowski aus Dortmund (NRW).
Frau Pietrowski fragte:
Strunz schrieb:
Liebe Elfriede Pietrowski,
(…) Auch für uns war die Reportage von Rena Beeg ein Höhepunkt der letzten Ausgabe. Wir sind Woche für Woche bemüht, solche Geschichten zu finden. (…) Wie die Reportage über die 127jährige Frau zeigt, suchen wir in der ganzen Welt nach bewegenden Storys. Wenn wir fündig geworden sind, entsenden wir unsere Reporter auch in die entlegendsten Winkel dieser Erde.
Aber auch auf die eigentliche Frage antwortete Strunz:
(…) Die Idee für diese Geschichte entstand durch eine kleine Meldung der Nachrichtenagentur Reuters, Kollegen in El Salvador hatten berichtet, daß im Osten des Landes eine 127 Jahre alte Frau leben würde und damit die älteste Frau der Welt sei. BamS-Reporterin Rena Beeg war fasziniert und wollte wissen, ob das stimmt. Zunächst recherchierte sie telefonisch in El Salvador. Sie fragte dort Journalistenkollegen, wo diese Frau genau wohne — und ob jemand einen Kontakt herstellen könne. Dabei stieß Rena Beeg auf einen Fotografen, der in El Salvador als einer der besten Pressefotografen gilt und die Frau kannte. Sie verabredete sich mit ihm und flog in das zentralamerikanische Land. Mit dem Fotografen ging es dann im Auto rund 100 Kilometer weiter in den Ort San Agustin. (…)
Herzlichst, Ihr Claus Strunz
Und deshalb, lieber Claus Strunz, zunächst einmal vielen Dank, dass Sie uns daran teilhaben lassen, wie Sie die angeblich älteste Frau der Welt gefunden haben wollen. Falls es sich wirklich so zugetragen haben sollte, wie Sie es Frau Pietrowski schreiben, müssen wir uns allerdings sehr wundern.
Zumal Sie es doch viel einfacher hätten haben können. Schließlich ist die Geschichte von Cruz Hernandez in der Tat nicht neu, sondern (seit sie die el salvadorianische Zeitung “La Prensa Gráfica” am 5. August 2005 aufgeschrieben hatte) weltweitbekannt. Ja, hatte nicht zuletzt Ihr eigenes Blatt, die “Bild am Sonntag”, bereits am 28. August unter der Überschrift “Hier wird die älteste Frau der Welt geküßt” in großer Aufmachung (siehe Ausriss) über die alte Dame berichtet? Insofern wundert uns zunächst, dass Sie schreiben, Ihre Reporterin “wollte wissen, ob das stimmt”. Aber auch darüber hinaus sind wir irritiert, dass Sie, wie Sie schreiben, “durch eine kleine Meldung der Nachrichtenagentur Reuters” auf die Idee gekommen seien. Wie Reuters uns auf Anfrage erklärt, hat es so eine “kleine Meldung” nie gegeben. Was es stattdessen gab, sind Reuters-Fotos von Cruz Hernandez. Es gibt sie seit dem 25. August. Aber auch das müssten wir Ihnen eigentlich nicht erzählen müssen: Es sind jeneFotos, die damals bereits drei Tage später auch in der “BamS” zu sehen waren.
Darüber hinaus gibt uns zu denken (und sollte womöglich auch Ihnen zu denken geben), dass, wie Sie schreiben, die “BamS”-Reporterin Rena Beeg für ihre Reportage zunächst in El Salvador “recherchierte” und dabei auf einen Fotografen “stieß (…), der die Frau kannte”. Die Arbeit hätte sich Ihre Mitarbeiterin sparen können! Der Fotograf, Luis Galdamez mit Namen (Sie kennen ihn: Er wird in der “BamS”-Reportage vom 6. November als Co-Autor genannt), arbeitet für Reuters und ist derjenige, der – laut Reuters – auch schon die Reuters-Fotos von Cruz Hernandez gemacht hat, die, wir erwähnten es schon, bereits im August auch in der “BamS” erschienen sind. Sein Name stand auch damals schon in der Bildbeschreibung, die mit jedem Reuters-Foto mitgeliefert wird, seine Kontaktdaten sind leicht über Reuters (oder per Google-Suche) herauszufinden.
Kurzum, lieber Herr Strunz: Wenn Sie als “BamS”-Chef Ihrer Leserin wahrheitsgemäß geantwortet haben, hoffen wir nicht, dass sich Ihre Reporterin Rena Beeg mit der Recherche ähnlich umständlich anstellt, wenn Sie über Themen wie “Endlich schwanger!”, “Was taugen Abnehmpillen?”, “Aqua-Fitness für alle” oder ein “Orgasmus-Gerät mit Fernbedienung” schreibt. Und ehrlich gesagt, haben wir auch nicht den Eindruck, dass.
Man könnte natürlich einfach sagen, dass es weder uns, noch die “Bild”-Zeitung irgendetwas angeht, ob Rudi Carrell krank ist und wie krank er ist. Interessanterweise sagt das Gesetz genau das Gleiche:
Die Intimsphäre bildet den engsten Persönlichkeitsbereich und genießt den stärksten Schutz vor öffentlichen Einblicken. Grundsätzlich vor Öffentlichkeit geschützt ist der Sexualbereich des Menschen, und sein körperliches Befinden, wozu auch medizinische Untersuchungen gehören.
(Dorothee Bölke: Presserecht für Journalisten.)
(…) selbst bei Personen der Zeitgeschichte bleibt die Art einer Erkrankung regelmäßig in der Geheimsphäre, es sei denn, die Betroffenen gehen mit dieser Information selbst in die Öffentlichkeit.
(Deutscher Presserat: Umgang mit Krankheiten.)
Bis zum 24. November 2005 hatte Rudi Carrell öffentlich nicht über seine Krankheit gesprochen. Das hatte “Bild” nicht vom Spekulieren abgehalten: “Wie schlimm steht es um Rudi Carrell”, fragte die Zeitung am 15. November in großen Buchstaben und berichtete:
Der Showmaster ist abgemagert, leidet an Haarausfall. (…)
Fragen zu seiner Krankheit möchte Carrell nicht beantworten. Sein Assistent Sören Haensell: “Es gibt von uns keine Auskunft zu diesem Thema.”
Erst, wie gesagt, neun Tage später äußerte sich Carrell öffentlich, in der “Bunten”. Man kann argumentieren, dass “Bild” seitdem das Recht habe, über Carrells Krebserkrankung zu berichten. Aber stimmen muss es natürlich.
Es spricht wenig dafür, dass das stimmt, was “Bild”-Reporter Daniel Cremer in seinem Artikel über den Auftritt Carrells bei der Aufzeichnung der letzten Ausgabe von “Sieben Tage, sieben Köpfe” suggeriert: dass Carrell nicht mehr sprechen kann. “Ist der Holländer mit dem unverwechselbaren Akzent für immer verstummt?”, fragt “Bild” und zitiert zur Antwort einen anonymen “langjährigen Kollegen”: “Rudi kann nicht mehr sprechen.” Cremer behandelt diese Aussage, als sei sie eine Tatsache, zitiert einen Arzt, der das Phänomen einer “Stimmbandlähmung” erklärte, und behauptet vielsagend: Carrell “kommuniziert über E-Mail”.
Wenige Tage später liest sich das in der “Bild am Sonntag” ganz anders. Cremers Kollegin Angelika Hellemann hat von Bernd Stelter erfahren, dass Carrell das Team “zusammengestaucht” habe, und zitiert Stelter mit dem Satz:
Er darf seine Stimme zwar nicht überanstrengen, kann aber ganz normal mit uns reden.
Und wir merken uns: Wenn “Bild” sorglos über die Krankheit von Menschen berichtet, kann immer auch das Gegenteil stimmen.
Schlimm, was für ein Unsinn in der Wikipedia steht. Findet “Bild”:
Immer mehr Fehler, Fehler, Fehler! (…)
Nach den BILD-Enthüllungen über das weltweit größte Internet-Lexikon Wikipedia (…) taucht immer neuer Unfug auf.
Neuer Unfug, soso. Dann gehen wir die Sachen mal schnell durch:
Von “Bild” entdeckter Unfug
Wikipedia-Realität
“Thomas Anders (…) soll 1983 eine Single mit dem Titel ‘Hoden sind was Wertvolles’ veröffentlicht haben.”
Diese Unterstellung überlebte am 9. November 2006eine Minute lang im Wikipedia-Eintrag zu Thomas Anders.
“Günther Jauch (50) bekommt den Beinamen “Osama” und soll mit dem Eisernen Kreuz und dem WWF-Gürtel ausgezeichnet worden sein.”
Beide Scherze stammen vom 13. November 2005 und blieben weniger als eine halbe Stunde lang unkorrigiert.
“Neue Wortschöpfung: Laut Wikipedia war Stefan Raab (40) ‘Messlattendiener’.”
Das Wortspiel überlebte am 19. Januar 2006 nicht einmal eine Minute.
