Archiv für September, 2012

Bild  

Unfassbar! (2)

Wir wissen nicht, was “Bild”-Redakteure an der Stelle, an der bei anderen Menschen ein Herz schlägt, tragen — vielleicht ein Stück Kohle, vielleicht aber auch irgendein spezielles Organ, das ihnen hilft Empörung zu heucheln, wie heute auf Seite 3:

 Unfassbar! Hartz-IV-Empfängerin kippt Wasserflaschen aus... ... die sie für ihre Essens-Bons bekommen hat, um vom Pfand Alkohol und Zigaretten zu kaufen

Reporter Nils Mertens (Steuerzahler) ist empört:

Dieses Foto empört jeden Steuerzahler! BILD erzählt die Geschichte dazu:

Kurz bevor ein BILD-Leser das Foto machte, holte sich die obdachlose Frau beim Jobcenter Lebensmittelgutscheine ab.

Laut “Bild” bekommt die Frau dafür jedoch weder Tabak noch Alkohol und wendet daher einen Trick an:

Mit den Bons kauft sie 113 Flaschen Mineralwasser (je 19 Cent plus 25 Cent Pfand). In einem Einkaufswagen schiebt sie die Flaschen nach draußen – und schüttet den Inhalt in den Rinnstein.
Mit den leeren Flaschen kehrt sie in den Supermarkt zurück um sich das Pfand (28,25 Euro) in bar abzuholen. Mit dem Geld will sie Alkohol und Zigaretten kaufen. Doch der Filialleiter schickt sie samt Flaschen weg, erteilt Hausverbot.

Wegen sage und schreibe 50 Euro (!) zieht “Bild” also auf einer dreiviertel Seite über eine Person her, die wohl zu den Ärmsten der Armen gehört, zeigt ein Foto der Dame, auf dem sie klar zu identifizieren ist, und stellt sie dann auch noch in Blockwartmanier zur Rede:

BILD fand die Sozialhilfeempfängerin, stellte sie zur Rede: “Ich lebe seit drei Jahren auf der Straße”, sagt Kerstin S. (43), die mit ihren beiden Hunden Chicco (18) und Berry (10) unterwegs ist. “In meinem Leben ist wohl einiges schiefgegangen. Ich habe mich ans Jobcenter gewendet, weil ich mein Portemonnaie verloren hatte.”

Selbst den Kommentatoren auf Bild.de war das zu viel. Während manch einer auf die Dreistigkeit von Kerstin S. schimpft, finden sich auch überraschend viele Kommentare, die in etwa diesen Tenor haben:

“BILD fand die Sozialhilfeempfängerin, stellte sie zur Rede: ”
Das ist wohl kaum die Aufgabe einer Boulevardzeitung… also manchmal nimmt sich diese Zeitung etwas zu viel raus.

Immer auf die kleinsten, Gratuliere Bild.de.

Keine Angst liebe BILD Leser, diese Gutscheine bekommt man nicht
geschenkt! Sie werden vom nächsten ALG abgezogen!!
Alles nur die übliche primitive Hetze gegen Arbeitslose! Statt Solidarität
wird die Bevölkerung absichtlich gegeneinander ausgespielt!!
BILD ist natürlich ganz vorne dabei!!

Woher weiß Bild das alles so genau? Ist wieder etwas vorgesehen wofür man die Bürger gegen Hartz IV Opfer aufbringen muss?
Im Übrigen sind auch Hartz IV Opfer Steuerzahler. Oder sind diese z. B. von der MwSt. ausgenommen?

Ich frage mich was die BILD mit diesem Artikel bezweckt. Soll hier etwas Hass geschürt werden?

Wie moralisch verkommen muss man eigentlich sein, um sich über solch eine arme Seele und eine vermeindliche ‘Zweckentfremdung’ von knapp 50,- Euro zu empören zu können, derweil man die größten Abzocker, Steuerhinterzieher und windigen Geschäftemacher hoch in den grünen Klee schreibt? Weshalb hat sich BILD nicht einfach den Platz für diesen Beitrag gespart und statt dessen für eine Werbeanzeige genutzt, deren Erlös man hätte der armen Frau spenden können? Darüber hätten sie dann berichten können. Aber so: Pfui! Sich derart am Leid anderer zu weiden ist einfach nur schäbig.

