Sicher, man kann praktisch überall auf eine heiße Story stoßen, aber bei der, die jetzt folgt, fragt man sich schon, ob der Redakteur privat darüber gestolpert ist, ob ihm ein Informant den entscheidenden Hinweis gab oder ob in der Redaktion von “Bild” deutlich laxere Regeln herrschen als in den meisten anderen Büros. Aber entscheiden Sie selbst:
“Dient die Dresdner Innenstadt neuerdings als Kulisse für Amateurpornos?”, fragt “Bild” Dresden unter der Überschrift “Porno-Skandal an der Elbe” gewohnt investigativ und berichtet ausführlich über ein Video, das ein junges Paar beim Sex zeigt und das, so “Bild”, “im Internet schockiert”. In einem Folgeartikel (der Erste scheint auf Bild.de gut geklickt worden zu sein…) heißt es sogar:
Völlig enthemmt hat das Paar Sex und filmte sich sogar dabei!
Doch das war den Frei-Sexlern noch nicht genug: Alle sollten von ihrem hemmungslosen Treiben erfahren, und so stellten sie das Video in (sic!) Internet und riefen die Zuschauer sogar noch zu Bewertungen auf.
Vom “hemmungslosen Treiben” der “Frei-Sexler” sollten, bevor “Bild” das Video aufstöberte, vor allem die Besucher der anmeldepflichtigen Amateurpornoseite mydirtyhobby.com erfahren — und die waren vermutlich nicht sonderlich “schockiert”. So aber durften wenigstens auch die Eltern der Hauptdarstellerin das dirty Hobby ihrer Tochter kennenlernen:
Wer es dann noch ganz genau nehmen will, der könnte einwenden, dass das Video gar nicht am “helllichten Tage” gedreht wurde, wie “Bild” behauptet, sondern, wenn man lieber der Beschreibung des Videos durch die Hauptdarstellerin selbst und dem Stand der Sonne Glauben schenken mag, frühmorgens. Deutlich schwerer wiegt da schon, dass laut Einstellungsdatum des Videos die ganze Geschichte schon über ein Jahr her ist und nicht, wie “Bild” es formuliert, “kürzlich” passierte.
Aber hey, was soll man sich mit solchen Nebensächlichkeiten herumschlagen, wenn sich das Blut aus dem Kopf gerade in eine andere Körperregion verabschiedet hat?
Vor inzwischen fünf Jahren hat die “taz” diesen Kinospot produzieren lassen, in dem “Bild” eine “unlautere vergleichende Werbung” sah. Die Axel Springer AG ging gerichtlich dagegen vor und bekam vor dem Land- und dem Oberlandesgericht Hamburg Recht. Im vergangenen Herbst hob der Bundesgerichtshof die Hamburger Urteile auf und entschied, dass der Spot gezeigt werden darf (BILDblog berichtete).
Genau wegen dieses Spots trafen sich die Prozessbeteiligten kürzlich vor Gericht wieder: Die “taz” hatte einen Zivilprozess gegen Springer angestrengt, um Entschädigung zu bekommen. Entschädigung für den Ausfall, der dadurch entstanden war, dass der aufwendig produzierte Spot wegen des Vorgehens von “Bild” sehr viel kürzer in den Kinos zu sehen war, als ursprünglich geplant.
Das Landgericht Berlin entschied jetzt, dass Springer den anteiligen Ausfall ersetzen muss: Laut “taz” 21.414,90 Euro zzgl. Zinsen, insgesamt 28.149,40 Euro. Der Verlag kann noch in Revision gehen, wonach es nach Aussage der “taz” im Moment aber nicht aussieht.
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
1. “Klartext oder Ressentiment?” (dradio.de, Joachim Scholl)
Nikolaus Blome (“Bild”) und Sven Scheffler (“Handelsblatt”) erklären, wie sie mit den Schulden von Griechenland umgehen und ob es sich dabei um eine Kampagne beziehungsweise eine Gegenkampagne handelt.
