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Als mit Akif Pirinçci noch gut Currywurst essen war

Die Medien diskutieren momentan, wie Akif Pirinçci seine grässliche KZ-Aussage (“Aber die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb.”) am Montagabend bei der “Pegida”-Kundgebung genau meinte. Dass seine Rede in Dresden furchtbar war, darauf können sie sich hingegen einigen. Auch “Bild” und Bild.de:

Das sei eine “Hetzrede des irren Autors” gewesen. Sowieso falle Pirinçci schon seit 2012 “durch rechte Äußerungen in Blogs auf.” Und seine Bücher erst:

Im März 2014 hetzt er in seinem Buch “Deutschland von Sinnen” gegen Frauen, Schwule und Zuwanderer (“Manuscriptum”-Verlag).

Nanu? Damals, “im März 2014”, fanden die “Bild”-Medien Pirinçcis “Deutschland von Sinnen” eigentlich noch ganz spannend:

Von Hetze ist im Currywurstbudenbericht von “Bild am Sonntag”-Reporterin Anja Hardenberg keine Rede. Das Buch sei “schonungslos”, von einem geschrieben, “der politisch völlig unkorrekt ist.”

Ein paar Tage später legte Hardenberg bei einem zweiten Treffen mit Pirinçci noch einmal nach:

Pirinçci — laut Teaser möglicherweise ein Genie — liebe den “kalkulierte[n] Tabubruch”:

Wer ist dieser Pirinçci, der mal eben die politische Korrektheit schreddert?

Antwort:

Pirinçci, in dessen Krimis das Blut in Strömen fließt, ist eigentlich ein sympathisches Weichei.

Und:

Der Mann, der sich so wortmächtig über deutsches Schubladendenken und kulturelle Arroganz ereifert, ist ein verkappter Romantiker.

Während Akif Pirinçci aus heutiger “Bild”-Sicht in “Deutschland von Sinnen” “gegen Frauen, Schwule und Zuwanderer” “hetzt”, hieß es vor eineinhalb Jahren über das “Pöbel-Buch” noch:

Darin ledert er gegen Frauenquote, Homosexuelle, Öko-Fundamentalisten und anmaßende Zuwanderer.

“BamS” und Bild.de fanden das Abledern damals anscheinend so interessant, dass sie nicht nur werbewirksam Preis und Verlag des Buches nannten, sondern ihren Lesern auch noch eine Leseprobe spendierten:

Kurz darauf durfte Akif Pirinçci in “Bild am Sonntag” und auf Bild.de sogar als Gastautor über einen Deutschlandauftritt des türkischen Präsidenten Erdoğan schreiben:

Ein Hetzer als “Bild”-Autor. Unvorstellbar.

Siehe auch:

Wer Hass sät

“Bild” hat also beschlossen, noch ein wenig im Mittelalter zu verweilen.

So viel offener Hass war noch nie in unserem Land! Und wer Hass sät, wird Gewalt ernten. (…) BILD reicht es jetzt: Wir stellen die Hetzer an den Pranger!


(Alle Unkenntlichmachungen von uns.)

So präsentiert “Bild” heute knapp 40 Kommentare von Facebook (ganz prangermäßig natürlich samt Fotos und Namen der Verfasser). Zum Beispiel von Marco W.:

Verpisst euch aus Deutschland

Oder von Waldemar B.:

An die Wand,mit dem Dreckspack.

Oder von von Silvio B.:

Sind wir nicht alle ein bisschen Nazi

Dazu erklärte “Bild”-Chef Kai Diekmann heute:

Man kriegt Angst, wenn man sich dieser Tage die Nachrichten anschaut. Eine Politikerin, die sich für Flüchtlinge einsetzt in Köln, wird einfach abgestochen, niedergestochen. Da gibt es Demonstrationen, da laufen Leute rum mit selbstgebastelten Galgen, an denen Politiker hängen. Und das alles hat angefangen mit diesen Hass-Posts, mit diesen Hass-Tweets in den sozialen Medien. Und da gilt einfach, wir sehen es jetzt: Wer Hass sät, der wird Gewalt ernten. Das können wir nicht zulassen, da müssen wir „Halt, Stopp!“ rufen. Da wird ein Klima erzeugt, was wir nicht wollen. Und deshalb ist es richtig, diese Leute, die glauben, hier mit ihrem Gesicht diesen Hass, diesen Rassismus verbreiten zu müssen – die müssen wir an den Pranger stellen.

