Archiv für Juli 9th, 2021

Die Opfer von “Bild” (3)

In der vergangenen Woche haben die “Bild”-Medien mindestens 31 Mal Fotos von Menschen gezeigt, die Opfer eines Unglücks oder Verbrechens geworden sind.

In drei Fällen waren die Gesichter verpixelt, in zwei Fällen die Augen. In 26 Fällen gab es keinerlei Verpixelung.

Nur in einem Fall haben Angehörige der Veröffentlichung laut “Bild”-Angabe zugestimmt (bei einem Mann, der in Tschechien bei einem Tornado ums Leben kam).

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Ohne erkennbare Zustimmung veröffentlichte die “Bild”-Zeitung (wie in der Woche zuvor auch schon in ihrer Onlineausgabe) Fotos einer Frau, die bei dem Messerangriff in Würzburg getötet wurde. Eines davon groß auf der Titelseite:

BILD-Titelseite: "Sie starb für ihre Tochter" - [...] warf sich schützend über ihr Kind als der Islamist bei Woolworth wütete", dazu ein großes Porträtfoto der Frau sowie ein kleineres Foto des Tatverdächtigen, der von der Polizei auf dem Boden festgehalten wird, dazu die Schlagzeilen "'Eklatanter Verdacht auf Terror'" und "Die Akte des Messer-Killers"
Doppelseite aus der BILD-Zeitung: Vier große Artikel zu den Messerangriffen: "DAS GROSSE SCHWEIGEN - Warum in Deutschland nicht offen über den Täter-Hintergrund geredet wird", außerdem "Bayerns Innenminister Herrmann stellt bei BILD Live klar: Es spricht einiges für 'islamistischen Terror'", außerdem "Politiker fordern Ehrung für die Helden von Würzburg", und: "Sterbend warf sich [...] auf ihr Kind", dazu ein großes Foto der Frau, die auf einer Wiese steht und in die Ferne schaut.
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag von uns.)

Woher die Fotos stammen, wird nicht ersichtlich. Eines sieht aus, als sei es durch eine Scheibe hindurch aufgenommen worden.

Bild.de zeigt auch das private Foto einer 16-Jährigen, die an einem Bahnübergang von einem Zug erfasst wurde und starb:

Screenshot von BILD.de: "[...] von Zug überfahren, weil Schranke offen war - Wärterin hätte gar nicht arbeiten dürfen", dazu ein Foto der 16-Jährigen und ein Foto der Unglückstelle

Und die Gesichter zweier Bergsteigerinnen, die in den Alpen ums Leben kamen:

Screenshot von BILD.de: "Rettungsdienst kam zu spät - Zwei Frauen in den Alpen erfroren", dazu ein Foto der beiden Frauen

“Bild am Sonntag” und Bild.de zeigen auch (erneut) Fotos von Menschen, die bei einem Gebäudeeinsturz in Miami starben:

Screenshot von BILD.de: "Hochhaus-Einsturz in Miami - Model telefonierte - dann hörte ihr Mann nur noch Schreie", dazu ein Porträtfoto der Frau und eine Luftaufnahme des eingestürzten Gebäudes
Screenshot von BILD.de: Ein Foto des lachenden Mädchens, dazu die Bilunterschrift "[...] (7),Tochter eines Feuerwehrmanns, wurde tot geborgen", darunter: "Foto: Quelle: Twiiter"

“Foto: Quelle: Twiiter” [sic!]

Veröffentlicht werden seit einigen Wochen auch immer wieder Bilder einer Frau, die in Griechenland getötet wurde, mutmaßlich von ihrem Ehemann (der ebenfalls immer wieder gezeigt wird):

Screenshot von BILD.de: "Bei ihren Eltern schnorrte der Killer Geld - für den Sarg!", dazu ein großes Foto der beiden, auf dem sie ihren Kopf auf seine Schulter legt
Screenshot von BILD.de: "[...] (20) vo den Augen ihrer Tochter getötet - Hat ihr Mann sie ermordet, weil er ein Dealer war?", dazu ein Foto des Mannes im Justizgewahrsam sowie ein Hochzeitsfoto des Paares

Am häufigsten zeigten die “Bild”-Medien in der vergangenen Woche – wie auch in der Woche davor – Fotos eines Paares, das auf dem Gardasee bei einer Kollision zweier Boote gestorben ist:

Screenshot von BILD.de: Foto einer Frau, die vor einer grünen Landschaft steht, Bildunterschrift: "[...] (25) wurde auf dem Grund des Gardasees entdeckt", "Foto: privat"
Screenshot von BILD.de: Foto eines Mannes, der vor einem See steht, Bildunterschrift: "Unternehmer [...] (37) lag tot in dem am Sonntag angespülen Holzboot", "Foto: privat"
Beerdigung von Gardasee-Opfer [...] - 'Wir werden ihr Lachen vermissen'", dazu ein Foto, auf dem ihr Sarg getragen wird sowie das Foto von ihr vor der grünen Landschaft
Screenshot von BILD.de: "Anwältin der Familie von toter [...] listet alle Vergehen auf - Die Schande der deutschen Totraser vom Gardasee", dazu ein großes Porträtfoto der Frau sowie das Bild-Plus-Logo
Ausriss aus der BILD-Zeitung: "Weiße Ballons für [...] (✝25) im Himmel, dazu Fotos der Beerdigung und ein großes Porträtfoto der Frau

Mindestens 18 Mal wurden ihre Gesichter bislang in “Bild”, “Bild am Sonntag” und bei Bild.de gezeigt.

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Nach einem Verbrechen oder Unglück in Social-Media-Profilen zu wühlen und daraus Fotos der Opfer zu veröffentlichen, ist redaktioneller Alltag bei “Bild”. Häufig erscheinen solche Fotos ohne jede Verpixelung und ohne Zustimmung der Angehörigen oder Hinterbliebenen.

In vielen Fällen werden Freunde, Kollegen oder Familienmitglieder sogar von Reportern bedrängt, damit sie Fotos der Menschen herausrücken, die sie gerade verloren haben.

“Bild” begründet die Veröffentlichung solcher Bilder damit, dass “nur so” die Tragik “deutlich und fassbar” werde.

Wie jedoch viele Betroffene selbst darüber denken, kann man zum Beispiel hier nachlesen. Dort sagt der Vater eines Mädchens, das beim Amoklauf von Winnenden getötet wurde und deren Foto in den Tagen darauf immer wieder in der “Bild”-Zeitung erschien:

Die “Bild”-Zeitung und andere, auch Fernsehsender, ziehen Profit aus unserem Leid! Dreimal hintereinander sind Bilder [unserer Tochter] erschienen, ohne dass wir das gewollt hätten. Wir hätten das nie erlaubt. Die reißen die Bilder an sich und fragen nicht danach, was wir Hinterbliebenen denken und fühlen.

Pressekodex Richtlinie 8.2

Die Identität von Opfern ist besonders zu schützen. Für das Verständnis eines Unfallgeschehens, Unglücks- bzw. Tathergangs ist das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich. Name und Foto eines Opfers können veröffentlicht werden, wenn das Opfer bzw. Angehörige oder sonstige befugte Personen zugestimmt haben, oder wenn es sich bei dem Opfer um eine Person des öffentlichen Lebens handelt.

In einem Interview in unserem Buch sagt ein anderer Betroffener, dessen Bruder bei einem Skiunfall gestorben ist und später ohne Erlaubnis der Angehörigen groß auf der Titelseite der ”Bild”-Zeitung zu sehen war:

Das war eines der schlimmsten Dinge an der Geschichte: Dass die “Bild” die Kontrolle darüber hat, mit welcher Erinnerung mein Bruder geht. Dass das letzte Bild von der “Bild”-Zeitung kontrolliert wird und nicht von ihm selbst oder von uns.

Auch in anderen Medien kommt es vor, dass solche Fotos veröffentlicht werden. Doch niemand macht es so häufig und so eifrig wie “Bild”. Mehr als die Hälfte aller Rügen, die der Presserat je gegen die “Bild”-Medien ausgesprochen hat, bezog sich auf die unzulässige Veröffentlichung von Opferfotos.

Um zu verdeutlichen, in welchem Ausmaß “Bild” auf diese Weise Profit aus dem Leid von Menschen zieht, wollen wir hier regelmäßig dokumentieren, wie häufig die “Bild”-Medien solche Fotos veröffentlichen.