“Dieter Bohlen (52) soll die Schwerbehindertenschule besucht haben, sich dort seinen ersten Vibrator gekauft haben. Mit 14 Jahren sei Bohlen in die NPD eingetreten.”
Am 16. Februar 2006 änderte ein Witzbold Bohlens Eintrag entsprechend. Es dauerte keine Minute, bis seine Verunglimpfungen entdeckt und rückgängig gemacht wurden.
“Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (65) plane angeblich die Eroberung der Welt.”
Am 1. Dezember 2005 wurde Stoibers Eintrag entsprechend verunstaltet — für weniger als eine Minute.
“Die ‘Tokio Hotel’-Zwillinge Bill und Tom Kaulitz (17) werden im Internet-Lexikon als schwul bezeichnet, hätten angeblich schon seit ihrer Kindheit Sex miteinander.”
Zuletzt stand das am 13. März 2006 im entsprechenden Wikipedia-Eintrag, und zwar eine Minute lang.
“Ferdinand Julius Hidermann soll der uneheliche Sohn von Johann Wolfgang von Goethe sein. Die Person hat nie existiert!”
Der Mann heißt nicht Hidermann, wie “Bild” schreibt, sondern Hidemann. Und seit 12. September 2004 ist der entsprechende Eintrag als Witz (“Lexikon-Ente” bzw. “Nihil-Artikel” gekennzeichnet).
“Bill Gates (51) bekam den Adelstitel William Henry James III verliehen und Teufelshörner in sein Foto montiert.”
Bill Gates heißt eigentlich William Henry Gates III.; von einem “William Henry James” haben wir keine Spur in der deutschen Wikipedia gefunden. Die Teufelshorngeschichte scheint sich auf die englische Wikipedia zu beziehen.
Ja: Schlimm, was für ein Unsinn in der “Wiki-Fehlia” steht.
Also: Stand. So manchmal. Vor Monaten. Oder Jahren. Für Minuten. Oder Sekunden.
Aber wo Sie suchen müssen, um Unfug zu finden, der nicht korrigiert wird, sondern monatelang und bis heute falsch im Internet herumsteht, müssenwirIhnenjanichtsagen.
Völlig zu Recht stellt “Bild” übrigens fest, dass die “Leuchtschnabelbeutelschabe” “zwar nicht in der Tierwelt, dafür aber bei Wikipedia” existiere. Der entsprechende Wikipedia-Eintrag ist ein Witz, wie man bereits seit über zwei Jahren der zugehörigen Diskussionseite entnehmen kann. Es soll sich um das Wikipedia-Gegenstück zur fiktiven Steinlaus von Loriot handeln, die es u.a. bis in das medizinische Nachschlagewerk Pschyrembel schaffte (pdf).
Nachdem im Mai vergangenen Jahres eine 16-Jährige behauptet hatte, von vier Minderjährigen vergewaltigt und dabei mit dem Foto-Handy gefilmt worden zu sein, berichteten darüber viele Medien — und für die meisten war die Sache auch ohne Richterspruch eindeutig. Beispielshalber seien hier mal alle vorverurteilenden Tatsachenbehauptungen* zu dem Fall in den an vier aufeinanderfolgenden Tagen veröffentlichten Artikeln der “Bild”-Zeitung aufgelistet:
Vier Schüler (13 bis 15) vergewaltigen Mädchen (16) +++ Es ist widerlich. Es ist schockierend. Es macht Angst! +++ Schülerin vergewaltigt +++ die vier Täter +++ Warum waren sie zu solch einer abartigen Tat fähig? +++ Opfer +++ Täter +++ das Vergewaltiger-Quartett +++ Täter +++ diese Tat +++ die Täter +++ Jetzt spricht die 16jährige Christina, die in Charlottenburg von vier Jungs geschändet wurde. +++ Die Gruppen-Vergewaltigung von Charlottenburg — der Fall erschüttert ganz Deutschland. +++ Nach BILD-Informationen mußte Christina ihre Peiniger auch oral befriedigen. +++ die abscheuliche Tat +++ die vier Täter +++ die vier Täter +++ vergewaltigte 16jährige +++ …und die vier Täter laufen immer noch frei rum +++ die Vergewaltiger +++ Täter +++ die Täter +++ die Täter +++ die Täter +++ die Täter +++ Täter und Opfer +++ Sextäter +++ Christina von vier Jungen vergewaltigt +++ die widerliche Tat +++ Wie BILD erfuhr, hat einer der vier Peiniger die Schülerin bei der brutalen Tat entjungfert.
*) Natürlich gab es auch relativierende Formulierungen in den “Bild”-Texten: Tatverdächtige (2x), Beschuldigte (1x), mutmaßlich (9x — Beispielsatz: “Und jetzt verhöhnt einer der mutmaßlichen Täter das Opfer auch noch dreist im TV!”
Seit einer Woche nun gibt es Neuigkeiten — gute Neuigkeiten eigentlich:
Nach den übereilten Vorverurteilungen hat die Berliner Justiz die Ermittlungen nun allerdings nach rund neun Monaten eingestellt. Die angebliche Vergewaltigung sei keine Straftat gewesen, sagte der Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft Michael Grunwald. Weder die Angaben der Beteiligten noch die ausgewerteten Sachbeweise belegten die für eine Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung erforderliche Gewaltanwendung oder erhebliche Bedrohung des Mädchens.
So berichtete am 9. Februar die Nachrichtenagentur ddp (und ähnlich auch dpa). Die Nachricht übernahmen anschließend nur wenige Medien. “Bild” gehört nicht dazu.
Okay, der Einfachheit halber hätte “Bild” heute natürlich auch wieder behaupten können, der Kinofilm “Die Simpsons” sei beliebter als der aktuelle “Harry Potter”-Film, weil “Die Simpsons” in den deutschen Cinemaxx-Kinos am vergangenen Wochenende mehr als 74.000 Zuschauer hatte und “Harry Potter” nur knapp 44.000. Aber das wäre dann ja bloß wieder genauso irreführend und falsch gewesen wie vor einer Woche (weil “Harry Potter” doch schon in der vierten Woche läuft, “Die Simpsons” aber erst in der zweiten — und “Harry Potter” es in der zweiten Woche immerhin noch auf 128.000 Zuschauer brachte).
Stattdessen hat sich “Bild” heute, eine Woche nach dem letzten großen “Simpsons”-Artikel, für eine andere “Simpsons”-Enthüllung entschieden, denn:
Und mal abgesehen davon, dass Bart Simpson aller Wahrscheinlichkeit nach in Wahrheit keine Frau ist, sondern sowohl im US-amerikanischen Original als auch in der deutschen Synchronfassung bloß von einer Frau gesprochen wird, hält sich der Neuigkeitswert dieser Information, nun ja, in Grenzen. Schließlich ist das sowohl in den USA als auch hierzulande seit der ersten Folge so.*
Und bekannt ist es auch. Dass die Schauspielerin Sandra Schwittau Bart Simpson synchronisiert, stand — um nur eines von zahllosen Beispielen aus den vergangenen Jahren zu nennen — bereits 1999 in der “Rheinischen Post” (damals übrigens unter der Überschrift “Bart ist eine Frau” und illustriert mit demselben Schwittau-Foto, das auch “Bild” heute, fast acht Jahre später, druckt). Stern.de hatte Schwittau zusammen mit den anderen deutschen Simpsons-Stimmen 2003 interviewt und DWDL.de ohne die anderen im vergangenen Januar, auf “Spiegel Online” findet sich seit zwei Wochen ein Video, auf dem man sieht, wie Schwittau inzwischen aussieht — und in der “Bild am Sonntag” (und auf Bild.de) heißt es immerhin seit vorletztem Sonntag:
Gut möglich also, dass das, wie “Bild” heute schreibt, irgendwann mal wirklich “kaum einer (…) wusste”.
*) Anders als “Bild” behauptet, leiht Schwittau dem “Kino-Star” übrigens nicht “seit 18 Jahren” ihre Stimme, sondern seit dem deutschen Serienstart 1991.
Nicolaus Fest, Mitglied der “Bild”-Chefredaktion, hat sich über einen Artikel in der “Zeit” geärgert. Das kommt in den besten Familien vor, und zum Glück hat Fest ja eine Kolumne auf Bild.de, in der er seinem Ärger gründlich Luft machen kann. Soweit, so unspektakulär.
Das Bemerkenswerte aber ist, dass es gleich zwei Möglichkeiten gegeben hätte, wie der Ärger von Nicolaus Fest zu vermeiden gewesen wäre. Erstens, wenn die “Zeit” nicht diesen Artikel geschrieben hätte. Zweitens, wenn Nicolaus Fest ihn verstanden hätte.
Fest zitiert aus dem “Zeit”-Artikel von Christoph Dieckmann:
“Gysis größtes Verdienst betrifft die deutsche Einheit. Es ist ihm maßgeblich zu verdanken, dass eine enorme Menge der staatsnahen DDR-Bevölkerung sich zur parlamentarischen Demokratie überreden ließ.”