Die eigentliche Frage lässt er allerdings unbeantwortet: Warum „Bild“ die Hetzer an den Pranger stellt. Was soll das bewirken? Dass die 40 Abgebildeten jetzt stellvertretend für all die Dumpfnasen sozial geächtet, von ihrer Familie verstoßen und von ihrem Boss gefeuert werden? Oder dass sich die rechtschaffenden Leser dazu aufgefordert fühlen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen?

Der Medienanwalt Christian Solmecke hat die Aktion heute stark kritisiert. In einer Pressemitteilung schreibt er, „Bild“ hätte die Fotos und Nachnamen verpixeln müssen:

Unabhängig davon welche Straftat möglicherweise durch ein Bürger begangen wurde, gilt immer noch die Unschuldsvermutung. Dieses Prinzip gehört zu den fundamentalen Grundlagen unseres Rechtsstaates und wird durch einen solchen undifferenzierten Internetpranger mit Füßen getreten. Hinzukommt, dass die Verfolgung von Straftaten ausschließlich den zuständigen Behörden zukommt. Wer die Namen potentieller Straftäter veröffentlicht, verurteilt diese, bevor die Strafverfolgungsbehörden überhaupt Ermittlungen aufgenommen haben. Dies widerspricht unserem Rechtssystem und greift tief in die Grundrechte der einzeln aufgeführten Personen ein.

Gerade diejenigen, „die zwar moralisch verwerfliche Kommentare von sich geben, jedoch die Grenze der Strafbarkeit noch nicht erreichen“, würden „besonders stark in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt“, schreibt Solmecke. Das Gleiche gelte für jene, die einen ähnlichen Namen tragen „und durch die Berichterstattung nun mit rechtswidrigen Äußerungen in Verbindung gebracht werden“.

Beim Presserat sind schon die ersten Beschwerden eingegangen, was in den Springer-Chefetagen freilich nur für eines sorgte:

Aber zurück zu den Hetzern, also denen bei Facebook.

Angefangen habe alles „mit diesen Hass-Posts, mit diesen Hass-Tweets in den sozialen Medien“, sagt Kai Diekmann. Aber das ist nicht ganz richtig.

Ab ins Arbeitslager, und die Alte gleich mit !!!

Garnicht erst reinlassen diesen Abshaum
raus aus der EU und die Grenzen wieder dicht !!!

Die Familie sofort abschieben, meine Steuern sind mir zu Schade für solche Menschen, der wird sonst sein Leben lang auf Kosten der anderen leben. Kein Wunder, wenn die Deutschen immer mehr nach rechts rucken, so kann es nicht weitergehn!!!

Diese Hass-Botschaften sind nicht bei Facebook oder Twitter veröffentlicht worden, sondern in der Kommentarspalte von Bild.de. Und sie waren auch nicht der Anfang, sondern eine Reaktion – auf diesen Artikel:

Dass die beiden in Wirklichkeit Deutsche sind, haben die „Bild“-Medien damals natürlich verschwiegen. Dort war nur von „Roma“ die Rede.

Und dieses Pack füttert der Steuerzahler durch, sofort dort hin wo sie hin gehören.
Sehe es auch so, dass später nur krumme Dinger gedreht werden. Haben doch genug von den Romas in Deutschland Der größte Teil ist wie die oben genannte Sippe. Ein Kind nach dem anderen kriegen. Geld kassieren und nicht arbeiten.

Viele solcher Hass-Posts kamen nicht aus dem Nichts. Sie kamen, weil „Bild“ sie provoziert hat.

Das ist unser D E U T S C H L A N D!!!
Wir, das Volk sollte mitbestimmen dürfen, wen wir hier reinlassen oder nicht!
Ich möchte nicht, mit einer S&W Cal .357 schlafen, bzw. jeden Tag draussen rum laufen müssen,
aus Angst wegen ein paar Cent ausgeraubt zu werden!
Aber, ich denke, das ist so gewollt mit der Unterwanderung anderer Völker in Deutschland.
Siehe I. und II.WK!

Ich bin nur noch traurig. Haben diese Richter keine Verantwortung oder Gespür für das deutsche Volk.
Wer hier schreib es gibt keine Menschen erster od. zweiter Klasse gibt, hat eigentlich recht. Mitlerweile komme ich mir, als hier geborener,also echter Inländer, schon vor wie in der dritten Klasse.

[…] jetzt müssen wir noch Rumänen und Bulgaren, die arbeitsscheu sind unterstützen. Für einen Normalverdiener mit Kindern ist es doch jetzt schonj uninteressant in die Arbeit zu gehen. […] Aber für Asylanten und sonstige haben wir scheinbar genug Geld. Armes Deutschland.