2. “Warum ein Regierungssprecher nicht Intendant werden sollte” (epd.de)
Der Regierungssprecher Ulrich Wilhelm soll diese Tage zum Intendant des Bayrischen Rundfunks gewählt werden. Die Medien empören sich darüber nur verhalten. “Was würde die deutsche Presse ? zu Recht! – schäumen, wenn der französische Präsident Nicolas Sarkozy oder gar der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi es wagen würden, ihren Regierungssprecher zum Chef eines Staatssenders zu machen?!”
3. “Verlage vs. Journalismus” (dondahlmann.de)
Don Dahlmann bemerkt, dass “Qualitätsjournalismus” in der westlichen Welt gerne mit den Verlagen gleichgesetzt wird, diese aber “die leere Hülle des Journalismus und der Pressefreiheit zunehmend instrumentalisieren, um die eigenen wirtschaftlichen Ziele durchsetzen zu können”. “Ich schreibe kaum noch für sie. Zum einen, weil es sich nicht lohnt. Würde ich nur Zeitungen nach Zeilenhonorar arbeiten, ich hätte Probleme meine Miete zu zahlen. Zum anderen sehe ich nicht ein, dass die Rechte an meinen Texten bis zum St. Nimmerleinstag bei irgendeinem Verlag liegen.”
5. “Ja, Kruzifix: Die ZEIT hat einen an der Waffel” (blog.dummy-magazin.de, Arne Semsrott)
Arne Semsrott empfiehlt dem “Zeit”-Feuilleton, das der niedersächsischen Ministerin Aygül Özkan mehr Demut gegenüber dem Kreuz empfiehlt, Zurückhaltung: “Denn Frau Özkan hat sich nicht gegen das christliche Symbol an sich, sondern lediglich gegen seine Verwendung in staatlichen Institutionen ausgesprochen.”
6. “Auf dem Weg in die Illegalität – mit der Burka durch Wien” (profil.at, Robert Treichler)
Robert Treichler zieht sich eine Burka an und geht damit zum Blumensteckkurs und an eine FPÖ-Veranstaltung. Und ins Restaurant: “Ein Kellner kommt, obwohl er sieht, dass wir bereits bedient werden, und beginnt auf Arabisch mit uns zu sprechen. Wir erklären ihm, dass wir ihn nicht verstehen. Er zieht ein bisschen enttäuscht wieder ab.”
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2. “Journalisten nicht wie Bittsteller behandeln” (kress.de, Matthias Spielkamp)
Kress.de dokumentiert eine Rede von Matthias Spielkamp, die unter anderem die manchmal nur aus wenigen Cents bestehenden Zeilenhonorare von freien Journalisten zum Thema hat. Nachtrag, 5. Juni: Inzwischen ist der Text nur noch hier kostenlos zu lesen.
3. “SF: 20 Unterschriften für eine Beschwerde gesucht” (arlesheimreloaded.ch, Manfred Messmer)
Manfred Messmer dokumentiert eine Beschwerde von Journalist Markus Schär an die “Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen” UBI. Das Schweizer Fernsehen SF habe “keinen einzigen Beitrag zur Kritik an der Klimaforschung gebracht, auch nicht zur Debatte um den Weltklimarat IPCC und seinen Chef Rajendra Pachauri, die Anfang Jahr weltweit grosses Aufsehen erregte und über die jedes ernstzunehmende Medium berichtete”.
4. “An meine Kritiker” (zeit.de, Helene Hegemann)
Romanautorin Helene Hegemann kritisiert angesichts der Plagiatsdebatte um ihr Buch “Axolotl Roadkill”, dass viele Journalisten sich weigerten, “die eigentlich wichtigste Tatsache” mit einzubeziehen: “nämlich dass es sich bei der als Plagiat bezeichneten Menge von (nicht abgeschriebenen, sondern modifiziert in einen komplett anderen Kontext gesetzten) Stellen um zusammen genommen circa eine einzige von 206 Buchseiten handelt. (…) Die genaue Zahl der Stellen wurde konsequent ausgespart, und zwar ausschließlich, weil sie die Luftblase des perfekten Skandals zum Platzen gebracht hätte.”
