Archiv für November 15th, 2016

Hauptsache Hauptstadt

Neulich habe ich nach dem Schwimmen den besten Freund meines Sohns nach Hause gefahren. Die Jungs, beide in der achten Klasse, saßen hinten im Auto, und irgendwie kamen wir auf das Thema Erdkunde zu sprechen. Das heißt, ich kam auf das Thema. Die Jungs wollten lieber auf dem Rücksitz in den Gurten hängen und dösen. Aber wenn man sie nicht ganz verloren geben will, muss man mit den pubertierenden Kindern ja in Kontakt treten. Und da dachte ich: Die finden das sicher cool, wenn ich etwas Wissen abfrage.

An der Ampel drehte ich mich also nach hinten und sagte:

Ralf Heimann hat vor ein paar Jahren aus Versehen einen Zeitungsbericht über einen umgefallenen Blumenkübel berühmt gemacht. Seitdem lassen ihn abseitige Meldungen nicht mehr los. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Daniel Wichmann “Hier ist alles Banane — Erich Honeckers geheime Tagebücher 1994 – 2015”. Fürs BILDblog kümmert er sich um all die unwichtigen Dinge, die in Deutschland und auf der Welt so passieren.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)

Wisst ihr denn, was die Hauptstadt von Frankreich ist?

Ohne die Lippen zu bewegen oder mich überhaupt anzusehen, antwortete der Freund meines Sohnes:

Paris.

Das ist dann wohl zu einfach, dachte ich und fragte:

Und die von Australien?

Keine Ahnung.

Das ist Canberra. Und die von Dänemark?

“Papa, das nervt”, sagte mein Sohn.

Ich dachte: Wie undankbar ihr doch seid. Als wir selbst in dem Alter waren, sind wir gleich nach der Schule durch die Fußgängerzone in die Stadtbücherei gerannt, um da die Hauptstädte, Gebirge und Flüsse auswendig zu lernen. Damals wären wir froh gewesen, wenn unsere Eltern uns abgefragt hätten. Glaube ich jedenfalls.

Ich sah mich noch mal um. Der Freund meines Sohnes war eingeschlafen.

Ein paar Tage darauf saß ich am Schreibtisch, klickte mich durch die Nachrichtenseiten und geriet in einen Artikel über Designer-Brillen. Danach glaubte ich zu wissen, warum die Begeisterung für Hauptstädte bei Jugendlichen so nachgelassen hat.

Die Erklärung ist einfach: Die Welt ist zu komplex geworden. Früher konnte man sich noch merken: Italien — Rom. England — London. Frankreich — Paris. Heute ist das nicht mehr so leicht. Kennen Sie zum Beispiel die Hauptstadt der Brillen?

Oder die der Witwen?

Die der Taschendiebe?

Oder die der Singles?

Sehen Sie.

Eigentlich gilt überhaupt nur noch eine Regel: Alles, was existiert, braucht auch eine Hauptstadt. Das Problem ist: So viele Städte gibt es gar nicht – oder jedenfalls nicht so viele, die sich für diesen Zweck eignen.

Nehmen wir das Beispiel Sex. Auf welche Hauptstadt könnte man sich da einigen? Würselen? Delmenhorst? Unterschleißheim? Die einen wollen Bad Godesberg — die anderen rufen: “Natürlich Illertissen!” Aber letztlich fällt die Wahl dann doch auf eine Stadt, bei der alle sagen können: Kennen wir, und das passt auch vom Image her einigermaßen. Und so ist es dann Wien geworden. Warum, das kann man hier nachlesen.

Kleine Städte haben in diesem Wettbewerb oft schlechte Chancen. Eigentlich ist es nur einmal einer kleineren Stadt gelungen, Hauptstadt von etwas Größerem zu werden. Das war Bonn. Davon habe ich neulich auch im Auto erzählt, aber der Freund meines Sohns schlief fest, und mein Sohn selbst hatte von einer deutschen Hauptstadt namens Bonn noch nie etwas gehört.

“Hä? Das ist doch Berlin”, sagte er.

“Ja, aber früher war das anders. Da war Berlin noch die Hauptstadt der DDR — also jedenfalls die eine Hälfte”, sagte ich.

Mein Sohn sagte nichts mehr, und ich sah: So einfach war das früher wohl doch nicht. Und heute ist alles noch viel komplizierter. Früher konnte man sich wenigstens darauf verlassen, dass die Hauptstadt der DDR nicht auch noch zusätzlich einem anderen Land in der gleichen Funktion dienen musste.

Heute nimmt auf so was niemand mehr Rücksicht. Wenn für irgendetwas eine Hauptstadt gesucht wird, ist vor allem eins wichtig: dass es schnell geht. Und meistens muss dann Berlin herhalten.

Hauptstadt der Kiffer? Ja, mein Gott. Dann das halt auch noch.

Das Ergebnis ist fürchterlich verwirrend.















Wie soll man sich das noch merken? Ich habe wirklich keine Ahnung.

