Archiv für August, 2012

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Lehrstunde in Sachen Pietät

In Köln ist gestern ein Mann offenbar an den Folgen der hohen Temperaturen verstorben. Für “Bild”, wo ein Einzelfall immer gleich den Beginn einer Serie markiert, “Kölns erster Hitzetoter”. Die “Sonnenschande” sieht so aus:

Es ist ein Foto, das verstört und wütend macht…

Gestern Nachmittag, der Stadtteil Niehl, Am Molenkopf unten am Rheinufer. 39 Grad heiß. Eine blonde Frau im Bikini liegt lächelnd auf dem Badetuch. Neben ihr ein Mädchen, das liest. Daneben zwei Männer. Sie sonnen sich, als ob nichts wär…

Doch nur zehn Meter hinter ihnen liegt eine von der Polizei abgedeckte Leiche im Gebüsch. Es ist Kölns erster Hitze-Toter in diesem Jahr am Rhein. Doch den Sonnenhungrigen scheint‘s egal! DIE SONNENSCHANDE VON KÖLN!! Wie kann man bloß so gleichgültig sein!?

Mit dem ersten Satz meint “Bild” offenbar nicht das Foto an sich, sondern das, was darauf zu sehen ist.

Ein Mann aus der Gruppe schaut sogar direkt auf den Leichnam. Doch keiner macht Anstalten, seine Sachen zu packen und – aus Pietät – zu gehen. Im Gegenteil: Auch andere Badegäste bleiben liegen und lassen sich die Sonne auf den Bauch scheinen. Ebenfalls geschmacklos: Als der Tote in den Leichenwagen gehoben wird, stellen sich einige Sonnenanbeter extra hin, um einen besseren Blick zu erhaschen.

… und nicht nur die Sonnenanbeter. Auch der “Bild”-Fotograf hatte einen besonders guten Blick auf die Szenerie:

Vieles kann man dieser Tage auf die Hitze schieben: klebrige Kleidung, Konzentrationsschwäche, den Drang, sich eine Kiste mit Eiswürfeln über den Kopf zu schütten.

Das Verhalten von “Bild” zählt allerdings nicht dazu: Bei der Zeitung sind sie ganzjährig merkbefreit.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Da schlägt das Sammlerherz höher

Mit großer Freude und auch etwas Stolz freuen wir uns, Ihnen mitteilen zu können, dass “Die Sammlung BILDblog — Exponate aus 4000 Jahren Diagramm-Malerei” zwei besonders schöne Neuzugänge zu feiern hat.

Da ist zunächst dieses Meisterwerk aus dem “Südkurier” vom Freitag, das wegen seiner rätselhaften Schönheit von Experten bereits mit der “Mona Lisa” verglichen wird:

Am Samstag kam diese Kreation aus der Tortendiagrammbäckerei der “Frankfurter Rundschau” hinzu:

In beiden Fällen sind alle Prozentwerte übrigens korrekt angegeben.*

Mit Dank an Simon und Patrick K. für die Schenkungen!

* Nachtrag/Korrektur, 14.03 Uhr: Während in der oberen Grafik alle Prozentwerte korrekt aus der Quelle (PDF) übertragen wurden, ist in der unteren auch noch ein Zahlenfehler drin: Statt 13 gaben nur 2 Prozent der Befragten an, keines der beiden Länder als Heimat zu empfinden (PDF).

Nachtrag, 22.45 Uhr: Dank diverser Leserhinweise können wir nun so etwas wie eine Auflösung bringen: In der oberen Grafik sind offenbar die dunkelblauen und die orangenen Balken vertauscht und in der unteren ist die Beschriftung (von der fehlerhaften 13 mal ab) jeweils im Uhrzeigersinn verrutscht.

Julia Friedrichs, Ringier, Touristen

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “nachrichten sind flüsse, kein seen”
(wirres.net, Felix Schwenzel)
Statt RSS-Feeds zu kürzen, schlägt Felix Schwenzel vor, Werbung direkt in den Text einzubauen: “was spricht denn dagegen werbung in den inhalten einzubetten? ein bild, ein bisschen text, einen link — jeder VHS-HTML-kurs-absolvent kann das in einen RSS-artikel einbetten. wahrscheinlich sogar meine oma.”

