Festgehalten bei der IAA, Pferderennen?, Deutsche Gedichte

1. Warum muss Marion Brasch pausieren, aber Jörg Thadeusz nicht?
(daniel-bouhs.de)
Wenn sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des rbb in Wahlkämpfen aktiv beteiligen, sollen sie eigentlich nicht auftreten dürfen. Bei den rbb-Moderatoren Marion Brasch und Jörg Thadeusz kam es zu derlei Kollisionen: Brasch hatte sich in einer Anzeige mit anderen Kulturschaffenden für den Linken-Politiker Klaus Lederer eingesetzt. Von Thadeusz ist in einem Magazin des Berliner Landesverbands der FDP ein Text über das “Frei sein” erschienen. Im Medienmagazin von radioeins erklärt rbb-Chefredakteur David Biesinger die Beweggründe der Geschäftsleitung, Brasch pausieren und Thadeusz weitermachen zu lassen.

2. “taz”-Journalist bei Protesten gegen IAA von Polizei festgehalten – Journalistenverbände empört
(rnd.de)
Ein Journalist der Tageszeitung “taz” ist bei Protesten gegen die Automesse IAA in München im Umfeld einer Hausbesetzung zeitweise von der Polizei festgehalten worden. Nach mehr als drei Stunden in Gewahrsam sei er wieder freigelassen, jedoch von der weiteren Berichterstattung ausgeschlossen worden. Die Polizei habe ihm ein Betretungsverbot für alle Veranstaltungsflächen der IAA erteilt. Der Deutsche Journalisten-Verband bezeichnet auf Twitter das Vorgehen der Polizei als “unerhört”.

3. Der Westen wird in Schwelm verteidigt
(uebermedien.de, Sebastian Weiermann)
Das Städtchen Schwelm ist nicht der Ort, in dem man “Bild”-Chef Julian Reichelt am Vorabend des 11. September erwartet, um über Weltpolitik zu reden. Aber wenn ein befreundeter Axel-Springer-Manager dort für die CDU kandidiert, macht sich Reichelt schon mal auf die Reise. Sebastian Weiermann hat sich die Veranstaltung für “Übermedien” angeschaut, bei der jedoch nur 40 Menschen anwesend waren.

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4. Schlägt in diesem Wahljahr die Stunde des politischen Journalismus?
(fachjournalist.de, Silke Liebig-Braunholz)
Der “Fachjournalist” hat sich mit Justus von Daniels vom Recherchenzentrum “Correctiv” über den Bundestagswahlkampf und den politischen Journalismus unterhalten. Von Daniels spricht sich für mehr inhaltliche Schwerpunkte in der Berichterstattung aus, gibt jedoch zu bedenken: “Das Problem ist, dass solche Formate oft punktuell sind und viele das nicht mitbekommen. Was da helfen könnte, sind verständliche Übersichten oder Dossiers. Die müssen allerdings gut kuratiert sein und nicht einfach nur verwandte Themen bündeln. Da sollten wir alle in der Branche mehr Kreativität üben, auch was die grafische Aufbereitung von Themen angeht.”

5. Wahlkampf als politisches Pferderennen
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers & Stefan Fries, Audio: 18:48 Minuten)
Müssen wir bei der Wahlkampfberichterstattung US-amerikanische Verhältnisse samt Horse-Race-Journalismus befürchten, der sich an die Sportberichterstattung anlehnt? Trotz aller Entwicklungen in diese Richtung sei dies nicht zu befürchten, finden zwei Kommunikationswissenschaftler und Wissenschaftlerinnen im Deutschlandfunk: “Die Situation in Deutschland sei damit nicht zu vergleichen. Und die Forscher weisen auch darauf hin, dass das politische System in Deutschland einer zu starken Personalisierung ohnehin entgegenstehe, schließlich wählten die Menschen mit der entscheidenden Stimme Parteien und keine Kanzler.”

6. AfD-Chef Chrupalla will, dass Schüler mehr deutsche Gedichte lernen – kennt aber selbst keins
(spiegel.de)
AfD-Chef Tino Chrupalla hat in einem Interview mit der Kindernachrichten-Sendung “logo!” gefordert, Schülerinnen und Schüler sollten mehr “deutsche Gedichte” lernen. Als der Kinderreporter Chrupalla nach dessen Lieblingsgedicht fragte, geriet dieser ins Schwimmen: “Mein Lieblingsgedicht ist … öhm … Da müsste ich jetzt mal überlegen, fällt mir jetzt gar keins ein.”

KW 36: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. 9/11 und Verschwörungstheorien: 20 Jahre danach
(ndr.de, Video: 23:12 Minuten)
Der Terroranschlag vom 11. September 2001 jährt sich zum zwanzigsten Mal, und in den Sozialen Medien und einschlägigen Foren werden immer noch die krudesten Theorien über den Hintergrund verbreitet. Mal soll die US-Regierung dahinterstecken, mal eine “jüdische Weltverschwörung”. Was macht das mit den Betroffenen? Und welche Verantwortung tragen die Plattformbetreiber, auf deren Seiten solche Inhalte zur Verfügung gestellt werden?

2. Wahlkampf undercover: Wie PR-Profis uns manipulieren
(ndr.de, Gesine Enwaldt & Peter Kreysler, Video: 43:40 Minuten)
Der Investigativjournalist Peter Kreysler hat sich unter falscher Flagge und mit gefakter Identität in das Innere international agierender PR-Agenturen eingeschmuggelt. Der Film zeigt, was in der Welt der Wahlkampfstrategen alles möglich ist, und entlarvt die Methoden der Meinungsmacher.

3. Welche Rolle spielen Fake News kurz vor der Bundestagswahl?
(wasmitmedien.de, Daniel Fiene & Sebastian Pähler, Audio: 59:52 Minuten)
Valerie Scholz und ihre Mit-Gründerin Katherina Klimkeit haben mit “Facts for Friends” eine Plattform ins Leben gerufen, mit der Faktenchecks attraktiver werden sollen. Scholz war bereits Ende 2020 bei “Was mit Medien” zu Gast. Bei ihrem neuerlichen Besuch erzählt sie davon, was sich bei dem Medien-Startup in der Zwischenzeit alles getan hat.
Weiterer Hörtipp: Das aktuelle “MedienMagazin” des BR zur Bundestagswahl: Was sagen die Parteiprogramme zu Medienpolitik und Journalismus? (br.de, Sissi Pitzer & Linus Lüring)

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4. Weshalb ärgern sich Datenjournalisten so über das Robert Koch Institut?
(uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 23:10 Minuten)
In Zeiten der Pandemie interessieren uns vor allem Zahlen: Wie viele Menschen sind erkrankt, genesen, geimpft? Wie verteilen sie sich auf Deutschland? Aufbereitet wird das Zahlenmaterial meist von Datenjournalistinnen und -journalisten, die jedoch auf die Zusammenarbeit mit dem Robert-Koch-Institut angewiesen sind. Und hier gibt es dringenden Verbesserungsbedarf, wie Elena Erdmann von “Zeit Online” erklärt.

