Borgen, Sonneborn, Huffington Post

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Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “WAS SOLL DAS, HUFFPO?”
(blog-cj.de, Christian Jakubetz)
Der gestern erfolgte Start von Huffingtonpost.de: “Eine krude und aufmerksamkeitsheischende, in weiten Teilen aber substanzlose Mischung aus Focus Online und Bild, die aussieht, als sei sie von Praktikanten zusammengestopselt worden – das hat der deutsche Medien-Regenbogen nun wirklich nicht gebraucht.” Siehe dazu auch “The Uffington Post”.

2. “Infantile Sprachlosigkeit”
(taz.de, Lalon Sander)
Lalon Sander antwortet auf den Artikel “Infantile Sprachmagie” von Arno Frank: “Zur Unterstützung, anders über Herkunft und Identität nachzudenken, existieren zahlreiche Texte und Überlegungen. Doch diese betrachten viele als ‘Belehrung’, die sie trotzig ablehnen. Belehrungen sind aber nur möglich, wenn jemand zuhören würde. Und das tun wenige.”

3. “Journalisten und der Linkgeiz”
(lousypennies.de, Stephan Goldmann)
Stephan Goldmann fordert mehr Verlinkungen: “Es ist keine journalistische Schwäche, sondern Ausdruck von Recherche-Sorgfalt, seine Quelle zu nennen und im Internet auch zu verlinken. Jeder Journalist, der das tut, verdient Respekt für die saubere Arbeit.”

4. “Die Königin der Serien”
(arte.tv, Diana Aust)
Ein Interview mit Camilla Hammerich, Produzentin der TV-Serie “Borgen”: “Wir verwenden viel Zeit darauf, gute Drehbücher zu machen: Das ist vielleicht das ganze Geheimnis. (…) Der Autor ist das Herzstück, das innere Geheimnis des Erfolgs. Daher wird er vom Sender DR festangestellt und hat inhaltlich das letzte Wort. Alle verfolgen ‘eine Vision’, wie wir es nennen, und das ist die des Autors. Wir haben bei ‘Borgen’ alle für Adam Price gearbeitet und versucht, seine Vision umzusetzen.”

5. “Bemerkungen zum deutschen Schriftleitergesetz, Neue Zürcher Zeitung vom 10.10.1933”
(pressechronik1933.dpmu.de, Max Ruchner)
Die NZZ kommentiert 1933 das deutsche Schriftleitergesetz: “Unsere demokratische Presse ruht auf dem Grundsatz, daß die politische Meinungsbildung ein organisatorischer Prozeß sei, an dem alle verantwortungsbewußten und denkfähigen Bürger mitzuwirken vermögen. ‘Demokratie ist Diskussion.’ Im autoritären Staat ist die Meinungsbildung zurückgenommen aus dem öffentlichen Leben in die oberste hierarchische Zelle der Führer.”

6. “Sonneborn rettet die Welt – Folge 1”
(zdf.de, Video, 29:03 Minuten)

Mumienfledderei

Nehmen wir mal an, irgendwo in Niedersachsen findet plötzlich jemand auf seinem Dachboden eine ägyptische Mumie. Mit Sarkophag und Hieroglyphen, das volle Programm. Und nehmen wir mal an, Sie arbeiten bei Bild.de. Wie gehen Sie vor, um möglichst lange von dieser Geschichte zu zehren?

Wir hätten da ein paar Vorschläge.

Zunächst einmal: Erzählen Sie, was passiert ist. Sie können ruhig ein bisschen rumalbern, ist ja schließlich eine total verrückte Geschichte.

Keine Leiche im Keller - Er hat eine Mumie auf dem Dachboden!

Beim Heiligen Ramses, einstmals größter Herrscher der Ägypter: Was ruht denn da unter einem Diepholzer Dach?

Unglaublich: Zahnarzt Dr. Lutz Wolfgang Kettler (53) aus der Kreisstadt entdeckte – eine Mumie!

Fassen Sie die Geschichte in aller Ruhe zusammen. Erwähnen Sie am Ende auf jeden Fall, dass die Mumie schon bald durchleuchtet werden soll, das eignet sich super als Cliffhanger.

Zwischenzeitlich sollten Sie sich schon mal einen Spitznamen für die Entdeckung überlegen, am besten etwas, in dem die Begriffe “Dachboden” und “Mumie” vorkommen, dann wissen die Leute gleich, worum es geht. Zum Beispiel “Dachboden-Mumie”.

