Rainer Hank, Blick am Abend, Klischeefragen

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Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Wer den Apfel küsst”
(perlentaucher.de, Thierry Chervel)
Thierry Chervel erkennt in einem Artikel der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” von Rainer Hank zum Thema “Geistiges Eigentum” drei falsche Grundbehauptungen. Er widerlegt sie in einem ausführlichen Text. “Hank merkt gar nicht, wie sehr er sich hier zum Sprachrohr von Kräften macht, die seinen eigenen liberalen Überzeugungen eigentlich krass entgegenstehen.”

2. “Nachrichtenagenturen mahnen Blogger ab”
(ndr.de, Video, 6:18 Minuten)
Nachrichtenagenturen wie AFP und dapd mahnen über Anwaltskanzleien Blogs und Websites ab. Als Grund werden begangene Urheberrechtsverletzungen angegeben, zum Teil handelt es sich um Forderungen in der Höhe von mehreren tausend Euro.

3. “Wie Korrespondenten in China drangsaliert werden”
(blog.tagesschau.de, Ruth Kirchner)
Der Alltag einer Journalistin in China: “Dass Telefone abgehört und E-Mails von der Staatssicherheit mitgelesen werden, davon muss man ausgehen. Zudem kann ich unerkannt fast nirgends hin. Jedes Hotel prüft beim Einchecken meinen Pass, sieht das Journalistenvisum und meldet mich an die örtlichen Behörden.” Zur kritischen Öffentlichkeit in China siehe auch “Mikroblogs revolutionieren den öffentlichen Diskurs” (de-cn.net, Wu Qiang).

4. “Es ist an der Zeit, öfter Tacheles zu reden”
(migazin.de, Didem Yüksel)
Didem Yüksel berichtet über die Begegnung mit einem TV-Journalisten: “Was mich an diesem Beitrag am meisten gestört hat und noch immer stört: Obwohl ich mich sehr bemüht habe, die Klischeefragen des Journalisten zu dekonstruieren, indem ich Beispiele aus der Realität gab und seine Behauptungen zurückwies, hat er seine Pressefreiheit genutzt, um dann klischeehafte Bilder hineinzuschneiden.”

5. “‘Deutschland feiert seine Neonazis’ – Der Blick am Abend dreht durch”
(moritzadler.com)
“Deutschland feiert seine Neonazis” ist auf der Titelseite der gestrigen Ausgabe des “Blick am Abend” zu lesen. “Hintergrund: Die Polizei in Deutschland hat neue Fotos der Nazi-Terroristen veröffentlicht, die zwischen 2000 und 2006 neun Morde begangen haben.”

6. “Story of vengeful jilted dentist WAS too good to be true”
(worldnews.msnbc.msn.com, Erin Tennant, englisch)
“A hugely popular news story about a jilted dentist accused of pulling out all her ex-boyfriend’s teeth has unraveled as a hoax.”

Die Wulff-Enthüllung, die keine war

Seit zwei “Bild”-Artikel zur Affäre um den Bald-darauf-Ex-Bundespräsidenten Christian Wulff für den Henri-Nannen-Preis nominiert wurden, ist eine Diskussion darüber entbrannt, ob die Berichterstattung der Zeitung preiswürdig sei.

Die Grünen-Politikerin Antje Vollmer schrieb in einem Gastbeitrag für die “Frankfurter Rundschau”:

Die Tatsache, dass dies alles auch nur die Chance hat, in die Nähe eines Henri-Nannen-Preises zu kommen, ist ein Alarmsignal. Nicht einmal Axel Springer hätte das zu träumen gewagt.

Heute hielt Gabor Steingart, Chefredakteur des “Handelsblatts”, in einem Newsletter dagegen. Das Internetportal “Meedia” zitiert ihn mit den Worten, die “Bild”-Geschichte werde “im Geschichtsbuch unserer Kinder stehen”.

