Archiv für August 30th, 2021

Merkwürdigste Verwunderung

Josef Nyary kann so einiges: Der Mann, der bei “Bild” die Polit-Talkshows im TV guckt und dann darüber schreibt, kann Zitate so aus dem Zusammenhang reißen, dass aus Greta Thunberg eine Atomkraft-Aktivistin wird. Er kann Kehrtwenden hinlegen wie sonst nur Franz Josef Wagner. Und er kann sich völlig verblüfft zeigen über Aussagen, die eigentlich niemanden überraschen dürften.

Am vergangenen Donnerstag waren unter anderem der CDU-Politiker Friedrich Merz und der Grünen-Co-Vorsitzende Robert Habeck in der ZDF-Sendung von Maybrit Illner zu Gast. Darüber hat Josef Nyary natürlich bei Bild.de geschrieben:

Screenshot Bild.de - Merz bei Illner - Mit Habeck ginge es den Grünen besser

Und er konnte gar nicht glauben, was Harbeck gleich zu Beginn der Sendung sagte. Unter der Zwischenzeile “Merkwürdigste Formulierung” schreibt der “Bild”-Autor:

Über den Einsatz der Bundeswehr sagt der Grüne: “Die Soldaten und Soldatinnen, die da gekämpft haben, müssen sich auch im Stich gelassen fühlen. Die Leute, die dort gestorben sind, Kameraden verloren haben, Leid erlebt haben und Leid zugefügt haben, auch die stehen ja jetzt vor dem Trauma, dass alles umsonst gewesen ist.”

Wie bitte? Wem haben die deutschen Soldaten denn “Leid zugefügt”? Dazu leider keine Nachfrage aus der Runde.

Nyarys Verwunderung ist verwunderlich. Es gab zahlreiche zivile Opfer beim langen Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Vor allem bei der von der Bundeswehr veranlassten Bombardierung zweier Tanklaster in der Nähe von Kunduz im September 2009. Die Anzahl der damals Getöteten und Verletzten schwankt je nach Quelle. Sie liegt aber meist bei etwa 100 Menschen, darunter viele Zivilisten und wahrscheinlich auch Kinder und Jugendliche. Auch wenn es Josef Nyary nicht glauben kann – dass deutsche Soldaten Afghanen “Leid zugefügt” haben, zeigen nicht zuletzt die (freiwillig) gezahlten Entschädigungen Deutschlands an afghanische Familien.

Mit Dank an Oliver O. für den Hinweis!

Nachtrag, 31. August: Wie wir oben bereits geschrieben haben, schwankt die Anzahl der beim Luftangriff bei Kunduz Getöteten und Verletzten je nach Quelle. Ein BILDblog-Leser wies uns darauf hin, dass zwei Richter des Bundesgerichtshofs, wo es ein Verfahren zu dem Vorfall gab, von lediglich 30 bis 40 Opfern ausgehen, größtenteils Taliban und nicht Zivilisten. Sie beziehen sich unter anderem darauf, dass ISAF-Soldaten vor Ort Spuren von nur zwölf bis 13 getöteten Menschen gefunden hätten. Doch auch das ist kein sicherer Beweis. Der Generalbundesanwalt zum Beispiel schreibt, dass vor Eintreffen der Soldaten “die Leichen durch Einheimische und Waffenreste durch die afghanische Polizei bereits abtransportiert worden” waren.

Mit Dank an Thorsten B. für den Hinweis!

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Verschwundene Journalisten, “Bild” wirbt mit Laschet, Wortungetüme

1. RSF erinnert an verschwundene Journalisten
(reporter-ohne-grenzen.de)
Anlässlich des heutigen Internationalen Tages der Verschwundenen erinnert Reporter ohne Grenzen (RSF) an Medienschaffende, die zum Teil schon vor Jahrzehnten spurlos verschwunden sind. “Die Praxis des Verschwindenlassens soll Medienschaffende einschüchtern; es ist ein perfides Mittel, um kritische Journalistinnen und Journalisten mundtot zu machen”, so RSF-Vorstandssprecher Michael Rediske: “Die meisten der seit Jahrzehnten zurückliegenden Fälle wurden bis heute nicht aufgeklärt.”

