Krasses Video von irgendwas, irgendwann

Gestern veröffentlichte “Spiegel Online” einen Videobericht. Er beginnt mit den Worten:

Ungewöhnlicher Besuch im Rathaus von Wichita, Kansas, im mittleren Westen der USA. Ein Mann brettert mit seiner Limousine durch das Gebäude. Ihm immer auf den Fersen: zwei tapfere Sicherheitsleute. Verschiedene Überwachsungskameras zeichnen das Geschehen auf.

Die Bilder sind dramatisch. Es ist kaum zu glauben, dass bei der wilden Fahrt niemand verletzt wurde, wie der Sprecher sagt. Nur Momente, bevor der Mann mit seinem Auto durch die Gänge rast, sind sie noch voller Menschen.

Wer sich das Video nicht auf “Spiegel Online”, sondern zum Beispiel auf “YouTube” ansieht, sieht mehr: einen Timecode. Auf “Spiegel Online” ist die eingeblendete Uhrzeit am unteren Bildrand abgeschnitten. Dabei enthält sie wertvolle Informationen. Sie enthüllen zum Beispiel, dass die Szenen unmerkliche Schnitte enthalten. Obwohl es aussieht, als würden die Leute immer wieder um Haaresbreite dem Amokfahrer entkommen, liegt in Wirklichkeit bis zu einer Viertelstunde dazwischen.

Die Aufnahmen der Überwachungskameras wurden offenbar auf maximalen Unterhaltungswert als Internetvideo dramatisiert*. Den Leuten von “Spiegel Online” war das entweder egal oder recht. Denn als Nachricht interessiert sie das Ereignis ohnehin nicht. Sie erwähnen nicht einmal, dass die spektakuläre Fahrt, über die sie aktuell berichten, bereits im Januar vergangenen Jahres stattfand.

Seit längerer Zeit schon folgen viele Online-Medien einem Trend zur Boulevardisierung, was neben einer reißerischen Form der Präsentation vor allem andere Kriterien bei der Auswahl von Nachrichten bedeutet. Inzwischen gehen sie gern noch einen Schritt weiter und behandeln Videos und Fotos gar nicht mehr als Dokumente einer Nachricht, sondern nur noch als kontextlose Fundsache, wie bei einer Clipshow im Fernsehen oder einem von Kollege zu Kollege weitergeschickten YouTube-Video.

Die in mehrerer Hinsicht dramatisierte “Spiegel Online”-Präsentation der Aufnahmen von dem Auto, das durch das Rathaus von Wichita, Kansas, fuhr, ist dafür nur ein anschauliches Beispiel.

*) Nachtrag, 14.40 Uhr. Der örtliche Fernsehsender KSCW weist in seinem Bericht ausdrücklich auf die Zeitsprünge im Video hin und erklärt sie: Die Überwachungskameras zeichnen nur dann etwas auf, wenn sie Bewegungen wahrnehmen. Aktueller Anlass für die Berichterstattung und die Veröffentlichung des Videos ist übrigens die Verurteilung des Fahrers am Mittwoch vergangener Woche. Aber das kann man aufgrund des “Spiegel Online”-Videos kaum erahnen.

Mit Dank an Gunar, jaimitoCV und Clarissa!

BND, Neon, n-tv, Wirtschaftswachstum

1. Der BND und die Medien

(jungle-world.com, Thomas Blum und Markus Ströhlein)

Zwei Mitarbeiter der Jungle World besuchen einen Vortrag von Ernst Uhrlau, Präsident des Bundesnachrichtendienstes, vor Vertretern des deutschen Fachjournalisten-Verbands. Sie notieren sich unter anderem die Frage “Wie nutze ich Journalisten als Instrument?” oder die eigenwillige Definition “Transparenz bedeutet für mich nicht Durchsichtigkeit.”