Und kommentiert:
Aha. So war das also. Die Demonstranten in Leipzig, Dresden und Ost-Berlin wollten zunächst gar nicht die parlamentarische Demokratie, wollten kein selbst bestimmtes, ungegängeltes “Leben der Anderen”.
In Wahrheit waren sie, trotz “Wir sind ein Volk” und der überragenden Zustimmung zum Beitritt, im November 1989 gar nicht sicher, ob sie ihre verfallenden Städte, die Fürsorge der Stasi und die Bruderschaft mit den russischen Besatzungstruppen tatsächlich gegen Reise- und Meinungsfreiheit, D-Mark und Rechtstaatlichkeit eintauschen sollten.
Lange schwankten sie, ob sie wirklich Begrüßungsgeld nehmen, ob sie Golf statt Trabi fahren, ob sie das Grau ihrer Häuser wie ihres staatlich überwachten Lebens den Billionensubventionen der alten Bundesländer opfern sollten.
Er hat sich richtig in Rage geschrieben. Nur: Er hat nicht gemerkt, dass die “Zeit” gar nicht behauptet, Gysi habe das Volk in der DDR zur parlamentarischen Demokratie überredet. Die “Zeit” schreibt, Gysi habe einen großen Teil “der staatsnahen DDR-Bevölkerung” überredet. Sie spricht ausdrücklich von den SED-Mitgliedern und “Armee, Polizei, Geheimdienst”. Auf sie bezieht sich die Formulierung vom “überreden”.
Aber vielleicht hat Nicolaus “Hieb und Stich” Fest das gar nicht missverstanden, sondern missverstehen wollen. Denn als nächstes schreibt er über die DDR-Bürger:
Doch dann wurde ihnen, so Dieckmann, “im Dezember 1989, kurz vor Mitternacht, ein kurioser Heiland geboren” — Gregor Gysi.
Da hat Fest den Anfang des Satzes weggelassen. Weglassen müssen, denn sonst wäre aufgefallen, worauf sich die “Heiland”-Formulierung wirklich bezieht:
Die SED hatte vor der Wende 2,3 Millionen. Sie befehligte noch Armee, Polizei, Geheimdienst, als ihr im Dezember 1989, kurz vor Mitternacht, ein kurioser Heiland geboren wurde. Nur in tiefster Krise konnte dieser intellektuelle Entertainer Honecker und Krenz beerben.
Dieckmann behauptet nicht, dass Gysi der Erlöser für die DDR-Bürger war. Dieckmann behauptet, dass Gysi der Erlöser für die SED war — und begründet das u.a. damit, dass er “der PDS gewordenen SED [half], ihr Parteivermögen zu retten” und dank seiner “die PDS am 18. März 1990 bei den freien Wahlen 16,3 Prozent” erreichte.
Gegen Schluss schreibt Fest:
Irgendwann, so sagen Ältere, war DIE ZEIT mal eine ernst zu nehmende Zeitung.
Das Problem hat er bei seiner Zeitung natürlich nicht.
Mit zwei großen Ausrufezeichen, aber ohne erkennbaren Grund oder Zusammenhang richtet sich die “Bild”-Redaktion heute in ihrem Blatt “an alle BILD-Leser-Reporter”:
(Draufklicken für größere Version.)
Unter anderem auch mit diesem Absatz:
Wahren Sie die Persönlichkeitsrechte anderer Menschen, verletzen Sie niemals die Privatsphäre oder die Intimsphäre anderer Menschen.
Und diesem:
Senden Sie nur Fotos an BILD, die Sie selbst gemacht haben. Nur, wenn Sie die Urheberrechte an einem Foto besitzen, können Sie damit BILD-Leser-Reporter werden.
Was angeblich für “BILD-Leser-Reporter” gelten soll, scheint nicht für die “Bild”-Mitarbeiter selbst zu gelten. In dem noch jungen Jahr haben sie jedenfalls schon zahlreich diese Grundsätze missachtet. Nachdem zum Beispiel ein 7-Jähriger zu Tode gequält wurde, zeigte Bild.de ein unverpixeltes Foto auf der Startseite:
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)
Nachdem zwei Jugendliche auf ein Bahngleis geschubst und von einer S-Bahn überfahren wurden, zeigte “Bild” auf der Titelseite unverpixelte Fotos der beiden:
Dass solche Schweinereien nicht in Ordnung sind, egal, ob “BILD-Leser-Reporter” oder bigotte “Bild”-Redakteure dafür verantwortlich sind, zeigt schon ein Blick in den Pressekodex. Dort steht:
Die Identität von Opfern ist besonders zu schützen. Für das Verständnis eines Unfallgeschehens, Unglücks- bzw. Tathergangs ist das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich. Name und Foto eines Opfers können veröffentlicht werden, wenn das Opfer bzw. Angehörige oder sonstige befugte Personen zugestimmt haben, oder wenn es sich bei dem Opfer um eine Person des öffentlichen Lebens handelt.
Und speziell zu Kindern und Jugendlichen:
Insbesondere in der Berichterstattung über Straftaten und Unglücksfälle dürfen Kinder und Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres in der Regel nicht identifizierbar sein.
1. Gefährlicher Flirt mit rechtsextremen Narrativen (belltower.news, Simone Rafael)
Vor einigen Tagen wurde die rechtsalternative Medienseite “The Republic” gestartet. Das Portal setze vor allem auf “Negative Campaigning”, also auf das Schlechtmachen des politischen Gegners, und das populistische Spiel mit Ängsten und Aggressionen. Hinter dem vorgeblich Partei-unabhängigen Medienprojekt stünden Leute wie der ehemalige Leiter der digitalen Kommunikation der CSU im Bundestag. Simone Rafael beschreibt Strategie und Ziele der ultrakonservativen Kampagnenmacher.
2. Die schlechten Gewinner (t-online.de, Lars Wienand)
“Der YouTuber ‘Drachenlord’ muss in Haft, weil er sich von seinen Hatern provozieren ließ und zuschlug. Was treibt Tausende an, einen Förderschüler jahrelang mit Hohn und Hass zu verfolgen?” Lars Wienand hat sich nach Nürnberg begeben, wo dem selbsternannten “Drachenlord” der Prozess gemacht wurde. Es ist eine Reise in eine Parallelwelt, die einen nachdenklich zurücklässt: Bei dieser verstörenden Geschichte ist nichts, wie es scheint, ist der Täter auch das Opfer, und die Opfer sind auch die Täter.
3. Nach Eklat bei SWR-Liveschalte – Parteiaustritt von CDU-Stadtrat Hornung gefordert (swr.de)
Bei einer Live-Schalte des SWR auf dem Mannheimer CDU-Kreisparteitag hat ein CDU-Stadtrat die SWR-Reporterin Natalie Akbari so lange unterbrochen und kritisiert, bis diese das Schaltgespräch abbrechen musste. Dafür gibt es nun Kritik von verschiedenen Parteikollegen: “Das war eine Szenerie, wie man sie bislang nur von Pegida-Demonstrationen kannte.” Es sei wichtig, ein solches Verhalten zu unterbinden, “bevor es Schule macht”.
4. Offener Brief: Der Kopf von Julian Reichelt reicht uns nicht (genderequalitymedia.org)
Die Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen müsse von allen Medien priorisiert und eingeordnet werden, fordert die Initiative “Gender Equality Media” (“GEM”). Wenn Frauen umgebracht werden und/oder Gewalt erfahren, sei dies kein Einzelfall oder ein Versehen, dahinter stecke ein patriarchales System. In einem offenen Brief (PDF) an die deutschen Verlage und Redaktionen fordert “GEM”, Stellung zu beziehen, im Sinne der Istanbul-Konvention zu handeln und systematische Diskriminierung jeglicher Art abzubauen.
5. Open Parliament TV (de.openparliament.tv)
“Open Parliament TV” synchronisiert die Videoaufzeichnungen von Plenardebatten mit den Plenarprotokollen und stellt die Inhalte über eine Suchmaschine bereit: “Journalist:innen erhalten mit Open Parliament TV ein Werkzeug, welches das Auffinden, Teilen und Zitieren von Videoausschnitten aus Parlamentsreden enorm erleichtert. So lassen sich basierend auf einzelnen Schlüsselwörtern oder Satzbausteinen in Sekundenbruchteilen die entsprechenden Ausschnitte finden, abspielen und dann als Zitat in andere Plattformen einbinden.”
6. Stadt-Meme-Seiten auf Instagram erzielen krasse Reichweiten und werden nun zu Werbeträgern (omr.com, Roland Eisenbrand)
Ob “Berlin Club Memes”, “koelnistkool” oder “Münchner Gesindel”: Lokale Meme-Seiten hätten sich innerhalb der vergangenen ein bis zwei Jahre vor allem auf Instagram zu einem Phänomen entwickelt. Roland Eisenbrand erklärt den Erfolg und die Vorgehensweise der Meme-Seiten, die teilweise erfolgreicher sind als die lokalen Nachrichtenmedien.
