Mit dem geplanten Einstieg des US-Finanzinvestors Kohlberg Kravis Roberts (KKR) hat der Axel-Springer-Verlag massive Veränderungen im Unternehmen angekündigt. So sind Kosteneinsparungen von 50 Millionen Euro geplant, wie Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner erklärte, dafür sollen unter anderem Arbeitsplätze in Redaktion und Verlag gestrichen werden.
Für den Vorstand selbst scheint aber noch jede Menge Geld da zu sein. Unter der Überschrift “Üppige Vorstandsboni trotz Sparkurs” schreibt Markus Wiegand, Chefredakteur des Branchendienstes “Kress Pro”:
In den fünf Jahren zwischen 2014 und 2018 entlohnte Axel Springer seine Vorstände (inkl. Pensionszusagen) mit insgesamt 115,6 Millionen Euro. Noch nicht enthalten sind in der genannten Summe Bonuszahlungen über Aktienoptionsprogramme (im Fachjargon Long-Term Incentive Plan), die Springer aufgelegt hat. Die Auszahlung ist an eine Reihe von Bedingungen gekoppelt. Am wichtigsten ist der Anstieg der Marktkapitalisierung (also des Aktienkurses).
Da der Kurs der Aktie wegen des Angebots von KKR deutlich nach oben gegangen ist, hat Springer im Halbjahresfinanzbericht 39,4 Millionen Euro an Aufwand für Boni erfasst. 35,2 Millionen Euro davon für den Vorstand. Springer teilt dazu mit, dass nicht sicher sei, ob die Boni auch ausgezahlt werden. Angeblich gibt es keine Regelung dafür, was passiert, wenn die Springer-Aktie von der Börse genommen wird. Daher könnte dem Aufsichtsrat die Entscheidung zufallen, ob und wie die Vorstands-Boni zur Auszahlung kommen. (Der neunköpfige Aufsichtsrat übrigens wird mit 3 Millionen Euro jährlich nicht ganz so üppig entlohnt. (…))
“Man stelle sich allerdings nur kurz vor”, so Wiegand, “was die hauseigene ‘Bild’ über ein Management schreiben würde, das im nationalen Mediengeschäft Leute rauswirft, um 50 Millionen Euro zu sparen, und gleichzeitig schon mal eine ähnlich hohe Summe als Boni erfasst. Schön wär’s nicht.”
In der Tat. Und so viel Vorstellungskraft braucht es da auch gar nicht, immerhin hat sich “Bild” schon oft genug über genau diese Praxis bei Wirtschaftsunternehmen empört.
Als Ryanair vor Kurzem ankündigte, Arbeitsplätze zu streichen, schrieb “Bild” voller Entsetzen:
Sparmaßnahmen bei Piloten, Millionen für den Chef
Während die Ryanair-Piloten um ihre Jobs zittern müssen, könnte [Ryanair-Vorstandschef] O’Leary weitere Millionen einstreichen und sein geschätztes Vermögen (rund 1,1 Mrd. Euro) vergrößern. Mit hauchdünner Mehrheit (50,5 Prozent) stimmten die Aktionäre für ein Bonusprogramm, durch das der Ryanair-Chef über einen Zeitraum von fünf Jahren insgesamt rund 100 Millionen Euro zusätzlich kassieren könnte. Voraussetzung: die Verdoppelung der Margen oder des Aktienkurses.
Als die Deutsche Bank im vergangenen Jahr bekanntgab, Stellen abzubauen und trotzdem hohe Manager-Boni auszuschütten, schimpfte “Bild” auf …
… und suchte sich sofort ein paar Politiker, die entrüstete Zitate abgaben wie:
“Einerseits Arbeitsplatzabbau, andererseits goldene Nasen in der Führungsetage — das kann man niemandem erklären.”
Als bekannt wurde, dass VW plane, als Folge des Dieselskandals viele Arbeitsplätze abzubauen, seinen Bossen aber Boni in Millionenhöhe zu zahlen, wütete “Bild”: “Beschäftigte müssen gehen — doch die Bosse haben ihre Boni sicher.”
Und der damalige stellvertretende “Bild”-Chefredakteur Nikolaus Blome schrieb:
Rolf Kleine, damals Leitender Redakteur bei “Bild”, forderte:
1. Er wäre gern Karl May (faz.net, Andrea Diener)
Der Schweizer “Tagesanzeiger” hat herausgefunden, dass sich jemand mit mehreren Fake-Accounts über die Wikipedia-Seite des “Spiegel”-Fälschers Claas Relotius hergemacht hat. Das durchsichtige Ziel des “Sockenpuppen-Kartells”: Die Taten des Fälschers zu relativieren, gar zu glorifizieren. Einiges deute darauf hin, dass der Wikipedia-Fälscher mit seinen Fake-Accounts vom norddeutschen Seevetal aus operierte, nur wenige Kilometer entfernt von Tötensen, dem Heimatort von Claas Relotius.
2. Was wir wollen (berliner-zeitung.de, Silke und Holger Friedrich)
Mit dieser Leseempfehlung tue ich mich etwas schwer: Einerseits ist es spannend zu erfahren, was das Verlegerpaar Silke und Holger Friedrich mit seiner Neuerwerbung “Berliner Zeitung” vorhat. Andererseits ist der Text eine krude Mischung aus Schüleraufsatz, Regierungserklärung und naivem bis zweifelhaften Politmanifest, dem ein straffes Redigat gutgetan hätte. Die “Salonkolumnisten” bezeichnen den Text gar als “ostdeutsche Melange des Grauens aus Mahnmalstolz, Rammsteinpromo, Diktatorendank und Politikerbeleidigung”: “Die fünf dämlichsten Sätze aus dem komplett bekloppten Manifest von Holger und Silke Friedrich”.
