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1. “Das Internet war eine Episode der Freiheit” (perlentaucher.de, Thierry Chervel und Anja Seeliger)
Der Perlentaucher verzichtet aufgrund des vom Bundeskabinett beschlossenen Leistungsschutzrechts für Presseverleger auf die Feuilletonrundschau: “Der Jubel der Medien über das Leistungsschutzrecht offenbart zugleich ihren Funktionsverlust als Träger der freien Öffentlichkeit. Journalisten hatten nicht den Mut, sich gegen diesen Angriff auf die Öffentlichkeit zu wehren.”
2. “Die Scheinargumente für ein Leistungsschutzrecht” (stefan-niggemeier.de)
Stefan Niggemeier geht auf die Scheinargumente ein, die Verleger für dieses Gesetz vorbringen. “Keine Verfassungsgrundsätze, keine Rechtsprinzipien, nicht der Schutz des sogenannten ‘geistigen Eigentums’, sondern die schlichte Tatsache, dass zur Zeit im Internet das Betreiben einer Suchmaschine lukrativer ist als das Erstellen journalistischer Inhalte.”
3. “Untragbares Doppelmandat” (nzz.ch, Elmar Wagner) Ottmar Hitzfeld, Trainer der Schweizer Fußball-Nationalmannschaft, schließt einen mehrjährigen Vertrag mit dem Verlag Ringier, der unter anderem die Boulevardzeitung “Blick” herausgibt: “Es irritiert, dass Hitzfeld nicht bis nach seiner Amtszeit zugewartet hat, ein solches Engagement einzugehen. Denn die neue Position ist besonders heikel für ihn – vergleichbar etwa mit dem Finanzminister, der nebenbei auch noch eine Bank berät.” Siehe dazu auch “Hitzfeld und Ringier – eine unheilige Allianz” (tageswoche.ch, Florian Raz)
4. “Von Pressefreiheit fehlt oft jede Spur” (tagesschau.de, Video, 3 Minuten)
Christine Adelhardt über die Freiheit der Presse in China, ein etwas längerer Bericht hier (ndr.de, Video, 6:45 Minuten).
6. “Die fünfte Kontrollinstanz” (youtube.com, Video, 3:32 Minuten)
Ein Treffen von Medienjournalisten anläßlich des 10. Geburtstags der medienkritischen Sendung “Zapp”.
Heute Nacht hatten wir über die Exklusiv-Meldung deutscher Online-Medien berichtet, nach denen sich Osama bin Laden vergangenes Jahr beim Sturm auf sein Anwesen in Pakistan selbst erschossen haben soll.
Die betroffenen Medien haben darauf unterschiedlich reagiert:
“Spiegel Online” überarbeitete den kompletten Artikel und versah ihn mit einem Hinweis:
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels wurde die Darstellung des US-Soldaten fälschlich so interpretiert, dass Osama Bin Laden Selbstmord begangen haben soll. Der Autor lässt offen, wer die Schüsse abgegeben hat. Bin Laden war, wie Bissonette schreibt, jedoch unbewaffnet – er kann sich nicht selbst erschossen haben. Wir haben den Fehler korrigiert und bitten, ihn zu entschuldigen.
Stern.de hat seinen Artikel komplett ausgetauscht, geht darauf aber nicht näher ein, und auch “Focus Online” hat Überschrift und Artikel behutsam an die Fakten und die deutsche Sprache angepasst.
Selbst bei Bild.de haben sie ihren Artikel bearbeitet:
Aus dem offensichtlich sinnlosen Satz
Außer den Kugeln mit denen Osama bin Laden sich offenbar selbst richtete, als er hörte wie die Soldaten die Villa stürmten, hatte er keinerlei Munition bei sich.
wurde
Außer der Kugel mit der Osama bin Laden sich vermutlich selbst richtete, soll sich keine weitere Munition im Raum befunden haben.
Ansonsten bliebt Bild.de bei der Darstellung.
* * *
Das waren aber auch nicht alle deutschsprachigen Medien, die von einem möglichen Selbstmord bin Ladens schwadronierten. Die folgende Auflistung ist womöglich lückenhaft:
“B.Z.”:
Hat Osama bin Laden Selbstmord begangen?
Washington – Terror-Chef Osama bin Laden soll schon tot gewesen sein, als die US-Spezialeinheit im Mai 2011 seine Villa stürmte. Das behauptet ein ehemaliger Elitesoldat, der an diesem Einsatz beteiligt war. Bin Laden habe sich selbst in den Kopf geschossen.
“Berliner Kurier”:
Bin Laden Selbstmord?
