Anfang der Woche gab die Nachrichtenagentur dapd bekannt, eine neue Tochter gegründet zu haben, auf die die Welt gewartet hat: “Spot On News” soll sich ausschließlich um Boulevardthemen kümmern. Gegenüber der Fachzeitschrift w&v sagte Chefredakteur Tobias Lobe: “Ich habe ein Team zusammengestellt, in dem junge Redakteure und extrem erfahrene Unterhaltungs-Profis Hand in Hand arbeiten, eine perfekte Mischung aus Generation 2.0 und Print-Establishment.” Martin Vorderwühlbecke, “Director” von “Spot On News”, ließ sich mit den Worten zitieren, damit biete die Agentur einen Dienst an, der ihren Kunden helfe, “auch im Entertainmentbereich zu punkten“.
Im Online-Angebot der “Westdeutschen Allgemeinen Zeitung” kann man die Auswirkungen schon sehen. Dank “Spot On News” kann es berichten:
Die Meldung an sich und alle Zitate darin sind zwar bloß aus der “Bild”-Zeitung abgeschrieben, aber den “Skandal” hat “Spot On News” exklusiv:
Die beliebte Kinderserie “Sesamstraße” bringt ab Montag ein paar neue Figuren und die neue Moderatorin Julia Stinshoff. Doch viele können sich nicht so recht darauf freuen, denn der alte, gemütliche Sendeplatz um 18 Uhr gehört der Vergangenheit an. Stattdessen läuft die Show um 8 Uhr in der Früh – wenn die Kinder schon in der Schule sind.
(…) Doch leider ist die Vorfreude dadurch getrübt, dass die neue Sendezeit alles andere als praktisch gewählt wurde: Die Kindersendung läuft nun unter der Woche morgens um 8 Uhr im Kinderkanal (KIKA) und um 6.15 Uhr im NDR.
Ja, das suggeriert “Bild” auch, und auf Bild.de gibt es sogar einen entsprechenden Teaser:
Doch im Artikel heißt es dann bloß:
Doch schon vor dem Start gibt‘s Ärger!
Grund: die SENDEZEIT! Denn die Kindersendung läuft unter der Woche morgens um 8 Uhr auf dem KIKA und um 6.15 Uhr im NDR.
Von einer “neuen” Sendezeit ist dort nicht die Rede. Ein möglicher Grund: Es gibt keine neue Sendezeit. Seit vielen Jahren läuft die “Sesamstraße” früh morgens im NDR und etwas später im Kika. Auf dem 18-Uhr-Sendeplatz wurde sie zum letzten Mal vor über neun Jahren, am 31. Juli 2003, ausgestrahlt.
“Spot On News”-Chefredakteur Tobias Lobe sagte dem “Handelsblatt”, er glaube an den schnellen wirtschaftlichen Erfolg seiner Agentur: Die Printverlage stünden unter großem Kostendruck und könnten es kaum noch leisten, die Kompetenz für den wachsenden Unterhaltungssektor im Haus zu haben.
In den vergangenen Tagen kamen die drei Beschwerdeausschüsse des Deutschen Presserats zu ihren quartalsweisen Treffen zusammen und sprachen dabei drei öffentliche Rügen, eine nicht-öffentliche Rüge, 16 “Missbilligungen” und 27 “Hinweise” aus.
Die “Maßnahmen” des Presserates:
Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:
einen Hinweis
eine Missbilligung
eine Rüge.
Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.
Die nicht-öffentliche Rüge gab es für Bild.de wegen der Berichterstattung über einen Mann, der seine beiden Nichten umgebracht hatte. Bild.de hatte Auszüge aus Briefen des Täters aus dem Gefängnis veröffentlicht und den Artikel mit einem Foto der beiden toten Mädchen bebildert (genau genommen stammte der Artikel ursprünglich aus der “Bild am Sonntag” und Bild.de zeigt die Fotos der beiden Mädchen auch in anderen Artikeln zum Fall, aber der Presserat bewertet ja immer nur die konkrete Beschwerde). Der Beschwerdeausschuss sah in der Veröffentlichung der Fotos einen schweren Verstoß gegen Ziffer 8 des Pressekodex, Richtlinie 8.1, nach dem Opfer besonders geschützt werden müssen. Ein öffentliches Interesse an der identifizierenden Abbildung erkannte der Presserat nicht.
Eine der öffentlichen Rügen erging an “Bild”, weil die Zeitung zur Bebilderung eines Artikels über den Mord an einer 21-jährigen Berliner Studentin das Foto einer 27-jährigen lebenden Studentin aus Bremen verwendet hatte (BILDblog berichtete).
Seine erste Rüge überhaupt holte sich das Wirtschaftsmagazin “Brand Eins” ab. Die Redaktion hatte – im Auftrag des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie – eine Publikation geschrieben, die mit einer regulären Ausgabe der Zeitschrift verteilt wurde. Das Heft wurde auf der Titelseite von “Brand Eins” als “Ein Magazin über die Pharmaindustrie” angekündigt.
Im Vorwort des Hefts erklärte der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie, dass darin ausdrücklich auch Kritiker und Skeptiker zu Wort kommen sollten:
Es stimmt: Wir haben Fehler gemacht, denn wer verstanden werden will, muss sich erklären. Der muss sich messen lassen: Nicht an Hochglanzbroschüren, sondern an der Realität. Und dazu zählt auch die Kritik am eigenen Tun.
