Archiv für Februar, 2016

Blick  

“Blick” macht 15-Jährigen zum Dopingsünder

Der “Blick” (die “Bild”-ähnliche Journalismusattrappe aus der Schweiz) hat in seiner Ausgabe vom vergangenen Sonntag mehrere Seiten zum Thema Doping gebracht. Darunter auch eine Liste mit den derzeit gesperrten Schweizer Sportlern, auf der auch ein gewisser Lukas Stettler vom FC EDO Simme steht (zwei Jahre Sperre wegen des Besitzes von Anabolika).

Schon kurz nach der Veröffentlichung meldete sich jener FC EDO Simme und erklärte, die Behauptung sei Quatsch:

Weder dem FC EDO Simme 1977 noch dem Spieler selbst, liegen solche Informationen vor. (…) Es handelt sich hierbei um eine Zeitungsente.

Wenig später erfuhr der Verein dann auch, wie es dazu gekommen war: Der Verfasser des “Blick”-Artikels gab an, er sei zunächst von der offiziellen Liste der gesperrten Sportler auf antidoping.ch ausgegangen.

Diese Liste gibt es tatsächlich. Allerdings gibt sie keinen Aufschluss über die Vereinszugehörigkeit:

Eintrag auf der Liste: Lukas Stettler, Verstoß: Besitz von Anabolika, Sperre: 16.07.2015-16.07.2017

Also was tat der „Blick“-Journalist? Er recherchierte. Heißt: Er googelte den Namen. In den Suchtreffern stieß er auf den FC EDO Simme. Zack, Recherche beendet.

Aus dem Blick-Artikel: 'Aktuell sind 15 Schweizer Sportler gesperrt' - darunter: 'Lukas Stettler (FC EDO Stimme), Besitz von Anabolika, 16.7.2015-16.7.2017'

Hätte er noch zehn Sekunden weitergesurft, wäre er allerdings darauf gestoßen, dass jener Lukas Stettler vom FC EDO Simme in der B-Jugend spielt und erst 15 Jahre alt ist, und vielleicht hätte er dann geahnt, dass er sich hier um den falschen Spieler handelt.

In Wahrheit trifft die Sperre nämlich den 22-jährigen Lucas Stettler von einem ganz anderen Verein.

Der Vorsitzende des FC EDO Simme erklärte uns, es sei „unannehmbar“, dass sein Verein mit Doping in Verbindung gebracht werde.

Dass aber ein 15-Jähriger, der aktuell auf Lehrstellensuche ist, dermaßen verunglimpft werden kann, ist eine Frechheit sondergleichen.

Immerhin hat der “Blick” heute eine Korrektur abgedruckt.

Mit Dank an Samuel G.

Märchenstunde, Problemfilme, US-Copyright

1. Pegidas Märchen
(freitag.de, Bartholomäus von Laffert & Konstantin Nowotny)
Wer für “Pegida” mitmarschiert, ist für die herkömmlichen Informationsangebote meist verloren. Schließlich werden die etablierten Medien unisono als “Lügenpresse” niedergeschrien. Wo holt sich der gemeine Pegida-Supporter stattdessen seine Informationen? Die Autoren haben sich verschiedene Internetseiten angeschaut. Darunter so berühmt-berüchtigte Onlineportale wie “Metropolico”, “Epoch Times” und “PI-News”.

2. Frauenkino = Problemkino?
(filmloewin.de, Sophie Charlotte Rieger)
“Filmlöwin” Sophie Charlotte Rieger stellt auf der gleichnamigen Seite die provozierende Frage, warum Frauen immer “Problemfilme” machen würden. Sie glaubt, dass dies nicht nur daran liege, dass man ihnen die Blockbuster-Budgets verwehre, sie also keine andere Wahl hätten, sondern auch deshalb, weil sie es wollten. “Frauen machen keine „Problemfilme“, weil es ihnen im Blut liegt, sondern unter anderem deshalb, weil sich hierin ihre eigene Erfahrungswelt widerspiegelt.” Es spräche jedoch nichts dagegen, die erhöhte Sensibilität der Filmemacherinnen für gesellschaftliche Missstände ins Mainstreamkino zu überführen.

