Natürlich könnte man jetzt sagen: Selbst schuld, der Martin Schulz, dass er “Bild” ein Interview gibt, und die Redaktion seine Aussage in der Überschrift dann so verfälscht, dass er aussieht wie eine Mischung aus einem bockigen Kind und einem “selbstsüchtigen Clown”, wie Juso-Chef Kevin Kühnert es treffend formuliert. Schulz hatte im Gespräch mit “Bild” zur Nominierung von Ursula von der Leyen für das Amt der EU-Kommissionspräsidentin und zu dem Prozess dahinter gesagt:
“Eindeutig habe ich das Gefühl: Gewisse Leute machen meine Vorstellung eines demokratischen Europas kaputt.”
Und die “Bild”-Redaktion machte daraus:
… als meinte der SPD-Politiker, ihm gehöre Europa (was er ja so gar nicht behauptet hat).
Natürlich könnte man jetzt also sagen: selbst schuld. Und dennoch ist das ständige Verfehlen minimaler journalistischer Standards durch die “Bild”-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter kein Persilschein für diese, Leuten das Wort im Mund umzudrehen.
Der bereits erwähnte Kevin Kühnert sagt übrigens, dass er “persönlich andere Konsequenzen als Martin Schulz” ziehe und den “Bild”-Medien “keine Interviews und Statements” gebe. Das halten wir nicht für die schlechteste Idee.
1. Hallo Leser, noch da? (kontextwochenzeitung.de, Rainer Stephan)
Rainer Stephan hat sich Gedanken zum Medienwandel gemacht und zieht einen interessanten historischen Vergleich: “An wen erinnern wir uns, wenn wir an große deutsche Publizisten denken? An Maximilian Harden, der sich im Untertanenklima des deutschen Kaiserreichs nicht scheute, den Monarchen persönlich in die Schranken zu fordern. An Karl Kraus — als die tonangebenden Geistesgrößen 1914 unisono den Krieg begrüßten, überzog er sie unnachgiebig mit seinen Wut- und Intelligenztiraden. Weil die großen Zeitungen das nicht ertrugen, gründeten Harden wie Kraus kurzerhand eigene Blätter, “Die Zukunft” und “Die Fackel”, die sie praktisch im Einmannbetrieb gestalteten. Sie, und nicht die heutigen Leitmedien, sind die Vorgänger der kritischen Blogger und Youtuber.”
2. “Die nächsten Monate werden supergefährlich” (sueddeutsche.de, Martin Bernstein)
Der Journalist Robert Andreasch ist für seine jahrelange Dokumentation der rechtsextremen Szene mit dem Publizistikpreis der Stadt München ausgezeichnet worden. Andreasch geht seiner Tätigkeit bereits seit mehr als 25 Jahren nach und ist dabei sowohl ins Visier von Neonazis als auch Verfassungsschutz geraten.
Weiterer Lesetipp: Drohbriefe an Journalisten: ABC-Alarm beim WDR Studio Dortmund (wdr.de).
3. Der Nutzer wünscht sich einen Kiosk im Netz (faz.net, Nora Sefa)
Die Landesanstalt für Medien NRW hat Menschen zur “Zahlungsbereitschaft für digitaljournalistische Inhalte” befragt. Von vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Befragung wurde die Idee einer allumfassenden Kiosk-Lösung geäußert, die Inhalte verschiedener Medienhäuser zum Einzelabruf anbietet. Kommentar des “6 vor 9”-Kurators: Die Befragten mögen sich ein derartiges Angebot wünschen, ob sie es nutzen, ist eine andere Frage. Bemühungen in dieser Richtung blieben in der Vergangenheit erfolglos (“Blendle”). Und auch “Readly” mit seiner Magazin-Flatrate tut sich noch schwer in Deutschland.
4. Wenn der Mensch mit der Maschine: die Zukunft des Journalismus ist hybrid (medienwoche.ch, Adrian Lobe)
Der US-Journalist Nicholas Diakopoulos hat ein Buch zur Automatisierung des Journalismus geschrieben (“Automating the News”). Adrian Lobe hat sich das Buch angeschaut und fasst die wichtigsten Erkenntnisse daraus zusammen.
