In Thüringen wird zurzeit viel über den Sexualkundeunterricht gesprochen. Die Landesschülervertretung zum Beispiel beklagte sich vergangene Woche darüber, dass das Thema Sexualität in den Schulen zu kurz komme, während die AfD bei jeder Gelegenheit panisch gegen die “Frühsexualisierung”, “Gleichmacherei” und “ideologisch geprägte Pseudo-Pädagogik” wettert.
Die Nachrichtenagentur dpa nahm die Debatte zum Anlass, den Biologieprofessor Uwe Hoßfeld von der Uni Jena zum Thema Aufklärungsunterricht zu interviewen.
Eine Frage lautete:
Jugendliche sind heute im Internet nur wenige Klicks von pornografischen Inhalten entfernt, von einer “Generation Porno” ist sogar die Rede. Wie färbt das auf den Unterricht ab?
Antwort des Professors:
Das bedeutet, dass wir im Unterricht stärker Medienkompetenz vermitteln müssen. Pornos sind Märchen für Erwachsene, die wenig mit der Realität zu tun haben. Wir als Lehrer und Eltern müssen das den Kindern klar machen – sonst besteht die Gefahr, dass sie Komplexe entwickeln. Und die Schüler müssen ganz anders abgeholt werden als früher. Wir müssen ihnen stärker vermitteln, welche Rollen Liebe und Gefühle spielen. Auch sehe ich den Unterricht bei Fragen der Verhütung gefordert. Für mich ist es ganz erstaunlich, dass das Thema Aids weitgehend aus den Medien verschwunden ist – nur weil es eine Tabletten-Therapie gibt und man nicht mehr daran stirbt.
Pfui! Und was kommt als nächstes? Nazi-Unterricht? In dem die Kinder etwas übers Dritte Reich lernen?
Aber im Ernst. Mit den Aussagen des Profs hat die Schlagzeile freilich nichts mehr zu tun, und was an der ganzen Sache “gewagt” sein soll, verrät Bild.de auch hinter der Paywall nicht.
Auch der Professor war überrascht, als er diese Schlagzeile heute Morgen lesen musste, sagte er uns auf Nachfrage. In Wirklichkeit fordere er keinen “Porno-Unterricht”, sondern — wie man dann ja auch im Bild.de-Artikel (in dem übrigens die gleichen Antworten stehen wie im dpa-Interview) nachlesen könne — „eine gute Gesundheitserziehung für Kinder und Jugendliche“. Aber das wäre als Überschrift natürlich nur halb so geil gewesen.
1. Wie aus Netzhass Gewalt wird und was dagegen hilft (spiegel.de, Sascha Lobo)
Die rassistische Hetze im Netz lässt viele ratlos zurück; sie reagieren mit Wut und Unverständnis, wissen aber nicht, was sie dagegen tun sollen. Sascha Lobo macht in seiner Kolumne einen Vorschlag. Er verweist auf die Forschungsergebnisse der Wissenschaftlerin Susan Benesch. So sprach sich der Amsterdamer Bürgermeister nach dem islamistischen Mord an Theo van Gogh öffentlich gegen anti-muslimische Racheakte aus. Das Ergebnis: “In den Tagen nach dem Mord geschahen im ganzen Land Racheakte gegen Muslime – außer in Amsterdam.” Lobos Fazit: “Hassrede im Netz kann zu Gewalt führen – aber mit nicht hasserfüllter Gegenrede kann die Gesellschaft das verhindern helfen.”
2. Bauer Verlag: Mit Leid und Gier auf Klickjagd im Social Web (medienrauschen.de)
Die “TV Movie” ist nicht das einzige Medium aus dem Hause Bauer, das bei Facebook auf hemmungsloses Clickbaiting setzt. Auch die “Bravo” und die “Auto Zeitung” (und die “Intouch”) wollen die Leser mit geschmacklosen Rätseln auf ihre Seiten locken — mit Erfolg, wie Medienrauschen schreibt: “Schaut man auf die Klick-Zahlen der Links, gibt die Strategie des Bauer-Verlages den Machern zumindest im Teil Recht.”
3. Geldentschädigung – (k)eine ernste Gefahr für Journalisten? (fachjournalist.de, Frank C. Biethahn)
Die Androhung hoher Entschädigungsforderungen wird immer wieder benutzt, um Medien von ihrer Berichterstattung abzubringen. Gerade freie Journalisten, die keine Redaktion (und Hausjuristen) im Rücken haben, könnte sowas schnell einschüchtern. Frank C. Biethahn erklärt, was der Unterschied zwischen Schadensersatz und Geldentschädigung ist – und warum der zweite Fall nur äußerst selten zum Thema für Journalisten werden kann.