Und Fakt ist zweierlei: Die Bild-Geschichte war sauber recherchiert. Und sie war, da das Staatsoberhaupt schließlich zurücktrat, die wirkungsmächtigste Enthüllung des Jahres 2011.

Eine Meinung, die “Bild” teilen dürfte: Am 18. Februar, einen Tag nach dem Rücktritt von Christian Wulff, schaute die Zeitung zurück und feierte sich ganzseitig für ihre Berichterstattung.

So deckte BILD die Wulff-Affäre auf

Die Onlinefassung dieses Artikels, die man heute bei Bild.de aufrufen kann, unterscheidet sich ein wenig von der ursprünglichen Version, die auch in der gedruckten “Bild” zu lesen war.

In der Chronologie der Enthüllungen kam damals noch der 8. Februar vor:

8. Februar 2012: Der Bericht, der letztendlich zum Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft und zum Rücktritt des Bundespräsidenten führt. BILD enthüllt: Der Filmproduzent David Groenewold hat 2007 für Wulff einen Luxusurlaub im “Hotel Stadt Hamburg” (HSH) auf Sylt gebucht und bezahlt.

Die Verbreitung dieser Behauptung ist “Bild” und Bild.de im April vom Landgericht verboten worden. Das Gericht bestätigte damit eine Einstweilige Verfügung vom 8. März. Der Grund: “Persönlichkeitsrechtsverletzung aufgrund einer unwahren Tatsachenbehauptung”.

Der Clou dabei: Groenewold bestreitet gar nicht, den Urlaub gebucht und (zunächst) bezahlt zu haben. Sein Anwalt hatte es sogar in einer E-Mail vom 24. Januar an den NDR mitgeteilt.

Im Urteil heißt es dazu:

Der Antragsteller hatte dieses Detail daher selbst “enthüllt”. Die BILD konnte danach insoweit nichts mehr “aufdecken”.

Der NDR selbst hatte daran am 8. Februar, dem Tag der neuerlichen “Enthüllung” durch “Bild”, in einer Pressemitteilung etwas trotzig zu erinnern versucht:

Nach der Berichterstattung der “Bild”-Zeitung über einen Aufenthalt des heutigen Bundespräsidenten Christian Wulff in einem Sylter Hotel hat der Anwalt Wulffs am Mittwoch (8.2.) betont, der Sachverhalt sei “längst bekannt” und auf einen Bericht des NDR verwiesen. Am 24. Januar hatte das NDR Fernsehen in der Sendung “Menschen und Schlagzeilen” über zwei Aufenthalte Wulffs auf Sylt berichtet, darunter der Urlaub im Jahr 2007 im Hotel Stadt Hamburg.

Man kann den Beitrag bei ndr.de ansehen, der Hinweis auf den Hotel-Aufenthalt kommt ganz am Ende.

Das Landgericht Berlin führt dazu in seinem Urteil aus:

Die Persönlichkeitsrechtsverletzung ist auch nicht belanglos, da es einen Unterschied macht, ob der Antragsteller, wenn auch auf Rechercheanfrage eines Redakteurs des NDR hin, bereitwillig Auskunft über den Sylt-Aufenthalt erteilt hat und dies der Öffentlichkeit mitgeteilt wurde, oder ob die Geschichte erst durch eine Zeitung “enthüllt” werden musste, also nach dem Verständnis des Lesers ohne Zutun der Betroffenen. Dies gilt zumal in dem gegebenen Kontext, in dem Vorgänge, für die der Antragsteller [David Groenewold] verantwortlich sein soll, zum [sic!] einem abrupten Ende einer Bundespräsidenten-Karriere geführt haben.

“Bild” und Bild.de haben nach unseren Informationen Berufung gegen das Urteil eingelegt.

Nachtrag, 18 Uhr: ndr.de hat – schon vor der Veröffentlichung unseres Eintrags – einen eigenen Artikel zu der Entscheidung des Gerichts veröffentlicht, in dem auch die Urteile im Wortlaut verlinkt sind:

Nachtrag, 4. Juni: Fortsetzung hier.

