Archiv für Juni, 2021

Die Opfer von “Bild” (1)

Nach einem Verbrechen oder Unglück in Social-Media-Profilen zu wühlen und daraus Fotos der Opfer zu veröffentlichen, ist redaktioneller Alltag bei “Bild”. Häufig erscheinen solche Fotos ohne jede Verpixelung und ohne Zustimmung der Angehörigen oder Hinterbliebenen.

In vielen Fällen werden Freunde, Kollegen oder Familienmitglieder sogar von Reportern bedrängt, damit sie Fotos der Menschen herausrücken, die sie gerade verloren haben.

“Bild” begründet die Veröffentlichung solcher Bilder damit, dass “nur so” die Tragik “deutlich und fassbar” werde.

Wie jedoch viele Betroffene selbst darüber denken, kann man zum Beispiel hier nachlesen. Dort sagt der Vater eines Mädchens, das beim Amoklauf von Winnenden getötet wurde und deren Foto in den Tagen darauf immer wieder in der “Bild”-Zeitung erschien:

Die “Bild”-Zeitung und andere, auch Fernsehsender, ziehen Profit aus unserem Leid! Dreimal hintereinander sind Bilder [unserer Tochter] erschienen, ohne dass wir das gewollt hätten. Wir hätten das nie erlaubt. Die reißen die Bilder an sich und fragen nicht danach, was wir Hinterbliebenen denken und fühlen.

Pressekodex Richtlinie 8.2

Die Identität von Opfern ist besonders zu schützen. Für das Verständnis eines Unfallgeschehens, Unglücks- bzw. Tathergangs ist das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich. Name und Foto eines Opfers können veröffentlicht werden, wenn das Opfer bzw. Angehörige oder sonstige befugte Personen zugestimmt haben, oder wenn es sich bei dem Opfer um eine Person des öffentlichen Lebens handelt.

In einem Interview in unserem Buch sagt ein anderer Betroffener, dessen Bruder bei einem Skiunfall gestorben ist und später ohne Erlaubnis der Angehörigen groß auf der Titelseite der “Bild”-Zeitung zu sehen war:

Das war eines der schlimmsten Dinge an der Geschichte: Dass die “Bild” die Kontrolle darüber hat, mit welcher Erinnerung mein Bruder geht. Dass das letzte Bild von der “Bild”-Zeitung kontrolliert wird und nicht von ihm selbst oder von uns.

Auch in anderen Medien kommt es vor, dass derartige Fotos veröffentlicht werden. Doch niemand macht es so häufig und so eifrig wie “Bild”. Mehr als die Hälfte aller Rügen, die der Presserat je gegen die “Bild”-Medien ausgesprochen hat, bezog sich auf die unzulässige Veröffentlichung von Opferfotos.

Um zu verdeutlichen, in welchem Ausmaß “Bild” auf diese Weise Profit aus dem Leid von Menschen zieht, wollen wir von nun an noch regelmäßiger dokumentieren, wie häufig die “Bild”-Medien solche Fotos veröffentlichen.

***

Für den Start haben wir uns die Woche vom 14. bis 20. Juni genauer angeschaut. Allein in dieser Zeit haben die “Bild”-Medien mindestens 20 Mal Fotos von Menschen gezeigt, die Opfer eines Unglücks oder Verbrechens geworden sind. Davon acht Mal Kinder.

In zwei Fällen waren die Gesichter verpixelt, in vier Fällen war die Augenpartie verpixelt (allerdings waren die Personen anhand anderer persönlicher Informationen im Artikel oder aufgrund der unzureichenden Verpixelung weiterer abgebildeter Familienmitglieder problemlos identifizierbar).

In 14 Fällen gab es keinerlei Verpixelung.

***

Bild.de veröffentlichte zum Beispiel das unverpixelte Foto eines Mannes, der nach einer Partynacht ertrunken war:

Schlagzeile auf der BILD.de-Startseite: Party-Trio lässt besten Kumpel ertrinken - Prozess-Start +++ Tat sogar mit dem Handy gefilmt! [dazu ein Foto des Mannes sowie ein Foto der Stelle, an der er seine Leiche gefunden wurde, an der nun ein Kreuz steht. In der Ecke des Teasers befindet sich das Bild-Plus-Logo]
(Unkenntlichmachung von uns.)

Als Fotoquelle ist nur “Privat” angegeben. Viele andere Medien, die über den Fall berichten, zeigen kein Foto des Opfers (und verpixeln in ihren Artikeln die Gesichter der Angeklagten – im Gegensatz zu Bild.de).

Bild.de und “Bild am Sonntag” zeigen auch das unverpixelte Foto eines demenzkranken Mannes, der in seinem Bett verhungerte (der Artikel handelt vom Prozess gegen zwei Angehörige des Mannes, die wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht stehen).

Schlagzeile bei BILD.de: Ehefrau und Sohn vor Gericht - Demenzkranker verhungert in seinem Bett [im Artikel dann ein großes Foto des Mannes, dazu sein Vorname, sein abgekürzter Nachname und sein Alter]
(Unkenntlichmachungen von uns.)

Das Bild stammt aus einer Traueranzeige, die in einer Regionalzeitung erschienen war. In einem ähnlichen Fall – als “Bild” nach dem Germanwings-Unglück eine Traueranzeige aus einer anderen Zeitung nachgedruckt hatte – wertete der Presserat den Nachdruck als “Verstoß gegen presseethische Grundsätze”, weil “nicht von einer grundsätzlichen Einwilligung zu einer identifizierenden Abbildung für die deutschlandweite Medienöffentlichkeit auszugehen” sei.

“Bild am Sonntag” und Bild.de zeigen auch das unverpixelte Foto eines 12-jährigen Mädchens, das bei einem Hausbrand ums Leben kam.