2. “Ein offener Brief an Julia Friedrichs”
(indiskretionehrensache.de, Thomas Knüwer)
Julia Friedrichs nervt sich auf Deutschlandradio Kultur über Facebook, was Thomas Knüwer veranlasst, ihr einen Brief zu schreiben.

3. “‘Neue Lage’: Wie der ‘Spiegel’ aus einem Kritiker einen Gejagten macht”
(deutsch-tuerkische-nachrichten.de, Michael Maier)
In einem langen Artikel (und einem Nachfolgeartikel) schreibt Michael Maier über eine Auseinandersetzung zwischen den “Deutsch Türkischen Nachrichten” und dem “Spiegel”. “Spiegel”-Redakteure kommen hier zu Wort: “Michael Maier und der Spiegel im Clinch” (meedia.de, cm).

4. “Erneute Mea Culpa von Ringier”
(nzz.ch, ras.)
Der Ringier-Verlag zieht einen Vergleich mit Carl Hirschmann, über den “teilweise unzutreffende Vorwürfe” verbreitet wurden, die sich auf “Behauptungen anonymer Informanten stützten oder in der Weitergabe blosser Gerüchte bestanden”. “Das Medienhaus verpflichtet sich im Weiteren, die Mea Culpa auf den Frontseiten von ‘Blick’, ‘Blick am Abend’ sowie während vierzehn Tagen auf blick.ch und der Website der ‘Schweizer Illustrierten’ zu veröffentlichen. (…) Ringier wird zudem die betreffenden Publikationen im Internet und auf Datenbanken löschen. Überdies unterlässt Ringier künftig Berichte über Hirschmann.”

5. “Journalists Dancing on the Edge of Truth”
(nytimes.com, David Carr, englisch)
David Carr denkt über Wahrheit im Journalismus nach: “I once lost a job I dearly wanted because I had misspelled the name of the publisher of the publication I was about to go to work for. Not very smart, but I learned a brutal lesson that has stayed with me.”

6. “Herr Tao Qu im Paradies”
(sonntagszeitung.ch, Gabi Schwegler)
Wie eine Gruppe von dreissig chinesischen Touristen in zwei Tagen die Schweiz erlebt.

Mit Ach und Krach

So sah heute Vormittag die Startseite von mopo.de aus:

Pfusch am Bau? Hier kracht eine Betonplatte auf einen Bus

Nein, wir wissen nicht, warum die Onlineausgabe der “Hamburger Morgenpost” einen dreieinhalb Wochen alten Artikel auf der Startseite verlinkt. Vielleicht ist das Sommerloch endlich da.

Aber das ist gar nicht das Hauptproblem: Aufmerksame BILDblog-Leser wissen natürlich, dass das Video, in dem eine zweieinhalb Tonnen schwere Betonplatte in einen Linienbus kracht, ein Fake war, Teil einer Kampagne gegen Unsicherheit auf Baustellen in den Niederlanden.

Aufmerksame Leser von mopo.de erfahren das nicht. Der vollständige Artikeltext geht so:

Eigentlich geht es in diesem Video um den Skateboarder im Vordergrund. Jaasir Linger probt ein paar Tricks an einer Parkbank in Amsterdam, ein Kumpel hält mit der Kamera drauf. Nichts Spektakuläres.

Doch dann rummst es gewaltig im Hintergrund. Von einem Baukran löst sich eine 2,5 Tonnen schwere Betonplatte, kracht auf einen Linienbus. Zum Glück wird niemand verletzt. Weshalb, das erklärt das Video.

