Post für den Presserat

Es ist ja leider nicht so, dass der Pressekodex des Deutschen Presserates vollkommen eindeutig wäre. Zum Persönlichkeitsrecht heißt es etwa unter Ziffer 8:

Die Presse achtet das Privatleben und die Intimsphäre des Menschen. Berührt jedoch das private Verhalten öffentliche Interessen, so kann es im Einzelfall in der Presse erörtert werden. Dabei ist zu prüfen, ob durch eine Veröffentlichung Persönlichkeitsrechte Unbeteiligter verletzt werden. Die Presse achtet das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und gewährleistet den redaktionellen Datenschutz.

Dass die “Bild”-Zeitung und Bild.de diese Regeln im besten Falle sehr lax auslegen und im schlechteren Falle schlichtweg missachten, ist keine Neuigkeit. Und auch die entsprechenden Reaktionen des Presserats sind keineswegs neu (s. Kasten).

Als “Bild” “nun” – ohne die zutreffende Formulierung “zum wiederholten Male” – vom Presserat (“dem obersten Sittenwächter der Presse”) “getadelt” wurde, nahm die Zeitung dies zum Anlass für einen großen Artikel in eigener Sache:

Deutscher Presserat entscheidet: BILD soll Kinderschänder nur noch so zeigen

Wörtlich heißt es da:

Trotz der hohen öffentlichen Aufmerksamkeit urteilte der Presserat: “Zwar handelt es sich bei Kindesmissbrauch um eine sehr verwerfliche Straftat. Dies rechtfertigt aber nicht die identifizierende Darstellung des Täters.”

Und weiter:

Seit Wochen diskutiert ganz Deutschland über den sexuellen Missbrauch von Kindern durch ihre Lehrer an Schulen und kirchlichen Einrichtungen – aber der Presserat hält den Wunsch der Täter nach Anonymität für wichtiger als den Anspruch der Bürger auf klare und vollständige Information.

Neu ist allerdings, dass “Bild” und Bild.de die Regeln des Presserates nicht einfach nur ignorieren, sondern Stimmung gegen diese machen und versuchen, den Presserat selbst unter Druck zu setzen. Und zwar mit Hilfe ihrer Leser.

Daran schloss sich der Aufruf an die Leser an, sich per E-Mail, Post oder Fax an den Presserat zu wenden:

Was sagen Sie dazu? Schreiben Sie dem Presserat!

Die “Maßnahmen” des Presserates:

Hat eine Zeitung oder eine Zeitschrift gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:

  • einen Hinweis
  • eine Missbilligung
  • eine Rüge.

Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, tun sie es nicht.

Nun kam die “hohe öffentliche Aufmerksamkeit” nicht von ungefähr, sondern wurde ganz maßgeblich durch die Berichterstattung der “Bild”-Zeitung hervorgerufen. Würde man der Argumentation des Springer-Blattes folgen, könnte “Bild” letztlich selbst bestimmen, wer durch Ziffer 8 des Pressekodex geschützt wird und wer nicht — was die Regelung nun wirklich vollkommen ad absurdum führen würde.

Und natürlich handelt es sich nicht einfach um den “Wunsch der Täter nach Anonymität”, sondern um ein fundamentales Bürgerrecht, nämlich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Doch all diese durchaus wichtigen Aspekte unterschlägt “Bild” — mit entsprechenden Konsequenzen für die Post an den Presserat.

Bis 13 Uhr waren dort etwa 250 E-Mails von “Bild”-Lesern eingegangen, bis 16 Uhr waren es über 350. Die Mehrheit der “Bild”-Leser folgte wenig überraschend der Argumentation der Boulevardzeitung. Einige der Mails waren nach Angaben des Presserats beleidigend. Manche Schreiber unterstellten gar, der Presserat selbst sei von Pädophilen beherrscht und würde sich nur daher auf die Seite der Täter schlagen. Nur wenige Kommentatoren lobten den Presserat für sein Eintreten für die Persönlichkeitsrechte.