5. Thilo Mischke bei der Bild: Boulevard-Journalismus in der Kritik
(youtube.com, Pro Sieben, Thilo Mischke, Video: 7:20 Minuten)
“Skandalflut, Statistik-Tricks und steile Thesen, gebündelt in unzähligen Schlagzeilen und Onlinemeldungen”: ProSieben-Reporter Thilo Mischke hat “Bild”-Chef Julian Reichelt in dessen Redaktion besucht, um mit ihm über Boulevard-Journalismus zu sprechen.

6. Wie Influencen der Gesundheit schadet
(youtube.com, SWR3, Philipp Walulis, Video: 14:07 Minuten)
Die Welt der Influencerinnen und Influencer ist nicht nur rosarot. Auf vielen lastet ein großer Druck. Stress, Angst und Depressionen können die Folge sein. “Und wenn man nicht gerade zur deutschen Influencer-Elite gehört, wird es sogar doppelt gefährlich. Zu den psychischen Sorgen kommen ganz schnell auch finanzielle Nöte. Die Welt der Influencer hat zwei Seiten und wir erkunden heute die Dunkle”, so Philipp Walulis.
Weiterer Videotipp: BGH-Urteil zu Influencer-Postings – “ZDFheute live” spricht mit Influencerin Cathy Hummels und Anwalt Michael Terhaag über eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (zdf.de, Daniel Bröckerhoff, 25 Minuten).

7. Studio Schmitt
(zdf.de, Tommi Schmitt, Video: 30:44 Minuten)
Bonus-Tipp: In der aktuellen Folge von “Studio Schmitt” (ZDFneo) ist BILDblog-Leiter Moritz Tschermak zu Besuch. Die beiden unterhalten sich über die Ausprägung der “Bild” unter Julian Reichelt sowie die politische Stoßrichtung des Boulevardmediums und spielen zum Schluss eine Partie “Gaga-Kompositum”.

Kannste den entscheidenden Teil der Antwort einfach weglassen?

Chris W. findet:

Eine Schande ist das!!!

Silvia S. schreibt:

An Frechheit nicht zu überbieten.

Stefan M. meint:

Die Politiker haben keine Skrupel,für nichts.

Und auch Klaus K. ist stinksauer:

Weil für Politiker nicht die gleichen Gesetze gelten wie für den gemeinen Bürger!!

Die “Bild”-Redaktion hat es mal wieder geschafft: In den Facebook-Kommentaren zum Bild.de-Artikel über die TV-Show “Kannste Kanzleramt?” herrscht große Wut auf die da oben.

“Bild” und Bild.de berichten heute groß über die Sendung, die gestern Abend bei Sat.1 lief. In den Artikeln geht es aber nicht etwa um die Antworten von Annalena Baerbock, Olaf Scholz und Armin Laschet auf die Fragen der 16 Mädchen und Jungen zwischen acht und 13 Jahren, die für die Show aus ganz Deutschland in einem Klassenzimmer in Berlin zusammengekommen sind. Stattdessen geht es um Masken, oder genauer: um fehlende Masken:

Screenshot Bild.de - Kinder dürfen ganz entspannt im Klassenzimmer sitzen - Vom Maskenzwang befreit, weil Politiker Wahlkampf machen!

Die “Bild”-Medien schreiben dazu:

Seit vielen Monaten ertragen Deutschlands Schüler die Maskenpflicht im Unterricht. Tragen selbst im Klassenraum stundenlang Maske, in hessischen Schulen zum Teil sogar auf dem Schulhof!

Doch siehe da: Für den Wahlkampf bekommen die Kleinen maskenfrei. Dürfen in der Sat.1-Show (“Kannste Kanzleramt?”) als niedliche Kulisse herhalten. Im Beisein der Kandidaten Olaf Scholz (63, SPD), Armin Laschet (60, CDU) und Annalena Baerbock (40, Grüne).

FRAGT SICH: Warum dürfen die Kinder in der Wahlkampf-Show, was ihnen in den meisten deutschen Klassenzimmern verwehrt wird?

Die Redaktion lässt es so wirken, als sei das alles ein Privileg der Politikerkaste:

Nur für den hohen Besuch der Kanzlerkandidaten durfte die Maske im Klassenzimmer ab.

Das ist schlicht Unsinn. Der entscheidende Unterschied ist, dass es sich bei der Sat.1-Show um eine TV-Produktion handelt, für die andere Vorgaben gelten als für den Unterricht in der Schule (was man natürlich völlig bescheuert finden kann, aber dann sollte man nicht irgendwelche Unwahrheiten behaupten). Und zwar unabhängig davon, wo gedreht wird und wem Fragen gestellt werden. Wäre der Drehort nicht ein Klassenzimmer gewesen, sondern ein TV-Studio, die Turnhalle derselben Schule oder Julian Reichelts Büro, hätten die Kinder vor der Kamera genauso wenig eine Maske tragen müssen. Und wären statt Baerbock, Laschet und Scholz drei willkürlich ausgewählte Passanten befragt worden, hätte sich an der Befreiung von der Maskenpflicht auch nichts geändert.

Oder kurz gesagt: Nicht wegen des “hohen Besuchs der Kanzlerkandidaten durfte die Maske im Klassenzimmer ab”, oder “weil Politiker WAHLKAMPF machen”, sondern weil es sich um eine Fernsehaufzeichnung handelte. Ich war zufällig vorgestern selbst bei einer. Und auch dort: Keine Maskenpflicht vor der Kamera, hinter den Kulissen aber schon. Und vorheriges Testen alles Anwesenden.

In den “Bild”-Medien ist von der Erklärung mit der TV-Produktion nichts zu lesen. Es wird lediglich ein Sat.1-Sprecher zitiert:

Der Sender erklärt den Widerspruch so: “Vor Ort wurden alle gesetzlichen Hygieneauflagen umgesetzt.” Alle Anwesenden seien negativ auf Covid-19 getestet worden und “mussten deshalb keine Maske tragen”.