Sich derart am Leid anderer zu weiden, mag schäbig sein, aber es ist sicherlich einträglicher als das Entleeren von Wasserflaschen.

Mit Dank an Claudia D.

Olé, wir fahr’n in Puff nach Berlin

Am 17. August war es im Berliner Vergnügungslokal “Artemis” zu einer Schießerei gekommen. Jetzt wurde ein Tatverdächtiger verhaftet.

Der Bericht dazu in der Berliner “Bild”-Ausgabe sieht so aus:

Festnahme nach Schüssen im Saunaclub "Artemis". Wilmersdorf - Vier "Artemis"-Gäste hatten sich nach Zahlungs-Streitigkeiten den Weg nach draußen freigeschossen. Drei Sicherheitskräfte wurden verletzt. Das war am 17. August. Gestern wurde ein Tatverdächtiger (36, aus Russland) an der Kastanienallee (Prenzlauer Berg) festgenommen.

Bei Bild.de ist er ein bisschen länger: Der Leser erfährt, dass die “B.Z.” gemeldet hatte, Spezialkräfte des Landeskriminalamtes hätten den Tatverdächtigen “aus seiner Wohnung im Stadtteil Prenzlauer Berg” geholt, dass sich der Mann “zusammen mit drei anderen Männern” am 17. August “in dem bekannten Etablissement mit den Liebesdamen vergnügt” habe, dass er sich über den zu hohen Preis beschwert und mit einer umgebauten Schreckschusspistole auf den Wachdienst geschossen habe, dass drei Sicherheitsleute ins Krankenhaus mussten.

Der Text geht weiter:

Der Club liegt am Autobahndreieck Funkturm der A100 in Berlin. Auf 4000 Quadratmeter gibt es hier “erotische Wellness pur”. Benannt nach der griechischen Göttin der Jagd verwöhnen pro Schicht rund 60 Mädchen ihre Freier.

Hier gibt es feste Regeln: Eintritt 80 Euro, wer betrunken ist, darf nicht rein. Im Club selbst dürfen maximal drei alkoholische Getränke (Whisky oder Wodka) verzehrt werden – ausgenommen Champagner. Nicht-alkoholische Getränke sind im Preis enthalten.

Der Besucher sollte duschen, bekommt einen Bademantel – und kann sich dann ins Vergnügen stürzen: Es gibt zwei Kinos, einen Pool, Sauna und Haman, Tanz-Shows an der Stange und Table-Dance. Außerdem Frühstück- und Abendbüffets.

Das “Artemis” hat 361 Tage im Jahr geöffnet, von 11 Uhr bis 5 Uhr morgens, nur am 24., 25. und 31. Dezember, sowie am 1. Januar ist es geschlossen.

Für den Satz “Reservierung unter … , Kreditkartenzahlung möglich” war dann offenbar kein Platz mehr.

Mit Dank an Volker K.

Branchenklick, Neonazistinnen, Einhornkacke

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Helden oder Opfer – Behinderten-Klischees”
(ndr.de, Video, 5:04 Minuten)
Sat.1 gibt auf Anfrage bekannt, die Sendung “Die große Welt der kleinen Menschen” sei in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband Kleinwüchsige Menschen entstanden – doch dort weiß man nichts von einer Zusammenarbeit. Siehe dazu auch “Die komische Welt von Sat.1. Oder: Kleine Menschen, große Scheiße” (leidmedien.de, Ninia LaGrande).

2. “Als Burda mal einen Kopierer verkaufte”
(blog-cj.de, Christian Jakubetz)
Christian Jakubetz kommentiert “die Beseitigung eines Interessenskonflikts”, den Verkauf von Nachrichten.de durch die Hubert Burda Media: “So wahnsinnig vielfältig und leistungsfähig und damit für den Informationsfluss im Netz unverzichtbar, wie die Befürworter der geschützten Leistung gerne sagen, sind die Verlage womöglich gar nicht. Im Fall iPhone 5 jedenfalls haben weite Teile der deutschen Verlagslandschaft im Wesentlichen eine Leistung erbracht, die aus dem fehlerfreien Kopieren einer Meldung in ein CMS besteht. Und mal weitergedacht – und Google hätte all diese hübschen Meldung nicht indexiert: Was genau bitte würde uns fehlen?”

