1. Bärs Büroleiterin wechselt zu Facebook (n-tv.de)
Die Büroleiterin von Digitalstaatsministerin Dorothee Bär wechselt nach Informationen des “Handelsblatts” (nur mit Abo lesbar) ansatzlos, das heißt ohne Karenzzeit, die Seiten: Vom Ministerialbüro, bei dem auch Facebook ein Thema gewesen sein muss, geht es direkt zu, man ahnt es schon, Facebook. Die umtriebige Büroleiterin hat bereits Erfahrungen mit derartigen Wechseln und ist privat mit Andreas Scheuer liiert, der als Minister unter anderem für die digitale Infrastruktur zuständig ist.
2. “Welt”-Redakteur bedauert “extrem zugespitzte Formulierung” über Drosten (uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Ein leitender “Welt”-Redakteur hat unter seinem eigenen Welt.de-Beitrag einen Kommentar abgegeben, in dem er den Virologen Christian Drosten bezichtigte, “wahrscheinlich Hunderttausende Menschenleben auf dem Gewissen” zu haben (der Kommentar wurde mittlerweile gelöscht). Der Medienkritiker Stefan Niggemeier hat sich die weiteren Behauptungen des Redakteurs zum Thema Corona angeschaut, die nicht weniger verstörend sind.
3. Gratwanderung zwischen Journalismus und Aktivismus (deutschlandfunk.de, Michael Borgers, Audio: 4:50 Minuten)
Der “Stern” hat eine Petition zum Thema Pflege gestartet, die mittlerweile von über 200.000 Leuten unterschrieben wurde. Die Aktion wird recht unterschiedlich bewertet: Einige begrüßen die Initiative, anderen ist sie zu aktionistisch. Beim Deutschlandfunk kommen beide Seiten zu Wort.
4. Das große Schweigen (taz.de, Juri Sternburg)
Die “Welt” leistet sich mit “Don Alphonso” einen Kolumnisten, der von vielen Menschen als Gefahr empfunden wird: “Die Namen der Opfer: Wer sie sucht, findet sie. Es sind Journalist*innen, Politiker*innen, deren Mitarbeiter*innen. Nach Erwähnung durch Don Alphonso sahen sie sich laut eigener Aussage mit Telefonterror und Morddrohungen konfrontiert. Sie berichten von Schmähungen, Beleidigungen, von beruflichen wie privaten Folgen.” Wie kann es sein, dass so jemand in der Jury des Medienpreises des Bundestags sitzt, fragen sich viele. Juri Sternburg hat sich bei den anderen Jury-Mitgliedern umgehört, ob ihnen in den Sinn gekommen ist, die Jury zu verlassen.
Zusatzhinweis: Die mit dem Medienpreis des Bundestages ausgezeichneten “SZ”-Autoren Nico Fried und Boris Herrmann gehen mit dem Thema auf eine Weise um, die für sich spricht: “Wir nehmen den Preis gerne entgegen, auch aus Respekt vor dem Bundestag und dessen Präsidium. Das Preisgeld werden wir der Organisation HateAid spenden.”
5. Holzner will mehr Kooperation: “Wir machen vieles doppelt und dreifach” (dwdl.de, Torsten Zarges)
Gabriele Holzner ist Programmdirektorin und Vize-Intendantin des Hessischen Rundfunks. Im Interview mit “DWDL” spricht sie unter anderem über die Senderstrategie, lineare Formate nur noch für eine eingeschränkte Zeitschiene zu entwickeln und auszuspielen. Alle anderen Redaktionen würden für die Onlinekanäle produzieren: “Sie erhalten den bewussten Auftrag, neue Formate für die Mediathek zu entwickeln bzw. bestehende im Hinblick auf die Mediathek weiterzuentwickeln. Diese Formate sollen vor allem in der Mediathek performen, sie werden nicht mehr für einen linearen Sendeplatz produziert, sondern der lineare Sendeplatz ist fortan die Zweitverwertung.”
6. Der Aufstieg der Murdoch-Dynastie (arte.tv, Jamie Roberts, Video: 50:04 Minuten)
In der Arte-Mediathek gibt es eine dreiteilige Doku über den australischen Multimilliardär und Medienmogul Rupert Murdoch, der als mächtigster Mann der Medienwelt gilt. Die BBC-Produktion zeichnet Murdochs Weg von seinen Anfängen in der australischen Regionalpresse bis an die Spitze eines global agierenden Familienimperiums nach. Oben verlinkt ist Teil 1 (“Der Königsmacher”). Hier die Links zu den Teilen 2 und 3:
1. Kabinett billigt Gesetzentwurf für Urheberrechtsreform (zeit.de)
Nach einigem Ringen hat die Bundesregierung den umstrittenen Gesetzentwurf zur Überarbeitung des Urheberrechts auf den Weg gebracht. Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) sprach von der “größten europäischen Urheberrechtsreform der letzten 20 Jahre”. Verbraucherschützerinnen und Datenschützer sind weniger begeistert. Siehe dazu auch den Beitrag von Kristin Becker aus dem ARD-Hauptstadtstudio: Kritik von allen Seiten. Auf Twitter verlinkt der Youtuber Rezo einen ebenfalls lesenswerten “Spiegel”-Beitrag über die Urheberrechtsreform und merkt an: “Kampagnen (samt Desinformation) der Presseszene haben gewirkt. PolitikerInnen haben eigene Grenzen immer mehr aufgeweicht. Ergebnis: Wenn du als PRIVATPERSON diesen Tweet zitierst, würde er von Uploadfiltern geblockt werden. Lost.”
2. Wirecard gegen die Medien (youtube.com, Inga Mathwig & Nils Altland, Video: 12:55 Minuten)
NDR, WDR und “Süddeutscher Zeitung” liegen interne Mails, Chats und Rechnungen der Firma Wirecard vor, die sich mit kriminellen Methoden zum milliardenschweren Zahlungsdienstleister hochgeschwindelt haben soll. Die Unterlagen, von denen das Medienmagazin “Zapp” berichtet, zeigen: Die Firma verwandte viel Geld und Energie auf Überlegungen, wie man kritische Journalistinnen und Journalisten beobachten und mit Schmutzkampagnen diskreditieren kann.
3. WDR wollte mit Klischees Quote machen (belltower.news, Nicholas Potter)
In einer Ausgabe der WDR-Talkshow “Die letzte Instanz” machten sich Gäste über Rassismus lustig und reproduzierten antiziganistische Ressentiments. “Belltower News” hat mit Romani Rose, dem Vorsitzenden des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, über den Fall gesprochen: “Ich habe mir im Nachhinein die Sendung angeschaut. Ich war fassungslos über diese Form der Diskussion und die Arroganz der Anwesenden. Absicht will ich nicht unterstellen. Man kann das ganze Verhalten der Verantwortlichen nur mit Dummheit erklären.”
4. Warum Science-Influencer so oft geklickt werden (deutschlandfunk.de, Annika Schneider, Audio: 5:08 Minuten)
Der 27-jährige Wissenschaftler Jacob Beautemps hat auf Youtube mehr als eine Viertelmillion Follower. Auf seinem Kanal “Breaking Lab” erklärt er regelmäßig naturwissenschaftliche Themen und berichtet über technologische Entwicklungen. Eine Studie der Uni Trier hat festgestellt, dass Science-Influencer und -Influencerinnen wie Beautemps oder Mai Thi Nguyen-Kim häufiger geklickt werden als Inhalte von Unis und Forschungseinrichtungen. Und, dass es dafür Gründe gibt.
5. Warum Tweets von “Welt”-Autor Don Alphonso immer noch zu Hass und Morddrohungen führen (volksverpetzer.de)
Wenn der “Welt”-Autor Rainer Meyer (“Don Alphonso”) twittert, führt das immer wieder zu Hasskampagnen gegen die von ihm negativ erwähnten Personen. Gelegentlich sei es auch zu Morddrohungen gekommen. Das Team vom “Volksverpetzer” ist der Sache nachgegangen: “Wir analysieren die neusten Diskussionen rund ums Thema und erneuern unsere Twitter-Daten-Analyse von letztem Jahr, die erneut zeigt warum das so ist: Don Alphonsos Twitter Blase ist immer noch voll mit Rechtsradikalen. Er weigert sich nach wie vor, diese zu blocken.”