Washington – Osama Bin Laden soll bereits tot gewesen sein, als die Navy Seals im Mai 2011 in sein Zimmer im pakistanischen Abbottabad stürmten. Das behauptet der Ex-Elitesoldat Matt Bissonnette in seinem Buch “No Easy Day” (KURIER berichtete).
Als Resultat einer falschen Übersetzung herausgestellt haben sich unterdessen Meldungen mehrerer deutscher Online-Medien, auch des Tagesspiegels, der Autor habe über einen Selbstmord Bin Ladens spekuliert. Tatsächlich ist die Rede davon, Bin Laden sei schon tödlich verletzt gewesen, bevor die Soldaten sein Schlafzimmer betraten – dies beruht jedoch nicht, wie zwischenzeitlich fälschlicherweise für möglich gehalten, auf Spekulationen über einen Selbstmord, sondern auf der Behauptung, dass Bin Laden nicht erst im Schlafzimmer, sondern schon im Flur von Kugeln getroffen worden sei.
* * *
Die Deutsche Presse-Agentur dpa hatte zwar nicht von einem Selbstmord bin Ladens geschrieben (das machten mancheMedien einfach selbst), gestern aber immerhin behauptet:
Angeblicher Augenzeuge bestreitet US-Angaben über Bin-Laden-Tötung
Washington (dpa) – Das neue Buch eines angeblichen Augenzeugen zieht nach Medienberichten die offiziellen US-Angaben zur Tötung des Terrorführers Osama bin Laden infrage. Der Al-Kaida-Chef sei im Mai vergangenen Jahres nicht von US-Soldaten getötet worden, sondern bereits mit einer Kugel im Kopf tot aufgefunden worden, heißt es laut dem Internetportal “Huffington Post” in dem Buch eines ehemaligen Mitglieds der US-Spezialkräfte Navy Seals, der nach eigenen Angaben bei der Kommandoaktion im pakistanischen Abbottabad dabei war.
Nun lässt der Artikel bei der “Huffington Post” tatsächlich einen gewissen Interpretationsspielraum, aber man darf wohl annehmen, dass das Onlinemagazin es etwas mehr hervorgehoben hätte, wenn bin Laden tatsächlich “nicht von US-Soldaten getötet worden” wäre.
Die dpa wiederholte diese Version heute Morgen noch zwei Mal:
dpa, 5:00 Uhr:
Der Al-Kaida-Chef sei im Mai vergangenen Jahres nicht von US-Soldaten getötet worden, sondern bereits mit einer Kugel im Kopf tot aufgefunden worden, heißt es laut dem Internetportal “Huffington Post” in dem Buch eines ehemaligen Mitglieds der US-Spezialkräfte Navy Seals, der nach eigenen Angaben bei der Kommandoaktion im pakistanischen Abbottabad dabei war.
dpa, 5:04 Uhr:
OSAMA BIN LADEN Das neue Buch eines angeblichen Augenzeugen zieht nach Medienberichten die offiziellen US-Angaben zum Tod des Terrorführers Osama bin Laden infrage. Der Autor des in wenigen Tagen erscheinenden Buches schreibt, der Al-Kaida-Chef sei im Mai vergangenen Jahres nicht von US-Soldaten getötet worden.
Nach unserer Anfrage verschickte die dpa eine korrigierte Fassung der Meldung:
Das neue Buch eines angeblichen Augenzeugen zieht nach Medienberichten die offiziellen US-Angaben zur Tötung des Terrorführers Osama bin Laden infrage. Der Al-Kaida-Chef sei bereits tödlich getroffen worden, bevor Mitglieder eines Sonderkommandos den Raum betreten hätten, heißt es laut Internetportal «Huffington Post» in dem Buch eines ehemaligen Mitglieds der US-Spezialkräfte Navy Seals, der nach eigenen Angaben bei der Kommandoaktion im pakistanischen Abbottabad dabei war.
Versehen ist diese Berichtigung mit folgendem Hinweis:
Stellt in Bin-Laden-Meldung im zweiten Satz klar, dass aus den Auszügen in der “Huffington Post” nicht genau hervorgeht, wer der Todesschütze war.
Ja, die Meldung “stellt klar”, dass unklar sei, wer der Todesschütze sei. Schreibt die Agentur die heute Morgen noch kategorisch erklärt hatte, bin Laden sei nach Aussage des Autors “nicht von US-Soldaten getötet worden”.
