Die lustigen Neonazis von MV

In Mecklenburg-Vorpommern ist eine Neonazi-Kameradschaft verboten worden. Keine große Gruppe und auch keine wirklich große Sache, aber eben doch eine, die dem Innenminister des Landes Anlass zur Sorge gab. Die “Mecklenburgische Aktionsfront” verherrliche den Nationalsozialismus, äußere sich antisemitisch und rassistisch, heißt es dabei zur Begründung des Verbots. Dabei trugen die Mitglieder der “Aktionsfront” schon mal Transparente wie “Der Bombenholocaust lässt sich nicht widerlegen” öffentlich zur Schau. Innenminister Caffier findet dafür klare Worte: Er nennt dies “widerliche Umtriebe”.

Auf der — inzwischen abgeschalteten — Homepage der verbotenen Organisation fanden sich denn auch die entsprechend markigen Worte, die man aus solchen Reihen ja kennt:

Die 20-seitige Verbotsverfügung liest sich wie ein Ruhmesblatt und wird auf jeden Fall Eingang in die Geschichtsbücher des folgenden Staates finden. Alle ehemaligen Aktivisten sind aufgefordert, sich ihre langjährige Dienstzeit in den Reihen der M.A.F. bescheinigen zu lassen, da diese durchaus relevant für spätere Pensionsansprüche sowie Opferrenten für Verfolgte des BRD-Regimes sein werden.

Das mag man bewerten, wie man will. Die eigenartigste und fragwürdigste Einschätzung dessen leistet sich aber ganz sicher die “Netzeitung”: Sie bezeichnet die Reaktion der Neonazis als “gar nicht mal unwitzig”.

Und dass man staatlich verbotene Neonazis als “gar nicht mal unwitzig” bezeichnet, das lässt uns dann so sprachlos zurück, dass uns beim besten Willen kein witziger Abschluss-Satz mehr einfällt.

Mit Dank an Stefan B.!

Bild  

No Son Of Mine

Im Berliner Abgeordnetenhaus ist kürzlich eine Abgeordnete gebeten worden, ihr Baby in einem Nebenraum oder doch wenigstens in einer der hinteren Reihen des Plenarsaals zu stillen.

Diese Episode nimmt “Bild” zum Anlass, um sich in der Berliner Ausgabe unter der etwas übergeigten Überschrift

Baby-Zoff im Parlament - Spielgruppe Abgeordnetenhaus. Berlins Politikerinnen stimmen zwischen Windelwechsel und Stillen ab

nicht nur über die “Krabbelgruppe Parlament” lustig zu machen, sondern auch “Abgeordnete und ihre Sprösslinge” vorzustellen.

Wie egal der Zeitung dabei die konkreten Personen waren, zeigt der Fall von Fabian, Sohn der Grünen-Abgeordneten Lisa Paus:

Krabbelgruppe Parlament. Der kleine Fabian zieht seinen Papa Olaf Reimann (Grüne) an der Nase

Die Namen der Abgebildeten stimmen, doch ein entscheidendes Detail ist falsch.

Fabians Mutter Lisa Paus zu BILDblog:

Olaf Reimann ist unser Mitarbeiter für IT-Fragen — aber mitnichten der Vater des Kindes. Der tatsächliche Vater will trotz dieser “Enthüllungen” auf einen Vaterschaftstest verzichten. Sein Name ist Dietmar Lingemann.

Nachtrag, 31. Mai: Während Fabian bei Bild.de immer noch einen falschen Vater hat, hat “Bild” den Fehler in der Berliner Printausgabe inzwischen ausführlich korrigiert:

Reimann nicht Vater vom kleinen Fabian (4 Monate).

“Ein gewisser Gustav Gans”

In längeren Texten werden ja gerne mal Zwischenüberschriften eingebaut, die den Text gliedern und wichtige Stellen zitieren oder paraphrasieren.

Man sollte allerdings darauf achten, dass man die Stellen auch einigermaßen korrekt wiedergibt und nicht einfach etwas schreibt, was nur so ähnlich klingt oder aussieht. So wie “Spiegel Online”:

"Eine gewisse Arroganz"

Experten hatten ihre Bedenken schon bald nach dem Bekanntwerden des Entwurfes geäußert. Auf die Frage, warum die Ministerin trotz der Kritik so lange an dem Gesetz festgehalten habe, sagte die familienpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Caren Marks, SPIEGEL ONLINE: "Ich vermute, dass liegt an einer gewissen Ignoranz."

Mit Dank an Christian G.

