Facebook-Trauma, Heißes Pflaster “Hygienedemos”, BZgA-Hinweis

1. “Spiegel-Soli”: 50 Spitzenverdiener sollen auf Teile ihres Gehalts verzichten
(meedia.de, Gregory Lipinski)
Auch beim “Spiegel” machen sich die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie bemerkbar. Wie bei allen anderen Medien ist von einem erheblichen Anzeigenrückgang die Rede. Nun wird anscheinend darüber nachgedacht, 50 Spitzenverdiener und -verdienerinnen des Hauses mit einem “Spiegel-Soli” zu belegen. Verschiedene Abteilungen hätten bereits Kurzarbeit angemeldet, doch es drohe die Ausweitung auf die Redaktionen, die Dokumentation und “Spiegel TV”.

2. Die Leiden der Internet-Traumatisierten
(deutschlandfunk.de, Sebastian Wellendorf & Michael Borgers, Audio: 7:40 Minuten)
Wer als Inhalteprüferin oder -prüfer für Facebook arbeitet, hat es oft mit Darstellungen von Gewalt, Missbrauch und sonstigen verstörenden Szenen zu tun. Das kann zu schwerwiegenden Traumatisierungen führen, die eine ärztliche beziehungsweise therapeutische Behandlung erfordern. Nun haben einige Inhalteprüfende das Unternehmen erfolgreich auf Erstattung ihrer Behandlungskosten verklagt. Für die insgesamt mehr als 11.000 Moderatorinnen und Moderatoren sei eine Gesamtsumme von rund 48 Millionen Euro vorgesehen. Der Deutschlandfunk hat sich mit dem Digitaljournalisten und Autor Simon Hurtz (der unter anderem auch am BILDblog mitarbeitet) über das Thema unterhalten. In dem Gespräch geht es auch um die Frage, was von der Einmalzahlung für die einzelne Person übrig bleibt.

3. Kleiner Hinweis, unklare Wirkung
(spiegel.de, Markus Böhm)
Egal, ob aus seriöser oder unseriöser Quelle: Youtube blendet unter allen Videos mit Corona-Bezug seit einiger Zeit einen Verweis auf die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) ein. Was zunächst für ein neues Problem sorgte, denn fragwürdige Inhalte seien durch die seriöse Nachbarschaft quasi geadelt worden: “Nicht nur YouTubes fehlende Absprache direkt mit der BZgA sorgte im März für Konfusion, sondern auch die Art, wie der Hinweis zunächst formuliert war. Denn offenbar verstanden manche YouTube-Nutzer den Text falsch und machten die BZgA fortan für Videoinhalte Dritter verantwortlich. Immerhin stand ja ihr Name darunter, neben ihrem Logo. Bei Corona-Videos mit fragwürdigem Inhalt sei dies als ‘problematisch benannt’ worden, heißt es dazu aus der BZgA, die von entsprechenden Nutzer-Rückmeldungen berichtet.”

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4. Wie berichten über Verschwörungserzählungen?
(mediendienst-integration.de, Jennifer Pross & Sarah Gräf & Andrea Pürckhauer)
Woran erkennt man Verschwörungserzählungen, und wie können Redaktionen über sie berichten? Der “Mediendienst Integration” hat bei einigen Expertinnen und Experten nachgefragt. Es gehe darum, die Verschwörungserzählung nicht zu wiederholen, auf die richtige Verwendung der Begriffe zu achten und auf Gefahren hinzuweisen. Außerdem sollten eventuelle Widersprüche nicht unterdrückt, sondern offen benannt werden.

5. NDR streicht “Bücherjournal”
(abendblatt.de, Thomas Andre)
Der NDR muss in den kommenden Jahren 300 Millionen Euro einsparen. Den Sparmaßnahmen zum Opfer falle auch die älteste Literatursendung im deutschen Fernsehen, das “Bücherjournal”. Bei NDR-Intendant Joachim Knuth seien deshalb mehrere Protestschreiben eingegangen, unter anderem vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels und dem Hamburger Literaturhaus.

6. “Hygienedemos”: Heißes Pflaster für Journalisten
(ndr.de, Nils Altland & Inga Mathwig, Video: 6:44 Minuten)
Bei den sogenannten “Hygienedemos” von Gegnern der Corona-Maßnahmen herrscht eine aggressive Grundstimmung. Ein heißes Pflaster auch für anwesende Journalistinnen und Journalisten, die dort oft beschimpft und gelegentlich sogar körperlich attackiert werden. Das Medienmagazin “Zapp” hat mit Betroffenen und Experten über das Problem gesprochen.

Bringt Julian Reichelt die Familien der Gewerkschafts-Bosse in Gefahr?

Würde man Julian Reichelt fragen, ob die Gehälter von einzelnen Personen öffentlich bekannt sein sollten, müsste der “Bild”-Chef zwei Antworten geben:

1) Wenn es alle Menschen betrifft, nur nicht ihn selbst: “Auf jeden Fall!”
2) Wenn es nur ihn betrifft: “Bloß nicht!”