Uns liegt die komplette Antwort-Mail des Senders an “Bild”-Redakteur Filipp Piatov vor. Darin wird durchaus auf die Besonderheit einer Fernsehproduktion hingewiesen. Im “Bild”-Artikel wurde dieser entscheidende Teil aber einfach weggelassen. Die ganze Antwort lautet:

“Kannste Kanzleramt?” ist eine Fernsehproduktion wie “Gute Zeiten, schlechte Zeiten” oder der BILD-Talk “Viertel Nach Acht”. Vor Ort wurden alle gesetzlichen Hygieneauflagen umgesetzt. Alle Anwesenden waren den Empfehlungen der Berufsgenossenschaft folgend negativ auf COVID 19 getestet und mussten deshalb keine Maske tragen.

Aber was hätte das schon an Wut auf Politikerinnen und Politiker in den Facebook-Kommentaren gebracht?

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Maaßen erneut maßlos, Reichelts Radikalisierung, Genital-Effekte

1. Pfeifen Sie Maaßen zurück, Herr Laschet
(djv.de, Hendrik Zörner)
CDU-Rechtsaußen Hans-Georg Maaßen hat die öffentlich-rechtlichen Sender als “Propagandamedien” bezeichnet. Hendrik Zörner vom Deutschen Journalisten-Verband kommentiert: “Dass die Kandidatur des Rheinländers Maaßen im fernen Thüringen nur möglich wurde, weil die CDU-Bundeszentrale dort ein Durchsetzungsproblem hat, ist hinreichend berichtet worden. Das entbindet die Partei und ihren Vorsitzenden, den Kanzlerkandidaten Armin Laschet, nicht von der Verantwortung für die rechtsextremen Ausfälle ihres Kandidaten Hans-Georg Maaßen. Wann greifen Sie endlich durch, Herr Laschet?”

2. Bild-Chef gibt “Querdenkern” Interview – Wie sehr hat sich Reichelt radikalisiert?
(volksverpetzer.de, Andreas Bergholz)
Dem “Volksverpetzer” ist eine unheilvolle Entwicklung bei Deutschlands größtem Boulevardblatt aufgefallen: “Seit Wochen ist beim Axel-Springer Medium ‘BILD’ eine Anbiederung an das ‘Querdenken’-Lager zu beobachten. Allen voran Chefredakteur Julian Reichelt fällt vermehrt mit einer ‘Querdenken’-Rhetorik auf, die von der extremistischen Bewegung auch gehört und gefeiert wird. Spitze des Eisberges ist nun, dass er in der Szene bekannten Verschwörungsideolog:innen (Martin LeJeune und Anne Höhne) ein Interview gegeben hat.”

3. Wenn Künstliche Intelligenz das Forum moderiert
(deutschlandfunk.de, Stephan Beuting, Audio: 5:33 Minuten)
Klassische Nachrichtenmedien versuchen, ihre Kommentarspalten im Netz nicht von Hasspostings dominieren zu lassen, und setzen dabei sowohl auf Moderatoren als auch auf die Unterstützung durch Künstliche Intelligenz. Die “Rheinische Post” (“RP”) nutzt eine ausgeklügelte Software, die durch öffentliche Gelder gefördert wurde. Hannah Monderkamp leitet das Audience-Development-Team der “RP”, Lilli Stegner ist als Community-Managerin tätig. Beim Deutschlandfunk erklären sie, worauf es bei der Kommentarmoderation ankommt.

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4. Was für eine Pimmelei
(netzpolitik.org, Markus Reuter)
Hamburgs Innensenator Andy Grote wurde auf Twitter von einem Nutzer beleidigt. Daraufhin rückte die Polizei morgens um 6 Uhr zu sechst zur Hausdurchsuchung bei der Meldeadresse des Beleidigers an, in der auch kleine Kinder wohnen sollen. Ein Vorgehen, dass von Laien wie auch von Experten als vollkommen unverhältnismäßig eigestuft wird. Für den Beleidigten war es zudem kontraproduktiv, wie Markus Reuter kommentiert: “Mit dieser Art des Vorgehens hat der Innensenator seinen Namen nun für immer mit dem Wort Pimmel in Verbindung gebracht. Ein klassischer Fall von Streisand-Effekt. Herzlichen Glückwunsch!”

5. Influencerinnen dürfen manche Produktbeiträge ohne Werbehinweis verbreiten
(spiegel.de)
In einem lange erwarteten Urteil hat der Bundesgerichtshof zum Thema Produktplatzierungen bei Influencerinnen und Influencern entschieden. Das Urteil geht auf Klagen gegen die Moderatorin und Influencerin Cathy Hummels, die Fashion-Influencerin Leonie Hanne und die Fitness-Influencerin Luisa-Maxime Huss zurück, denen von einem Verband Schleichwerbung vorgeworfen worden war.

6. ZDF warnt vor “Bares für Rares”-Betrügern
(rnd.de)
Das ZDF warnt in den Sozialen Medien vor Trickbetrügern, die sich als Mitarbeiter der ZDF-Trödelshow “Bares für Rares” vorstellen: “Bitte lasst diese Personen nicht in eure Wohnung und passt auf euch auf.”

Die Opfer von “Bild” (11)

So sieht es aus, wenn ein “Bild”-Reporter witwenschügewissenhaft recherchiert:

Screenshot von BILD.de: Ein Foto von drei Personen, die auf einem Sofa sitzen; links eine Frau, in der Mitte ein Mann, der Fotos in der Hand hält, rechts ein weiterer Mann; dazu die Bildunterschrift: "Zwei Monate nach dem Unfall auf dem Gardasee, bei dem [Name] und [Name] totgerast wurden, trifft BILD-Reporter Jörg Völkerling [Name]s Eltern [Name] und [Name] in Maderno. Foto: Stefano Laura"
(Unkenntlichmachung von uns.)

Die Eltern, neben denen “Bild”-Mann Jörg Völkerling hier auf dem Sofa sitzt, haben vor Kurzem Ihre Tochter verloren. Sie starb mit ihrem Lebensgefährten bei einer Bootskollision auf dem Gardasee, die zwei Männer aus Deutschland verursacht haben sollen.

Bebildert ist der Artikel auch mit einem Foto der verstorbenen Frau, das der Reporter laut eigenen Angaben von den Eltern mitgegeben bekommen hat (und das auch davor schon oft von “Bild” veröffentlicht worden war):

Screenshot von BILD.de: Ein Foto einer Trauerkarte, auf dem die verstorbene Frau abgebildet ist, dazu ihr Name, ihr Geburts- und Todesdatum; dazu die Bildunterschrift: "Diese Trauerkarte haben die Eltern dem BILD-Reporter mitgegeben. [Name] ertrank mit ihrem Freund, nachdem sie von zwei Deutschen auf dem See überfahren wurde. Foto: Robert Gongoli"
(Unkenntlichmachung von uns. Die Eltern haben „Bild“ zwar offenbar eine Erlaubnis gegeben, doch es kommt immer wieder vor, dass Angehörige diese Entscheidung im Nachhinein bereuen.)