Leserkommentare, Spremberg, Apps

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1. “Pöbler werden ignoriert”
(drehscheibe.org, Stefan Wirner)
Sebastian Horn stellt bei den kommentierenden Nutzern von “Zeit Online” vier verschiedene Typen fest: Den klassischen Troll, den vorbildlichen Musterschüler, den Bemühten oder auch den Fleißigen und den Besserwisser.

2. “Das Schweigen der Mehrheit”
(tagesspiegel.de, Frank Jansen)
Nach dem Angriff auf die Redaktionsräume der “Lausitzer Rundschau” fährt Frank Jansen nach Spremberg, stellt Fragen und erntet mehrheitlich Schweigen.

3. “Schillernde Indizien”
(nzz.ch, Joachim Güntner)
Joachim Güntner zählt “Rechercheure und Ghostwriter” auf, die im Namen von Günter Wallraff geschrieben haben. “Das ändert nichts am sachlichen Gehalt von Wallraffs Büchern. Indessen darf man wünschen, dass ein Autor, der antritt, nur aus erster Hand zu berichten, diesen Anspruch auf Authentizität mit einer grösseren persönlichen Wahrhaftigkeit verbindet.”

4. “Die letzte exklusive Ware im Journalismus: Komprimierte Zeit”
(blog.tagesanzeiger.ch, Constantin Seibt)
Printjournalist Constantin Seibt empfiehlt den Zeitungen, “unverschnittene Ware zu liefern” und “im Zweifelsfall weniger und konzentrierter zu schreiben”. Langfristig bleibe nur eine Chance: “Die Flucht in die Qualität. Also in zeitraubende Bereiche wie Recherche und Stil zu investieren.”

5. “Are publishers waking up from their dream about apps?”
(gigaom.com, Mathew Ingram, englisch)
Ist das iPad für Magazine und Zeitungen wirklich ein Geschenk der Götter? “The biggest problem is that apps are walled gardens by design — most allow you to share articles through social media, but they don’t contain links and in most cases they don’t have comments either.”

6. “Hallo Papa Volkan”
(fraufreitag.wordpress.com)

Bild, dapd  

Wer wird denn weinen

Es war eine traurige Nachricht für Fans des Entertainers Peter Kraus, ein bisschen unauffällig versteckt in der “Bild” vom letzten Samstag:

Peter Kraus macht Schluss: Zwischen diesen Fotos liegen 70 Jahre

Sogar auf Scherze wie “Aus der Kraus” hatte “Teufelsreporterin” Dora Varro verzichtet, obwohl sie sonst nicht um irrlichternde Überschriften verlegen ist.

Nur die spröde Dachzeile “Peter Kraus macht Schluss” und der Hinweis, dass sein Konzert Donnerstagnacht in Hannover “einer seiner letzten Auftritte” gewesen sei, läuteten Kraus’ Abgang ein:

“Das ist meine Abschieds-Tournee. Man sollte aufhören, wenn es am schönsten ist”, verrät er BILD.

Am 27. Mai fällt der Vorhang in Düren. Dann noch ein Gastauftritt im August.

Danach tritt er ab – nach 57 Bühnenjahren.

Und so soll das Karriereende von Peter Kraus (73, “Sugar Sugar Baby”) aussehen?

Ja, sagen “Bild” und die Nachrichtenagentur dapd, die “Bild” offenbar für eine ähnlich fehlerfreie Quelle hält wie sich selbst.

Nein, sagt Peter Kraus.

