Archiv für November 14th, 2016

Antworten auf kritische Fragen? Nicht mit Nikolaus Blome

Kritische Fragen? Ja, doch, die seien schon wichtig, findet Nikolaus Blome, stellvertretender Chefredakteur der “Bild”-Zeitung. Kritische Fragen seien sogar ein “essentieller Bestandteil” einer funktionierenden Demokratie, sagte er Anfang des Monats bei einer Lesung in Dresden (Audio, 1:53 Minuten).

Knapp einen Monat zuvor hat Jakob Buhre von der Interview-Plattform “Planet Interview” Nikolaus Blome einige Fragen zum Buch “Links oder rechts?” gestellt, das “Bild”-Journalist Blome zusammen mit Jakob Augstein veröffentlicht hat. Darunter waren auch einige kritische Fragen zur “Bild”-Berichterstattung. Blome antwortete auf diese Fragen, am Ende des Autorisierungsprozesses wollte er aber mehrmals nicht, dass das, was er Buhre gesagt hat, veröffentlicht wird. Er hat Antworten komplett rausgestrichen. Und zwar nicht nur ein paar — nach Angaben von “Planet Interview” sind letztlich nur 59 Prozent von Blomes Antworten übrig geblieben.

Kritische Fragen seien ein “essentieller Bestandteil” einer funktionierenden Demokratie. Aber das Veröffentlichen von Antworten auf kritische Fragen? Nun ja.

Viele der gestrichenen Blome-Aussagen betreffen konkrete “Bild”-Berichte. Einige davon hatten wir auch hier im BILDblog kritisiert: die “Bild”-Darstellung des vermeintlichen Umgangs der Kieler Polizei mit Straftaten von Flüchtlingen, die Skandalisierung von Flüchtlingskriminalität, die Berichte über die Verdauungsprobleme des Gehers Yohann Diniz bei den Olympischen Spielen in Rio. “Die nachträgliche Streichung mehrerer Antworten begründete Herr Blome damit, dass er nur ein Interview zu seinem Buch geben wollte”, schreibt “Planet Interview”. Die Begründung ist in der Tat bemerkenswert, denn in Blomes und Augsteins Buch geht es auch ganz konkret um Journalismus, um den “Lügenpresse”-Vorwurf, um die publizistische Macht von “Bild”. Dort heißt es zum Beispiel: “BILD kann, als Massen- und Leitmedium, in einer speziellen Situation wahrscheinlich einen Bankrun auslösen. Darüber denken Sie besser drei Mal nach.” Fragen zu “Bild” und “Bild”-Berichten kann man also durchaus auch als Fragen zum Buch sehen.

Als Protest gegen die vielen Streichungen durch Nikolaus Blome hat das Team von “Planet Interview” die eigene Seite heute fast komplett vom Netz genommen*:

Wir schließen für zwei Tage unsere Website, um auf ein Problem hinzuweisen: Das Streichen von kritischen Fragen.

Lediglich das Blome-Interview mitsamt der nun unbeantworteten Fragen sind dort momentan zu lesen.

***

Schade, dass Nikolaus Blome so viele seiner Antworten nicht zur Veröffentlichung freigegeben hat. Zum Glück kann unser Autor Lorenz Meyer nicht nur über lange Distanzen Gedanken lesen, er kennt sich auch mit Realitätsverzerrung, Wahrheitsverdrehung, inhaltsleerem Gefasel und Marketingsprech aus und hat die Antworten mit Hilfe einer komplizierten mathematischen Formel (der sogenannten “Blome-Gleichung”) extrapoliert.

1. Planet Interview: Ein Beispiel: Die BILD schrieb im Januar 2016, dass die Polizei in Kiel “vor Flüchtlingskriminalität kapituliert!”. Grundlage war ein Papier vom Oktober 2015 der Polizeidirektion Kiel, in dem es heißt dass “ein Personenfeststellungsverfahren oder erkennungsdienstliche Behandlung” bei “einfachen/niedrigschwelligen Delikten … regelmäßig ausscheidet”. Der BILD-Bericht wurde von der Polizei umgehend dementiert.

