Archiv für Juli, 2012

Man macht sich ja kein Bild

Beim Satiremagazin “Titanic” gehört es gewissermaßen zur Tradition, sich auf dem Titelbild mit der Kirche und dem Papst zu beschäftigen. Da wird das Kirchenoberhaupt dann auch mal für schwanger erklärt, mal trägt der Papst einen Bin-Laden-Bart oder wird in äußerst zweideutiger Stellung mit einem Schaf gezeigt. Doch so sehr sich die Satiriker auch bemühten: An der Öffentlichkeit gingen ihre Papst-Witze in den letzten Jahren meist vorüber, ohne für großes Aufsehen zu sorgen. Auch die deutschen Journalisten schauten dem fröhlichen Treiben der “Titanic” meist kommentarlos zu, ohne irgendwelche Bedenken oder gar Widerspruch anzumelden.

Beim aktuellen “Titanic”-Titelbild wäre es wahrscheinlich nicht anders gewesen. Vermutlich wäre es irgendwann in den Archiven des Magazins verschwunden, ohne dass sich jemand, erst recht kein Journalist, öffentlich dazu geäußerst hätte.

Zunächst sah es auch ganz danach aus — immerhin lag das Heft nach Erscheinen fast zwei Wochen lang am Kiosk, ohne dass jemand Anstoß daran nahm. Seit etwa einer Woche aber interessiert sich der Großteil der deutschen Medien plötzlich doch für die “Titanic” und ihr Titelbild. Nicht, weil sich die Satiriker diesmal besonders weit aus dem Fenster gelehnt hätten — nein, der Grund für das plötzliche Interesse der Medien war der Gang des Papstes zur irdischen Gerichtsbarkeit:

Umstrittenes Titelbild: Papst erzwingt einstweilige Verfügung gegen Satireblatt Titanic

Das Blatt darf das katholische Kirchenoberhaupt nicht mehr – wie in der aktuellen Ausgabe – mit einem großen gelben Fleck vorne und einem braunen Fleck hinten auf der Soutane auf Titelbild und Rückseite zeigen, wie eine Sprecherin des Landgericht Hamburg am Dienstag sagte. Titanic dürfe unter Androhung eines Zwangsgeldes die Hefte nicht weiter verbreiten und die Bilder nicht im Internet veröffentlichen. Allerdings müssten die bereits an den Handel verschickten Ausgaben nicht zurückgerufen werden.

Anlass der Unterlassungsklage ist das aktuelle Titelbild “Halleluja im Vatikan – Die undichte Stelle ist gefunden!”. Wegen “Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte” habe Erzbischof Angelo Becciu im Namen von Benedikt XVI. eine Bonner Kanzlei mit der Durchsetzung der Unterlassung beauftragt, so Titanic.

Nachdem der Papst seine Anwälte eingeschaltet hatte, meldeten sich plötzlich auch jene Journalisten empört zu Wort, die sich an Titelbildern wie “Gott im Glück: der Papst ist schwanger” oder “Abwrackprämie sichern: Altpapst verschrotten” bislang offenbar nie gestört hatten.

Franz Josef Wagner, Fachmann für Harndrang, polterte am Donnerstag in einem Brief an die “Idioten von der Titanic” drauf los:

Ich frage mich, ob Ihr Humorhelden jemals einen sich besudelnden Propheten Mohammed auf den Titel gebracht hättet.

Ihr habt es nicht gemacht, weil Euer Arsch auf Grundeis ging. Scharia, Todesdrohungen. Euer Redaktionsgebäude würde belagert von Demonstranten. Fahnen würden brennen.

Ihr tapferen Humorhelden von Titanic. Mit dem Papst könnt Ihr alles machen. Er schickt keine Todesschwadronen. Er setzt kein Kopfgeld auf den Chefredakteur aus. Der Papst klagte gegen seine beschmutzten Bilder.