Der ließ heute über seine Konzertagentur folgende Erklärung verbreiten:

‘Wann Schluss ist, bestimme immer noch ich!’
Peter Kraus denkt nicht ans Aufhören

Peter Kraus der ewig junge Rock ‘n Roll Star, der sich zurzeit auf einer 60 Konzerte Tournee in Deutschland, Österreich und der Schweiz befindet, ist erstaunt über die BILD Zeitungsnachricht vom 05.05.2012, dass er Abschied von der Bühne nimmt. Peter Kraus legt in diesem Zusammenhang folgende Stellungnahme ab:

“Wann Schluss ist, bestimme immer noch ich!”

“BILD ist stolz darauf in ihrer Berichterstattung die schnellste Zeitung Deutschlands zu sein. Sicher mit Recht.

In meinem Fall war sie sogar noch schneller, denn sie verkündete bereits das Ergebnis meiner derzeitigen Überlegungen, wie und wann ich mich von meinen Fans verabschiede.

Ein Ergebnis, das ich selbst noch nicht kenne.

Im Interview habe ich lediglich gesagt: “Eine so lange und große Revuetournee mit großem Ensemble tue ich mir bestimmt nicht mehr an.”

Diese Aussage wurde stark eingekürzt – wahrscheinlich aus Platzmangel – für Bilder. BILD Zeitung eben!”

Peter Kraus

dapd vermeldete auch diese neuerliche Entwicklung gerne und zitiert “Bild” dabei mit der Aussage, das Blatt bleibe bei seiner Berichterstattung

Mit Dank an Petra O.

WAZ  

Ihr EUmel! (4)

Manchmal werden wir gefragt, ob die ständige Auseinandersetzung mit anderer Leute Fehler nicht auch Auswirkungen auf die eigene geistige Gesundheit habe. Die Antwort lautet: leider ja.

So saß ich gestern mit ein paar Freunden in einem Café zusammen, das Gespräch kam auf den Relaunch der “Westdeutschen Allgemeinen Zeitung” (“WAZ”), die seit letzter Woche ein sechsspaltiges Layout hat, kein siebenspaltiges wie zuvor. Jemand griff nach einer ausliegenden “WAZ” und blätterte sie eilig durch, um den Bochumer Lokalteil genauer unter die Lupe zu nehmen.

“Gib mir noch mal den Mantel”, sagte ich, denn mir war, als hätte ich aus dem Augenwinkel für den Bruchteil einer Sekunde etwas gesehen, das nicht richtig sein konnte.

Und, fürwahr:

EU-Gericht verurteilt Türkei

Also, noch einmal für die Leute bei der (optisch wirklich ganz hübsch gewordenen) “WAZ”: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist kein “EU-Gericht”!

Vielleicht brauche ich doch mal Urlaub!

Beziehungen, Presserabatte, Prozentbalken

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1. “‘Bild’ und Wulff – Ziemlich beste Partner”
(otto-brenner-stiftung.de)
Hans-Jürgen Arlt und Wolfgang Storz machen eine Fallstudie zur Beziehung zwischen “Bild” und Ex-Bundespräsident Christian Wulff (PDF-Datei, 2,1 MB).

2. “Sido stürzt ‘Bild’ ins Beziehungs-Chaos”
(focus.de)
Die Beziehungen zwischen Sido und verschiedenen Frauen in der Berichterstattung von “Bild” und “Bild am Sonntag”.

3. “Gegenrede: Presserabatt ≠ Bestechung”
(wortvogel.de, Torsten Dewi)
Torsten Dewi antwortet auf den Deutschlandfunk-Beitrag “Kritisch oder käuflich” von Brigitte Baetz zu Journalistenrabatten: “Ich habe Presserabatte genutzt und fühle mich trotzdem unabhängig. Entscheidet man sich morgen, das System ad acta zu legen, werde ich nur mit den Schultern zucken. Dann ist das halt so. Aber der gesamten Journaille mit hanebüchen zusammen gerührten Behauptungen über Presserabatte, Belegexemplare und PR-Geschenken korrupte Tendenzen unterstellen zu wollen, finde ich armselig und populistisch.”

