Querdenkende Querschläger, TikToks Bytedance mit Amthor, MTV wird 40

1. Geschlagen und getreten
(taz.de, Volkan Ağar)
Jörg Reichel, ein Landesgeschäftsführer der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union, ist bei der (eigentlich verbotenen) “Querdenken”-Demo in Berlin angegriffen und verletzt worden. Reichel sei laut Angaben der Gewerkschaft seit Monaten von Personen aus der “Querdenken”-Szene diffamiert und bedroht worden, sein Name und Foto hätten in einschlägigen Telegram-Kanälen kursiert: “Jörg hat sich davon nicht einschüchtern lassen und weitergemacht. Er hat zahllose Journalistinnen und Journalisten, die von diesen Demos berichten, unterstützt und sich dafür eingesetzt, dass sie sicher arbeiten können. Für dieses Engagement als Gewerkschafter ist er nun selbst offenbar gezielt angegriffen worden.”

2. Tiktoks Ringen um Einfluss
(deutschlandfunk.de, Brigitte Baetz, Audio: 8:58 Minuten)
Wie der “Spiegel” jüngst herausfand, lobbyiert die Videoplattform TikTok verstärkt in Deutschland, unter anderem beim CDU-Abgeordneten Philipp Amthor. Was steckt dahinter? Und welche Absichten verfolgt der chinesische Mutterkonzern Bytedance? Darüber hat sich der Deutschlandfunk mit Simon Hurtz unterhalten, einem der Köpfe des “Social Media Watchblogs”.

3. Nachrichten von ARD und ZDF: keine Olympia-Bilder in den Mediatheken
(rnd.de)
ARD und ZDF bieten online bis zu zehn parallele Olympia-Livestreams, doch Olympia-Bilder in den Nachrichtensendungen in den Mediatheken gibt es nicht zu sehen. Das sei eine Folge des Geoblockings, wie ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky erklärt. Die Olympia-Rechte der öffentlich-rechtlichen TV-Sender gälten nur in Deutschland.

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4. Die FAZ verkündet mehr als 180.000 Digitalabos – und erhöht die Gehälter
(kress.de, Marc Bartl)
Die “FAZ” zeigt sich zufrieden mit den aktuellen Geschäftszahlen. Diese hätten sowohl im Jahr 2020 als auch in den ersten Monaten des laufenden Jahres eine “erfreuliche Entwicklung” genommen. Im Unterschied zu anderen Medienhäusern hatten die Frankfurter keine Kurzarbeit wegen Corona angemeldet und würden jetzt nicht nur die Gehälter erhöhen, sondern auch eine Sonderprämie ausschütten.

5. Bundesregierung startet ressortübergreifende Suchmaschine
(sueddeutsche.de)
Die Staatsministerin für Digitalisierung Dorothee Bär will ein “Netzwerk für digitale Aufklärung” etablieren, das einen ressortübergreifenden Zugang zu Digitalthemen bieten soll. “Gerade bei Querschnittsthemen wie etwa der Digitalisierung, die die Zuständigkeit verschiedener Ressorts berühren, fehlte bislang eine zentrale Suche, mit der alle Informationsangebote angezeigt werden”, so die CSU-Politikerin zum Start des Projekts.

6. Musikfernweh
(faz.net, Axel Weidemann)
Der Musiksender MTV ist 40 Jahre alt geworden, und Axel Weidemann weiß nicht, ob er gratulieren oder lieber höflich schweigen soll: “Als Distinktionswerkzeug ist MTV unbrauchbar geworden, ein geschminkter Zombie, der – das Kinn in die Hände gestützt – am Grab seines deutschen Kollegen ‘Viva’ (1993 bis 2018) sitzt und darauf wartet, dass das Internet wieder abgestellt wird.”

Uploadfilter-Gesetz, Schleichwerbung auf Insta, 10 Jahre “FragDenStaat”

1. Was sich jetzt mit dem Uploadfilter-Gesetz ändert
(spiegel.de, Patrick Beuth)
Gestern trat das lang umkämpfte Uploadfilter-Gesetz in Kraft. Patrick Beuth hat die Unternehmen hinter Youtube, Facebook, TikTok und Twitch gefragt, wie sie ihre Plattformen umgebaut haben, um Overblocking zu vermeiden. Drei der vier Befragten wollten nicht darüber reden. Der Widerstand gegen die Regelung gehe weiter: Die ehemalige Europaabgeordnete Julia Reda will die Umsetzung des Gesetzes überprüfen und hat mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte einen Aufruf gestartet.

2. Influencer:innen müssen sich vor Gericht wegen Schleichwerbung behaupten
(netzpolitik.org, Rahel Lang)
Derzeit verhandelt der Bundesgerichtshof (BGH) anhand von drei Fällen über die Kennzeichnungspflicht von Produktempfehlungen auf Instagram. Dem für September erwarteten Urteil wird große Bedeutung beigemessen: “Die anstehende Entscheidung des BGH ist ein Meilenstein in der Frage um Kennzeichnungspflicht von Produkten auf Instagram. Das Urteil des obersten Gerichts wird sich auf die Prozesse weiterer Influencer:innen, die von dem Verband abgemahnt wurden, auswirken.”

3. 10 Jahre FragDenStaat: Fortschritte sind durchaus erkennbar
(fragdenstaat.de, Arne Semsrott)
Wohl kaum eine Institution hat sich um die Informationsfreiheit in Deutschland so verdient gemacht wie die Transparenz-Initiative “FragDenStaat”. Nun feiert das mittlerweile 13-köpfige Team den zehnten Geburtstag der Plattform: “Wir sind stolz darauf, dass es uns mit FragDenStaat trotz aller Widerstände seit zehn Jahren immer besser gelingt, Menschen dabei zu unterstützen, sich für Informationsfreiheit einzusetzen und zu zeigen, was für demokratische Möglichkeiten im freien Zugang zu Informationen stecken. Mehr als 100.000 Personen haben fast 200.000 Anfragen über die Plattform gestellt.”

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4. Die Zeitungsfälscher: Wie ein skurriles Netzwerk aus Fake-Accounts auf Facebook Stimmung macht
(correctiv.org, Alice Echtermann)
Eine “Correctiv”-Recherche hat ein Netzwerk gefälschter Profile rund um die erfundene Zeitung “NRW Kurier” aufgedeckt: “Dahinter steckt ein Mann, der uns gegenüber seine Identität nicht preisgeben wollte. Er bezeichnet das Ganze als privates Kunstprojekt. Eine ‘Liebhaberei’, die er weiter betrieb, obwohl seine Seite schon seit einiger Zeit so gut wie keine Aufmerksamkeit auf Facebook mehr erzeugte. Dies ist eine Geschichte über die Skurrilität von Desinformation und über Menschen, die aus Wut über die ‘Lügenpresse’ beginnen, ‘Fake News’ zu produzieren.”