Bevor die Dachboden-Mumie dann durchleuchtet wird, kündigen Sie an, dass die Dachboden-Mumie durchleuchtet wird:

Jetzt ermittelt die Polizei - Dachboden-Mumie wird durchleuchtet

Betonen Sie auch, dass jetzt die Polizei ermittelt. Das verleiht dem Ganzen einen wunderbar kriminellen Beigeschmack. Aber schreiben Sie lieber “Fachkommissariat für Tötungsdelikte”, das klingt noch besser.

Wenn die Untersuchung der Mumie dann abgeschlossen ist, durchforsten Sie die Ergebnisse nach brauchbarem Material für eine Schlagzeile.

Schau’n wir doch mal. Es hat sich herausgestellt, “dass alle von außen an der Mumie verwendeten Materialien einschließlich Kleber, Produkte des 20. Jahrhunderts sind”? Hm. Die Bandagen “bestehen zwar aus Naturwollen, sind jedoch maschinell gewebt“? Hm. Die Hieroglyphen auf dem Sarkophag “ergaben keinen Sinn”? Hm. Im linken Auge “steckt ein spitzer Gegenstand”? Bingo!

Dachboden-Mumie hat einen Pfeil im Kopf - Ist der Junge ein Mordopfer?

Spekulieren Sie einfach ein bisschen drauf los. Und beenden Sie den Artikel mit

Es bleibt spannend …

Wenn dann erst mal nichts Neues passiert, können Sie die Sache mit dem Kleber ja doch noch aufgreifen. Und bauen Sie Wörter mit “Grusel” und “Rätsel” ein.

Gruselfund auf Dachboden in Niedersachsen - Löst der Klebstoff das Mumien-Rätsel? - Experte: Bandagen aus dem 20. Jahrhundert

Und, wichtig: Stellen Sie Fragen! Am besten gleich mehrere hintereinander. Das gibt Ihrem Artikel etwas Detektivisches.

Schlummerte ein jahrtausendealtes Rätsel auf einem deutschen Dachboden? Lagerte dort, wo andere Möbel abstellen, eine Mumie aus dem alten Ägypten? Ist sie das Zeugnis eines neuzeitlichen Mordes?

Erwähnen Sie am Ende auf jeden Fall, dass die Mumie schon bald von der Gerichtsmedizin untersucht werden soll — das eignet sich super als Cliffhanger.

Beenden Sie den Artikel mit

Es bleibt spannend..

Bevor die Gerichtsmedizin die Mumie vom Dachboden dann untersucht, kündigen Sie an, dass die Gerichtsmedizin die Mumie vom Dachboden untersucht:

7 Theorien - Gerichtsmedizin untersucht Mumie vom Dachboden

Die Zeit bis zu den Untersuchungsergebnissen können Sie ohne viel Aufwand überbrücken, indem Sie sich ein paar Schauergeschichten ausdenken, die Sie dann “Theorien” nennen und auflisten. Zum Beispiel so:

Ein Bestattungsritual: In der ägyptischen Mythologie raubte Seth seinem Bruder Horus im Streit das Augenlicht. […] Ist der Pfeil im Auge ein Bestattungsritual zu Ehren Horus’?

Ein Mord im alten Ägypten: Sollte ein unehelicher Sohn aus dem Weg geräumt werden, um die Thronfolge nicht zu gefährden?

Ein Jagdunfall: Die ägyptischen Bogenschützen sind legendär. Möglicherweise geriet der Junge in die Schusslinie.

Sie können auch “Mystery-Experte Erich von Däniken (78)” zu Rate ziehen. Der weiß nämlich zu berichten, dass “auch im alten Ägypten […] Kinder mit Pfeil und Bogen” spielten (das untermauert dann die Theorie “verunglückter Kindergeburtstag”).

Sie müssen diesmal auch gar nicht auf die endgültigen Untersuchungsergebnisse warten, denn irgendwer hat gesagt, dass die Mumie unter Umständen möglicherweise 2000 Jahre alt sein könnte. Zack:

Erste Ergebnisse der Staatsanwaltschaft - Dachboden-Mumie soll 2000 Jahre alt sein!

Erwähnen Sie am Ende auf jeden Fall, dass die Mumie schon bald von externen Experten untersucht werden soll – das eignet sich super als Cliffhanger.

