Archiv für Juli, 2012

Keine Lieder über Liebe

Als der damalige Bundespräsident Christian Wulff dem “Bild”-Chefredakteur auf die Mailbox quatschte, ließen sich Kai Diekmann und seine Redaktion nicht von einer Veröffentlichung eines geplanten Artikels über Wulffs private Hausfinanzierung abbringen. Nun ist es offenbar einigen rangniederen Politikern gelungen, einen auf den ersten Blick deutlich weniger brisanten Artikel, der bereits auf Bild.de erschienen war, wieder löschen zu lassen. Das behauptet zumindest der Bundestagsabgeordnete Diether Dehm.

Dehm ist nicht nur Politiker der Partei Die Linke, sondern auch Musiker, Komponist und Produzent. In dieser Funktion (und der des “Kondom-Erfinders”) hat ihn die “Bild”-Redakteurin Angi Baldauf anlässlich der Veröffentlichung seiner neuen CD “Grosse Liebe. Reloaded” für die Zeitung porträtiert. Ihr Artikel erschien am Samstagabend auf Bild.de:

Diether Dehm (62): Dieser Linke ist der erste Popstar im Bundestag. Hit-Schreiber, Sänger, Kondom-Erfinder — Der Abgeordnete Diether Dehm hat alle Hände voll zu tun.

Etwa 18 Stunden später war der Artikel wieder verschwunden, ist aber auf Dehms Internetpräsenz noch nachzulesen (PDF).

Es spricht wenig dafür, dass der Artikel bei Bild.de versehentlich veröffentlicht und dann wieder zurückgezogen wurde. Bild.de hatte ihn über den offiziellen Twitter-Account beworben:

So erregte der Artikel offenbar auch die Aufmerksamkeit der CDU-Abgeordneten Erika Steinbach, die sich öffentlich empörte:

Frau Steinbach und Herrn Dehm verbindet eine Jahrzehnte alte Feindschaft: 1990 hatte Steinbach behauptet, Dehm sei vor Jahren Stasi-Mitarbeiter gewesen. Dehm ließ diese Behauptung gerichtlich verbieten, doch 1996 tauchte eine Stasi-Akte auf, aus der hervorging, dass Dehm als von 1971 bis 1978 als Informeller Mitarbeiter die Staatssischerheit der DDR mit Informationen aus seinem Umfeld versorgt hatte. Es folgte eine längere Auseinandersetzung, die mit der Feststellung endete, dass Steinbach Dehm als “Stasispitzel” bezeichnen darf.

Dehm war von 1976 bis 1988 Manager des Liedermachers Wolf Biermann gewesen. Biermann hatte hinterher behauptet, Dehm habe sich ihm gegenüber 1988 als ehemaliger Stasi-Mitarbeiter offenbart, weswegen er ihn als seinen Manager entlassen habe.

Ein Vorfall, der auch im Bild.de-Artikel thematisiert wurde:

Den Vorwurf seines ehemaligen Liedermacher-Mitstreiters Wolf Biermann, er habe ihn bei der Stasi verpfiffen, hält er triumphierend das Dokument der Stasi selbst entgegen. Danach hatte die Stasi versucht, ihn als 24-Jährigen anzuwerben. Als Dehm aber 1977 Biermanns Manager geworden war und in Ostberlin sein Protestflugblatt gegen dessen Ausbürgerung verteilt hatte, stempelte die Stasi den “Perspektiv-IM” zum DDR-Staatsfeind. Sogar mit Fahndungsbefehl, welcher heute eingerahmt neben den neun goldenen und vier Platin-LPs hängt.

Diether Dehm hält es dann auch für möglich, dass sich einige politische Gegner daran störten, “dass ausgerechnet ‘Bild’ das entlastende Dokument erwähnt”.

Beschwert haben sich offenbar einige, wenn auch niemand so öffentlich wie Erika Steinbach. Im vom Liedermacher Konstantin Wecker herausgegebenen Blog “Hinter den Schlagzeilen” heißt es:

Dann prasselte der Druck auf die Redaktion. Aus höchsten Kreisen von CDU, SPD, FDP usw.