Diese Kommentare sind erschienen, weil „Bild“ geschrieben hatte:


Dabei war das nur ein winziger Teil der Wahrheit. Das Urteil bezog sich nämlich nicht nur auf Rumänen und Bulgaren, sondern auf alle EU-Bürger, die in Deutschland leben und keinen Job finden, völlig unabhängig davon, aus welchem EU-Land sie kommen.

Nächstes Beispiel.

Solche Dreckspatzen sollte man verrecken lassen!!!!!!!

Großes Schiff. Care-Paket für die Reise, Bundeswehr“reisebegleiter“ mit genügend Waffen im Anschlag und gute Heimreise. Ganz einfach.
Wer tatsächlich vor Krieg und Tot fliehen MÜSSTE, benimmt sich nicht so , sondern würde vor Dankbarkeit den ganzen Tag arbeiten und fleißig deutsch lernen, um sich möglichst schnell in die Kultur und Gesellschaft einzubringen und anzupassen…!

Gleich eine Injektion aufziehen mit Fentanyl und Dormicum dazu noch ein bißchen Lidocain und fertig..

All das sind Reaktionen auf den „Bild“-Artikel, in dem behauptet wird, Rettungssanitäter in Bautzen müssten jetzt Schutzwesten tragen – „aus Angst vor Attacken im Asyl-Hotel“. Was überhaupt nicht stimmt.

Nächstes Beispiel.

Der deutsche Steuerzahler blecht dafür, dass brutale Ausländer in Deutschland sicher leben können, muss aber damit rechnen, von ihnen verprügelt zu werden!

Ah, nee. Das stammt von „Bild“ selbst.

Diese hier aber …

bekomme ein immer größeren Hass auf den rückständigen sch**** Islam, und das ist auch gut so. Lange lebe PEGIDA. Und Gauck, du Urmel aus dem Eis, gehe dahin wo die Baumwollpflücker leben….over and out.

WIE BESCHEUERT UND VERRÄTERISCH GEBEN SICH DIESE ISLAM-ARSCHKRIECHER NOCH BEI DER ABSCHAFFUNG UNSERER KULTUR UND UNSERER WERTE?!

Und genau darum bin ich dabei, genau darum werde ich im Neuen Jahr weiter argumentieren, mich streiten, mit linkem PACK anlegen, demonstrieren, zum N.A.S.I gemacht, und ich werde es aushalten, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Und der Gemeinde noch ein schönes Weihnachtsfest !

… sind ebenfalls Reaktionen auf einen zurechtgebogenen „Bild“-Artikel, in dem das Blatt behauptete, Politiker würden „fordern“, dass im christlichen Weihnachtsgottesdienst muslimische Lieder gesungen werden.

Eine Idee, die in Wahrheit von „Bild“ kam, nicht von den Politikern.

Es gibt unzählige solcher Beispiele: Islam-Rabatt, Weihnachtsmarktverbot, Sonne-Mond-und-Sterne-Fest, Schnitzelkrieg, Moslem-Feiertag, Sarrazin, Ehrenmorde, Roma, Griechen, kriminelle Ausländer und so weiter und so weiter. Seit Jahren verschweigen die „Bild“-Medien bei diesen Themen entscheidende Tatsachen, sie verdrehen die Fakten zu knalligen Schlagzeilen, sie tricksen und lügen, sie heizen die Stimmung an, sie säen den Hass, über den sie sich heute empören.

Oder anders:

Mit Dank auch an Saskia K., Geesje R., Thomas R., Christian B. und bluspot.

Siehe auch:

Wie „Bild“ Ausländerfeindlichkeit fördert
Wie „Bild“ den Hass gegen Flüchtlinge schürt
„BILD lässt Vorurteile wachsen“

Geier Sturzflug

Die Auflagen von “Bild” und “Bild am Sonntag” sinken weiter rapide.

Laut IVW hat “Bild” im Vergleich zum Vorjahr fast zehn Prozent verloren, die “Bild am Sonntag” 6,5 Prozent. Im Online-Bereich wachsen die Nutzerzahlen dagegen: Im September zählte “Bild-Plus” gut 293.000 zahlende Leser, 50.000 mehr als im Jahr zuvor.

Da die IVW-Zahlen nur bis 1998 vorliegen, hat unser Leser Richard B. mal die früheren Daten rausgesucht:

Und man sieht: Die heutige “Bild”-Auflage ist die niedrigste seit 60 Jahren.

Galgen und Pranger

Dieses Foto hat vergangene Woche viel Empörung ausgelöst.