Die Passagen in der “Huffington Post” waren tatsächlich nicht sonderlich klar, doch zum Glück verfügt die “Washington Post” offenbar ebenfalls über ein Exemplar des Buchs und über etwas gradlinigere Autoren:
Osama bin Laden versteckte sich für mindestens 15 Minuten in seinem Schlafzimmer, als Navy Seals sich den Weg durch seine pakistanisches Anlage kämpften, und unternahm keinen Versuch, sich selbst zu bewaffnen, bevor ein US-Kommando auf ihn schoss, als er aus seiner Tür herausschaute. Das geht aus dem ersten Bericht hervor, der von einem Teilnehmer des inzwischen berühmt gewordenen Überraschungsangriffs am 2. Mai 2011 veröffentlicht wurde.
(Übersetzung von uns.)
Mit diesem Bericht im Rücken traute sich nun auch dpa ein bisschen weiter und schrieb in der neuesten Meldung, dass “das Kommando” auf Bin Laden geschossen habe.
Vielleicht haben Sie Ende Mai diese Geschichte mitbekommen: Ein Mann namens Rudy Eugene hatte in Miami, Florida einen Obdachlosen angefallen und dessen Gesicht zerbissen. Eugene wurde von der Polizei erschossen, sein Opfer überlebte schwer verletzt.
Nachdem Bild.de in einem ersten Artikel vom 28. Mai berichtet hatte, der Täter “soll möglicherweise unter Drogen gestanden haben”, wusste das Portal einen Tag später schon mehr:
Ein nackter Mann, der einem anderen das Gesicht abkaut – das war kein Horror-Film, das war Miami (USA)! Ein Polizist entdeckte den Nackten, der über einen anderen herfiel und erschoss den Kannibalen. Jetzt kommt heraus: Der Menschenfresser war wohl auf einem schlimmen LSD-Trip.
Bild.de hatte eine glaubwürdige Quelle für diese These:
Nach Ansicht der Polizei von Miami könnte der Anfall von Kannibalismus durch eine Überdosis einer neuen Form von LSD ausgelöst worden sein.
“Wenn wir es mit nackten, gewalttätigen Menschen zu tun haben, deutet das meist auf ein Delirium hin, das durch Drogen ausgelöst wurde”, sagt Armando Aguilar. “Wir kennen bereits drei oder vier Fälle, in denen sich Menschen ähnlich benommen haben. Sie alle haben zugegeben, LSD genommen zu haben.” […]
Warum waren die Männer nackt? Aguilar vermutet den Grund ebenfalls in der neuen Form von LSD, bekannt als “bath salts” (“Badesalz”). Die Droge erhöht die Körpertemperatur der Süchtigen so weit, dass ihre Organe förmlich von innen verbrennen. Verstand und Schmerzempfinden werden ausgeschaltet.
Am 30. Mai war die Theorie bei der “B.Z.” schon Fakt:
Experten gehen davon aus, dass der polizeibekannte Kleinkriminelle unter einer Drogen-Psychose litt. Dabei haben Süchtige das Gefühl, sie würden innerlich verbrennen und werden wahnsinnig. Eugene hatte LSD genommen.
Der “Berliner Kurier” und der “Kölner Express” berichteten am 10. Juni:
Wer sie konsumiert, schwebt über den Wolken und nennt sie “Cloud Nine” oder das “Neue LSD”. In den USA sorgt eine neuartige Droge für Aufsehen. Wer sie einnimmt, verfällt in ein aggressives Delirium, greift Menschen an und frisst ihr Fleisch.
Nach grausigen Kannibalismus-Attacken in Miami warnt die Polizei im US-Staat Florida vor der Zombie-Droge. Unter dem Einfluss des Rauschmittels “Cloud Nine” (etwa “siebter Himmel”) können Menschen tierische Verhaltensweisen an den Tag legen – und andere Menschen anfallen. Die Polizei von Miami rief die Anwohner auf, sofort den Notruf zu wählen, wenn jemand vergleichbare Symptome zeigt.
Ende Mai erschoss die Polizei in Miami einen Mann, der nackt am Rande einer Schnellstraße das Gesicht eines Obdachlosen zerfleischte.
Und die “Berliner Zeitung” schrieb am 14. Juni über “eine Serie grausamer Verbrechen in den USA”, die “dem Konsum einer Billigdroge zugeschrieben” wird:
Ende Mai fiel in Miami ein nackter Mann über einen Obdachlosen her. Der Täter fraß seinem Opfer wie ein tollwütiger Hund das Gesicht von den Knochen. 18 Minuten lang dauerte die Horrorszene, bis Polizisten den Kannibalen erschossen und den entstellten sowie lebensgefährlich verletzten Obdachlosen ins Krankenhaus bringen konnten. Der Täter, ein 31 Jahre alter Mann namens Rudy Eugene, hatte offenbar unter dem Einfluss der Droge “Bath-Salt”, zu deutsch Badesalz, gestanden.
