Archiv für September 24th, 2021

“Bild” enthüllt öffentlich-rechtliche Verschwörung gegen die deutschen Wahlurnen

Die “Bild”-Redaktion hat sich derart in ihren Kampf gegen die TV-Konkurrenz von ARD und ZDF hineingesteigert und versucht so krampfhaft, alles links von FDP und CDU/CSU zu diskreditieren, dass sie inzwischen behauptet (und vielleicht sogar glaubt), dass die Öffentlich-Rechtlichen drei Tage vor der Bundestagswahl noch versuchen, das Wahlrecht in einer Form ändern zu lassen, dass Olaf Scholz und dessen SPD am Sonntag als sichere Sieger aus der Bundestagswahl hervorgehen.

Gestern erschien bei Bild.de dieser Artikel:

Screenshot Bild.de - Weil Ausländer und Jugendliche nicht wählen dürfen - So machen ARD und ZDF Stimmung gegen unser Wahlrecht

Gleich zu Beginn heißt es:

Jetzt sollen sogar Kinder und Ausländer an die deutschen Wahlurnen, damit es für den Scholz-Sieg reicht …

Zumindest wenn es nach den Öffentlich-Rechtlichen geht.

“Bild” meint nämlich beobachtet zu haben, dass ARD und ZDF “in den Tagen vor der Bundestagswahl immer wieder Stimmung für eine Änderung des Wahlrechts” machen und “problematisieren, Menschen würden angeblich ausgeschlossen, weil sie zu jung oder keine Staatsbürger sind.”

Das “angeblich” ist in dieser Aussage natürlich völlig überflüssig, denn tatsächlich ist es so, dass sowohl Personen, die noch nicht 18 Jahre alt sind, als auch Menschen, die keinen deutschen Pass haben, von der Bundestagswahl ausgeschlossen sind. Das gibt unter anderem das Grundgesetz so vor.

Genau diesen Umstand haben in den vergangenen Tagen also verschiedene Sendungen und Social-Media-Kanäle der öffentlich-rechtlichen Sender thematisiert. “Bild” listet sechs Beispiele auf, darunter etwa ein Instagram-Post des WDR-Politmagazins “Monitor”:

Eigentlich darf man in Deutschland bei der Bundestagswahl wählen, wenn man 18 ist und mindestens schon drei Monate einen festen Wohnsitz im Land hat. Aber man braucht auch einen deutschen Pass. Und den haben fast 9 Millionen Erwachsene, die hier leben, nicht. Obwohl sie teilweise arbeiten und Steuern zahlen.

Und ein Instagram-Post des öffentlich-rechtlichen Radiosenders Deutschlandfunk Kultur:

Das ist Franziska Wessel. Sie ist 17 Jahre alt und darf bei dieser Bundestagswahl nicht wählen. Ihr Vater wird ihr deshalb seine Stimme schenken.

In keinem der von “Bild” genannten Beispiele fordert eine der Redaktionen eine Gesetzesänderung. Sie informieren lediglich darüber, dass bestimmte Personen am Sonntag nicht wählen dürfen. Ist das reine Benennen eines Fakts also tatsächlich schon Stimmungsmache “für eine Änderung des Wahlrechts”, wie “Bild” behauptet?

Dass es in der Vergangenheit durchaus Änderungen des Wahlrechts gab, gerade beim Wahlalter, erwähnt “Bild” nicht. Dafür hat die Redaktion aber mehrere Meinungen zum Verhalten der Öffentlich-Rechtlichen eingeholt: Ein FDP-Politiker sagt, dass es befremdlich sei, “dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk Debatten konstruiert, die unser Wahlrecht untergraben.” Ein CDU-Politiker sagt, dass “ein linkes Milieu” sich “offenbar mit diesem Vorstoß einen Stimmenzuwachs” erhoffe. Und dann zitiert “Bild” noch einen Wissenschaftler:

Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter (79, Uni Passau) zu BILD: “Es ist legitim und sinnvoll, dass das Wahlrecht an Staatsbürgerschaft und Volljährigkeit gebunden ist. Es ist grotesk, dass die Öffentlich-Rechtlichen einen anderen Eindruck erwecken. (…)” Und weiter: “Es ist eine alte linke Forderung, das Wahlalter abzusenken, weil man sich erhofft, dass junge Menschen eher links wählen.”

Leider hat die “Bild”-Redaktion an dieser Stelle vergessen zu erwähnen, dass Heinrich Oberreuter nicht nur Politikwissenschaftler ist, sondern auch CSU-Mitglied.

Aus der Kombination von einem halben Dutzend öffentlich-rechtlichen Beispielen und Aussagen der SPD-Konkurrenz konstruiert “Bild” also, dass ARD, ZDF und Deutschlandradio sich dazu verschworen haben, “Kinder und Ausländer an die deutschen Wahlurnen” zu instagrammen, “damit es für den Scholz-Sieg reicht”. Das war selbst der “Bild”-Redaktion dann offenbar etwas zu irre. Sie änderte nach einigen Stunden den Artikeleinstieg heimlich. Er lautet nun:

Sollen künftig auch Kinder und Ausländer an die Wahlurnen, damit erhoffte Mehrheiten zustande kommen?

