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Bild.de berichtet über positiven HIV-Test eines Pornodarstellers

Ein spanischer Pornodarsteller soll positiv auf HIV getestet worden sein, was in der Branche, in der der Mann tätig ist, natürlich für größere Unruhe sorgt. Von einem spanischen Onlineportal auf das angebliche Testergebnis angesprochen, sagte er:

“Ich weiß nicht woher ihr die Info habt, aber sie ist geschmacklos. Ich werde dazu nichts sagen, danke.”

Dieses Zitat bringt auch Bild.de heute in einem Artikel. Und dazu den Künstlernamen des Mannes sowie Fotos, die ihn unverpixelt zeigen. Eines davon aktuell auch auf der Startseite:

Screenshot Bild.de - Darsteller HIV-positiv getestet - Europaweiter Produktionsstopp von Sex-Filmen
(Die Unkenntlichmachung der Gesichter durch uns, die der Brüste durch Bild.de)

Ein positiver HIV-Test ist Privatsache, auch bei Pornodarstellern. Sicher müssen in einem solchen Fall Maßnahmen ergriffen werden, aber dazu gehören keine Berichte auf Boulevardstartseiten. Es ist auch nicht so, dass nun Pornodarstellerinnen gewarnt oder frühere Drehpartnerinnen aufgeklärt werden müssten — das ist bereits passiert. Die spanischen Behörden sollen Bescheid wissen und das übliche Prozedere in Gang gesetzt haben: alle Sexualpartnerinnen aus der jüngsten Zeit informieren und ihnen Termine für HIV-Tests vermitteln.

Die differenzierte Abschiebe-Debatte in “Bild” – wenn es um Deutsche geht

Bei kaum einem Thema ist die “Bild”-Redaktion so leidenschaftlich wie bei der Abschiebung von Gefährdern, Terrorverdächtigen und Terroristen aus Deutschland in deren jeweilige Herkunftsländer. Wobei, genauer: Vor allem bei Problemen bei diesen Abschiebungen wird sie richtig energisch.

Ausriss Bild-Titelseite - Warum darf so einer bleiben? Schiebt den Bin-Laden-Leibwächter jetzt endlich ab
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)

… allerdings, das nur am Rande, ist nie endgültig bewiesen worden, dass Sami A. tatsächlich Leibwächter von Osama bin Laden war.

Oder bei diesen Fällen:

Ausriss Bild-Titelseite - Nach Bin Ladens Leibwächter der nächste Abschiebe-Skandal um einen Terroristen - Und wir werden sie einfach nicht los

Screenshot Bild.de - Neuer Abschiebe-Skandal - Auch dieser Gefährder genießt Schutzstatus

Ihn haben die Behörden als Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung eingestuft — und dennoch darf er bei uns bleiben. Ein neuer Abschiebe-Skandal, der wütend macht! (…)

Der Vorwurf gegen ihn: Er soll ISIS-Mitglied sein.

Screenshot Bild.de - Obwohl sie ausreisepflichtig sind - NRW kann 16 Dschihadisten nicht abschieben
Ausriss Bild-Zeitung - Und diese Gefährder sind immer noch hier!

Es müssen aber gar nicht unbedingt Gefährder oder (mögliche) Terroristen sein — es reichen kriminelle Ausländer. Klappen deren Abschiebungen aus Deutschland nicht, wird die “Bild”-Redaktion sogar zur Aktivisten-Truppe:

Screenshot Bild.de - Unterschreiben sie hier die Bild-Petition - Merkel soll Abschiebung zur Chefsache machen! Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, erklären Sie Abschiebungen von ausreisepflichtigen Kriminellen jetzt zur Chefsache

Eines der wichtigsten Probleme sind die Abschiebungen von ausreisepflichtigen Kriminellen. Das Problem: Jedes Bundesland handhabt die Abschiebung unterschiedlich – während einige Länder die Lage im Griff haben, scheinen andere überfordert.

Deshalb fordert BILD: Das muss Chefsache im Kanzleramt werden!