“Bild” schickte gleich jemanden auf die Jagd nach dem “Galgen-Mann”, und siehe da:

Ein heruntergekommenes Mehrfamilienhaus. Die Wohnung liegt im Erdgeschoss. Alles wirkt trist. Der BILD-Reporter klingelt – nach wenigen Sekunden öffnet Bernd A. in Jogginghose und T-Shirt.

Und genau so — in Jogginghose und T-Shirt an seiner Wohnungstür — präsentierte “Bild” den Mann am Samstag groß und unverpixelt in der Bundesausgabe (und online gegen Bezahlung).

(Unkenntlichmachung von uns.)

Die Fotos wurden der Perspektive nach aus Hüfthöhe aufgenommen. Den Namen des Fotografen geben “Bild” und Bild.de nicht an.

In einem Interview mit dem rechtspopulistischen Magazin “Compact” (ab Minute 6:00) sagt der Mann, die Fotos seien “still und heimlich” gemacht worden und obwohl es “eindeutig untersagt war, dass da Fotos gemacht werden”.

Bevor hier Missverständnisse aufkommen (Herr Reichelt, gut aufpassen): Es geht nicht um den Galgen, der war schäbig und hatte mit “Satire”, wie es der Mann nennt, nichts zu tun. Es geht darum, dass auch besorgte Flachzangen Grundrechte haben.

Die ungenehmigte Veröffentlichung von Fotos, die den Abgebildeten in seinem Privatbereich zeigen, verletzt grundsätzlich dessen Persönlichkeitsrecht. Das gilt auch für Personen, die aufgrund ihres Ranges oder Ansehens, ihres Amtes oder Einflusses, ihrer Fähigkeiten oder Taten besondere öffentliche Beachtung finden. (Udo Branahl: Medienrecht, 2009, siehe auch: § 201a StGB)

Ein öffentliches Informationsinteresse an seinem Aussehen besteht ohnehin nicht, zumal “Bild” und Bild.de schon am Mittwoch Fotos von der Demo veröffentlicht hatten, auf denen sein Gesicht zu sehen war.

Die “Bild”-Medien zeigen aber nicht nur Fotos, sie schreiben auch, wo der Mann wohnt, welchen Beruf er ausübt, welche Seiten er bei Facebook “mit ‘Gefällt mir’ angeklickt” hat, welche Musik er mag, welche Kommentare er geschrieben und welche Fotos er gepostet hat. Sie stellen ihn bloß, in Jogginghose und T-Shirt, als wäre ein medialer Pranger zielführender als ein symbolischer Galgen.

Nachtrag, 12. April 2016: Der Presserat hat die Veröffentlichung der Fotos für unzulässig erklärt.

Unbekanntes Flugobjekt löst Eilmeldungen aus

Tweet von @faznet: "++EIL++ Das türkische Militär hat einen Kampfjet nahe der Grenze zu Syrien abgeschossen. Mehr in Kürze auf FAZ.NET"

Tweet von @BILD: "+++ EIL +++ Das türkische Militär hat nahe der Grenze zu Syrien einen Kampfjet abgeschossen. Mehr in Kürze auf bild.de"

Tweet von @ntv_EIL: "Breaking News: Türkei schießt Kampfjet ab."

Schlagzeile von stern.de: 'Grenze zu Syrien: Türkei schießt Kampfjet im türkischen Luftraum ab'
Schlagzeile von n-tv.de: 'Nahe der Grenze zu Syrien: Türkei schießt Kampfjet ab'
Schlagzeile von T-Online.de: 'Türkei schießt Kampfjet ab'
Schlagzeile von Huffingtonpost.de:
Schlagzeile von N24.de: 'Türkisches Militär schießt Kampfjet ab'
Schlagzeile von welt.de: 'Grenze zu Syrien: Türkei schießt im eigenen Luftraum Kampfjet ab'

Und so sieht er aus, der “Kampfjet”:

Mittlerweile haben die meisten Medien ihre Berichte korrigiert und schreiben jetzt von einer Drohne. Beispielsweise FAZ.net:

Das türkische Militär hat am Freitag nach eigenen Angaben eine Drohne über der Türkei nahe der Grenze zu Syrien abgeschossen. Zunächst hatte es Meldungen gegeben, es habe sich um ein Flugzeug gehandelt.

Und:

Bisher sei nicht bekannt, zu welchem Land das im türkischen Luftraum abgeschossene Objekt gehört habe, teilte der türkische Generalstab auf seiner Internetseite mit.

Bild.de weiß es aber natürlich schon:

Schlagzeile von Bild.de: 'Zwischenfall an der Grenze zu Syrien - Türkische Kampfjets schießen Russen-Drohne ab'

Mit Dank an Dawud.