Ausriss aus der BILD am SONNTAG: In diesem Feuer starb unser Kind - Die Eltern von [...] (12) wollen wissen, was beim Kindergeburtstag geschah [dazu ein großes Foto des Mädchens, ein kleineres Foto, auf dem die Eltern den Schülerausweis des Mädchens in die Kamera halten sowie ein Foto des brennenden Hauses und ein Foto vom Fund des Schülerausweises in den verkohlten Trümmern]
(Unkenntlichmachungen von uns.)

Dieser Fall ist eine seltene Ausnahme, denn offenbar haben die Eltern der Veröffentlichung zugestimmt (sie halten auch ein Foto ihrer Tochter in die Kamera des “Bild”-Fotografen). Doch auch bei solchen Fällen ist Vorsicht geboten. Im November 2015 zum Beispiel veröffentlichte “Bild” das Foto einer Frau, die Opfer eines Verbrechens geworden war und auf der Intensivstation lag – der Bruder der Frau habe der Veröffentlichung ausdrücklich zugestimmt, hieß es im Artikel. Wenig später sagte derselbe Bruder der “Süddeutschen Zeitung”: “Ich war verwirrt, wie im Nebel, und die sagten noch, so ein Foto würde [meiner Schwester] nützen”. Inzwischen bereue er es, der Veröffentlichung zugestimmt zu haben. Bei Bild.de ist das Foto heute noch online.

Politmagazine seltener?, “Bild” und “Welt” verlieren, Kino-Status

1. ARD-Intendanten überlegen, seltener Politmagazine auszustrahlen
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Nach Informationen von “Übermedien” überlege die ARD, ihre Politmagazine vom kommenden Jahr an seltener auszustrahlen. Das würde Sendungen wie “Panorama”, “Monitor”, “Kontraste”, “Fakt”, “Report Mainz” und “Report München” betreffen. Stefan Niggemeier hat sich umgehört, womit dieser mögliche Schritt begründet wird, und fragt: “Geht es wirklich darum, nach zeitgemäßen Formaten für die digitale Welt zu suchen, oder will man auch lästige Redaktionen zurechtstutzen?”

2. AWA 2021: “Sport Bild”, “Focus” und “Bunte” die größten von vielen Verlierern
(meedia.de, Jens Schröder)
Die aktuelle Markt- und Werbeträgeranalyse des Allensbach-Instituts (oder ganz korrekt: des “Instituts für Demoskopie Allensbach”) weist unter anderem die Reichweite verschiedener Printmedien aus. Nummer 1 im Reichweitenranking ist die “Apotheken Umschau”. Zu den größten Verlierer zählen “Sport Bild”, “Focus” und “Bunte”, die im Vergleich zu 2020 jeweils Verluste von mehr als 400.000 Lesern pro Ausgabe hinnehmen mussten. Bei den überregionalen Zeitungen haben “Bild” und “Welt” kräftig verloren.

3. Wie die Corona-Krise der Psyche von Journalisten schadet
(de.ejo-online.eu, Sarah Karacs)
Das European Journalism Observatory hat Journalistinnen und Journalisten befragt, ob und wie sich die Covid-19-Berichterstattung auf ihre eigene psychische Gesundheit ausgewirkt hat. Die Psychologin Esther Perel kommentiert: “Redaktionen befinden sich in einem Zustand der Trauer und haben im letzten Jahr enorme Verluste erlitten. Sie befinden sich in einem Zustand des kollektiven Traumas, und die Journalisten sind erschöpft.” Sie seien “Teil der Geschichte, über die sie berichten.”

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4. Russische Polizei durchsucht Wohnungen mehrerer Investigativjournalisten
(spiegel.de)
Der Kreml erhöht weiter den Druck auf die letzten verbliebenen unabhängigen Medien des Landes. Diesmal hat es die russische Rechercheplattform “Proekt.media” erwischt, gegen die die Polizei mit großer Härte vorgegangen sei. Ein möglicher Hintergrund der Aktion: Die Seite habe offenbar kurz vor der Veröffentlichung einer Recherche über den Innenminister gestanden.

5. Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk, neu gedacht!
(blog.wikimedia.de, Bernd Fiedler)
Wikimedia Deutschland hat erneut einen “Runden Tisch Freie Lizenzen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk” veranstaltet und dazu verschiedene Repräsentanten aus öffentlich-rechtlichem Rundfunk, Politik und Zivilgesellschaft eingeladen. Dabei hat man auch eine Bilanz der vergangenen Jahre gezogen. Positiv habe sich beispielsweise das ZDF geäußert: “Seit über einem Jahr stellen wir im ZDF ausgewählte Clips von Terra X unter CC-Lizenz zur Verfügung. Unsere Bilanz fällt sehr positiv aus. Allein über die Wikipedia konnten wir schon über 15 Millionen Abrufe sammeln. Auch die Rückmeldungen von den Schulen sind positiv.”

6. “Mit Mittelware durchmogeln war schon vor der Pandemie vorbei”
(medienpolitik.net, Helmut Hartung)
Christian Bräuer ist Vorstandsvorsitzender der AG Kino und weiß daher, wie es der Branche geht. Im Interview kritisiert er das uneinheitliche Regelungsdickicht von Corona-Auflagen sowie die Konzentration von Marktmacht: “Die Effekte der Pandemie wird der gesamte Medienmarkt noch auf Jahre bis Jahrzehnte spüren. Während wir in Europa noch damit beschäftigt sind, die Folgen der Pandemie abzufedern, beobachten wir in den USA eine wahnsinnige Marktdynamik. Der Trend zur Konzentration von Marktmacht hat sie durchaus beschleunigt, auch wenn er vorher schon vorhanden war.”

Mission Mali-Berichterstattung, Im Fadenkreuz, Journalismusschule

1. Mission Berichterstattung
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers, Audio: 7:30 Minuten)
Seit gut acht Jahren sind deutsche Soldaten und Soldatinnen im afrikanischen Krisenstaat Mali stationiert. Gerade jetzt, wo zwölf deutsche Soldaten bei einem Anschlag verletzt wurden, sei das Interesse der Medien an der Mission groß, doch das sei nicht immer so gewesen: “Deutsche Medien haben sich überwiegend, mit wenigen Ausnahmen, null dafür interessiert”, so die Einschätzung des Journalisten Thomas Wiegold.

