Archiv für Juli 10th, 2012

Alles auf Zucker

Pünktlich zum Beginn des Sommerlochs der Sommerferien titelte die jüngste Ausgabe der “Bild am Sonntag”:
Die Zucker-Falle

Er ist eine süße, versteckte Droge, die wir jeden Tag mit unserer Nahrung aufnehmen: Zucker! Inzwischen verzehrt jeder Deutsche rund 35 Kilo im Jahr. Denn in vielen Getränken und Lebensmitteln ist weit mehr Zucker, als wir vermuten.

Gut, so was erzählen Zahnärzte und Mütter seit Jahrzehnten. Jetzt sind es also die Enthüllungsjournalisten von der “BamS”, die dieser Zucker-Sache mal auf den Grund gehen:

Bild am Sonntag enthüllt, wie viel Zucker wirklich in unseren Lebensmitteln steckt.

Das hat allenfalls mittelgut geklappt.

Denn bei “Bild am Sonntag” haben sie gewürfelt:

BILD am SONNTAG hat 55 Lebensmittel auf ihren Zuckergehalt untersucht und in Zuckerwürfel umgerechnet.

Mit “untersucht” ist offenbar nichts anderes gemeint, als dass die Leute von “Bild am Sonntag” die Nährwert-Angaben von den Verpackungen abgelesen haben. Dabei haben sie festgestellt:

Die Ergebnisse (…) machen mitunter fassungslos.

In der Tat.

So sieht nach “Bild”-Umrechnung zum Beispiel der Zuckergehalt von Marmelade aus:

Über 60 Würfel! Im Gegensatz dazu wirkt das Nutella, das mit weniger als drei kleinen Würfelchen irgendwo zwischen Bauerntopf und Müsli auftaucht, geradezu gesund:

Allerdings liegt das nicht an der guten Milch und den Nüssen. Es liegt daran, dass die “Bild am Sonntag” völlig unterschiedliche Bezugsgrößen verwendet hat: Während sich der Zuckergehalt bei der Marmelade auf das ganze Glas bezieht, wird er bei Nutella nur für einen einzigen Esslöffel angegeben. Auf die gleiche Menge wie die Marmelade (350 Gramm) hochgerechnet, enthielte Nutella 65,3 Würfel Zucker, auf ein normales Nutella-Glas (450 Gramm) bezogen stolze 84. Damit wäre der bei “Bild” sonst so populäre Brotaufstrich mit Abstand das Produkt mit dem höchsten Zuckergehalt.

Überhaupt hat sich “Bild am Sonntag” große Mühe gegeben, die verschiedenen Produkte für den Leser möglichst schlecht vergleichbar zu gestalten: Da trifft “ein Glas Fanta” (0,25 Liter, 8 Würfel Zucker) auf eine “halbe Flasche Coca-Cola” (0,5 Liter, 17,7 Würfel) und “eine Flasche BioZisch von Voelkela Zitrone” (0,33 Liter, 9,3 Würfel), “ein Riegel Yogurette” (12,5 Gramm, 2,3 Würfel Zucker) auf “eine halbe Tüte Haribo Goldbären” (keine genauere Mengenangabe, 15,2 Würfel) und “ein Glas Apfelkompott von Spreewaldhof” (360 Gramm, 20,52 Würfel) und bei den Frühstücksflocken werden mal Portionen von 30, mal von 40 Gramm herangezogen.

Wenn Sie demnächst also im Freibad sitzen und eine Mutter beobachten, die ihrem Kind die Wassermelone (“133 Würfel Zucker”) aus der Hand schlägt und stattdessen ein Glas Nutella reicht, wissen Sie, woran das liegen könnte.

Mit Dank an Dennis K.

Bild  

Panda, Gorilla & Cro

Der Rapper Cro ist dafür bekannt, dass niemand weiß, wie er aussieht: Er versteckt sein Gesicht bei Auftritten und Foto-Shootings hinter einer Pandamaske.