4. “Der griechische Extremismus-Balken”
(fernseherkaputt.blogspot.de)
Eine Infografik in der Nachrichtensendung “Zeit im Bild” (Video) zu den Parlamentswahlen in Griechenland zeigt Prozentbalken in falscher Höhe: “Die 17 Prozent der Koalition der Radikalen Linken (SYRIZA) bekommen einen gleich großen Balken wie die 7 Prozent des neonazistischen Chrysi Avgi (GMR).”

5. “Wieviel ist ‘eine Zunahme um das Dreifache’?”
(herrmeyer.ch)
Thomas Meyer erklärt den Unterschied zwischen “Dreimal so viele” und einer “Zunahme um das Dreifache”.

6. Best of Roche & Böhmermann
(zdf.de, Video, 57:15 Minuten)
“Roche & Böhmermann” blicken zurück auf die bisherigen Ausgaben der Talksendung.

Löw hält sich nicht an “Bild”-Wissen

Heute hat der DFB den vorläufigen Kader für die Fußball-EM in Polen und der Ukraine bekanntgegeben.

“Bild” war sich vorher sicher:

EM-Kader: Jogi holt den Tony

Nun: Am Mittag wurde der Kader vorgestellt und Tony Jantschke ist ebenso wenig dabei wie Patrick Helmes, den “Bild am Sonntag” gestern “fast sicher” nominiert wähnte.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Nachtrag, 20.20 Uhr: Zahlreiche Leser haben uns darauf hingewiesen, dass in dem “Bild”-Artikel oben noch ein Fehler steckt: Die Nominierungsfrist für den finalen Kader endet am 29. Mai, nicht – wie von “Bild” behauptet – am 25.

2. Nachtrag, 8. Mai: Das ist lustig: Auf Bild.de steht jetzt “Den endgültigen 23er-Kader muss er am 29. Mai der Uefa melden”.

Katzen, Kurven, Kekse

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1. “Bild-Zeitung will raus aus der Gosse”
(fr-online.de, Antje Vollmer)
Antje Vollmer kritisiert die Nominierung von “Bild” für den Henri-Nannen-Preis – statt Journalismus würden Kampagnen gewürdigt. “Das Abstandsgebot zwischen der Darstellung eines Sachverhalts in seriösen Blättern und dem Kampagnenstil des Boulevards wird zunehmend missachtet. Heute überschlagen sich alle wie die Lemminge, wenn erst einmal der Startschuss für eine Hatz gefallen ist, auf welchen Sündenbock auch immer.”

2. “Agendasetting muss Sache der Journalisten sein!”
(investigativ.ch, Beat Balzli)
Als “Spiegel”-Redakteur Beat Balzli als “Handelszeitung”-Chefredakteur in die Schweiz zurückkehrt, trifft ihn fast der Schlag: “Das Ausmaß des Einflusses der PR-Leute hierzulande ist erschreckend; ihre Präsenz hat ein Ausmaß erreicht, das nicht mehr gesund sein kann.” Er nennt Gründe für das PR-Unwesen und erzählt, wie seine Zeitung damit umgeht.

3. “Kritisch oder käuflich”
(dradio.de, Brigitte Baetz)
Brigitte Baetz prüft Journalistenrabatte: “Drei Viertel aller Journalisten, so eine Untersuchung, nutzen Presserabatte: für den Kauf von Rasenmähern, für Urlaubsreisen oder Tauchkurse.”

4. “Keine Rechte, keine Kekse”
(fernsehkritik.tv, Video)
Wie das Bundesliga-Spitzenspiel Borussia Dortmund gegen Bayern München vom TV-Sender “Sport 1” live übertragen wird – ohne TV-Bilder.