An diesen Sätzen ist streng genommen nichts falsch. Vor allem der letzte ist erstaunlich zutreffend, denn wer sich tatsächlich die Mühe macht, das Video anzusehen, erfährt nach 25 Sekunden (plus 20 Sekunden Werbung davor), dass das Video “ein Fake” ist. Während Szenen aus dem Making Of zu sehen sind, erklärt die Off-Sprecherin ausführlich, wer das Video in Auftrag gegeben hat, wie oft es angesehen wurde, usw. usf.

mopo.de führt damit nicht nur die eigenen Leser ein ganzes Stück weit in die Irre, die nur den “Artikel” gelesen oder den Startseitenteaser gesehen haben. Die Redaktion schneidet sich auch ins eigene Fleisch: Unsere Hinweisgeber glaubten jedenfalls alle, dass auch mopo.de so dämlich war, auf den Fake reinzufallen.

Mit Dank an Alina, Martin, Daniel V. und M.S.

Nachtrag, 18.40 Uhr: Schon vor einigen Stunden haben die Redakteure von mopo.de ihren Artikel (und damit auch den baugleichen bei express.de) um diesen Hinweis ergänzt:

Update: Für User, die das Video nicht sehen können, gibt es nun die Erklärung. Das Video ist ein Fake. Die scheinbar zufällige Aufnahme Teil einer viralen Marketing-Kampagne. Die niederländische Gewerkschaft FNV Bouw macht mit dem viralen Clip für mehr Sicherheit am Bau Werbung.

Kolumnen, Günter Wallraff, Kärnten

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Über Menschen mit Behinderungen berichten”
(leidmedien.de)
Die Website Leidmedien.de “will Journalistinnen und Journalisten für die Berichterstattung über Behinderung sensibilisieren. Floskeln wie ‘an den Rollstuhl gefesselt’ oder ‘trotz der Behinderung’ reduzieren behinderte Menschen auf ihre ‘Defizite’ und verstärken abwertende Bilder von Hilflosigkeit und Leid.”

2. “Warum Sie zu uninspiriert sind. Zu langweilig. Und Ihre Meinungen nichts wert sind”
(blog.tagesanzeiger.ch, Constantin Seibt)
Beim Schreiben von Kolumnen vertraue man besser nicht auf die Inspiration oder die eigene Meinung. Man baue auch besser nicht auf dem Privatleben auf.

3. “Ganz unten? Vielleicht, mal sehen”
(freitag.de, Klaus Raab)
Klaus Raab befasst sich mit aktuellen Vorwürfen gegen Günter Wallraff: “Mal angenommen, all das, was in diesen Tagen über den Mann kolportiert wird, würde tatsächlich zutreffen, hat dann vielleicht Mutter Teresa auch ein Bordell betrieben und die Gewinne in Waffen investiert?” Siehe dazu auch “Der ‘gute Mensch’ von Köln und die Justiz” (heise.de/tp, Peter Nowak).

4. “Ich muss Journalist sein, ich halte ja das Mikrofon”
(pantelouris.de, Michalis Pantelouris)
Die Berichterstattung zum Besuch von Angela Merkel in Kanada: “(…) AP ist keineswegs allein damit, einfach Merkel nachzubeten und Kanadas Politik damit als ein Beispiel des Gegenteils von dem zu verkaufen, was sie ist – in den meisten Medien wird mit diesem Tenor berichtet.”

5. “Eklat: Fotograf aus Landtag verwiesen”
(kaernten.orf.at)
Ein Fotograf der Nachrichtenagentur APA wird aus dem Kärtner Landtag verwiesen. Nachtrag, 11:30 Uhr: Diskutiert wird über diese Szene (youtube.com, Video, 1:52 Minuten).

6. “ARD und ZDF überrennen die Olympischen Spiele”
(welt.de, Hans Zippert)
ARD und ZDF hätten die Olympischen Spiele in einem beispiellosen Kraftakt gewonnen, schreibt Hans Zippert: “Beide Sender nahmen mit insgesamt 480 Athleten an den Wettbewerben teil und übertrumpften damit deutlich die deutschen Sportler, die nur mit einer Delegation von 392 Personen angereist waren.”