Ebenfalls am 14. Juni berichtete “Bild” in der Printausgabe:
Tja.
Vielleicht haben Sie Ende Juni auch diese Geschichte mitbekommen:
Ein Gerichtsmediziner in Florida sagt, dass nur Marihuana im Blutkreislauf eines Mannes aus Florida gefunden wurde, der erschossen worden war, während er am Gesicht eines anderen Mannes nagte.
Der Gerichtsmediziner von Miami-Dade County veröffentlichte am Dienstag die toxikologischen Befunde des 31-jährigen Rudy Eugene. Die Laborergebnisse fanden Marihuana in seinem Blutkreislauf, aber keine anderen Straßendrogen, Alkohol oder verschreibungspflichtige Medikamente.
Als Bild.de Anfang August über ein Interview berichtete, dass das Rudy Eugenes Opfer gegeben hatte, wählte die Redaktion diese Einleitung:
Es war eine Tat, die an Grausamkeit kaum zu übertreffen ist: Im LSD-Wahn stürmte Rudy Eugene in Miami auf einen Obdachlosen, riss ihn zu Boden und aß sein Gesicht auf!
(Die Behauptung, Eugene habe das Gesicht des Mannes “aufgegessen” ist übrigens auch kaum haltbar: In seinem Magen fand man kein menschliches Fleisch.)
Der Mann, der mit Marihuana im Blut einen anderen Mann angefallen hatte, ist für deutschsprachige Medien zum mahnenden Beispiel für das geworden, was synthetische Drogen anrichten können.
Das Internetportal der Schweizer Gratiszeitung “20 Minuten” leitet seine Artikel über “Badesalz” jedenfalls gerne so ein:
Der Fall von Rudy Eugene, der im Mai in Miami einem Obdachlosen teile des Gesichts wegfrass, machte weltweit auf die neuartige Droge Badesalz aufmerksam: Eugene soll im Drogenrausch durchgedreht haben. Weitere erschreckenden Berichte von Konsumenten, die sich selbst verstümmeln, brachte Badesalz den Namen “Zombie-Droge” ein.
Im Mai frass Rudy Eugene einem Obdachlosen Teile des Gesichtes weg und machte dadurch weltweit auf die Droge “Badesalz” oder Mephedron aufmerksam. Offenbar drehte Eugene im Drogenrausch durch.
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1. “Ein Murmeltier als Ente” (skensegeng.wordpress.com)
Ein achtjähriger Junge aus Tirol wird von “Heute” “Alpen Mogli” genannt, weil sich Murmeltiere von ihm füttern lassen: “Speziell im Bereich der Kaiser Franz Josefs-Höhe (wo die Fotos von Matteo gemacht wurden – so wie auch meine Fotos unten) sind die Murmeltiere seit Jahrzehnten handzahm.”
3. “Wie Interviews geführt und dann bearbeitet werden” (buttkickingbabes.de)
Was im Filmjournalismus aus Round-Table-Gesprächen entsteht, eine Reaktion auf die gestern verlinkten Interviews mit Usain Bolt: “Es ist ja völlig absurd, ein Interview immer präzise so im Text abbilden zu wollen, wie es stattgefunden hat, eine Bearbeitung findet immer statt.”
4. “Hey Guys” (twitlonger.com, englisch)
Bis vor Kurzem twitterte @FootballAgent49 noch über Transfers im Fußballgeschäft und erreichte damit große Aufmerksamkeit. Nun schließt er sein Konto: ” I am writing to tell you that, no, I am not a ‘Football Agent’ or ‘ITK.’ I am infact an 18 year old and I have been fooling all of you gullible idiots with my fake stories for the past 2 months.”
5. “In 80 Städten um Deutschland” (fabian-kuntz.de)
Fabian Kuntz besucht in 30 Tagen 80 deutsche Großstädte: “Eines haben alle Großstädte gemeinsam: Eine Einkaufsstraße voller Karstadts, C&As, Subways und Bubble Tea Bars.”
Als US-Präsident Barack Obama am Abend des 1. Mai 2011 vor die Weltpresse trat, um zu verkünden, dass das amerikanische Militär den Terroristenführer Osama bin Laden in Pakistan aufgetan und getötet habe, war in Deutschland gerade tiefste Nacht. Wahrscheinlich weiß noch jeder Mensch, wo er war, als er am Morgen die Nachricht hörte.