Deshalb haben wir dieses Magazin in Auftrag gegeben — und der Redaktion freie Hand gelassen: bei der Auswahl von Themen und Autoren, bei der Wahl von Gesprächspartnern und Inhalten, bei Umsetzung und Gestaltung. Wir haben uns in die Hände von Journalisten begeben – Angehörigen einer Berufsgruppe, die uns meist misstrauisch gegenübersteht – und sie recherchieren lassen.
Den Presserat konnte das nicht überzeugen, er sah in der Veröffentlichung einen Verstoß gegen die “gebotene klare Trennung von Redaktion und Werbung”. Der Leser könne glauben, es handele sich bei dem Heft um eine Sonderausgabe von “Brand Eins”, dabei war es in Wahrheit eine Auftragsproduktion, die von einem Verband finanziert wurde, der mutmaßlich “Einfluss auf die Grundrichtung des Heftes” genommen habe. Durch diese Art von Publikation und das dahinter stehende Geschäftsmodell gerate die Glaubwürdigkeit der Presse in Gefahr, so der Presserat.
Die letzte verbliebene Rüge bekam schließlich die Satirezeitschrift “Titanic” für ihr berühmt-berüchtigtes Papst-Cover ab, zu dem 182 Beschwerden eingingen. Der Beschwerdeausschuss bewertete die Darstellung von Papst Benedikt XVI. als “entwürdigend und ehrverletzend” und sah darin einen Verstoß gegen Ziffer 9 des Pressekodex. Zwar habe Satire “die Freiheit, Kritik an gesellschaftlichen Vorgängen mit den ihr eigenen Stilmitteln wie Übertreibung und Ironie darzustellen”, in diesem Fall sei die Grenze der Meinungsfreiheit jedoch überschritten worden. Das Gremium sah keinen Sachbezug zur Rolle des Papstes in der “Vatileaks”-Affäre gegeben, die Person Joseph Ratzinger werde der Lächerlichkeit preis gegeben.
Nicht beanstandet wurde die “Post von Wagner” vom 23. August an die “liebe Homo-Ehe”. Der Presserat urteilte, “die kritische und zugespitzte Positionierung, die als Meinungsäußerung zu erkennen war, ließ erkennbar Raum für Interpretationen der Leser”.
Tatsächlich war es bei der Empörungswelle vor einem Monat, die das Internetportal “Meedia” als “Shitstorm” bezeichnet hatte, zu Umdeutungen gekommen.
Wagner hatte geschrieben:
Früher wurden Homosexuelle in Deutschland zu Gefängnis verurteilt.
Was für eine glorreiche Zeit für Euch. Niemand steckt Euch ins Gefängnis, Ihr liebt Eure Partner, Ihr dürft sie lieben. Ihr seid deutsche Ehepartner. Eingetragen im Buch der Standesbeamten.
Das mit der “glorreichen Zeit” konnte man, wenn die Absätze anders verteilt gewesen wären, so verstehen, dass Wagner damit die Zeit meint, als Homosexuelle in Deutschland “zu Gefängnis” verurteilt wurden.
Der Beschwerdeausschuss kam aber zu der Ansicht, man müsse die Ansicht des Autors nicht teilen, sie sei aber vom Recht auf freie Meinungsfreiheit gedeckt. Eine Diskriminierung oder Herabwürdigung von Homosexuellen sah das Gremium in dem Kommentar nicht und wies die Beschwerden deshalb zurück.
Nachtrag, 18.05 Uhr: Die Redaktion von “Brand Eins” hat mit einer eigenen Pressemitteilung auf auf die Pressemitteilung des Presserats reagiert:
Der Presserat hat gestern eine Pressemitteilung verbreitet, in der er über eine gegen brand eins ausgesprochene Rüge berichtet. Über die Rüge – die brand eins bisher nicht vorliegt – heißt es in der Pressemitteilung:
“Die Redaktion des Wirtschaftsmagazins (sc. brand eins) hatte – im Auftrag des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie – eine Publikation geschrieben …”.
Dies entspricht nicht den Tatsachen. Nicht nur im Impressum der gerügten Publikation, sondern auch in der Stellungnahme, die die brand eins Redaktions GmbH & Co. KG im Rahmen des Beschwerdeverfahrens gegenüber dem Presserat abgegeben hat, wird ausdrücklich mitgeteilt, dass es sich um eine Publikation der Verlagstochter brand eins Wissen GmbH & Co. KG handelt. Dabei handelt es sich um die Corporate Publishing-Gesellschaft der brand eins Medien AG, mit eigener Geschäftsführung und eigener Redaktion, die seit 2001 Publikationen im Auftrag erstellt. Die Redaktion des Wirtschaftsmagazins brand eins war zu keinem Zeitpunkt in die Arbeit an dieser Fremdproduktion involviert.
brand eins wird gegen die Falschmeldung des Presserats juristisch vorgehen.
