Die “Bild”-Redaktion versucht heute mal wieder, Religionen und deren Anhänger gegeneinander auszuspielen:
Die vier “Bild”-Autoren Ralf Schuler, Filipp Piatov, Nikolaus Harbusch und Tomas Kittan schreiben, dass sie aus Quellen rund um die “Schalte von Bundeskanzleramt und Länderchefs” erfahren hätten, dass die Furcht vor einem möglichen Chaos zum muslimischen Fastenmonat Ramadan dafür sorge, dass auch die christlichen Kirchen und die jüdischen Gemeinden weiter geschlossen bleiben müssen:
Bislang untersagte die Bundesregierung den Bürgern das gemeinsame Beten aus Angst vor Corona — jetzt ist es die Sorge wegen eines möglichen Chaos an Ramadan. (…)
Wahrer Hintergrund der Entscheidung [weiterhin keine Gottesdienste stattfinden zu lassen] nach BILD-Informationen: Anders als bei den großen christlichen Kirchen und jüdischen Gemeinden sieht die Politik bei den Muslimen in Deutschland keine zentralen Ansprechpartner, die verlässlich Regeln (Abstand, Hygiene et cetera) in den Moscheen flächendeckend durchsetzen könnten. Deshalb sollen nun alle Gotteshäuser möglichst mindestens noch bis zum Ende des in der kommenden Woche beginnenden Fastenmonats Ramadan (23. April bis 23. Mai) geschlossen bleiben.
Warum es mit Blick auf die Corona-Pandemie jetzt weniger gefährlich sein soll als noch vor ein paar Tagen, wenn vorwiegend ältere Menschen in einem geschlossenen Raum dicht beieinander sitzen und christliche Lieder schmettern, wobei sicher auch das eine oder andere Speicheltröpfchen durch die Luft fliegen dürfte, erklärt “Bild” nicht. Stattdessen der Tenor: Die wilden Muslime, die in ihren Schmuddelmoscheen aufeinanderhocken und sich nicht mal richtig die Hände waschen, sind schuld, dass wir Christen nicht zum Gottesdienst in unsere Kirchen dürfen.
So treibt man einen Keil zwischen Menschen, die momentan eigentlich dieselbe für sie schwierige, ärgerliche Situation durchleben.
Bereits gestern Abend erschien der Beitrag auch bei Bild.de:
Natürlich hinter der “Bild plus”-Paywall, wodurch alle die spalterische Überschrift lesen, aber nur wenige die angeblichen Hintergründe erfahren konnten.
Die einschlägig islam- und muslimfeindlichen Kreise hat die “Bild”-Redaktion mit ihrem Artikel jedenfalls zielgenau erreicht:
Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!
Nachtrag, 15:12 Uhr: Mal abgesehen von der Stimmungsmache durch die “Bild”-Redaktion: Es stimmt auch nicht, dass die Kirchen alle “geschlossen” sind, wie etwa Bild.de teasert. Es gibt eine ganze Reihe von Kirchen, die fürsstilleGebetweiterhingeöffnetsind. Nur Gottesdienste dürfen nicht stattfinden.
1. Verhaftet, angegriffen, bedroht (sueddeutsche.de, Paul-Anton Krüger)
In einigen Ländern ist es schwer bis nahezu unmöglich, über die Corona-Pandemie zu berichten. Wer es dennoch tut, werde mit Arbeitsverbot belegt, drangsaliert, bedroht und bestraft. Besonders stark werde die Pressefreiheit laut “Reporter ohne Grenzen” derzeit zum Beispiel im Irak, in China und in Ägypten eingeschränkt.
2. 7+1 Ideen für Social-Distancing-Journalismus (freienbibel.de, Anja Reiter & Jakob Vicari)
Freie Journalisten und Journalistinnen haben es derzeit besonders schwer: Weil es schwerer geworden ist, Abnehmer für Geschichten zu finden, aber auch, weil es schwerer ist, über Menschen zu schreiben, wenn man sie nicht persönlich treffen darf. Anja Reiter und Jakob Vicari haben “7+1” Vorschläge für einen gelingenden “Social-Distancing-Journalismus” — das reicht von Berichten aus dem virtuellen Raum bis hin zu kollaborativen Recherchen und Drohnenjournalismus.