Reichelt ist bekanntermaßen der Meinung, dass die Veröffentlichung einer Schätzung seines Gehalts das Risiko finanziell motivierter Straftaten gegen seine Familie erhöht. So argumentierte er jedenfalls gegen eine Veröffentlichung im Medienmagazin “kress pro”, als dieses über die Jahresgehälter von Verlagsmanagern und Chefredakteuren schreiben wollte.

Bei Familien anderer Personen ist der “Bild”-Chef hingegen nicht so rücksichtsvoll. Und so hat sich gestern, nach Julian-Reichelt-Logik, das Risiko finanziell motivierter Straftaten gegen die Familien deutscher “Gewerkschafts-Bosse” deutlich erhöht:

Screenshot Bild.de - Bild verrät es - Was kassiert eigentlich ein Gewerkschafts-Boss?

Schön in Gold gehalten und nicht “verdient”, “erhält” oder “bekommt”, sondern: “kassiert”.

Die Redaktion nennt hinter ihrer “Bild plus”-Bezahlschranke die Monats- beziehungsweise Jahresgehälter von Reiner Hoffmann (Deutscher Gewerkschaftsbund), Ulrich Silberbach (DBB Beamtenbund), Klaus-Dieter Hommel (Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft), Guido Zeitler (Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten), Oliver Malchow (Gewerkschaft der Polizei), Jörg Hofmann (IG Metall), Frank Werneke (Ver.di), Michael Vassiliadis (IG Bergbau, Chemie, Energie), Robert Feiger (IG Bauen-Agrar-Umwelt) und Marlis Tepe (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft). Sie schreibt, dass nur die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer nicht auf die Anfrage zum Gehalt des Vorsitzenden Claus Weselsky geantwortet habe.

Auffällig ist, dass einer, der sonst ständig in “Bild” und bei Bild.de auftaucht, in dieser Liste komplett fehlt: der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt. Merkwürdig.

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Wen Julian Reichelt nach Julian-Reichelt-Logik sonst noch in Gefahr gebracht haben könnte:

Mit Dank an Stefan E. für den Hinweis!

Corona-Erlasse frei, Telegram als Medium, Überlassung des NSU-Urteils

1. Wichtige Entscheidung nach unserer Klage: Niedersachsen muss Corona-Erlasse herausgeben
(fragdenstaat.de, Arne Semsrott & Phillip Hofmann)
Die Transparenzinitiative “FragDenStaat” sorgt immer wieder dafür, dass der Staat sein eigenes Informationsfreiheitsgesetz und die sich darauf beziehenden Anfragen ernst nimmt. Dass dies notwendig ist, zeigt ein aktueller Fall: Das niedersächsische Justizministerium hatte sich geweigert, seine Erlasse zur Corona-Pandemie herauszugeben, und musste erst per Klage dazu gezwungen werden. Der Beschluss des Gerichts sei “elementar wichtig, denn er benennt, wie wichtig öffentliche Kontrolle staatlicher Entscheidungen ist — und dass Informationen zum Coronavirus grundsätzlich als Umweltinfos gelten”.

2. Gegenöffentlichkeit für Corona-Zweifler
(deutschlandfunk.de, Stefan Römermann, Audio: 6:31 Minuten)
Der Smartphone-Messenger Telegram ähnelt dem bekannten Programm WhatsApp, doch es gibt einen wesentlichen Unterschied, wie Martin Fehrensen vom “Social Media Watchblog” erklärt: “Bei Whatsapp hat man eine Obergrenze von 256 Menschen, die man in einer Gruppe erreichen kann. Bei Telegram hingegen kann eine Gruppe bis zu 200.000 Mitglieder haben.” Dieser technische Umstand hat Telegram zu einem neuartigen Verbreitungsmedium gemacht, über das Leute wie die ehemalige “Tagesschau”-Sprecherin Eva Herman ihre Abonnentinnen und Abonnenten erreichen würden. Und das seien im Fall der ins Verschwörungsmilieu abgedrifteten Herman mehr als 100.000 Menschen.

3. Dicke Luft beim NDR: Jetzt begehren die Freien auf
(dwdl.de, Alexander Krei)
Der NDR muss in den kommenden Jahren 300 Millionen Euro einsparen. Die Sparmaßnahmen werden Programm und Personal betreffen. Der Stellenabbau werde sich für die Festangestellten nicht so dramatisch auswirken, denn es würden lediglich Planstellen nicht neu besetzt. Anders sehe es jedoch bei den Hunderten von freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus, die für einen Großteil des Programms verantwortlich seien.

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4. Ken Jebsen und Co: Wie Verschwörungstheoretiker versuchen, die öffentliche Debatte in Deutschland zu kapern
(nzz.ch, Christoph Prantner)
Einige Verschwörungserzähler würden die derzeitige Corona-Krise für ihre Agitation nutzen und ihren Aufruhr- und Umsturzfantasien freien Lauf lassen. Ein prominentes Beispiel dafür sei Ken Jebsen, der “wie ein Ablassprediger auf Speed” mit Worten auf sein Publikum einhämmere. Welche Mechaniken liegen dem zugrunde? Christoph Prantner erklärt die Methoden der Lautsprecher und Panikverbreiter und ordnet das Phänomen ein.
Weiterer Lesehinweis: Faktencheck: KenFM-Video “Gates kapert Deutschland!” (swr.de). Sehenswert auch das Walulis-Video zum Thema: “Gates kapert Deutschland” zerlegt (14:20 Minuten).

