Archiv für Mai 5th, 2014

Eingebildete Lauchschmerzen

Porree und Lauch werden neuerdings gern genommen, wenn es darum geht, die vermeintliche Regulierungswut der EU zu dokumentieren. Vorher war es jahrelang die Gurke gewesen. Gurken der Extra-Klasse durften (übrigens auf Wunsch des Handels) nicht mehr als zehn Millimeter auf zehn Zentimeter gekrümmt sein. Doch dass diese Norm abgeschafft wurde (übrigens unter Protesten des Deutschen Bauernverbandes), hat sich selbst unter Journalisten inzwischen herumgesprochen.

Aber der Porree!

Hans Magnus Enzensberger hat ihn vor einigen Jahren zu einem Symbol der Überregulierung gemacht. Wenn die “Welt” Europa als “Herrscherin über unseren Alltag” bezeichnet und die angeblich “absurdesten Gesetze” der EU-Kommission auflistet, darf er nicht fehlen:

Noch viel bizarrer als die mittlerweile revidierten Vorschriften zum Krümmungsgrad von Gurken sind die Vermarktungsnormen für Porree/Lauch: Die Färbung des Naturprodukts ist genauestens vorgeschrieben.

In der Verordnung der Brüsseler Beamten heißt es: “Mindestens ein Drittel der Gesamtlänge oder die Hälfte des umhüllten Teils muss von weißer bis grünlich-weißer Färbung sein. Jedoch muss bei Frühlauch/Frühporree der weiße oder grünlich-weiße Teil mindestens ein Viertel der Gesamtlänge oder ein Drittel des umhüllten Teils ausmachen.”

Nun ist es natürlich keineswegs so, dass Porree anderer Färbung nicht als Porree gilt — er darf nur nicht als “Klasse I” vermarktet werden. Warum es “absurd” sein soll, für unterschiedliche Handelsklassen bestimmte Qualitäts-Merkmale vorzuschreiben, lässt die “Welt” offen.

Vor allem aber: Die Norm gibt es gar nicht mehr. Sie wurde im Sommer 2009 aufgehoben, um dem Wunsch nach weniger Regeln und weniger Bürokratie nachzukommen. Und zwar gleichzeitig — mit den Krümmungsregeln für Gurken.

Nachtrag, 6. Mai. Die “Welt” hat ihren Fehler korrigiert.

Alles nur Fassade

Die Frau des Fußballers Robert Lewandowski, der zur kommenden Saison vom BVB zum FC Bayern wechselt, hat sich zum Abschied aus Dortmund etwas ganz Romantisches einfallen lassen:

LEWANDOWSKI - Kabinen-Kuss zum Abschied - Ab jetzt zählt nur noch Bayern

Bild.de schreibt:

Die Kabine ist sonst der heilige Ort der Fußballer. Jetzt nimmt uns Robert Lewandwoskis Frau Anna mit.

Für ein Knutsch-Foto!

Und das sieht so aus:

  Bei Instagram postete Lewandowskis Frau Anna dieses Knutsch-Foto aus der Kabine

Warum da immer noch das Trikot von Moritz Leitner hängt (obwohl er zurzeit gar nicht in Dortmund spielt), erklärt “Bild” leider nicht. Und warum beim BVB die Türklinken in der Luft schweben, bleibt ebenfalls offen.

Könnte aber alles daran liegen, dass sich die beiden nicht in der Kabine geküsst haben, sondern vor einer Fototapete im VIP-Bereich des BVB.

Mit Dank an Christoph.