2. “Bild” wirbt mit Armin Laschet für neuen TV-Sender – Kritik in sozialen Medien
(rnd.de)
Die “Bild am Sonntag” veröffentlichte am Wochenende eine ganzseitige Werbeanzeige für den Fernsehsender “Bild TV”. Prominentes Testimonial: der CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet. Dies wurde vor allem in den Sozialen Medien stark kritisiert. Auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur sagte ein CDU-Sprecher: “Es gab von ‘Bild am Sonntag’ weder eine Anfrage für das Motiv, noch ist die Werbeanzeige von der CDU freigegeben worden.” Auf Twitter kommentiert der “6-vor-9”-Kurator: “In passiv-aggressivem Tonfall kommentiert die CDU, die ‘Bild’-Werbung mit Laschet sei nicht genehmigt worden. Nur mal ne Frage, CDU: Wen habt Ihr für Laschets Imagepflege angeheuert? Ja, genau: Ex-‘Bild’-Chefin Tanit Koch. Also spart Euch die Krododilstränen und das Opfer-Getue.”

3. Wortungetüme und Bandwurmsätze – Wahlprogramme laut Studie unverständlich
(heise.de)
Die Wahlprogramm-Texte aus den Parteizentralen seien einer Studie (PDF) zufolge zwar so umfangreich wie nie zuvor – sie würden sich aber auch so schwer verstehen lassen wie kaum andere in der bundesdeutschen Geschichte. In den Programmen, so die Studienautoren der Universität Hohenheim, fanden sich Wortungetüme und Bandwurmsätze mit bis zu 79 Wörtern. Am formal verständlichsten sei laut “Hohenheimer Verständlichkeitsindex” das Wahlprogramm der Partei Die Linke, den letzten Platz belegen die Grünen.

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4. Historisches Fingerspitzengefühl
(taz.de, Sabine Seifert)
Engelbert Reineke war von 1966 bis 2004 als Fotograf im Presse- und Informationsdienst der Bundesregierung tätig, davon 36 Jahre fest angestellt. “taz”-Redakteurin Sabine Seifert hat die berufliche Karriere Reinekes nachgezeichnet und ihn am Ende gefragt, wie er Angela Merkel fotografieren würde: “Erst mal gar nicht, sagt Reineke. Sie möge sich von ihren Pflichten erholen, den Ruhestand genießen. Fotografieren würde er sie dann nach ihrem 75. Geburtstag, das wäre im Jahr 2029. An der Ostsee bei schmuddeligem Wetter.”

5. Eine kleine Geschichtsstunde für Springer
(freitag.de, Karsten Krampitz)
Karsten Krampitz hat Texte von Sven Felix Kellerhoff, dem leitenden Redakteur Geschichte der “Welt”, gelesen und ist entsetzt. Bei der Springer-Tageszeitung wisse man nicht, wie Rosa Luxemburg aussah, und verbreite Falsches über einen verstorbenen SPD-Spitzenpolitiker: “Entweder hat der Kollege Kellerhoff völlig neue Quellen aufgetrieben – oder er verbreitet Lügen über einen toten SPD-Spitzenpolitiker, dessen Partei im Bundestagswahlkampf langsam aufholt.”

6. Tor, Tor, Tor: Fußball, Radio und viele Bilder im Kopf
(dwdl.de, Jochen Rausch)
Viele empfinden die Fußball-Live-Reportage als Königsdisziplin für Radio-Reporter und -Reporterinnen, vor allem wenn es über die volle Spiellänge geht. Jochen Rausch huldigt dem Genre, ist sich aber nicht sicher, wie es weitergeht: “Welche Rolle Audio in der digitalen Zukunft spielen wird, ist schwer einzuschätzen, es hängt unter anderem auch davon ab, wer die Verwertungsrechte hält, ob die Fans das Audioangebot in ausreichender Zahl wahrnehmen und sich Live-Events als digitale Audio-Produkte durchsetzen können, wie sich das Image des Profi-Fußballs generell entwickelt.”