In den vergangenen eineinhalb Wochen brauchten sie bei Bild.de eine Menge Fragezeichen in ihren Überschriften:
Ist der nordkoreanische Diktator schon längst tot?
Oder lebt er doch?
Vielleicht versteckt er sich auch nur?
Nach dem ganzen “Rätselraten” auf recht mauer Faktenlage tauschte Bild.de gestern am späten Abend die Fragezeichen gegen ein “offenbar” aus:
Zur Bebilderung dieser möglichen Auferstehung Kim Jong-uns wählte die Redaktion folgendes Foto:
Noch besser als der Hinweis “ARCHIVFOTO” wäre gewesen: “DOPPELGÄNGERFOTO”. Bei dem Mann, der mit dem einen Arm grüßt und mit dem anderen eine aufblasbare Rakete festhält, handelt es sich schließlich nicht um Kim Jong-un, sondern um den Kim-Jong-un-Imitator Howard X.
Tatsächlich haben nordkoreanische Staatsmedien gestern Bilder von einem angeblichen Fabrikbesuch ihres Machthabers veröffentlicht. Die “Bild”-Redaktion hat das falsche Aufmacherfoto inzwischen durch Aufnahmen von diesem Auftritt ersetzt.
Schon dem Grab des altägyptischen Pharaos Tutanchamun wurde, neben vielen anderen Schätzen, ein goldener Streitwagen beigelegt. Und ein bisschen so, angepasst an den Puls der Zeit freilich, klingt auch die Meldung aus Südafrika, wo ein Mann in seinem alten Mercedes beerdigt wurde.
So eine Skurrilität ist natürlich auch für die “Bild”-Redaktion ein Thema. Bei Bild.de berichtet sie über das ungewöhnliche Begräbnis:
Am Ende des Beitrags steht in einer Bildunterschrift der Hinweis:
In Afrika wurde nicht zum ersten Mal ein Mensch in einem Auto beerdigt.
Autobestattungen seien zwar extrem selten, schreibt Bild.de, doch:
Doch in Afrika ist diese bizarre Form der Beisetzung nicht zum ersten Mal passiert
Jaja, “in Afrika”. Für die Behauptung liefert die “Bild”-Redaktion zwei Belege:
Vor zwei Jahren beerdigte ein Nigerianer seinen Vater in einem brandneuen BMW X5. 2015 brachte ein Geschäftsmann (ebenfalls aus Nigeria) seine Mutter in einem Hummer unter die Erde.
Allerdings hat weder die eine noch die andere Beerdigung in Wirklichkeit je stattgefunden. Beide gab es nur in Filmen aus Nollywood.
An der Stelle mit dem BMW-X5-Begräbnis — tatsächlich geht es um einen BMW X6, aber das nur am Rande — verlinkt Bild.de einen eigenen älteren Artikel, in dem über diese vermeintliche Trauerfeier berichtet wird:
Dieser Luxusschlitten geht aus der Fabrik direkt unter die Erde …
In Nigeria hat ein Mann seinem Vater eine besondere letzte Ruhestätte ermöglicht: Er ließ ihn statt in einem Sarg in einem brandneuen Luxusauto beerdigen.
In dem Artikel von 2018 verlinkt die Redaktion wiederum die britische “Daily Mail”, sozusagen als Beleg. Problem: Selbst die sonst “Bild”-haft krawallige “Daily Mail” hatte nach der Veröffentlichung darauf hingewiesen, dass die Meldung falsch war:
Und auch das Hummer-Begräbnis, das die “Bild”-Redaktion erwähnt, gab es nur im Film.
In dem bereits erwähnten fehlerhaften “Daily Mail”-Artikel ist die Rede von einem Milliardär aus der nigerianischen Stadt Enugu, der 2015 seine Mutter in einem “brand new Hummer” beerdigt haben soll — also ziemlich genau das, was auch Bild.de behauptet.
1. “Als Wissenschaftler schafft man keine Fakten” (sueddeutsche.de, Kathrin Zinkant)
Der Chefvirologe der Berliner Charité Christian Drosten äußert sich im Interview mit der “Süddeutschen Zeitung” unter anderem zur Kampagne, mit der die PR-Firma “Storymachine” das “Heinsberg Protokoll” medial vermarktet: “Ich finde das alles total unglücklich — und ich finde es noch schlimmer, wenn ich dann den Bericht im Wirtschaftsmagazin Capital darüber lese, dass diese PR-Firma Geld bei Industriepartnern eingesammelt hat, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Da geht es auch um ein internes Dokument, demzufolge Tweets und Aussagen des Studienleiters Hendrik Streeck in Talkshows schon wörtlich vorgefasst waren. Da weiß ich einfach nicht mehr, was ich noch denken soll. Das hat mit guter wissenschaftlicher Praxis nichts mehr zu tun. Und es zerstört viel von dem ursprünglichen Vertrauen der Bevölkerung in die Wissenschaft.”
