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Die einfallsreichen Ku-Klux-Karnevalisten

Heute machen wir mal einen kleinen Abstecher ins südliche Afrika. Genauer: nach Windhoek, die Hauptstadt Namibias. Dort erscheint nämlich die einzige deutschsprachige Zeitung des Kontinents: Die „Allgemeine Zeitung“ (AZ), die in der vergangene Woche, wie sie selbst inzwischen einräumen musste, durch „schlechten Journalismus“ einen „Sturm der Entrüstung“ ausgelöst hat. Selbst die namibische Regierung schaltete sich zwischenzeitlich ein und zeigte sich „bestürzt“ von dem, was passiert war.

Aber beginnen wir dort, wo alles angefangen hat, und zwar in der Stadt Swakopmund, die als „deutscheste” Stadt Namibias gilt und — natürlich — auch ihren eigenen Karneval hat. Über den berichtete die AZ letzte Woche Montag und veröffentlichte unter der Überschrift …

… mehrere Fotos von verkleideten Karnevalsteilnehmern. Im Text dazu heißt es:

Wieder haben sich viele Besucher beim Maskenball des Swakopmunder Karnevals „Küska“ viel Mühe mit den Kostümen gegeben. (…) Wie erwartet waren passend zum diesjährigen Motto „30 Jahre Küska mit der Swakopmunder Mafia“ viele Personen im Anzug erschienen. Andere waren auf
andere Art und Weise sehr einfallsreich.

Zum Beispiel die hier:

(Alle Verpixelungen von uns.)

Und die hier erst:

Oh ja, sehr einfallsreich. Und so feinfühlig!

Viele andere Namibier waren dagegen weniger begeistert vom Blackfacing und den Rassisten-Kostümen der Karnevalisten. Nur mal zwei (vergleichsweise nüchterne) Beispiele von der Facebookseite der AZ:

Ich bin schockiert, entsetzt und fassungslos. Darüber, das solch hochgradig rassistisches “Amüsement” in Namibia bis heute eine unreflektierte Akzeptanz findet. Darüber dass es als harmloses, sogar glorifiziertes Ereignis durch Ihre Zeitung aufgewertet wird. Ich fühle mich sprachlos angesichts dieser Ungeheuerlichkeit. Es ist wirklich an der Zeit, sich entschieden gegen Rassismus auszusprechen und nicht ihn zu schüren…

Leider zeigt das einmal mehr, wie wenig sensibel man in der deutschsprachigen Gemeinde in Namibia noch mit dem Thema umzugehen weiß. Eine Erfahrung, die ich immer wieder in Namibia mache, wenn Rassismus oder die deutsche Kolonialgeschichte zur Sprache kommt. Da wird weggelacht, mit den Schultern gezuckt und im schlimmsten Fall die Geschichte verdreht. Die Geschichte muss dringend vernünftig aufgearbeitet werden. Sonst wird es auch weiterhin in Namibia nur ein “Nebeneinander” aber nie ein echtes “Miteinander” zwischen Schwarz und Weiß geben. Und ein Nebeneinander führt über kurz oder lang in die Katastrophe.

Am Tag nach der Veröffentlichung entschuldigte sich die Zeitung auf ihrer Facebookseite …

… und druckte am darauffolgenden Tag eine (optisch allerdings stark an eine Anzeige erinnernde) Entschuldigung auf der Titelseite:

Auch die Jungs in den KKK-Kostümen entschuldigten sich, genau wie der Karnevalsverein, der zudem ankündigte, nun „costume guidelines“ einzuführen.

Kurz darauf gab das namibische Ministerium für Information und Kommunikationstechnologie eine Stellungnahme heraus, in der es unter anderem heißt:

The Government is dismayed by the pictoral page of the daily newspaper, the Allgemeine Zeitung, which published the German festival participants or organizer honoring the Klu Klux Klan – a white extremist movement that killed black people.

The Government has witnessed the shocking images of youths dressed in offensive gear during the Swakopmund Carnival (Kuska-Maskenball) – a traditional German festival that took place in the coastal town. The youths were dressed as members of the Klu Klux Klan and others were dressed in laborers outfits painted in blackface. Blackface is a form of theatrical makeup used by performers to represent a black person. Blackface as a practice, which gained popularity during the 19th century and contributed to the proliferation of stereotypes such as the ‘happy-go-lucky/ darky on the plantation’. Their outfits were called ‘imaginative’ in the Allgemeine Zeitung where it was published.

Tags darauf meldete sich auch das „Editors’ Forum of Namibia“ (EFN) zu Wort, ein Zusammenschluss namibischer Journalisten und Medien, den man in etwa mit dem Deutschen Presserat vergleichen kann. Das Forum erinnerte an …

the importance of all media to be ever vigilant against the publishing and broadcasting of offensive content in the interest of promoting harmony and reconciliation in the country.

Man sei aber auch …

impressed by the swift manner in which the Namibia Media Holdings and the Allgemeine Zeitung reacted to the backlash on social media, showing their commitment to self-regulation and upholding the media code of ethics.

Und tatsächlich muss man der AZ zugutehalten: So daneben die Aktion war, so bemüht war die Redaktion, transparent mit der Sache umzugehen und die Kritik sichtbar zu dokumentieren. Sie berichtete über das “Bedauern und Entsetzen”, das sie ausgelöst hatte, veröffentlichte die Stellungnahmen bei Facebook und auch prominent im Blatt, bat die Leser um ihre Meinung und druckte kritische Leserbriefe („I am ashamed“) ab. Von einem solch offensiven Umgang mit bösen Fehlern sind deutsche Medien oft leider weit entfernt.

Mit Dank an René B.!

“heute-show” verfälscht Interview

Die „heute-show“ im ZDF hat sich gestern mal wieder kritisch-satirisch mit der AfD befasst. Doch so lustig und entlarvend das an vielen Stellen auch war: An einem Punkt sind die Macher gehörig über die Stränge geschlagen.

Durch die verkürzte Wiedergabe eines Interviews wurde eine junge Frau in die rechte Ecke gestellt — dabei hat sie mit Rechtspopulisten und Rassisten nichts am Hut. Im Gegenteil: Marlena Schiewer ist jugendpolitische Sprecherin bei „Die Linke“ in Görlitz und engagiert sich gegen Rassismus und für Flüchtlinge.

In der Anmoderation (Sendung in der Mediathek, ab 23:35 Min. Update: Die Passage wurde inzwischen entfernt) sagt Moderator Oliver Welke:

Die Frage ist: Kann die Partei [AfD] nach ihren sensationellen Wahlerfolgen in der DDR auch im Westen Fuß fassen? Was man zugeben muss: Sie haben immer mehr Fans.

Dann kommt die Interviewsequenz:

Ich möchte nicht mehr die NPD wählen, weil die mir zu rechtsextrem ist, und deswegen wähle ich jetzt die AfD, weil die … also ich sage immer: Das ist die NPD in freundlich.

Großes Gelächter im Publikum, amüsiert-verblüffter Blick von Welke.

Wie allerdings im Originalbeitrag des ARD-Nachtmagazins zu sehen ist (ab 0:20 Min.), gab Schiewer tatsächlich nur die Meinung anderer Leute wieder, nicht ihre eigene. Ihre vollständige Aussage lautete:

Hier auf dem Dorf gibt’s ziemlich viele Leute, die rechter Meinung sind und die einfach sagen: Ich möchte nicht mehr die NPD wählen, weil die mir zu rechtsextrem ist, und deswegen wähle ich jetzt die AfD, weil die … also ich sage immer: Das ist die NPD in freundlich.

Auf Facebook schreibt sie heute:

Wer die gestrige ZDF heute-show gesehen hat, konnte mich in einem Beitrag zur AfD sehen. Die Macher der Show erweckten den Eindruck, ich würde jetzt AfD wählen und hätte früher NPD gewählt. Dies ist eine Frechheit und widerspricht meinem bisherigen politischen Engagement für Flüchtlinge und gegen Rassismus. (…) Bitte helft mir, allen Menschen und zuerst der ZDF heute-show zu zeigen, so geht das nicht! Das schadet nicht nur mir persönlich, sondern auch dem Kampf gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit im Allgemeinen.

Mit Dank an Erwin Z.

Siehe auch: Heute-Show fälscht erneut (fernsehkritik.tv)

Nachtrag, 20.30 Uhr: Die “heute-show” hat sich bei Facebook zu Wort gemeldet:

Liebe Fans der heute-show: Bei der Verwendung des Statements von Marlena Schiewer ist uns offensichtlich ein Fehler unterlaufen, für den wir uns entschuldigen. Wir werden prüfen, wie es dazu kommen konnte und die Sache richtigstellen.