Zumindest, wenn es nach den Öffentlich-Rechtlichen geht.

Das ist zwar weniger konkret, aber nicht weniger verschwörerisch.

Nachtrag, 21:17 Uhr: Dass “Bild” in diesem Zusammenhang einen FDP-Politiker zitiert, ist interessant. Und dass dieser den Öffentlich-Rechtlichen ein Untergraben des Wahlrechts vorwirft, ist etwas kurios. Denn im Wahlprogramm der FDP (PDF, Seite 40) steht:

Wir Freie Demokraten fordern eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre für die Wahlen zum Deutschen Bundestag und Europäischen Parlament.

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Corona-Radikalisierung von “Bild”, Klimakrise verschlafen, Elefanten

1. Die Corona-Radikalisierung von “Bild” und der Mord von Idar-Oberstein
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Medienkritiker Stefan Niggemeier hat sich angeschaut, wie “Bild” über den Mord von Idar-Oberstein berichtet hat, und dies in Relation zur sonstigen Corona-Berichterstattung gesetzt. Sein Fazit: “Aus legitimer und notwendiger Kritik an Maßnahmen im Namen der Corona-Bekämpfung ist bei ‘Bild’ in den vergangenen Monaten eine rasende Wut auf ‘die’ Politik und den Staat geworden. Das Blatt hält zwar Abstand zu Querdenkern und der AfD – aber nicht zu vielen ihrer Positionen. Gleichzeitig befeuert sie mit ihrer Radikalität immer neu deren Wut.”

2. Wie österreichische Medien in den deutschen Wahlkampf eingreifen
(correctiv.org, Tania Röttger & Alice Echtermann & Till Eckert)
Recherchen von “Correctiv” und “Undone” zeigen: Österreichische Medien verbreiten Desinformation in Deutschland und mischen sich so in die Bundestagswahl ein. Dahinter stecke ein Netzwerk mit dubioser Finanzierung und zahlreichen Verbindungen zur rechten Szene. Die spannenden Enthüllungen sind auch als Podcast im Rahmen der Serie “Noise” erschienen: Vienna Calling (Audio: 30:01 Minuten). Eine Rekonstruktion der Desinformation in Deutschland vor der Bundestagswahl gibt es hier als Text und hier als interaktive Grafik.

3. Was ist mit den Medien los? Eine Kritik der Wahlberichterstattung.
(twitter.com/MalteHeynen)
Auf Twitter hadert der Journalist Malte Heynen mit seiner Zunft. Fast alle Medien würden die Klimakrise verschlafen: “Klima ist nur ein Thema unter vielen. Irgendwo zwischen Panorama und Sport, Autotests und Börsenberichten. Auch die meisten Headlines zeigen nicht, wie dramatisch die Lage ist. Das muss sich dringend ändern.” Union und SPD hätten beim Klimaschutz versagt, ein Versagen, das die Menschheit gefährde. Heynens bittere Schlussworte: “Wenn Medien es nicht schaffen, dieses Versagen herauszuarbeiten, machen sie ihren Job nicht.”

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4. Bundesregierung darf nicht länger zögern
(reporter-ohne-grenzen.de)
Die Rettung afghanischer Journalistinnen und Journalisten durch die Bundesregierung geht nach Ansicht von Reporter ohne Grenzen (RSF) zu schleppend voran. Nicht nachvollziehbar bleibe die Entscheidung, nach einem bestimmten Stichtag keine Fälle mehr anzunehmen: “Noch immer erreichen RSF täglich verzweifelte Hilferufe afghanischer Journalistinnen und Journalisten, die es nicht geschafft haben, mit einem Evakuierungsflug aus Kabul gerettet zu werden oder in Drittstaaten Gefahr laufen, aufgegriffen und nach Afghanistan zurückgeschickt zu werden.”

5. Podcast-Nutzung steigt rasant, Werbemarkt dreht ins Plus
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Die Einschaltquotenmesser der AGF melden einen rasanten Anstieg der Podcast-Nutzung. Laut aktuellem “Convergence Monitor” sei die Zahl der Personen, die mindestens einmal im Monat einen Podcast hören, im Vergleich zum Vorjahr um satte 42,6 Prozent gestiegen. Uwe Mantel hat sich ein paar interessante Zahlen aus der Erhebung herausgepickt und liefert weitere Neuigkeiten aus dem Bereich Audio.

6. Fernsehmomente der Wahrheit
(deutschlandfunk.de, Annika Schneider)
Beim Deutschlandfunk blickt Nikolaus Brender, ehemaliger Chefredakteur des ZDF, auf die sogenannten Elefantenrunden der Spitzenpolitiker am Wahlabend zurück. Als Moderator bereite man sich tagelang auf unterschiedlichste Varianten vor, aber mit dem Auftritt von Noch-Kanzler Gerhard Schröder im Jahr 2005 habe er nicht gerechnet. War Schröder an dem Abend angetrunken, wie von vielen vermutet? Nein, so Brender: “Mein Eindruck war, dass Gerhard Schröder keinen Alkohol getrunken hatte – das waren die Endorphine.”