2. Nachtrag, 1. Oktober: Auch die “Titanic” hat (bereits am Donnerstag) auf die Presserats-Rüge reagiert:
Privatperson Ratzinger angeblich in seiner Ehre verletzt / Presserat widerspricht damit Papst
Der Beschwerdeausschuß des Deutschen Presserats hat sich aufgrund von 182 Beschwerden mit dem TITANIC-Titel “Halleluja im Vatikan – Die undichte Stelle ist gefunden!” beschäftigt. Er sieht in dem Titel eine Verletzung der Ziffer 9 des Pressekodex, “Schutz der Ehre”. Das Gremium “sah keinen Sachbezug zur Rolle des Papstes in der ‘Vatileaks’-Affäre” gegeben. “Die Person Joseph Ratzinger”, so der Presserat weiter, “wird von TITANIC als ‘undichte Stelle’ tituliert und durch die befleckte Soutane der Lächerlichkeit preisgegeben.” Chefredakteur Leo Fischer hält hierzu fest: “Der Presserat kann offenbar Papst Benedikt nicht an seiner Dienstkleidung erkennen.” Der Papst war in vollem Ornat und mit typischer Handbewegung seines Berufsstands abgebildet gewesen. Zudem habe der Papst nicht als Privatperson Joseph Ratzinger, sondern ausdrücklich als “Papst Benedikt XVI.” in seiner Funktion als katholisches Kirchenoberhaupt gegen das Satiremagazin auf Unterlassung geklagt.
Über den Sachbezug zwischen der Vatileaks-Affäre und dem Titelbild kann sich der Presserat in der am Freitag erscheinenden Oktoberausgabe von TITANIC informieren. In dieser findet sich der Widerspruch von TITANIC-Anwältin Gabriele Rittig gegen die päpstliche Verfügung vor dem Landgericht Hamburg in gekürzter, presseratsfreundlicher Form.
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2. “‘Kohl hat uns immer interessiert, auch sein Privatleben'” (spiegel.de, Stefan Niggemeier)
Stefan Niggemeier fragt Jan Fleischhauer nach der Relevanz der aktuellen Helmut-Kohl-Titelgeschichte im “Spiegel” (hier die von 2011). Fleischhauer empfiehlt einen Blick in das Archiv: “Sie werden erstaunt feststellen, dass wir alle mögliche Sternchen und Stars auf dem Titel hatten, Hildegard Knef, Prinzessin Sisi. Das hat den SPIEGEL immer interessiert. Wir sind auch ein Massenblatt. (…) Wer bestimmt eigentlich – außer dem Chefredakteur – was relevant ist? Dass mir nun irgendwelche Medienjournalisten vorschreiben wollen, was ich für relevant zu halten habe, kann ich nicht ganz ernst nehmen.”
3. “‘Taa-taa, ta ta ta taaa'” (blaetter.de, Daniel Leisegang)
Die sechs Töne des kürzlich vieldiskutierten “Tagesschau”-Intros (BILDblog berichtete) seien “im Gefolge des Hitlerschen Blitzkrieges” entstanden, schreibt Daniel Leisegang. Die Frau des Komponisten erhält seit dessen frühem Tod 1971 Tantiemen, “monatlich eine Summe in vierstelliger Höhe”.
4. “Murdoch rudert zurück: Publikationen von News Corp. wieder im Google-Index” (googlewatchblog.de, Jens)
News Corp. will ihre Websites wieder von Google indexiert haben, nachdem sie diese erst 2010 vom Suchindex ausgeschlossen hatte: “Während Murdoch seinen Schritt schon vor über 2 Jahren getan hat, sind viele deutsche Verlage noch in der Planungs- und Überlegungsphase. Doch ein Großteil derer wird sicherlich nicht aus solchen Beispielen lernen und von Google Geld für den Content verlangen – das wiederum wird Google ablehnen und die Seiten verschwinden aus dem Index.”
5. “Rund um die Uhr Robbie: Wie Plattenfirma mit Antenne-Sendern die Charts austrickste” (rhein-zeitung.de, Lars Wienand)
Zuhörer von Radiosendern der Radio Group werden mit dem Song “Candy” von Robbie Williams bombardiert. Hintergrund ist ein Angebot des Musikkonzerns Universal: “Das Lied lief ‘im Schnitt in jedem Sender alle 42 Minuten, eine Woche lang’, sagt RadioGroup-Geschäftsführer Stephan Schwenk. ‘Unsere Redakteure konnten es am Ende selbst nicht mehr hören, es gab massive Hörerbeschwerden.'”
6. “Happy Phishing mit Twitter” (feldstecher.wordpress.com)
Verschiedene Journalisten werden Opfer eines Phishing-Versuchs bei Twitter: “Abschließend stellt sich nur die Frage, wie Journalisten auf einen derart plumpen Phishing-Versuch hereinfallen konnten, wie zwei stellvertretende Chefredakteure den Cyberkriminellen auf den Leim gehen konnten.”
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1. “Besser zählen” (ploechinger.tumblr.com)
Stefan Plöchinger, Chefredakteur von Sueddeutsche.de, ärgert sich über die hochgehypte, doch aber eher bedeutungslose Diskussion über Unterschiede bei den Monatszahlen. “Jeden Monat schaut die Branche auf Zahlen, deren Hintergründe sie kaum interessieren, solange irgendeine schmissige Schlagzeile herausspringt. Datenboulevard.”
2. “‘Qualitätsjournalismus’ der Berliner Zeitung” (kaipiranha.de)
In den Leserkommentaren zu einer Reportage auf berliner-zeitung.de meldet sich Nutzer TomTom89 zu Wort (Kommentar 7) – bei dem es sich um eine der Protagonistinnen des Texts handeln könnte: “Ich finde es traurig, dass es Idioten wie Alex gibt, die sich in Ihrer Selbstgefälligkeit erlauben uns so darzustellen, und noch viel trauriger, dass andere selbstgefällige Menschen auf solch verzerrender Berichterstattung beruhend über Menschen wie mich und meine Freunde derart urteilen und mit Worten wie ‘Opfer’ um sich schmeißen.”