2. Menschen im Fadenkreuz des rechten Terrors
(correctiv.org)
“Correctiv” hat das Projekt “Menschen – Im Fadenkreuz des rechten Terrors” gestartet und präsentiert auf seiner Webseite 57 Porträts: “Es handelt sich um Menschen, die Neonazis und Rechtsextreme auf sogenannte ‘Feindeslisten’ setzten. Es sind Lehrerinnen, Politiker, Journalistinnen, Wissenschaftler. Sie sind unsere Gesellschaft. Sie haben Träume, Wünsche und eine Vergangenheit. Wir wollen ihnen ein Gesicht und eine Stimme geben. In Deutschland stehen mehr als 20.000 Menschen auf solchen Listen.”

3. ARD bietet runden Tisch an
(sueddeutsche.de, Stefan Fischer)
In einem offenen Brief haben sich rund 250 Hörspielautoren, -regisseurinnen und -musiker an ARD sowie Deutschlandradio gewandt. Sie befürchten nachteilige Auswirkungen des neuen Medienstaatsvertrags und sehen sich in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht. Nun hat die ARD reagiert (unter anderem mit Gegenvorwürfen) und ein Gesprächsangebot gemacht.

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4. Bundesregierung soll ihre Facebook-Seiten schließen
(spiegel.de)
Wenn es nach Ulrich Kelber, dem Bundesbeauftragten für Datenschutz, geht, soll die Bundesregierung ihre Facebook-Seiten dichtmachen. Ein datenschutzkonformer Betrieb einer Facebook-Fanpage sei nicht möglich, Bundesbehörden hätten dort deshalb seiner Meinung nach nichts verloren.

5. Tim Ehlers sucht seine Passwörter
(katapult-magazin.de, Benjamin Fredrich)
Es gibt mal wieder Neues aus Greifswald. Der umtriebige “Katapult”-Verlag will eine Journalismusschule gründen – “größer als Springer, besser als Nannen”! “Katapult”-Chef Benjamin Fredrich ruft dazu die “Neue Ostdeutsche Selbstherrlichkeit” aus: “Das ist als historische Epoche gemeint. In dieser Epoche werden in allererster Linie Journalismusschulen gebaut.”

6. RTL gibt Namen von Jan Hofers Nachrichtensendung bekannt
(rnd.de)
Viele Jahre war Jan Hofer ein – wenn nicht das – Gesicht der “Tagesschau”. Daher waren nicht wenige überrascht, als sie von Hofers Wechsel zum Privatsender RTL hörten. Jetzt kommen erste Details zu Jan Hofers neuer Nachrichtensendung ans Licht.

“Bild”s hämische Koketterie, Weltwunder, Mitschüler “PietSmiet”

1. Polizisten greifen bei Demonstration Journalisten an
(spiegel.de)
Bei einer Demonstration in der Düsseldorfer Innenstadt gegen das geplante neue Versammlungsgesetz für Nordrhein-Westfalen sollen Polizeibeamte zwei Journalisten attackiert haben. Unter anderem sei ein dpa-Fotograf mehrfach mit einem Schlagstock geschlagen worden. Die Polizei habe zunächst keine näheren Angaben zu dem Einsatz gemacht.

2. So unangenehm ist der neue Werbeclip für den TV-Kanal von BILD
(vice.com, Robert Hofmann)
Robert Hofmann hat sich den neuen Werbeclip für den TV-Kanal von “Bild” angeschaut, der nicht nur die Amazon-Dokumentation “BILD.Macht.Deutschland?” zitiert, sondern auch versucht, sich an die Erfolgsserie “Stromberg” anzulehnen. Ein gescheiterter Versuch, wie Hofmann findet: “Nein, das alles ist nicht Stromberg, das ist nicht witzig. Hier soll nichts entblößt werden, das ist keine kluge Satire und auch keine ehrliche Aufarbeitung von Kritik. Dieser Clip ist auch kein Zitat der Serie. Hier sehen wir nur hämische Koketterie von Menschen, die wissen, dass große Teile der Gesellschaft mit Verachtung auf sie blicken, und ihnen doch nichts anhaben können.”

3. Schweizer “Weltwoche” zeigt Deutschland, wie Weltwunder-Journalismus geht
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
“Die Zeitung, in der regelmäßig Matthias Matussek, Thilo Sarrazin, Norbert Bolz, Hans-Georg Maaßen und Henryk M. Broder schreiben, ist in dieser Woche mit einer Spezialausgabe erschienen, in der nun auch noch Harald Martenstein, Kai Diekmann, Jan Fleischhauer, Franz Josef Wagner, Boris Reitschuster und Ralf Schuler schreiben. Mehr Trigger kann man für 9 Schweizer Franken wirklich nicht erwarten.” Stefan Niggemeier hat sich triggern lassen und sich tapfer durch eine “Weltwoche”-Sonderausgabe gekämpft.

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4. No. 7 – der neue nestbeschmutzer ist da
(netzwerkrecherche.org, Malte Werner)
Erneut haben Studierende aus dem Master-Studiengang Journalistik und Kommunikationswissenschaften der Universität Hamburg begleitend zur Netzwerk-Recherche-Jahreskonferenz den “nestbeschmutzer” (PDF) produziert. In der kostenlos verfügbaren Online-Zeitung widmen sich 16 Nachwuchsjournalistinnen und -journalisten Themen wie Medienkompetenz, Pressefreiheit und Datenjournalismus.

5. Überlegenheit oder Überheblichkeit
(deutschlandfunk.de, Annabell Brockhues, Audio: 6:47 Minuten)
Nachdem die Uefa abgelehnt hatte, dass die Münchner Arena zum Fußball-EM-Spiel gegen Ungarn in den Regenbogenfarben beleuchtet wird, regte sich vielfältiger Protest. Einige Sender und Tageszeitungen gestalteten temporär ihre Logos zu Regenbogenfarben-Signets um. Viele Promis und Unternehmen taten Ähnliches auf ihren Social-Media-Kanälen. Der Medienkritiker Stefan Niggemeier ist zwiegespalten, was die Aktion anbelangt.

