Archiv für September 14th, 2021

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Eckstein, Eckstein, niemand wird versteckt sein

Eine momentan ganz beliebte Erzählung von Politikern der CDU und CSU geht so: Die SPD und ihr Spitzenkandidat Olaf Scholz sollen die prominenten Vertreter des linken Parteiflügels verstecken, damit diese mit ihren Ideen und Aussagen nicht Scholz’ erfolgreichen Wahlkampf torpedieren können. Das SPD-Führungsduo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sollen genauso wie der ehemalige Juso-Chef und heutige stellvertretende Bundesvorsitzende Kevin Kühnert also nicht in die Öffentlichkeit gelassen werden.

Gestern Abend in der “Bild-TV”-Sendung “Viertel nach Acht” hat sich “Bild”-Moderatorin Nena Schink dieser Erzählung angeschlossen:

Der eigentliche Erfolg von Olaf Scholz war doch gar nicht gestern im Triell die Leistung, nein, der eigentliche Erfolg von Olaf Scholz ist, wie er seine Leute im Griff hat. Ich meine, dass Saskia Esken die Einladung zu Anne Will ausschlug, das ist der große Erfolg von Olaf Scholz. Und das ist das, wofür man ihn loben sollte: Dass er es schafft, Enteignungs-Kevin, Versteck-mich-Saskia und den Corona-Hampelmann Lauterbach einfach zu verstecken und damit auch die linken Phantasien.

“Bild”-Chef Julian Reichelt, der ebenfalls in der “Bild-TV”-Sendung sitzt, erzählt zwar, dass Kevin Kühnert aus dem Vorwurf “ein teilweise sehr unterhaltsames Spiel” mache, indem er bei Twitter regelmäßig darauf hinweist, in welcher Talkshow er sich diesmal versteckt; aber auch Reichelt sagt:

Ich habe ja auch das Gefühl, dass das durchaus bewusst ist, dieses Verstecken von manchen Figuren, die vielleicht nicht wirklich zum sehr geschmeidigen, sehr bürgerlichen Auftritt von Olaf Scholz passen wird.

Da haben Recherche-Julian und Fakten-Hampelfrau Schink entweder so gar nicht aufgepasst und einfach nur ahnungslos irgendwas nachgeplappert. Oder sie wissen es eigentlich besser und erzählen bewusst etwas Falsches. Denn dass Saskia Esken, Norbert Walter-Borjans, Kevin Kühnert und Karl Lauterbach “einfach versteckt” werden, ist schlicht Blödsinn. Hier mal eine kleine Übersicht, nur aus dem bisher 14 Tage alten September:

Man kann die SPD und die Vertreter des linken Parteiflügels gern völlig daneben finden. Man sollte dann aber nicht irgendwelche Unwahrheiten über sie verbreiten.

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Offenlegung: Für unser Buch “Ohne Rücksicht auf Verluste” hat Kevin Kühnert das Nachwort geschrieben.

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Townhall vs. Triell, Obrigkeitshöriges Genre, Attila Hildmann offline

1. Mehr Erkenntnisgewinn durch Wählerfragen
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers & Christina Holtz-Bacha & Christoph Sterz, Audio: 5:57 Minuten)
Schon während des zweiten TV-Triells gab es in den Sozialen Medien Kritik am Moderatorenteam. Bei Oliver Köhr (ARD) und Maybrit Illner (ZDF) habe hinsichtlich der Diskussionsführung Chaos und Uneinigkeit geherrscht. Außerdem seien wesentliche Themen nicht berücksichtigt worden. Die Kommunikationswissenschaftlerin Christina Holtz-Bacha bevorzugt ein sogenanntes Townhall-Format wie die “Wahlarena” in der ARD, wo Wählerinnen und Wähler Fragen stellen können: “Das ist viel lehrreicher, da geht es mehr um die alltäglichen Probleme der Wählerschaft.”

2. “Wahres Tatsachensubstrat”
(arminwolf.at)
Der österreichische “Kurier” druckte im Januar ein ganzseitiges Inserat mehrerer Vereine ab, die sich gegen die Corona-Maßnahmen wandten. In einem Kommentar distanzierte sich die Zeitung von den Inhalten. Man habe sich trotzdem zum Abdruck entschieden, da “wir Meinungsfreiheit für ein unantastbares Gut halten”. Als Armin Wolf den “Kurier” dafür auf Twitter kritisierte, flatterte ihm Anwaltspost von den Leuten ins Haus, die offenbar hinter dem Inserat stehen.

3. Die Verantwortung der Krimi-Autor*innen: Einige Forderungen an ein obrigkeitshöriges Genre
(54books.de, Till Raether)
Der Schriftsteller Till Raether verfasst unter anderem Kriminalromane. In einem bemerkenswert offenen Text spricht er über die Zweifel an seinem Umgang mit dem Genre. Zu Beginn seiner Laufbahn als Krimi-Autor sei er zwei Irrtümern aufgesessen: “Irrtum 1: Das Genre Kriminalroman enthebt mich als Autor von der Verantwortung, mich mit der Realität des von mir benutzten Materials auseinanderzusetzen, weil Genre sich aus Fiktionalitäts-Markern zusammensetzt. Irrtum 2: Polizei ist cool. Denn: Die Waffen. Die Uniformen. Die Büros. Das Blaulicht. Die Rituale. Die Ermächtigung. Die Gewalt.” Lesenswert für jeden Krimi-Fan, da es neue Perspektiven öffnet.

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4. Der engste Vertraute zerstört Attila Hildmann
(t-online.de, Lars Wienand)
Die Hacker-Gruppe Anonymous hat Telegram-Kanäle und Websites von Attila Hildmann vom Netz genommen. Der ehemalige Kochbuch-Autor hatte über den Messenger rechtsextremistische, antisemitische und verschwörungsideologische Inhalte an seine teilweise mehr als 100.000 Abonnenten ausgespielt. Die Aktion wäre nicht möglich gewesen ohne den ehemaligen IT-Administrator Hildmanns, der die Zugangsdaten an das Hacker-Kollektiv weitergab.

5. Journalisten klagen gegen Bayern
(verdi.de)
Vier Journalisten klagen gegen den Freistaat Bayern. Die Pressevertreter waren am 9. September auf dem Gelände der Internationalen Automobil-Ausstellung von Polizeibeamten angehalten, kontrolliert und in Gewahrsam genommen worden – trotz mehrfacher Hinweise auf ihre Akkreditierungen, der bereits am Eingang erfolgten Kontrolle und des Vorzeigens ihrer Presseausweise. Der sie vertretende Rechtsanwalt kommentiert: “Freiheitsentziehung und Durchsuchung sind schwerwiegende Grundrechtseingriffe, erst Recht gegenüber Pressevertretern. Die Polizei ist dabei insbesondere an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden. Da die Polizei München keine Einsicht zeigt, wird sie die rechtliche Grundlage für ihr Vorgehen nun dem Verwaltungsgericht erläutern müssen.”

6. klimaneutral
(journalist.de, Sebastian Pertsch & Udo Stiehl)
Sebastian Pertsch und Udo Stiehl werfen im Rahmen ihres Projekts “Floskelwolke” einen sprach- und medienkritischen Blick auf vielbenutzte Formulierungen. Diesmal kritisieren sie den inflationär verwendeten Begriff “grün” und das Wort “klimaneutral”.