2. Interview mit Timm Klotzek

(meedia.de, Georg Altrogge)

Lesenswertes Interview mit einem der beiden Chefredakteure der Zeitschrift Neon, welche als eine von wenigen steigende Leserzahlen aufweisen kann. Klotzek glaubt, dass Zeitschriften in “absehbarer Zeit gar nicht mehr zuständig sind” für Serviceaufgaben. “Wenn man wirklich Service will, wird man durch das Internet besser bedient. Zeitschriften sind für Inspiration oder Überraschung da oder für eine Verbindung zu ganz anderen Themen, wie wir sie geschaffen haben.”

3. “Digitale Infantilisierung greift den präfrontalen Cortex an”

(heise.de/tp, Florian Rötzer)

“Medien und Web 2.0-Seiten verformen unsere Gehirne, sagt eine anerkannte britische Neurowissenschaftlerin, Belege dafür hat sie nicht.”

4. Interview mit Hans Demmel

(dwdl.de, Thomas Lückerath)

Der Geschäftsführer des Nachrichtensenders n-tv glaubt, dass man mit “Twitter, Facebook oder Blogs wahnsinnig vorsichtig” sein muss. Es helfe aber, “auf Themen aufmerksam zu werden”. Deshalb gibt es bei n-tv einen “einen Netzreporter, der diese Plattformen beobachtet und die Nachrichten mit der gebotenen Vorsicht einordnet”.

5. “Heeeere’s . . . Conan!!!”

(nytimes.com, Lynn Hirschberg)

“Can Conan O’Brien’s brand of late-late-night, smart-guy, outsider humor work on ‘The Tonight Show’?”

6. “Muss unsere Wirtschaft unbedingt wachsen?”

(zeit.de, Wolfgang Uchatius)

Wolfgang Uchatius geht der Frage nach, wie wichtig das dauernd gepredigte Wirtschaftswachstum ist.

Bild  

Springer hatte mit 1968 nichts zu tun

“Wer Terror produziert, muß Härte in Kauf nehmen.”

Schlagzeile der Springer-Zeitung “B.Z.” am 3. Juni 1967, dem Tag, nachdem der unbewaffnet gegen den Schah demonstrierende Benno Ohnesorg von dem Polizisten Kurras erschossen worden war.

“Bild” hatte angesichts der Studenten-Demonstrationen schon im Dezember 1966 “Polizeihiebe auf Krawallköpfe” empfohlen, “um den möglicherweise doch vorhandenen Grips locker zu machen.” Im Februar 1966 schrieb das Blatt über eine Vietnam-Demonstration Berliner Studenten:

Es ist an der Zeit, diesen Leuten mit aller Deutlichkeit zu sagen: … Zwei Millionen Berliner lassen sich nicht von 1500 Wirrköpfen auf der Nase herumtanzen.

“Bild” wolle “dafür sorgen, daß in Zukunft ähnlichen Demonstrationen die gebührende Antwort erteilt wird”. Springer-Zeitungen titelten: “Kein Geld für langbehaarte Affen”, “Da hilft nur noch eins: Härte”, “Unruhe stifter unter Studenten ausmerzen” und nannten die Protestierenden “Eiterbeulen”.

Als mehrere Studenten im April 1967 vorübergehend festgenommen wurden, weil sie Mehl und Joghurt in Beutel abgefüllt und ein Attentat mit Pudding auf den amerikanischen Vizepräsidenten geplant hatten, sprach “Bild” von “Bomben und hochexplosiven Chemikalien” und “sprengstoffgefüllten Plastikbeuteln” und titelte: “Bombenanschlag auf US-Vizepräsidenten.”

