Archiv für Juli 16th, 2012

Man macht sich ja kein Bild

Beim Satiremagazin “Titanic” gehört es gewissermaßen zur Tradition, sich auf dem Titelbild mit der Kirche und dem Papst zu beschäftigen. Da wird das Kirchenoberhaupt dann auch mal für schwanger erklärt, mal trägt der Papst einen Bin-Laden-Bart oder wird in äußerst zweideutiger Stellung mit einem Schaf gezeigt. Doch so sehr sich die Satiriker auch bemühten: An der Öffentlichkeit gingen ihre Papst-Witze in den letzten Jahren meist vorüber, ohne für großes Aufsehen zu sorgen. Auch die deutschen Journalisten schauten dem fröhlichen Treiben der “Titanic” meist kommentarlos zu, ohne irgendwelche Bedenken oder gar Widerspruch anzumelden.

Beim aktuellen “Titanic”-Titelbild wäre es wahrscheinlich nicht anders gewesen. Vermutlich wäre es irgendwann in den Archiven des Magazins verschwunden, ohne dass sich jemand, erst recht kein Journalist, öffentlich dazu geäußerst hätte.

Zunächst sah es auch ganz danach aus — immerhin lag das Heft nach Erscheinen fast zwei Wochen lang am Kiosk, ohne dass jemand Anstoß daran nahm. Seit etwa einer Woche aber interessiert sich der Großteil der deutschen Medien plötzlich doch für die “Titanic” und ihr Titelbild. Nicht, weil sich die Satiriker diesmal besonders weit aus dem Fenster gelehnt hätten — nein, der Grund für das plötzliche Interesse der Medien war der Gang des Papstes zur irdischen Gerichtsbarkeit:

Umstrittenes Titelbild: Papst erzwingt einstweilige Verfügung gegen Satireblatt Titanic

Das Blatt darf das katholische Kirchenoberhaupt nicht mehr – wie in der aktuellen Ausgabe – mit einem großen gelben Fleck vorne und einem braunen Fleck hinten auf der Soutane auf Titelbild und Rückseite zeigen, wie eine Sprecherin des Landgericht Hamburg am Dienstag sagte. Titanic dürfe unter Androhung eines Zwangsgeldes die Hefte nicht weiter verbreiten und die Bilder nicht im Internet veröffentlichen. Allerdings müssten die bereits an den Handel verschickten Ausgaben nicht zurückgerufen werden.

Anlass der Unterlassungsklage ist das aktuelle Titelbild “Halleluja im Vatikan – Die undichte Stelle ist gefunden!”. Wegen “Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte” habe Erzbischof Angelo Becciu im Namen von Benedikt XVI. eine Bonner Kanzlei mit der Durchsetzung der Unterlassung beauftragt, so Titanic.

Nachdem der Papst seine Anwälte eingeschaltet hatte, meldeten sich plötzlich auch jene Journalisten empört zu Wort, die sich an Titelbildern wie “Gott im Glück: der Papst ist schwanger” oder “Abwrackprämie sichern: Altpapst verschrotten” bislang offenbar nie gestört hatten.

Franz Josef Wagner, Fachmann für Harndrang, polterte am Donnerstag in einem Brief an die “Idioten von der Titanic” drauf los:

Ich frage mich, ob Ihr Humorhelden jemals einen sich besudelnden Propheten Mohammed auf den Titel gebracht hättet.

Ihr habt es nicht gemacht, weil Euer Arsch auf Grundeis ging. Scharia, Todesdrohungen. Euer Redaktionsgebäude würde belagert von Demonstranten. Fahnen würden brennen.

Ihr tapferen Humorhelden von Titanic. Mit dem Papst könnt Ihr alles machen. Er schickt keine Todesschwadronen. Er setzt kein Kopfgeld auf den Chefredakteur aus. Der Papst klagte gegen seine beschmutzten Bilder.