5. “Yasmin – zurück im Alltag” (nzz.ch, Alan Niederer)
“Was von der medialen Kritik an der Antibabypille geblieben ist.”
Vielleicht kam dieser dumpfe Knall, den man am Donnerstagmittag in Teilen des Ruhrgebiets hören konnte, von den Sektflaschen, die sie in der lokalen “Bild”-Sportredaktion entkorkt haben.
Denn der abstiegsbedrohte Fußballbundesligist VfL Bochum hatte sich von Trainer Heiko Herrlich getrennt (eine Nachricht, die Bild.de kurzzeitig und wohl eher versehentlich mit “Bochum feiert Heiko Herrlich” überschrieb) — “endlich”, wie man bei “Bild” gedacht haben wird, denn der Aufwand war hoch gewesen:
Über Wochen hatte sich “Bild” mit teils berechtigter Kritik, teils persönlichen Angriffen auf Heiko Herrlich eingeschossen. Und nachdem der sich dann letzte Woche auf einer Pressekonferenz gegen “Bild” gestellt hatte (BILDblog berichtete), waren bei der Zeitung alle Dämme gebrochen.
Michael Makus, NRW-Sportchef bei “Bild”, schrieb letzten Montag:
Die Frage nach der Bochumer Bundesliga-Tauglichkeit beantwortet Herrlich mit Schweigen. Seine eigene Erstligareife ist mehr als zweifelhaft.
Das ist nur teilrichtig, denn Herrlich hatte dem längeren Schweigen auf Makus’ Frage noch etwas hinzuzufügen, wie das Blog Fantastic Supporters dokumentiert:
Wissen Sie, bei Ihrer Zeitung wissen wir auch, dass Sie nicht unbedingt Interesse daran haben, den VfL Bochum in der Bundesliga zu haben. Es reicht, das wissen wir ja von Ihrem Chef, dass Schalke 04 und Borussia Dortmund für Auflagen sorgen. Und deswegen brauche ich Ihnen die Frage überhaupt nicht zu beantworten, weil ihr sowieso schreibt was ihr wollt.
Ebenfalls für die Montagsausgabe fand “Bild”-Mann Joachim Droll, der letzte Woche Herrlichs Zorn zu spüren bekommen hatte, ein paar Ex-Bochumer, die Herrlich explizit oder impliziert kritisierten und ihm so das gewünschte Fazit ermöglichten:
Bochums Legenden fassungslos. Und niemand zieht die Notbremse…
Am Dienstag präsentierte “Bild” dann die “10 größten Herrlich-Fehler” (von denen einzelne auch objektiv nachvollziehbar sind) und illustrierte den Artikel mit Plakaten enttäuschter Fans:
Außen vor blieb in “Bild” (natürlich) ein Plakat, das in der letzten Woche mindestens einmal beim Training zu sehen war. Darauf stand: “Die Bild-Zeitung lügt”.
Oder wie Heiko Herrlich es am Freitag zuvor formuliert hatte:
Das haben schon einige mehr jetzt festgestellt, auch die Fans und deshalb muss vielleicht auch ein Reporter von Ihnen mal schneller vom Trainingsgelände weg, weil die Fans schon gemerkt haben, wie der Hase hier läuft. Was in den letzten Wochen hier los war, was hier an Unwahrheiten passiert ist, das ist eine Frechheit.