Solche Mühe machen sich die Leute von “Bild” aber eher selten, um an Fotos von Opfern zu gelangen. Oft reicht ihnen schon ein schneller Beutezug durch die Sozialen Netzwerke. Wie im Fall zweier Kinder, die bei Überschwemmungen in den USA ums Leben kamen und dann unverpixelt in der “Bild”-Zeitung und auf der Startseite von Bild.de zu sehen waren:

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Todesflut reißt Vater Zwillinge aus den Armen - beide tot", dazu ein Foto derÜberschwemmungen, ein Foto der Kinder und der rot hinterlegte Button "MIT VIDEO"
(Unkenntlichmachung von uns.)

Das Foto hat “Bild” sich auf Facebook besorgt.

Ebenso wie das einer Familie, deren Vater in Florida erschossen wurde:

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Vater eiskalt erschossen - weil er sein Baby schützen wollte", dazu ein großes Foto der Familie
(Unkenntlichmachung von uns.)

Auch in ausländischen Medien besorgt sich die “Bild”-Redaktion immer wieder Fotos von Opfern. Etwa das eines zweijährigen Mädchens, das in Brasilien durch einen Stromschlag ums Leben kam:

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "STROMSCHLAG! Mädchen (2) stirbt durch Handy-Ladegerät", dazu ein Foto des Mädchens und ihrer Mutter
(Unkenntlichmachung von uns.)

Oder das zweier Brüder aus den USA, die innerhalb von zwölf Stunden beide an Corona starben:

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Sie starben innerhalb von 12 Stunden - Mutter verliert ungeimpfte Söhne an Corona", dazu ein großes Foto der Mutter und ihrer Söhne
(Unkenntlichmachung von uns.)

All diese Artikel sind innerhalb einer einzigen Woche (23. Bis 29. August) erschienen. Insgesamt veröffentlichten die “Bild”-Medien in diesem Zeitraum mindestens 35 Mal Fotos von Menschen, die Opfer eines Unglücks oder Verbrechens geworden sind, davon acht Mal Kinder. Die meisten davon waren, wie üblich, in keiner Weise unkenntlich gemacht.

Dabei hat “Bild” in der gleichen Woche selbst gezeigt, dass es auch anders geht:

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Vor den Augen ihrer Cousine - Frau stürzt 50 Meter in den Tod - wegen TikTok-Video"

Verpixelt wurden die Gesichter in diesem Fall nicht von uns, sondern von “Bild”.

Warum die beiden – im Gegensatz zu so vielen anderen – nicht gezeigt werden, erklärt “Bild” nicht. Klar ist aber: Geklickt und verbreitet wurde der Artikel trotzdem; allein bei Facebook sammelte er tausende Reaktionen. Dass diese Tatsache in der “Bild”-Redaktion die Erkenntnis reifen lässt, dass eben nicht jede Tragödie ein Gesicht braucht, wäre aber wohl doch zu viel erwartet.

***

Nach einem Verbrechen oder Unglück in Social-Media-Profilen zu wühlen und daraus Fotos der Opfer zu veröffentlichen, ist redaktioneller Alltag bei “Bild”. Häufig erscheinen solche Fotos ohne jede Verpixelung und ohne Zustimmung der Angehörigen oder Hinterbliebenen.

In vielen Fällen werden Freunde, Kollegen oder Familienmitglieder sogar von Reportern bedrängt, damit sie Fotos der Menschen herausrücken, die sie gerade verloren haben.

“Bild” begründet die Veröffentlichung solcher Bilder damit, dass “nur so” die Tragik “deutlich und fassbar” werde.

Wie jedoch viele Betroffene selbst darüber denken, kann man zum Beispiel hier nachlesen. Dort sagt der Vater eines Mädchens, das beim Amoklauf von Winnenden getötet wurde und deren Foto in den Tagen darauf immer wieder in der “Bild”-Zeitung erschien:

Die “Bild”-Zeitung und andere, auch Fernsehsender, ziehen Profit aus unserem Leid! Dreimal hintereinander sind Bilder [unserer Tochter] erschienen, ohne dass wir das gewollt hätten. Wir hätten das nie erlaubt. Die reißen die Bilder an sich und fragen nicht danach, was wir Hinterbliebenen denken und fühlen.

Pressekodex Richtlinie 8.2

Die Identität von Opfern ist besonders zu schützen. Für das Verständnis eines Unfallgeschehens, Unglücks- bzw. Tathergangs ist das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich. Name und Foto eines Opfers können veröffentlicht werden, wenn das Opfer bzw. Angehörige oder sonstige befugte Personen zugestimmt haben, oder wenn es sich bei dem Opfer um eine Person des öffentlichen Lebens handelt.

In einem Interview in unserem Buch sagt ein anderer Betroffener, dessen Bruder bei einem Skiunfall gestorben ist und später ohne Erlaubnis der Angehörigen groß auf der Titelseite der ”Bild”-Zeitung zu sehen war:

Das war eines der schlimmsten Dinge an der Geschichte: Dass die “Bild” die Kontrolle darüber hat, mit welcher Erinnerung mein Bruder geht. Dass das letzte Bild von der “Bild”-Zeitung kontrolliert wird und nicht von ihm selbst oder von uns.

Auch in anderen Medien kommt es vor, dass solche Fotos veröffentlicht werden. Doch niemand macht es so häufig und so eifrig wie “Bild”. Mehr als die Hälfte aller Rügen, die der Presserat je gegen die “Bild”-Medien ausgesprochen hat, bezog sich auf die unzulässige Veröffentlichung von Opferfotos.

Um zu verdeutlichen, in welchem Ausmaß “Bild” auf diese Weise Profit aus dem Leid von Menschen zieht, wollen wir hier regelmäßig dokumentieren, wie häufig die “Bild”-Medien solche Fotos veröffentlichen.

Rüge für Scheuer, Hass verlagert sich, Im Zweifel die Radfahrer

1. Humanitärer Schutz für afghanische Journalisten
(reporter-ohne-grenzen.de)
Reporter ohne Grenzen fordert humanitären Schutz für afghanische Journalisten und Journalistinnen und appelliert an das Bundesinnenministerium: “Afghanische Medienschaffende, die sich in ihrer Verzweiflung an Auslandsvertretungen in Nachbarländern wenden, müssen humanitären Schutz in Deutschland bekommen. Das gleiche gilt für jene Journalistinnen und Journalisten, die mit unserer Unterstützung und mithilfe des US-Militärs nach Deutschland gelangt sind. Mit humanitären Visa kann die Bundesregierung nicht nur Leben retten, sondern auch ermöglichen, dass Journalistinnen und Journalisten aus dem Exil heraus weiterarbeiten können.”