Nachtrag, 8. Februar: Oliver Welke hat sich auf Facebook für den Fehler entschuldigt:

Liebe heute-show Zuschauer,

in sechs Jahren heute-show haben wir ganz bestimmt nicht alles richtig gemacht. Aber der Fehler, der uns als Redaktion letzte Woche unterlaufen ist, ist mir tatsächlich richtig peinlich. Dass ausgerechnet wir einen TV Clip so geschnitten zeigen, dass er eine junge Frau als Rechtsextreme erscheinen lässt, die sich seit Jahren gegen Rassismus engagiert, hätte nie passieren dürfen. Noch peinlicher ist nur, dass wir erst durch den Facebook Eintrag der betroffenen Frau auf unseren groben Fehler aufmerksam gemacht wurden. Die heute-show vom 6.2. war so gesehen ein echter Schock für Marlena Schiewer und nebenbei noch Wasser auf die Mühlen der Menschen, die ohnehin davon überzeugt sind, dass die Medien notorisch lügen und manipulieren. Wir klären jetzt im Detail, wie genau das von uns “verbockt” wurde. Zum Hintergrund: Für die heute-show wird von unseren Sichtern alles was im Fernsehen im weitesten Sinne mit Politik zu tun hat (Nachrichten, Talkshows, Bundestagsdebatten) ausgewertet und in Clips für die Sendung verwandelt. Wenn jemand in einem so gefundenen Ausschnitt gar nicht seine Meinung sagt, sondern andere zitiert, wird das normalerweise explizit dazu geschrieben. Genau das ist aber in diesem Fall nicht passiert. Dafür habe ich mich bereits bei Marlena Schiewer persönlich entschuldigt, und wir werden den vollständigen Ausschnitt selbstverständlich in der nächsten heute-show zeigen. Denn dieser Ausschnitt hätte auch schon in der Sendung vom letzten Freitag in der ungekürzten Originalfassung hervorragend und, was das Wichtigste ist, im Sinne von Frau Schiewer funktioniert. Logischerweise werden wir jetzt sämtliche Abläufe bei uns so ändern, dass sich Vergleichbares nicht wiederholen kann. Es gibt in Deutschland zur Zeit genug echte Rechte die in Kameras sprechen, da muss man weiß Gott keine Linke zur Rechten machen. Auch nicht, wie in diesem Fall, aus Versehen. In diesem Sinne von mir noch mal eine aufrichtige Entschuldigung im Namen des ganzen Teams (…).

Nachtrag, 8. Februar: … und Marlena Schiewer hat die Entschuldigung angenommen.

Von Brandstiftern zu Brandstiftern

Es kommt nur selten vor, dass wir verstehen, was uns Franz Josef Wagner mit seinem Geblubber mitteilen will, und noch viel seltener, dass wir mit ihm einer Meinung sind. Heute aber ist so ein Tag, zumindest ein bisschen, denn er richtet seine — ausnahmsweise mal recht nachvollziehbaren — Gedanken an die „Idioten“ von „Pegida“.

Liebe Pegida-Idioten,

es ist Weihnachten. Vor 2000 Jahren suchten zwei Flüchtlinge, Josef und seine hochschwangere Frau Maria, eine Unterkunft.

Es ist Weihnachten 2014. Und Ihr Pegida-Idioten demonstriert in Dresden gegen die Überfremdung.

Wagner malt sich aus:

Was, wenn die Eltern von Jesus in Dresden an einer Haustür geklopft hätten. Die Eltern sahen nicht aus wie Deutsche. Ihre Hautfarbe ist dunkel. Sie sprachen auch kein Deutsch. Sie sprachen Armenisch und vielleicht Griechisch.

Naja, „Armenisch“ mit Sicherheit auch nicht, sondern Aramäisch, aber gut. (In der Online-Version wurde es heimlich korrigiert.)

2014 hätte man Josef und Maria nicht in einen Stall einquartiert. Sie wären in ein Asylantenheim gekommen. Auf manche Asylantenheime sprayen Idioten Nazi-Parolen.

Maria, Josef und Jesus würden also in diesem Asylantenheim leben. Und jeden Montag würden 10 000 Pegida-Idioten schreien: „Wir sind das Volk“.

Jesus, verzeih uns. Das Volk ist leider oft dumm.

Herzlichst
Franz Josef Wagner

Nun ist es, bei allem Verständnis, schon sehr bemerkenswert, dass ausgerechnet der „Chefkolumnist“ von „Bild“ solche Töne anschlägt und dass sich auch der Rest der “Bild”-Zeitung jüngst so Pegida-kritisch gibt. Als würde sich ein Fachgeschäft für Feuerwerkskörper plötzlich darüber beschweren, dass es überall knallt.

Denn es ist doch gerade die „Bild“-Zeitung, die solche Idioten seit Jahren immer wieder aufscheucht, anstachelt und mit neuer Munition versorgt. Die mit verdrehten Fakten und erfunden Geschichten immer wieder Stimmung gegen Ausländer macht und es dabei vor allem auf Muslime abgesehen hat. Die gegen „Asylantenheime“ (allein dieses Wort!) hetzt und Angst vor Überfremdung schürt und damit genau jenen Leuten unter die Arme greift, die jetzt gegen die vermeintliche Islamisierung des Abendlandes auf die Straße gehen.

Nur mal als Beispiel: der “Islam-Rabatt”. Anfang des Jahres unterstellten die „Bild“-Medien in einer großangelegten Kampagne der deutschen Justiz, sie bestrafe Moslems milder als christliche Angeklagte (BILDblog berichtete). Dafür gab es zwar keinerlei Belege, aber „Bild“, Bild.de und „Bild am Sonntag“ bastelten sich kurzerhand ihre eigene Wahrheit, indem sie entscheidende Fakten unter den Tisch fallen ließen, eine Studie verzerrt wiedergaben und dann einfach behaupteten, an deutschen Gerichten gebe es einen „Islam-Rabatt“:

Bild.de-Chef Julian Reichelt forderte hysterisch: „Keine Scharia in Deutschland!“, diverse ahnungslose Politiker sprangen ihm blindlings bei — und die Moslemhasser rieben sich die Hände, weil sie nur noch die „Bild“-Artikel teilen mussten, um auf „die Gefahren des Islam in Deutschland“ hinzuweisen.

Eine Korrektur der Berichterstattung hat es übrigens bis heute nicht gegeben.

Oder die Hasspredigt von Nicolaus Fest (BILDblog berichtete), der im Sommer in der „BamS“ unter anderem geschrieben hatte, der Islam störe ihn immer mehr — ihn störe die „weit überproportionale Kriminalität von Jugendlichen mit muslimischem Hintergrund“, die „totschlagbereite Verachtung des Islam für Frauen und Homosexuelle“ und so weiter –, darum sei der Islam auch ein „Integrationshindernis“, was man „bei Asyl und Zuwanderung ausdrücklich berücksichtigen“ solle. Fest schloss mit den Worten:

Ich brauche keinen importierten Rassismus, und wofür der Islam sonst noch steht, brauche ich auch nicht.

Zwar versuchten „Bams“-Chefin Marion Horn und „Bild“-Chef Kai Diekmann daraufhin noch, den (Image-)Schaden zu begrenzen, doch da hatten die Hetztiraden schon längst die Runde gemacht und tosende Beifallstürme in den Rassistenblogs ausgelöst. Und dass es dieser Kommentar überhaupt erst ins Blatt geschafft hat, zeigt einmal mehr, wie fahrlässig die „Bild“-Menschen mit ihrer publizistischen Verantwortung und Macht umgehen. Oder, je nachdem, wie mutwillig sie sie missbrauchen.

Wie bei der Sache mit dem „Asyl-Hotel“ in Bautzen (BILDblog berichtete), erschienen vor gut drei Monaten:

Auch das ist eine völlig verzerrte Darstellung der Tatsachen, die offensichtlich nur dazu dient, die Asylbewerber in ein schlechtes Licht zu rücken. Es stimmt zwar, dass sich die Sanitäter Schutzwesten besorgt haben, aber nicht aus Angst vor Einsätzen in dem Heim, sondern als generellen Schutz bei allen Einsätzen, egal, wo sie stattfinden.

Auch vieles andere an dem Artikel ist unwahr oder wird verzerrt dargestellt, das haben sowohl die Polizei als auch das DRK als auch der Betreiber des Heims mehrfach mitgeteilt, und obwohl die „Bild“-Redaktion das weiß, und obwohl sie weiß, dass die Berichterstattung viele Menschen gegen die Flüchtlinge aufhetzt, ist der Artikel immer noch unverändert online.

Oder erst neulich: das Märchen vom Verbot der Weihnachtsmärkte (BILDblog berichtete). Vor zwei Wochen behauptete die „Bild am Sonntag“ (in Anlehnung an eine „B.Z.“-Geschichte von vor einem Jahr), in Berlin-Kreuzberg seien statt „Weihnachts-“ nur noch „Wintermärkte“ erlaubt, um Andersgläubige nicht zu stören. Völliger Unfug zwar, aber die „BamS“ verbreitete die Geschichte trotzdem, wie gewohnt mit verzerrten Darstellungen und verschwiegenen Fakten, fragte: “Wird auf dem Altar der politischen Korrektheit die christliche Tradition geopfert?” und lieferte den Pegida-Hetzern damit eines ihrer plakativsten „Argumente“.

Eine Korrektur der „BamS“ ist bis heute nicht erschienen. Der Artikel ist immer noch online.

So könnten wir ewig weitermachen: Schnitzelkrieg, Moslem-Feiertag, Sarrazin, Sonne-Mond-und-Sterne-Fest, Ehrenmorde, überhaupt: kriminelle Ausländer und und und und und und und

Die oben ausführlicher beschriebenen Beispiele stammen alle nur aus diesem Jahr, und es sind nur die knalligsten dafür, wie die „Bild“-Zeitung seit Jahren unter Vorspiegelung falscher Tatsachen die Angst vor der Islamisierung schürt und damit den Idioten, die Franz Josef Wagner heute so kritisiert, wissentlich in die Hände spielt.