3. VICE-Recherche: So radikalisiert Xavier Naidoo seine Fans mit Verschwörungstheorien (vice.com, Sebastian Meineck)
Sebastian Meineck sieht in Xavier Naidoo mehr als einen vereinzelten Promi, der den Bezug zur Realität verloren habe: “Hinter Verschwörungserzählungen über gefolterte Kinder stecken gefährliche Weltanschauungen, die Menschen Angst machen und zu Gewalt treiben können. Auch der mutmaßliche Attentäter von Hanau sprach in einem seiner Videos von Kindern, die im Geheimen getötet würden. Der Fall Naidoo macht sichtbar: Verschwörungsglauben ist ein unterschätztes Problem, das weit über die Fantasien eines Sängers hinausgeht.”
4. Das üble Geschäft mit der Corona-Angst (freitag.de, Katharina Nocun)
Katharina Nocun schreibt über erfolgreiche Quacksalber, windige TV-Evangelisten und geschäftstüchtige Scharlatane, die in der Corona-Pandemie ein Geschäft wittern.
5. Heinsberg: Fragwürdige Arbeit von Storymachine (ndr.de, Sebastian Friedrich)
Sebastian Friedrich ist für das Medienmagazin “Zapp” den fragwürdigen Vorgängen um die mediale Vermarktung des sogenannten “Heinsberg Protokolls” nachgegangen und hat dazu auch einen Vertreter der Organisation “Lobbycontrol” befragt.
Weiterer Lesehinweis: In einem Gastbeitrag für “Meedia” bezeichnet der Kommunikationsexperte Jens Rehländer das “Heinsberg Protokoll” als “ein Mahnmal missglückter Wissenschaftsvermittlung”.
6. Warten auf Merkel: Medien, die auf Stühle starren (yotube.com, Übermedien, Video: 3:55 Minuten)
Mittwochnachmittag. Die Medien warten gespannt auf die Pressekonferenz von Angela Merkel zu ihrem Gespräch mit den Ministerpräsidenten. Auch in den TV-Redaktionen herrscht große Spannung, und so wird immer wieder zum Ort des Geschehens geblendet. Dort ist jedoch wenig zu sehen, außer ein paar leeren Stühlen. Boris Rosenkranz mit einem oscarreifen Zusammenschnitt: “Medien, die auf Stühle starren”.
Auf den ersten Blick mag es wie eine schöne, beruhigende Geste erscheinen. (…) Vergebliche Hoffnung, denn beim Lesen des Artikels, der auf der Website der deutschen Zeitung ins Italienische übersetzt wurde, stehen wir vor einer heuchlerischen Seite voller unterschwelliger Botschaften und voller Klischees.
Der Rest des “Bild”-Artikels, in dem zum Beispiel nie Coronabonds oder die Möglichkeit wirtschaftlicher Hilfe aus Deutschland erwähnt werden, ist eine Sammlung von Klischees, die das Bild Italiens in der kollektiven deutschen Vorstellung begleiten.
Am deutlichsten wird Paolo Valentino, Deutschland-Korrespondent von “Corriere della Sera”, der auflagenstärksten Tageszeitung in Italien. Die Überschrift seines Kommentars lautet: “‘Wir sind bei Euch’. Die (heuchlerische) Seite der ‘Bild’ über Italien und den Kampf gegen das Virus”.
Der “Bild”-Artikel sei laut Vorspann “eine Liste von (falschen) Solidaritätsbekundungen und Klischees, die zeigt, wie weit wir vom Konzept des Europäismus entfernt sind”.