Nachtrag, 30. Mai: “Spiegel Online” hat sich inzwischen vollständig für “Ignoranz” entschieden. Jetzt wäre da nur noch das falsche “dass”, auf das uns in der Zwischenzeit ein Halbdutzend Leser aufmerksam gemacht hat …

Zuckerberg, Murdoch, Promi-Anwälte

1. “Intimsphäre vs. Pressefreiheit”

(sueddeutsche.de, Hans-Jürgen Jakobs)

Der Chef von sueddeutsche.de schreibt über “die unheimliche Nähe von Medienanwälten, Presse und Prominenz”: “Die Macht der Presse ist heutzutage auch eine Frage, wie viel Geld man in einen Rechtsstreit stecken kann.”

2. “Reinigendes Getwitter”

(coffeeandtv.de, Lukas Heinser)

Lukas Heinser macht sich Gedanken über Menschen, die twittern, ohne sich Gedanken zu machen. Er findet es erstaunlich, dass man “Volksvertretern offenbar erst einmal erklären muss, was mit ‘nicht-öffentlich’ gemeint sein könnte”. Und er fragt sich: “Wann kommen die ersten Tweets aus den geheimen Sicherheitsausschüssen? (‘Hinweise auf gepl. Anschläge im Raum Berlin. Schmutzige Bombe, BKA ist dran’)”.

3. Bei “Freundchen” Mark Zuckerberg

(zeit.de, Christoph Amend und Götz Hamann)

Das Zeit-Magazin verbringt Zeit mit dem Gründer von Facebook. Immer, wenn das Gespräch persönlich werden könnte, gehen sofort die Berater von Zuckerberg dazwischen.

4. Interview mit Rupert Murdoch

(foxbusiness.com, Video, 6:39 Minuten)

Für Rupert Murdoch ist der endgültige Abschied vom Papier in der Zeitungsbranche nur noch zwei oder drei Jahre entfernt. Dann finde der Umstieg auf “panels” statt. In etwa 10 bis 15 Jahren werde sich die Öffentlichkeit daran anpassen.

5. “Verdeckte PR”

(spiegel.de)

“Die Bahn hat allein im Jahr 2007 1,3 Millionen Euro ausgegeben, um die Öffentlichkeit mit bezahlten Beiträgen in Radioprogrammen und Internet-Foren zu manipulieren – wobei nicht erkennbar war, dass die Bahn Auftraggeber der Artikel und Meinungsäußerungen war. ”

6. Höchstleistungen eines Fussball-Kommentators

(youtube.com, Video, 1:21 Minuten)

Deutschsprachige Fussball-Kommentatoren äussern sich zur Veränderung des Spielstands nicht selten mit einem kurzen “Tor!”. Langweiler! (Video unbedingt mit Ton ansehen).

Und wo kriegt man das geile Zeug?

Es ist dann doch immer wieder beeindruckend, wie gut die automatisch generierten Google-Anzeigen inzwischen erkennen, welcher Werbekunde den Lesern des jeweiligen Artikels den größtmöglichen Nutzwert bietet.

Mit Dank an Nils!

(Nachtrag: Nein, wir haben die Google-Anzeige im Screenshot nicht vergrößert. Sie ist so groß. Es gibt sie aber auch in kleiner, dafür an prominenterer Stelle.)

Geistesaristokratie, Spiegel, Experten

1. “Geistesaristokratie”

(zeit.de, Gero von Randow)

Der bereits bei netzwertig.com ausführlich analysierte Artikel “Das Netz als Feind” von Adam Soboczynski erhält nun auch Zeit-intern eine Gegenstimme. Gero von Randow schreibt: “Es ist schon seit einiger Zeit auffällig, dass dieses Thema unter Journalisten starke Gefühle weckt. Man könnte meinen, dieser Netzwut läge Angst zugrunde.”

2. “Journalistenfrust – Gerichtsurteile behindern Berichterstattung”

(ndr.de, Video, 9:50 Minuten)

Da es sich herumgesprochen hat, dass sich das Landgericht in Hamburg oft eher für das Persönlichkeitsrecht und eher gegen die Meinungsfreiheit ausspricht, klagen sich in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt sehende Bürger gerne dort. Was zur absurden Situation führt, dass sowohl Kläger als auch Angeklagter über 500 Kilometer fahren müssen, um zu klären, wer im Recht ist.

3. “Die besten Recherche-Tools für Journalisten”

(meedia.de, Felix Disselhoff)

“Es gibt jede Menge kostenlose Dienste, die für Sie das News-Geschehen sortieren, die Blogosphäre durchforsten und Ihnen Audio- und Videobeiträge automatisch auf den Rechner schicken.”

4. “‘Spiegel’ löst politisches Beben in Libanon aus”

(nzz.ch, hoh.)