3. “82.000-Euro-Klage wegen Blog-Post”
(blog.limesoda.at, Philipp Pfaller)
Philipp Pfaller gewinnt einen Rechtsstreit gegen die Branchenklick GmbH: “Ich als Beklagter hatte eigentlich nichts zu gewinnen. Im nun eingetretenen besten Ausgang musste ich nichts zahlen. Trotzdem bin ich stolz, wenigstens einen kritischen Artikel vor der Löschung bewahrt und damit vielleicht einen Präzedenzfall für mutige BloggerInnen geschaffen zu haben.”

4. “Wenn der Hitlergruß zu sehen ist, gehen unsere Filme am besten weg”
(planet-interview.de, Natascha Mahle)
Andrea Röpke, freie Journalistin mit Schwerpunkt Rechtsextremismus, im Interview: “Ja, in den Medien und auch der breiten Öffentlichkeit wird immer davon ausgegangen, dass Frauen in die Szene nur reinrutschen, weil sie die Freundin eines Rechten sind und sie auch fast nichts über dessen Ansichten wissen. Es fällt uns schwer, einzugestehen, dass Frauen fanatisch sein können, dass sie die Strategien der Nazis ganz bewusst mittragen und mit dieser Einstellung sogar in sensiblen Bereichen wie Schulen und Kindergärten arbeiten. Unter dem Deckmantel der lieben, weichen, sozialen Frau, den die Öffentlichkeit bereitwillig gibt, breiten sich die Neonazistinnen ungeniert aus.”

5. “Erkennen Sie die Erkennungs-Melodie?”
(stefan-niggemeier.de)
Während das Redesign des Tagesschau-Intros durch eine falsche “Bild”-Titelgeschichte (“ARD entsorgt tagesschau-Melodie”, BILDblog berichtete) in den Medien großes Echo hervorrief, blieb die letzte grundsätzliche Änderung der Melodie weitgehend unbemerkt.

6. “Einhornkacke”
(volkerstruebing.wordpress.com)
Volker Strübing hat eine Schreibblockade: “Ich öffne Textverarbeitung oder Notizbuch und, schwupps, laufen tausend Männchen durch meinen Kopf und brüllen durcheinander.”

Nicht alles, was hitler ist, ist verboten (2)

Man kann kaum den Fernseher einschalten, ohne wenigstens auf einem Sender Schwarz-Weiß-Bilder von Fackelaufmärschen, Feldzügen und Konzentrationslagern zu sehen. Adolf Hitler dürfte im Jahr 2012 mehr Air Time haben als 1940 im staatlichen Rundfunk. Das bedeutet aber nicht, dass die Menschen bestens über den Nationalsozialismus informiert sind. Nicht einmal Journalisten sind es.

stern.de berichtete gestern auf seiner “Investigativ”-Seite darüber, “wie Rechtsextremisten mit Android-Apps und coolen QR-Codes (sic!) auf junge Technik-Fans zielen”:

Aus dem “Google Play”-Store für Smartphones und Tablet-Computer mit dem populären Android-Betriebssystem fischten die BKA-Experten einige Apps, “bei denen ein rechtsgerichteter Hintergrund nahe liegt”: Da lässt sich zum Beispiel der Menühintergrund mit “Nazi Zombies” dekorieren, das Handy weckt seinen Besitzer auf Wunsch mit einer Hitler-Rede oder die indizierte Hetzschrift “Mein Kampf” lässt sich als E-Book auf englisch, russisch oder spanisch herunterladen.

Auch, wenn manche Journalisten es nicht glauben wollen: “Mein Kampf” ist in Deutschland weder “verboten” noch “indiziert”.

Da Adolf Hitler bis zuletzt in München gemeldet war, ging sein Vermögen nach seinem Tod am 30. April 1945 an den Freistaat Bayern über – inklusive des Urheberrechts an “Mein Kampf”. Das bayerische Finanzministerium hat sich einer neuen Drucklegung des Textes bisher verweigert. Dieses Urheberrecht läuft am 31. Dezember 2015 aus, am Ende des 70. Jahres nach Hitlers Tod, danach ist das Buch gemeinfrei. Es gibt aber Pläne der bayerischen Landesregierung, das Werk dann in einer kommentierten Ausgabe als Schulbuch auf den Markt zu bringen.

Mit Dank an Sascha.