Und ja, die Klischees. Mit aller Gewalt hat die “Bild”-Redaktion sie in ihren Brief gepresst. Er liest sich wie ein Skript eines ZDF-Samstagabendfilms, in dem Veronica Ferres und Jan Josef Liefers das “Dolce Vita” und ein “Gelato” in “Bella Italia” genießen. Hach, und diese “Pasta” und der “Vino” — da finden die beiden doch glatt ihre “Amore” wieder! Paolo Valentino schreibt:
Die übliche Liste von Klischees: Tiramisù, Rimini, Capri, Toskana, Umberto Tozzi und, für die Raffinierteren, Paolo Conte. Der Wunsch nachzueifern, die Jagd nach “Eurer Gelassenheit, Schönheit, Leidenschaft”. Die Kunst des Kochens, Pasta, Campari, Dolce Vita, fehlt nur die Mandoline. “Darum haben wir Euch immer beneidet.” Als ob niemand in Italien arbeiten würde. Niemals. “Jetzt sehen wir Euch kämpfen. Sehen Euch leiden”, fährt “Bild” fort und erinnert daran, dass es in Deutschland “gerade auch nicht leicht” ist.
Und es geht noch weiter mit den Stereotypen:
Das Finale: “Wir sind in Gedanken bei Euch. Ihr schafft das. Weil Ihr stark seid. Italiens Stärke ist es, anderen Liebe zu schenken.” Der Abschied am Ende ist ein Triumph des Stereotyps: “Ciao Italia. Wir werden uns bald wiedersehen. Auf einen Espresso, einen Vino rosso. Ob im Urlaub — oder in der Pizzeria.” Ich habe es noch einmal gelesen. Da ist etwas, das nicht funktioniert: “Ihr schafft das. Weil Ihr stark seid.” Also allein. Kein Hinweis auf die Solidarität, die man den Brüdern schuldet, denen die “Bild” zuerkennt, dass sie Deutschland beim Wiederaufbau der Wirtschaft geholfen haben. Kein Hinweis auf die Bedrohung unserer gemeinsamen Heimat Europa. Kein Hinweis auf die Notwendigkeit, dass die reicheren Brüder den ärmeren helfen müssen.
Tatsächlich fällt im gesamten “Bild”-Brief nicht einmal das Wort “Europa”. Keine Erwähnung von “Solidarität”. Und man findet erst recht nichts, was irgendwie in Richtung finanzieller Unterstützung von Deutschland für Italien deutet, von “Coronabonds” beziehungsweise “Eurobonds” ganz zu schweigen.
Paolo Valentino kommentiert:
Bei allem Respekt, es ist eine heuchlerische und eigennützige* Seite, ein beschämendes Manifest des Egoismus, ein weiterer Beweis dafür, dass “Bild” und Europäismus an entgegengesetzten Polen stehen.
Er sei nicht erstaunt, schreibt Valentino. Das sei bereits in der Wirtschaftskrise so gewesen, “als die Griechen laut ‘Bild’ ihre Laster mit den Ersparnissen deutscher Rentner bezahlen wollten”.
Wir verzichten gerne auf solche Zuneigungsbekundungen. Zum Glück ist die “Bild”-Zeitung nicht (ganz) Deutschland, von dem wir in diesen Tagen konkrete Solidaritäts- und Hilfsbekundungen erhalten. Aber von dem wir bald Klarheit über die Mutter aller Fragen erwarten: die finanzielle Garantie zum Schutz des Binnenmarktes und der europäischen Wirtschaft. Der Rest ist triviales Gerede.
Mit Dank an Anna, Margherita und Th. K.!
*Nachtrag, 17. April: In einer ersten Version hatten wir das italienische Wort “pelosa” mit “haarig” übersetzt, was laut Wörterbuch grundsätzlich auch richtig ist. In dem Zusammenhang, in dem Paolo Valentino das Wort benutzt, dürfte aber eine weitere mögliche Übersetzung passender sein: “eigennützig”.