Und um abschließend nochmal auf Wagners Gedankenspiel zurückzukommen:

Was, wenn die Eltern von Jesus in Dresden an einer Haustür geklopft hätten[?]

Dann hätten sie wahrscheinlich schlechte Karten gehabt. Zumindest an der Haustür eines „Bild“-Lesers.

Mit Dank auch an Sejfuddin.

Nachtrag, 17. Dezember: Die Eltern von Jesus waren bei der Geburt übrigens keine “Flüchtlinge”, wie Wagner schreibt, sondern (wenn überhaupt) auf dem Weg, sich von der Finanzbehörde registrieren zu lassen. Fliehen mussten sie erst später, als König Herodes Wind davon bekommen hatte und Jesus umbringen lassen wollte. Mehr dazu: hier.

Mit Dank an D., Georg, Lukas und Matthäus.

Nachtrag, Januar 2015: Ein weiteres Beispiel dafür, wie “Bild” Öl ins “Pegida”-Feuer gießt, haben wir hier aufgeschrieben.

Das “BamS”-Märchen vom Weihnachtsmarktverbot

Heinrich (Name geändert) ist stinkesauer.

Ekelhaft diese Unterwürfigkeit und Arschkriecherei gegenüber dem Islam!
Das wird sich noch mal bitter rächen..

Auch Udo (Name geändert) kann es kaum fassen.

Diese grün-lings verseuchten Spinner bringen immer wieder etwas absurdes zustande !

Und bei der „Bild am Sonntag“ packen sie sich sowieso nur noch an den Kopf:

Den Anlass für die Empörung erklärte das Blatt in der vergangenen Ausgabe so:

Heute ist der erste Advent. Und viele werden den Sonntag für einen Spaziergang nutzen zu jener vorweihnachtlichen Festivität, die als Weihnachtsmarkt volkstümlich geworden ist, in Süddeutschland als Christkindlmarkt. Genau das passt aber nicht allen.

So muss etwa in Berlin, nicht nur in Kreuzberg, aber dort ausdrücklich, der Weihnachtsmarkt neuerdings „Winterfest“ heißen.

Die Botschaft ist eindeutig: Jetzt klauen uns die politisch Korrekten sogar schon unsere Weihnachtsmärkte!

Und um gleich zum Punkt zu kommen: Das ist alles Quatsch. Kein Kreuzberger Weihnachts- oder Wintermarkt musste sich umbenennen, und es hat sich auch keiner umbenannt. Es gibt auch keine Vorschriften oder Regeln dafür. Ob “Winter” oder “Weihnacht”, ist den Behörden völlig wurscht. Jeder Markt heißt so, wie er will, und neu ist das alles auch nicht.

Das „Winterfest am Mehringplatz“ gibt es schon seit 2012 und heißt seitdem so — ganz freiwillig, wie uns das Quartiersmanagement auf Nachfrage mitteilte.

Auch die Sprecherin des „Kreuzberger Wintermarkts“, der in diesem Jahr zum ersten Mal stattfindet, erklärte uns, dass der Name und das Konzept aus freien Stücken gewählt wurden. So steht es auch extra auf der Website:

Entgegen anderslautender Berichte geschah dies nicht auf Druck des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg

Wie kommt die „BamS“ also auf die Idee, die Kreuzberger Politiker wollten uns die Weihnachtsmärkte verbieten? Nun:

In einem Sitzungsprotokoll des Kreuzberger Bezirksparlaments heißt es dazu: „Das Bezirksamt verständigt sich darauf, dass grundsätzlich keine Genehmigungen für Veranstaltungen von Religionsgemeinschaften im öffentlichen Raum erteilt werden.“

Auf diesem einen Satz basiert die ganze Geschichte.

Und es gibt ihn zwar tatsächlich, allerdings steht er nicht im Protokoll des Bezirksparlaments, sondern in dem des Bezirksamts — okay, kann passieren, aber was viel wichtiger ist: Er hat überhaupt nichts mit den Weihnachtsmärkten zu tun.

Sascha Langenbach, Sprecher des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg, sagte uns auf Nachfrage, die zitierte Entscheidung der „BamS“ (die übrigens von 2007 ist) beziehe sich auf Veranstaltungen, bei denen es um religiöse Selbstdarstellung im öffentlichen Raum gehe (das mit der Selbstdarstellung steht auch im Original-Zitat, die “BamS” hat es aber einfach rausgekürzt). Weihnachtsmärkte seien davon allerdings gar nicht betroffen. Kurzum:

Ich kann alle beruhigen: Das Abendland bleibt weiter bestehen, genauso wie die Weihnachtsmärkte in Friedrichshain-Kreuzberg — in diesem Jahr und auch in den nächsten Jahren. Wie die Märkte sich nennen, ist uns total egal.

Genau das hätten auch die drei (!) „BamS“-Autoren herausgefunden, wenn Sie beim Bezirksamt nachgefragt hätten, aber das haben sie nicht, so wie sie auch sonst alles vermieden oder verschwiegen haben, was das Märchen vom Weihnachtsmarktverbot als solches entlarvt hätte. Zum Beispiel erwähnen sie mit keinem Wort, dass es in Friedrichshain und Kreuzberg in diesem Jahr sehr wohl Weihnachtsmärkte gibt, etwa den “Weihnachtsmarkt in der Neuen Heimat”, den “Kiezweihnachtsmarkt am Café Eule”, den “Finnischen Weihnachtsmarkt”, den “Stralauer Weihnachtsmarkt”…

Aber statt erhellender Fakten liefert die “BamS” lieber: düstere Fragen.

Wird auf dem Altar der politischen Korrektheit die christliche Tradition geopfert?

Und überhaupt:

HABEN DIE NOCH ALLE LICHTER AM CHRISTBAUM?

Natürlich ist die Institution Weihnachtsmarkt an sich nicht wichtig. Aber wo führt es hin, wenn es schon verpönt ist, das Wort Weihnachten nur im Munde zu führen? Sind das christliche Erbe, unsere Kultur, unser Selbstverständnis, unser Wertekanon, auf das Treiben einer „Religionsgemeinschaft“ geschrumpft?

Zur Illustration der bedrohlichen Lage listet das Blatt noch andere Beispiele auf, etwa das aus Brüssel,

wo man den altehrwürdigen Weihnachtsbaum auf dem Grand Place aus Rücksichtsnahme auf religiöse Minderheiten durch eine abstrakte Konstruktion ersetzt hat.

Dabei ist die Motivation für den Austausch des Baums gar nicht eindeutig geklärt. Der Sprecher des damaligen Brüsseler Bürgermeisters etwa teilte schon vor zwei Jahren mit, dass die Rücksichtnahme auf andere Religionen keine Rolle gespielt habe. Die Stadt habe einfach etwas Neues ausprobieren wollen.

Ähnlich irrefürend auch das “BamS”-Beispiel aus Madrid,

wo Real jetzt das Kreuz aus seinem Vereinswappen getilgt hat, um die Fans im arabischen Raum und Kunden der sponsernden National Bank of Abu Dhabi nicht zu irritieren.

Was die Autoren nicht erwähnen: Real hat das Kreuz nur in arabischen Ländern gestrichen; in Europa wird weiterhin das ursprüngliche Wappen verwendet.

Und so konstruiert sich die “BamS” weiter ihre Geschichte zusammen, um am Ende frustriert festzustellen:

Uns ist wirklich nichts mehr heilig.

Natürlich hat das Blatt auch gleich eine Umfrage in Auftrag gegeben, und natürlich finden es demnach die meisten Deutschen voll blöd, “dass Weihnachtsmärkte in manchen Regionen in Wintermärkte umbenannt wurden, um Andersgläubige nicht zu stören”, und natürlich durfte auch “Bams”-Kolumnistin Margot Käßmann noch ihren Senf dazugeben (“Wenn wir alle Traditionen über Bord werfen, verlieren wir auch den Halt”), und natürlich verlief die “Diskussion auf Facebook”, die die “Bams” noch abgedruckt hat, ebenfalls sehr eindeutig:

Und klar darf man über die Frage “Winter” vs. “Weihnacht” oder über den vermeintlichen Verfall christlicher Werte diskutieren, aber dann sollte man doch bitte bei den Fakten bleiben. Die “BamS” aber verschweigt einfach die Hälfte, setzt falsche Behauptungen in die Welt, schreibt den Untergang des Abendlandes herbei — und die Leute kaufen es ihr reihenweise ab.

Der “Münchner Merkur” zum Beispiel, der lieber alles nachplapperte, statt selbst zu recherchieren. Oder Josef Zellmeier, seines Zeichens Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag, der zur “Zwangsumbenennung des Weihnachtsmarktes” sogar eigens eine Pressemitteilung herausgab, in der er darüber schimpft, dass die deutschen Traditionen einer “extrem linken Sprachdiktatur geopfert” würden:

Das ist ein Rückfall in kommunistische Zeiten, in denen man versucht hat, Nikolaus und Christkind durch Väterchen Frost zu ersetzen. Die Missachtung der eigenen kulturellen Prägung hat nichts mit Toleranz zu tun, ist vielmehr ein Auswuchs falsch verstandener Multikulti-Ideologie.