Die Bildspitze wurde zur Ordnung gerufen. Zur herrschenden Ordnung.

Diether Dehm selbst erklärte uns auf Anfrage, ihm seien inzwischen Namen “aus den Fraktionsspitzen der drei Parteien” zu Ohren gekommen, die am Sonntag bei “Bild” “vorstellig geworden” sein sollen, um sich über die positive Berichterstattung über Dehm und seine neue CD zu beschweren.

Dass Bild.de den Artikel dann wieder offline genommen habe, sieht Dehm als Teil einer Kampagne gegen seine Partei, wie er uns schreibt:

Es ist nicht nur “Bild”, sondern das Gros der Verlagskonzerne, die LINKE nur skandalisiert in ihre Blätter lassen. Wir erleben gerade eine Auferstehung von Zensur a la McCarthy und Berlusconi, damit um Gotteswillen die Wut über die Zockerbanken in der Eurokrise nicht nach links geht.

Das treffe dann sogar seine “kleine, ziemlich unverdächtige Liebeslieder-CD”.

Die Pressestelle der Axel Springer AG antwortete auf unsere Anfrage, wir wüssten ja, dass der Verlag “zu Redaktionsinterna keine Auskunft” gebe. So sei es auch in diesem Fall.

Mit Dank an Nico R. und Rita B.

Steffen Seibert, NAIIC, RTL 2 News

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “‘Im Zug des Lebens in Fahrtrichtung'”
(faz.net, Werner D’Inka und Peter Lückemeier)
Steffen Seibert, Ex-Journalist und aktuell Regierungssprecher, im ausführlichen Interview: “Wer sagt, es lasse ihn kalt, Herrn Obama, Herrn Putin oder Herrn Hollande so gegenüberzusitzen, wie ich es jetzt erlebe, der lügt. Journalisten kommen immer nur bis zu einem gewissen Punkt, dann schließt sich die Tür. Kann auch sein, dass dieser Abstand für die Berichterstattung hilfreich ist. Ich stelle fest, auf der anderen Seite der Tür dabei zu sein ist faszinierend. Und es hilft mir viel besser zu verstehen, warum Regierungen so oder so handeln.”

2. “Die Mühlen der PR”
(weltraumer.de, Daniel Raumer)
Das Bild des Pressesprechers als “Nicht-mit-Presse-Sprecher”: “Ich habe es erlebt, dass Pressesprecher ohne Skrupel bei meinem Vorgesetzten anriefen und sich beschwerten, weil ich seriös um eine Stellungnahme gebeten hatte und auch nach mehrfachem telefonischem Abwimmeln durch die Assistentin hartnäckig blieb. Ein Pressesprecher, der sich echauffiert, weil die Presse mit ihm sprechen will, offenbart eine erstaunlich von meinem Verständnis abweichende Interpretation seines Berufs.” Siehe dazu auch “SPD: Pressesprecher will privat bleiben” (blogs.taz.de/hausblog, Sebastian Heiser).

3. “Ein offener Brief an Martin Kölling, Japan-Korrespondent des Handelsblatts”
(schnellinterkulturell.de, Marco)
Marco Damm fragt den “Handelsblatt”-Japan-Korrespondenten, ob er, als er über den am 5. Juli veröffentlichten Bericht der NAIIC schrieb, “den Wortlaut der japanischen Fassung mit dem der englischen Fassung” verglichen habe. “Falls ja, haben Sie übersehen, dass der, an das internationale Publikum gerichtete, englische Report völlig anders formuliert ist und das Reaktorunglück ganz bequem als ‘made in Japan’ tituliert und den Zwischenfall somit auf schwammige kulturelle Besonderheiten und Einzigartigkeiten der japanischen Obrigkeitshörigkeit, etc. schiebt? Der japanische Report enthält dagegen keinerlei ‘made in Japan’ Formulierungen, sondern legt den Fokus viel mehr auf das zu enge Verhältnis zwischen Industrie und Politik. Auch hier ist Aussparung des ‘made in Japan’ wohl überlegt.”