2. Mutiert die taz zum Regierungsblatt? (taz.de, Malte Kreutzfeldt & Ulrich Schulte)
Verkehrte Welt: Derzeit muss sich die “taz”-Redaktion vor manchen Leserinnen und Lesern dafür rechtfertigen, dass sie gelegentlich die Arbeit der Regierung lobt. Sie sei dennoch weit von einem “Regierungsblatt” entfernt, wie sie nun in einem Brief an die Leserschaft erklärt: “Wir schauen gerade sehr genau hin, egal ob es um die Kontaktbeschränkungen in den verschiedenen Bundesländern geht (Wo und warum darf man nicht auf einer Parkbank sitzen?), um die Einschränkungen des Versammlungsrechts oder die Folgen der Pandemie für marginalisierte, arme oder geflüchtete Menschen.”
3. AfD trennt sich von Fraktionssprecher wegen Faschismusvorwürfen (zeit.de, Christian Fuchs & Jan Aleksander Karon)
Die AfD hat sich überraschend von ihrem langjährigen Partei- und Fraktionspressesprecher Christian Lüth getrennt — oder um präzise zu sein: Sie “hat ihn mit sofortiger Wirkung freigestellt”. Grund für den Rauswurf soll Lüths politisches Weltbild gewesen sein: Er soll von sich selbst wiederholt als “Faschist” gesprochen und auf seine “arische Abstammung” hingewiesen haben.
4. Corona: Medien verbreiten weiter unbeirrt statistischen Unsinn (infosperber.ch, Urs P. Gasche)
Viele Medien lieben Ranglisten. Die zahlenbasierten Übersichten ermöglichen einen schnellen Vergleich und eine entsprechende Einordnung. Schwierig sei dies jedoch bei den Ländertabellen zur Corona-Thematik, deren Zahlen in vielen Fällen nicht vergleichbar seien. Urs P. Gasche erklärt das Problem und verrät, wie es aus seiner Sicht besser gehen könnte.
5. “Der Zuschauer ist wahrscheinlich relativ überfordert” (deutschlandfunk.de, Susanne Luerweg, Audio: 4:37 Minuten)
In einem ARD-Extra zum Coronavirus gab es Bilder aus einem bayerischen Krankenhaus zu sehen, die auf einige Zuschauer und Zuschauerinnen wegen ihrer Nähe zu Leid und Tod verstörend wirkten. Was ist aus medienethischer Sicht von dieser Art Berichterstattung zu halten? Der Deutschlandfunk hat sich darüber mit Alexander Filipović unterhalten, der als Professor für Medienethik in München lehrt. Seine vorsichtige Einschätzung: “Wenn die Kamera im Spiel ist, dann gibt es immer so etwas latent Voyeuristisches, und ich glaube, das sieht man so auch an diesen Beitrag.”
6. Burdas “Freizeit Revue”: Nachruf zum Geburtstag (uebermedien.de, Mats Schönauer)
Mats Schönauer ist der offizielle Regenbogenpressebeauftragte des medienkritischen Portals “Übermedien”. Dort ruft er regelmäßig zum “Schlagzeilenbasteln” auf: “Wir geben Ihnen eine Nachricht, und Sie dürfen raten, welche Schlagzeile die deutsche Regenbogenpresse daraus gebastelt hat.”
1. Kurzarbeit trotz hoher Nachfrage (deutschlandfunk.de, Christoph Sterz)
Durch das wegbrechende Anzeigengeschäft verzeichnen Zeitungs- und Zeitschriftenverlage derzeit hohe Einnahmeverluste. Die Medienhäuser verfallen daher oft auf das Mittel der Kurzarbeit. Dabei hätten Arbeitsaufwand und Nachfrage in Zeiten von Corona zum Teil deutlich zugenommen, so Christoph Sterz im Deutschlandfunk. Der Deutsche Journalisten-Verband habe darauf hingewiesen, dass “viele Kolleginnen und Kollegen derzeit mehr arbeiten als vor Corona, weil die digitalen Angebote erheblich ausgeweitet wurden und gewohnte Abläufe umgestellt werden mussten”.