3. Grundrecht auf Information stärken
(faz.net, Matthias Hannemann)
Die “Deutsche Welle” ist Deutschlands staatlicher Auslandsrundfunk, der in rund 30 Sprachen sendet. Der Sender ist der ARD angeschlossen und erhält auch wegen seines englisch- und arabischsprachigen Angebots derzeit viel Aufmerksamkeit. Zur “Deutschen Welle” gehört die “DW Akademie”, die für Medienentwicklung, Medienberatung und journalistische Aus- und Fortbildung im Ausland zuständig ist. Die “FAZ” hat sich mit der stellvertretenden Direktorin Ute Schaeffer über die Arbeit der Akademie in den 25 Fokusländern unterhalten, zu denen so unterschiedliche Regionen wie Bolivien, Myanmar, Bangladesch oder die palästinensischen Gebiete zählen.

4. Ein Satz sagt mehr als 1.000 Worte
(peterbreuer.me)
Peter Breuer nimmt den persönlichen Clausnitz-Bericht eines Facebooknutzers zum Anlass, mit den etablierten Medien ins Gericht zu gehen. “Wer etwas über die Zeit erfahren möchte, in der wir gerade leben, muss aus dem Haus gehen und mit Menschen reden. Und wenn ein Einziger mit einem Handy und einem Laptop eine bessere Geschichte schreibt als eine ganze Online-Redaktion mit 30 Mitarbeitern – dann nagelt sie Euch gefälligst an die Pinnwand und nehmt das als Ansporn.”

5. Zu gut, um legal zu sein
(jungle-world.com, Frederik Heinz)
Ende letzten Jahres ist dem 22jährigen Fotograf Hosam Katan die Flucht aus dem syrischen Aleppo gelungen. Er hat viele Fotos mitgebracht, die den dortigen Alltag zeigen, aber auch das grausame Kriegsgeschehen dokumentieren. So wurde er selbst Opfer eines Scharfschützen und musste wegen eines Bauchschusses monatelang in der Türkei behandelt werden. Seine Bilder wurden bereits in Frankfurt ausgestellt, eine Ausstellung in der Nähe von Marseille ist in Planung. Im Gespräch erzählt er von der Situation in Syrien und warum die Kamera zu seiner “besten Waffe” wurde.

6. Brauchen wir eine Frist auf das Copyright von Micky Maus?
(netzpiloten.de, Donald Barclay)
Im Jahr 1998 verlängerte der US-Kongress alle bestehenden Urheberrechte um 20 Jahre, was für die Besitzer geistigen Eigentums seinerzeit einen erheblichen Geldsegen bedeutete. Die Regelung nähert sich nun dem Ende, und es wird spannend, ob der neue Kongress die Dauer des Copyrights erneut verlängert. Es läuft auf einen Zweikampf hinaus. Dem Interesse von Wissenschaft, Kunst und normalem Publikum stehen knallharte Wirtschaftsinteressen der mächtigen Rechteinhaber gegenüber.

Geier Sturzflug (2)

Die IVW hat ihr Auflagen-Archiv geöffnet: Seit Kurzem kann man sich dort auch die Quartalsauflagen aus den Jahren 1950 bis 1997 ansehen (davor waren in der Regel nur die Auflagen seit 1998 abrufbar).

Zeichnet man die Auflagenentwicklung von “Bild” und “Bild am Sonntag” seit ihrer Gründung bis heute nach, sieht das Ganze so aus:

Seit dem Höhepunkt in den Achtzigern hat die „Bild“-Zeitung knapp 70 Prozent ihrer verkauften Auflage verloren. Allein in den vergangenen 15 Jahren (Ära Diekmann) ist sie von über vier Millionen auf aktuell unter 1,9 Millionen gesunken. So niedrig war sie das letzte Mal im Jahr 1954. Ähnlich die Entwicklung der „Bild am Sonntag“, die heute so wenige Ausgaben verkauft wie seit 57 Jahren nicht mehr.

Anders sieht’s dagegen im Digitalen aus: „Bildplus“ wächst im Schnitt um etwa 5.000 Nutzer pro Monat.

Damit haben die „Bild“-Medien seit der Einführung der Paywall im Sommer 2013 mehr als 300.000 zahlende Leser gewonnen. Und in der gleichen Zeit mehr als doppelt so viele verloren.

