Es gibt Artikel Textrudimente, die lassen einen etwas ratlos zurück. Fragen stehen im Raum und es ist zu befürchten, dass niemand kommen und sie wegräumen (oder wenigstens beantworten) wird: “Was soll das?”, “Mit welchem Körperteil wurde wohl der Text verfasst?” oder auch einfach nur “Hä?”
Wenn Sie dieses Foto sehen – welcher Filmtitel fällt Ihnen dazu ein? Volltreffer! “Die nackte Wahrheit” (Filmstart: 1. Oktober). Hauptrolle: Katherine Heigl (30), die wir bisher als Assistenzärztin “Izzie” in der Serie “Grey’s Anatomy” im blauen OP-Kittel kennen. Eine deutliche Steigerung.
Ja, das ist der vollständige Artikel. Und der Bildtext lautet:
Katherine Heigl tritt in ihrem neuen Film ganz ohne Arztkittel auf.
Nur zu gerne wüsste man, was genau dieses Foto (und ein weiteres im gleichen Setting, das Bild.de heute zeigt) mit dem Film “Die nackte Wahrheit” zu tun hat — also von Katherine Heigl und dem “nackt” vielleicht mal ab.
Das Bild entstammt nämlich einer Serie von Fotos, die schon vor einiger Zeit im Magazin “Maxim” erschienen sind. Genau genommen im Juni2000, lange bevor Frau Heigl den “blauen OP-Kittel” zum ersten Mal angezogen hat.
PS: Der “Volltreffer” entpuppt sich vollends als Blindgänger, wenn man weiß, wie der Originaltitel von “Die nackte Wahrheit” lautet: “The Ugly Truth” (“Die hässliche Wahrheit”).
Michael Hensel hat die Ausgabe 9/2009 der Zeitschrift PC Action gelesen und wurde überrascht über die “Pauschalisierung und Beleidigung”, die er darin fand. Das Heft schreibt über in den Westen einfallende Ossis, die “Begrüßungsgeld in Milliardenhöhe abstaubten, die Mauer abrissen und heute faul auf dem Hartz-IV-Bescheid liegen.”
“Um 7.48 Uhr stellten am Samstagmorgen 32 Radio- und zwei regionale Fernsehsender ihren Betrieb ein, nachdem ihnen ein entsprechender Bescheid der staatlichen Telekommunikationsbehörde Conatel zugegangen war. (…) Weitere 206 vor allem Radiostationen stehen auf dem Prüfstand der Regierung.”
“38 Tageszeitungen gab es in der DDR. Der Inhalt wurde vom Zentralkomitee der SED bestimmt. Nach der Wende bedienten sich dann die großen Zeitungshäuser aus der BRD.”
Michalis Pantelouris analysiert den Leser unrentabler Zeitschriften: “Er fühlt sich nach jeder Lektüre leerer als vorher und von uns abgezockt. Und das zu Recht: Wir haben Jahre lang Anzeigenumfelder geschaffen und redaktionelle Qualität heruntergefahren.”
Robin Wauters listet 10 Wörter auf, die er in Pressemitteilungen nicht mehr lesen will. Wir kennen sie alle, sie lauten “Leader”, “innovativ”, “revolutionär”, “strategische Partnerschaft”, “Synergien” und so weiter…
Immer dann, wenn wir in Deutschland mal was nicht so richtig gut können, verweisen wir gerne darauf: Vielleicht sind wir nicht die Ästheten des Planeten, aber immerhin voll fleißig. So gesehen waren das sehr beruhigte Schlagzeilen in den vergangenen Tagen:
Der angebliche “Fleiß” berechnet sich dabei danach, wie viele Stunden die deutschen Arbeitnehmer im Schnitt pro Woche leisten — und zwar nicht die tariflich vereinbarte Zeit (danach liegt Deutschland mit 37,6 Stunden relativ weit hinten im europäischen Vergleich), sondern die tatsächliche Zeit. Die liegt, weil häufig mehr als tariflich vereinbart gearbeitet wird (aus welchen Gründen auch immer), in Deutschland angeblich bei 41,2 Stunden pro Woche. Und das reicht immerhin zu einem siebten Platz unter den 27 EU-Ländern.
Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit.
Ein anderes Bild ergibt sich, wenn man die die Arbeitszeit nicht über die Woche, sondern über das ganze Jahr betrachtet. Weil die Deutschen mehr Urlaub und Feiertage haben als die meisten Länder, liegt Deutschland plötzlich weit hinten — weshalb die “FAZ” sogar titelte: “So fleißig sind die Deutschen doch nicht”. Nur Schweden, Dänen und Franzosen haben danach noch geringere Arbeitszeiten als die Deutschen. Diese Rechnung hat nur wieder den Haken, dass sie von den tariflichen und nicht den tatsächlichen Arbeitszeiten ausgeht.