Weiterer Lesehinweis: Auch in der “Zeit” fragt man unter der Überschrift “Markierte Zielperson”: “Ist der Blogger Don Alphonso dafür verantwortlich, dass Menschen, über die er schreibt, anschließend von Rechten bedroht werden?” (zeit.de, Antonia Baum).
6. Esser wird nach Protesten nicht neuer Medienchef beim 1. FC Köln (wdr.de)
Gerade erst hat der Fußballverein 1. FC Köln die Verpflichtung seines neuen Medienchefs Fritz Esser bekanntgegeben, da muss er auch schon zurückrudern: “Wir bitten alle Mitglieder und Fans um Entschuldigung. Wir haben Herrn Esser als integren Menschen mit demokratischem Wertegerüst kennengelernt. Dennoch haben wir uns nach intensivem Austausch entschieden, auf die Zusammenarbeit zu verzichten.” Esser hatte sich in der Vergangenheit anscheinend negativ über FC-Fans geäußert und öffentlich AfD-nahe Positionen vertreten. Die Personalentscheidung sorgte bei Anhängern des Klubs für Entsetzen. Ein in diesem Zusammenhang interessanter Aspekt: “Esser, der zuletzt für die DB-Tochter Schenker Logistics den Newsroom leitete, arbeitete zuvor neun Jahre für die Bild-Zeitung. Dort vertrat er immer wieder Positionen, die viele der protestierenden FC-Fans nicht für vereinbar mit den Werten des Klubs halten.”
1. Nur ein müder Kompromiss (taz.de, Erica Zingher)
Der Streamingdienst Disney+ hat einige seiner Filmklassiker wie “Das Dschungelbuch”, “Aristocats”, “Peter Pan” oder “Dumbo” mit Warnhinweisen zu rassistischen Stereotypen versehen (weiterführende Erklärungen liefert der Konzern auf seiner auf englischsprachigen Website.) “taz”-Redakteurin Erica Zingher reicht das nicht: “Man kann diesen Weg als müden Kompromiss werten. Als einen Kompromiss zwischen der Fraktion, die ‘Cancel Culture’ schreit und der, die zurecht rassistische Inhalte verurteilt. Müde ist das alles, weil es sich Disney damit zu einfach macht. Die Zielgruppe der Cartoons, also Kinder, wird mit Hinweisen sicher nicht erreicht. Die Verantwortung aufzuklären, überträgt Disney damit auf die Eltern – und ist selbst fein raus.”
2. Sprachforscher erklärt: Darum fällt es manchen Menschen so schwer, nicht mehr “Zigeunersoße” zu sagen (rnd.de, Geraldine Oetken)
In dem WDR-Talk “Die letzte Instanz” konnte man erleben, wie hochemotional um die Verwendung von diskriminierenden Worten gerungen wird. Woran liegt das? Der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch vermutet zwei Gründe: “Zum einen setzen Debatten in den Medien wie auch bei ‘Die letzte Instanz’ stark auf Konfrontation und auf ein Für und Wider. Andererseits fühlen sich viele schnell durch die Diskussion angegriffen. Das merkt man daran, dass die dann gleich verteidigend sagen: ‘Ich bin kein Rassist.’ Aber darum geht es ja gar nicht. Man kann rassistisch handeln, ohne ein Rassist zu sein.”
Weiterer Lesehinweis in eigener Sache: Der “6 vor 9”-Kurator kommentiert auf Twitter das Statement von Moderator Steffen Hallaschka: “In der Politik und der Öffentlichkeitsarbeit kommt es immer wieder zum Phänomen der ‘Nonpology’. Darunter versteht man eine Entschuldigung ohne echte Reue. Das Ziel: Vergebung ohne Schuldanerkenntnis. Dieses Statement zu #DieletzteInstanz ist ein schönes Beispiel dafür.”
3. Clubhouse mag dein Telefonbuch wirklich gern (zerforschung.org)
Das Team von “Zerforschung” hat sich auf Reverse Engineering spezialisiert: das Auseinandernehmen von bereits bestehenden Systemen, um deren Funktionsweise zu untersuchen. Neuestes Produkt des Interesses: Die Audio-Chat-App Clubhouse, die auch wegen ihres mangelnden Datenschutzes ins Gerede gekommen ist. Nach einem Blick in den Quellcode der Anwendung stehe fest: “Jedes mal, wenn man das Invite-Tab öffnet, werden alle Telefonnummern aus dem Adressbuch hochgeladen.”
Zu den Datenschutzproblemen der App zwei Links aus dem Archiv: “Der Verbraucherzentrale Bundesverband wirft der neuen Social-Media-App gravierende rechtliche Mängel vor. In einer Abmahnung geht es auch um Datenschutz.” – Verbraucherschützer mahnen Clubhouse ab (zeit.de).
“Ein Hamburger Sicherheitsexperte hat dem SPIEGEL eine Reihe von Schwachstellen in der App Clubhouse demonstriert. Sie erlauben es, Nutzer gezielt auszusperren, massenhaft Daten abzufragen und zufällige Konten zu kapern.” – Clubhouse bietet Hackern zahlreiche Angriffsmöglichkeiten (spiegel.de, Patrick Beuth).
4. RUMS, das Online-Magazin für Münster (wdr.de, Hilka Sinning, Video: 3:35 Minuten)
In Münster sorgt ein junges Digital-Angebot für mehr journalistische Vielfalt in der Region. Das Online-Magazin “Rums” (für das auch BILDblog-Autor Ralf Heimann arbeitet) startete mitten im ersten Lockdown und konnte sich trotz der erschwerten Bedingungen behaupten. “Westart” hat das ambitionierte Projekt besucht, das bereits als Vorbild für neue Formen von Lokaljournalismus gehandelt wird.
5. Gemeinsam gegen Netflix (faz.net, Conrad Heberling)
Der Erfolg der Streaming-Plattformen hat dazu beigetragen, die Dominanz der US-amerikanischen Filmwirtschaft zu verstärken: “Es scheint uns gleichgültig zu sein, dass wir mit unseren monatlichen Abogebühren dazu beitragen, dass diese Multis unsere deutsch-europäische Mediengesetzordnung unterlaufen und gigantische Umsätze und Gewinne machen, die sie nicht einmal in Deutschland, geschweige denn in Europa versteuern.” Conrad Heberling hat die Situation analysiert und überlegt, wie eine Lösung aussehen könnte.
6. Raus aus dem Kaiserreich (sueddeutsche.de, Wolfgang Görl)
Die Bezeichnung der kunstgeschichtlichen Epoche Jugendstil geht zurück auf die von Georg Hirth 1895 in München gegründete illustrierte Kulturzeitschrift “Jugend”. Wolfgang Görl erinnert schwelgerisch an die für damalige Zeiten revolutionäre Kunst- und Literaturzeitschrift: “Von Anfang an begeistert die Jugend ihr Lesepublikum mit anspruchsvollen Layouts, man legt Wert auf preziös illustrierte Seiten und plakative Titelblätter, auf denen oft junge und schicke Menschen zu sehen sind, gestaltet in spielerisch verschnörkelten Linien und umflort von Blütendekor, mal in leichtstoffigen, dem Spiel des Windes folgenden Wallegewändern, mal nackt auf langmähnigen Pferden reitend, und es wimmelt nur so von Seejungfrauen und Sartyrn [sic], deren dekorative Körper sich räkeln und winden, während im verträumten Blick etwas pikant Frivoles aufblitzt.”