3. “Alle Pressen stehen still” (jungle-world.com, Holger Marcks)
Die Lage von Medienschaffenden in Griechenland: “Von Lohnausfällen betroffen sind eigentlich die Beschäftigten aller Branchen in Griechenland. Ein Faktor macht die Situation im Medien- und Publikationsbereich aber nochmals besonders: Hier arbeiten außergewöhnlich viele Menschen als Freelancer. Sie rennen ihren Honoraren somit oftmals alleine hinterher.”
4. “The Problem With Early Reviews” (techcrunch.com, John Biggs, englisch)
Tests von Geräten, die zu früh veröffentlicht werden, sind oft wertlos, findet John Biggs: “The early reviewers miss the problems because they’re enamored with the device. They don’t have it long enough to really see the problems (if any) or nit-pick on perceived problems.”
5. “Warum wir keine Mohammed-Karikaturen bringen” (nebelspalter.ch, Marco Ratschiller)
Es brauche keine Mohammed-Karikaturen, um die Meinungsfreiheit zu verteidigen, findet Marco Ratschiller von der Schweizer Satirezeitschrift “Nebelspalter”. Das französische Satiremagazin “Charlie Hebdo” liefert derweil seine neue Ausgabe in zwei verschiedenen Versionen aus, einer “vernünftigen” und einer “unvernünftigen”.
6. “Das Missverständnis vom Coming-Out” (alexandervonbeyme.net)
Alexander von Beyme macht sich Gedanken über das Coming-Out von Profi-Fußballspielern. “Zu unterschiedlich sind die Vorstellungen, was mit Outen überhaupt gemeint ist. Keiner wünscht es sich, in einer Pressekonferenz auf dem Podium zu sitzen und zu bekennen: ‘Ich bin schwul, schwul, schwul!’.”
Am Montag veröffentlichte die Bundespolizeiinspektion Frankfurt/Main ein Pressemitteilung, die sowohl in die Rubrik “Vermischtes” passt, als auch als Aufhänger für längere Ausführungen über den Zustand unserer Gesellschaft geeignet wäre:
Militanter Raucher stößt Reisenden ins Gleis
Frankfurt am Main (ots) – Weil ein 43-jähriger Berliner Asthmatiker um seine Gesundheit besorgt war, kam es am Sonntagabend, gegen 23.30 Uhr, im Hauptbahnhof Frankfurt am Main zwischen ihm und einem 35-jährigen Stuttgarter Raucher zu einer handfesten Auseinandersetzung.
Der Berliner hatte den Raucher mehrfach darauf aufmerksam gemacht, dass im Hauptbahnhof grundsätzlich das Rauchen verboten sei, was dazu führte, dass Beide “Nettigkeiten” austauschten. Da sich der Raucher nicht überzeugen ließ, griff er zu härteren Maßnahmen.
Mit einem gezielten Stoß beförderte der Stuttgarter seinen Kontrahenten ins Gleis, wo dieser leicht verletzt liegen blieb und plötzlich über Atemnot klagte. Da sich der Zustand nicht besserte, musste er mit einem Rettungswagen in ein Krankenhaus gebracht werden.
Der renitente Raucher wurde wenig später von einer Streife der Bundespolizei festgenommen und zur Wache gebracht.
Nach Feststellung seiner Personalien und Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen Körperverletzung wurde er wieder auf freien Fuß gesetzt.
Der hessische Landesdienst der Nachrichtenagentur dapd veröffentlichte kurz darauf diese Meldung:
Nichtraucher stößt Raucher am Hauptbahnhof aufs Gleis
Frankfurt/Main (dapd-hes). Am Frankfurter Hauptbahnhof ist ein Streit zwischen einem Nichtraucher und einem Raucher eskaliert. Ein 43-jähriger Mann aus Berlin hatte einen 35-Jährigen aus Stuttgart am späten Sonntagabend mehrfach darauf aufmerksam gemacht, dass das Rauchen grundsätzlich verboten sei, wie die Bundespolizei am Montag mitteilte. Da sich der Raucher nicht überzeugen ließ, griff der Asthmatiker aus Sorge um seine Gesundheit demnach zu härteren Maßnahmen.
Mit einem gezielten Stoß beförderte der Berliner seinen Kontrahenten aufs Gleis, wo der 35-Jährige den Angaben zufolge leicht verletzt liegen blieb und plötzlich über Atemnot klagte. Er musste in ein Krankenhaus gebracht werden. Der renitente Nichtraucher wurde den Angaben zufolge wenig später festgenommen. Nach Feststellung seiner Personalien und Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen Körperverletzung wurde er wieder auf freien Fuß gesetzt.
Falls es am Frankfurter Hauptbahnhof nicht gerade mehrmals am Tag zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen 43-jährigen Berliner Nichtrauchern und 35-jährigen Stuttgarter Rauchern kommt, stellt sich da natürlich die Frage: Wie zum Henker konnte das passieren? Sind die zu blöd zum Abschreiben?