Das Schlimmste aber ist, dass die “Bild am Sonntag” mit ihrer Panikmache gerade jenen Leuten Munition liefert, die die Schuld nicht mehr nur bei den Politikern suchen, sondern vor allem bei den Moslems:

Die Umbenennung von Weihnachtsmarkt in Wintermarkt is der totale Schwachsinn, ich akzeptiere den Islam als Religion, warum akzeptieren vereinzelne Mosleme nicht die deutsche Kultur, in arabischen Laendern wie z.B. UAE oder Oman werden christliche Weihnachtsgebraeuche akzeptiert, in Geschaeften Weihnachtssachen verkauft Merry Xmas gewuenscht. In Berlin ist es nicht erlaubt (…)

(…) dass die Weisse Rasse so behandelt wird, ist unglaublich.
Unsere Braeuche und Kultur ist unser Leben.
Und die Neger und Muslime koennen bleiben wo der Pfeffer waechst!
Was waere denn wenn wir Weissen die Neger und Muslimenlaender in so einem Ausmass fluten wuerden wie die unser geliebtes Deutschland!
Nein, das duerfen Weisse nicht. Aber Neger und Muslime duerfen das!
Antirassismus ist gegen die Weissen!
So ists und nicht anderst. Wir sollen ausgerottet werden.
Wir brauchen keine Neger und Muslime. Wir haben bis jetzt auch ohne euch gut gelebt!
Denn wir tun was. Wir arbeiten. Und nicht betteln und 5mal am Tag den Kopf auf den Boden hauen und dann meinen man sei was besseres!

Von solchen Kommentaren finden sich im Internet Tausende. Gerade bei Facebook und auf rechten Blogs wurde der “BamS”-Artikel fleißig rumgereicht; für die Rassisten und Islamfeinde dient er seither als erschreckendes Beispiel dafür, dass die bösen Moslems und die Spinner von Grün-Dings die Islamisierung unseres schönen Landes vorantreiben. Auch die Rechtspopulisten von “Pegida” nutzen die Geschichte gerne als Beleg für die Abschaffung der christlichen Kultur.

Ähnlich verhielt es sich schon im vergangenen Jahr bei einem Artikel der “B.Z.” (gleiches Thema: “Kreuzberg verbietet Weihnachten”), der sich zwar später als irreführend herausstellte, die islamfeindliche Stimmung aber dennoch (oder: gerade deshalb) weiter anheizte. Oder bei der Idee mit dem “Sonne-Mond-und-Sterne-Fest”, die von den Medien ebenfalls verzerrt dargestellt und massiv attackiert wurde, womit sie vor allem den rassistischen Hetzern in die Karten spielten (BILDblog berichtete).

Die “B.Z.” hat in diesem Jahr übrigens auch schon gegen die “Wintermärkte” gewettert: Vor drei Monaten ereiferte sich Kolumnist Gunnar Schupelius ziemlich unentspannt darüber, warum “diese kirchenferne Gesellschaft” denn nicht mal “entspannt bleiben” könne, und bekam dafür vor allem aus der rechten Ecke viel Beifall.

Aber es sind leider nicht nur die Boulevardmedien, die solche ausländerfeindlichen Auswüchse durch ihre irreführende Berichterstattung befeuern. In der “FAZ” etwa erschien vor drei Tagen dieser Artikel:

Abgesehen davon, dass die Aussage ohnehin Blödsinn ist, macht die “FAZ” sogar den gleichen Flüchtigkeitsfehler wie die “BamS” (Bezirksparlament statt -amt), offenbar hat sich der Autor also nicht mal die Mühe gemacht, irgendwoanders zu recherchieren. So kann er zwar ebenfalls nur falsche Fakten bieten, aber hey, auch voll die lustigen Wortspielchen:

Und wo wir schon dabei sind, hätten wir, zur Adventszei-, Entschuldigung: zu dieser winterlichen, geruhsamen Zeit noch Vorschläge einzureichen: Wie wäre es, den Weihnachtsmann künftig anders anzusprechen, sagen wir, als „Mann mit der roten Mütze“? Wobei ja auch die Farbe rot eine christliche und jüdische Tradition hat. Wie wäre es also einfach mit „Mann“? So wird wirklich niemand mehr diskriminiert. (Aber was sagen dann die Frauen?) Denn darum geht es bei diesem besinnlichen – zum Teuf-, äh, Henker mit der Sprache: Darum geht es bei diesem „Fest“ ja auch. Alles andere wäre unchristli-, alles andere wäre nicht feierlich.

Jahahaha. Witzig. Und genauso wertlos wie der Lügenartikel der “BamS”, jedenfalls wenn man an einer ernsthaften Debatte interessiert ist. Aber das sind die Journalisten ja offenkundig leider nicht. Schön zu erkennen auch am Beitrag von “stern TV”. Das Magazin hatte zwar extra ein Kamerateam zum Bezirksamt geschickt, um die Lage vor Ort zu recherchieren (“Frohe Weihnachten, falls man das hier noch sagen darf”), trotzdem behauptet der Beitrag permanent, in Kreuzberg seien nur noch “Wintermärkte” erlaubt, weil das politisch korrekter sei. Moderator Steffen Hallaschka spricht von einer “unglaublichen Geschichte” und von “galoppierendem Wahnsinn”, das Bezirksamt bekommt schließlich sogar den Negativpreis “Stern der Woche” überreicht — obwohl die Leute von “stern TV” wussten, dass es die “Vorschrift”, von der sie berichten, gar nicht gibt und dass es auch weiterhin Weihnachtsmärkte geben wird. Der Bezirksamtssprecher hat es ihnen nämlich mehrmals erklärt. Auch vor laufender Kamera, aber das wollte “stern TV” dann lieber nicht senden.

Aber zurück zur “Bild am Sonntag”. Bei der hat sich das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg kurz nach der Berichterstattung über die falsche Darstellung beschwert. Und tatsächlich wird die Sache in der aktuellen Ausgabe endlich richtiggestellt. Allerdings auf “BamS”-Art: Statt einer Korrektur hat das Blatt nur ein winziges Statement der Bezirksbürgermeisterin abgedruckt — schön versteckt am unteren Rand der Leserbriefseite:

Der Artikel ist übrigens — obwohl die Leute von der “Bams” spätestens jetzt ganz genau wissen, dass er nicht der Wahrheit entspricht und sie damit Hass gegen Ausländer schüren — immer noch unverändert online.

Nachtrag, 15.15 Uhr: Wenigstens die “FAZ” hat ihren Online-Artikel inzwischen transparent korrigiert.

Siehe auch: Ein Weihnachtsmärchen (taz.de)

Rüge für Anti-Islam-Kommentar von Nicolaus Fest

Der islamfeindliche Kommentar von Nicolaus Fest in der “Bild am Sonntag” (BILDblog berichtete) ist heute vom Presserat öffentlich gerügt worden.

215 Beschwerden waren dazu eingegangen, erklärte das Gremium in einer Pressemitteilung. Fest hatte unter anderem geschrieben:

Mich stört die weit überproportionale Kriminalität von Jugendlichen mit muslimischem Hintergrund. Mich stört die totschlagbereite Verachtung des Islam für Frauen und Homosexuelle. (…)

Nun frage ich mich: Ist Religion ein Integrationshindernis? Mein Eindruck: nicht immer. Aber beim Islam wohl ja. Das sollte man bei Asyl und Zuwanderung ausdrücklich berücksichtigen!

Ich brauche keinen importierten Rassismus, und wofür der Islam sonst noch steht, brauche ich auch nicht.

Der Beschwerdeausschuss befand, dass der Kommentar “pauschalisierende Aussagen über das Verhalten von Muslimen im Allgemeinen” enthalte und diese “eine diskriminierende Wirkung für Angehörige dieses Glaubens entfalten”. Er verletze nicht nur die Ziffer 12 des Pressekodex (Diskriminierungen), sondern sei auch “mit dem Ansehen der Presse nach Ziffer 1 des Pressekodex unvereinbar”. Der Kommentar spreche zudem dem Islam “die Integrationsfähigkeit an sich ab und verletzt damit die Ziffer 10 des Kodex”. Ursula Ernst, die Vorsitzende des Ausschusses, sagte:

Kommentare dürfen pointiert sein, starke Kritik – auch an Religionen – enthalten und manchmal auch an Grenzen gehen. Hier wird jedoch die Grenze der Meinungsfreiheit deutlich überschritten, indem alle Muslime unter einen Generalverdacht gestellt werden. Die Angehörigen der Religion fühlen sich verständlicherweise diskriminiert.

Kein Platz für Judenhass!
Für Moslemhass aber schon

In dieser Woche hat die “Bild”-Zeitung eine große Kampagne gestartet.

WIR WERDEN NICHT LÄNGER SCHWEIGEN!

Nach den antijüdischen Attacken der vergangenen Tage erhebt Deutschland jetzt seine Stimme – GEGEN Antisemitismus und Judenhass. Und FÜR Toleranz.

Nur zur Erinnerung: Diese Zeitung, die da FÜR Toleranz kämpft, ist genau dieselbe, die jahrelang eine beispiellose Hetzkampagne gegen ein ganzes Volk geführt hat. Und die bei jeder Gelegenheit Misstrauen und Hass gegenüber Sinti und Roma schürt. Und die erst neulich noch versucht hat, einen “Islamrabatt” an deutschen Gerichten zu unterstellen.