4. Fußballclubs brauchen keine Journalisten mehr (zeit.de, Fabian Scheler)
Glasgow, Southampton, Sunderland, Blackpool, Port Vale, Rotherham, Newcastle, Nottingham Forest und Swindon Town – in den Stadien der Fußballvereine aus diesen Städten sind Journalisten nicht mehr willkommen: Die Clubs haben die Pressevertreter ausgeschlossen. Damit steht Großbritannien an der Spitze einer Entwicklung, die auch in Deutschland zu beobachten ist: Sportjournalisten werden hofiert, solange sie wohlwollend berichten; sobald Medien ihren eigentlich Job machen und nicht bloß Jubelmeldungen wiederkäuen, stoßen sie auf Widerstand.
Steve (30) trägt Handfesseln, Janine (30) hat zweierlei Peitschen parat. Beide erregt es, wenn sie ihm auf den nackten Po schlägt
Ja, so sind sie, der Steve und die Janine. Am Montag hat das Paar im “GROSSEN BILD-SM-REPORT” mal so richtig ausgepackt:
Sie waren schon mehr als zwei Jahre ein Paar. Dann gestand sie ihm ihre geheimen Wünsche: Fantasien von Schlägen und Fesseln.
Seitdem ist das Liebesleben von Janine (30) und Steve (30) aus Stuttgart noch aufregender. ER liebt es, wenn SIE mit der Peitsche die Kontrolle über ihn hat!
Und weil BILD ja TOTAL auf dieses GEILE SM-ZEUG steht, hat das Blatt dem Thema eine komplette Seite gewidmet, auf der eine Domina zu Wort kommt (“Ich bin eine Sadistin” – soso!), eine Paartherapeutin (“Der Lust an Schmerzen steckt in den meisten Menschen” – sic!), dann Jessica, die Arzthelferin (“hat Lust auf Handschellen”) und eben, ganz ausführlich, Steve und Janine:
Der Besitzer eines mobilen Piercing-Studios erzählt: „Ich selbst hätte das nie angesprochen. Aber ich fand die Idee sofort erregend und wollte das testen. Wir haben deshalb gemeinsam im Internet gestöbert und SM-Material bestellt.“
Ein paar Tage später öffnet Janine das Paket – und probiert das Sortiment sofort an ihrem Freund aus.
Als Erstes verbindet sie Steve die Augen. Dann zieht sie ihm langsam sämtliche Kleider aus. Mit schwarzen Fesseln aus Leder fixiert sie seine Hände.
„Ich war komplett machtlos und super aufgeregt“, sagt Steve. „Dann hat Janine mich gegen die Wand gedrückt.“ Sie greift zur Peitsche, die sie ihm Onlineshop bestellt haben.
Bei jedem Schlag auf den nackten Po schreit Steve auf – aus Lust.
Steve: „Das war ein so ein intensives Gefühl. Ich habe gelernt, wie es ist, wenn man sich vollkommen in die Abhängigkeit eines anderen begibt. Es hat mich total entspannt.“
So erzählen die beiden prickelnd weiter, von den Handfesseln und den Masken, die sie noch ausprobieren wollen, und darüber, was sonst noch alles passiert beim „Lust-Spiel mit dem Schmerz“, das “unser Sexleben” so “gewaltig“ angekurbelt hat.
Dagegen gibt’s auch gar nichts zu einzuwenden. Allerdings haben wir unsere Zweifel, ob überhaupt irgendwas davon stimmt.
Denn am Tag, als der Artikel erschien, erschien auch das hier:
(Inzwischen wurde der Eintrag gelöscht. Aber auch laut früheren Facebook-Einträgen und der Internetseite von Steves Piercing-Laden ist die Frau auf den Fotos seine ehemalige Auszubildende.)
Wir haben Steve mehrfach gebeten, uns das doch mal genauer zu erklären, aber er wollte nicht antworten. Auch die Sprecherin der „Bild“-Zeitung hat auf unsere Anfrage nicht reagiert.
So wie es aussieht, wurde hier also nur einer gehauen: der Leser, übers Ohr.
Mit Dank an Jens!
Nachtrag, 20. August: Die “Bild”-Sprecherin hat sich jetzt doch noch gemeldet. Sie schreibt:
Alle im Text enthaltenen Tatsachenbehauptungen wurden vor Abdruck autorisiert. Auf BILD-Nachfrage bestätigten gestern beide Protagonisten, dass sie ihre Neigung seit über zwei Jahren gemeinsam ausleben. Ein Paar seien sie allerdings entgegen ihrer eigenen ersten Angaben nicht.