Nee, so die Pressestelle der Bundespolizei in Frankfurt auf unsere Anfrage. Denn dapd habe sogar angerufen, um die Situation noch einmal geschildert zu bekommen. Im Verlauf dieses Gesprächs sei es dann zu einem “Missverständnis von beiden Seiten” gekommen, dessen Ergebnis die dapd-Meldung sei.
“Spiegel Online” hatte zunächst die falsche dapd-Version übernommen, hat diese inzwischen aber transparent korrigiert. Bei der “Welt” hingegen ist immer noch der Nichtraucher der Übeltäter.
Mit Dank an Lars Sch., Daniel M. und Holger.
Nachtrag, 28. September: Auch bei der “Welt” ist jetzt der Raucher gewalttätig geworden.
Stellen Sie sich vor, Sie fahren morgens mit Ihrem Auto durch die Stadt. Plötzlich läuft ein kleines Mädchen auf die Straße, weil es abgelenkt ist und nicht auf die Straße schaut. Sie schaffen es noch rechtzeitig zu bremsen und ermahnen das Mädchen, es solle doch besser auf den Verkehr achten. Dann fahren sie weiter.
Und jetzt stellen Sie sich vor, vier Tage später sehen Sie dasselbe Mädchen noch mal. Und zwar in der “Bild am Sonntag”. Unter dieser Überschrift:
Dort lesen Sie dann:
Es ist der Albtraum jeder Mutter: das Kind, entführt auf dem Schulweg. Der 10-jährigen [X] aus Essen (NRW) ist es beinahe passiert. […]
Als [X] an der Fußgängerampel steht, wird sie von einem Mann in einem schwarzen VW-Bus angesprochen. “Er wollte, dass ich zu ihm komme”, sagt [X]. Sie reagiert nicht, wie es ihr ihre Mutter [Y] beigebracht hat – nicht mit Fremden sprechen.
Aber der unheimliche Mann (lange Haare, Sonnenbrille) gibt nicht auf. Vor der Schule hält er ganz dicht neben [X]. Plötzlich greift er zu, hält das Mädchen fest. [X]: “Ich wollte mich losreißen, aber er hielt mich zu fest.” Offenbar will der Mann die Schülerin in den Bus zerren. Da beißt sie ihm mit aller Kraft in den Arm. [X]: “Dann hat er losgelassen.”
All das lesen Sie also in der “Bild am Sonntag”. Und dieses Mädchen ist nicht nur dasselbe, das Ihnen vier Tage zuvor begegnet ist, auch der Ort und der Zeitpunkt der Begegnung sind identisch. Das heißt: Der “Entführer”, der “unheimliche Mann”, der “Kinderschänder” — das sind Sie.
Was an jenem Tag auf dem Schulweg des Mädchens tatsächlich vorgefallen ist, lässt sich nicht ganz eindeutig rekonstruieren. Zumindest nicht so eindeutig, wie die “Bild am Sonntag” es gerne hätte.
Sicher ist nur: So, wie das Blatt die Geschichte schildert, kann die Polizei sie nicht bestätigen. Denn die hält, wie sie gestern in einer Pressemitteilung klargestellt hat, eine ganz andere Version für die Wahrscheinlichste:
Nach der Medienberichterstattung einer Boulevardzeitung vom 23. September über den Fall einer versuchten Kindesentführung […], können die Ermittler heute Entwarnung geben.
Nach der Anhörung der 10-Jährigen und einer Befragung des 38-jährigen vermeintlichen Tatverdächtigen ließ sich deren Kontakt wie folgt erklären:
Der Autofahrer schilderte, dass er die 10-Jährige aus seinem Auto heraus ermahnt habe, weil sie im Straßenverkehr nicht aufgepasst habe. […]
Der von dem Mädchen geschilderten Tatablauf, dass sie von dem Autofahrer darüber hinaus angefasst worden sei, ist von ihrer Schilderung her für die Ermittler nicht nachvollziehbar.
Es ist möglich, dass sie sich so erschreckt hat, dass ihr die Phantasie einen Streich gespielt hat.
Ganz abgesehen davon, dass es für die Leute von “BamS” nur die logische Konsequenz zu sein scheint, den mutmaßlichen Täter einer angeblich versuchten Entführung sofort als “Kinderschänder” zu bezeichnen, hat die Polizei also starke Zweifel an der Version des Mädchens.
Zweifel sind den Leuten von der “Bild am Sonntag” aber offenbar keine gekommen. Dabei hätte ein Anruf bei der Polizei genügt, um zu erkennen, dass die Schilderungen des Mädchens dort als “nicht nachvollziehbar” gelten. Doch dieser Anruf blieb aus. Die “BamS” habe zu keinem Zeitpunkt Kontakt mit der Polizei aufgenommen, teilte uns die Polizeisprecherin Tanja Hagelüken auf Anfrage mit.
Sorgfältiger recherchiert haben hingegen die Journalisten von RTL — genützt hat es trotzdem nichts. Im Gegenteil: Obwohl die Polizei den RTL-Leuten nach eigenen Angaben am Sonntag mitgeteilt hatte, die Version des Mädchens könne so nicht bestätigt werden, berichtete das Magazin “Punkt 9” am Montag ebenfalls ausführlich über den Fall aus Essen — ohne die Zweifel der Polizei auch nur mit einem einzigen Wort zu erwähnen.
Aber immerhin war RTL im Gegensatz zur “BamS” so gnädig, vor den “Kinderschänder” noch ein “mutmaßlich” zu setzen.