Junge Freiheit, DDR-Presse, Bewegtbildkonsum

1. «Wer die AfD verstehen will, muss die ‹Junge Freiheit› lesen»
(medienwoche.ch, Adrian Lobe)
Während andere Publikationen unter Auflageverlusten zu leiden haben, hat die rechte “Junge Freiheit” ihre Auflage gesteigert. In absoluten Zahlen sei dies zwar bescheiden, liefe aber dem allgemeinen Rückwärtstrend entgegen. Die inhaltliche Nähe zwischen dem konservativen Blatt und der AfD sei offenkundig. Entsprechend intensiv sei auch die Berichterstattung über die neue Partei. Gleichwohl hätte es die “Junge Freiheit” nicht geschafft, trotz eines evidenten Rechtsrutsches der Gesellschaft aus ihrem Nischendasein herauszukommen und wirke zuweilen wie ein “Altherrenblatt, das man bei einer Zigarre in einem Wirtshaus liest”.

2. Es trifft jeden, der für die Meinungsfreiheit eintritt
(faz.net, Friederike Böge)
Afghanistan ist in einem desolaten Zustand, was die freie Berichterstattung anbelangt. Die Taliban versetzen die Medienbranche in Angst und Schrecken. Ob Anschläge durch Selbstmordattentäter, Raubüberfälle, Bedrohungen: Journalisten in Afghanistan leben gefährlich. Deshalb seien allein im vergangenen Jahr mehr als hundert Journalisten ins Ausland geflüchtet.

3. 7 Trends beim Bewegtbildkonsum
(wuv.de, Petra Schwegler)
In der Kurzzusammenfassung des “TV & Media Report 2015” werden die sieben wichtigsten Trends in Sachen Medienkonsum wiedergegeben. Streaming und Mobile seien im Wachsen. Vor allem die 16- bis 34-Jährigen würden Videos bevorzugt über Smartphone, Laptop oder Tablet konsumieren. Hier bliebe der Fernseher weitgehend ausgeschaltet. Weitere Trends seien Bingewatching (“Komaglotzen”) ganzer Serien und User Generated Content auf Youtube und Co.

4. “Ich werde Journalistin, aber nicht in der DDR!”
(sueddeutsche.de, Cornelius Pollmer)
Bericht über die Ausstellung “Rotstift – Medienmacht, Zensur und Öffentlichkeit in der DDR”, die auch online besucht werden kann. Die Ausstellung liefert Informationen und Hintergründe über die damalige Situation und die drastisch eingeschränkte Pressefreiheit. Interessant auch für all die “Lügenpresse”-Rufer, die sich hier anschauen können, wie es tatsächlich ist, wenn sich die Medien in Parteihand befinden und staatlich gelenkt werden.

5. Zu gut, um legal zu sein
(zeit.de, Götz Hamann)
Christopher Lauer ist Ex-Pirat und Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses. Jüngst wurde Lauer auf Facebook bedroht. Er hat sich deshalb an die Polizei gewandt, doch die Sache ist nicht einfach: Facebook mauert, was die Herausgabe von Daten anbelangt. Lauers Fall illustriere ein drängendes Problem. Es herrsche große Unsicherheit, wie sich Bürger wehren und zu ihrem Recht kommen können, wenn sie auf Facebook beleidigt, genötigt oder bedroht werden. Ein Urteil, wie es kürzlich gegen einen Mann erging, der die Fernsehjournalistin Dunja Hayali mit Hasskommentaren auf Facebook überzogen hatte, sei die Ausnahme. Im Normalfall stünden die Chancen für deutsche Strafverfolgungsbehörden schlecht, an Daten zu gelangen.

6. Ulle alaaf! “Focus”-Chef schreibt Seehofer
(Übermedien.de, Video, 2 Minuten)
Der noch bis Ende des Monats amtierende “Focus”-Chef, Ulrich Reitz, hat einen Brief an Horst Seehofer geschrieben, „ganz persönlich“, als seltsam gekünstelte Audiobotschaft. Die Kollegen von “Übermedien” vermissten die Atmosphäre und haben den Vortrag deshalb… Ach, hören Sie einfach selbst!

Opferfotos bei Facebook klauen – was hält Mark Zuckerberg davon?

Nächste Woche kommt Facebook-Chef Mark Zuckerberg nach Deutschland und veranstaltet am Donnerstag eine Frage-und-Antwort-Stunde in Berlin (wird auch per Livestream übertragen). Die Fragen kann man jetzt schon einreichen.

Haben wir gemacht:

Hey Mark! In manchen Medien ist es gängige Praxis, nach Verbrechen oder Unfällen Facebook-Fotos (auch nicht-öffentliche) der Opfer oder Verdächtigen zu zeigen. In vielen Fällen fragen die Reporter nicht um Erlaubnis. Manchmal nehmen sie sogar falsche Fotos, sodass völlig unbeteiligte Personen für tot/zu Mördern erklärt werden. Finden Sie das okay?