Am Wochenende wurde in der Fußballbundesligaregionalliga der Torwart von Greuther Fürth schwer am Kopf verletzt und musste im Uniklinikum Erlangen operiert werden.
Kurz nachdem er am Sonntag von der Intensivstation in die Neurochirurgie verlegt worden war, bekam er Besuch. Von der “Bild”-Zeitung:
Das Interview gibt’s auch online, aber nur gegen Bezahlung.
Boulevard-Journalismus ist sicherlich polarisierend. Schwarz und Weiß, verkürzte Darstellungen – diese Form der Berichterstattung wird seit jeher immer wieder kontrovers diskutiert, aber eben auch von vielen Menschen konsumiert. Am Montag wurde allerdings im Fall Bastian Lerch eine Grenze überschritten, die die Verantwortlichen der SpVgg Greuther Fürth nicht hinnehmen wollen. Ein BILD-Reporter hat in der Uniklinik Erlangen den am Kopf operierten Bastian Lerch besucht oder besser gesagt überrumpelt. Zwar mit der Zustimmung des in dieser Situation wohl überforderten Spielerberaters, der unter Schock stehenden Eltern und des letztlich verdutzten Spielers, der gerade von der Intensivstation in eine normale Abteilung verlegt wurde.
Der Verein, der zuvor als Ansprechpartner diente, wurde über diesen Besuch erst nachträglich informiert und erfuhr erst am Nachmittag davon. Für die Verantwortlichen ist damit eine klare, moralische Grenze überschritten worden. Einen jungen Menschen, der erst Samstagnacht am Kopf einen neurochirurgischen Eingriff über sich ergehen lassen musste, und zwei geschockte Personen so zu überrumpeln, wollen wir als Verein nicht hinnehmen und werden deshalb unsere Konsequenzen daraus ziehen. Wir waren in unserer Kommunikation sehr offen, haben schon seit Sonntag diverse Medienanfragen ausführlich beantwortet und auch und gerade die dieses Reporters. Er wusste also, in welchem Zustand sich der Spieler befand. Warum man einen Spieler unmittelbar nach dessen Entlassung von der Intensivstation und gegen das Anraten der anwesenden Krankenschwestern dennoch mit dem Besuch unter Druck setzt, ist menschlich extrem fragwürdig. Noch am Montagabend wurde versucht, die Sichtweise des Vereins dem betreffenden Journalisten mitzuteilen. Eine Einsicht war dabei leider nicht zu erkennen.
Es geht hierbei – und das wollen wir ausdrücklich hervorheben – nicht um eine kritische Berichterstattung, die der Vereinsseite nicht gefällt. Es geht rein um moralische Fragen. Und was würde es bedeuten, wenn wir diese Form der Berichterstattung zulassen, beziehungsweise uns nicht dagegen zur Wehr setzen? Stimmen wir dann nicht indirekt diesem Vorgehen zu? Jeder Mensch, der schon mal in dieser Lage war, wird nachvollziehen können, dass in dieser Phase Besuch sicherlich gern gesehen ist: Familie, engste Angehörige und gute Freunde können einem Kraft geben. Aber will man in dieser Phase einem Medienvertreter Fragen beantworten und ein Foto machen? Kann man die Tragweite in dieser Phase einschätzen? Sorry, liebe BILD, diese Form des Sensationsjournalismus geht in unseren Augen überhaupt nicht. Spieler und Trainer werden immer nur als Hochleistungs-Maschine gesehen, in Hochzeiten bejubelt, in schlechten Phasen kritisiert. Damit muss man im Profifußball leben. In diesem Fall wollen wir das nicht. Es gibt Grenzen und die wurden dieses Mal deutlich überschritten.
Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!
Nachtrag, 19.30 Uhr: Auch “Bild” hat eine Stellungnahme veröffentlicht:
Die SpVgg Greuther Fürth verbreitete in einer Stellungnahme, dass BILD-Reporter Martin Funk den am Kopf operierten Torwart Bastian Lerch angeblich mit einem Besuch im Krankenhaus „überrumpelt“ und eine „moralische Grenze überschritten habe“.
Hierzu stellen wir fest: Vergangenen Sonntag hat BILD-Reporter Funk mit dem Berater von Bastian Lerch Kontakt aufgenommen. Herr Funk fragte an, ob er den Spieler im Krankenhaus besuchen dürfe. Dabei bat er explizit darum, das Einverständnis des Spielers und dessen Eltern für einen Besuch einzuholen.
Am Montag gaben Spieler und Eltern über den Berater dann ihr Einverständnis für einen Besuch. Der Spielerberater von Bastian Lerch versicherte auf BILD-Nachfrage, dass niemand überrumpelt und der Krankenhausbesuch wie abgesprochen ablief.