5. Lizenz zum Lesen, oder auch nicht (taz.de, Helena Werhahn)
Stell dir vor, dein Buchhändler bricht nachts in dein Haus ein, entwendet einige deiner Bücher und schleicht sich wieder aus dem Haus. Was in der Realwelt schwer vorstellbar ist, praktiziert derzeit Microsoft mit dem Einstellen seiner E-Book-Sparte. Microsofts E-Book-Kunden können nicht nur keine weiteren Bücher erwerben, es gehen auch alle in der Vergangenheit erworbenen Bücher verloren. Der deutsche Buchhandel hätte sich kein besseres Szenario zur Bewerbung des klassischen Buchs ausdenken können.
6. Presserat: “Bild”-Artikel über Ausgewogenheit von “Bild” zu einseitig (uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Der Deutsche Presserat stellt nach einer Beschwerde von “Übermedien” fest, dass der “Bild”-Artikel über die Ausgewogenheit von “Bild” zu unausgewogen war, und spricht einen “Hinweis” (PDF) aus. “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt gibt sich wie gewohnt uneinsichtig. Stefan Niggemeier dröselt den Vorgang auf.
Der Astronaut Ulrich Walter hat schon einiges erlebt und kann davon wunderbar erzählen, wie etwa gestern Abend bei “Markus Lanz”. Auf dem Mond war Walter allerdings noch nie, auch wenn Bild.de das heute behauptet:
Es war bisher übrigens noch überhaupt kein Deutscher und auch kein Europäer auf dem Mond.
Mit Dank an Michael René S. und Micha für die Hinweise!
Nach einem schweren Busunfall auf Madeira im April dieses Jahres, bei dem 29 Menschen starben, zeigte Bild.de viele Fotos, auf denen die Opfer des Unglücks zu sehen waren. Über diese Veröffentlichung beschwerten sich mehrere Personen beim Deutschen Presserat.
Zum Prozedere gehört es dann, dass auch die Redaktion, gegen die sich eine Beschwerde richtet, Stellung nehmen kann. Das hat in diesem Fall Julian Reichelt übernommen. Und der “Bild”-Chef entgegnete den Vorwürfen mit einer sehr eigenen Version der Vorgänge. Im Bericht des Presserats steht:
Der Vorsitzende der Chefredaktionen trägt vor, die Beschwerde sei erkennbar unbegründet, weshalb er sich kurzfassen wolle: An dem tragischen Busunglück in Madeira, von dem auch viele deutsche Urlauber betroffen waren, habe ein besonders großes öffentliches Informationsinteresse bestanden. Diesem Interesse habe man entsprochen, nicht mehr und nicht weniger — wie alle anderen Medien auch. Und unter Einhaltung sämtlicher presseethischer Grundsätze über ein Aufsehen erregendes zeitgeschichtliches Ereignis berichtet. Anders als die Beschwerdeführer behaupten, habe man insbesondere keine Fotos der getöteten oder lebensgefährlich verletzten Opfer gezeigt. Man habe aber — natürlich, weil man als Presse dazu verpflichtet sei — die Fotos der Unfallstelle gezeigt, an der eine Vielzahl von Helfern darum bemüht war, den Opfern zu helfen. Teilweise — mit “viel gutem Willem” — identifizierbar seien lediglich einige wenige leicht verletzte Opfer des Busunglücks. Dies jedoch sei im Rahmen des unstreitig gegebenen öffentlichen Interesses i.S.v. Ziffer 8 Pressekodex im Hinblick auf eine vollständige und umfassende Berichterstattung unvermeidbar und verletze weder Recht noch Presseethik.
Kurzum: Ihre Bild- und Textberichterstattung über den tragischen Unglücksfall auf Madeira sei absolut medienubiquitär und in keiner Weise zu beanstanden. Die Beschwerden seien allesamt zurückzuweisen.
Erstmal zur Frage der Identifizierbarkeit der von Bild.de gezeigten Personen. Zu dem Thema schreibt der Medienrechtler Udo Branahl in seinem Lehrbuch:
An die Erkennbarkeit des Betroffenen stellt die Rechtssprechung (…) nicht sehr hohe Anforderungen. Sie verlangt nicht etwa, dass ein erheblicher Teil des Publikums die gemeinte Person erkennen kann, sondern lässt es ausreichen, dass sie von Kollegen, Freunden, Bekannten oder Verwandten erkannt werden kann.