Schaut man sich den Reuters-Artikel an, den Schuler für seine Stimmungsmache missbraucht, erkennt man sofort, dass das alles nichts mit einem Beschluss des (deutschen) Koalitionsausschusses zu tun hat. Die Jugendlichen auf dem Foto gehören zu den zwölf minderjährigen Geflüchteten, die Luxemburg gestern aufgenommen hat. Am Wochenende sollen in Deutschland 50 Minderjährige ankommen, die sich bisher in Lagern auf den griechischen Inseln aufgehalten haben.
Neben diesem falschen Zusammenhang, den Schuler herstellt, ist seine Aussage an sich auch irreführend. Der Koalitionsausschuss hat nicht beschlossen, nur “unbegleitete minderjährige Mädchen” aufzunehmen. Im Beschluss der Großen Koalition (PDF) von Anfang März steht:
Ordnung und Humanität gehören für uns zusammen. Deswegen wollen wir Griechenland bei der schwierigen humanitären Lage von etwa 1000 bis 1500 Kindern auf den griechischen Inseln unterstützen.
Es handelt sich dabei um Kinder, die entweder wegen einer schweren Erkrankung dringend behandlungsbedürftig oder aber unbegleitet und jünger als 14 Jahre alt sind, die meisten davon Mädchen.
1. Wie war ich? (republik.ch, Daniel Ryser)
Daniel Ryser hat ein überaus lesenswertes Porträt des “NZZ”-Chefredakteurs Eric Gujer verfasst. Er hat ihn im Schweizer Stammhaus besucht und ist nicht davor zurückgeschreckt, Gujer auch mit unangenehmen Fragen zur wirtschaftlichen Entwicklung zu konfrontieren: “Gujer lächelt das mit einem Kopfschütteln weg, und natürlich kann man durchaus sagen, dass es völlig unwesentlich ist, dass in meinen komplett vernachlässigbaren, in Bubbles erstickenden linken Zeckenkreisen niemand mehr die NZZ liest, weil man es zum Beispiel in einer Welt der Trumps, Erdoğans, Putins, Orbáns, Bolsonaros und Johnsons irgendwann als intellektuelle Beleidigung empfand, wöchentlich erzählt zu bekommen, dass wir offenbar — zumindest in der Wahrnehmung an der Falkenstrasse — kurz vor einer totalitären Diktatur eines queerfeministischen Regenbogens stehen. Aber 30’000 verloren gegangene Print-Jahresabos lassen sich womöglich doch nicht so einfach mit Bubble und ‘lesen einfach keine Zeitung mehr’ schönreden.”
2. Was wird aus der deutschen Redaktion? (deutschlandfunk.de, Daniel Bouhs, Audio: 4:51 Minuten)
Vergangenes Jahr wurde “Buzzfeed News”-Chef Daniel Drepper noch als “Chefredakteur des Jahres” ausgezeichnet. Heute bangen er und seine Redaktion um die berufliche Existenz. Die “Buzzfeed”-Zentrale will seinen mit Lob und Preisen ausgezeichneten deutschen Ableger abstoßen. Man möchte meinen, dass sich deutsche Medienhäuser um das tüchtige Team reißen, doch die derzeitigen Aussichten seien ungewiss.
3. Rechtsextreme podcasten ungestört bei Spotify (rnd.de, Matthias Schwarzer)
Rechtsextreme haben das Medium Podcast für sich entdeckt — um in der Corona-Krise die Deutungshoheit zu erlangen und um ihre Ideen unters Volk zu bringen. Matthias Schwarzer hat sich angeschaut beziehungsweise angehört, wie die Gruppierung “Ein Prozent” bei ihren Audio-Produktionen vorgeht und welche Köpfe hinter dem Netzwerk stecken.
4. Lotterie: Gewinner dürfen Fragen stellen (verdi.de, Reiner Wandler)
Pressekonferenzen der spanischen Regierung finden derzeit online und vor leeren Stuhlreihen statt. Journalistinnen und Journalisten, die eine Frage stellen wollen, müssen auf eine Art Gewinnspiel hoffen: Nur wer ausgelost werde, könne per Videoschalte auf der Pressekonferenz zu Wort kommen. Dagegen richte sich nun der Widerstand zahlreicher Medienschaffender: Mittlerweile hätten über 400 von ihnen ein Manifest mit dem Titel “Die Freiheit zu fragen” unterzeichnet.