Buten un binnen

Das von Wirtschafts- und Arbeitgeberverbänden finanzierte “Institut der deutschen Wirtschaft Köln” hat im Auftrag der Arbeitgeber-Lobbyorganisation “Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft” den sogenannten “Bildungsmonitor” erstellt. Das Ergebnis: Sachsen hat das “leistungsfähigste Bildungssystem aller Bundesländer”.

Wir wissen nicht, wo die Grafiker und Redakteure des “Handelsblatts” zur Schule gegangen sind, aber der Erdkundeunterricht muss dort eher mäßig gewesen sein:

Mit Dank an Jan Z.

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Endlich wieder “Viren-Alarm in Deutschland!”

Machen Sie es sich lieber schon mal im Keller gemütlich und stocken Sie die Notfallvorräte auf. Denn ein neues, tödliches Virus ist auf dem Vormarsch. Und es hat sich offenbar vorgenommen, endlich das zu schaffen, woran BSE, SARS, Vogel- und Schweinegrippe, Norovirus und EHEC bislang kläglich gescheitert sind: die Menschheit endgültig zu vernichten.

Zumindest ist das in etwa der Stand der Dinge, wenn man sich Seite 3 der gestrigen “Bild” anschaut:

Offensichtlich ist die Redaktion vor Angst schon ganz aus dem Häuschen:

Es stammt aus Südkorea, tötete dort vor 60 Jahren mehr als 3000 Soldaten: das Hanta-Virus. Seit Jahren schon taucht das Virus vereinzelt auch in Europa auf – doch nie zuvor war es so heftig wie in diesem Jahr!

Allein im Juni und Juli infizierten sich mehr als 1000 Menschen in Deutschland, insgesamt sind laut Robert Koch-Institut (RKI) bundesweit bereits 2070 Fälle gemeldet! Zum Vergleich: 2011 erkrankten nur 305 Menschen.

VIREN-ALARM IN DEUTSCHLAND!

Also zunächst einmal: Die Geschichte mit den Soldaten ist so maximal halbrichtig. Denn wie in Fachzeitschriften oder sogar bei Wikipedia nachzulesen ist, infizierten sich während des Koreakrieges tatsächlich 3.000 Soldaten mit dem damals noch unbekannten Hantavirus, doch es starben – anders als “Bild” behauptet – nicht alle 3.000 daran, sondern “nur” etwa zehn Prozent der Erkrankten.

Einen Impfstoff gegen das Virus gibt es, wie “Bild” im Teaser voller Entsetzen verkündet, bislang noch nicht. Doch das ist ebenfalls nur ein Teil der Wahrheit. Denn auch ohne Impfung lässt sich das Virus bekämpfen. “Bild” erwähnt das im letzten Absatz des Artikels, wo die Sache dann auch deutlich weniger gefährlich klingt als weiter oben:

Ein Impfstoff existiert noch nicht – dafür ein Gegenmittel. Bislang konnten alle 2070 deutschen Patienten geheilt werden.

Eine Besonderheit des Hantavirus ist, dass es hierzulande alle zwei bis drei Jahre zu einem drastischen Anstieg der Infektionszahlen kommt. Das hat, wie Experten vermuten, wahrscheinlich mit den schwankenden Populationsgrößen der Rötelmaus zu tun, von der das Virus hauptsächlich auf den Menschen übertragen wird. Und je mehr Rötelmäuse den Winter überleben, desto mehr Infektionen mit dem Hantavirus werden im Jahr darauf gezählt.

So gab es etwa 2006 “nur” 72 gemeldete Fälle, im Jahr darauf waren es fast 1.700. In den Jahren 2008 und 2009 sank die Zahl der Infektionen wieder auf 243 bzw. 181, bevor sie ein Jahr später mit über 2.000 Infizierten wieder in die Höhe schoss.

Dass es in diesem Jahr deutlich mehr Hantavirus-Infektionen gibt als im vergangenen Jahr, ist also nicht nur völlig normal, es war – weil offenbar viele Rötelmäuse den Winter überlebt haben – auch zu erwarten. Schon im März verkündete das Robert-Koch-Institut, man rechne für 2012 mit einem Anstieg der Fallzahlen.