Vergangene Woche hat das Bundesarbeitsministerium den “Entwurf des 4. Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung” (PDF) vorgelegt, dessen Exegese seitdem von allen Seiten betrieben wird.
Ferdinand Knauß, Redakteur beim Onlineportal der “WirtschaftsWoche”, ist der Ansicht, dass es Armut in Deutschland “nur noch in der Statistik” gebe. Er schreibt lieber von der “Vergrößerung der sozialen Unterschiede – um es einmal möglichst emotionsfrei auszudrücken”. Man müsse das alles mal im Verhältnis sehen.
Über Menschen, die vor Bürgerkriegen, Verfolgung oder Hunger ihre Heimat verlassen, schreibt Knauß deshalb:
Sie riskieren mit rostigen Booten auf dem Mittelmeer ihr Leben, um ein Dasein mit 224 Euro zu führen, das nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes nicht einmal “menschenwürdig” ist. Weswegen Asylbewerber demnächst 336 Euro erhalten werden.
Und überhaupt:
Ein durchschnittlicher Deutscher des Jahres 1946 würde die Existenz eines Asylbewerbers oder eines Hartz-IV-Empfängers des Jahres 2012 sicher für alles andere als menschenunwürdig oder ärmlich halten.
Statt Armut gebe es in Deutschland höchstens schlechte Menschen:
Wenn heute Menschen sich selbst oder – noch schlimmer – ihre Kinder verwahrlosen lassen, ist das nicht die Folge materieller Not, sondern persönlichen Versagens.
Dass trotzdem von Armut gesprochen wird, ist aber sicher kein Zufall. Denn der Begriff ist emotionaler als “soziale Ungleichheit”. Er löst Mitleid aus: Erb”arm”en. Und er ist daher gut geeignet, für die politische Agitation. Sozialpolitiker und die Wohlfahrtsindustrie können nicht wirklich wollen, dass die Armut aus den Statistiken verschwindet. Denn wer die Bekämpfung eines Problems zu seinem Beruf gemacht hat, hat kein Interesse daran, dass das Problem endgültig gelöst wird.
Knauß selbst hat das Problem allerdings noch nicht mal verstanden.
Die Definition von “arm” und “armutsgefährdet” zitiert er zunächst zutreffend:
Das Statistische Bundesamt definiert jeden als arm, der weniger als 40 Prozent des mittleren Einkommens der Deutschen zur Verfügung hat. Wer bis zu 60 Prozent davon hat, ist “armutsgefährdet”.
Dann fährt er fort:
Wenn nun ein gütiger Spender über alle Deutschen gleichmäßig verteilt einen Geldsegen niedergehen lassen würde, dann würde das an der Zahl der Armen und Armutsgefährdeten überhaupt nichts ändern. Denn dann stiege ja auch das mittlere Einkommen der Deutschen, also die Größe an der sich die Armut bemisst. Diese statistische Armut verschlimmert sich nach dieser Methode sogar, wenn die Preise und die Einkommen am unteren Ende gleichbleiben, aber die Einkommen am oberen Ende steigen. Wenn also statt mittellosen Asylbewerbern alljährlich zehntausende Multimillionäre nach Deutschland einwanderten, würden die Einheimischen dadurch “ärmer” – zumindest in der Sicht der Bundes-Statistiker und der Beamten in Ursula von der Leyens Sozialministerium, die den Bericht “Lebenslagen in Deutschland”, alias Armuts- und Reichtumsbericht, verfasst haben.
Der erste Teil dieser Ausführungen ist richtig: Auch wenn plötzliche alle Menschen in Deutschland das Doppelte oder Dreifache zur Verfügung hätten, bliebe der Anteil der “Armen” oder “Armutsgefährdeten” gleich groß.*
Der zweite Teil hingegen ist falsch. Und das hat mit dem Begriff des “mittleren Einkommens” zu tun, dem sogenannten Median. Man erhält diesen Wert, indem man alle Bürger sortiert nach Einkommen in einer Reihe aufstellt und denjenigen, der dann genau in der Mitte steht, fragt, was er verdient.
Denken wir uns ein Knauß-Land, in dem elf Knaußbürger leben (Schema rechts). Zwei verdienen 1000 Euro, fünf 2000 Euro, drei 3000 Euro — und einer hat sagenhafte 10.000 Euro im Monat. Ihr durchschnittliches Einkommen beträgt 2818 Euro (die Summe geteilt durch elf); das mittlere Einkommen ist das, das bei einer Aufreihung der elf Knaußbürger der sechste hat (*): 2000 Euro. Als “armutsgefährdet” gelten die beiden 1000-Euro-Knaußbürger.
Nun stellen wir uns vor, dass plötzlich zwei weitere Reiche mit 10.000 Euro Einkommen nach Knaußland ziehen. Das durchschnittliche Einkommen steigt deutlich. Das mittlere aber bleibt konstant: diesmal müssen wir bei 13 Einwohnern in der Reihe von arm nach reich den siebten (*) fragen: Auch er hat 2000 Euro.
Würde sich die Armutsdefinition nach dem Durchschnittseinkommen richten, wären nun auch die 2000-Euro-Knaußbürger “armutsgefährdet”. Da sie sich aber nach dem mittleren Einkommen richtet, ändert sich – in diesem Beispiel – nichts.