Überbrücken Sie die Zeit bis dahin mit Artikeln, in denen Sie noch mal das wiedergeben, was bisher geschehen ist:

Knochen, Hieroglyphen, Bandagen - Sieben Fakten zum Gruselfund des Jahres

Starten Sie eine Serie mit Mumien-Content:

BILD-Serie "Das Geheimnis der deutschen Mumien", Teil 1 - Der faszinierende Grusel des Bremer Bleikellers

BILD-Serie "Das Geheimnis der deutschen Mumien", Teil 2 - Die schaurige Legende um den Ritter von Kahlbutz

3. Teil der Serie - Die unsterblichen Superstars unter den Mumien - Von den Nedlitzer Mumien über Ötzi bis zur Moorleiche von Windeby

Und stellen Sie weitere Fragen:

Mumie vom Dachboden - Liegt in diesen Bananen-Kisten die Wahrheit?

Illegal in Deutschland? - Muss die Mumie vom Dachboden jetzt zurück nach Ägypten?

Rufen Sie noch mal bei Erich von Däniken an und lassen Sie ihn seltsame Dinge sagen.

Die Kinder-Mumie vom Dachboden - Erich von Däniken sicher: "Es ist ein Mischwesen"

Und damit herzlichen Glückwunsch! 13 Artikel in sechs Wochen, obwohl eigentlich noch gar nichts passiert ist. Das soll Ihnen mal jemand nachmachen.

Kurz darauf (genauer: am 25. September) wird es allerdings heikel, denn blöderweise bereitet die Rechtsmedizin dem Rätselraten ein vorläufiges Ende. Die Untersuchung hat ergeben, dass die Mumie gar keine Mumie ist. Das Skelett ist aus Plastik und die Pfeilspitze ein Kinderspielzeug. Der Schädel ist zwar echt, diente aber offenbar als Übungsmittel für Medizinstudenten.

Aber lassen Sie sich davon nicht entmutigen. Tun Sie einfach so, als käme die Sache jetzt erst so richtig in Fahrt:

Die Mumie vom Dachboden - Kopf echt, Körper aus Plastik - Rätsel immer größer

Und stellen Sie noch ein paar blöde Fragen:

Der Gruselfund vom Dachboden - Lacht uns die Mumie alle aus?
Verflucht! - Wurde unsere schöne Mumie zerhackt?

Lassen Sie die Geschichte dann zwei Wochen ruhen und fassen Sie schließlich alles noch mal in einem finalen Artikel zusammen. Gerne auch mit Unterstützung der Print-Kollegen:

Die Wahrheit über die Mumie vom Dachboden

Nennen Sie die Mumie “(SCH)MUMIE” und betonen Sie, dass auch die Anderen nicht ganz unschuldig sind:

Deutschlandweit berichteten Zeitungen (u. a. Süddeutsche, FAZ, Die WELT) über den sensationellen Mumienfund auf einem Diepholzer Dachboden

Erwähnen Sie am Ende auf jeden Fall, dass die Staatsanwaltschaft immer noch ermittelt, woher der Schädel stammt. Das eignet sich super als Cliffhanger.

Mit Dank auch an Petra O.

Armin Wertz, Tilo Jung, Twitter

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1. “‘Ich saß in Assads Knast'”
(tagesspiegel.de, Lutz Haverkamp)
Nach fünf Monaten in einem syrischen Gefängnis wird Journalist Armin Wertz wieder freigelassen. “Ich habe den Verdacht, dass ich durch die Bemühungen der deutschen Behörden und dem Auftreten Merkels in St. Petersburg freigekommen bin.”

2. “Wie viel Information steckt in NDR und SWR?”
(ndr.de, Video, 5:01 Minuten)
Die Studie “Zwischen Boulevard und Ratgeber-TV” (PDF-Datei) zeigt “die Programmstrukturen und die fernsehpublizistischen Programmleistungen der dritten Programme”.

3. “Tilo Jung: ‘Ich bin mein eigener Chefredakteur'”
(selbstdarstellungssucht.de, Natalie Mayroth)
Tilo Jung befragt bei “Jung & Naiv” Politiker – finanziert von Joiz und Google. “Weder der Sender Joiz noch Google haben redaktionelle Eingriffsmöglichkeiten. Ich würde mal behaupten, dass die Redakteure der FAZ und der Süddeutschen, die das bemängeln, viel unfreier sind als ich.”

4. “Blinkend mit Hasen jonglieren: Die ‘Huffington Post’ und die Inflation der Aufmerksamkeit”
(stefan-niggemeier.de)
Stefan Niggemeier liest Huffingtonpost.com: “Zu fast jedem Stück gehört eine Bildergalerie oder ein Video, locken Dutzende weitere Teaser, laden Symbole zum Twittern, E-Mailen, Teilen, Kommentieren ein. Ich soll den Autoren folgen, Themen abonnieren, Newsletter bestellen, das Ressort liken, es bei Reddit unterbringen, die regelmäßig vierstellige Zahl von Kommentaren zum Text lesen. Die ganze Seite brüllt: Mach mit! Tu was! Komm hierher! Schau hierüber! Klick das! Das ist vermutlich vorbildlich und unzweifelhaft erfolgreich, gemessen an einer einzigen Währung: Aufmerksamkeit.”