Wenn Reichelts Redaktion Aufnahmen veröffentlicht, die Personen in einer Totalen unverpixelt zeigen, ist also nicht “viel guter Wille” notwendig, um von einer identifizierenden Berichterstattung zu sprechen. Das dürfte auch für das Foto gelten, auf dem ein Verletzter deutlich größer, aber verpixelt zu sehen ist, da dieser für “Kollegen, Freunde, Bekannte oder Verwandte” etwa anhand seiner Kleidung immer noch zu erkennen sein dürfte.
Reichelts Argument, dass man insbesondere keine Fotos der getöteten oder lebensgefährlich verletzten Opfer gezeigt habe, ist schlicht falsch. Entweder weiß er nicht, was seine Redaktion so alles veröffentlicht hat, oder er lügt. Bild.de zeigte noch am Tag des Unfalls ein Foto, auf dem Leichen vor dem verunglückten Bus unvepixelt zu sehen waren:
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag stammen von uns.)
Und als Bild.de die Aufnahme bereits nach und nach verpixelt hatte, druckte die “Bild”-Zeitung ein ähnliches Foto noch einmal komplett ohne Unkenntlichmachung:
Der Presserat sah es dann auch anders als Julian Reichelt und sprach eine Missbilligung aus:
Der Beschwerdeausschuss erkennt in der Berichterstattung unter der Überschrift “Reisebus mit 55 Menschen auf Madeira verunglückt” einen Verstoß gegen den in Ziffer 8 des Pressekodex festgeschriebenen Schutz der Persönlichkeit und die in Ziffer 11 des Pressekodex festgehaltene Sensationsberichterstattung.
Das Gremium sieht in der Veröffentlichung von Fotos, die Opfer des Unglücks unverfremdet und identifizierbar zeigen, einen Verstoß gegen deren Persönlichkeitsschutz gemäß Richtlinie 8.2 des Pressekodex. Der Umstand, dass jemand Opfer eines Busunglücks wird, macht denjenigen grundsätzlich nicht zu einem legitimen Objekt des öffentlichen Interesses. Das Wissen um die Identität der Betroffenen trägt vorliegend in keiner Weise zum besseren Verständnis vom Unfallhergang bei. Bloße Neugier der Leser rechtfertigt hingegen keine identifizierende Berichterstattung. Daher überwiegen die schutzwürdigen Interessen der Betroffenen. Die Veröffentlichung von unverfremdeten Fotos der Opfer im Moment ihres Leids lässt diese in der Öffentlichkeit erneut zu Opfern werden und verstößt insofern auch gegen Richtlinie 11.3 des Pressekodex.
Nachtrag, 4. Juli: Zu dieser Aussage des pflichtbewussten Julian Reichelt: “Man habe aber — natürlich, weil man als Presse dazu verpflichtet sei — die Fotos der Unfallstelle gezeigt, an der eine Vielzahl von Helfern darum bemüht war, den Opfern zu helfen.” schickte uns ein Leser die Frage, wo und in welcher Form die Presse “dazu verpflichtet sei”, Fotos einer Unfallstelle zu zeigen. Darauf wissen wir leider auch keine Antwort. Von so einer Pflicht haben wir jedenfalls noch nie gehört. Und, das nur nebenbei: Es gab auch Fotos von der Unfallstelle, die etwas später aufgenommen wurden und bei denen die Leichen von den Helfern bereits abgedeckt waren.
1. Wegen Intransparenz bei rechtswidrigen Inhalten: Facebook soll zwei Millionen Euro Bußgeld zahlen (netzpolitik.org, Alexander Fanta & Markus Beckedahl)
Das Justizministerium hat Facebook ein Bußgeld von zwei Millionen Euro auferlegt. Der Grund: Verstöße gegen das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG). Laut Pressemitteilung des Bundesamts für Justiz rüge man insbesondere, dass Facebooks Angaben zur Anzahl der eingegangenen Beschwerden über rechtswidrige Inhalte unvollständig seien. “Dadurch entsteht in der Öffentlichkeit über das Ausmaß rechtswidriger Inhalte und die Art und Weise, wie das soziale Netzwerk mit ihnen umgeht, ein verzerrtes Bild.”