Der Median ist deshalb eine so praktische statistische Größe, weil eine kleine Zahl von großen Ausreißern den mittleren Wert nur minimal beeinflusst. Der Zuzug von “alljährlich zehntausenden Multimillionäre” würde bei 80 Millionen Einwohnern das mittlere Einkommen nur unwesentlich erhöhen, wenn überhaupt. Und wenn “die Preise und die Einkommen am unteren Ende gleichbleiben, aber die Einkommen am oberen Ende steigen”, dann ändert sich gar nichts am Median und damit an der Zahl der als “arm” oder “armutsgefährdet” klassizifierten.
Und wenn Sie das Gefühl haben, das Alles schon mal gelesen zu haben: Ja, haben Sie. Vor drei Jahren. Damals ging es um die Bürger von Blome-Land.
Mit Dank an Roland F.
*) Nachtrag, 14.20 Uhr: Knauß kann auch an dieser Stelle Unrecht haben, wenn man seinen “gleichmäßig verteilten Geldsegen” wörtlich nimmt (und nicht, wie wir, als Verdopplung oder Verdreifachung begreift): Wenn etwa jeder Knaußbürger 1000 Euro geschenkt bekäme, läge der Median bei 3000 Euro und die Bürger mit einem Einkommen von 2000 Euro (ehemals: 1000) wären nun nicht mehr “armutsgefährdet”.
Noch deutlicher wird das, wenn man annimmt, der “gütige Spender” gebe jedem eine Million Euro. Der Median steigt um 1 Million Euro auf knapp über 1 Million Euro. Da aber selbst der Ärmste 1 Million Euro erhält, hat niemand weniger als 400.000 bzw. 600.000 Euro. Niemand ist mehr “arm” oder auch nur “armutsgefährdet”.
(Es sind allerdings auch Beispiele denkbar, bei denen es tatsächlich keine Auswirkungen auf die “Armutsgefährdung” geben würde: Etwa, wenn jeder unserer Knaußbürger nur 100 Euro zusätzlich bekäme.)
Außerdem hatten wir in unserem Beispiel zunächst “arm” statt “armutsgefährdet” geschrieben, was falsch war.
Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.
2. Nachtrag, 15.30 Uhr: Ferdinand Knauß hat uns eine Stellungnahme zukommen lassen und um eine Veröffentlichung gebeten. Dieser Bitte kommen wir natürlich gerne nach:
Sehr geehrter Herr Heinser,
es freut mich, dass Sie meinen Artikel gelesen haben. Ihre Kritik im Bildblog an meiner Begründung dafür, dass ich den Begriff der “Armut” für die sozial Schwächeren in Deutschland für unangebracht halte, will ich nicht weiter kommentieren. Die Mitleids- und Betroffenheitsprosa, die andere Publizisten von sich geben, ist nicht meine Sache. Wenn Sie die zweite Hälfte meines Artikels gelesen haben, ist Ihnen sicher deutlich geworden, dass ich keinesfalls die soziale Ungleichheit verharmlose. Im Gegenteil. Aber ich sehe das Problem eben eher beim “unverdienten Reichtum”, den das ausufernde Finanzsystem produziert hat.
Was mir wichtiger ist: Ihre Behauptung, mein Satz (“Wenn also statt mittellosen Asylbewerbern alljährlich zehntausende Multimillionäre nach Deutschland einwanderten, würden die Einheimischen dadurch “ärmer” – zumindest in der Sicht der Bundes-Statistiker …) sei falsch, ist ihrerseits falsch. Natürlich kann man, wie Sie das tun, ein Szenario konstruieren, in dem der Zuzug eines Millionärs die Höhe des Median-Einkommens nicht verändert. Im realen Deutschland aber sind die Einkommen ja gerade nicht so krass ungleich und vor allem nicht so stufig verteilt wie in Ihrem “Knauß-Land” mit seinen elf Knauß-Bürgern, sondern fließend. “Zehntausende Millionäre”, von denen ich spreche, wären eben keine Ausnahmeerscheinungen und hätten daher nicht den gleichen Null-Effekt auf den Median, wie der Ausreißer mit dem “sagenhaften” Verdienst in Ihrem Szenario. Sie geben das wenige Sätze später ja selbst zu, indem Sie nicht “nicht erhöhen” schreiben, sondern “nur unwesentlich erhöhen”. Was wesentlich ist und was nicht, liegt im Auge des Betrachters. Mir ging es jedenfalls um den absurden Effekt als solchen, da er die Fragwürdigkeit der statistischen Armutsberechnung zeigt.
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
1. “Welches ist Ihr Preis?” (blog.tagesanzeiger.ch/deadline)
Völlig Unbestechliche seien als Journalisten “nur halb geeignet”, findet Constantin Seibt: “Schon, weil alles Interessante in der Grauzone passiert. Etwa bei Informanten. Für jede Recherche braucht man Köpfe im Hintergrund: Tippgeber, Experten, Sympathisanten. Und diese wollen von Ihnen dasselbe wie Mercedes oder die Kaufhalle: nette Worte über sich selbst. Und nach Möglichkeit nur Boshaftes über die Konkurrenz.”
2. “Beipackzettel zum SPIEGELblog” (stefan-niggemeier.de)
Stefan Niggemeier schreibt zur Lancierung des neuen “Spiegel”-Blogs: “Ich glaube, dass kein Medium heute mehr so tun kann, als sei es unangreifbar. Im Gegenteil: Es muss sich angreifbar machen. Journalisten müssen vom Podest heruntersteigen, zugänglich werden und mit ihren Lesern ins Gespräch kommen.”