4. “RTL News statt Tagesschau”
(fr-online.de, Peer Schader)
Peer Schader schaut “RTL 2 News”: “Regelmäßige Zuschauer der ‘RTL 2 News’ wissen aus den vergangenen beiden Wochen, dass in Ecuador ein Hochhaus gebrannt hat, dass sich auf einer chinesischen Autobahn ein riesiges Loch aufgetan hat und dass in Budapest eine Wasserleitung geplatzt ist – aber nichts über den IWF-Jahresbericht zur US-Wirtschaft und fast gar nichts zur Arbeit des NSU-Ermittlungsausschusses.”

5. “Intern: Wenn aus Bildern Brötchen werden”
(iphone-ticker.de)
Die “Wirtschaftswoche” übernimmt ein Bild von ifun.de. “24 Stunden und zwei freundliche eMails später ist die Geschichte nun aus der Welt. Unkompliziert und ohne einen Anruf beim Anwalt, spendet die WiWo jetzt 100€ an den Bundesverband Deutsche Tafel e.V. – und auch wir legen noch mal 100€ drauf.”

6. “Neues aus Kalau”
(noemix.twoday.net)

Alles auf Zucker

Pünktlich zum Beginn des Sommerlochs der Sommerferien titelte die jüngste Ausgabe der “Bild am Sonntag”:
Die Zucker-Falle

Er ist eine süße, versteckte Droge, die wir jeden Tag mit unserer Nahrung aufnehmen: Zucker! Inzwischen verzehrt jeder Deutsche rund 35 Kilo im Jahr. Denn in vielen Getränken und Lebensmitteln ist weit mehr Zucker, als wir vermuten.

Gut, so was erzählen Zahnärzte und Mütter seit Jahrzehnten. Jetzt sind es also die Enthüllungsjournalisten von der “BamS”, die dieser Zucker-Sache mal auf den Grund gehen:

Bild am Sonntag enthüllt, wie viel Zucker wirklich in unseren Lebensmitteln steckt.

Das hat allenfalls mittelgut geklappt.

Denn bei “Bild am Sonntag” haben sie gewürfelt:

BILD am SONNTAG hat 55 Lebensmittel auf ihren Zuckergehalt untersucht und in Zuckerwürfel umgerechnet.

Mit “untersucht” ist offenbar nichts anderes gemeint, als dass die Leute von “Bild am Sonntag” die Nährwert-Angaben von den Verpackungen abgelesen haben. Dabei haben sie festgestellt:

Die Ergebnisse (…) machen mitunter fassungslos.

In der Tat.

So sieht nach “Bild”-Umrechnung zum Beispiel der Zuckergehalt von Marmelade aus:

Über 60 Würfel! Im Gegensatz dazu wirkt das Nutella, das mit weniger als drei kleinen Würfelchen irgendwo zwischen Bauerntopf und Müsli auftaucht, geradezu gesund:

Allerdings liegt das nicht an der guten Milch und den Nüssen. Es liegt daran, dass die “Bild am Sonntag” völlig unterschiedliche Bezugsgrößen verwendet hat: Während sich der Zuckergehalt bei der Marmelade auf das ganze Glas bezieht, wird er bei Nutella nur für einen einzigen Esslöffel angegeben. Auf die gleiche Menge wie die Marmelade (350 Gramm) hochgerechnet, enthielte Nutella 65,3 Würfel Zucker, auf ein normales Nutella-Glas (450 Gramm) bezogen stolze 84. Damit wäre der bei “Bild” sonst so populäre Brotaufstrich mit Abstand das Produkt mit dem höchsten Zuckergehalt.