Das Buch “Das ‘Welt’-‘Bild’ des Axel Springer Verlages” fasst die damalige Berichterstattung der Springer-Zeitungen so zusammen:

Richtete sich eine Demonstration gegen bundesdeutsche oder allgemein westliche Mißstände und legte noch dazu belebte Straßen wie den Berliner Kurfürstendamm lahm — tat also genau das, wofür sie gedacht war, nämlich den reibungslosen Ablauf zu stören –, wurde sie als illegaler Druck der Straße abgeleht. (…)

Die anfänglich demokratisch-legal artikulierte Kritik bewirkte keine Veränderung, sondern wurde statt dessen bereits kriminalisiert. Wie das Beispiel der Demonstranten zeigt, galt gerade in den Zeitungen des Springer-Verlages schon der friedliche, aber eben störende Protest als illegaler Übergriff auf das Recht der Bundesbürger auf Ruhe und Ordnung. (…) Obgleich anfänglich die Gewalt nicht von studentischer Seite ausging, sondern im Gegenteil von den staatlichen Instanzen Polizei oder Universität, wurden dennoch die Studenten als Initatoren der Gewalt geschildert.

Am 7. Februar 1968 schrieb “Bild”:

Man darf über das, was zur Zeit geschieht, nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Und man darf auch nicht die ganze Dreckarbeit der Polizei und ihren Wasserwerfern überlassen.

Ein Amtsgericht sah in diesen “Bild”-Sätzen damals “nicht eine demokratische Auseinandersetzung mit einem Andersdenkenden, sondern üble Stimmungsmache und Aufhetzung zu Gewalttaten”.

“Dutschke, der sich später den Grünen anschließt, ertrinkt Heiligabend 1974 in der Badewanne.”

(Gescheiterter Mini-Biographie-Versuch der “Bild am Sonntag” gestern über ihren ewigen Gegner Rudi Dutschke)

Zwei Monate später wurde das Attentat auf den Studentenführer Rudi Dutschke verübt.

Man kann die Eskalation der Gewalt, die dem Tod Ohnesorgs folgte, nicht erklären ohne das politische Klima, in dem er geschah, und die Lügen und die Hetze der Springer-Zeitungen, die es anfeuerten.

Kann man nicht? “Bild” kann es.

Seit herausgekommen ist, dass Karl-Heinz Kurras, der Polizist, der Ohnesorg erschoss, Stasi-Agent war, lässt sich nach Ansicht der “Bild”-Zeitung offenbar alles, was damals, davor und danach passiert ist, allein durch die brutalen Machenschaften des DDR-Systems erklären. Ob Kurras mit dem Todesschuss im Auftrag der Stasi handelte, ist keineswegs ausgemacht — aber der frühere “Bild”-Chefredakteur Hans-Hermann Tiedje weiß schon, dass sie auch für den Tod Dutschkes verantwortlich war:

In der “taz” kommentiert Christian Semler:

[Kurras] hatte in seinen Prozessen wegen fahrlässiger Tötung Ende der Sechzigerjahre Verbündete, allen voran Springers Bild-Zeitung. Sein vorbildlicher Einsatz, hieß es, sei leider in einem von ihm nicht verschuldeten Unglücksfall geendet.

Wie schnell aus aufrechten Verteidigern der Freiheit gedungene Mörder werden — denn jetzt, nachdem Kurras’ Tätigkeit als IM der Staatssicherheit aufgeflogen ist, wird er zum Auftragsmörder, der gehorsam den Befehlen aus der Stasi-Zentrale folgte. (…) Man kann den delirierenden Autor Hans-Hermann Tiedje nicht unter der Rubrik “Berliner Absonderlichkeiten” verbuchen. Vielmehr geht es hier um ein groß angelegtes Manöver der historischen Mystifikation. Indem die Stasi — ohne jedes Indiz — zum Täter gemacht wird, kann die Verantwortung der Westberliner Eliten für den 2. Juni 1967 beiseitegedrückt werden.

Und der Fernsehproduzent Friedrich Küppersbusch ätzt, was es angesichts der vorhergehenden Hetze von “Bild” gegen die Studenten bedeutet, wenn sich der Tod von Ohnesorg dem DDR-Regime in die Schuhe schieben lässt:

Das klingt schon nach Aussöhnung zwischen Bild und Stasi.