5. Podcasts zwischen Corona-Hype und Spotify-Monopol (medienwoche.ch, Nick Lüthi)
Corona-Podcasts haben viel für die Akzeptanz des Mediums Podcast getan. Gleichzeitig versuche Spotify, eine marktbeherrschende Stellung zu erreichen, so Nick Lüthi in der Schweizer “Medienwoche”: “Befürchtungen gehen dahin, dass sich Spotify zu einem Gatekeeper entwickelt, vergleichbar mit der Rolle von Google oder Facebook im Netz. Noch ist es nicht so weit, aber Spotify geht den Weg in diese Richtung ziemlich zielstrebig. Dabei profitiert das Unternehmen auch von jenen Produzenten, die ihre Podcasts dort zum Abruf einstellen. Und das sind so ziemlich alle.”
6. “Misstrauen Sie dieser Video-Kolumne!” (uebermedien.de, Boris Rosenkranz, Video: 1:19 Minuten)
“Focus”-Kolumnist Jan Fleischhauer kommentiert die Video-Kolumne von Jan Fleischhauer. Boris Rosenkranz hat eine Video-Collage mit Fleischhauer-Sprech-Schnipseln arrangiert und lässt ihn unter anderem sagen: “Misstrauen Sie dieser Video-Kolumne! Bis irgendwann die Polizei kommt.”
Wir kennen die Probleme der Redaktionen nur allzu gut und haben dafür die Lösung: Mit unserem neuen Würfelspiel “Kurz vor Redaktionsschluss” lassen sich, jawoll, auch kurz vor Redaktionsschluss auf die Schnelle druckreife Teaser, kurze Artikel und fragwürdige Beautytipps erstellen.
Folge 6 unserer 16-teiligen Serie: Beauty-Themen in Boulevardmedien.
Hier gibt es ein größeres JPG und hier ein größeres PDF zum Ausdrucken.
1. Streeck, Laschet, StoryMachine: Schnelle Daten, pünktlich geliefert (riffreporter.de, Christian Schwägerl & Joachim Budde)
Die “Riffreporter” haben in einem längeren Lesestück die Vorgänge um das sogenannte “Heinsberg Protokoll” rekonstruiert. Eine lesenswerte Chronologie und Analyse mit erschreckenden Erkenntnissen: “Es ist Laschet, Streeck und StoryMachine gelungen, in der politischen Themen- und Prioritätensetzung neue Fakten zu schaffen und Aufmerksamkeit vom Lockdown auf den Exit umzulenken. Doch das PR-Bündnis hat einen Preis: Die Kritik an der Seriosität des Vorgehens.”
2. Traue keiner Statistik, …? (spiegel.de, Marcel Pauly & Patrick Stotz)
Die Berichterstattung über das Coronavirus basiert häufig auf Zahlen. Doch welche Datenquellen und welche Messgrößen werden verwendet? Der “Spiegel” erklärt, woher die Daten kommen, wie aussagekräftig die Infiziertenzahlen sind, welche Kennzahlen für die Ländertabelle verwendet werden, und beantwortet weitere Fragen zum Umgang mit den Covid-19-Zahlen.
3. Was machen all diese Politiker in einem Aufzug? (hessenschau.de)
Im ganzen Land heißt es Abstand halten, aber ausgerechnet die, die es besser wissen müssten, quetschen sich in einen proppenvollen Aufzug. Mit dabei: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, Kanzleramtsminister Helge Braun, Ministerpräsident Volker Bouffier, Regierungssprecher Michael Bußer (alle CDU) und Hessens Gesundheitsminister Kai Klose (Grüne), dazu noch mindestens sechs weitere Personen. Das Foto der irren Szene sorgte in den Sozialen Medien für allerlei Gesprächsstoff: von kritischen Anmerkungen bis hin zu spöttischen und lakonischen Bemerkungen.