Überhaupt hat sich “Bild am Sonntag” große Mühe gegeben, die verschiedenen Produkte für den Leser möglichst schlecht vergleichbar zu gestalten: Da trifft “ein Glas Fanta” (0,25 Liter, 8 Würfel Zucker) auf eine “halbe Flasche Coca-Cola” (0,5 Liter, 17,7 Würfel) und “eine Flasche BioZisch von Voelkela Zitrone” (0,33 Liter, 9,3 Würfel), “ein Riegel Yogurette” (12,5 Gramm, 2,3 Würfel Zucker) auf “eine halbe Tüte Haribo Goldbären” (keine genauere Mengenangabe, 15,2 Würfel) und “ein Glas Apfelkompott von Spreewaldhof” (360 Gramm, 20,52 Würfel) und bei den Frühstücksflocken werden mal Portionen von 30, mal von 40 Gramm herangezogen.

Wenn Sie demnächst also im Freibad sitzen und eine Mutter beobachten, die ihrem Kind die Wassermelone (“133 Würfel Zucker”) aus der Hand schlägt und stattdessen ein Glas Nutella reicht, wissen Sie, woran das liegen könnte.

Mit Dank an Dennis K.

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Panda, Gorilla & Cro

Der Rapper Cro ist dafür bekannt, dass niemand weiß, wie er aussieht: Er versteckt sein Gesicht bei Auftritten und Foto-Shootings hinter einer Pandamaske.

Anders gesagt: Der Rapper Cro war dafür bekannt, dass niemand wusste, wie er aussieht. “Bild” spielt nämlich heute Spielverderber:

Der Rapper mit der Maske: So sieht "Cro" wirklich aus! Seine Musik ist der Hit, seine Panda-Maske Kult: Ganz Deutschland liebt den geheimnisvollen Rapper "Cro" ("Easy"). Wie einst Rapper Sido (31) versteckt "Cro" seine wahre Identität hinter einer Maske. Cro: "Ich könnte überall hinpinkeln, ohne dass

Dazu zwei Dinge:

Erstens lautet das Pinkel-Zitat im Original minimal anders, da hat der Rapper nämlich zur Nachrichtenagentur dpa gesagt:

“Ich könnte überall hinpinkeln, ohne dass Cro am nächsten Tag in der ‘Bild’-Zeitung steht. Das ist cool.”

Und zweitens ist das Foto, das “Bild” zeigt, nicht “neu” oder “jetzt” erstmals veröffentlicht worden: Es entstammt einem Buch, das im Februar erschienen ist. Im April hatte das SWR-Jugendradio “Das Ding” das Foto auf seiner Internetseite veröffentlicht.

Ob das Foto tatsächlich Cro zeigt, wurde damals kontrovers diskutiert, vom Musiker und seinem Label aber nie dementiert.

Mit Dank an Mirko D.

Nachruf, Diplomzeugnis, Gastrokritiker

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Die ‘New York Times’ lässt Verstorbene selbst zu Wort kommen”
(nzz.ch, Thomas Schuler)
Hintergründe zu den Nachrufen der “New York Times”. “Das Schreiben von Nachrufen ist eine Berufung und Auszeichnung, keine Strafe. Die Arbeit bedeutet nicht Abstieg, sondern ist Station oder gar Krönung einer journalistischen Karriere.”

2. “Shakespeare statt kritischer Nachfragen”
(taz.de, Steffen Grimberg)
Jürgen Todenhöfer befragte im ARD-“Weltspiegel” Baschar al-Assad (Video und Abschrift auf tagesschau.de): “Todenhöfer darf nicht nachfragen, auf noch so abwegige Antworten im auf Englisch geführten Gespräch nicht eingehen: ‘To leave or not to leave – this is about the Syrian people’, versucht sich Assad als Ersatz-Shakespeare auf Todenhöfers Frage, ob er nicht eigentlich abtreten müsse. Auch die Kameras stellt das syrische Staatsfernsehen, der Präsident blieb für die ARD tabu.”