1. Der Journalismus im Internet ist eine Enttäuschung. Denn damit Du diesen Text liest, brauchst Du so eine Schlagzeile. (medienwoche.ch, Ronnie Grob)
Ronnie Grob ist enttäuscht vom Onlinejournalismus: “Vielleicht muss ich einigen Kritikern des Internets recht geben. Denn die großen, mit der Explosion von Möglichkeiten im Internet geschmiedeten Träume konnten bisher nicht erfüllt werden.” Trotz der grenzenlosen Möglichkeiten des Internets seien viele Online-Journalisten “kleine Boulevardmäuse geblieben, bemitleidenswerte Klickfabrik-Arbeiter”. Der “große Teil des wertvollen Journalismus” finde immer noch offline statt, “und zwar oft auf Papier”. Der Beitrag ist der Auftakt einer Serie, in der die “Medienwoche” beleuchten will, wie das Internet den Journalismus verändert hat.
2. Tagebau von Presse befreit (taz.de, Malte Kreutzfeld)
Am Samstag demonstrierten in Garzweiler rund 1000 Menschen gegen Braunkohleabbau. Journalisten, die über die Protest-Aktion berichten wollten, wurden dabei offenbar massiv behindert und eingeschüchtert: “Eine Reporterin, die für die Tageszeitung Neues Deutschland und das Online-Magazin klimaretter.info schreibt, wurde nach eigenen Angaben im Tagebau ohne erkennbaren Grund aus nächster Nähe mit Pfefferspray besprüht und konnte ihre Arbeit nicht fortsetzen.” Auch eine Redakteurin der dänischen Tageszeitung Dagbladet Information habe stundenlang gefesselt in einem Polizeikessel ausharren müssen. Die betroffenen Medien haben sich nun beim nordrhein-westfälischen Innenminister Ralf Jäger beschwert und eine Stellungnahme eingefordert.
3. Plagiarismus, getarnt als Recherche (faz.net, Frank Fischer und Joseph Wälzholz)
Der Autor und Bachmannpreisträger Tex Rubinowitz hat sich anscheinend nicht nur für seinen Text im “SZ Magazin” vom Metafeuilleton “Der Umblätterer” inspirieren lassen, sondern auch ganze Absätze seines aktuellen Buches aus der Wikipedia abgeschrieben: “Jedenfalls könnte man ‘Irma’ streckenweise auch ‘Irmapedia’ nennen, denn was darin zum Haussperling, zu ‘Deep Space Nine’, zu Mary Hopkin, zu Bruce Dickinson, zu den Najaden und noch zu ein paar anderen Sachen steht, ist wieder satzweise und ohne Quellenangabe aus der Wikipedia rausgeklaubt.”
4. Fünf falsche Windows 10 Mythen: Wenn für Klicks die Journalistenethik mit Füßen getreten wird (wprea.de, Albert Jelica)
Vor genau drei Wochen wurde Windows 10 veröffentlicht, und seitdem reißt die Kritik nicht ab. Verbraucherschützer warnen vor der “Datenschleuder”, Tech-Blogs und Online-Medien sind voll mit Ratgebern, “wie Sie Windows 10 am Spionieren hindern”, viele Kunden sind mittlerweile ernsthaft verunsichert und zögern das Update heraus. Doch ist Microsoft wirklich daran interessiert, seine Nutzer zu überwachen und mit den Daten Geld zu verdienen? “Manche Kritik ist sicher berechtigt”, bilanziert Albert Jelica, nachdem er fünf weit verbreitete Mythen näher beleuchtet hat. Doch bei der “Dichte an Falschmeldungen ist an Flüchtigkeitsfehler mittlerweile schwer zu glauben. Die neue Währung im Online-Journalismus heißt Click und um diese zu generieren, treten viele Journalisten ihre Berufsethik mit Füßen.”
5. Warum wir über “Nazi-Patrouillen in Dortmund” nicht berichtet haben (deutschlandfunk.de, Marco Bertolaso)
“Es ist immer eine Gratwanderung und keine leichte Abwägung. Über wichtige Themen müssen und wollen wir berichten. Wir machen aber keine PR. Erst recht nicht für Rechtsextreme in Dortmund.”
Der Autor und Moderator Roger Willemsen ist an Krebs erkrankt und hat alle Auftritte in diesem Jahr abgesagt, wie sein Büro heute mitteilen ließ.