Bild.de streckt historischen Stoff

Die jungen Leute gucken ja alle heutzutage Serien, und deswegen muss auch Bild.de über Serien berichten. Die neueste “NETFLIX-ERFOLGSSERIE” ist “Narcos”, in der es um den kolumbianischen Drogenhändler Pablo Escobar geht. Also schreibt auch Bild.de über “Narcos”. Und hat sich dafür einen besonderen Dreh überlegt:

Da gäbe es (Update: Bild.de hat den Artkel inzwischen entfernt*) zum Beispiel “Escobars Sohn”, “Escobars Geliebte” — oder “Escobars Geschäftspartner”, Carlos Lehder Rivas:

Carlos Lehder Rivas (66) ist Sohn eines deutschen Ingenieurs und einer Kolumbianerin, war Mitbegründer des Medellín-Kartells und Gefährte von Pablo Escobar.

Genau. Wie Sandro Benini bereits vor dreineinhalb Jahren im “Tagesanzeiger” geschrieben hat:

Carlos Lehder, Sohn eines deutschen Ingenieurs und einer Kolumbianerin, Mitbegründer des Medellín-Kartells, Gefährte des Kokainbarons Pablo Escobar

Die Bild.de-Autorin hat aber noch mehr über Lehder zu berichten:

Lehder gewann Escobar als Lieferanten, und obwohl die Beziehungen zwischen den beiden stets von Misstrauen, sogar Antipathie geprägt war, stieg der Deutsche zu einer der beherrschenden Figuren des Medellín-Kartells auf.

Genau. Wie Sandro Benini bereits vor dreineinhalb Jahren im “Tagesanzeiger” geschrieben hat:

Lehder gewinnt Pablo Escobar als Lieferanten, und obwohl die Beziehung zwischen den beiden stets von Misstrauen, ja sogar Antipathie geprägt ist, steigt der Deutsche zu einer der beherrschenden Figuren des Medellín-Kartells auf.

Bild.de:

Während Escobar vom Koks die Finger ließ, bekam Lehder vom weißen Pulver die Nase nicht voll genug. Das machte ihn unberechenbar und gewalttätig.

“Tagesanzeiger”:

Während Escobar vom Koksen die Finger lässt und höchstens einmal einen Joint raucht, kann Lehder von dem weissen Pulver die Nase nicht voll genug kriegen. Das macht ihn unberechenbar und gewalttätig.

Bild.de:

Am 4. Februar 1987 um 5 Uhr morgens in Guarne, einem Städtchen im Westen Kolumbiens, wurde er von der Drogenpolizei DEA (Drug Enforcement Administration) festgenommen.

“Tagesanzeiger”:

Es ist der 4. Februar 1987, 5 Uhr morgens in Guarne, einem Städtchen im Westen Kolumbiens. Eine Sondereinheit kolumbianischer Elitepolizisten und mehrere Agenten der amerikanischen Drogenpolizei DEA (Drug Enforcement Administration) umstellen ein Landgut.

Bild.de:

Die Geschichte von Carlos Lehder wurde im Film „Blow“ (2001) erzählt, mit Johnny Depp (52) in der Hauptrolle.

“Tagesanzeiger”:

Die Geschichte der Freundschaft zwischen Jung und Lehder wird im Film «Blow» aus dem Jahre 2001 erzählt, mit Johnny Depp in der Hauptrolle.

Auch beim Rest der Lehder-Passage hat sich Bild.de offensichtlich beim “Tagesanzeiger” bedient — natürlich ohne ihn zu nennen. Was wohl Bild.de-Chef Julian Reichelt zu dieser Praxis sagen würde?

Mit Dank an Jonas G.

*Nachtrag, 16. Oktober, 12:01 Uhr: Bild.de-Chef Julian Reichelt hat reagiert, den Artikel offline genommen und sich bei “Tagesanzeiger”-Autor Sandro Benini entschuldigt.

Sind Medienberichte über Selbstmord gefährlich?

Im vergangenen Jahr fragte “Focus Online”:

… und erklärte:

Der Deutsche Presserat hat vor vielen Jahren eine (…) ethische Empfehlung beschlossen. Sinngemäß wird in dieser Empfehlung vorgeschlagen, weitgehend auf die Berichterstattung [über Suizide] zu verzichten. Zumindest nicht ausgebreitet und im Einzelnen bezogen auf die Person. (…)

Die ethische Selbstbeschränkung erwuchs aus der Angst vor einem Nachahmeffekt. Kurz gesagt: Berichterstattung würde andere zum Selbstmord anstiften.