“Bild” hingegen schreibt lediglich, dass die Rötelmaus “sich in diesem Sommer plagenartig vermehrt” habe.

Mit Dank an Moritz K. und Sebastian B.

dpa, Sky, Friede Springer

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Digitaler Demenzpatient”
(theeuropean.de, Gunnar Sohn)
Gunnar Sohn beschäftigt sich mit dem Bild.de-Artikel “Macht uns die moderne Technik dumm?”, der mit Aussagen von “Deutschlands berühmtestem Hirnforscher”, Manfred Spitzer, gespickt ist.

2. “Deutsche Behörden-Agentur, dba”
(stern.de/blogs, Hans-Martin Tillack)
Zu großes Vertrauen in die Behörden wirft Hans-Martin Tillack der Nachrichtenagentur dpa vor: “Ich bin mir eigentlich ganz sicher, dass bei dpa viele professionelle Journalisten arbeiten. Aber irgend etwas in dieser Agentur drängt deren Mitarbeiter dazu, sich zu allererst an offizielle Statements zu halten. Behörden haben irgendwie immer recht – das scheint man bei dpa allzu oft zu glauben.”

3. “Nachrichten sind uns egal – Gut so!”
(freitag.de, Heinz-Günter Weber)
Eine Studie zeigt “ein geringes Wissen insbesondere der jungen Deutschen über aktuelle Ereignisse”. Heinz-Günter Weber kommentiert die Ergebnisse: “Nachrichtensendungen sind heute viel zu sehr Teil des politischen Spiels – man könnte sie als von verschiedenen Interessen geradezu ‘verzinkt’ betrachten – als dass die Nachrichten per se Informationen wären.”

4. “Q2/12: SKY sieht schwarz – schwarze Zahlen”
(allesaussersport.de, Kai Pahl)
Eine Analyse der aktuellen Quartalszahlen des Bezahlsenders Sky.

5. “ZDFzoom, Ihre Desinformationssendung im ZDF”
(ratioblog.de, Michael Hohner)
Der Beitrag “Giftiges Licht” von ZDF Zoom in der Analyse von Michael Hohner.

6. “‘Herzlichen Glückwunsch, Friede Springer'”
(handelsblatt.com, Marek Dutschke)
Ein Text von Marek Dutschke anlässlich des 70. Geburtstags von Friede Springer: “Der Lebensleistung von Friede Springer möchte ich Respekt zollen. Aber einige Kritikpunkte kann ich mir auch jetzt nicht verkneifen. Denn auch unter der Herrschaft von ihr ist die Berichterstattung des Springer-Verlags weiterhin oft zu scharf und einseitig in der Darstellung von Ereignissen. Zwar sind solche Hetzkampagnen, wie gegen meinen Vater damals, heute kaum noch denkbar, aber Qualitätsjournalismus lassen die Publikationen des Hauses weiterhin vermissen.”

Hinterm Mond gleich links

“Der Mond ist aufgegangen”, dichtete Matthias Claudius Ende des 18. Jahrhunderts und das ist er auch bei stern.de:

Nächtliche Mondschau. Yangpyeong-gon, Südkorea. Ein toller Anblick: Der Mond ist nur als dünne Sichel zu sehen, weil sich der Planet Venus heute Nacht so weit davorgeschoben hat.

Nun ist der Name “stern.de” etwas irritierend, denn dabei handelt es sich – hohoho – gar nicht um ein astronomisches Fachportal, wie durch die Bildunterschrift eindrucksvoll belegt wird:

Yangpyeong-gon, Südkorea. Ein toller Anblick: Der Mond ist nur als dünne Sichel zu sehen, weil sich der Planet Venus heute Nacht so weit davorgeschoben hat.

Die Venus hat sich zwischen Mond und Erde geschoben und den Mond verdeckt? Das wäre eine wissenschaftliche Sensation, womöglich aber auch eine extrem schlechte Nachricht.