5. “Unter Nehmern”
(sz-magazin.sueddeutsche.de, Lorenz Wagner)
Ein Besuch in der Twitter-Zentrale in San Francisco: “Ein Art-déco-Haus mit endlosen Fluren, in den Nischen reihen sich gläserne Denkwaben, an den Wänden hängen Rehköpfe, vor den Klospiegeln stehen Einweg-Zahnbürsten, in der Kantine gibt es ein DJ-Pult, und schließlich ist da diese Dachterrasse – ein sonnenheller Garten über der Stadt, Bäume, Hecken, Wiese, Liegestühle. Amerikas neue Traumfabrik.”

6. “Käse ist der neue Kuchen”
(aistdasneueb.tumblr.com)

Tablet-Magazine, Interaktion, Sprachpolizei

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1. “Breaking the utterly bad: Die bevorstehende TV-Revolution”
(gutjahr.biz)
Richard Gutjahr schreibt zur Zukunft des Fernsehens: “Wenn der Fernseher lernt, einem immer das anzubieten, worauf man gerade Lust hat, wer möchte jemals wieder zurück? Nutzern dieser Streaming-Plattformen wird auf einmal klar, wie sie jahrzehntelang von Sendern und Werbetreibenden sprichwörtlich an der kurzen Leine gehalten, sprich: für dumm verkauft wurden.”

2. “Welche digitale Presse?”
(jan.twoday.net)
Jan Söfier vermisst die digitale Presse in Deutschland: “Auf den Webseiten finden sich, bis auf wenige Ausnahmen, nur Nachrichten und vereinzelte Print-Texte – oft die besten Texte nicht. Als Beispiel sei nur die Seite 3 der Süddeutschen Zeitung genannt. Okay, man kann sie schon lange als ePaper in der ganzen Ausgabe für zwei Euro erwerben, aber wer macht das?”

3. “Why tablet magazines are a failure”
(gigaom.com, Jon Lund, englisch)
Jon Lund bemerkt, dass er digitale Magazine auf dem Tablet nicht liest, selbst wenn er sie selbst abonniert und bezahlt hat: “When I nevertheless manage to find the time to open up an iPad magazine, I feel as if I’m holding an outdated media product in my hands. That’s ironic because these apps tend to be visually appealing, with interactive graphics, embedded videos and well-crafted navigation tools. But the gorgeous layout that works so well in print gets monolithic, almost scary, in its perfectionism on the iPad, and I find myself longing for the web. It’s messy but far more open, more accessible and more adaptable to me, my devices and needs.”

4. “Dumm, böse und zensiert”
(clack.ch, Réda Philippe El Arbi)
Die Rückmeldungen des Publikums auf Artikel sollte man nicht ignorieren, findet Réda Philippe El Arbi: “Interaktion besteht nicht darin, ein ‘I like’-Button unter dem Artikel zu installieren, sondern man muss sich als Journalist und als Medium den Meinungen stellen. Wer diesen Hasstiraden in den Kommentarspalten etwas entgegensetzen will, muss sich auf das Schlachtfeld begeben, sich die Hände schmutzig machen. Wer als Journalist seine Meinung in Kommentarschlachten nicht nachdrücklich vermitteln kann, hat vielleicht den Beruf verfehlt.”

5. “Infantile Sprachmagie”
(taz.de, Arno Frank)
Arno Frank schreibt über “antirassistische Sprache”: “Wenn sprachgesetzliche Novellen sich alle fünf Minuten selbst aktualisieren, sind irgendwann nur noch die ehrenamtlichen Führungsoffiziere der Sprachpolizei auf dem neuesten Stand. Welches Wort ist gerade in Quarantäne? Welches hat Freigang? Das ist Herrschaftswissen, und entsprechend schnöselig klingen die Zurechtweisungen.” Siehe dazu auch “Eine Minderheit im Medienfokus: Roma? Sinti? Zigeuner?” (nzz.ch, Martin Woker) und “Meine Suppe ess’ ich nicht unter anderem Namen!” (sprachlog.de, Anatol Stefanowitsch).

