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Gruner + Jahr schrumpft, Elend der Medien, Medien der Impfskeptiker

1. G+J verkauft Prisma Media an Vivendi
(meedia.de)
Gestern hatten wir an dieser Stelle Wolfgang Michals Analyse zum Niedergang des Gruner-+-Jahr-Verlags empfohlen, der einstmals als Europas größter Zeitschriftenverlag galt. Michal hatte darin einen Blick in die Zukunft geworfen: “Wird demnächst auch das Frankreich-Geschäft verscherbelt, ist Gruner + Jahr vollständig auf den deutschen Markt zurückgeworfen. Dann droht im Herbst der Todesstoß. Die RTL-Group, der umsatzstarke Fernsehboulevard-Riese, könnte den angeschlagenen Verlag übernehmen, inhaltlich ausschlachten und schließlich liquidieren.” Einen Tag später wird nun bekannt, dass sich Gruner + Jahr tatsächlich von seiner französischen Magazinsparte trennt. Es bleibt abzuwarten, ob Michal auch mit seinen weiteren Befürchtungen Recht behält, was die Übernahme Gruner + Jahrs durch die RTL-Group anbelangt.

2. Auf Kosten der Qual
(sueddeutsche.de, Nicolas Freund)
Der Bewegtbild-Markt ist ein Wachstumsmarkt, der jedoch nicht unproblematisch ist: Die Streamingdienste machen einander heftig Konkurrenz, das Kinogeschäft ist coronabedingt geschwächt, und die Zuschauer würden wieder vermehrt auf illegale Plattformen ausweichen. Nicolas Freund stellt dazu fest: “Die Anbieter saugen sich gegenseitig aus, die illegal streamenden Zuschauer betrügen sich selbst um ihre künftigen Inhalte, die wegen der Einnahme-Ausfälle nicht produziert werden können, und die Filmschaffenden stehen schon jetzt zwischen den Fronten”.

3. Ermuntern oder entmutigen? Die Medienkanäle der Impfskeptiker
(de.ejo-online.eu, Joachim Trebbe)
An einer britischen Universität hat man untersucht, welche Rolle Medien bei der Verbreitung von Impfskepsis und Impfbereitschaft spielen. Joachim Trebbe fasst die Ergebnisse zusammen: “Impfbereitschaft ‘erzeugt’ man nicht mal eben über ein paar Werbespots, Plakate oder Anzeigen mit aufgerollten Hemdsärmeln.”

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4. “Das Elend der Medien” ist da
(medienblog.hypotheses.org, Michael Meyen)
Für ihr Buch “Das Elend der Medien” haben Alexis Mirbach und Michael Meyen mit 40 Menschen aus dem Medienumfeld gesprochen – ob Medienpraktikerinnen, Medienpolitiker, professionelle Medienbeobachterinnen oder Laien. “Wie unser Vorbild Bourdieu (1997) haben wir diese Sammlung zwischen zwei Buchdeckel gepackt und veröffentlichen hier das Fazit, um Lust zu machen auf den großen Rest.”

5. Die “NZZ” stockt in Deutschland personell auf
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Die “NZZ” investiert in ihr Deutschland-Geschäft und stockt ihr Personal auf. Timo Niemeier schreibt bei “DWDL” über die Neuzugänge: “[Hannah] Bethke kommt von der ‘FAZ’, wo sie seit 2018 als Berlin-Korrespondentin für das Feuilleton arbeitet. [Oliver] Maksan ist seit 2016 Chefredakteur der katholischen Wochenzeitung ‘Die Tagespost’. Von 2012 bis 2016 berichtete er als Nahost-Korrespondent aus Israel unter anderem für ‘Die Tagespost’, ACN International und ‘Cicero’. Fatina Keilani ist seit mehr zwanzig Jahren Redakteurin für Justiz- und Rechtspolitik-Themen beim ‘Tagesspiegel’. Und [Kalina] Oroschakoff kommt von ‘Politico Europe’ aus Brüssel, das sie mitgegründet hat.”

6. Grande Dame der Lottozahlen: Karin Tietze-Ludwig wird 80
(rnd.de)
Karin Tietze-Ludwig startete ihre Fernsehkarriere, als das Bild noch in Schwarz-Weiß flimmerte und es nur drei Kanäle gab. Über Jahrzehnte hinweg war sie die “Lottofee”, die die Ziehung der Lottozahlen moderierte. Gestern ist Tietze-Ludwig 80 Jahre alt geworden.

7. Buchtipp: Geistige Brandstifter
(verdi.de, Tilman Gangloff)
In eigener Sache und deshalb als zusätzlicher Link: Der Medienjournalist Tilman Gangloff hat das Buch meiner BILDblog-Kollegen gelesen: “‘Der Aufmacher’ von Günter Wallraff, 1977 erschienen, war viele Jahre lang eines der wichtigsten deutschen Journalismus-Bücher. Schonungslos hatte der Undercover-Autor die menschenverachtenden Machenschaften der ‘Bild’-Zeitung aufgedeckt. 44 Jahre später weist das Autorenduo in seinem Buch ‘Ohne Rücksicht auf Verluste’ auf 270 gleichermaßen fesselnden wie erschreckenden Seiten nach, dass sich an den von Wallraff angeprangerten fragwürdigen Methoden nichts geändert hat.”
Dazu noch ein Hinweis von uns: Weil wir wissen, dass sich nicht alle das Buch leisten können, haben wir den BILDblog-Lesefonds eingerichtet, über den wir eine gewisse Anzahl von Büchern unentgeltlich abgeben. Einfach dort eintragen, wenn ihr derzeit knapp bei Kasse seid, und wir schauen, was sich machen lässt.

Gruner + Jahrs Niedergang, Sat.1 und die Reality-Falle, “Verlagstrojaner”

1. Gruner + Jahr – das bittere Ende der Story
(freitag.de, Wolfgang Michal)
Gruner + Jahr war einst ein bedeutendes Verlagshaus und Europas größter Zeitschriftenverlag. Fast 13.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter produzierten über 100 Zeitschriften und Zeitungen, darunter Magazine wie “Stern”, “Geo”, “Brigitte”, “Capital” und “Schöner Wohnen” sowie Tageszeitungen wie “Financial Times Deutschland” und “Berliner Zeitung”. Doch irgendwann setzte der Niedergang ein: “Wird demnächst auch das Frankreich-Geschäft verscherbelt, ist Gruner + Jahr vollständig auf den deutschen Markt zurückgeworfen. Dann droht im Herbst der Todesstoß. Die RTL-Group, der umsatzstarke Fernsehboulevard-Riese, könnte den angeschlagenen Verlag übernehmen, inhaltlich ausschlachten und schließlich liquidieren.” Wolfgang Michal macht sich auf die Suche nach der Antwort auf die Frage, wie es zu diesem beispiellosen Absturz kommen konnte.

2. Schwarm-Recherche – der Bürger als Informant
(fachjournalist.de, Gunter Becker)
In den vergangenen Jahren gab es in Deutschland verschiedene Recherchen, die ohne Schwarmintelligenz und die Beteiligung von Bürgern und Bürgerinnen so nicht möglich gewesen wären. Gunter Becker berichtet von zwei besonders eindrucksvollen Beispielen: dem Projekt “Wem gehört Lüneburg” der “Lüneburger Zeitung” sowie dem Projekt “Radmesser” des Berliner “Tagesspiegels”. “Die beiden Fallbeispiele zeigen, wie aufwendig und komplex, aber auch, wie journalistisch ergiebig und wie publikumswirksam solche Kollaborationen zwischen Redaktion und Publikum sein können.”

3. Die Reality-Falle: Was hat dich bloß so ruiniert, Sat.1?
(dwdl.de. Peer Schader)
Der Privatsender Sat.1 hat bei seinen Trash-TV- und Reality-Formaten zum wiederholten Male danebengelangt. Im April war es der Homophobie-Eklat bei “Promis unter Palmen”, im Mai die Produktion “Plötzlich arm, plötzlich reich”. Beide Serien beziehungsweise Staffeln sind mittlerweile abgesetzt. In seiner lesenswerten Analyse kommentiert Peer Schader: “37 Jahre nach seiner Gründung wirkt der Kanal, der einst die Ära des Privatfernsehens in Deutschland begründete, vor allem: kaputtversucht. Die vor einigen Jahren getroffene Entscheidung, mit dem einstigen Familiensender in Richtung Reality abzubiegen, hat diesen Verfall massiv beschleunigt. Mag sein, dass sich so kurzfristig wieder Quoten erzielen ließen, die längst Vergangenheit schienen. Nachhaltig war das – bis auf wenige Ausnahmen – jedoch nicht.”

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4. Tracking: Deutsche Forschungsgemeinschaft warnt vor “Verlagstrojanern”
(heise.de, Stefan Krempl)
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft beklagt den Umgang der dominierenden Wissenschaftsverlage mit deren Kundinnen und Kunden. Die Branchenriesen Elsevier und Springer würden durch Aggregation, den Weiterverkauf von Daten und den Einsatz von Spyware zu Datenkraken mutieren. Stefan Krempl erklärt, worum es dabei im Einzelnen geht.

5. Der ganz normale Hass bei Facebook
(blog.clickomania.ch, Matthias Schüssler)
Matthias Schüssler kritisiert die Redaktion der “NZZ”. Diese habe einen seiner Meinung nach differenzierten Beitrag über die “Klimajugend” reißerisch auf Facebook beworben und einen darauf folgenden Hasskommentar zu spät und intransparent gelöscht: “Ich finde es nicht gut, dass in so einem Fall der ganze Ast des Threads verschwindet, ohne dass für die Beteiligten der Grund dafür ersichtlich ist. Ich fände es besser, wenn mit Hinweis auf den Verstoss gegen die Netiquette der Inhalt geschwärzt würde, die Diskussion um den Kommentar aber ersichtlich bliebe – das hätte auch eine erzieherische Wirkung.”

6. Mehr Realität wagen
(taz.de, Anne Haeming)
Die Fernsehreihe “Polizeiruf 110” wurde ursprünglich vom DDR-Fernsehen als Gegenstück zum westdeutschen “Tatort” produziert. Seit vielen Jahren wird die beliebte Sendung von der ARD fortgesetzt und feiert dieses Jahr ihren 50. Geburtstag. In der “taz” kommentiert Anne Haeming: “Der ‘Polizeiruf’ hat das Potenzial, ein weiterer Baustein zu sein, die mediale Teilung zu überwinden, in der dieses Land immer noch festhängt. Auch weil es vielen Westdeutschen zu lange zu wurscht war, mehr zu erfahren.”

7. “Nennt mir einen beliebigen Ort, eine Person und eine Farbe”
(twitter.com, Lorenz Meyer)
Und noch ein zusätzlicher Link, da aus der Feder des “6-vor-9”-Kurators. Für eine Persiflage von Reportage-Anfängen habe ich auf Twitter um Einsendungen gebeten: “Nennt mir einen beliebigen #Ort, eine #Person und eine #Farbe, und ich schreibe Euch einen szenischen Einstieg für eine Reportage, mit der Ihr Journalismus-Preise abräumen könnt.” Die Vorschläge und Antworten darauf können in dem Thread nachgelesen werden. In diesem Zusammenhang noch einmal ein Dank an alle, die sich dort eingebracht und die notwendige Inspiration geliefert haben.

KW 20: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

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1. Wie vergiftet ist das Klima in den Redaktionen?
(uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 21:23 Minuten)
Im “Übermedien”-Podcast unterhält sich Holger Klein mit den beiden Reporterinnen Eva Hoffmann und Pascale Müller. Die zwei Journalistinnen haben Kolleginnen und Kollegen nach deren Erfahrungen mit Belästigungen, Machtmissbrauch, Sexismus und Rassismus in Redaktionen befragt. Insgesamt hätten 189 Personen auf ihren Aufruf reagiert, mit 25 mutmaßlich Betroffenen haben die Autorinnen tiefergehend gesprochen. Die Medienbranche habe ein strukturelles Problem, das sich nachteilig für alle auswirke: “Unsere Meinung ist schon, dass es den Output verschlechtert, wenn Redaktionen verängstige und belästigte Mitarbeiter*innen haben.”