Zu den “Unwahrheiten” zählen laut VfL-Pressestelle zahlreiche Informationen, die “Bild” in den vergangenen Wochen über das Innenleben der Mannschaft verbreitet habe. So seien die Berichte, nach denen Herrlich Stars systematisch “rasiert” und “demontiert” habe, schlicht falsch. Und tatsächlich hat Philipp Bönig, den “Bild” vor zwei Wochen “auf dem Absprung” sah, noch kurz vor Herrlichs Rauswurf einen Vertrag für weitere zwei Jahre unterschrieben.
Die Pressestelle des VfL Bochum hatte uns am Mittwoch auf Anfrage erklärt, man plane keinen “Bild”-Boykott, aber man werde die Arbeit der Zeitung durchaus kritisch beobachten und kooperativ sein, ohne sich zu verbiegen. Die Basis für eine konstruktive Zusammenarbeit sei aber kaum noch vorhanden.
Am Donnerstag, wenige Stunden vor Herrlichs Entlassung, wusste “Bild” dann mit zahlreichen angeblichen Interna aufzuwarten, die “mehrere Spieler und VfL-Insider unabhängig voneinander gegenüber BILD” bestätigt hätten. Bei seinem letzten “Gaga-Auftritt” vor der Mannschaft habe sich “Heiko Selbstherrlich” gar mit Louis van Gaal verglichen — weil er sich “genauso mutig mit den Medien” anlege wie der Bayern-Trainer.
Der Vortrags-Nutzen für die Mannschaft? Gleich NULL.
Kaum war Herrlich weg, der einen Grund der “Bild”-Angriffe gegen sich darin sah, dass er der Zeitung einmal kein Interview geben wollte, druckte “Bild” am Freitag etwas, was auf den ersten Blick wie ein Interview mit Interimstrainer Dariusz Wosz aussieht, in Wahrheit aber vielmehr ein Remix seiner Antworten bei der Pressekonferenz des Vortages ist:
Die Rolle von “Bild” beim Trainer-Rauswurf wurde diskutiert, zum Beispiel im Forum von transfermarkt.de — bis die Diskussion auf der mehrheitlich zur Axel Springer AG gehörenden Website erst geschlossen und dann ganz gelöscht wurde.
Herrlichs Haltung gegenüber “Bild” hat ihm nicht nur Sympathien und Respekt eingebracht. Michael Krumm offenbarte etwa ein irritierendes Verständnis von Demokratie und Presse, als er im VfL-Blog auf reviersport.de schrieb:
Jedem Kind dürfte es bekannt sein, dass man sich in Deutschland nicht mit der Zeitung mit den vier großen Buchstaben anlegt, erst Recht nicht dann, wenn sich Erfolglosigkeit eingestellt hat.
Wenn sich diese Einstellung und der Glaube, Herrlich sei tatsächlich nur auf Druck von “Bild” entlassen worden, durchsetzen sollten, war der Donnerstag tatsächlich ein großer Tag für die “Zeitung mit den vier Buchstaben”.
Mit Dank auch an Jens L., Stephan U., Daniel H., Stefan B., Basti, Christian M., Annika Sch., Martin Sch. und Fabian.
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1. “FAZ über Nido” (dirkvongehlen.de)
Dirk von Gehlen beleuchtet “Ihr seid ganz schön gaga!” von Sandra Kegel über das Elternmagazin “Nido”. Der Text arbeite sich ab an den unterschwelligen Vorstellungen der Autorin, “die mit der angenommenen Welt der ebenfalls imaginierten Nido-Leser nicht zusammen gehen wollen”.
2. “‘Bild’, Kock am Brink und Rechnen für Grundschüler” (dwdl.de, Thomas Lückerath)
Thomas Lückerath kümmert sich um die Frage, ob Ulla Kock am Brink tatsächlich nach 10 Jahren auf die TV-Bildschirme zurückkehrt, wie “Bild” auf der Titelseite schreibt.
3. “Pirate Bay dementiert Verkaufsmeldung” (heise.de)
In einem Blogeintrag dementiert “The Pirate Bay” eine Pressemitteilung über einen Verkauf der Plattform: “With great interested we read the press release at Market Watch that a company decided to buy TPB. However, we have no deal with them. We have not even talked to them!”