3. “Meinungsfreiheit muss man benutzen” (sueddeutsche.de, Theresa Hein)
Im Interview mit dem ZDF-Journalisten Claus Kleber geht es um das angeblich bedrohte Recht auf freie Meinungsäußerung und die Freude an Dialog, Widerspruch und Streit. Und es geht um die Debatte um Begriffe, die Kleber für partiell unnötig hält: “Wir streiten, ob man Studierende sagt oder noch besser Studentinnen und Studenten, anstatt zum Beispiel tatsächlich etwas gegen die Benachteiligung vor allem von weiblichen Studierenden im Universitätsalltag zu tun. Man streitet sich gerne über die Worte, wo man sich eigentlich um die Sache kümmern sollte.” Man möchte Claus Kleber entgegnen, dass es durchaus möglich ist, das eine zu tun, ohne das andere zu lassen.
4. Keynote: Ingrid Brodnig . Wie wir die Macht im Netz zurückerobern (zuendfunk-netzkongress.de, Ingrid Brodnig, Video: 45:24 Minuten)
Wie ist es dazu gekommen, dass der Facebook-Algorithmus das mächtigste journalistische Medium der Welt wurde? Ein Algorithmus, der entscheidet, was 1,5 Milliarden Menschen jeden Tag zu sehen bekommen. In dem Vortrag von Ingrid Brodnig geht es um “Walled Gardens”, Herden- und Netzwerk-Effekte, die Sicherung von Marktdominanz durch Firmenübernahmen und die Frage, mit welchen Tricks die marktbeherrschenden Unternehmen sonst noch arbeiten. 45 Minuten, die sich lohnen.
5. “Dann wird Ihre linkisideologische Propaganda ein Ende finden” (bliq-journal.de, Fabian Goldmann)
Es gibt bestimmte Themen, bei denen Journalistinnen und Journalisten besonders viel Ablehnung entgegenschlägt. Eines dieser Themen ist die Berichterstattung rund um den Islam. Als das Online-Medium “Thüringen 24” beispielsweise über den Moscheebau in einem Erfurter Gewerbegebiet berichtete, füllten sich die Kommentarspalten augenblicklich mit Hass und Hetze. In Thüringen habe sich eine islamfeindliche Gruppe gebildet, die von “Diffamierungen der Lügen- und Lückenpresse” spricht und ihre Mitglieder gegen die Medien aufhetze.
6. Liebes @ZDFheute, macht sowas bitte nie wieder (twitter.com, Helge Braun)
Kanzleramtsminister Helge Braun bekam den Schreck des Jahres: Das ZDF meldete ihm (und vielen anderen) per Push-Nachricht, dass Kanzlerin Angela Merkel ihr neues Kabinett vorstellt: “Blöd, wenn man Kanzleramtsminister ist und davon nix weiß.” Was war passiert? Das ZDF hatte versehentlich die alte Meldung “Merkel stellt Kabinett-Kandidaten vor” auf die Handys der “ZDFheute”-Nutzer gepusht. Für den Minister war es ein heftiger, aber kurzer Schreck: Das ZDF schickte schnell eine weitere Meldung hinterher und stellte den Fehler auf seiner Korrekturseite richtig.
Seit ein paar Wochen versuchen die “Bild”-Medien, ihre Leserinnen und Leser zu Wettsüchtigen zu Profi-Wettern zu machen. Vor allem einer soll dabei helfen: “Quotenwilly”. In einem Artikel hat die Redaktion erklärt, wie dieser Mann “mit Sport-Wetten 20.000 Euro im Monat” verdient. In einem anderen verriet “Quotenwilly”: “Mit diesen fünf Schritten wurde ich zum Wett-Profi”. Und dann gab es noch die “TRICKS & TABUS VON QUOTENWILLY” mit dem “häufigsten Fehler beim Wetten”.
Seit gestern dürfte klar sein, dass der allergrößte “Fehler beim Wetten” ist, auf Tipps zu vertrauen, die bei Bild.de erscheinen:
Geld futsch. Die Dortmunder verloren das Spiel gestern Abend.
Geld futsch. Die Münchner gewannen 4:0 — also über 3.5 Tore im Spiel.
Geld futsch. Es gab insgesamt nur drei Gelbe Karten.
Geld futsch. Der BVB bekam nur eine Ecke.** Diese Wette ging auf.
Besonders interessant ist die fünfte Wette, bei der das eingesetzte Geld ebenfalls futsch gewesen wäre, wenn man entsprechend getippt hätte*: Man findet sie nicht mehr in dem Bild.de-Artikel. Dabei schaffte sie es anfangs sogar noch in die Überschrift:
Nun wird sie in dem Beitrag überhaupt nicht mehr erwähnt. Vielleicht war es für eine Redaktion, die sich beim Thema Fußball selbst gern als die am besten informierte inszeniert, dann doch etwas zu peinlich, dass der empfohlene Torschütze Paco Alcácer gar nicht von Anfang an spielte und erst in der 61. Minuten eingewechselt wurde.
Die Anleitung zum Geldverlieren gab es übrigens nur für zahlenden “Bild plus”-Kunden. Oder anders gesagt: Bei Bild.de muss man erst für ein Abo Geld aus dem Fenster werfen, um erfahren zu können, wie man beim Wetten am besten Geld aus dem Fenster werfen kann.
*Korrektur, 11. November: Mehrere Leser haben uns darauf hingewiesen, dass die Wette auf Paco Alcácer als Torschütze so konstruiert ist, dass sie nur zählt, wenn der jeweilige Spieler von Anfang an auf dem Platz steht. Tut er das nicht, gibt es den Wetteinsatz zurück — das Geld wäre also nicht futsch, wie von uns fälschlicherweise behauptet.