2. Welche 11 Learnings hat die Rheinische Post auf TikTok gemacht, Hannah Monderkamp?
(wasmitmedien.de, Daniel Fiene & Sebastian Pähler, Audio: 49:56 Minuten)
Seit drei Monaten mischt die “Rheinische Post” auf der Kurzvideo-Plattform TikTok mit. Wie geht man auf einem TikTok-Kanal viral – und wie nicht? Wie lassen sich redaktionelle Prozesse auf TikTok umsetzen? Welche Ziele können Medien erreichen? Um diese Themen geht es im Gespräch mit Hannah Monderkamp, Head of Audience Development der “Rheinischen Post” (das Gespräch beginnt bei Minute 8:30.)

3. Warum Trash-Schleuder RTL jetzt seriös wird
(youtube.com, Walulis Story, Philipp Walulis, Video: 15:33 Minuten)
Der Fernsehkanal RTL ist bei vielen Menschen vor allem als Unterhaltungs- und Trashschleuder bekannt, doch der Sender arbeitet an seinem Image: weniger Dieter Bohlen, mehr Jan Hofer. Weniger Trash-TV, mehr seriöse News. Philipp Walulis erklärt den Strategiewechsel auf gewohnt zugespitzte Weise.

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4. Podcast Spezial zur Rundfunkpolitik: Seriöses für junges Publikum
(soundcloud.com, M – Der Medienpodcast, Manfred Kloiber, 35:32 Minuten)
Bei “M – Der Medienpodcast” gibt es eine Sonderausgabe zur Rundfunkpolitik. Manfred Kloiber hat sich mit Juliane Leopold, Chefredakteurin Digitales von ARD Aktuell, unterhalten – über die Fragen, wie die Öffentlich-Rechtlichen das junge Publikum erreichen können, wie sie der Streaming-Konkurrenz trotzen wollen und wo sie bei den Sozialen Medien ansetzen.

5. Lebensgefährlicher Enthüllungsjournalismus und Grimme-Preise
(wdr.de, Anja Backhaus, Audio: 44:19 Minuten)
Im Medienmagazin von WDR 5 geht es unter anderem um folgende Themen: Lebensgefährliche Enthüllungen, die Grimmepreise, den Unmut über die WhatsApp-Frist und den Trend zum Newsletter-Journalismus. Zum Abschluss folgt noch eine Portion Medienschelte: “Ein falscher Satz – und raus bist du.”

6. Indiana Jones: Hinter den Kulissen
(youtube.com, Arte, Video: 52:16 Minuten)
Und noch etwas Unterhaltsames. Die Arte-Doku über den Kassenschlager “Indiana Jones”, der vor vier Jahrzehnten das Genre Abenteuerfilm revolutionierte: “Peitsche, Hut, verschlissene Jacke und ein schelmisches Lächeln auf den Lippen – das sind die unverkennbaren Markenzeichen von Indiana Jones. Der Filmheld wird dieses Jahr 40: Der runde Geburtstag bietet die ideale Gelegenheit zur Untersuchung eines popkulturellen Phänomens, das die Filmlandschaft nachhaltig prägte.”

7. #77 Was sind die Grenzen von Boulevardjournalismus, Moritz Tschermak?
(podcastproduzenten.de, Medientage Mitteldeutschland, Claudius Nießen, Audio: 20:52 Minuten)
In eigener Sache und deshalb als zusätzlicher Link: Mein BILDblog-Kollege Moritz Tschermak hat sich im Podcast der Medientage Mitteldeutschland über die Grenzen von Boulevardjournalismus unterhalten. Es geht unter anderem um tendenziöse Berichterstattung, den Einfluss von “Bild”-Chef Julian Reichelt und um Soziale Medien in der Regenbogenpresse.

Uploadprobleme, Klickerfolg der “Welt”, Diana-Interview

1. Ihr Upload ist leider fehlgeschlagen
(zeit.de, Meike Laaf)
Alle Einwände der Kritikerinnen und Kritiker haben nichts genutzt: Gestern wurde vom Bundestag die umstrittene Urheberrechtsreform beschlossen. Mit dabei: die von vielen als problematisch angesehenen Uploadfilter. Meike Laaf widmet sich in einer ausführlichen Analyse den Fragen der möglichen technischen Umsetzung. Die Technik allein könne es jedoch nicht richten: “Ohne Menschen, die maschinelle Entscheidungen zumindest überprüfen, wird es in vielen Fällen schwierig werden. Ganz zu schweigen von der Notwendigkeit, mehr Transparenz als bisher darüber herzustellen, warum Sperrentscheidungen gefallen sind.”

2. Für seriöse Medien wäre #DIVIgate eine Katastrophe, für “Welt” war es ein voller Erfolg
(volksverpetzer.de, Thomas Laschyk)
Die “Welt” hat einem hochproblematischen, da fehlerbehafteten Thesenpapier über die angeblich nicht vorhandene Auslastung der Intensivstationen großen Raum gegeben. Laut Insiderinformationen freue sich der Digital-Chef der “Welt” über den Klick-Erfolg – trotz der Fehler und trotz heftigem Widerspruch von Medien und Experten. Thomas Laschyk kommentiert: “Für seriöse Medien, denen Ansehen und korrekte Berichterstattung wichtig sind, wäre so eine massive Fake News eine Katastrophe. Der MDR bezeichnet das als ‘Unfall’, wenn HR oder MDR nach dem Verbreiten von Fake News selbst Korrekturen veröffentlichen müssen (wir haben auch darüber berichtet). Bei WELT nimmt man das eher als vollen Erfolg wahr.”

3. “Ich bin für meine Autor:innen jederzeit erreichbar”
(fachjournalist.de, Florian Beißwanger)
Anna von Planta arbeitet als Lektorin beim Diogenes Verlag. Dort betreut sie das Gesamtwerk der bereits verstorbenen Friedrich Dürrenmatt und Patricia Highsmith sowie viele andere bekannte Autoren wie Patrick Süskind, John Irving und Paulo Coelho. Im Interview mit dem “Fachjournalist” erinnert sie sich an die Zusammenarbeit mit Dürrenmatt, erklärt, was gute Lektoren ausmacht, und was angehende Schriftstellerinnen und Schriftsteller von Autor John Irving lernen können. Ein lohnenswerter, da eher seltener Blick hinter die Kulissen der Bücherwelt.

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4. Neue ARD-Programmchefin im RND-Gespräch: “Wir haben Teile der Bevölkerung verloren”
(rnd.de, Imre Grimm)
Die ARD hat eine neue Programmchefin: die von der ARD-Filmproduktionstochter Degeto kommende Christine Strobl. Im Gespräch mit Imre Grimm geht es unter anderem um ihre Pläne für die ARD, um Spar- und Konkurrenzdruck, Diversität, die Mediathek und das Thema Gebühren. Und natürlich spricht Grimm das Thema einer möglichen CDU-Nähe an: Strobl ist die Tochter von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble und mit dem baden-württembergischen CDU-Landesvorsitzenden Thomas Strobl verheiratet.

5. Hassrede, absetzbar
(taz.de, Matthias Meisner)
Seit Jahren gelinge es Vereinen im rechten politischen Spektrum, den Status der Gemeinnützigkeit zu erlangen, berichtet die “taz”: Das sei zeitweise beim Portal “Journalistenwatch” so gewesen und nun beim sogenannten “Demokratienetzwerk”, das im Kern nichts weiter als ein pöbelnder Twitter-Account sei. Matthias Meisner schreibt: “Das in Mannheim ins Vereinsregister eingetragene ‘Demokratienetzwerk’ mit seinen rund 2.800 Twitter-Follower:innen ist 2019 vom Finanzamt Rastatt als ‘gemeinnützig’ eingestuft worden, Spenden sind also steuerlich abzugsfähig. Und das für eine rechte Propagandaschleuder. Wie ist das möglich?”

6. Schwere Fehler bei legendärem Diana-Interview – BBC bittet um Entschuldigung
(spiegel.de)
1995 erreichte ein Interview weltweit Rekord-Einschaltquoten. Im Gespräch mit dem BBC-Reporter Martin Bashir sprach Lady Diana ungewöhnlich offen über die Untreue ihres Mannes Charles und ihre eigenen psychischen Probleme. Jahrzehnte später kommt ein interner Untersuchungsbericht des Fernsehsenders zu dem Schluss, dass sich Bashir das Interview offenbar mit unlauteren Methoden erschlichen hatte: Der Reporter habe Diana gefälschte Kontoauszüge vorgelegt, die beweisen sollten, dass Mitarbeiter am Hofe für Spitzeldienste bezahlt worden seien.

7. “Bildblog”-Autoren: “Angst verkauft sich besser als eine Willkommenskultur”
(derstandard.de, Oliver Mark)
In eigener Sache und deshalb als zusätzlicher Link: Meine BILDblog-Kollegen Moritz Tschermak und Mats Schönauer haben sich mit dem “Standard” über ihr “Bild”-kritisches Buch “Ohne Rücksicht auf Verluste” unterhalten. In dem Gespräch geht es um die Mechaniken der “Bild”-Berichterstattung, die Muster dahinter und die Unterschiede zwischen der Ära Diekmann und der Ära Reichelt. Bei der Gelegenheit und bei aller Befangenheit: “Ohne Rücksicht auf Verluste” sollte in jedem Bücherschrank stehen. Nicht nur, weil es eine fundierte Analyse des immer noch mächtigsten Mediums Deutschlands darstellt, sondern auch medienerfahrenen Lesern und Leserinnen neue Einblicke und Einsichten bietet.

Wahrheitssuche, “Querdenker” auf Journalistenjagd, Ingrid Kolbs 80ter

1. Per Crowdsourcing zur Wahrheit?
(deutschlandfunk.de, Marina Weisband)
In Talkshows werden oft Dinge behauptet, für die es keine beziehungsweise nicht sofort Belege gibt. Marina Weisband denkt darüber nach, wie man das Probleme mit Hilfe der Zuschauerschaft lösen könnte: “Während der Sendung sitzt ein großes Social-Media-Team an Rechnern und fordert die Community zur Prüfung von Aussagen auf. Sie bekommen Quellen und Argumente zugespielt, prüfen und filtern sie sorgsam und können diese in Echtzeit auf einen Bildschirm im Studio werfen. Die Moderatorin kann steuern, wie sie darauf eingeht.”

2. “So viel Angst, Misstrauen, Beharrungswillen, Unmut, Kontrollwahn” beim “Spiegel”
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Der Literaturkritiker Volker Weidermann wird den “Spiegel” verlassen und ab Oktober die Leitung des “Zeit”-Feuilletons übernehmen. Es könnte eine normale Personalmeldung sein, wenn da nicht Weidermanns Abschiedsmail an die Kolleginnen und Kollegen wäre, in der er mit seltener Offenheit die Gründe für den Abschied benennt. Vor Weidermanns Wechsel gab es beim “Spiegel” bereits zwei prominente Abgänge: den von Weidermanns Feuilleton-Kollegen Nils Minkmar und den von Chefredakteurin Barbara Hans.

3. Warum die Tagesschau auf TikTok so erfolgreich ist
(fachjournalist.de, Ulrike Bremm)
Antje Kießler ist eines der Gesichter des TikTok-Kanals der “Tagesschau”. Im Interview mit dem “Fachjournalist” spricht sie über ihren Einstieg in das Projekt, die Besonderheiten der Plattform, die Aspekte, auf die Nachrichtenredaktionen im Umgang mit TikTok achten sollten, und das Klima, das sie dort wahrnimmt: “Ich nehme die Community auf TikTok ganz anders wahr als auf anderen Social Apps. Die User:innen sind mehr emotionsgetrieben: Sie sehen ein Video und schreiben sofort darunter, was sie davon halten, verlinken Leute. Die Kommunikation ist viel wohlwollender – den ganzen Hate wie auf anderen Plattformen gibt es noch nicht.”

