Suchergebnisse für ‘für sie geklickt’

Streit um Recherche, Digitale Rhetorik, Durchökonomisierung

1. @DiePARTEI bietet via Statement Hilfe für Betroffene an – sie fordert darin aber auch, einen Satz aus der Recherche zu streichen
(twitter.com, Isabell Beer)
(Triggerwarnung: Schilderungen sexueller Gewalt.) Die Investigativreporterin Isabell Beer hatte in einer Recherche über Vorwürfe gegen einen Politiker der Spaßpartei “Die Partei” berichtet. Dieser soll über Jahre sexuelle Handlungen an Minderjährigen und jungen Frauen vorgenommen haben. Tausende Fotos und Videos davon seien gegen den Willen der Betroffenen im Internet gelandet. Die Partei habe seit Jahren von einigen der Aufnahmen gewusst und sich darüber lustig gemacht, so die Journalistin. Wie Beer nun bei Twitter schreibt, habe Die Partei sie aufgefordert, einen Satz aus ihrem Text zu löschen, und mit juristischen Schritten gedroht. Beer will der Forderung nicht nachkommen und kündigt eine weitere Berichterstattung an: “Liebe @DiePARTEI: Bevor ihr klagen oder korrekte Sätze streichen wollt, schaut euch doch in den eigenen Reihen genauer um. Vielleicht gibt es ja da Dinge oder Formulierungen, die Fragen aufwerfen. Wir haben jedenfalls ein paar und die folgen bald.”
Nachtrag: Nach Veröffentlichung dieser “6-vor-9”-Ausgabe schickte uns Die Partei folgenden Hinweis: “Die PARTEI stellt fest, dass es keine Aufforderung zur Löschung oder Streichung von Inhalten aus der Recherche gab. Der verantwortliche Herausgeber wurde lediglich dazu aufgefordert, eine Aussage in der Recherche zu berichtigen, die den fälschlichen Eindruck erweckt, Die PARTEI hätte Kenntnis von strafrechtlich relevanten Inhalten gehabt und sich über solche lustig gemacht.”

2. Wenn der Nebensatz verschwindet
(tagesspiegel.de, Norbert Schneider)
“Was läuft schief im Diskurs über den Ukrainekrieg, wie er von Politikern, Wissenschaftlern und vor allem auch von Journalisten geführt wird? Wie erklärt sich die hohe Temperatur, woher kommen die vergleichsweise scharfen Töne in der Diskussion, was ist der Grund für eine Verbissenheit, wie man sie sonst nur aus Religionskriegen kennt?” Norbert Schneider hat sich Gedanken über den Hang zur Polarisierung und Eskalation gemacht und erklärt, wie die derzeitige Aufmerksamkeitsökonomie funktioniert. Lesens- und nachdenkenswert!

3. Läuft die Durchökonomisierung journalistischer Inhalte heiß?
(journalist.de, Benjamin Piel)
“In einigen Verlagen ist etwas ins Rutschen geraten. Da wird in einer Runde über Themen gesprochen, die besonders gut ‘funktionieren’ (allein schon dieses Wort). Ein Mordfall habe viele ‘interessiert’, viele Abonnenten hätten ‘geklickt’ und die ‘Themenkarriere’ sei super gewesen, weil sie so viele ‘bei der Stange gehalten’ hätte.” Benjamin Piel, Chefredakteur des “Mindener Tageblatts”, hat eine lesenswerte Gegenrede auf die “Klickökonomiefixierung” und Durchökonomisierung journalistischer Inhalte verfasst.

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4. Auskunftsgesetz muss her
(djv.de, Hendrik Zörner)
Nach einer Klage des “Tagesspiegel” hat das Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg entschieden, dass die vertraulichen Presse-Hintergrundgespräche der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht mehr nachträglich offengelegt werden müssen, da Merkel nicht mehr im Amt sei. Dagegen protestiert der Deutsche Journalisten-Verband: “Der Tagesspiegel hat fünf Jahre vor dem Ausscheiden der Bundeskanzlerin aus dem Amt Klage erhoben, um jetzt vom Gericht gesagt zu bekommen: Ihr seid zu spät. Das ist absurd, vor allem, weil es zunächst hieß, die Angelegenheit sei nicht eilig.”

5. Urheberrechtsreform: Was bedeuten die Uploadfilter in den sozialen Medien für Journalisten?
(fachjournalist.de, Christian Solmecke)
Seit dem 1. August 2021 gilt in Deutschland das Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz (UrhDaG), das den lange umkämpften Artikel 17 der EU-Urheberrechtsrichtlinie umsetzt (“Uploadfilter”). Rechtsanwalt Christian Solmecke, selbst erfolgreicher Youtuber, erklärt die derzeitige Rechtslage und benennt die noch bestehenden Unklarheiten.

6. True Crime, Selbsthilfe und Storytelling – wohin geht der Podcast-Trend?
(sr.de, Michael Meyer & Kai Schmieding , Audio: 20:24 Minuten)
Das Medium Podcast ist weiterhin auf Wachstumskurs. Immer mehr Anbieter mischen mit, immer mehr Formate entstehen. Bei “Medien – Cross und Quer” sprechen Kai Schmieding und Michael Meyer mit Schiwa Schlei, Programmchefin der WDR-Sender 1LIVE und Cosmo und eine der Podcast-Strateginnen in der ARD, über neue Podcasttrends.