Die zur Bauer Media Group gehörende Fernsehzeitschrift “TV Movie” hatte die folgende Idee, wie man aus dieser Meldung maximales Kapital schlagen könnte:
Nachtrag, 23.15 Uhr: „TV Movie“ hat den Post gelöscht und eine Entschuldigung veröffentlicht:
Interessant, dass die Redaktion jetzt bemerkt, wie geschmacklos diese “Posting-Art” ist. Denn seit Monaten macht sie auf ihrer Facebook-Seite kaum etwas anderes. Hier nur eine minimale Auswahl:
Und permanent benutzt die „TV Movie“ den Tod berühmter Menschen, um die Leute auf ihre Seite zu locken:
Und das sind nur die Todes-Postings der letzten sechs Wochen (mehr konnten wir uns nicht antun).
Immer wieder haben Leser dieses Clickbaiting in den vergangenen Monaten kritisiert. Aber erst jetzt fällt der “TV Movie” auf, dass da etwas dran sein könnte.
Nachtrag, 19. August, 15.40 Uhr: Die Redaktion hat sich jetzt noch einmal für den Willemsen-Post entschuldigt. Auf die anderen Einträge geht sie aber mit keinem Wort ein:
Nachtrag, 19. August, 16.40 Uhr: Im Wikipedia-Eintrag zur “TV Movie” steht seit gestern folgender Abschnitt:
Heute Mittag hat ein Wikipedia-Nutzer mehrmals versucht, diesen Abschnitt zu löschen. Seine IP ist registriert auf die Bauer Systems KG. Auf seiner Benutzerseite steht:
Der Abschnitt wurde inzwischen wiederhergestellt, der Nutzer wegen Manipulationen vorerst gesperrt.
Nachtrag, 9. August 2018: Günther Jauch, der auch im Posting abgebildet war, ist gegen “TV Movie” vorgegangen und hat nun, drei Jahre später, recht bekommen. Das Landgericht Köln stellte fest, dass die Verwendung von Jauchs Foto in diesem Zusammenhang “ungehörig” und rechtswidrig war. Außerdem stehe ihm eine Lizenzgebühr zu, weil der Verlag das Foto für kommerzielle Zwecke ausgenutzt habe.
2. Der Sportjournalismus trägt Mitschuld an der Doping-Problematik (andreasgriess.de, Andreas Grieß)
Auf die jüngsten Doping-Enthüllungen der ARD reagierten viele Vertreter der Leichathletik-Verbände empört. Das deute “eklatant darauf hin, dass diese Menschen kritischen Journalismus gar nicht gewohnt sind”, glaubt Andreas Grieß. Es sei kein Zufall, dass der Doping-Skandal von einem “kritischen Außenstehenden” aufgedeckt wurde, und nicht etwa von einem Leichtathletik-Journalist. Sein bitteres Fazit: “Damit passiert auch im Sport, was bereits im Lokalen geschieht: Es wird kaputt gespart. Es gibt in Deutschland Sportberichterstattung, aber kaum Sportjournalismus.”
3. Bitte, kein Kommentar! (de.ejo-online.eu, Fabian Prochazka und Patrick Weber)
Kommunikationswissenschaftler der Universität Hohenheim wollen herausgefunden haben, dass sich das Niveau der Leserkommentare auf Nachrichtenseiten auf die wahrgenommene Qualität der Artikel auswirkt: Je mehr Trolle, desto schlechter werden auch die Texte beurteilt. Besonders erstaunlich: “Auch höfliche Kommentare und solche mit Argumenten verschlechtern die wahrgenommene Qualität eines Artikels im Vergleich zu einer Version ganz ohne Kommentare.”
4. Trennung zwischen Arm und Reich wirkt sich auf Lokalnachrichten aus (netzpiloten.de, Laura Hazard Owen)
Wohlhabende Städte haben besseren Zugang zu Lokaljournalismus, dort werden die Bewohner häufiger und umfassender informiert, als in ärmeren Städten. Allerdings ist die Stichprobe der Rutgers-Untersuchung sehr klein, nur drei Städte im US-Bundesstaat New Jersey wurden untersucht. Trotzdem müsse man anhand dieser Ergebnisse annehmen, dass die demokratischen Werkzeuge nicht gleichmäßig verteilt sind, sagt Philip M. Napoli, Professor für Journalismus und Leiter der Studie – “was uns Sorgen machen sollte”.
5. Germanwings: Klage gegen “Österreich” wegen falschem Co-Piloten (derstandard.at)
Nach dem Germanwings-Unglück hatten unter anderem die “Kronen Zeitung” und “Österreich” das unverpixelte Foto eines Mannes gedruckt, das aber nicht, wie angegeben, den Co-Piloten Andreas L. zeigte, sondern einen Unbeteiligten. Mit der “Krone” gab es eine außergerichtliche Einigung, “Österreich” steht nun vor Gericht.