5. Gericht will Urteil erst nach “Belehrung” herausgeben
(tagesspiegel.de, Jost Müller-Neuhof)
Das Oberlandesgericht (OLG) München wollte sein Urteil zum NSU-Prozess nur an Journalistinnen und Journalisten herausgeben, wenn diese zuvor eine “Belehrung” unterschreiben. Diese Praxis stieß auf Unverständnis seitens des Deutschen Journalisten-Verbands und stehe zudem in Kontrast zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Nun habe das OLG eingelenkt und klargestellt, dass die “Überlassung des Urteils selbstverständlich nicht von der Unterzeichnung des Formblattes abhängig gemacht” werde.

6. Ohne Rettungsschirm
(sueddeutsche.de)
Obdachlosenzeitungen leben vom direkten Kontakt zwischen Verkaufenden und Lesenden und haben es wegen der derzeitigen Einschränkungen besonders schwer, durch die Krise zu kommen. Die “Süddeutsche Zeitung” hat sich bei fünf journalistischen Regionalprojekten umgeschaut: bei der Dresdner Straßenzeitung “drobs”, dem Berliner “Kompass”, “Hinz&Kunzt” aus Hamburg, dem Düsseldorfer Magazin “fiftyfifty” und Deutschlands ältester Straßenzeitung, dem Münchener “Biss”.

Bei Bild.de kann man Gewaltopfer unverpixelt sehen

Im brandenburgischen Ort Werder (Havel) soll gestern ein Mann seine Ehefrau in einem Gartenteich ertränkt haben. Rettungskräfte versuchten noch vergeblich, die Frau wiederzubeleben.

Die “Bild”-Redaktion berichtete heute unter anderem in einer “Bild live”-Sendung über die Tat. Wer heute Mittag, als die Sendung lief, Bild.de aufgerufen hat, bekam automatisch dieses Vorschaubild zu sehen:

Screenshot Bild.de - Bild live am Mittag - Die Themen - Ehe-Drama in Brandenburg - dazu ist ein Standbild einer Szene zu sehen, in der mehrere Rettungskräfte über einer Person, die am Boden liegt, knien.

Die Unkenntlichmachung haben wir nachträglich hinzugefügt — bei Bild.de war der Reanimationsversuch der Rettungskräfte ohne jegliche Verpixelung zu sehen. Und damit auch die am Boden liegende Frau.

Vielleicht würde es sich für die “Bild”-Redaktion lohnen, mal ins Strafgesetzbuch zu schauen und dort den Paragraphen 201a nachzuschlagen, in dem es um die “Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen” geht. Und der in Absatz 2 “eine Bildaufnahme, die die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau stellt”, thematisiert.

Im Sendungsstream zeigte Bild.de die Aufnahme erneut, mal unverpixelt, mal verpixelt:

Screenshot Bild.de - Bild live am Mittag - Nach Streit - Mann ertränkt Ehefrau im Gartenteich - es ist erneut die oben bereits beschriebene Aufnahme zu sehen, dieses Mal allerdings mit einer Verpixelung
(Diese Unkenntlichmachung stammt von “Bild”.)

Außerdem sei erwähnt, dass die Wahl des Begriffs “Ehe-Drama” durch die “Bild”-Redaktion keine gute ist, wenn, wie in diesem Fall, eine Frau von ihrem Ehemann getötet wird. Genauso wie etwa die “Familietragödie” verharmlost und beschönigt die Bezeichnung den Mord beziehungsweise Totschlag. Genaueres kann man hier und hier nachlesen.

Mit Dank an dp., @kurzmitteilung und @AFA161_ für die Hinweise!

Durchdrehende Promis, Infokrieger “Peter”, Im Zweifel für den Zweifel

1. “Sie sind eine homogene Enklave”
(sueddeutsche.de, Hans Hoff)
Die Neuen deutschen Medienmacher*innen haben ihren Bericht zur Diversität im deutschen Journalismus (PDF) vorgestellt (“Eine Recherche über interkulturell vielfältiges Medienpersonal in deutschen Redaktionen und die Ansichten von Führungskräften im Journalismus zu Diversity in den Medien.”). Trotz einiger Appelle in den Vorjahren seien Menschen mit Migrationshintergrund in deutschen Redaktionen weiterhin deutlich unterrepräsentiert.

2. Corona-Verschwörungen: Warum drehen so viele Promis durch?
(rnd.de, Matthias Schwarzer)
Xavier Naidoo, Detlef D! Soost, Attila Hildmann, Til Schweiger … Wer sich ab und zu in den Sozialen Medien aufhält, könnte den Eindruck gewinnen, dass Musiker und TV-Stars derzeit besonders viel Unsinn rund um die Corona-Pandemie verbreiten. Matthias Schwarzer fragt sich: “Was ist da los? Und warum driften plötzlich so viele Promis ab?”
Weiterer Lesehinweis: Wie zur Bestätigung ein neuer Fall: Sido plaudert über Kinderblut und verteidigt Xavier Naidoo.