2. Straches Bester muss gehen (sueddeutsche.de, Oliver Das Gupta)
Bei der österreichischen “Kronen Zeitung” gibt es personelle Veränderungen, die wahrscheinlich auf das Ibiza-Video mit FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache zurückgehen. In der Aufzeichnung hatte Strache alle Journalisten pauschal als “Huren” beschimpft, nur den ihm gewogenen “Kronen”-Online-Chef Richard Schmitt ausgenommen und ihn als “einer der besten Leute” gepriesen. Oliver Das Gupta kommentiert: “Diese Zuneigungsbekundung des Rechtspopulisten ist durchaus nachvollziehbar: Denn unter Schmitts Führung berichtete Krone.at verlässlich meinungsstark und bisweilen hetzerisch Themen über Ausländer, Flüchtlinge und den Islam — meist versehen mit einem Dreh, der FPÖ-Leuten genehm gewesen sein dürfte.”
3. ARD-Moderator ließ AfD-Mann mit Abstand meiste Redezeit – nun äußert sich “Hart aber fair” (watson.de, Philip Buchen)
“Watson” hat die Redeanteile an der umstrittenen “Hart aber fair”-Sendung mit dem rechtspopulistischen AfD-Politiker Uwe Junge ausgewertet. Mit mehr als 15 Minuten Redezeit dominierte Junge den Talk. Die “Hart aber fair”-Redaktion erklärt dies mit einer “inhaltlich klaren 1:4-Konstellation”.
4. Wie Lokaljournalisten sich von Facebook coachen lassen (deutschlandfunk.de, Jörg Wagner)
Lokalzeitungen haben es zu Zeiten des Medienwandels besonders schwer. Neuerdings finanziert Facebook lokaljournalistische Projekte mit Millionenbeiträgen. Medienjournalist Jörg Wagner war zu Besuch bei einem Seminar des “Facebook-Local-Accelerator-Programms” für 60 Teilnehmende aus 14 Verlagen, bei dem die Chatham House Rule galt.
5. Das Video geht klar (taz.de, Peter Weissenburger)
Bei dem gemeinsamen Video der Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner und dem Nestlé-Chef habe es sich nicht um Schleichwerbung gehandelt, so die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB). Dass die Sache dennoch nicht ganz klar ist, erkennt man daran, dass die MABB mit den anderen Anstalten Leitlinien für ähnliche Fälle erarbeiten will.
6. n-tv entschuldigt sich für Neonazi im Programm (uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Beim Nachrichtensender n-tv werden in der Sendung “Netzreporter” regelmäßig Tweets zu aktuellen Themen verlesen. In einem Beitrag über Seenotrettung wurde unkommentiert ein Tweet eines bekennenden und bekannten Neonazis eingeblendet und vorgelesen. “Übermedien” hat beim Sender nachgefragt, welches journalistische Grundverständnis dem zugrunde liegt.
… was bei uns gleich mehrere Fragen aufwirft: Wer bildet das “Wir” in dieser Schlagzeile — wessen Freibad soll nicht mehr so sein, wie es mal war? Und wer ist das “Die” — wer soll es so zugerichtet haben, wie es laut “Bild” jetzt sein soll, mit “+++ Schlägereien +++ Pöbeleien +++ Messer +++ Tränengas +++ Polizei +++”? Es gibt aus unserer Sicht nicht viele Möglichkeiten, wie man die “Bild”-Schlagzeile von heute verstehen kann, und die erste, auf die wir kommen, ist: “Die Ausländer haben uns Deutschen unser Freibad kaputtgemacht!”
Auf der kompletten Seite, die die “Bild”-Redaktion zu dem Thema veröffentlicht hat, bietet sie erstaunlich wenig, was die These des veränderten Freibads belegen könnte.
Planschen, Pommes rot-weiß und Schlange stehen am Sprungturm — die Freibadsaison läuft bei Temperaturen von über 39 Grad auf Hochtouren.
Doch in diesem Jahr scheint die Stimmung in vielen Freibädern Deutschlands auffällig aggressiv zu sein.
“scheint”? Das ist ernsthaft die Grundlage, auf die sich die “Bild”-Redaktion beruft, wenn sie schreit: “In deutschen Freibädern wird es immer schlimmer!”? Sie hat offenbar null belastbaren Zahlen, die belegen könnten, dass es wirklich gefährlicher geworden ist in den Freibädern. Jedenfalls nennt sie keine. Stattdessen geht es schwammig weiter:
Zahlreiche Badegäste berichten von unangenehmen Erlebnissen, die Polizei von spektakulären Einsätzen!
“zahlreiche” — sehr präzise!