6. Mein Mitschüler, der YouTube-Star
(zeit.de, Inga Pöting)
“Peter schien sich nicht besonders dafür zu interessieren, was andere von ihm dachten. Er trug Karohemden, die auch aus dem Schrank seines Vaters hätten stammen können, und er gab im Unterricht oft merkwürdige Antworten.” Die Rede ist hier von Peter Smits, der auf Youtube als “PietSmiet” Millionen von Followern hat. Die Journalistin Inga Pöting hat mit Smits die Schulbank gedrückt. Beide schlugen unterschiedliche Karrierewege ein und begegneten sich Jahre später wieder in einer Kneipe. Der Initialfunke für ein neuerliches Treffen mit dem erfolgreichen Webvideo-Produzenten, das zu dieser lesenswerten, da sehr persönlichen Reportage führte.

KW 25: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

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1. Kinder in Dokusoaps: Wie weit darf Reality-TV gehen?
(ndr.de, Lea Eichhorn & Désirée Fehringer, Video: 14:31 Minuten)
Über die (mittlerweile abgesetzte) Sat.1-Reality-TV-Show “Plötzlich arm, plötzlich reich” wurde in jüngster Vergangenheit einiges berichtet. Der Ballermann-Star Matthias Distel (alias Ikke Hüftgold) hatte seiner Aussage zufolge erst vor laufender Kamera davon gehört, dass bei den Dreharbeiten traumatisierte Kinder beteiligt seien, darauf habe er die Dreharbeiten abgebrochen und den Vorgang öffentlich gemacht. Doch nun scheint er eine 180-Grad-Wendung eingelegt zu haben. Ein Deal mit der Produktionsfirma Imago?

2. 13 Podcasts, 15 Stunden, ein Festival
(zeit.de)
Vergangenen Sonntag veranstaltete die “Zeit-Online”-Redaktion ein eigenes “Podcastfestival” mit allen bedeutenden Podcast-Formaten des Hauses. Das Festival fand auf zwei virtuellen Bühnen statt. Auf der Webseite gibt es alle Live-Podcasts zum Nachschauen beziehungsweise Nachhören, darunter “Verbrechen”, “Alles gesagt?”, “Was jetzt?”, “OK, America?”, “Unter Pfarrerstöchtern”, “Das Politikteil” unter “Servus. Grüezi. Hallo.”

3. Ep. 97: Die Zerstörung der INSM
(wohlstandfueralle.podigee.io, Ole Nymoen & Wolfgang M. Schmitt, Audio: 28:46 Minuten)
Unlängst sorgte eine Anzeigenkampagne für Aufsehen und Empörung: In ganzseitigen Inseraten renommierter Zeitungen war die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock als verkleidete Mosesfigur zu sehen – in den Armen zwei Steintafeln mit zehn angeblichen grünen Verboten. Auftraggeber der Kampagne ist die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Doch was verbirgt sich eigentlich hinter dieser “Initiative”? Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt schildern im Podcast ihre Sicht auf die wirtschaftsfreundlichen Lobbyisten: “Die Vorgehensweise dieser Propagandaorganisation des Neoliberalismus ist manchmal laut auftrumpfend, bisweilen aber geht man perfide subtil vor, um gewisse Positionen in der Öffentlichkeit zu lancieren. Auch Prominente lassen sich gern vor den Karren der Initiative spannen, die 1999 gegründet wurde und mit ihren Anzeigenkampagnen auch viele Zeitungsverleger glücklich macht.”

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4. Die Videos der re:publica 21 sind online. Wir haben eine Auswahl für Euch.
(netzpolitik.org, Markus Beckedahl)
Wegen der Corona-Pandemie fand die re:publica auch dieses Jahr nur im Netz statt. re:publica-Mitgründer und Netzpolitik-Experte Markus Beckedahl stellt eine aus netzpolitischer Sicht besonders interessante Auswahl von Youtube-Mitschnitten vor. Nahezu alle Vorträge berühren auch Medienthemen oder sind komplett medienrelevant.

5. Der CureVac-Absturz: Waren viele Medien in Deutschland zu unkritisch?
(uebermedien.de, Holger Klein, 21:10 Minuten)
Einst wurde der Corona-Impfstoff von CureVac als Hoffnungsträger und Heilsbringer gefeiert, heute sieht die Sache anders aus: Der Impfstoff ist laut Studienergebnissen weniger wirksam, der Aktienkurs des Unternehmens in der Folge deutlich gefallen. Holger Klein hat sich mit Andrej Reisin über den Fall unterhalten, der die Rolle des CureVac-Investors Dietmar Hopp und die Lobhudeleien vieler Medien bereits vor Monaten kritisch sah.

6. Fachjournalist-Podcast: Schätze in Archiven und Bibliotheken für die Recherche heben
(fachjournalist.de, Aenne Chalhoub, Audio: 18:34 Minuten)
Für Journalistinnen und Journalisten sind Archive und Bibliotheken eine ausgezeichnete Recherchequelle, bieten sie doch Zugang zu ganz unterschiedlichen Datenbanken und Fachmagazinen. Im “Fachjournalist”-Podcast unterhält sich Aenne Chalhoub mit der Leiterin des Archivs der Technischen Universität Berlin und mit dem Direktor der Uni-Bibliothek der TU Berlin über die besonderen Möglichkeiten der Archive für die journalistische Recherche.

7. Moritz Tschermak: “Ich will zeigen, wie Bild die Gesellschaft spaltet.”
(hr-inforadio.de, Christoph Scheffer, Audio: 26:35 Minuten)
Hörtipp in eigener Sache und daher als zusätzlicher Link: Am Mittwoch hat sich Christoph Scheffer vom Hessischen Rundfunk mit meinem BILDblog-Kollegen Moritz Tschermak über dessen “Bild”-kritisches Buch “Ohne Rücksicht auf Verluste” unterhalten.