Weiterer Lesehinweis beziehungsweise Hörtipp: Kurzarbeit beim “Tagesspiegel”: “Müssen sehen, dass wir wirtschaftlich überleben”, ein Gespräch mit der “Tagesspiegel”-Geschäftsführerin Ulrike Teschke im Deutschlandfunk.
2. Besondere Auszeichnung für herausragende Kommunikation in der Coronavirus-Pandemie (dfg.de)
Christian Drosten, Virologe an der Berliner Charité, erhält den “Sonderpreis für herausragende Kommunikation der Wissenschaft in der Covid19-Pandemie”. Der Preis wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Stifterverband vergeben und ist mit 50.000 Euro dotiert. Drosten erkläre den Menschen “auf anschauliche, transparente und faktenbasierte Weise, was die Wissenschaft weiß, wie sie arbeitet und welche Unsicherheiten bestehen.”
Hörtipp: “Das Coronavirus-Update”, der vielgelobte NDR-Podcast mit Christian Drosten.
3. Medien im Corona-Rausch: Finger weg vom Alkohol (uebermedien.de, Frederic Servatius)
Laut Gesellschaft für Konsumforschung habe der Einzelhandel in den vergangenen Monaten im Vergleich zum Vorjahr deutlich mehr alkoholische Getränke verkauft. Es gehe um Steigerungsraten von 31 Prozent für klare Spirituosen und 34 Prozent bei Wein. Einige Medien sahen die Republik bereits im coronabedingten Vollrausch, unterschlugen dabei jedoch einen wichtigen Aspekt, so Frederic Servatius: “Natürlich verlagert sich in einer Zeit, in der Bars und Restaurants geschlossen haben, der Einkauf von Alkohol auf den Einzelhandel. Gibt ja quasi keine Alternative mehr. Die Folge ist aber nicht, dass insgesamt mehr Alkohol gekauft wird. Es wird bloß im Einzelhandel mehr gekauft.”
4. Zensurheberrecht: Bundesregierung sieht keinen Handlungsbedarf (fragdenstaat.de, Arne Semsrott)
Das Informationsfreiheitsgesetz gewährleistet den Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen gegenüber Bundesbehörden und sonstigen Bundesorganen. Doch was nützt ein Rechtsanspruch, wenn er von behördlicher Seite mit oftmals zweifelhaften Begründungen (“Urheberrecht”) unterlaufen und abgewimmelt wird? Das Portal “FragDenStaat” kennt dieses Problem nur zur Genüge — es wurde wegen der Veröffentlichung eines Gutachtens zu Krebsrisiken von Glyphosat sogar von Behördenseite verklagt. Eine Kleine Anfrage der Grünen habe nun ergeben, dass das klagende Bundesamt für dieses und ähnliche Verfahren bereits mehr als 100.000 Euro ausgegeben habe.
5. Wie die Tagesschau auf TikTok junge Leute erreicht (anchor.fm, Levin Kubeth, Audio: 1:04:34 Stunden)
Als die “Tagesschau” ihr Angebot auf die Kurzvideo-Plattform TikTok ausdehnte, um dort mit eigenen Inhalten ein junges Publikum zu erreichen, wurde dies von vielen belächelt und bespöttelt. Doch das Angebot wird von den TikTok-Userinnen und -Usern sehr geschätzt: Rund 450.000 Follower freuen sich über die Info-Schnipsel, die kurzen Erklärvideos und das Behind-the-scenes-Material. Im “Unter zwei”-Medienpodcast hat sich Levin Kubeth mit Antje Kießler unterhalten, die im “Innovationslabor” der “Tagesschau” arbeitet und verschiedene Formate auf TikTok und Instagram moderiert.
6. Schlechtes Timing für den Abgang (sueddeutsche.de, Cathrin Kahlweit)
Die britische Boulevardpresse kann es anscheinend nur schwer verwinden, dass sich die beiden nunmehr Ex-Royals Harry und Meghan dem Yellow-Press-Zirkus entziehen und wettert und geifert ihnen noch einmal hinterher. Das Paar dürfte sich deshalb in seinem Entschluss bestätigt fühlen, den Kontakt mit vier großen britischen Boulevardmedien (“Sun”, “Daily Mirror”, “Daily Mail”, “Express”) abgebrochen zu haben. Cathrin Kahlweit berichtet aus London über den Konflikt, der auch auf juristischem Weg ausgetragen wird: Demnächst beginnt ein Prozess wegen eines privaten Briefs von Meghan an ihren Vater, der ohne ihre Erlaubnis von der “Mail on Sunday” abgedruckt worden war.