Die Kinder habe ich damit dann auch in Ruhe gelassen. Sie müssen das heute ja alles auch gar nicht mehr wissen. Eigentlich müssen sie gar nichts mehr wissen. Sie haben ihre Smartphones. Wenn sie etwas suchen, können sie es googeln. Und im Prinzip genügt es schon, wenn sie sich das merken. Sie sollten halt nur möglichst nicht nach Barcelona ziehen. Da könnten sie dann ein Problem kriegen:

Planetenschließung, Trump-Fehde, Kinder-Zeitschriften

1. Vorübergehend geschlossen
(planet-interview.de, Jakob Buhre)
“Planet Interview” hat mit Nikolaus Blome gesprochen, dem stellvertretenden Chefredakteur der BILD (aktuelles Buch: “Links oder rechts?”). Nun soll Blome große Teile seines Interviews nicht freigegeben haben. Betroffen seien 41% seiner Antworten. Dies wäre ein seltsames Gebaren, da Blome kritische Fragen bei anderer Gelegenheit als „essentiellen Bestandteil“ einer funktionierenden Demokratie bezeichnet hat. “Planet Interview” hat aus Protest gegen diesen Eingriff die Webseite für zwei Tage stillgelegt und zeigt nur das Interview. Inklusive der Fragen, deren Antworten von Blome nachträglich gestrichen worden seien.
Lesetipp: Wir haben dem Vorgang den Artikel Antworten auf kritische Fragen? Nicht mit Nikolaus Blome gewidmet und dort Blomes mutmaßliche Antworten mit Hilfe von Gedankenlesen und einer komplizierten mathematischen Formel (der sogenannten „Blome-Gleichung“) extrapoliert.

2. Pöbeln, klagen, drangsalieren
(spiegel.de, Marc Pitzke)
“Fox”-Moderatorin Megyn Kelly enthüllt in ihrer Autobiografie “Settle for More” erstmals die Hintergründe ihrer Fehde mit dem damaligen Präsidentschaftsbewerber Trump. Dieser hatte während des Wahlkampfs viele Journalisten bepöbelt und teilweise mit Prozessen überzogen. Auch Megyn Kelly bekam Morddrohungen von aufgeheizten Trump-Anhängern. Für Kelly wird sich die Sache wenigstens gerechnet haben: “Für ihre – bis nach der Wahl verzögerten – Enthüllungen kassierte sie einen Millionenvorschuss und fordert von Fox News nun angeblich 20 Millionen Dollar im Jahr für ihre Vertragsverlängerung, da sie alle hofieren.”

3. Die FPÖ und die blanke Niedertracht
(taz.de, Ralf Leonhard)
In Österreich wird Anfang Dezember erneut der Bundespräsident gewählt, entsprechend aufgeheizt ist die Stimmung im Land. Vor kurzem hat sich der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer vom boulevardesken Kanal “oe24.tv” für eine Homestory interviewen lassen, in der auch nach dem Beziehungsstatus der 13-jährigen Tochter gefragt wurde. Der Fernsehjournalist Martin Thür twitterte daraufhin: “Ich will nicht in einem Land leben, wo Kandidaten die Zimmer und das Liebesleben ihrer 13-jährigen Töchter offenbaren müssen, um zu gewinnen.” Ein von empörten Hofer-Anhängern initiierter Shitstorm war die Folge.

4. «Die Schweiz ist ein Land der Parallelwelten»
(tagesanzeiger.ch, Nicola Brusa & Beat Metzler)
Der “ARD”-Journalist Hans-Jürgen Maurus arbeitete von 1978 bis 2016 beim Radio, unter anderem als Auslandskorrespondent in Asien, Afrika und Amerika. Die letzten fünf Jahre war er Korrespondent in der Schweiz. Im Interview mit dem “Tagesanzeiger” geht es vor allem über sein Bild der Schweiz.

5. Niemand weiß, was jetzt passiert? Dann Schluss mit der Panikmache!
(perspective-daily.de, Frederik von Paepcke)
Auf dem Cover des aktuellen “Spiegel” rast ein überdimensionaler Trump-Kopf mit geöffnetem Mund und brennendem Kopf auf den Erdball zu. “Was soll das?”, fragt Frederik von Paepcke in seinem Kommentar zur Verantwortung der Medien und verlangt nach dem Schluss mit der Panikmache. Sein Vorschlag: “Entdecken wir konstruktive Tugenden wie Zuversicht, Respekt oder Kreativität neu. Überdenken wir unsere Kommunikation, üben wir uns in mehr Selbstreflexion.”

6. turi2 edition3: Sandra und Simon Peter, Chefredakteure bei Blue Ocean
(youtube.com, Video, 3:16 Minuten)
Sandra und Simon Peter sind, was den Output anbelangt, wahrscheinlich die fleißigsten Chefredakteure Deutschlands: Beim Stuttgarter Blue Ocean Verlag verantworten sie Dutzende von Kinder-Zeitschriften – mit 500 Ausgaben pro Jahr. Die Aufteilung ist dabei ganz klassisch: Sie macht die Mädchenhefte wie “Prinzessin Lilifee”, er die Jungsmagazine wie das “Playmobil-Magazin”.