Aber jetzt geht es ja nicht um Roma, sondern um Juden, und gegen die darf nicht gehetzt werden, das findet sogar “Bild”.

schrieb auch Bild.de-Chef Julian Reichelt, als er sich vor zwei Tagen über den “menschenverachtende[n] Hass” empörte, der sich in den Sozialen Netzwerken breitmache.

Die Postings auf unseren Social-Media-Seiten reichen von wüsten Beschimpfungen bis hin zu Adolf-Hitler-Fotos. (…)

Um es einmal ganz klar zu sagen:
► Wir bei BILD und BILD.de wollen solche Menschen nicht.
► Wir wollen sie nicht als Leser, nicht als User, nicht als Facebook-Freunde, nicht als Twitter-Follower.
► Wir wollen mit ihnen nichts zu tun haben.
► Wir wollen ihr Geld nicht, ihre Klicks nicht, ihre Zeit nicht, ihre Aufmerksamkeit nicht.

Jetzt auf einmal. Vergangene Woche brauchte “Bild” erst sechs Tage und einen Blogeintrag von uns, um den menschenverachtenden Hass von ihren Social-Media-Seiten zu entfernen.

Aber selbst wenn man den Populismus und die Scheinheiligkeit mal ausblendet, selbst wenn man verdrängt, was die “Bild”-Zeitung in der Vergangenheit getan hat und wie verlogen ihr plötzliches Toleranzgetue deshalb wirkt, selbst dann hat diese Kampagne noch einen widerlichen Beigeschmack. Denn während das Blatt den Hass auf die eine Religion kritisiert, befeuert es zugleich den Hass auf eine andere.

Zu Beginn der Kampagne fragte “Bild”:

Gast-Pöbler Henryk M. Broder erklärte:

Der Judenhass, der sich derzeit entlädt, ist ein importierter, ein Judenhass mit Migrationshintergrund. Seine Protagonisten sind zum allergrößten Teil Araber und Türken, unterstützt von Bio-Deutschen, deren Großeltern noch selber “Juda verrecke!” gebrüllt haben. (…)

Das Gewissen mancher arabischen und türkischen Mitbürger schlägt erst aus und dann zu, wenn sich ihre Wut gegen die Juden bzw. Israel richten kann. Erstens weil sie meinen, damit Zustimmung bei den Mitbürgern ohne Migrationshintergrund zu finden, zweitens weil sie sonst keine Gelegenheit haben, Dampf abzulassen und sich bemerkbar zu machen. Wann und wo sonst dürfen verschleierte Frauen bei politischen Demonstrationen mitlaufen?

Der Antisemitismus ist der “Sozialismus der dummen Kerle”, hat August Bebel gesagt, einer der Urväter der SPD. Die dummen Kerle von heute schreien nicht “Heil Hitler”, sondern “Allahu Akbar”. Sie wollen sich nicht von den Fesseln ihrer Traditionen, sondern Palästina von den Juden bzw. Zionisten befreien.

Auch Nicolaus Fest, der Vize-Chef der “Bild am Sonntag”, schreibt heute vom “importierten Rassismus”. Aber während Broder seine Ausführungen noch auf “manche arabische und türkische Mitbürger” beschränkt, geht Fest noch einen Schritt weiter. Einen gewaltigen Schritt. Er schreibt:

Ich bin ein religionsfreundlicher Atheist. Ich glaube an keinen Gott, aber Christentum, Judentum oder Buddhismus stören mich auch nicht.

Nur der Islam stört mich immer mehr. Mich stört die weit überproportionale Kriminalität von Jugendlichen mit muslimischem Hintergrund. Mich stört die totschlagbereite Verachtung des Islam für Frauen und Homosexuelle.

Mich stören Zwangsheiraten, „Friedensrichter“, „Ehrenmorde“.

Und antisemitische Pogrome stören mich mehr, als halbwegs zivilisierte Worte hergeben.

Am Ende seiner Hasspredigt seines Kommentars fragt er:

Ist Religion ein Integrationshindernis? Mein Eindruck: nicht immer. Aber beim Islam wohl ja. Das sollte man bei Asyl und Zuwanderung ausdrücklich berücksichtigen!

Ich brauche keinen importierten Rassismus, und wofür der Islam sonst noch steht, brauche ich auch nicht.

Uff.

Es ist nicht das erste Mal, dass Nicolaus Fest in dieser Weise auffällt. Nicht umsonst werden seine “erstklassigen” Kommentare regelmäßig in rechten Hetzblogs angepriesen; nicht umsonst bescheinigen selbst hartgesottene Moslemhasser, dass sie dieses oder jenes “in dieser Schärfe zu schreiben gar nicht gewagt hätten” oder dass ihnen Fest “langsam unheimlich” werde.

So explizit fremdenfeindlich wie heute war er aber wohl noch nie. Auf Twitter hagelte es auch gleich heftige Kritik, selbst “Bild”-Chef Kai Diekmann distanzierte sich, und mehrere Politiker forderten, “Bild” solle sich für diesen “Schwachsinn” entschuldigen. Fests Reaktion zeugte dann allerdings nur einmal mehr davon, wie hoffnungslos sein Fall ist:

Irgendwann muss aber dann doch mal jemand bei der “BamS” den Verstand eingeschaltet haben, jedenfalls entschuldigte sich die Chefredakteurin Marion Horn heute Abend per Twitter:

Morgen wird außerdem in der Print-“Bild” ein Kommentar von Kai Diekmann erscheinen, der wohl ebenfalls so etwas wie eine Entschuldigung sein soll, auch wenn viele Leser sie nicht als solche erkennen werden. Er schreibt:

Über den Islam sind in den letzten Jahren viele gesellschaftlich wichtige Debatten geführt worden.

Wie tolerant, wie friedfertig ist diese Religion? Wieviel Einfluss sollte der Islam – Glaube von Millionen Menschen in Deutschland – in unserem christlich geprägten Land haben?

Für BILD und Axel Springer gab und gibt es bei all diesen Debatten eine klare, unverrückbare Trennlinie zwischen der Weltreligion des Islam und der menschenverachtenden Ideologie des Islamismus.

Und weiter:

Wer eine Religion pauschal ablehnt, der stellt sich gegen Millionen und Milliarden Menschen, die in überwältigender Mehrheit friedlich leben.

Genau solche Auseinandersetzung entlang religiöser Grenzen wollen wir NICHT. Wir wollen sie nicht führen, nicht befördern und nicht herbeischreiben.

Auf den Kommentar von Nicolaus Fest, der genau das gemacht hatte, geht Diekmann mit keinem Wort ein.*

Aber er schreibt:

Zu welchem Gott die Gläubigen (…) beten, macht keinen Unterschied, darf keinen Unterschied machen. Bei BILD und Axel Springer ist deshalb kein Raum für pauschalisierende, herabwürdigende Äußerungen gegenüber dem Islam und den Menschen, die an Allah glauben.

Wenn er das wirklich ernst meint, muss sich Nicolaus Fest wohl ein neues Hetzblatt suchen.

Siehe auch:

Pressefreiheit, Zensur, Digital-Chaos

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. ” Schwarz-Weiß-Malerei”
(haz.de, Imre Grimm)
Die Hannoversche Allgemeine arbeitet die Diskussion um “Wetten dass…?” auf: „Blackfacing ist keine überdrehte Kopfgeburt wohlmeinender Weltverbesserer, sondern ein komplexes Sujet in der aktuellen Rassismusdebatte.”

2. “ROG veröffentlicht aktuelle Rangliste der Pressefreiheit”
(reporter-ohne-grenzen.de)
Die Organisation “Reporter ohne Grenzen” veröffentlicht ihre alljährliche Rangliste der Pressefreiheit. Die NGO kritisiert den Abbau von Redaktionen in Deutschland, Japan wird wegen des Umgangs mit der Fukushima-Berichterstattung herabgestuft. Update 13:39 Uhr: Aus Versehen haben wir die Pressemitteilung vom Januar verlinkt. Die Jahresbilanz der Organisation wird in Kürze veröffentlicht.

3. „Unsere Zensur ist präventiv“
(taz.de, Julia Niemann)
Die Chefin der israelischen Zensurbehörde (ROG-Rang 112) erklärt ihre Arbeit und die Vereinbarkeit mit einer Demokratie: “Wenn eine Information als Gedanke des Journalisten verkauft wird anstatt als Aussage des Generalstabschefs, dann lasse ich es durchgehen.”

4. “‘Pofalla ist auf jeden Fall dabei’ und weitere Informationen aus gut informierten Kreisen”
(stefan-niggemeier.de, Stefan Niggemeier)
Viele Redaktionen erfreuten ihre Leser mit frühen Einblicken in die Kabinettsliste, insbesondere Spiegel-Leser erfuhren mehr. Auch wenn es nicht stimmte.

5. “Prinzip Chaos in der Digitalpolitik bleibt”
(heise.de, Falk Steiner)
Einen Internetminister wird es in der neuen Bundesregierung nicht geben, stattdessen werden die Kompetenzen auf mehrere Ministerien verteilt. “Bleibt die Hoffnung, dass Koalitionsverträge und Ressortzuständigkeiten vor allem eines sind: Papier”, kommentiert Falk Steiner. Ähnliche Kritik gibt es von FAZ.Net und Sueddeutsche.de.