Blomes erster Antwortgedanke: Nichts gegen die Kieler Polizei, aber wenn hier jemand etwas “regelmäßig ausscheidet”, dann immer noch wir von der BILD. Ich würde sogar behaupten, dass wir Deutschlands größtes Ausscheidungsorgan sind!

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Ihre Frage beinhaltet bereits die Antwort: Anscheinend enthielt das uns zugespielte Papier der Kieler Polizei unangenehme Fakten, die nicht nach außen dringen sollten. Als grundgesetzlich verankertes Presseorgan sehen wir es als unsere Pflicht an, der Exekutive auf die Finger zu schauen. Auch, wenn uns dies verschiedentlich negativ ausgelegt wird. So wie im vorliegenden Fall …

2. Die Kieler Polizei gab aufgrund der Berichterstattung eine Pressekonferenz und erklärte, dass Strafanzeigen “in jedem Einzelfall” erstattet wurden, und dass “in keinem Fall eine andere Behandlung zur Maßgabe erklärt wurde wie bei deutschen Tatverdächtigen auch”.

Blomes erster Antwortgedanke: Das klingt alles recht alkoholisiert. Vielleicht hat sich die Kieler Polizei von ihren Kollegen aus dem Süden inspirieren lassen. Die verstehen unter einer “Maßgabe” nämlich etwas anderes, höhöhö.

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Ich finde es bedauerlich, dass die Kieler Polizei augenscheinlich dem politischen Druck nachgegeben hat und sich so geäußert hat, wie sie sich geäußert hat. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.

3. Ein anderes Beispiel: BILD veröffentlichte einen Auszug aus dem Buch “Soko Asyl” des Leiters der Braunschweiger Kripo Ulf Küch. Dieser schreibt darin u.a. “Diejenigen (Flüchtlinge), die wir verfolgen, sind eine winzige Minderheit, deren Anteil im niedrigen einstelligen Prozentbereich liegt” und “es darf nicht sein, dass die große Mehrheit der dankbaren und friedlichen Flüchtlinge mit diesen Personen über einen Kamm geschoren wird und am Ende unter deren Aktivitäten leiden muss.” Der BILD-Artikel trug die Überschrift “Polizist packt über Flüchtlingskriminalität aus: Manche Banden klauen auf Bestellung”. Nochmal die Frage: Kann es sein, dass Sie mit solchen Artikeln zu den Ressentiments gegenüber Flüchtlingen beitragen?

Blomes erster Antwortgedanke: Meine Güte … Nennen Sie mir ein einziges Wort in der Überschrift, das gelogen war … Aber für begriffsstutzige Ethik- und Moral-Mimosen wie Sie können wir ja nochmal ‘nen Hinweis anbringen.

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Der von Ihnen genannte Autor hatte keineswegs nur die von Ihnen zitierten Aussagen getätigt, sondern auch Dinge gesagt, die vollkommen andere Rückschlüsse zulassen. Trotzdem haben wir auf seinen Wunsch hin in einer späteren Ausgabe einen entsprechenden Hinweis veröffentlicht.

4. Und diesen Hinweis bringen Sie als große Headline?

Blomes erster Antwortgedanke: Ja, in Fontsize=1.000 und quer über das Brandenburger Tor gespannt. Das hätten Sie wohl gerne, Sie Gutjournalist!

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Stellen Sie diese Frage in vergleichbaren Fällen auch anderen Medien? Wohl kaum. Das muss als Antwort reichen.

5. Doch die Skandalisierung von Flüchtlingskriminalität fällt in BILD größer aus als in anderen Medien, wo berichtet wird, dass sich die überwiegende Mehrheit der Flüchtlinge rechtskonform verhält.

Blomes erster Antwortgedanke: Ist ein Skandal, dass wir skandalisieren, oder? Merkste selber, McFly, oder?