1. Rock’n Roll im Ausverkauf (sueddeutsche.de, Joachim Hentschel)
Joachim Hentschel hat selbst viele Jahre für die deutsche Ausgabe des “Rolling Stone” geschrieben. Es trifft ihn daher besonders, wenn das US-amerikanische Mutterhaus neuerdings Artikel von Interessenvertretern aus der Wirtschaft untermischt und sich dafür bezahlen lässt. Wer beim “Rolling Stone” einen werbenden beziehungsweise interessengeleiteten Text unterbringen wolle, müsse zahlendes Mitglied in einem extra dafür geschaffenen “Club” werden: “Was der Verlag hier beabsichtigt, erscheint klar: Analog zu den Premium-Accounts von Wirtschaftsdiensten wie LinkedIn oder Forbes soll hier eine Art Business-Netzwerk entstehen, bei dem – anders als bei der derzeit heiß brummenden, noch gratis verfügbaren Chat-Plattform Clubhouse – auch die vierstellige Abogebühr als Exklusivitätsbarriere fungiert.”
2. Wie fühlt es sich an, wenn man Sayed, Alaa oder Ahmad heißt? (journalist.de, Stephan Anpalagan)
Beim Fachmagazin “journalist” erzählen Journalistinnen und Journalisten regelmäßig von ihrem “Blick auf den Journalismus”. Die empfehlenswerte Reihe umfasst bereits 25 Beiträge. In der aktuellen Ausgabe schreibt Stephan Anpalagan unter anderem über verantwortungsvolle Berichterstattung und journalistische Distanz, Missstände in der Berichterstattung, wenn es um das Bild von Muslimen oder Zuwanderern geht, und seine erste Begegnung mit dem “Spiegel” als 16-Jähriger: “Der Spiegel und ich hatten einiges gemeinsam. Wir waren beide uncool, altbacken und umstandskrämerisch. Vielleicht war das auch der Grund, weshalb ich ihn langsam aber sicher lieben lernte.”
3. Franziska Augstein “Was zu lange währt”. Eine kommentierte Durchsicht. (anselmneft.de)
Seit kurzem gibt es eine neue “Spiegel”-Kolumnistin: Franziska Augstein, die Tochter des “Spiegel”-Gründers Rudolf Augstein. Anselm Neft hat Augsteins neueste Kolumne zu den Corona-Maßnahmen absatzweise analysiert und kommentiert: “Anhand des Textes lässt sich meines Erachtens exemplarisch zeigen, wie Meinungsartikel arbeiten, wenn sie nicht auf Erkenntnisgewinn, sondern auf Stimmungsmache abzielen.”
4. Gendern – machen oder lassen? (youtube.com, ndr.de, Audio: 18:32 Minuten)
Viele Medien bemühen sich mit unterschiedlichen Methoden um eine geschlechtergerechte Sprache. Was manchen nicht zu weit geht, ist für andere der blanke Sprach-Horror. Das Medienmagazin “Zapp” hat sich mit Medienschaffenden über die Herausforderungen in der journalistischen Praxis unterhalten, unter anderem mit Eva Schulz (“Deutschland3000”), Marcus Bornheim (“ARD-aktuell”) und Hannah Lühmann (“Welt”).
5. Clubhouse ist elitär und undemokratisch (t-online.de, Nicole Diekmann)
In ihrer aktuellen Kolumne beschäftigt sich die Fernsehjournalistin und Politik-Berichterstatterin Nicole Diekmann mit der derzeit gehypten Audio-Chat-App Clubhouse. Diekmann stört sich vor allem am undemokratischen Prinzip und elitären Zugang: “Ein gemeinsamer Club, in dem Medienschaffende und Politikerinnen und Politiker viel Zeit miteinander verbringen, also Menschen, deren Aufgabe es vielfach eigentlich ist, für die öffentliche Allgemeinheit da zu sein? Und deren Distanz zueinander ein wichtiges Element funktionierender Demokratien darstellt? Und das bei geschlossener Tür?”
Weitere Lesehinweise: “Der Verbraucherzentrale Bundesverband wirft der neuen Social-Media-App gravierende rechtliche Mängel vor. In einer Abmahnung geht es auch um Datenschutz.” – Verbraucherschützer mahnen Clubhouse ab (zeit.de).
“Ein Hamburger Sicherheitsexperte hat dem SPIEGEL eine Reihe von Schwachstellen in der App Clubhouse demonstriert. Sie erlauben es, Nutzer gezielt auszusperren, massenhaft Daten abzufragen und zufällige Konten zu kapern.” – Clubhouse bietet Hackern zahlreiche Angriffsmöglichkeiten (spiegel.de, Patrick Beuth).
6. David E. Kelley: Was Sie über einen der erfolgreichsten Fernsehmacher der Welt wissen müssen (rnd.de, Matthias Halbig)
David E. Kelley ist einer der erfolgreichsten Fernsehmacher der Welt und als Autor und Produzent unter anderem für Serienhits wie “Ally McBeal”, “Boston Legal”, “Big Little Lies”, “Chicago Hope”, “Doogie Howser” und “The Undoing” verantwortlich (um nur einige zu nennen). Ein unterhaltsames Kelley-ABC führt durch das beeindruckende Gesamtwerk des umtriebigen TV-Machers. Leseempfehlung für alle Serienfans, die ihr Partywissen erweitern wollen.
1. “Wir wissen es nicht” (journalist.de, Jan Freitag)
Gegen den Branchentrend meldet die “Zeit” wachsende Zahlen. Der “journalist” hat sich mit “Zeit-Online”-Chefredakteur Jochen Wegner über die Gründe unterhalten. Einer davon sei die aktuelle Pandemie: “So zynisch das klingt: Die Corona-Krise hat auch Gutes bewirkt. Sie hat uns etwa gezeigt, wo unsere Zukunft und die des Qualitätsjournalismus liegen könnte. Die gute Entwicklung von Zeit Online hat gewiss mit dem Ansatz zu tun, aktuelle, evidenzbasierte Berichterstattung zu stärken.”
2. Kurs halten lohnt sich (jungewelt.de, Simon Zeise)
Die “junge Welt” berichtete 2019 über die Behinderung von Betriebsratswahlen bei einem Biolebensmittelhändler, was diesem gar nicht gefiel. Das Unternehmen erwirkte eine einstweilige Verfügung mit der Androhung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 250.000 Euro alternativ Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten. Die Redaktion blieb bei ihrer Version und legte erfolgreich Widerspruch ein. Die Richter hätten die Klage des Konzerns bis auf einen Punkt abgelehnt: “Als Lehre bleibt: Unrecht darf öffentlich benannt werden. Auf dass sich Arbeiter weiter gegen ihre Ausbeuter zur Wehr setzen.”
3. Politischer Korrespondent in Berlin: Einfach mal in Ruhe zuhören (rnd.de, Markus Decker)
Markus Decker blickt zurück auf seine vergangenen 20 Jahre als politischer Korrespondent in Berlin. Eine mit Anekdoten gespickte Zeitreise, die auch zeigt, wie sich die Außenwahrnehmung seines Berufsstands geändert hat: “Dass ein Journalist morgens ins Büro geht und wie ein Bäcker oder Metzger ehrlichen Herzens versucht, das Beste zu geben, scheint manchen Bürgern nicht mehr vorstellbar. Derlei Wutbürgerei macht mich gelegentlich zu einem wütenden Korrespondenten. Selbst in jenen linken Kreisen, die Donald Trump für das Allerletzte halten, hat sich die Trump-Vokabel ‘Fake News’ eingebürgert. Wir sind, soweit ich sehen kann, die einzige Berufsgruppe, der bei Fehlern Absicht unterstellt wird.”
4. Warum die Bundespresseförderung ihre Ziele verfehlen wird – und wie es besser gehen könnte (meta-magazin.org, Christopher Buschow)
Wer sich zum Pro und Contra der Bundespresseförderung einlesen möchte, dem sei dieser Text empfohlen. Christopher Buschow, Junior-Professor für Medienmanagement an der Uni Weimar, geht auf die wesentlichen Kritikpunkte an der Förderlinie ein und überlegt, wie es besser funktionieren könnte.