3. Warum es nicht “Verschwörungstheorie” heißen sollte
(deutschlandfunk.de, Stefan Fries, Audio: 2:10 Minuten)
Im etwa zweiminütigen Sprachcheck des Deutschlandfunks kümmert sich Stefan Fries um den Begriff “Verschwörungstheorie”, den er für wenig geeignet hält. Der Wortbestandteil “Theorie” täusche eine Wissenschaftlichkeit vor: “Der Begriff gibt Propaganda, Desinformation und Lügen nur fälschlicherweise einen wissenschaftlichen Anstrich. Dabei handelt es sich aber je nach Ausprägung um Erzählungen, um Ideologien, Mythen oder Legenden.”

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4. Im Zweifel für den Zweifel
(journalist.de, Ingrid Brodnig)
In der aktuellen Folge der Serie “Mein Blick auf den Journalismus” schreibt die österreichische Journalistin und Autorin Ingrid Brodnig über die Schwierigkeit, in Krisenzeiten den Überblick zu behalten. Qualitätsvoller Journalismus müsse offenlegen, wenn es keine gesicherten Informationen gibt: “Es ist eine gesellschaftliche Herausforderung, dass wir Menschen uns nach Einordnung, nach Gewissheit sehnen — auch dort, wo diese nur ein trügerisches Gefühl ist. Die Corona-Krise ist auch hierfür ein Paradebeispiel: Wir wissen vieles nicht.”

5. Harte Konkurrenz für Fotojournalisten
(de.ejo-online.eu, Felix Koltermann)
Fotojournalisten und -journalistinnen haben kein leichtes Leben. Redaktionen beziehen ihre Bilder bei den Großanbietern, greifen auf kostenloses Material zurück oder ermuntern ihre Redakteure, “mal eben” mit dem Handy zu knipsen. Felix Koltermann hat sich mit Sabine Pallaske, Vorsitzende der Mittelstandsgemeinschaft Fotomarketing, über die derzeitigen Schwierigkeiten bei der Nutzung und Verwertung von “visuellem Content” unterhalten.

6. Video: Infokrieger – Die neuen rechten Medienmacher
(daserste.de, Dennis Leiffels & Anna Breithausen & Alexander Tieg & Marvin Milatz, Video: 44:00 Minuten)
Wie funktioniert der “Infokrieg” der neuen rechten Medienmacher? Anderthalb Jahre haben Reporterinnen und Reporter Kommunikationsdaten aus verschiedenen Sozialen Netzwerken ausgewertet und sind den Strukturen nachgegangen. Dies führte sie rund um den Globus bis nach Uruguay zu “Peter”, der dort zahllosen rechten und rechtsextremen Websites die Heimat für deren Impressum bietet. Ein spannender Film mit interessanten Einblicken in den “digitalen Maschinenraum” der Neuen Rechten.

Klöckners Blockadepolitik, Kinofilm retten!, Irrlichternde Bischöfe

1. Kommentar: Julia Klöckner hat Social Media nicht verstanden
(meedia.de, Andreas Marx)
Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) sorgt immer wieder für umstrittene Medienauftritte — vom gemeinsamen Video mit dem Nestlé-Chef bis zum jüngsten PR-Auftritt mit TV-Koch Johann Lafer bei “Bild”. Bei der gemeinsamen Kochsession, mit der Supermarktkette Kaufland als Sponsor, verarbeiteten Klöckner und Lafer Billigfleisch der Haltungsstufe 1. Schlechter geht es nicht, was die Tierhaltung anbetrifft. Nachdem zwei Influencer aus der veganen Szene auf Instagram die Aktion kritisiert hatten, seien sie (neben vielen weiteren) von der Ministerin blockiert worden. Andreas Marx kommentiert: “Dass Julia Klöckner Social Media als Einbahnstraße versteht und Kritiker auch gern mal vor den Kopf stößt, ist nichts Neues. Nach dem Shitstorm, den sie mit ihrem Auftritt mit Nestlés Deutschland-Chef Marc-Aurel Boersch verursacht hatte, bezeichnete sie die kritischen Kommentatoren pauschal als ‘Hatespeaker’.”

2. Große Verschwörung zum Coronavirus? Wie Ken Jebsen mit irreführenden Behauptungen Stimmung macht
(correctiv.org, Till Eckert & Alice Echtermann)
“Correctiv” hat sich das millionenfach geklickte Video des Youtubers Ken Jebsen (“Gates kapert Deutschland”) angeschaut und einige der darin erhobenen Tatsachenbehauptungen überprüft. Das Ergebnis: “Ken Jebsen führt seine Zuschauer in die Irre.”
Weiterer Lesehinweis: Sophie Passmann hat in einem Video kritisch auf Ken Jebsens Äußerungen reagiert und dafür viel Resonanz erhalten. In einem Interview mit “jetzt” fasst sie ihre Sicht auf die Medienfigur Jebsen zusammen: “Ken Jebsen ist sehr gut darin, komplexes Denken zu imitieren. Doch je mehr man sich davon anschaut, sieht man: Er ist arrogant und wirr. Entweder, er nimmt sich wirklich ab, dass er als einer der Ersten verstanden hat, was alle andere nicht verstanden haben. Oder er ist böswillig und weiß, dass, wenn man beim rbb rausfliegt, weil man als Journalist nicht ordentlich gearbeitet hat, man mit so einem Gelaber aber trotzdem noch irgendwelchen Jürgens und Monikas, die einen Faible für Verschwörungstheorien haben, PayPal-Geld aus der Tasche ziehen kann. Er ist entweder verrückt oder bösartig oder beides. Und das merkt man seiner Argumentation an. Er arbeitet unjournalistisch, macht irgendwelche unlogischen Schleifen, vermischt Kommentar, Analyse und Bericht. Hauptsache es klickt ordentlich.”