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Wir haben uns in einer Zeit für Flüchtlinge engagiert, da haben sich weite Teile der deutschen Presselandschaft noch bedeckt gehalten. Ich erinnere nur an die große BILD-Aktion “Wir helfen-#refugeeswelcome”. Das hat uns viel Kritik eingebracht, die nicht immer einfach auszuhalten war, uns aber nicht von unserem Weg abgebracht hat. Wir sind jedoch nicht einäugig. Und wenn es wie beim Silvester-Geschehen in Köln zu Übergriffen kommt, kehren wir das nicht unter den Teppich, sondern berichten darüber. Wir sind da nämlich ganz altmodisch und fühlen uns nur der Wahrheit verpflichtet.

6. “Die meisten Hauseinbrüche werden von Deutschen begangen.” Könnte das eine “Bild”-Schlagzeile sein?

Blomes erster Antwortgedanke: Klar, könnte das ‘ne Überschrift sein! Natürlich werden die meisten Hauseinbrüche von Deutschen begangen. Und zwar, weil Flüchtlinge ihnen den Schlüssel geklaut haben und sie wieder in ihr Haus zurück wollen. Alle anderen Medien verschweigen das. Wir berichten darüber!

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Die Veröffentlichung des Offensichtlichen und von naheliegenden Belanglosigkeiten überbelassen wir unserer Konkurrenz. Wir bei BILD wollen unseren Informationsvorsprung nutzen und unseren Leser über Dinge unterrichten, die er vorher noch nicht wusste. Insofern lautet die Antwort: Nein.

7. Viele Leser haben (z.B. auf Facebook) kritisiert, wie BILD über einen Sportler berichtet hat, der tatsächlich hingefallen ist: Ein Geher brach bei den Olympischen Spielen in Rio über die 50km-Distanz mehrfach zusammen, hatte Verdauungsprobleme, konnte seinen Durchfall nicht zurückhalten und verlor zeitweise die Orientierung. Bild zeigte Fotos davon und kommentierte u.a. mit “Dieser Gang ging in die Hose.” Wie kann es sein, dass BILD sich über so etwas lustig macht?

Blomes erster Antwortgedanke: Wenn ich mich nie mit Dünnpfiff beschäftigen würde, gäb’s dieses Interview nicht, Sie investigatives Abführmittel!

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Unsere Leser haben einen Anspruch auf eine vollumfängliche Sportberichterstattung. Und dazu gehören bei Olympia die großen Medaillenkämpfe, aber auch die kleinen Dramen im olympischen Sportbetrieb. Wir haben über das kleine Malheur in einer lockeren und augenzwinkernden Form berichtet. Wenn Sie das stört, ist das Ihr Problem und nicht unseres.

8. Aber Witze wie “Er war kurz davor, aus Sch**** Gold zu machen. Doch dann läuft’s beim 50-km-Geher Yohann Diniz — so richtig” oder “Dieser Gang ging in die Hose.” Warum muss das in Ihre Zeitung?

Blomes erster Antwortgedanke: Weil Scheiße zu Scheiße passt. Ist das wirklich so schwer zu verstehen?

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Nochmal: Wenn Sie zu verkrampft sind, etwas über ein allzu menschliches Geschehen zu lesen, sagt das mehr über Sie aus als über uns.

9. Auf den anderen Seiten dominieren Sport, Promis, Skandale, Sensationen. Warum geht da nicht mehr Politik?

Blomes erster Antwortgedanke: Geben Sie Bescheid, wenn Sarah Lombardi Bundeskanzlerin wird. Dann machen wir sofort mehr über Politik.

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Ich habe heute morgen “Spiegel Online” aufgerufen. Und was soll ich sagen: Auf der Startseite “dominieren Sport, Promis, Skandale, Sensationen”, um es mit Ihren Worten zu sagen. Ich kann den Kollegen Augstein aber gerne fragen, warum da nicht mehr Politik vorkommt. Der fühlt sich dem Haus ja immer noch sehr verbunden.

10. Interessieren Sie sich persönlich für die Skandale, Unfälle, Voyeurismus etc. auf den anderen Seiten?

Blomes erster Antwortgedanke: Nö, die hab’ ich ja meist schon irgendwo in der Originalfassung gelesen und für die Veröffentlichung bei uns vom Praktikanten per “Google Translator” übersetzen lassen.

