Archiv für August 9th, 2021

Die Opfer von “Bild” (7)

In der Woche vom 26. Juli bis 1. August haben die “Bild”-Medien mindestens 31 Mal Fotos von Menschen gezeigt, die Opfer eines Unglücks oder Verbrechens geworden sind, davon fünfmal Kinder oder Jugendliche.

In zwei Fällen war das Gesicht verpixelt, in 29 Fällen gab es keinerlei Unkenntlichmachung.

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Bild.de zeigt zum Beispiel das Gesicht eines 13-jährigen Jungen, der ermordet wurde:

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Kaltblütige Tat schockt England - Teenager ermorden 13-Jährigen", dazu ein großes Foto des Jungen
(Unkenntlichmachung von uns.)

Und das Gesicht einer Frau, die bei einem Hundeangriff ums Leben kam:

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Familie spricht von Massaker - Sechs Pitbulls zerfleischen 53-Jährige", dazu ein großes Foto der Frau
(Unkenntlichmachung von uns.)

Und das Gesicht einer Teenagerin, die in einem Kino in den USA erschossen wurde:

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Niemand hörte die Schüsse - Teenagerin (18) mitten im Film in Kino erschossen", dazu ein großes Foto der jungen Frau
(Unkenntlichmachung von uns.)

Und erneut die Gesichter zweier Menschen, die bei einer Bootskollision gestorben sind:

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "[...] (25) und [...] (37) starben bei Boot-Crash - Deutscher Gardasee-Totraser wieder frei", dazu ein Foto des zerstörten Bootes sowie Porträtfotos der beiden Opfer
(Unkenntlichmachungen von uns.)

Am häufigsten veröffentlichten “Bild” und Bild.de – wie in der Woche davor – Fotos einer Frau, die sie “Die Tote aus dem Nazi-Bunker” nennen:

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Bewegender Abschied am Nazi-Bunker - Sohn schickt ermordeter [...] (26) letzten Gruß", dazu ein Foto des Bunkers, vor dem mehrere Grabkerzen und ein Shirt mit einem Gruß des Sohnes liegen, außerdem ein Foto der Frau
Screenshot von der BILD.de-Startseite: "[...] (26) tot in Nazi-Bunker abgelegt - Polizei hat einen Verdächtigen!", dazu ein Foto des Bunkers und ein Foto der Frau
Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Tote aus dem Nazi-Bunker - Polizei nimmt Ex-Liebhaber (29) von [...] (26) fest!", dazu ein Foto des Mannes bei der Festnahme sowie ein Foto der Frau und das Bild-Plus-Logo
Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Ex soll [...] in Nazi-Bunker getötet haben - 'Wenn ich dich nicht haben kann, dann keiner'", dazu ein Foto der beiden sowie das Bild-Plus-Logo
Ausriss aus der BILD-Zeitung: "[...] (26) starb im Nazi-Bunker - tötete [...] (29) sie aus kranker Eifersucht? - 'Wenn ich dich nicht haben kann, soll dich keiner haben'", dazu ein Foto des Mannes bei der Festnahme sowie ein großes Foto des Paares
Ausriss aus der BILD-Zeitung: "Überführt ein Rad den Bunker-Killer?", dazu ein Foto des Mannes bei der Festnahme sowie ein Foto der Frau
(Alle Unkenntlichmachungen von uns. Dem Verdächtigen hat die Redaktion in manchen Fotos einen schwarzen Augenbalken spendiert; das Opfer bekommt keine Verpixelung.)

Mindestens 18 Mal haben die “Bild”-Medien bisher Artikel veröffentlicht, in denen private Fotos der Frau gezeigt werden. Viele davon stammen von ihrer Facebookseite.

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Nach einem Verbrechen oder Unglück in Social-Media-Profilen zu wühlen und daraus Fotos der Opfer zu veröffentlichen, ist redaktioneller Alltag bei “Bild”. Häufig erscheinen solche Fotos ohne jede Verpixelung und ohne Zustimmung der Angehörigen oder Hinterbliebenen.

In vielen Fällen werden Freunde, Kollegen oder Familienmitglieder sogar von Reportern bedrängt, damit sie Fotos der Menschen herausrücken, die sie gerade verloren haben.

“Bild” begründet die Veröffentlichung solcher Bilder damit, dass “nur so” die Tragik “deutlich und fassbar” werde.

Wie jedoch viele Betroffene selbst darüber denken, kann man zum Beispiel hier nachlesen. Dort sagt der Vater eines Mädchens, das beim Amoklauf von Winnenden getötet wurde und deren Foto in den Tagen darauf immer wieder in der “Bild”-Zeitung erschien:

Die “Bild”-Zeitung und andere, auch Fernsehsender, ziehen Profit aus unserem Leid! Dreimal hintereinander sind Bilder [unserer Tochter] erschienen, ohne dass wir das gewollt hätten. Wir hätten das nie erlaubt. Die reißen die Bilder an sich und fragen nicht danach, was wir Hinterbliebenen denken und fühlen.

Pressekodex Richtlinie 8.2

Die Identität von Opfern ist besonders zu schützen. Für das Verständnis eines Unfallgeschehens, Unglücks- bzw. Tathergangs ist das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich. Name und Foto eines Opfers können veröffentlicht werden, wenn das Opfer bzw. Angehörige oder sonstige befugte Personen zugestimmt haben, oder wenn es sich bei dem Opfer um eine Person des öffentlichen Lebens handelt.