An der Entscheidung aber, beteuerte man beim Presserat auf Anfrage, werden weder die Kampagne von “Bild”, noch all die E-Mails etwas ändern. Falls jemand den Presserat für diese Aufrichtigkeit loben mag, hier ist die E-Mail-Adresse: [email protected]

Mit Dank auch an die vielen, vielen Hinweisgeber!

Pokal-Konfusionen

Es ist längst ein geflügeltes Wort, dass ja “wenigstens der Sportteil” von “Bild” gut sei. Von dieser Arbeitshypothese ausgehend muss heute der Wurm dort sein, wo sonst der Teufel steckt: im Detail.

So eröffnet “Bild” die Berichterstattung über den vorläufigen WM-Kader der deutschen Fußballnationalmannschaft heute mit den Worten:

Jogi Löw hat es selbst gesagt: “Vor uns liegen acht lange Wochen, 50 Trainingseinheiten – und hoffentlich sieben Spiele.” Sieben Spiele in Südafrika, das würde bedeuten: Wir kommen ins Finale!

Ja — oder halt ins Spiel um Platz 3, das für seine Teilnehmer genauso das siebte Turnierspiel wäre.

Heute Mittag behauptete Bild.de dann über Borussia Dortmund:

Der BVB spielt in der kommenden Saison erstmals seit 2005 wieder international (damals gab’s das bittere Drittrunden-Aus im UI-Cup).

Nö. In der Saison 2008/09 spielte Borussia Dortmund im damals noch so genannten Uefa-Cup, für den sich der BVB als Finalist des DFB-Pokals qualifiziert hatte, und schied in der Vorrunde im Elfmeterschießen gegen Udinese Calcio aus.

Mit Dank an Florian D. und Christoph F.

Nachtrag, 17.35 Uhr: Auch die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” von heute hat nicht ganz sauber gerechnet:

“Wir haben ein wirklich gutes Gefühl, mit diesem Kader zum Turnier zu fahren”, sagte Löw und sprach optimistisch “von acht Wochen Gemeinsamkeit, 50 anspruchsvolle Trainingseinheiten und hoffentlich sieben hochbrisanten Spielen”. Das würde bedeuten: Endspiel.

Mit Dank an Sebastian S.

Bild  

Kommt ‘n Mann zum Arzt …

In ihrer Ruhrgebietsausgabe berichtet “Bild” heute über einen jungen Mann, dem seine damalige Freundin absichtlich ein Stück der Zunge abgebissen hat.

Obwohl seine Ärzte prognostizierten, dass er nie wieder richtig sprechen und essen können würde, machte der Mann erstaunliche Fortschritte:

Mit Kaugummi trainierte er die Zunge. Bereits nach wenigen Wochen konnte er nuscheln, auch essen. Heute spricht er fast ohne Probleme[.]

Aber von solchen (für den Betroffenen sicher erfreulichen) Details lässt sich “Bild” natürlich keine Überschrift kaputt machen:

Meine Freundin hat mir die Funge abgebiffen

Mit Dank auch an Rainer S.

Wir in NRW, Musikblogger, Sixx

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Die Macht der Blogger”
(taz.de, Stefan Reinecke)
Stefan Reinecke über das Verhältnis der nordrhein-westfälischen Regionalzeitungen zur CDU und das Blog “Wir in NRW”, das “womöglich die Wahl am Sonntag mitentscheiden” kann. “Die Zeitungslandschaft in Nordrhein-Westfalen ist ein spezieller Fall. Die Interessen von politischer Macht und Verlagshäusern, von Staatskanzlei und Medienkonzernen sind ungewöhnlich eng miteinander verzahnt.”

2. “Was sollte Medienjournalismus leisten?”
(nachdenkseiten.de, Albrecht Müller)
Redemanuskript von Albrecht Müller, der bei einer Internationalen Tagung im Mediencampus Leipzig acht Wünsche an den Medienjournalismus formuliert und diese mit vielen kleinen Beispielen unterfüttert.

3. “Hühnchen mit Perlenkette”
(Spiegel Online, Peer Schader)
Heute startet der neue Frauensender Sixx. Peer Schader stellt das Programm und die Senderchefin Katja Hofem-Best vor: “Mir war wichtig, einen Sender zu entwickeln, der nicht die üblichen platten Frauenklischees bedient, der nicht rosa ist und so ein Blümchen-Image hat, sondern dass sehr viel Humor dabei ist.”