5. Arbeiten unter Pressefeinden (taz.de, Anne Fromm)
Die Anzahl der Angriffe auf Journalisten und Journalistinnen hat sich im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt. Ein Großteil sei von “Querdenker”- und Anti-Corona-Maßnahmen-Demos ausgegangen. Anne Fromm kommentiert: “Es ist schon ein interessanter Gegensatz. Wenn eine taz-Autor*in polemisch in einer Kolumne die Polizei kritisiert, läuft der Bundesinnenminister die Wände hoch und droht mit einer Strafanzeige. Wenn der Presserat die Innenminister bittet, die Polizei zum Schutz der Presse mehr in die Pflicht zu nehmen, passiert: nix. Und das bei 252 Angriffen auf Journalist*innen in einem Jahr.”
6. Da muss man kein Wurstfan sein (sueddeutsche.de, Holger Gertz)
Holger Gertz erinnert an die Verdienste der jüngst in den Ruhestand getretenen Livereporterin und WDR-2-Sportchefin Sabine Töpperwien: “Wenn also Sabine Töpperwien nicht mehr in der Bundesligakonferenz auftaucht, ist sie trotzdem noch da. Als Pionierin. Sie hat den anderen eine Schneise freigeschlagen, an ihr haben sich die Platzhirsche abreagiert (Otto Rehhagel, seines Zeichens Otto der Große beziehungsweise Rehhakles: ‘Sie haben doch noch nie den Schweiß einer Kabine gerochen.’) Aber sie ist nicht bitter geworden unter dem Druck dieser und anderer Unverschämtheiten. Nicht bitter werden, ist eine große Lebensleistung.”
1. Social-Hype Clubhouse: Die fünf großen Probleme der App (linkedin.com, Martin Hoffmann)
Ist der Hype um die Soziale Audio-Plattform Clubhouse der Anfang einer neuen Social-Media-Erfolgsgeschichte? Martin Hoffmann ist skeptisch. Seine Kritik: Die Plattform tue zu wenig gegen Hate Speech und sei nicht “divers” und “catchy” genug. Clubhouse sei ein vorübergehendes Phänomen und werde den Sprung in die breite Masse nicht schaffen.
Weiterer Lesehinweis: Dirk von Gehlen erklärt, warum Clubhouse Einladungs-Marketing mittels “Invites” betreibt: “Wegen der Begrenzungs-Mechanik. Sie ist das perfekte Beispiel dafür wie Aufmerksamkeit als zentrale Währung im digitalen Ökosystem verteilt wird. Ob Clubhouse dabei tatsächlich auch ein interessantes Produkt ist? Das kann zum jetzigen Zeitpunkt vermutlich niemand so richtig beurteilen. Sehr sicher kann man aber lernen, wie man einen Hype anzettelt: Wenn du viel erreichen willst, musst du den Eindruck erwecken, es gebe einen Lieferengpass.”
2. Sieben Ideen, sie zu zähmen (spiegel.de, Patrick Beuth & Max Hoppenstedt & Marcel Rosenbach)
Die Regulierung Sozialer Netzwerke ist eine oft gehörte Forderung, doch wer soll in der Praxis die Kontrolle übernehmen? Die Politik? Die Polizei? Die Community? Der “Spiegel” liefert sieben mögliche Strategien gegen Online-Extremismus, die wiederum wertvolle Ansätze zum Weiterdenken und Diskutieren liefern.
3. Nah dran (sueddeutsche.de, Aurelie von Blazekovic)
Das Reportageformat “Strg_F” gehört zur Familie von Funk, dem Jugendangebot von ARD und ZDF. Jeden Dienstag gibt es bei Youtube eine neue Reportage, die Aufrufzahlen liegen in der Regel im sechs- bis siebenstelligen Bereich. Aurelie von Blazekovic hat sich mit Projektleiter Dietmar Schiffermüller im Hamburger Redaktionsbüro beim NDR getroffen und ihn unter anderem zu seinem Umgang mit Empörungswellen befragt.
4. Seitenweise Totengedenken (taz.de, Anne Fromm)
Sind die überdurchschnittlich vielen veröffentlichten Todesanzeigen in Tageszeitungen auf die Corona-Pandemie zurückzuführen, wie sich als erste Vermutung aufdrängen könnte? Anne Fromm hat bei der “Freien Presse” in Chemnitz nachgefragt. Dort bestätigte man eine Häufung derartiger Anzeigen. Ein Zusammenhang mit Corona sei jedoch nicht beweisbar, da der Zeitung die Sterbeursache in den meisten Fällen nicht bekannt sei.
5. Facebook blockiert Veranstaltungen im Umkreis des Kapitols (faz.net)
Am 20. Januar findet die Amtseinführung des neuen US-Präsidenten Joe Biden statt. Seit Tagen gleicht Washington einem Militärstützpunkt samt Straßensperren und Kontrollpunkten. Rund 15.000 Nationalgardisten würden das Kapitol sichern. In Vorbereitung auf die Inauguration habe Facebook Veranstaltungen im Umkreis des Gebäudes blockiert.
6. Ich war ein Star – macht endlich Schluss! (tagesspiegel.de, Kurt Sagatz)
Kurt Sagatz hat sich die Dschungel-Ersatz-Show bei RTL angeschaut und stellt als Resümee die Frage: “Wann, wenn nicht jetzt, wäre der richtige Zeitpunkt, das Format sanft entschlafen zu lassen?” Weiterer Lesehinweis: Bei “DWDL” kommentiert Manuel Weis: Ich bin ein Star, gebt mir ein Konzept!
1. “Das ist ein Angriff auf Amerika” (n-tv.de, Can Merey & dpa)
Ein vom derzeit noch amtierenden US-Präsidenten Donald Trump angestachelter Mob hat gestern das Kapitolgebäude in Washington gestürmt. Dabei kam es auch zu Angriffen auf Kamerateams und Medienschaffende.
2. Twitter und Facebook blockieren Account von Donald Trump (zeit.de)
Twitter und Facebook haben Donald Trumps Social-Media-Accounts – zumindest für die nächsten Stunden – lahmgelegt. “Es handelt sich um einen Notfall, und wir ergreifen angemessene Notfallmaßnahmen”, sagte Facebook-Vizechef Guy Rosen dazu. Mit einer in den Sozialen Netzwerken verbreiteten Videobotschaft verstärke Trump das “Risiko der andauernden Gewalt, anstatt es zu verringern”.
3. Lesen und Schweigen (sueddeutsche.de, Matthias Drobinski & Christian Wernicke)
Das Erzbistum Köln hatte Journalistinnen und Journalisten Einblick in das von Kardinal Rainer Maria Woelki zurückgehaltene Missbrauchsgutachten in Aussicht gestellt, doch dazu kam es nicht. Die Medienschaffenden sollten eine “Vertraulichkeitsvereinbarung” unterschreiben, die sie in ihrer Berichterstattung eingeschränkt hätte. Beobachter würden das Erzbistum als Wagenburg erleben: “Drei Kommunikationsberater hat Woelki in fünf Jahren Amtszeit in Köln verschlissen.”
4. BBC sendet täglich Schulfernsehen während Lockdown (heise.de, Niklas Dierking & dpa)
Als Reaktion auf die Schulschließungen in Großbritannien startet die BBC ab Montag mit einem auf die Lehrpläne abgestimmten Schulfernsehen. Ähnliche Angebote existieren in Deutschland beim Bayrischen Rundfunk beziehungsweise dem Bildungskanal ARD alpha. Das Online-Portal “Planet Schule” von SWR und WDR biete bereits seit einigen Jahren Bildungsinhalte im Netz (alle Angebote sind im Beitrag verlinkt).
5. Debatte “sensationell übertrieben” (deutschlandfunk.de, Brigitte Baetz, Audio: 7:39 Minuten)
Brigitte Baetz hat mit dem Medienwissenschaftler Hektor Haarkötter über die mediale Berichterstattung über die Impfkampagne gesprochen. Vor allem “Bild” hantiere mit lautstarken Formulierungen und Forderungen. Haarkötter hält die aufgeregten Berichte für eine Form von “Impfotainment”: “Ich würde immer raten, die Situation erst einmal gelassener zu betrachten”.