 

Lebt denn der alte Canzler-Kandidat noch?

Vor etwa einem Monat hatten Mitarbeiter des NDR-Satiremagazins “Extra 3” beim Wahlkampfauftakt der SPD mit selbst gebastelten “Yes, he can Kanzler!”-Plakaten für Verwirrung unter den anwesenden Journalisten gesorgt (BILDblog berichtete).

Entweder hat die “Süddeutsche Zeitung” bis heute nichts von dieser Geschichte mitbekommen, oder sie wollte die Leser ihrer Wochenend-Beilage absichtlich in die Irre führen, als sie ein ansonsten seriöses Porträt Frank-Walter Steinmeiers ohne weitere Erklärung mit diesem Foto bebilderte:

Yes, he can Kanzler!

Mit Dank an Stefan K.

Leitartikel, Ballerspiele, Guardian

1. “Und er lebt doch, der Leitartikel!”

(cicero.de, Klaus Happrecht)

Für Klaus Happrecht lebt der deutsche Leitartikel “unangefochten fort – weil ihn niemand so recht wahrnimmt. Weil er keinen stört. Weil es ihm geht wie dem Opa und der Oma drüben im Austraghäusl, die in Frieden vor sich hin welken.”

2. “Die Online-Klassenbeste”

(sonntagszeitung.ch, Barnaby Skinner)

“‘The Guardian‘ in London pflegt seit Jahren sein Image als seriöse Web-Publikation – nun erntet er die Früchte dafür.”

3. “Kürzt den Journalisten das Gehalt”

(arlesheimreloaded.ch, Manfred Messmer)

Manfred Messmer, seit wenigen Monaten von seinen Aufgaben für das Newsnetz-Portal bazonline.ch befreit, stellt fest, dass Journalisten für einen Verlag “sauteuer” sind: “So ein Journalist ist gut bezahlt, fängt bei 70, 80’000 Franken an und kommt nach ein paar wenigen Jährchen im Dienst auf über 100’000 Franken und kann, wenn er etwas Job-hoppt gut und gerne 120, 130, 140’000 und mit Chefwürden ausgestattet auch etwas mehr heimtragen.”

4. Interview mit Robert Silvers

(derstandard.at, Doris Priesching)

Der Herausgeber der “The New York Review of Books” sieht “das Ende der 500 Jahre währenden Gutenberg-Epoche” gekommen: “Ich bin überzeugt davon, dass Bücher in Zukunft größtenteils auf Bildschirmen gelesen werden. Ich habe einen Kindle, wir verwenden ihn ständig zur Recherche. Im Moment kostet das Gerät noch 400 Dollar. Ich denke, es wird bald vier Dollar kosten.”

5. “Ich glaub, ich lass das mit dem Zeitunglesen wieder!”

(io1.blogspot.com, Patrik Tschudin)

Patrik Tschudin liest die Schweizer Sonntagszeitungen und findet nichts, dass man “wirklich wissen” muss. Eine Story der NZZaS über den Geheimdienst beleuchtet er näher: “Warum in aller Welt macht die NZZ am Sonntag auf der Frontseite auf mit dieser notdürftig zusammenschusterten, aufgeblasenen, faktenfreien, nur aus knapp lauwarmer Luft bestehenden Geschichte?”

6. “Wie ein gigantischer Sportverein”

(nzz.ch, Till Hein)

“Das ‘Gamen’ am PC wird zu Unrecht verteufelt, sagen Experten: Ballerspiele führen nicht zu Gewaltexzessen – und es gibt viele positive Effekte dieser umstrittenen Art der Freizeitgestaltung.”