Auch “Spiegel Online”-Kolumnist Jan Fleischhauer kann sich mit den “Furzkissenwitzen” der “Titanic” mal so gar nicht anfreunden. Er macht folgenden Vorschlag:

Ich bin nicht katholisch genug, um mir wie Mosebach eine strengere Verfolgung der Blasphemie zurückzuwünschen. Aber wenn man als aufmüpfig gelten will, dann sollte man dabei einen Einsatz wagen – da hat er recht, wie ich finde. Wie wäre es also, liebe “Titanic”-Redaktion, beim nächsten Mal mit einer ordentlichen Mohammed-Karikatur? Vielleicht zum Anfang ein Bild des Propheten mit verschütteter Cola überm Rauschebart.

Dann müsstet ihr in eurem fidelen Studentenbuden-Gejuxe mal ausnahmsweise unter Beweis stellen, dass es euch wirklich ernst ist mit dem Einsatz für den Freiraum der Satire. Das könnte lustig werden. Echt.

(Link von uns.)

Das Argument, mit dem Islam hätte sich die “Titanic” so etwas bestimmt nicht getraut, wird nicht nur von Wagner und Fleischhauer angeführt, auch viele andere Kritiker (etwa “Bild”-Chef Kai Diekmann) benutzen es gerne, um der “Titanic” vorzuwerfen, dass sie ja eigentlich ziemlich feige sei.

Man kann von dem “Titanic”-Titelbild ja halten, was man will — doch dieses Argument zieht nicht so recht. Wer so argumentiert, geht davon aus, Muslime würden, sobald sich jemand dem Islam auf humoristische oder satirische Weise annähert, quasi ganz automatisch “Todesschwadronen” losschicken, Morddrohungen aussprechen und Fahnen verbrennen. Die Wirklichkeit sieht hingegen meist deutlich entspannter aus, als es sich Herr Wagner und Herr Fleischhauer vorstellen mögen.

In einem Interview berichtete “Titanic”-Chefredakteur Leo Fischer kürzlich zum Beispiel über den “Mohammed-Ähnlichkeitswettbewerb”, den die “Titanic” 2008 für die Frankfurter Buchmesse geplant hatte:

Das Interessante in diesem Zusammenhang war, dass wir von deutschen Muslimen überhaupt keine Reaktionen erhalten haben. Es gab allerdings eine Vielzahl von Christen und Deutschen ohne Migrationshintergrund, die uns beschimpften und sich empörten. Von Morddrohungen und Gewaltaufrufen seitens Muslimen waren wir himmelweit entfernt. Ich erinnere mich lediglich an einen einzigen Leserbrief, in dem ein Muslim seine Trauer und sein Unverständnis über die Namensgebung der Lesung zum Ausdruck brachte. Ein islamischer Kulturverein hat uns sogar angeboten, als alternativer Veranstaltungsort dieses Wettbewerbs zu fungieren.

Und davon mal abgesehen: Dass die “Titanic” sich nicht traue, auch mal den Islam durch den Kakao zu ziehen, ist als Argument mindestens ebenso haltlos. Mit ein bisschen Recherche hätten Herr Wagner und Herr Fleischhauer das aber auch selbst herausfinden können.

Siehe dazu auch:

Mit Dank auch an die vielen Hinweisgeber.

Bild  

Wechselgerüchte um Cacau

Der VfB Stuttgart hat am Sonntag ein Testspiel beim Drittligisten Hansa Rostock absolviert. Die Leistung der Stuttgarter war wohl nicht so richtig überzeugend, das Spiel endete 1:1 und einer war laut “Bild” besonders schwach:

Schwacher Cacau: Auswechslung schon zur Pause

Der Nationalspieler, der in den vergangenen Tagen laut über seinen Abschied aus Stuttgart nachgedacht hatte, muss wirklich schlecht gespielt haben: Insgesamt drei Mal erwähnt “Bild”, dass “für den enttäuschenden Cacau” “nach 45 Minuten Schluss” bzw. “sein Arbeitstag beendet” gewesen sei.