5. “Die S-Kurve in meinem Zitat im Paywall-Artikel im ‘Journalist'”
(hogenkamp.com)
Peter Hogenkamp, Leiter Digitale Medien bei der NZZ, bloggt über einen “Journalist”-Artikel, in dem er als “ein Mann der Kurven” beschrieben wird und thematisiert die Online-Strategie des Medienmagazins: “Es entbehrt dennoch nicht einer gewissen Ironie, dass die Medienmagazine, die sehr abgeklärt und gern mit dem Unterton ‘Haben die es immer noch nicht kapiert!?’ über die Paid-Content-Anstrengungen der Verlage schreiben, ganz offensichtlich noch keine eigene Zukunftsvision entwickelt haben.”

6. “Entschuldigung, BILD!”
(youtube.com, Video, 3:11 Minuten)
Martin Sonneborn entschuldigt sich im Namen von “Bild” bei den Lesern, zum Beispiel für die Schlagzeile “Deutscher Erfinder kann aus Katzen Benzin machen” (BILDblog berichtete).

dapd, Reuters  etc.

Highway to Helium

Am Freitagabend veröffentlichte die Nachrichtenagentur Reuters folgende Meldung:

Explosion von Ballons verletzt mehr als 140 Menschen in Armenien

Jerewan, 04. Mai (Reuters) – Bei einer Explosion von Luftballons sind in der armenischen Hauptstadt Eriwan mehr 140 Menschen verletzt worden. Das berichtet die Nachrichtenagentur Interfax am Freitag unter Berufung auf das Katastrophenschutzministerium. Zwei Tage vor der Parlamentswahl explodierten lokalen Medienberichten zufolge mit Helium gefüllte Ballons während einer Wahlkampfveranstaltung auf dem Platz der Republik. Das Gas sei durch eine Zigarette entzündet worden. […]

Wir haben nicht überprüft, was die lokalen Medien berichtet haben, aber unter der Reuters-Meldung stehen die Namen von drei Mitarbeiten: einem Reporter, einer bearbeitenden Autorin und einem Redakteur — und keinem von ihnen ist aufgefallen, dass Helium nicht brennbar ist.

Das scheint auch niemand der Agentur dapd verraten zu haben, die zweieinhalb Stunden später vermeldete:

144 Armenier bei Explosion von Ballons verletzt

Eriwan (dapd). Vor der Parlamentswahl in Armenien sind bei einer Explosion von Ballons in der Hauptstadt Eriwan mindestens 144 Menschen verletzt worden. Der Unfall ereignete sich bei einer Wahlkampfveranstaltung der Republikaner, wie das Katastrophenschutzministerium am Freitag mitteilte. 104 Menschen seien mit Brandverletzungen ins Krankenhaus gebracht worden. Die Explosion sei von einem Raucher verursacht worden, der sich nahe der mit Helium gefüllten Ballons eine Zigarette angesteckt habe. […]

Die Deutsche Presseagentur dpa hatte lediglich von einer “schweren Explosion von mehreren Gasballons” geschrieben, bei AFP war es die “Explosion zahlreicher mit Gas gefüllter Ballons”.

Heute Mittag immerhin verschickte Reuters eine Korrektur der eigenen Meldung:

ARMENIEN/EXPLOSION (KORREKTUR)
KORRIGIERT-Mehr als 140 Verletzte bei Explosion in Armenien

(stellt klar, dass in den Ballons nicht Helium sondern anderes Gas war)
Eriwan, 04. Mai (Reuters) – Bei einer Explosion von Luftballons sind in der armenischen Hauptstadt Eriwan mehr als 140 Menschen verletzt worden. Das berichtet die Nachrichtenagentur Interfax am Freitag unter Berufung auf das Katastrophenschutzministerium. Zwei Tage vor der Parlamentswahl explodierten lokalen Medienberichten zufolge mit Gas gefüllte Ballons während einer Wahlkampfveranstaltung auf dem Platz der Republik. Das Gas sei durch eine Zigarette entzündet worden. […]

Dieser Korrekturversuch hat erstaunlich gut funktioniert, das Wort “Helium” jedenfalls wurde nachträglich aus den Reuters-Meldungen auf Portalen wie “Welt Online” und fr-online.de entfernt — das “Hamburger Abendblatt” spricht allerdings im Vorspann immer noch von Helium.