5. Kein Einzelfall
(taz.de, Jessica Ramzcik)
Der Fotojournalist Tim Mönch soll ins Visier des sächsischen Verfassungsschutz geraten sein, weil er 2019 (in rechtlich zulässiger Weise) einen rechten “Zeitzeugenvortrag” im sächsischen Leubsdorf fotografierte. Er gelte beim Staatsschutz nun als Linksextremist. Mönch wolle sich gegen diese Einstufung wehren. Das werde – trotz anwaltlicher Hilfe – jedoch “wahrscheinlich noch Jahre dauern”.

6. Wer stärkt hier eigentlich wen?
(deutschlandfunkkultur.de, Vera Linß & Dennis Kogel, Audio: 21:06 Minuten)
Die ARD hat seriöse Inhalte und sehnt sich nach jungem Publikum. TikTok hat das junge Publikum und sehnt sich nach seriösen Inhalten. Da liegt der Gedanke einer Zusammenarbeit nahe. Doch neben Zukunftschancen bietet eine derartige Kooperation auch Gefahren. Die Liste der Vorwürfe an TikTok ist recht umfassend. Erst jüngst ist das Unternehmen wieder ins Gerede gekommen: Es habe laut “Spiegel” versucht, verdeckte Spenden an die Junge Union zu zahlen (nur mit Abo lesbar).

KW 30: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. ZAPP Spezial: Strategien im Online-Wahlkampf
(ndr.de, Nils Altland & Johannes Jolmes & Kim Kristin Mauch, Video: 28:43 Minuten)
94 Prozent der deutschsprachigen Bevölkerung sind laut Onlinestudie von ARD und ZDF zumindest gelegentlich online. Da drängt es sich geradezu auf, den Wahlkampf nicht nur offline, sondern auch online zu führen. Vielleicht war der Online-Wahlkampf sogar noch nie so entscheidend wie bei der kommenden Bundestagswahl. Wie gehen die Parteien vor? Welche Strategien verfolgen sie? Das Medienmagazin “Zapp” hat sich auf Social Media umgeschaut und mit verschiedenen Politikerinnen und Politikern gesprochen.

2. Pressefreiheit grenzenlos
(reporter-ohne-grenzen.de)
Im neuen Podcast von Reporter ohne Grenzen geht es um die Leute, für die sich die Organisation tagtäglich einsetzt. Welchen Gefahren sind Medienschaffende durch ihre Arbeit ausgesetzt? Und wie gelingt es, dass sie frei berichten können? Die aktuelle Folge von “Pressefreiheit grenzenlos” führt nach Belarus: Mit der Macht der Bilder gegen die Mächtigen.

3. Sabine Rückert, wie kamen Sie zum Verbrechen?
(zeit.de, Jochen Wegner & Christoph Amend, Audio: 7:31:15 Stunden)
Beim “Zeit”-Podcast “Alles gesagt?” wird so lange geplaudert, bis alle Fragen beantwortet sind und alles gesagt wurde, was zu sagen war. Auch wenn das, wie im vorliegenden Fall, siebeneinhalb Stunden dauert. Deswegen das Geständnis des Kurators: Ich habe diese Folge nicht komplett gehört, empfehle sie trotzdem. Zu Gast ist Sabine Rückert, stellvertretende Chefredakteurin der “Zeit” und erfolgreiche Podcast-Macherin (“Zeit Verbrechen”). Es geht unter anderem um ihren persönlichen Werdegang, auch um ihre Zeit bei “Bild”, ihren Blick auf den heutigen Feminismus sowie ihr Verhältnis zum Journalismus und zum Fall Kachelmann.

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4. Generation Praktikum: Kampf um den Lebenslauf
(druckausgleich.podigee.io, Annkathrin Weis & Luca Schmitt-Walz, Audio: 36:32 Minuten)
“Alle Praktika, die ich gemacht habe, waren eine mega Erfahrung. Aber …”, sagt die Journalistin Luisa Thomé. Um exakt jenes “Aber” geht es in der aktuellen Folge von “Druckausgleich”, dem Podcast über den Berufsstart in der Medienbranche. Der Talk dreht sich um Bezahlung, Einbindung und Wertschätzung für Praktikanten und Praktikantinnen im Medienbusiness.

5. Blick hinter die Fassade politischer Kampfbegriffe
(deutschlandfunkkultur.de, Arno Orzessek, Audio: 6:29 Minuten)
In David Ranans Sammelband “Sprachgewalt” dreht sich alles um missbrauchte Wörter und andere politische Kampfbegriffe. Arno Orzessek hat das Buch gelesen: “‘Sprachgewalt’ verknüpft Begriffsgeschichte mit Realgeschichte, blickt kritisch auf den Medienhype, in dem manche Wörter jeden präzisen Sinn verlieren, entlarvt die sprachpolitischen Strategien von Rechten und Linken, von Konservativen und Revoluzzern, von Israel-Freunden und -Feinden.”

6. Unsere Väter – die größten Showmaster Deutschlands
(ndr.de, Andreas Gerling & Christian Stöffler, Video 2:19:00 Stunden)
Wie haben die Kinder der größten Showmaster der deutschen Fernsehgeschichte ihre Väter erlebt? Wie sehen die Söhne und Töchter jetzt, aus der zeitlichen Distanz, das Werk und Schaffen ihrer Väter? Wie war es früher, das Kind eines berühmten Fernsehstars zu sein? Welche Schattenseiten, welche Brüche gab es im Leben und in der Karriere der Väter? In der mehr als zweistündigen Doku erinnern sich die Töchter und Söhne von Hans Rosenthal, Hans-Joachim Kulenkampff, Peter Frankenfeld, Wim Thoelke, Harald Juhnke, Dieter Thomas Heck, Kurt Felix, Rudi Carrell und Heinz Quermann sowie die Enkelin von Peter Alexander an die Zeiten von damals.

7. Was können wir von der BILD im Wahlkampf erwarten?
(wasmitmedien.de, Audio: 1:32:44 Stunden)
Als zusätzliche Empfehlung, weil in eigener Sache: In der neuen Ausgabe von “Was mit Medien” ist mein BILDblog-Kollege Moritz Tschermak zu Gast und spricht unter anderem über das von ihm und Mats Schönauer verfasste Buch “Ohne Rücksicht auf Verluste – Wie BILD mit Angst und Hass die Gesellschaft spaltet”.