6. Nach KZ-Vergleich: RTL schneidet Wendler aus “DSDS” raus (dwdl.de, Thomas Lückerath)
Der Schlagersänger Michael Wendler war während der Dreharbeiten für die aktuelle Staffel der TV-Show “Deutschland sucht den Superstar” überraschend nach Florida abgereist. Seitdem veröffentlicht er in seinem Telegram-Kanal verschwörerische Corona-Statements und repostet finsterste Fake-News-Schleudern. Die fertig gedrehten “DSDS”-Folgen mit Wendler als Juror wollte RTL trotz der Beendigung der Zusammenarbeit noch ausstrahlen. Doch nun sorgte der Sänger mit einem KZ-Vergleich für erneute Empörung. Für RTL-Geschäftsführer Jörg Graf ist damit eine Grenze überschritten: “Mit den gestrigen neuen Äußerungen ist klar: RTL wird Michael Wendler komplett aus der Sendung schneiden, selbst wenn dabei für die Zuschauer sichtbare, dramaturgische Lücken entstehen.”
Günter Wallraff recherchierte einst investigativ und verdeckt als “Hans Esser” bei “Bild” und sorgte mit seinen Büchern “Der Aufmacher” (1977) und “Zeugen der Anklage” (1979) für viel Aufsehen. Jakob Buhre hat für BILDblog Wallraff am 12. Dezember in Köln getroffen und mit ihm einige Passagen der neuen Amazon-Doku “Bild.Macht.Deutschland?” angeschaut.
Heiko Maas nach einem “Bild-Live”-Interview in der “Bild”-Redaktion, Folge 1: “Die ‘Bild’ ist eines der größten Printmedien in Deutschland, sie vermittelt einem Zugang zu der breiten Masse der Öffentlichkeit, und Politiker sind darauf angewiesen, dass sie kommunizieren können, in die Öffentlichkeit, mit dem was sie tun, mit dem was sie für richtig halten. Und dafür ist die ‘Bild’ ein richtig gutes Instrument.”
Wallraff: Man kann es schon fast als Unterwerfung deuten, wie staatstragende Politiker hier bei “Bild” ihre Aufwartung machen und antichambrieren. Aber hat unser Außenminister so etwas wirklich nötig?
Peter Tschentscher, Folge 1: “Die ‘Bild’ ist eine konservative Zeitung, ich bin ein konservativer Mensch und die Sozialdemokraten in Hamburg sind sehr bodenständig. Insofern passt das gut zusammen.”
Wallraff: Da bekennt ein Sozialdemokrat vor dem Springer-Hochhaus: “ich bin konservativ”. Ehrlich gesagt hat mich das jetzt erstmal verunsichert, ob Tschentscher nicht am Ende CDU-Mitglied ist. Warum dieser Kotau? Was passt denn da so gut zu zusammen?
Karl Lauterbach, Folge 3: “Es kommt drauf an, ob ich, um Hetze zu betreiben, kleine Unterschiede hochjazze und damit den Eindruck erwecke, die widersprechen sich alle, oder ob ich das Gemeinsame betone und einräume: an der Spitze gibt es noch unterschiedliche Bewertungen.”
Wallraff: Ich bin mit Karl Lauterbach befreundet. Für mich ist er ein Ausnahme-Politiker. Er hat kein sicheres Bundestagsmandat, redet keinem nach dem Mund und macht sich nicht gemein, sich denen anzubiedern. Er spricht hier davon, dass “Hetze betrieben wird”, das finde ich mutig. Und immerhin zeigen uns die Filmemacher das.
“Allein die Liaison “Bild”-Amazon ließ das Schlimmste befürchten.” (Foto: Christoph Michaelis)
Wie ist denn Ihr Eindruck insgesamt vom Filmischen her?
Wallraff: Da waren gerade sehr viele Zeitungen zu sehen. Können wir nochmal dahin spulen? – Hier, diese Stapel, das sind alles “Bild”-Exemplare. Entweder liegen in den Redaktionen auf den Schreibtischen wirklich keine anderen Zeitungen oder ist es eine plumpe Werbung?
Die Auswahl der Themen und Schauplätze wirkt auf mich sehr beliebig. Man erfährt nur wenig über den Durchschnitt der Artikel, die in der Zeitung erscheinen, welche Themen dort bevorzugt werden. Mir fehlen auch die “Bild”-Leserinnen und -Leser.
Insgesamt habe ich den Eindruck, dass das alles sehr im gegenseitigen Einvernehmen von Amazon und “Bild” stattgefunden hat. Wären die Filmemacher unabhängig, hätten sie auch mit Opfern der “Bild”-Berichterstattung oder externen Medienkritikern gesprochen. So ist das die reinste “embedded”-Reportage.
Christian Lindner, von dem “Bild” einen Paparazzo-Abschuss druckte, äußert sich allerdings auch in der Doku.
Wallraff: Na, und. Aber wenn es um die namenlosen Opfer von “Bild” geht, das sehe ich hier nicht, dass die einmal zu Wort kommen. In Folge 7, von der Sie mir gerade Auszüge gezeigt haben, ist die Diskussion der Redaktion über Persönlichkeitsrechte zu sehen, immerhin. Allerdings vermute ich, dass die wenigsten Zuschauer sich diese ermüdende Serie bis zur letzten Folge antun werden.
Auch von Ihren Recherchen bei “Bild” gibt es Filmaufnahmen. Wie sind Sie damals mit Kameras in die “Bild”-Redaktion gekommen?
Wallraff: Das war gar nicht so einfach, es gab ja noch keine versteckten Kameras. Mir half damals ein Freund vom niederländischen Fernsehen, Jan Kuiper. Sein Sender hat vorgegeben, dass sie im Rahmen einer Städtepartnerschaft-Reportage auch in Hannovers Redaktionen filmen wollten. Die erste Anfrage hatte mein Redaktionsleiter abgelehnt. Also hat ein Team zwei bis drei andere Drehs simuliert und so getan, als würden sie zum Beispiel bei der “Hannoverschen Allgemeinen Zeitung” Filmaufnahmen machen. Das hat bei “Bild” die Eitelkeit geweckt, und sie sind drauf angesprungen. Meine Freunde kamen schließlich mit zwei Teams. Die einen haben den Chefredakteur in ein Dauer-Interview verwickelt, die anderen haben im Großraumbüro das zynische Treiben gefilmt.
Günter Wallraff 1977 als “Hans Esser” in der “Bild”-Redaktion Hannover. (Foto: Günter Zint)
Zurück zur Amazon-Doku: Wie beurteilen Sie die Aussagen der Blattmacherinnen und Blattmacher, die Sie hier sehen?
Wallraff: Es kommen hier welche zu Wort, wo ich sagen würde: Diesen Typus gab es zu meiner Zeit höchst selten. Durchaus reflektierte, vielleicht auch entsprechend ausgebildete Journalisten, die in anderen Blättern vermutlich einen seriösen Journalismus vertreten würden, ihn hier aber nur schwerlich durchsetzen können.
Zu meiner Zeit gab es viel mehr den Drücker-Typ, der den Opfern halb-betrügerisch ins Haus einfiel. Und dann vor allem Machos: Mein Redaktionsleiter hatte einen Schießstand in seiner Penthouse-Wohnung, es wurde Blitzschach gespielt, und man musste sich als trinkfest beweisen. Es war sehr männerbündlerisch. Hier sehe ich, zumindest zwischendurch, auch vereinzelt Frauen, und die kommen eher nachdenklich zu Wort.
Ein großer Unterschied ist auch: Zu meiner Zeit bei “Bild” wurde dem Chef so gut wie nie widersprochen. Der Redaktionsleiter duzte alle, musste aber gesiezt werden.
Wir hatten damals auch viele Kettenraucher, und Whiskey war in der Redaktion das Leitgetränk. Es scheint doch einiges harmloser geworden zu sein, jetzt kaut der Chefredakteur seine Gummibärchen.
Redaktionskonferenz, Folge 1, Redakteur aus dem Off: “Wir wollen die Rede [von Angela Merkel] vernichten?” – Julian Reichelt: “Nein, ich will sie nicht vernichten.”
Wallraff: “Abschießen, vernichten” waren zu meiner Zeit bei “Bild” Alltagsbegriffe. Es ging oft darum, Menschen “fertig zu machen”. “Bring die Sau zur Strecke!” Es gab auch keine Trennung zwischen Berichterstattung und Meinung.