Rechnet man die tatsächlichen Wochenarbeitszeiten aufs Jahr hoch und zieht die Urlaubs- und Feiertage ab, stellt man fest, dass der “Fleiß” der Deutschen fast exakt dem EU-Durchschnitt entspricht. Ein ziemlich unspektakuläres Ergebnis.
Und wie kommt es, dass trotzdem so viele Medien die Geschichte von den “fleißigen Deutschen” verbreiten? Die Studie der EU, die dem Ganzen zugrunde liegt, wurde weitgehend unbemerkt von der deutschen Presse schon am 24. Juli veröffentlicht. Sie enthält eine Vielzahl von Daten über Arbeitszeiten, auf Jahr und auf die Woche bezogen, tatsächlich und tariflich.
Und obwohl die Studie frei im Netz verfügbar ist, haben sich die meisten Agenturen, Zeitungen und Online-Medien die differenzierten Werte gar nicht angesehen, sondern stattdessen auf eine Vorabmeldung der “Welt” verlassen, die besonders die hohe Wochenarbeitszeit betonte. (Bild.de fantasierte sogar, der Bericht läge der “Welt” “exklusiv” vor.) Und so behaupteten die Agenturen noch in der Nacht unter Berufung auf die “Welt”:
Studie: Deutsche arbeiten länger (dpa)
Studie – Deutsche arbeiten im EU-Vergleich deutlich länger (Reuters)
Arbeitnehmer in Deutschland im EU-Vergleich mit langer Arbeitszeit (AP)
Deutsche arbeiten 41,2 Stunden – Mit an der Spitze im EU-Vergleich (epd)
Es dauerte bis zum Freitagmittag, bis die Agentur AFP die gute Idee hatte, sich nicht auf die “Welt” zu verlassen, sondern die Studie selbst auszuwerten, und entsprechend differenziert meldete: “Deutsche arbeiten viel – haben aber auch viel Urlaub”. Am Nachmittag zog endlich auch dpa nach mit einer Meldung, in der die Agentur erstmals die verhältnismäßig kurze Jahresarbeitszeit erwähnte.
Zu diesem Zeitpunkt hatte die Mär vom Beweis für den Fleiß der Deutschen längst die Runde gemacht. Und was soll’s, dass die Geschichte nicht ganz stimmt: Sie liest sich doch viel knackiger.
Tom Kummer plaudert aus, was seine Journalistenfreunde Schirach, Borcholte, Ankowitsch, Canonica, Niermann, Lottmann, Friebe, Fetisch, von Uslar, Baum, Nickel, Timmerberg, Matussek, Munz, Wedekind, Diez, Kämmerling, Liebs, Amend, Adorján, Pitzke, Gorris, Biller, Richter, Brüggemann so treiben auf Facebook. Ein zweiter Artikel, wer darauf die Freundschaft gekündigt hat, wäre interessant.
“Die WAZ Mediengruppe bricht mit ihrer jahrzehntealten Kultur: Statt auf Konkurrenz setzt sie neuerdings auf Kooperation. Die Zusammenarbeit der Zeitungen im Ruhrgebiet ist dabei erst der Anfang.”
Die Redaktion der ORF-Sendung “Zeit im Bild” stellt sich der Kritik an einem gekürzten Interview und stellt neben der Sendefassung auch die Originalfassung online. “Sowohl Interviewer als auch Interviewter neigen – wahrscheinlich wegen des niedrigeren Adrenalinspiegels – zu weitschweifigeren Formulierungen.”
Die Chancen standen gar nicht so schlecht für Bild.de: Bei gerade mal zwei Gallagher-Brüdern, die in der Band Oasis spielen, lag die Möglichkeit bei 50%, in einem Artikel über Liam Gallagher und Lily Allen auch den Richtigen zu zeigen.
Sie können dieser Einleitung schon entnehmen, wer schließlich Artikel und Startseite zierte:
Wer heute nur den kleinen Text auf Seite 1 der “Bild” gelesen hat, muss Nils Schumann für einen ziemlichen Trottel halten:
Was “Bild” verschweigt: Schumann war in den letzten Jahren immer wieder verletzt, wurde mehrfach an der Achillessehne operiert und wollte seine Karriere nach der Leichtathletik-WM sowieso beenden.