3. Kinofilm retten!
(faz.net, Michael Hanfeld)
Mehr als 100 Kinomacherinnen und Kinomacher haben sich mit einem dramatischen Appell an die Bundesregierung gewandt. In ihrem Offenen Brief an Monika Grütters, die Kulturbeauftragte der Bundesregierung, und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier schlagen sie Alarm: “Zuvorderst benötigen wir eine Lösung für den fehlenden Versicherungsschutz, um das Risiko zukünftiger Dreharbeiten abzusichern. Die Filmbranche braucht Ihre Unterstützung. Die klassischen Versicherungen und Rückversicherungen haben keine Lösungsvorschläge für die Filmbranche — und damit ist jeder Kinofilmdreh eine tickende Zeitbombe.”

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4. “Wir verbrennen kein Geld”: Der neue NDR-Chef muss 300 Millionen Euro sparen – und diese Sendungen will er streichen
(rnd.de, Imre Grimm)
Stolze 300 Millionen Euro müsse der Norddeutsche Rundfunk (NDR) bis zum Jahr 2024 sparen. Wie kann das gelingen, ohne allzu negative Auswirkungen auf Programm und Personal? Imre Grimm hat sich darüber mit dem neuen NDR-Intendanten Joachim Knuth unterhalten. Ein interessantes Gespräch, bei dem es nicht nur um die geplanten Kürzungen und Streichungen, sondern auch um die großen Herausforderungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geht. Dazu zählen unter anderem das veränderte Nutzerverhalten und die Corona-Krise.

5. Georg Uecker über Häme in der Community und eine bizarre Medienjagd
(queerkram.podigee.io, Johannes Kram, Audio: 65 Minuten)
“Stell dir vor, du stehst mit deinem Auto an der roten Ampel, als sich plötzlich ein Fotograf auf die Kühlerhaube wirft und dich durch die Windschutzscheibe knipst, um endlich ein Bild von dir und deinem eingefallenen Gesicht in einem Boulevardmedium veröffentlichen zu können.” Der Schauspieler Georg Uecker erzählt im “Queerkram”-Podcast von der Medienjagd, die er vor über zehn Jahren aufgrund seiner HIV-Infektion erlebte. Und auch der Rest der Podcastfolge ist voll mit Medienthemen: Das Ende der “Lindenstraße”, Coming-out von Schauspielern, queere Rollen in deutschen TV-Serien.

6. Bischöfe verbreiten Verschwörungstheorien
(tagesschau.de)
Mehrere katholische Bischöfe kritisieren die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie und greifen dabei auf den Mythos einer großen Weltverschwörung zurück. In einem öffentlichen Aufruf würden sie vor dem “Auftakt zur Schaffung einer Weltregierung, die sich jeder Kontrolle entzieht”, warnen und “Zweifel an der tatsächlichen Ansteckungsgefahr” äußern. Die Deutsche Bischofskonferenz habe sich von dem Schreiben distanziert.

Schlagzeile zur Umfrage auf Rekordtief

Seit Wochen schon fährt die “Bild”-Redaktion einen Kurs gegen die Corona-Maßnahmen von Angela Merkel. Nur: So richtig fruchten will das offenbar nicht — die Umfragewerte der Bundeskanzlerin sind so gut wie lange nicht mehr.

So auch in einer aktuellen Befragung, die Bild.de heute präsentiert. Das Meinungsforschungsinstitut Insa sollte “in einer exklusiven Umfrage für BILD” herausfinden, wie zufrieden die Menschen mit der Arbeit der Großen Koalition sind. Eines der Ergebnisse:

Die Zufriedenheit mit der Arbeit der Bundesregierung bleibt hoch und legt sogar um einen Punkt auf 50 Prozent zu.

50 Prozent — das ist der höchste Wert “seit Beginn der Messung vor einem Jahr”.

Die “Bild”-Redaktion könnte also sowas titeln wie: Zufriedenheit mit der Bundesregierung auf Rekordhoch! Oder: Menschen mit Merkel und Co. so zufrieden wie noch nie!

Sie hat sich dann aber doch für einen etwas anderen Spin entschieden:

Screenshot Bild.de - Corona sei Dank - Unzufriedenheit mit Merkel & Co auf Rekordtief!

Durch die Negativ-Dopplung (“Unzufriedenheit (…) auf Rekordtief”) dürfte nicht jeder Leserin und jedem Leser sofort klar werden, dass die Schlagzeile eigentlich eine sehr gute Nachricht für die Bundeskanzlerin und die Bundesregierung ist. Und da es sich um einen “Bild plus”-Artikel handelt, kann auch nicht jeder und jede dieses mögliche Missverständnis auflösen. Wie praktisch.