Wenn ich Reichelt hier sehe, habe ich den Eindruck, dass er in einer Art Kriegszustand lebt. Dazu passt ja auch sein Feldbett im Büro. Man weiß von ihm, dass er sich als jemand sieht, der Politik macht – und nicht begleitet.
“Bild am Sonntag”-Chefredakteurin Alexandra Würzbach in einer Redaktionskonferenz, Folge 4: “Wir haben gesagt ‘Refugees Welcome’ und haben es uns zwei, drei Jahre später anders überlegt.” […] – Julian Reichelt: “Wir haben uns ‘Refugess Welcome’ nicht anders überlegt, das ist falsch, das lasse ich so nicht stehen.” Es folgen Filmaufnahmen von Paul Ronzheimer im Flüchtlingslager Moria.
Wallraff: Das überrascht mich und entspricht tatsächlich nicht dem Klischee. Vielleicht liegt es auch daran, dass Reichelt noch unter Kai Diekmann selbst in Kriegsgebieten war, in Afghanistan, in Syrien und im Irak, und sogar Flüchtlingen geholfen haben soll, nach Deutschland zu kommen, wie einst der “Spiegel” berichtete. So etwas prägt. Wenn “Bild” Not und Elend im Flüchtlingslager zeigt, könnte man daraus die Forderung an die Politik ableiten, dass sie sich des Themas annimmt.
Filipp Piatov in Folge 3: “Ich bin bei ‘Bild’, weil mir gewisse Grundlinien des Hauses sehr zusagen: Transatlantische Partnerschaft, gutes Verhältnis zu Israel, klares Verhältnis zur Marktwirtschaft, Ablehnung von linken und rechten extremen Ideologien.”
Wallraff: Naja, das sind so Gemeinplätze. Ein paar Gebetssäulen. Ich finde, das ist ein bisschen wenig.
Alexander von Schönburg in Folge 3: “Ich war früher bei der ‘FAZ’, bin jetzt bei der ‘Bild’ und empfinde das, was ich hier mache, als Aufstieg, auch als intellektuellen Aufstieg. […] Wer Wichtiges zu sagen hat, kann es in kurzen Sätzen sagen, dazu zwingt einen ‘Bild’. Darum habe ich persönlich profitiert, für mein eigenes Schreiben, dass man sich zwingt, kurz und präzise zu schreiben. Und nicht, wie das bei der ‘FAZ’ oder ‘SZ’ zum Teil ist: Du schreibst, um deine Kollegen zu beeindrucken.”
Wallraff: Ach, du Schande. Er tut mir richtig leid. Was muss der Mann erlitten haben, dass er sich hier so klein macht? Konnte er sich früher beim Schreiben nicht klar ausdrücken? Es gibt in der “FAZ” und der “SZ” doch genug Artikel, die eine deutliche und klare Sprache benutzen und trotzdem verständlich und differenziert sind.
Früher steckte in der “Bild”-Sprache sehr oft eine Aggression, Verächtlichmachung und Vernichtungswille bis hin zum Rufmord. Für mich benutzt “Bild” immer wieder eine in der Versimplung auch denunzierende Sprache.
“Das ist doch lächerlich und anmaßend.” (Foto: Christoph Michaelis)
Julian Reichelt in Folge 3: “Unser natürlicher Aggregatszustand ist zu hinterfragen. Und wie sehr wir hinterfragen, sieht man uns halt ein bisschen mehr an, weil unsere Überschriften größer sind und unsere Sprache klarer.”
Wallraff: Das ist doch lächerlich und anmaßend. Es klingt so, als würden andere Medien weniger hinterfragen, weil sie kleinere Buchstaben verwenden. Dabei sind es gerade sie, die differenzieren und auch zwischen Kommentar und Bericht zu trennen wissen.
Und zum “Hinterfragen”: Wenn sie Christian Drosten eine Stunde Zeit geben, um eine Anfrage zu seiner wissenschaftlichen Kompetenz abzuverlangen, nennen sie das “hinterfragen”? Ich fand, das war gegenüber Drosten eine Unverfrorenheit, eine Allmachtsallüre. Dass Drosten sich darauf nicht eingelassen hat, das ehrt ihn.
Die Causa Drosten wird in der Doku sehr ausführlich behandelt, mit vielen kritischen Stimmen von innerhalb und außerhalb der Redaktion.
Wallraff: Da blieb ihnen wohl nichts anderes übrig. Ich habe da jetzt Redakteure gesehen, die sich als Opfer gerieren, keinerlei Reue zeigen, sich auch nicht entschuldigen. Und wenn es Reue gab: Wurde sie in der “Bild” zum Ausdruck gebracht? Ich habe nichts davon gehört.
Wenn Sie einmal “Bild” 1977 und “Bild” 2020 vergleichen …
Wallraff: Die “Bild” hat heute nicht mehr die zerstörerische Kraft und Macht, auch längst nicht mehr das kriminelle Potential wie damals. “Harmlos” wäre der falsche Begriff, aber sie hat nicht mehr die Relevanz. Damals war es ein beherrschendes, flächendeckendes Medium. Und was ich erlebt habe, war ein Hetzblatt, das auch Menschen mit Falschberichterstattung in den Suizid getrieben hat wie zum Beispiel den Schauspieler Raimund Harmstorf. Ich meine, dass ich mit dazu beitragen habe, dass diese Ära überwunden wurde.
Es gab damals die Rubrik “Bild hilft”, die vielen Menschen aber gar nicht geholfen, sondern hilfsbedürftige Personen bis ins Privateste hinein vorgeführt hat. Ein Junge mit Schulproblemen wurde als “Deutschlands faulster Schüler” und eine Frau, die sich wegen Problemen mit ihrer Fahrschule an “Bild hilft” gewandt hatte, fast kampagnenartig als “Deutschlands schlimmste Fahrschülerin” abgestempelt. Ich habe einen Rechtshilfe-Fonds finanziert, durch den “Bild”-Opfern zu Gegendarstellungen und Unterlassungen verholfen wurde bis hin zu Schadenersatz und Schmerzensgeld: Zum Beispiel für die hinterbliebenen minderjährigen Söhne eines Mannes, der sich nach einem Verleumdungsartikel umbrachte. In seinem Abschiedsbrief rief er zum “Bild”-Boykott auf: “Diese Schande kann ich nicht überwinden, ich wollte zuerst diesen Verbrecher, der K. [der “Bild”-Reporter] heißt, umbringen. Aber ihr solltet keinen Mörder als Vater haben. Durch meinen Tod aber ist er zum Mörder geworden. Wer etwas Ehrgefühl und Verstand hat, der sollte dieses Lügenblatt nicht kaufen!”
Es gibt heute natürlich auch eine andere Gegenöffentlichkeit: Es gibt die Rügen des Presserats, “Bild” liegt hier mit weitem Abstand vorne, lehnt es aber häufig ab, sie abzudrucken. Es gibt die Kollegen vom BILDblog, einige Prominente boykottieren “Bild”, und viele Gerichte betrachten die Persönlichkeitsrechtsverletzungen nicht mehr als Kavaliersdelikt.
Mehmet Scholl, Folge 6: “Die ‘Bild’-Zeitung hat mich ein Jahr lang völlig zerlegt, weil ich nicht mit ihnen gesprochen habe. […] Wenn die “Bild” im Sport alles schreiben würde, was sie wissen … Das tun sie aber nicht, weil sie schlau genug sind, zu wissen: Wir bekommen andere Informationen im Austausch dafür.”
Wallraff: Das sagt natürlich sehr viel aus. Da wird jemand zum Feindbild, weil er nicht mit “Bild” spricht. Und dass man bestimmte Geheimnisse nutzt, um an andere Informationen zu gelangen, das ist eigentlich eine Geheimdienst-Strategie: Wenn bestimmte Dienste Material über Verfehlungen von Politikern besitzen, können sie diese bei Bedarf “gefügig” machen.
Mehmet Scholl: “Ich habe mit der ‘Bild’ die Abmachung: keine privaten Storys. Wenn eine kommt, fragt mich – und dann haben wir es immer gemeinsam entschieden.”