Das Reuters-Video von gestern, in dem die Off-Sprecherin über “zahllose weiße Ballons, gefüllt mit Helium” referiert, findet sich immer noch bei Nachrichtenportalen wie “Spiegel Online”, “Welt Online”, “Focus Online” und stern.de.

Die Agentur dapd, die sich selbst für ihre “hohen journalistischen Standards” feiert, hat ihre fehlerhafte Meldung bisher nicht korrigiert.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

Nachtkritik, Trolle, Kermit

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1. “Der Erfinder des analogen Dauershitstorms”
(begleitschreiben.net, Gregor Keuschnig)
Gregor Keuschnig widmet sich dem 100. Geburtstag von Axel Springer und dem “analogen Dauer-Shitstorm BILD”: “Ich behaupte, dass BILD heute nicht mehr derart beim Publikum verfängt wie zu ihren Hochzeiten. Die Leute sind skeptischer geworden. Selbst ein BILD-Leser glaubt nicht mehr alles, was im Blatt steht. BILD funktioniert eher wie moderne Werbung: Entscheidend ist, was dann doch irgendwo haften bleibt.” Siehe dazu auch “Springer ohne Schneider” (sueddeutsche.de, jja).

2. “Fünf Jahre nachtkritik.de – eine kleine Zwischenbilanz”
(nachtkritik.de, Dirk Pilz)
Heute wird das Theaterkritikportal Nachtkritik.de fünf Jahre alt. “Ich kenne keinen Pressespiegel, der nicht die positive Kritik aus der Zeit immer vor die aus der, zum Beispiel, Lausitzer Rundschau heftet. Die Markengläubigkeit ist enorm, das Lesevermögen gering ausgebildet. Es gilt hier offenbar, was auch sonst gilt: Argumente allein überzeugen kaum. Man kann das beklagen – es ist beklagenswert! –, aber man muss zur Kenntnis nehmen, dass alle Debatten, gerade im Theaterbetrieb, macht- und oft genug filzgesteuert sind. Das schadet, auf lange Sicht, allen Beteiligten.”

3. “Liebe Medien, eine Neighborhood Watch ist keine Bürgerwehr”
(usaerklaert.wordpress.com)

4. “5 Ways to Spot a B.S. Political Story in Under 10 Seconds”
(cracked.com, David Wong, englisch)
Wie man Storys, die man nicht lesen muss, bereits in der Überschrift erkennt.

5. “Freie Fahrt für Trolle?”
(medienwoche.ch, Nick Lüthi)
Der Schweizer Presserat beschäftigt sich mit einem vom Chefredakteur der Zeitung “Südostschweiz” für das Online-Portal gesperrten Nutzer: “Eine Redaktion kann zwar frei darüber entscheiden, ob sie einzelne Leserbriefe, Einträge in Internet-Foren oder Kommentare im Internet veröffentlicht. Wenn sie aber einzelne Personen, Personengruppen oder Institutionen in einem Medium mit einer Publikationssperre belegt, kann dies gegen die Grundsätze der freien Meinungsbildung, der Meinungspluralität und der Fairness verstossen. Für eine Publikationssperre braucht es sehr gute Gründe. Solche liegen hier nicht vor. Deshalb ist die Publikationssperre nicht gerechtfertigt.” Siehe dazu auch “Die Rückkehr des Trolls” (suedostschweiz.ch, David Sieber).

6. “Kermit the Frog’s German TV Offense”
(colbertnation.com, Video, 4:50 Minuten, englisch)
Stephen Colbert findet es bemerkenswert, dass Kermit der Frosch mit einem Pro7-Auftritt Product-Placement-Verordnungen (“Verstoß gegen die Kennzeichnungspflicht”) verletzt hat.

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