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: In der Frage schwingt eine abwertende Unterstellung, die ich ablehne. Ich habe Sie auch nicht gefragt, wann Sie aufgehört haben, ihre Frau zu schlagen.

11. Hellmuth Karasek sagte bei uns im Interview: “Ich würde nie eine politische Entscheidung aufgrund der BILD-Lektüre treffen”.

Blomes erster Antwortgedanke: Gegenfrage: Würden Sie eine Kaufentscheidung aufgrund eines Rabatts auf ein Karasek-Buch treffen?

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: (lacht) Wollte Herr Karasek von BILD wissen, wo er bei der Bundestagswahl sein Kreuzchen setzen soll?

12. Ja, zum Beispiel.

Blomes erster Antwortgedanke: In einem kalten Winter und mit ‘ner Ofenheizung mag das in Ordnung gehen.

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Das traue ich dem Kollegen Karasek auch ohne unsere Mithilfe zu.

13. Aber Sie wollen doch vermutlich die Leute zum Denken anregen, wollen ihnen Informationen mitgeben, so dass sie am Wahltag informiert sind über die politische Lage. Wie würden Sie Karasek, wenn er noch unter uns wäre, vom Gegenteil überzeugen?

Blomes erster Antwortgedanke: Ach, der Karasek … Soll lieber literarisches Quartett im Himmel spielen und dort dem Reich-Ranicki mit seiner Wahlentscheidung auf die Nüsse gehen.

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Ich würde ihm sagen, er soll bei seiner Wahlentscheidung nicht nur seinem Bauchgefühl, sondern seinem Verstand folgen. Und wenn er dafür Unterstützung braucht, findet er die bei BILD.

14. Und es reicht in dieser Verkürzung für eine Wahlentscheidung?

Blomes erster Antwortgedanke: Ja.

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Ja.

15. Nun stehe ich aber vor diesem Gegensatz: Ich sehe zwei Hochintellektuelle, Sie und Herrn Karasek, und der eine sagt über die Arbeit des anderen: “Die BILD ist ein Medium, das ich so ernst nehme, wie ich Stefan Raab ernst nehme.” Können Sie mir helfen, diesen Gegensatz aufzulösen?

Blomes erster Antwortgedanke: Medium nehm’ ich nur mein Steak. Außerdem sehe ich in Ihrer Aufzählung nur einen Hochintellektuellen, Sie lästiger Frageonkel. Und das ist, ich sag’s Ihnen durch die Blome, weder der Kollege Karasek noch Stefan Raab.

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Stefan Raab zeichnet sich durch einen hohen Grad an Professionalität aus, insofern kann mich der Vergleich nicht treffen. Außerdem führt uns der ewige Weg über Gegensätze nicht weiter. Fragen Sie doch mal nach Verbindendem. Da wüsste ich einiges zu berichten. Auch Dinge, die Herrn Karasek betreffen.

16. Sie schreiben es ja selbst, in Ihrem Buch.

Blomes erster Antwortgedanke: Ach, das Buch … Weiß der Geier, was ich da reingekrakelt habe. Weiß ja noch nicht mal, ob ich da überhaupt was reingeschrieben habe. Wenn der Kollege Augstein ‘nen schizophrenen Anfall hat, übernimmt der gerne mal meinen Part und kotzt sich die neoliberale Zweitseele aus dem Leib.

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Dann haben Sie ein anderes Buch gelesen. In meinem steht das nicht.

17. Die Otto Brenner Stiftung schrieb 2012 in einer Studie, BILD praktiziere Journalismus nur “vorübergehend”. Ist Ihnen das nicht zu wenig?

Blomes erster Antwortgedanke: Das Wort “praktiziere” in Zusammenhang mit “Journalismus” lehne ich ab. Das setzt ja voraus, dass wir wüssten, was wir da machen.

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Die Otto Brenner Stiftung sollte sich als Tochter der IG Metall lieber mit Dingen beschäftigen, bei denen sie sich auskennt. Zum Beispiel mit der Verschwendung von Gewerkschaftsgeldern.