Nachtrag, 12.50 Uhr: stern.de hat den Fehler transparent im Artikel und auf Twitter korrigiert:

Tagesschau, Hüte, Burda

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Zeitleiste: Das tagesschau-Intro im Wandel der Zeit”
(marcus-anhaeuser.de)
Der musikalische Auftakt der ARD-Tagesschau wird überarbeitet, nicht abgeschafft (BILDblog berichtete). Marcus Anhäuser liefert dazu eine Zeitleiste mit Tagesschau-Intros ab 1952.

2. “Leistungsschutzrecht-Fürsprecherin Burda verkauft nachrichten.de”
(netzwertig.com, Martin Weigert)
Mit nachrichten.de betrieb Hubert Burda Media seit 2009 einen Nachrichtenaggregator. Der nun verkauft wurde: “Das Medienhaus tat also genau das, was es Google News und anderen Aggregatoren anlastet: Inhalte von fremden Verlagsangeboten ‘abgreifen’, zur Schaffung eigener Dienste nutzen und damit etwa durch Werbung Umsätze generieren.”

3. “Bin ich bestechlich?”
(iruedt.blogspot.de, rue)
Ein Journalist, der 2004 für den “PCtipp” schrieb, erinnert sich an von Druckerherstellern bezahlte Pressereisen: “Ich bin überzeugt, dass sich die Ausflüge für mich (und meinen Arbeitgeber) gelohnt haben.”

4. “Stupid hat tricks”
(cjr.org, Justin Peters, englisch)
Justin Peters zieht sich an der Democratic National Convention in Charlotte einen Hut in Form einer Krone an, um zu prüfen, wie oft er deswegen interviewt wird. “All in all, I was interviewed three times in an hour, and I’m positive I would’ve doubled that number if I had arrived two hours earlier, when dozens more cameramen were stalking the halls in search of B-roll; at that time, it seemed like the number of stupid hats was only matched by the number of camera crews rushing to interview people wearing stupid hats.”

5. “Study: Young people consider news to be garbage and lies”
(jimromenesko.com, englisch)
Eine Studie von Journalistikprofessorin Paula Poindexter über die in den 1980er- and 1990er-Jahren geborenen “millennials” ergibt: “Millennials describe news as garbage, lies, one-sided, propaganda, repetitive and boring. Most millennials do not depend on news to help with their daily lives. The majority of millennials do not feel being informed is important.”

6. “Ein Mann, den es eigentlich nicht gibt”
(fluter.de, Adrian Bechtold)
Adrian Bechtold spricht mit einem schwulen Bundesliga-Fußballspieler: “Entweder spaziere ich mit meinem Freund zu einem Event und bin danach drei Wochen in allen Medien oder berufe mich auf meine Privatsphäre und belüge mich selbst. Es gibt einfach keine Lösung. Unmöglich, einfach wie ein heterosexueller Spieler den neuen Partner zu präsentieren und am nächsten Tag vergessen zu werden. Normalität gibt es nicht.”

Bild, dapd  etc.

Melodien für Millionen

Es sind die ganz großen Themen, mit denen “Bild” heute aufmacht:

Eine gute Gelegenheit zum sonst eher seltenen Aufeinandertreffen von Journalismus und Dadaismus:

Generationen von Deutschen sind mit ihr aufgewachsen. Wer einen Fernseher hat, kennt diese Melodie: DONG!

“Hier ist das Erste Deutsche Fernsehen mit der Tagesschau …” Ta-ta, ta ta ta taaa!

Jetzt entsorgt die ARD nach 56 Jahren die Tagesschau-Melodie! Die neuen Töne kommen aus Hollywood – von Starkomponist Hans Zimmer (54)!

Wer dieser Hans Zimmer ist und was seine bekanntesten Melodien sind, erklärt “Bild” natürlich auch:

Die “Tagesschau” wird also bald nicht mehr mit “Ta-ta, ta ta ta taaa!” beginnen, sondern vielleicht mit “Dam Dam Da Da Da Daam” oder “Tatü tata”!

