Archiv für November, 2016

Prinz Harry wehrt sich gegen den britischen Boulevard

Beim Blick auf die Titelseiten britischer Boulevardblätter, könnte man fast täglich sagen: “Jetzt haben die aber eine Grenze überschritten.” Für Prinz Harry war es in der vergangenen Woche offenbar soweit. Sein “Communications Secretary” hat heute ein Statement im Namen des Prinzen veröffentlicht:

But the past week has seen a line crossed. His girlfriend, Meghan Markle, has been subject to a wave of abuse and harassment. Some of this has been very public — the smear on the front page of a national newspaper; the racial undertones of comment pieces; and the outright sexism and racism of social media trolls and web article comments.

Dieser Absatz ist für viele Leute deswegen so bemerkenswert, weil dort zum ersten Mal offiziell bestätigt wird, was bisher nur ein Gerücht war: Dass die Schauspielerin Meghan Markle die neue Freundin von Prinz Harry ist. Er ist aber auch deswegen so bemerkenswert, weil ein derart direkter Angriff des Kensington Palace in Richtung eines Teils der britischen Medien nicht häufig vorkommt.

Weiter heißt es in dem Statement:

Prince Harry is worried about Ms. Markle’s safety and is deeply disappointed that he has not been able to protect her. It is not right that a few months into a relationship with him that Ms. Markle should be subjected to such a storm.

Es werden keine konkreten Artikel genannt, die “such a storm” verursacht hätten. Aber es sind die üblichen Verdächtigen, die in den vergangenen Tagen richtig aufgedreht haben. Da wäre zum Beispiel “The Sun”, die vor vier Tagen so titelte:

In dem kleinen Teaser unten rechts geht es um Meghan Markle. Es sollen “steamy scenes” von ihr bei “Pornhub” zu sehen sein, schreibt “The Sun”, was nicht völlig falsch ist, allerdings handelt es sich dabei nicht um Pornos, sondern um Bett-Szenen aus der Serie “Suits”, in der Markle mitspielt. Und diese Szenen hat eben irgendjemand bei “Pornub” hochgeladen. Mit “smear on the front page of a national newspaper” dürfte dieses “Sun”-Cover gemeint sein.

Bei den “racial undertones of comment pieces” könnte sich der “Communications Secretary” des Prinzen auf die “Mail on Sunday” beziehen. In einem Kommentar schreibt Rachel Johnson dort über Meghan Markle:

Genetically, she is blessed. If there is issue from her alleged union with Prince Harry, the Windsors will thicken their watery, thin blue blood and Spencer pale skin and ginger hair with some rich and exotic DNA. Miss Markle’s mother is a dreadlocked African-American lady from the wrong side of the tracks who lives in LA

Wie radikal die britischen Boulevardmedien ihre eigene Rolle in dem aktuellen Fall verstehen, zeigt eine Drohung ein Zitat von Katie Nicholl, Königshaus-Korrespondentin der “Mail on Sunday”, das der “Guardian” rausgesucht hat:

“Any journalist worth their salt will leave no stone unturned,” said Katie Nicholl, royal correspondent of the Mail on Sunday, in an interview on LBC radio. “If he really wants this to go away there is one or two things he could do. You give the press what they want. You make a statement, or you give an interview or you issue a picture. There has not been one picture of them together. Fleet Street will not rest until they have got their picture of them together and they have got some words either from Prince Harry or Meghan about the relationship.”

Ein Halbsatz aus der Veröffentlichung des Kensington Palace schlägt dann übrigens noch die Brücke zur deutschen Regenbogenpresse, wenn auch nicht zwingend gewollt:

He [Prinz Harry] has rarely taken formal action on the very regular publication of fictional stories that are written about him

Gerade erst gestern hat “Das goldene Blatt” diese Tatsachenbehauptung über Harry und seine frühere Freundin Chelsy Davy in die Welt gesetzt:

Das dürfte angesichts des heute veröffentlichten Statements sehr, sehr, sehr, sehr, sehr, sehr unwahrscheinlich sein.

We are BILDblog. And we don’t approve this message.

An der US-Präsidentschaftswahl gibt es heute kein Vorbeikommen. Egal ob “Spiegel Online”, “Zeit Online” oder sueddeutsche.de, Radio- oder Fernsehsender — alle berichten breit und ausführlich. Und selbst auf der Bild.de-Startseite hat es das Duell zwischen Hillary Clinton und Donald Trump immerhin an Nachrichtenplatz Nummer zwei geschafft. Nur das Hickhack zwischen Sarah und Pietro Lombardi hält die Redaktion für noch wichtiger:

Klar, dass auch stern.de über die US-Wahl berichtet. Das Portal hat sich unter anderem das abschließende Wahlwerbe-Video von Hillary Clinton angesehen, das das Team der Demokratin gestern bei Facebook gepostet hat:

Clinton wirke in dem Video “ruhig und besonnen”, schreibt stern.de, sie mache darin “ein Friedensangebot an alle Trump-Anhänger” und spiele “auf die immer wiederkehrenden düsteren Zukunftsmalereien an, derer sich Donald Trump im Wahlkampf so oft bedient hat”. Der Namen von Donald Trump falle aber “kein einziges Mal und doch weiß jeder, wer gemeint ist. Damit gelingt ihr ein kluger Schachzug. Trump muss nicht mehr beim Namen genannt werden. Jeder weiß, worum es geht.”