3. “Vorgestellt: Top-Themen 2012”
(derblindefleck.de)
Die Initiative Nachrichtenaufklärung identifiziert auch 2012 zehn der “wichtigsten von den Medien vernachlässigten Themen und Nachrichten”: “1: Keine Rente für arbeitende Gefangene, 2. HIV-positiv auf dem Arbeitsmarkt: Kein Rechtsschutz gegen Diskriminierung, 3. Die Antibabypille – gefährliches Lifestyle-Medikament, 4: Weiterbildung zum Hungerlohn, 5: Hartz IV bei Krankheit – kein Thema, 6: Vergessene Zivilprozesse, 7. Gekaufte Kundenbewertungen im Internet, 8. Miserable Zustände in europäischen Haftanstalten, 9. Die undurchsichtige Industrie humanitärer Hilfe, 10. Betrugsanfälligkeit von Drogentests.”

4. “Gegenrede”
(marcus-boesch.de)
Marcus Bösch antwortet auf die Rede “7 Wege zum digitalen Qualitätsjournalismus” von Stephan Weichert.

5. “25 Things to Know Before You Become a Restaurant Critic”
(washingtonian.com, Jessica Voelker, englisch)
Was man wissen sollte, bevor man den Beruf des Gastrokritikers ergreift: “Every time you eat in someone’s home, someone will say, ‘How many stars would you give this?'”.

6. “Das kleine philosophische Manifest”
(youtube.com, Video, 9:44 Minuten)
David Wendefilm verbrennt in einer Protestaktion während einer Philosophievorlesung an der Universität Wien sein Diplomzeugnis. Siehe dazu auch “Was man mit einem Philosophieabschluss machen kann” (derblindehund.wordpress.com) und “Brennende Fragen” (phaidon.philo.at, Andyk).

Gesünder Werben mit AOK Plus

Drei- bis viermal im Jahr laden die “Dresdner Neuesten Nachrichten” für einen Tag einen “Gast-Chefredakteur” ein, der gemeinsam mit der Redaktion eine Ausgabe mit einem thematischen Schwerpunkt entwickelt. Darauf ist der Chefredakteur der “Dresdner Neuesten Nachrichten” offenbar so stolz, dass er in einer Stellungnahme gegenüber dem Deutschen Presserat ausführlich über dieses Projekt referiert und auflistet, welche prominenten und nicht-prominenten “Gast-Chefredakteure” es schon gegeben habe und welche Themen diese dabei bearbeitet hätten.

Diese Stellungnahme war nötig geworden, weil sich ein Leser beim Presserat über die “DNN”-Ausgabe vom 15. Februar beschwert hatte, deren “Gast-Chefredakteur” Rolf Steinbronn, Vorstandsvorsitzender der Krankenkasse AOK Plus, war.

In seinem Leitartikel hatte Steinbronn erklärt, wie viel Geld die AOK Plus (die “größte gesetzliche Krankenkasse in Sachsen und Thüringen”) wofür ausgibt, und dass die AOK Plus allein im vergangenen Jahr 70 Millionen Euro durch Rabattvertäge mit Pharmafirmen gespart habe.

Und solche Einsparungen sind natürlich was Tolles für die Versicherten der AOK Plus:

Vom Spareffekt profitieren letztlich alle Versicherten, indem sie sich darauf verlassen können, bei der AOK Plus bis mindestens 2014 von Zusatzbeiträgen verschont zu bleiben.

Und was die AOK Plus sonst noch tolles macht, konnte der Leser fast überall in dieser Ausgabe der “DNN” erfahren:

  • Im Lokalteil etwa kamen die Mitarbeiter eines Jugendgästehauses zu Wort, die dank der Gesundheitsförderung der Dresdner AOK jetzt drei Übungsstunden à 60 Minuten mit individuellen, arbeitsplatzbezogenen Rückenübungen bekommen haben.
  • Im Kulturteil stand ein Artikel über ein Präventionsprojekt, bei dem Musiker des Landesjugendorchesters Sachsen spezielle Übungen zur Stärkung ihres Bewegungsapparats lernen sollten, um Haltungsschäden zu vermeiden. Gefördert von der AOK Plus, wie der Leser erfuhr.
  • Und im Sportteil erschien ein Interview mit dem Leiter des Betriebssportvereins der AOK in Dresden, das “Entspannung bei Zumba in der Mittagspause” versprach. Man muss aber gar nicht bei der AOK arbeiten, um dort mitmachen zu dürfen: “Unser Sportverein richtet sich aber nicht nur an AOK-Mitarbeiter, sondern ist für alle offen.”