Nachtrag, 17.25 Uhr: Bild.de hat den Artikel korrigiert und unter dem Text einen Hinweis veröffentlicht:

*BILD hatte Tomaten auf den Augen

Zu der Geschichte “Kabinen-Kuss zum Abschied” zeigten wir ein Foto von Dortmund-Stürmer Robert Lewandowski, der seine Frau Anna küsst. Den Kuss gab’s aber nicht in der BVB-Kabine, sondern vor einer Foto-Tapete. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

Pakistan, Lobbygruppen, Rebellion

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Eine Meldung – und ihre Geschichte”
(blog.zeit.de/kabul, Ronja von Wurmb-Seibel)
Die Geschichte hinter der dpa-Meldung “Pakistan: Zwei Berliner Brüder festgenommen”: “Im Bus gibt es dann englischsprachige Zeitungen zu lesen und auf Seite zwei entdecken wir die Schlagzeile über unser Ergreifen, maßlos übertrieben und wenig informativ. (…) Eine ganze Reihe deutscher Medien hat diese fälschliche Schlagzeile reproduziert, teilweise noch pikanten Details verfeinert.”

2. “Qualitätsjournalismus Fehlanzeige: Journalisten als Lobbyisten”
(meedia.de, mit Video, 6:48 Minuten)
Die ZDF-Sendung “Die Anstalt” zeigt Verflechtungen deutscher Journalisten mit Lobbygruppen auf. “In der Mitgliederliste der Atlantik-Brücke, der u.a. Bild-Chef und -Herausgeber Kai Diekmann vorsitzt, tauchen neben ‘heute’-Anchor Claus Kleber auch Theo Koll, noch Politbarometer-Experte und bald Leiter des ZDF-Studios in Paris, und Grünen-Politiker Cem Özdemir auf, der den stv. Vorsitz des ZDF-Fernsehrates inne hat.”

3. “Rebellion unter den Lesern”
(medienblog.blog.nzz.ch, Rainer Stadler)
Die Meinungsvorherrschaft der Journalisten zerbröckle, stellt Rainer Stadler fest angesichts der breiten Kritik von Lesern, Journalisten würden im Konflikt um die Ukraine “die Ereignisse einseitig aus westlicher Optik darlegen und bewerten”: “Ich bezweifle allerdings, dass diese Erkenntnis ins Bewusstsein vieler professioneller Informationsverarbeiter gedrungen ist. Der Wille, die Rebellion im Publikum ernst zu nehmen, ist kaum vorhanden.” Siehe dazu auch “Der Westen und die Massenmedien sind zu tadeln!” (nzz.ch, Lorenz König).

4. “Im Abseits”
(sueddeutsche.de, Ralf Wiegand)
Insgesamt zwei gedruckte Interviews mit Pep Guardiola sind erschienen, seit dieser Trainer des FC Bayern München ist. “Viele Vereine aber führen intern schon Diskussionen, wozu man Sportjournalisten in den Stadien überhaupt noch braucht – wenn man doch alles selber machen kann.”

5. “Fünf Jahre taz-Hausblog: So viel Transparenz wie bei keiner anderen Zeitung”
(blogs.taz.de/hausblog, Sebastian Heiser)
Das “taz”-Hausblog feiert den 5. Geburtstag: “Als Student hatte ich das Blog spiegelkritik.de betrieben, das sich am Spiegel und Spiegel Online abarbeiten wollte, aber leider nie das Niveau des großen Vorbilds bildblog.de erreicht hat. Noch mehr als über die journalistischen Fehler im Spiegel habe ich mich über den Umgang mit ihnen geärgert. Genauer: Den Nicht-Umgang. Die Journalisten – gerade beim Spiegel – dachten, es sei für ihre Arbeit essenziell, einen Nimbus der Unfehlbarkeit zu verbreiten und keine Fehler zuzugeben. Das ärgerte mich als Leser. Ich fand, Journalisten müssten mal von ihrem hohen Ross runterkommen, ihre Arbeit transparenter machen und sich der Kritik stellen. Und dann wechselte ich die Seiten.”

6. “Die fünf Erfolgsfaktoren von mobilen Newsplattformen: Boulevard, Reichweite auf Social Media, Viralität, Originalität und neue Werbeprodukte”
(svenruoss.ch)