4. “Über die Furcht vor der Kommerzialisierung”
(netzwertig.com, Martin Weigert)
Martin Weigert findet es nicht schlimm, wenn Blogs professioneller und wirtschaftlicher werden, und sieht das Problem darin, den Lesern dies ordentlich zu vermitteln: “Denn Gewinnstreben passt nicht in das Muster der unbequemen, intellektuellen und leicht revolutionären Gegenöffentlichkeit. Man darf gerne Dinge bewegen, aber tue dies doch bitte auf Basis ideeller, intrinsischer Motive.”

5. “Der Musikblogger – ein unverstandenes Wesen”
(lieinthesound.de, SomeVapourTrails)
SomeVapourTrails schreibt eine Polemik über Musikblogger, die ihre Texte immer mehr auf Konsumierbarkeit, Hypes und Promoter zuschneiden. “Für jeden Geschmack ist der passende Humbug vorhanden. Eingebildete Leser mit Indie-Attitüde werden ebenso vollgekotzt wie kleine Gören mit DSDS-Fieber. Letztlich liefert nämlich der auf Zeitgeist gestlyte Musikblog der gehobenen Tageszeitung, das Popkultur predigende wie desavouierende Magazin oder der mit Geheimtipps nicht geizende Miniblog den vermeintlich anspruchsvollen wie intellektuellen Hörern doch auch eine sehr berechenbare, vorgekaute Kost.”

6. “A list of words you can’t say on radio in Boston”
(facebook.com, Shout Out Louds, englisch)
Die schwedische Band Shout Out Louts hat sichtlich fasziniert eine Liste mit Wörtern abfotografiert, die man im amerikanischen Radio nicht sagen darf. Manche werden vorsichtshalber durchkonjugiert: “COME, COMING, CAME (in a sexual reference to ejaculation)”

Popper, Street View, al-Gaddafi

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. Interview mit Tom Schimmeck
(jungle-world.com, Martin Reeh)
Tom Schimmeck kritisiert, dass “richtig viele Flächen, auf denen zuvor ernsthafter Journalismus betrieben” wurde, von “Poppern” übernommen worden sind, beispielsweise im SZ-Magazin. Zudem glaubt er, dass bei vielen Journalisten die Lust gewachsen ist, “dazuzugehören und mitzumischen”.

2. “Ein Persönlichkeitsrecht für Jägerzäune”
(mspr0.de)
Blogger mspro fragt sich, warum Journalisten dem Angriff von Datenschützern auf den Dienst “Google Street View” so wohlwollend entgegen sehen. “Das Recht in der Öffentlichkeit fotografieren zu dürfen gehört uns allen! Die Daten, die uns öffentlich zu Verfügung stehen, helfen uns allen. Sie werden helfen, uns zu orientieren und werden uns Fahrten ersparen. Sie werden die Welt ein Stück weit transparenter machen.”

3. “Deutsche Medien betreiben Griechen-Bashing”
(evangelisch.de, Henrik Schmitz)
Henrik Schmitz gehen die differenzierten Beiträge zur Schuldenkrise in Griechenland unter “in der geballten Macht von ‘Bild’, ‘BamS’ und ‘Glotze'”: “Das Bild bleibt haften: Erst leben die Griechen über ihre Verhältnisse, dann retten wir sie mit unseren Steuergeldern und dann erdreisten sie sich noch, gegen eigene Sparmaßnahmen zu demonstrieren.”

4. Interview mit Lorenz Lorenz-Meyer
(derstandard.at, Ina Freudenschuß)
Für Lorenz Lorenz-Meyer ist die netzpolitische Öffentlichkeit “noch sehr selbstreferentiell, sehr auf Netzthemen bezogen”: “Es gibt unglaublich wichtige Themen wie die Finanzkrise oder den Afghanistan-Krieg, zu denen von dieser Nachwuchs-Intelligenz eine Stellungnahme gut und zu erwarten wäre, aber es kommt noch nichts.”