Anders gesagt: Der Rapper Cro war dafür bekannt, dass niemand wusste, wie er aussieht. “Bild” spielt nämlich heute Spielverderber:

Der Rapper mit der Maske: So sieht "Cro" wirklich aus! Seine Musik ist der Hit, seine Panda-Maske Kult: Ganz Deutschland liebt den geheimnisvollen Rapper "Cro" ("Easy"). Wie einst Rapper Sido (31) versteckt "Cro" seine wahre Identität hinter einer Maske. Cro: "Ich könnte überall hinpinkeln, ohne dass

Dazu zwei Dinge:

Erstens lautet das Pinkel-Zitat im Original minimal anders, da hat der Rapper nämlich zur Nachrichtenagentur dpa gesagt:

“Ich könnte überall hinpinkeln, ohne dass Cro am nächsten Tag in der ‘Bild’-Zeitung steht. Das ist cool.”

Und zweitens ist das Foto, das “Bild” zeigt, nicht “neu” oder “jetzt” erstmals veröffentlicht worden: Es entstammt einem Buch, das im Februar erschienen ist. Im April hatte das SWR-Jugendradio “Das Ding” das Foto auf seiner Internetseite veröffentlicht.

Ob das Foto tatsächlich Cro zeigt, wurde damals kontrovers diskutiert, vom Musiker und seinem Label aber nie dementiert.

Mit Dank an Mirko D.

Nachruf, Diplomzeugnis, Gastrokritiker

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Die ‘New York Times’ lässt Verstorbene selbst zu Wort kommen”
(nzz.ch, Thomas Schuler)
Hintergründe zu den Nachrufen der “New York Times”. “Das Schreiben von Nachrufen ist eine Berufung und Auszeichnung, keine Strafe. Die Arbeit bedeutet nicht Abstieg, sondern ist Station oder gar Krönung einer journalistischen Karriere.”

2. “Shakespeare statt kritischer Nachfragen”
(taz.de, Steffen Grimberg)
Jürgen Todenhöfer befragte im ARD-“Weltspiegel” Baschar al-Assad (Video und Abschrift auf tagesschau.de): “Todenhöfer darf nicht nachfragen, auf noch so abwegige Antworten im auf Englisch geführten Gespräch nicht eingehen: ‘To leave or not to leave – this is about the Syrian people’, versucht sich Assad als Ersatz-Shakespeare auf Todenhöfers Frage, ob er nicht eigentlich abtreten müsse. Auch die Kameras stellt das syrische Staatsfernsehen, der Präsident blieb für die ARD tabu.”

3. “Vorgestellt: Top-Themen 2012”
(derblindefleck.de)
Die Initiative Nachrichtenaufklärung identifiziert auch 2012 zehn der “wichtigsten von den Medien vernachlässigten Themen und Nachrichten”: “1: Keine Rente für arbeitende Gefangene, 2. HIV-positiv auf dem Arbeitsmarkt: Kein Rechtsschutz gegen Diskriminierung, 3. Die Antibabypille – gefährliches Lifestyle-Medikament, 4: Weiterbildung zum Hungerlohn, 5: Hartz IV bei Krankheit – kein Thema, 6: Vergessene Zivilprozesse, 7. Gekaufte Kundenbewertungen im Internet, 8. Miserable Zustände in europäischen Haftanstalten, 9. Die undurchsichtige Industrie humanitärer Hilfe, 10. Betrugsanfälligkeit von Drogentests.”

4. “Gegenrede”
(marcus-boesch.de)
Marcus Bösch antwortet auf die Rede “7 Wege zum digitalen Qualitätsjournalismus” von Stephan Weichert.

5. “25 Things to Know Before You Become a Restaurant Critic”
(washingtonian.com, Jessica Voelker, englisch)
Was man wissen sollte, bevor man den Beruf des Gastrokritikers ergreift: “Every time you eat in someone’s home, someone will say, ‘How many stars would you give this?'”.

6. “Das kleine philosophische Manifest”
(youtube.com, Video, 9:44 Minuten)
David Wendefilm verbrennt in einer Protestaktion während einer Philosophievorlesung an der Universität Wien sein Diplomzeugnis. Siehe dazu auch “Was man mit einem Philosophieabschluss machen kann” (derblindehund.wordpress.com) und “Brennende Fragen” (phaidon.philo.at, Andyk).