2. Dicke Rüge für Minister Scheuer wegen Intransparenz
(netzpolitik.org, Alexander Fanta)
Das Bundesverkehrsministerium torpediert kritische Berichterstattung. In internen E-Mails des Ministeriums, die Medien vorliegen, zeigt sich, dass Minister Andreas Scheuer Anweisung gab, eine Recherche des “Spiegel” zu unterlaufen. Die Herausgabe des vollständigen Mail-Wechsels verweigere das Ministerium aber. Dies könne die “mediale Wahrnehmung” Scheuers verzerren und sich im Untersuchungsausschuss nachteilig für ihn auswirken. Ulrich Kelber, Bundesbeauftragter für den Datenschutz und für die Informationsfreiheit, reagierte darauf mit dem stärksten Instrument, das ihm zur Verfügung steht: der Beanstandung. “Konsequenzen hat sie keine, aber sie hebt Scheuers Haus als besonders intransparent hervor.”

3. “Jeder wird bald Klimareporter sein”
(journalist.de, Wolfgang Blau)
Die Klimakrise wird das am härtesten umkämpfte Themenfeld im Journalismus, prophezeit Wolfgang Blau in seinem Gastbeitrag für den “journalist”. Blau rät zu einem Umdenken in den Redaktionen: “Wenn etwa der Sportjournalismus finanzielle Aspekte eines Spielertransfers, eines Vereins oder Turniers erwähnt, wundert sich kaum jemand. Es ist höchste Zeit, dass die Klima-Aspekte einer Nachricht oder Reportage mit der gleichen Selbstverständlichkeit und in allen Ressorts auftauchen.”

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4. “Eigentlich könnte man jeden Tag eine solche Sendung machen”
(dwdl.de, Alexander Krei)
Im aktuellen Wahlkampf kommt den sogenannten Triellen eine besondere Bedeutung zu. Sonntag findet das zweite Triell statt, dieses Mal moderiert vom ARD-Chefredakteur Oliver Köhr und der ZDF-Talkerin Maybrit Illner. “DWDL” sprach mit Illner über das Konstrukt der Sendung, die Politisierung der Gesellschaft und Politiker, die sich nicht festlegen wollen.

5. Im Zweifel hat der Radfahrer Schuld
(deutschlandfunk.de, Dieter Wulf, Audio: 6:04 Minuten)
Der Fahrradclub ADFC kritisiert die Polizei- und Presseberichte über Unfälle, in denen Fahrradfahrer und -fahrerinnen beteiligt sind. In ihren Pressemitteilungen stelle es die Polizei häufig so dar, als hätten Radfahrer Fehler gemacht. Die Person im Auto bleibe dagegen meist unsichtbar. Diese Perspektive werde dann von Medien oft übernommen.

6. Digi­taler Hass geht zurück – bei Face­book
(lto.de, Hasso Suliak)
Die Strafrechtlerin Elisa Hoven hat zusammen mit einem Medienwissenschaftler und einem Wirtschaftsinformatiker die Publikumskommentare auf Facebook-Seiten deutscher Massenmedien in den Jahren 2018 und 2020 erfasst und dabei Verblüffendes festgestellt: Der Hass bei Facebook habe in den vergangenen Jahren eher abgenommen. Dies sei leider kein Grund zur Entwarnung: “Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass der digitale Hass nicht schwindet, sondern weniger sichtbar wird, indem er sich z.B. von eher transparenten Facebook-Seiten in schwieriger zu kontrollierende Zonen wie Telegram-Chats verlagert.”

Journalistische Interessenkonflikte, Bürgertalk, Scientist-Rebellion-Leak

1. “Politisches oder sonstiges Engagement sind generell kein Ausschlussfaktor”
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock war Anfang der Woche in der “Wahlarena” der ARD zu Gast. Im Verlauf des Abends meldeten sich unter anderem zwei Männer zu Wort, die sich jeweils mit ihrem Namen vorstellten. Bei dem einen handelt es sich um ein Mitglied der AfD-Bürgerschaftsfraktion in Lübeck, bei dem anderen offenbar um einen Mitarbeiter des zweitgrößten deutschen Stromerzeugers. Dies wurde jedoch nicht offen kommuniziert. Boris Rosenkranz fragt: “Ein Bürgertalk, in dem auch aktive Parteipolitiker sitzen und Mitarbeiter großer Konzerne – wäre es nicht relevant fürs Publikum, zu wissen, wer diese Leute sind und welchen Hintergrund sie haben?”

2. Journalistische Interessenkonflikte
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers, Audio: 6:00 Minuten)
Der Fernsehsender RTL will seriöser, nachrichtlicher und politischer werden und hat dazu öffentlich-rechtliche Nachrichtengrößen wie Jan Hofer und Pinar Atalay engagiert. Eine wichtige Rolle in der RTL-Politik-Berichterstattung nimmt auch Chefreporterin Franca Lehfeldt ein, die seit Jahren mit FDP-Spitzenkandidat Christian Lindner liiert ist. Das kann zu möglichen Interessenkonflikten führen.

3. Keine Pressefreiheit im Baumhaus
(freelens.com, David Klammer)
Der Fotograf und Dokumentarfilmer David Klammer war im Dannenröder Forst, um Aufnahmen der dortigen Proteste zu machen. Jetzt soll er dafür zahlen, dass die Polizei ihn aus Baumhäusern geräumt hat. “Ein Unding”, finden Klammer und dessen Anwalt, sie haben Beschwerde eingelegt. Freelens, ein Berufsverband für Fotojournalistinnen und Fotografen, unterstützt David Klammer in dem nun anstehenden Rechtsstreit mit dem Land Hessen.

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4. “Ein Leak – weil es dramatisch ist”
(tagesschau.de, Ingrid Bertram)
Der dritte Teil des Berichts des Weltklimarats (IPCC) soll eigentlich erst im März 2022 veröffentlicht werden. Der Entwurf wurde jedoch bereits im August von einer Organisation namens Scientist Rebellion an Medien geleakt. Die “Tagesschau” hat sich mit den Aktivisten und Aktivistinnen über deren Beweggründe und konkrete Sorgen unterhalten.

5. Kritik am Prozess gegen den Produzenten des Ibiza-Videos
(netzpolitik.org, Markus Reuter)
In einer gemeinsamen Stellungnahme kritisieren mehrere Menschenrechtsorganisationen und Journalistenverbände die “ausufernde Strafverfolgung” gegen den Produzenten des Ibiza-Videos. Sie appellieren: “Die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden muss objektiv und parteiunabhängig erfolgen. Schon der Anschein der politischen Einflussnahme auf die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden birgt eine Gefahr für den Rechtsstaat. Bis Ende 2021 hat Österreich Zeit, die EU-Richtlinie zum Schutz von Whistleblower*innen umzusetzen. Bei diesem wichtigen Projekt muss besonders acht auf den Schutz von Hinweisgeber*innen gelegt werden.”