Der “Focus Online”-“Experte” hat an dieser These so seine Zweifel. Viel näher geht er aber nicht darauf ein und lässt die Frage in der Überschrift unbeantwortet. Er will sich auch gar nicht damit befassen, denn:

Es geht mir an dieser Stelle nicht um die Diskussion, ob es einen Nachahmeffekt gibt oder nicht. Ich halte eine solche Diskussion grundsätzlich für überflüssig, zumal sich Suizid heutzutage, vor allem im Bereich Social Media, bereits öffentlich abspielt oder dort inszeniert wird.

Ahso.

Man kann lange über ethische Selbstbeschränkung reden oder nicht. Die Fakten sprechen eine eigene Sprache.

In der Tat.

Mitte der 70er-Jahre wies der amerikanische Soziologe David Phillips nach, dass immer, wenn die „New York Times“ prominent über einen Selbstmord berichtet hatte, die Zahl der Selbstmorde deutlich anstieg. Je länger und prominenter über den Suizid berichtet wurde, desto größer war der folgende Anstieg. Phillips erkannte auch örtliche Zusammenhänge: Wenn beispielsweise ein Selbstmord nur in New York groß auf der Titelseite behandelt wurde, nicht aber in Chicago, stieg die Zahl der Selbstmorde in New York stärker als in Chicago. Während eines neunmonatigen Zeitungsstreiks in Detroit sank die Zahl der Selbstmorde dort signifikant.

Anfang der 80er zeigte das ZDF die (fiktive) Serie „Tod eines Schülers“, in dem sich ein Jugendlicher das Leben nimmt. Hinterher nahm die Zahl ähnlicher Suizide bei jungen Männern um 175 Prozent zu. Selbst bei der Wiederholung der Serie eineinhalb Jahre später stellten Wissenschaftler noch einen erheblichen Nachahmungseffekt fest.

Auch nach dem Suizid von Fußballer Robert Enke, über den deutsche Medien sehr detailliert berichtet hatten, stieg die Zahl ähnlicher Suizide deutlich an — in den ersten zwei Wochen um 138 Prozent. Die Forscher beobachteten auch längerfristige Folgen: Im Vergleich zu den zwei Jahren vor Enkes Tod stieg die Zahl ähnlicher Selbstmorde in den zwei Jahren danach um 19 Prozent.

Auch in Japan haben Wissenschaftler einen solchen Nachahmeffekt nachgewiesen. Und in Österreich. Und in Großbritannien. Und in Korea. Und in Taiwan. Und in Australien. Und in der Schweiz. Nur wenige Beispiele von unzähligen Studien, die belegen, dass Medien die Zahl der Selbstmorde in die Höhe treiben. Oder wie der australische Psychiater Robert D. Goldney‌ schon vor 25 Jahren feststellte:

Es besteht kein begründeter Zweifel mehr, dass die Medien zu Selbstmorden beitragen. Eine unreflektierte Berichterstattung wird zwangsläufig zu weiteren Selbstmorden führen.

“Focus Online” ist das egal.

“Focus Online” berichtet über Suizide wie über alles andere: durch und durch getrieben von der Gier nach Klicks. Nach dem Suizid von Schauspieler Robin Williams veröffentlichte das Portal allein in den ersten vier Tagen über 70 Artikel und erklärte unter anderem detailliert, wie sich der Schauspieler das Leben genommen hatte. Auch der Selbstmord von Ben Wettervogel zog ein regelrechtes Artikelfeuerwerk nach sich; “Focus Online” beschrieb die genaue Suizidmethode, spekulierte über die Motive, brachte immer wieder “neue Details zu seinem Tod”. Und selbst Nicht-Prominente werden nicht verschont: Erst vor drei Wochen rügte der Presserat das Portal öffentlich, weil es über den Suizid eines 13-jährigen Mädchens berichtet und die “geforderte Zurückhaltung” dabei “grob missachtet” hatte.

Wie Medien über Suizide berichten sollten, um Nachahmungstaten zu vermeiden:

  • Sie sollten jede Bewertung von Suiziden als heroisch, romantisch oder tragisch vermeiden, um möglichen Nachahmern keine post-mortalen Gratifikationen in Form von Anerkennung, Verehrung oder Mitleid in Aussicht zu stellen.
  • Sie sollten weder den Namen der Suizidenten noch sein Alter und sein Geschlecht angeben, um eine Zielgruppen-Identifizierung auszuschließen.
  • Sie sollten die Suizidmethode und – besonders bei spektakulären Fällen – den Ort des Suizides nicht erwähnen, um die konkrete Imitation unmöglich zu machen.
  • Sie sollten vor allem keine Informationen über die Motivation, die äußeren und inneren Ursachen des Suizides andeuten, um so jede Identifikations-Möglichkeit und Motivations-Brücke mit den entsprechenden Lebensumständen und Problemen des Suizidenten vermeiden.