Wenn Sie seine Antwort auch interessiert: Hier in den Kommentaren können Sie unsere Frage liken (was wohl die Chance erhöht, dass sie auch drankommt).

Einen Tag vor der Fragestunde ist Zuckerberg übrigens zu Gast beim Axel-Springer-Verlag. Dort bekommt er den “Axel Springer Award”, der jüngst ins Leben gerufen wurde — für „herausragende Unternehmerpersönlichkeiten aus dem In- und Ausland, die in besonderer Weise innovativ sind, Märkte schaffen und verändern, die Kultur prägen und sich gleichzeitig ihrer gesellschaftlichen Verantwortung stellen.“

Siehe auch: Wenn “Bild” Unschuldige zu Mördern macht

Nachtrag, 26. Februar: Mark Zuckerberg hat geantwortet.

Apple vs. FBI, Kolumnenrückzug, gerügte Blödwerbung

1. #FragDenBundestag erfolgreich: Bundestag öffnet seine Aktenschränke!
(netzpolitik.org, Arne Semsrott)
Manchmal zahlt sich Hartnäckigkeit aus. Wie “Netzpolitik.org” mitteilt, hat der Ältestenrat des Bundestags beschlossen, tausende Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes (WD) online auf der Bundestags-Website zu veröffentlichen. Vorausgegangen war dem eine gemeinsame Kampagne der Webseiten “FragDenStaat” und “Abgeordnetenwatch”, die eben dies gefordert hatten. Außerdem ändere der Bundestag die Praxis seiner Ausarbeitungen. Künftig würden alle Gutachten nach einer Schutzfrist von vier Wochen nach der Ausarbeitung durch den Bundestag online veröffentlicht. Dabei würde der Name des Auftraggebers nicht bekanntgegeben. Die Möglichkeit, ein Gutachten vertraulich einem Bundestagsabgeordneten exklusiv vorzubehalten, werde es künftig nicht mehr geben.

2. Blogger vs. Journalisten: Wie die Rhein-Zeitung versucht eine Diskussion aus 2009 wiederzubeleben
(netzfeuilleton.de, Jannis Kucharz)
“Das Jahr 2009 hat angerufen, es hätte gerne seine Diskussion zurück”, schießt es Jannis Kucharz durch den Kopf, als er einen Gastkommentar zum Thema “Blogger vs. Journalisten” in der “Rhein-Zeitung” liest. In seiner Entgegnung weist er daraufhin, dass auch Blogger eine öffentliche Aufgabe erfüllen würden. Entscheidend sei nicht die Bezeichnungen „Blogger“ oder „Journalisten“, sondern allein die journalistische Arbeitsweise.

3. ¡No pasaran!
(haltungsturnen.de, Wolfgang Lünenbürger-Reidenbach)
Wolfgang Lünenbürger-Reidenbach leitet das Deutschlandgeschäft einer mittelgroßen PR-Agentur und schreibt regelmäßig eine Kolumne für das “PR Magazin”. Doch nun hat er seinen Abschied erklärt. Lünenbürger-Reidenbach möchte nicht für ein Blatt schreiben, in dem auch Roland Tichy (Publizist und Betreiber von “Tichys Einblick”, einer “liberal-konservativen Meinungsseite”) vertreten sei. Dessen Beiträge hätten als “normale” konservative Wirtschafts- und Politikkommentare begonnen und seien inzwischen bei radikaler, mit Verschwörungstheorien gespickter Hetze angekommen, die sich im Gleichsetzen von “Pegida” mit der DDR-Bürgerbewegung von 1989 erginge. Da seine Begründung für den Kolumnenausstieg vom “PR Magazin” nicht veröffentlicht worden sei, mache Lünenbürger-Reidenbach diese nun öffentlich.

4. Werberat rügt sechs Firmen wegen sexistischer Werbung
(berliner-zeitung.de)
Der Deutsche Werberat hat sechs Unternehmen wegen sexistischer und Gewalt verharmlosender Werbung gegenüber Frauen gerügt. Trotz Aufforderung durch die Selbstkontrolleinrichtung der Werbewirtschaft hätten die verantwortlichen Unternehmen ihre Werbung nicht abgesetzt. Die gerügten Bilder offenbaren zu all dem eine fremdschämbehaftete Dumpfbackigkeit, so dass man am liebsten eine weitere Rüge hinterherschieben möchte: Die Blödheitsrüge.