3. “Haben Journalisten die Energiewende herbeigeschrieben?” (nzz.ch, Stephan Russ-Mohl)
Eine Studie stellt “Differenzen in der Gewichtung und Charakterisierung” der Reaktorkatastrophe von Fukushima fest. Die festgestellten Unterschiede in den untersuchten Medien aus Deutschland, Schweiz, Frankreich und England seien “mit hoher Wahrscheinlichkeit auf ‘langfristig gewachsene, vorherrschende Einstellungen und Meinungen im Journalismus’ zurückzuführen”.
5. “‘Der Apple-Zulieferer Foxconn…’ – Wie SEO die journalistische Arbeit verändert” (netz-fragmente.de, th)
Das Stichwort “Apple” taucht in Überschriften nicht immer aus journalistischen Gründen auf: “Ein Begriff wie ‘Apple’, das hat sich auch in Verlagsmedien inzwischen herumgesprochen, wirkt auf die Klickrate beinahe noch positiver als ‘Sex’. Am besten wird der Reißer natürlich, wenn man es schafft, möglichst viele solcher Buzzwords wie ‘Apple’, ‘iPhone’, ‘iPad’, ‘Skandal’, ‘Sex’ und dergleichen in der Headline zu verbauen. Da sich aber nicht täglich ein Sex-Skandal bei Apple zurechtschreiben lässt, bei dem das neue iPhone auf einem iPad präsentiert wurde und diese Headline zudem noch reichlich sperrig würde und das Layout der meisten gängigen CMS-Systeme sprengen würde, müssen halt wenige dieser Buzzwords ausreichen.”
Von Politikern ist ja bekannt, dass sie sich gerne wiederholen, ohne dabei irgendetwas konkretes auszusagen.
Hören Sie also nun, was der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Horst Seehofer gestern in der 20-Uhr-Ausgabe der “Tagesschau”, zur Frauenquote sagte, die die Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP spaltet:
Und nun, wie sich Horst Seehofer in den “Tagesthemen” zur Meinungsverschiedenheit zwischen Union und FDP beim Betreuungsgeld äußerte:
Die Aussage “Ich kann nur empfehlen: Eine Koalition handelt gemeinsam, mit Ausnahme von Gewissensfragen, und ich kann nicht erkennen, dass dies eine ist” passt natürlich zu beiden Themen — und mutmaßlich zu weiten Teilen der Regierungsarbeit dieser Koalition. Aber so offensichtlich hat sich Seehofer dann doch nicht wiederholt.
Wir haben bei der Redaktion von “ARD-aktuell” nachgefragt, wozu sich Seehofer wirklich geäußert hat und wieso sein Statement in beiden Einspielfilmen auftauchte. Der Zweite Chefredakteur Thomas Hinrichs schrieb uns:
Da beißt die Maus keinen Faden ab, der O-Ton von Horst Seehofer bezieht sich nur auf den Zusammenhang der Frauenquote. Dass dieser Umstand vier Kontrollinstanzen in Berlin und Hamburg durchgegangen ist, erklärt sich wohl nur damit, dass die Koalition gleich mehrere Baustellen hat, auf den der Sinnzusammenhang Seehofers zutrifft. Wir ändern das.
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
2. “Kundenservice im Journalismus: Fehler der Nachrichtenagentur ausbügeln? Denkste!” (kundenkunde.de)
Wie “Trainer Jürgen” mal auf verschiedenen Zeitungsportalen “ab der 63. Minute auf volle Offensive” setzte. “Nur gut, dass wir in diesem Land diese riesengroße Vielfalt an Qualitätsmedien haben – man sollte wirklich ALLES tun, um dieses extrem wertvolle Gut zu schützen. Nicht.”
3. “Vom Glück des Gedeihens” (faz.net, Uta Rasche)
Ein Porträt der Chefredakteurin der Zeitschrift “Landlust”, Ute Frieling-Huchzermeyer: “Dass die Redakteure allesamt Frauen sind, hat sich so ergeben: ‘Wenn sich ein passender Mann bewerben würde, hätte ich nichts dagegen’, sagt die Chefin. Die Hälfte des interdisziplinär aufgestellten Teams hat bei der ‘Landlust’ volontiert. Manche haben Gartenbau studiert, einzelne stammen vom Bauernhof, eine Ökotrophologin ist dabei, eine Geographin, aber auch Innenarchitektinnen, Germanistinnen und Kunsthistorikerinnen.”
4. “Jenseits der Hysterie” (neukoellner.net, Patrick Schirmer Sastre)
Das von “Bild” vorabgedruckte Buch “Neukölln ist überall” von Heinz Buschkowsky in der Rezension eines Lokalblogs: “Die in der ‘Bild’-Zeitung vorgestellten Thesen sind tatsächlich im Buch zu finden. Es darf aber niemanden überraschen, dass gerade diese Zeitung sich große Mühe gegeben hat, die argumentierenden und einordnenden Passagen wohlweislich zu übersehen. Im Grunde ist es einfach: Wer Buschkowsky aufgrund der Auszüge in der ‘Bild’ als Rassisten oder Agitator schimpft, ist auf die boulevard’sche Darstellung der Bild-Zeitung reingefallen, nicht auf den Bürgermeister.”