4. Susanne Gaschke fragt sich, ob Corona der neue Hitler ist (uebermedien.de, Jürn Kruse)
Gefallen sich die Deutschen tatsächlich “in 150-prozentigem Corona-Gehorsam”, wie von Susanne Gaschke in der “NZZ” behauptet? Jürn Kruse hat sich den Artikel absatzweise vorgenommen und die darin enthaltenen Vorwürfe und Unterstellungen (“Totalitarismus”, “Ermächtigungsgesetz”, “Unterwerfung”) seziert.
5. Forum Recht, Ausgabe “Don’t @ me” (1/2020) (forum-recht-online.de)
“Forum Recht” ist ein rechtspolitisches Magazin, das vom Bundesarbeitskreis kritischer Juragruppen sowie einem Trägerverein herausgegeben und vor allem von Studierenden, Referendarinnen und Referendaren gefüllt wird. Die aktuelle Ausgabe widmet sich dem Thema Social Media: Wie agieren Menschen und staatliche Akteure in den Sozialen Medien? Und wie kann das Recht darauf reagieren? Das Heft steht jetzt zur freien Online-Lektüre bereit.
6. Sonja Zietlow irritiert mit Facebook-Posts zum Coronavirus (rnd.de, Matthias Schwarzer)
In den vergangenen Tagen postete die prominente RTL-Moderatorin Sonja Zietlow (“Dschungelcamp”) allerlei Seltsamkeiten auf ihrem verifizierten Facebook-Kanal und lockte damit Verschwörungstheoretiker der unterschiedlichsten Couleur an. Am Ostersonntag veröffentlichte sie eine Liste mit Personen aus Medizin und Forschung, die ihrer Auffassung nach in der Gesellschaft als “Verschwörungstheoretiker” gelten würden. Das Problem: Viele davon hatten tatsächlich fragwürdige oder gänzlich widerlegte Aussagen über das Coronavirus verbreitet. “Wer nicht als Verschwörungstheoretiker gilt”, so Zietlow weiter in ihrem Post: “Prof. Dorsten (!), Lothar Wieler RKI, Bill Gates, Spahn.” Der Spuk scheint jedoch beendet, zumindest vorerst: Zietlows Facebookseite ist seit gestern Abend nicht mehr erreichbar.
Wenn der Außenminister der USA bei “Bild live” ein Interview gibt, dann ist das selbstverständlich Chefsache.
Julian Reichelt durfte Mike Pompeo ein paar Fragen stellen. Und das hat der “Bild”-Chefredakteur genutzt — größtenteils um seine eigene Agenda abzuspulen: gegen Angela Merkel, gegen Heiko Maas, gegen die Berliner Landesregierung, gegen China.
Das schon mal vorweg: Keine der Fragen, die Reichelt in dem Interview unterbringen konnte, zielte auf mögliche Fehler oder Versäumnisse der US-Regierung in der Corona-Krise und die damit verbundene schlimme Lage in den USA. Keine Frage zu Donald Trumps Herunterspielen der Situation. Keine zu der späten Reaktion des US-Präsidenten auf das Coronavirus. Nicht mal ein vorsichtiges: “Hätte Ihre Regierung irgendetwas besser machen können, Herr Pompeo?”
Stattdessen: reichlich Suggestivfragen im Stile von “Derundder hat dasunddas gegen die USA gemacht. Ist das nicht schlimm?” Und, na klar: die Pflichten von Angela Merkel. Reichelt beginnt das Interview mit dieser Frage:
Amerika hat weltweit die meisten Toten in der Corona-Krise zu beklagen. Gibt es etwas, was das amerikanische Volk in dieser dramatischen Krise von Deutschland erwartet? Was ist Ihre Botschaft an Kanzlerin Angela Merkel?
Was für eine Verknüpfung: “die meisten Toten in der Corona-Krise” in den USA — was soll Angela Merkel jetzt liefern? Mike Pompeo steigt darauf nicht ein. Er lobt Deutschland und die Bundeskanzlerin als “großartige Partner”.