Wallraff: Es gibt Prominente, die der “Bild” bis ins Intimleben hinein Dinge preisgeben, weil sie glauben, dass es ihnen nützt und dass sie geschont werden. Christian Wulff hat sich bis hin zur Home-Story zur Verfügung gestellt, aber es hat ihm nichts genützt. Er war für “Bild” irgendwann fällig, vermutlich aufgrund seiner Äußerung “Der Islam gehört zu Deutschland”. Da ging der Daumen nach unten, und es folgte eine der infamsten Rufmordkampagnen.
Was denken Sie heute über Journalisten, die für “Bild” arbeiten?
Wallraff: Ich differenziere. Wir haben jetzt einen gesehen, der von der “FAZ” zur “Bild” gegangen ist, die Mehrheit hat, glaube ich, eine Journalismus-Ausbildung. Aufgrund meiner früheren Erfahrungen würde ich mich aber nicht auf ein Interview oder eine Home-Story einlassen. Und denjenigen, die es tun, würde ich einen Warnhinweis mitgeben: “Alles, was Sie fortan sagen oder auch nicht sagen, kann gegen Sie verwendet werden.”
Ich kenne auch Menschen, die, durch meine Aufdeckungen inspiriert, zur “Bild” gegangen sind, weil sie es selber wissen wollten. Sandra Maischberger zum Beispiel erzählte in einem “Tagesspiegel”-Interview [Ausgabe vom 10. Februar 2002], dass sie deswegen bei “Bild” ein Praktikum machte und dann ein bisschen enttäuscht gewesen sei, weil sie das “Über-Leichen-gehen” dort nicht erlebt habe. Sie wurde dann übrigens am Ende gefragt, wie oft sie in dem Interview gelogen habe, worauf sie antwortete: einmal. (lacht)
Sollten Politiker heute “Bild” boykottieren?
Wallraff: Das wagt doch kaum noch jemand, aber sie sollten der eigenen Glaubwürdigkeit wegen zumindest Distanz wahren.
Günter Wallraff heute als Günter Wallraff. (Foto: Privat)
Hat man Sie eigentlich für die Amazon-Dokumentation angefragt?
Wallraff: Nein, ich hätte da auch abgesagt. Allein die Liaison “Bild”-Amazon ließ das Schlimmste befürchten.
Sie selbst sagen von sich, dass Sie Amazon boykottieren. Warum kann man dann Ihre Bücher dort kaufen?
Wallraff: Das kann ich leider nicht verhindern. Ich habe meinen Verlag schon vor langer Zeit angewiesen, meine Bücher nicht an Amazon auszuliefern. Mir wurde gesagt, ich würde dadurch zehn bis 15 Prozent Umsatz verlieren – damit kann ich leben. Amazon unterläuft meinen Boykott, indem sie meine Bücher jetzt über Zwischenhändler ordern. Das kann ich nicht verhindern, aber so muss Amazon sie etwas teurer einkaufen, als wenn mein Verlag sie direkt beliefert. Für mich ist Amazon eine globale Seuche, gegen die auch kein Impfstoff hilft.
Seuche ist ein starkes Wort, nicht nur angesichts der aktuellen Situation, wo Menschen froh sind, wenn sie Geschenke online kaufen können.
Wallraff: Das ist das Tragisch-Vertrackte, so ist Amazon auch noch der größte Corona-Krisengewinner, kann seine Umsätze verdoppeln und durch Steuervermeidungsstrategien Milliarden am Staat vorbei einstreichen. Ich verstehe jeden, der keine Möglichkeit hat, in ein Geschäft zu gehen, und deswegen online etwas bestellt. Ich selbst kann und möchte dieses Allmachtstreben von Jeff Bezos nicht unterstützen, der sein Unternehmen ursprünglich “Relentless”, “Gnadenlos” nennen wollte und Konkurrenten als Gazellen bezeichnet, die man jagen müsse. Die Innenstädte sterben aus, die Arbeitsbedingungen bei Amazon sind miserabel – es ist eine seelenlose, total überwachte Arbeitsorganisation. Ich kenne Menschen, die bei Amazon gearbeitet haben und von unheimlichem Druck erzählen. Wer nicht mindestens im Durchschnitt der übrigen Mitarbeiter liegt, fällt heraus. Und nach dem Weihnachtsgeschäft wird aussortiert. Dafür nutzt Amazon den Begriff “ramp down”, der aus dem Vieh-Transport stammt und so viel bedeutet wie “die Rampe runter treiben”. Diejenigen, die entlassen werden, können sich ja dann später neu bewerben, man will so ihre Festanstellung verhindern.
Zum Schluss: Haben Sie mit “Team Wallraff” aktuell jemanden bei “Bild” eingeschleust?
Mit drei Fotos will die “Bild”-Redaktion zeigen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) entgegen anderslautender Versprechen gar nicht “rund um die Uhr” arbeiten, obwohl sie doch über die Zulassung des Corona-Impfstoffs in der EU entscheiden müssen. Gestern Abend auf der Bild.de-Startseite:
Und auch heute in der Zeitung kann man den Versuch beobachten, eine Institution zu diskreditieren und Verunsicherung zu verbreiten:
Weil auf den Fotos die meisten Büros, die um 21 Uhr noch hell erleuchtet waren, um 23 Uhr dunkel sind, urteilt die “Bild”-Redaktion: “‘Rund um die Uhr’ ist dann doch etwas anderes …”. Dass Menschen, die derart bedeutende und weitreichende Entscheidungen treffen müssen und von denen viele offenbar mindestens von 8 Uhr morgens bis 21 Uhr abends arbeiten, auch mal schlafen sollten, zählt offenbar nicht. Dass manche von ihnen sich Arbeit mit nach Hause genommen haben könnten oder sich gänzlich im Homeoffice befinden (schon vor der Corona-Pandemie fand bei der EMA ein beachtlicher Teil der jeweiligen Zualssungsverfahren per Videokonferenzen statt), zählt offenbar auch nicht. Stattdessen:
Am Dienstagabend brannte bis kurz vor 23 Uhr noch in einigen Büros Licht. Dann war alles dunkel. Die letzten Mitarbeiter offenbar auch zu Hause. Um 7 Uhr morgens kehrten die ersten zurück in die Büros. “Rund um die Uhr” ist dann doch etwas anderes …
Es stimmt natürlich nicht, dass “alles dunkel” war, und “die letzten Mitarbeiter offenbar auch zu Hause” waren. Man sieht auf der 23-Uhr-Aufnahme schließlich noch Licht in manchen Büros. Bild.de änderte den Absatz später klammheimlich in:
Am Dienstagabend brannte bis kurz vor 23 Uhr noch in einigen Büros Licht. Dann sind fast alle Lichter aus. Ab 7 Uhr gehen in vielen Büros die Lichter wieder an. Und es wird weiter an der Zulassung des Corona-Impfstoffs gearbeitet…
Ralf Schuler, Leiter des “Bild”-Parlamentsbüros, findet, die EMA-“Entscheider” sollten sich ein Beispiel an den “Autobahn-Bauern” nehmen: “Autobahn-Bauer arbeiten nachts, die Entscheider in der Krise nicht”, schreibt Schuler bei Twitter. Nun sind die Autoahn-Bauer, die nachts arbeiten, ja in der Regel nicht dieselben, die auch schon tagsüber gearbeitet haben. Auch diese Nachtarbeiter haben mal Pause und dürfen irgendwann mal schlafen. Und allein das Einführen eines Schichtbetriebs mit beispielsweise zwei Schichten bringt nicht von selbst eine Verdoppelung der Arbeitsleistung. Wenn die eine Hälfte tagsüber zwölf Stunden arbeitet, und die andere Hälfte nachts zwölf Stunden arbeitet, dann ist zwar die ganze Zeit das Gebäude erleuchtet, und “Bild” könnte nicht polemisieren, am Ende haben aber immer noch alle zwölf Stunden gearbeitet. Man müsste schon die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhöhen, um auch die Arbeitsleistung zu erhöhen.