18. Die Stiftung hat viele BILD-Artikel analysiert, Interviews mit Experten geführt, verweist auf Quellen, Literatur …

Blomes erster Antwortgedanke: Ich sage es mal mit den Worten, die oft dem früheren britischen Premierminister Sir Winston Churchill zugeschrieben werden: “Ich glaube nur der Statistik, die ich selbst gefälscht habe.” Fälschlicherweise zugeschrieben, aber das werden Sie als kritischer Journalist ja bestimmt schon selbst in Erfahrung gebracht haben.

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Die Axel-Springer-Stiftung kommt in ihrer Studie zum postfaktischen Zeitalter zu ganz anderen Ergebnissen, Sie Argumentationswunder! Und als Springer-Journalist akzeptiere ich nur eine Quelle: Die Einnahmequelle!

*Nachtrag, 16. November: Inzwischen ist der Zwei-Tage-Protest vorbei und die Seite wieder komplett online.

Nein, die Transen und die Homos sind nicht schuld an Trump

In der Komischen Oper in Berlin läuft eine Inszenierung der musikalischen Komödie “Eine Frau, die weiß, was sie will”, in der alle Rollen von zwei Darstellern gespielt werden. Dies führt dazu, dass beide (Dagmar Manzel und Max Hopp) nicht nur ständig die Kostüme, sondern auch die Geschlechter wechseln. Sowohl sämtliche Rollen als auch die Sängerin und der Sänger, die sie spielen, sind mutmaßlich heterosexuell. Heteros spielen also Heteros, sie tauschen eben nur manchmal ihre Geschlechterrollen, ich weiß, ich bin gerade etwas redundant, was ich sagen will: Mit schwul, lesbisch, homo hat das alles nichts zu tun.

All das, was Theaterautor, Blogger und Marketingexperte Johannes Kram schon so gemacht hat, würde nicht in diese Box passen. Deswegen hier unvollständig und im Schnelldurchlauf: Nicht nur, aber auch wegen seiner Medien-Kampagne ist Guildo Horn zum “Eurovision Song Contest” gekommen. Den “Waldschlösschen-Appell” gegen Homophobie in Medien hat er initiiert. Sein “Nollendorfblog” bekam eine Nominierung für den “Grimme Online Award”. Und mit “Seite Eins — Theaterstück für einen Mann und ein Smartphone” hat er Boulevard-Kritik auf die Bühne gebracht. Dafür ein herzliches Dankeschön vom BILDblog.

Eine Berliner Kritikerin konnte die Inszenierung nicht ertragen, sie sei ihr zu schwul. Ich denke, dass es vielen Menschen so geht, nicht nur in der Operette, sondern überall, im Fernsehen, im echten Leben: Überall gibt es zu viel schwul, auch da, wo es es gar nicht gibt. Die Operetten-Inszenierung und die Reaktion dieser Frau darauf ist ein schönes Beispiel dafür, dass Homophobie im Kern nichts mit Homosexuellen zu tun hat.

Es ist die grundsätzliche Ablehnung von dem, was einer vermeintlich natürlichen Ordnung widerspricht. Es ist die Reaktion auf Veränderung, und sie mag meinetwegen auch etwas damit zu tun hat, dass man sich (mein Vorschlag für das Unwort des Jahres:) “abgehängt” fühlt. Vor allem ist sie aber eine Reaktion darauf, dass man sich nicht verändern kann oder möchte, aus welchem Grund auch immer. Schwule, Homosexuelle sind dabei vor allem eine Projektion, genau wie Juden vor allem eine Projektion sind, wenn es um Antisemitismus geht, beide Gruppen können selbst sehr wenig beeinflussen, wofür man sie alles hasst.

Schwule werden nicht dafür gehasst, wie sie sind, sondern dafür, dass sie anders sind. Sie eignen sich einfach zu perfekt als Gegen-“Ideologie” zum Totalitarismus, zum Erregungsmittel der Populisten. Deshalb sind sie auch — neben dem Nationalismus — der größte gemeinsame Nenner aller Putins, Trumps, Erdogans dieser Welt.