6. “Das Zeitalter der globalisierten Überwachung”
(internet-law.de, Thomal Stadler)
Rechtsanwalt Thomas Stadler zeigt sich ernüchtert von den politischen Reaktionen auf die Geheimdienstenthüllungen: “Ob sich der Bürger und die von ihm legitimierten Vertreter wieder aus diesem Würgegriff der Geheimdienste befreien können, erscheint ungewiss. Aber ohne massiven Druck der Bürger weltweit wird es nicht gehen.” In die gleiche Richtung argumentiert der Europaabgeordnete Jan Philipp Albrecht, der in der FAZ einen anderen New Deal fordert.

Sonne, Mond und Untergang des Abendlandes

Heute ist Martinstag. Mancherorts wird dieser Gedenktag schon etwas früher begangen, zum Beispiel in Hessen, genauer: in Bad Homburg. Dort sind die Kinder und Eltern einer Kita schon am Donnerstag mit ihren Laternen durch die Straßen gezogen. Dabei war im Grunde alles so wie immer. Bis auf die Tatsache, dass der Umzug diesmal von vielen Medien begleitet wurde — und von Polizisten.

Denn im Vorfeld des Umzuges hatte es eine heftige Diskussion und sogar Drohungen gegenüber den Kita-Mitarbeitern gegeben. Auslöser der Aufregung war ein Bericht in der “Taunus Zeitung”, dem Lokalteil der “Frankfurter Neuen Presse”.

Der verkündete am 30. Oktober:Mond und Sterne statt St. Martin - Homburger Kita benennt das Martinsfest um - Aus Rücksicht auf Mitglieder anderer Kulturkreise wird in der städtischen Kita Leimenkaut nicht mehr St. Martin, sondern das "Sonne-Mond-und-Sterne-Fest" gefeiert. Dafür haben nicht alle Eltern Verständnis.
Der Autor beruft sich darin auf “etliche Eltern”, von denen aber nur ein Vater und eine Mutter zu Wort kommen, beide anonym. Der Vater sagt, es sei “irgendwie eine Durchmischung von Festen”. Und die Mutter behauptet, ihr sei gesagt worden, die Bezeichnung “Sonne-Mond-und-Sterne-Fest” sei “politisch korrekter”.

Zwar wird auch der Stadtsprecher zitiert, der sagt, es gebe keinerlei religiöse Hintergründe für diese Bezeichnung, doch dem wurde offenbar keine große Bedeutung beigemessen. Nicht von der “Taunus Zeitung” — und erst recht nicht vom islamfeindlichen Hetzblog “Politically Incorrect”, das noch am selben Tag schrieb:
Bad Homburg: Kita benennt Martinsfest umOffenbar sind unsere Kultur und unser Brauchtum wirklich etwas Anstößiges, zumindest für alle Rechtgläubigen. Aber anstatt unsere Werte, unsere Feste und Sitten zu verteidigen und hochzuhalten, wird sich weggeduckt und in vorauseilendem Gehorsam alles aufgegeben, was bisher zu unserem Leben gehörte. Nun hat auch eine Kita in Bad Homburg ihren Beitrag zur Abschaffung Deutschlands geleistet.
Von “empörten Eltern” ist dann die Rede und von “Speichelleckerei auf Kosten unserer Traditionen und Werte” und davon, dass “nichts Christliches mehr stattfindet in unseren Kindertagesstätten, Schulen oder auch auf öffentlichen Plätzen”. Der Text endet mit den Kontaktdaten der Kita.

Unter dem Artikel brach innerhalb weniger Minuten ein Sturm der Entrüstung los. Über 150 Kommentatoren warnten vor der “Islamisierung” Deutschlands, forderten den “Widerstand der deutschen Eltern und Bürger” und warfen der Kita-Leitung (im Ernst!) Rassismus vor.

Einen Tag später griff “T-Online” den Fall auf:
"Politisch korrekter" - Kita benennt Sankt-Martin-Fest umIn der Bad Homburger Kita Leimenkaut (Hochtaunuskreis) wird nicht mehr St. Martin, sondern das "Sonne-Mond-und-Sterne-Fest" gefeiert. Wie die Frankfurter Neue Presse (FNP) berichtet, geschieht das offenbar aus Rücksicht auf nicht-christliche Kulturkreise.
Die Kommentarfunktion wurde kurz darauf “wegen zahlreicher menschenverachtender Kommentare” geschlossen.

Was der “T-Online”-Bericht allerdings nicht erwähnt: Die Stadt hatte der Darstellung der “Taunus Zeitung” noch am Abend zuvor vehement widersprochen:
Stadt: Kita Leimenkaut feiert St. Martin - Bad Homburg v.d.Höhe. Die städtische Kindertagesstätte Leimenkaut feiert durchaus St. Martin. Darauf weist die Stadt in einer Pressemitteilung hin.
Darin heißt es, der Name des Festes sei, anders als von der Zeitung behauptet, “niemals offiziell geändert worden, auch wenn von Eltern und Beschäftigten umgangssprachlich ein anderer Name verwendet wird.” Dies gehe “auf ein vergangenes Martinsfest” zurück, “bei dem eine Suppe mit Sonnen, Monden und Sternen als Einlage ausgegeben worden war.”

Die Bezeichnung habe sich dann verselbstständigt und sei intern noch heute gebräuchlich:

Die Kindertagesstätte selbst kündigt den Termin intern unterschiedlich an, in einigen Jahren als St.-Martins-Fest, in diesem Jahr zum Beispiel als Sonne-Mond-und-Sterne-Fest in Verbindung mit einem Martinsfeuer.

Die Stadt teilt mit, weder die Kita-Leitung noch die Verwaltung habe gegenüber Eltern weltanschauliche Gründe für die Bezeichnung geltend gemacht. Es sind von keiner dieser Stellen Aussagen über eine “politisch korrekte” Namenswahl gemacht worden.

Schließlich hält die Stadt fest:

Die Kindertagesstätte Leimenkaut wird auch weiter St. Martin feiern – und wenn jemand das als “Sonne-Mond-und-Sterne-Fest” bezeichnen möchte, darf er das auch weiterhin tun.

Klingt nach einem versöhnlichen Ende, mit dem eigentlich alle zufrieden sein könnten. Aber nein — jetzt ging’s erst richtig los.

“Politically Incorrect” schoss nochmal nach und zeigte sich “in keinster Weise” überzeugt von den Argumenten der “rückgratlosen Gutmenschen”. Erneut stimmten die Kommentatoren wutschnaubend zu. Und erneut endete der Text mit der E-Mail-Adresse eines Stadt-Mitarbeiters — eine Masche, die genau das bewirkte, was sie bewirken sollte: Kita-Leitung und Stadt erhielten Hunderte von anonymen Mails, in denen die Verantwortlichen beleidigt und bedroht wurden: “Wir werden Eure Hütte verbrennen. Wir werden Euch niederschlagen”, zitierte der Sozialdezernent später daraus.

Inzwischen hatten auch andere Medien Wind von der Sache bekommen. Und obwohl viele von ihnen auch auf die Stellungnahme der Stadt eingingen, wurde in den meisten Überschriften und Anreißern trotzdem suggeriert, die Kita hätte das Fest offiziell umbenannt oder gar abgeschafft:

“Focus Online”:
"Sonne, Mond und Sterne"-Fest - Kita benennt Sankt-Martins-Fest um - In Bad Homburg heißt das Sankt-Martins-Fest nicht mehr wie früher. Eine städtische Kita feiert lieber das "Sonne-Mond-und-Sterne-Fest". Angeblich sollte sich niemand diskriminiert fühlen.

“Junge Freiheit”:
Bad Homburger Kita benennt Sankt-Martin-Fest um

“Berliner Kurier” und “Hamburger Morgenpost”:

Deutsche Kita schafft Sankt Martin ab

Handelsblatt.com:Kuriose Umbenennung - Aus Sankt Martin mache Sonne-Mond-und-Sterne-Fest

“Express”:

Kita schafft Sankt Martin ab

FAZ.net:
Bad Homburg - Kindergarten wegen Umbenennung des Martins-Fest bedroht - Weil in einem Kindergarten in Bad Homburg vor Jahren zum Martinsfest Sonne-, Mond- und Sterne-Nudeln gereicht wurden, soll das traditionelle Fest nun anders heißen. Den Kita-Mitarbeiter wird seitdem Gewalt angedroht.

Bild.de:
WEIL ES ANGEBLICH DISKRIMINIEREND IST - Kita will St. Martin abschaffen

Ksta.de:
MARTINS-FEST UMBENANNT - Kita-Mitarbeiter mit Gewalt bedroht - Ein städtischer Kindergarten im hessischen Bad Homburg hat das Sankt-Martins-Fest in Sonne-Mond-und-Sterne-Fest umbenannt. Jetzt werden Kita-Mitarbeiter mit Gewalt bedroht, nachdem ein rechter Blog das Thema aufgegriffen hatte.