1. Heinsberg-Studie: Deutscher PR-Rat prüft Vorgehen der Agentur Storymachine (stern.de, Hans-Martin Tillack)
Die mediale Vermarktung der Heinsberg-Studie durch die PR-Agentur “Storymachine” wurde bereits vielfach kritisiert (zum Beispiel hier, hier und hier). Nun habe der Deutsche Rat für Public Relations ein förmliches Prüfverfahren eingeleitet. Investigativreporter Hans-Martin Tillack hat sich die Vorgänge um die PR-Agentur, die neuerdings abstreitet, eine PR-Agentur zu sein, näher angeschaut und ist auf einen Dschungel von geschäftlichen, politischen und wirtschaftlichen Verflechtungen gestoßen.
Weiterer Lesehinweis: Auch “Capital” hat zu dem Fall recherchiert und berichtet von einem internen PR-Konzept der Agentur “Storymachine”, das weder nach einer “journalistischen Herangehensweise” noch nach einer “Beobachtung” der Forschungsarbeit klinge. Das Papier lese sich eher wie eine klassische PR-Kampagne, die über den Umweg einer Erzählung beziehungsweise Inszenierung ihr Ziel verfolge: Corona-Studie: der Plan hinter dem „Heinsberg-Protokoll“ (capital.de, Thomas Steinmann).
2. “Je länger wir für die Recherche gebraucht haben, desto besser kommt es an” (brandeins.de, Johannes Böhme)
Die Chemikerin und Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim betreibt auf Youtube den Kanal “maiLab” und hat dort mehr als 800.000 Abonnenten und Abonnentinnen. Ihr Erklärvideo zur Covid-19-Pandemie verzeichnet mittlerweile mehr als 5,7 Millionen Aufrufe. Johannes Böhme hat sich mit Nguyen-Kim über die Vermittlung von komplexen Sachverhalten unterhalten. Eine ihrer Erkenntnisse: “Je länger wir für die Recherche gebraucht haben, desto besser kommt es an. Je mehr Details wir präsentieren, je tiefer wir gehen, desto besser. Die Leute sind regelrecht besessen von Fakten. Viele fragen sofort nach Quellen, die wir deshalb auch detailliert unter unseren Videobeschreibungen auflisten.”
Weiterer Guckhinweis: “Schauen wir uns die Kommunikation von drei der prominentesten Virologen Deutschlands an: Professor Christian Drosten, Professor Hendrik Streeck und Professor Alexander Kekulé”: Virologen-Vergleich (youtube.com, maiLab, Video: 17:36 Minuten).
3. Sind alle Journalisten Versager? (faz.net, Werner D’Inka)
Der ehemalige “FAZ”-Herausgeber Werner D’Inka unternimmt in Sachen Corona-Berichterstattung so etwas wie eine Medienkritik der Medienkritik: “Medienkritik tut not und gut, aber gerade wer eine wache wissenschaftliche Begleitung des Journalismus für berechtigt und notwendig hält, darf erwarten, dass sie sich auf den Gegenstand einlässt, den zu kritisieren sie vorgibt.” Dies sei laut D’Inka keineswegs immer der Fall, wie er an Beispielen festmacht.
4. “Die massenhafte Verbreitung von Bullshit ist das Problem” (zeit.de, Dirk Peitz)
Der Brite Peter Pomerantsev hat ein Sachbuch über Desinformation und Wirklichkeitsverzerrungen auf Social Media geschrieben (“Das ist keine Propaganda”). Im Gespräch mit “Zeit Online” geht es um Fake-Realitäten, die Ausbreitung von Verschwörungstheorien und die Zerstörung demokratischer Debatten: “Die Redefreiheit wird heutzutage dafür benutzt, Menschen zum Schweigen zu bringen, ihr Sprechen mit Lärm zu übertönen. Und die Pluralität der Meinungen und Haltungen hat sich in eine derart starke politische Polarisierung insbesondere in den USA verwandelt, dass dort Debatten nicht mehr ergebnisoffen geführt werden können. Die Metapher vom Markt der Ideen schließlich ist untauglich geworden, weil nicht mehr klar ist, ob eine Zunahme an Informationen tatsächlich zu einem Mehr an Demokratie führt.”