Wenn Sie das auch wollen: Schreiben Sie eine E-Mail an BILD ([email protected]) mit Ihrem Namen und Ihrer Adresse.

BILD wird Ihre Botschaften im Kanzleramt überreichen. Und Druck machen.

… was ja übersetzt so viel heißt wie: Schiebt die endlich ab!

Wenn dieses Vorhaben dann an den Herkunftsländern scheitert, weil diese nicht wollen oder die Vorgänge verzögern, sind sie bei “Bild” genervt, beleidigt oder sauer:

Screenshot Bild.de - Innere Unsicherheit - Kein Pass, keine Abschiebung

Bis zu 1000 deutsche Bundeswehr-Soldaten sind in Mali stationiert.

Sie helfen wie selbstverständlich, das afrikanische Land zu sichern. Will Deutschland aber Asylbewerber in ihre malinesische Heimat abschieben, stellt sich das Land quer, dauert eine Abschiebung Monate!

(Nur nebenbei: Es heißt “malische Heimat”.)

Ein anderer Fall:

Ausriss Bild-Zeitung - Der Asylantrag von Mortaza D. wurde bereits 2010 abgelehnt - Afghanistan schickt Verbrecher zurück nach Deutshcland

Einmal Kabul — und zurück!

Afghanistan hat einen Straftäter, der aus Deutschland abgeschoben wurde, wieder zurückgeschickt.

Screenshot Bild.de - Kommentar - Afghanistan und Abschiebungen

Es mag eine Ausnahme sein, dass Afghanistan einen Verbrecher nach Deutschland zurückschickt, der schon nach Kabul abgeschoben worden ist.

Keine Ausnahme ist, dass sich das Land am Hindukusch regelmäßig bei Abschiebungen querstellt.

Nun sitzen derzeit in Nord-Syrien und im Irak mehrere Dutzend Deutsche, die sich einst dem sogenannten “Islamischen Staat” angeschlossen haben, in Gefängnissen. Und bei Bild.de ist es plötzlich nicht mehr so glasklar, dass ein Herkunftsland Terroristen oder Terrorverdächtige oder Gefährder oder kriminelle Ausländer zurücknehmen muss. Stattdessen soll erstmal diskutiert werden:

Screenshot Bild.de - Zurückholen oder dort lassen? Was tun mit deutschen ISIS-Mitgliedern?

Die “Bild”-Leserinnen und -Leser, die bei Facebook jede abgebrochene Abschiebung aus Deutschland mit “Raus mit denen” oder “Ab in den nächsten Flieger” kommentieren, sehen die Sache auf einmal auch etwas anders: Die Umfrage am Ende des Bild.de-Artikels “Sollen wir die deutschen ISIS-Mitglieder zurückholen?” beantworten über 70 Prozent mit: “Nein, sie dürften unter keinen Umständen zurück”.

“Not open for any stories in your piece of shit paper”

Die “New York Times” berichtete vor eineinhalb Wochen über ein “Obscure German Soccer Team”, das es zum “Brooklyn Cult” geschafft hat. Dass sich in einer Kneipe neben der Williamsburg Bridge, der East River Bar, seit Jahren Fußballfans zum gemeinsamen Gucken treffen, sei vor allem ein “Anti-Fascist Thing”, steht in der Überschrift. In dem Artikel geht es um den FC St. Pauli und seine New Yorker Anhänger, die East River Pirates.

Bild.de fand die Geschichte wohl ganz gut und wollte auch über den Fanklub berichten. Aber der wollte nicht. Und machte das “Bild”-Autor Herbert Bauernebel in einer Antwort auf dessen Anfrage mit ziemlich deutlichen Worten klar:

Screenshot einer Mail der East River Pirates an Bild-Autor Bauernebel - Hi Herbert, Thank you for your email. You are more than welcome to join us privately for the game, but our fan club is not open for any stories in your piece of shit paper. No interviews, no photos, no videos for Bild - YNWA