6. “Aktenzeichen XY Mallorca Special”
(youtube.com, Video, 3:44 Minuten)

Das gottverdammte Gottesteilchen

Hurra, es gibt wieder Nobelpreisträger in Physik! Wie heute verkündet wurde, sind es diesmal der Belgier François Englert und der Brite Peter Higgs, die vor allem mit der Entdeckung eines neuen Elementarteilchens Bekanntheit erlangten. “Higgs-Boson” wird dieses Teilchen genannt, zumindest von denen, die sich damit auskennen. Journalisten nennen es viel lieber das “Gottesteilchen”.

... aber was haben diese Teilchen eigentlich mit Gott zu tun?

fragte Bild.de heute und gab auch gleich eine Antwort:

Jahrzehntelang fahndeten Physiker nach dem “Gottesteilchen”. Es spielte nach der Teilchentheorie eine wichtige Rolle bei der Entstehung des Universums nach dem Urknall. Deshalb auch der Name – Gottesteilchen.

Ah ja.

Die tatsächliche Entstehungsgeschichte des Begriffes liest sich, wenn man sich denn die Mühe macht, allerdings ein wenig anders. Und weil Sie dem “Gottesteilchen” in diesen Tagen wahrscheinlich wieder öfter begegnen werden — zum Beispiel bei Tagesspiegel.de, “Focus Online”, Stern.de, den Online-Auftritten von n-tvMDR“manager magazin”, “Handelsblatt”, “Berliner Zeitung”, “FAZ” und so weiter — wollen wir die Geschichte mal kurz zusammenfassen.

Gewissermaßen erfunden wurde der Begriff von dem Physiker Leon Lederman, der ihn in seinem 1993 veröffentlichten Buch “The God Particle: If the Universe ist the Answer, what is the Question?” erstmals benutzte.

Dort schreibt er:

Dieses Boson ist so bedeutend für die heutige Phsyik, so wesentlich für unser Verständnis von der Struktur der Materie und doch so schwer fassbar, darum habe ich ihm einen Spitznamen gegeben: das Gottesteilchen. Warum Gottesteilchen? Zwei Gründe. Erstens, weil der Verleger uns nicht erlaubt hat, es das Gottverdammte Teilchen zu nennen – obwohl das ein viel passenderer Name wäre, angesichts seines niederträchtigen Wesens und des Aufwands, den es verursacht. Und zweitens, weil es da eine Art Verbindung gibt zu einem anderen Buch, einem viel älteren …

(Übersetzung von uns.)

Die Medien finden den Namen auf jeden Fall auch heute noch total super. Die Wissenschafts-Kollegen und die Kirche dagegen eher so mittel.

Und dem frisch nobelbepreisten Peter Higgs ist es inzwischen sogar “peinlich”, dass sich der Begriff so eingebürgert hat. “Ich glaube nicht an Gott”, sagt er, “aber ich habe immer gedacht, dass dieser flapsige Begriff einige Menschen beleidigen könnte.”

Lederman, der mit der Einführung des Begriffs den ganzen Schlamassel erst ausgelöst hat, sieht es aber gelassen. 2006 schrieb er in einer neuen Auflage des Buches:

Was den Titel angeht – The God Particle – , so hat mein Co-Autor Dick Teresi zugestimmt, die Schuld auf sich zu nehmen (ich habe ihn ausbezahlt). Ich habe den Begriff einmal als Scherz in einer Rede benutzt. Er erinnerte sich daran und benutzte ihn als Arbeitstitel für das Buch. “Keine Sorge”, sagte er, “kein Verleger benutzt jemals den Arbeitstitel für das fertige Buch”. Der Rest ist Geschichte. Der Titel verärgerte letztlich zwei Gruppen: 1) die, die an Gott glauben und 2) die, die es nicht tun. Von jenen in der Mitte wurden wir herzlich empfangen.

Aber damit müssen wir leben. Ein Teil der Physikergemeinschaft hat den Namen aufgegriffen, und sowohl die Los Angeles Times als auch der Christian Science Monitor haben das Higgs-Boson als “Gottesteilchen” bezeichnet. Das erhöht unsere Hoffnung auf eine Verfilmung.

Mit Dank an ex00r und Bernd H.

Madsack, Westnetz, Helden

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1. “Fokussieren, zentralisieren, konzentrieren: LVZ gibt überregionale Kompetenz an Madsack in Hannover ab”
(l-iz.de, Ralf Julke)
Ralf Julke analysiert, wie die Mediengruppe Madsack “Einsparungen und Angebotseinschnitte” kommuniziert.