Der Beschwerdeführer fand insgesamt acht Artikel, in denen er das Gebot der klaren Trennung von Redaktion und Werbung verletzt sah.

Der Chefredakteur der “DNN”, Dirk Birgel, betonte in seiner Stellungnahme, dass die Veröffentlichung weder von dritter Seite bezahlt noch durch geldwerte Vorteile belohnt worden sei. Auch ein Kopplungsgeschäft liege nicht vor.

Die “DNN” beharrte auf ihre redaktionelle Unabhängigkeit: Nur der Leitartikel sei vom Chef der AOK Plus verfasst und durch den Chefredakteur selbst geprüft worden. Alle anderen Beiträge seien durch die Redaktion selbst erarbeitet worden. Es sei “naheliegend”, dass sie thematisch im Zusammenhang mit dem Gast-Chefredakteur stünden.

Wenn überhaupt, so der Chefredakteur, dann könnte allenfalls in der Mitteilung, dass die AOK bis 2014 keine Zusatzbeiträge erheben wolle, eine werbliche Wirkung gesehen werden. Er erklärte aber auch eindrucksvoll, warum das eigentlich nicht sein könne: Da die Meldung die überwiegende Anzahl der Leser betreffe, überlagere hier das öffentliche Interesse einen möglichen Werbeeffekt. Auch in allen anderen Artikeln überlagere der Informationswert eindeutig eine mögliche Werbewirkung für die AOK.

Einer der vom Leser kritisierten Artikel mit dem Titel “Last-Minute-Fitness für Wintersportler” gehöre übrigens gar nicht zu den mit dem AOK-Chef vorbereiteten Texten, führte der Chefredakteur weiter aus: Es handele sich dabei vielmehr um den vorletzten Teil der zwölfteiligen Serie “Gesund und aktiv”, die von der AOK lediglich durch die Schaltung einer Anzeige in Form eines Logos begleitet werde. Dieser Text sei aber auch keine AOK-Veröffentlichung, sondern ein von einem Facharzt für Orthopädie verfassten Beitrag zum Thema “Skilanglauf und Abfahrtski” ohne Bezug zur AOK. Auf der Seite finde sich zudem ein Interview mit einer Ernährungsberaterin, in dem der einzige Bezug zur AOK sei, dass diese bei der Krankenkasse arbeite.

Die “Maßnahmen” des Presserates:

Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:

  • einen Hinweis
  • eine Missbilligung
  • eine Rüge.

Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.

Der Beschwerdeausschuss des Presserats konnte sich der Argumentation der “Dresdner Neuen Nachrichten” nicht anschließen und erkannte in der Berichterstattung eine Verletzung des Grundsatzes der klaren Trennung von Redaktion und Werbung. Die gemeinsam mit der AOK Plus entstandenen Beiträge überschritten die Grenze zwischen einer Berichterstattung von öffentlichem Interesse und Schleichwerbung nach Richtlinie 7.2 Pressekodex.

Die Häufung von Beiträgen, in denen über die Krankenkasse und ihr im Wettbewerb stehendes Angebot berichtet wird, sei redaktionell nicht mehr zu begründen. Es entstehe dabei eine Werbewirkung für die AOK, die nicht durch ein Leserinteresse an der Berichterstattung zu rechtfertigen ist.

Der Presserat sprach deshalb eine “Missbilligung” gegen die “Dresdner Neuesten Nachrichten” aus.

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Ermittler bei der Arbeit

Manchmal sitzt man als Leser vor einer Zeitung und fragt sich: “Wie haben die das jetzt wieder rausbekommen?”