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“Das ist schon sehr viel”, was bei “Bild TV” alles weggelassen wird

Bei “Bild TV” war am Mittwoch der Publizist und Verleger Wolfram Weimer zu Gast. Er kommentierte unter anderem einen Fall aus Leer, wo drei Asylbewerber eine 16-Jährige vergewaltigt haben sollen. Weimer sagte dazu:

Screenshot der Bild-TV-Sendung

Das Problem ist größer als öffentlich drüber geredet wird. Und wenn man sich die Zahlen vom BKA einmal anguckt, ich habe die mal mitgebracht, dann haben wir, die Zahlen sind ganz frisch, im Jahr 2020 5.719 sexuelle Übergriffe von Personen mit Zuwanderungs, also jüngster Zuwanderungshintergrund. Das heißt, das sind jeden Tag 15. Wir haben jeden Tag 15 Fälle in Deutschland. Das ist schon sehr viel.

Und wenn man sich anguckt: Die Entwicklung, im Jahr 2016 waren das nur 3.400. Natürlich: Jeder Fall ist zu viel. Aber man sieht diesen dramatischen Anstieg. Wir haben einen Anstieg um 80 Prozent in wenigen Jahren. Aus einer ganz bestimmten Tätergruppe, man weiß, das sind die 18- bis 30-Jährigen eines ganz bestimmten Milieus. Und das Problem muss adressiert werden.

Mit den “Zahlen vom BKA” dürfte Wolfram Weimer das “Bundeslagebild Kriminalität im Kontext von Zuwanderung 2020” (PDF) des Bundeskriminalamts meinen, das im Juni veröffentlicht wurde. Darin geht es um Straftaten in unterschiedlichen Deliktsbereichen, darunter auch Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Der Fokus dieser Sonderauswertung liegt auf Delikten, bei denen mindestens ein Zuwanderer oder eine Zuwanderin als tatverdächtig gelten. Das BKA schreibt dazu:

Analog den Festlegungen in der [Polizeilichen Kriminalstatistik] gilt eine tatverdächtige Person in diesem Bundeslagebild als Zuwanderer/Zuwanderin, wenn sie mit dem Aufenthaltsanlass “Asylbewerber/-in”, “Schutzberechtigte/-r und Asylberechtigte/-r, Kontingentflüchtling”, “Duldung” oder “unerlaubter Aufenthalt” registriert wurde.

Bei den Angaben handelt es sich also nicht um verurteilte Täter, sondern um ermittelte Tatverdächtige (eine Unterscheidung, mit der die “Bild”-Redaktion häufiger Probleme hat, die aber ausgesprochen wichtig ist).

Wenn man sich dieses Lagebild tatsächlich “einmal anguckt”, wie Wolfram Weimer vorschlägt, erkennt man, dass seine Wiedergabe bei “Bild TV” teils so unvollständig, so einseitig oder schlicht so falsch ist, dass wir hier für eine umfassendere Darstellung ein paar Infos hinterherschicken wollen.

Vielleicht erstmal zu Weimers Rechenfähigkeiten. Bei einer Steigerung von 3.400 Fällen im Jahr 2016 (ganz genau sind es laut BKA 3.404) auf 5.719 Fälle im Jahr 2020, kommt er auf “einen Anstieg um 80 Prozent”. Richtig gerechnet sind das allerdings 68 Prozent. Die 80 Prozent, die Weimer nennt, sind aber ganz interessant, denn es gibt in der BKA-Statistik tatsächlich eine Steigerung von etwa 80 Prozent: Bei den aufgeklärten Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung insgesamt – also bei den Zahlen, die sich nicht nur auf tatverdächtige Zuwanderer beziehen, sondern auf alle Tatverdächtigen in Deutschland. 2016 waren es 37.442 Straftaten, 2020 67.656 – ein Plus von 80,7 Prozent. Das heißt also: Die Straftaten mit tatverdächtigen Zuwanderern sind im selben Zeitraum weniger stark gestiegen als die Straftaten aller Tatverdächtiger.

Eigentlich ist dieser Vergleich mit den Zahlen aus 2016 aber – ob nun bei den Zuwanderern oder insgesamt – sowieso nicht richtig sinnvoll. Denn es gab in der Zwischenzeit eine Gesetzesänderung, die die Statistik verzerrt. Da weist das BKA in seinem Bundeslagebild auch extra drauf hin:

Mit dem “50. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung” vom 04.11.2016 wurden im Sexualstrafrecht Straftatbestände geändert und neue Straftatbestände eingeführt. Dies führt im Ergebnis dazu, dass im Bereich “Vergewaltigung, sexuelle Nötigung und sexueller Übergriff im besonders schweren Fall einschl. mit Todesfolge (§§ 177, 178 StGB)” ab dem Berichtsjahr 2017 ein Vergleich mit den Vorjahreszahlen nur eingeschränkt möglich ist.

Wolfram Weimer macht es bei “Bild TV” trotzdem einfach. Hätte er ein anderes Jahr aus der Statistik genommen, hätte seine Erzählung auch nicht mehr so richtig gepasst: Für 2017 nennt das BKA 5.258 “Straftaten mit mindestens einem/einer tatverdächtigen Zuwanderer/Zuwandererin” – eine Steigerung bis 2020 von gerade mal noch 8,8 Prozent. 2018 sind es 6.046 Straftaten. Und seitdem sinkt der Wert: 2019 sind es 5.802 und 2020 die bereits erwähnten 5.719. So stellt das BKA in seinem Lagebild auch optisch extra groß heraus:

Anteil der tatverdächtigen Zuwanderer/Zuwandererinnen an Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung weiter rückläufig

Die Behörde schreibt dazu:

Während die Gesamtzahl der 2020 in der [Polizeilichen Kriminalstatistik] registrierten aufgeklärten Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung im Vergleich zum Vorjahr weiter angestiegen ist (+17,4 %; 2019: +12,7 %), sanken die Fallzahlen mit mindestens einem/einer tatverdächtigen Zuwanderer/Zuwanderin im Berichtsjahr um 1,4 %.

All das bleibt bei Weimers “Bild-TV”-Auftritt gänzlich unerwähnt. Genauso der Vergleich mit den 67.656 aufgeklärten Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung insgesamt in Deutschland im Jahr 2020. Dazu kein Wort von Weimer. Er nennt nur die Straftaten der tatverdächtigen Zuwanderer, liefert keinerlei Einordnung, lässt es so wirken, als wären Sexualstraftaten nur ein Zuwanderer-Problem, eine Sache “eines ganz bestimmten Milieus”. Stattdessen rechnet er 15 Fälle pro Tag aus und sagt: “Das ist schon sehr viel.” Insgesamt sind es noch viel mehr: 185 Fälle pro Tag.