5. “Entscheidend ist, jemanden in einem Stream zu halten und zu einem Fan zu verwandeln” – Kunst im Stream (dirkvongehlen.de)
Dirk von Gehlen hat auf seinem Blog eine kleine Serie zu Livestreams und Videokonferenzen gestartet (“Zehn Lehren aus der Coronakrise”). Regelmäßig befragt er Menschen, die in Zeiten der Corona-Pandemie statt auf Live-Events auf Videostreams und Online-Lehre setzen. Aktueller Gesprächspartner: Der Performancekünstler Marcus John Henry Brown. Dessen Empfehlung an Streaming-Interessierte: “Recherchiere, bis Deine Augen blutig werden. Denke an den Kontext des Streams. Denke in Formaten. Talent imitates — genius steals: Stehle vom Live-Fernsehen. WWE Pay-per-Views, Frühstücksfernsehen, Tele-Shopping, Nachrichten oder alte MTV-Formate wie ‘MTV’s Most Wanted’ mit Ray Cokes. Verbringe Tage in TWITCH, YouTube oder MIXER. Denke daran: Das, was Du da planst, ist ‘Internet-Fernsehen’.”
6. Da passt was nicht zusammen (taz.de, Anne Fromm)
Es ist ein höchst widersprüchliches Phänomen: Einerseits freuen sich die Verlage über Webseiten- und Digital-Abo-Rekorde, andererseits schicken sie ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in die Kurzarbeit. Die zusätzlichen Online-Erlöse würden nicht das ausgleichen, was im Anzeigengeschäft verlorengehe, so die Begründung der Medienhäuser. Anne Fromm merkt dazu an: “Wer JournalistInnen in Kurzarbeit schickt, senkt die Qualität. Und riskiert Subventionsbetrug. Wenn bei Kurzarbeit die JournalistInnen weiter 100 Prozent arbeiten, ist das illegal. Denn das ausfallende Gehalt und die Sozialbeiträge werden zu bis zu 67 Prozent von der Allgemeinheit übernommen. Ja, Corona bedeutet für angeschlagene Presseverlage weitere Verluste. Bloß ist Kurzarbeit, pauschal für ganze Redaktionen, dagegen kaum das richtige Mittel.”
Weiterer Lesehinweis: Medien: Hier könnte Ihre Anzeige stehen — Wie Covid‑19 ProSieben, RTL, SPIEGEL & Co trifft (deraktionaer.de, Leon Müller).
Schaut man sich den Reuters-Artikel an, den Schuler für seine Stimmungsmache missbraucht, erkennt man sofort, dass das alles nichts mit einem Beschluss des (deutschen) Koalitionsausschusses zu tun hat. Die Jugendlichen auf dem Foto gehören zu den zwölf minderjährigen Geflüchteten, die Luxemburg gestern aufgenommen hat. Am Wochenende sollen in Deutschland 50 Minderjährige ankommen, die sich bisher in Lagern auf den griechischen Inseln aufgehalten haben.
Neben diesem falschen Zusammenhang, den Schuler herstellt, ist seine Aussage an sich auch irreführend. Der Koalitionsausschuss hat nicht beschlossen, nur “unbegleitete minderjährige Mädchen” aufzunehmen. Im Beschluss der Großen Koalition (PDF) von Anfang März steht:
Ordnung und Humanität gehören für uns zusammen. Deswegen wollen wir Griechenland bei der schwierigen humanitären Lage von etwa 1000 bis 1500 Kindern auf den griechischen Inseln unterstützen.
Es handelt sich dabei um Kinder, die entweder wegen einer schweren Erkrankung dringend behandlungsbedürftig oder aber unbegleitet und jünger als 14 Jahre alt sind, die meisten davon Mädchen.
2. Im Stillstand der Städte (uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Stadt- und Kulturmagazine trifft die derzeitige Lage besonders hart, da kaum noch Werbung für Veranstaltungen, Restaurants, Partys oder sonstige Events geschaltet wird. Boris Rosenkranz hat sich bei einigen Magazinen umgehört, wie sie mit der Krise umgehen.
3. Corona-Falschmeldungen erreichen ein Millionenpublikum (sueddeutsche.de, Simon Hurtz & Hannes Munzinger)
Eine der “Süddeutschen Zeitung”, NDR und WDR vorliegende Analyse hat Videos und Artikel erfasst, die bei Faktenchecks als irreführend oder falsch gekennzeichnet wurden, und deren Ausbreitungswege ausgewertet. Die Corona-Krise mache Menschen besonders anfällig für Falschinformationen: Die betreffenden Videos würden millionenfach geklickt. Löschungen gälten in der Szene als besonderes Merkmal der Glaubwürdigkeit, und Faktenchecks könnten nur einen Bruchteil der Nutzerinnen und Nutzer erreichen.