2. “Der Mann ist nicht so bescheuert wie sein Film”
(vice.com, Moritz Eichhorn)
Ein Interview mit Hansjörg Thurn, dem Regisseur des fast durchwegs negative Kritiken erntenden Fernsehfilms “Helden – Wenn dein Land dich braucht”: “Wir sind zwar das Land von Tatort und sozialkritischen Filmen, aber die Frage ist doch, ob wir als Deutsche nicht versuchen dürfen, andere Genres auszuprobieren. Ich finde schon. Als ich die Wanderhure gedreht habe, gab’s in Deutschland den historischen Film gar nicht mehr. Trotzdem hatten wir damit 10 Millionen Zuschauer. Es kann funktionieren, aber man weiß das erst, wenn man es ausprobiert hat.”

3. “Ein Angebot, das man ablehnen kann”
(faz.net, Stefan Niggemeier)
Stefan Niggemeier schreibt zum bevorstehenden Start der Deutschland-Ausgabe der “Huffington Post”: “Journalisten (…) sehen sich plötzlich damit konfrontiert, dass ihnen an jeder Stelle Aufmerksamkeit angeboten wird, aber immer häufiger die Möglichkeiten fehlen, sie in Euro umzutauschen.”

4. “Experiment mit einem Hybrid”
(medienwoche.ch, Nick Lüthi)
Nick Lüthi stellt Westnetz.ch vor, ein journalistisch betriebener, “digitaler Quartieranzeiger” der Verkehrsbetriebe Zürich. Chefredakteur Thomas Haemmerli: “Ein journalistisch geführter Dialog ist die Zukunft der Firmenkommunikation.”

5. “Fox News debuts bizarre, giant tablets in its outrageous new newsroom”
(theverge.com, T.C. Sottek, englisch)
Neue berührungssensitive Bildschirme im Newsroom von “Fox News”: “‘We call these BATs,’ Smith notes. ‘Big area touchscreens.'”

6. “Oh no, CNN–that’s not where Hong Kong is!”
(twitter.com/traciglee, Screenshot)
Siehe dazu auch den Videomitschnitt (youtube.com, 12 Sekunden).

Daily Mail, Frederik Pleitgen, Wetten, dass..?

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1. “Tod und Teufel”
(sueddeutsche.de, Christian Zaschke)
Die britische Boulevardzeitung “Daily Mail”: “Wer ins Visier der Redaktion gerät, kann sich auf erbarmungslose Kampagnen gefasst machen, da ist die Daily Mail noch konsequenter als Rupert Murdochs Revolverblatt The Sun. Die Sun hat bisweilen durchaus Humor, die Daily Mail hingegen meint es immer bitter ernst.”

2. “Ausgewogene Wissenschaftssendungen oder ‘von Männern für Männer’?”
(scilogs.de, Markus Pössel)
Der Frauenanteil in der Wissenschaft am Fernsehen: “Das wäre wahrscheinlich das effektivste, was man in Richtung positive Wissenschaftlerinnen-Vorbilder schaffen könnte: Eine Wissenschaftlerin mit Fernsehreichweite. Und dass da draußen nicht irgendwo eine Wissenschaftlerin ist, die da brillieren könnte, halte ich für so gut wie unmöglich.”

3. “Unverblümt. Ein Fall von Journalismus-Verweigerung”
(carta.info, Wolfgang Michal)
Wolfgang Michal schreibt über das “Wochenblatt”: “Das also ist das Geschäftsmodell des realen Journalismus im Hamburger Umland. Wer als Veranstalter nicht bereit ist, ‘Werbepartner’ zu werden, über den wird nicht berichtet. Berichterstattung ergibt sich nicht etwa aus der journalistischen Chronistenpflicht, sie ist Ausdruck eines Gegengeschäfts.”

4. “Jedes Medium hat die Kommentare, die es verdient”
(journalism-reloaded.ch, Alexandra Stark)
Alexandra Stark macht sich Gedanken über problematische Leserkommentare: “Ich glaube, es ist für uns Journalisten essenziell, die Ängste und Sorgen der Menschen ernst zu nehmen. Das geht aber nur, wenn wir in anderen Kategorien, die uns bei unserer Aufgabe einschränken, verabschieden. Wir lassen uns viel zu sehr von Ideologien und Interessen leiten, statt von unserem eigentlichen Auftrag: Probleme zu benennen und Antworten einzufordern.”

5. “CNN-Korrespondent Frederik Pleitgen: ‘Fahre Kleinwagen der Marke KIA'”
(newsroom.de, Frederik Pleitgen)
In einem Leserbrief nimmt Frederik Pleitgen Bezug auf ein Interview mit Martin Lejeune.