Mit Dank an Christian L., Sebastian und @crimsonceo für die Hinweise!
**Korrektur 2, 11. November: Den Wett-Tipp mit den BVB-Ecken haben wir offenbar falsch verstanden: Gemeint soll eine sogenannte Handicap-Wette gewesen sein — und nicht eine sogenannten Over/Under-Wette, was wir angenommen hatten. Handicap-Wette bedeutet in diesem Fall: Man wettet darauf, dass der BVB am Ende des Spiels insgesamt mehr Ecken hat als der FC Bayern München, wenn man ihm virtuelle 4,5 Ecken hinzurechnet. Da Borussia Dortmund eine Ecke hatte (mit den virtuellen 4,5 Ecken also 5,5 Ecken) und Bayern München zwei Ecken, ist dieser Wett-Tipp tatsächlich aufgegangen.
Wir bitten, die zwei Fehler zu entschuldigen.
Auch wenn nicht, wie wir anfangs geschrieben haben, alle fünf Wetten in die Hose gingen, sondern drei, finden wir es weiterhin recht problematisch, dass eine Redaktion mit einer so enormen Reichweite wie Bild.de ihre Leserschaft mit Wett-Tipps versorgt — und das alles eingebettet in eine Geschichte eines Mannes, der im Monat 20.000 Euro mit Wetten verdienen soll. Dass auch die Redaktion von einer gewissen Gefahr auszugehen scheint, zeigt ein Hinweis ganz am Ende desselben Artikels:
Spielsucht? Hier bekommen Sie Hilfe!
Wenn Sie Probleme mit Spielsucht haben oder sich um Angehörige oder Freunde sorgen, finden Sie Hilfe bei der “Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung”. Unter der kostenlosen Hilfe-Hotline 0800 1 37 27 00 erhalten alle Informationen zu Hilfsangeboten rund um das Thema Spielsucht!
“Oliver Welke hat DROGEN-ÄRGER mit der Polizei” titelten sie vorgestern Abend bei Bild.de. Hui!
Doch das, was nach Redaktionsexzessen und Koks auf dem Teleprompter klingt, ist bei genauerer Betrachtung viel, viel unspektakulärer: In der ZDF-Sendung “heute-show” vom vergangenen Freitag ging es unter anderem um die Legalisierung von Cannabis. Dazu zeigte Moderator Welke in einer Fotomontage einen Polizisten, der einer Frau einen Joint anzündet. Die Aufnahme des Beamten (ohne Feuerzeug in der Hand und auch ohne Frau mit Joint neben sich) hatte sich die “heute-show” nach eigener Aussage bei einer Fotodatenbank besorgt.
Einem Heilbronner Polizeisprecher gefiel das überhaupt nicht, denn er ist derjenige, der auf dem Bild als Feuerspender zu sehen ist. Informiert war er über die Verwendung des Fotos nicht, schon gar nicht in diesem Kontext. Die Polizei Heilbronn prüfte rechtliche Schritte gegen das ZDF, genauso der Polizeisprecher selbst. Inzwischen hat er eine Entschuldigung des Senders angenommen.
Über den Zwist berichtete Bild.de und brachte dazu eben diese irreführende Schlagzeile auf der Startseite, die eigentlich nur die Assoziation zulässt, dass Oliver Welke Drogen verkauft, Drogen nimmt oder sonst irgendwas mit Drogen am Hut hat:
Der Bild.de-Artikel hat aber nicht nur eine ziemlich verrenkte Überschrift, die es locker mit jenen in den Knallblättern der Regenbogenpresse aufnehmen kann — er wartet auch mit einer Überraschung auf: Die “Bild”-Redaktion ist technisch in der Lage und willens zu verpixeln. Zu diesem Screenshot aus der “heute-show” …
… steht in der Bildunterschrift:
Ein Screenshot der Sendung: BILD hat den Beamten auf der ZDF-Fotomontage gepixelt, die “Heute Show” zeigte sein Gesicht erkennbar
Sind die “Bild”-Medien nun also die Hüter des heiligen Persönlichkeitsrechts? Nur zur Erinnerung:
1. Sechs Monate Twittersperre (tomhillenbrand.de)
Es muss sich sehr frustrierend anfühlen: Der Autor Tom Hillenbrand wird von Twitter zu Unrecht gesperrt, bekommt vor einem deutschen Gericht Recht, erfährt aber trotzdem keine Gerechtigkeit. Das sich hinter seiner Dubliner Firmenadresse verschanzende Sozialen Netzwerk nehme die Einstweilige Verfügung aus Deutschland einfach nicht zur Kenntnis. Twittersperren-Opfer Hillenbrand kommentiert: “Meiner Ansicht nach ist der Gesetzgeber gefordert. Wenn eine Social-Media-Plattform hierzulande Kunden und Geschäft hat, müsste sie eine in Deutschland ansässige Dependance haben, die Korrespondenz entgegennimmt. Bei Fällen, die das NetzDG betreffen, ist das offenbar vorgeschrieben, bei Accountsperren wie meiner hingegen nicht.”
2. Der rbb und Cottbus (ardaudiothek.de, Sebastian Schöbel, Audio: 25 Minuten)
In bestimmten Cottbusser Kreisen zählen die Reporterinnen und Reporter des rbb zum erklärten Feindbild. Dies äußert sich zum Beispiel bei flüchtlingsfeindlichen Demos, beim Ärger mit rechtsextremen Fußballfans oder beim Berichten über den Rückzug aus der Braunkohle. In der aktuellen Folge des Podcasts “Die erzählte Recherche” geht es um die schwierige Situation der regionalen Berichterstattung und die Frage: “Was passiert, wenn sich eine Stadt gegen einen Rundfunksender wendet?”