Und auch Rainer Wendt, der Bundesvorsitzende einer Polizeigewerkschaft, der bei so einem Thema natürlichnichtfehlendarf, scheint keinerlei Ahnung zu haben, wie es genau aussieht, darf aber auch was sagen:
“Jeder versteht etwas anderes unter Spaß”, erklärt Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG).
“Der eine will mit seiner Familie in Ruhe baden, andere wollen Kräfte messen und laut Musik hören. Da ist Stress programmiert. Gefühlt gibt es immer mehr Polizeieinsätze in den Bädern.”
“Gefühlt” reicht also inzwischen als Maßstab (was übrigens bestens zum Wochenmagazin “Bild Politik” passt, bei dem laut “Bild”-Politikchef Nikolaus Blome der Grundsatz gelte: “Gefühle schaffen Fakten”).
“Bild” liefert in dem Text dann noch ein paar Vorkommnisse (“Pfefferspray”, “Belästigung”, “Messer-Attacke”, “Familien-Streit”, “Beißangriff”), die angeblich “zeigen: Das Miteinander im Freibad hat sich verändert.” Aber auch hier: Exakt keine Details dazu, dass es mehr und/oder heftiger geworden ist.
Bei den meisten dieser Beispiele nennt die Redaktion nicht die Nationalitäten der Personen, die dort für Randale gesorgt haben sollen. Bei manchen aber schon: ein Mann aus dem Iran, ein Jugendlicher aus Syrien, ein Jugendlicher aus Deutschland — wobei der Deutsche das Opfer des beißenden Syrers sein soll. Das ist dann vermutlich die Antwort auf unsere Fragen, wer das “Wir” und wer das “Die” sein sollen.
Neben dem Haupttext präsentiert “Bild” ein Gespräch mit “Deutschlands oberstem Bademeister”, dem Präsidenten des Bundesverbandes Deutscher Schwimmmeister Peter Harzheim. Allerdings klagt Harzheim gar nicht an, wie von “Bild” auf der Titelseite behauptet, dass das “nicht mehr unser Freibad” sei. Und er sagt auch nichts zu Schlägereien, Pöbeleien, Messern, Tränengas oder der Polizei. Stattdessen erzählt er, dass man immer häufiger geduzt werde, dass manche Freibadbesucher Mitarbeiterinnen des Bads nicht als Autoritätspersonen akzeptieren, und dass Leute immer wieder mit normaler langer Kleidung ins Wasser wollen (Burkinis oder UV-Kleidung seien für ihn hingegen völlig in Ordnung, so Harzheim, solange sie aus Schwimmtextilien bestehen). Also auch hier kein Hinweis darauf, dass an der “Bild”-Schlagzeile irgendetwas dran ist.
Der absurde Höhepunkt der “Bild”-Freibad-Seite ist aber sowieso der Besuch eines Reporters im Prinzenbad, Pardon, “im berüchtigten Prinzenbad”. Und wo, wenn nicht im berüchtigten Berlin-Kreuzberg, sollte “Bild” auf die Abgründe des deutschen Freibads stoßen?
Das Prinzenbad in Berlin-Kreuzberg ist wohl das berühmteste Freibad Deutschlands. Auf jeden Fall ist es das berüchtigtste. Immer wieder wird es Schauplatz von Krawallen. (…)
BILD verbrachte einen Tag im Prinzenbad während der Hitzewelle
… und hat wirklich nichts gefunden. (Möglichst unspektakuläre Reportagen von angeblich gefährlichen Orten sind sowieso eine Spezialität der “Bild”-Medien.)
Die schlimmsten Vorkommnisse:
7 Uhr: Bei Öffnung stehen rund 100 Menschen vor dem Tor. Darunter auch ein Security-Mann (25) und ein Siemens-Ingenieur (23), die vor ihrer Schicht ins Wasser wollen. Wenig später stehen sie im Wasser am Beckenrand und rauchen Zigaretten. Hinter ihnen ein Schild: “Rauchen verboten”.
7.30 Uhr: Die ersten Jugendlichen fangen an, am Ende des Beckens Arschbomben zu üben.
Und das heftigste Ereignis um 15:03 Uhr:
15.03 Uhr: 37 Grad. Die Security hält einen Mann aus Bulgarien fest. Er soll über den Zaun geklettert sein, ohne zu zahlen.
Hui!