4. Interview mit Stefano Semeria (derstandard.at, Doris Priesching)
TV-Formatentwickler Stefano Semeria über die Zukunft von Fernsehformaten: “Reality entstand, weil die Sender kostengünstiges Programm brauchten und weg vom ganz teuren Fernsehen wollten. Das ist aber vielleicht jetzt genau der Grund, warum das Publikum nicht mehr darauf zugreift.”
5. Interview mit Axel Hacke (planet-interview.de, David Sarkar) Axel Hacke, der seit Jahren jede Woche eine Kolumne über sein Leben schreibt, zum Stichwort Twitter: “Das ist doch diese Geschichte, wo die Leute in kurzen Sätzen jederzeit mitteilen, was sie gerade machen. Ehrlich gesagt, viel mehr weiß ich darüber nicht, weil ich es so blöd finde. (…) Ich finde dieses ständige Mitteilungsbedürfnis, die Banalitäten-Schleuderei einfach unsäglich.”
6. “We deserve better than this” (wtfcnn.com, englisch)
Die Website “WTF CNN?” bietet einen Vergleich von cnn.com mit anderen Online-Angeboten, zum Beispiel mit dem von “Deutsche Welle”: “We know you think this is what we want, but it’s not. We don’t care what random Tweeters think about a news story, how many holograms you have in your Situation Room, or even the latest celebrity gossip.”
Kein Journalist steht mit seinem Namen zur Story, sie wird also sozusagen anonym veröffentlicht.
Von Wahrheit spricht niemand, die Story ist gespickt mit den Worten “angeblich” und “soll”.
Kein anderes Medium berichtet über die Story, die, wenn sie wahr wäre, ungeahnte Folgen haben könnte.
Die einzige Quelle der Story ist ein berühmt-berüchtigtes Boulevardblatt.
Die Quelle der Story ist (vorübergehend?) nicht zugänglich (“Page unavailable/under construction”).
All diese Punkte treffen auf eine Geschichte im heutigen “Blick” zu.
Es geht darin um Vera Baker, die Barack Obama 2004 bei der Wahlkampagne für den Senat von Illinois als Finanzchefin unterstützte. Von der “Mail on Sunday” auf den Vorwurf angesprochen, sie habe eine Affäre mit dem späteren US-Präsidenten gehabt, sagte sie im Oktober 2008: “Nichts passierte.”
Neu ist nur das – ausschließlich vom “Globe Magazine” verbreitete – Gerücht, dass die beiden gemeinsam in einem Hotel gesichtet wurden, was ein Augenzeugenbericht und ein Video beweisen sollen. Alles andere ist seit 2008 bekannt und dementiert. Darum gehört die Story in ihrer jetzigen Sachlage in den Papierkorb.
Oder auf das Titelblatt:
Seite 12:
Mit Dank an Jonas A. für den Hinweis und Klartext für die Scans.
Zu den inoffiziellen Einstellungsvoraussetzungen bei “Bild” und Bild.de gehört eine ausgeprägte Ironieblindheit — also die Fähigkeit, das eigene Tun nicht mit dem, was man an anderen kritisiert, in Verbindung zu setzen. Anders könnten klassische “Bild”-Schlagzeilen im Stil von: “Diese schlimmen Fotos wollen wir nie wieder sehen” gar nicht entstehen.
Bild.de führt den Effekt aktuell mit einer Geschichte über angebliche Datenschutz-Mängel bei “Google Street View” vor. Ein “kurzer BILD.de-Test” habe bewiesen, dass auf den Straßenaufnahmen, die Google für das Online-Projekt anfertigt, viele Gesichter von Passanten nicht verpixelt wurden. Nun kann man es schon ironisch finden, dass ausgerechnet der Online-Ableger von “Bild” für das Recht am eigenen Bild kämpft, das die Zeitung sonst wie kaum jemand mit Füßen tritt.
