Archiv für März 13th, 2019

Tollstes Onlinemedium schreibt beste Überschrift

Bei “Bild” brauchen sie Superlative. Und was ist besser als ein Superlativ? Richtig: zwei Superlative.

Screenshot Bild.de - Sensations-Transfer - Größter NFL-Star geht zu schlechtestem Team

Es geht um Footballer Odell Beckham Jr., der sein bisheriges Team, die New York Giants, verlässt und zu den Cleveland Browns wechselt.

Superlativ Nummer 1 — OBJ als “größter NFL-Star” — ist schon ziemlich gewagt. Man denke zum Beispiel an Tom Brady, den Quarterback der New England Patriots, der von vielen als der “GOAT”, der “Greatest of all Time”, bezeichnet wird (wobei Brady es gar nicht mag, so genannt zu werden). Oder an Patrick Mahomes, den Quarterback der Kansas City Chiefs, der in der abgelaufenen Saison als MVP, also als sportlich wertvollster Spieler der Liga, ausgezeichnet wurde. Odell Beckham Jr. hat weder den einen noch den anderen Titel. Er mag ein Superstar der NFL sein — aber der größte? Am Ende des Bild.de-Artikels ist er dann auch nur noch der “schillerndste Star der Liga”, was es eher treffen mag.

Schlagzeilen-Superlativ Nummer 2 — die Cleveland Browns als “schlechtestes Team” — ist schlicht falsch. Das steht sogar im Bild.de-Artikel:

Die Browns hatten zwar in der letzten Saison die Playoffs nur knapp verpasst — die Spielzeiten vorher waren sie jedoch das schlechteste Team der NFL.

Jaja, die Bild.de-Redaktion kommt mit ihrer Überschrift nur ein Jahr zu spät. Tatsächlich hatten in der vergangene NFL-Saison etliche Teams eine schlechtere Bilanz als die Cleveland Browns. In den zwei Jahren zuvor waren die Browns in der Tat das schlechteste Team der Liga. 2015 teilten sie sich diesen Platz mit den Tennessee Titans. In den Jahren davor waren die Browns hingegen nie das schlechteste Team.

Statt “Größter NFL-Star geht zu schlechtestem Team” hätte Bild.de auch schreiben können: “Tollstes Onlinemedium schreibt beste Überschrift” — das wäre dann genauso falsch gewesen.

Mit Dank an Christian P., Patrick und @VM_83 für die Hinweise!

Die Unfug-Sprachwächter, Rechtes Netzwerk visualisiert, Lobbyarbeit

1. Der Schwachpunkt der selbsternannten Sprachwächter
(sz-magazin.sueddeutsche.de, Till Raether)
Medienkritiker Stefan Niggemeier hat den “Verein Deutsche Sprache” (“VDS”) einmal als “eine Art Sprach-Pegida” bezeichnet. Aktuell fordert der VDS in einem Manifest “Schluss mit dem Gender-Unfug”. Ein Manifest, das nicht nur entsetzlich schlecht geschrieben sei, sondern auch zahlreiche Argumentationsmängel aufweise, wie Till Raether ausführt: “Der Versuch, Sprache davor zu schützen, dass sie sich verändert, entspringt nicht der Liebe zur Sprache, wie ihre Vereinsmeier*innen glauben machen wollen, sondern der Liebe zum Hergebrachten, zum Immer-so-Gewesenen.”
Weiterer Lesetipp: Bei “Spiegel Online” setzt sich Margarete Stokowski ebenfalls mit den Argumenten gegen eine gendergerechte Sprache auseinander. Bezugnehmend auf eine Passage in einem aktuellen “Welt”-Text von Sibylle Lewitscharoff schreibt sie: “Ich weiß nicht, ob es je ein größeres Missverständnis über den Feminismus gab als die Idee, irgendwer würde Untenrumuntersuchungen durch Sibylle Lewitscharoff fordern, aber man sollte sich davon nicht abschrecken lassen, denn ihr Text ist so voller Perlen der Widersprüchlichkeit, dass es lohnt, ihn ganz zu lesen.”
Lohnenswert ist auch Mit Genderstern in den Weltuntergang (belltower.news, Stefan Lauer). Dort hat man sich den Unterstützerkreis der Petition angeschaut und wirft einen Blick auf die teilweise problematischen Verbindungen zur Rechtspopulismus-, Antifeminismus- und Männerrechteszene.