Bild  

Eine Woche, wie “Bild” sie liebt

Die aktuelle Ausgabe eines internen Newsletters an “Bild”-Mitarbeiter (“Die Woche bei BILD”), den Julian Reichelt und Alexandra Würzbach aus der “Bild”-Chefredaktion seit Kurzem regelmäßig verschicken, beginnt so:

Liebe Kollegen und Kolleginnen, dear all,

und weiter geht’s mit “Die Woche bei BILD”. Und wie immer, war auch die bunt und aufregend, spannend und emotional – so, wie wir es kennen und (meistens) lieben. Ob Seilbahn-Unglück oder Lukaschenko-Flieger, Killer-Zahnarzt, DHL-Erpresser, Herz für Kinder, ESC, Werder Bremen und viele, viele andere Geschichten, die toll aufgeschrieben, super fotografiert/gefilmt und bebildert, schön layoutet, top konvertiert und überragend geklickt waren. Danke für die hervorragende Teamleistung in der ganzen Republik!

Wenn ein Mann drei Menschen erschossen haben soll, und “Bild” mit dem “Killer-Zahnarzt” auf Klickjagd gehen kann; wenn der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko eine Passagiermaschine abfangen, anschließend einen sich im Flugzeug befindlichen Regimekritiker und dessen Freundin festnehmen lässt, und das alles bei Bild.de so richtig “top konvertiert”; wenn in Italien eine Seilbahn abstürzt, 14 Menschen dabei sterben, und die “Bild”-Redaktion endlich mal wieder unverpixelte Fotos von Verstorbenen und Überlebenden zeigen kann, darunter auch ein zwei- und ein fünfjähriges Kind:

Ausriss Bild-Zeitung - Er ist der einzige Überlebende des Seilbahn-Horrors vom Lago Maggiore - E. (5) weiß noch nicht, dass seine Familie tot ist

… dann ist das so eine Woche, wie Reichelt, Würzbach und “Bild” sie “(meistens) lieben”.

Na, dann: Glückwunsch!

Mit der Corona-Angst der Leserschaft zum “meistgeklickten Artikel”

In einer Zeit, in der nicht endgültig geklärt ist, welche gesundheitlichen Schäden eine Infektion mit dem Coronavirus hinterlässt, in der gerätselt wird, ob die Erkrankung vielleicht sogar Langzeitfolgen haben kann, braucht es eins ganz gewiss nicht: Eine Redaktion, die vermeintliche Corona-Symptome ausnutzt, um ein paar schnelle Klicks einzusammeln, und dabei mit der Verunsicherung und der Angst der Leserschaft spielt.

Womit wir auch schon bei Bild.de wären.

Dort war gestern auf der Titelseite dieser Teaser zu finden:

Screenshot Bild.de - China-Fernsehen zeigt unglaubliche Bilder - Corona-Patienten haben plötzlich dunkle Haut
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)

Der Artikel beginnt so:

Stellen Sie sich vor, Sie haben plötzlich eine ganz andere Hautfarbe.

So ist es angeblich zwei chinesischen Ärzten ergangen, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben. Entsprechende Bilder zeigte der Staatssender “Beijing TV Station” in einer Dokumentation.

Erst nach mehreren Absätzen, am Ende des Textes, gibt es die Auflösung auf die Frage “Was ist der Auslöser der Haut-Veränderung?”. Erst dort erfährt man, dass das alles nichts mit dem Coronavirus beziehungsweise Covid-19 an sich zu tun haben soll, sondern mit einem Medikament, mit dem die zwei Männer behandelt worden sein sollen:

Ein behandelnder Arzt sagte dem Sender, dass womöglich ein Medikament schuld an der dunkel gewordenen Haut sei. Beide Patienten hätten es zu Beginn ihrer Behandlung bekommen. Die Hautverfärbung sei eine der Nebenwirkungen des Medikaments.

Er erwarte, dass sich die Hautfarbe beider Mediziner wieder normalisieren würde, wenn sich die Funktion ihrer Leber verbessert, so der Arzt weiter.

Der Plan der Redaktion, mit diesem Verwirrspiel reichlich Klicks zu generieren, ist offensichtlich aufgegangen:

Screenshot Bild.de - Meistgeklickte Artikel - Unglaubliche Bilder aus China - Corona-Patienten haben plötzlich dunkle Haut

Mit Dank an @jbecker98 und Florian H. für die Hinweise!

“Focus Online” macht die AfD größer als sie ist

Schauen Sie sich mal dieses Balkendiagramm und diesen Teaser an:

Die Redaktion von “Focus Online” hat das gestern bei Facebook gepostet. Und es scheint doch so, als hätte die AfD “im Vergleich zur Vorwoche” so sehr “an Boden” gewonnen, dass sie jetzt mit der SPD gleich aufliegt.

Wobei — wenn man ganz genau hinschaut, zeigt das Diagramm sogar: Die AfD ist nach der CDU/CSU sogar knapp die zweitstärkste politische Kraft in Deutschland. Wir haben mal eine rote Linie in das Bild eingefügt:

Das ist natürlich Quatsch. Und “Focus Online” behauptet das auch gar nicht in dem bei Facebook verlinkten Artikel. Dort nennt das Portal die Zahlen, die das Meinungsforschungsinstitut “INSA” (mit dem man im Zusammenhang mit der AfD auch so seine Probleme haben kann) im Auftrag von “Bild” vor wenigen Tagen erhoben hat:

  • CDU/CSU — 32,5 Prozent
  • SPD — 21 Prozent
  • AfD — 14,5 Prozent
  • Linke — 11 Prozent
  • Grüne — 8,5 Prozent
  • FDP — 7,5 Prozent

Aber solange die Leute noch nicht auf den Artikel geklickt haben, gibt es bei “Focus Online” eben auch noch nicht die richtigen Fakten.