Es war 13.05 Uhr und damit eine deutlich zivilere Zeit, als Bild.de gestern eine Nachricht veröffentlichte, die eigentlich für ähnlichen Donnerhall in der Welt hätte sorgen müssen:
Osama bin Laden, so Bild.de, habe “offenbar” bzw. “vermutlich” Selbstmord begangen. Bild.de zitierte das Internetmagazin “Huffington Post”, die ihrerseits aus einem Buch zitiert hatte, das von einem der Navy SEALs geschrieben wurde, der bei der Erstürmung von bin Ladens Residenz dabei gewesen war.
Bild.de erklärt:
Bin Laden habe bereits eine Kugel im Kopf gehabt als die Soldaten kamen, schreibt der Ex-Seal aus Alaska darin. Es sei ein Mythos, dass er den Soldaten noch in die Augen gesehen habe, bevor er starb.
“Wir waren weniger als fünf Schritte davon entfernt, oben anzukommen, als ich gedämpfte Schüsse hörte”, zitiert die Zeitung aus dem Buch. Und weiter: “Blut und Gehirn quollen aus der Seite seines Schädels.” Bin Ladens Körper habe noch gezuckt, die Soldaten richteten ihre Laser auf seine Brust und feuerten mehrere Male ab.
Und fährt fort:
Und noch ein wichtiges Detail merkt er an: Außer den Kugeln mit denen Osama bin Laden sich offenbar selbst richtete, als er hörte wie die Soldaten die Villa stürmten, hatte er keinerlei Munition bei sich.
Spätestens an dieser Stelle hätte irgendjemand bei Bild.de stutzig werden können: bin Laden soll sich mit mehreren Kugeln erschossen haben? Das wäre durchaus außergewöhnlich.
Eigentlich hätte aber schon vorher jemandem auffallen müssen, dass im Originalartikel bei der “Huffington Post” nichts darauf hindeutet, dass bin Laden Selbstmord begangen haben könnte.
Allerdings ist die Passage, die Bild.de übersetzt hat, auch ein bisschen uneindeutig:
As the SEALS ascended a narrow staircase, the team’s point man saw a man poke his head from a doorway, wrote a SEAL using the pseudonym Mark Owen (whose real identity has since been revealed by Fox News) in “No Easy Day,” a copy of which was obtained at a bookstore by The Huffington Post.
“We were less than five steps from getting to the top when I heard suppressed shots. BOP. BOP,” writes Owen. “I couldn’t tell from my position if the rounds hit the target or not. The man disappeared into the dark room.”
Team members took their time entering the room, where they saw the women wailing over Bin Laden, who wore a white sleeveless T-shirt, loose tan pants and a tan tunic, according to the book.
Despite numerous reports that bin Laden had a weapon and resisted when Navy SEALs entered the room, he was unarmed, writes Owen. He had been fatally wounded before they had entered the room.
Der Soldat schreibt aber, dass bin Laden “unbewaffnet” (“unarmed”) gewesen sei, was einen Selbstmord durch Erschießen mindestens verkompliziert haben dürfte.
Die Nachrichtenagentur AP verstand diese Sätze dann auch gründlich anders als Bild.de:
Bissonnette schrieb, dass die SEALs bin Laden am oberen Ende eines abgedunkelten Flurs entdeckten und ihm in den Kopf schossen, obwohl sie nicht sehen konnten, ob er bewaffnet war. Regierungsbeamte hatten beschrieben, dass die SEALs erst auf bin Laden geschossen hätten, als dieser sich in sein Schlafzimmer zurückgezogen hätte, weil sie annahmen, er könnte nach einer Waffe greifen.
(Übersetzung von uns.)
Auch die deutschen Agenturen schrieben nichts von einem Selbstmord — weil offenkundig bisher niemand von einem Selbstmord gesprochen hatte.
Auch “Spiegel Online” beruft sich auf die “Huffington Post” und leitet aus deren Artikel ab:
Bevor die US-Soldaten den Qaida-Chef erwischen konnten, hatte er sich dem Bericht zufolge selbst gerichtet.
Nein. In der Schilderung der “Huffington Post” steht an keiner Stelle, dass sich bin Laden selbst erschossen habe. Schon um es aus den Schilderungen dort interpretieren zu können, muss man sich ziemliche Mühe geben.
Doch “Spiegel Online” verfolgt diese Spur weiter — und wird dabei unfreiwillig komisch:
Die Erzählweise, Bin Laden habe sich selbst getötet, ist neu in der Reihe von Verschwörungstheorien und Geschichten, die zwischen den USA und Pakistan kursieren.