“YNWA”, You’ll Never Walk Alone, dachte sich offenbar auch Bauernebel, schnappte sich einen Fotografen und suchte am Samstag die East River Bar auf, während das Spiel zwischen dem FC St. Pauli und Erzgebirge Aue gezeigt wurde. Der “Bild”-Reporter führte Interviews, der Fotograf fotografierte — bis die East River Pirates es mitbekommen haben. Dann kam es laut Statement des Fanklubs zu einem hitzigen Streit:

Screenshot eines Facbook Posts der East River PiratesBild.de - STATEMENT As we found out today BILD has posted an article about our fan club today against our will. After the NYTimes published a nice story last week with our consent, BILD in classic copycat manner tried to jump on it. The U.S correspondent for BILD, Mr Herbert Bauernebel, contacted us by email beforehand, but we clearly told him that we would not be open for any interviews, photos or videos. Guess what, he went over our heads and behind our backs and showed up with a photographer at the bar Saturday night anyway. He got the permission from the owner of the bar, who didn’t know who or what BILD was at the time. When they came and started interviewing guests and took photos, we told them again to stop as we were not ok with it. It came to a heated argument or even shouting match and eventually they left the bar mid second halftime. Again the story in BILD online was published against our will and without our consent. We don’t want to be associated to what we feel is a right-wing, populist fucked up newspaper. The East River Pirates

Bild.de brachte die Geschichte gestern, allerdings ohne Hinweis zu all dem Trubel. Im Gegenteil: Man sei “zu Gast bei den St. Pauli-Fans aus der Brooklyn-Bar” gewesen:

Screenshot Bild.de - Rudelgucken in New York - Zu Gast bei den St. Pauli-Fans aus der Brooklyn-Bar

Die Info aus dem Statement der East River Pirates, dass Herbert Bauernebel und der Fotograf die Bar während der zweiten Halbzeit verlassen haben sollen, ist übrigens ganz interessant. Am Ende des Bild.de-Artikels steht:

Der FC St. Pauli hat unterdessen die frühe Führung vergeigt und geht beim Abpfiff als Verlierer mit 1:2 vom Platz. Ein paar enttäuschte Gesichter gibt es schon, aber dann geht der Barbetrieb gleich heiter weiter. Das Sportliche ist dann doch eher nebensächlich …

Woher der Autor das bloß weiß, wenn er die East River Bar früher verlassen haben sollte?

Mit Dank an Niclas P. für den Hinweis!

“Focus Online” fällt auf autonome Abgassammler der “Titanic” rein

Was auf den ersten Blick nach einem schlechten Scherz aussieht, scheinen die Macher des Videos offenbar ernst gemeint zu haben.

… schreibt “Focus Online”.

Linksextreme die Autoabgase einsammeln, um sie zu einer Messstation zu tragen — was wie Satire klingt, war tatsächlich Gegenstand einer Anleitung, die kürzlich auf einer Internetseite von sogenannten Linksautonomen veröffentlicht wurde.

… heißt es bei der “Achse des Guten”.

“schlechter Scherz” — das ist Geschmackssache. Satire — auf jeden Fall! Denn die “Titanic” schreibt zu den linksautonomen Abgassammlern: Wir waren’s!

Die “Titanic”-Redakteure Leonard Riegel und Moritz Hürtgen haben “Focus Online” reingelegt. Sie haben sich unter dem Namen Michael Leitmayr — ein Münchner, “der als Hobby ‘linke Aktivitäten überwacht'” — bei dem Portal mit einem selbst zusammengefrickelten Video gemeldet, das vermeintlich auf der Plattform “Indymedia” veröffentlicht und dort wieder gelöscht wurde:

Wer die “Focus online”-App auf seinem Smartphone installiert hat, weiß, dass die Münchner Vollgasjournalisten jeden Tag zwischen fünf und hundert Push-Mitteilungen zum Thema Pkw ausgeben. Müsste das Faktenmagazin nicht zwingend berichten, wenn das Autohasser-Filmchen z.B. beim linksextremen Portal “Indymedia” auftaucht? Na klar, es müsste!