Und dann noch das:

Ihren Wahlaufruf schließt Clinton mit einem Satz, den Donald Trump berüchtigt gemacht hat. “I am Hillary Clinton and one last time: I approve this message”, sagt sie lächelnd in die Kamera (zu deutsch: “Ich bin Hillary Clinton und zum letzten Mal: Ich genehmige diese Botschaft”). Trump pflegte während des Wahlkampfs seine Werbevideos mit den Worten abzuschließen: “I am Donald Trump. And I approve this message”.

Treffer, versenkt — könnte man meinen. Bloß: Der abschließende (oder manchmal auch einleitende) Satz “I approve this message” ist keine Trump’sche Erfindung oder Eigenart des Republikaners, sondern eine Vorschrift für Wahlwerbung in den USA. Der “Bipartisan Campaign Reform Act” von 2002 schreibt seine Verwendung in Wahlwerbung von Kandidaten für bundesweite Ämter vor.

Es handelt sich bei Hillary Clintons Verabschiedung also nicht um einen ausgeklügelten Seitenhieb Richtung Donald Trump, sondern um eine schlichte Formalie.

Mit Dank an Conny S. für den Hinweis!

“6 vor 9”-Sonderausgabe: US-Wahl

1. “Was Sie zur Wahl wissen müssen” (Links im Text)
(diverse)
Heute schaut die ganze Welt nach Amerika und die dort stattfindende Präsidentschaftswahl. Viele Medien erklären noch einmal den genauen Ablauf, meist unter Verwendung der beliebten “Was Sie wissen müssen”-Formel:

Welt.de schreibt, “Worauf Sie in der Wahlnacht achten sollten”. Bei “Spiegel Online” steht, “Was Sie jetzt zur US-Wahl wissen müssen”. Sueddeutsche.de verrät ebenfalls, “Was Sie zur US-Wahl wissen müssen”. Bei “N24” heißt es: “Das sollten Sie über die Wahlnacht wissen”. Merkur.de variiert leicht mit “US-Wahl 2016: Das müssen Sie zum amerikanischen Wahlsystem wissen”. Und “Zeit Online” kürzer: “So läuft die US-Wahl ab”.

2. Die allerletzten Worte
(zeit.de, Rieke Havertz)
Nachdem der Wahlkampf (fast) vorüber ist, entscheiden jetzt die Wähler. Nun heißt es, keine Fehler zu machen (siehe dazu auch: “Mitarbeiter nehmen Trump Twitter-Account weg”) und in den letzten Reden auf einfache Botschaften, starke Emotionen und Symbole zu setzen, analysiert Rieke Havertz: “Die Worte passen sich den Themen der Zeit an, das Drehbuch bleibt stets gleich. Doch wohl noch nie war die wiederkehrende Phrase über das auf dem Spiel stehende Schicksal Amerikas so wahr wie in dem Wahlkampf zwischen Hillary Clinton und Donald Trump, der nun endlich sein Ende gefunden hat.”

3. Hillary Trump gegen Amerika
(heute.de, Ulf Röller)
Ulf Röller, Leiter des ZDF-Studios in Washington, zieht eine Wahlkampfbilanz: “Was für eine Wahl? Das Wort Schlammschlacht trifft es nicht. Es ist leider mehr gewesen. Machtkämpfe sind immer hart und schmutzig, besonders in Amerika. Aber diesmal stieß das Land, das sich für außergewöhnlich hält, für eine von Gott gewählte Nation, in neue, furchteinflößende Dimensionen vor.”

4. How Foreign Journalists Here Try To Explain The U.S. Election Back Home
(npr.org, Hannah Bloch)
Das “National Public Radio” hat Auslandskorrespondenten nach ihren Eindrücken vom amerikanischen Wahlkampf gefragt: Alberto Flores d’Arcais von “La Repubblica”, Joyce Karam von “Al-Hayat”, Matthias Kolb von der “Süddeutschen Zeitung” und Tolga Tanis von “Hurriyet”. Herausgekommen sind einige interessante Wahrnehmungen und Beobachtungen von außen, die auch die jeweils anderen Kulturkreise widerspiegeln.

5. A!154 – Amerika (Staffelfinale)
(aufwachen-podcast.de, Tilo Jung, Stefan Schulz & Andreas Cichowicz, Audio, 2:51 Stunden)
Fast drei Stunden widmet das “Aufwachen”-Podcast-Team um Stefan Schulz und Tilo Jung dem “Staffelfinale” zur US-Wahlkampfberichterstattung. Im Gespräch zu Gast: “NDR”-Chefredakteur Andreas Cichowicz, der vor Ort die “ARD”-Sendungen zum Wahlabend vorbereitet.

6. LdN028 Erdoganokratie, Bundeswehr-Recruiting, Trumps Psychotricks, Brexit nur mit Parlament
(kuechenstud.io, Philip Banse & Ulf Buermeyer, Audio, 1:05 Stunden)
Hörenswert auch der Podcast “Lage der Nation”, in dem die Wissenschaftlerin Elisabeth Wehling Trumps Psychotricks (“Framing”) erklärt (ab Minute 17:26). Es handelt sich dabei um Ausschnitte ihres Vortrags “Politik, Stimmungen und Emotionen — Beobachtungen aus dem US-Präsidentschaftswahlkampf”, den sie auf der “Deutschlandfunk”-Konferenz “Formate des Politischen” gehalten hat.