Mit der “Bild”-Titelstory und ein bisschen Unterstützung der Nachrichtenagentur dapd im Rücken (“Die ARD verpasst der ‘Tagesschau’ einem Zeitungsbericht zufolge eine neue Titelmelodie.”) ging die Geschichte auf Reisen:

“Augsburger Allgemeine”:
Ta-ta, ta taaa: Die Tagesschau-Melodie ändert sich

“FR Online”:
Hans Zimmer komponiert: Neue "Tagesschau"-Melodie nach 56 Jahren

tagesspiegel.de:
Die Tagesschau bekommt eine neue Melodie. "Ta-ta, ta ta ta taaa". Dieses Intro gibt es nur noch bis zum 26. Dezember. Dann muss auch in der "Tagesschau" Weltkrieg Zwo kapitulieren. Willkommen in der neuen Zeit.

horizont.net:
Die "Tagesschau" bekommt eine neue Melodie - aus Hollywood

“Spiegel Online”:
TV-Tradition: ARD schafft "Tagesschau"-Melodie ab

Es waren wohl noch mehr Online-Medien, die berichtet hatten, die “Tagesschau” bekomme eine neue Melodie — bis, ja, bis Kai Gniffke, Chefredakteur von “ARD Aktuell”, sich zu Wort meldete:

Die Sorge um das Ta-ta, ta ta ta taaa ist unbegründet: Wir “entsorgen” die Melodie nicht, wie die BILD schreibt, sondern überarbeiten sie nur – wie zuletzt in den Jahren 2005, 1997 und 1994. Dabei bleiben natürlich die Grundelemente der “Tagesschau”-Melodie erhalten, die sie so unverwechselbar machen.

Und auch die Meldung, die “neue” Melodie werde von Hans Zimmer komponiert, war offenbar ein wenig … überspitzt:

Die Überarbeitung soll der Komponist Henning Lohner übernehmen, der für die Firma Remote Control von Oscar-Preisträger Hans Zimmer tätig ist. Bis zum Jahresende will die Redaktion von ARD-aktuell die Entwicklung ihres neuen Designs, wozu dann auch die angepasste Titelmelodie gehört, abgeschlossen haben.

dapd tickerte daraufhin, die ARD habe “Berichte über eine neue ‘Tagesschau’-Melodie zurückgewiesen”, wälzte die Schuld an diesen Berichten aber relativ souverän auf “Bild” allein ab. “Spiegel Online” veröffentlichte einen zweiten Artikel, der den ersten explizit erwähnt.

Und Nachrichtenseiten wie stern.de, ksta.de oder kress.de überarbeiteten ebenfalls etwas — nämlich unauffällig ihre jeweiligen Artikel.

Mit Dank auch an Daniel K., Josef Sch. und Kai Sch.

Klartext, Libération, Kurt Pelda

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “RBB Klartext: Vorher schon wissen was nachher kommt”
(christopherlauer.de)
Politiker Christopher Lauer beschreibt die Recherchemethoden der RBB-Sendung “Klartext”: “Die Gespräche laufen immer nach dem selben Muster ab: Man wird eine halbe Stunde oder länger aggressiv immer wieder dieselben Suggestivfragen gestellt, am Ende wird das denkbar dümmste Zitat in einen tendenziösen Bericht geschnitten.”

2. “Frei, nicht wurscht”
(taz.de, Rasmus Cloes)
Verschickte Abmahnungen aufgrund von verwendeten Creative-Commons-Fotos: “Bei vielen unter CC-Lizenz veröffentlichten Werken müssen der Name des Fotografen und die Art der jeweiligen CC-Lizenz genannt werden.”

3. “Multimilliardär Arnault erstattet Anzeige gegen ‘Libération'”
(derstandard.at)
Bernard Arnault verklagt die Zeitung “Libération”, nachdem diese ihn auf der Titelseite als “riche con” bezeichnet.

4. “Ein Zuhause für gute Reportagen”
(laurencethio.de)
Laurence Thio stellt verschiedene Dienste vor, die lange journalistische Texte empfehlen.

5. “Der Kriegsreporter – Immer wieder reist Kurt Pelda an die Front”
(videoportal.sf.tv, Video, 23:27 Minuten, teilweise Dialekt)
Der Reporter und zweifache Vater Kurt Pelda berichtet seit über zwanzig Jahren aus Kriegsgebieten, zuletzt von den Kämpfen um die syrische Stadt Aleppo.