5. Zu gut, um legal zu sein
(zeit.de, Patrick Beuth)
Derzeit tobt ein Streit zwischen Apple und dem FBI. Apple soll helfen, an die geschützten Daten im iPhone 5C des toten San-Bernardino-Attentäters Syed Rizwan Farook zu gelangen. Der Beitrag geht der Frage nach, ob zu starke Verschlüsselung und andere Sicherheitstechnik mehr schadet als nützt. Interessant in diesem Zusammenhang auch der Kommentar der “Tagesschau”, die Apple Werbung vorwirft, und die Entgegnung von Christoph Kappes.

6. Medienmarken im Social Web: Claus Kleber ist Twitter-Star
(wuv.de, Petra Schwegler)
Ein Beobachtungsdienst für soziale Medien hat prominente Medienmacher und Journalisten auf Twitter beobachtet und analysiert. Der beliebteste Nachrichtensprecher sei ZDF-Anchor Claus Kleber. Mit 189.000 Fans (zum Zeitpunkt der Analyse, aktuell sind es 193.000) hätte er nicht nur die meisten Follower, sondern würde auch zu den meisten Konversationen anregen. Was bei gerade mal 414 Tweets mit teilweise kryptischem Wort- und Abkürzungs-Stakkato dann doch etwas verwundert. Aber vielleicht ist damit ja das Erfolgsgeheimnis offenbart.

Völker, klaut die Signale

Wo wir gerade über die Fotobeschaffer der „Bild“-Zeitung reden: Es gibt ja auch Positivbeispiele.

Nachdem etwa gestern von Polizei und Staatsanwaltschaft bekanntgegeben worden war, dass wahrscheinlich ein falsches Lichtsignal für das Zugunglück von Bad Aibling verantwortlich war, brauchte „Bild“ natürlich ein Foto davon, um so was schreiben zu können wie “Mit diesem Signal löste der Fahrdienstleiter das Unglück aus”.

Vermutlich brauchten die zuständigen Rechercheure nicht lang, um auf diese Seite zu stoßen:

Internetseite mit Fotos von verschiedenen Lichtsignalen, die an Bahnstrecken stehen

Dort sind (“Von Lokführern, für Lokführer & Interessierte”) verschiedene Lichtsignale abgebildet, wie hier mit dem Signalbild „Zs1“, das wohl auch in Bad Aibling eine Rolle gespielt hat.

Das Foto ist mit einem Copyright versehen (unten rechts), auch auf der Seite gibt es ziemlich eindeutige Copyright-Hinweise:

Informationen zum Copyright © Alle Bilder und Grafiken sind eigens für die Internetseite erstellt. Jegliche Weiterverwendung bedarf einer Zustimmung von TF-Ausbildung.de. Einige Originalbilder wurden von Dritten erstellt. Diese sind dann jewals auch beim Bild genannt. Kopieren der Grafiken, Bilder, Videos oder anderer Daten allerhöchstens zum privaten Gebrauch erlaubt. Die Dateien dürfen in keiner Weise verändert werden. Liebe Ausbilder... liebe Lehrer... Möchtet Ihr Bilder, Grafiken, Videos oder Dokumentationen in Unterrichten/Weiterbildungen benutzen oder zeigen, so benachrichtigt uns bitte. Nach einer Benachrichtigung sollte einer Verwendung nichts im Wege stehen. Schreiben Sie einfach eine E-Mail an ...

Und tatsächlich: Ein Mitarbeiter von „Bild“ meldete sich beim Betreiber der Seite und erklärte, dass sie das Foto gerne verwenden würden.

Und so …

Artikel bei Bild.de: 11 Tote bei Zug-Katastrophe von Bad Aibling - Mit diesem Signal löste der Fahrdienstleiter das Unglück aus [dazu das Foto von der Internetseite]
Artikel in der Bild-Zeitung: 11 Tote bei Zug-Katastrophe von Bad Aibling - Mit diesem Signal löste der Fahrdienstleiter das Unglück aus [dazu das Foto von der Internetseite]

Sogar überall mit korrekter Quellenangabe:

Foto: S.Thater/TF-Ausbildung

Alles ganz vorbildlich.

