Archiv für August 21st, 2021

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“#DankeBild ihr werdet immer besser”

Nach einem Telefonat mit einem ranghohen AfD-Politiker twitterte Martin Schmidt, Korrespondent im ARD-Hauptstadtstudio, vor zwei Wochen:

Screenshot eines Tweets von Martin Schmidt - Sie sagen, sie wollen mit uns nichts zu tun haben, sind aber unsere besten Wahlkämpfer, kostenfrei. Ob Corona, Migration, Klima: bei jedem Thema! Läuft für uns! Sagt mir eines der ranghöchsten Mitglieder der AfD kürzlich am Telefon über die Bild-Zeitung.

Eine solche Geschichte kann der “Bild”-Redaktion und vor allem “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt nicht gefallen. Immer wieder betont Reichelt, wie “schrecklich” er die AfD finde. Zum Vorwurf, “Bild” sei der verlängerte Arm der AfD, sagt er, dass dies “eine Unverschämtheit” sei: “Man kann das nur dann behaupten, wenn man bereit ist, Fakten schlichtweg zu ignorieren.” Und jetzt erzählt die AfD, wie toll und hilfreich sie die Berichterstattung von Reichelt und dessen Team findet?

“Bild”-Meinungschef Filipp Piatov versuchte dann auch gleich, Martin Schmidts Geschichte zu diskreditieren. Bei Twitter schrieb Piatov:

Screenshot eines Tweets von Filipp Piatov - Der ÖR entfernt sich politisch immer weiter von der Bevölkerung und diffamiert jeden, der das kritisiert, als rechtsextrem. Davon profitiert nur die AfD. Ein 3-jähriger Junge neulich im Zug, Applaus im Abteil

Piatovs offensichtlich ausgedachte Erzählung soll wohl zeigen, dass er auch Schmidts Tweet für erfunden hält. In Sozialen Medien liest man häufiger den Vorwurf, das sei jetzt aber eine “Geschichte aus dem Paulanergarten”, also unwahr. “Bild”-Chef Reichelt retweetete Piatovs Tweet.

Nur drei Tage später zeigte sich allerdings, dass die AfD von der “Bild”-Berichterstattung tatsächlich begeistert ist. Als die Redaktion auf ihrer Titelseite von Angela Merkel forderte: “KANZLERIN, wir wollen EINIGKEIT und RECHT und FREIHEIT”, gab es zahlreiche Danksagungen von AfD-Mitgliedern und -Verbänden. Die Bundestagsabgeordnete Joana Cotar schrieb beispielsweise:

Screenshot eines Tweets von Joana Cotar - Wenn es angebracht ist, muss man auch mal Danke sagen. DankeBild

Ihr Kollege im AfD-Bundesvorstand Stephan Protschka konnte es selbst kaum glauben:

Screenshot eines Tweets von Stephan Protschka - Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass ich die Bildzeitung nochmal lesen werde. DankeBild ihr werdet immer besser. Freiheit für Deutschland. Aber normal. Wird es nur mit der AfD geben. 26. September ist Zahltag!

Guido Reil, für die AfD im Europäischen Parlament, dankte ebenfalls:

“#DankeBild” gilt immerhin bezogen auf aufrüttelnde Berichte gegen Gruppenvergewaltigungen und Mädchenmorde

Auch von der Berliner AfD kam ein Dankeschön an die “Bild”-Redaktion:

Besser spät als nie. #DankeBild für die Übernahme sämtlicher AfD-Positionen.

Und der AfD-Kommunalpolitiker Christian Breu twitterte:

#BILD hilft allen Menschen, die Opfer der skrupellosen Drangsalierungs- und #Lügenpolitiker geworden sind.
#DankeBILD

Neu ist die AfD-Begeisterung für “Bild” nicht. Bereits 2017, vor der vergangenen Bundestagswahl und nachdem die Redaktion ihr eigenes “BILD-Wahlprogramm” veröffentlicht hatte, jubelte Uwe Junge, damals Landes- und Fraktionsvorsitzender der AfD in Rheinland-Pfalz: “Endlich! Die BILD als Wahlkampfblatt für die AfD! Unser Programm in BILD veröffentlicht!” Und auch die Bundespartei stellte zum “Bild”-Wahlprogramm fest: “Hallo @BILD, nahezu ALLES hier findet sich im #AfD-Wahlprogramm!”

Mit ihrer aktuellen Berichterstattung findet die “Bild”-Redaktion übrigens nicht nur Anschluss bei der AfD. Auch in den Telegram-Kanälen vieler Verschwörungserzähler wird sie gelobt. “Spioniker” schreibt zum Beispiel: “Hammer, was die BILD jetzt raushaut! Ich glaube, der kritische Punkt ist erreicht!” und konstruiert aus der gelben Hintergrundfarbe eines Artikelbanners bei Bild.de mit Hilfe des des Flaggenalphabets, wo die Farbe Gelb für das Q steht, eine Verbindung zu QAnon. Michael Wendler sieht “Bild” als einen möglichen “Gamechanger”. Und Eva Herman empfiehlt ein Video von “Bild TV” (“Der Staat hat kein Recht mehr, zu regulieren, wie wir leben”). Die Protagonisten darin: Julian Reichelt und Filipp Piatov.