Die “Thüringer Allgemeine”, die Schumanns Rücktritt gestern als erstes vermeldete, zitiert den Sportler mit diesen Worten:
“Nach einer Stirnhöhlenvereiterung war ich nicht mehr richtig in Fahrt gekommen. Nur 90 Prozent Fitness reichen eben nicht. Und ich gestehe, dass es mir von Mal zu Mal schwerer fiel, solche gesundheitlichen Rückschläge wegzustecken.”
Auch sonst wirkt Schumann weniger demotiviert, als viel mehr realistisch. Dem Sportinformationsdienst (sid) sagte er:
“Eigentlich wollte ich am Freitag in Leverkusen noch einen Angriff auf die WM-Norm wagen. Das wäre aber utopisch gewesen. 1:45 Minuten kann ich nicht mehr rennen.”
und
“Ich habe mir gewünscht, meine Karriere in Berlin beenden zu können”
Das mit der fehlenden Motivation meint übrigens auch “Spiegel Online” aus Schumanns Aussagen herausgelesen zu haben. Ein dpa-Artikel bekam dort folgenden Anfang verpasst:
Keine Motivation mehr: 800-Meter-Läufer Nils Schumann beendet nach zahlreichen Verletzungen seine Karriere.
In der Stuttgarter Regionalausgabe berichtet “Bild” heute über einen “Blitzer, der nicht blitzt”. Dabei geht es ausnahmsweise nicht um einen “Busen-Blitzer”, sondern um eine Radarfalle im Grotztunnel in Bietigheim-Bissingen.
Interessant ist dabei viel weniger der kleine Mann von der Straße, der “ständig” Bußgeldbescheide bekommt und deshalb “Wutanfälle” kriegt, wenn er den Briefkasten öffnet (“Wenn ich bemerkt hätte, dass dort geblitzt wird, wäre ich langsamer gefahren.”), sondern Überschrift und Kernaussage des Artikels:
Nun: Geschwindigkeitsmessgeräte, die nicht blitzen, gibt es schon seit mindestens sechs Jahren, zum Beispiel die im Thüringer Rennsteigtunnel.
Und selbst wenn “Bild” noch nie vom Rennsteigtunnel gehört haben sollte, gibt es da ja auch noch einen Tunnel in München, vor dem die Zeitung im vergangenen Oktober warnte:
Michalis Pantelouris macht sich Gedanken über den Nutzwert von Artikeln. Er unterscheidet zwischen “einer Kultur des Habens” und “einer Kultur des Seins”: “In Zeitschriften, wenn sie gut sind, geht es nicht darum, mir bei der Einordnung dessen zu helfen was ich haben will oder wollen soll. Es geht darum, mir bei der Einordnung dessen Orientierung zu geben, was ich bin oder sein will.”
Der Weltwoche-Kolumnist bietet fünf recht fragwürdige Tipps an, wie man eine Tageszeitung richtig liest. Tipp 1: “Lesen Sie keine geraden Seiten wie die Seiten 2, 4, 6 etc. Lesen Sie nur die ungeraden Seiten, also die Seiten 1, 3, 5 etc. Unser Hirn gewichtet stark rechts, genauso machen es die Redaktionen. Das Wichtige ist stets rechtsseitig platziert, also auf ungeraden Seitenzahlen, das Unwichtige stets links. Darum stehen in Zeitungen auch die Inserate links.”
“Mit Links zu Behörden, Datenbanken, Linksammlungen, Analysen, Archiven und Expertenportalen für die Ressorts Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Sport.”
Ein Gespräch mit Chris Anderson, in dem er sich weigert, die Wörter “journalism”, “media” oder “news” zu verwenden. “I don’t think that those words mean anything anymore. (…) Here at Wired, we stopped using them.”
Fast jeder kennt das Pangramm “The quick brown fox jumps over the lazy dog”, in dem alle Buchstaben des Alphabets einmal vorkommen. Aber wer hätte gedacht, dass der Fuchs tatsächlich springt? Wir warten auf ein Video von Franz, der im komplett verwahrlosten Taxi durch Bayern jagt.
Der Schauspieler und Entwicklungshelfer Karlheinz Böhm hat einen offenen Brief an die Geschäftsführer des Gong-Verlages geschrieben:
“Zum Sterben heim in die Berge” – Ihr Bericht über mich in die aktuelle Nr. 30/2009
Sehr geehrter Herr Braun, sehr geehrter Herr Geringer,
sicherlich werden Sie sich wundern, dass Sie diese Zeilen von mir erhalten. Denn wenn Sie dem Beitrag aus Ihrer Zeitschrift die aktuelle vom 18. Juli 2009 Glauben schenken, steht es “schlimm um mich”, denn ich habe mich “zum Sterben in die Berge” zurückgezogen. Mein “Herz hofft” aber nicht “nur noch auf Frieden”, sondern verspürt auch eine andere “Sehnsucht” – nach sauberer journalistischer Berichterstattung. Ich habe mich doch sehr über den Artikel über meinen Gesundheitszustand gewundert und mich gefragt, wie Ihre Redaktion nach einem kurzen Wortwechsel mit meiner Tochter zu dieser unseriösen Diagnose kam.