6. “Filter Bubble Tea”
(uebrigensauchnoch.blogspot.de, Juliane Leopold)
Ein Portrait von Christoph Keese löst bei @jensbest grundsätzliche Ablehnung aus: “Die Vehemenz mit der Jens hier streitet, hat mich erstaunt. (…) Was man an Jens beobachten kann, ist meiner Meinung nach das Zerplatzen seiner Filter Bubble.”

Licht aus, Spott an

Es war wohl die “Süddeutsche Zeitung”, der es als erstes aufgefallen ist:

Ein Söder zum Ausschalten.

Über den bayerischen Finanzminister Markus Söder schrieb die Zeitung:

Die neueste Gemeinheit kommt allerdings von unerwarteter Seite – genauer: von einer hinteren Seite im aktuellen Ikea-Katalog. Dort wird ein Armleuchter “Söder” zum Preis von 89 Euro feilgeboten, der Teil einer ganzen “Söder-Serie” ist, zu der auch mehrere Wand- und Hängelampen in verschiedenen Designs gehören.

Nach einer ausführlichen Durchsicht des Angebots kann man sagen: Eine große Leuchte ist dieser Söder nicht. Den Herstellerangaben zufolge verbreitet er lediglich ein “weiches Stimmungslicht”, und dem Käufer wird die Verwendung des Leuchtmittels “Sparsam” empfohlen. Selbst damit bringt Söder es laut Katalog nur zur “Energieeffizienzklasse C auf einer Skala von A (sehr effizient) bis G (weniger effizient)”.

Es war nur ein kleiner Text im Regionalteil, aber natürlich genau die Sorte Meldung, die weite Kreise ziehen würde. Sehr weite Kreise:

“Augsburger Allgemeine”:
Armleuchter Söder - Jetzt neu im Ikea-Katalog. Markus Söder kann mächtig austeilen. Der CSU-Mann kann aber auch einstecken. Das muss er nun.

nordbayern.de:
Ein "Armleuchter" namens Söder. Ikea verkauft siebenarmigen Lampe mit dem Namen des bayerischen Finanzministers.

“Welt Online”:
Söder offiziell zum Armleuchter erklärt

“Focus Online”:
Bayerisch-schwedische Erleuchtung: Söder hängt bei Ikea rum

“RP Online”:
Neuheit des schwedischen Einrichtungshauses: Bei Ikea ist Söder eine sparsame Leuchte

tagesschau.de:
Schlusslicht: Ein Armleuchter namens "Söder"

“B.Z.”:
Ein Armleuchter namens Söder

tagesspiegel.de:
Namensgleichheit bei Ikea: Söder ist ein Armleuchter

“Bild”:
Verlierer: Bayerns Finanzminister Markus Söder (45, CSU) hat einen neuen Namens-Kollegen: Im neuesten Katalog des schwedischen Möbelriesen Ikea gibts einen Armleuchter, Name Söder (schwedisch für Süden), Energieeffizienzklasse C, Entsorgungstipp inklusive. BILD meint: Markus Süden!

Bild.de:
Ikea verkauft Armleuchter "Söder"

Außerdem berichteten noch die “Junge Welt”, die “Rheinische Post”, die “taz”, die “Welt kompakt”, der Kölner “Express”, der “Berliner Kurier”, die “Berliner Morgenpost”, der “Tagesspiegel”, die “Welt” und verschiedene kleine Medien über die Lampe mit dem lustigen Namen.

Die Geschichte hätte eigentlich schon vor einem halben Jahr derartige Kreise ziehen können, als die “Abendzeitung” aus München erstmals über “Söder” berichtet hatte (was diese übrigens nicht davon abhielt, jetzt noch einmal darüber zu schreiben).

Aber die “Abendzeitung” hatte damals die Chance zur naheliegenden Pointe verstreichen lassen, die die “Süddeutsche Zeitung” jetzt genutzt hat.

Eigentlich ist “Söder” nämlich gar kein “Armleuchter”:

Mit Dank an Martin K.

Bild  

Bettina Wulffs Frühstück mit Kai Diekmann

“BILD liegt es bereits vor”, das Buch von Bettina Wulff, in dem die Frau des ehemaligen Bundespräsidenten ihr Bild in der Öffentlichkeit zurechtrücken will. BILDblog liegt es auch vor, wir stehen sogar im Quellenverzeichnis, weil Wulff sich darüber lustig macht, dass die “Bild am Sonntag” im März 2008 meldete, sie erwarte ein Mädchen. Es war ein Junge.