Damals, als Julian Reichelt noch Wahlkampf für die Grünen machte

Die “Bild”-Redaktion hatte in der vergangenen Woche einen tollen Einfall, wie sie ihre Abneigung gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und ihre Abneigung gegen die Grünen in nur einem Artikel ausleben kann:

Ausriss Bild-Zeitung - Machen Wetterfrösche Wahlkampf mit Klima?

Ralf Schuler, Leiter des “Bild”-Parlamentsbüros, schreibt:

Eigentlich sollen sie nur das Wetter der nächsten Tage vorhersagen. Doch seit einiger Zeit erklären die Wettermoderatoren im Fernsehen immer öfter ausführlich die Temperaturkurven der letzten Jahre und den Klimawandel.

Als Beispiele nennt Schuler lediglich die Wettermoderatoren Karsten Schwanke (ARD) und Özden Terli (ZDF). Und fragt: “Sachliche Aufklärung oder heimlicher Klima-Wahlkampf?”

Die Antwort lässt er Hermann Binkert geben, einst selbst CDU-Politiker, zwischenzeitlich Mitglied der “Werteunion”, laut “Zeit Online” AfD-Spender und Chef des Meinungsforschungsinstituts INSA:

Fakt ist: “Je stärker das Thema Klimaschutz im Bewusstsein der Bevölkerung ist, desto eher werden die Grünen von der Kompetenz, die man ihnen hier zuspricht, profitieren”, sagt INSA-Chef Hermann Binkert.

Dazu drei Nebengedanken: 1. Wäre dann eine Zeitung, die ständig jene Themen auf der Titelseite platziert, die Rechtspopulisten in die Karten spielen, nicht genauso ein Wahlkampfblatt für die AfD? 2. Das klingt ja fast so, als würden die Grünen laut “Bild” als einzige Partei Antworten auf den Klimawandel haben. Und 3. Wenn Schuler nebulös von “seit einiger Zeit” spricht, ist schwer zu sagen, was er damit genau meint. Karsten Schwanke zum Beispiel hat im November 2018 für die ARD sehr anschaulich die Folgen des Klimawandels erklärt (und dafür eine Grimme-Preis-Nominierung erhalten). Damals war der Wahlkampf für die Bundestagswahl im September 2021 noch nicht so richtig im Gange.

Aber nehmen wir die “Bild”-Logik mal so hin.

Für unser Buch “Ohne Rücksicht auf Verluste” haben wir uns durch das gesamte Œuvre von Julian Reichelt gewühlt. Und dabei überraschende Seiten entdeckt. Denn vor einigen Jahren machte der heutige “Bild”-Chefredakteur und damalige “Bild”-Reporter Reichelt – jedenfalls nach “Bild”-Logik – selbst noch kräftig Wahlkampf für die Grünen. Am 10. April 2007 beispielsweise erschien in “Bild” dieser Artikel:

Ausriss Bild-Zeitung - Bild-Reporter Julian Reichelt mit dem WWF bei den Eisbären in der Arktis - Mensch, lass das Reich dieser Tiere nicht schmelzen

Schon nach dem Lesen des Einstiegs kann man gar nicht anders, als das Kreuz bei den Grünen zu setzten:

Durch arktischen Schnee, der unter meinen Polarstiefeln knirscht, stapfe ich auf ein Wunder zu.

Das Wunder des Lebens, das der eisigen Kälte trotzt (minus 20 Grad). 100 Meter schwere Schritte, 50 Meter, 10 Meter – und dann stehe ich vor ihnen. Zwei junge Eisbärbabys, die sich ins Fell ihrer Mutter kuscheln. Ich sehe das Blinzeln ihrer schwarzen Augen, die wie kleine Kohlestücke sind. Ich sehe das Zittern ihrer Nasen. Ich sehe, wie sich der Körper ihrer Mutter hebt und senkt.

Ich sehe den ganzen überwältigenden Zauber der Natur, der in den Händen des Menschen liegt. Den Zauber, den wir erhalten MÜSSEN.

Reichelts damalige “Lektion aus dem Eis”:

Die globale Erwärmung bedroht das, was unseren Planeten so einzigartig macht!

Warum überhaupt der Besuch beim Eisbär?

Weil sein Lebensraum langsam schmilzt, wurde der Eisbär zum traurigen Wappentier der Erderwärmung. Zum einsamen Helden der Klimakatastrophe. Deswegen hat BILD ihn besucht. Um zu zeigen, welch fantastische Natur wir riskieren, weil wir schneller Auto fahren, öfter fliegen, das Licht in der Wohnung länger brennen lassen wollen.

Als hätte er es direkt aus dem Wahlprogramm der Grünen abgeschrieben. Und so gibt es am Ende des Artikels noch mal einen eindringlichen Appell:

Aber schon am nächsten Tag werden wir eine Eisbärin ohne Junge finden. Ich werde mit meinen Händen das Fell berühren. Die dicken Strähnen, die rau sind vom Meerwasser.

Ich werde berühren, was wir bewahren müssen.

Acht Monate später legte Reichelt mit dem “erschütternden BILD-Report” nach:

Ausriss Bild-Titelseite - Der erschütternde Bild-Report - So machen wir unsere Erde kaputt

Die “Bild”-Redaktion startete zeitgleich die Aktion “RETTET UNSERE ERDE”, in Kooperation mit Greenpeace, dem BUND und WWF: “Darum müssen wir endlich handeln! ES GEHT UM DIE RETTUNG DER ERDE!”

Viel ist von alldem heute nicht mehr übrig. Stattdessen machen “Bild” und Julian Reichelt es nun schon zum Skandal, wenn Wettermoderatoren “ausführlich die Temperaturkurven der letzten Jahre” erklären.