Mit Dank an @ennolenze für den Hinweis!

Nachtrag, 18:46 Uhr: Überprüft man — ausgehend von den Zahlen der CDU/CSU — auch die Balkenhöhen der anderen Parteien, zeigt sich: Bei der SPD stimmt die Höhe, bei allen anderen Parteien ist sie falsch:

Mit Dank an @TimothyMcAll und @HotTee168 für die Hinweise und großem Dank an Jan fürs Überprüfen!

Höcke-Urteil, Schutz vor Ohrfeigen, Kollapsjournalismus

1. Höcke-Urteil: “FAZ” veröffentlichte “vorbereitete Meldung” zu früh
(dwdl.de, Manuel Weis)
Wie “DWDL” berichtet, ist der “FAZ” ein recht peinlicher Fehler unterlaufen: Eine vorbereitete Nachricht über eine Verurteilung von AfD-Politiker Björn Höcke sei veröffentlicht worden, obwohl das Urteil noch gar nicht gesprochen war. Anscheinend hatte jemand in der Onlineredaktion statt auf “Speichern” auf “Veröffentlichen” geklickt.
Ergänzung des “6-vor-9”-Kurators: Mittlerweile hat das Landgericht in Halle sein Urteil gesprochen: AfD-Rechtsaußen Höcke wegen Nazispruchs zu Geldstrafe verurteilt (spiegel.de).

2. Anlaufstelle zum Schutz publizistischer Arbeit
(reporter-ohne-grenzen.de)
Die Organisationen Blueprint for Free Speech, Reporter ohne Grenzen, der Deutsche Journalisten-Verband, die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union in Verdi, “FragDenStaat” sowie Aktion gegen Arbeitsunrecht haben eine Anlaufstelle zum Schutz vor missbräuchlichen Einschüchterungsklagen eingerichtet, von denen auch immer wieder Medienschaffende betroffen sind. Mit den sogenannten SLAPPs soll auch unliebsame Berichterstattung unterdrückt werden: “Die No-SLAPP-Anlaufstelle bietet Information, Beratung und Training, um potenziell Betroffene über ihre Rechte aufzuklären und sie bei der Verteidigung gegen solche SLAPP-Klagen zu unterstützen.”

3. Kollapsjournalismus
(lorenzmatzat.substack.com)
Lorenz Matzat kritisiert in seinem Beitrag, dass die deutsche Medienlandschaft der Klimakrise nicht die nötige Aufmerksamkeit und Dringlichkeit schenkt, sondern oft oberflächlich und neutral berichtet. Er fordert einen “Kollapsjournalismus”, der die drohenden gesellschaftlichen Zusammenbrüche offen anspricht: “Im Unterschied zum derzeitigen Verdrängungsjournalismus konfrontiert ein Kollapsjournalismus Entscheider:innen mit dem möglichen Zusammenbruch und fordert Auseinandersetzung ein, auch von seinen Leser:innen.”

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4. Blog gegen Desinformation verliert die Gemeinnützigkeit
(netzpolitik.org, Markus Reuter)
Wie netzpolitik.org berichtet, wurde dem Blog “Volksverpetzer” Ende April die Gemeinnützigkeit aberkannt. Das bedeutet konkret, dass Spenden an den “Volksverpetzer” nicht mehr steuerlich absetzbar sind und für das Projekt möglicherweise hohe Rückzahlungen anstehen. In Deutschland sei gemeinwohlorientierter Journalismus nicht als eigener Gemeinnützigkeitszweck anerkannt, weshalb derartige Projekte stets um ihren Status bangen müssten. Eine Petition fordert die Ampel-Koalition auf, ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag einzulösen und Rechtssicherheit für gemeinnützigen Journalismus zu schaffen.

5. Wie geht guter Lokaljournalismus, Ralf Heimann?
(open.spotify.com, Katharina Heimeier, Audio: 1:00:01 Stunden)
Im Podcast “Sendekritik” spricht die Medienwissenschaftlerin Katharina Heimeier mit Gästen über Journalismus und die Medienbranche. In der aktuellen Folge zu Gast: Ralf Heimann, Medienbeobachter (“Altpapier”), BILDblog-Autor (“Kleine Wissenschaft des Fehlers”) und Mitbegründer eines lokaljournalistischen Mediums für Münster (“Rums”). In dem Gespräch geht es unter anderem um den Newsletter als journalistisches Produkt, um Bezahlabos und die Frage, wie Heimann die Zukunft sieht.

6. Post zu Hummels’ angeblichem EM-Aus geht viral
(spiegel.de)
Ein Fake-Account auf X/Twitter mit dem Namen “Mats Hummels” verbreitete die Nachricht, dass der Fußballprofi nicht für die anstehende Europameisterschaft nominiert worden sei, was sich viral verbreitete, bevor eine “Community Note” den Post als falsch kennzeichnete. Bislang gibt es weder von der deutschen Nationalmannschaft noch von Hummels selbst eine offiziell verkündete Entscheidung zur EM-Nominierung. Das geänderte Verifizierungssystem von X mache es schwieriger, echte Accounts von Fake-Accounts zu unterscheiden.