Die Geschichte mit den falschen Nullen

So. Hefte raus, Klassenarbeit. Als Aufgabe dient uns heute ein Artikel aus dem Online-Angebot des “Stern”:

Ein Paar hatte einen Kredit über 100.000 Neuseeländische Dollar beantragt. Die Bank überwies zehn Mal so viel. Anstatt ihre Tankstelle auszubauen, ist das Paar nun auf der Flucht. Drei falsche Nullen haben ein Pärchen in Neuseeland unverhofft zu Millionären gemacht. Die Westpac Bank hat dem Paar 100 Mal mehr Geld überwiesen, als für einen Kredit beantragt worden war - 10 Millionen Neuseeländische Dollar (4,4 Millionen Euro) anstatt 100.000 Dollar, etwa 4400 Euro.

Frage: Um welchen Faktor hatte sich die Bank vertan?

Fertig?

Na, dann gehen wir den Text schnell zusammen durch:

  • um den Faktor 10 (“zehn Mal so viel”)
  • um den Faktor 1000 (“drei falsche Nullen”)
  • um den Faktor 100 (“100 Mal mehr Geld”)
  • um den Faktor 100 (10.000.000 NZ$ / 100.000 NZ$)
  • um den Faktor 1000 (4.400.000 € / 4400 €)

Oh. Blöd.

(Richtig wäre: 100. Das Paar wollte 100.000 Dollar und bekam 10 Millionen. Am Freitag hieß es noch, das Paar hätte sogar nur 10.000 Dollar beantragt, was stern.de wohl hoffnungslos verwirrte, obwohl der Artikel auf einer völlig korrekten dpa-Meldung beruht.)

Mit Dank an Max S.!

Nachtrag, 25. Mai. stern.de hat gar nicht erst versucht, die Sachen mit den Nullen noch zu durchschauen, und den Artikel nun lieber ganz gelöscht.

Nachtrag, 20.30 Uhr. Jetzt ist der Artikel wieder da — und es ist stern.de gelungen, von den drei falschen Angaben eine zu korrigieren. Ist halt schwierig, wenn man mit Nullen arbeiten muss.

Grobe Annäherung an eine Präsidentenwahl

Um 14.11 Uhr legt Peter Struck Gesine Schwan kurz die rechte Hand auf die linke Schulter. Es folgt ein Blick, der als tröstend gewertet werden darf: Das war’s!

Der Anfang seines Artikels klingt, als ob der Parlaments-Korrespondent der “Frankfurter Rundschau” ganz genau hingesehen hat bei der Bundesversammlung gestern: auf die Hand, ins Gesicht, auf die Uhr.

Aber das täuscht.

Dass er schreibt, Horst Köhler habe bei der Wahl “eine [Stimme] mehr als erforderlich” bekommen, obwohl Köhler doch keine einzige Stimme mehr bekam als erforderlich, ist wohl nur ein Flüchtigkeitsfehler. Aber dann fügt er hinzu:

Dass der kurze, zwar stets geleugnete, aber eben doch stattgefundene Wahlkampf seine Spuren hinterlassen hat, wird nun an Kleinigkeiten deutlich: Als erster aus der SPD gratuliert Peter Struck, nicht die unterlegene Kandidatin.

Im Gegenteil: Wie die Fernsehbilder zeigen, war Gesine Schwan die erste überhaupt, die Köhler die Hand gab.

Köhler dankt in seiner kurzen Ansprache den demokratischen Mitbewerbern (also auch denen von Linkspartei und Rechtsradikalen).

Nun, dass Köhler tatsächlich ausdrücklich nicht den Mitbewerbern, sondern den “demokratischen Mitbewerbern” dankte, lässt eigentlich nur den Schluss zu, dass er den rechtsextremen Kandidaten der NPD damit nicht meint.

Eine grüne Köhler-Wählerin hatte sich zuvor geoutet: Uschi Eid, die sie im Bundestag “Mama Afrika” nennen.