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Rechte Hetze beim Kirchenschloss, Balders Abschied, Erzwingungshaft

1. Duldet das Bistum Augsburg völkisches Denken?
(br.de, Johannes Reichart)
BR-Reporter Johannes Reichart ist einem äußerst verstörenden Fall nachgegangen: Ein im Besitz der katholischen Kirche befindliches Schloss werde zur Verbreitung von rechter Hetze und völkischem Denken genutzt. Unter anderem werde dort das sogenannte “Schloss-Kultur-Magazin” publiziert. Darin mische sich unter allerlei Artikel über Gartenarbeit und Strickkleidung auch abstruses Gedankengut und Esoterik, das Magazin verbreite Weltverschwörungserzählungen und traditionalistisch-religiöse Extrempositionen: Ein Erzbischof warnt vor dem “Great Reset”, der von den “Dienern Satans” betrieben werde, Priester der erzkonservativen Piusbruderschaft hetzen gegen Abtreibung, Homosexualität und Klimaschutz. Das Bistum bemühe sich als Vermieterin der Immobilie seit Längerem “um Klärung”.

2. “Viel konsequenter digital ausrichten”
(journalist.de, Anna Paarmann)
Anna Paarmann ist Online-Chefin bei der “Landeszeitung” für die Lüneburger Heide und dort für Redaktionsprojekte zuständig. In einem Gastbeitrag für den “journalist” macht sie sich Gedanken darüber, wie der Journalismus widerstandsfähiger gemacht werden kann. Wer noch nicht auf “Digital First” setze, möge dies schleunigst tun: “Es gilt, historisch gewachsene Strukturen und Denkweisen ad acta zu legen: feste Ressortgrenzen, Einzelbüros, die Skepsis gegenüber Online, autonome Themenplanung, den Anspruch, dass ein guter Redakteur von 10 bis 19 Uhr ‘den Laden hüten muss’.”

3. Neues aus der Anstalt
(taz.de, Steffen Grimberg)
Bei den Gegnern des Rundfunkbeitrags wird derzeit ein Mann gefeiert, der seit drei Monaten in Erzwingungshaft sitzt. Dort befinde er sich jedoch nicht wegen ausstehender Gebühren, sondern wegen einer verweigerten Vermögensauskunft, erklärt Steffen Grimberg. Derlei Details scheinen den Leuten, die immer noch auf die (längst abgeschaffte) GEZ schimpfen oder die sich, wie die AfD, mit der Forderung “ARD abschaffen” an den Fall hängen, jedoch egal zu sein. Grimberg rät: “Damit endlich Ruhe im Erzwingerclub einkehrt, müssen alle Anstalten und die Vollstreckungsbehörden zu besseren Lösungen kommen. Denn pro 100 Euro, die ARD, ZDF und Deutschlandradio geschuldet werden, entsteht ein Imageschaden von locker 100.000 Euro.”

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4. Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 198 vom 24.6.2021
(netzwerkrecherche.org, Daniel Drepper & Albrecht Ude)
Pflichtlektüre, nicht nur für Journalistinnen und Journalisten aus dem Investigativbereich: der Newsletter des “Netzwerk Recherche”. Die neueste Ausgabe liefert wie immer einen guten Überblick über aktuelle Nachrichten, Veranstaltungen Seminare, Stipendien und Preise. Im Pressespiegel gibt es zudem wertvolle Lesetipps zu ausgesuchten Themen.

5. Gute Medienpraxis für städtische Quartiere der Vielfalt
(netzwerk-medienethik.de, Jessica Heesen)
Das “Netzwerk Medienethik” weist auf einen interessanten Forschungsbericht der Initiative “Migration und Sicherheit in der Stadt” hin. In dem Papier geht es um “Aspekte einer guten Medienpraxis für städtische Quartiere der Vielfalt” (PDF). Der Forschungsbericht gebe einen Überblick “über die rechtlichen und normativen Anforderungen an den Journalismus, die mit dem öffentlichen Integrationsauftrag der Medien verbunden sind.”

6. “Sender in die Grütze gefahren”: Hugo Egon Balder nimmt Abschied von Sat.1
(rnd.de, Matthias Schwarzer)
Hugo Egon Balder kann auf eine lange Zusammenarbeit mit dem TV-Sender Sat.1 zurückblicken. Anfang der 2000er-Jahre fing es für Balder dort mit “Genial daneben” an, einer Sendung, die sich erstaunlich lange hielt und nach einer Sendepause 2017 neu aufgelegt wurde. Doch nun steigt der mittlerweile 71-jährige Balder aus. Im Interview spricht er offen über seine Gründe und erzählt, welche Versäumnisse er beim Sender sieht. Außerdem kommentiert er den angestrebten Imagewandel des Sat.1-Konkurrenten RTL: “Es scheint mir so, als wollte man hier eher den Öffentlich-Rechtlichen Konkurrenz machen. Vermutlich kein ganz falscher Schritt: Zuletzt war die Devise bei den Sendern immer ‘Wir müssen verjüngen’. Das ist aus meiner Sicht aber ein Trugschluss. Von den Jungen kommt keiner mehr zurück. Wer seinen Sender verjüngt, hat irgendwann gar keine Zuschauerinnen und Zuschauer mehr.”

“Zeit” mit Zeit für Putin, Dresdner “Corona-Quark”, Klick zur Krake

1. Heuler
(sueddeutsche.de, Nils Minkmar)
Die “Zeit” hat einen Gastbeitrag des russischen Präsidenten Wladimir Putin veröffentlicht. Eine verständliche Entscheidung, findet Nils Minkmar, wenn man etwas Entscheidendes beachte: “Bei einem Text gibt es eine Sorgfaltspflicht, wie sie auch für andere Produkte gilt, und zu so einem Artikel gehört in diesem Fall der Warnhinweis, das hier lupenreine Propaganda enthalten ist.”
Weiterer Tipp: Im Deutschlandfunk bezeichnet Samira El Ouassil die Veröffentlichung des Putin-Beitrags als “verstörendes Signal” und kommt zu folgendem Vergleich: “Es ist, als schriebe der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro in der ‘Süddeutschen Zeitung’ einen Essay über die Geschichte Brasiliens oder Trump einen Artikel über Wahlurnen im ‘Spiegel’ – oder als würde Alexander Gauland in der FAZ einen Gastbeitrag über Populi… – ach, Moment, Entschuldigung, das war ja tatsächlich passiert.”