(Quelle: psychosoziale-gesundheit.net)

Diese Zurückhaltung ist das, was der “Focus Online”-“Experte” als “ethische Selbstbeschränkung” bezeichnet. Viele Institutionen — darunter die Weltgesundheitsorganisation, die Deutsche Depressionshilfe, die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention oder eben der Presserat — empfehlen Journalisten, weder prominent noch detailliert über Suizide zu berichten, um Nachahmungstaten zu vermeiden (siehe Kasten rechts).

Wie wirksam diese Zurückhaltung sein kann, zeigt ein Beispiel aus Österreich. Nach der Eröffnung der U-Bahn in Wien im Jahr 1978 kam es dort zu einem dramatischen Anstieg der Suizide und Suizidversuche, über die (vor allem in den Printmedien) intensiv und plakativ berichtet wurde. Gegen Ende der 80er-Jahre entwickelte der Österreichische Verein für Suizidprävention einige Richtlinien für Medien, die zum Beispiel nahelegten, keine Details zu nennen und nicht zu emotionalisieren, keine Fotos zu zeigen und nicht auf der Titelseite zu berichten. Nachdem die Redaktionen die Empfehlungen umgesetzt hatten, sank die Zahl der U-Bahn-Suizide um 75 Prozent.

Was bringt es den Lesern auch, wenn sie erfahren, wie genau sich jemand das Leben genommen hat? Oder an welchem Ort? Für das Verständnis des Geschehens sind diese Details völlig irrelevant.

“Focus Online” ist das egal.













Die Artikel sind die jüngsten Beispiele für den gedankenlosen Veröffentlichungswahn von “Focus Online”. Erneut nennt das Portal die genaue Suizidmethode der Frau, spekuliert über ihre Motive, zitiert aus ihrem angeblichen Abschiedsbrief und gibt sich auch sonst wieder jede Mühe, es Nachahmern möglichst einfach zu machen. Diskussionen? “Überflüssig”.

Und natürlich hat “Focus Online” auch kein Problem damit, die Artikel mit Eigenwerbung vollzuballern.

Oder hier:

Der Link führt übrigens zum “Focus Online”-Ratgeber “Den passenden Grabstein finden”.

Immerhin: Unter manchen Artikeln gibt “Focus Online” inzwischen die Nummer der Telefonseelsorge an. Hier zum Beispiel:

Leider ist “Focus Online” nicht das einzige Medium, das die Empfehlungen zur Nachahmungsprävention regelmäßig und mit großer Sorgfalt ignoriert. Auch seriösere Journalisten reihen sich ein, und natürlich die von “Bild”.

Auch die nutzen solche Artikel ohne große Hemmungen zum Geldverdienen:

Der Text handelt vom Suizid von Jim Carreys Ex-Freundin, der auch bei Bild.de ausführlichst vorkommt. Bild.de schreibt Dinge wie …

… und …

… und …

… und nennt dermaßen viele Details, dass Nachahmer kein Problem hätten, den Selbstmord haargenau zu kopieren.

Und dann schreibt Bild.de unter den Artikeln:

Der erste Satz ist ein bisschen umständlich formuliert. Was die „Bild“-Leute eigentlich sagen wollen:

Wenn die Umstände eines Suizids eine gute Schlagzeile abgeben, schenken wir ihm besondere Aufmerksamkeit. Dann zitieren wir aus Abschiedsbriefen, dann spekulieren wir über die Motive und erklären in aller Ausführlichkeit die Suizidmethode. Und die Sache mit der Nachahmung, tja. Manchmal muss man sich eben zwischen Klicks und Menschenleben entscheiden.

Mit Dank auch an Lukas H. und Nicolas K.

Siehe auch:
Schreiben wir über Suizid!
Über Enke und Werther
Wenn Schlagzeilen Menschenleben kosten
Mick Werup
Wie man den Werther-Effekt ignoriert

Himmelhoch jauchzend, zu Tode vergnügt

Nun will Facebook also Emojis einführen. Statt ein Foto, ein Posting, einen Link nur zu liken, können ausgewählte Nutzer jetzt testweise ihre Zustimmung oder Ablehnung oder Überraschung durch kleine Symbole kundtun: ein Herz zum Beispiel oder ein Gesicht mit einer Träne.

Aber gibt’s das nicht schon längst woanders?