6. Sagt die Bild wirklich “die Wahrheit über Cannabis”? (vice.com, Michael Knodt)
“Zugegeben, ein wenig mehr Mühe als sonst hat die Redaktion sich im Rahmen der Recherche schon gegeben. Aber man muss nicht lange lesen, um zu verstehen, dass die Bild immer noch keine Ahnung von Weed hat.”
Die Wölfe sind wieder da, und jetzt fressen sie schon unsere Hündchen.
Ein Hundehalter behauptete vor zwei Wochen, dass sein Chihuahua Krümel (5) in einem Wald bei Celle in Niedersachsen von drei Wölfen gerissen wurde, und “Bild” machte die Sache bundesweit ganz groß auf:
Der “Bild”-Grafiker stellte sich die Szene so vor:
Die “Bild”-Online-Redaktion so:
Die Regionalausgabe Hannover legte am folgenden Tag noch nach:
Mit seinem Hund Gassi gehen und dabei von einem Rudel Wölfe gestellt werden. Dieses Horrorszenario ist Jörg M. (54) aus Wietze passiert.
Der Niedersächsische Landesbetrieb Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz gab eine Untersuchung in Auftrag und hatte schon weniger als eine Woche später ein Ergebnis: In einer Pressemitteilung gab er bekannt, dass der Wolfsverdacht “ausgeräumt” sei. Gen-Untersuchungen des Labors für Wildtiergenetik Senckenberg hätten keinen Hinweis auf den “Canis lupus lupus” (europäischer Wolf) ergeben.
Vielmehr wiesen die Speichelreste des Angreifers, die unter anderem am Geschirr des toten Hundes sichergestellt wurden, das genetische Profil eines Hundes mit Verdacht auf Wolfhund auf.
Auch die Spuren eines zweiten Angreifers deuteten auf einen Hund, vermutlich einen Wolfhund, hin.
Gut, ein Hund, aber andererseits: ein Wolfhund. Ein WOLFhund! Ein WOLFHUND! Und so verkaufte die “Bild”-Zeitung die Erkenntnis der Experten am vergangenen Samstag (sehr klein im Innenteil) als “Rätsel”:
Laut des Labors für Wildtiergenetik Senckenberg gibt es keine genetischen Spuren bei der tödlichen Attacke durch eine in Europa ansässige Wolfsgattung. Ungewöhnlich: Es war aber auch kein normaler Hund!
Und in der Regionalausgabe Hannover versteckte “Bild” die Auflösung, dass es sich bei dem bösen Wolf von Seite 1 ein paar Tage zuvor um einen Hund handelte, verblüffenderweise so:
Am Ende einer Meldung über Wölfe; unter der Überschrift, dass es ein neues Wolfsrudel gibt; unter einem Bild von einem Wolfsrudel; neben einem Bild von einem Wolf.
“Bild”-Online-Chef Julian Reichelt hat unseren Beitrag “Wie ‘Bild’ den Hass gegen Flüchtlinge geschürt” gelesen und bei Facebook einen langen Kommentar dazu geschrieben, der von den vielen guten Taten der “Bild”-Zeitung außerhalb der “Bild”-Zeitung handelt.
Reichelt schreibt zum Beispiel:
In der syrischen Provinz Aleppo betreiben wir mit „Ein Herz für Kinder“ mehrere Schulen, in denen nahezu ausschließlich Flüchtlingskinder betreut werden. Wir bezahlen Lehrer, Schulbücher, Zelte, Heizkosten, um das letzte bisschen Alltag aufrecht zu erhalten, das diesen Kindern geblieben ist.
Und:
Eines der letzten Krankenhäuser in Aleppo, das unter schlimmsten Umständen Patienten behandelt, darunter unzählige Flüchtlinge, arbeitet mit Geräten, die ich in dieses Krankenhaus gebracht habe. Als ich das letzte Mal dort war, wurde einer jungen Frau ein Tumor aus der Brust entfernt. Sie war aus einer Nachbarstadt nach Aleppo geflüchtet, weil die medizinische Versorgung in ihrer Heimatstadt komplett zusammengebrochen war. Beatmet wurde sie mit einem mechanischen Beatmungsgerät der Bundeswehr aus den 60er-Jahren, das wir über einen Mittelsmann beschafft und persönlich nach Aleppo geliefert hatten. Diese Geräte sind bei den Ärzten in Aleppo besonders beliebt, weil sie keinen Strom brauchen.