Gute Recherche zählt zu den wichtigsten Handwerkszeugen von Journalisten. Eine wichtige Story vor allen anderen zu haben, sorgt nicht nur für Renommee, sondern auch für wirtschaftlichen Erfolg. Je nach Medium und Thema können die Methoden auch schon mal unsauber bzw. schmutzig sein.

Warum erzählen wir Ihnen das alles?

Weil wir die Frage “Wie haben die das jetzt wieder rausbekommen?” ausnahmsweise mal ziemlich präzise beantworten können.

Bild.de veröffentlichte heute um 12.54 Uhr folgende Nachricht:

Wotan Wilke Möhring (45) wird “Tatort”-Kommissar.

Wie BILD.de erfuhr, übernimmt der Schauspieler die Rolle des Thorsten Falke. Seinen ersten Fall wird er in Hamburg lösen.

Bild.de hatte das offenbar “erfahren”, weil der NDR um 12.17 Uhr eine Pressemitteilung veröffentlicht hatte, ab 12.48 Uhr berichteten die Agenturen dapd und dpa in eigenen Meldungen darüber.

Alle wichtigen Zitate und Informationen aus dem Artikel bei Bild.de stammen dann auch aus dieser Pressemitteilung — angereichert um ein Zitat eines NDR-Sprechers, das die dpa aufgetan hatte.

NSU, Facebook, Rettungsschirm

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Der NSU und das Versagen des Journalismus”
(datenjournalist.de, Lorenz Matzat)
Bei der journalistischen Beschäftigung mit der terroristischen Organisation NSU vermisst Lorenz Matzat Crowdsourcing, Investigativteams und Dokumente auf Leaking-Plattformen. “Erstaunlich ist, dass nach wie vor offenbar ohne großen Zweifel den Verlautbarungen der diversen Behörden Glauben geschenkt wird. Deren Mitarbeiter in Vergangenheit immer wieder bewusst gelogen und vertuscht haben.”

2. “Ein offener Brief an F.J. Wagner”
(scienceblogs.de, Martin Bäker)
Wie auch derpodcast.de antwortet Martin Bäker auf den Brief, den “Bild”-Kolumnist Franz Josef Wagner an das “Gottesteilchen” richtet.

3. “We’re getting wildly differing assessments”
(scotusblog.com, Tom Goldstein, englisch)
In einem sehr ausführlichen Artikel untersucht Tom Goldstein, was am 28. Juni zwischen 10:06 und 10:15 Uhr zu Falschmeldungen von CNN und Fox News betreffend der US-Gesundheitsreform führte: “I have taken a deep dive into those events; my first effort at real journalism. (…) Everything is based on interviews with those directly involved; nothing is second hand.”

4. “Facts zum Rückgang der Facebook-Nutzerzahlen”
(webdenker.ch, Chris Beyeler)
Chris Beyeler prüft den “20-Minuten”-Aufmacher “Zu stressig, Facebook laufen die Kids davon”: “Auch wenn viele Selbsttests im Bekanntenkreis zeigen, dass die Nutzung im Moment zurück gegangen ist, so sollte man die Aktivität über eine Zeitspanne von mindestens 3 Monaten beobachten, um herauszufinden ob es wirklich Aussteiger sind oder nur eine temporäre Flaute.”

5. “Der Europäische Regenschirm”
(johanneskuehner.de)
Grafiken in den Medien stellen den Europäischen Rettungsschirm als Europäischen Regenschirm dar.

6. “Wer zu schnell studiert, den bestraft die private Hochschule”
(dradio.de, Dirk Biernoth)
Die private Hochschule für Ökonomie und Management in Essen, FOM, verklagt einen Studenten, der nach 20 Monaten Studium einen Masterabschluss vorweisen konnte. “Für den Richter am Amtsgericht geht es nun juristisch darum, abzuwägen, ob Turbostudent Marcel Pohls Kündigung des Ausbildungsvertrages rechtens war, obwohl der Studienabschluss bereits erreicht wurde.”