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4. Querdenker auf Journalistenjagd
(blog.zeit.de, Dominik Lenze)
Unter die Journalisten auf “Querdenker”-Demos würden sich immer öfter Pseudojournalisten aus dem rechten Milieu mischen, berichtet Dominik Lenze: “Selten bleiben sie dabei unauffällig: Sie rennen mitten in die Masse der Gegendemonstranten, um die vermeintlich ‘staatsfinanzierte Antifa’ zu filmen. Nicht wenige treten als Redner auf denselben Kundgebungen auf, von denen sie vorgeben zu berichten. Von der Bühne aus verbreiten sie Verschwörungsmythen, häufig baumelt noch der Presseausweis an einem Band um den Hals.” Dabei gehe es nicht nur um Selbstinszenierung, sondern um Einschüchterung und Drangsalierung der redlichen Medienschaffenden.

5. Journalismus jenseits von Profit
(verdi.de, Helma Nehrlich)
Oliver Moldenhauer ist einer der Köpfe des Forums Gemeinnütziger Journalismus, das Non-Profit-Organisationen im Medienbereich vereint. Im Interview spricht er über Entwicklungschancen sowie über mögliche Finanzierungsformen. Der Verein setze sich für die Aufnahme des gemeinnützigen Journalismus in die Abgabenordnung ein: “Gemeinnützigkeit macht viele Dinge einfacher, insbesondere bei der Finanzierung durch Stiftungen, aber auch für Kleinspender. Es gibt ja heute bereits viele journalistische Projekte, die gemeinnützig sind, doch die müssen immer den Umweg über andere im Gesetz anerkannte Bereiche gehen: Bildung, Verbraucherschutz, Völkerverständigung. Das ist legitim, aber immer auslegungsfähig. Die Finanzämter bewerten das unterschiedlich, Rechtssicherheit besteht nicht.”

6. MeToo im Jahr 1977
(taz.de, Felix Zimmermann)
“Eine Uneitle in einem mitunter sehr eitlen Gewerbe” – die Journalistin und ehemalige Leiterin der Hamburger Henri-Nannen-Schule, Ingrid Kolb, feiert ihren 80. Geburtstag, und Felix Zimmermann gratuliert ihr mit einer ganz besonderen Würdigung.

Grimme-Preise, Spiegel der Machtverteilung, “Terrorbrutkasten”

1. Grimme-Preis geht an “Männerwelten” und “Drinnen”
(sueddeutsche.de)
Bei den diesjährigen Grimme-Preisen gingen 14 der 16 Auszeichnungen an Produktionen oder Akteure der ARD-Anstalten beziehungsweise des ZDF. Als einzige Netflix-Produktion wurde “Unorthodox” ausgezeichnet, außerdem wurden die Fernsehjournalistinnen Mai Thi Nguyen-Kim, Isabel Schayani und Caren Miosga mit Preisen bedacht. Der Beitrag liefert alle Preisträgerinnen und Preisträger und die damit in Zusammenhang stehenden Produktionen im Überblick.

2. Immer auf Sendung
(zeit.de, Judith Liere)
Dass viele Menschen mehr an der Meinung von Schauspielern und Schauspielerinnen als an der von Experten und Expertinnen interessiert zu sein scheinen, könnte an einem Missverständnis liegen, findet Judith Liere: “Dass jemand in guten, klugen Filmen mitspielt, als Seriendarstellerin Erfolg hat oder auf der Theaterbühne den Hamlet spektakulär verkörpern kann, bedeutet jedoch nicht, dass sie oder er dadurch automatisch zum scharfsinnigen Analytiker wird. Das ist eine Verwechslung von Rolle und Mensch und wahrscheinlich auch ein etwas realitätsfernes, ehrfürchtig überhöhtes Verständnis von Schauspielern.”
Weiterer Lesehinweis: Der “Tagesspiegel” bittet in einem Text in eigener Sache für seine Berichterstattung zu #allesdichtmachen um Entschuldigung: “Unsere Recherchen haben neue Hintergründe aufgezeigt – wir haben aber auch Fehler gemacht.” Einen der von der Redaktion angesprochenen Texte hatten wir auch in den “6 vor 9” verlinkt.

3. “Die Straße war mal für Kinder”
(taz.de, Anja Krüger)
Dirk Schneidemesser ist Verkehrsforscher am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung in Potsdam. Im Interview mit der “taz” kritisiert er die üblichen Formulierungen rund um das Verkehrsgeschehen als Spiegel der Machtverteilung: “Die Sprache zeigt, wer berechtigt ist, Platz für sich in Anspruch zu nehmen. Das ist der Kern der Machtfrage. Wir sagen: ‘Die Fußgängerin wurde angefahren’ statt ‘Die Autofahrerin fuhr die Fußgängerin an’. Oft werden Autos und Autofahrende als Naturphänomen dargestellt und Fußgänger oder Radfahrende als Ausnahmen, deren Berechtigung subtil infrage gestellt wird.” Mit anderen Formulierungen könnte man Menschen positiver auf die Verkehrswende einstimmen: “Meine These ist, wenn wir nicht von Parkplätzen reden, sondern von Autolagerflächen, ändern sich die Diskussionen. Das Gespräch darüber, ob wir diese Flächen für private Autos, für Radwege oder als Aufenthaltsraum für Anwohnerinnen und Anwohner brauchen, würde ganz anders verlaufen.”

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4. Wie PI-News mit Rassismus und Hass auf Muslime zum Terrorbrutkasten wurde
(belltower.news, Stefan Lauer)
Die islamfeindliche Website “Politically Incorrect” wird mittlerweile vom Verfassungsschutz als “erwiesen extremistisch” eingestuft und beobachtet, wie der “Spiegel” Ende April berichtete. Stefan Lauer stellt die Seite vor, die auf eine lange Tradition an Hass und Hetze zurückblicken könne: “Immer wieder ist sie Brutkasten und Nährboden für gesteuerte Empörungsstürme, Drohungen, ungezügeltem Hass, bis hin zum Mord. Und das seit 17 Jahren.” Die Seite kenne “keine Regeln, keine Verantwortung und keine Menschenwürde. Während die Artikel sich in der Regel im legalen Bereich bewegen, herrscht in den Kommentarspalten nur noch Dauerempörung und enthemmter Hass. Wie eine Symbiose zwischen der Website und ihren Kommentator*innen schaukeln sich Menschenfeindlichkeit, Beleidigungen und Abwertungen immer weiter hoch.”

5. »jW soll Wasser abgegraben werden«
(jungewelt.de, Stefan Huth)
Die Partei Die Linke wollte im Rahmen einer Kleinen Anfrage von der Bundesregierung wissen, warum die “junge Welt” im jährlichen Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz auftaucht. Die Linken-Co-Fraktionsvorsitzende Amira Mohamed Ali kommentiert: “Es ist nicht überraschend, dass eine Zeitung wie die jW, die die Regierungstätigkeit scharf von links kritisiert und entgegen dem neoliberalen Meinungsmainstream berichtet, nicht auf Gegenliebe dieser Regierung stößt. Das muss eine demokratische Gesellschaft allerdings nicht nur aushalten, sondern auch als inhärenten Bestandteil der pluralistischen Verfasstheit begreifen.”

6. “Für unsere Recherche zur offenbar problematischen Nachwuchsarbeit von Union Berlin …”
(twitter.com/Daniel Drepper)
Laut Recherchen von “BuzzFeed News Deutschland” und der “Märkischen Allgemeinen Zeitung” würfen zahlreiche Jugendliche und deren Eltern dem Bundesligaklub Union Berlin vor, minderjährige Spieler schlecht zu behandeln und vor allem Kinder mit türkischem und arabischem Migrationshintergrund zu benachteiligen. Im Zuge der Recherche habe man einen Fragenkatalog an den Verein geschickt, der von diesem jedoch auf der eigenen Website veröffentlicht wurde (PDF). “BuzzFeed”-Chefredakteur Daniel Drepper erklärt in einem Twitter-Thread, warum er diese Vorgehensweise für “extrem unprofessionell und problematisch” hält.

7. Kritik an “Bild”: “Ohne Rücksicht auf Verluste”
(ndr.de, Video: 7:42 Minuten)
In eigener Sache und deshalb als zusätzlicher Link: BILDblog-Chef Moritz Tschermak spricht im “Zapp”-Interview über sein neues Buch “Ohne Rücksicht auf Verluste – Wie BILD mit Angst und Hass die Gesellschaft spaltet”. Welche Schwerpunkte haben er und BILDblog-Kollege Mats Schönauer gesetzt? Hat “Bild” eine Mission? Gibt es Beispiele für eine besonders verwerfliche Berichterstattung? Welchen Einfluss hat “Bild”-Chef Julian Reichelt auf den Kurs des Boulevardmediums?

Ein Jahr Corona in “Bild”

Der folgende Text sollte eigentlich in unserem Buch “Ohne Rücksicht auf Verluste” erscheinen, hat aus Platzgründen aber einfach nicht mehr reingepasst. Darum freuen wir uns, ihn nun exklusiv hier zu veröffentlichen.

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Unser Buch ist ab heute überall erhältlich, zum Beispiel bei euren lokalen Buchhändlern, bei GeniaLokal, bei Amazon, bei Thalia, bei Hugendubel, bei buch7, bei Osiander oder bei Apple Books. Es ist auch als eBook und Hörbuch erschienen.

Kein Thema hat die Berichterstattung der “Bild”-Medien in der jüngeren Vergangenheit so sehr bestimmt wie die Corona-Pandemie. Aber wie genau sah diese Berichterstattung aus? Wie hat sich die Redaktion positioniert? Was war gut und was schlecht? Schaut man sich an, wie “Bild” im Jahr 2020 über das Coronavirus berichtet hat, lassen sich neun Phasen erkennen. Diese sind nicht komplett trennscharf, sie überlappen sich teilweise oder laufen parallel.

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Die Kennenlernphase (Januar 2020)

Es ist nur eine kurze Meldung, gerade mal 18 Zeilen lang, unauffällig platziert auf Seite 10 neben einem Ratgeberbeitrag, der erklärt, wie die Vorsätze für das neue Jahr “wirklich zu schaffen sind”. Überschrift: “SARS in China ausgebrochen?”

In der chinesischen Großstadt Wuhan ist eine mysteriöse Lungenkrankheit ausgebrochen. Bislang seien 27 Erkrankte identifiziert worden. Laut Experten sei die Ursache der Erkrankung derzeit noch unklar. Das chinesische Parteiorgan “Volkszeitung” spricht von “schweren Lungenentzündungen”. Beobachter befürchten jedoch, das SARS-Virus könnte die Ursache für die Erkrankung sein.1

An diesem 2. Januar 2020 schreibt “Bild” erstmals über das, was sich zur weltweiten Pandemie entwickeln wird.

In den folgenden Tagen passiert erst mal: nichts. Fast drei Wochen dauert es, bis in “Bild” zum ersten Mal von “Corona” die Rede ist. Am 22. Januar erscheint ein Artikel über einen “Berliner Professor”, der das “Corona-Virus” entschlüssele. Gemeint ist der Virologe Christian Drosten. Zu diesem Zeitpunkt gebe es “schon 6 Tote in China”, schreibt die Redaktion auf Seite 6:

Das neue Corona-Lungenvirus breitet sich auf dem asiatischen Kontinent aus.

Die Zahl der Infizierten stieg in China auf 291. Dazu kommen Fälle in Thailand, Japan, Südkorea, Taiwan und sogar in den USA. Sechs Menschen starben bereits.

Noch wird das Risiko einer Ausbreitung auch in Deutschland als gering gewertet.2

“Bild” zitiert Drosten mit: “Wir müssen uns in Deutschland darauf vorbereiten, dass es zumindest in Einzelfällen auch zu Einschleppungen der Erkrankung kommt.”

