Alle Täter haben sich an anderen orientiert, besonders an den Amokläufern der Columbine Highschool. Die Tat war medial besonders inszeniert — einer der Täter hatte eine Homepage, über die er seinen Hass verbreitet hat. Außerdem ist ein Video eines Teils dieser Tat ins Internet gelangt. Das ist Nachahmungsmaterial für Pubertierende, die Vorbilder suchen: Sie sehen die Klamotten der Täter, sehen, wie sie herumstolzieren.
… sagt die Kriminologin Britta Bannenberg auf die Frage, welche Rolle Vorbilder für Amoktäter spielen.
Schulamokläufer und Terroristen sichern sich durch das kalkulierte Ausüben von Gewalt einen Platz in den Schlagzeilen der Weltpresse. Sie folgen damit einer bewährten Kommunikationsstrategie, die ebenso menschenverachtend wie durchschaubar ist. Dieses Kalkül der Täter geht insbesondere dann auf, wenn Medien die destruktiven Botschaften der Täter ungefiltert weitertragen. Sie verbreiten auf diese Weise Angst in der Gesellschaft, belasten die Opfer und liefern im schlimmsten Fall eine Inspiration für Nachahmer.
… schreiben die Wissenschaftler Frank J. Robertz und Robert Kahr zu ihrem Sammelband “Die mediale Inszenierung von Amok und Terrorismus”.
Die Identifikation mit früheren Tätern, die durch die extensive Berichterstattung berühmt geworden sind, einschließlich der Veröffentlichung ihrer Namen, Gesichter, Lebensgeschichten und Hintergründe, löst einen mächtigeren Schub in Richtung Gewalt aus als psychische Erkrankungen oder der Zugang zu Waffen.
… schreiben Jennifer Johnston und Andrew Joy von der Western New Mexiko University in einer Studie.
Wie viel und vor allem welche Berichterstattung ist angemessen? Wo verläuft die Grenze zwischen richtiger und notwendiger Information der Öffentlichkeit und einer Berichterstattung, die den Terroristen in die Hände spielt?
Beim Terrorismus geht es nicht in erster Linie ums Töten. Es geht vielmehr um das “Terrorisieren”, es ist eine spezielle Form der Provokation. Eine Tat, die keine Verbreitung findet, ist daher nutzlos.
… schreibt Wissenschaftler Peter R. Neumann zusammen mit Georg Mascolo.
Wir zeigen diese Bilder ganz bewusst. Wir glauben, dass wir diese Bilder zeigen müssen.
… schreibt “Bild”-Chef Julian Reichelt. Er meint damit die “Bilder und Sequenzen aus dem Video, das der rechtsextreme Terrorist von Christchurch während seiner abstoßenden Tat anfertigte.” Am vergangenen Freitag erschoss ein Mann in der neuseeländischen Stadt offenbar gezielt Muslime in zwei Moscheen. 50 Menschen starben.
Schon kurz nach den ersten Meldungen über Schüsse in Christchurch veröffentlichte Bild.de einen Zusammenschnitt der Aufnahmen des Attentäters, die dieser auf seiner Facebook-Seite live streamte. Die Redaktion warb auf ihrer Startseite mit dem Hinweis “MIT VIDEO” um Klicks:
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)
Zu dieser Zeit bat die neuseeländische Polizei bei Twitter darum, das Video nicht zu verbreiten. Bild.de zeigt es trotzdem. Die Redaktion hat jene Videosequenzen rausgeschnitten, in denen Menschen erschossen werden; sie zeigt stattdessen Standbilder daraus. Darauf sind Leichen und Blut zu sehen, auch ein Opfer, das direkt vor dem Täter steht, kurz bevor es erschossen wird. Schüsse sind zu hören.
Als gäbe es keine Abstufungen zwischen dem Zeigen dieses ganzen Materials auf der einen Seite des Spektrums und Trauer auf der anderen, schreibt “Bild”-Chef Reichelt:
Aber Trauer allein reicht im Journalismus nicht. Trauer ist keine journalistische Disziplin. Journalismus muss zeigen, was geschehen ist. Journalismus ist dazu da, Bilder der Propaganda und Selbstdarstellung zu entreißen und sie einzuordnen.
Nur findet man diese Einordnung im Zusammenschnitt von Bild.de nicht. Die Redaktion blendet ein paar Sätze ein, in denen steht, was man gerade sieht. Das war’s. Ansonsten ist es das bloße Abspulen der vom Täter erstellten und von Bild.de gekürzten Aufnahme. Reichelt und sein Team reichen die “Propaganda und Selbstdarstellung” lediglich weiter. Worin soll hier ein Informationswert stecken? Welche Erkenntnis liefern die Bilder, die man nicht durch das einfache Beschreiben erreichen könnte? Worin steckt der aufklärerische Wert? Bild.de verbreitet die Aufnahmen, die der Attentäter verbreiten wollte. Die Redaktion hilft ihm beim Versuch, Aufmerksamkeit zu generieren, Angst zu machen und sich zu inszenieren, wie sie es schon bei früheren Attentaten und Amokläufen getan hat. Reichelt schreibt in seinem Kommentar, durch Journalismus werde “aus einem Ego-Shooter-Video ein Dokument, das Hass demaskiert und aufzeigt, was der Terrorist von Christchurch ist: kein Kämpfer, kein Soldat.” Nein, bei Bild.de bleibt das Ego-Shooter-Video ein Ego-Shooter-Video. Auch wenn Reichelt die Entscheidung weiter rechtfertigt:
Das Video des Massakers ist online überall genauso verfügbar, wie der Täter es wollte. Journalismus darf solche Bilder aber nicht Social Media überlassen.