6. “Bild”-Zeitung muss künftig im Sondermüll entsorgt werden
(der-postillon.com)
“Der Postillon” hat wie immer Informationen, die (aus nachvollziehbaren Gründen) sonst keiner hat: “Nach Appellen von Umweltexperten ist heute die Abfallverzeichnis-Verordnung (AVV) ergänzt worden, die festlegt, wie Abfälle entsorgt werden müssen. Das teilte die Arbeitsgemeinschaft der Sonderabfall-Entsorgungs-Gesellschaften der Länder (AGS) mit. Demnach müssen sämtliche Exemplare der ‘Bild’-Zeitung künftig in den Sondermüll gegeben werden.”

Die Opfer von “Bild” (10)

Vor dem Landgericht Kiel läuft zurzeit ein Prozess gegen einen Mann, der zwei Frauen getötet haben soll. “Bild” berichtet ausführlich darüber und zeigt dabei immer wieder unverpixelte Fotos der Opfer:

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Polizei-Pannen im Fall des mutmaßlichen Prostituierten-Killers - KÖNNTE SIE NOCH LEBEN?", dazu ein Foto eines der Opfer und ein Foto des Verdächtigen
(Unkenntlichmachungen von uns.)

Vor dem Landgericht Berlin läuft zurzeit ein Prozess gegen einen Mann, der einen Mann getötet haben soll. “Bild” berichtet auch darüber ausführlich und zeigt dabei immer wieder Fotos des Opfers. Bloß: Während die Frauen im oben genannten Fall von “Bild” keinerlei Unkenntlichmachung bekommen, wird das Gesicht des männlichen Opfers jedes Mal verpixelt, zumindest seine Augenpartie:

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "'Kannibale von Pankow' vor Gericht - Opfer kam mit Bier und Viagra zum Date", dazu ein Foto des Verdächtigen vor Gericht, der sein Gesicht mit einem Ordner bedeckt, sowie ein Porträtfoto des Opfers
(Unkenntlichmachung der Augen von “Bild”, restliche Unkenntlichmachung von uns.)

Daran lässt sich, wie so oft, die Willkür erkennen, die “Bild” bei der Unkenntlichmachung von Opfern walten lässt. Warum der Mann, die Frauen aber nicht? Und warum nur teilweise und nicht komplett?

In einem anderen Fall, bei einer Familie, die in Italien bei einem Seilbahnunglück ums Leben kam, hat “Bild” hingegen alle Gesichter vollständig verpixelt:

Screenshot von BILD.de: Ein Foto einer Familie, dazu die Bildunterschrift: "[Name]s Mutter [Name] (✝26), sein Vater [Name] (✝30) und sein Brüderchen [Name] (✝2) starben bei dem Unglück. Die Familie des Jungen hat BILD das Foto zur Verfügung gestellt. Foto: Facebook"
(Unkenntlichmachung der Gesichter von “Bild”, Unkenntlichmachung der Namen von uns.)

Das – und die Tatsache, dass in diesem Fall offenbar die Zustimmung der Angehörigen vorlag – ist jedoch die absolute Ausnahme. In der Regel gibt es weder eine Erlaubnis noch eine Unkenntlichmachung. (Hinzu kommt in diesem Fall: “Bild” hat zwar die Gesichter verpixelt, nennt aber so viele persönliche Details, dass sie trotzdem problemlos identifizierbar sind.)

Es kommt auch immer mal wieder vor, dass ein Gesicht online verpixelt ist, in der Printausgabe aber nicht. Und es kommt auch vor, dass “Bild”, wenn man fragt, warum das so ist, für den Hinweis dankt und das Gesicht online wieder entpixelt.

Diese Willkür herrscht nicht nur bei den Fotos von Opfern, sondern auch von Tätern und Verdächtigen. Etwa in den Beispielen vom Anfang: Den Angeklagten im Berliner Mordprozess zeigt “Bild” nur mit schwarzem Augenbalken. Im Kieler Mordprozess bekommt der Angeklagte hingegen keinen schwarzen Balken.

Und in einem anderen Fall erklärt “Bild” mit spürbarem Widerwillen:

Screenshot einer Bildunterschrift auf BILD.de: "Dieser Mann soll einer der brutalen Schläger sein. Wegen seiner Persönlichkeitsrechte muss BILD ihn unkenntlich machen. Foto: privat"

In den meisten Fällen aber spricht die Redaktion sowohl Verdächtigen als auch Opfern die Persönlichkeitsrechte kurzerhand ab und zeigt sie ohne jede Verpixelung.

***

Insgesamt veröffentlichten die “Bild”-Medien in jener Woche (16. bis 22. August) mindestens 16 Mal Fotos von Menschen, die Opfer eines Unglücks oder Verbrechens geworden sind. (Dass die Zahl diesmal relativ niedrig ist, liegt vermutlich daran, dass in diesem Zeitraum die Ereignisse in Afghanistan, die bevorstehende Bundestagswahl und der Start von “Bild TV” einen großen Teil der Berichterstattung einnahmen.) In drei Fällen waren die Gesichter verpixelt, in zwei Fällen die Augen. In zwölf Fällen verzichtete “Bild” auf jede Unkenntlichmachung.

Gezeigt wurde zum Beispiel das Gesicht eines Mannes, der starb, als er eine ertrinkende Frau retten wollte:

Ausriss aus der BILD-Zeitung: "[Name] (47) wollte Urlauberin helfen - beide tot! - RETTUNGSSCHWIMMER von Sylt starb als Held", dazu ein Foto des Strands, ein Foto des Wohnwagens des Mannes und ein großes Foto von ihm selbst
(Unkenntlichmachungen von uns.)

Und das Gesicht eines 11-jährigen Jungen, der 2004 getötet wurde:

Screenshot von BILD.de: Ein großes Porträtfoto des Jungen, dazu die Bildunterschrift: "Der 11-jährige [Name] wurde 2004 verschleppt und getötet"
(Unkenntlichmachungen von uns.)

Und erneut das Gesicht eines Mannes, der nach einer Partynacht ertrunken ist:

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Knast, weil sie ihren Kumpel ertrinken ließen", dazu ein großes Foto des Opfer, zwei Fotos der Angeklagten sowie das Bild-Plus-Logo
(Unkenntlichmachungen von uns.)