4. Virale Propaganda (netzpolitik.org, Daniel Laufer & Jan Petter)
Die rechte Szene habe ein Propagandaportal mit rechtsradikalen und rassistischen Botschaften gestartet, das sich vornehmlich an junge Leute richte und dabei auf die typischen Stilelemente wie Listen, Quizspiele und gut teilbare Grafiken setze. Recherchen von netzpolitik.org und “Bento” würden zeigen, dass der Gründer der Seite seit Jahren in der rechten Szene aktiv sei: “Er und seine Mitstreiter:innen haben nicht nur enge Verbindungen zu AfD-Politikern und der Jungen Alternative (JA), sondern auch ins rechtsextreme Milieu rund um die Identitäre Bewegung (IB) und zu anderen Medien, die teils vom Verfassungsschutz beobachtet werden.”
Weiterer Lesehinweis: Warum Rechtsextremisten Mythen zu Corona verbreiten (kattascha.de, Katharina Nocun).
5. Breitbart ist wieder da – und Facebook hilft tatkräftig mit (nzz.ch, Marc Neumann)
Facebook stellt sich gern als Plattform dar, das alles Menschenmögliche gegen die Verbreitung von “Fake News” unternehme. Für Irritation sorgt da die Aufnahme des verschwörungstheoretischen und rechtsextremen Mediums “Breitbart” in das Nachrichtenangebot “Facebook News”. Wie immer hat man zur Verteidigung einen schön klingenden Grund zur Hand: Das Netzwerk wolle damit für “Standpunktdiversität” sorgen.
6. 100 Jahre Kicker: Ein Sportmagazin schreibt Geschichte (ardmediathek.de, Andreas Kramer, Video: 41:24 Minuten)
Das Fußballmagazin “Kicker“ wird 100 Jahre alt. Anlässlich des runden Geburtstags berichtet eine TV-Doku über Geschichte, Gegenwart und Zukunft der bekannten Fußballzeitschrift. Was sind die Konstanten, was hat sich verändert? Der Beitrag ist eine bunte und abwechslungsreiche Collage mit vielen Informationen und Anekdoten aus der langen Historie.
An manchen Dingen ändert auch das Coronavirus nichts — die “Bild”-Redaktion ist und bleibt nicht in der Lage, Studienergebnisse ordentlich wiederzugeben.
An manchen Dingen ändert auch das Coronavirus nichts — Hamburgs Immobilien sind und bleiben (fast) unerschwinglich.
… schreibt “Bild”-Chefreporter Jörg Köhnemann heute. In der Überschrift und der dazugehörigen Dachzeile wird Köhnemanns Aussage noch einmal bekräftigt:
Tatsächlich besteht zwischen den “Staun-Fakten” zum Hamburger Immobilienmarkt, über die Bild.de schreibt, und der Corona-Krise allerdings überhaupt kein Zusammenhang. Es kann kein Zusammenhang bestehen, weil es um völlig unterschiedliche Zeiträume geht.
Grundlage für den Artikel ist eine Studie der Bausparkasse LBS. Die schaut sich seit Jahren die Entwicklung der Immobilienpreise in Hamburg und Umland an. In der Pressemitteilung zum aktuellsten “Immobilienmarktatlas” steht unter anderem:
Das ergab die aktuelle Studie der LBS Bausparkasse Schleswig-Holstein-Hamburg AG in Zusammenarbeit mit dem Hamburger Forschungsinstitut F+B (Forschung und Beratung für Wohnen, Immobilien und Umwelt GmbH), in der rund 13.560 öffentlich zugängliche Immobilien-Angebote in Hamburg und Umland im zweiten Halbjahr 2019 ausgewertet wurden.
“Im zweiten Halbjahr 2019” gab es offiziell noch keinen einzigen Corona-Fall in Deutschland. Dass die Hamburger Immobilienpreise “TROTZ CORONA-KRISE” “weiter durch die Decke” gehen, wird durch die LBS-Studie also gar nicht belegt. In der Pressemitteilung sagt der Vorstandsvorsitzende der Bausparkasse Jens Grelle sogar explizit, dass man erstmal schauen muss, “welchen Einfluss die COVID-19-Pandemie” auf die Immobilienpreise haben wird:
“Welchen Einfluss die COVID-19-Pandemie auf die Entwicklung der Immobilienpreise nehmen wird, ist derzeit schwer vorhersehbar”, stellt Grelle fest.