6. “Wie wir mal aus Versehen für ‘Wetten, dass..?’ gearbeitet haben”
(topfvollgold.de)
Die Regenbogenpresse ist Thema bei “Wetten, dass..?”, es werden offensichtlich von Topfvollgold.de stammende Ausrisse gezeigt: “Aber noch schöner, liebe ‘Wetten, dass..?’-Redaktion, wäre es, wenn Ihr beim nächsten Mal Eure Quellen nennt. Oder wenn Ihr einfach kurz fragt, bevor Ihr Euch an unserer Arbeit bedient.”

Sächsische Zeitung, Nordkurier, 1933

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1. “Lange Texte gehen gut”
(3sat.de, Video, 5:44 Minuten)
Welche Texte der “Sächsischen Zeitung” die Leser wie lange lesen – eine Auswertung: “Was uns sehr überrascht hat, ist natürlich, dass lange Texte gut funktionieren in der Zeitung. Das heisst: Gut recherchierte Stücke haben dann auch ihren Platz bei den Lesern. Die legen sich die Seite zum Wochenende hin und lesen die ganz ihn Ruhe.”

2. “Genosse Journalist”
(dradio.de, Peter Marx)
Die Aufarbeitung der Beziehungen von Journalisten zur DDR-Staatssicherheit beim Nordkurier aus Neubrandenburg: “Schwierig wird es für Journalisten aus den alten Bundesländern, wenn sie Ex-DDR-Journalisten nach Aufarbeitung und Stasi-Journalisten fragen. Unterschwellig wird ihnen sofort vermittelt, dass sie ‘keine Ahnung’ haben und entsprechende Nachfragen deshalb für Sie tabu sind. Machen es die Kollegen trotzdem, kommt reflexartig der Hinweis, dass es im Westen ebenfalls Journalisten gab, die mit der Stasi kooperierten.”

3. “Verspätete Post durch kostenlose ‘Bild’?”
(noz.de, Norbert Meyer)
Der Bezirksvorstand der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen Weser-Ems stellt fest, “dass die am Samstag vor der Bundestagswahl kostenlos an alle Haushalte verteilte BILD-Zeitung zu massiven Einschränkungen bei der Postzustellung geführt hat”.

4. “‘Ich bitte Sie, das ist doch Zürcher Theater auf winziger Bühne'”
(sonntagszeitung.ch, Reza Rafi und Balz Spörri)
Frank A. Meyer, publizistischer Berater im Ringier-Verlag, im Interview: “Ich bin der Schrecken der Rollkoffer-Kommandos. Wenn ich für jemanden Verachtung habe, dann für Bürschchen, die an der Uni St. Gallen ausgebrütet und in Beraterfirmen scharfgemacht werden, die nie in ihrem Leben etwas Konkretes geleistet haben und die meinen, sie müssten ein Unternehmen umstellen.”

5. “Journalismus in der Diktatur”
(pressechronik1933.dpmu.de)
Das Deutsche Pressemuseum im Ullsteinhaus in Berlin sammelt und kontextualisiert Zeitungsberichte aus dem Jahr 1933.

6. “Zentralrat der Herrenlosen Koffer wehrt sich gegen Generalverdacht”
(der-postillon.com)

Haltung, Buzzfeed, VDRJ

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1. “Eine Frage der Haltung”
(journalist.de, Alexander Krex)
Alexander Krex versucht, Haltungen von deutschen Journalisten aufzuspüren und besucht dazu unter anderem Tom Strohschneider, den Chefredakteur der sozialistischen Tageszeitung “Neues Deutschland”: “Der Wechsel von Nikolaus Blome von Bild zum Spiegel habe ihn schon überrascht, sagt Strohschneider. Genauso überrascht habe ihn aber auch die demonstrative Empörung darüber. Die Spiegel-Redakteure, die sich angesichts der polarisierenden Personalie um die politische Linie ihre Blattes sorgen, würde Strohschneider fragen: ‘Welche Linie meint ihr denn?'”

2. “Kriegsreporter Martin Lejeune: ‘Eine schusssichere Weste würde mir schon helfen'”
(newsroom.de, Bülend Ürük)
Ein Interview mit Martin Lejeune, der für die “taz” aus Syrien berichtet: “Ich berichte nicht über Ereignisse, die von den Medien kolportiert werden, auf Video-Kanälen laufen oder durch soziale Netzwerke geistern. Das überlasse ich den Schreibtisch-Tätern in der Hamburger Spiegel-Online-Redaktion. Ich bin ein Vor-Ort-Korrespondent, der nicht von Kairo aus, wie zum Beispiel die ARD-Kollegen es zu tun pflegen, über die gesamte arabische Welt berichtet.”