1. Wir sind Europas Augen und Ohren (taz.de, Katerina Sergatskova)
Die ukrainische Journalistin Katerina Sergatskova macht darauf aufmerksam, wie unterschiedlich die Arbeitsbedingungen für einheimische und ausländische Medienschaffende in der Ukraine seien. Nach der Invasion Russlands hätten sich lokale Journalistinnen und Journalisten in einer noch prekäreren Lage als sowieso schon befunden: “Schutzwesten und Helme besaßen die wenigsten, es fehlte an Erfahrung mit Sicherheitstrainings oder an grundlegenden Dingen wie einer Krankenversicherung. Mehr als 70 Medienhäuser mussten bereits aufgrund der militärischen Auseinandersetzungen mit Russland oder aus wirtschaftlichen Gründen schließen.” Sergatskova wünscht sich mehr Sichtbarkeit für die ukrainische Perspektive, was konkret bedeute, mehr ukrainischen Berichterstattern und Berichterstatterinnen zuzuhören.
2. Samstags frei (sueddeutsche.de, Lisa Oppermann)
Die Corona-Pandemie hat die gesamte Medienbranche getroffen, besonders schwer erwischt habe es jedoch die freiberuflichen Sport- und Kulturreporter, schreibt Lisa Oppermann. Sie hat sich bei Betroffenen umgehört, die sich mehr schlecht als recht durch die schweren Zeiten schlagen und teilweise auf Nebenjobs angewiesen sind.
3. Blick auf die Top Ten der vergessenen News (verdi.de)
Alljährlich veröffentlicht die Initiative Nachrichtenaufklärung die “Top Ten der Vergessenen Nachrichten”. Dabei handele es sich um “Sachverhalte, die für die deutsche Öffentlichkeit relevant sind, über die aber bislang in Presse, Funk, Fernsehen und Internet kaum Debatten geführt werden”. Der Blick auf die aktuelle Themenliste lohnt – auch für alle außerhalb der Medienbranche.
4. “Ich kann den sogenannten Juden nichts mehr glauben” (tagesspiegel.de, Sebastian Leber)
Xavier Naidoo bittet um Entschuldigung. Aber wofür eigentlich? Und ist er jetzt rehabilitiert? Sebastian Leber ordnet Naidoos Entschuldigungsvideo ein und setzt es in Zusammenhang mit dessen zahlreichen Tabubrüchen und sonstigen Abscheulichkeiten.
5. Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 208, 22.04.2022 (netzwerkrecherche.org, Frederik Richter & Albrecht Ude)
Wie immer eine Empfehlung wert, nicht nur für Journalistinnen und Journalisten aus dem Investigativbereich: der Newsletter des Netzwerk Recherche (nr). Die neueste Ausgabe liefert einen aktuellen Überblick über Nachrichten, Veranstaltungen, Seminare, Stipendien und Preise. Außerdem gibt es Informationen zur alljährlichen nr-Jahreskonferenz, die am 30. September und 1. Oktober dieses Jahres in Hamburg stattfindet. Im Pressespiegel gibt es zudem wertvolle Lesetipps zu ausgesuchten Themen.
6. US-Behörde wirft YouTuber absichtlichen Flugzeugabsturz vor (spiegel.de)
Im Januar wiesen wir in den “6 vor 9” bereits auf einen bemerkenswerten Fall hin: Seinerzeit deutete vieles darauf hin, dass ein Youtuber aus den USA Ende November 2021 absichtlich einen Flugzeugabsturz herbeigeführt hatte, den er für ein spektakuläres Video wie einen Unfall aussehen lassen wollte (US-Behörden ermitteln nach Flugzeugabsturz von YouTuber, spiegel.de, Jörg Breithut). Nun hat die US-amerikanische Luftfahrtbehörde dem Youtuber offenbar mit sofortiger Wirkung seine Privatpilotenlizenz entzogen.
Aktuell hat Simonis nun einen Prozess gegen “Bild” vor dem Berliner Landgericht verloren. Simonis verlangte 50.000 Euro Schmerzensgeld für den Abdruck einiger Fotomontagen, die “Bild” am 2. Mai auf der Titelseite und im Blattinneren veröffentlicht hatte. Die Montagen zeigten u.a. das Gesicht der Politikerin mit Maden übersät sowie ihren Kopf auf einem mit Jauche besudelten Bikinikörper und stellten — so Simonis’ Anwalt — eine “Verletzung der Menschenwürde” dar.
“Bild” reagierte auf das Gerichtsurteil mit einer Pressemitteilung. Darin heißt es korrekt:
“Eine ein Schmerzensgeld rechtfertigende Persönlichkeitsverletzung konnte das Landgericht (…) nicht erkennen.”
Unter der Überschrift “Kein Geld für Hoppel-Heide” äußert sich in der Mitteilung jedoch auch “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann wie folgt:
“Heide Simonis hat mit ihrer Tanzshow ihr Ansehen nachhaltig beschädigt. An einer lächerlichen Show teilnehmen wollte sie, aber darüber lachen sollte man nicht. Sie hat als Unicef-Botschafterin das Vergleichsangebot einer großzügigen Spende und von Anzeigenraum für Unicef abgelehnt und auf Zahlung einer Geldentschädigung an sich selbst bestanden. Nun hat sie vor dem Landgericht die Quittung erhalten. Und wieder ein schwerer Ausrutscher!”
Allerdings sind Diekmanns hämische Äußerungen mehr als irreführend: Nicht nur verschweigt der “Bild”-Chef, dass Simonis wegen desselben “Bild”-Berichts vor Gericht bereits eine “Aufsehen erregende Gegendarstellung” (AP) hatte durchsetzen können; der “Bild”-Chef erweckt darüber hinaus den Eindruck, Simonis’ “Geldentschädigung an sich selbst” und das “Vergleichsangebot einer großzügigen Spende und von Anzeigenraum für Unicef” stünden in irgendeinem direkten Zusammenhang. (Immerhin sind beide Sachverhalte in Diekmanns Statement durch ein schlichtes “und” miteinander verbunden.)
Doch der Eindruck trügt: Medienberichtenzufolge bezog sich das “Vergleichsangebot” von “Bild” nämlich gar nicht auf Simonis’ (erfolglose) Schadensersatzklage, sondern auf ihr (erfolgreiches) Gegendarstellungsbegehren, gegen das sich “Bild” über Monate vehement gewehrt hatte.
ich habe mal irgendwo gelesen, Ihre Chefs würden über Sie sagen: “Körzi kannst Du um drei Uhr in der Nacht anrufen. Er schreibt Dir jeden Nachruf, ohne irgend ein Faktum nachgucken zu müssen”. Und ich muss gestehen, ich hatte, als ich das las, so meine Zweifel…
Und nun ist also Jean-Claude Brialy gestorben, der französische Schauspieler, der eng mit der vor 25 Jahren gestorbenen Romy Schneider befreundet war — und Sie mussten für “Bild” drüber schreiben. Ich habe nicht den Eindruck, dass Sie Brialy persönlich kannten. Oder gut. Aber immerhin: Sie haben sich vorbereitet und für Ihren kleinen Nachruf dieses Interview gelesen, das Brialy kürzlich dem “Spiegel” gegeben hatte. Zumindest zitieren Sie daraus wörtlich, wenn Sie heute schreiben:
Romy-Tochter Sarah Biasini (29) hatte rotgeweinte Augen. Brialy fand ihre tote Mutter: “Wunderschön, schlafend, lächelnd.”
Solche Formulierungen, lieber Norbert, macht Ihnen keiner nach. Allein dieser fast lyrische Doppelpunkt! Ganz schön gewagt auch. Fand Brialy jetzt die tote Romy? Oder die tote Romy wunderschön? Ich weiß: Sie und ich kennen die Antwort — steht ja lang und breit in dem zitierten “Spiegel”-Interview, dass Brialy “im Radio, um 8 Uhr morgens” von Romys Tod erfahren hat, aber wissen das auch Ihre Leser? Oder sehe ich jetzt schon Gespenster?!
Falls ja, will ich nichts gesagt haben…
Mit Gruß
Ihre Clarissa
Ach, eins noch: Weil ja nicht jeder schreiben kann, “ohne irgend ein Faktum nachgucken zu müssen”, sagen Sie doch bitte beim nächsten Mal den Kollegen in der Fotobetextungsabteilung von “Bild” kurz Bescheid, wie Sie was meinen. Bei der Illustration Ihres Nachrufs haben die nämlich heute neben ein Brialy-Foto das hier geschrieben:
Nirgendwo auf der Welt weiß man mit größerer Gewissheit zu verkünden, dass der Iran an einer Atombombe arbeitet, als im Axel-Springer-Haus zu Berlin. Insbesondere Julian Reichelt, Chefreporter der “Bild”-Zeitung, scheint über ganz besondere Quellen zu verfügen — anders sind die steilen Thesen in seinem “Bild”-Kommentar vergangene Woche nicht zu erklären. In diesem Beitrag fordert Reichelt nämlich:
Zunächst schreibt Reichelt da:
Sogar die Internationale Atomenergiebehörde geht jetzt davon aus, dass der Iran an einem Sprengkopf baut.