EU-Kommission vs. X, Grimme Online Award gefährdet, Willy Brandt

1. EU-Kommission eröffnet Verfahren gegen X wegen Falschinformationen
(zeit.de)
Die Europäische Kommission hat ein förmliches Verfahren gegen X (ehemals Twitter) wegen der Verbreitung falscher Informationen und illegaler Inhalte eingeleitet. Sie untersuche auch, ob die blauen Haken auf der Plattform, die inzwischen über ein Abonnementmodell erworben werden können, irreführend sind. Darüber hinaus wurde X bereits wegen der Verbreitung von Falschinformationen im Zusammenhang mit dem Krieg zwischen Israel und der Hamas verwarnt.
Zu X ein weiterer Lesetipp: Leak: Leugnung des Holocaust und mehr darf auf X/Twitter nicht gelöscht werden: “Interne Handbücher belegen, was offensichtlich ist: Eine irische Zeitung hat herausgefunden, welche Inhalte bei X/Twitter nicht mehr gelöscht werden müssen.” (heise.de, Martin Holland)

2. Sparmaßnahmen treffen den Grimme Online Award
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Timo Niemeier berichtet bei “DWDL” über Sparmaßnahmen des Grimme-Instituts, die auch den Grimme Online Award beträfen. Dies gehe aus einer Stellungnahme der Grimme-Belegschaft hervor, die “DWDL” vorliege. Es sei davon auszugehen, dass der Wettbewerb und die Preisverleihung im kommenden Jahr nicht wie gewohnt stattfinden können. Zudem sei geplant, die Bereiche Grimme-Forschung und Grimme-Medienbildung komplett aufzugeben. Man blicke “mit großer Sorge in die Zukunft”.

3. Bahar Aslan auch beim OVG erfolg­reich
(lto.de)
“Legal Tribune Online” berichtet, dass das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht den Widerruf des Lehrauftrags der Dozentin Bahar Aslan an der Polizei-Hochschule NRW für rechtswidrig erklärt hat. Diese Entscheidung bestätigt ein früheres Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen, welches bereits festgestellt hatte, dass die Entlassung Aslans nach einem polizeikritischen Tweet unrechtmäßig war.
Transparenzhinweis: Der “6-vor-9”-Kurator hatte sich im Mai dieses Jahres zusammen mit vielen anderen in einem offenen Brief mit Aslan solidarisiert.

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4. Zwischen Politik und Publizistik
(taz.de, Christian Walther)
Christian Walther zeichnet in seinem Beitrag die journalistische Laufbahn Willy Brandts nach, beginnend mit dessen Kindheit als Kinderreporter in Lübeck über Brandts journalistische Tätigkeit im Exil und in Berlin bis hin zum Wechsel in die Berufspolitik. Walther beleuchtet Brandts Beitrag zum politischen Journalismus, insbesondere dessen Rolle in der Kampagne für den Friedensnobelpreis für Carl von Ossietzky und die Berichterstattung über den Spanischen Bürgerkrieg und den ersten der Nürnberger Prozesse.

5. Ein Rundfunk für alle
(epd.de, Joachim Knuth)
NDR-Intendant Joachim Knuth diskutiert in einem Gastbeitrag für epd Medien die aktuellen Herausforderungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland. Knuth betont dabei die Bedeutung von authentischen und sorgfältig recherchierten Informationen in Zeiten von Informationskomplexität und Desinformation sowie die Rolle des Rundfunks bei der Daseinsvorsorge und Meinungsbildung.

6. Die Top-Klickbringer der Schweizer Medien
(persoenlich.com, Christian Beck)
Christian Beck fasst die meistgeklickten Themen der Schweizer Medien im Jahr 2023 zusammen. Der Ukraine-Krieg war durchgehend ein Hauptthema, das in verschiedenen Medien und Medienhäusern wie Tamedia, “NZZ”, CH Media, “Blick”, “20 Minuten” und SRF hohe Klickzahlen erzielte. Neben dem Krieg waren auch nationale Ereignisse wie der Bergsturz in Brienz, Sportereignisse und prominente Persönlichkeiten wie Prinz Harry und Roger Federer von großem Interesse für die Leserschaft.

Kriegt auch Bild.de irgendwann die Wendler-Kurve?

Tanja May und Sarina Roocks sind erleichtert. Beinahe hätten sie mitansehen müssen, wie ein deutscher TV-Sender einem “Extremisten” eine Plattform bietet. Denn beinahe hätte RTLzwei eine Dokusoap über Michael Wendler und Laura Müller, “den umstrittenen Sänger und seine schwangere Frau”, wie May und Roocks schrieben, gedreht. Über den Michael Wendler, der “2021 beim Nachrichten-Dienst Telegram Corona-Regeln mit einer erschütternden Holocaust-Verharmlosung kommentiert” hatte, der immer wieder “mit kontroversen Aussagen, Verschwörungstheorien und Werbung für Krisen-Produkte (z.B. Entgiftungskuren, Strom-Aggregatoren und ‘Das große Buch der Überlebenstechniken’) die Öffentlichkeit” schockierte, der “Schwurbel-Geschäfte im Netz” machte, so May und Roocks. Doch soweit wird es nun doch nicht kommen: RTLzwei hat sich nach heftiger Kritik und großem Entsetzen von dem Projekt verabschiedet.

Tanja May und Sarina Roocks, bei “Bild” für die Promi-Berichterstattung zuständig, können aufatmen:

Gut, dass RTLZWEI die Kurve gekriegt hat.