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Bemerkenswert ist auch die Dachzeile “CORONA SEI DANK”, die “Merkel & Co.” zu Corona-Krisengewinnlern erklärt. Im Text wiederholt Bild.de diese Behauptung noch einmal:

Die Große Koalition profitiert noch immer von der Corona-Krise.

Ebenfalls ein besonderer Spin. Denn letztlich profitiert die Große Koalition nicht von der Corona-Krise, sondern von ihrem Handeln in der Corona-Krise, das den Befragten offensichtlich gefällt. Aber das würde natürlich nicht so gut zum “Bild”-Kurs gegen die Kanzlerin passen.

Mit Dank an Vincent, @AkD20205 und @polenz_r für die Hinweise!

Zum Würfeln: Kunstkritiken

Zeitknappheit, Personalmangel, begrenzte Ressourcen …

Wir kennen die Probleme der Redaktionen nur allzu gut und haben dafür die Lösung: Mit unserem Würfelspiel “Kurz vor Redaktionsschluss” lassen sich, jawoll, auch kurz vor Redaktionsschluss auf die Schnelle druckreife Teaser, kurze Artikel und Besprechungen ganzer Kunstausstellungen erstellen.

Folge 9 unserer 16-teiligen Serie: Kunstkritiken.

Das neue BILDblog-Würfelspiel Kurz vor Redaktionsschluss - nur viermal würfeln, schon haben eine Kunstkritik beisammen - Schritt 1: Würfeln Sie den Einleitungssatz - Schritt 2: Würfeln Sie das erste Kritikelement - Schritt 3: Würfeln Sie das zweite Kritikelement - Schritt 4: Würfeln Sie die Schlusseinordnung! Variante 1: Die opulente Gesamtausstellung eines Grenzgängers befragt gleichermaßen Vergangenheit und Gegenwart und lenkt den Blick des Betrachters auf das Universelle des krisenhaften Moments. - Variante 2: Die längst gebotene Überblicksschau setzt ein Zeichen gegen die Entsinnlichung der Kunst und ermöglicht die visuelle Konzentration auf eine schonungslose Annäherung an die Conditio humana. - Variante 3: Das bedeutungsvolle Destillat deutscher Gegenwartskunst erkundet verstörende Parallelen zum Hier und Jetzt und konzentriert sich in seinem Topos auf das Gleichnis vom heillos fragmentieren Chaos. - Variante 4: Die mit der Ikonographie des Nichts spielende Retrospektive überrascht auch mit dem, was ausgespart bleibt, und deutet voller kindlicher Unschuld auf ein kontraintuitives Ritual westlicher Moderne. - Variante 5: Die kondensierte visuelle Wirkmächtigkeit verströmt einen fremdartigen Charme und erkundet die Imagination des Individuums auf die Positionsbestimmung im Unbehagen. - Variante 6: Die geradezu obsessiv kuratierte Ausstellung bildet die Beziehung des Sichtbaren zum Unsichtbaren und schärft die defizitäre Sicht auf die Konjunktur des Immersiven in der Kunst.

Hier gibt es ein größeres JPG und hier ein PDF zum Ausdrucken.

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Bisher erschienen:

Gates noch, Ken?, RKI beendet Pressekonferenzen, Overblocking

1. Das ist dran an Ken Jebsens großer Gates-Verschwörung
(t-online.de, Jonas Mueller-Töwe)
Ken Jebsen hat auf seinem Youtube-Kanal “KenFM” einen halbstündigen Monolog veröffentlicht, der innerhalb von wenigen Tagen rund drei Millionen Mal angeklickt wurde. Das Opus heißt “Gates kapert Deutschland” und gibt damit bereits die Marschrichtung vor. Jonas Mueller-Töwe hat sich die Mühe gemacht, das Video einem Faktencheck zu unterziehen. Sein Fazit, nachdem er viele der im Video erhobenen Behauptungen als falsch entlarvt hat: “Jebsen ist — anders als er behauptet — kein Journalist. Er ist ein politischer Aktivist mit einer radikalen Agenda, die Links- und Rechtsradikale vereinen soll.”

2. Gegen das Virus der Falschinformation
(tagesschau.de, Marcel Kolvenbach)
Internationale Ärzte, Virologen und Wissenschaftlerinnen wehren sich mit einem Offenen Brief gegen “das Virus der Falschinformation”. Das Thema sei auch in Deutschland evident: Dem SWR liege eine “NewsGuard”-Studie vor, die sich mit den “Superspreadern” in Deutschland beschäftige. Dort habe man elf Facebook-Seiten identifiziert, die Falschinformationen zur Corona-Pandemie an eine besonders große Gefolgschaft verbreiten würden. Konkret erwähnt: RT Deutsch, “Der Wächter”, “Frieden Rockt”, Dr. Ruediger Dahlke, “Compact”, “Anonymous Deutschland”, “Augen Auf”, “Freidenkerkollektiv”, “Medizin Heute”, “Anonymous Offiziell” und “Russische Nachrichten”.