Auch “Spiegel Online”-Kolumnist Jan Fleischhauer kann sich mit den “Furzkissenwitzen” der “Titanic” mal so gar nicht anfreunden. Er macht folgenden Vorschlag:

Ich bin nicht katholisch genug, um mir wie Mosebach eine strengere Verfolgung der Blasphemie zurückzuwünschen. Aber wenn man als aufmüpfig gelten will, dann sollte man dabei einen Einsatz wagen – da hat er recht, wie ich finde. Wie wäre es also, liebe “Titanic”-Redaktion, beim nächsten Mal mit einer ordentlichen Mohammed-Karikatur? Vielleicht zum Anfang ein Bild des Propheten mit verschütteter Cola überm Rauschebart.

Dann müsstet ihr in eurem fidelen Studentenbuden-Gejuxe mal ausnahmsweise unter Beweis stellen, dass es euch wirklich ernst ist mit dem Einsatz für den Freiraum der Satire. Das könnte lustig werden. Echt.

(Link von uns.)

Das Argument, mit dem Islam hätte sich die “Titanic” so etwas bestimmt nicht getraut, wird nicht nur von Wagner und Fleischhauer angeführt, auch viele andere Kritiker (etwa “Bild”-Chef Kai Diekmann) benutzen es gerne, um der “Titanic” vorzuwerfen, dass sie ja eigentlich ziemlich feige sei.

Man kann von dem “Titanic”-Titelbild ja halten, was man will — doch dieses Argument zieht nicht so recht. Wer so argumentiert, geht davon aus, Muslime würden, sobald sich jemand dem Islam auf humoristische oder satirische Weise annähert, quasi ganz automatisch “Todesschwadronen” losschicken, Morddrohungen aussprechen und Fahnen verbrennen. Die Wirklichkeit sieht hingegen meist deutlich entspannter aus, als es sich Herr Wagner und Herr Fleischhauer vorstellen mögen.

In einem Interview berichtete “Titanic”-Chefredakteur Leo Fischer kürzlich zum Beispiel über den “Mohammed-Ähnlichkeitswettbewerb”, den die “Titanic” 2008 für die Frankfurter Buchmesse geplant hatte:

Das Interessante in diesem Zusammenhang war, dass wir von deutschen Muslimen überhaupt keine Reaktionen erhalten haben. Es gab allerdings eine Vielzahl von Christen und Deutschen ohne Migrationshintergrund, die uns beschimpften und sich empörten. Von Morddrohungen und Gewaltaufrufen seitens Muslimen waren wir himmelweit entfernt. Ich erinnere mich lediglich an einen einzigen Leserbrief, in dem ein Muslim seine Trauer und sein Unverständnis über die Namensgebung der Lesung zum Ausdruck brachte. Ein islamischer Kulturverein hat uns sogar angeboten, als alternativer Veranstaltungsort dieses Wettbewerbs zu fungieren.

Und davon mal abgesehen: Dass die “Titanic” sich nicht traue, auch mal den Islam durch den Kakao zu ziehen, ist als Argument mindestens ebenso haltlos. Mit ein bisschen Recherche hätten Herr Wagner und Herr Fleischhauer das aber auch selbst herausfinden können.

Siehe dazu auch:

Mit Dank auch an die vielen Hinweisgeber.

Bild  

Wechselgerüchte um Cacau

Der VfB Stuttgart hat am Sonntag ein Testspiel beim Drittligisten Hansa Rostock absolviert. Die Leistung der Stuttgarter war wohl nicht so richtig überzeugend, das Spiel endete 1:1 und einer war laut “Bild” besonders schwach:

Schwacher Cacau: Auswechslung schon zur Pause

Der Nationalspieler, der in den vergangenen Tagen laut über seinen Abschied aus Stuttgart nachgedacht hatte, muss wirklich schlecht gespielt haben: Insgesamt drei Mal erwähnt “Bild”, dass “für den enttäuschenden Cacau” “nach 45 Minuten Schluss” bzw. “sein Arbeitstag beendet” gewesen sei.