3. “Die BuzzFeed-Falle – Journalismus für grenzdebile Idioten”
(neueelite.de, Marcel Winatschek)
Marcel Winatschek warnt davor, die Website Buzzfeed.com zum Vorbild zu nehmen: “Ers­tens: Der Groß­teil des In­halts ist ge­klaut. (…) Zweitens: BuzzFeed ist deswegen so erfolgreich, weil es für die dümmsten Menschen der Welt konzipiert ist. Nur die wenigsten Artikel besitzen mehr als drei Sätze am Stück.”

4. “Reisejournalismus in der Krise: Letzter Aufruf für den Freiflug in die Sonne”
(reception-insider.com, Peter Hinze)
In der Vereinigung Deutscher Reisejournalisten (VDRJ) sind klassische Reisejournalisten, PR-Agenturen und Blogger organisiert. Der Vorsitzende, Klaus Dietsch, im Interview: “Vor vielleicht 15 Jahren konnte man von einem größeren Artikel in einem Hochglanzmagazin inklusive Fotos schon mal ein oder zwei Monate leben. Heute ist so etwas unmöglich.”

5. “Zur Veröffentlichung der dreibändigen Chronik des VfB Stuttgart”
(fussballglobus.blogspot.de, Hardy Grüne)
Fußballjournalist Hardy Grüne erinnert eine neue Chronik zum VfB Stuttgart an ein eigenes Werk von 2006. “Erstaunlicherweise weist der erwähnte dritte Band der offiziellen Klubchronik nicht nur exakt dieselben Lücken auf, sondern folgt auch sonst deckungsgleich meinen Angaben – wo mir ein Ergebnis fehlte, fehlt es auch hier, wo ich keinen Vornamen herausfand, fehlt er auch hier, wo ich einen Kommentar unter eine Tabelle setzte, steht er nahezu wortgleich auch hier.”

6. “Ed Miliband: My Dad Was A Man Who Loved Britain”
(labourpress.tumblr.com, englisch)

1414, Helden, Inkasso

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1. “Status, Boom und guter Ton”
(funkkorrespondenz.kim-info.de, René Martens)
René Martens stellt einen Wandel in der Berichterstattung über TV-Serien fest: “Diesen Berichterstattungsboom gibt es natürlich vor allem, weil US-Serien bei Medienarbeitern derzeit sehr populär sind (ein paar Skeptiker würden vielleicht von einem Hype sprechen).”

2. “‘FAZ’ versaut Serienfans das ‘Breaking Bad’-Finale”
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
Thomas Lückerath kritisiert die FAZ: “In der Dienstagsausgabe berichtet Nina Rehfeld auf der Medienseite ausführlich über die finale Folge von ‘Breaking Bad’, die am vergangenen Sonntagabend in den USA beim Kabelsender AMC lief – aber erst am Dienstagabend in Deutschland ausgestrahlt wird.”

3. “Neue 1414-Foto-App: ‘Bild’ will Leser-Redakteur-Band noch enger schnüren”
(kress.de, Melanie Melzer)
“Bild” lanciert eine Leserreporter-App inklusive Website: “‘Bild’ zahlte laut eigenen Angaben insgesamt mehr als drei Mio Euro Honorar an die Leser-Reporter.”

4. “Wie RTL aus Versehen einen Meilenstein des deutschen Fernsehens drehen ließ”
(ulmen.tv, Peer Schader)
Peer Schader bespricht den Film “Helden”, der am 3. Oktober auf RTL zu sehen sein wird. Siehe dazu auch “‘Helden’: Der schlechteste Film aller RTL-Zeiten” (dwdl.de, Hans Hoff).

5. “Inkassofirma auf Beutefang”
(beobachter.ch, Raphael Rehmann)
Eine Inkassofirma erstellt Rechnungen für Zeitschriftenabos, die gar nie bestellt wurden. “Eine der Ratsuchenden ist Brigitta Schmutz. Für ein ‘Gala’-Abo sollte sie 494.10 Franken bezahlen, davon 112 Franken ‘Verzugsschaden’. Auf der Rechnung ist weder ein Gläubiger aufgeführt, noch ist erklärt, worin der Verzugsschaden bestehen soll.”

6. “Spam: FashionFriends, Newsletter und Lauterkeitsrecht”
(steigerlegal.ch)
Martin Steiger versucht, sich von einem Newsletter von fashionfriends.ch, einer Tochtergesellschaft des Medienunternehmens Tamedia, abzumelden.

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