Bis auf einen kleinen Haken: Der Fotograf hat der Veröffentlichung gar nicht zugestimmt. Er hat nie auf die “Bild”-Anfrage reagiert. Bei Facebook schreibt er:

Moin zusammen! Gestern erreichte uns eine Anfrage des Axel Springer Verlags, ob man für einen Artikel bezüglich des Zugunglücks von Bad Aibling eines unserer Bilder verwenden könnte. Ohne lange zu überlegen wanderte diese Anfrage in den Papierkorb! Heute mussten wir feststellen, dass sie dennoch einfach das Bild verwendet haben. Ich sage es hier in aller Deutlichkeit: Wir haben dem NICHT zugestimmt und distanzieren uns ganz klar von einer derartigen 'Berichterstattung'! Wir hatten weder Einfluss auf diesen merkwürdigen Text, noch haben wir für die Verwendung Geld oder ähnliches erhalten, Wie das jetzt rechtlich zu bewerten ist müssen wir sehen...

Der Betreiber erklärte uns, er empfinde das (gerade durch die Namensnennung im Online-Artikel) als „sehr schädigend für meine Internetseite“, vor allem weil „in dem besagten Artikel so viele fachliche Fehler und wilde Spekulationen erschienen sind“. Er habe jetzt einen Anwalt kontaktiert.

Mit Dank an Totte.

Bild  

Foto: Privat

Wenn die „Bild“-Zeitung unverpixelte Fotos von Opfern oder Tätern abdruckt (was ja hin und wieder vorkommen soll) und man am Rand entweder gar keine Quellenangabe oder nur „Foto: Privat“ liest, kann man das in der Regel so übersetzen: Foto bei Facebook beschafft, Urheber nicht gefragt, Zustimmung der Abgebildeten nicht eingeholt, uns doch egal, alles geben, alles zeigen.

Vorgestern, “Bild”-Zeitung, Seite 3:

Gesicht entstellt! Nahm ihr Ex grausame Rache? - SÄURE-ATTENTAT AUF VANESSA (27) [dazu ein riesiges Doto des Opfers und ein kleineres Foto des Tatverdächtigen]

(Unkenntlichmachung von uns. Für den Verdächtigen unten rechts hat „Bild“ einen kleinen Augenbalken springen lassen, für die Frau auf dem großen Foto nichts. Quelle: “Privat”.)

Man darf wohl davon ausgehen, dass die Leute von “Bild” auch in diesem Fall keine Erlaubnis der Abgebildeten vorliegen hatten, denn der abgebildete Mann sitzt in U-Haft — und die abgebildete Frau hat überhaupt nichts mit der Sache zu tun. Da haben sie mal wieder das falsche Foto geklaut.

Inzwischen wurde die Seite aus dem ePaper entfernt und in der Ausgabe von gestern eine Korrektur veröffentlicht versteckt, drei Seiten weiter hinten und sechsmal kleiner als das falsche Foto:

Korrektur - In dem Bericht über den Säureanschlag auf Vanessa (27) vom 16. Februar ist es bedauerlicherweise zu einer Verwechslung gekommen. Das von BILD veröffentlichte Foto zeigt nicht das Opfer des Angriffs, sondern eine unbeteiligte Person. Dafür bitten wir um Entschuldigung.

Und sie haben es sich nicht nehmen lassen, bei der Gelegenheit auch gleich noch mal den Verdächtigen zu zeigen. Und das (angeblich diesmal richtige) Opfer. Ohne jede Verpixelung.

So geht es Säure-Opfer Vanessa [dazu ein Foto des Opfers und ein Foto des Verdächtigen]

Klein am Rand steht: „Foto: Privat“.

Mit Dank an Gabriel M.

Wie gemein! Wer setzt solche Gerüchte in die Welt?

Über zwei Jahre ist es jetzt her, dass sich Formel-1-Fahrer Michael Schumacher bei einem Skiunfall schwer am Kopf verletzt hat und ins Koma fiel. Inzwischen befindet er sich in einer langwierigen Reha-Phase.

Viele Medien nehmen (abgesehen von den anfänglichen Ausrastern) inzwischen Rücksicht auf Schumacher und dessen Familie, berichten nur noch selten und beteiligen sich nicht an Spekulationen.