2. Bekannte Corona-Leugner von Anonymous brutal vorgeführt
(watson.ch, Oliver Wietlisbach)
Eine “schweizerisch-europäische Facebook- & YouTube-Alternative” sollte es werden, was Corona-Verschwörungserzähler und sogenannte “Querdenker” vollmundig unter dem Titel “Ignorance” angekündigt hatten. Doch es kam anders: Hacker bemächtigten sich der Website und veröffentlichten auf ihrer Enthüllungsplattform diverse Interna des mutmaßlichen Hauptdrahtziehers und Profiteurs des Projekts, darunter diverse E-Mails und Rechnungen.

3. Mit einem Klick zur Krake
(kontextwochenzeitung.de, Josef-Otto Freudenreich)
Als ein schwuler Buchhändler aus Stuttgart eine lange LGBT-Literaturliste in der Online-Ausgabe der “Stuttgarter Zeitung” entdeckt, ist die Freude zunächst groß. Doch sie währt nicht lange: Die Regionalzeitung empfiehlt nicht etwa den Erwerb der Bücher im lokalen Buchhandel, sondern hat stattdessen Empfehlungslinks zu Amazon gesetzt, schreibt Josef-Otto Freudenreich: “Und das verträgt sich seines Erachtens nicht mit der bisherigen Fürsorge des Stuttgarter Pressehauses, den lokalen Einzelhandel betreffend. In großformatigen Anzeigen werben die StZN und das Wochenblatt für den ‘Kauf vor Ort. Weil Deine Stadt alles hat’, nicht müde werden sie, darauf hinzuweisen, wie bedrohlich die Corona-Krise für die kleinen Läden ist, dass die Verödung der Innenstädte verhindert werden müsse.”

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4. Der “Corona-Quark” der Dresdner Stadtschreiberin
(mission-lifeline.de, Matthias Meisner)
Mit Kathrin Schmidt hat Dresden nicht nur eine neue Stadtschreiberin, sondern, wie sich erst jetzt herausstelle, auch eine engagierte Corona-Leugnerin und Anhängerin der “Querdenker”-nahen Partei “Die Basis”. Die Stadt Dresden wolle die Auszeichnung (ein halbes Jahr Mietfreiheit zuzüglich 1500 Euro je Monat) nicht zurücknehmen und biete an, “die unterschiedlichen Auffassungen insbesondere zur Coronapandemie in einem öffentlichen Diskurs mit anderen Autor:innen zu erörtern”. Matthias Meisner kommentiert: “So würden dann die Coronaverharmloser:innen doch noch eine weitere Bühne bekommen – quasi ergänzend zu den Protesten von Pegida und ‘Querdenken’. Typisch Dresden, möchte man sagen.”

5. Chinakritische “Apple Daily” stellt Betrieb ein
(spiegel.de)
Vergangene Woche gab es bei der wichtigsten Oppositionszeitung Hongkongs, der “Apple Daily”, eine Großrazzia: Etwa 500 Polizisten rückten an, nahmen mehrere Angestellte der Zeitung fest und beschlagnahmten Computer, Mobiltelefone sowie journalistische Aufzeichnungen. Außerdem erfolgte die Ankündigung, die Vermögenswerte des Medienunternehmens einzufrieren. Nun teilte die Muttergesellschaft mit, man werde das Blatt einstellen. Der Gründer und Besitzer von “Apple Daily”, Jimmy Lai, sitzt übrigens bereits seit Dezember 2020 im Gefängnis.
Weiterer Lesehinweis: Auf Twitter kritisiert Mario Sixtus eine Formulierung des hier verlinkten “Spiegel”-Beitrags: “Was heißt ‘knickt ein’? Was ist das für eine tendenziöse Formulierung? Jimmy Lai und andere Köpfe der Zeitung wurden unter fadenscheinigen Vorwürfen inhaftiert und die Konten eingefroren. ‘Peking zerstört größte Pro-Demokratie-Zeitung Hongkongs’ wäre passender als ‘einknicken’!”

6. Werbekennzeichnung in Online-Medien – neuer Leitfaden
(blmplus.de, Nele Heins)
Mit dem Inkrafttreten des Medienstaatsvertrags gelten auch neue Spielregeln zur Kennzeichnung von Werbung in Online-Medien. Hilfreich ist dabei der überarbeitete “Leitfaden der Medienanstalten zur Werbekennzeichnung bei Online-Medien” (PDF).

Jugendschützer vs. Pornoportal, PR vs. Journalismus, Letzte Reporter

1. In der Pandemie zahlen mehr Menschen für Inhalte im Netz
(faz.net)
Das Markt- und Meinungsforschungsinstitut Yougov hat sich im Auftrag eines Zahlungsdienstleisters umgehört, wie sich die Bereitschaft der Menschen entwickelt hat, für Bezahlinhalte im Netz Geld auszugeben. Die Corona-Pandemie habe die Ausgabebereitschaft in Deutschland wachsen lassen. Im internationalen Vergleich seien die Deutschen jedoch eher zurückhaltend, was Bezahlinhalte im Internet angeht.

2. Filmtipp: “Die letzten Reporter”
(verdi.de, Thomas Klatt)
Im 95-minütigen Dokumentarfilm “Die letzten Reporter” kann man drei Zeitungsjournalistinnen und -journalisten bei ihrer Arbeit bei der “Schweriner Volkszeitung”, der “Landeszeitung” aus Lüneburg und den “Osnabrücker Nachrichten” zusehen. Thomas Klatt hat sich den Film, der morgen in ausgewählte Kinos kommt, vorab angeschaut und hat gemischte Gefühle: Der Film wolle “zwar die guten alten Zeiten des Lokaljournalismus zeigen, die schwierigen Seiten des zu nahen Miteinanders von Reporter*innen und Reportierten werden aber nicht mal angerissen.”