Was selbst dem aufmerksamen “Bild”-Leser nicht sofort unbedingt auffällt: Das wichtigste Wort in diesem Satz ist das kleine “sogar”. In den letzten Wochen sind in Sachen Iran nämlich exakt zwei Neuigkeiten zu vermelden gewesen: Der Iran hat den Anteil des Isotopes U235 seines Urans [Nachtrag d. Verf.] auf 20 Prozent angereichert (wobei es 80 prozentigem Urans für eine Atomwaffe bedarf). Und es wurde bekannt, dass bereits vor 2003 mit Hilfe eines russischen Ingenieurs Träger für Raketen gebaut worden waren, auf denen möglicherweise auch Atomsprengköpfe angebracht werden können.
Und so ist man bei der IAEA ob der Vorgänge im Iran zwar auch äußerst besorgt, aber doch deutlich weniger panisch als Julian Reichelt. Die IAEA schreibt in einem aktuellen Dokument zum Iran unter Punkt 41 auf den Seiten 8 und 9 nämlich lediglich, dass die aktuelle Informationslage Fragen zu einer möglichen Entwicklung von Atomsprengköpfen im Iran aufwerfe.
Es wird im IAEA-Report sogar ausführlich erwähnt, dass diese Entwicklung von Atomsprengköpfen nicht unbedingt aktuell sein müsse, sondern auch in der Vergangenheit habe stattfinden können — im Übrigen ein Umstand, der in sämtlichen Medien und auch in der “Bild”-Zeitung selbst vor einigen Tagen bereits vermeldet worden war (Bildblog berichtete).
Während Reichelt suggeriert, der IAEA-Bericht enthalte neue, schockierende Erkenntnisse, verhält es sich eher so, dass die Pressemeldungen der vergangenen Wochen nun auch von offizieller Seite bestätigt werden.
Von dieser konstruierten Neuigkeit kommt Julian Reichelt alsbald zu einer ähnlich fadenscheinigen Schlussfolgerung:
Lieber 8000 amerikanische Bomben als eine einzige iranische.
Der hier suggerierte Gegensatz beruht, nun ja, im besten Falle auf Unwissen. Tatsächlich steht die Welt nämlich in keiner Weise vor der Wahl zwischen US-amerikanischen und iranischen Atomwaffen. Einer gerade vom US-amerikanischen Think Tank “Carnegie Endowment” veröffentlichten Weltkarte der Atomsprengköpfe hätte der Bild-Reporter zum Beispiel entnehmen können, dass insgesamt acht Staaten weltweit über Atomwaffen verfügen.
Neben Russland (14.000 Atomsprengköpfe) und China (mehr als 125 Atomsprengköpfe) verfügen beispielsweise auch Israel (80 Sprengköpfe), das beunruhigend instabile Pakistan (60 Sprengköpfe) und Indien (50 Sprengköpfe) über Atomwaffen — allesamt Staaten in der Nachbarschaft des Irans.
Überhaupt: Über die für den Iran besonders wichtige Regionalpolitik zwischen den notorischen instabilen Ländern Irak, Afghanistan und Pakistan verliert Reichelt in der “Bild” eben kein Wort. Ebenso wenig Erwähnung findet auch die Tatsache, dass die in Israel und den USA, aber auch in “Bild” lauter werdende Forderung, den Iran anzugreifen, die Kriegsgefahr tendenziell eher steigert denn senkt.
Aber nicht allein Reichelts Faktenwissen ist ungenügend. Auch sein Wutausbruch gegen die von ihm “Abrüstungs-Groupies” genannten Gegner atomarer Aufrüstung ist allein schon deshalb irritierend, weil Reichelt wie ein neorealistischer Don Quijote Positionen bekämpft, die überhaupt niemand vertritt. Gleich zu Beginn seines Kommentars entwirft er ein reichlich abwegiges Schreckensbild:
Es gibt nur ein Szenario, das furchterregender ist als eine Welt, in der es 25 000 Atomsprengköpfe gibt. Eine Welt, in der es nur noch eine Bombe gibt. Eine Bombe, auf der steht: “Mit Grüßen aus Teheran.”
Dass niemand ernsthaft fordert, allein die USA oder gar alle acht Atommächte mit einsamer Ausnahme des Iran mögen ihre Atomwaffen abschaffen (was im Falle Nordkoreas eine besonders abstruse Vorstellung ist), stört Reichelt wenig. Er keilt weiter gegen seine selbst ausgedachten Kontrahenten:
Gern jammern Abrüstungs-Groupies, man könne die Welt mehrere Hundert Male mit den vorhandenen Atomwaffen zerstören. Absurde Mathematik: Denn nach dem ersten Mal wäre es eh egal.
Und als wäre das des Unsinns nicht genug, löst Reichelt auch einen zentralen Widerspruch seines Kommentar nicht auf: Wenn Atomwaffen, wie Reichelt unterstellt, denn nun Frieden schaffen – was ist dann eigentlich das Problem mit dem vermuteten Atomwaffenprogramm des Irans?
Der VfL Bochum ist Tabellenführer in der 2. Fußballbundesliga. Nun sind gerade einmal sieben von 34 Spieltagen absolviert, aber laut Ruhrgebiets-“Bild” und Bild.de steht das Saisonziel für VfL-Trainer Gertjan Verbeek schon fest:
Klartext nach 1:1 gegen Fortuna. Verbeek spricht vom Meister-Titel!
Im Interview mit SPORT1 stellte der Holländer bereits klar: “Wir sind angetreten, um Meister zu werden!”
Hoppla! Der ehrgeizige Coach legt die Latte selbst hoch, sagt weiter: “Die Ambition muss immer sein: Raus aus der 2. Liga und aufsteigen in die Bundesliga. Aber das wird schwer.”
Morgen steht bereits das nächste Spiel auf dem Programm, die Bochumer treten in Bielefeld an. Daher gab es heute beim VfL die übliche Vor-dem-Spiel-Pressekonferenz. Großes Thema dort: die “Bild”-Schlagzeile und Verbeeks vermeintlicher Titeltraum.
Ein Reporter der “Ruhr Nachrichten” fragt:
Herr Verbeek, ich habe gelesen und gehört, dass Sie den Meistertitel jetzt als Ziel ausgegeben haben. Ist das so?
Gertjan Verbeek ist offenbar klar, wo der Reporter das gelesen hat. Er antwortet:
Das ist so unglaublich kindisch von “Bild”, immer wieder so zu schreiben. […] Die Ambition hier beim VfL ist, den Aufstieg zu machen. Das kann man erreichen, um Meister zu werden, Zweiter zu werden oder Dritter zu werden. Und wir wollen kein Ziel ausgeben. Und das ärgert die “Bild”. Und darum schreiben sie so. Weil ich habe nicht gesagt, dass wir Meister werden. Jeder sieht, dass wir die Qualität nicht haben, um Meister zu werden in der 2. Liga. […] Also was wollt ihr, “Bild”?
Ein Zwischenruf, vermutlich vom anwesenden “Bild”-Reporter:
Nö, gar nichts.
Dann wieder Verbeek:
Nee. Warum schreibt ihr dann immer solche Scheiße? Warum spielt ihr immer zwei Parteien gegeneinander aus? Selbst mit Flüchtlingen dazwischen. Ihr seid ja Arschlocher. Das seid ihr.
Wieder ein schwer zu verstehender Zwischenruf, irgendwas mit:
Das geht an die Berliner Adresse. Den Schuh zieh’ ich mir nicht an.
Darauf Verbeek:
Du arbeitest für “Bild”, oder nicht? Du sitzt hier für “Bild”. Und du schreibst immer falsch. Ja, ja, ja, ja, ja. Jetzt sind auch die Fans schon. Du bist unglaublich, immer wieder. Immer wieder willst du gerne zwei Parteien haben, die gegenüber einander stehen. Immer. Und ihr lügt auch noch. Das ist die “Bild”.
Zwischenfrage:
Hat “Sport 1” gelogen? Das steht auf der Homepage.
Verbeek:
Ja, dasselbe. Hör mal zu, was ich vor der Kamera gesagt habe. Die Ambition des VfL ist, Aufstieg zu machen. […] Man muss die Ambition haben, und das erkläre ich dir noch mal, schlechten Lehrlingen muss man immer viele Male dasselbe gesagt haben: Wir wollen gerne den Aufstieg machen. Wir haben die Ambition, den Aufstieg zu machen. Aber das Ziel ist nicht, den Aufstieg zu machen. Das ist ganz was anderes.
Die Pressekonferenz widmet sich anschließend einem Definitionsversuch der Worte Ambition und Ziel, bis die Themen Aufsichtsratssitzung und eine dort mögliche Vertragsverlängerung angesprochen werden. Und auch da ist Gertjan Verbeek nicht glücklich — mit der Berichterstattung im Allgemeinen und konkret mit der von “Bild”:
Ich verstehe nicht, dass ihr wisst, was besprochen wird, weil ich das selber noch gar nicht weiß. […] Es ist mir sehr fremd, dass ihr wisst, dass es heute Abend um meine Kontraktverlängerung geht. Ich habe gerade verlängert, im Mai habe ich gesagt, ich bleibe noch ein Jahr. Und jetzt sind wir vier Monate weiter und ich muss wieder reden über eine Verlängerung von meinem Kontrakt? Das hat “Bild” auch schon geschrieben. Das war letzte Saison im Mai. Haben die auch wieder falsch.