5. “Sponsoring: Ist ORF-Magazin ‘On’ gekauft?”
(diepresse.com)
“Die Patronanzsendung entsteht eventuell nicht in redaktioneller Unabhängigkeit.”

6. Interview mit Bernhard Zand
(weltwoche.ch, Daniel Glaus)
Daniel Glaus befragt Bernhard Zand, der sich zusammen mit Volkhard Windfuhr in einem Wüstenzelt mit dem libyschen Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi zum “Spiegel”-Gespräch getroffen hat. “Ich glaube nicht, dass er irre ist. Er übertreibt ganz bewusst und setzt seine ganze Theatralik als Mittel zum Zweck ein. Er vertritt auch noch die abenteuerlichsten Theorien in Ruhe, er wurde in unserem Gespräch nie emotional und bringt jeden Gedanken zu Ende.”

Der Grill-Mob von Athen

Aus unserer Serie “Die etwas unglücklich platzierte Werbeanzeige”:

Athen brennt - 3 Tote. jetzt mitbrutzeln und heiße Preise gewinnen!

Mit EDEKA in die Grillsaison starten.

Inzwischen wurde das großflächige Werbebanner von der Bild.de-Startseite entfernt.

Mit Dank an Markus, Birger L., Sebastian K. und Matthias.

Heiko Herrlich und “die Journalisten”

Ein Stürmer, der mit einer Wasserflasche nach einem Fan wirft; ein früherer Nationaltorwart, der einem Zuschauer die Brille wegnimmt; ein Trainer, der bei einem Liveinterview grußlos das Fernsehstudio verlässt — es war eine Bundesligasaison voller “Aufreger”, voller “Skandale, Zoff und Kuriositäten!” und Bild.de war so freundlich, sie für die Leser schon einmal zusammenzufassen. (Offenbar ging man davon aus, dass am letzten Spieltag schon nichts aufregendes mehr passieren wird.)

Zu den “größten Aufregern und Skandalen” gehörte für Bild.de auch:

Eine Gaga-Pressekonferenz von Heiko Herrlich. Der Ex-Bochum-Trainer ging auf die Journalisten los, fügte anschließend an: "Drücken Sie auf Aufnahme, dass ich es meinen Kindern irgendwann zeigen kann." Kurz danach flog der Trainer

Nur noch mal zur Erinnerung: Herrlich hatte seine Worte nicht an “die Journalisten” im Allgemeinen gerichtet, sondern explizit an die von “Bild”.

In einem anderen Fall weiß Bild.de dagegen überraschend genau, wer gemeint war:

Stinkefinger-Skandal um Kölns Maniche: Der Portugiese steigt am Morgen aus seinem 620-PS-Lamborghini und begrüßt den BILD-Fotografen mit Mittelfinger und portugiesischen Flüchen

Mit Dank an Andreas K.

Böses Street-View-Bild ist kein Street-View-Bild

Vor einer Woche machte Bild.de einen “kurzen Test” des Straßenfotodienstes “Google Street View” und fand heraus: “Die Aufregung über mangelnden Datenschutz ist berechtigt”!

Zwar löscht Google angeblich Autokennzeichen und Gesichter automatisch, Häuser auf Wunsch. Doch die Datenschutz-Software hat sichtbare Schwächen!

Auf vielen Bildern, die Street View online zeigt, tauchen erkennbare Gesichter, sogar von Kindern auf. (…) Von Datenschutz kann da nicht die Rede sein.

Beispiel Paris: Google zeigt Bilder vom Kindern beim Eislaufen vor dem Pariser Rathaus. Das Gesicht eines Mädchens ist gut erkennbar.

Über die doppelte Ironie, dass ausgerechnet Bild.de sich um den Schutz der Privatsphäre der Menschen sorgt und andererseits selbst die gefundenen Fotos unverpixelt zeigt, hatten wir schon berichtet.

Aber es gibt ein größeres Problem mit der Geschichte: Das Foto ist gar nicht aus Street View.

Google hat uns auf Anfrage bestätigt, was angesichts der Perspektive des Fotos (die Google-Kamera fotografiert von einer deutlich höheren Position) nahe lag: Es handelt sich bei dem Bild nicht um eine Street-View-Aufnahme.