Erste Marktanalysen für den Jahresbeginn 2020 im Vergleich zu 2019 ergeben deutliche Angebotsrückgänge von gut 15 bis 25 Prozent auf den Bestandsmärkten in Hamburg und Schleswig-Holstein. Solange der Wohnungsmarkt als Folge der Pandemie stagniert, werde sich an den Preisen kaum etwas verändern.
Für die zukünftige Preisentwicklung werden aus Sicht des LBS-Chefs die Dauer der Corona-Krise und die daraus resultierenden wirtschaftlichen Auswirkungen wichtige Faktoren sein.
Mit Dank an C für den Hinweis!
Nachtrag, 14:31 Uhr: Die Bild.de-Redaktion hat reagiert, zumindest teilweise. Die Dachzeile lautet nun nicht mehr “TROTZ CORONA-KRISE”, sondern “NEUE LBS-STUDIE”. Der erste Satz des Artikels lautet hingegen nach wie vor:
An manchen Dingen ändert auch das Coronavirus nichts — Hamburgs Immobilien sind und bleiben (fast) unerschwinglich.
1. Meinungsfreiheit in Zeiten von Corona – Monitor studioM (youtube.com, Monitor, Video: 1:08 Stunden)
Bei “studioM” sprechen “Monitor”-Chef Georg Restle und Tilo Jung (“Jung & Naiv”) über journalistisches Arbeiten in Zeiten des Coronavirus und über die Gefahren, die aus den derzeitigen Grundrechtseinschränkungen erwachsen können. Außerdem dabei: Die Journalistin Katja Gloger, die als Vorstand bei Reporter ohne Grenzen über die Lage in anderen Ländern berichten kann.
2. Über 15 Mio. Abrufe: Der gewaltige Erfolg des “Coronavirus Update” mit Professor Christian Drosten (meedia.de, Stefan Winterbauer)
Nur wenige kennen Norbert Grundei, Leiter des Radiosenders N-Joy und des NDR-Audio-Labs Think Radio. Viele kennen jedoch einen Podcast, den er angestoßen hat: Das “Coronavirus-Update” mit dem Virologen der Berliner Charité Christian Drosten. Bei “Meedia” verrät Grundei, wie es zu der Idee kam, wieviele Personen an der Produktion beteiligt sind und wie es um die Reichweite bestellt ist.
3. Wenn die Wahrheit zur Corona-Pandemie nicht ans Licht kommen soll (tagesspiegel.de, Gloria Geyer)
Die Corona-Krise ist in vielen Teilen der Welt auch eine Medienkrise. Der Geschäftsführer der Reporter ohne Grenzen habe sich im Gespräch mit dem “Tagesspiegel” alarmiert gezeigt: “‘Ich bin selber überrascht, dass es fast auf der ganzen Welt Einschränkungen wegen der Coronavirus-Ausbreitung gibt.'” In vielen Ländern würden die Sichtweisen, die nicht dem Handeln der Regierung entsprechen, eingeschränkt.
4. Wie wir jetzt arbeiten – Journalismus in Zeiten von Corona (stern.de)
Auch beim “Stern” entstehen Magazin und Website mittlerweile an vielen verschiedenen Orten und in den unterschiedlichsten Homeoffice-Umgebungen. Die Arbeitsbedingungen sind so vielfältig wie die Journalisten und Journalistinnen selbst, die über die ganze Welt verstreut sind — von Hamburg bis nach New York, von Berlin bis nach Shanghai.
5. Wie das Coronavirus Journalist:innen auf die Probe stellt (netzpolitik.org, Dominic Lammar)
Volker Stollorz ist Geschäftsführer und Redaktionsleiter des Science Media Center Germany. Im Gespräch mit netzpolitik.org geht es um den Umgang der Medien mit wissenschaftlichen Fakten: Wie sollen Journalistinnen und Journalisten mit wissenschaftlichen Unklarheiten umgehen? Wie kann der Umgang mit ungeprüften Studien und widersprüchlichen Aussagen erfolgen? Und wie lassen sich Falschnachrichten herausfiltern?
Weiterer Lesehinweis: Beatrice Lugger ist Direktorin des Nationalen Instituts für Wissenschaftskommunikation. Bei “Zeit Online” ermuntert sie Forscherinnen und Forscher zum Dialog mit den Nichtexperten: “Forscher sollten lernen, mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren.”