(Foto: Gage Skidmore)

Es gibt nur noch eine Gruppe, die sich noch besser zum liebsten Hass-Symbol der Demagogen eignet: Transmenschen. Der “Grad” ihrer Andersartigkeit verbunden mit der Tatsache, dass die allermeisten Trump-Wähler nie bewusst einen von ihnen zu Gesicht bekommen werden, machten sie zu deren idealem Schreckgespenst. Auch hier liegt es nicht an den Transmenschen, nicht an der Frage, wie wichtig es ist, welche Toilette sie benutzen dürfen. Es liegt einfach daran, dass es diese Frage gibt, dass sie sich so hervorragend anderen Fragen gegenüberstellen lässt, die nichts mit ihr zu tun haben.

Das Problem an “Haben wir eigentlich keine wichtigeren Probleme als” ist nicht das, was hinter dem “als” steht, sondern dass diese Frage keine wirkliche Frage ist. Sie ist ein Populistentrick.

Natürlich wenden ihn nur wenige Journalisten so konsequent an wie Matthias Matussek (Sein Rat an alle “‘Experten’, Leitmedien und enorm verbiesterte Eliten” nach der Trump-Wahl lautete: “Die Leute wollen keine Toiletten für das dritte Geschlecht, sondern Arbeit, um ihre Familien durchzubringen.”)

Etwas eleganter machen es gerade andere Kommentatoren, zum Beispiel Berthold Kohler in der “FAZ”:

Die Balten haben anders als westeuropäische Kommentatoren, die sich jetzt vor allem um die Rechte der Schwulen in Amerika sorgen, nämlich sofort verstanden, dass Trumps noch im Wahlkampf gegebene Signale zum Rückzug aus der Welt auf Putin wie eine goldgeränderte Einladung wirken müssen.

Ganz abgesehen davon, ob das mit den Balten und Putin stimmt: Was hat das in dieser Gegenüberstellung mit den Rechten der Schwulen zu tun? Und wo sind westliche Kommentatoren tatsächlich damit beschäftigt, sich “vor allem” und diese zu “sorgen”? Erzählt es nicht einfach, losgelöst von jeder Sorge, eine Menge über diese Wahl, dass in den USA ein Vizepräsident gewählt wurde, der für “Homoheilungen” ist, der die Gleichwertigkeit Homosexueller genauso bestreitet wie den Klimawandel? Ist das wirklich nur Gedöns?

Immer noch tun viele deutsche Medien so, als handele es sich bei der Frage nach der Rolle von Homo- und Transsexuellen in der Gesellschaft um ein Minderheiten-, ein Lifestyle-, ein Luxusthema, als würde von Politikern nicht vor allem deshalb auf Schwule, Homos, Transsexuelle gezielt, um grundsätzlich die Verfasstheit freiheitlicher Gesellschaften infrage zu stellen. Die NATO, also das, um was sich Journalisten wie Kohler gerade Sorgen machen, ist eben nicht wichtiger als die “Rechte der Schwulen”, sie ist im Gegenteil unter anderem auch dafür da, diese zu garantieren. Zumindest dann, wenn man die Werte im Begriff “Wertegemeinschaft” als universal begreift.

Barack Obama hat das getan, und der Hass, der ihm dafür entgegenschlug, hat offensichtlich viel dazu beigetragen, dass Trump diese Wahl gewonnen hat. Dass viele deutsche Medien diesen Zusammenhang nicht herstellen, hat damit zu tun, dass sie ihn nie wirklich verstanden haben. Dabei hatte gerade in Deutschland Obama auf eindrückliche Art die Verbindung von Sicherheit und Inklusion beschworen, ohne damit Journalisten erkennbar zu beeindrucken. In seiner von vielen Kommentatoren als eine Art sicherheitspolitisches Vermächtnis verstandenen Rede am 24. April in Hannover sagte er:

The world depends upon a democratic Europe that upholds the principles of pluralism and diversity and freedom that are our common creed. As free peoples, we cannot allow the forces that I’ve described — fears about security or economic anxieties — to undermine our commitment to the universal values that are the source of our strength.