3. Brief des ARD-Freienrats wegen der Corona-Krise
(ard-freie.de, Christoph Reinhard)
Der sogenannte ARD-Freienrat versteht sich als Interessenvertretung für freie Journalistinnen und Journalisten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Er mache sich derzeit große Sorgen um die nach seinen Angaben rund 18.000 Freien, denen aufgrund der Corona-Krise die Einnahmen wegbrächen. Nun hat sich die Organisation mit einem Offenen Brief an die Verantwortlichen gewandt: “Wenn sich die Situation nicht bald ändert, gehören auch wir als Journalist*innen zu den Verlierern in der Corona-Krise. Das Programm in Hörfunk und Fernsehen sowie online und auf Social Media-Kanälen wird weitgehend von Freien gestemmt. Indirekt laufen die Sender damit also auch Gefahr, ihrem Informations- und Bildungsauftrag nicht mehr gerecht werden zu können.”

4. Overblocking: YouTube muss entsperren
(kanzleikompa.de, Markus Kompa)
Medienanwalt Markus Kompa berichtet von Löschvorgängen bei Youtube im Zusammenhang mit der Corona-Krise. Davon betroffen sei auch ein Video eines seiner Mandanten gewesen, das eine Aufforderung zum Widerstand enthalten habe. Dagegen habe sich dieser erfolgreich juristisch zur Wehr gesetzt: “Zwar hat ein privater Konzern grundsätzlich Hausrecht und kann sich aussuchen, wen er reinlässt. Nun ist YouTube/Google aber marktbeherrschend. Daher strahlen die Grundrechte auch auf einen Konzern aus, sogenannte mittelbare Drittwirkung. Ein Eingriff in die Meinungsfreiheit ist daher nur gerechtfertigt, wenn dieser nicht willkürlich geschieht. Sofern die Hausregeln und die Gesetze beachtet wurden, muss YouTube daher den Nutzer gewähren lassen.”

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5. Links zugespitzt
(sueddeutsche.de, Tobias Obermeier)
In den USA sei das Magazin “Jacobin” eines der einflussreichsten Meinungsmedien der demokratischen Sozialisten. Nun erscheint es auch in deutscher Sprache. Tobias Obermeier über die erste Ausgabe: “Die Texte scheuen sich nicht vor Zuspitzungen. Besonders schön sind Illustrationen und grafische Aufarbeitungen wie zu den ‘sozialdemokratischen Verbrechen’ oder eine Übersicht deutscher Milliardäre, die zusammen locker ein Klimaschutzprogramm der Vereinten Nationen finanzieren könnten und immer noch Milliardäre wären.”

6. Ein völlig verkehrtes Signal
(taz.de, Malte Kreutzfeldt)
Als “völlig verkehrtes Signal” bezeichnet Malte Kreutzfeldt die Entscheidung des Robert-Koch-Instituts, seine regelmäßigen Pressekonferenzen bis auf Weiteres einzustellen: “Das Robert-Koch-Institut sollte seine Entscheidung (…) schnell revidieren. Gerade jetzt, wo die Beschränkungen weiter gelockert werden und der Bund die Verantwortung weitgehend an die Länder überträgt, ist eine qualifizierte Bewertung des aktuellen Geschehens besonders wichtig.”

Riesen-Zweifel an “Bild”-Artikel

Es geht um den Begriff “Ausgangsbeschränkungen”. Und wer jetzt befürchtet, es wird hier allzu wortklauberisch, der oder die sei beruhigt: Es geht um deutlich mehr. Es geht darum, wie die “Bild”-Redaktion ein Urteil eines Verfassungsgerichts falsch wiedergibt und so die eigene Agenda in der Corona-Krise vorantreibt.

“Bild”-Redakteur Filipp Piatov schrieb vergangene Woche über einen Beschluss des saarländischen Verfassungsgerichtshofs. Dieser hatte entschieden, dass die wegen der Corona-Pandemie im Saarland geltenden Ausgangsbeschränkungen außer Vollzug zu setzen seien:

Am Dienstag entschied der saarländische Verfassungsgerichtshof, dass die Landesregierung die strengen Ausgangsbeschränkungen sofort lockern muss. Die Entscheidung des saarländischen Verfassungsgerichtshofs hat Signalwirkung für die gesamte Republik.

Denn die Richter begründen ihre Entscheidung mit massiven Zweifeln an der Wirksamkeit von Ausgangsbeschränkungen, wie sie überall in Deutschland — wenn auch in verschiedenen Ausprägungen — eingeführt wurden.

“Aus einem Vergleich der Infektions- und Sterberaten in den deutschen Bundesländern mit und ohne Ausgangsbeschränkung”, so die Richter, lasse sich “kein Rückschluss auf die Wirksamkeit der Ausgangsbeschränkung ziehen”.

Es herrscht eine merkwürdige Diskrepanz zwischen Piatovs eigener Behauptung zu den “Ausgangsbeschränkungen, wie sie überall in Deutschland — wenn auch in verschiedenen Ausprägungen — eingeführt wurden” und der einen Absatz später von Piatov zitierten Aussage des Gerichts zu “den deutschen Bundesländern mit und ohne Ausgangsbeschränkung”.