“Ein Bericht des Magazins ‘Der Spiegel’ hat im Zedernstaat ein politisches Erdbeben verursacht. ‘Der Spiegel’ gibt vor, dass hinter dem Attentat an dem Ex-Regierungschef Hariri nicht die Syrer, sondern der Hizbullah stecken könnte. Kritiker werfen dem Magazin vor, beinahe einen Bürgerkrieg vom Zaun gebrochen zu haben.”

5. “Die CDU profiliert sich als Anti-Internetpartei”

(perlentaucher.de/blog, Thierry Chervel)

“In den USA wird das Netz bei allen Problemen – etwa dem Zeitungssterben – als Reich einer neuen Freiheit begrüßt. Im alten Europa ist es das Reich des Bösen. Es untergräbt nicht nur alles Bestehende. Es ist die Sphäre aller dunklen unbeherrschbaren Kräfte in der Gesellschaft.”

6. “Niemand ist eine Insel”

(zeit.de, Harald Martenstein)

Harald Martenstein ist einer von vielen, die immer wieder als Experte zu allem möglichen angefragt werden. Er gibt zu: “Von den meisten dieser Themen verstehe ich nicht mehr als du oder ich.”

JFK, die Praktikantin und das verflixte 6. Jahr

Wir haben lange kein falsches Alter mehr korrigiert …

Also: Marion “Mimi” Fahnestock, die Bild.de heute als “60-jährige Mitarbeiterin einer Kirche” bezeichnet, ist in Wirklichkeit schon 66 Jahre alt.

Das hätte man auch ganz leicht selbst überschlagen können, denn Bild.de berichtet über sie, weil sie als 19-jährige Praktikantin im Weißen Haus eine Affäre mit John F. Kennedy hatte, die “im Juni 1962” begonnen haben soll. Wenn Fahnestock also tatsächlich erst 60 wäre, wäre sie zum Zeitpunkt der Affäre maximal 14 Jahre alt gewesen, was wirklich mal eine Meldung wäre.

So ist die Meldung nicht ganz so sensationell und wie folgt überschrieben:

John F. Kennedy und seine Affären: Er hatte Sex mit einer 19-jährigen Praktikantin

41 Jahre lang hat Marion “Mimi” Fahnestock ihre Liebesbeziehung im Weißen Haus für sich behalten. Weder ihre Ehemänner, noch ihre Töchter wussten bis jetzt, dass Mimi über ein Jahr die Geliebte des US-Präsidenten John F. Kennedy war!

Das mit den 41 Jahren stimmt, aber es ist eher unwahrscheinlich, dass Ehemänner und Töchter “bis jetzt” nicht wussten, dass Marion Fahnestock als 19-jährige Praktikantin im Weißen Haus eine Affäre mit John F. Kennedy hatte. Denn das Buch “John F. Kennedy, 1917-1963”
von Robert Dallek, in dem die Affäre erstmals erwähnt wurde, ist bereits im Jahr 2003 erschienen. Zufälligerweise zu einer Zeit, als Fahnestock tatsächlich 60 Jahre alt war.

Insofern ist natürlich das ganze Bild.de-Gerede von “jetzt” und “nun” ziemlicher Quatsch:

Nun bekennt sich die 60-jährige Mitarbeiterin einer Kirche öffentlich zu dem Sex-Geheimnis: “Ja, ich hatte eine sexuelle Beziehung mit dem Präsidenten. Ich bin froh, dass ich meinen erwachsenen Kindern endlich die ganze Wahrheit sagen kann.”

Denn bekannt hatte sich die Frau schon vor sechs Jahren, und damals sagte sie auch, was Bild.de als “nun” zitiert.

Dass Bild.de über den Fall jetzt noch einmal berichtet, lässt sich leicht erklären: Die ehemalige Praktikantin und Geliebte hat vergangene Woche angekündigt, ein Buch über ihre Zeit im Weißen Haus zu schreiben.

Die Mimi-Ur-Enthüllung in “Bild”:

“Auch Kennedy liebte Praktikantin
Der Ur-Clinton …”
15. Mai 2003

“Kirchenfrau gesteht Affäre mit Kennedy”
16. Mai 2003

“Sie kam 17 Monate zu Kennedy ins Bett. Amerika staunt! Immer neue Details über den ersten Praktikanten-Sex im Weißen Haus”
17. Mai 2003

“Die Sex-Akte Kennedy …”
19. Mai 2003

“Mimi vergaß den Slip in Kennedys Bett”
24. Mai 2003

Warum Bild.de sich so sehr zwischen Gegenwart und Vergangenheit verheddert, lässt sich nicht ganz so leicht erklären. Vielleicht war der Redaktions-Praktikant einfach überfordert mit der Aufgabe, die Sache als sensationelle Neuigkeit darzustellen, nachdem er die fünf Artikel im Archiv entdeckt hatte, die “Bild” dem Thema im Mai 2003 gewidmet hat (siehe Kasten rechts).