“Klima Update”, Muslimfeindlichkeit, Genderdebatte und Sportjournalismus

1. “Der Rechtsstaat im Herzen getroffen”
(deutschlandfunk.de, Sebastian Wellendorf, Audio: 5:55 Minuten)
In Amsterdam wurde am Dienstagabend der bekannte niederländische Kriminalreporter Peter de Vries auf offener Straße niedergeschossen und lebensgefährlich verletzt. Sebastian Wellendorf hat mit der Korrespondentin Kerstin Schweighöfer über die Hintergründe der Tat gesprochen. De Vries habe in mehreren spektakulären Fällen recherchiert und an der Aufklärung mitgewirkt: “Er ist nicht nur Reporter, er hat sich auch als eine Art Privatdetektiv einen Namen gemacht – spezialisiert auf ‘cold cases’. Zum Beispiel hat er einen 20 Jahre alten Mord an einem elfjährigen Jungen gerade erst aufgelöst.” Zudem herrsche gegenüber Journalistinnen und Journalisten in den Niederlanden schon seit Jahren ein feindliches Klima.

2. Türkischer Exiljournalist in Berlin angegriffen
(reporter-ohne-grenzen.de)
Am Mittwochabend ist in Berlin ein regierungskritischer türkischer Journalist von drei Männern angegriffen und verletzt worden. Für Reporter ohne Grenzen kommentiert Christian Mihr: “Wir kennen die Hintergründe der Tat noch nicht, aber dass ein regierungskritischer Journalist aus der Türkei in Berlin angegriffen wird, ist besorgniserregend und könnte andere Exiljournalistinnen und -journalisten im Land einschüchtern. Die Behörden müssen dem Verdacht nachgehen, dass der Angriff mit seiner journalistischen Arbeit zusammenhängt. Medienschaffende im Exil sind vor Repressionen in ihren Heimatländern geflohen. Sie müssen sich hier sicher fühlen können.”

3. Olympiahoffnung: Mehr Frauen im Sport und im Sportjournalismus
(genderleicht.de, Anna E. Poth)
Angesichts der bevorstehenden Olympischen Spiele in Tokio hat der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) die Medien in einem offenen Brief (PDF) dazu aufgerufen, mehr über Sportlerinnen zu berichten: “Unsere Forderung ist: das Gewährleisten einer ausgewogenen und gleichwertigen Sportberichterstattung – ohne stereotype und diskriminierende Darstellungen von Sportlerinnen in Wort und Bild.” Die Initiative “Genderleicht” hat sich mit verschiedenen Fachfrauen über den Einfluss der Genderdebatte auf den Sportjournalismus unterhalten: mit Ulrike Spitz, Pressesprecherin des DOSB, mit Susanne Opitz, langjährige Sportjournalistin und Reporterin für das ZDF, und mit Nina Probst, Chefredakteurin des Sportblogs Sportfrauen.net.

Bildblog unterstuetzen

4. “Klima Update” bei RTL: “Zeichen der Zeit erkannt”
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Lange hatten sich die Verantwortlichen der “Klima-vor-acht”-Initiative für ein regelmäßiges Klimaformat im Ersten eingesetzt, waren dort jedoch regelmäßig abgeblitzt. Konkurrent RTL hat die Gunst der Stunde genutzt und bringt das Format als “Klima Update” auf Sendung, das künftig immer donnerstags und samstags im Anschluss an die Nachrichtensendung “RTL Aktuell” zu sehen sei.

5. Muslimfeindlichkeit: Medien unter Druck
(verdi.de, Bärbel Röben)
Beim Interkulturellen Mediendialog in Frankfurt am Main wurde unter anderem über die Studie “Mediale Wahrnehmung des Islam bei Politiker*innen und Journalist*innen” diskutiert. Bärbel Röben fasst den Vortrag und die anschließende Diskussion zusammen.

6. Donald Trump klagt gegen Twitter, Facebook und Google
(zeit.de)
Der frühere US-Präsident Donald Trump will sich seine Socia-Media-Verbannung nicht gefallen lassen und hat Twitter, Facebook und Google auf Wiederherstellung seiner Accounts verklagt.
Weiterer Lesehinweis in Sachen Twitter: “Ein französisches Gericht ordnet an, dass Twitter seine Moderationspraktiken bei Hassrede offenlegen muss. Geklagt hatten französische Organisationen, die zuvor in einer Studie den nachlässigen Umgang des sozialen Netzwerks mit hetzerischen Inhalten angeprangert hatten.” – “Twitter muss endlich Verantwortung übernehmen” (netzpolitik.org, Denise Stell).