3. “Ich würde mich über AfD-Anhänger freuen” (tagesspiegel.de, Thomas Gehringer)
Thomas Gehringer hat sich für den “Tagesspiegel” mit WDR-Talker Jürgen Domian unterhalten, der heute sein TV-Comeback feiert (WDR, 23:30 Uhr). Domian hat in den vergangenen beiden Jahrzehnten mehr als 20.000 Telefongespräche geführt und dabei unter anderem gelernt, dass Menschen “erschreckend abgründig sein können. Das habe ich vorher nicht so gesehen. Auf der anderen Seite habe ich gelernt, wie großartig Menschen sein können. Mutig, tapfer, Vorbilder für andere.”
4. Nein, “Zeit-Online”-Autor Christian Bangel forderte keinen “gezielten Völkermord durch Migration” (correctiv.org, Till Eckert)
Hat “Zeit Online”-Autor Christian Bangel tatsächlich in einem Artikel den “Genozid am deutschen Volk” gefordert, wie die Website “Anonymous News” und ein ehemaliger Katzenkrimi-Autor, der schon mal wegen Volksverhetzung verurteilt wurde, behaupten? Natürlich nicht! “Correctiv”-Faktenchecker Till Eckert hat die Sache trotzdem noch mal aufgedröselt, zitiert die entsprechenden Passagen, erklärt die von beiden Seiten verwendeten Begriffe und zeigt, warum die Behauptung einfach nur falsch ist.
5. Kriegsreporter – Mythos und Wirklichkeit eines Berufsbildes (de.ejo-online.eu, Martin Gerner)
Um den Beruf des Kriegsreporters beziehungsweise der Kriegsreporterin ranken sich vielerlei Mythen, doch die Wirklichkeit sieht oft anders aus. Martin Gerner erzählt, wie sich Kriegsberichterstattung tatsächlich abspielt. Dazu gehören auch die lokalen Reporter und Reporterinnen, die oftmals die schwere und gefährliche Vorarbeit übernehmen, deren Einsatz jedoch nicht angemessen gewürdigt werde: “Meinem Freund und Kollegen, dem afghanischen Fotojournalisten Massoud Hossaini, habe ich jahrelang nahegelegt, bei seiner renommierten Nachrichtenagentur auf gleichen Versicherungsschutz zu pochen. Er zögerte. Immer wieder. Erst als er den Pulitzer-Preis in den Händen hielt, traute er sich: “Jetzt werden sie mich wohl nicht vor die Tür setzen, wenn ich danach frage.””
6. Sind Memes nun illegal oder nicht? (twitter.com/docupy, Video: 1:43 Minuten)
Ist das Anfertigen und Posten einer Mem-Bildtafel mit urheberrechtlich geschütztem Material legal oder illegal? Diese Frage hat der Youtuber Rezo Mitgliedern des Bundestages quer durch das Parteienspektrum gestellt. Es gab zwar Antworten, aber echte Sachkompetenz kann man wohl nur einer der Befragten attestieren …
Vor zehn Jahren starb Robert Enke. Zu diesem Anlass erzählen “Bild” und Bild.de heute noch einmal in einem Protokoll “DIE LETZTEN 50 STUNDEN” des Fußballtorwarts nach:
Für zahlende “Bild plus”-Kunden — denn mit dem Tod eines Menschen lässt sich ja immer noch ein bisschen Geldverdienen — rekonstruiert die Redaktion Enkes Suizid und lässt dabei kaum ein Detail aus: Methode, Ort, Vorbereitung, alles wird genannt.
Das ist extrem fahrlässig und kann Menschen in Gefahr bringen. Die “Bild”-Redaktion schreibt das alles auf, als hätte sie noch nie vom Werther-Effekt gehört; als würde sie die deutlichen Warnungen der Stiftung Deutsche Depressionshilfe (PDF) und der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention (PDF) sowie deren Hinweise für Medien nicht kennen; als würde die Wissenschaft nicht eindringlich beschreiben, dass diese Art der Berichterstattung Menschenleben kosten kann; als wäre in vielen Studien weltweit nicht längst nachgewiesen worden, dass das alles nicht nur Theorien sind, sondern reale Gefahren.
Vermutlich ist es aber noch schlimmer: Bei “Bild” wissen sie von all dem. Sie wissen, dass ausgiebige Nacherzählungen von Suiziden weitere Suizide nach sich ziehen können. Aber es kümmert sie nicht.
Sie schaffen es ja noch nicht mal, Minimalvorkehrungen zu treffen: Normalerweise bauen “Bild” und Bild.de in ihre Texte, in denen es um Suizide geht, einen Infokasten ein, in dem steht, an wen sich Menschen mit Depressionen wenden können (zum Beispiel an die TelefonSeelsorge unter 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222 oder 116 123). Das ist erstmal eine gute Sache, aber letztlich auch nicht mehr als eine Alibiaktion, wenn die Redaktion im selben Artikel Detail um Detail nennt und damit all die Aspekte missachtet, die Berichte über Suizide etwas weniger gefährlich werden lassen könnten. Im Artikel von heute über Robert Enke war nicht mal ein solcher Kasten mit Informationen zu Hilfsangeboten eingebaut. Erst nach Kritik hat die Redaktion ihn bei Bild.de hinzugefügt.