Die ganze Absurdität der von “Spiegel Online” geschilderten Begebenheiten hat ein Leser in einem Kommentar so zusammengefasst:
Schenkt man dem Bericht Glauben, hat Bin Laden sich selbst mit einem Kopfschuss getötet, obwohl er unbewaffnet war, als man ihn fand, und eine Waffe auch erst später in seinem ordentlich aufgeräumten Zimmer gefunden werden konnte. Er scheint also trotz schwerster Kopfverletzungen noch ans Aufräumen gedacht zu haben.
Obwohl kein namhaftes Medium die Version einer Selbsttötung verbreitete, zog am späten Abend auch stern.de mit den beiden größten deutschen Onlinemedien nach:
In der Interpretation von stern.de war bin Laden offenbar schon angeschossen, als die SEALs sein Haus stürmten:
Der Al-Kaida-Chef sei im Mai vergangenen Jahres nicht von US-Soldaten getötet worden, sondern bereits mit einer Kugel im Kopf tot aufgefunden worden, heißt es laut dem Internetportal “Huffington Post” in dem Buch eines ehemaligen Mitglieds der US-Spezialkräfte Navy Seals, der nach eigenen Angaben bei der Kommandoaktion im pakistanischen Abbottabad dabei war.
Nach Angaben des Weißen Hauses hatte sich Bin Laden bei der Erstürmung seines Hauses “widersetzt” und sei darauf von US-Soldaten mit Schüssen in die Brust und in den Kopf getötet worden. Der Autor des Buches, das Anfang September auf den Markt kommen soll, schildert die Geschehnisse anders. “Blut und Gehirnmasse floss aus der Seite seines Schädels”, als sie Bin Laden entdeckten, heißt es laut der “Huffington Post” in dem Buch “No Easy Day: The Firsthand Account of the Mission That Killed Osama bin Laden” (Deutsch: Kein leichter Tag: Ein Bericht aus erster Hand über den Einsatz, bei dem Osama bin Laden getötet wurde).
Unentwirrbar falsch ist die Geschichte bei focus.de, wo Leser unter anderem mit diesem Rätsel konfrontiert werden:
Der El Kaida-Chef sei im Mai vergangenen Jahres nicht bereits mit einer Kugel im Kopf tot aufgefunden worden […].
Die gedruckte “Bild” fragt heute ein bisschen zurückhaltender auf Seite 2:
Die Redakteure von Deutschlands führenden Online-Medien (plus stern.de und “Focus Online”) werden sich wohl noch lange daran erinnern, wo sie waren, als sie Osama bin Laden sich selbst töten ließen.
Mit Dank an Dennis K., Frank M., Peter und Manuel W.
Hinweis/Korrektur: In der ursprünglichen Fassung dieses Artikels hatten wir im ersten Absatz behauptet, “die US Army” habe Osama bin Laden erschossen. Die Navy SEALs gehören (wie der Name schon sagt) aber zur US Navy.
Nein, wir sind nicht heimlich zum Fachmagazin für Weltraumthemen geworden, aber offenbar sind Geschichten im Weltall für Journalisten noch komplizierter als auf der Erde.
Die neueste Geschichte hat mit dem Mars zu tun, mit Popmusik und begann bei “Spiegel Online” so:
Der US-Rapper Willl.i.am hat seine neue Single vorgestellt – vom Mars aus. Der Nasa-Roboter “Curiosity” sendete den Song “Reach for the Stars” am Dienstag vom Roten Planeten auf die Erde. Es war die erste Musikübertragung von einem anderen Planeten. Das Lied war zu dem Mars-Roboter hochgeladen und von dort zurückgespielt worden – eine Reise von mehr als 1000 Milliarden Kilometern.
“1000 Milliarden Kilometer” oder, wie man eher sagen würde “eine Billion Kilometer”, sind verdammt viel. Der Zwergplanet Pluto, vor seiner Herabstufung mal der abgelegenste Planet unseres Sonnensystems, ist auf dem sonnenfernsten Punkt seiner Umlaufbahn ca. 7,4 Milliarden Kilometer von der Sonne entfernt.
“1000 Milliarden Kilometer” sind auch falsch. Die NASA spricht von “mehr als 700 Millionen Meilen (1,127 Milliarden Meilen Kilometern*) von der Erde bis zum Mars zurück”, die das Lied zurückgelegt habe. Die Nachrichtenagentur dapd, an der sich der “Spiegel Online”-Artikel orientiert, schreibt:
Das Lied war zu dem Mars-Roboter hochgeladen und von dort zurückgespielt worden – eine Reise von 1,126 Milliarden Kilometern.