Ich fühle mich nach wie vor stark genug, um meinen Teil zur Verwirklichung der Vision unserer Hilfsorganisation Menschen für Menschen leisten zu können. Erst am vergangenen Freitag, 24. Juli 2009, habe ich mit meiner Frau Almaz im österreichischen Zwentendorf für unsere Arbeit den “Save the World Award” entgegengenommen. Ich bin weder “müde” noch habe ich “Äthiopien den Rücken gekehrt”. Mir geht es gut und schon bald werde ich wieder in die Projektgebiete zurückkehren.
Ich möchte Sie auffordern, in Zukunft Ihrer journalistischen Sorgfaltspflicht nachzukommen und Ihre Storys besser zu recherchieren.
Erstaunlich an der Geschichte ist aber vielleicht weniger die Vernachlässigung journalistischer Sorgfaltspflichten durch die “Aktuelle”, sondern dass die Behauptungen der Illustrierten in abgeschwächter Form größere Verbreitung fanden — dank der Nachrichtenagentur dpa. Sie warb mit einer Vorabmeldung für das Blatt und meldete am Freitag, 17. Juli:
(…) Wie [Böhms] Tochter Katharina Böhm der Zeitschrift “Die Aktuelle” sagte, habe sich sein Gesundheitszustand so verschlechtert, dass er nicht mehr die Kraft habe, sich hundertprozentig für die von ihm gegründete Aktion “Menschen für Menschen” in Äthiopien einzusetzen. Karlheinz Böhm lebe jetzt in einer Salzburger Villa. (…)
Unabhängig vom Medium, das uns einen Text (vorab) übermittelt, prüfen wir den Inhalt von an uns übermittelten Informationen soweit wie möglich nach. Das hat sich schon bei jeder Art von Quelle gelohnt, egal, wie es um deren jeweiliges öffentliches Ansehen bestellt ist. Wir glauben also niemandem blind, aber wir prüfen Informationen zuerst nach ihrem potenziellen Wahrheitsgehalt, nicht nach dem Ansehen der Quelle.
Ja, potenziell hätte Karlheinz Böhm natürlich schwer krank sein können.
Der Medienforscher Hans-Mathias Kepplinger stellt in einem langen, lesenswerten Gespräch fest, dass “der Anteil der Beiträge über Dinge, die uns gefährden können in den Medien im Laufe der Zeit immer mehr zugenommen hat, obwohl die Gefahren insgesamt abgenommen haben.”
Welt.de schaltet Banner, mit denen für eine Erklärung des “neuen Trends” und “neuen Kults” FKK geworben wird. Den interessierten Leser erwartet nach dem Klick ein Artikel vom 23. Juli 2008, der das nicht erklärt.
Ein Text über den “Kronprinz von ‘Österreich'”, den 24-jährigen Niki Fellner, Sohn von Wolfgang Fellner, der rund 70 Stunden pro Woche im Newsroom verbringt.
“Bauch, Beine, Po: Im Bayerischen Fernsehen hat das ‘Tele-Gym‘ der Fitnessfee Johanna Fellner viele Fans – und externe Helfer: Krankenkasse, Staat und der Adidas-Konzern mischten mit.”
Das Sierralog macht ein Gedankenexperiment und fragt sich, wie wohl Burda reagiert hätte, wenn 1998 jemand gekommen wäre und vorgeschlagen hätte: “Nun ja, ich habe daran gedacht ab sofort monatlich rund EUR 50,- breit gestreut in diversen Burda Medien zu Werbezwecken einzusetzen. Aber bitte semantisch einigermaßen sinnvoll und zahlen will ich dann, wenn es auch wirklich nützt …”
“Der 15. Zivilsenat verbot dem Verlag, die Moderatorin weiter falsch in der Weise zu zitieren, wonach sie den Nationalsozialismus in Teilen gutgeheißen habe, nämlich in Bezug auf die Wertschätzung der Mutter. Außerdem muss der Springer-Verlag eine Geldentschädigung von 25.000,- Euro zahlen und in einer weiteren Veröffentlichung richtig stellen, dass Frau Herman die Äußerung so nicht getätigt hat.”