Jene Leute, die beim Streifzug durch die Medien nur die Überschriften und Teaser lesen (und das sind erfahrungsgemäß nicht gerade wenige), mussten also davon ausgehen, dass die Kita das Fest tatsächlich offiziell umbenannt hat. Darunter auch einige Journalisten, die selbst mehrere Tage nach der Stellungnahme der Stadt in ihren Artikeln ohne jede Einschränkung behaupteten, die Kita feiere aus Gründen der politischen Korrektheit “statt Sankt Martin ein ‘Sonne-Mond-und-Sterne-Fest'”.

Die Folge: Auch von den Lesern der seriösen Medien wurde die Kita in unzähligen Kommentaren und Leserbriefen attackiert — oder aber in Stellungnahmen von Politikern, die plötzlich überall auftauchten. So bezeichnete ein CDU-Politiker es als “absoluten Unsinn”, dass die Kita den St. Martinsumzug “nur noch ‘Sonne-Mond-und-Sterne-Fest’ nennen” wolle. Das sei “mehr als eine Farce” und eine “hirnrissige Idee” und so weiter. Ein weiterer CDU-Mann warf der Stadt vor, den Vorfall “herunterzuspielen” und bescheinigte den “Wortschöpfern” ein “zerrüttetes Verhältnis zu Glaube und christlicher Tradition”.

Die “Taunus Zeitung” beharrte weiter auf ihrer ursprünglichen Darstellung und schrieb von einem “fragwürdigen Auftritt” des Stadtrats Dieter Kraft (Grüne), der bei einer “emotionalen Ansprache” einen “Journalisten der Taunus Zeitung öffentlich an den Pranger” gestellt habe. Die Suppen-Geschichte wollen die Journalisten der “Taunus Zeitung” der Stadt einfach nicht glauben — auch nicht die Alternativversion, wonach der Name “Sonne-Mond-und-Sterne-Fest” sich auf das bekannte Kinderlied “Laterne, Laterne, Sonne, Mond und Sterne” beziehe. Andererseits bleibt der einzige Beleg für die Theorie, dass die Kita dem Fest aus politischer Korrektheit einen neuen Namen geben wollte, weiterhin nur die anonyme Behauptung einer einzelnen Mutter.

Wessen Version nun stimmt, lässt sich wohl nicht abschließend klären. Der Laternen-Umzug der Kita hat jedenfalls vor ein paar Tagen wie geplant stattgefunden — inklusive Medienrummel und Polizeischutz. Zum Glück blieb alles friedlich.

Dieser Fall erinnert ein wenig an die Geschichte, in der es vor zwei Monaten hieß, Berlin-Kreuzberg wolle Weihnachten verbieten: Damals erzählten die Zeitungen nur die halbe Wahrheit, die Politiker polterten gleich los, und die rechte Ecke hatte genug Stoff, um “Christenhasser!” zu schreien und Stimmung gegen Ausländer zu machen.

Um es gar nicht so weit kommen zu lassen, täten Journalisten, Politiker, Kirchenvertreter und Leser also gut daran, sich bei solchen Debatten in Zukunft gründlich zu informieren — und vielleicht einfach mal ein bisschen entspannt zu bleiben. So wie die Eltern, deren Leserbrief die “Taunus Zeitung” einen Tag vor dem Laternen-Umzug der Bad Homburger Kita abgedruckt hat:

Wir feiern in dieser Woche mit der Kita Leimenkaut und hoffentlich allen Kindern wie geplant – und nebenbei wie in jedem Jahr seit unsere Kinder die Einrichtung besuchen – Sankt Martin mit den dazugehörigen Liedern, Laternenumzug, Martinsfeuer, aber ohne Pferd, denn das erlaubt die Versicherung nicht. Welchen Titel die Veranstaltung dabei trägt, spielt keine Rolle und ändert am Inhalt nichts. Und am Abend essen wir eine gute selbstgemachte Suppe, vielleicht sogar mit Nudeln in Form von Sonnen, Monden und Sternen, denn das mögen unsere Kinder gerne.

Mit Dank auch an Thomas, Kevin S., Erik G. und Johnny K.

Michael Hanfeld, taz, Twerk Fail

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Jimmy Kimmel Reveals ‘Worst Twerk Fail EVER – Girl Catches Fire’ Prank”
(youtube.com, Video, 5:06 Minuten, englisch)
Jimmy Kimmel enthüllt die Hintergründe über das am 3. September hochgeladene Video “Worst Twerk Fail EVER – Girl Catches Fire!”, das bereits über zehn Millionen mal angesehen und auch von mehreren Medien aufgegriffen wurde.

2. “FAZ prangert Verschwendung in der ARD an – dabei ist alles noch viel schlimmer”
(udostiehl.wordpress.com)
Udo Stiehl beschäftigt sich mit den “34 – im weitesten Sinne – Sportjournalisten der ARD”, die gemäß Michael Hanfeld in der FAZ zur Wahl des IOC-Präsidenten in Buenos Aires akkreditiert waren.

3. “Monokultur in den Chefetagen”
(taz.de, René Martens)
René Martens blickt auf sich ankündigende Personalwechsel beim WDR: “Als sicher gilt, dass Jörg Schönenborn, seit mehr als einem Jahrzehnt Chefredakteur des WDR Fernsehens, befördert wird. Zudem könnte Jochen Rausch, der Chef des erfolgreichen Radioprogramms 1Live, auf den Hörfunkdirektorenposten klettern. Als geeignet für diesen Top-Job gilt auch Jona Teichmann, Leiterin der Landesprogramme im Hörfunk. Die ist aber ‘ausgerechnet’ (Süddeutsche Zeitung) mit Schönenborn verheiratet. Andere Frauen stehen offenbar nicht zur Debatte.”

4. “… und mit kleinem Penis regiert man schlechter?”
(welt.de, Kritsanarat Khunkham)
Kritsanarat Khunkham stört sich an den “an Bösartigkeit kaum zu überbietenden” Fragen, die Philipp Rösler von der “taz” gestellt wurden. Im Artikel “Rassismus-Streit zwischen Rösler und der ‘Taz'” (welt.de, Thomas Vitzthum) ist weiter zu lesen: “‘Das Interview war keineswegs unter dem Stichwort ‘Hass’ angefragt, wie ‘Taz’-Chefredakteurin Ines Pohl behauptet’, sagte ein Parteisprecher der ‘Welt’. Vereinbarter Schwerpunkt sei vielmehr ‘Stil und Anstand im Wahlkampf’ gewesen.”

5. “Unwahrheiten in der taz”
(alexanderdilger.wordpress.com)
Aufgrund “falscher Tatsachenbehauptungen” schaltet Alexander Dilger einen Anwalt ein, der “die taz abmahnt und die Abgabe einer Unterlassungserklärung sowie einen Widerruf verlangt”. Der Artikel wird gelöscht und mit einer Richtigstellung (“Das war alles falsch. Entschuldigung.”) ersetzt.

6. “Achtjähriges jemenitisches Mädchen stirbt nach Zwangsheirat und erzwungenem Sex – Versuch eines Faktenchecks”
(kyriacou.ch)

Bild  

Die Wahrheit über die Wahrheit über Roma

Seit einigen Tagen erzählt die “Bild”-Zeitung ihren Lesern …Die WAHRHEIT über ROMA in DEUTSCHLAND

Oder zumindest gibt sie vor, das zu tun. Im großen “Bild-Report” schickt das Blatt seine Leute zum Besuch ins “Roma-Haus”, stellt Fragen wie “Droht Deutschland eine Roma-Welle?” und erklärt, warum man Roma sein und es “trotzdem” schaffen kann.

Den Grund für das plötzliche Interesse an der “Roma-Welt” erklärt “Bild” so:

Die Diskussion um Armutsflüchtlinge aus Südosteuropa beschäftigt die Politik. Im Mittelpunkt der Debatte steht die Minderheit der Roma. Ab 2014 gilt für rund 1,5 Millionen Roma aus Rumänien und Bulgarien die “Arbeitnehmerfreizügigkeit”. Die Befürchtung der Politik: Viele kommen wegen Sozialleistungen nach Deutschland.

Diese Befürchtungen hatten diverse Politiker zuvor panisch kundgetan — an medialen Plattformen, auf denen sie ihre markigen Sprüche verbreiten konnten, mangelte es freilich nicht. Allen voran “Bild” verkündete jedes Mal ganz hektisch, wenn irgendwer irgendwo wieder ein düsteres Roma-Szenario gezeichnet hatte.

Am 1. März berichtete “Bild” in der Bremer Regionalausgabe über den SPD-Politiker Martin Korol:

(…) Es wird geprüft, ob gegen den Bürgerschafts-Abgeordneten wegen Volksverhetzung ermittelt werden muss. Korol zu BILD: “Das tut schon weh.” Auf seiner inzwischen abgeschalteten Homepage warnte der Abgeordnete mit drastischen Worten vor Roma-Einwanderer aus Rumänien und Bulgarien: “Sie kommen aus einer archaischen Welt. Väter haben keine Hemmungen, ihre Kinder zum Anschaffen und Stehlen statt zur Schule zu schicken. Sie schlagen ihren Frauen die Zähne aus, gönnen nur sich selbst Stahlzähne. Viele jungen Roma-Männer schmelzen sich mit Klebstoffdünsten das Gehirn weg.”

(…) Einige Sozialdemokraten stempeln Korol als fremdenfeindlich und rassistisch ab.

“Bild” hatte aber offenbar Zweifel an diesem “Stempel” und fragte:

…oder hat er DOCH Recht?