Mit Dank auch an Robert.

Bild  etc.

Springer hatte mit 1968 nichts zu tun (2)

Am Tag danach “mußten Berliner Zeitungsleser glauben, daß Benno Ohnesorg von seinen Kommilitonen umgebracht worden sei”, schrieb der “Spiegel” im Juni 1967.

Unter der Schlagzeile “Blutige Krawalle: 1 Toter!” berichtete die “Bild”-Zeitung an jenem 3. Juni 1967:

Ein junger Mann ist gestern in Berlin gestorben. Er wurde Opfer von Krawallen, die politische Halbstarke inszenierten. (…) Ihnen genügte der Krawall nicht mehr. Sie müssen Blut sehen. Sie schwenken die Rote Fahne, und sie meinen die Rote Fahne. Hier hören der Spaß und der Kompromiss und die demokratische Toleranz auf. Wir haben etwas gegen SA-Methoden.

Die Schwesterzeitung “Berliner Morgenpost” meldete immerhin:

Ein Kriminalbeamter feuerte im wirren Tumult und in dem unübersehbaren Handgemenge einen Warnschuß ab.

Und Schwesterzeitung “Welt am Sonntag” erklärte am folgenden Tag ihren Lesern, warum ein Kriminalbeamter “von seiner Schußwaffe Gebrauch gemacht” hatte:

Er war von den Demonstranten in einen Hof abgedrängt, dort festgehalten, getreten und mit Messern bedroht worden.

Noch einen Tag später titelte “Bild”:

Studenten drohen: Wir schießen zurück — Sanfte Polizei-Welle

Der “Bild”-Reporter sagte laut “Spiegel” hinterher:

“Ich schäme mich für meine Zeitung. Das mit dem Zurückschießen hat mit keinem Wort in meinem Artikel gestanden. Das haben die erst in der Redaktion dazugedichtet, um eine knallige Überschrift zu kriegen.”

* * *

Thomas Schmid, früher selbst in der Studentenbewegung tätig, inzwischen aber Chefredakteur der “Welt”, schreibt in seinem heutigen Leitartikel, in dem er den “alten Kämpen” vorwirft, sich “an ihren Mythos” zu “klammern”:

Kein Zweifel (…), dass in den überhitzten Jahren 1967 und 1968 einige Blätter dieses Hauses sich im Ton vergriffen und die Demonstrierenden auch verunglimpften. [Aber:] Die Blätter des Axel Springer Verlages haben — was wir belegen werden — über die 68er-Bewegung sehr viel differenzierter berichtet, als es im Schreckbild von der “hetzerischen Springerpresse” vorgesehen ist.

Das eingeschobene “was wir belegen werden” wird als Ankündigung einer internen Untersuchung interpretiert. Vielleicht holt Schmid aber auch nur ein altes Papier aus dem Schrank. Denn der Verlag ließ schon vor über 40 Jahren eine solche Untersuchung mit demselben Ziel anfertigen (rechts): Sie sollte vor allem den Vorwurf entkräften, alle Springer-Zeitungen hätten einheitlich undifferenziert über die Studenten und den Tod Ohnesorgs berichtet. Zu genau diesem Ergebnis kam hingegen eine wissenschaftliche Untersuchung des renommierten Publizistik-Wissenschaftlers Walter J. Schütz.

* * *

In der “Süddeutschen Zeitung” erklärt Marek Dutschke, der jüngste Sohn von Rudi Dutschke, warum er ausgerechnet in der “Bild”-Zeitung forderte, man solle prüfen, ob die Stasi mit dem Attentat auf seinen Vater 1968 zu tun habe.

SZ: Bislang hätte man kaum für möglich gehalten, dass ein Dutschke mit der Bild-Zeitung spricht, nach den Kampagnen des Blattes gegen Ihren Vater.

Dutschke: Das stimmt. Aber die Bild-Zeitung hat Einfluss in Deutschland, und wenn man den für eigene Forderungen nutzen kann, finde ich es okay. Interessant aber ist doch zu sehen, wie Bild heute mit dem Fall Ohnesorg umgeht, das Motiv ist ja durchschaubar: Indem sie die Geschichte jetzt auf die Stasi konzentriert, kann sie von der eigenen historischen Schuld ablenken, denn Bild hat ja die Stimmung gegen die Studenten angefacht und das Klima des Hasses erzeugt.

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