Man würde doch meinen, dass eine Berliner Redaktion, die sich viel mit dem Berliner Sport, dem Berliner Fußball und dem Berliner Stadtderby zwischen den Berliner Bundesligaklubs Union Berlin und Hertha BSC beschäftigt, die Fans der beiden Vereine auseinanderhalten kann. Denn es gibt ja gewisse Merkmale, an denen diese Redaktion beispielsweise die Anhänger von Union Berlin erkennen kann: Wenn Personen auf einem Foto etwa Schals hochhalten, auf denen “Wuhlesyndikat” steht (der Name der Union-Ultras) oder “Szene Köpenick” (der dazugehörige Förderkreis) oder auch ganz direkt “Union”, dann ist es nicht ganz unwahrscheinlich, dass es sich um Union-Fans handelt.
1. “Queer.de” unter Druck (taz.de, Eva-Maria Tepest)
Das LGBT-Medium queer.de wurde von einem christlichen Bildungsverein abgemahnt. Das “Zentralorgan der Homo-Lobby”, so die augenzwinkernde Selbstbezeichnung, habe angeblich falsche Fakten über den umstrittenen Verein verbreitet, der Homosexualität in seinen Lehrunterlagen schon mal als heilbare “Verirrung” bezeichnet. queer.de-Geschäftsführer Micha Schulze will trotz des juristischen Drucks an der Berichterstattung festhalten: “Kein anderes Portal berichtet so ausführlich und so hartnäckig über die neue gefährliche Allianz aus fundamentalistischen Christen und rechtsextremen Hetzern”.
Weiterer Lesehinweis zum Hintergrund des christlichen Vereins: Bildungsministerium verweist Sexualkundeverein aus Klassenzimmern (diepresse.com).
2. Angestachelt vom #AfD-Fanboy … (twitter.com, Sebastian Pertsch)
Der Journalist und “Floskelwolken”-Mitbetreiber Sebastian Pertsch sieht sich einem Shitstorm aus der rechten Szene ausgesetzt. Er werde verbal angegriffen, beleidigt, mit Hass und Häme überzogen — und auch bedroht. Auf Twitter hat er in einem Thread seine Beobachtungen dazu notiert. Besonders bitter, dass sich anscheinend auch Leute dem Shitstorm (direkt oder indirekt) anschlossen, die es besser hätten wissen müssen: “Außerdem likten ein Ressortleiter des Spiegels, ein ehemaliger Journalist des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Mitarbeiter der WELT, ein Preisträger des Deutschen Radiopreises aus diesem Jahr und ein paar FDP- und CDU-Politiker die Hate-Posts, weil sie offensichtlich nicht in der Lage waren, die Hintergründe zu recherchieren.”
Weiterer Lesehinweis: Der Journalist Stefan Fries hat Ähnliches erlebt, auch was den Auslöser des Shitstorms betrifft.
3. Debatte um Meinungsfreiheit: Offenbar haben wir nichts gelernt (rnd.de, Matthias Schwarzer)
Anlässlich der Debatte um Meinungsfreiheit fragt Matthias Schwarzer in seinem Kommentar, wann Journalistinnen und Journalisten endlich damit aufhören, ständig übers rechte Stöckchen zu springen. Und er fragt sich sowie seine Kollegen und Kolleginnen in den Medien: “Warum veranstalten wir schon seit Jahren ganze TV-Talkshows zu Themen wie Political Correctness und zu Scheindiskussionen, ob man heute eigentlich noch “Zigeunerschnitzel” sagen darf? Haben wir (und nein, das ist kein Whataboutismus) denn wirklich gerade keine anderen Probleme?”
4. “Fake-Nachrichten können die Wikipedia-Community nicht beeindrucken” (spiegel.de, Torsten Kleinz)
Torsten Kleinz hat sich für “Spiegel Online” mit dem Wikipedia-Gründer Jimmy Wales über die aktuellen Entwicklungen bei der Online-Enzyklopädie unterhalten. Es geht um Themen wie “Fake News”, Desinformationskampagnen und Diversität. Wales beklagt im Gespräch außerdem den nicht immer fairen Umgang mit den Wikipedia-Inhalten: “Natürlich sind wir zufriedener, wenn wir als Quelle genannt werden. Google macht das ganz gut. Wenn man aber Alexa fragt: “Wer ist Tom Cruise?”, dann liest sie die ersten zwei Sätze aus dem Wikipedia-Artikel vor, ohne dem Nutzer zu sagen, woher die Informationen stammen. Es wäre schlecht, wenn Leute meinten, dass die Wikipedia entbehrlich ist, weil Alexa ja alles weiß.”
5. Sibel Schick erzählt, wie es ist, wenn man ständig Morddrohungen bekommt (vice.com, Marlene Halser)
Wie ist es, wenn man ständig Morddrohungen bekommt? Die Journalistin und Autorin Sibel Schick kennt dieses Gefühl leider viel zu gut. Bei “Vice” erzählt sie vom jüngsten Fall, als ihr Name auf einer Todesliste auftauchte: “Menschen, die noch nie Nachrichten von mehr als fünf unbekannten Personen gleichzeitig auf Twitter bekommen haben, denken immer: Mach das Handy aus, Problem gelöst. Aber so einfach ist es nicht. Ich bin ja als Person betroffen. Ich werde als Person bedroht und beleidigt und nicht als Social-Media-Account. Und mich selbst kann und will ich nicht ausschalten.”