Es drängt sich der Eindruck auf, dass es hauptsächlich darum geht, Social Media nicht die Klicks zu überlassen.
Schaut man sich die Berichterstattung der “Bild”-Zeitung vom Samstag an, wird noch einmal klar, wie fadenscheinig Reichelts Argumentation mit dem Einordnen ist. “Bild” bietet dem Täter, seinem Anschlag und seinem Manifest die Öffentlichkeit, die er sich gewünscht haben dürfte: die Titel- und fast eine komplette Doppelseite (die Opfer bekommen nur die untere rechte Ecke ab):
Die journalistische Einordnung, von der Julian Reichelt spricht, sieht dann etwa so aus: Ein eigener Artikel dazu, welche Waffen der Täter dabeihatte. Es ist ein bloßes Runterrattern: Der hatte das dabei und das und das und davon zwei. Am Ende noch ein Hinweis, dass das eine Gewehr auch schon mal von einem anderen Attentäter eingesetzt wurde. Das soll die Einordnung sein, die alles ändert? Und welche einordnende Wirkung soll ein “Protokoll”, versehen mit reichlich Standbildern aus dem Video des Terroristen, haben?
Ähnlich schlimm wie “Bild” macht es die “B.Z.”:
Diese Titelseite, vermutlich das Ergebnis eines hirnrissigen Zwangs, alles möglichst aufs Lokale runterzubrechen, ist das Gegenteil von Einordnung. Sie verklärt. Sie übernimmt die Erzählung des Attentäters, dass es sich um Rache handelt — als könnte das Morden an Muslimen in Neuseeland tatsächlich irgendwie das Morden eines Islamisten in Deutschland rächen. “B.Z.”-Chrefredakteurin Miriam Krekel stellt es so dar, als wäre der rechtsextreme Terror in Christchurch eine zu erwartene Reaktion auf den Anschlag am Breitscheidplatz, wenn sie schreibt:
“Auge um Auge, Zahn um Zahn.” Unschuldige Gläubige sollen sterben, weil ein krankhaft “Gläubiger” am Breitscheidplatz unschuldige Menschen tötete. Die Tat zeigt einmal mehr, dass Rache und Hass mehr Rache und Hass hervorrufen.
Die Kritik an der Berichterstattung von Bild.de, “Bild” und “B.Z.” bedeutet natürlich nicht, dass Redaktionen das Attentat in Christchurch verschweigen sollten, so, wie sie kein Attentat verschweigen sollten. Sie sollten aber auch nicht zum medialen Handlangern eines rechtsextremen Terroristen werden. Eigentlich hat “Bild”-Briefonkel Franz Josef Wagner, den man nun wahrlich nicht oft als Positivbeispiel anführen kann, bereits 2011 alles gesagt, als er zum rechtsextremen Terror in Norwegen schrieb:
Wie geht man mit so einem Massenmörder um?
Zigarette? Kaffee, Wasser?
Galgen, Todesspritze?
Ich glaube, die höchste Strafe für den Attentäter wäre die Bedeutungslosigkeit. Nicht mehr über ihn zu berichten, seine Fotos nicht mehr zu zeigen, seine wirren Ideen nicht mehr im Internet zu lesen.
Dieser Typ will ja, dass alle Welt über seine Morde berichtet. Die Höchststrafe für diesen Psycho ist, dass er ein kleines Arschloch ist.
Dazu auch:
- Wider die Attentatspornografie (deutschlandfunkkultur.de)
- Nichts gelernt: In der Journalistenschule mit Julian Reichelt (uebermedien.de)
- Bild dir deinen Terror (taz.de)
- Der Troll-Terrorist (spiegel.de)
Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!
Nachtrag, 17. Juni: Bild.de hat für die Veröffentlichung der Videosequenzen vom Deutschen Presserat eine Rüge bekommen. Die Redaktion habe “sich zum Werkzeug des Täters gemacht”:
Mit der Veröffentlichung seiner Video-Ausschnitte bot die Redaktion dem Täter genau die öffentliche Bühne, die er haben wollte. BILD.DE verstieß damit gegen Richtlinie 11.2 des Pressekodex, wonach die Presse sich nicht zum Werkzeug von Verbrechern machen darf. Zwar veröffentlichte die Redaktion unter der Schlagzeile „17 Minuten Mordfeldzug“ nicht die Taten selbst, sondern zeigte den mutmaßlichen Mörder auf dem Weg zu den Moscheen und beim Laden seiner Waffen. Diese Bilder reichten jedoch, um Assoziationen zu erzeugen, die weit über das berechtigte öffentliche Interesse an dem Geschehen hinausgingen. Auch die detaillierte, dramatisierende Schilderung und drastische Bebilderung im Begleittext zum Video bedienten nach Ansicht des Beschwerdeausschusses überwiegend Sensationsinteressen.