Bremerhaven – Schon vor dem Skandal um Dr. Martin Korol (SPD) waren die Armutseinwanderer ein politisch brisantes Thema.

Die Wählervereinigung “Bürger in Wut” (BiW) stellte dazu vor zwei Wochen eine Anfrage an den Bremerhavener Magistrat. Der Vorsitzende Jan Timke (42): “Wir haben gestern die erschütternden Antworten bekommen.”

Am 31.12. 2012 lebten 481 bulgarische Armutsflüchtlinge in der Seestadt. Auf ihr Konto gingen im vergangenen Jahr 195 Straftaten. Der Abgeordnete und ehemalige Polizeibeamte Timke: “Fast jeder zweite Roma ist kriminell. Dabei geht es nur um die aufgeklärten Fälle. Die Dunkelziffer wird viel höher sein.” Besser sind die Zahlen bei den Flüchtlingen aus Rumänien. Von den 208 Roma, die in der Seestadt leben, wurden 25 bei Straftaten erwischt.

Was “Bild” hier verschweigt: Die Wählervereinigung “Bürger in Wut” bezeichnet sich selbst zwar als “bürgerlich-konservativ”, gilt aber als rechtspopulistisch. Das erklärt auch, warum Timke die Antwort des Magistrats, die BILDblog vorliegt, offenbar absichtlich falsch interpretiert. Seine Darstellung, die sich “Bild”-Mann Holger Bloehte mehr oder weniger zueigen macht, ist in nahezu jeder Hinsicht verzerrt.

Zunächst einmal: Es stimmt zwar, dass “zum Stichtag 31.12.2012” in Bremerhaven 481 Bulgaren und 208 Rumänen gemeldet waren. Der Magistrat spricht aber explizit von rumänischen bzw. bulgarischen “StaatsbürgerInnen”. Wie viele davon tatsächlich Roma sind, geht aus den Zahlen gar nicht hervor.

Ebenso falsch ist es, wenn “Bild” behauptet, die “195 Straftaten” gingen auf das “Konto” der 481 Bulgaren – denn die Zahl 195 ergibt sich aus der “Auswertung der Gesamtzahl der Straftaten (…) bulgarischer StraftäterInnen”. Sie wurden also das gesamte Jahr über gezählt.

Die Aussage, “fast jeder zweite Roma” sei kriminell, ist also doppelt falsch. Nicht nur, weil sich aus den Zahlen, wie gesagt, keinerlei Rückschlüsse auf “die Roma” ziehen lassen, sondern auch, weil die 195 von Bulgaren begangenen Straftaten nicht in Relation zu den 481 Bulgaren zu setzen sind (was im Übrigen 40,5 Prozent wären, also längst nicht “fast jeder zweite”), sondern zu der Gesamtzahl aller Bulgaren, die irgendwann im Jahr 2012 mal in Bremerhaven gewohnt haben. Ebenso verhält es sich mit den 25 Straftaten, die den 208 (rumänischen) “Roma” zugeschrieben werden.

Und schließlich lässt sich den Zahlen des Magistrats auch nicht entnehmen, dass Roma ihren Frauen die Zähne ausschlagen, ihre Kinder zum Anschaffen schicken und sich das Gehirn mit Klebstoff wegschmelzen, wie der SPD-Politiker Korol pauschal behauptet hatte. Über die Art der 195 Straftaten ist nämlich nichts bekannt.

Aber all das lässt der “Bild”-Autor Holger Bloehte unerwähnt. Wenn man ihm nicht unterstellen möchte, dass er die falsche Interpretation der Zahlen bewusst so übernommen hat, muss man davon ausgehen, dass er die Antwort des Magistrats gar nicht gelesen und die offenkundig rechtspopulistischen Äußerungen des Politikers einfach nachgeplappert hat, ohne sie selbst zu überprüfen.

Auch andere “Bild”-Autoren verbreiten vermeintliche Roma-“Wahrheiten”, die sie entweder bewusst verzerrt oder einfach nicht genügend recherchiert haben. Gestern präsentierte “Bild” groß auf Seite 2:Die 6 Wahrheiten über ROMA in Deutschland

“Wahrheit” Nummer 3 lautet:

Die Kriminalität steigt

Die Kriminalstatistik 2011 weist unter den “nichtdeutschen Tatverdächtigen” 26 438 Rumänen, 10 960 Bulgaren aus. Vergleich: 2007 lagen die Zahlen noch bei 15040 bzw. 3923. Aber: Wie viele davon Roma sind, wird statistisch nicht erfasst!

Was die Autoren nicht erwähnen: Damals gab es auch deutlich weniger Rumänen und Bulgaren in Deutschland. Von 2007 bis 2011 hat sich ihre Anzahl sogar verdoppelt. Dass damit auch die (absolute) Zahl der Tatverdächtigen ansteigt, ist kein Wunder. Relativ gesehen zeigt sich allerdings, dass der Prozentsatz der Tatverdächtigen unter den Bulgaren seit 2007 tendenziell sogar gesunken ist.

(Für diese Einschätzung haben wir uns an den Statistiken des Ausländerzentralregisters orientiert, wozu angemerkt werden muss, dass diese ebenfalls lediglich die an einem Stichtag in Deutschland gemeldeten Bulgaren und Rumänen erfassen.)

Der Vergleich, den “Bild” hier vornimmt, lässt ohnehin keine Rückschlüsse auf die tatsächliche Entwicklung der Kriminalität zu. In der Kriminalstatistik heißt es ausdrücklich:

Diese Daten [zur “Entwicklung der Tatverdächtigenanteile Nichtdeutscher”] dürfen nicht mit der tatsächlichen Kriminalitätsentwicklung gleichgesetzt werden.

Ein Grund dafür ist, dass in dieser Statistik beispielsweise auch strafunmündige Kinder unter 14 Jahren erfasst werden oder jene Menschen, die “wegen Tod, Krankheit oder Flucht nicht verurteilt werden” können. Zudem hat es im Jahr 2009 eine “systematische Umstellung” bei der Erfassung dieser Daten gegeben, weshalb das Innenministerium mehrmals betont, dass man die Zahlen ab 2009 nicht mehr mit den jenen aus den Vorjahren vergleichen kann. Kurzum: Dass “die Kriminalität steigt”, wie “Bild” behauptet, lässt sich, zumindest anhand der Kriminalstatistik, keinesfalls belegen.

Kommen wir zum Schluss nochmal zurück zu Martin Korol, dem eingangs erwähnten SPD-Politiker aus Bremen. Der tauchte wenige Tage nach seinen umstrittenen Äußerungen noch einmal in “Bild” auf — als “Verlierer” des Tages. Dort heißt es:

Der Bremer Bürgerschaftsabgeordnete Martin Korol (68, SPD) giftete auf seiner Internetseite gegen Roma (…). Dafür droht Korol nun ein Parteiordnungsverfahren – und der Rauswurf aus der SPD.

BILD meint: Erst denken, dann reden.

BILDblog meint: genau.

Mit Dank an den Hinweisgeber.

Nachtrag, 8. März: Die Aussage, “fast jeder zweite Roma” sei kriminell, ist nicht nur doppelt, sondern dreifach falsch. Denn der Magistrat spricht von der Anzahl der Straftaten – nicht der Straftäter. Die Polizei Bremerhaven hat uns auf Anfrage bestätigt, dass es durchaus möglich ist, “dass jeweils ein Täter mehrere dieser Straftaten begangen hat”. Die 195 Straftaten, die “Bild” hier den 481 bulgarischen Personen zuschreibt, könnten also theoretisch auch nur von zehn, zwanzig oder auch nur von einem (kriminell besonders aktiven) Bulgaren begangen worden sein. Danke an die vielen, vielen Hinweisgeber!

Nachtrag, 19. März: Jan Timke hat uns zwischenzeitlich geschrieben. Der Vorsitzende der “Bürger in Wut” erklärt, “Bild Bremen” habe seine Äußerungen “unzutreffend zitiert”:

[In der Anfrage an den Magistrat] beziehen wir uns durchgängig auf rumänische und bulgarische Staatsbürger, nicht auf Roma. Der Begriff Roma taucht in unserer Anfrage an keiner einzigen Stelle auf. Davon ausgehend habe ich auch gegenüber dem Redakteur der BILD ausdrücklich von Rumänen und Bulgaren gesprochen. Warum in dem Artikel dennoch von Roma die Rede ist, erschließt sich mir nicht.

Und in der Tat: Sowohl in der Anfrage an den Magistrat als auch in dessen Antwort ist ausschließlich von “rumänischen und bulgarischen Staatangehörigen” die Rede. Timke schreibt weiter:

Die Aussage, die Hälfte dieser Zuwanderer sei kriminell, habe ich ebenfalls nicht getan. Denn auch das geben die Zahlen nicht her, wie Herr Schönauer zutreffend ausführt. Wie Sie aus der beigefügten Anfrage ersehen können, hatten wir uns unter Ziffer 10. nach der Zahl der Straftäter erkundigt. Der Magistrat hat dagegen in seiner Antwort die Zahl der von Rumänen und Bulgaren im fraglichen Zeitraum begangenen Delikte genannt. Möglicherweise erklärt dieser Umstand den Fehler auf Seiten der BILD-Redaktion, der ich das Dokument im Vorfeld zur Verfügung gestellt hatte.

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