2. Das Netzwerk der neuen Rechten
(neuerechte.org, Christian Fuchs & Paul Middelhoff)
Als “patriotische Parallelgesellschaft” bezeichnen die Journalisten Christian Fuchs und Paul Middelhoff das von ihnen identifizierte und analysierte neurechte Netzwerk aus über 150 Stiftungen, Vereinen, Medien und Kampagnen. Eine Deutschlandkarte zeigt alle Standorte und Verbindungen und liefert auf Mausklick weitere Informationen.

3. Was wir aus dem Fall Relotius für den Journalismus lernen können
(journalist-magazin.de, Georg Löwisch)
Der Betrugsfall Relotius sei eine Chance für den Journalismus, so “taz”-Chefredakteur Georg Löwisch. In seinem “Handwerksmerkzettel” geht es um sechs Punkte: 1) Quellen nennen, 2) Recherchewege zeigen, 3) Zitieren, 4) Anonymisieren, 5) Rekonstruieren und 6) Zweifeln.
Weiterer Lesehinweis: So arbeiten wir mit anonymen Quellen aus dem “Welt”-Reportage-und-Investigativ-Ressort (investigativ.welt.de, Manuel Bewarder).

4. Die sieben Anti-EU-Kampagnen der Krone des Jahres 2018
(kobuk.at, Ida Woltran)
Ida Woltran hat sich die sieben Ant-EU-Kampagnen der österreichischen “Krone” angesehen und analysiert: “Vor allem im Zusammenhang mit neuen Regulierungsvorhaben ist es laut Krone meist die EU, die uns etwas wegnehmen, verbieten oder streichen will. Eine Differenzierung, wer eigentlich die EU ist, unterbleibt meist. Die Krone framed die EU negativ und geht kaum auf konkreten Vorgänge in den EU-Organen ein. Die jeweilige Gegenseite kommt nicht zu Wort.”

5. Lobbyarbeit pur: 228 Kreativ-Verbände für EU-Urheberrechtsreform
(tarnkappe.info, Lars Sobiraj)
228 europäische Kreativ-Verbände haben in einem gemeinsamen Schreiben (PDF) dazu aufgerufen, den umstrittenen geplanten Änderungen des EU-Urheberrechts zuzustimmen. Auch der Deutsche Journalisten-Verband befürwortet die Regelung, was Lars Sobiraj zu der Frage führt: “Warum fordert der DJV den Untergang der eigenen Branche?”
Weiterer Lesehinweis: Bei “Infosperber” kommentiert Matthias Zender den Kampf der Schweizer Verleger um ein Leistungsschutzrecht mit den Worten: “Das wäre, wie wenn die Landwirtschaft zur Käseunion zurückkehren würde.”
Und einen Hörtipp gibt es auch noch: Beim “Deutschlandfunk” besprechen Experten das Für und Wider von Uploadfiltern. Die Technik weise deutliche Grenzen auf: Warum Kritiker Angst vor Zensur haben (deutschlandfunk.de, Audio: 9:15 Minuten).

6. Nachdenkliche Töne zum Geburtstag
(tagesschau.de, Marcus Schuler)
Vor 30 Jahren legte der Physiker Tim Berners-Lee den Grundstein für das World Wide Web. Der damals 34-Jährige entwickelte HTML, programmierte einen Webserver und einen Browser — die Grundlagen für unser heutiges Web. 30 Jahre nach seiner Erfindung warnt Berners-Lee vor Datenmissbrauch, Desinformation, Hassreden und Zensur. Seine Forderung: “Unternehmen müssen mehr tun, um sicherzustellen, dass ihr Gewinnstreben nicht auf Kosten von Menschenrechten, Demokratie, wissenschaftlichen Fakten und öffentlicher Sicherheit geht.”