6. Wenig Licht am Ende des Tunnels (blog.tagesschau.de, Tamara Anthony)
Tamara Anthony berichtet für die “Tagesschau” aus dem ARD-Studio Peking. Was zu normalen Zeiten schon schwierig ist, gestaltet sich jetzt als besondere Herausforderung: Anthony befindet sich in Quarantäne. Im Blog der “Tagesschau” erzählt sie, wie sie und ihr Team mit den derzeitigen Umständen umgehen, einschließlich der Vertonung unter der akustikverbessernden Bettdecke.
1. Wegen Corona: ORF-Mitarbeiter wohnen im Fernsehsender (rnd.de)
Um den Sendebetrieb aufrechterhalten zu können, werden mehr als 150 Menschen beim ORF einziehen und dort eine “Corona-WG” bilden (Zitat Armin Wolf). Essen, schlafen, arbeiten — all das werde für die betreffenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Österreichischen Rundfunks nun in sogenannten Isolationsbereichen direkt im Sender stattfinden.
2. Land des Lächelns (taz.de, Steffen Grimberg)
Der Vorstandsvorsitzende des Springer-Konzerns Mathias Döpfner hat einen längeren Text über die Corona-Krise geschrieben (erster Satz: “Seit Tagen zögere ich, etwas zu schreiben”). Was für einige Irritation sorgte: Döpfners Aufsatz erschien nicht nur bei der Springer-Tochter “Welt”, sondern auch im neokonservativen Rechtsaußen-Blog “Achse des Guten”. Steffen Grimberg kommentiert: “Warum der Springer-Chef seinen Beitrag jetzt ausgerechnet dort für eine Zweitveröffentlichung freigegeben hat, fragt er sich hoffentlich mittlerweile selbst.”
3. Warum dieser Mann die Epidemie kleinredet (welt.de, Nike Heinen)
Weil das Video immer noch zirkuliert, der folgende Lesetipp: Wissenschaftsjournalistin Nike Heinen hat sich mit dem Lungenarzt Wolfgang Wodarg beschäftigt, dessen vielfach geteiltes Verschwörungsvideo zu Covid-19 immer noch für Verunsicherung und Verwirrung in Teilen der Bevölkerung sorgt. Nach der inhaltlichen Aufarbeitung hat Heinen eine schöne Schlusspointe zu dem fragwürdigen Mediziner parat: “In den 1980er-Jahren übernahm er die Leitung am Gesundheitsamt Flensburg. Einem größeren Publikum bekannt wurde er, weil er dort den Medizin-Hochstapler und gelernten Postboten Gert Postel als stellvertretenden Amtsarzt einstellte.”
Weiterer Lesetipp: Die gefährlichen Falschinformationen des Wolfgang Wodarg (spiegel.de, Julia Merlot).
Bei den “Riffreportern” hat sich Marcus Anhäuser dem Thema gewidmet, ergänzt um eine umfangreiche Liste mit Faktenchecks und Einordnungen. Eine fantastische Fundgrube für alle, die sich weiter in das Thema einlesen wollen. Wodarg, Bhakdi und Co.: Die Besserwisser in Zeiten der Coronakrise
4. Wie das Coronavirus den Journalismus verändert (anchor.fm, Levin Kubeth, Audio: 57:39 Minuten)
Für seinen Medienpodcast “Unter Zwei” hat sich Levin Kubeth mit Susanne Amann, Managing Editor beim “Spiegel”, unterhalten. Wie geht das Nachrichtenmagazin mit der Pandemie um? Wie wirkt sich die derzeitige Lage auf das Miteinander im Haus aus? Welche technischen und administrativen Folgen erfordert die neue Situation?
5. Gegenläufig (sueddeutsche.de, Caspar Busse)
Medienunternehmen reagieren ganz unterschiedlich auf das Coronavirus: Manche schicken die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ins Homeoffice, manche verfallen auf das Arbeitsmarkt-Instrument der Kurzarbeit. Caspar Busse hat sich angeschaut, wie Mediengrößen wie Bertelsmann, Axel Springer und ProSiebenSat.1 derzeit agieren.
6. 9 Pandemie-Filme, in denen Journalisten eine Rolle spielen (journalistenfilme.de, Patrick Torma)
Patrick Torma sammelt auf journalistenfilme.de Kinofilme und Fernsehproduktionen, in denen Journalisten und Journalistinnen eine Rolle spielen. In einer Sonderausgabe stellt er neun Pandemie-Filme vor, in denen Medienschaffende auftauchen.