Und dann noch zum Sprachlichen. Wenn Wolfram Weimer sagt: “Und wenn man sich die Zahlen vom BKA einmal anguckt, […] dann haben wir […] im Jahr 2020 5.719 sexuelle Übergriffe von Personen mit Zuwanderungs, also jüngster Zuwanderungshintergrund”, dann ist das gleich doppelt irreführend. Einmal ist nicht endgültig juristisch geklärt, ob diese Personen wirklich die Täter sind. Und vor allem wirkt seine Aussage im Kontext der “Bild-TV”-Sendung so, als würde es sich bei den “5.719 sexuellen Übergriffen” um Delikte wie Vergewaltigungen handeln. Die 5.719 Fälle aus der BKA-Statistik decken aber das gesamte Feld der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung ab – von exhibitionistischen Handlungen und Erregung öffentlichen Ärgernisses bis zu sexuellem Missbrauch. Darunter auch die Paragrafen 177 und 178 des Strafgesetzbuches, in denen es um “Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung” geht. Aber eben nicht nur.

Natürlich kann und soll man über Kriminalität von Zuwanderern berichten und diskutieren. Wir finden nur, dass man dann auch umfassend berichten sollte. Die einseitige Darstellung der BKA-Statistik durch Wolfram Weimer und “Bild TV” verfängt jedenfalls ganz wunderbar. In den Tausenden Kommentaren unter dem Youtube-Video sowie den Facebook- und Twitter-Posts von “Bild” gibt es reichlich Wut auf die Politik, auf “Mutti” Merkel, auf die Justiz, auf Zuwanderer. Und es gibt zahlreiche Danksagungen an die Redaktion, dass jetzt endlich mal jemand die Fakten auf den Tisch lege.

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BGH zu Hasspostings, Rechte Flut-Elends-Bilder, Regierung trödelt

1. Erst anhören, dann sperren
(taz.de, Christian Rath)
Christian Rath fasst die Auswirkungen einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) über Hasspostings zusammen: “Facebook kann bis auf Weiteres keine Hass-Posts mehr löschen, die nur gegen die ‘Gemeinschaftsstandards’ von Facebook verstoßen. Der BGH hat die Nutzungsbedingungen von ­Facebook an diesem Donnerstag für ‘unwirksam’ erklärt, weil sie den Betroffenen keine Möglichkeit zum Widerspruch einräumten. Wenn Facebook bald wieder Hasspostings, die nicht strafbar sind, löschen will, muss es schnell seine Nutzungsbedingungen an die BGH-Vorgaben anpassen.”

2. Bundesregierung trödelt bei digitaler Veröffentlichung von Gesetzen
(netzpolitik.org, Markus Reuter)
Wollen Bürgerinnen und Bürger den Wortlaut von Gesetzestexten im Internet nachschlagen, müssen sie auf ein ehrenamtliches Portal aus der Zivilgesellschaft ausweichen, weil die Bundesregierung mit dem Aufbau ihres digitalen Bundesgesetzblatts überfordert zu sein scheint. Arne Semsrott, der bei OffeneGesetze.de mitmacht, kommentiert: “Das ehrenamtlich betriebene Portal offenegesetze.de bietet die Bundesgesetzblätter jetzt seit fast drei Jahren offen und kostenlos an. Viele Bibliotheken, öffentliche Einrichtungen, Anwaltskanzleien und Nichtregierungsorganisationen nutzen den Dienst inzwischen, weil er einfacher zugänglich ist als staatliche Angebote. Dass der Staat es noch immer nicht hinbekommt, ein ähnliches Angebot zu schaffen, ist ein Armutszeugnis.”

3. “Die bemühen sich einfach nicht”
(journalist.de, Catalina Schröder)
Die österreichische Journalistin und Publizistin Melisa Erkurt hat ein innovatives journalistisches Format auf Instagram gestartet: Das Team von “Die Chefredaktion” sei im Durchschnitt 19 Jahre alt und “genauso divers wie unsere Gesellschaft”. Im Gespräch mit dem “journalist” erklärt sie, wie es zur Gründung kam: “Ich war einige Jahre Redakteurin beim ORF und habe dabei gemerkt, dass ich frühestens Menschen ab 30 Jahren erreiche. Aber was ist mit den Jüngeren? Es sind auch nicht nur die Jungen, die nicht erreicht werden, sondern auch diejenigen aus unteren Schichten und solche mit Migrationsgeschichte.” Ein interessantes Interview über ein Projekt, das von der privaten Mega-Bildungsstiftung und der Wiener Medieninitiative mit insgesamt 300.000 Euro unterstützt wird.

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4. Kinotipp zu “Die letzten Reporter”: Wie steht es um den Lokaljournalismus
(fachjournalist.de, Gunter Becker)
Gunter Becker hat sich Jean Boués Dokumentarfilm über drei Lokalreporter und -reporterinnen angesehen und ist in vielerlei Hinsicht angetan: “Boués Schnittmuster (Montage Thomas Wellmann), in die Episoden der Arbeitseinsätze seiner drei Held*innen immer wieder Szenen aus Workshops, Fortbildungen und Konferenzen einzubauen, bei denen die großen Fragen und die Krise des Lokaljournalismus verhandelt werden, geht voll auf. Die verschiedenen Erzählebenen und Handlungsstränge treten in einen wunderbaren Dialog miteinander: hier die (wirtschaftliche) Vogelperspektive und die Worthülsen der Unternehmensberater und Verlagsmanager*innen – dort der Alltag der Reporter*innen. Der ganz anders aussieht als die Reißbrett-Strategien und trotzdem funktioniert.” Becker kritisiert aber auch die “kumpelige” Nähe der Medienschaffenden zu ihren Gesprächspartnern. Ein Gesichtspunkt, der in Thomas Klattes Filmkritik bei verdi.de wie folgt bewertet wird: “So will der Film larmoyant zwar die guten alten Zeiten des Lokaljournalismus zeigen, die schwierigen Seiten des zu nahen Miteinanders von Reporter*innen und Reportierten werden aber nicht mal angerissen. Sehr schade, sonst hätte das ein empfehlenswerter Film werden können.”