Von nun an geht es ganz schnell, exponentiell sozusagen. Bereits einen Tag später fragt “Bild”: “CORONA-VIRUS – Panikmache oder echte Gefahr für die Welt?”3 Schon jetzt haben die Layouter den Artikel in das Gelb getunkt, das sie traditionell bei Seuchen verwenden4 und das die Berichterstattung des kommenden Jahres optisch prägen wird. Am 27. Januar sind laut “Bild” “Europas Flughäfen in Alarm-Bereitschaft”, denn: Das “Corona-Virus breitet sich rasant aus – viele weitere Fälle”.5 Zwei Tage später dann die erste Corona-Titelseite: “Bundeswehr rettet Deutsche aus der Seuchen-Zone +++ Sondermaschine startet heute nach China +++ Schon vier Corona-Fälle in Deutschland +++ Botschaft organisiert Krisentreffen +++ Ansturm auf Schutzmasken +++ Was Sie jetzt wissen müssen”. Ein “Bild”-Redakteur schreibt im Kommentar: “Keine Panik!”, schließlich gelte: “Fast so schlimm wie ein Virus ist die Angst davor.”6

***

Die Angst- und Alarmphase (Januar bis März 2020)

Nur einen Tag nach diesem Versuch, die Leserschaft etwas zu beruhigen, titelt “Bild”: “Deutsche China-Rückkehrer auf Isolier-Station – Corona-Angst!”7 Auch einen Tag später: “Corona-Angst – China-Rückkehrer werden HIER isoliert!” Im Blatt schlägt die Redaktion “Corona-Alarm auf Kreuzfahrtschiff” und schreibt von der “Sorge um Weltwirtschaft”.8 Wiederum einen Tag später steht auf Seite 1: “CORONA-ALARM in Deutschland, Vater und Tochter (5) erkrankt – Hier holen sie die erste Familie ab”. Dazu zeigt “Bild” ein großes Foto einer (immerhin verpixelten) Familie, die von Menschen in Schutzanzügen in Rettungswagen gebracht wird.9 “Bild am Sonntag” bietet am Tag darauf eine Übersicht über die “Seuchen der Angst” der vergangenen Jahre.10

Auch auf der Bild.de-Startseite herrscht zu dieser Zeit vor allem Verunsicherung, Ungewissheit und Angst: “CORONAVIRUS KAM DIREKT AUS DER SEUCHENZONE”11, “VIRUS-ANGST IN DEUTSCHLAND! Apotheken gehen die Schutzmasken aus”12, “Schlangen sollen das Coronavirus auf uns übertragen haben”13, “Ist es gefährlich, Pakete aus China anzunehmen?”14

Nachdem ein erster Corona-Ausbruch in Bayern15 unter Kontrolle zu sein scheint, verschwindet das Virus fast vollständig wieder von der “Bild”-Titelseite. Andere Themen sind wichtiger: “AKK gegen Merkel – Bitterböser Machtkampf”16, “Nach AKK-Abgang – MERZ KÄMPFT UM DIE MACHT IN DER CDU”17, “Deutschlands schlimmste Rentner-Abzocker gefasst!”18 Die Corona-Meldungen, die es nach ganz vorne schaffen, klingen fast schon hoffnungsvoll: “CORONA-Rückkehrer aus Quarantäne entlassen!”19, steht am 17. Februar auf Seite 1.

Eine Woche später ist es mit der Hoffnung allerdings vorbei. Die Schlagzeilen der Woche lauten:

• CORONA-ALARM! Italien riegelt Städte ab
• Minister Spahn schlägt CORONA-ALARM – “Die Epidemie ist in Europa angekommen”
• CORONA-AUSBRUCH im Rentner-Paradies – Deutsche Touristen im Hotel auf Teneriffa gefangen
• CORONA – So schützen Sie sich JETZT!
• Regierung beruft Expertenrunde ein – Der Krisen-Plan gegen Corona
• Corona-Verdacht im Regierungs-Flieger
• Wochenende im Bann von CORONA – Weltgrößte Tourismus-Messe in Berlin abgesagt +++ Konzerte, Fußballspiele auf der Kippe +++ Schon 54 Infizierte +++ Dax rauscht ab +++ Autogramm-Verbot für Bayern-Spieler +++ ERSTER HUND positiv +++ WHO löst “höchste Alarmstufe” aus +++ BILD sagt, was Sie jetzt beachten müssen20

Bei Bild.de ist die Stimmung dieselbe. Obendrauf kommen Fotos von leeren Supermarktregalen und Anleitungen zu “Hamsterkäufen”: “FAMILIENVATER ZEIGT SEINEN VORRATSKELLER – Wegen Corona! Das habe ich für 420 Euro eingekauft”.21 “Hohe Verkaufszahlen bei Aldi und Lidl – Hamsterkäufe wegen Coronavirus!”22 Die “Bild”-Redaktion treibt ihre Leserschaft in die schon teilentleerten Supermärkte: “CORONA-ANGST IN DEUTSCHLAND – Diesen Vorrat brauchen Sie für zehn Tage Quarantäne!”23 Und damit es auch schmeckt, erzählt Koch Johann Lafer bei “Bild-TV”: “Das können Sie aus Ihren Corona-Vorräten kochen”.24 Nur eine Woche später meldet “Bild”: “TAFELN SCHLAGEN ALARM – Wegen Hamstereinkäufen! Weniger Essen für Bedürftige”.25

Die Redaktion macht (nicht nur) in dieser Zeit aus der Angst der Leser Geld. Sie eröffnet mit fragenden Überschriften teils ganz alltägliche Schreckensszenarien und gibt die Antworten nur hinter der “Bild-plus”-Paywall: “BILD fragte bei Hersteller Hakle nach – Kann Klopapier wirklich knapp werden?” (Antwort: Nein).26 Oder: “ITALIEN SCHLIESST ZAPFSÄULEN – Machen auch bei uns die Tankstellen dicht?” (Antwort: Nein).27 Und: “Fast 100 Milliarden Euro fehlen – GEHT DEUTSCHLAND PLEITE?” (Antwort: Nein, “Deutschland kann kaum pleite gehen”).28 Es scheint “Bild” nicht darum zu gehen, die Leserschaft ordentlich und gewissenhaft zu informieren, sondern um den Verkauf von Abos: In der “Amazon”-Doku “BILD.Macht.Deutschland?” sagt Julian Reichelt in einer Redaktionskonferenz mit Blick auf die Corona-Krise: “Es geht darum, dass wir in einer Zeit, in der unsere Auflage morgen um die Hälfte einbrechen kann, eine wirtschaftliche Perspektive haben.”29

Wie folgenreich die “Bild”-Berichterstattung in einer derart angespannten Situation sein kann, zeigt sich am 22. März. Im Corona-Liveticker bei Bild.de erscheint eine Meldung zum Ortenau-Klinikum in Offenburg. Überschrift: “Das Klinikum Offenburg sucht händeringend Helfer!”30 Im Text steht:

Das Klinikum Offenburg (Baden-Württemberg) ist am Limit – und richtet diesen Appell an die Öffentlichkeit: Dringender Appell an euch!

Wir benötigen im Klinikum Offenburg dringend helfende Hände. Ob mit oder ohne medizinische Erfahrung spielt keine Rolle. Es gibt Bedarf in der Küche, an der Pforte, Essen verteilen, Betten schieben. Und wer medizinische Kenntnisse hat im pflegerischen Bereich.

Wer jemand kennt, der jetzt zum Beispiel in Kurzarbeit ist, bitte melden. Per E-Mail: […] oder telefonisch […].31

Die “Bild”-Redaktion nennt eine E-Mail-Adresse und eine Telefonnummer, die man anschreiben beziehungsweise anrufen soll, wenn man helfen möchte. Nur: Das Klinikum sucht gar nicht “händeringend Helfer”. “Bild” scheint blindlings aus einer kursierenden WhatsApp-Nachricht abgeschrieben zu haben. Die Redaktion von “Hitradio Ohr” fragt hingegen mal beim Klinikum nach:

Auf HITRADIO OHR-Anfrage hieß es heute (Sonntag) vom Ortenau Klinikum, das sei wohl Fake News.

Es gebe Überlegungen, ob das irgendwann nötig sei und intern gebe es beim Ortenau Klinikum die Überlegung, ob man sich – wenn sich die Situation verschlechtere – auch an die Öffentlichkeit wende. Das sei aber nur eine Idee und momentan KEIN Aufruf an die Bevölkerung. Beim Klinikum stehe wegen des “Fake-Aufrufs” das Telefon nicht mehr still.32

Nun ist es eine Sache, dass die Mitarbeiter des Klinikums auch dank “Bild” auf “rund 1000 Anfragen” reagieren müssen und damit nicht ihrem eigentlichen Job nachgehen können. Dazu kommt, dass die Meldung in dem Liveticker den Eindruck vermittelt, dass ein Krankenhaus die Situation nicht mehr im Griff hätte und bereits “am Limit” wäre. Das Ortenau Klinikum sieht sich genötigt, diesem Eindruck entgegenzuwirken. Es veröffentlicht eine Stellungnahme und betont, dass man “bestens ausgestattet” sei.33

Erst nach mehreren Stunden löscht Bild.de die Falschmeldung und schreibt in einer späteren Liveticker-Meldung, dass ein gefälschter Appell des Klinikums Offenburg im Umlauf sei. Die eigene Rolle bei dieser Geschichte bleibt unerwähnt.

Von solchen Fehltritten abgesehen, macht die “Bild”-Redaktion in den ersten Monaten des Jahres 2020 aber gar keinen schlechten Job. Viele Artikel sind stark boulevardesk und emotional aufgeladen; die Berichterstattung ist rückblickend im Umfang und in ihrer Dringlichkeit der Bedrohung und der potenziellen Entwicklung allerdings durchaus angemessen. Selbst “Bild”-Chef Julian Reichelt klingt ungewohnt versöhnlich. Am 9. März kommentiert er:

Die letzten Wochen haben gezeigt, dass es nicht auf jede Frage eine gute Antwort, nicht für jede Sorge sofortige Beruhigung gibt.

Aber eben auch, dass wir als Land in dieser Situation in bestmöglichen Händen sind: Unsere medizinische Versorgung ist überragend, unsere Ärzte sind pflichtbewusst und engagiert, deutsche Experten und Virologen genießen weltweit einen exzellenten Ruf und die Politik mit Gesundheitsminister Jens Spahn reagiert konsequent, aber besonnen.34

Bei einer Person scheinen sich Reichelt und “Bild” hingegen nicht “in bestmöglichen Händen” zu fühlen: bei Bundeskanzlerin Angela Merkel.