Einige lassen immer noch nicht locker und verletzen in routinierter Regelmäßigkeit die Persönlichkeitsrechte der Familie, setzen Gerüchte und Falschmeldungen in die Welt und versuchen auf perfide Weise, den Fall Schumacher zu Geld zu machen. In aller Regel bekommt man davon nichts mit, weil es in den düstersten Ecken des Zeitschriftenregals passiert: in “Freizeit Revue”, “Bunte”, “Gala”, “die aktuelle”, den Regenbogen- und “People”-Heften.

Sabine Kehm, Schumachers Managerin, die auch seine Familie in der Öffentlichkeit vertritt, hat sich seit dem Unfall einige Male öffentlich zu Wort gemeldet. Dabei hat sie grobe Angaben zu Schumachers Gesundheitszustand gemacht und immer wieder erklärt, dass der Genesungsprozess sehr lange dauern werde. Und dass sie medizinische Einzelheiten nicht diskutieren möchte, um Schumachers Privatsphäre zu schützen.

Von Anfang an hat sie versichert, dass sie „entscheidende Neuigkeiten im Gesundheitszustand Michaels weiterhin bekanntgeben“ werde. Man müsse „einfach Geduld haben“.

Doch Geduld füllt keine Titelseiten. Die Redaktionen der Knallpresse wollen Details. Sie wollen ganz genau wissen, was im Krankenzimmer vor sich geht. In allen Einzelheiten. Sie nennen das “Wahrheit”, weil “Wahrheit” so klingt, als würde da irgendwas Wichtiges verheimlicht, und als hätte die Öffentlichkeit verdammt noch mal ein Recht darauf, endlich Genaueres zu erfahren.

So sieht die aktuelle “Gala” aus, über die ihr Verlag Gruner & Jahr schreibt, sie schaffe “eine intime, aber immer respektvolle Nähe zu den Stars”.

Im Artikel (“Das Ende der Stille”) schreibt das Blatt:

Zum Gesundheitszustand von Schumacher äußerten sich seine Familie und seine Managerin Sabine Kehm generell nur spärlich und vage. Der 47-Jährige mache “der Schwere seiner Verletzungen entsprechend Fortschritte”, die Reha-Phase werde sehr lange dauern, es sei “ein Kampf”. In diesem Duktus bleiben die Statements. Kein Wunder, dass es immer wieder wilde Spekulationen um Schumacher gibt, die für Schlagzeilen sorgen.

Schlagzeilen? Was denn für Schl…


(Ausgabe 11/2015. Hintergrund: Familie Schumacher soll ihr Ferienhaus verkauft haben.)

Nach der Logik der “Gala” sind die Schumachers also selbst schuld an solchen Schlagzeilen. Nur ein “ehrliches Wort”, schreibt sie, würde “alle Spekulationen im Keim ersticken”. Anders gesagt: Das Blatt wird erst mit dem Gerüchteverbreiten aufhören, wenn die Familie genug Details ausgepackt hat.

Corinna Schumacher, 46, täte sich damit einen großen Gefallen.

Sich. Natürlich.

Auch die “Bunte” will die Stille um Michael Schumacher einfach nicht ertragen und füllt sie lieber mit ein paar exklusiven Geschichten:

Viele davon musste sie, wie diese, in der digitalen Version nachträglich schwärzen, weil sie falsch waren oder sich die Familie juristisch dagegen gewehrt hat. Hier waren es Gerüchte über Schumachers Gesundheitszustand, die das Blatt “aus dem engsten Schweizer Umfeld der Familie” erfahren haben wollte. Managerin Kehm erklärte später: Alles Quatsch.

Wenn der Burda-Verlag seine “Bunte” beschreibt, nennt er sie übrigens ohne einen erkennbaren Anflug von Ironie eine “journalistische Institution”, die für “einzigartigen People-Journalismus” stehe und “der Garant für hochprofessionelle aktuelle Berichterstattung” sei. Viele Menschen kaufen ihm das ab. Und (auch deswegen) seine Hefte.

Das gilt auch für Blätter wie “die aktuelle”.

Für alle, die sie nicht kennen, hier die Kurz-Charakterisierung vom Verlag (Funke):

Spannende und seriöse Reportagen über Showstars, VIPs und Königshäuser, ohne Sensationslust, sondern mit viel Gefühl, bestimmen das redaktionelle Angebot und prägen den „People-Magazin“ – Charakter.

Hach ja:

Das ist die aktuelle Ausgabe. Der “Insider”, von dem das Zitat auf der Titelseite stammt, ist ein französischer Rennfahrer, der angeblich mit Schumacher befreundet ist.