Im Gegensatz zu zu Günther Oettinger, der, wie viele Putin-Unterstützer, die “Homo-Ehe” als Synonym für all das verspottet, was in Wirtschaft und Gesellschaft bei uns alles falsch läuft, definierte Obama Pluralität und Vielfalt als Zeichen der Stärke, zum schützenswerten Wettbewerbsvorteil, der allen zugutekommt. Und bezeichnet sogar an anderer Stelle die “Ehe für alle”, die die “Freiheit der Menschen, den zu heiraten, den sie wollen” nennt, als das Beispiel für die Gleichheit und Würde jedes einzelnen Menschen, an die “wir” (“perhaps most importantly”) — glauben. Das Benennen dieses fundamentalen Unterschieds des “Wir”, also des Westens, wie Obama ihn sah, und wie ihn die Trump-Wähler sehen wollen, fand in deutschen Medien so gut wie nicht statt. Es hätte bedeutet, auch das Thema Homosexuelle aus einer grundsatzpolitischen, einer Menschenrechts-Perspektive begreifen zu müssen und nicht als Charity: Es geht nicht um Respekt oder Toleranz der einen für die anderen, um etwas, das Mehrheit einer Minderheit gönnt. Es geht darum, dass sich die Gesamtgesellschaft erst als komplett begreift, wenn alle gleichermaßen dazugehören. Nach der Präsidentschaftswahl hat Angela Merkel ihn jetzt — zum ersten Mal — ausgesprochen, diesen Unterschied im “Wir”, als sie die Achtung von unterschiedlichen sexuellen Orientierungen als einen westlichen demokratischen Grundwert anführte. Auch das war keine News. Charity halt. Oder noch böser: Political Correctness.

Erst vor ein paar Wochen hat diese Kolumne begonnen und sich das zugegebenermaßen etwas großspurige Ziel gesetzt, “Political Correctness” zu “verteidigen”. Natürlich nicht das Wort, das ein Kampfbegriff* ist, sondern das Konzept derjenigen, die mit ihm bekämpft werden. Obwohl das erst ein paar Wochen her ist, klingt das heute, nach den Wahlen in Amerika, lächerlich, ich weiß. Es macht wahrscheinlich gerade keinen Sinn, darüber zu schreiben, was “Political Correctness” sein könnte, sondern eher darüber, was es nicht ist. Angela Merkels Äußerung ist es jedenfalls nicht. Dass sie trotzdem oft so gedeutet wurde, ist bezeichnend. Der Schutz der “sexuellen Orientierung” beinhaltet ja schließlich unter anderem auch die der Heteros.

“Wenn Politik […] zu oft sagt, was politisch korrekt ist, aber zu selten das, was ist, dann verliert sie die Gefolgschaft”, sagt Mathias Döpfner. Geht es ihm wirklich um “das, was ist”, also eine wie auch immer definierte Wahrheit, oder darum festzustellen, dass diese durch eine falsche Rücksichtnahme ausgebremst wird? Eine Rücksichtnahme gegen was? Oder Wen? Kristina Schröder darf in Döpfners “Welt” deutlicher werden. In Deutschland gebe es “eine Reihe von Positionen, die durchaus von der Verfassung gedeckt sind, die man aber trotzdem nicht äußern kann, ohne auch sehr persönlich niedergemacht zu werden”. Als erstes fällt ihr zu dieser These die “Homo-Ehe” ein. Die Homos sind schuld.

Nein, siehe oben, sind sie nicht.

Welche Absicht haben die, die sich nach der Wahl in Amerika jetzt über zu viel Political Correctness beklagen? Leute wie Döpfner, Schröder und vor allem “Welt”-Chefredakteur Ulf Poschardt geben vor, damit die Demagogen bekämpfen zu wollen. Kann sein. Kann aber auch sein, dass sie einfach nur von ihnen lernen wollen, wie es geht.

*Unbedingte Hörempfehlung (gerade auch, weil noch vor der US-Wahl aufgezeichnet): Im “Übermedien”-Podcast von Stefan Niggemeier und Sascha Lobo erklären und streiten sich beide über Political Correctness.