6. Mit maximaler Erregung (sueddeutsche.de, Bernd Graff)
“Titelbilder buhlen im Zeitschriftenständer um Aufmerksamkeit. Ein höchst dissonanter Chor ist das, doch darum will (und muss) jede Ausgabe neu und sensationell sein, versucht, auf unerhörte, nie gesehene Schätze in ihrem Inneren zu verweisen, will als das einzig lohnende Spektakel in diesem Überbietungskampf des Spektakulären erscheinen.” Bernd Graff stellt den Bildband “Titelseiten, die Geschichte schrieben” vor, in dem einige der eindrücklichsten Zeitschriftencover von 1949 bis heute zusammengestellt und abgebildet sind.
Mit einem einzigen Tweet versetzt er Fans und TV-Zuschauer in Sorge.
… schreibt Bild.de über den TV-Moderator Walter Freiwald. Auf der Startseite steht:
Bei Twitter hat Freiwald seine Followerinnen und Follower über seine Krebserkrankung informiert. Er sagt, er werde die Krankheit nicht überleben. Die “Bild”-Redaktion zitiert den Tweet dann auch wörtlich im Artikel:
Auf Twitter postete der RTL-Moderator Walter Freiwald (65) am Mittwochabend: “Bevor irgendwelche Unwahrheiten über meine Person verbreitet werden, will ich selbst mitteilen, dass ich unheilbar krank geworden bin und diese Krankheit nicht überleben werde.”
Und weiter: “Der Krebs ist ein Arschloch und wird mich töten. Ich liebe meine Frau und meine Kinder.”
Allerdings fehlt da was — Freiwalds Tweet ist noch ein bisschen länger. Und es kann kein Zufall sein, dass sie bei Bild.de genau die Stelle rausgelassen haben, in der Freiwald klar sagt, von wem er mögliche “Unwahrheiten über meine Person” erwartet:
Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!
Nachtrag, 21:18 Uhr: Die Redaktion hat ihren Artikel inzwischen überarbeitet und die Stelle mit dem Zitat von Walter Freiwald geändert. Sie lautet nun:
Auf Twitter postete der RTL-Moderator Walter Freiwald (65) am Mittwochabend, dass er selbst mitteilen wolle: “… dass ich unheilbar krank geworden bin und diese Krankheit nicht überleben werde.”
Die eventuellen “Unwahrheiten” sind nun kein Thema mehr. Und die Leserinnen und Leser von Bild.de erfahren auch nicht, dass der Artikel mal anders aussah: Einen Hinweis auf die Änderung gibt es nicht.
Kaum ein Politikjournalist ist gerade in den Medien so präsent wie der stellvertretende Chefredakteur Politik der “Welt” Robin Alexander. Vor allem in Talkshows gibt er den Politik-Erklärer. Bei “Übermedien” hat Arno Frank den “Politischen Journalisten des Jahres” 2017 nach dessen Selbstverständnis und dessen Haltung befragt. Gleich mehrmals behauptet Alexander, dass seine persönliche Haltung keine Rolle spiele. Hier etwa:
Persönlich hältst du also Äquidistanz? Keine politischen Vorlieben?
Ich entscheide danach, welche Geschichte stimmt.
Oder ein paar Fragen später:
Also gar keine Versuchung, sozusagen selbst in dieses Rad zu greifen oder den Dingen eine andere Richtung zu geben?
Ich wüsste gar nicht, welche.
Nochmal:
Sagen, was ist?
So ist es.
Es muss aber doch auch eine Haltung geben, die hat doch jeder!
Der Journalismus liefert Informationen für die offene Gesellschaft. Haltungen gibt es auch anderswo.
An anderer Stelle im Interview beschreibt Alexander, wie er sich frei macht vom “Spin” im politischen Journalismus, also von den Versuchen der politischen Akteure, ein Thema in eine bestimmte Richtung zu drehen:
Du bekommst also eine SMS, wo der Fakt einen Spin hat. Dann fragst du ein paar andere Teilnehmer: “Wie haben Sie es gehört?” Zwei sagen so, drei sagen so. Und dann schreibst du: Die einen haben dies gehört, die anderen jenes.
Ich behaupte, dass Robin Alexander in diesem Interview unwidersprochen ziemlich viel Unsinn erzählt. Zumindest in bestimmten Politikgebieten offenbart er nicht nur eine eindeutige Haltung; er betreibt auch selbst ziemlich abgebrühtes Spinning. Er manipuliert, dreht sich Zitate, Zeitabläufe und Fakten so zurecht, dass diese seine Haltung unterstützen. Ich kann nicht beurteilen, wie symptomatisch das ist, ob er das generell so macht, also ob er bei seiner Arbeit notorisch manipuliert. Aber zumindest bei einem Thema kann ich das sehr gut beurteilen, weil ich Teil einer seiner Geschichten um dieses Thema bin. Und da es nicht irgendein Thema ist, sondern eines, das offensichtlich symptomatisch für seine Sicht auf den Hauptstadtjournalismus ist, möchte ich seinen Spin hier etwas geraderücken.
Alexander nutzt im Interview die Schilderung der medialen Berichterstattung um den Karnevalswitz von Annegret Kramp-Karrenbauer Anfang März dieses Jahres dazu, um eine grundsätzliche Aussage über das Funktionieren medialer Berichterstattung zu treffen:
Es sind darüber Artikel erschienen, die ihren Auftritt super fanden. Und zweieinhalb Tage später steht im Nollendorfblog ein Text von einem Autor, den ich gar nicht kenne, gegen den ich auch nichts habe, aber der erkennbar sauer auf Kramp-Karrenbauer ist.
Wegen des Witzes?