Gefunden hat “die aktuelle” das Zitat in diesem französischen Magazin:

Familie Schumacher hat, wie uns ihr Anwalt bestätigte, bereits eine Verfügung gegen das “aktuelle”-Titelblatt erwirkt. Die ePaper-Ausgabe ist (wie die meisten Schumacher-Ausgaben, die bisher erschienen sind) nicht mehr erhältlich.

(Vor ungefähr einem Jahr gab es einen ähnlichen Fall: Irgendeine französische Postille hatte damals unter Berufung auf einen „Insider” Dinge über Schumachers Gesundheitszustand behauptet. Der Informant sei ein enger Freund der Familie, hieß es, und er habe die Informationen von Schumachers Frau und dessen Arzt. Die Gerüchte verbreiteten sich auch hierzulande. Schumachers Managerin teilte daraufhin mit, die Informationen seien falsch. Der Mann sei nie mit Schumacher befreundet gewesen, er habe außerdem weder Kontakt zu Schumachers Frau noch zu Schumachers Arzt gehabt.)

Oft findet “die aktuelle” ihre Geschichten auch im Internet. In einer der jüngsten Schumacher-Ausgaben schreibt sie:

Auf der Fan-Homepage von Michaels Sohn Mick, 16, fand man im Dezember 2014 rührende alte Familienbilder: Dreikäsehoch Mick mit seinem berühmten Papa. In diesem Jahr gibt es Bilder von Micks Karriere und Kollegen …

Und was schließen wir daraus? Genau:

Überall scheint der letzte Funken Hoffnung zu erlöschen. War alles Beten und Hoffen umsonst? Es macht unendlich traurig, dass immer mehr Menschen Schumi offenbar aufgegeben haben. Seine Familie wird das wohl auch schmerzlich spüren. Es wird immer schwerer, an Genesung zu glauben. Die Zeit der Entscheidung rückt näher, sich zu fragen, ob man selbst noch hoffen kann. Wenn die Kraft fehlt, noch an ein Wunder zu glauben, bleibt nur noch die Liebe und die Erinnerung.

Voilà:

So geht das seit zwei Jahren. Lieblingsthema, selbstverständlich: Schumis Gesundheitszustand.

Bei näherer Betrachtung wird schnell klar, mit welchen Tricks “die aktuelle” sonst noch arbeitet.

„Aufgewacht!“ bezieht sich nicht auf Michael Schumacher, sondern (wie die Mini-Unterzeile verrät) auf irgendwelche Menschen, die schon mal aus dem Koma erwacht sind. Die angebliche „Lungenentzündung“ basiert auf einer unbestätigten „Bild“-Geschichte, die „Bild“ später korrigierte. Die „Traurige Weihnachten“-Story ist eine Collage aus alten Zitaten und Gerüchten. Bei „Er sitzt in der Sonne!“ steht ganz klein neben dem Foto: „St. Moritz, 26.1.2013“ – es wurde also ein Jahr vor dem Unfall aufgenommen.

Zweitliebstes Thema: Schumis Familie.


Auch hier immer die gleichen Muster: Bei „Eine neue Liebe macht sie glücklich!“ geht es nicht um Corinna Schumacher, sondern um ihre Tochter, die angeblich einen neuen Freund hat. Der “neue ‘Papa’ für Schumis Sohn“ ist Formel-1-Pilot Sebastian Vettel, also “Papa” im Sinne von “Ziehvater”, weil er ihm ja bestimmt gute Formel-1-Tipps geben kann und so. Bei „’Sie standen vor der Trennung!’“ steht in der kleinen Unterzeile: „Wer setzt solche Gerüchte in die Welt? Es geht um die Zeit vor dem Unfall…“ Und: „Wie gemein!“

Das alles ist nur ein winziges Abbild des alltäglichen Irrsinns, nur ein Tropfen aus dieser gewaltigen Schlagzeilenflut.

Allein die Ausgaben, die in diesem Eintrag abgebildet sind (das französische Blatt und die erst kürzlich erschienenen Ausgaben ausgenommen), sind insgesamt über 12 Millionen mal verkauft worden. Rechnet man alle verkauften Frauen-Freizeit-Titel zusammen, kommt man in die Hunderte Millionen. Jedes Jahr.

Hunderte Millionen Zeitschriften voller hochprofessioneller Berichterstattung. Ohne Sensationslust. Sondern mit viel Gefühl.

Mit Dank an Micky B. und Dominik H.

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