Und:
Letzte Woche kam ein junger Mann aus Syrien in Berlin an. Zwei wundervolle Kollegen von mir haben ihn beherbergt, die nächsten Nächte haben wir ihn im Hotel einquartiert, dann ist meine Kollegin mit ihm erst zum Anwalt und anschließend zur zuständigen Behörde gegangen. Wir haben uns darum gekümmert, dass er nicht zurück nach Ungarn muss, wo er misshandelt worden ist. Auf Kurzwahl hat er in seinem Handy eine Nummer von uns, die er rund um die Uhr anrufen kann, falls er Probleme hat – egal ob mit Behörden oder (ohne das in irgendeiner Weise gleichsetzen zu wollen) mit Fremdenfeindlichkeit.
Und:
Es gibt zahlreiche solcher Fälle, in denen wir bei BILD uns für Flüchtlinge eingesetzt haben, weit über unsere Berichterstattung hinaus. Niemand bei BILD erwartet dafür einen Dank. Wir tun es, weil es das Richtige ist. Was ich persönlich allerdings erwarte, ist, dass wir dafür nicht von Schreibtisch-Ideologen wie Mats Schönauer und Stefan Niggemeier verunglimpft und als Flüchtlingshasser verleumdet werden.
Wenn Mats Schönauer und Stefan Niggemeier auch nur einen Funken von dem Anstand hätten, den sie uns absprechen, würden sie sich für ihre üblen, völlig haltlosen Unterstellungen entschuldigen. Aber das wird nicht passieren.
Stimmt: wird es nicht. Aber nicht aus mangelndem Anstand, sondern weil Julian Reichelt unseren Text offenkundig nicht verstanden hat. Wir werfen „Bild“ und ihm ja nicht vor, „Flüchtlingshasser“ zu sein. Sondern den Hass zu schüren, indem sie bewusst Fakten verschweigen oder verdrehen, um aufregende Schlagzeilen präsentieren zu können — die dann wiederum in Sozialen Netzwerken und den Köpfen vieler Leser die Stimmung gegen Flüchtlinge anheizen.
Es geht nicht um das persönliche Engagement von Reichelt und seinen Kollegen. Es geht um die publizistische Verantwortung der „Bild“-Zeitung.
Da das ja offenbar so schwer zu verstehen ist, hier nochmal ein Beispiel. Vor ein paar Monaten schrieb „Bild“, in Bautzen müssten die Sanitäter jetzt schon kugelsichere Westen tragen — „AUS ANGST VOR ATTACKEN IM ASYL-HOTEL“. Der Artikel ist (wie BILDblog-Leser wissen) in mehrerer Hinsicht falsch, zum Beispiel ist das Haus keine „Vier-Sterne-Herberge“ mehr, sondern ein ausrangiertes Hotel ohne Schnickschnack. Vor allem aber wurden die Westen laut DRK nicht aus Angst vor den Flüchtlingen angeschafft, sondern zum generellen Schutz der Sanitäter.
Flüchtlingshassern dient der Text seitdem als schlagkräftiges „Argument“. Julian Reichelt weiß das alles, und im BILDblog-Eintrag, den er jetzt kritisiert, fragen wir, warum der Artikel trotzdem seit Monaten unverändert online ist. Darauf ist er leider mit keinem Wort eingegangen.
Genauso wenig wie auf diesen Artikel, den wir im Eintrag ebenfalls kritisiert haben:
So stand es in der Hamburger “Bild”-Ausgabe und so steht es immer noch auf Reichelts Bild.de. Was beide jedoch verschweigen: Diese Kulanz-Regel gilt nicht nur für Flüchtlinge, sondern auch für alle anderen, die aufgrund von Sprachproblemen oder aus anderen guten Gründen versehentlich mit ungültigem Ticket unterwegs sind.
Aber davon bekamen die besorgten “Bild”-Leser nichts mit – und reagierten so:
Und was steht heute in der Hamburger “Bild”?
Flüchtlinge kontrolliert der HVV mit Augenmaß.
Was bedeutet, er lässt sie laufen, wenn sie ohne gültigen Fahrausweis sind, an den komplizierten Automaten und dem undurchsichtigen Tarifsystem scheiterten.
Mit so viel Nachsicht kann der nur sporadisch und deshalb ebenso kenntnisarme einheimische HVV-Nutzer nicht rechnen. Der hat zwar keine Sprachschwierigkeiten, steht aber oft verständnislos vor den unbemannten Bahnhöfen.
Ich würde wirklich gerne glauben, dass es dem Bild.de-Chef und seinen Kollegen ein Anliegen ist, die Situation der Flüchtlinge in Deutschland zu verbessern. Aber mit solchen Geschichten bewirken sie genau das Gegenteil. Auch wenn Julian Reichelt diesen Zusammenhang einfach nicht erkennen will.
