Archiv für September 20th, 2012

Das Glas ist doppelt leer

Alkohol soll ja am Besten in Maßen konsumiert werden — und wo ginge das besser als beim Münchener Oktoberfest, wo die gängige Ausgabegröße für Bier eine sogenannte Maß (überall sonst auf der Welt: ein Liter) ist?

Ebenso Folklore wie das Oktoberfest selbst sind die jährliche Wasserstandsmeldungen, wie viel (mehr) denn im aktuellen Jahr für so eine Maß berappt werden müsse (2012: “zwischen 9,10 und 9,50 Euro”, 2010: “zwischen 8,30 und 8,90 Euro”, 2007: “ab 7,80 Euro. Rekord!”, …).

Aber das sind vergleichsweise trockene Zahlen. Hilfreich wäre natürlich eine Einordnung ins internationale Preisspektrum.

Drum danket dem Herrn für Bild.de:

Teures Oktoberfest: Was Bier weltweit kostet

Oder genauer: für “ECA International”.

Das Beratungsunternehmen “ECA International” mit Dependance in München hat die Bierpreise von 16 Besuchernationen mit denen der Wiesn verglichen. Besonders hart trifft es demnach Oktoberfest-Fans aus Südafrika, die gegenüber den Heimatpreisen das Doppelte für eine Maß Bier bezahlen müssen.

Bild.de hat sich aber auch die Mühe gemacht und Vergleiche angestellt:

Links oben sehen Sie die Bierpreise in 16 Nationen weltweit sowie die Abweichung vom Maß-Preis – ausgehend vom Preis im eigenen Land.

Die Bierpreise dieser 16 Nationen sind – wohl damit sie nicht so einfach miteinander zu vergleichen sind – nicht etwa in einer Tabelle aufgeführt, sondern in einer 16-teiligen Klickstrecke.

Auch gibt es eine gewisse Abweichung beim Ausgangsmaterial: Während “ECA International” mit 8,65 Euro rechnet (“Die Maß Bier kostet in den Festzelten zwischen 8,30 Euro und 8,90 Euro – im Durchschnitt über alle Zelte gerechnet sind das 8,65 Euro.”), geht Bild.de von einem anderen Preis aus: “Durchschnittlich 9,32 Euro zahlen Wiesn-Besucher dieses Jahr für den berühmten Humpen Bier.”*

Aber das sind alles noch keine befriedigenden Erklärungen für dieses Kraut und Rüben, das Bild.de da in seiner Übersicht präsentiert:

Land Preis Abweichung laut Bild.de Tatsächliche Abweichung
Norwegen 20,98 Euro 56 Prozent teurer 125 Prozent teurer
Japan 15,10 Euro 38 Prozent teurer 62 Prozent teurer
Schweiz 14,54 Euro 36 Prozent teurer 56 Prozent teurer
Dänemark 13 Euro 28 Prozent teurer 39 Prozent teurer
Frankreich 12,18 Euro 23 Prozent teurer 31 Prozent teurer
Australien 11,68 Euro 20 Prozent teurer 25 Prozent teurer
Kanada 11,26 Euro 17 Prozent teurer 21 Prozent teurer
Neuseeland 10,88 Euro 14 Prozent teurer 17 Prozent teurer
Italien 10,74 Euro 13 Prozent teurer 15 Prozent teurer
Argentinien 10,48 Euro 11 Prozent teurer 12 Prozent teurer
Niederlande 9,46 Euro 1 Prozent teurer 1,5 Prozent teurer
USA 9,02 Euro 3 Prozent billiger 3 Prozent billiger
Österreich 8,08 Euro 15 Prozent billiger 13 Prozent billiger
Großbritannien 7,28 Euro 28 Prozent billiger 22 Prozent billiger
Spanien 6,92 Euro 35 Prozent billiger 26 Prozent billiger
Südafrika 4,66 Euro 100 Prozent billiger 50 Prozent billiger

Am Schluss bekommt man wenigstens eine Ahnung, was da falsch gelaufen sein könnte: Ein Bier, das “100 Prozent billiger” ist als auf dem Oktoberfest, müsste exakt 0 Cent kosten. Bild.de hat offenbar aus der anderen Richtung gerechnet:

Besonders hart trifft es demnach Oktoberfest-Fans aus Südafrika, die gegenüber den Heimatpreisen das Doppelte für eine Maß Bier bezahlen müssen.

Mit Dank an Jens und Blox.

Nachtrag, 18.20 Uhr: Unser Leser Sönke B. hat einen plausiblen Lösungsweg herausgefunden: Bild.de rechnet offenbar in der Tat “ausgehend vom Preis im eigenen Land”.