3. Europäische Medien und die Covid-19-Impfstoffe
(de.ejo-online.eu)
Verschiedene europäische “EJO”-Redaktionen haben untersucht, wie in den Medien unterschiedlicher Länder über die Covid-19-Impfstoffe berichtet wurde: “Mit welchen Attributen werden bestimmte Impfstoffe verknüpft und beschrieben? Lassen sich mit Blick auf die Entwicklung der Impfkampagnen bestimmte zeitliche Zusammenhänge erkennen? Und welche Themen standen im Mittelpunkt der Berichterstattung?”

Bildblog unterstuetzen

4. PR vs. Journalismus – wie viel Club-TV ist gut fürs Fernsehen?
(dwdl.de, Manuel Weis)
Der unabhängige Sportjournalismus bekommt in den vergangenen Jahren immer stärkere Konkurrenz durch Club-TV und eigene Youtube-Formate der Sportvereine. Dieses Jahr würden nahezu alle großen Vereine eigene Inhalte produzieren und vermarkten. Der Pay-TV-Sender Sky habe die unliebsame Konkurrenz früher noch stark kritisiert. Heute zeige Sky mehrere Vereinsproduktionen in seinem Programm.

5. Jugendschützer wollen xHamster sperren
(spiegel.de)
Laut der Kommission für Jugendmedienschutz wollen deutsche Behörden den Hosting-Provider einer Pornowebsite zwingen, deutsche Nutzer und Nutzerinnen künftig auszusperren. Dem vorausgegangen sei der (gescheiterte) Versuch, einige Pornoportale dazu zu bewegen, Jugendschutzmaßnahmen nach deutschen Standards zu etablieren.

6. Gericht hält YouTube nicht verantwortlich für Urheberrechtsverstöße
(zeit.de)
Laut Europäischem Gerichtshof haften Youtube und andere Internetplattformen nicht automatisch für dort illegal hochgeladene Inhalte, sie müssten jedoch fragliche Inhalte löschen, wenn sie vom Rechteinhaber auf deren Existenz hingewiesen werden. Außerdem müssten Betreiber technische Vorkehrungen treffen, wenn bekannt sei, dass auf ihrer Plattform häufig geschützte Werke verbreitet werden.

Belgiens Justizminister findet “Bild”-Vorgehen “moralisch verwerflich”

Am Sonntag wurde in einem belgischen Nationalpark, nicht weit von der Grenze zu Deutschland, die Leiche eines Mannes entdeckt. Es handelt sich dabei um einen ehemaligen Soldaten, der unter Verdacht des Terrorismus und des Rechtsextremismus stand und vor etwa vier Wochen schwerbewaffnet flüchtete, nachdem er Todesdrohungen gegen den bekanntesten Virologen Belgiens ausgesprochen hatte. Die zuständige Staatsanwaltschaft geht von einem Suizid aus.

Die “Bild”-Medien hatten über den Fall und die Suche nach dem Mann ausführlich berichtet. Und sie berichten nun auch ausführlich über den Fund der Leiche: gestern online bei Bild.de und bei “Bild TV”, heute in der gedruckten “Bild”. Die Redaktion zeigt dabei auch ein Foto beziehungsweise ein Video der stark verwesten Leiche. Nur an manchen Stellen hat sie die Aufnahmen verpixelt.

Dieses Vorgehen der “Bild”-Medien findet Belgiens Justizminister Vincent Van Quickenborne – vor allem mit Blick auf die Angehörigen – “geschmacklos und verwerflich”:

Das Aufnehmen und das Veröffentlichen dieser Bilder ist geschmacklos und verwerflich. Es ist inakzeptabel. Es spielt dabei keine Rolle, um wen es geht: Täter, Opfer oder sonst wen. Es ist moralisch verwerflich.

Van Quickenborne spricht von einer “ausländischen Zeitung”, es ist aber recht eindeutig, dass “Bild” gemeint ist, wie auch die belgische Tageszeitung “De Standaard” schreibt. Der Justizminister bedankt sich bei den belgischen Medien, dass sie die Aufnahmen nicht veröffentlicht haben.

Wer sie der “Bild”-Redaktion geschickt hat, ist nicht ganz klar. Der Mann, der die Leiche gefunden und Fotos sowie ein Video angefertigt hat, bestreitet, die Aufnahmen an “Bild” weitergegeben oder verkauft zu haben. Er sagt, er kenne “Bild” gar nicht, was etwas überraschend ist, schließlich hat er nachweislich “Bild TV” ein Interview gegeben. Die zuständige Staatsanwaltschaft hat eine strafrechtliche Untersuchung eingeleitet. Das Büro des Justizministers teilte mit, dass Schritte vorgenommen werden sollen, um die Fotos und Videos aus den ausländischen Medien entfernen zu lassen.

Rechtlich scheint der Fall allerdings nicht eindeutig zu sein: In Belgien ist derzeit zwar die Schändung eines Grabes strafbar, nicht aber die Schändung der Überreste eines Verstorbenen, etwa durch Fotografieren und Verbreiten der Fotos. Justizminister Van Quickenborne will das nun ändern:

Das Aufnehmen/Verbreiten solcher Bilder ist verwerflich. Schrecklich für die Hinterbliebenen. Im neuen Strafgesetzbuch wird die Schändung strafbar sein.

Mit Dank an Philine, Sebastian und Chris für die Hinweise!

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Solltest Du Suizid-Gedanken haben, dann gibt es Menschen, die Dir helfen können, aus dieser Krise herauszufinden. Eine erste schnelle und unkomplizierte Hilfe bekommst Du etwa bei der “TelefonSeelsorge”, die Du kostenlos per Mail, Chat oder Telefon (0800 – 111 0 111 und 0800 – 111 0 222) erreichen kannst.

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