Weiter geht es mit mit Reichelts Frage zum deutschen Außenminister Heiko Maas, denn der hat es doch tatsächlich gewagt, die USA zu kritisieren:
Der deutsche Außenminister Heiko Maas hat die USA und China in einem Atemzug kritisiert. Er hat gesagt: China hätte zu autoritär auf die Corona-Krise reagiert, die USA hingegen hätten das Problem verharmlost. Macht es Sie ärgerlich, wenn die Diktatur China und die Demokratie USA in einem Atemzug so kritisiert werden?
Was soll Mike Pompeo darauf schon antworten? “Nee, finde ich super”? Stattdessen erzählt er, US-Präsident Trump habe “sehr starke Maßnahmen ergriffen, um unser Volk zu schützen.” Die chinesische Regierung hingegen hätte nicht schnell genug Informationen geliefert. Das sei “natürlich sehr bedauerlich”.
Wenn Reichelt ein wirkliches Interesse an dem Thema hätte, könnte er da natürlich mal nachhaken und anmerken, dass Donald Trump das Coronavirus noch verharmloste, als längst sehr hohe offizielle Infektionszahlen aus China bekannt waren. Macht er in seiner Schoßhundhaftigkeit aber nicht.
Dafür die nächste Suggestivfrage:
Die Berliner Regierung hat den USA sogar Piraterie vorgeworfen, fälschlich vorgeworfen, weil angeblich die USA Masken konfisziert haben sollten auf dem Weg nach Berlin, mussten sich später dafür entschuldigen. Sind Sie besorgt über diese Form von Anti-Amerikanismus in der deutschen Hauptstadt?
Es scheint, als gehe der “Bild”-Chef noch einmal die “Bild”-Aufregerthemen der vergangenen Tage durch, mit dem Ziel, die “Bild”-Positionen durch den US-Außenminister bestätigen zu lassen.
Nachdem Reichelt gefragt hat, ob es nicht eine Möglichkeit wäre, die “Zölle auf amerikanische Produkte in Deutschland oder in der EU zu senken, um die US-Wirtschaft weiter anzukurbeln”, geht es weiter mit der Bestätigung von Feindbildern:
Sie haben es selber gesagt: Diese Krise hat begonnen in Wuhan, China. Braucht es eine globale Debatte darüber, ob der chinesischen Regierung für die massiven Schäden, die weltweit angerichtet worden sind, eine Rechnung präsentiert werden muss?
Mike Pompeo lässt sich darauf nicht ein. Er antwortet (laut “Bild”-Simultanübersetzung), dass es mehr als eine solche “globale Debatte” brauche:
Wir müssen herausfinden: Wie konnte das passieren, um sicherzustellen, dass so etwas nie wieder passiert, oder wir zumindest das Risiko minimieren, dass so etwas je wieder passiert. Das ist wirklich essenziell: Dass wir verstehen, wo dieses Virus herkam, um das Risiko zu minimieren. (…) Es wird wirklich hohe Kosten geben. Und deswegen müssen wir sicherstellen, dass kein Land auf der Welt wieder der Ursprung einer solchen Krise sein kann.
Pompeo sagt nichts zu der “Rechnung” für die chinesische Regierung, nach der Reichelt gefragt hat. Also fragt der “Bild”-Chef noch mal:
Noch einmal: Soll China für diese Schäden, die dort entstanden sind, finanziell aufkommen?
Pompeo antwortet:
There will be a time when the people responsible will be held accountable. I am very confident that this will happen. At the moment, it’s absolutely necessary to focus on the current task in order to systematically restart the American, and then also the global, economy. There will be a time for assigning blame.
Also:
Es wird eine Zeit geben, in der die verantwortlichen Personen zur Rechenschaft gezogen werden. Ich bin sehr zuversichtlich, dass dies geschehen wird. Im Moment ist es absolut notwendig, sich auf die aktuelle Aufgabe zu konzentrieren, um die amerikanische und dann auch die globale Wirtschaft systematisch wieder in Gang zu bringen. Es wird eine Zeit für Schuldzuweisungen geben.