5. Eine Herausforderung beim Sprechen und Hören
(deutschlandfunk.de, Kevin Barth, Audio: 5:10 Minuten)
Viele Menschen sind bei der TV-Übertragung von einem sportlichen Großereignis wie den Olympischen Spielen auf die Audiodeskription angewiesen. Kevin Barth, der selbst fast blind ist, hat einige Verbesserungsvorschläge, endet jedoch versöhnlich: “Olympia ist mit schnellen Wechseln zwischen unterschiedlichen Sportarten und kurzfristigen Programmänderungen wohl die Königsdisziplin der Audiodeskription. Da kann nicht immer alles klappen.”

6. Klicke auf mein Flut-Elends-Bild auf Social Media
(belltower.news, Simone Rafael)
Nicht nur die selbsternannten “Querdenker” versuchen, die Flutkatastrophe für sich politisch zu nutzen, auch die klassische rechtsextreme Szene zieht es ins Katastrophengebiet. Simone Rafael hat sich angeschaut, wie rechtsextreme Gruppen in den Katastrophenorten einfallen, um sich dort mit Material für ihre Social-Media-Propaganda einzudecken.

Die Opfer von “Bild” (5)

Auch wenn die “Bild”-Medien für ihre “TODESFLUT”-Berichterstattung mitunter fast 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gleichzeitig im Einsatz hatten – eines konnten sie tagelang nicht präsentieren: die traditionelle Opfergalerie, also private Fotos von Menschen, die bei den Überschwemmungen ums Leben gekommen sind.

Stattdessen gab es diese Aktion:

Screenshot von der BILD.de-Startseite: Zahlreiche Schlagzeilen zum Hochwasser, etwa "Riesen-Krater frisst Häuser - Mit Video - BILD-Reporter in Blessem, dem Dorf am Abgrund", "GERETTET! - Hier klammerte sich vier Stunden lang ein Mann ans Leben", "Unklar ob es alle aus ihren Autos schafften", "Zu wenig Alarm! - Hat der Katastrophenschutz versagt?" Und dann die Schlagzeile: "VERMISST! Brauchen Sie Hilfe bei der Suche nach Ihren Liebsten? vermisst@bid.de"

Im Artikel hieß es:

Screenshot aus dem BILD.de-Artikel: "Brauchen Sie Hilfebei der Suche nach Ihren Liebsten? BILD hilft Ihnen dabei! BILD ist im Katastrophengebiet in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfal vor Ort. Wir helfen, geben alles für Sie. - Schicken Sie und Ihre Vermisstenanzeige! - Bitte mit Foto und Angaben zur vermissten Person - per Whatsapp an 0151/15090200 oder als Mail an vermisst@bild.de"

Und so konnte die “Bild”-Redaktion kurz darauf doch noch Gesichter präsentieren:

Ausriss aus der BILD-Zeitung: "Angehörige verzweifelt +++ Seit Tagen keine Lebenszeichen der Liebsten - VERMISST", dazu Fotos von zwölf Menschen, die vermisst werden

Auch online wurde die Galerie veröffentlicht:

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "VERMISST - Angehörige verzweifelt ++ Seit Tagen kein Lebenszeichen der Liebsten"

Und “Bild am Sonntag” titelte:

Titelseite der BILD am SONNTAG: "DIE JAHRHUNDERT-FLUT - DER TOD KAM ZUM GEBURTSTAG" - dazu ein großes Foto einer Frau (und ihres Sohnes), die bei den Überschwemmungen ums Leben kam

Die Fotos sind laut Angabe von “Bild” zwar mit Zustimmung der Angehörigen erschienen, wir haben sie dennoch alle unkenntlich gemacht, weil auch bei Fotos, die mit einem solchen Einverständnis in “Bild” erscheinen, Vorsicht geboten ist. Es kommt immer wieder vor, dass Angehörige im Nachhinein bereuen, “Bild” die Erlaubnis gegeben zu haben. Viele sind im Moment der Zustimmung in einem emotionalen Extremzustand, in dem sie keinen klaren Kopf haben – und anfällig sind für die manipulativen Techniken erfahrener Fotojäger.

***

Insgesamt haben die “Bild”-Medien in der Woche vom 12. bis 18. Juli mindestens 39 Mal Fotos von Menschen gezeigt, die Opfer eines Unglücks oder Verbrechens geworden sind oder nach den Überschwemmungen vermisst werden.

In einem Fall waren die Augen verpixelt, in zwei Fällen das Gesicht. In 36 Fällen gab es keinerlei Verpixelung.

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Bild.de zeigt zum Beispiel das Foto eines Mannes, der bei einer Rangelei erstochen wurde:

Screenshot von BILD.de: Das eingerahmte Foto eines Mannes, das auf dem Boden steht, umgeben von Kerzen und Blumen.

(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag von uns.)

Das Foto wurde von Trauernden zwischen Blumen und Kerzen am Tatort aufgestellt, dort hat “Bild” es abfotografiert. In einem ähnlichen Fall, nachdem “Bild” Fotos von Opfern des Germanwings-Unglücks auf einem Marktplatz abfotografiert hatte, erhielt die Redaktion eine Rüge des Presserats, weil das Aufstellen der Fotos, auch wenn es an einem öffentlichen Ort passierte, “nicht für die Medienöffentlichkeit und ohne Zustimmung der Abgebildeten oder Angehörigen” geschah.

***

Bild.de und “Bild am Sonntag” zeigen auch die Gesichter von drei 18-Jährigen, die bei einem Autounfall ums Leben kamen:

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Drei beste Freunde verunglücken mit Auto - Gemeinsam gelacht, gelebt, gestorben", dazu ein eingerahmtes Foto der drei jungen Männer, das umgeben von Blumen auf einem Friedhof steht, sowie das Bild-Plus-Logo

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Drei beste Freunde verunglücken mit Auto - Gemeinsam gelacht, gelebt, gestorben", dazu ein eingerahmtes Foto der drei jungen Männer, das umgeben von Blumen auf dem Grab steht, dazu ein weiteres Foto, auf dem man die Gesichter in Großaufnahme erkennt

Das Bild wurde am Grab der jungen Männer abfotografiert. Online bekommt man eine Großaufnahme der Gesichter erst, wenn man bezahlt.

***

Gezeigt wird auch ein Mann, der in Brasilien nach einer Haiattacke seinen Verletzungen erlag:

Screenshot von BILD.de: Ein Selfie eines Mannes, dazu die Bildunterschrift: "Das Opfer [...] wurde nur 51 Jahre alt"

Das Foto stammt aus seinem Facebookprofil. Bild.de gibt die vollständige Adresse dorthin an.