Tatort, “Wirus”, Meinungsjournalismus

1. An jedem verdammten Sonntag
(taz.de, Klaus Raab)
Gestern feierte der “Tatort” seine tausendste Folge. Sein Erfolg ist “Symptom einer Gegenwart, die Gefühle standardmäßig mit Gewissheiten verheiratet”, findet Klaus Raab in der “taz”. Raab sieht den “Tatort” nicht, wie oft beschrieben, als Spiegel der Gesellschaft. “Der „Tatort“ nun, die Krimireihe der ARD, gedeiht eigentlich in einer Welt, in der man jeden Unsinn erzählen soll, wenn er der Geschichte dient; der Welt der Fiktion. Die Drehbücher sind erfunden, eigentlich weiß das auch jeder, und das ist auch gut. Man stelle sich vor, wie entsetzlich der „Tatort“ wäre, würde er tatsächlich als „Spiegel der Gesellschaft“ fungieren, wie es bisweilen heißt. Dann würden im Berlin-„Tatort“ 89 Minuten lang nur Fahrräder geklaut.”

2. «Trump-Debatte widerspiegelt Egozentrik des Journalismus»
(srf.ch, Roman Fillinger, Audio, 6:09 Minuten)
Wolfgang Blau war Digitalchef beim “Guardian” und bei “Die Zeit”. Nun arbeitet er als “Chief Digital Officer” beim internationalen Verlag Condé Nast. Beim “Schweizer Radio und Fernsehen” SRF spricht er über die Trump-Berichterstattung. Blau plädiert für mehr Empathie: “Journalisten müssen sich stärker damit auseinandersetzen, dass – selbst wenn sie nicht viel Geld verdienen – sie in aller Regel wohlhabender sind als die Menschen, über deren Wahlverhalten sie sich nun wundern. Journalisten würde mehr Empathie gut tun, um zu spüren, wie es sich anfühlt, mit größter Wahrscheinlichkeit nie mehr einen Job zu bekommen, oder dass auch die eigenen Kinder wahrscheinlich nie eine Festanstellung bekommen werden, wie man sie selbst einmal hatte.”

3. Hubertus Koch bei den #JMT16: „Ich bin Meinungsjournalist“
(flurfunk-dresden.de, Nadine Faust)
Hubertus Koch ist mit seinem Dokumentarfilm “Süchtig nach Jihad” bekannt geworden, in dem er sehr persönlich und emotional aus dem syrischen Flüchtlingslager Bab al-Salameh berichtet. Anfang des Jahres erhielt er dafür den Nachwuchspreis des Deutschen Fernsehpreises. Auf den “Jugendmedientagen 2016” in Dresden hat er sich mit dem Medienblog “Flurfunk” über seine Arbeit und die Zukunft der Medien unterhalten.

4. Ein gefährliches „Wirus“ breitet sich aus
(udostiehl.wordpress.com)
Der Gebrauch von “Wir”-Konstruktionen führt zu einer Lagerbildung, die dem Versuch einer Geiselnahme gleichkommt, so Udo Stiehl in seinem Artikel über den gefährlichen “Wirus”. “Wer gezielt seine Position als mehrheitsfähig darstellen will, nutzt diese rhetorisch einfache und schlagkräftige Wortwahl. Ganz egal, welches Thema in die öffentliche Debatte gedrückt werden soll: „Wir“ funktioniert inzwischen wie eine Droge. Und sie spaltet exakt so, wie es beabsichtigt ist.”

5. aspekte vom 11. November 2016
(zdf.de, Video, 45 Minuten)
In der aktuellen Ausgabe der Kultursendung “aspekte” (ZDF) hatte Moderatorin Katty Salié einen berühmten Co-Moderatoren: den türkischen Journalist und ehemaligen Chefredakteur der “Cumhuriyet” Can Dündar. In der Sendung geht es überwiegend um Medienthemen und Pressefreiheit. Die Beiträge selbst sind in Deutsch; Dündars Redeanteile auf Türkisch mit deutschen Untertiteln.

6. Facebook erklärt Mark Zuckerberg für tot
(zeit.de)
Eine Softwarepanne führte dazu, dass auf Profilen vieler Facebook-Nutzer Gedenknachrichten erschienen. Selbst Gründer Mark Zuckerberg wurde vom eigenen Netzwerk für tot erklärt.