Ansonsten: “Ein paar Oberschüler”, die sagen: “‘Dicker, heute wird Sonne böse, guck mal, wie blass ich bin, ja'”, drei Rentner, die “unter einem Sonnenschirm Rommé” spielen, zwei Polizisten, die “durch das Bad” laufen, aber “nur Präsenz” zeigen, zwei Männer, die sich küssen, was aber niemanden interessiert außer den “Bild”-Reporter, und ein Junge, der zu einem anderen sagt: “‘Walla, du bist der größte Hurensohn, wenn du noch einen Schluck nimmst'”, denn, so der Autor: “Bei der Hitze ist Wasser ein kostbares Gut.” Das Fazit des Besuchs:
Am Ende des Tages kamen 8300 Menschen. Ein guter Tag für das Prinzenbad. Keine Diebstähle, keine Krawalle.
Aber davon lassen sie sich bei “Bild” selbstverständlich nicht ihre Stimmungsmache vermiesen.
Eigentlich war es nur ein Scherz. Angesprochen darauf, warum sein neues Album nicht früher herausgekommen sei, witzelte Jack White (“The Raconteurs”) neulich in einem Interview mit der “Irish Times”:
“Well, when Brendan [his Raconteurs bandmate] gave up alcohol, I started doing heroin, so that delayed things,” deadpans White.
Über das Interview berichtete dann auch die amerikanische Musikseite “Spin” — mit der Überschrift:
The Raconteurs’ New Album Was Delayed Because Jack White “Started Doing Heroin”
Nun hat sich Jack White selbst dazu geäußert. Bei Instagram schreibt er einen offenen Brief, den sich auch so manche deutsche Redaktion ruhig mal anschauen könnte:
In Stuttgart ist am Sonntag ein Balkon mit einem Pool darauf eingebrochen. Auch die “Bild”-Medien berichten über den Unfall und schildern das alles so:
Frank (54) und Maria Josefa R. (53) stellten ein drei Quadratmeter großes Planschbecken auf den Balkon über dem familieneigenen Zimmereibetrieb in Stuttgart. Mit ihren Töchtern Anna-Maria (22) und Brigitte (21) sowie deren Freunden Eric R. (27) und Gianluca P. (25) hielten sich die Eltern gegen 18 Uhr auf dem Balkon auf.
DANN KRACHTE ES!
Der Balkon, eine Holzkonstruktion, stürzte auf einer Seite ab, wurde aber von einem darunter parkenden Transporter abgefangen. Sechs Personen wurden laut Polizei leicht verletzt, eine musste ins Krankenhaus gebracht werden.
Zur “wahrscheinlichen Ursache des Unfalls” schreiben “Bild” und Bild.de:
Der Balkon war überlastet! Sven Matis, Sprecher der Stadt Stuttgart: “Der Balkon muss 400 Kilonewton pro Quadratmeter als Last aushalten. Laut Berechnung des Baurechtsamts wiegt Wasser mit 70 Zentimetern Höhe im Pool fast doppelt so viel wie zulässig.”
Da passt rechnerisch überhaupt nichts zusammen.
Erstmal zu dem Zitat des Sprechers der Stadt Stuttgart: Für 400 Kilonewton wäre ein Gewicht von über 40 Tonnen notwendig. Das wäre sehr viel. Wir haben bei Sven Matis nachgefragt, ob er den “Bild”-Autorinnen Anna Schmatz und Alexandra zu Castell-Rüdenhausen dieses Zitat so gegeben hat. Ja, habe er. Der Fehler liege bei ihm. Tatsächlich müsste es vier Kilonewton pro Quadratmeter heißen, so Matis.
Aber selbst mit dem richtigen Zitat wären die “Bild”-Angaben noch falsch: Der Pool war nicht “drei Quadratmeter groß”; er hatte einen Durchmesser von “etwa drei Metern”, wie die Polizei schreibt. Daraus ergibt sich eine Fläche von etwa sieben Quadratmetern. Und bei einer Höhe von 70 Zentimetern ein Volumen von 4900 Litern (statt 2100 Litern bei den “Bild”-Angaben). Das daraus resultierende Gewicht von 4900 Kilogramm waren für den Balkon offenbar zu viel.
Mit Dank an Vincenzo M. und Jonas H. für die Hinweise!