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Die Anti-Merkel-Phase (ab Ende Februar 2020, seitdem andauernd)

Am 28. Februar schreibt Bild.de: “Nur Merkel kneift in Sachen Corona-Krise”. Während Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Österreichs Kanzler Sebastian Kurz, Italiens Premier Guiseppe Conte und US-Präsident Donald Trump mit Reden ihre Bürger beruhigen würden, sei von Angela Merkel nichts zu hören oder zu sehen: “Deutschland in der Corona-Krise. Und wo steckt die Kanzlerin?”35 Am 11. März, also zwei Tage nach Julian Reichelts Lobeshymne auf die “bestmöglichen Hände”, in denen sich Deutschland befinde, titelt “Bild” groß: “Kein Auftritt, keine Rede, keine Führung in der Krise – Die Kanzlerin und das CORONA-CHAOS”. Merkel sei kaum zu sehen und äußere sich zu Corona nur wenig, kommentiert der stellvertretende “Bild”-Chefredakteur Paul Ronzheimer: “Sie lässt die Bevölkerung allein. Dabei müsste sie jetzt Führung zeigen!”36

Wie wichtig eine Stellungnahme der Kanzlerin in den entscheidenden Fragen für “Bild” ist, zeigt sich einen Tag später. Merkel sitzt mit Bayerns Ministerpräsident Markus Söder und Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher in einer Pressekonferenz, die anwesenden Journalisten können Fragen stellen. Als erster ist der Leiter des “Bild”-Parlamentsbüros dran. Er fragt, welche Auswirkungen das alles jetzt “auf die Wiesn in Bayern” habe.37

Die TV-Ansprache, die Angela Merkel am 18. März hält38 und die viele Menschen bewegt39, reicht “Bild”-Chef Julian Reichelt nicht. In einem langen Kommentar schreibt zwar auch er, dass Merkel “den richtigen Ton getroffen” habe, “doch inmitten emotionaler Appelle zum Ernst der Lage blieb sie der Bevölkerung das Wichtigste schuldig: eine Erklärung, was SIE persönlich in ihrem Amt für die Menschen tun wird.” Reichelt feuert daraufhin eine lange Reihe von Vorwürfen ab, die als Fragen formuliert sind, in denen er die Kanzlerin attackiert und sich als Kämpfer für all jene inszeniert, “die seit Jahren die Steuerkassen füllen”. Auf dem Spiel stehe “alles, was wir uns seither aufgebaut und erarbeitet haben”. Merkel solle endlich sagen, wie sie den Menschen helfen wolle, “mit dem Geld, das wir alle erarbeitet haben”. Er schreibt Sachen wie:

Wo bleibt das Versprechen der Kanzlerin, dass deutsche Kernindustrien wie der Autobau und die Luftfahrt auch nach der Corona-Krise international wettbewerbsfähig bleiben werden? Wenn am Ende dieser Gesundheitskrise Massenarbeitslosigkeit steht, überlassen wir das Land mit Ansage den Extremisten.

Oder er fragt, wo das Versprechen der Kanzlerin bleibe, “dass China, das aus der selbst verschuldeten Epidemie nun Profit schlagen will, keine deutschen Unternehmen erwerben und keinen Zugang zu deutscher Infrastruktur bekommen wird”.40 Solche Dinge will er wissen, zu einem Zeitpunkt, an dem man noch nicht mal sicher sagen kann, ob die Wiesn nun stattfinden können oder nicht.

Einer macht es aus “Bild”-Sicht deutlich besser als Angela Merkel. Nachdem Österreichs Kanzler Sebastian Kurz laut “Bild” “CORONA-KLARTEXT” gesprochen hat, schreibt die Redaktion sehnsüchtig: “So einen brauchen wir auch!” Es seien “nur 520 Kilometer zwischen Berlin und Wien. Aber in der Corona-Krise fühlt sich Österreich an wie eine andere Welt”:

Während Kanzlerin Angela Merkel (65, CDU) angeschlagen wirkt, sich mit den Ministerpräsidenten auf keine gemeinsame Linie einigen kann, zeigt Österreichs Kanzler Sebastian Kurz (33) Führungsstärke.

Fast täglich steht er kerzengerade vor den TV-Kameras, präsentiert eine Knallhart-Maßnahme nach der anderen: Kaffeehäuser nur noch bis 15 Uhr geöffnet. Alle nicht dringend benötigten Läden sind geschlossen. Die Ski-Orte St. Anton und Ischgl abgeriegelt. Schulen sind längst dicht.

Kurz zeige: “SO geht der Shutdown eines ganzen Landes!”41

Die Idee, Deutschland herunterzufahren, findet bei “Bild” Unterstützung. In einem “DAS-MEINT-BILD”-Kommentar schreibt die Redaktion, dass “wir beweisen” müssten, “dass wir nicht nur 82 Millionen Einzelpersonen sind, sondern eine Gemeinschaft”:

Jetzt muss jeder von uns ein Vorbild sein!

Die Politik darf bei harten Maßnahmen gegen das Virus nicht zögern. Wenn Gesundheitsminister Jens Spahn und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder vorübergehend Schulen schließen wollen, dann verdient das die Unterstützung der Bevölkerung. Dies dient unserem Schutz.42

Bei “Bild-TV” warnt ein Arzt: “Deutschland braucht den kompletten Shutdown!”43 Am 22. März beschließen die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten tatsächlich umfangreiche Kontaktbeschränkungen.44 Und die “Bild”-Berichterstattung legt eine bemerkenswerte Kehrtwende hin.

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Die Wieder-öffnen-Phase (März bis Mai 2020)

Bis hierhin hat “Bild” wiederholt und eindringlich klargemacht, welche “Angst” man vor dem Coronavirus haben müsse, wie schrecklich untätig Angela Merkel sei, wie sehr es “unserem Schutz” diene, wenn beispielsweise die Schulen geschlossen werden, und wie führungsstark Sebastian Kurz “eine Knallhart-Maßnahme nach der anderen” präsentiere. Nun machen Merkel und ihre Regierung ziemlich genau das, was “Bild” fordert – und das ist nun auch wieder falsch.

Gerade mal vier Tage nach dem Beschluss zu den Kontaktbeschränkungen, am 26. März, lässt “Bild” “CORONA-SKEPTIKER FRAGEN: ,Sind Löscharbeiten verheerender als der Brand?‘”45 Am 28. März titelt “Bild” groß: “Riesen-Wirrwarr um Kampf gegen Corona – Maßnahmen lockern oder nicht?”. Im Blatt fragt die Redaktion ungeduldig: “Wann sollen die Corona-Regeln denn nun gelockert werden?”46 Wieder zwei Tage später fragt ein “Bild”-Kolumnist: “WIE LANGE HALTEN WIR DAS DURCH?” Einen Tag später schreibt er: “Wir hören zu viel auf Virologen!” Auf der Titelseite derselben Ausgabe ruft die Redaktion einen “nationalen Kraftakt gegen Corona” aus (als würden Politiker und viele andere Menschen nicht schon seit Wochen kraftakten): “BILD sagt, was SOFORT passieren muss”. Neben der Forderung, dass Kanzlerin Merkel “jeden Tag zum Volk sprechen” müsse, und dem genialen Einfall, dass ein “neues Wirtschafts-Wunder” doch ganz praktisch wäre, ist für “Bild” von besonderer Bedeutung, dass die Fußball-Bundesliga endlich wieder ihren Betrieb aufnehmen dürfen soll.47 Dieser Wunsch könnte nicht ganz uneigennützig sein: Die Sport-Berichterstattung, und dort speziell die Fußball-Bundesliga, ist für die “Bild”-Medien immens wichtig.

In Österreich rückt Kanzler Kurz von seinen “Knallhart-Maßnahmen” ab und beschließt, dass ab Mitte April einzelne Läden wieder aufmachen dürfen. Die “Bild”-Redaktion ist erneut hin und weg: “DER KURZ-PLAN – So was wollen wir auch!” Auf Seite 1 schreibt sie: “NEUSTART NACH CORONA – Ösis machen‘s uns vor – Erste Geschäft in Österreich ab 14. April wieder geöffnet – aber Merkel bleibt hart”.48

Spätestens ab diesem Zeitpunkt wird deutlich, dass die “Bild”-Berichterstattung vor allem einem Grundsatz folgt: Hauptsache dagegen. Bis zu den Lockerungen der Kontaktbeschränkungen am 6. Mai49 schreiben die “Bild”-Medien konsequent gegen die Einschränkungen an: “Kanzlerin, machen Sie unser Land wieder auf!”, fordert “Bild” am 15. April auf der Titelseite.50 Es geht um “Chaos um Corona-Regeln”51, die Redaktion lässt einen Chefarzt im Blatt fordern: “MACHT DIE KLINIKEN WIEDER AUF … und zwar FÜR ALLE!”52 Bild.de berichtet über “DIE WUT DER WIRTE”53 und schreibt zu möglichen “CORONA-LOCKERUNGEN”: “Merkel will nicht, aber muss!”54 Die “Bild am Sonntag” titelt am 12. April: “WIR WOLLEN ZU HAUSE BLEIBEN!” Was erstmal wie eine Forderung nach einer Lockdown-Verlängerung klingt, ist das Gegenteil: “Ein Aufruf von 28 Prominenten über 70”, die anbieten, zu Hause zu bleiben, “damit die Jungen eine Zukunft haben und die Wirtschaft nicht kollabiert”. Oder anders gesagt: Die Alten bleiben drin, damit alle anderen wieder raus und loslegen können. Keine dieser 28 Personen dürfte übrigens bei einer Umsetzung des Plans in einer winzigen Wohnung ohne Balkon festsitzen. Die Wir-wollen-zu-Hause-bleiben-Promis auf der “BamS”-Titelseite sind größtenteils Millionäre und Milliardäre wie Dietmar Hopp, Friede Springer und Hubert Burda.55

Personen, die sich nicht auf “Bild”-Linie befinden und sich nicht für Lockerungen, sondern eher für strengere Maßnahmen aussprechen, bekommen von der Redaktion Gegenwind. Auch und gerade Wissenschaftler.

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Die Anti-Drosten-Phase (April bis Mai 2020)

“Schulen und Kitas wegen falscher Corona-Studie dicht”, schreibt “Bild” am 26. Mai groß auf Seite 1. Im Blatt lautet die Überschrift: “Drosten-Studie über ansteckende Kinder grob falsch”. Es seien “FRAGWÜRDIGE METHODEN” zum Einsatz gekommen.56 Im Artikel liefert der Autor allerdings keinen einzigen Beleg für die auf der Titelseite hergestellte Kausalität zwischen Studie und geschlossenen Schulen und Kitas. Stattdessen versucht er, die bei wissenschaftlichen Veröffentlichungen vorgesehenen kritischen Überprüfungen durch andere Wissenschaftler als eine Art Zoff zwischen Forschern darzustellen.

Die “Bild”-Geschichte wird stark kritisiert. Sogar von den Wissenschaftlern, die “Bild” im Beitrag als Kronzeugen gegen den Virologen Christian Drosten anführt. Sie alle distanzieren sich umgehend von dem Bericht. Einer schreibt bei Twitter, dass er “nicht Teil einer Anti-Drosten-Kampagne sein” wolle.57 Ein anderer stellt klar: “Ich wusste nichts von der Anfrage der BILD und distanziere mich von dieser Art Menschen unter Druck zu setzen auf das schärfste.”58

Bereits einen Tag zuvor veröffentlicht Christian Drosten bei Twitter einen Screenshot einer E-Mail des “Bild”-Autors. Dieser wollte, dass der Wissenschaftler Fragen zu seiner Studie beantwortet, und räumte dafür lediglich eine Stunde ein. Drosten schreibt bei Twitter, er habe “Besseres zu tun”. Anfangs ist in dem Screenshot auch die Handynummer des “Bild”-Mitarbeiters zu sehen. Nach Kritik löscht Drosten diesen Tweet wieder und postet die “Bild”-Anfrage noch einmal, diesmal ohne Handynummer.59

Das Verhalten von “Bild” sorgt für größeres Entsetzen – über die Schärfe des Angriffs, den aufgebauten Druck in der Anfrage, das Hochjazzen einer eigentlich vorsichtigen Formulierung des Virologen, das Unverständnis der Redaktion für wissenschaftliche Abläufe und Diskussionen, die falsche Verknüpfung zwischen Drostens Studie und Schulschließungen.60 Die Medienforscherin Johanna Haberer sagt zur Anti-Drosten-Kampagne von “Bild”: “Der Boulevard lebt von Angst und Unsicherheit. Und natürlich kann man einen Wissenschaftlerkonflikt zu einem persönlichen Kleinkrieg hochkochen. Beim Thema Gesundheit ist das allerdings fahrlässig.”61

Die “Bild”-Kampagne gegen Christian Drosten läuft zu diesem Zeitpunkt schon einige Wochen. In einer Reihe von Beiträgen wird Drostens Autorität als Wissenschaftler untergraben 62, die Redaktion arbeitet genüsslich frühere Fehleinschätzungen heraus63, stellt ihn als Einflüsterer dar, macht ihn zum Kollegenschwein64. Sie reißt Aussagen aus dem Zusammenhang, verfälscht zeitliche Abläufe und erfindet Behauptungen.65 Dazu inszeniert sie eine Art Seifenoper: Es gebe einen “Virologen-Clinch um CORONA-STUDIE”66 zwischen Hendrik Streeck und Christian Drosten, inklusive “zweiter Runde”67. Es ist eine Trivialisierung und Boulevardisierung von Wissenschaft. Die Bild.de-Leser können zum Beispiel abstimmen: “Welchem Virologen vertrauen Sie am meisten?”68 Das Ergebnis ist eine Mischung aus Ranking und Quartettspiel mit Angaben zum “Spezialgebiet”, dem Privatleben und dem jeweils “größten Irrtum”.69

Im Artikel “DREI EXPERTEN, DREI MEINUNGEN – Wie sehr kann man sich auf unsere Virologen verlassen?” erklärt “Bild” Drosten Ende April zum “Corona-Flüsterer der Kanzlerin” und gibt ihm damit etwas Rasputinhaftes.70 Im großen Vertrauen, das Angela Merkel dem Virologen entgegenbringt, und im daraus resultierenden Einfluss Drostens könnte sich der eigentliche Kern der massiven Kritik der “Bild”-Redaktion verstecken: Ihre Anti-Drosten-Kampagne ist im Grunde eine Verlängerung ihrer Anti-Merkel-Kampagne.71

Andere Personen, tatsächliche oder vermeintliche Experten, mit denen “Bild” einer Meinung ist, werden im Vergleich deutlich freundlicher behandelt.