Monetarismus-Dilemma, Kalkofe-Kritik, Volksverhetzungsbutton

1. Zur Not auch ohne Print
(sueddeutsche.de, Viola Schenz)
“New York Times”-CEO Mark Thompson erklärt seine Strategie für die Zukunft des Medienunternehmens und die liegt (natürlich) im Digitalen. Die Zeitung hat wie fast alle anderen Medien mit einer sinkenden Druckauflage zu kämpfen, investiert jedoch konsequent in ihren Netzauftritt. Bis 2020 will Thompson die Digitaleinkünfte auf 800 Millionen Dollar verdoppeln.

2. Keine Angst vor dem Publikum
(de.ejo-online.eu, Marlis Prinzing)
Der Weltverband der Zeitungen (WDZV) hat Standpunkte von 78 Medienhäusern aus weltweit 46 Ländern zum Umgang mit Leserkommentaren erfasst. In vielen Redaktionen herrsche Furcht: “Schadet es dem Ruf der Zeitung, wenn Nutzer sich im Ton vergreifen? Wer haftet dann? Lohnt es sich überhaupt, in die Kommentar-Moderation zu investieren? Weil sie keine klaren Antworten sehen, ermöglicht jede fünfte keine Nutzerkommentare mehr oder leitet den Publikumsdiskurs von den eigenen Kanälen um auf Facebook und andere soziale Medien.” Prinzing rät dazu, den Draht zum Publikum nicht abreißen zu lassen und blickt auf Best-Practice-Beispiele wie die “New York Times” und “Dawn” aus Pakistan, die sich konsequent in die Diskussion einschalten.

3. So klischeehaft berichten Medien über Unternehmerinnen
(gruenderszene.de, Kim Richters)
Kim Richters weist auf eine neue Studie des Instituts für Mittelstandsforschung hin. Darin wurde untersucht, wie sich die Berichterstattung über Unternehmerinnen und Gründerinnen in den vergangenen Jahren veränderte. Ergebnis der Studie: Es wird immer noch zu selten über Frauen berichtet, obwohl diese ein Drittel aller Selbstständigen ausmachen. Und wenn dann über sie berichtet werde, dann oft klischeehaft und mit Bemerkungen über ihr Aussehen.

4. Ein §130-Button, aber schnell!
(taz.de, Roberto de Lapuente)
Facebook sei zum Tummelplatz für Rassisten geworden, so Roberto de Lapuente in seinem Debattenbeitrag auf “taz.de”. Lapuente fordert Konsequenzen auf verschiedenen Ebenen: Um das Melden von Hasskommentaren zu erleichtern, soll es gleich neben dem „Gefällt mir“-Button auch einen Volksverhetzungsbutton mit „§130“-Icon geben. Bei volksverhetzenden Kommentaren soll es eine Meldepflicht des Unternehmens an die Behörden geben. Und Facebook soll bei Beleidigungen oder Angriffen auf Privatpersonen zur Beweissicherung verpflichtet werden.
Nun denn, die Reaktion des Unternehmens auf derartige Vorschläge kann man sich wohl vorstellen.

5. Blocker und Keule
(medienwoche.ch, Anne-Friederike Heinrich)
Die Chefredakteurin der “Werbewoche” Anne-Friederike Heinrich beschäftigt sich mit dem Monetarismus-Dilemma der Medien: “Wie bringt man den mit Kostenlosmedien verwöhnten Nutzern bei, dass Journalismus etwas kostet? Mit sanftem Druck oder mit dem Holzhammer?”

6. oliver kalkofe ist gegen eigenwerbung
(wirres.net, Felix Schwenzel)
Felix Schwenzel äußert sich kritisch über einen Oliver-Kalkofe-Clip, in dem dieser die Youtuberin “Bibi” aufs Korn nimmt. Schwenzel wirft Kalkofe unter anderem Doppelmoral vor: “werbung machen für eigene produkte ist verachtenswert? kurz nach seiner bibi-nachäffung kann man im video sehen, wie kalkofe werbung für seine sendung auf dem premium-kanal tele5 macht, seine twitter- und facebook-kanäle anpreist und (seine „dummen“ fans?) dazu auffordert seinen youtubekanal zu abonnieren.” (Schwenzelsche Kleinschreibung im Original belassen)

CreateHetze, Roboterjournalismus, Faktenchecker

1. Amazon: Volksverhetzung on Demand?
(carta.info, Leonard Novy)
Ist Amazon mit seinem Angebot “CreateSpace” nur ein Druckdienstleister oder ein Verlag? Eine wichtige Frage, wenn es um die Einordnung von Inhalten geht. Auf jeden Fall verdient der Internet-Gigant an rassistischer Hetze und Nazipropaganda tüchtig mit, wie Leonard Novy anhand eines Beispiels deutlich macht. “Sex, da hält es Amazon mit Apple, geht gar nicht. Mit Rassismus, Hate Speech oder dem, was in Deutschland unter Paragraf 130 des Strafgesetzbuches als Volksverhetzung beschrieben wird, scheint das Unternehmen hingegen weniger Probleme zu haben.”

2. Roboterjournalisten setzen die Agenda
(faz.net)
“Roboterjournalismus” eignet sich besonders für Börsennachrichten und Sportberichterstattung. Nun haben die Algorithmen auch den amerikanischen Wahlkampf erreicht. Medien wie “New York Times”, “Washington Post” und “CNN” würden sich bereits der Technik bedienen. Viele Leser würden den Unterschied nicht erkennen, manche den Roboter für glaubwürdiger halten.