Außerdem haben eine ganze Reihe von Abteilungen der EMA überhaupt nichts mit der Zulassung des Covid-19-Impfstoffs zu tun. Oder sollte aus “Bild”-Sicht etwa auch der Ausschuss für Tierarzneimittel in der aktuellen Lage besser nachts die Stellung im Büro halten?
Aber zurück zu den Fotos vom EMA-Gebäude. Die Perspektive, die die “Bild”-Medien gewählt haben, zeigt die Ostseite des sogenannten Vivaldi Buildings. Neben einer schmaleren Nord- und einer schmaleren Südseite gibt es natürlich auch noch eine Westseite, die bei “Bild” nicht zu sehen ist. Sie ist größer als die Ostseite, denn um das Gebäude herum liegt eine Art Hufeisen – allerdings nur auf der Westseite. Dort befinden sich laut Grundriss (PDF) beispielsweise auch alle großen Konferenzräume. Ob auf der Westseite am Dienstag um 23 Uhr noch die Lichter brannten, wissen wir selbstverständlich auch nicht. Es zeigt sich aber, wie unvollständig das Bild ist, das die “Bild”-Medien für ihre Artikel nutzen.
Hinzu kommt: Bei der 23-Uhr-Aufnahme, die auf der Bild.de-Startseite zu sehen war, hat die Redaktion getrickst, damit das Gebäude noch dunkler aussieht. In den unteren Stockwerken brannte durchaus großflächig Licht. Das ist im Bild.de-Artikel klar zu erkennen. Bei der Version auf der Startseite hat die Redaktion offenbar selbst nachgedunkelt. Hier der Vergleich:
(links von der Bild.de-Startseite, rechts aus dem Bild.de-Artikel)
Bei einem Foto, bei dem es ausschließlich darum geht, wie viele Büros erleuchtet sind und wie viele dunkel, selbst per Photoshop Büros abzudunkeln – den Willen, auf so eine Idee zu kommen, muss man erstmal haben.
1. NdM-Medienpreis “Goldene Kartoffel” 2020 (neuemedienmacher.de)
Der Negativpreis “Goldene Kartoffel” der “Neuen Deutschen Medienmacher*innen” geht dieses Jahr an “Spiegel TV” für die Berichterstattung über die sogenannte Clan-Kriminalität: “Die Berichterstattung über Organisierte Kriminalität in deutschen Medien und insbesondere bei SPIEGEL TV ist unterm Strich verzerrt, stigmatisierend und rassistisch. Der fast ausschließliche Fokus auf ‘Clans’ erweckt den Anschein, mafiöse Vereinigungen in Deutschland seien vornehmlich arabische Familien oder Rom*nja. Das BKA ordnet aber nur etwa acht Prozent der Verfahren zur Organisierten Kriminalität der so genannten ‘Clan-Kriminalität’ zu.” Die Präsidentin der Jury Sheila Mysorekar hat sich für ein etwa sechsminütiges Video in die Kulisse einer Shisha-Bar gesetzt und kommentiert einige der beanstandeten “Spiegel TV”-Szenen. Optisch toll umgesetzt, informativ und unterhaltsam.
Weiterer Lesehinweis: Mysorekar über die tendenziöse Berichterstattung von “Spiegel TV” und anderen Medien über Clan-Kriminalität: Viel Rauch um nichts (neues-deutschland.de).
2. Herr Friedrich Merz hat mir über seine Anwälte eine Abmahnung übermittelt (facebook.com, Fabio De Masi)
Der Linken-Politiker Fabio De Masi hat einen Tweet über den CDU-Politiker Friedrich Merz verfasst, in dem auch dessen Abstimmungsverhalten zur Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe vorkommt. Daraufhin habe ihm Merz eine Abmahnung samt Unterlassungserklärung zukommen lassen, so De Masi. Auf Facebook erklärt er, warum er seinen Tweet nicht löschen werde: “Da bin ich hart wie Granit oder ein Black Rock.”
Weiterer Lesehinweis: Der Vollständigkeit halber ein Merz-Statement aus dem März, dem dieser “Correctiv”-Faktencheck gegenübersteht.
3. Der Journalist Javier Valdez kann nicht mehr recherchieren, weil er erschossen wurde. Aber wir können (zeit.de, Kai Biermann & Amrai Coen & Hauke Friederichs & Holger Stark & Fritz Zimmermann)
Laut Reporter ohne Grenzen werden in keinem anderen Land, das sich nicht im Krieg befindet, so viele Journalisten und Journalistinnen ermordet wie in Mexiko. Eines der Opfer ist der Journalist Javier Valdez, der über das Sinaloa-Drogenkartell berichtete, eine der mächtigsten Organisationen im Drogenhandel weltweit. In einer aufwändigen Recherche haben Redaktionen aus vielen Ländern Valdez’ Arbeit fortgesetzt. Die Aktion wurde koordiniert und unterstützt vom Netzwerk Forbidden Stories, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Arbeit getöteter Reporterinnen und Reporter fortzuführen. Ein Ergebnis ist das lesenswerte Dossier der “Zeit”, die in Mexiko und Israel, aber auch in Deutschland recherchiert hat.
4. Mit Händen und Worten (deutschlandfunk.de, Kevin Barth, Audio: 5:30 Minuten)
Ob Audiodeskription, Untertitel, Gebärdensprache, leichte Sprache oder Bildbeschreibungen: Die Barrierefreiheit im Fernsehen ist oftmals noch ausbaufähig, vor allem bei den privaten Sendern. Nun gibt es eine Zentrale Anlaufstelle für barrierefreie Angebote (ZABA), an die sich Betroffene wenden können. Ein Portal, auf dem alle Öffentlich-Rechtlichen sowie die privaten Rundfunk- und audiovisuellen Medienanbieter in Deutschland gebündelt werden: “Die Aufgabe der ZABA-Webseite ist es, alle Beschwerden oder Fragen bezüglich barrierefreier Angebote direkt an die jeweiligen Medienanbieter weiterzuleiten. Der Vorteil für Sie liegt auf der Hand: Ihr Anliegen erreicht sofort die richtige Stelle, unter Beachtung aller datenschutzrechtlichen Vorschriften.”
5. Freifunk wird endlich gemeinnützig (netzpolitik.org, Markus Beckedahl)
Im netzpolitik.org-Newsletter geht es unter anderem um die (nach Ansicht vieler längst fällige) Gemeinnützigkeit der bundesweiten Graswurzelbewegung Freifunk. Die nichtkommerzielle Initiative widmet sich seit langem dem Aufbau und Betrieb eines freien Netzes. Die Freifunk-Community sorgt mit ihren WLAN-Netzwerken dafür, dass man auch an unterversorgten Orten ins Internet kommt. Seit Jahren sei der Initiative die Gemeinnützigkeit in Aussicht gestellt beziehungsweise versprochen worden. Nun habe der Finanzausschuss den entsprechenden Änderungsantrag beschlossen, der nur noch von Bundestag und Bundesrat abgesegnet werden müsse. Markus Beckedahl kommentiert: “Mit diesem Beschluss sollte die Politik aber nicht zufrieden sein. Was weiterhin fehlt ist ein Bewusstsein dafür, dass man solche Infrastrukturen auch besser durch finanzielle Mittel fördern könnte.”
6. Belarus: Wie Journalisten “mundtot” gemacht werden (ndr.de, Joe Angerer, Video: 4:44 Minuten)
Die Entfernung von Berlin nach Minsk ist in etwa so groß – oder klein – wie die von Flensburg nach Garmisch-Partenkirchen. Dennoch bleibt für viele von uns Belarus ein unbekanntes und wenig beachtetes Land. Das liegt auch daran, dass es für Medien immer schwerer wird, von dort zu berichten. Ausländische Medienschaffende werden kaum noch zugelassen und inländische Journalisten und Journalistinnen auf vielfältige Weise bekämpft. “Zapp” lässt Betroffene zu Wort kommen, die von den Demonstrationen gegen Präsident Alexander Lukaschenko berichtet haben und dabei ihre Freiheit und ihre körperliche Unversehrtheit riskierten.