Und erneut die Gesichter eines Paares, das bei einer Bootskollision ums Leben kam:

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Deutsche sollen junges Paar auf Gardasee totgerast haben - DAS zeigen die Aufnahmen einer Überwachungskamera", dazu ein Bild der Überwachungskamera sowie zwei Porträtfotos der Opfer
(Unkenntlichmachungen von uns.)

Und erneut das Gesicht einer Frau, die von ihren Brüdern getötet worden sein soll:

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Polizei findet wichtigen Zeugen - Taxifahrer fuhr die Killer-Brüder von [Name] zum Bahnhof", dazu ein Foto des Taxis sowie ein Foto der Frau
(Unkenntlichmachung von uns.)

Als Quelle steht unter den meisten dieser Fotos: “Privat”.

***

Nach einem Verbrechen oder Unglück in Social-Media-Profilen zu wühlen und daraus Fotos der Opfer zu veröffentlichen, ist redaktioneller Alltag bei “Bild”. Häufig erscheinen solche Fotos ohne jede Verpixelung und ohne Zustimmung der Angehörigen oder Hinterbliebenen.

In vielen Fällen werden Freunde, Kollegen oder Familienmitglieder sogar von Reportern bedrängt, damit sie Fotos der Menschen herausrücken, die sie gerade verloren haben.

“Bild” begründet die Veröffentlichung solcher Bilder damit, dass “nur so” die Tragik “deutlich und fassbar” werde.

Wie jedoch viele Betroffene selbst darüber denken, kann man zum Beispiel hier nachlesen. Dort sagt der Vater eines Mädchens, das beim Amoklauf von Winnenden getötet wurde und deren Foto in den Tagen darauf immer wieder in der “Bild”-Zeitung erschien:

Die “Bild”-Zeitung und andere, auch Fernsehsender, ziehen Profit aus unserem Leid! Dreimal hintereinander sind Bilder [unserer Tochter] erschienen, ohne dass wir das gewollt hätten. Wir hätten das nie erlaubt. Die reißen die Bilder an sich und fragen nicht danach, was wir Hinterbliebenen denken und fühlen.

Pressekodex Richtlinie 8.2

Die Identität von Opfern ist besonders zu schützen. Für das Verständnis eines Unfallgeschehens, Unglücks- bzw. Tathergangs ist das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich. Name und Foto eines Opfers können veröffentlicht werden, wenn das Opfer bzw. Angehörige oder sonstige befugte Personen zugestimmt haben, oder wenn es sich bei dem Opfer um eine Person des öffentlichen Lebens handelt.

In einem Interview in unserem Buch sagt ein anderer Betroffener, dessen Bruder bei einem Skiunfall gestorben ist und später ohne Erlaubnis der Angehörigen groß auf der Titelseite der ”Bild”-Zeitung zu sehen war:

Das war eines der schlimmsten Dinge an der Geschichte: Dass die “Bild” die Kontrolle darüber hat, mit welcher Erinnerung mein Bruder geht. Dass das letzte Bild von der “Bild”-Zeitung kontrolliert wird und nicht von ihm selbst oder von uns.

Auch in anderen Medien kommt es vor, dass solche Fotos veröffentlicht werden. Doch niemand macht es so häufig und so eifrig wie “Bild”. Mehr als die Hälfte aller Rügen, die der Presserat je gegen die “Bild”-Medien ausgesprochen hat, bezog sich auf die unzulässige Veröffentlichung von Opferfotos.

Um zu verdeutlichen, in welchem Ausmaß “Bild” auf diese Weise Profit aus dem Leid von Menschen zieht, wollen wir hier regelmäßig dokumentieren, wie häufig die “Bild”-Medien solche Fotos veröffentlichen.

False-Balance-Debatte, Baerbock Hauptziel, Schweigers Impf-Gerede

1. Böhmermann attackiert Lanz: Wie groß ist die Gefahr der False Balance?
(rnd.de, Imre Grimm)
Bei der “Langen Nacht der Zeit” haben “Zeit”-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo, Satiriker Jan Böhmermann und ZDF-Moderator Markus Lanz über “Macht und Ohnmacht des politischen Journalismus” gesprochen. Bei einem Schlagabtausch zwischen Böhmermann und Lanz ging es um die Frage, ob man viel kritisierte Corona-Forscher wie Alexander Kekulé oder Hendrik Streeck eine breite TV-Bühne bieten soll. Dabei fiel auch das Stichwort der “False Balance”. Imre Grimm fasst die Argumentation der Gesprächspartner zusammen und ordnet das Ganze ein.

2. Viel Weißraum um Nichts – Der Streit um Annalena Baerbock und das “Bild”-Interview
(meedia.de, Tobias Singer)
“Das ist ihre Seite, Frau Baerbock” titelte die “Bild am Sonntag” vorgestern und ließ die Seite weiß. Wie es dazu gekommen war? Baerbock hatte ein Interview aus Termingründen abgesagt. Offenbar beleidigt schrieb die “BamS”: “Annalena Baerbock ist die erste grüne Spitzenkandidatin, die vor einer Bundestagswahl keine Zeit für ein Interview mit Bild am Sonntag hatte.” In seinem Kommentar entgegnet Tobias Singer: “Es gibt kein Recht auf ein Interview, auch nicht für ‘Bild’. Andere mussten da auch durch. Wenn Rezo und Tilo Jung eine Absage von Armin Laschet einfahren, dann ist das vielleicht eine vertane Chance für ein junges Publikum, aber: Es gibt kein Recht auf ein Interview.”

3. Faktenprüfer sehen Annalena Baerbock als Hauptziel von Desinformation
(zeit.de)
Nach einem Bericht des Kampagnennetzwerks Avaaz ist die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock im Vergleich zu anderen Politikern und Politikerinnen derzeit das Hauptziel von Desinformationsnarrativen im Fernsehen, in Print- und Online- sowie in Sozialen Medien. Grundlage der Auswertung seien zwischen dem 1. Januar und dem 31. August dieses Jahres erhobene Daten der Faktencheck-Redaktionen der Deutschen Presse-Agentur, der Nachrichtenagentur AFP und des Rechercheteams von “Correctiv”.

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4. Springer positioniert “Die Welt” als “Zeitung fürs Wesentliche”
(dwdl.de, Alexander Krei)
Der Springer-Konzern hat seine Tageszeitung “Die Welt” gestrafft und relauncht: “Statt für 2,80 Euro ist ‘Die Welt’ künftig für genau zwei Euro zu haben. Allerdings schrumpft auch der Inhalt: Auf regulär 16 Seiten sollen in der Zeitung die einzelnen Stücke ‘pointierter und damit kürzer’ ausfallen, gleichzeitig sollen die Struktur stringenter und die Inhalt stärker gebündelt werden, heißt es. Ein Schritt, der wohl auch als Reaktion auf gesunkene Auflagenzahlen gewertet werden kann.”