3. Rettet die Fakten!
(medienwoche.ch, Adrian Lobe)
Adrian Lobe geht dem weltweiten Boom der sogenannten Faktencheck-Portale nach. Können Faktencheck-Seiten tatsächlich politisch neutral und unabhängig verifizieren? Und kann man Maschinen diese Aufgabe überlassen? “Der Irrtum der Entwickler ist, dass sich der Konsens über Fakten nicht automatisieren lässt, sondern nur in einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung zu finden ist. Das Zeitalter der Fakten mag vorbei sein. Jenes der demokratischen Deliberation aber sicher nicht.”

4. Warten auf den Untergang
(taz.de, Markus Sehl)
Ende dieses Monats wird “Zaman” eingestellt, eine der einst auflagenstärksten türkischen Tageszeitungen in Deutschland. In der Türkei war die Mutterredaktion bereits vor einem halben Jahr gestürmt und unter staatliche Kontrolle gebracht worden. Das Blatt steht der Bewegung des islamischen Predigers Fetullah Gülen nahe, der von der Türkei für den gescheiterten Putsch verantwortlich gemacht wird. “taz”-Autor Markus Sehl hat mit einem der letzten deutschen Redakteure gesprochen.

5. Ein liberales Blatt will mehr Resonanz, aber ohne Radau
(nzz.ch, Urs Hafner)
Urs Hafner hat die Macher des “Schweizer Monats” besucht. Die 1921 gegründete “Autorenzeitschrift für Politik, Wirtschaft und Kultur” kann auf eine beeindruckende Vergangenheit mit vielen bekannten Namen zurückblicken. Profilbildend war und ist der politische Liberalismus, doch was bedeutet das für die neue Generation von Redakteuren? Hafner bezeichnet das Blatt als “unterschätzt” und prognostiziert: “Wenn der «Schweizer Monat» seinen Kurs weiterverfolgt und noch mehr gescheite Analysen bringt, die nicht vorhersehbar in die Litanei über die staatliche Gängelung des mittelständischen Individuums münden, wenn er zudem bedenkt, dass man sich die vielbeschworene Freiheit auch leisten können muss, wird er weiter an Resonanz gewinnen.”

6. Grob fahrlässig
(sueddeutsche.de, Karoline Meta Beisel)
Im November 2014 veröffentlichte der “Rolling Stone” eine Reportage über eine angebliche Massenvergewaltigung an der Universität Virginia. Mit Folgen: Der Bericht löste in den USA eine nationale Debatte über sexuelle Übergriffe auf Studenten aus. Nun stellt sich heraus, dass sich die Geschichte nicht so zugetragen hat. Auf den “Rolling Stone” kommen beträchtliche Schadensersatzforderungen zu, und der Imageschaden ist gewaltig.

Warum schaffen es viele Medien nicht, Oettinger einen Rassisten zu nennen?

Selbstverständlich hätte es in dieser Ausgabe der “Politically Correct!”-Kolumne eigentlich um Carolin Emcke gehen müssen, denn wann passiert in Deutschland schon mal so was wie diese Rede? Stattdessen müssen wir uns jetzt mit ihrem in jeder denkbaren Hinsicht diametralen Gegenstück befassen. Auch weil sie, die Oettinger-Rede, anders als die von Emcke nicht einmalig ist, sondern täglich so oder ähnlich tausende Male in Deutschland gehalten wird.

All das, was Theaterautor, Blogger und Marketingexperte Johannes Kram schon so gemacht hat, würde nicht in diese Box passen. Deswegen hier unvollständig und im Schnelldurchlauf: Nicht nur, aber auch wegen seiner Medien-Kampagne ist Guildo Horn zum “Eurovision Song Contest” gekommen. Den “Waldschlösschen-Appell” gegen Homophobie in Medien hat er initiiert. Sein “Nollendorfblog” bekam eine Nominierung für den “Grimme Online Award”. Und mit “Seite Eins — Theaterstück für einen Mann und ein Smartphone” hat er Boulevard-Kritik auf die Bühne gebracht. Dafür ein herzliches Dankeschön vom BILDblog.

Natürlich hat Günther Oettinger sich nicht rassistisch, homophob oder sonst wie herablassend geäußert. Würde er so was tun, wäre er schließlich nicht EU-Kommissar. Da er das aber ist — also nicht rassistisch, sondern EU-Kommissar –, müssen viele das irgendwie falsch verstanden, aus dem Zusammenhang gerissen, den ironischen Tonfall, die lockere Zunge nicht kapiert haben.

Wäre Oettinger AfD-Mitglied, wäre die Sache anders. Die AfD ist schließlich eine rassistische Partei, deswegen muss sie ja auch bekämpft werden. Im aktuellen “Spiegel” gibt es ein Essay darüber, “wie dafür gesorgt werden kann, dass die AfD Wähler verliert”.

Deutsche Medien geben sich sehr viel Mühe, die AfD zu “entlarven”, den Menschen zu erklären, dass die AfD eine Partei ist, die sie nicht wählen sollen. Es scheint fast so, als hätten wir weniger Rassismus in Deutschland, wenn es weniger AfD gäbe, als müsse man AfD-Wähler nur davon überzeugen, etwas Anderes zu wählen, damit sie weniger rassistisch sind.