Nachtrag, 5. Juli: Mehrere Leserinnen und Leser weisen uns darauf hin, dass zum Gewicht des Pools und des Wassers im Pool noch das Gewicht der (mindestens) sechs Personen auf dem Balkon beziehungsweise im Pool kam. Das sollte man in der Rechnung nicht unterschlagen.
1. Es war ein Trauerspiel (spiegel.de, Arno Frank)
Als die “Hart aber fair”-Redaktion den Talkgast Uwe Junge (AfD) ankündigte, befürchteten viele, dass man hier jemandem die Bühne für Populismus und Demagogie bereite. Arno Frank hat die Sendung gesehen und findet alle Befürchtungen bestätigt.
Weiterer Lesehinweis: ARD fliegt Rechtfertigung für AfD-Gast um die Ohren (t-online.de, Lars Wienand).
2. Der DFB und seine aufmüpfigen Frauen (journalist-magazin.de, Thilo Komma-Pöllath)
Thilo Komma-Pöllath hat anlässlich der Fußball-WM der Frauen ein Interview mit der Spielerführerin Alexandra Popp geführt. Popp sprach darin auch über die ungenügende gesellschaftliche Entwicklung im Fußball. Außerdem, so Popp, fühle man sich etwas vergessen und damit war wohl der DFB gemeint. Als das Interview von der Autorisierung zurückkam, seien alle Aussagen glattgebügelt worden. Der Autor habe noch beim DFB nachgefragt, doch die Antwort sei ausgeblieben und der Text zu seinem Leidwesen ohne die betreffenden Passagen erschienen.
3. Journalisten, kommt mal runter! (dbate.de)
Auf der Jahreskonferenz des “Netzwerk Recherche” ging es unter anderem um die Glaubwürdigkeitskrise im Journalismus und den Umgang mit Fehlern. Was macht guten Journalismus aus? Darüber hat “dbate” mit dem österreichischen Journalisten und Fernsehmoderator Armin Wolf, der NDR-Journalistin Anja Reschke, dem Medienjournalisten Stefan Niggemeier, dem Hauptstadtjournalisten Tilo Jung, dem Soziologen Stefan Schulz und dem “BuzzFeed”-Chefredakteur Daniel Drepper gesprochen.
4. Mit Essiggurken gegen Adorno (taz.de, Nils Markwardt)
Franz Josef Wagner ist der Namensgeber der berühmt-berüchtigten “Bild”-Gaga-Kolumne “Post von Wagner”. Immer wieder werden seine surrealen Wortbeiträge in den Sozialen Medien persifliert. Besonders gut gelungen ist dies Nils Markwardt, der gleich eine ganze Reihe von vermeintlichen Wagner-Briefen an bedeutende Philosophen und Denker verfasst hat.
5. Polizeiberichte kritisch hinterfragen (djv.de, Hendrik Zörner)
Polizeiberichten sollte nicht blind vertraut werden. Darauf macht der Deutsche Journalisten-Verband in seiner jüngsten Pressemitteilung aufmerksam. Aktueller Anlass sind Presseinformationen der Polizei, in denen diese behauptet habe, bei der Auseinandersetzung um den Tagebau Gartzweiler seien 16 Polizisten verletzt worden. Die Recherchen eines WDR-Journalisten hätten jedoch ergeben, dass nur zwei Polizisten durch Fremdeinwirkung verletzt wurden.
6. Der Schweiß ist heiß (uebermedien.de, Boris Rosenkranz, Video: 2:12 Minuten)
Wer leidet in Deutschland am meisten unter der Hitze? Genau: Fernsehredaktionen! Hier ein zweiminütiger Bericht der Schwitzereporter von Das Erste, hr, MDR, NDR, n-tv, RB, rbb, Sat.1 NRW, SWR, Welt und WDR.
Wir freuen uns riesig über jede und jeden, die oder der uns bei Steady unterstützt, nur über einen nicht: Julian Reichelt. Der “Bild”-Chef schickt uns jedes Jahr 120 Euro. Und die wollen wir gern wieder loswerden.
Daher haben wir Reichelts 120 Euro vorhin an die von Klaas Heufer-Umlauf und Jan Böhmermann ins Leben gerufenen Spendenkampagne für private Seenotretter, die Crew der “Sea Watch 3” und die inhaftierte Kapitänin Carola Rackete weitergeleitet:
Und noch ein Tipp für jede und jeden, die oder der ein paar Euro übrig hat: Es ist ganz einfach mitzumachen.