Eher, weil sie mal gegen die Ehe für alle war. Als fast alle in der CDU noch dagegen waren, by the way. Und dieser Autor schreibt sinngemäß, die Aussage von AKK sei das Schlimmste, was in Deutschland seit 1945 gesagt wurde. Was ich für eine sehr gewagte These halte. Ich habe nichts dagegen, dass das in irgendeinem Blog steht! Ich habe auch nichts dagegen, dass es in der “taz” steht. Was ich aber problematisch finde: Angesicht dieser Empörung vom Rand fallen in der Mitte nun alle, alle um und beginnen mit zweitägiger Verspätung, sich ebenfalls zu empören! Es ändert also der gesamte Betrieb wegen eines einzigen Empörten seine Meinung. Und das kann nicht sein.
Es mag kleinlich wirken, hier all die Dinge aufzuzählen, die an dieser Schilderung nicht stimmen. Aber die Sache, über die wir hier reden, ist keine Kleinigkeit. Einer der “wichtigsten Politik-Erklärer” (“Übermedien” über Robin Alexander bei Facebook) erklärt hier die Hintergründe einer Mediengeschichte, die laut seiner eigenen Einschätzung dazu geführt hat, dass eine der wichtigsten Politikerinnen und Politiker Deutschlands in der öffentlichen Wahrnehmung plötzlich völlig anders beurteilt wird. Und er erklärt sie eben falsch.
All das, was Theaterautor, Blogger und Marketingexperte Johannes Kram schon so gemacht hat, würde nicht in diese Box passen. Deswegen hier unvollständig und im Schnelldurchlauf: Nicht nur, aber auch wegen seiner Medien-Kampagne ist Guildo Horn zum “Eurovision Song Contest” gekommen. In seinem neuen Buch “Ich hab ja nichts gegen Schwule, aber” prangert er die “schrecklich nette Homophobie” auch in den Medien an. Für seinen “Nollendorfblog” bekam er eine Nominierung für den “Grimme Online Award”, er selbst erhielt 2018 den Tolerantia Award. Und mit “Seite Eins — Theaterstück für einen Mann und ein Smartphone” hat er Boulevard-Kritik auf die Bühne gebracht. Dafür ein herzliches Dankeschön vom BILDblog.
Also:
Es stimmt nicht, dass der von Alexander erwähnte Blogbeitrag mit dem von ihm erwähnten “1945”-Zitat die “Empörung” verursachte, sondern ein Facebook-Post von mir. Als der Blogbeitrag einen Tag nach diesem Facebook-Post erschien, war der Witz schon längst Thema in den aktuellen Medien. In vielen Berichten und Agenturmeldungen ist auch zu lesen, dass es eben nicht mein Blog war, sondern mein Facebook-Beitrag, der die Berichterstattung ins Rollen brachte. In diesem Posting spielt das von Alexander angeführte Zitat, das angeblich die Empörung verursachte, überhaupt keine Rolle — es kommt darin nicht vor.
Es stimmt nicht, was Alexander über das Zitat im Blog behauptet. Seine Aussage “dieser Autor schreibt sinngemäß, die Aussage von AKK sei das Schlimmste, was in Deutschland seit 1945 gesagt wurde” ist zumindest grob irreführend, auf jeden Fall aber manipulativ. Wie “Übermedien” nachträglich kenntlich machte, habe ich tatsächlich geschrieben: “Hat es das nach 1945 schon einmal gegeben, dass ein aussichtsreicher Bewerber, eine aussichtsreiche Bewerberin um das Kanzleramt so hemmungslos diese niederen Instinkte bedient?”
In meinem (wie gesagt: nach der “Empörung” geschriebenen) Blogbeitrag ging es also nicht um ganz Deutschland, sondern um potenzielle Kanzlerkandidatinnen und Kandidaten. Und es ging nicht um “das Schlimmste, was (…) gesagt wurde”, sondern um das Bedienen niederer Instinkte. Ich vertrete in dem Beitrag die These, dass selbst einem Franz Josef Strauß so etwas — also eine solche Äußerung wie die von Kramp-Karrenbauer — nicht passiert wäre, “dass dieser ein Niveau hatte, um eine Grenze wusste, die man nicht übertritt: Sich genau auf Kosten einer der Minderheiten zu profilieren, die aufgrund der Mißstände in dieser Gesellschaft besonders verletzlich ist. Und diese dann auch noch genau da zu bespotten, wo sie am verletzlichsten ist.”
Nun kann man diese These natürlich für Blödsinn halten, sie ablehnen und kritisieren. Aber mir einfach eine andere These zu unterstellen, zu behaupten, da stünde sinngemäß, “die Aussage von AKK sei das Schlimmste, was in Deutschland seit 1945 gesagt wurde”, ist so ziemlich das Gegenteil von “sagen, was ist”, also dem Leitsatz, dem sich Alexander nach eigener Aussage verpflichtet fühlt.
In einem Beitrag für die “Welt” hatte er sich vorher schon einmal an meinem Zitat abgearbeitet und damals sogar versucht, mir dieses aufgrund der Formulierung “seit 1945” als “Nazi-Vergleich” in Bezug auf Kramp-Karrenbauer unterzujubeln. Dass er zumindest diesen Punkt im Interview mit “Übermedien” nicht wiederholt, mag damit zu tun haben, dass ich ihn darauf hingewiesen hatte, wie er selbst die “seit 1945”-Formulierung benutzt. Etwa in einem Artikel für die “Welt” über den damaligen Unions-Fraktionschef Volker Kauder und das Thema Werbeverbot für Abtreibungen:
Kauder tat nicht, was jeder Vorsitzende jeder Fraktion seit 1945 in so einer Situation getan hätte: Auf den Koalitionsvertrag verweisen
(Hervorhebung durch den Autor.)