***

Nach einem Verbrechen oder Unglück in Social-Media-Profilen zu wühlen und daraus Fotos der Opfer zu veröffentlichen, ist redaktioneller Alltag bei “Bild”. Häufig erscheinen solche Fotos ohne jede Verpixelung und ohne Zustimmung der Angehörigen oder Hinterbliebenen.

In vielen Fällen werden Freunde, Kollegen oder Familienmitglieder sogar von Reportern bedrängt, damit sie Fotos der Menschen herausrücken, die sie gerade verloren haben.

“Bild” begründet die Veröffentlichung solcher Bilder damit, dass “nur so” die Tragik “deutlich und fassbar” werde.

Wie jedoch viele Betroffene selbst darüber denken, kann man zum Beispiel hier nachlesen. Dort sagt der Vater eines Mädchens, das beim Amoklauf von Winnenden getötet wurde und deren Foto in den Tagen darauf immer wieder in der “Bild”-Zeitung erschien:

Die “Bild”-Zeitung und andere, auch Fernsehsender, ziehen Profit aus unserem Leid! Dreimal hintereinander sind Bilder [unserer Tochter] erschienen, ohne dass wir das gewollt hätten. Wir hätten das nie erlaubt. Die reißen die Bilder an sich und fragen nicht danach, was wir Hinterbliebenen denken und fühlen.

Pressekodex Richtlinie 8.2

Die Identität von Opfern ist besonders zu schützen. Für das Verständnis eines Unfallgeschehens, Unglücks- bzw. Tathergangs ist das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich. Name und Foto eines Opfers können veröffentlicht werden, wenn das Opfer bzw. Angehörige oder sonstige befugte Personen zugestimmt haben, oder wenn es sich bei dem Opfer um eine Person des öffentlichen Lebens handelt.

In einem Interview in unserem Buch sagt ein anderer Betroffener, dessen Bruder bei einem Skiunfall gestorben ist und später ohne Erlaubnis der Angehörigen groß auf der Titelseite der ”Bild”-Zeitung zu sehen war:

Das war eines der schlimmsten Dinge an der Geschichte: Dass die “Bild” die Kontrolle darüber hat, mit welcher Erinnerung mein Bruder geht. Dass das letzte Bild von der “Bild”-Zeitung kontrolliert wird und nicht von ihm selbst oder von uns.

Auch in anderen Medien kommt es vor, dass solche Fotos veröffentlicht werden. Doch niemand macht es so häufig und so eifrig wie “Bild”. Mehr als die Hälfte aller Rügen, die der Presserat je gegen die “Bild”-Medien ausgesprochen hat, bezog sich auf die unzulässige Veröffentlichung von Opferfotos.

Um zu verdeutlichen, in welchem Ausmaß “Bild” auf diese Weise Profit aus dem Leid von Menschen zieht, wollen wir hier regelmäßig dokumentieren, wie häufig die “Bild”-Medien solche Fotos veröffentlichen.

Hessen-FDP und Pressefreiheit, Hofers Selbstzensur, Preisgeld

1. Veröffentlichung von unangenehmen Fragen durch eine Partei verletzt die Pressefreiheit
(djv-hessen.de)
Der Deutsche Journalisten-Verband Hessen fordert die hessische FDP zu einem respektvollen Umgang auf: “Offenbar hat die Hessen FDP die Grundprinzipien der Pressefreiheit nicht verstanden. Statt Fragen eines Journalisten-Teams von NDR, WDR und der Wochenzeitung ‘Die Zeit’ zu möglichen Verbindungen einzelner aktiver FDP-Mitglieder in das AfD-nahe Spektrum um den Politikberater Tom Rohrböck zu beantworten, hat die Partei die Fragen der Journalisten auf ihrer Homepage veröffentlicht. Damit sabotiert die FDP das bewährte Prinzip Journalisten fragen, Politiker antworten. Journalisten, die nicht mehr selbst entscheiden können, wann sie ihre Recherchen für ausreichend fundiert halten, um damit an die Öffentlichkeit zu gehen, können ihren Beitrag zur Meinungsbildung nur noch eingeschränkt leisten.”

2. Was hat es mit Jan Hofers Selbstzensur-Vorwurf gegen die “Tagesschau” auf sich?
(meedia.de, Tobias Singer)
Jahrzehntelang war Nachrichtenmann Jan Hofer für die Öffentlich-Rechtlichen tätig, nun ist er der neue RTL-Anchorman. In einem Podcast-Gespräch mit Moderatorin Janin Ullman hat er sich zu seinem Wechsel geäußert und dabei eine bemerkenswerte Andeutung gemacht, die von Tobias Singer wie folgt kommentiert wird: “Das neue Format würde ‘anders, kleiner, hoffentlich effektiver und ohne Schere im Kopf’ stattfinden. Punkt. Mehr kommt nicht. Keine Erklärung, keine Konkretisierung, und auch keine Nachfrage von Ullmann. Was bleibt? Ein Vorwurf, der diejenigen bedient, die es schon immer wussten oder zu wissen glaubten: Bei der meistgesehenen Nachrichtensendung der Republik herrscht Selbstzensur unter den Journalisten.”

3. «False Balance» in den Medien: Was wissenschaftlich stimmt, ist keine Frage der Mehrheitsmeinung
(medienwoche.ch, Servan Grüninger)
Bei der “Medienwoche” geht es um das Phänomen der “False Balance” in der Berichterstattung. Das bezeichnet den Umstand, dass unbewiesenen Minderheitsmeinungen aus Gründen der (falschen) Ausgewogenheit derselbe Raum eingeräumt wird wie beispielsweise wissenschaftlich längst geklärten Mehrheitsmeinungen. Servan Grüninger erklärt das Problem anhand von Beispielen und nennt am Schluss einige konkrete Verbesserungsvorschläge.

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4. Eichers Ehre
(kontextwochenzeitung.de, Josef-Otto Freudenreich)
Der ehemalige Chefjustiziar des SWR Hermann Eicher geht laut der Internetpublikation “Kontext:Wochenzeitung” presserechtlich gegen diese vor. Eicher wolle Aussagen aus einem “Kontext”-Podcast verbieten lassen, in dem darüber gesprochen wird, wie die Anstalt mit den Vorwürfen sexueller Belästigung umgeht. Bei “Kontext” schildert Josef-Otto Freudenreich seine Sicht der Dinge.

5. Gefährliche Verwechslung
(sueddeutsche.de, Lea Sahay)
Der deutsche TV- und Print-Journalist Mathias Bölinger berichtet seit vielen Jahren aus China. Jüngst reiste er im Auftrag der Deutschen Welle in die zentralchinesische Provinz Henan, um über die Folgen der extremen Regenfälle zu berichten. Dort wurde er von einer wütenden Menschenmenge bedroht und verfolgt. Man hatte ihn für einen BBC-Korrespondenten gehalten.