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Die Klügste-Köpfe-Phase (ab Mai 2020, seitdem andauernd)

Am 8. Mai, nur zwei Tage nach der Entscheidung der Bundeskanzlerin und der Ministerpräsidenten, den Lockdown zu beenden, hat “Bild” im Blatt “Deutschlands klügste Corona-SKEPTIKER” zusammengetrommelt.72 Sie “KRITISIEREN DIE HARTEN MASSNAHMEN”: Der “Lockdown war ein Riesen-Fehler”.73 Einer dieser sechs “honorigen Meister ihres Fachs” ist der Professor Stefan Homburg. Am Tag nach Veröffentlichung des “Bild”-Artikels steht Homburg in Stuttgart auf der Bühne einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen und behauptet, dass die Wissenschaftler, die die Bundesregierung zur Corona-Pandemie zurate zieht, “weitgehend korrumpiert” seien. Außerdem sagt er, dass er inzwischen besser verstehe, was 1933 bei der Machtergreifung der Nationalsozialisten passiert sei.74 Später verschärft er diese Aussage bei Twitter: “Das hier IST 1933.”75 Schutzmasken hält Homburg für “Sklaven-Masken, mit denen die Bevölkerung psychisch niedergehalten werden soll”.76 Er schürt Ängste vor der Corona-Impfung, indem er twittert: “Selbst wenn nur einer von Tausend an oder mit der Impfung stirbt, macht das bei Durchimpfung der deutschen Bevölkerung rund 80.000 Impftote.”77 Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass “einer von Tausend an oder mit der Impfung stirbt”. In der Phase-III-Studie des Impfstoffs von Pfizer und BioNTech beispielsweise gab es unter den rund 43.500 Probanden keinen einzigen Todesfall.78 Homburgs verschiedensten Behauptungen wurde in zahlreichen Faktenchecks widersprochen.79

Ein weiterer “honoriger” Experte ist Klaus-Dieter Zastrow, den die “Bild”-Medien meist als “Hygiene-Papst” präsentieren.80 Zastrow sagt, die Gefahr einer zweiten Infektionswelle sei “ein Hirngespinst”.81 Auf der “Bild”-Titelseite vom 6. Mai ist ein Foto von ihm zu sehen, dazu die Überschrift: “Hygiene-Papst sicher – Es wird KEINE zweite Welle geben”.82 Ein paar Monate später kommt die zweite Welle doch.83 Am 29. September knöpft sich Zastrow Angela Merkel vor. Die Kanzlerin hatte vorgerechnet, dass es in Deutschland bis Weihnachten 2020 bis zu 19.200 Neuinfektionen pro Tag geben könnte.84 Für Zastrow ist das “purer Alarmismus”, das habe “nichts mit der Realität zu tun.”85 Tatsächlich trat das Szenario der Kanzlerin noch viel früher ein als von ihr prognostiziert.86 Kaum ein anderer Experte kommt zu dieser Zeit in der Corona-Berichterstattung der “Bild”-Medien so häufig zu Wort wie Klaus-Dieter Zastrow.

Neben Homburg, Zastrow und drei weiteren Professoren gehört laut “Bild” auch eine “Journalistinnen-Legende” zu den sechs “klügsten Corona-SKEPTIKERN” des Landes: Patricia Riekel, früher Chefredakteurin des Peoplemagazins “Bunte”.87 “Sie wäre lieber dem schwedischen Weg der Mahnungen statt Verbote gefolgt”, schreibt “Bild” über Riekel. Es ist keine große Überraschung, dass die Redaktion sie dafür lobend erwähnt.

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Die Oh-wie-schön-ist-Schweden-Phase (Mai bis Dezember 2020)

Monatelang ist Schweden, wo die Corona-Maßnahmen lange Zeit auf Empfehlungen und Freiwilligkeit basieren88, für die “Bild”-Redaktion das Nonplusultra. “Mehr Schweden wagen!”, fordert ein “Bild”-Kommentator im Juli.89 Der Leiter des Ressorts “Meinung” schreibt im September über “Drei Schweden-Wahrheiten, die niemand hören will”90 und berichtet im Oktober: “Deutschland macht dicht, Schweden auf!”91 Bei “Bild-TV” läuft eine Doku über “SCHWEDENS SONDERWEG DURCH DIE CORONA-KRISE”: “,Wir leben hier unser normales Leben weiter‘”.92 In der “Bild”-Zeitung gibt es zeitweise sogar eine eigene tägliche Rubrik: “Und wie geht‘s SCHWEDEN?” Am 11. Mai ist dort beispielsweise zu lesen, dass Stars in der Hauptstadt Konzerte gäben, “trotz Corona”:

In Schweden finden wieder vermehrt Kultur-Veranstaltungen mit Publikum statt.

Im Mai werden u.a. Burlesque-Star Dita von Teese und Sänger Randy Newman Auftritte in Stockholm absolvieren.

Ein Künstler jedoch sticht besonders hervor: Black-Sabbath-Gründer Tony Iommi will trotz schwerer Krebserkankung am 15. Mai im “Lilla Cirkus” in Stockholm spielen.

Vor lauter Begeisterung für die kulturellen Angebote in Schweden scheint die Redaktion die Recherche93 vergessen zu haben. Dita von Teese gab bereits sechs Wochen zuvor bekannt, dass ihr Auftritt nicht stattfinden kann.94 Dass das Konzert von Randy Newman wegen der Beschlüsse der schwedischen Regierung abgesagt werden muss, teilte der Veranstalter am 27. April mit.95 Und dass Tony Iommi aus demselben Grund nicht auftreten kann, wird an dem Tag bekannt, an dem der “Bild”-Artikel erscheint.96

Zwischendurch werden bei Bild.de zwar auch die vielen Todesfälle in Schweden erwähnt97, in der “Bild”-Zeitung berichtet eine Reporterin, dass Schweden entspannt bleibe, “aber nicht verschont”98. Der Grundtenor aber ist: Die Schweden machen es besser.

Damit ist spätestens am 17. Dezember Schluss. Die “Bild”-Redaktion zitiert in einem Artikel Schwedens König Carl Gustav:

“Wir haben versagt. Eine große Anzahl von Mitmenschen ist gestorben und das ist fürchterlich. Wir leiden alle darunter. Ich finde es schrecklich angesichts all der verstorbenen Menschen. Und die Traurigkeit und die Frustration, die viele Menschen und Unternehmer plagen, die in den Knien liegen und sogar ihr Geschäft verloren haben. Es war ein schreckliches Jahr.”

Der schwedische Ministerpräsident Stefan Löfven sehe die Schuld “bei den führenden Gesundheitsexperten des Landes”. Eine extra eingesetzte Corona-Kommission erklärt, dass man es nicht geschafft habe, ältere Menschen vor dem Virus zu schützen. Die “Bild”-Redaktion schreibt: “Auf die Bevölkerung heruntergerechnet hat das Land mit rund zehn Millionen Einwohnern damit deutlich mehr Infektionen und Todesfälle gehabt als Deutschland oder der Rest Skandinaviens.”99 Der Sehnsuchtsort Schweden verschwindet aus der Berichterstattung.

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Die China-soll-zahlen-Phase (ab April 2020, seitdem andauernd)

Ein anderes Land steht von Beginn an am entgegengesetzten Ende der “Bild”-Beliebtheitsskala: China. Schon früh schreiben die “Bild”-Medien vom “China-Virus”.100 Mitte April veröffentlicht “Bild” eine große Rechnung: “WAS CHINA UNS JETZT SCHON SCHULDET”. Allein für die deutsche Tourismusbranche veranschlagt die Redaktion “24 Mrd. Euro Umsatz-Minus” in zwei Monaten. Für den Einzelhandel schlägt sie “1,15 Mrd. Euro entgangene Umsätze pro Tag” obendrauf. Außerdem noch “55 Mrd. Euro für Pandemiebekämpfung”, “10 Mrd. Euro mindestens für Kurzarbeit” und so weiter. In der “Amazon”-Doku über “Bild” ist die Redaktionskonferenz zu sehen, in der diese Rechnung geplant wird. Einigen Mitarbeitern scheint die Aktion unangenehm zu sein.101

Noch am Tag der Veröffentlichung schreibt eine Sprecherin der chinesischen Botschaft in Berlin einen offenen Brief an Julian Reichelt: “Mit einigem Befremden habe ich heute Ihre Berichterstattung zur Corona-Pandemie im Allgemeinen und zu der vermeintlichen Schuld Chinas daran im Besonderen verfolgt.” Sie betrachte es als “ziemlich schlechten Stil”, ein Land für eine Pandemie verantwortlich zu machen, “unter der die ganze Welt zu leiden hat und dann auch noch eine explizite Rechnung angeblicher chinesischer Schulden an Deutschland zu präsentieren”.102 Reichelt antwortet prompt – mit einem offenen Brief an Chinas Staatspräsidenten Xi Jinping.103 Er spricht sein Schreiben auch vor laufender “Bild-TV”-Kamera ein. Das Video erscheint mit chinesischen Untertiteln104 und auch auf Englisch.105 Die Resonanz ist riesig. In einer erneuten Redaktionskonferenz zeigt Reichelt per Beamer sichtlich stolz, dass auch Donald Trumps Sohn seinen Videokommentar bei Twitter verbreitet habe, und erzählt dazu sichtlich noch stolzer, dass das wiederum auch der Vater retweetet habe.106

Im September präsentiert Bild.de eine “chinesische Forscherin”, die angeblich das liefert, was es bräuchte, damit China womöglich wirklich zur Rechenschaft gezogen wird:

Ist das Coronavirus von Menschenhand gemacht? Dr. Li-Meng Yan sagt: Ja! “Es kommt aus dem Labor in Wuhan. Die Genomsequenz ist wie ein menschlicher Fingerabdruck.”

In der Überschrift zitiert die Redaktion die Chinesin: “,Das Corona-Virus kommt aus dem Labor‘”. Das habe die chinesische Führung aber erfolgreich vertuscht, sagt die Frau. Und:

In Hongkong habe außerdem jemand ihre Erkenntnisse von ihrem Computer gelöscht, sagte Dr. Li-Meng Yan der “Daily Mail”. Die Beweise bleibt sie bis heute schuldig. Sie wolle diese aber noch vorlegen, so Yan.107

Einen Tag später ist es schon so weit. Bild.de berichtet: “Forscherin zeigt ihr Beweismaterial”. Im Artikel steht:

“Das Virus kommt aus dem Labor.” Eine chinesische Virologin, die lange an der Uni Hongkong arbeitete und das neuartige Coronavirus eigenen Angaben zufolge seit Ende 2019 erforschte, bestätigt mit dieser Aussage, was viele Menschen schon lange glauben.