5. Dokumentarfilm “Eine andere Freiheit” mit Til Schweiger sorgt für Wirbel
(tagesspiegel.de, Christopher Stolz)
Am Wochenende wurde ein Trailer zu einem, nun ja, Dokumentarfilm veröffentlicht, in dem sich der Schauspieler Til Schweiger gegen die Corona-Impfung für Kinder ausspricht: “Für Kinder ist dieser Virus absolut harmlos. Und die Gefahr von so einer Impfung, die man nicht erforscht hat, ist ungleich höher als der Virus selber. Deswegen halte ich persönlich das für entsetzlich”. Belege für seine Behauptungen nennt er nicht. Außerdem redet Schweiger davon, dass unser Grundgesetz “mehr oder weniger” außer Kraft gesetzt sei. Der “Tagesspiegel” hat dazu einige Stimmen zusammengestellt, darunter auch die des “6-vor-9”-Kurators.

6. Der Beitragsservice und ich
(taz.de, Bert Schulz)
Bert Schulz, Leiter des Berliner “taz”-Büros, erhält eine E-Mail aus der Buchhaltung: Es sei ein Pfändungsbescheid eingegangen, im Auftrag des Rundfunks Berlin-Brandenburg. Es gehe um 888 Euro angeblich nicht bezahlter Rundfunkgebühren. Mit großem Einsatz gelingt es Schulz, die Sache klarzustellen, da flattert eine Nachforderung ins Haus. Nun soll er mehr als 1.200 Euro nachzahlen: “Mein Fall mag ein unglücklicher Einzelfall sein. Eine Häufung dummer Zufälle, die ausgerechnet mich erwischt hat. Auch der Beitragsservice teilt mir mit, man könne sich selbst nicht erklären, wie die falschen Daten übermittelt wurden – und warum keiner der Briefe zurückkam. Dennoch ist mir das alles an die Substanz gegangen, hat mich verwirrt, geärgert, verunsichert. Und ich habe mich mehrmals gefragt: Hätte ich zum Beispiel als 80-Jähriger Kraft und Nerven gehabt, den Irrtum aufzuklären?”

Das Mimimi der “Bild am Sonntag”, Edits aus dem Bundestag, Lanz-Precht

1. Mit freundlichen Edits aus dem Bundestag
(netzpolitik.org, Anna Biselli)
Beim Online-Nachschlagewerk Wikipedia können bekanntermaßen alle mitmachen, und doch stammen viele Artikel zu deutschen Bundestagsabgeordneten von einzelnen Nutzern. Das zeigen Recherchen von netzpolitik.org und Jan Böhmermanns “ZDF Magazin Royale”. Bei manchen Wikipedia-Beiträgen würden die Politiker und Politikerinnen selbst mitschreiben. Die beiden Redaktionen haben die Wikipedia-Artikel der 709 Mitglieder des Bundestags der aktuellen Wahlperiode ausgewertet. Welche Nutzer haben besonders viele Artikel von Politikern und Politikerinnen bearbeitet? Und welche Artikel wurden zu einem Großteil von einem einzigen Nutzer geschrieben? Die dazugehörige Böhmermann-Folge gibt es hier.

2. »Bild am Sonntag« druckt weiße Seite statt Baerbock-Interview
(spiegel.de)
Die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock hat eine Interviewanfrage der “Bild am Sonntag” abgelehnt. Die Wochenzeitung aus dem Hause Springer antwortete gestern mit einer fast leeren Seite und einer Fußnote voller Mimimi.

3. Eva Schulz: “Wir saßen hier auf heißen Kohlen”
(dwdl.de, Senta Krasser)
Für das Format “Nahaufnahme” hat sich Senta Krasser mit der Politikjournalistin Eva Schulz getroffen, dem “Postergirl des Digitaljournalismus”, wie Schulz unlängst in einer Talkshow angekündigt wurde. Eva Schulz betreibt bei funk den Kanal “Deutschland3000 – ‘ne gute Stunde mit Eva Schulz”. Im ARD-Format “Der Raum mit Eva Schulz” sperrt sie vier Menschen mit verschiedenen Meinungen in einen Raum und lässt sie nur wieder raus, wenn sie zusammen spielen, statt gegeneinander zu kämpfen. Was macht ihren Erfolg aus? Und warum geht Armin Laschet zu ihr und nicht zu Rezo?

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4. Red-Bull-Boss Mateschitz startet Medienprojekt “Der Pragmaticus”
(meedia.de)
Der österreichische Milliardär und Red-Bull-Boss Dietrich Mateschitz hatte bereits vor Jahren ein (mittlerweile abgewickeltes) Medienprojekt namens “Addendum” gestartet. Nun unternimmt Mateschitz, dem von vielen Seiten Nähe zum Rechtspopulismus vorgeworfen wird, einen neuen Anlauf. Die Online-Plattform “Der Pragmaticus” wolle ab sofort Expertinnen und Experten Raum geben, abseits von tagespolitischen Debatten in einem großzügigen Umfang ihre Inhalte “unverfälscht” zu publizieren. Das dazugehörige monatliche Printmedium soll eine Auflage von 200.000 Exemplaren haben.

5. Späti statt Regierungsviertel
(taz.de, Emeli Glaser)
Anlässlich der Bundestagswahl gibt es jetzt zwei politische Interview-Formate, die speziell junge Menschen ansprechen sollen: “Ich würde nie …” von Deutschlandfunk Nova und “Kreuzverhör – deine Wahl? von funk. Emeli Glaser hat aufgeschrieben, was ihr an den Formaten gefällt, aber auch was ihr missfällt: “Ähnlich wie bei anderen Politiker:innen-Talks bleibt leider auch bei den jungen Formaten das Gefühl, nicht schlauer herauszugehen, als man gekommen ist – abgesehen von randomisierten Fakten aus dem Privatleben des Gastes. Aber vielleicht liegt das ja am Ende gar nicht nur an den Talks. Sondern auch an den Politiker:innen.”

6. Stimmt’s oder hab ich recht?
(sueddeutsche.de, Corlenius Pollmer)
Wenn sich zwei äußerst erfolgreiche Medien-Promis wie Markus Lanz und Richard David Precht für einen Podcast zusammentun, sind die Erwartungen hoch. Cornelius Pollmer war nach dem Anhören der ersten Folge eher ernüchtert: “Ist alles nicht falsch, was Lanz und Precht sagen, aber es gibt Mitfahrgelegenheiten, da wird man ähnlich gut unterhalten.”

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