Daraus macht die “Bild”-Zeitung heute:
Bei Bild.de, wo die Redaktion eine englische Version des Artikels, der auch in der gedruckten “Bild” erschienen ist, veröffentlicht hat, klingt das etwas weniger vage:
Die Aussage “China will be liable” hat hat sich die “Bild”-Redaktion ausgedacht.
2. Im Stillstand der Städte (uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Stadt- und Kulturmagazine trifft die derzeitige Lage besonders hart, da kaum noch Werbung für Veranstaltungen, Restaurants, Partys oder sonstige Events geschaltet wird. Boris Rosenkranz hat sich bei einigen Magazinen umgehört, wie sie mit der Krise umgehen.
3. Corona-Falschmeldungen erreichen ein Millionenpublikum (sueddeutsche.de, Simon Hurtz & Hannes Munzinger)
Eine der “Süddeutschen Zeitung”, NDR und WDR vorliegende Analyse hat Videos und Artikel erfasst, die bei Faktenchecks als irreführend oder falsch gekennzeichnet wurden, und deren Ausbreitungswege ausgewertet. Die Corona-Krise mache Menschen besonders anfällig für Falschinformationen: Die betreffenden Videos würden millionenfach geklickt. Löschungen gälten in der Szene als besonderes Merkmal der Glaubwürdigkeit, und Faktenchecks könnten nur einen Bruchteil der Nutzerinnen und Nutzer erreichen.
4. Virale Propaganda (netzpolitik.org, Daniel Laufer & Jan Petter)
Die rechte Szene habe ein Propagandaportal mit rechtsradikalen und rassistischen Botschaften gestartet, das sich vornehmlich an junge Leute richte und dabei auf die typischen Stilelemente wie Listen, Quizspiele und gut teilbare Grafiken setze. Recherchen von netzpolitik.org und “Bento” würden zeigen, dass der Gründer der Seite seit Jahren in der rechten Szene aktiv sei: “Er und seine Mitstreiter:innen haben nicht nur enge Verbindungen zu AfD-Politikern und der Jungen Alternative (JA), sondern auch ins rechtsextreme Milieu rund um die Identitäre Bewegung (IB) und zu anderen Medien, die teils vom Verfassungsschutz beobachtet werden.”
Weiterer Lesehinweis: Warum Rechtsextremisten Mythen zu Corona verbreiten (kattascha.de, Katharina Nocun).
5. Breitbart ist wieder da – und Facebook hilft tatkräftig mit (nzz.ch, Marc Neumann)
Facebook stellt sich gern als Plattform dar, das alles Menschenmögliche gegen die Verbreitung von “Fake News” unternehme. Für Irritation sorgt da die Aufnahme des verschwörungstheoretischen und rechtsextremen Mediums “Breitbart” in das Nachrichtenangebot “Facebook News”. Wie immer hat man zur Verteidigung einen schön klingenden Grund zur Hand: Das Netzwerk wolle damit für “Standpunktdiversität” sorgen.
6. 100 Jahre Kicker: Ein Sportmagazin schreibt Geschichte (ardmediathek.de, Andreas Kramer, Video: 41:24 Minuten)
Das Fußballmagazin “Kicker“ wird 100 Jahre alt. Anlässlich des runden Geburtstags berichtet eine TV-Doku über Geschichte, Gegenwart und Zukunft der bekannten Fußballzeitschrift. Was sind die Konstanten, was hat sich verändert? Der Beitrag ist eine bunte und abwechslungsreiche Collage mit vielen Informationen und Anekdoten aus der langen Historie.
Das ist falsch. Richtig wäre gewesen, dass es laut Johns Hopkins University zu diesem Zeitpunkt weltweit etwa 1,7 Millionen bestätigte COVID-19-Fälle gab. Die Zahl der Menschen, die am neuartigen Coronavirus verstorben sind, lag bei ungefähr 108.000.
Mit Dank an @vunallemebbes und Timo R. für die Hinweise!