Doch nicht nur für den: Die gesamte Startelf des VfB Stuttgart wurde in der Halbzeitpause ausgewechselt, wie der Verein auf seiner Internetseite schreibt. Er schreibt allerdings auch:

In der Pause wechselte Cheftrainer Bruno Labbadia, wie vorab angekündigt, komplett durch.

Dadurch wirkte die Auswechslung von Cacau – schwache Leistung hin oder her – natürlich nicht mehr ganz so spektakulär. Das haben sie selbst bei “Bild” eingesehen und in der Nacht die Version bei Bild.de überarbeitet.

Mit Dank an Michael W.

Titanic, FAZ, Zeit

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “‘Wir scheinen ein sehr christliches Blatt zu sein'”
(theeuropean.de)
Als eine von 38 Ausgaben darf die Satirezeitschrift “Titanic” die aktuelle mit dem Papst auf dem Titel nicht mehr verbreiten. Chefredakteur Leo Fischer findet es interessant, dass sich “extrem witzlose Figuren wie Jan Fleischhauer, Franz Josef Wagner oder die Journalisten hinter dem ‘Süddeutsche Streiflicht’ nun als Humorexperten aufspielen. Das eigentlich Schockierende ist doch, dass es hier nicht um Geschmacksfragen geht. Sondern darum, dass das Cover in einer erstaunlichen Geschwindigkeit verboten wurde. Dass bei solch einer Verletzung von Presse- und Meinungsfreiheit keine stärkere Solidarisierung der Journalisten stattgefunden hat, ist verrückt.”

2. “Titanic und der Papst: Anatomie eines Skandals”
(britcoms.de, Oliver Nagel)
“Die Titanic mit dem inkriminierten Pipikackatitel lag etwa zwei Wochen lang am Kiosk, bevor jemandem aufgefallen ist, dass man da ja einen handfesten Skandal an der Hand hat. Warum eigentlich erst nach zwei Wochen? Antwort: Weil man bis dahin dachte, es sei ganz normal, dass ein Satiremagazin Satire für Satirefreunde macht.”

3. “Die Freiheit, die ich meine”
(wahrheitueberwahrheit.blogspot.de, Thomas)
In der Diskussion zum Papst-Titelblatt lerne man viel über die Wahrnehmung der “Meinungsfreiheit”, schreibt Thomas: “Meinungsfreiheit meint die Freiheit, jede Meinung frei zu verhöhnen, sofern es sich nicht um die eigene handelt. (…) Mit einem kleinen, in jeder Hinsicht schlichten Witz so viele wahre Gesinnungen aus ihren dunklen, vermoderten Ritzen hinaus in Tageslicht zu locken, das ist schon wahrlich große Kunst!”

4. “Die FAZ und ich: Ein wehmütiger Abschrieb”
(manuelschubert.wordpress.com)
Manuel Schubert entdeckt in der FAZ einen Artikel zu einem Thema, über das er auch geschrieben hatte: “Dass die FAZ auch ein Portrait über Ottenbacher geschrieben hat, stört mich überhaupt nicht. Was ich nicht begreife, ist jedoch: Wenn man schon durch einen Artikel auf ein Thema stößt, sollte man dann nicht alles daran setzen, einen völlig anderen Artikel zu schreiben? Vor allem, wenn man für die FAZ arbeitet.”

5. “NSU-Morde: Fakten und Fabeln”
(daserste.ndr.de, Anke Hunold, Anna Orth und Stephan Wels)
Ein Artikel in der “Zeit” mit dem Titel “Hat ein hessischer Verfassungsschützer einen der NSU-Morde begangen?” im Faktencheck der “Panorama”-Redaktion.