Was deutsche Medien hingegen verblüffend selten zu entlarven versuchen, ist der Rassismus. Es scheint fast so, als müsse sich in Deutschland niemand einen Rassisten nennen lassen, solange er keine Asylbewerberheime anzündet, als hätte in einem Land, in dem sich nicht mal die Nazis als Nazis bezeichnen, die Aussage, “gegen Nazis” zu sein, schon irgendeinen Wert.

Als sei die Gesellschaft durch eine Mauer getrennt, die zwischen Rassisten und Nicht-Rassisten verläuft, so, als ob die einen sich alles vorwerfen lassen müssten und die anderen nichts, als ob es darum ginge, möglichst viele Menschen auf die gute Mauerseite zu ziehen, anstatt darum zu erklären, dass es diese Mauer gar nicht gibt.

So führen auch begründete Rassismusvorwürfe nicht dazu, über Rassismus zu reden. Hätte jener Tag, an dem Günther Oettinger sich per “Welt”-Interview als rassismusfrei erklärte, nicht der Tag sein müssen, an dem Medien zum Thema machen, dass das und warum das so einfach eben nicht geht?

Wäre es nicht Aufgabe deutscher Medien gewesen, den Erklärungsdruck zu erzeugen, der jetzt aus China kam und immerhin dazu geführt hat, dass Oettinger nicht weiter so tun kann, als sei in Wahrheit gar nichts passiert? Sahen nicht überraschend viele Medien Oettinger weniger als Täter, sondern als Opfer des nervigen deutschen Gutmenschentums?

An dem Tag, als Oettinger dachte, mit seinem “Welt”-Interview diese lästige Geschichte beenden zu können, sah das offensichtlich ein Großteil der Journalisten genauso. Nicht nur bei “Spiegel Online” waren die obersten Meldungen wieder irgendwas mit Trump. Eines der merkwürdigsten deutschen Medienphänomene zurzeit ist die Diskrepanz zwischen dem größtmögliche Staunen und Empören über das, was bei Trump als eindeutig rassistisch und abwertend benannt wird, und der Weigerung, ähnliche Maßstäbe bei der Betrachtung von Geschehnissen in Deutschland auch nur in Erwägung zu ziehen.

Ja, klar ist Oettinger auch ein notorischer Dummbrabbler, er hat versucht, lustig zu sein, seine Worte waren nicht für eine große Öffentlichkeit bestimmt. Ja, klar ist es gut, wenn ein Politiker auch mal “frei von der Leber” drauflosreden kann. Aber was davon relativiert seine Homophobie und seinen Rassismus?

“Wenn Sie sich rassistisch äußern, dann sind Sie verdammt noch mal ein Rassist”, sagt Dunja Hayali. Warum gilt das nicht für den EU-Kommissar?

Trauen sich viele Medien nicht, Oettinger einen Rassisten zu nennen, weil sie dann ihren Zuschauern und Lesern erklären müssten, dass sie es vielleicht auch sind? Oder sind der oettingersche Rassismus, sein Sexismus und seine Homophobie in Deutschland so alltäglich, so selbstverständlich, dass sie als solche kaum erkannt werden können?

Es stimmt einfach nicht, was in diesen Tagen so oft behauptet wird: Dass jede nicht politisch korrekte Äußerung in den Medien einen riesigen Shitstorm zur Folge hat. Es ist eher andersrum so, dass jeden Tag Erstaunliches gesendet und geschrieben wird, ohne dass jemand ernsthaft darüber staunt. Ist die Aufmerksamkeit vieler Medien so sehr darauf ausgerichtet, den Rassismus in der AfD aufzuzeigen, haben sie sich so sehr daran gewöhnt, Rassismus bei pöbelnden rechtschreibschwachen Menschen zu dokumentieren, dass sie ihn sich bei netten gebildeten Menschen ohne AfD-Hintergrund gar nicht mehr vorstellen können?

Wie zum Beispiel bei Luke Mockridge, der am letzten Sonntag in seiner “Sat.1”-Show wohl etwas Lustiges über Musicals sagen wollte, sich dann aber doch lieber auf einen altbewährten Brüller verließ:

Ich war bei “High School Musical”, hab’ ich mitgespielt, kanadische Bühnenproduktion, ich war der Schwarze, es wurde nach Penislänge gecastet, ich habe die Rolle be …

Weil das Publikum begeistert lacht, muss er seinen Satz nicht zu Ende sprechen. In dem Oettinger-Video kann man hören, wie gelacht wird, als er das Wort “Frau” benutzt.

Nach Mockridges Witz, der die Penislänge schwarzer Männer zur Pointe machte, gab es einen fünfminütigen Einspieler. Der Studiogast, der danach auftreten sollte, wird also schon hinter der Bühne gestanden haben, als er erzählt wurde, der Klassiker aller Rassistenwitze. Er durfte anhören, wie und worüber sich das Publikum beömmelte, das da wenige Meter entfernt vor der Bühne sitzt, und vor dem er sich gleich präsentieren würde. Der Gast war der Sternekoch Nelson Müller. Er ist schwarz.

Dieses Humorprinzip ist in deutschen Medien keine Ausnahme. Es findet ganz selbstverständlich in vielen Formaten statt, sogar in denen, die sich als besonders aufklärerisch empfinden. Dieter Nuhr erzählte im “Ersten” noch vor zwei Jahren sogar den uralten “Mainz bleibt Mainz”-Klopfer mit den Männern unter der Dusche, die warten, dass “einer die Seife fallen lässt”. Im Endeffekt ist die Pointe sehr verwandt mit der von Mockridge, nicht nur, weil sie das Geschlechtliche von Randgruppen ins Lächerliche zieht, sondern auch, weil sie einen Aspekt der Bedrohung insinuiert.