So langsam beruhigt sich die Lage. Es werden noch ein paar Personalien für das anstehende Spiel in Bielefeld besprochen. Dann aber doch noch einmal Gertjan Verbeek:
Und dann noch eine falsche Aussage: Letztes Mal war Piotr Cwielong nicht dabei, weil ich ihn nicht in den Kader gestellt habe, er war verletzt. Also kann er nicht im Kader sein. […] Der Trainer konnte ihn nicht fragen und er war verletzt. “Bild”, schreibst du mit?
Antwort vom “Bild”-Reporter:
Hier hat gerade eine Legende angerufen. Das war wichtiger.
Verbeek:
Ja, das ist wichtiger, natürlich. Wir können auch ohne Pressekonferenz, ohne “Bild”.
Hier die gesamte Pressekonferenz (um “Bild” geht’s ab Minute 2:20):
Mit Dank an Christian H. und Matthias S. Nachtrag, 22. September, 13:47 Uhr: Der Vorstand des VfL Bochum hat sich heute in einer Stellungnahme zu den Aussagen von Trainer Gertjan Verbeek geäußert: “Fußball lebt von Emotionen, die manchmal in Aussagen gipfeln, die zwar Anklang und Nachhall finden, zuweilen in der Tonalität aber daneben liegen.” Man habe mit Verbeek gesprochen, der sich für die Kraftausdrücke entschuldige. Christian Hochstätter und Wilken Engelbracht sagen allerdings auch:
Die Kernaussagen bleiben davon aber unberührt und in dieser Sache hat Gertjan Verbeek unserer Meinung nach vollkommen Recht
1. Wie „Tichys Einblick“ fast einen Skandal beim ZDF-“Politbarometer” aufdeckte (uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Ein Stamm-Autor des rechten Online-Magazins “Tichys Einblick” meint einen Skandal um das ZDF-Politbarometer aufgedeckt zu haben, doch der eigentliche Skandal ist, dass es keiner ist. Oder um Stefan Niggemeier zu zitieren: “Es handelt sich dabei, freundlich formuliert, um ein Missverständnis.”
Weiterer Lesehinweis: Der Ex-CDU-Politiker Friedrich Merz lehnt die Annahme des Ludwig-Erhard-Preises ab (turi2.de). Er wolle nicht mit dem Stiftungsvorsitzenden Roland Tichy auf einer Bühne stehen. Nach der Absage von Merz seien die Journalisten Rainer Hank, Ursula Weidenfeld, Ulric Papendick und Nikolaus Piper aus der Jury des Preises zurückgetreten, denen nach der Absage von Merz anscheinend aufgefallen ist, für wen sie da in der Jury sitzen.
2. Beliebt, bedroht, beschossen – Leben mit Morddrohungen (ennolenze.de)
Enno Lenze ist Verleger, Autor und Journalist, aber auch Museumsdirektor und politischer Aktivist. Und er zahlt für sein Engagement einen hohen Preis: Derzeit hätten 581 Personen angekündigt, ihn töten zu wollen. (“Wie sie die Reihenfolge festlegen wollen, ist mir unklar — aber wäre für mich dann ja auch das gleiche.”) In einem Blogbeitrag beschreibt Lenze, was das für ihn im Alltag bedeutet, ob in Berlin oder in Kriegsgebieten wie der Autonomen Region Kurdistan.
3. Twitter sperrt meinen Account für zwölf Stunden (internet-law.de, Thomas Stadler)
Rechtsanwalt Thomas Stadler ist wegen eines Tweets zu Horst Seehofer (“Geh endlich sterben, menschenverachtender Zyniker”, verbunden mit einem Link) mit einer zwölfstündigen Twitter-Sperre belegt worden. Zu Unrecht wie er findet: “Mein Tweet bewegt sich äußerungsrechtlich ganz klar im zulässigen Bereich. Mit dem Tweet habe ich Seehofer keinesfalls den Tod gewünscht. Es handelt sich vielmehr um eine drastische Aufforderung endlich zu verschwinden, ähnlich einer Formulierung wie “Fahr zur Hölle”. Der Tweet setzt sich mit kontroversen politischen Aussagen des Innenminsters auseinander und stellt somit eine Kritik an öffentlichen Äußerungen eines Spitzenpolitikers dar.” Stadler hat seinen Beitrag mittlerweile zweimal aktualisiert und um Bemerkungen zu Debattenkultur und Meinungsfreiheit ergänzt.
4. David Berger: Ein Theologe im Kampf gegen „Islamisierung” und „Nanny-Medien” (correctiv.org, Caroline Schmüser)
Der Blog “Philosophia Perennis” ist ein Leitmedium der rechten Szene und in Kreisen der sogenannten “alternativen Medien”. Im Mai habe es die Seite auf Platz 18 der Seiten mit den meisten Social-Media-Interaktionen geschafft, noch vor n-tv.de, taz.de oder Tagesspiegel.de. Die Plattform fällt besonders durch spekulative Berichterstattung, Falschmeldungen und AfD-Nähe auf. Hinter der Seite steckt David Berger, ein katholischer Theologe, der gewissermaßen zum Islamhasser konvertiert ist. “Correctiv” hat die Hintergründe um Person und Seite recherchiert.
5. Drei Pressemitteilungen und eine Abschiebung (keienborg.de)
Der Jurist Marcel Keienborg ist Spezialist für Asyl- und Aufenthaltsrecht und hat deshalb besonders aufmerksam registriert, dass vergangene Woche ein Tunesier abgeschoben wurde, obwohl ein Gericht die Abschiebung untersagt hatte. In einem Blogbeitrag widmet er sich den Pressemitteilungen, die zu diesem Thema vom Verwaltungsgericht veröffentlich wurden. Der Vorgang sei in jeder Beziehung ungeheuerlich: “Wenn Behörden sich nicht mehr verpflichtet fühlen, Gerichten gegenüber vollständige und wahre Angaben zu machen, was eben auch eine gewisse Sorgfalt bei der Lektüre der eigenen Akten voraussetzt, ist letztlich die Effektivität der gerichtlichen Kontrolle der Behörden insgesamt in Frage gestellt.”
1. Welchen “Streit” wollen sie? (taz.de, Peter Weissenburger)
Die Wochenzeitung “Zeit” führt ein neues “Streit”-Ressort ein. Um “den Begriff Streit wieder positiv zu besetzen und ihm eine kleine, feine Bühne zu bieten, auf der man hart in der Sache, aber verbindlich im Ton diskutieren kann”, so “Zeit”-Chef Giovanni di Lorenzo. Dazu hat man den US-Kolumnisten Bret Stephens eingekauft, der für seine provokanten Positionen in Sachen Klimawandel bekannt ist. “taz”-Redakteur Peter Weissenburger kommentiert: “Auf Nachfrage, welche Debattenkultur Bret Stephens in die Zeit tragen soll, teilt Ressortleiter Jochen Bittner mit: dieser Standpunkt sei hoffentlich von der Meinungsfreiheit gedeckt. Das stimmt. Aber es stimmt nicht gerade hoffnungsvoll bezüglich der Zeit-Streitkultur.”
2. Illegaler Verkauf von Spähsoftware an Türkei (reporter-ohne-grenzen.de)
Die deutsche Firmengruppe FinFisher soll die Spionage- und Überwachungssoftware FinSpy ohne Genehmigung der Bundesregierung an die türkische Regierung verkauft haben, so der Vorwurf der Gesellschaft für Freiheitsrechte, von Reporter ohne Grenzen, des European Center for Constitutional and Human Rights und von Netzpolitik.org. Die Organisationen haben gegen mehrere Geschäftsführer des FinFisher-Konglomerats Strafanzeige gestellt. Die Staatsanwaltschaft München hat daraufhin ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
3. “Wir haben Freiheiten, die man sich vor 20 Jahren nicht vorstellen konnte” (uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Stefan Niggemeier hat sich mit den beiden deutschen Youtubern Fabian Rieck und Steven Schuto unterhalten, die den Kanal “Space Frogs” betreiben. Es geht um ihr erfolgreiches Video mit Rezo, die Tücken des Youtube-Algorithmus, das Problem der Demonetarisierung, die Reaktionen der öffentlich-rechtlichen Youtuber von Funk und die Frage, wie sich die beiden motivieren, ohne in den Burnout zu schlittern.
4. Moskau schikaniert Deutsche Welle (djv.de, Hendrik Zörner)
Das russische Parlament wirft der Deutschen Welle “Einmischung in die inneren Angelegenheiten” des Landes vor und wollte die Vertreter des Senders offiziell einbestellen, was die Deutsche Welle abgelehnt habe. Man sei zu Gesprächen bereit, lasse sich jedoch nicht einbestellen. “Genau die richtige Reaktion. Journalisten müssen sich nicht dafür rechtfertigen, dass sie kritisch berichten”, so der Kommentar von DJV-Pressesprecher Hendrik Zörner.