In einem Interview in unserem Buch sagt ein anderer Betroffener, dessen Bruder bei einem Skiunfall gestorben ist und später ohne Erlaubnis der Angehörigen groß auf der Titelseite der ”Bild”-Zeitung zu sehen war:

Das war eines der schlimmsten Dinge an der Geschichte: Dass die “Bild” die Kontrolle darüber hat, mit welcher Erinnerung mein Bruder geht. Dass das letzte Bild von der “Bild”-Zeitung kontrolliert wird und nicht von ihm selbst oder von uns.

Auch in anderen Medien kommt es vor, dass solche Fotos veröffentlicht werden. Doch niemand macht es so häufig und so eifrig wie “Bild”. Mehr als die Hälfte aller Rügen, die der Presserat je gegen die “Bild”-Medien ausgesprochen hat, bezog sich auf die unzulässige Veröffentlichung von Opferfotos.

Um zu verdeutlichen, in welchem Ausmaß “Bild” auf diese Weise Profit aus dem Leid von Menschen zieht, wollen wir hier regelmäßig dokumentieren, wie häufig die “Bild”-Medien solche Fotos veröffentlichen.

Ende eines Verlagshauses, Apples Überwachung, Der dritte Mann

1. Ende eines stolzen Verlagshauses
(sueddeutsche.de, Caspar Busse)
Am Freitag fiel die endgültige Entscheidung: Das einst so stolze Verlagshaus Gruner + Jahr (“Stern”, “Geo”, “Brigitte”, “Schöner Wohnen” etc.) geht im RTL-Konzern auf. Caspar Busse fragt sich, ob und wie der Zusammenschluss gelingen kann: “Die Kulturen beider Häuser sind sehr unterschiedlich. RTL stand bisher für seichte Unterhaltung, G+J für gehobene Zeitschriften. Die Magazinleute aus Hamburg haben auf die Fernsehkollegen in Köln immer belustigt hinuntergeschaut. Dabei ist seit Langem RTL der Ort, an dem Bertelsmann das Geld verdient.”

2. Apple: Bürgerrechtler beklagen Verschlüsselungsbruch mit Backdoor
(heise.de, Stefan Krempl)
Apples Ankündigung, iCloud-Scans für Abbildungen sexueller Gewalt gegen Kinder sowie einen Nacktfilter für iMessage einzuführen, stößt auf Kritik von Datenschutzaktivisten. “Apple ersetzt sein branchenübliches, durchgängig verschlüsseltes Messaging-System durch eine Infrastruktur für Überwachung und Zensur, die nicht nur in den USA, sondern auf der ganzen Welt missbrauchsanfällig ist”, beklagt etwa Greg Nojeim vom Center for Democracy & Technology.

3. Nur touchiert? Wie Sprache in Unfallberichten das Denken formt
(message-online.com, Paul Meerkamp)
Immer wieder wird von Fußgängern und Radfahrern kritisiert, dass Medien bei ihren Unfallberichten verharmlosen beziehungsweise aus der Perspektive der Autofahrer formulieren würden. Ob das tatsächlich so ist, und was das mit der Arbeit der Polizei zu tun hat, hat Paul Meerkamp analysiert.

Bildblog unterstuetzen

4. Journalisten als Sündenböcke
(taz.de, Fabian Kretschmer)
Im zentralchinesischen Zhengzhou, dem Epizentrum der jüngsten Jahrhundertflut, sei es unlängst zu einer regelrechten Hetzjagd auf ausländische Korrespondenten gekommen. Schuld daran sei nicht nur ein nationalistischer Mob, sondern auch die Quelle der Aufwiegelung: “Immer öfter instrumentalisiert die Regierung ausländische Reporter als Sündenbock, um die Massen in loyalem Patriotismus zu vereinen. In dieser verqueren Logik wird jede grundsätzliche Kritik, jedes Aufdecken von Behördenvergehen als Diffamierung der Volksrepublik gebrandmarkt. Nicht die Regierung trifft demnach die Schuld; sondern die Journalisten, die berichten.”

5. Tarifverhandlungen in den Medien
(verdi.de, Bärbel Röben)
Kommunikationsforscherinnen und -forscher der Universität Mainz haben die Rolle der Medien in Tarifverhandlungen untersucht. Wer sich an die “Spielregeln” der Medien halte, könne die öffentliche Aufmerksamkeit geschickt auf die eigenen Inhalte lenken, so ein Ergebnis der Studie.

6. Der schweigende Dritte
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
“Was ist schwieriger, als im Fernsehen zu moderieren? Im Fernsehen nicht zu moderieren. Man sieht das regelmäßig bei der vermeintlichen Königsdisziplin der Nachrichtenpräsentation: der Doppelmoderation. Die anspruchsvolle Rolle hat dabei nicht derjenige, der gerade seinen Text vorträgt, sondern der jeweils andere.” Stefan Niggemeier zeigt Beispiele aus Nachrichtensendungen, die einem in Sachen Fremdschämen und Fremdunwohlsein viel abverlangen.