Man stelle sich mal vor, es gäbe eine Redaktion, die durch ihre Berichterstattung einen Typen normalisiert, der auf seinem Telegram-Kanal allen möglichen Unsinn und jegliche Schrecklichkeiten zu “Ufos, Chemtrails, Impf-Panikmache, Antisemitismus, Reichsbürger-Ideologie, Pro-Putin-Propaganda, Wahlbetrug-Lügen, Klimawandelleugnung, Gewaltverherrlichung” verbreitet, wie das Team vom “Volksverpetzer” dokumentiert. Eine Redaktion, die, wenn Michael Wendler und Laura Müller ihr “Mietshaus in der Palmetto Street in Punta Gorda (Südflorida) verlassen” müssen, berichtet:

Screenshot Bild.de - Traumhaus-Aus! Warum der Wendler seine Sachen packen muss

Eine Redaktion, die, wenn Michael Wendler und Laura Müller kurz darauf ein neues Haus gefunden haben, berichtet:

Screenshot Bild.de - Ein Tag im neuen Leben der Wendlers - Neue Bude, Supermarkt und ein Luxus-Auto für Laura

Eine Redaktion, die dann auch noch “Exklusiv! Die Fotos!” dazu zeigt:

Screenshot Bild.de - Kein Pool, Nörgel-Nachbarn und die Ex um die Ecke - Wendlers neues Haus - ob Luxus-Laura darauf abfährt? Exklusiv! Die Fotos!

Eine Redaktion, die selbstverständlich auch über Michael Wendlers “NEUES BOOT” berichtet:

Screenshot Bild.de - Wendler hat ein neues Boot - Hier schlackern nicht nur Lauras Hund die Ohren

Oder eine Redaktion, die einfach mal nur “die wahre Liebesgeschichte” von Michael Wendler und Laura Müller erzählen will:

Screenshot Bild.de - Laura war 16, als sie den Wendler traf - Bei Edeka saß sie an Kasse 3 - Bild hat ihre Mitschüler und Mama Müller getroffen - Die wahre Liebesgeschichte von Laura und Michael Wendler

Das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus der umfassenden Wendler-Berichterstattung der “Bild”-Medien der vergangenen Monate und Jahre. All diese Beiträge da oben sind nach 2021 bei Bild.de erschienen, also nachdem Michael Wendler “beim Nachrichten-Dienst Telegram Corona-Regeln mit einer erschütternden Holocaust-Verharmlosung kommentiert” hatte. Die meisten Artikel befinden sich hinter der “Bild-plus”-Paywall, die Redaktion will mit Michael Wendler Geld verdienen.

Auch über Laura Müllers Schwangerschaft, also das Thema der für kurze Zeit geplanten RTLzwei-Dokusoap, deren Ausfall Tanja May und Sarina Roocks so erleichtert, berichtet die “Bild”-Redaktion ausführlich. Natürlich erstmal über die Nachricht an sich:

Screenshot Bild.de - Unser großes Glück ist unterwegs - Wendlers Laura schwanger!

Sie lässt eine alte Familienfehde aufleben:

Screenshot Bild.de - Bild hat mit Michaels Vater gesprochen - Ein Wendler-Baby? Ich habe erst mal Brechreiz gekriegt!

Schreibt über die Nachwuchsfreude in der Familie:

Screenshot Bild.de - Michaels Vater hat Brechreiz - Wer sich wirklich aufs Wendler-Baby freut!

Und dokumentiert den wachsenden Babybauch (“Und SO schön entspannt sieht ihre Schwangerschaft aus”):

Screenshot Bild.de - Exklusive Babybauch-Fotos! So schön schwanger ist Laura - und der Wendler auch

SIE trug ein schlichtes, schwarzes Kleid aus dehnbarem Material, die Haare schnell hochgesteckt. Zeigte glücklich ihre Kugel.

Hoppla! Auch Michael Wendler scheint etwas zugelegt zu haben. Sein Golf-Shirt spannt am Bauch.

Sind sie nicht herrlich normal, die Wendlers?

Die “Bild”-Redaktion rätselt auch über das Geschlecht des Kindes (und will selbst “Kohle” dafür):

Screenshot Bild.de - Laura und der Wendler - Jetzt wollen sie sogar Kohle fürs Baby-Geschlecht - BILD kennt es schon

Und lässt die Leserschaft einen Blick auf den “Schwangerschafts-Alltag bei Wendlers” werfen:

Screenshot Bild.de - Porsche-Cabrio, Weihnachtsmann und ein alter Sauger - Was der Wendler alles in seiner Garage parkt

Da ist Laura Müller “mit süßer Babykugel” unterwegs, Michael Wendler kümmert sich per Aufsitzmäher um den Rasen, und die “Bild”-Redaktion schaut in die offene Garage:

Ob die werdenden Eltern hier bald schon Teile ihrer Baby-Ausstattung parken werden?

Wir werden es zu gegebener Zeit ganz bestimmt erfahren. Denn eigentlich gibt es schon längst eine Dokusoap über Michael Wendler und Laura Müller, in verschriftlichter Form, garniert mit Fotos, bei Bild.de.

Tanja May und Sarina Roocks werden intern sicherlich dafür kämpfen, dass diese Praxis bald ein Ende hat, egal wie geil dieser Wendler-Content geklickt wird, egal wie viele “Bild-plus”-Abos man damit verkaufen kann. Denn wer will schon einen Verbreiter von Verschwörungstheorien und Holocaust-Verharmlosungen zu größerer Prominenz verhelfen?