Das heißt, bezogen auf das Beispiel Norwegen: Bild.de teilt die vollen 100 Prozent durch 20,98 und rechnet dieses Zwischenergebnis (4,77) mal dem deutschen Preis von 9,32 Euro. Dabei kommt ein Wert von 44,4 heraus, die Abweichung zu 100 Prozent beträgt also gerundet 56 Prozent, weswegen Bild.de zu dem Ergebnis kommt, das Bier in Norwegen sei “56 Prozent teurer”. Tatsächlich ist es aber in Deutschland 56 Prozent billiger, was aber nicht aufs Gleiche rauskommt, wie man spätestens am Beispiel Südafrika sehen kann.

2. Nachtrag, 21. September: Bild.de hat die Klickstrecke komplett überarbeitet und dabei offenbar unsere Werte übernommen.

Außerdem gibt es diesen Hinweis:

Leider hat sich bei unserer ersten Berechnung der Fehlerteufel eingeschlichen, das tut uns sehr leid. Wir haben das geändert. Vielen Dank an die vielen Hinweisgeber!

*) 3. Nachtrag/Korrektur: Und jetzt haben wir auch eine ganz einfache Erklärung für die Werte von Bild.de: In der Pressemitteilung von “ECA International” findet sich eine Grafik, aus der Bild.de offenbar die Werte übernommen und diese dann falsch zugeordnet hatte. Die Legende der Grafik sagt nur “Wieviel teurer/billiger ist die Maß Bier auf dem Münchener”, was tatsächlich ziemlich verwirrend sein kann.

Wir hatten gestern dämlicherweise die Pressemitteilung von vor zwei Jahren zum selben Thema verlinkt, was die Abweichungen im Durchschnittspreis erklärt, die wir in der inzwischen durchgestrichenen Passage beschrieben haben. Entschuldigung!

Mit Dank an Tobias F.

Mitleid im Promillebereich

Sie haben es sicher mitbekommen: Eine bekannte deutsche Schauspielerin hat am Montag in einer Vorabendsendung des NDR das hingelegt, was Bild.de zunächst als “irren Auftritt in TV-Show” bezeichnet hatte:

[Sie] wirkt unkonzentriert, kichert wie ein Teenie. Statt auf Tietjens Fragen zu antworten, erzählt sie, was ihr gerade in den Sinn kommt.

Im Internet machen diese Szenen aus der NDR-Sendung gerade die Runde, werden mit hämischen Kommentaren bedacht.

Offenbar durfte auch ein zufällig in der Redaktion anwesender Drittklässler noch seine Einschätzung zur Situation abgeben:

Tietjen moderierte die unangenehme Situation einfach weg. Manch anderer hätte vermutlich schmunzeln müssen (der Zuschauer hat!). Was ja aber nicht nett gewesen wäre dem Gast gegenüber.

Dann zeigte sich, dass der “kuriose TV-Moment” (Bild.de) offenbar einen ernsten Hintergrund hatte: Der Ehemann und Manager der Schauspielerin wurde zunächst mir den Worten zitiert, seine Frau habe ein “schweres gesundheitliches Problem, was wir jetzt angehen werden”, was er später konkretisierte zu: “Meine Frau hat ohne Frage ein Alkoholproblem”.

Anders als in anderen Fällen, wo eine offensichtliche Suchterkrankung schon mal als Steilvorlage für miese Namenswitze taugte, reagierten “Bild” und Bild.de diesmal beinahe einfühlsam: In der heutigen Printausgabe wird der Fall der Schauspielerin beispielsweise genutzt, um darüber aufzuklären, was eigentlich so ein Alkoholentzug ist, den die Frau jetzt anstrebt.

So ganz ohne Bösewicht kann ein Boluevardmedium so eine Geschichte natürlich nicht erzählen, aber Bild.de hatte zum Glück schnell einen gefunden:

Sie lallt live im TV, ist angetrunken, stammelt, giggelt, kichert – am Montagabend in der Sendung “DAS!”. Mittlerweile ist klar: Die Schauspielerin hat ein Alkoholproblem, braucht dringend Hilfe.

Hätte der NDR [die Frau] nicht schützen, den peinlichen Lall-Auftritt verhindern müssen?

Dieser Ansicht ist offenbar auch ”Bild”-Kolumnistin und Society-Expertin Christiane Hoffmann, die heute auf Bild.de eine Art “Post von Hoffmann” an die Schauspielerin schreibt:

[I]ch habe Dich leider auch bei “DAS!” im NDR gesehen. Ich musste das nach 60 Sekunden ausmachen. Ich habe mich geschämt. Hätte Dir am liebsten eine schallende Ohrfeige gegeben – und war unendlich traurig, dich so sehen zu müssen.