Jetzt hat Dr. Li-Meng Yan mit drei weiteren Forschern eine wissenschaftliche Arbeit (“Paper”) vorgelegt, die sogar zeigen soll, wie das Virus hergestellt wurde.

Die Redaktion ergänzt noch: “BILD übersetzt prägnante Aussagen ins Deutsche. Es liegt allerdings noch keine Prüfung von Dr. Li-Meng Yans Arbeit durch unabhängige Wissenschaftler vor.”108

Das US-Nachrichtenmagazin “Newsweek” hilft dabei. Es bittet mehrere Wissenschaftler, sich das Paper anzuschauen. Deren Urteil ist verheerend: Li-Meng Yan liefere keine neuen Informationen, sie stelle mehrere unbelegte Behauptungen auf, ihre wissenschaftliche Argumentation sei schwach. Dem Preprint-Bericht könne in dieser Form keinerlei Glaubwürdigkeit verliehen werden, sagt einer der Wissenschaftler.109

Die “Bild”-Redaktion reagiert auf den “Newsweek”-Text und ergänzt in ihrem Artikel: “Mehrere Wissenschaftler widersprechen der Forscherin, kritisieren die Aussagen als Verschwörungstheorien”.110 Der erste Artikel zum Thema (“,Das Corona-Virus kommt aus dem Labor‘”) ist unverändert online.

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Die Nicht-wieder-schließen-Phase (ab Mai 2020, seitdem andauernd)

Mit Blick auf die Situation in Deutschland haben sich die “Bild”-Medien inzwischen offenkundig auf eine Richtung festgelegt: Sie kämpfen gegen die Corona-Maßnahmen. Die Mittel scheinen dabei egal zu sein.

Dem Vorstandsvorsitzenden des Weltärztebundes Frank Ulrich Montgomery legt Bild.de im September ein erfundenes Zitat in den Mund: “Weltärzte-Chef Montgomery bei Anne Will – ,Grundrechtseinschränkung, eine Maske zu tragen!‘” Das hat der frühere Präsident der Bundesärztekammer bei seinem Fernsehauftritt jedoch nie gesagt. Tatsächlich spricht sich Montgomery dort für das Tragen von Masken aus. Er fragt: “Ist es eine Grundrechtseinschränkung, sich eine Maske aufsetzen zu müssen?” Und erklärt dann, dass selbst ein “feuchter Lappen vor dem Gesicht” zumindest “die anderen schützen kann”.111 Den Artikel hat die “Bild”-Redaktion später gelöscht.

Sie ist augenscheinlich bemüht, die Corona-Maßnahmen als willkürlich oder aberwitzig darzustellen. Bei Auftritten des Zaubererduos “Ehrlich Brothers” beispielsweise herrscht laut Bild.de-Schlagzeile der “Corona-Irrsinn”. Hinter der “Bild-plus”-Paywall klingt die Geschichte schon gar nicht mehr so irrsinnig: “In Düsseldorf durften die Brüder vor 2500 Fans auftreten. In Köln hingegen sorgten gestiegene Infektionszahlen einen Tag vor dem Event am Sonntag für die Absage der Stadt.”112 Der zuvor festgelegte Grenzwert bei der Sieben-Tage-Inzidenz wurde in Köln überschritten. In Düsseldorf nicht. In Düsseldorf durften die “Ehrlich Brothers” auftreten. In Köln nicht.

Am 18. September titelt “Bild”: “Härtere Corona-Regeln in der Kirche als im Puff – Singen verboten, aber Sex ist erlaubt!” Die erkennbare Idee hinter dem Artikel: Dinge vergleichen, die möglichst wenig miteinander zu tun haben, deren Kombination aber im Bestfall für Kopfschütteln und Unmut sorgt. Der Autor versucht es so:

Die Gefahr, abends nach dem Schwimmen von nassen Haaren auf dem Fahrrad krank zu werden, dürfte bei knapp 100 Prozent liegen. Die Gefahr, Corona zu bekommen, liegt im niedrigen einstelligen Bereich, aber die Berliner Bäderbetriebe haben die Benutzung der elektrischen Haartrockner unterbunden – die Aerosole.113

Es ist eigentlich allgemein bekannt114, dass niemand allein durch nasse Haare krank wird, erst recht nicht zu “knapp 100 Prozent”. Durch Aerosole kann man hingegen durchaus krank werden. Überschrieben ist der Artikel mit: “Diesen Corona-Irrsinn versteht niemand mehr”.115

Oder man will es nicht verstehen. Nur einen Tag später erscheint bei Bild.de ein Kommentar, der die Corona-Regeln als “absurd” bezeichnet. Es geht um Bilder und Situationen, die die Maßnahmen hervorrufen und “die wir unseren Kindern nicht erklären können.” Zum Beispiel:

Warum müssen Kinder auf dem Schulhof Maske tragen, im Unterricht dann aber im Klassenzimmer nicht mehr?

Kein Kind, das vorher gelernt hat, wie wichtig Vernunft als Grundlage von Entscheidungen ist, kann das verstehen.116

Man könnte den Kindern die Überlegung hinter dieser Regelung erklären. In Schleswig-Holstein etwa ist es das sogenannte Kohortenprinzip:

Das Kohortenprinzip sichert einen regulären Schulbetrieb. Durch die Definition von Gruppen in fester Zusammensetzung (Kohorten) lassen sich im Infektionsfall die Kontakte und Infektionswege wirksam nachverfolgen. Damit wird angestrebt, dass sich Quarantänebestimmungen im Infektionsfall nicht auf die gesamte Schule auswirken, sondern nur auf die Kohorten, innerhalb derer ein Infektionsrisiko bestanden haben könnte.

Innerhalb der Kohorte verzichte man “auf Abstandsregeln und das Tragen von Mund-Nase-Bedeckungen”.117 Daher keine Masken im Klassenzimmer. Auf dem Schulhof hingegen schon, damit sich die verschiedenen Kohorten nicht gegenseitig infizieren.

So geht es – nahtlos an die Kritik von “Deutschlands klügsten Corona-SKEPTIKERN” anknüpfend – monatelang gegen mögliche Einschränkungen und Schließungen: “Top-Virologe Streeck kritisiert Corona-Maßnahmen – Deutschland ist zu schnell in den Lockdown gegangen!”118 “Top-Lungenarzt fordert – Deutschland kann mehr Infektionen zulassen”.119 “WIE TÖDLICH IST DAS VIRUS WIRKLICH? Amtsarzt vergleicht Corona mit Grippe und Hitzewelle”.120 “STERBEN mehr Menschen am Lockdown als an Corona?”121 “EXPERTE WARNT – Mehr Tote durch Lockdown als durch Corona”.122 “So tödlich ist der Lockdown”.123 Im Dezember berichtet Bild.de auf der Startseite von “30 000 Neuinfektionen in Deutschland”. Das seien “NEUE HÖCHSTWERTE”.124 Direkt daneben ärgert sich die Redaktion über den “PSYCHO-KRIEG gegen Weihnachtseinkäufe”, weil Politiker “immer dramatischer” vor dem dicht gedrängten Geschenkeshopping warnen.125

Trotz aller Bemühungen der “Bild”-Redaktion beschließen Kanzlerin und Ministerpräsidenten im Oktober erst einen sogenannten Lockdown light126 und im Dezember einen harten Lockdown127. Am Ende des Jahres, am 31. Dezember, lautet die große Schlagzeile auf der “Bild”-Titelseite “Kanzlerin, so darf es 2021 NICHT weitergehen!”128 In der Berichterstattung der “Bild”-Medien geht es genau so weiter.

Palmer und das N-Wort, Drama in MV, Das Treiben der Tech-Giganten

1. Boris Palmer und das N-Wort
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers & Anatol Stefanowitsch & Bettina Schmieding, Audio: 8:15 Minuten)
Baden-Württembergs Grüne wollen ein Parteiausschlussverfahren gegen ihr Noch-Mitglied Boris Palmer anstrengen. Dem vorausgegangen war ein vielfach kritisierter obszöner Facebook-Kommentar des Tübingener Oberbürgermeisters, der das N-Wort enthielt. Die Kanzlerkandidatin der Grünen und Co-Parteivorsitzende Annalena Baerbock hatte sich bereits auf Twitter von Palmer distanziert: “Die Äußerung von Boris #Palmer ist rassistisch und abstoßend. Sich nachträglich auf Ironie zu berufen, macht es nicht ungeschehen. Das Ganze reiht sich ein in immer neue Provokationen, die Menschen ausgrenzen und verletzen. Boris Palmer hat deshalb unsere politische Unterstützung verloren.” Im Deutschlandfunk spricht Bettina Schmieding mit dem Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch über Palmers Entgleisung. Der Fall zeige auch, wie kompliziert die Berichterstattung über Grenzüberschreitungen ist.

2. Der Gute, der Böse, das Drama
(taz.de, Anne Fromm)
Das Startup “Katapult MV” will im Lokaljournalismus Mecklenburg-Vorpommerns mitmischen, der bislang von Teilnehmern wie dem “Nordkurier” geprägt ist. Anne Fromm wirft einen differenzierten Blick auf das Geschehen: “Die alte, rechte Lokalzeitung gegen das coole, linke Medien-Start-up, ganz so einfach ist es eben nicht. Hört man sich um unter denen, die in MV für die Demokratie kämpfen, Initiativen und Vereine gegen Rechtsextremismus, dann warten da einige gespannt auf Katapult MV. Auch sie stören sich am teils rechten, verschwörerischen Sound des Nordkurier. Aber sie sagen auch, dass sich ein­ige Redakteur*in­nen vor Ort zuletzt besonders bemüht hätten, linke Initiativen ins Blatt zu holen.”

3. “Wenn ich 26 wäre, würde ich mich selbstständig machen”
(journalist.de, Stephan Weichert)
Astrid Csuraji war lange in der Journalistenausbildung tätig, bis sie 2018 den Sprung in die Selbstständigkeit wagte. Mit ihrem Start-up bietet sie Medienhäusern innovative Ideen für Vermittlung und Aufbereitung journalistischer Inhalte an. Wie akquiriert sie neue Projekte und Gelder? Warum hält sie so sehr am Journalismus fest? Und wie kommt sie mit ihrem jungen Unternehmen durch die Krise? Unter anderem darum geht es im Gespräch mit dem Hamburger Journalisten und Medienwissenschaftler Stephan Weichert.

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4. Schweden: Immer mehr digitale Hetze gegen Journalisten
(de.ejo-online.eu, Anika Hinz)
Auch Schweden hat ein Problem mit Gewalt gegen Journalisten und Journalistinnen. Vor allem Online-Attacken hätten in letzter Zeit stark zugenommen, wie Reporter ohne Grenzen in einer Erhebung festgestellt habe. Um sich selbst zu schützen, würden immer mehr Medienschaffende den Weg der Selbstzensur gehen. Laut Tove Carlén vom schwedischen Journalistenverband würden sie sich immer öfter dazu entscheiden, ihre Profile in den Sozialen Netzwerken zu löschen.

5. Offensive gegen Frauenhass im Netz
(tagesschau.de, Michael Stempfle)
Die Frauen-Union, eine Vereinigung von Politikerinnen von CDU und CSU, will auf das Phänomen Frauenhass im Netz aufmerksam machen und hat dazu ein Beschlusspapier ausgearbeitet, das dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegt. Zur Initiative der Unionsfrauen um ihre Vorsitzende Annette Widmann-Mauz gehöre auch die Wiedereinführung der umstrittenen und derzeit ausgesetzten Vorratsdatenspeicherung.