6. “Get the f*ck out of my house”-Gewinner muss seinen Preis teilen
(lto.de)
Vorgestern haben wir in den “6 vor 9” von einem Konflikt zwischen Teilnehmern einer Reality-Show berichtet. Die drei Finalisten der Sendung hätten verabredet, dass – egal, wer gewinnt – der Gewinner den beiden anderen 20.000 Euro abgebe. Daran, so der Vorwurf, habe sich der Gewinner jedoch nicht gehalten. Nun haben sich Kläger und Beklagter vor Gericht auf die Zahlung von 15.000 Euro geeinigt, “um die Sache vom Tisch zu kriegen”.

Lückenhafte Kommunikation, C. H. Beck nennt um, Laschet-Generator

1. Kommunikation zwischen Behörden und Sendern lückenhaft
(deutschlandfunk.de, Annika Schneider & Stefan Fries & Bettina Schmieding, Audio: 6:58 Minuten)
Die öffentlich-rechtlichen Sender haben sich verpflichtet, Katastrophenwarnungen der Behörden weiterzugeben. Doch dazu müssen die Warnungen auch in den Funkhäusern ankommen, und das hat nicht überall geklappt. Stefan Fries ist der Sache für den Deutschlandfunk nachgegangen: “Mit den Behörden vereinbart ist, dass der Deutschlandfunk als bundesweites Programm außerdem Meldungen sendet, die mehr als ein Bundesland betreffen. Darauf ist das Warnsystem aber offenbar nicht eingerichtet: Tatsächlich waren bei der Flutkatastrophe zwei Länder betroffen, allerdings gab es keine landesweiten Warnmeldungen, sondern nur regionale und lokale – diese kamen beim Deutschlandfunk nicht an.”

2. C.H. Beck benennt juristische Standardwerke um
(spiegel.de)
Der juristische Fachverlag C. H. Beck hat in einer Pressemitteilung bekanntgegeben, dass er sich entschlossen habe, “die Werke seines Verlags­programms umzubenennen, auf denen als Herausgeber oder Autoren noch Namen von Juristen genannt sind, die während der nationalsozialistischen Diktatur eine aktive Rolle eingenommen haben.” Das betrifft seit Jahrzehnten etablierte Standardliteratur wie den “Schönfelder” und den “Palandt”.

3. Zeitungsbranche verliert 2020 Werbeerlöse, aber steigert Vertriebsumsatz
(meedia.de)
Der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger hat seine Bilanz für das vergangene Jahr vorgelegt. Demnach hätten die deutschen Zeitungen im Corona-Jahr 2020 ein Sechstel ihres Umsatzes mit Anzeigen und Werbung verloren, diesen Rückgang aber im Vertriebsgeschäft zum Teil ausgeglichen.

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4. “Übermedien” in Österreich? “Dafür müssen wir noch weiterwachsen”
(derstandard.at, Oliver Mark)
Der österreichische “Standard” hat den Medienjournalisten und “Übermedien”-Mitgründer Stefan Niggemeier interviewt. Es geht unter anderem um die aktuellen Wachstumsziele des Portals, dessen Unterwerfung unter die Selbstverpflichtungserklärung des Presserats und die Auswirkungen von Corona auf “Übermedien”.

5. Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 199, 27.07.2021
(netzwerkrecherche.org, Annelie Naumann & Albrecht Ude)
Geradezu eine Pflichtlektüre, nicht nur für Journalistinnen und Journalisten aus dem Investigativbereich: der Newsletter des Netzwerk Recherche. Die neueste Ausgabe liefert wie immer einen guten Überblick über aktuelle Nachrichten, Veranstaltungen, Seminare, Stipendien und Preise. Im Pressespiegel gibt es zudem wertvolle Lesetipps zu ausgesuchten Themen.

6. “Lasch-o-mat” Satire-Tool baut Laschet-Zitate um
(tagesspiegel.de, Lea Schulze)
Im “Lasch-o-mat” lassen sich Zitate von Armin Laschet um beliebige Wörter ergänzen. Wie kam es zu der Idee? Und was hat der “6-vor-9”-Kurator des BILDblog damit zu tun?
Weiterer Lesehinweis und Hörtipp: Bei Deutschlandfunk Kultur durfte der Kurator ein paar Sätze zu dem Thema Parodien im Allgemeinen und Besonderen sagen: Bullshit-Bingo mit Armin Laschet (deutschlandfunkkultur.de, Massimo Maio, Audio: 7:30 Minuten).

Guten Freunden gibt man ein Komma

Als sich die Kanzlerkandidatin der Grünen Annalena Baerbock bei ihrer Parteitagsrede im Juni verhaspelte, erst von “liberalen Feinden” sprach, sich dann schnell selbst mit “die Feinde der liberalen Demokratie” korrigierte und nach ihrer Rede offenbar “Scheiße” sagte, war das der “Bild”-Redaktion gleich mehrere Beiträge wert. Bei Gegnern suhlt sie sich in den kleinsten Fehlern, bläst sie auf, reitet auf ihnen rum.

Und bei Freunden?

Am Sonntag war Sebastian Kurz, Bundeskanzler Österreichs und Duzfreund von “Bild”-Chef Julian Reichelt, in der “Bild-TV”-Sendung “Die richtigen Fragen” zu Gast. Im Interview mit “Bild”-Vize-Chefredakteur Paul Ronzheimer, der auch Biograf von Sebastian Kurz ist, ging es unter anderem um die Situation in Afghanistan, das Vordringen der Taliban im Land und daraus möglicherweise resultierende Fluchtbewegungen nach Europa. Kurz sagte dazu:

Wenn Menschen fliehen müssen, dann halte ich die Nachbarstaaten wie die Türkei oder andere sichere Teile Afghanistans definitiv für den richtigeren Ort, als dass die Menschen alle nach Österreich, Deutschland oder Schweden kommen.

Nun ist die Türkei, anders als von Kurz behauptet, kein Nachbarstaat Afghanistans. Zwischen beiden Ländern liegt der nicht ganz kleine Iran. So ein Fehler kann einem natürlich mal passieren. Aber was macht die “Bild”-Redaktion daraus? Bringt sie einen Artikel nach dem anderen, in dem sie fragt, ob ein ehemaliger Außenminister nicht wissen müsste, wo Afghanistan und wo die Türkei liegen? Suhlt sie sich, bläst sie auf, reitet sie drauf rum?