6. “Deutscher Student irrtümlich auf Terrorliste”
(welt.de, Florian Flade)
Der Student Hamid A. findet sich auf einem Fahnungsfoto wieder. “In einem Online-Nachrichtenartikel waren zwei Fahndungsfotos zu sehen, die angeblich denselben Mann zeigten – das Al-Qaida-Mitglied Emrah E. Allerdings zeigte nur das eine den echten Terroristen, das andere Hamid A.”

Betongeflüster

Schauen Sie mal, was man so alles im Internet findet:

“Heilige Scheiße”, ruft der junge Mann im Video.

“Geiler Scheiß”, mögen die Leute bei Bild.de gedacht haben. Sie schnitten das Video neu zusammen und legten einen erläuternden Text darunter:

Das hält selbst der stärkste Bus nicht aus: Eine 2.500 Kilo schwere Betonplatte kracht mit voller Wucht auf das Fahrzeug, fallengelassen von einem Kran im Amsterdamer Stadtzentrum. Schrecksekunde für den Skater, der seinem filmenden Kumpel eigentlich nur seine neuesten Tricks zeigen wollte — doch dann passiert das! Verletzt wurde bei dem Unfall glücklicherweise niemand. Leidtragender nur der Bus, der jetzt mit einem Totalschaden dasteht.

Leidtragende sind allerdings auch die Besucher von Bild.de, denen die Redaktion dieses Video als Dokument eines echten Unfalls verkauft.

In Wahrheit handelt es sich – man hätte es ahnen können – um ein gestelltes Video, wie verschiedene belgische Webseiten seit heute Mittag berichten:

Dass eine Kamera bereitstand und dass der Skater Jaasir Linger Zeuge des Unfalls war, ist kein Zufall. Der ganze Film ist inszeniert. Er ist der Start einer Kampagne gegen die Unsicherheit auf Baustellen in den Niederlanden.

(Übersetzung von uns.)

Weiter heißt es in den Artikeln, dass die Macher der Kampagne jetzt Ärger mit der Verkehrsgesellschaft hätten: Die hatte den Bus abgeschrieben und verkauft, im Video ist aber noch ihr Logo zu sehen, das die Käufer hätten entfernen müssen.

Dass Bild.de wegen der Geschichte Ärger bekommt, ist eher unwahrscheinlich.

Mit Dank an “Mutti”.

Nachtrag, 16. Juli: Auch der Online-Video-Dienst “Zoom In” verkauft seinen Zuschauern den Unfall als echt — zumindest denen, die beim Off-Kommentar nicht sofort eingeschlafen sind. Zu sehen z.B. auf t-online.de.

Mit Dank an Sven K.

dapd, dpa, ZDF  

Der Bergruf

Gestern wurden bei einem Lawinenabgang am Mont Blanc neun Bergsteiger getötet. Das ZDF hat zu diesem Thema deshalb heute Morgen im Morgenmagazin Arved Fuchs befragt, den Moderator Cherno Jobatey konsequent als “erfahrener Bergsteiger” bezeichnete.

Fuchs sah in diesen Momenten immer ein bisschen gequält aus:


 
Arved Fuchs ist als Polarforscher, Expeditionsteilnehmer und “Abenteurer” bekannt geworden — unter anderem durch die erste komplette Durchquerung des antarktischen Kontinents mit dem tatsächlichen Alpinisten Reinhold Messner. Im Porträt auf seiner offiziellen Website und in seinem Wikipedia-Eintrag finden sich keine Hinweise, dass Fuchs auch als Bergsteiger, “Extrembergsteiger” gar, aktiv war.

Das disqualifiziert ihn nicht, im Frühstücksfernsehen den Massentourismus auf alpinen Gipfeln zu kritisieren, aber es macht ihn nicht zum Bergsteiger. Das hat die ZDF-Redaktion übernommen, die ihn auch in der Einblendung als solchen bezeichnet.

Übernommen haben dies die Nachrichtenagenturen dapd und dpa.