(Foto: Michael SchillingEigenes Werk, CC BY-SA 3.0, Link)

Ich bin mir sicher, dass dieses Muster nicht trotz, sondern wegen dieses Zusammenhanges immer wieder so gerne benutzt wird. Die “ARD” ist sich sicher, dass das nicht so ist. “Wir bedauern es, wenn Sie die Äußerungen Dieter Nuhrs als homophob empfanden”, antwortete sie einem Zuschauer, der entsprechend nachgefragt hatte. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass die “ARD” den homophoben Kern dieses Witzes erkannt hätte, wenn er von Alexander Gauland erzählt worden wäre.

Es gibt außer Nelson Müller nicht viele Deutsche, die schwarz und erfolgreich und im Fernsehen sind. Was wäre wohl passiert, wenn Müller bei seinem Auftritt in der Mockridge-Show gesagt hätte, dass er den Witz nicht witzig findet, sondern diskriminierend? Hätte man ihn überhaupt verstanden? Und wäre er dann noch so oft im Fernsehen? Wäre Roberto Blanco auch so beliebt, wenn er nicht sagen würde, dass es ihn nicht stört, wenn ihn ein deutscher Minister einen “wunderbaren Neger” nennt?

Aber es ist nicht der vorrangige Job von Müller oder Blanco auf Rassismus hinzuweisen. Genauso wenig, wie es der “der Homosexuellen”, “der Feministinnen” oder “der Chinesen” ist zu erklären, was an Oettinger nicht geht.

Sie wollen, dass nur noch Jüdinnen und Juden sich gegen Antisemitismus wehren, dass nur noch Schwule gegen Diskriminierung protestieren, sie wollen, dass nur noch Muslime sich für Religionsfreiheit engagieren, damit sie sie dann denunzieren können als jüdische oder schwule “Lobby” oder “Parallelgesellschaft”, sie wollen, dass nur noch Schwarze gegen Rassismus aufbegehren, damit sie sie als “zornig” diffamieren können, sie wollen, dass sich nur Feministinnen gegen Machismo und Sexismus engagieren, damit sie sie als “humorlos” abwerten können.

Ganz ohne Carolin Emcke geht es dann eben doch nicht. Was von dem, was sie sagt, ist eigentlich so schwer zu verstehen?

Un-Anonymous, Assads Medienstrategie, Griechenbashing

1. Leak zeigt mutmaßliche Betreiber der größten deutschen Hetzseite
(sueddeutsche.de, Max Hoppenstedt & Simon Hurtz)
Mehr als zwei Millionen Menschen hatten auf Facebook die Seite “Anonymous.Kollektiv” geliket. Viele in dem Irrglauben, es mit der Hacker-Bewegung “Anonymous” zu tun zu haben. Doch weit gefehlt, die Seite war ein Tummelplatz für Islamhasser, Verschwörungstheoretiker und Fremdenfeinde. “SZ.de” und “Motherboard” wurde nun ein Screenshot zugespielt, der die Seitenadministratoren zeigen soll. Die Journalisten Max Hoppenstedt und Simon Hurtz sind der Sache nachgegangen und bringen Licht ins Dunkel dieses einzigartigen Krimis, in dem auch das umstrittene “Compact-Magazin” eine Rolle spielt.

2. Je kritischer, desto besser
(de.ejo-online.eu, Kurt W. Zimmermann)
Der Chefredakteur von “Schweizer Journalist” Kurt W. Zimmermann hat sich angeschaut, wie Syriens Präsident Assad mit Medien umgeht: “Assad hat eine ultramoderne Medienstrategie entwickelt, die für westliche Journalisten ebenso ungewohnt wie faszinierend ist. Er erwartet von den Medien nicht Propaganda, er erwartet Konfrontation. Damit unterscheidet er sich diametral von Staatschefs wie Wladimir Putin oder François Hollande, die sich bei Interviews lieber harmlose Steigbügelhalter wünschen. Assad, beraten von PR-Spezialisten aus dem Westen, hat den wichtigsten Mechanismus des Medienbusiness begriffen wie kaum ein anderer. Er weiß, dass seine Glaubwürdigkeit umso höher steigt, je härter und skeptischer die Journalisten ihn befragen.”

3. Journalistenanfrage löste die Razzia bei der An’nur-Moschee aus
(landbote.ch, Mirko Plüss)
Der Kriegsreporter Kurt Pelda recherchiert schon seit Jahren im Umfeld der An’nur-Moschee in Winterthurer Hegi und zu den Mordaufrufen des (mittlerweile verhafteten) Imams. In einer SMS hat er die Stadt Winterthur um eine Stellungnahme zu seinem geplanten Artikel gebeten. Unmittelbar danach führte die Kantons- und Stadtpolizei eine breit angelegte Razzia in der An’nur-Moschee durch. Wohl eine Folge von Peldas Anfrage.