Ein ganzes Kapitel hat sie den Medien gewidmet, und es geht, obwohl die “Bild”-Zeitung in ihrer Zusammenfassung nichts davon erwähnt*, natürlich über weite Strecken auch um “Bild” und ihr Verhältnis zu den Wulffs. Es sind keine spektakulären Enthüllungen, aber interessante Beobachtungen.

Bettina Wulff zitiert und bestätigt den bekannten Satz von Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner: “Wer mit der Bild-Zeitung im Aufzug nach oben fährt, der fährt auch mit ihr im Aufzug nach unten.”

Es ist alles ein großes Spiel, bei dem es nur ein Ziel gibt: Auflage zu machen! Und plötzlich Teil dieses Spiels zu sein, ein Spielball der gesamten Medien, denn da schließe ich andere Blätter mit ein, bei diesem Spiel irgendwie mitzumachen, um nicht gleich der Verlierer zu sein, das war für mich schon merkwürdig und hat mich von Beginn an überrumpelt.

Sie schildert, wie Christian Wulff Pfingsten 2006 bewusst den Kontakt zur “Bild”-Zeitung und anderen Medien herstellt habe, um “unser — sozusagen — Outing so gut es geht selbst (zu) bestimmen”.

Es ist Fakt: Wenn man in Deutschland einen bestimmten Grad an Öffentlichkeit erreicht hat, kommt man nicht um die Bild herum. Auf einer gewissen Ebene gilt es, mit dem Blatt zurechtzukommen. Und, das streite ich nicht ab, es eventuell auch zu nutzen, um Dinge bekannt zu machen, bevor andere spekulieren.

Ein “recht guter Draht zu der ‘Bild’-Zeitung in Hannover” habe sich bereits entwickelt, als Christian Wulff niedersächsischer Ministerpräsident war:

Es gab eine bestimmte Mitarbeiterin, die vertrauensvoll vom Sprecher meines Mannes mit Informationen zu ihren Anfragen versorgt wurde, die uns auf offiziellen Reisen begleitete und mit der ich mich zu Exklusiv-Interviews verabredete. Ganz ohne Zweifel war uns die Bild-Zeitung zu diesen Zeiten sehr wohlgesonnen, im von Mathias Döpfner erwähnten Fahrstuhl ging es nach oben. Ich glaube durchaus, dass beide Seiten, wir wie die Bild, damals davon profitiert haben.

Als Wulff für das Amt des Bundespräsidenten kandidierte, hätten “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann und seine Frau Katja Kessler das Ehepaar Wulff zu einem Abendessen in ihr Haus in Potsdam eingeladen:

Für mich war es die erste Begegnung mit Kai Diekmann und ich weiß noch, wie unwohl ich mich an diesem Abend fühlte. Zum einen kam ich mir mehr wie das schmückende, aber völlig unwichtige Beiwerk an Christians Seite vor, zum anderen, und das war besonders ausschlaggebend für meine Gefühle, war da dieses wahrlich beeindruckende Haus und dieses Paarensemble Diekmann-Kessler. Er der Typ “Macher”, sie lässig durchgestylt. Mich beschlich das Gefühl, dass dies alles eine mächtige Inszenierung ist. Zugegeben perfekt. Dass so eine Fassade mit zum Spiel gehört, wusste ich damals noch nicht.

Ende September 2010, nach der Wahl Wulffs zum Bundespräsidenten, revanchierten die Wulffs sich — weil es wichtig sei den Kontakt zum Axel-Springer-Verlag zu pflegen — und luden Diekmann und Kessler zu sich ein. Beim Frühstück habe Diekmann plötzlich gefragt:

was denn an den Gerüchten zu meiner vermeintlichen Vergangenheit im Rotlichtmilieu dran sei. Einige seiner Redakteure hätten Derartiges in einer Redaktionskonferenz erwähnt und recherchierten in diese Richtung. (…) Zwar versuchte ich noch, meine Fassungslosigkeit mit einem ironisch gemeinten “Das ist ja interessant!” zu überspielen und Kai Diekmann meinte, dass damit das Thema für ihn erledigt sei. Doch für mich war damit auch das ganze Frühstück gegessen.