Das Foto stammt anscheinend von jemandem namens Niklas Jakobsen, der es offenbar vor zwei Jahren aufgenommen und bei Flickr hochgeladen hat.

Warum Bild.de mit einem Foto, das gar nicht von Google Street View stammt, den angeblich fehlenden Datenschutz bei Google Street View anprangert, wissen wir nicht.

Mit großem Dank an Alexander H.!

Nachtrag, 11.15 Uhr. Das ist originell: Bild.de hat das falsche Foto entfernt, aber den Text, der sich darauf bezieht, unverändert gelassen.

Meyer-Landrut, Tunnelbau, Lotterie

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Der schönste Mix”
(berlinonline.de, Daniel Bouhs)
Das ZDF sucht derzeit per Ausschreibung einen Dienstleister für die “Produktion von Audio-PR und Auswertung aktueller ZDF-Sendungen”. Daniel Bouhs fragt: “Steht solch eine Praxis einer Programmanstalt gut zu Gesicht, die im Wesentlichen von der Allgemeinheit finanziert wird und deshalb mehr als andere einen sauberen Journalismus fördern sollte?”

2. “Alter Hut statt ‘Enthüllung'”
(fastvoice.net, Wolfgang Messer)
Eine Nacktszene von Lena Meyer-Landrut wird als Neuigkeit präsentiert, ist aber schon länger bekannt. Die FAZ dazu: “Es muss ein Skandal her, es braucht Sex and Crime, es muss auch die letzte jugendliche Lichtgestalt in den Dreck gezogen und mit bigotten Kommentaren überzogen werden.”

3. “Abschied vom Besten”
(online-merkur.de, Kathrin Passig)
Kathrin Passig zum Ausspruch von Christoph Keese, es sei die Leistung seines Arbeitgebers Axel Springer, die Rangreihenfolge der Informationen im Netz zu organieren. “Es gibt diese allgemeingültige Rangreihenfolge nicht, und dass Redaktionen eine Weile so tun durften, als gebe es sie, beruhte auf einem Mangel an besseren Lösungen, der mittlerweile behoben ist.”

4. “10 wahnwitzige Dokus bei N-TV und N24”
(fernsehkritik.tv, Video, insgesamt 41:23 Minuten)
Fernsehkritik.tv kommentiert (ab 20:43 Minuten) zehn Dokus, die auf den TV-Sendern N24 und N-TV zu sehen waren. Es geht darin um Themen wie die Ufos der Nazis, den Klimawandel, das Leben von Jesus, Heuschreckenplagen oder den Luftkrieg. Zum Thema Tunnelbau fallen aus dem Off folgende, dramatische Sätze: “Die Grösse der Aufgabe überstieg beinahe jede Vorstellungskraft. Ein Projekt, das den Beteiligten Unmögliches abverlangte – bis sie schliesslich triumphierten. (…)”

5. “Layout Fail”
(failblog.org, englisch)
“Look closely…does that spell what I think it spells?”

6. “Sie haben gewonnen, Herr Hase!”
(20min.ch, Amir Mustedanagic)
Amir Mustedanagic versucht, an die 3 Millionen Euro zu kommen, die er angeblich in der spanischen Lotterie gewonnen hat.

Bild  

Fasersplitternackte Tatsachen

Man muss die Plastiken des Bildhauers Peter Lenk weder geschmackvoll, noch hübsch finden, das wäre auch nicht im Sinne des Erfinders. Lenks Arbeiten sind stets ironisch, respektlos und gerne anzüglich, zumindest wenn dies Lenk hilft, seine meist präzis treffenden Pointen unterzubringen. Dass sich Lenks Spott in der Regel gegen sogenannte Würdenträger und die Doppelmoral der Öffentlichkeit richtet und regionale und historische Bezüge zur Gegenwart herstellt, das macht den Reiz der Plastiken letztlich aus. Und erklärt eigentlich auch schon, warum die “Bild”-Zeitung nicht unbedingt zu der Förderern des Bildhauers zählt, um es vorsichtig auszudrücken.