Von “Meedia” auf die “unterschiedlichen Tonalitäten in der Bild-Berichterstattung” angesprochen, sagte Reichelt übrigens:
Es ist sicher nicht unsere Aufgabe, Sachverhalte zu verschweigen oder gar aus dem Internet zu tilgen. Wir berichten über das, was ist.
Eben nicht. Wenn es sich verkaufen lässt, weil es die Ressentiments der Leute bedient, berichtet “Bild” über das, was nicht ist. Und genau das ist das Problem.
1. Warum macht ihr nicht den Mund auf? (jetzt.sueddeutsche.de, Friedemann Karig)
Im Jahr 2015 gab es bereits mehr als 150 Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte, andere Quellen sprechen von 200. Das ist “unfassbar schlimm. Es ist eine Schande. Es darf nicht sein”, schreibt Friedemann Karig in einem Brandbrief, der mit drei wütenden Fragen endet: “Was ist mit Dir, lieber Politiker? Was machst Du so im Sommer 2015? Worauf verfickt noch mal wartest Du?” Auch die Kolumnisten von “Spiegel Online” haben sich am Wochenende damit beschäftigt, wie Medien über Flüchtlinge berichten: Sibylle Berg wirft Journalisten unnötige Panikmache vor, während Georg Diez dazu auffordert, sich endlich von der “gläserne[n] Wand der Objektivität” zu verabschieden und zu Aktivisten zu werden: “Um auf die neue Gegenwart zu reagieren, braucht es auch einen anderen Journalismus, analytischer, individualistischer, klarer, härter, aktivistischer, mutiger, offener, verständlicher, entschlossener, leidenschaftlicher.”
2. Mit Lügen gegen die “Lügenpresse”: Pegida fälscht “Spiegel Online”-Überschrift (stefan-niggemeier.de, Stefan Niggemeier)
“Asylbetrüger besteigen Eurocity aus Mazedonien Richtung Germany” – so lautete ein “Spiegel Online”-Artikel, den “Pegida” gestern bei Facebook geteilt hat. Diese Überschrift kam aber nicht von “Spiegel Online”, sondern von “Pegida”, wie Stefan Niggemeier schreibt: “Die Pegida-Leute aber sind nicht nur Lügner, sondern auch Stümper. Denn die falsche Überschrift, die sie ‘Spiegel Online’ untergeschoben haben, kann schon formal gar keine ‘Spiegel Online’-Überschrift sein. ‘Spiegel Online’-Artikel-Überschriften enthalten immer einen Doppelpunkt.” Siehe dazu auch: “Wie Rechtsaußen-Desinformanten gegen Flüchtlinge hetzen” (netz-gegen-nazis.de).
3. Wie Putin in Russland den Journalismus abschafft (welt.de, Oliver Bilger)
Oliver Bilger schreibt über die Situation der Presse in Russland: Seit Maidan und der Krim-Krise habe Putin “die Daumenschrauben noch einmal schmerzhaft angezogen. Strengere Gesetze erschweren die Arbeit der Journalisten, Propaganda und gezielte Desinformation flutet das ganze Land”, was vor allem die kritischen Journalisten der “Nowaja Gaseta” zu spüren bekommen.
4. Die posthume mediale Vergewaltigung der Gabriele Z. (rheinneckarblog.de, Hardy Prothmann)
Vergangene Woche druckte der “Mannheimer Morgen” das Foto einer Studentin, die 2013 in Mannheim vergewaltigt und ermordet wurde. Das Foto ist Teil des “MM-Sommerrätsels”: Wer unter anderem das Herkunftsland der ermordeten Frau kennt, kann einen von “drei attraktiven Hauptgewinnen” gewinnen. Für Hardy Prothmann sind die verantwortlichen Redakteure “journalistische Schwerverbrecher”: “Das Andenken an die junge Frau wird auf ordinärste Art und Weise geschändet, indem man sie zum Teil eines ‘Rätselspaßes’ macht.”
5. Die fehlenden Worte des Ai Weiwei (tagesspiegel.de, Christiane Peitz)
Der chinesische Künstler Ai Weiwei wirft der “Zeit” vor, ein Interview mit ihm sinnentstellend gekürzt zu haben. Die Autorinnen verwehren sich gegen die Anschuldigungen und veröffentlichen ihrerseits die chinesische, englische und deutsche Version des Gesprächs.
6. Flucht (zoebeck.wordpress.com, Zoë Beck)
Ein Freund von Zoë Beck hat einen Text über die Situation in Syrien geschrieben, den man als Antwort verwenden könne, “wenn sich, wie gerade immer wieder geschieht, auf Facebook Menschen melden, die der Meinung sind, dass Flüchtlinge noch viel zu gut in unserem Land behandelt werden” und “dass die doch alle nur herkommen, um was vom Kuchen abzubekommen”.