Reichelts Youtube-Krawall, Mögliche Interessenkonflikte, Dreyeckland

1. Julian Reichelt auf Youtube: Das Krawall-Imperium des geschassten “Bild”-Chefs
(tagesspiegel.de, Sebastian Leber)
Sebastian Leber hat sich durch das Youtube-Œuvre von Ex-“Bild”-Chef Julian Reichelt geklickt. Sein Fazit nach einigen Stunden verstörender Medienrecherche: “Im Grunde verhält es sich mit Reichelt wie mit dem Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen: Man wüsste gern, ob der Typ schon so drüber war, als er noch Macht und Verantwortung hatte, oder ob er sich erst nach seinem Rausschmiss blitzradikalisierte.”

2. Gruner + Jahr vor dem Tag X ver.di fordert: “Das ganze Potenzial eines Verlags erkennen!”
(dju.verdie.de, Anja Keuchel)
Die Gewerkschaft Verdi fordert von Bertelsmann-Chef Thomas Rabe ein klares Bekenntnis zum Verlag Gruner + Jahr: “Das Damoklesschwert hängt schon zu lange über den Köpfen, entsprechend groß sind Frust und Wut. Das gilt auch für die vielen Kolleg*innen, die als Freie auf Rechnung journalistische Inhalte für die Zeitschriften liefern. Was immer Manager Rabe am Dienstag früh den Beschäftigten mitzuteilen hat, er weiß nun dies: Sie fordern Klarheit, Sicherheit und Perspektive.”

3. So gendern die Deutschen
(tagesschau.de)
Der WDR hat eine repräsentative Umfrage zum Thema Gendern in Auftrag gegeben. Den Ergebnissen zufolge sei einer Mehrheit eine geschlechtergerechte Sprache nicht so wichtig. Zwei Drittel der Befragten hätten die Doppelnennung (beispielsweise “Journalistinnen und Journalisten”) in der Berichterstattung befürwortet, andere Formen des Genderns würden dagegen weniger akzeptiert.

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4. Tamedia überspielt Strack-Zimmermanns Interessenkonflikte
(infosperber.de, Urs P. Gasche)
Urs P. Gasche wirft den Redaktionen der Schweizer Tamedia-Gruppe vor, die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann porträtiert zu haben, ohne deren militärpolitisches Engagement zu erwähnen: “Viele Leserinnen und Leser erwarten, dass grosse Medien wie Tages-Anzeiger, Der Bund, Berner Zeitung oder Blick über die engen Beziehungen von Marie-Agnes Strack-Zimmermann mit der Rüstungsindustrie nicht so oberflächlich oder bagatellisierend hinwegsehen, sondern sie transparent machen.”

5. Vorwurf der Ausforschung
(taz.de, Christian Rath)
Vor drei Wochen durchsuchte die Polizei im Auftrag der Staatsanwaltschaft Karlsruhe den Freiburger Sender Radio Dreyeckland sowie zwei Privatwohnungen von Mitarbeitern des Senders. Anlass war ein Link zum Archiv von linksunten.indymedia.org in einem Beitrag auf der Sender-Website. Hintergrund: linksunten.indymedia.org war 2017 vom Bundesinnenministerium verboten worden, weil die Seite “nach Zweck und Tätigkeit den Strafgesetzen” zuwiderlaufe und sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richte. Das war damals vielfach kritisiert worden. Nun wehrt sich Radio Dreyeckland gegen die Auswertung der beschlagnahmten Technik und gehe dabei notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht.

6. Wie transparent sind TikTok und Co.?
(deutschlandfunkkultur.de, Vera Linß, Audio: 12:43 Minuten)
Das US-Magazin “Forbes” hat aufgedeckt, dass TikTok-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter über einen “Heating-Button” einzelne Videos auf der Plattform pushen und so dafür sorgen können, dass diese von mehr Nutzerinnen und Nutzern gesehen werden. Bei Deutschlandfunk Kultur kommentiert die freie Journalistin Karolin Schwarz das intransparente Thema.

“Lockdown-Macher” zulässig, Einschaltquoten, Habecks Instagram

1. Presserat weist Beschwerden gegen “Lockdown-Macher”-Artikel zurück
(sueddeutsche.de, Anna Ernst)
Gegen den vielfach kritisierten “Bild”-Artikel mit der Überschrift “Die Lockdown-Macher” gingen beim Deutschen Presserat zahlreiche Beschwerden ein. Presseratssprecherin Sonja Volkmann-Schluck hatte seinerzeit erklärt: “Die Beschwerdeführer kritisieren, es werde der falsche Eindruck erweckt, dass Wissenschaftler Corona-Maßnahmen beschließen, für die aber die Politik verantwortlich ist. Dies schüre Verschwörungstheorien und sei zudem ein Aufruf zur Hetze gegen Wissenschaftler.” Nun hat der Presserat alle Beschwerden gegen den “Bild”-Artikel vom 4. Dezember 2021 als “unbegründet” zurückgewiesen. Der Artikel sei “presseethisch zulässig”.