4. Die Griechen provozieren!
(oxiblog.de, Hans-Jürgen Arlt)
Eine Studie der Otto Brenner Stiftung befasst sich mit der öffentlich-rechtlichen Berichterstattung über die griechische Staatsschuldenkrise. Die Grundlage: 615 Beiträge aus “Tagesschau” und dem “ARD-Brennpunkt” sowie aus “heute” und “ZDF-Spezial”. Hans-Jürgen Arlt gibt der Studie eine gute Note, allem anderen jedoch ein “Mangelhaft”. Insgesamt hätten die Sondersendungen “Brennpunkt” und “ZDF-Spezial” schlechter abgeschnitten als die klassischen Nachrichtensendungen. Sie hätten die Kriterien der Ausgewogenheit und der Neutralität verletzt und eben keine Hintergrundberichterstattung geliefert.

5. Eine Stimme für die Frauen
(taz.de, Knut Henkel)
Fast alle Gesellschaften in Mittel- und Südamerika leiden nach Ansicht von Fachleuten unter sexueller Gewalt gegen Mädchen und Frauen. Wenn in Guatemala über derartige Themen gesprochen wird, liegt das auch an “La Cuerda”, Zentralamerikas einziger feministischer Monatszeitung. Das Blatt kämpft seit 18 Jahren für die Rechte von Frauen und Indigenen. Knut Henkel stellt das Magazin vor und lässt Beteiligte zu Wort kommen.

6. Die Geschichte der Familie Schlesinger
(rnd-news.de, Ulrike Simon)
Der Journalist Gerhard Spörl war 25 Jahre beim “Spiegel”. Er ist verheiratet mit Patricia Schlesinger, der Intendantin des “rbb”. Nun hat er ein Buch über die Großeltern seiner Frau geschrieben. “RND”-Kolumnistin Ulrike Simon war dabei, als das Buch am Mittwoch von Stefan Aust vorgestellt wurde.

Kriegsfotografie, Rekrutenclips, Sterbe-TV

1. Von den Straßen Aleppos
(faz.net, Miray Caliskan)
Der Syrer Hosam Katan wollte das Assad-Regime bekämpfen. Er hat dazu jedoch nicht die Waffe, sondern die Handykamera verwendet. Mit Erfolg: Seine Fotos mitten aus dem Bürgerkrieg wurden in den sozialen Medien verbreitet und von Nachrichtenagenturen gekauft. Der 22-jährige Katan ist mittlerweile aus Aleppo nach Deutschland geflohen und hat unlängst einen Workshop für Handyfotografie geleitet. Die “FAZ” hat mit dem geflüchteten Syrer gesprochen, dessen Ziel es ist, an der Universität von Hannover Fotojournalismus zu studieren. Und natürlich werden einige seiner Bilder aus Aleppo gezeigt.

2. Kolumnist und Legende in Haft
(taz.de, Ali Celikkan)
Die schlechten Nachrichten aus der Türkei reißen nicht ab. Nun wurde der 75-jährige “Cumhuriyet”-Kolumnist Hikmet Çetinkaya ins Gefängnis geworfen. Wegen angeblicher Unterstützung der Gülen-Bewegung. Ausgerechnet, denn Çetinkaya berichtet seit Jahrzehnten kritisch über die Gülen-Bewegung und wurde nach eigenen Angaben bereits 170 Mal von Gülenisten verklagt.

3. Bundeswehr verteidigt Web-Serie
(ndr.de)
Die Bundeswehr goes Youtube. Mit der Webserie “Die Rekruten” will man für sich und vor allem für Nachwuchs werben. Die Bundeswehr lässt sich die Filmchen 1,7 Millionen Euro kosten, die Kampagne zur Bewerbung der Clips soll noch einmal 6,2 Millionen Euro kosten. Da ist es fast zwangsläufig, dass die Frage gestellt wird, ob das Geld gut investiert ist.

4. Der fliegende Holländer im Presserecht
(carta.info, Uwe Jürgens)
Wenn es um presserechtliche Vorgänge geht, taucht immer wieder der Begriff des “fliegenden Gerichtsstands” auf. Uwe Jürgens hat einen ausführlichen und in die Tiefe gehenden Artikel über das umstrittene Phänomen verfasst, in dem er die verschiedenen Positionen vorstellt. Jürgens plädiert am Ende seines Beitrags für weniger Gerichtsstände (“Kompetenzsicherung durch Spezialisierung”) und zeigt auf, wie es die Nachbarn in der Schweiz und in Österreich gelöst haben.

5. Syrien, Aleppo. Irak, Mosul. Fragen über Fragen
(infosperber.ch, Urs P. Gasche)
Urs P. Gasche fühlt sich von den Medien schlecht informiert, was die Lage in Syrien anbelangt und hat eine Liste von 23 Fragen erstellt. “Auf alle diese Fragen gibt es keine schnellen Antworten. Wenn Krieg herrscht, sind Informationen ein Teil davon. Medien werden instrumentalisiert und manipuliert, subtil oder weniger subtil. Und zwar von allen Kriegsparteien. Deshalb wäre Zurückhaltung angesagt. Vorsichtiges Formulieren in neutraler Sprache und mit deutlichen Hinweisen auf ungesicherte Quellen.”