Doch nicht nur für den: Die gesamte Startelf des VfB Stuttgart wurde in der Halbzeitpause ausgewechselt, wie der Verein auf seiner Internetseite schreibt. Er schreibt allerdings auch:

In der Pause wechselte Cheftrainer Bruno Labbadia, wie vorab angekündigt, komplett durch.

Dadurch wirkte die Auswechslung von Cacau – schwache Leistung hin oder her – natürlich nicht mehr ganz so spektakulär. Das haben sie selbst bei “Bild” eingesehen und in der Nacht die Version bei Bild.de überarbeitet.

Mit Dank an Michael W.

Titanic, FAZ, Zeit

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “‘Wir scheinen ein sehr christliches Blatt zu sein'”
(theeuropean.de)
Als eine von 38 Ausgaben darf die Satirezeitschrift “Titanic” die aktuelle mit dem Papst auf dem Titel nicht mehr verbreiten. Chefredakteur Leo Fischer findet es interessant, dass sich “extrem witzlose Figuren wie Jan Fleischhauer, Franz Josef Wagner oder die Journalisten hinter dem ‘Süddeutsche Streiflicht’ nun als Humorexperten aufspielen. Das eigentlich Schockierende ist doch, dass es hier nicht um Geschmacksfragen geht. Sondern darum, dass das Cover in einer erstaunlichen Geschwindigkeit verboten wurde. Dass bei solch einer Verletzung von Presse- und Meinungsfreiheit keine stärkere Solidarisierung der Journalisten stattgefunden hat, ist verrückt.”

2. “Titanic und der Papst: Anatomie eines Skandals”
(britcoms.de, Oliver Nagel)
“Die Titanic mit dem inkriminierten Pipikackatitel lag etwa zwei Wochen lang am Kiosk, bevor jemandem aufgefallen ist, dass man da ja einen handfesten Skandal an der Hand hat. Warum eigentlich erst nach zwei Wochen? Antwort: Weil man bis dahin dachte, es sei ganz normal, dass ein Satiremagazin Satire für Satirefreunde macht.”

3. “Die Freiheit, die ich meine”
(wahrheitueberwahrheit.blogspot.de, Thomas)
In der Diskussion zum Papst-Titelblatt lerne man viel über die Wahrnehmung der “Meinungsfreiheit”, schreibt Thomas: “Meinungsfreiheit meint die Freiheit, jede Meinung frei zu verhöhnen, sofern es sich nicht um die eigene handelt. (…) Mit einem kleinen, in jeder Hinsicht schlichten Witz so viele wahre Gesinnungen aus ihren dunklen, vermoderten Ritzen hinaus in Tageslicht zu locken, das ist schon wahrlich große Kunst!”

4. “Die FAZ und ich: Ein wehmütiger Abschrieb”
(manuelschubert.wordpress.com)
Manuel Schubert entdeckt in der FAZ einen Artikel zu einem Thema, über das er auch geschrieben hatte: “Dass die FAZ auch ein Portrait über Ottenbacher geschrieben hat, stört mich überhaupt nicht. Was ich nicht begreife, ist jedoch: Wenn man schon durch einen Artikel auf ein Thema stößt, sollte man dann nicht alles daran setzen, einen völlig anderen Artikel zu schreiben? Vor allem, wenn man für die FAZ arbeitet.”

5. “NSU-Morde: Fakten und Fabeln”
(daserste.ndr.de, Anke Hunold, Anna Orth und Stephan Wels)
Ein Artikel in der “Zeit” mit dem Titel “Hat ein hessischer Verfassungsschützer einen der NSU-Morde begangen?” im Faktencheck der “Panorama”-Redaktion.

6. “Deutscher Student irrtümlich auf Terrorliste”
(welt.de, Florian Flade)
Der Student Hamid A. findet sich auf einem Fahnungsfoto wieder. “In einem Online-Nachrichtenartikel waren zwei Fahndungsfotos zu sehen, die angeblich denselben Mann zeigten – das Al-Qaida-Mitglied Emrah E. Allerdings zeigte nur das eine den echten Terroristen, das andere Hamid A.”