Den berüchtigten Anruf Ende 2011, als Christian Wulff Kai Diekmann auf die Mailbox sprach und wütend forderte, einen geplanten Artikel über seine Kreditaffäre wenigstens zu verschieben, bezeichnet Bettina Wulff als einen “riesengroßen Fehler”. Sie könne das Verhalten ihres Mannes aber nachvollziehen: “Es war ein hochemotionaler, aufgeladener Moment. Es ging um unser ganz privates Leben.”

Ich weiß, dass Christian nicht nur entsetzt, sondern auch enttäuscht war über die Handlungsweise von Bild-Chefredakteur Kai Diekmann — eben gerade aufgrund der vorangegangenen Zusammenarbeit. Und jemandem auf die Mailbox zu sprechen, ist ja quasi ein Gespräch, das nur zwischen zwei Menschen stattfindet. Das hätte man auch privat abhandeln und zunächst mit der jeweiligen Person klären können.

Von der Mailbox gelangte der Inhalt der Nachricht aber bekanntlich in die “Bild”-Redaktion und andere Medien.

In den Wochen von Dezember 2011 bis zum Rücktritt Wulffs im Februar 2012 habe sie aufpassen müssen, schreibt Bettina Wulff, nicht zum “Menschenhasser” zu werden. Journalisten per se seien für sie wie ein rotes Tuch geworden, und in Gedanken habe sie dem einen oder anderen Journalisten “ordentlich gegen das Schienbein getreten. Auch einem Kai Diekmann”.

Sie hoffe nun, dass ihre Vergangenheit als Gattin des Bundespräsidenten bald uninteressant für die Medien werde.

Ich konzentriere mich auf meinen Job, auf meine Termine, auf meine Kinder, auf unsere Zukunft als Familie. Und dabei denke ich und gehe davon aus, dass man sich mindestens zweimal im Leben sieht. Auch mit einem Kai Diekmann wird es für mich ein Wiedersehen geben, da bin ich mir fast sicher.

*) Korrektur, 16:05 Uhr. Gar nicht wahr: “Bild” zitiert auch aus Bettina Wulffs “Abrechnung auch mit BILD”.

Volks-Wagen

Vor ein paar Tagen wurde in Berlin der neue VW Golf vorgestellt. Zu Gast auf der pompösen Premierenfeier waren – neben einigen “Stars” – vor allem jede Menge Journalisten. Ungewöhnlich ist das nicht, immerhin ist der Golf eines der meistverkauften Autos der Welt.

Ungewöhnlich ist vielleicht eher, in welchem Ausmaß “Bild” und Bild.de seit einer Woche über den neuen Golf berichten:

4. September 2012:
Wie gut kennen Sie den VW Golf?

4. September 2012:
So wurde der Golf zum Bestseller

4./5. September 2012:
Hier steht der neue VW Golf 7

5. September 2012:
Das steckt im neuen VW Golf 7!

Im Live-Ticker von der Premierenfeier (“So ein netter Empfang…”) fasst Bild.de übrigens “die wichtigsten Neuerungen zusammen”: “FEINER” (…), “LEICHTER” (…), “SICHERER” (…), “WENDIGER” (…), “SPARSAMER” (…), “GRÖSSER” (…), “VERNETZTER” (…).

5. September 2012:
Der neue VW Golf 7 bremst automatisch

5. September 2012:
So feiert VW den neuen Golf 7!

“Bild”, 5. September 2012:
Das kann der NEUE GOLF VII

Wie gut ist der neue Golf?

5. September 2012:
Geheimwaffe Golf!

6. September 2012:
Golf, wat haste dir verändert!

6. September 2012:
"Dirty Harry" guckt dem neuen Golf unter die Haube

6. September 2012:
Diesen Golf versteckt VW

“Bild am Sonntag”, gestern:
Hier baut BamS den neuen Golf

Fotogalerie 1:
Fotogalerie: Das ist der neue Golf VII

Fotogalerie 2:
Fotogalerie: Das ist der neue Golf VII

Fotogalerie 3:
Fotogalerie: Das ist der neue Golf VII

Fotogalerie 4:
Fotogalerie: VW-Bestseller seit 1974

Fotogalerie 5:
Fotogalerie: Premiere des neuen Golf

Fotogalerie 6:
Fotogalerie: Das ist die große Golf-Familie

Mit Dank auch an Axel S.

Blättern:  1 ... 2 3 4 5 6