Aber wie prangert man am besten an, dass da einfach wildfremde Menschen für jeden erkennbar gezeigt werden, ohne jede Unkenntlichmachung? Man zeigt sie, für jeden erkennbar, ohne jede Unkenntlichmachung:
Darauf muss man erst mal kommen. Dann ist es auch kein weiter Weg mehr zu solchen Ergebnissen:
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2. “Der siegende Holländer” (blogmedien.de, Horst Müller)
Horst Müller glaubt, dass es Louis van Gaal, der den FC Bayern München ins Finale der Champions League führte, nicht mehr auf den Titel von “Bild” schafft. Das habe mit Schlagzeilen aus dem Herbst 2009 zu tun. “Damals musste der FC Bayern eine 1:2 Schlappe in der Champions-League-Vorrunde gegen Girondins Bordeaux einstecken, wofür ‘Bild’ vor allem den ‘arroganten’ Holländer verantwortlich machte. ‘Van Gaal ist schlechter als Klinsi’, stellte ‘Bild’ seinerzeit fest.”
4. “Theaterkritik mit Kopf und Bauch” (kreuzer-leipzig.de, Tobias Prüwer)
Jörg van der Horst denkt im Gespräch mit Tobias Prüwer darüber nach, wie das Internet die Theaterkritik verändert hat. “Interessant ist die Ich-Perspektive, aus der viele Blogger schreiben. Davon kann herkömmliche Theaterkritik, die sich bisweilen im Absolutheitsanspruch übt, noch lernen.”
5. “Vermisst: Anstand!” (jensscholz.com)
Jens Scholz stört sich an der Marketingaktion eines Hörgeräteherstellers, der mit fiktiven Vermisstenanzeigen für seine Leistungen wirbt. “Wann ist bei euch der Anstanddetektor ausgefallen? Wer von euch hat in seiner Kindheit nicht gelernt, im Schwimmbad nicht um Hilfe zu rufen, damit wenn jemand wirklich Hilfe braucht, seine Rufe gehört und Ernst genommen werden?”
6. “Krass: Wetterbericht wird wegen Wetter gesehen!” (medienpiraten.tv/blog, Peer Schader)
Peer Schader zu einer Meldung des Branchendiensts “Kontakter”: “Na sowas. Zuschauer, die sich den Wetterbericht ansehen, schalten also nicht ein, um Jörg Kachelmann zu sehen – sondern um sich erklären zu lassen, wie morgen das Wetter wird!”
Heute aber ist plötzlich ein “Gewinner” des Tages fast spurlos verschwunden. Vom Nachmittag an bekamen die Leser von Bild.de beim Klick auf die entsprechende Rubrik plötzlich nicht mehr die aktuellen Gewinner und Verlierer zu sehen, sondern eine Wiederholung der Gewinner und Verlierer von gestern.
Über den Ausgang der aktuellen Gewinner/Verlierer-Ziehung der “Bild”-Lotterie informieren nur noch ein paar vereinzelte, offenbar vergessene Teaser auf Bild.de — und natürlich die gedruckte Zeitung: Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann hatte in Augen der “Bild” gewonnen. Grund ist das ach so gute Quartalsergebnis der Deutschen Bank:
Warum hat Bild.de den “Gewinner” verschwinden lassen? Dass Herr Ackermann die Zahlen aus gutem Grund nicht all zu hoch hängen will, spielt für die Wirtschafts-Boulevard-Experten von Bild.de sicher keine Rolle. Aber vielleicht eine aktuellere Meldung?
Wir können hier nur spekulieren, aber man darf bei der “Bild”-Zeitung offenbar nicht einmal so viel Loyalität erwarten, dass sie einen vollen Tag hinter ihrem “Gewinner des Tages” steht. Oder so viel Aufrichtigkeit, dass sie einen Fehlgriff offen korrigiert.