Kurz nach Fuchs’ TV-Auftritt tickerte dapd:

Bergsteiger Arved Fuchs rät bei mangelnder Erfahrung von alpiner Trophäenjagd ab. “Niemand muss auf den Mont Blanc”, sagte er nach dem Lawinentod von neun Bergsteigern am Freitag im ZDF-“Morgenmagazin”.

Und dpa vermeldete:

Extrembergsteiger Fuchs kritisiert Massentourismus auf Gipfeln

Berlin (dpa) – Nach dem Lawinenunglück am Montblanc mit neun toten Bergsteigern hat der Abenteurer Arved Fuchs den Massentourismus auf alpinen Gipfeln kritisiert.

In einem weiteren Artikel am Mittag über den Lawinenabgang schrieb die Deutsche Presseagentur:

Kritik am Massentourismus auf alpinen Gipfeln kam vom Extrembergsteiger Arved Fuchs (59). “Die Natur wird degradiert zu einer Art Freizeitpark”, sagte der Deutsche am Freitag im ZDF-Morgenmagazin.

Bei der dpa ist der Fehler immerhin jemandem aufgefallen: Sie verschickte um 13.33 Uhr eine “Berichtigung”, in der sie Fuchs’ Berufsbezeichnung in “Abenteurer” bzw. “Polarfahrer und Abenteurer” änderte. Bei zahlreichen Online-Medien, die die dpa-Meldung übernommen hatten, steht freilich immer noch “Extrembergsteiger”.

dapd hat den Fehler bisher nicht korrigiert.

Nachtrag, 18.50 Uhr: dapd hat nun auch eine Berichtigung des Fehlers verschickt.

Opfer eines Autounfalls instrumentalisiert

Das Foto zeigt einen Vater, der weinend auf der Straße hockt und Abschied nimmt von seinem Sohn, der an dieser Stelle gerade bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist.

Die “Bild am Sonntag” stellte diesen intimen Moment groß aus; die “Bild”-Zeitung zeigte das Foto am nächsten Tag noch einmal (BILDblog berichtete). Sie taten das angeblich nicht, um die Schaulust zu befriedigen, sondern um die Zahl der Opfer von alkoholisierten Autofahrern zu reduzieren.

Die “Maßnahmen” des Presserates:

Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:

  • einen Hinweis
  • eine Missbilligung
  • eine Rüge.

Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.

Der Presserat missbilligte ihre Berichterstattung trotzdem.

Mehrere Menschen hatten sich über “Bild am Sonntag” und “Bild” beschwert. Sie hätten die Betroffenen ein zweites Mal zu Opfern gemacht und ihre Gefühle der Angehörigen nicht respektiert.

Das Justiziariat der Axel Springer AG erwiderte, die ausschließliche Motivation der Berichterstattung sei es gewesen, auf die schrecklichen Folgen von Alkoholmissbrauch am Steuer hinzuweisen. Es sei unstreitig, dass weniger Unfälle passieren würden, wenn Verkehrsteilnehmern diese Folgen deutlich gemacht würden — auch die Deutsche Verkehrswacht nutze Plakate mit drastischen Darstellungen.

Außerdem sei die Leiche abgedeckt und keiner der Beteiligten identifizierbar.

Der Presserat sah in den Veröffentlichungen zwar keinen Verstoß gegen die Menschenwürde (Ziffer 1 des Pressekodex) und auch keine unangemessen sensationelle Darstellung von Leid (Ziffer 11). “Bild am Sonntag” habe aber die Privatheit der Opfer missachtet (Ziffer 8). In Richtlinie 8.3 heißt es:

Bei Familienangehörigen und sonstigen durch die Veröffentlichung mittelbar Betroffenen, die mit dem Unglücksfall oder der Straftat nichts zu tun haben, sind Namensnennung und Abbildung grundsätzlich unzulässig.