Es stimmt nicht, was Robin Alexander über meine Kritik an Kramp-Karrenbauers Position zur Ehe für alle behauptet. Seine Aussage im “Übermedien”-Interview, mit der er meine Motivation, mich über den Karnevalswitz aufzuregen, zu erklären versucht, ist ebenfalls eine ziemlich dreiste Verdrehung: Ich sei ein Autor, der “erkennbar sauer” auf die CDU-Parteivorsitzende sei, “eher, weil sie mal gegen die Ehe für alle war.” Ich habe sehr erkennbar Annegret Kramp-Karrenbauer nie dafür kritisiert, dass sie gegen die Eheöffnung war, sondern immer dafür, wie sie diese Haltung begründet hat. Und ich habe deutlich gemacht, dass die Position selbst in der CDU eine extreme gewesen ist.
Es stimmt deshalb auch nicht, wenn Robin Alexander behauptet, dass “sie mal gegen die Ehe für alle war. Als fast alle in der CDU noch dagegen waren, by the way“, auch weil Kramp-Karrenbauer ihre grundsätzliche Position zur Ehe für alle nie revidiert hat. Sogar im September noch, auf mehrmalige Nachfrage, ob sie “ihren Frieden” mit der Eheöffnung gemacht habe, wollte sie dieses nicht bejahen und gab lediglich zu Protokoll, die gesetzlichen Bestimmungen hierzu durchsetzen zu wollen.
Es stimmt nicht, wenn Robin Alexander sagt: “Es ändert also der gesamte Betrieb wegen eines einzigen Empörten seine Meinung.” Bevor der “gesamte Betrieb”, also die nicht-queeren Medien über das Thema berichteten, taten das die wichtigsten queeren Medien, als erstes das Online-Portal queer.de, dessen Reichweite in der LGBTI-Community enorm ist und das im Nachrichtensektor als das unbestrittene Leitmedium gilt. Noch am selben Tag meines Facebook-Posts, also bevor “der gesamte Betrieb” losging, hatten sich bereits der queerpolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion Sven Lehmann und Berlins Kultursenator Klaus Lederer kritisch zu Kramp-Karrenbauers Witz geäußert. Es stimmt, dass der Witz vor meinem Facebook-Post untergegangen war. Aber als ich ihn in dem Sozialen Netzwerk dann öffentlich machte, war die Reaktion fast der gesamten Community die gleiche: Dass es sich um eine krasse Grenzüberschreitung auf Kosten von Minderheiten handele und dass man diese einer potenziellen Kanzlerkandidatin nicht durchgehen lassen dürfe.
Problematisch finde ich nicht nur, dass und wie Robin Alexander in dieser Sache die Fakten verdreht. Problematischer noch finde ich, dass hinter all dem eben doch eine Haltung, eine politische Agenda steckt, die er hier versucht, als neutrale Faktenberichterstattung zu camouflieren. Er desinformiert nicht nur, er propagiert eine politische Position und erklärt diejenigen, die diese Position nicht vertreten, zum “Rand”. Denn natürlich kann man der Meinung sein, ein solcher Witz einer möglichen Kanzlerkandidatin sei nicht so schlimm und verdiene nicht diese Aufmerksamkeit. Aber das ist eben eine Haltung. Und so zu tun, als stamme die Aufregung darüber nur von einem Einzelnen, ist nicht nur falsch, sondern Propaganda.
Alexanders Gesamterzählung ist eine Art Täter-Opfer-Umkehr. Er verbindet sie mit der Kritik an Kramp-Karrenbauers Position zur Ehe für alle und erweckt so den Anschein, dass die CDU-Politikerin ohne triftige Gründe angegangen wurde. Deshalb zur Erinnerung: Kramp-Karrenbauer argumentierte nicht wie “fast alle in der CDU”. Sie hat bis heute ihrer Aussage, hinsichtlich der Ehe für alle müsse man im Blick behalten, “dass das Fundament unseres gesellschaftlichen Zusammenhalts dadurch nicht schleichend erodiert”, nicht widersprochen. Sie suggeriert also, dass die gleichen Rechte für eine Minderheit eine Gefahr für die Gesellschaft darstellen. Auch das muss man nicht problematisch finden. Aber es ist eben eine Haltung, es nicht problematisch zu finden. Und die, die es problematisch finden, zum gesellschaftlichen “Rand” zu erklären, ist es ebenfalls.
Falsch ist auch Alexanders Behauptung: “Angesicht dieser Empörung vom Rand fallen in der Mitte nun alle, alle um und beginnen mit zweitägiger Verspätung, sich ebenfalls zu empören!” Denn natürlich war es nicht so, dass “alle” “umgefallen” sind. Ja, es gab eine breite Berichterstattung, aber dieKommentierungwarhöchstunterschiedlich. Hinter der Formulierung, alle seien umgefallen, steckt die Unterstellung, Medien seien hier vor homosexueller Meinungsmacht eingeknickt. Dabei hat sich ein beachtlicher Teil der veröffentlichten Meinung eben nicht über Kramp-Karrenbauer empört, sondern über dieihrerMeinungnachungerechtfertigteEmpörung.
Alexander spinnt sich hier eine Geschichte zurecht, die zwar vorgeblich nur einen Homosexuellen, tatsächlich aber einen Großteil der queeren Community an den “Rand” stellt. Dabei lässt er so ziemlich alle journalistischen Grundsätze sausen, die er an gleicher Stelle für sich proklamiert. Er prangert eine angeblich maßlose Empörung an, aber in Wahrheit ist er es, der maßlos an den Fakten herumbastelt, so, dass man sich möglichst gut über sie empören kann. Wenn Robin Alexander wirklich einer der wichtigsten deutschen Politik-Erklärer ist, dann sollte man sich um die Politik-Erklärerei in Deutschland wirklich Sorgen machen.