Nein. Uschi Eid hatte, nachdem sie abgestimmt hatte, dieser Darstellung deutlich widersprochen. Auf Nachfrage erklärte sie einer Fernsehreporterin, dass sie ihr Wahlverhalten geheim halten wolle. Sie stellte dabei auch klar, dass sie entgegen anderer Berichte nicht gesagt habe, für Köhler stimmen zu wollen, sondern sich nur dagegen ausgesprochen habe, dass die Grünen-Fraktion sich auf Gesine Schwan festlegte.

Mit Dank an Norbert J.!

Neonazis gibt es nicht

In einer Grafik hat “Spiegel Online” die wichtigsten Informationen über die heutige Bundespräsidentenwahl zusammengefasst. “Horst Köhler gegen Gesine Schwan und Peter Sodann — die drei Präsidentschaftskandidaten 2009” heißt es da. Und:

Das ist sehr übersichtlich. Aber zur Wahl standen nicht drei Kandidaten, sondern vier. Neben den bekannten auch Frank Rennicke, ein rechtsradikaler Liedermacher, der von NPD und DVU aufgestellt worden war und ihre vier Stimmen bekam. Ja, NPD und DVU durften, weil sie in den Landtagen von Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg vertreten sind, Wahlmänner in der Bundesversammlung stellen. Aber nicht in der Übersicht von “Spiegel Online”:

Für rechtsradikale Abgeordnete ist anscheinend kein Platz auf den Infografiken* von “Spiegel Online” — und auch zwei fraktionslose Abgeordnete standen dem Wunsch nach übersichtlichen, sauberen Verhältnissen wohl im Wege.

Ob die Neonazis weggehen, wenn man so tut, als gäbe es sie nicht?

*) An anderer Stelle erwähnt “Spiegel Online” Rennicke und die Abgeordneten

Nachtrag, 24. Mai. Immerhin: “Spiegel Online” hat die Grafik mit der Sitzverteilung um einen Text ergänzt, der die fraktionslosen und rechten Wahlleute aufführt. Und statt “Mehr über die drei Bewerber” heißt es nun nur noch: “Mehr über Köhler & Co”.

Wenn HSV-Fans über Werder berichten

“The winner takes it all”, sagen die Amerikaner (und Schweden) gerne, wenn es darum geht, den schmalen Grat zwischen Sieg und Niederlage zu beschreiben. Wenn dem tatsächlich so sein sollte, dann bedeutet das im Umkehrschluss, dass dem Verlierer nichts, aber auch gar nichts bleibt. Im Sport dürfte diese Haltung ganz besonders ausgeprägt sein, weswegen es auf den ersten Blick auch nicht verwundert, dass nach Meinung der Sportredaktion der “Welt” Werder Bremen am Mittwoch im Finale des Uefa-Pokals nicht einfach nur ein Fußballspiel verloren hat, sondern weitaus mehr:

Werder Bremen hat alle Sympathien verspielt

Klingt auf den ersten Blick nach verschmähter Liebe, oder, noch viel schlimmer — nach enttäuschter Liebe. Von Liebe oder auch nur dem Ansatz von Zuneigung kann bei der “Welt” allerdings nicht ganz die Rede sein. Eher vom Gegenteil, wenn man so nachliest, was die Redaktion von “Welt kompakt” vor und während des Finales so alles twitterte. Generell, so viel Patriotismus muss ja im Finale einer deutschen gegen eine ukrainische Mannschaft schon sein, finde man ja Werder nicht sooooo schlimm, aber ein Spieler ganz speziell hat anscheinend die geballte Antipathie auf sich gezogen, zu der die “Welt” fähig ist:

Stramme Leistung der Kollegen: In nur elf Minuten wird Werder-Torwart Tim Wiese erst zum Grund dafür gemacht, sich nicht für Werder erwärmen zu können. Danach jubelt man ihm einen Fehler unter, den man “unfassbar” nennt (eine sehr exklusive Meinung; einen “unfassbaren Fehler” Wieses hat ungefähr niemand während des Spiels gesehen), garniert das dann mit ein wenig Häme (“zu viel Sonnenbank” — und lässt schließlich mal eben alle Hemmungen fahren: “Und wer ist der peinliche Typ im Tor?”