Die Familie sei aufgrund vieler Details identifizierbar. Ihre private Trauer werde einer großen Öffentlichkeit gezeigt. Wenn die Zeitung auf die Gefahren von Alkohol am Steuer hinweisen wollte, hätte sie über den Unfall auch in anderer Form berichten können. “Bild am Sonntag” habe die Betroffenen “instrumentalisiert”.

Redigieren, Computersabotage, WDR Markt

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Redigier-Praxis: Bitte mit Feile statt Meißel!”
(mediummagazin.de, Eckhard Stengel)
Wie Redaktionen beim Redigieren Fehler in die Texte von freien Mitarbeitern einbauen: “Seit über 30 Jahren schreibe ich als freier Korrespondent für diverse Zeitungen, und nach jedem Produktionstag frage ich mich bei der Morgenlektüre: Welche Patzer haben sie diesmal eingebaut?”

2. “Gratis-BILD: Springer wirft netzpolitik.org ‘E-Mail-Bombing’ und Computersabotage vor”
(netzpolitik.org, Linus Neumann)
Der Axel-Springer-Verlag schreibt an Personen, “die ihren Widerspruch gegen die BILD-Zustellung mit einem Auskunftsgesuch und Löschantrag nach Bundesdatenschutzgesetz verbunden hatten” und wirft ihnen “einen rechtswidrigen Eingriff in unseren eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb” sowie “den Tatbestand der Computersabotage” vor. Siehe dazu auch “Gratis-Bild: Springer wirft Verweigerern Straftaten vor” (lawblog.de, Udo Vetter).

3. “WDR Markt verwechselt Extraenergie GmbH mit ExtraEnergy e.V.”
(extraenergy.org, Angela Budde)
Die Sendung “WDR Markt” verwechselt den Stromanbieter ExtraEnergie GmbH mit dem Verein ExtraEnergy (Video und Korrektur auf wdr.de): “Fast täglich erhält das ExtraEnergy Team Anrufe von Stromkunden, die ihren Vertrag lösen oder ändern möchten. (…) Verstehen kann der ExtraEnergy e.V., der seit 20 Jahren im Sinne des Verbraucherschutzes arbeitet, insbesondere die mangelhafte Recherche des WDR Markt Teams nicht.”

4. “Freemium – wie funktioniert’s?”
(blog.echo-online.de, Jörg Riebartsch)
Gemäß Jörg Riebartsch, Chefredakteur der Echo Zeitungen in Darmstadt, hat die Einführung einer Bezahlschranke zu keinem Rückgang der Nutzerzahlen bei Echo-online.de geführt. “Wer beispielsweise nur jeweils die Hauptnachrichten auf der Homepage von EOL liest, kommt mit der Bezahlschranke gar nicht in Berührung. Er wird denken: Nanu, die haben gar keine Bezahlschranke. Die Bezahlschranke greift dort, wo wir originäre lokale Informationen haben, von denen wir sicher sind, dass wir diese exklusiv haben.”

5. “Bitte, verharmlost Alzheimer nicht!”
(katrinhilger.wordpress.com)
Katrin Hilger liest auf “Focus Online” einen Artikel zu einer Diskussion über Alzheimer: “Jetzt haben auch pflegende Angehörige den gleichen schwarzen Peter gezogen wie Eltern mit schwierigeren Kindern. Nämlich, dass man nur mit genügend Optimismus und positiver Einstellung rangehen muss, dann ist das alles gar nicht so schlimm und eigentlich ganz dufte. (…) Alzheimer ist grausam und furchtbar und entsetzlich, meine Mutter hat sich von einer fröhlichen Frau in ein Wrack verwandelt, das vor sich hinbrabbelt und Verwünschungen ausstößt. Egal, wie positiv ich das sehe.”

6. “Umfrage: Gehören Sie zu den Menschen, die bei Umfragen gerne mit ‘Weiß nicht’ oder ‘Mir egal’ antworten?”
(eine-zeitung.net)

Wer ist hier der Chef?