Fragmente, die zwischenzeitlich bei Google zu finden waren, legen nahe, dass ein Kommentator “Spiegel Online” auf diesen Fehler hingewiesen hat. Dieser Kommentar ist nirgendwo mehr zu finden, aber der Fehler wurde inzwischen korrigiert.
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1. “Die neue Grausamkeit” (fraumeike.de)
Meike Lobo möchte auf Nachrichtenseiten wie “Spiegel Online” nicht überraschend Augenzeuge von Grausamkeiten werden: “Ich möchte keine gequälten Esel sehen, ich möchte nicht sehen, wie Katzenbabies an Pythons verfüttert werden, ich möchte nicht sehen, wie Luka Magnotta seinen Liebhaber isst, ich möchte nicht sehen, wie Teenager einen ganzen Wurf fiepender Hundewelpen in die Fluten eines reißenden Flusses werfen, und ich möchte auch nicht sehen, wenn in China kleine Mädchen von Autos überrollt und von Passanten stundenlang liegengelassen werden. Ich. Möchte. Das. Nicht. Und falls ich das wider Erwarten doch einmal möchte, dann SUCHE ICH DANACH.”
2. “Von der Inflation der Mittelmäßigkeit” (pauline-tillmann.de)
Heutigen Nachwuchsjournalisten fehle oft der Biss, der Wille, mehr einzubringen als minimal gefordert ist, findet Pauline Tillmann. “Es gibt viel mehr Journalistenschulen und Publizistik-Studiengänge als früher – und doch gibt es nicht mehr gute bis sehr gute Journalisten. Soll heißen: Es gibt eine Inflation der Mittelmäßigkeit. Und das hat damit zu tun, dass es viele nicht mehr gewohnt sind sich anstrengen zu müssen.”
3. “Pädagogischer Betrug” (nzz.ch, Ulrich Schmid)
Ulrich Schmid beklagt falsche Übersetzungen aus der englischen und französischen Sprache von Deutschlandradio Kultur, der ARD-Sportschau und Phoenix.
4. “Zwei Journalisten, ein Interview” (medienspiegel.ch, Martin Hitz)
Zwei Interviews mit Usain Bolt im “Tages-Anzeiger” und in der NZZ im Vergleich. Der Journalist der NZZ, Remo Geisser, nimmt in den Kommentaren dazu Stellung.
6. “Urlaub in Berlin” (boschblog.de)
Bosch verbringt den Sommer in Berlin-Mitte: “Das Wichtigste in Mitte sind Kontakte. Man muss hier nicht nur Leute kennen, man muss die richtigen Leute kennen. Wenn ich groß bin, mache ich eine Rating-Agentur für Mitte-People auf.”
Um Neil Armstrong zu würdigen, der 1969 als erster Mensch den Mond betreten hatte und am Wochenende verstorben war, sah die “Süddeutsche Zeitung” gestern so aus
Mehr als nur ein Hauch von Pathos durchwehte die Bildunterschrift auf der Titelseite:
Ein kleiner Schritt . . .
. . . und ein gewaltiger Sprung. Am 21. Juli 1969 betrat der Amerikaner Neil Armstrong als erster Mensch den Mond. Gut vier Tage hatte das Raumschiff Apollo 11 mit ihm und zwei weiteren Astronauten von der Erde zum Mond gebraucht. Zweieinhalb Stunden verbrachte der Kommandant auf der Oberfläche des Erdtrabanten. Nun ist Armstrong im Alter von 82 Jahren an den Folgen einer Herzoperation gestorben. Seine Spuren im Mondstaub bleiben ewig – es gibt keinen Wind, der sie verwehen könnte.
Ja, Armstrongs Spuren bleiben ewig — aber das auf dem Foto sind nicht seine.
Das Foto, zeigt laut NASA, die es unter der Nummer AS11-40-5877 archiviert hat, den Fußbadruck von Edwin “Buzz” Aldrin, der gemeinsam mit Armstrong auf der “Apollo 11”-Mission war und kurz nach ihm den Mond betreten hatte.
Außerdem ist das Bild bei der “Süddeutschen Zeitung” spiegelverkehrt, wodurch es sich von “Welt Kompakt” unterscheidet, wo es auf dem Kopf zu sehen war:
Auch Medien wie die “Stuttgarter Zeitung” und FAZ.net verwendeten das Foto und schrieben den Fußabdruck mehr oder weniger direkt Neil Armstrong zu — immerhin nicht auf der Titelseite.