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Stefanie Hertel: Liebe hat tausend Gesichter

Die “New York Times” genießt einen guten Ruf als Qualitätszeitung. Das bedeutet nicht, dass sie keine Fehler macht — aber auch bei ihren Fehlerkorrekturen ist die Zeitung sehr genau: so korrigierte sie in den letzten Jahren Fehler, die schon 48, 77 und sogar 112 Jahre zurücklagen.

Die Gemeinsamkeiten von “Bild” und “New York Times” sind überschaubar, gerade beim Umgang mit eigenen Fehlern. Das heißt nicht, dass “Bild” gar keine Fehler korrigiert, aber es kommt doch eher selten vor und führt mitunter zu bizarren Ergebnissen.

Jahrzehntealt ist der Fehler dann auch nicht, den “Bild” gestern korrigierte. Aber immerhin neuneinhalb Monate:

Korrektur: Am 23. September 2011 berichtete BILD unter der Überschrift "Zupfen statt blasen! Liebt Stefanie Hertel jetzt einen Gitarristen?" über den neuen Freund der Sängerin. In diesem Zusammenhang ist es leider zu einer Fotoverwechslung gekommen: Der damals abgebildete Gitarrist (Foto) ist nicht der neue Freund von Stefanie Hertel, sonder ein anderer Musiker aus ihrer Band. Wir bitten die Verwechslung zu entschuldigen. Die Redaktion

Mit Dank an Lisa H.

Bob Dylan, Landleben, Tierfilme

6 vor 9

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1. “Konzert-Kritik-Kritik”
(hogymag.wordpress.com, almasala)
Kritiken zum Berlin-Konzert von Bob Dylan auf “Spiegel Online” und im “Nibelungen Kurier” unter der Lupe.

2. “Was kann Google – und was will Springer?”
(heise.de/tp, Peter Mühlbauer)
“(…) welchen Vorteil brächte es für Journalisten, wenn ihnen Rechte nicht per Vertrag, sondern durch ein Gesetz entzogen werden?”, fragt Peter Mühlbauer in einem Artikel über das geplante Leistungsschutzrecht für Presseverleger.

3. “Sat.1-Talkshows entpuppen sich als Scripted Reality”
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
Zwei Talkshows, die auf Sat.1 zur Mittagszeit ausgestrahlt werden sollen, “Annica Hansen” und “Ernst-Marcus Thomas”, werden als geskriptete Sendungen geplant: “Das heißt: Darsteller spielen Rollen.”

4. “Glücklich in der Heide”
(spiegel.de, Hilal Sezgin)
Journalistin Hilal Sezgin zieht aufs Land: “Tatsächlich hat sich an meiner Arbeit als Kulturjournalistin und Kolumnistin nicht viel geändert: Ich lese dieselben Nachrichten per Internet, bekomme dieselben Bücherberge zur Rezension geschickt, führe dieselben Recherchegespräche per Telefon. Abgesehen davon, dass ab und zu der Hahn dazwischen kräht, bekommen die Gesprächspartner meinen ländlichen Hintergrund gar nicht mit.”

5. “Stafettenwechsel im journalistischen Borderlining”
(wienerzeitung.at, Engelbert Washietl)
“Österreich” laufe der “Krone” den Rang in negativer Auffälligkeit ab, findet Engelbert Washietl. “Ginge die Zeitung ‘Österreich’ von einem konstruktiven Ansatz aus, könnte sie beim Presserat einfach mitmachten und sich über ihre eigene Leistung und auch die der Konkurrenzblätter auseinandersetzen. Sie arbeitet aber offenbar darauf hin, sich medienethisch unantastbar und nahezu sakrosankt zu machen.”

6. “‘Am Abend schlafe ich fern'”
(bernerzeitung.ch, Fabian Sommer)
Was die 80-jährige Theresia Salzmann zum Fernsehprogramm zu sagen hat: “Ich würde Tierfilme zeigen. Tiere sind nicht so verlogen wie die Menschen.”

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