Was denn nun: Gibt es Ausgangsbeschränkungen “überall in Deutschland”? Oder gibt es in Deutschland “Bundesländer mit und ohne Ausgangsbeschränkung”?

Schaut man in den Beschluss des saarländischen Verfassungsgerichtshofs (PDF), erkennt man, dass das Gericht zwischen Ländern mit Ausgangsbeschränkungen und Ländern mit Kontaktverboten unterscheidet. Wie viele Bundesländer mit (den strengeren) Ausgangsbeschränkungen es neben dem Saarland aus Sicht des Gerichts noch gibt? Eins.

Mit Ausnahme von Bayern kennen andere Bundesländer gegenwärtig keine vergleichbare Ausgangsbeschränkung.

Eine ähnliche Entwicklung des Infektionsgeschehens hat sich in diesem Zeitraum in allen anderen Ländern vollzogen, wobei — bis auf den Freistaat Bayern — in keinem Land Ausgangsbeschränkungen, sondern lediglich Kontaktverbote auch außerhalb des öffentlichen Raums angeordnet worden waren.

Wenn die Richter aus dem Saarland also “ihre Entscheidung mit massiven Zweifeln an der Wirksamkeit von Ausgangsbeschränkungen” begründen, dann hat das erstmal nur Auswirkungen für das Saarland und vielleicht noch eine “Signalwirkung” für Bayern. Mehr nicht. In allen anderen Bundesländern sieht das Gericht schließlich überhaupt keine vergleichbaren “Ausgangsbeschränkungen”.

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Bis zu dem Beschluss galten im Saarland strengere Regeln als in anderen Ländern. Das Verlassen der Wohnung war nur aus “triftigen Gründen” gestattet. Darunter fielen unter anderen die berufliche Tätigkeit, Arztbesuche oder der Einkauf von Lebensmitteln. Diese Strenge sei inzwischen nicht mehr nachvollziehbar, so das Gericht, da bei der Entwicklung der Corona-Pandemie kein klarer Unterschied auszumachen sei zwischen Ländern mit Ausgangsbeschränkungen und Ländern mit Kontaktverboten:

Die Betrachtung der Infektions- und Sterberaten in den deutschen Bundesländern mit und ohne Ausgangsbeschränkungen zeigt keine belastbaren Gründe für die Notwendigkeit der Fortdauer der saarländischen Regelung.

Daher kippte das Gericht die Ausgangsbeschränkungen im Saarland, oder genauer: Es ließ § 2 Absatz 3 der Verordnung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie (VO-CP) teilweise außer Vollzug setzen.

Es reichte der “Bild”-Redaktion aber nicht, eine Entscheidung von gerade mal regionaler Bedeutung zu einer mit möglichen Auswirkungen für ganz Deutschland aufzublasen. Obwohl es bei dem Gerichtsbeschluss nur um eine Maßnahme ging, zog sie in der Überschrift ihres Artikels gleich alle “Corona-Maßnahmen” in “Riesen-Zweifel”:

Screenshot Bild.de - Nach Saarland-Urteil - Riesen-Zweifel ob Corona-Maßnahmen wirklich helfen

Auch das widerspricht dem Beschluss des saarländischen Gerichts. Zu den verschiedenen Maßnahmen im Saarland neben den Ausgangsbeschränkungen steht darin:

Die in der VO-CP enthaltenen vielfältigen Freiheitsbeschränkungen — die in ähnlicher Form in allen Bundesländern gelten — haben Wirkung gezeigt.

Außerdem werden die Maßnahmen als Möglichkeiten angeführt, die ein künftiges Infektionsrisiko vermindern könnten:

Es ist nicht auszuschließen, dass die Aussetzung der Ausgangsbeschränkungen mit einer allerdings geringen Wahrscheinlichkeit das Infektionsrisiko erhöhen kann. Dieses Risiko wird — dem System der infektionsschutzrechtlichen Regelungen entsprechend — vermindert, wenn durch Kontakt- und Abstandsgebote sowie durch eine im Saarland neuerdings geltende Maskentragungspflicht Übertragungswege und Übertragungsweiten verringert werden und durch Verbote von zahlenmäßig nicht beschränkten Zusammentreffen weiter bekämpft werden.

Aus dem teilweisen Außervollzugsetzen eines Absatzes eines Paragrafen einer Verordnung eines Bundeslandes versuchen Filipp Piatov und die “Bild”-Redaktion, eine Diskussion über alle “Corona-Maßnahmen” in der “gesamten Republik” zu kreieren. Seinen Artikel, in dem er so ziemlich alles falsch darstellt, was man falsch darstellen kann, beginnt Piatov übrigens mit dieser Frage:

War es ein Fehler, die Ausgangsbeschränkungen gegen die Corona-Pandemie einzuführen?

Auch darauf findet man eine Antwort in dem Gerichtsbeschluss, den der “Bild”-Redakteur eigentlich ins Feld führt, um gegen Corona-Maßnahmen zu argumentieren: Die Entscheidung der saarländischen Landesregierung sei zu dem damaligen Zeitpunkt “Teil einer mit Blick auf die betroffenen Grundrechte verantwortungsvollen Politik” gewesen.

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