5. Facebook bietet Verlagen bezahlte Video-Partnerschaften an (horizont.net)
Facebook geht Kooperationen mit Verlagen und Herausgebern ein, um an exklusive Videoinhalte zu gelangen. Als Partner hat man sich zunächst die Verlagshäuser Axel Springer, Burda sowie Gruner + Jahr herausgepickt, denen man einen zweistelligen Millionenbetrag zahlt und mit denen man die zukünftigen Werbeerlöse teilen will.
6. “Wir sind Brückenbauer im Grenzland” (sueddeutsche.de, Peter Burghardt)
Peter Burghardt hat die Redaktion des “Nordschleswiger” besucht, die Zeitung der deutschen Minderheit in Dänemark mit kaum mehr als 1200 Abonnenten. Seit 1946 existiert die “größte deutschsprachige Zeitung Skandinaviens”, die zugleich auch die einzige ist. Das Blatt trägt sich durch Zuwendungen von Mäzenen, eine jährliche Zahlung vom Bund Deutscher Nordschleswiger von mehr als zwei Millionen Euro und eine Unterstützung des Königreichs Dänemark (400.000 Euro). Ab Februar 2021 werde man sich vollkommen auf den digitalen Vertriebsweg konzentrieren.
1. Scheuers Spielchen mit den Medien (tagesschau.de, Martin Kaul & Antonius Kempmann)
Dass Ministerien und Behörden zur Presse manchmal nicht das beste Verhältnis haben, ist bekannt. Ein interessantes Beispiel liefert derzeit das Ministerium von Andreas Scheuer. Interne Mails aus dem Bundesverkehrsministerium würden zeigen, wie man dort versucht habe, kritische Berichterstattung zu erschweren. Einige dem WDR und NDR vorliegende Dokumente würden gar dokumentieren, “wie der Minister Anweisung gab, die Arbeit eines ‘Spiegel’-Journalisten bei der Aufarbeitung der Maut-Affäre zu konterkarieren”.
Weiterer Lesetipp: Daniel Bouhs kommentiert: Scheuers PR-Tricks werden Folgen haben! (ndr.de).
2. Dubiose Internet-Gurus: Wenn 14-Jährige das große Geld versprechen (rnd.de, Matthias Schwarzer)
In den Sozialen Netzwerken tummeln sich unzählige Online-Coaches, die den gutgläubigen Interessentinnen und Interessenten Reichtum, Erfolg und ein sorgloses Leben versprechen. Oft mit allerlei Tricks: Da wird geschwindelt, getäuscht und manipuliert. Da verspricht dann schon einmal ein 14-Jähriger seinen potenziellen Kunden und Kundinnen den lang ersehnten “Ausbruch aus dem Hamsterrad”. Matthias Schwarzer hat sich einige der Online-Gurus und deren fragwürdige Coachingangebote angeschaut.
3. Mehrere dicke Enden auf einmal (taz.de, Erica Zingher)
Mit dem Popmagazin “Spex” und dem Berliner Stadtmagazin “Zitty” werden gleich zwei jahrzehntelang existierende Projekte eingestellt. Der Grund für das zweifache Aus sollen die coronabedingt fehlenden Werbeeinnahmen gewesen sein, doch ist das die einzige Wahrheit? Erica Zingher wirft einen Blick in die Vergangenheit und geht der Frage nach, ob es schon zuvor Anzeichen für das nahende Ableben beider Magazine gegeben hat.
4. “Die Hautfarbe war nie ein Hinderungsgrund” (sueddeutsche.de, Kathleen Hildebrand)
Der Musiksender Viva ist auch heute noch ein positives Beispiel für Diversität in den Medien. Kathleen Hildebrand hat sich mit dem früheren Viva-Chef Dieter Gorny über das Musikfernsehen von damals unterhalten und ihm die Frage gestellt, warum das deutsche Fernsehen heute so gleichförmig aussehe: “Es hat, was Diversität, aber auch was Innovation angeht, eine jahrzehntelange Minus-Entwicklung gegeben. Es gibt eine Kluft zwischen Fernsehen und Popkultur. Das normale Mainstream-Fernsehen begreift sich eher nicht als Trendscout und produziert für eine Gesellschaftsstruktur, die es so eigentlich immer weniger gibt.”
5. Thomas Fischer erklärt die Welt (lto.de, Pia Lorenz)
Es gibt bereits einige beliebte Podcasts zu Rechtsfragen, doch der allergrößten Beliebtheit erfreuen sich True-Crime-Formate. Im SWR2-Podcast “Sprechen wir über Mord?!” erklärt der bekannte Kolumnist und Ex-Bundesrichter Thomas Fischer seinen Mit-Podcastenden Viktoria Merkulova und Holger Schmidt seine Sicht auf einen konkreten Fall beziehungsweise darauf, was bei diesem Fall das tatsächliche Problem sei. “Ein echtes Hörvergnügen für alle, die True Crime und Strafrecht lieben”, findet Pia Lorenz in ihrer Rezension.
6. Über eine Million US-Dollar pro Post trotz Corona: Das ist die “Instagram Rich List 2020” (omr.com, Torben Lux)
OMR hat sich die aktuelle “Instagram Rich List” angeschaut, die wiedergibt, welcher Star am meisten für einen (werblichen) Instagram-Post kassiert. Auch wenn die Liste wegen ihrer vielfach nur geschätzten Zahlen mit Vorsicht zu genießen sei, gebe sie einige aufschlussreiche Hinweise. Angeführt wird die Tabelle vom Schauspieler und ehemaligen Wrestler Dwayne “The Rock” Johnson, der für einen Werbe-Post rund eine Million Dollar aufrufen könne.
1. Wie kritische Berichterstattung verhindert werden soll (tagesspiegel.de, Sebastian Leber)
“Tagesspiegel”-Reporter Sebastian Leber erhält manchmal Leser- oder Anwaltspost, deren Ziel es sei, mit offensichtlich ungerechtfertigten Forderungen kritische Berichterstattung zu verhindern. Leber stellt ein paar dieser mitunter recht skurrilen Fälle vor – wie zum Beispiel die Geschichte vom “Hypnosecoach”, der nicht “Hypnosecoach” genannt werden wollte, sich selbst aber als “Hypnosecoach” bezeichnet.
2. Microsoft hat “Interesse” an chinesischer Videoplattform Tiktok (deutschlandfunk.de, Annika Schneider & Nina Magoley, Audio: 5:47 Minuten)
Der Deutschlandfunk hat sich mit der Chinaexpertin und Sinologin Mareike Ohlberg über Donald Trumps Feldzug gegen die chinesische Video-Plattform Tiktok unterhalten. Für den Konflikt kämen einige Gründe in Frage, aber auch ein ganz banaler: “Im Juni sollen Tiktok-Nutzer mit einem Trick erreicht haben, dass viele Plätze bei einer Wahlkampfveranstaltung von Trump in Tulsa, Oklahoma, leer blieben. Sie hatten sich für kostenlose Tickets registriert, ohne die Absicht, tatsächlich hinzugehen.”
3. Neuer als neu (sueddeutsche.de, Philipp Bovermann)
Die einstige SED-Parteizeitung “Neues Deutschland” hat sich jüngst in “ND” umbenannt. Philipp Bovermann hat die “ND”-Redaktion in Berlin besucht und sich danach umgeschaut, ob und was sich sonst noch geändert hat. Es ist vor allem die Geschichte einer Schrumpfung: “Inzwischen ist die ND-Auflage auf etwa 20.000 zusammengeschnurzelt.”
4. Neues ZDF-Nachrichtenmagazin ab September (zdf.de)
Vom “heute journal” (ZDF) wird es ab dem 7. September wochentäglich ein “heute journal up:date” geben, oder um es im Sender-Deutsch auszudrücken: “Das ‘heute journal’, Deutschlands erfolgreichstes TV-Nachrichtenmagazin, vergrößert seine Sendefläche.” Dabei handele es sich um eine gegen Mitternacht ausgestrahlte Spätausgabe mit 15 Minuten Nachrichten, Hintergrundberichten, Schaltgesprächen und Interviews.
5. The Washington Post’s Workforce Demographics (washingtonpost.com)
Die “Washington Post” zeigt in übersichtlichen Grafiken, wie es um die demografische Zusammensetzung ihres Unternehmens hinsichtlich Geschlecht und Ethnie der Mitarbeitenden bestellt ist beziehungsweise war. Eine Transparenzoffensive, von der sich deutsche Medien gerne etwas abschauen könnten.