Seit die Menschheit denken kann, wird sie von existenziellen Fragen gequält: “Was ist der Sinn des Lebens?”, “Gibt es ein Leben nach dem Tod?”, “Was ist in der Big-Mac-Sauce eigentlich drin?”, …

Immerhin auf eine dieser Fragen hat Bild.de die Antwort gefunden:

Millionen Hamburger-Fans wollten es schon immer mal wissen: Was ist in der Big-Mac-Sauce eigentlich drin? Nun erreichte diese Frage auch McDonald’s in Kanada — und die Antwort gibt es per Video im Netz: Der Chef persönlich steht in der Küche und erklärt, dass es eigentlich gar kein Geheimrezept ist, denn alles stehe schon lange im Internet.

Mal davon ab, dass die genaue Zusammensetzung der Sauce auch nach dem Betrachten des Videos ein Betriebsgeheimnis bleibt: Der Mann ist nicht “der Chef persönlich” — jedenfalls nicht das, was man in Deutschland gemeinhin unter dem Chef eines Unternehmens versteht.

Wenn Sie mal schauen wollen:

Fastfood für zuhause: McDonald

In der Bauchbinde des Videos steht zwar “executive chef”, aber das ist ein “falscher Freund”. Machen wir doch einfache eine kurze Reise durch verschiedene Sprachen, Jahrhunderte und Küchen:

Das französische “chef” (abgeleitet vom lateinischen “caput” = “Kopf”), das im 17. Jahrhundert ins Deutsche übernommen wurde, steht für einen Vorgesetzten oder Leiter einer Organisation. Der “chef de cuisine” ist entsprechend der “Leiter der Küche”. Dieser Begriff wurde im Englischen auf “chef” gekürzt, so dass “chef” dort nun sehr allgemein für “Koch” steht.

Dan Coudreaut, der Mann im Video, ist der “executive chef”, also der leitende Koch, von McDonald’s in Nordamerika. Er ist verantwortlich für die Entwicklung neuer Produkte und Rezepte.

Mit Dank an KiMasterLian und Andreas H.

Nachtrag, 13. Juli: Bild.de hat Dan Coudreaut im Text und in der Überschrift zum “Koch” gemacht, im Video ist er immer noch “Chef”. (In der URL war interessanterweise von Anfang an von einem “Koch” die Rede.)

Hier schreibt die Pressesprecherin noch selbst

Die Menschen im vorpommerschen Karlsburg können stolz sein auf ihr örtliches Klinikum:

Die Klinik für Diabetes und Stoffwechselerkrankungen in Karlsburg ist führend auf diesem Gebiet. Jetzt haben sich sogar Ärzte aus den Golfstaaten bei ihren Kollegen hier umgeschaut, um Tipps für die Behandlung in ihrer Region zu erhalten. Vor allem die Arbeit mit Kindern hat die Mediziner aus Dubai beeindruckt.

Das schreibt der lokale “Nordkurier” über den Besuch einer Delegation am vergangenen Wochenende.

Und weiter:

Das Klinikum Karlsburg zählt mit seiner über 80-jährigen Diabeteseinrichtung weltweit zu den ältesten. In Vorpommern wurde 1930 durch Prof. Gerhardt Katsch (1887 – 1961) die Diabetologie mitbegründet. Schon in den 70- und 80er Jahren fanden Mitglieder der Herrscherfamilie aus den Emiraten den Weg nach Karlsburg. “Jetzt knüpfen wir an diese Traditionen an. Im Herbst kommen erste Patienten aus den Golfstaaten” kündigt Prof. Motz an. Das Klinikum will sich international stärker engagieren, sich auch Patienten aus dem Ostseeraum öffnen. “Das wird sich positiv auf die Menschen in unserer Region auswirken”, sagt Prof. Motz. Nicht nur wegen der Arbeitsplätze. Ein höherer Klinikstandard komme allen zugute.