Nichts dergleichen. Stattdessen ändert sie Kurz’ wörtliches Zitat und lässt damit den Fehler verschwinden. Im Bild.de-Artikel zum Auftritt des österreichischen Kanzlers bei “Bild TV” sagt Sebastian Kurz auf einmal:

Wenn Menschen fliehen müssen, dann halte ich Nachbarstaaten, die Türkei oder sichere Teile Afghanistans, definitiv für den richtigeren Ort, als dass die Menschen alle nach Deutschland, Österreich oder Schweden kommen.

Aus dem “wie” wurde wie von Zauberhand ein Komma.

Am Tag von Annalena Baerbocks Parteitagsrede waren im ZDF-“heute-journal”, das über den Grünen-Parteitag berichtete, der Versprecher und das “Scheiße” nach der Rede nicht zu sehen oder zu hören – vermutlich weil die Redaktion sie für nicht so berichtenswert hielt wie “Bild”. Die “Bild”-Redaktion war einigermaßen empört und schrieb dazu:

GRÜNEN-PARTEITAG: ZDF VERSCHWEIGT BAERBOCKS PATZER

Mit Dank an @robertwiesner und @Helge!

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Ohne AfD und Linke, Lokaljournalismus im Ahrtal, Selbstversuch Olympia

1. Warum AfD und Linke bei den Sat.1-Sommerinterviews fehlen
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Sat.1 plant politische Sommerinterviews, bei denen die beiden Oppositionsparteien AfD und Linke jedoch nicht vorkommen. Sendersprecher Daniel Rosemann begründet dies wie folgt: “Die Sat.1-Nachrichtenredaktion hat sich entschieden, mit den vier Parteien Sommer-Interviews zu führen, die nach den aktuellen Koalitionsaussagen nach der Wahl Teil einer neuen Bundesregierung sein können.” Für “DWDL”-Redakteur Timo Niemeier kommt diese Argumentation überraschend: “Zum einen, weil der Sender diesmal in Sachen AfD eine andere Argumentation wählt und sich nicht so klar gegen die Partei positioniert, wie es Rosemann noch vor wenigen Wochen tat. Und zum anderen, weil Koalitionsaussagen, die vor einer Wahl getroffen werden, danach vielleicht gar nicht halten. Ein Bündnis aus SPD, Grünen und Linken ist überdies gar nicht endgültig vom Tisch, weil es von keiner der Parteien ausgeschlossen wurde.”

2. Lokaljournalismus im Dauereinsatz
(deutschlandfunk.de, Annika Schneider, Audio: 7:46 Minuten)
Die Flutkatastrophe im Ahrtal zeigt, wie wichtig gut funktionierender Lokaljournalismus ist. Seit über einer Woche berichtet die “Rhein-Zeitung” mit ihrer Lokalredaktion Ahrweiler mit zehn Reporterinnen und Reportern direkt aus dem Katastrophengebiet, unterstützt von Kräften aus der zentralen Mantelredaktion. Doch in der Region würden sich auch unseriöse Menschen tummeln, die Desinformationen streuen: Laut ZDF-Reporter Arndt Ginzel seien Mitglieder der “Querdenker”-Szene durch die Nachbarschaft gezogen und hätten fälschlicherweise erzählt, das Hochwasser sei von Bundeskanzlerin Angela Merkel geplant worden, um eine Klimadebatte zu entfachen.

3. Nürnberger Presse plant weiteren Stellenabbau
(verdi.de, Susanne Stracke-Neumann)
Schlechte Nachrichten aus Nürnberg: “Um mindestens 80 Vollzeitstellen will der Verlag Nürnberger Presse (VNP) bis Ende März 2022 die Belegschaft verkleinern. Der Verlag, der die ‘Nürnberger Nachrichten’, die ‘Nürnberger Zeitung’ und die Online-Plattform Nordbayern.de in seinem Portfolio hat, baute bereits 2019/20 nach der Verschmelzung dreier einzelner zu einer Zentralredaktion 28 Vollzeitstellen durch einen ‘freiwilligen Sozialplan’ mit Abfindungen ab.”

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4. »Ältere Menschen sind empfänglicher für Falschmeldungen«
(spiegel.de, Max Hoppenstedt & Ann-Katrin-Müller)
Fiete Stegers hat sich im Auftrag der Vodafone-Stiftung bei Faktencheckern, Forschenden, Fachjournalistinnen und Vertretern von zivilgesellschaftlichen Organisationen zum Thema Desinformation umgehört. Der “Spiegel” berichtet vorab über die Befragung. Anfällig für Desinformationskampagnen seien laut den Expertinnen und Experten vor allem Menschen, die “der transportierten Botschaft ohnehin zugeneigt sind und sich durch sie bestätigt fühlen”. Außerdem spiele laut Stegers das Alter eine Rolle: “Ältere Menschen sind tendenziell empfänglicher für Falschmeldungen als junge”.

5. Absprachen ums Preisgeld?
(sueddeutsche.de)
“Get the F*ck out of my House” ist eine ursprünglich aus den Niederlanden stammende Reality-Show, die in Deutschland bei ProSieben ausgestrahlt wurde. Die Spielidee: In einem Haus werden 100 Menschen untergebracht. Wer als Letzter das Haus verlässt, bekommt die 100.000 Euro Siegprämie. Drei Jahre nach dem Ende der Sendung streiten die Kandidaten vor Gericht um das Preisgeld. Die drei Finalisten hätten verabredet, dass – egal, wer gewinnt – der Gewinner den beiden anderen 20.000 Euro abgebe. Daran, so der Vorwurf, habe sich der Gewinner jedoch nicht gehalten.

6. Olympia als 14-Stunden-Selbstversuch: Die Geisterspiele von Tokio im nächtlichen TV-Protokoll
(rnd.de, Imre Grimm)
Imre Grimm hat einen heroischen Selbstversuch unternommen und sich eine ganze Nacht durch das Olympia-Programm gezappt. Richtige Begeisterung wollte bei ihm nicht aufkommen, denn ohne Publikum fehle etwas Entscheidendes: “Das kollektive Staunen über die Grenzbereiche des Menschenmöglichen sind das Geheimnis des Events. Aber ohne Kollektiv gibt es keine kollektive Freude. Was wäre Usain Bolt ohne seine Ehrenrunden? Für wen sollte Robert Harting in einem leeren Stadion sein Trikot zerreißen? Emotionen sind der wichtigste Rohstoff internationaler Sportevents. Von 10.000 leeren Plastiksesseln aber sind keine Gefühlsaufwallungen zu erwarten. Man kann Emotionen nicht herbeibehaupten.”

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