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2. “Das Ende der geschminkten Wirklichkeit” (netzwertig.com, Martin Weigert)
Martin Weigert schreibt über im Netz publizierte Fotos einer Schießerei vor dem Empire State Building: “Noch bevor die Behörden mit ihrer Abschirmung beginnen, kursieren mitunter die ersten Aufnahmen bei Twitter, Facebook oder Reddit. Und während ausgebildete Journalisten einem Pressekodex folgen, entscheiden Privatleute allein auf Grundlage ihres Gewissens, ob sie bestimmte, die Folgen von Gewalthandlungen darstellende Fotos oder Clips online verbreiten oder nicht. Egal welche Position man selbst zu dieser sensiblen Thematik einnimmt, muss man sich darauf einstellen, dass andere Menschen mit anderen Wertekonstrukten und Auslegungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung entsprechende Aufnahmen im Netz veröffentlichten werden.”
3. “MailOnline fooled by fake Isaac photo” (tabloid-watch.blogspot.ch, MacGuffin, englisch)
Die Herkunft eines von “Mail Online” als Illustration zum herannahenden Sturm Isaac verwendeten Fotos.
4. “Bund zahlt Journalisten für PR” (sonntagonline.ch, Yannick Nock)
Das Schweizer Bundesamt für Energie sucht per Ausschreibung einen “unabhängigen Journalisten”: “Ziel ist es, 22 Artikel über die Leistungen des BFE in mehreren Publikationen unterzubringen.”
5. “Wie aus Internet-Plattformen Verlage werden” (carta.info, Wolfgang Michal)
Wolfgang Michal sammelt Anzeichen für Verlagstätigkeiten großer Internetunternehmen wie YouTube, Twitter, Facebook, Amazon oder Google.
6. “Der Abschied vom ‘Spiegel’ rückt näher” (sprengsatz.de, Michael Spreng)
Michael Spreng überlegt, ob er sich von seinem “langjährigen Lebensabschnittspartner” “Spiegel” verabschieden soll.
Neil Armstrong ist tot, der erste radfahrende Trompeter auf dem Mond.
Verzeihung, das war Unfug. Aber Neil Armstrong ist tot, der erste Mann auf dem Mond. NBC hatte ihn in einer Überschrift im Internet kurzzeitig “Neil Young” genannt, was schon ziemlich peinlich war, denn Neil Young ist ein Musiker. Immerhin heißt aber eines seiner Alben “Harvest Moon”.
Kommen wir aber zu den deutschen Medien: Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) eröffnete einen ihrer Nachrufe in der Nacht zum Sonntag mit folgendem Satz:
Er hinterließ den ersten Fußabdruck der Menschheit auf einem anderen Planeten: Der Astronaut Neil Armstrong ist tot.
Das war Quatsch, denn bis heute hat kein Mensch einen anderen Planeten als die Erde betreten — der Mond ist nämlich keiner, sondern ein Trabant (was, Achtung, liebe Journalisten, in diesem Fall kein Auto ist). dpa hat das am Sonntagmittag auch bemerkt und aus dem “Planeten” einen “Himmelskörper” gemacht. Der Fehler steht aber noch unter anderem bei stern.de, “Focus Online” und der Münchner “Abendzeitung”.
Im gleichen Artikel steht dieser Satz:
Seinen ersten Raumflug absolvierte Armstrong am 12. März 1966 als Kommandant der US-Raumfähre “Gemini 9”.
Interessanterweise gibt es einen dpa-Text, in dem es richtig heißt:
Die Wolken reichten aber nicht, Armstrong wollte noch höher hinaus: 1962 akzeptierte ihn die Nasa als Astronauten, 1966 vollbrachte er als Chefpilot von “Gemini 8” das Andocken an ein unbemanntes Raumfahrzeug im Orbit – das erste Rendezvous im All.
Und dann war da noch “Bild”:
“Wer sich fragt, wie er Neil eine Ehre erweisen kann: Das nächste Mal, wenn ihr an einer sternenklaren Nacht draußen seid und der Mond auf euch herunter strahlt, denkt an Neil Armstrong und winkt ihm zu.” (die Familie von Neil Armstrong auf der Internetseite der Nasa)
Kann man schönere Worte wählen, um sich von dem Mann zu verabschieden, der die Menschheit auf den Mond brachte?
Nun, man kann diese schönen Worte zumindest richtig übersetzen.
Geschrieben hatte Armstrongs Familie nämlich:
For those who may ask what they can do to honor Neil, we have a simple request. Honor his example of service, accomplishment and modesty, and the next time you walk outside on a clear night and see the moon smiling down at you, think of Neil Armstrong and give him a wink.
Und “to give somebody a wink” heißt “jemandem zuzwinkern”. Das muss auch irgendjemand in der Redaktion bemerkt haben, auf Bild.de wurde der Artikel nämlich inzwischen unauffällig korrigiert.