6. Too Big To Regulate?
(gutjahr.biz)
Am Wochenende war es uns einen Gucktipp wert: Die Dokumentation “Un-Social: Wie soziale Medien unsere Gesellschaft bedrohen” von Nemi El-Hassan und Richard Gutjahr. Nun hat Gutjahr einen interessanten Beitrag zur Doku nachgeliefert, der das Treiben der Tech-Giganten beleuchtet. Die geballte Lobby-Power habe ihren Preis: “Knapp 20 Millionen Euro im Jahr lassen sich Facebook, Google, Microsoft, Apple und Amazon ihre Parlamentarier-PR in Brüssel kosten. Das ist doppelt so viel, wie die gesamte europäische Autoindustrie zusammen. Geld, mit dem man sich vielleicht nicht direkt Gesetze, sicherlich aber Wohlwollen erkauft.”

7. Toxisch und tendenziös
(sueddeutsche.de, Cornelius Pollmer)
In eigener Sache und deshalb als zusätzlicher Link: Cornelius Pollmer hat “Ohne Rücksicht auf Verluste – Wie BILD mit Angst und Hass die Gesellschaft spaltet” von unseren BILDblog-Autoren Mats Schönauer und Moritz Tschermak gelesen. Sein Fazit: “Der Boulevard, gerade der von Bild, kann vergnüglich und spielerisch sein, er kann mahnen und aufrütteln. Aber wer ihn regelmäßig konsumiert, dem wird beim Lesen dieses Buches wieder einmal bewusst, dass er damit Teil von etwas Toxischem ist, und dass Bild konsumieren mitunter mehr bedeutet, als einen Cheat-Day in die journalistische Diät einzubauen.”

Spahns Pressearbeit, “KenFM” und die Sorgfalt, Gottschalk gibt auf

1. So verschafft sich Spahn gute Nachrichten über sich selbst
(tagesspiegel.de, Jost Müller-Neuhof)
Jost Müller-Neuhof macht Jens Spahn im “Tagesspiegel” schwere Vorwürfe. Der Bundesgesundheitsminister und dessen Sprecher würden die Medien nicht informieren, sondern dirigieren. Wer kritisiert, werde ausgeschlossen: “Jens Spahn ist nicht der einzige Minister, der sich auf diese Weise Kritik erspart. Aber er gilt als einer, der ‘bestimmte Kanäle’ in die Öffentlichkeit besonders intensiv nutzen lässt, um dort in gutem Licht zu erscheinen. Wer keinen Zugang zu diesen Kanälen hat, ist vom Informationsfluss abgeschnitten. Spahn und sein Pressesprecher Hanno Kautz kommunizieren nur, wenn sie kommunizieren wollen.”

2. Dein Freund und Berichterstatter
(sueddeutsche.de, Claudia Henzler)
Die Polizei Baden-Württembergs hat sich selbst einen “Pressekodex” auferlegt, in dem Grundsätze für die eigene Berichterstattung und die Zusammenarbeit mit den Medien festgelegt sind. Der Deutsche Presserat hält die publizistischen Leitsätze für sinnvoll. “Wir finden es grundsätzlich gut, wenn sich die Polizei transparente Regeln für die Öffentlichkeitsarbeit gibt”, sagt Presserats-Sprecher Sascha Borowski: “Wichtig für uns ist, dass die Polizei auf Nachfrage von Journalisten die Herkunft von Tatverdächtigen nennt und die Entscheidung damit bei der Reaktion bleibt, ob sie die Herkunft für relevant hält oder nicht.” Woran man sich jedoch störe, sei die Bezeichnung “Pressekodex”. So heißt schließlich auch die freiwillige Selbstverpflichtung von Verlagen und Medienschaffenden des Presserats.

3. “Wissenschaft ist keine Demokratie”
(zeit.de, Linda Tutmann)
Die Wissenschaftsjournalistin und Chemikerin Mai Thi Nguyen-Kim gehört vor allem bei jungen Leuten zu den beliebtesten Journalistinnen in Deutschland. Mehr als eine Million Personen haben ihren Youtbe-Kanal “maiLab” abonniert. Im Interview mit “Zeit Online” spricht sie über Wissensvermittlung, Meinungsfreiheit, Medienkompetenz, Hass im Netz und ihre persönliche Bedrohungslage: “Ich gehe nirgendwo mehr hin, ohne persönliche Security.”

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4. Verfahren gegen “KenFM”
(blog.wdr.de, Christopher Ophoven)
Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg hat ein Verfahren gegen “KenFM” von Ken Jebsen eingeleitet. Es geht dabei um Verstöße gegen die “journalistische Sorgfaltspflicht” – doch was ist darunter eigentlich zu verstehen? Christopher Ophoven ist der Frage nachgegangen und erklärt die Zusammenhänge. Unterdessen hat Jebsen öffentlich angekündigt, Deutschland zu verlassen. Er wolle in ein anderes Land umziehen, “wo man uns in Ruhe arbeiten lässt”.

5. Wie wir den gedruckten SPIEGEL dezent neu gedacht haben
(devspiegel.medium.com, Creative Direction)
Die Kreativdirektion des “Spiegel” hat das Design der Printausgabe überarbeitet. Im Entwicklerblog werden die wichtigsten Änderungen vorgestellt, die man “eher als Evolution denn als Revolution” verstanden wissen wolle. So sind die Änderungen oftmals nur marginal, dennoch ist es interessant zu lesen, was sich die Fachleute dabei gedacht haben.

6. Wie die Klatschpresse dafür sorgte, dass Gottschalk seinen Podcast im SWR aufgibt
(uebermedien.de, Mats Schönauer)
Thomas Gottschalk beendet seinen SWR-Podcast “Podschalk”. Und das hat dem Moderator zufolge mit der Klatschpresse zu tun, die sich aus isolierten Zitaten regelmäßig neue Geschichten zusammenfabuliert: “Das Problem ist, dass unser kleiner Podcast zu einer Zitatenquelle für Menschen wurde, denen ich diese Zitate einfach so nicht gegeben hätte. Und irgendwelche Redakteurinnen irgendwelcher Frauenzeitungen, die man nicht als Redakteurinnen bezeichnen kann, weil sie sich irgendwelchen Dreck unter der Türspalte durch zusammenkehren, das ist etwas, wo ich einfach sage: Nee.”

7. »All das fühlte sich wie ein ganz mieser Film an«
(spiegel.de, Kevin Kühnert)
In eigener Sache und deshalb als zusätzlicher Link: Morgen erscheint das Buch “Ohne Rücksicht auf Verluste – Wie BILD mit Angst und Hass die Gesellschaft spaltet” von unseren BILDblog-Autoren Mats Schönauer und Moritz Tschermak. Kevin Kühnert hat dafür ein Nachwort mit irren Einblicken geschrieben: “Meine erste Titelgeschichte in der »Bild« hatte ich mir anders vorgestellt.” Kühnerts Text ist vorab beim “Spiegel” zu lesen, das ganze Buch bekommt ihr ab dem 11. Mai im Buchladen um die Ecke oder jetzt schon beim Onlineversender eurer Wahl. Tipp des “6 vor 9”-Kurators: Am besten noch heute bestellen – der KiWi-Verlag hat bereits vor Erscheinen eine zweite Auflage hinterhergeschoben.

Goldenes Podcast-Zeitalter, AfD-Sprachtricks, Wagenknechts Betten

1. Das Goldene Zeitalter des Podcasts beginnt erst jetzt
(spiegel.de, Sascha Lobo)
Die Audio-App Clubhouse habe das Thema Social Audio stark vorangetrieben, findet Sascha Lobo, doch der eigentliche Innovationstreiber könne Apples Ankündigung einer Bezahlfunktion für Audio-Inhalte sein: “Mit rund einer Milliarde aktiver Geräte rund um den Planeten gibt die schiere Masse den Ausschlag. Der Kopfhörer ist das Wahrzeichen der Millennials, das Smartphone ihr Alltagsmittelpunkt und Social Audio mit Podcasts als Kern sind ihre ständige Begleitung. So, wie es das Dudelradio für die Babyboomer war. Nur größer.”

2. Wie die AfD versucht, Wähler sprachlich zu überlisten
(migazin.de, Clara Herdeanu)
Die AfD hat einen neuen Wahlkampfslogan: “Deutschland. Aber normal.” Was ist davon aus linguistischer Sicht zu halten? Welcher sprachlicher Mechanismen bedient sich die Partei in ihrem Wahlspruch und ihrer begleitenden Kommunikationskampagne? Auf den ersten Blick gebe es daran zwar nichts zu beanstanden, findet Linguistin Clara Herdeanu, aber: “Auf den zweiten Blick ist der Slogan und die dazugehörige Kampagne ein Paradebeispiel für ein unter rechten Populisten beliebtes Sprachmuster – die aufgesetzte und bewusste eingesetzte Harmlosigkeit als Tarnung: Denn Populisten kommunizieren nicht nur mit provokanten Äußerungen, die ihnen Aufmerksamkeit in der breiten Öffentlichkeit versichern. Genau so wichtig in ihrem Werkzeugkoffer sind die Wörter mit Code-Potenzial und Doppeldeutigkeit (beispielsweise ‘Rothschilds’) sowie die vermeintlich harmlosen, einlullenden Formulierungen.”

3. Pressekodex für polizeiliche Arbeit
(verdi.de, Karin Wenk)
Baden-Württemberg führt einen Pressekodex für die polizeiliche Arbeit ein, der landesweite Standards festlege und den Rahmen für eine professionelle Zusammenarbeit mit den Medien abstecke. Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, findet Verdi-Redakteurin Karin Wenk angesichts der in letzter Zeit gestiegenen Zahl von Angriffen auf Medienschaffende.

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4. Video von Sahra Wagenknecht: Intensivbetten-Statistik erneut falsch interpretiert
(correctiv.org, Sarah Thust)
Im Zuge der Corona-Diskussion taucht in Sozialen Netzwerken immer wieder die Behauptung auf, dass Intensivbetten in Deutschland abgebaut worden seien. Der Gedanke dahinter: Die Betten seien aus der Statistik sozusagen verschwunden, um den Lockdown oder die Corona-Maßnahmen zu begründen. Auch die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht nahm sich des Themas in einem ihrer Videos an und argumentierte mit Zahlen aus dem offiziellen DIVI-Register, die ihre Aussagen angeblich beweisen würden. “Correctiv” hat etwas genauer hingeschaut: “Die Daten aus dem DIVI-Intensivregister belegen nicht, dass bundesweit tausende Intensivbetten ‘abgebaut’ wurden oder ‘verschwunden’ sind. Die Daten stellen lediglich ein Bild der aktuellen Lage dar. Belege, dass ein Rückgang der Intensivbetten-Zahlen absichtlich herbeigeführt wurde, gibt es nicht.”

5. “Man hat mir die Zusammenarbeit systematisch verweigert”
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers, Audio: 6:16 Minuten)
Der Völkerrechtsprofessor Nils Melzer hat ein Buch über seine Zeit als UN-Sonderberichterstatter zum Fall Assange geschrieben. Darin beschreibt er, wie der Wikileaks-Gründer staatlicher Willkür und psychischer Folter ausgesetzt sei. Melzer wolle mit seiner Veröffentlichung die Öffentlichkeit alarmieren, da er im System selbst nicht weitergekommen sei: “Während meiner Arbeit über die diplomatischen Kanäle, die mir zur Verfügung stehen, hat man mir leider die Zusammenarbeit in diesem Fall systematisch verweigert. Und das hat mich ja auch so schockiert, weil ich es hier nicht mit irgendwelchen Diktaturen zu tun habe, sondern mit westlichen Rechtsstaaten.”

6. Im eigenen Film
(sueddeutsche.de, Jürgen Schmieder)
Der Beraterkonzern Deloitte hat eine neue Ausgabe der “Digital media trends” vorgelegt. Jürgen Schmieder hat einige interessante Kennziffern herausgesucht, die einen Medienumbruch ankündigen: “Hinter diesen Zahlen verbergen sich Trends, die bald zu Veränderungen führen dürften. Sie zeigen, dass sich gerade die Vorstellung davon, was Unterhaltung ist, grundsätzlich wandelt – und das hängt mit einem unterschiedlichen Gebrauch des Internets in den verschiedenen Generationen zusammen.” Eine lohnende Lektüre, weil sie die veränderte Mediennutzung verdeutlicht.

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