2. Bundesamt macht Anhörungsschreiben an Telegram öffentlich
(spiegel.de, Max Hoppenstedt)
Das deutsche Bundesamt für Justiz wollte im April 2021 dem Betreiber des Messengerdienstes Telegram zwei Anhörungsschreiben zukommen lassen und hat diese per Post an den Firmensitz in Dubai gesendet. Beide Zustellversuche, die jeweils durch die Behörden der Vereinigten Arabischen Emirate durchgeführt wurden, seien nach “Spiegel”-Informationen gescheitert. Nun habe das Bundesamt die Schreiben im Bundesanzeiger veröffentlichen lassen, womit sie als zugestellt gelten.

3. EU-Staaten einigen sich auf strengeres Digitalgesetz
(zeit.de)
Das neue EU-Gesetz über digitale Märkte (Digital Markets Act) soll die Marktmacht der Internetkonzerne strenger regulieren und für faireren Wettbewerb sorgen: “Vor allem die US-Unternehmen Google, Amazon, Facebook und Apple dürften die Auswirkungen spüren. Diesen sogenannten Gatekeepern soll für ihre zentralen Dienste unter anderem verboten werden, eigene Produkte und Angebote bevorzugt gegenüber denen der Konkurrenz zu behandeln.”

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4. Mexiko: Fünf Jahre nach dem Mord an der Journalistin Miroslava Breach
(reporter-ohne-grenzen.de)
In Zusammenhang mit dem Mord an der mexikanischen Journalistin Miroslava Breach Velducea im Jahr 2017 erklärt Reporter ohne Grenzen: “Die mexikanischen Behörden haben die Krise der Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten im Land immer noch nicht in den Griff bekommen. Die mexikanische Regierung muss in Übereinstimmung mit ihren internationalen Verpflichtungen die volle Meinungsfreiheit garantieren und aufhören, Medienschaffende verbal zur Zielscheibe zu machen und zu kriminalisieren.”

5. TV-Einschaltquote: Heute zählen auch Klickzahlen
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers, Audio: 5:33 Minuten)
Lange Zeit galt bei der Beurteilung des Erfolgs von Fernsehformaten die Einschaltquote als Maß aller Dinge. Heutzutage kommen neue Parameter wie die Werte von Mediatheken und Online-Streaming hinzu, deren Aussagekraft jedoch mitunter zweifelhaft ist. Oft sei bereits entscheidend, dass ein Inhalt einfach nur angeklickt wurde, wie der Medienwissenschaftler Christian Richter ausführt: “Es spielt also keine Rolle, ob man die gesamte Folge gesehen hat, ob man die Hälfte gesehen hat oder ob man tatsächlich einfach nur mal angeklickt, aus Versehen reingerutscht ist, sich verklickt hat, das alles spielt keine Rolle.”

6. Habecks Instagram
(faz.net, Andrea Diener)
Wirtschaftsminister und Vize-Kanzler Robert Habeck hat in letzter Zeit auf Instagram verschiedene Erklärvideos zu Gas, Kohle und Öl veröffentlicht. Andrea Diener findet lobende Worte für Habecks Medienarbeit: “Ausgerechnet der Wirtschaftsminister, der sich Anfang 2019 noch mit einigem Getöse von Twitter und Facebook verabschiedet hatte, weil er es nicht für die richtige Form hielt, Debatten zu führen, läuft hier als Erklärer in eigener Sache zu Hochform auf.”

Die Opfer von “Bild” (11)

So sieht es aus, wenn ein “Bild”-Reporter witwenschügewissenhaft recherchiert:

Screenshot von BILD.de: Ein Foto von drei Personen, die auf einem Sofa sitzen; links eine Frau, in der Mitte ein Mann, der Fotos in der Hand hält, rechts ein weiterer Mann; dazu die Bildunterschrift: "Zwei Monate nach dem Unfall auf dem Gardasee, bei dem [Name] und [Name] totgerast wurden, trifft BILD-Reporter Jörg Völkerling [Name]s Eltern [Name] und [Name] in Maderno. Foto: Stefano Laura"
(Unkenntlichmachung von uns.)

Die Eltern, neben denen “Bild”-Mann Jörg Völkerling hier auf dem Sofa sitzt, haben vor Kurzem Ihre Tochter verloren. Sie starb mit ihrem Lebensgefährten bei einer Bootskollision auf dem Gardasee, die zwei Männer aus Deutschland verursacht haben sollen.

Bebildert ist der Artikel auch mit einem Foto der verstorbenen Frau, das der Reporter laut eigenen Angaben von den Eltern mitgegeben bekommen hat (und das auch davor schon oft von “Bild” veröffentlicht worden war):

Screenshot von BILD.de: Ein Foto einer Trauerkarte, auf dem die verstorbene Frau abgebildet ist, dazu ihr Name, ihr Geburts- und Todesdatum; dazu die Bildunterschrift: "Diese Trauerkarte haben die Eltern dem BILD-Reporter mitgegeben. [Name] ertrank mit ihrem Freund, nachdem sie von zwei Deutschen auf dem See überfahren wurde. Foto: Robert Gongoli"
(Unkenntlichmachung von uns. Die Eltern haben „Bild“ zwar offenbar eine Erlaubnis gegeben, doch es kommt immer wieder vor, dass Angehörige diese Entscheidung im Nachhinein bereuen.)

Solche Mühe machen sich die Leute von “Bild” aber eher selten, um an Fotos von Opfern zu gelangen. Oft reicht ihnen schon ein schneller Beutezug durch die Sozialen Netzwerke. Wie im Fall zweier Kinder, die bei Überschwemmungen in den USA ums Leben kamen und dann unverpixelt in der “Bild”-Zeitung und auf der Startseite von Bild.de zu sehen waren:

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Todesflut reißt Vater Zwillinge aus den Armen - beide tot", dazu ein Foto derÜberschwemmungen, ein Foto der Kinder und der rot hinterlegte Button "MIT VIDEO"
(Unkenntlichmachung von uns.)