Sicher nicht ohne Stolz retweetet Kai Diekmann — nicht nur “Bild”-Chef, sondern auch Herausgeber von Bild.de –, dass Facebook bei ihm und seinem Team abkupfere.

Man könnte einwenden, dass Facebook ein entsprechendes Patent bereits im März 2013 angemeldet hat, also lange bevor Bild.de mit dem sogenannten Moodtagging loslegte. Und auch, dass in der Medienbranche beispielsweise “Buzzfeed” viel früher eine solche Funktion eingeführt hat.

Aber: Bild.de war mit dabei. Wenn es zum Beispiel ein Feuer im Flüchtlingscamp gab, und die Redaktion darüber berichtet hat, konnten die Leser mit einem Klick ihr Entsetzen ihre Freude darüber äußern:

Diese Reaktion über ein Unglück war keine Ausnahme. Ein Schwertfisch spießt einen Seemann auf? Lachen! Ein toter Porsche-Fahrer? Lachen! Gleichstellung für Homo-Ehe? Wut!















Dabei war es durchaus möglich, das Tool bei einzelnen Texten auszuschalten — zum Beispiel bei Kommentaren der “Bild”-Chefs. Wissen wir bis heute nicht, warum es nicht auch bei solchen Artikeln gemacht wurde:




Seit ein paar Wochen ist das Moodtagging bei Bild.de nicht mehr zu finden, die Redaktion hat die Funktion abgestellt.

Wo laufen sie denn?

Der “Fan Run” sollte der nächste Höhepunkt der selbstlosen “Wir helfen”Werbekampagne der “Bild”-Zeitung werden. Die Idee: Gemeinsam mit dem FC Bayern München einen Fünf-Kilometer-Lauf initiieren (als besonderes Leckerli dürfen die Teilnehmer im Innenraum des Bayern-Stadions eine Runde drehen), die Startgebühr von knapp 30 Euro pro Person soll — nach Abzug der Steuern — an die “Bild”-Stiftung “Ein Herz für Kinder” gehen. Und, schwups, wieder einmal den Feuerlöscher gemimt.

Seit Bekanntwerden der Pläne haben die “Bild”-Medien eifrig für den “Fan Run” getrommelt:




Klar, es gab auch Gegenwind. Gleich zu Beginn hatten Bayern-Fans in ihrem Blog “Miasanrot” moniert, dass nicht genau klar sei, wofür die Teilnahmegebühren verwendet werden, die Organisationsstruktur undurchsichtig sei und Daten der Läufer an den Axel-Springer-Verlag weitergeben würden. Einige der Punkte haben die Veranstalter ausgemerzt. Doch bis zuletzt gab es Kritik.

Alles kein Problem für die “Bild”-Profis, die direkt den Werbekonter einleiteten: Der frühere Fanliebling Hasan Salihamidzic forderte bei Bild.de:

Und “Bild”-Kumpel Lothar Matthäus jubelte:

Total super und riesig werde das alles, kündigten “Bild” und den FC Bayern an. “Tausende” Menschen würden teilnehmen:

Vergangenen Samstag fand der “Traum für alle Fans” schließlich statt. Es kamen: “über 500 Läufer”.

Mit Dank an Florian E.

“Bild” in die Tonne (3)

Hui, da war ja was los!

Eine größere Galerie mit Beispielbildern haben wir hier zusammengestellt (dauert einen Moment, bis alles geladen ist).

Über 5.500 Menschen, ein Dutzend Tiere und eine Pflanze haben sich an #BILDindieTonne beteiligt und ihre Gratis-“Bild” unschädlich gemacht. Viele haben auch gleich ihren Nachbarn einen Dienst erwiesen oder ihr Exemplar kurzerhand zurückgeschenkt. Mit so viel Einsatz hatten wir nicht gerechnet. Vielen Dank dafür!

Wir werden also alle der versprochenen 1.000 Lernhefte an Flüchtlingsunterkünfte verteilen. Und wir werden alle Spenden, die wir seit Dienstag bekommen haben, verwenden, um weitere Hefte zu besorgen (wie viele es am Ende geworden sind, tragen wir dann hier nach). Das Lernmaterial ist am besten für Unterkünfte geeignet, in denen es betreute Deutschkurse gibt. Wenn Sie Tipps haben, welche Unterkunft noch Hefte gebrauchen könnte, melden Sie sich gerne bei uns.

Die Gewinner der Verlosung kontaktieren wir in den nächsten Tagen.

Und falls Sie bisher ein schweres Rückenleiden daran gehindert haben sollte, die Gratis-“Bild” zu entsorgen: Hier kann man noch was Nützliches damit anstellen.

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