Mehr über das Verhältnis von “Bild” und AfD schreiben wir übrigens in unserem Buch “Ohne Rücksicht auf Verluste”, vor allem im Kapitel “‘Das wird man ja wohl noch sagen dürfen’ – ‘Bild’ und Rechtspopulisten”. Alle Infos dazu hier.

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KW 33: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

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1. Wie kriegen wir Mitarbeiter unserer Medien unbeschadet aus Afghanistan?
(uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 27:31 Minuten)
Bei “Übermedien” spricht Holger Klein diese Woche mit dem “Zeit”-Reporter Wolfgang Bauer über die Folgen der Machtübernahme in Afghanistan für dortige Medienschaffende, die Zukunft der Berichterstattung aus dem Land und das Interesse der Taliban daran, dass Medien ihre Propaganda verbreiten. Zukünftig werde es immer schwieriger, an verlässliche Informationen aus der Region zu kommen, so Bauer: “Ohne die Stringer und ohne die Übersetzer, ohne die Teams vor Ort sind wir ja, wir Korrespondenten und tollen Reporter, so hilflos wie Fische auf dem Trockenen. Wir zappeln da nur rum.”
Weiterer Gucktipp: Im Stich gelassen: Mitarbeiter deutscher Medien in Kabul (ndr.de, Nils Ataland & Caroline Schmidt, Video: 5:36 Minuten).

2. Lokalreporterin: mutig nah dran
(ndr.de, Laura Borchardt & Inga Mathwig, Video: 44:30 Minuten)
Die beiden NDR-Filmemacherinnen Inga Mathwig und Laura Borchardt haben zwei Lokalreporterinnen und einen Lokalreporter monatelang mit der Kamera bei deren Arbeit begleitet und zeigen, wie anspruchsvoll der Job im Lokalen geworden ist.

3. LNP403 Leichte Schläge auf den Hinterkopf
(logbuch-netzpolitik.de, Tim Pritlove & Linus Neumann, Audio: 1:34:22 Stunden)
Bei “Logbuch Netzpolitik” geht es um die umstrittene “Child-Safety”-Initiative von Apple, mit der der Konzern “Child Sexual Abuse Material” ausfindig machen will. Tim Pritlove und Linus Neumann besprechen, welche Implikationen das Vorhaben hat: “Ist das System der Türöffner für Hintertüren oder verhindert das ausgeklügelte Kryptosystem deren Einführung?” Gerade weil bei den beiden Podcastern die Meinung darüber sehr weit auseinandergeht, ist das Gespräch hilfreich für die eigene Meinungsbildung.

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4. Wie hat Radio Wuppertal die Hochwassernacht erlebt, Georg Rose?
(wasmitmedien.de, Daniel Fiene & Sebastian Pähler, Audio: 39:01 Minuten)
Bei “Was mit Medien” ist Radio-Wuppertal-Chefredakteur Georg Rose zu Gast und berichtet von der Hochwasser-Nacht. Rose erzählt, welche Schwierigkeiten es für sein Team zu meistern gab, welche Bedürfnisse die Hörerschaft hatte, und was er über die Rolle von Radio im Katastrophenschutz gelernt hat.

5. Alles digital? Die Social-Media-Strategien im Wahlkampf
(br.de, Sissi Pitzer & Jasper Ruppert & Jonathan Schulenburg & Ingo Lierheimer, Audio: 27:09 Minuten)
Im Medienmagazin des Bayerischen Rundfunks geht es um die Social-Media-Strategien der politischen Parteien, um digitale Desinformationskampagnen und um die Bedeutung von Influencern. Zu Gast im Studio ist der Politikwissenschaftler und Wahlforscher Thorsten Faas.

6. Reichlich Platz für frische Formate
(deutschlandfunkkultur.de, Mike Herbstreuth, Audio: 32:16 Minuten)
Immer mehr Menschen holen sich ihre Buchempfehlungen nicht über die üblichen Wege, sondern vertrauen auf Buchbesprechungen in Podcasts. Mike Herbstreuth hat sich darüber mit der Literaturexpertin Miriam Zeh und Podcasterin Steffi Knebel unterhalten. “Was man auf jeden Fall feststellen kann als Effekt von Literatur-Podcasts ist, dass ganze viele Verlage, auch viele Medienhäuser und auch ganz viele Buchhandlungen, also verschiedene Akteure der Buchbranche jetzt Literatur-Podcasts auch selbst machen”, so Literaturwissenschaftlerin Zeh.