Schämen wirst Du dich, musst Du aber nicht.

Schämen muss sich der TV-Verantwortliche beim NDR, der hundertprozentig ein erfahrener Profi ist und genau abschätzen konnte, was passieren würde, als er Deine Alkohol-Fahne roch und Dein Lallen hörte, als Du im Studio aufgetaucht bist.

Er hörte Dich kichern wie ein dummes Kind, aber das Klingeln der Quote war lauter. Er hätte NEIN sagen MÜSSEN. Die Entschuldigung ist so easy: Magen-Darm, unser Talkgast kann leider nicht. Dann Anruf beim Management – und raus mit der Wahrheit! Macht was, ihr geht’s scheiße…

Nein, ist nicht passiert. Rein ins offene Messer – und die Klinge noch mal umgedreht.

Nee, zeig doch mal, wie toll du zeichnen kannst… “Wir schenken gleich nach – natürlich mit Wasser…”, schmunzelte Bettina Tietjen. Rasend komisch fand sie das. Ein Brüller, super. Eine öffentlich-rechtliche Hinrichtung.

Vielleicht wird Christiane Hoffmann überrascht sein, in welcher Aufmachung ihr öffentlicher Brief an die “liebe” Schauspielerin auf Bild.de erschienen ist: Eingebettet in den Text sind eine Klickstrecke, die vier Standbilder aus der kritisierten TV-Sendung zeigt, und ein Video vom Mittwoch, in dem sowohl Standbilder aus der Sendung zu sehen sind als auch Videoaufnahmen, in denen die Schauspielerin gegenüber Bild.de zunächst von einer Fischvergiftung gesprochen hatte — alles kommentiert von einer Off-Sprecherin, die Sätze wie “jetzt ist es raus: [die Schauspielerin] hat ein Alkoholproblem” so vorliest, als wolle sie ganz nebenbei noch einen Preis für den süffisantesten Textvortrag in einem Boulevardmagazin gewinnen.

Wahrscheinlich wird Christiane Hoffmann aber nicht überrascht sein. Immerhin arbeitet sie schon seit vielen Jahren für “Bild”.

Mit Dank an Marco S. und Chrissi.

PR-Tricks, Volontäre, Johnny Haeusler

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Alles abschalten!”
(neunetz.com, Marcel Weiss)
Suchmaschinen wie Google können “nicht jede Form von Verleumdung vorhersehen”, stellt Marcel Weiss fest: “Google ist wie der Kioskbesitzer, der (selbstverständlicherweise) nicht für falsche Behauptungen in der Bild-Zeitung verantwortlich gemacht wird, nur weil er sie in seinem Laden verkauft; und übrigens auch nicht, wenn er diese Bild-Zeitung für alle sichtbar in’s Schaufenster legt.”

2. “Die sieben nervigsten PR-Tricks”
(wuv.de, Frank Zimmer)
Tricks in der Öffentlichkeitsarbeit: “Ein beliebtes Mittel, um journalistische Anfragen ins Leere laufen zu lassen, ist die Antwort: ‘Ach wirklich? Das wusste ich noch gar nicht, da muss ich mich hier im Haus mal schlau machen.’ Fortgeschrittene PR-Profis wenden diesen Trick gerne bei sehr aktuellen Themen an.”

3. “Junge Medienmacher unter Druck”
(ndr.de, Video, 8:57 Minuten)
Wie Volontäre im deutschen Journalismus ausgebeutet werden / sich ausbeuten lassen: “Kaum Anerkennung, niedrige Bezahlung, hoher Druck, Überstunden, keine richtige Ausbildung, fehlende Autoren-Inserts.”

4. “Rockstar, Moderator, Kindergärtner”
(taz.de, Meike Laaf)
Johnny Haeusler im Porträt von Meike Laaf.

5. “A Letter from a Scared Actress”
(journal.neilgaiman.com, englisch)
Die Schauspielerin Anna Gurji ist erschüttert, sich als “one of the supporting actresses” des Films “Innocence of Muslims” wieder zu finden, wurde sie doch im Glauben gelassen, in einem Film mit dem Titel “Desert Warrior” mitzuwirken, in dem es um einen Kometeneinschlag in der Wüste geht: “I want to send my condolences to the families and friends of those who lost their lives.”

6. “Erschöpfte Islamisten bitten darum, Propheten nicht so oft hintereinander zu schmähen”
(der-postillon.com)