Doch die Welt geht nach wie vor erst am 21. Dezember unter — oder auch nicht.

In Südkorea war jedenfalls nichts Schlimmes passiert, wie die Original-Bildunterschrift belegt, mit der das Foto von der European Press Agency (EPA) verbreitet wurde:

A view of the planet Venus occultation by a thin crescent moon seen over Yangpyeong-gon in Gyeonggi province, South Korea, early 14 August 2012. In an occultation one object (in this case a planet) is briefly hidden behind another object.

Ja, das ist ein grammatisch nicht völlig anspruchsloser erster Satz mit einigen unbekannten Vokabeln. Aber der zweite Satz erklärt ja, dass bei einer “occultation” (oder “Bedeckung”) ein Objekt (“in diesem Fall ein Planet” = Venus) kurzzeitig hinter einem anderen Objekt versteckt wird. In diesem Fall hinter dem Mond mit schmaler Sichel.

Mit Dank an den Hinweisgeber.

Nachtrag, 16. August: stern.de hat die Bildunterschrift korrigiert.

Bild  

Die Ente bleibt draußen!

Auf der Titelseite der heutigen “Bild” prangt ein Foto von zwei Menschen im Wasser:

Es zeigt den früheren Bundesverteidigungsminister, früheren SPD-Vorsitzenden, früheren Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz und heutigen Präsidenten des Bundes Deutscher Radfahrer Rudolf Scharping und seine Ehefrau Kristina Gräfin Pilati von Thassul zu Daxberg und es spricht wenig dafür, dass der “BILD-Leser-Reporter” die Aufnahme mit Genehmigung der Abgebildeten gemacht und die Zeitung eine Genehmigung für den Abdruck hat. Aber das soll uns heute mal nicht interessieren.

Interessieren soll uns diese Behauptung:

Vor elf Jahren hatte Scharping ein Foto mit Gräfin Pilati im Pool auf Mallorca das Amt des Verteidigungsministers gekostet.

Die stimmt nämlich so nicht.

Die Geschichte mit den Fotos (wenn’s nur eines gewesen wäre — es war eine neunseitige Titelgeschichte in der “Bunte”!) ist tatsächlich elf Jahre her: “Bunte”-Reporter Paul Sahner und ein Fotograf dokumentierten damals mit Erlaubnis (wenn nicht gar im Auftrag) der beiden die “ausgelassenen Wasserspiele” der Frischverliebten. Das kam unter anderem deshalb in Deutschland so schlecht an, weil zur gleichen Zeit, als der deutsche Verteidigungsminister auf Mallorca planschte, deutsche Soldaten kurz vor einem Einsatz in Mazedonien standen.

Wenige Wochen später kritisierte die Opposition, dass Scharping bei den Unterbrechungen des besagten Mallorca-Urlaubs (“für die Beschlüsse von Kabinett und Bundestag zum Mazedonien-Einsatz sowie für einen Truppenbesuch in Mazedonien”) auf die Flugbereitschaft der Bundeswehr zurückgegriffen hatte. Scharping wies die Kritik zurück, doch die Lage spitzte sich so weit zu, dass die “Süddeutsche Zeitung” schrieb, “ranghohe Politiker der Koalition” hätten Scharping als “politisch tot” bezeichnet.

Das war am 11. September 2001. Am Nachmittag deutscher Zeit ereigneten sich die Anschläge in New York City und Washington, D.C. und Deutschland brauchte für den damit eingetretenen NATO-Bündnisfall einen Verteidigungsminister. Rudolf Scharping blieb im Amt.

Erst als der “Stern” im Juli 2002 über “zweifelhafte Geschäfte” berichtete, die Scharping mit dem PR-Berater Moritz Hunzinger gemacht haben soll, entließ Bundeskanzler Gerhard Schröder seinen Verteidigungsminister.

Und so endete die politische Karriere des Rudolf Scharping. Aber nicht “vor elf Jahren” und nicht wegen “eines Fotos”.

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