Dass “Bild” und der am Bodensee wohnende Bildhauer keine Freunde werden würden, dass dürfte allerspätestens seit Lenks Friede Springer und Kai Diekmann auf den Arm nehmenden Plastik am Gebäude der Berliner “Tageszeitung” (taz) abgemachte Sache sein – immerhin zeigt diese Friede Springer als trötende Schlangenbeschwörerin, nach deren Pfeife der Penis von “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann zu tanzen hat. Es ist also wenig verwunderlich, dass “Bild” gegen Peter Lenk polemisiert, wo es nur möglich ist (BILDblog berichtete) — selbst dann, wenn “Bild” dazu die Wahrheit unterschlagen muss.

Vergangene Woche behaupteten gleich drei “Bild”-Redakteure in der Stuttgarter Ausgabe:

Nackter Papst schockt im Bahnhof

In dem mittlerweile nicht mehr abrufbaren Beitrag schrieben Bachner, Mühlebach und Strehlau, Lenks neueste Plastik, die bald im Konstanzer Bahnhof zu sehen sein soll, sei eine Darstellung von Papst Benedikt XVI. — und zwar “fasersplitternackt” [sic!].

Nun zeigt die Plastik tatsächlich ein nacktes Männlein mit den päpstlichen Insignien. Dass das Männlein Joseph Ratzinger jedoch in keiner Weise ähnlich sieht, nun ja, das hätte immerhin Zweifel bei den Journalisten von “Bild” wecken müssen. Hätte, müssen. Was man nämlich beim regionalen “Südkurier” sowie bei “See Online”, nicht aber bei “Bild” herausgefunden hat: In Lenks neuestem Werk geht es um das “Papsttum in der Zeit des Konstanzer Konzils und nicht um Ratzinger.”

Peter Lenks Plastik zeigt tatsächlich einen Gaukler, der bloß die Zeichen des Papstes trägt — die Frage, wer sich mit Recht Papst nennen darf und wer nicht, war nämlich bei eben jenem Konstanzer Konzil in den Jahren 1414 bis 1418 verhandelt worden. Die Physiognomie der Figur soll dabei Papst Martin V. nachempfunden sein, der zu Zeiten des Konstanzer Konzils in Amt und Würden war.

Und genau genommen, aber auch das verschweigt “Bild”, handelt es sich bei Lenks Plastik nicht wirklich um ein neues Werk: Der Gaukler mit den Zeichen des Papstes ist in Konstanz bereits seit 1993 zu sehen, als Teil der Statue “Imperia” im Hafen der Stadt. Den Vorwurf, die Figur, die nicht auf die Konstanzer Stadtgeschichte, sondern auch auf eine Erzählung von Honoré de Balzac referiert, sei blasphemisch und verstoße gegen die guten Sitten, hatte Lenk allerdings schon damals entkräftigen können.

Diesmal zog die Affäre weitere Kreise, wie Peter Lenk im Gespräch mit BILDblog erklärte: Auf die Veröffentlichung des Artikels bei Bild.de hin habe er nicht nur – wie in der Vergangenheit schon – Schmähungen von Kirchenoberen und regionalen CDU-Politikern wie dem baden-württembergischen Innenminister Heribert Rech ertragen müssen, sondern auch telefonische Gewaltandrohungen. Schließlich beauftragte Lenk den Rechtanwalt Johannes “Johnny” Eisenberg, juristisch gegen die Behauptungen der “Bild”-Zeitung vorzugehen, die daraufhin den Artikel aus dem Netz entfernte.

Bild.de hat inzwischen auch eine Gegendarstellung veröffentlicht, die morgen auch in der gedruckten Stuttgarter Ausgabe zu finden sein dürfte.

Wie es scheint, sind es einmal mehr nicht die Plastiken von Lenk, sondern die Beiträge von “Bild”, die geeignet scheinen, den öffentlichen Frieden zu stören. Während Peter Lenks Anzüglichkeiten nämlich in der Regel fundiert und umfassend recherchiert sind, steht “Bild” mit seinen wüsten Anschuldigungen gegen den Bildhauer nun mit leeren Händen da. Um nicht zu sagen: nackt.

Vielen Dank an Daniela W., Ulrich E., Florian Sch. und Peter Lenk!

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