Der Artikel ist “von unserer Mitarbeiterin Anette Pröber”, wie der “Nordkurier” in der Autorenzeile schreibt. Eine Frau, die sich zweifellos in der Materie auskennen muss, denn die von ihr geführte Medienagentur macht auch die Öffentlichkeitsarbeit für das Klinikum Karlsburg — also jenes Krankenhaus, in dem der hohe Besuch aus Nahost zu Gast war.

Jürgen Mladek, Leiter der Regionalausgabe des “Nordkuriers”, erklärte uns den Einsatz von Frau Pröber in dieser ungewöhnlichen Doppelfunktion wie folgt: Man habe einen eigenen Reporter auf Usedom mit einem Bericht über den Besuch der Delegation betraut. Der so entstandene Artikel habe allerdings nicht den Vorstellungen der Redaktion entsprochen und so habe die Redaktion auf einen Text zurückgegriffen, den sie zuvor ebenfalls bei Frau Pröber angefordert hatte, quasi als Ergänzung und Faktensammlung zum eigenen Artikel.

Obwohl im jetzt veröffentlichten Text die Fakten “unstrittig” seien, habe der “Nordkurier” seine eigenen journalistischen Standards nicht eingehalten. Der Leser hätte auf die Doppelfunktion hingewiesen werden müssen.

Nach unserem Telefonat mit der Redaktion hat der “Nordkurier” in der Online-Fassung des Artikels die Formulierung “von unserer Mitarbeiterin” entfernt und durch den Hinweis “Die Autorin arbeitet als Sprecherin des Klinikums Karlsburg” am Ende des Artikels ersetzt.

Mit Dank an den Hinweisgeber.

Blick, Markus Lanz, Fußballexperten

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Diese Bilder waren zu hart”
(nzz.ch, hes./nic.)
Unter der Überschrift “So geil ist der Fussball-Sommer” veröffentlicht “Blick” Fotos von Fußballer Mario Götze, auf denen er mit einer Erektion zu sehen ist.

2. “‘Dies ist das wahre Geheimnis des Fußballs'”
(zeit.de, Harald Martenstein)
Harald Martenstein über Fußballexperten: “Wenn eine Mannschaft vier Mal gut gespielt hat, wird einem mit vielen Details von den Experten erklärt, warum die Weltklasse sind. Dann verlieren sie ein Mal, und derselbe Experte kann einem mit noch mehr Expertendetails erklären, warum die von Weltklasse meilenweit entfernt sind. (…) Die Arbeit eines Fußballexperten besteht darin, Ereignisse, die zum Teil mit Zufall zusammenhängen, hinterher als unvermeidliche Folge von Fehlentscheidungen des Trainers darzustellen.”

3. “Rassismus im deutschen Kinderfernsehen”
(scilogs.de, Joe Dramiga)
Joe Dramiga thematisiert das Samstagvormittagsprogramm der Öffentlich-Rechtlichen in den Jahren 2001 bis 2006: “Beschämend, wie unsere Steuergelder dafür verwendet werden, den Kids auf mehr oder weniger subtile Weise einzuhämmern, dass Schwarze ‘Misfits’ – also nicht gesellschaftsfähig – sind.”

4. “Inside the BBC’s Verification Hub”
(nieman.harvard.edu, David Turner, englisch)
Die Verifikation von Inhalten bei der BBC: “The golden rule, say Hub veterans, is to get on the phone whoever has posted the material.”

5. “Kein schöner Lanz”
(stefan-niggemeier.de, Videos)
Stefan Niggemeier untermauert seinen “Spiegel”-Artikel über Markus Lanz mit zwei Zusammenschnitten.

6. “Öffentlichkeitsarbeit? Pfui!”
(scienceblogs.de/naklar, Florian Aigner)
Universitäten gehörten zu den Guten, schreibt Florian Aigner, der bei der Unternehmenskommunikation zu differenzieren versucht. “Wenn wir an den Universitäten Forschungserfolge nach außen tragen wollen, dann produzieren wir Information, keine Werbung.”

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