6. Warum das Fernsehen sterben wird
(wiwo.de, Oliver Schütte)
Oliver Schütte sieht das öffentlich-rechtliche Fernsehen in ernsthaften Schwierigkeiten: Anspruchsvolle Stoffe und Erzählweisen gebe es nur noch bei den Streamingdiensten. Die herkömmlichen Programmsender würden dagegen nur niveauloses Bügelfernsehen liefern. Schüttes Empfehlung bezüglich öffentlich-rechtlicher Zukunftsgestaltung: “Die Agenda 2025 von ARD und ZDF sollte ehrgeizige Ziele entwickeln, für die deutsche Zuschauer bereit sind, mehr als 200 Euro Rundfunkbeitrag im Jahr zu bezahlen. Nur so wird es den deutschen öffentlich-rechtlichen Sendern gelingen, international erfolgreiche Formate wie die anderer europäischer Sender („Sherlock“, „Downton Abbey“, „Borgen“ und „Gomorrha“ et cetera) zu produzieren. Andernfalls werden sich nur noch die Älteren nostalgisch an ARD und ZDF erinnern können, weil die Sender von der Bildfläche verschwunden sein werden.”

Berlin-Verhängnis, Volontärsfrust, Facebook-Nazis

1. Zum Verhängnis
(sueddeutsche.de, Jens Schneider)
Ausgerechnet in Berlin, der größten Stadt Deutschlands, haben es Zeitungen besonders schwer. Hier kämpfen Blätter wie “Berliner Zeitung”, “Tagesspiegel”, “Morgenpost”, und “BZ” um die Gunst des Lesers. Die Größe des Berliner Zeitungsmarktes sei bei genauerer Betrachtung eher ein Nachteil. Durch ihre Konkurrenz würden sich die Zeitungen gegenseitig schwächen. Der Zeitungsmarkt hat aber auch noch andere Schwierigkeiten, ob es die vielen Zugezogenen ohne publizistische Heimat sind, die stark segmentierten Milieus oder eine noch immer bestehende Aufteilung in Ost und West.

2. Nackt im Netz: Millionen Nutzer ausgespäht
(ndr.de)
Multinationale Firmen haben sich darauf spezialisiert, die Nutzer im Netz zu beobachten, ihre Schritte aufzuzeichnen und diese Informationen weiterzuverkaufen. Angeblich anonymisiert und ohne Schaden für den Einzelnen. Der “NDR” hat dazu recherchiert und ist über die zig Millionen Male installierte Browser-Erweiterung der Firma “Web of Trust” (WOT) gestolpert. Diese greift allerlei Daten ab, die sie angeblich anonym abspeichert. Reporter des NDR konnten jedoch in Stichproben mehr als 50 Nutzerinnen und Nutzer persönlich identifizieren, zum Beispiel über E-Mail-Adressen, in denen der Name steht, Anmeldenamen oder andere Bestandteile der aufgerufenen URLs. Auf Anfragen des NDR reagierte das Unternehmen nicht. Und wer sich gegen die Schnüffelpraxis juristisch zur Wehr setzen will, hat es schwer, zumal vom Ausland aus operiert wird.

3. Wie eine Lokalzeitung kaputt gemacht wird
(deutschlandradiokultur.de, Anonym)
“Deutschlandradio” hat mit einem Volontär einer kleinen Regionalzeitung gesprochen. Dieser hat dem Radiosender aus dem Schutz der Anonymität heraus sein Herz ausgeschüttet: Sein Redaktionsalltag würde duch Sparzwänge, Ausbeutung und Unlust zur Veränderung bestimmt. Und über all dem würde ein Verlagsgeschäftsführer thronen, dem nicht viel am Journalismus liege. Am Ende des Volontariats wird ihm ein wenig attraktiver und befristeter PR-Job angeboten, doch er entscheidet sich zu gehen: “Nicht, weil mir nichts am Lokaljournalismus liegt – denn das tut es. Aber ich will nirgends bleiben, wo die Zukunft in der Vergangenheit liegt.”

4. Das Mediendesaster
(medienwoche.ch, René Zeyer)
“Medienwoche”-Autor René Zeyer empfindet die Berichterstattung über den US-Präsidentschaftswahlkampf als eine Karikatur des Journalismus. “Die mediale Vermittlung des US-Wahlkampfs lässt mehr Fragen offen als sie beantwortet. Die deutschsprachigen Medien bespaßen sich und das Publikum mit granulierten Informationsbytes, aus denen keine Schwarmintelligenz, sondern Schwarmdummheit resultiert.”

5. Neue „Feinde der Pressefreiheit“ veröffentlicht
(reporter-ohne-grenzen.de)
Zum heutigen UN-Welttag gegen Straflosigkeit für Verbrechen an Journalisten hat “Reporter ohne Grenzen” eine neue Liste der „Feinde der Pressefreiheit“ veröffentlicht. Darauf 35 Staats- und Regierungschefs, Extremisten- und Verbrecherorganisationen und Geheimdienste, die für die rücksichtslose Unterdrückung der Pressefreiheit durch Zensur, willkürliche Verhaftungen, Folter und Mord stehen.
Dazu auch: Alle fünf Tage wird ein Journalist umgebracht auf “Tagesschau.de”.

6. Was geschieht, wenn man einen Facebook-Nazi bei der Polizei anzeigt
(digitalpresent.tagesspiegel.de, Sebastian Leber)
Was geschieht, wenn man einen Facebook-Nazi wie “Andrea J.” bei der Polizei anzeigt? Manchmal eine ganze Menge: Hausbesuch durch Polizei, Beschlagnahme, Staatsanwaltschaft… “Sehr wahrscheinlich ist Andrea J. kein feinerer Mensch geworden. Aber immerhin hat sie aufgehört, das Netz zu verpesten. Das ist doch schon was. Hätte er sich an Facebook gewandt, sagt mein Freund, würde Andrea J. weiter Hakenkreuz-Party machen.”

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