Und überhaupt, wenn man schon mal dabei ist, journalistische Maßstäbe über den Haufen zu werfen, kann man ja auch mal ganz offen sagen, was man von diesem Verein hält:

Kein Wunder also, dass man die 1:2-Niederlage Werders gegen Donezk nicht so richtig bedauert, im Gegenteil:

Das wird dann einem “Follower”  doch ein wenig zuviel, weswegen er folgenden kleinen Hinweis wagt:

@weltkompakt: Peinlich eigentlich nur, dass sich eine redaktion öffentlich derart äußert.

Aber bitte sehr, denkt man sich bei den “Welt”-Twitterern, die es inzwischen vollends aus der Kurve getragen hat, wer wird denn kleinlich sein — wir und peinlich?

(Mit der “Treue” meint die “Welt” übrigens den HSV, den man eindeutig zum Verein des Herzens erkoren hat und daraus ebenso wenig einen Hehl macht wie aus der Abneigung gegen Werder.)

So, und nun kommen wir dann doch nochmal zurück zum wohlüberlegten und sicher von keinerlei persönlichen Animositäten getrübten Kommentar in der “Welt”, der zu folgendem — man könnte sagen: beinahe zwingenden — Fazit kommt:

Viele Peinlichkeiten garnieren den Sympathieverlust beim Absteiger der Herzen: Dass der Klub seiner Fürsorgepflicht nachkommt, indem er Ärzte gegen den eigenen Stürmer Ivan Klasnic stützt, der Behandlungsfehler beklagt. Dass der früher wegen seiner Sachlichkeit beliebte Klubchef Jürgen Born wegen ungeklärter Transferseltsamkeiten zurücktrat. Dass der nicht nur zu Sonnenbank-Exzessen neigende Torwart Tim Wiese Gegner öffentlich via Megaphon beleidigt. Alles hat dazu geführt, dass wohl viele Fans beim Siegtor von Donezk nicht bar jeder Schadenfreude dachten: Ein Weltklassetorhüter hätte das verhindert.

Mit Dank an das Worum-Blog!

Meckel, Stellenkürzungen, ARD-Börse

1. Miriam Meckels Antwort
(miriammeckel.de, Miriam Meckel)
Miriam Meckel antwortet auf Stefan Niggemeiers Artikel in der FAZ. Sie hält die momentane Debattenkultur um die Zukunft des Journalismus (online wie offline) für ein “Trauerspiel”. Sie selbst sei zu einem “Gegner (…) stilisiert” worden, der sie nicht sei. Sie habe “viele sehr kluge und interessante Kommentare in den Blogs gefunden, aber auch ziemlich viel Bullshit.”

2. Kein öffentliches Echo auf Stellenkürzungen
(nzz.ch)
Die drastischen Stellenkürzungen bei den Schweizer Zeitungen “Tagesanzeiger” und “Bund” werden laut NZZ zwar wahrgenommen, es finde aber “kein Aufschrei, höchstens ein wenig Stirnrunzeln und ein bisschen Empörung vonseiten der schwachen Arbeitnehmerorganisationen” statt. Gründe für die lauen Reaktionen seien die allgemein schlechte Wirtschaftslage sowie das Überangebot an Medientiteln.

3. ARD-Börsenexpertin arbeitet für DAX-Firmen
(carta.info, Marvin Oppong)
Anja Kohl, Börsenexpertin der ARD und oft persiflierte Figur, ist regelmässig für die Privatwirtschaft tätig, so Marvin Oppong. Er wirft ihr vor, Veranstaltungen moderiert zu haben, die von “DAX-Firmen, die auch Gegenstand von Kohls Börsenberichterstattung in der ARD sind” mitfinanziert worden sind.

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