Das Foto hat “Bild” sich auf Facebook besorgt.

Ebenso wie das einer Familie, deren Vater in Florida erschossen wurde:

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Vater eiskalt erschossen - weil er sein Baby schützen wollte", dazu ein großes Foto der Familie
(Unkenntlichmachung von uns.)

Auch in ausländischen Medien besorgt sich die “Bild”-Redaktion immer wieder Fotos von Opfern. Etwa das eines zweijährigen Mädchens, das in Brasilien durch einen Stromschlag ums Leben kam:

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "STROMSCHLAG! Mädchen (2) stirbt durch Handy-Ladegerät", dazu ein Foto des Mädchens und ihrer Mutter
(Unkenntlichmachung von uns.)

Oder das zweier Brüder aus den USA, die innerhalb von zwölf Stunden beide an Corona starben:

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Sie starben innerhalb von 12 Stunden - Mutter verliert ungeimpfte Söhne an Corona", dazu ein großes Foto der Mutter und ihrer Söhne
(Unkenntlichmachung von uns.)

All diese Artikel sind innerhalb einer einzigen Woche (23. Bis 29. August) erschienen. Insgesamt veröffentlichten die “Bild”-Medien in diesem Zeitraum mindestens 35 Mal Fotos von Menschen, die Opfer eines Unglücks oder Verbrechens geworden sind, davon acht Mal Kinder. Die meisten davon waren, wie üblich, in keiner Weise unkenntlich gemacht.

Dabei hat “Bild” in der gleichen Woche selbst gezeigt, dass es auch anders geht:

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Vor den Augen ihrer Cousine - Frau stürzt 50 Meter in den Tod - wegen TikTok-Video"

Verpixelt wurden die Gesichter in diesem Fall nicht von uns, sondern von “Bild”.

Warum die beiden – im Gegensatz zu so vielen anderen – nicht gezeigt werden, erklärt “Bild” nicht. Klar ist aber: Geklickt und verbreitet wurde der Artikel trotzdem; allein bei Facebook sammelte er tausende Reaktionen. Dass diese Tatsache in der “Bild”-Redaktion die Erkenntnis reifen lässt, dass eben nicht jede Tragödie ein Gesicht braucht, wäre aber wohl doch zu viel erwartet.

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Nach einem Verbrechen oder Unglück in Social-Media-Profilen zu wühlen und daraus Fotos der Opfer zu veröffentlichen, ist redaktioneller Alltag bei “Bild”. Häufig erscheinen solche Fotos ohne jede Verpixelung und ohne Zustimmung der Angehörigen oder Hinterbliebenen.

In vielen Fällen werden Freunde, Kollegen oder Familienmitglieder sogar von Reportern bedrängt, damit sie Fotos der Menschen herausrücken, die sie gerade verloren haben.

“Bild” begründet die Veröffentlichung solcher Bilder damit, dass “nur so” die Tragik “deutlich und fassbar” werde.

Wie jedoch viele Betroffene selbst darüber denken, kann man zum Beispiel hier nachlesen. Dort sagt der Vater eines Mädchens, das beim Amoklauf von Winnenden getötet wurde und deren Foto in den Tagen darauf immer wieder in der “Bild”-Zeitung erschien:

Die “Bild”-Zeitung und andere, auch Fernsehsender, ziehen Profit aus unserem Leid! Dreimal hintereinander sind Bilder [unserer Tochter] erschienen, ohne dass wir das gewollt hätten. Wir hätten das nie erlaubt. Die reißen die Bilder an sich und fragen nicht danach, was wir Hinterbliebenen denken und fühlen.

Pressekodex Richtlinie 8.2

Die Identität von Opfern ist besonders zu schützen. Für das Verständnis eines Unfallgeschehens, Unglücks- bzw. Tathergangs ist das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich. Name und Foto eines Opfers können veröffentlicht werden, wenn das Opfer bzw. Angehörige oder sonstige befugte Personen zugestimmt haben, oder wenn es sich bei dem Opfer um eine Person des öffentlichen Lebens handelt.

In einem Interview in unserem Buch sagt ein anderer Betroffener, dessen Bruder bei einem Skiunfall gestorben ist und später ohne Erlaubnis der Angehörigen groß auf der Titelseite der ”Bild”-Zeitung zu sehen war:

Das war eines der schlimmsten Dinge an der Geschichte: Dass die “Bild” die Kontrolle darüber hat, mit welcher Erinnerung mein Bruder geht. Dass das letzte Bild von der “Bild”-Zeitung kontrolliert wird und nicht von ihm selbst oder von uns.

Auch in anderen Medien kommt es vor, dass solche Fotos veröffentlicht werden. Doch niemand macht es so häufig und so eifrig wie “Bild”. Mehr als die Hälfte aller Rügen, die der Presserat je gegen die “Bild”-Medien ausgesprochen hat, bezog sich auf die unzulässige Veröffentlichung von Opferfotos.

Um zu verdeutlichen, in welchem Ausmaß “Bild” auf diese Weise Profit aus dem Leid von Menschen zieht, wollen wir hier regelmäßig dokumentieren, wie häufig die “Bild”-Medien solche Fotos veröffentlichen.

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