6. DJV Berlin-JVBB (radioeins.de, Jörg Wagner & Daniel Bouhs, Audio: 1:27:45 Stunden)
Im “Medienmagazin” von radioeins geht es unter anderem um Donald Trump und den Tiktok-Konflikt, um alte und neue Querelen im Journalistenverband, um die umstrittene Veröffentlichung der Videovernehmung des mutmaßlichen Mörders von Walter Lübcke sowie um das “Corona-Comeback” der TV-Sendung “Inas Nacht”. Im Browser anzuhören oder im Podcastplayer der Wahl – dazu nach “radioeins” und “Medienmagazin” suchen, die Folge herunterladen oder gegebenenfalls den Podcast komplett abonnieren.
1. Spahn will Presse-Auskünfte aus Berliner Grundbüchern einschränken lassen (tagesspiegel.de, Jost Müller-Neuhof)
Jens Spahn hat anscheinend ein spezielles Verhältnis zu Transparenz und Pressefreiheit – jedenfalls, wenn es die eigenen Belange betrifft: “Nach dem Willen von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sollen Grundbuchämter in Berlin recherchierenden Journalistinnen und Journalisten künftig nicht mehr ohne weiteres Auskünfte zu seinen privaten Immobiliengeschäften erteilen dürfen. Das geht aus einer Beschwerde von Anwälten des Ministers an die Berliner Datenschutzbeauftragte Maja Smoltczyk hervor, die dem Tagesspiegel vorliegt.”
2. “Triumphgeheul verbietet sich” (fr.de, Bascha Mika)
Bascha Mika hat sich mit dem Medienethiker Tanjev Schultz über “Bild” und den “Bild”-Chef Julian Reichelt unterhalten, gegen den derzeit ein Compliance-Verfahren läuft: “Ich sehe einen öffentlichen Impuls, jetzt mit Häme und Vorverurteilungen an die Sache heranzugehen. Ich selbst habe ja auch kritische Worte gewählt. Aber man muss sich vor Selbstradikalisierung schützen, vor Schadenfreude und Häme. Man braucht die aktuellen Vorgänge nicht, um die Bild-Zeitung als problematisch einzustufen. Triumphgeheul verbietet sich.”
3. Viele Fakten, wenig Kritik (deutschlandfunk.de, Mirjam Kid, Audio: 6:33 Minuten)
Martin Fritz arbeitet seit 20 Jahren als Korrespondent in Japan und kennt daher die Schwächen der japanischen Medienlandschaft recht gut: “Die meisten Journalisten verstehen Journalismus als Beruf und weniger als Berufung. Sie legen eher eine Angestelltenmentalität an den Tag und halten ihre politische Meinung zurück. Die fassen dann die Fakten zusammen – fertig ist der Artikel.” Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk findet Fritz aber auch lobende Worte für eine andere Sorte von Journalistinnen und Journalisten.
Weiterer Lesehinweis: Das bereits gestern empfohlene Interview mit ARD-Korrespondent Peter Kujath: 10 Jahre Atomkatastrophe Fukushima: ARD-Reporter blickt zurück (br.de, Konstantin König).
4. Ist Gendern der “Tod der Sprache”? (Spoiler: Nein) (arminwolf.at)
Der ORF-Journalist und Moderator Armin Wolf bemüht sich um eine geschlechtergerechte Sprache und erntet dafür teilweise empörte Reaktionen: “Ich bin ja immer wieder erstaunt, welche Emotionen dieses Thema auslöst. Auch bei Menschen, die sehr aufgeregt fragen: ‘Haben wir denn keine anderen Probleme ???’ und anscheinend keine anderen Probleme haben als eine gesprochene Mini-Pause in Politiker innen. Möglicherweise sind sie auch davon überzeugt, dass alle anderen Probleme verschwänden, würde ich nur wieder die Politiker sagen.”
5. Darum gibt es jetzt Netzsperren gegen Streamingportale (spiegel.de, Torsten Kleinz)
Neben den legalen, aber kostenpflichtigen Streamingportalen existieren im Netz kostenlose, aber illegale Streamingportale, die sich oft über Pornowerbung oder allerlei obskure Angebote und Klick-Fallen finanzieren. Die Clearingstelle Urheberrecht im Internet will diesen Seiten ein Ende bereiten und setzt dabei auf das Instrument der Netzsperre. Torsten Kleinz erklärt die diffizile Situation und zeigt, warum das Vorgehen der Clearingstelle nicht überall auf Zustimmung trifft.
Weiterer Lesehinweis: Bei netzpolitik.org kommentiert Markus Beckedahl: “Die Musikindustrie verkündet die Rückkehr der Netzsperren. Das Instrument hat gefährliche Nebenwirkungen und wird in autoritären Staaten zum Aufbau einer Zensurinfrastruktur missbraucht. Seht es endlich ein: Netzsperren schaffen mehr Probleme, als sie lösen.”
6. Der Bundesabkanzler Dieter Bohlen macht Schluss bei “DSDS” – es war höchste Zeit (rnd.de, Imre Grimm)
Dieter Bohlen steigt als Chefjuror bei “Deutschland sucht den Superstar” aus. Für Imre Grimm ein guter Anlass, auf die TV-Karriere des “Poptitanen” zurückzublicken: “Ausgerechnet Bohlen, der eiskalte Ausbeuter von Teenie-Träumen, gerierte sich knapp zwei Jahrzehnte lang als Anwalt der Chancenlosen. Das war natürlich immer grober Unfug. Sein sozialdarwinistisches Kulturverständnis, wonach der plötzliche Durchbruch auf der Bühne als Blitzausweg aus Plattenbau, Berufsschulelend und Prekariat bedeutet, war nur eine nützliche Lüge.”
Das Meinungsforschungsinstitut INSA hat vor wenigen Tagen eine Umfrage zu den Folgen der Preissteigerungen bei den Heiz- und Energiekosten durchgeführt. Die Auftraggeberin: die Redaktion der “Bild am Sonntag”. Dort konnte man vor zwei Tagen, genauso wie bei Bild.de, die Ergebnisse nachlesen:
Und auch 65 Prozent der Menschen in Deutschland rechnen mit Massenprotesten und Unruhen im Herbst und Winter (INSA, 1001 Befragte am Freitag).
Ein Grund: 51 Prozent haben Angst, dass sie im Winter ihre Rechnung nicht mehr bezahlen können. 56 Prozent geben an, dass sich ihre wirtschaftliche Situation in diesem Jahr verschlechtert hat.
Die Bebilderung des Artikels ist online und in der gedruckten “BamS” identisch – und bemerkenswert:
Auf dem Foto zu sehen sind Klima-Aktivistinnen und -Aktivisten. In der dazugehörigen Bildunterschrift steht:
Protest gegen Flüssiggas in Wilhelmshaven: Die Aktivisten besetzten die Baustelle, zeigten Transparente mit Slogans wie “Sauberes Gas ist eine Lüge”
Auch im Artikel geht es erstmal nur und ausführlich um Klima-Proteste. Erst spät (und auch nur dieses eine Mal) werden mögliche Demonstrationen von “unzufriedenen Bürgern” erwähnt:
Deutschland drohen ungemütliche Wochen und Monate! Bereits an diesem Wochenende schlugen Klima-Aktivisten zu:
► In Wilhelmshaven besetzten am Freitag mehrere Hundert Anhänger der Gruppe “Ende Gelände” die Baustelle für das geplante Terminal, worüber Deutschland ab Winter mit dem dringend benötigten Flüssiggas versorgt werden soll.
► Gestern legten etwa 400 Klima-Aktivisten den Hamburger Hafen lahm, besetzten die einzige Bahnstrecke zum Containerterminal.
Ist das nur der Anfang für einen “heißen Herbst”, in dem Klima-Aktivisten gegen Gas-Importe und die reaktivierten Kohlekraftwerke sowie unzufriedene Bürger gegen die Explosion der Energiekosten demonstrieren?
Direkt im Anschluss leitet der Text zur INSA-Umfrage über:
Vor “Volksaufständen” hatte Außenministerin Annalena Baerbock (41, Grüne) gewarnt. Und auch 65 Prozent der Menschen in Deutschland rechnen mit Massenprotesten und Unruhen im Herbst und Winter (INSA, 1001 Befragte am Freitag).
Wir haben bei INSA nachgefragt, wie die genauen Formulierungen der Umfrage lauteten, auf der der Artikel von Bild.de und “BamS” basiert. Die Antwort:
1. Erwarten Sie aufgrund der aktuellen Preissteigerungen Massenproteste bzw. soziale Unruhen in Deutschland im kommenden Herbst und Winter?
2. Hat sich Ihre persönliche wirtschaftliche Situation in diesem Jahr (eher) verbessert, (eher) verschlechtert oder ist sie in etwa gleich geblieben?
3. Haben Sie persönlich Angst, dass Sie im Winter Ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können?
In der Befragung ging es an keiner Stelle um Klima-Proteste, sondern um die Folgen “der aktuellen Preissteigerungen”. Oder anders gesagt: Die Klima-Aktivisten, die die “Bild”-Medien zeigen und über die sie schreiben, haben nichts mit den befürchteten “Massenprotesten und Unruhen” zu tun. Nur “Bild am Sonntag” und Bild.de stellen diese Verknüpfung her.