Das “Filmchen” mit dem Titel “TUTORIAL FEINSTAUBMESSSTATIONEN MANIPULIEREN” zeigt Hürtgen und Riegel mit Sturmhauben, wie sie mit einer Fußpumpe erst Abgase an einem Autoauspuff sammeln und diese dann an einer Frankfurter Messstation verteilen. Dazu die Slogans “Autokonzerne bekämpfen” und “Diesellobby zerschlagen”. Bei “Focus Online” haben sie einen Artikel draus gemacht:

Screenshot Focus Online - Radikale Maßnahmen für Fahrverbote? Autonome verbreiten Anleitung zur Manipulation von Feinstaub-Messstationen

Auf einer Internetseite wurde eine Anleitung verbreitet, wie man Feinstaub- und Stickoxid-Messstationen manipulieren könnte. Das Video liegt FOCUS Online vor.

Die “Achse des Guten” schrieb von “Focus Online” ab. Genauso die “Junge Freiheit”. Und auch “Spiegel”-Autor Jan Fleischhauer glaubte die Geschichte:

Screenshot eines Tweets von Jan Fleischhauer - Ich stelle mir gerade vor, wie der aufrechte Autonome mit einer Fusspumpe am Auspuff seines Autos Abgase einsammelt, um diese zur Messstation zu tragen und da dann wieder freizulassen. Irgendwie war das Autonomenleben auch schon mal glamouröser.

Unter anderem “Welt”-Chef Ulf Poschardt verbreitete Fleischhauers Tweet.

Und ja, es hätte einen relativ leichten Weg gegeben, die Sache vor Veröffentlichung zu überprüfen: Die “Titanic” (beziehungsweise Michael Leitmayr) hat nach eigener Angabe mit einem Mitarbeiter von “Focus Online” telefoniert und ihm erzählt, über Twitter auf den Link zur inzwischen gelöschten “Indymedia”-Seite gestoßen zu sein. Man könne sich aber nicht mehr erinnern, welcher Twitter-Account das genau gewesen ist, so die Notlüge der “Titanic”-Mitarbeiter. Nach diesem Link, der “Focus Online” durch einen Screenshot bekannt war, hätte man bei Twitter suchen können — und nichts gefunden. Dafür hätte man natürlich gewillt sein müssen, auf eine klickträchtige Story zu verzichten.

Alle Hintergrundinfos und ein Protokoll zur Aktion gibt’s bei der “Titanic”:

Lungenarzt verrechnet sich, “Bild” juckt es nicht

Dieter Köhler ist so etwas wie der Posterboy der Medien, die gegen den “Grenzwert-Irrsinn” (Bild.de), die “Gaga-Vorschläge” (auch Bild.de) der “Diesel-Hasser” (ebenfalls Bild.de) und die drohenden Diesel-Fahrverbote anschreiben. Der Lungenarzt im Ruhestand lieferte ihnen mit einem Positionspapier zu Luftverschmutzung, Feinstaub und Stickoxiden eine vermeintliche wissenschaftliche Grundlage. Es kümmerte die Redaktionen nicht, dass Köhler noch nie zu dem Thema publiziert hatte, und auch nicht, dass die etwa 100 weiteren Ärzte, die das Positionspapier unterzeichneten, nur einen Bruchteil der rund 3800 von Köhler angeschriebenen Ärzte ausmachten. Alles egal, Dieter Köhlers Thesen drehten die ganz große mediale Runde. Nun zeigt eine Recherche von “taz”-Redakteur Malte Kreutzfeldt, dass Köhler sich mehrfacht verrechnet hat, teils so gravierend, dass seine Aussagen sich ins Gegenteil verkehren, wenn man korrekt rechnet.

Am 23. Januar berichtete die “Welt” groß über Dieter Köhler und seine Mitstreiter:

Ausriss Welt - Lungenärzte gegen Grenzwerte

Am selben Tag brachte “Bild” die Geschichte mit größtmöglichem Knall:

Ausriss Bild-Titelseite - 107 Lungen-Ärzte - Alles Lüge mit dem Diesel-Feinstaub

Im Blatt ähnlich laut:

Ausriss Bild-Zeitung - Aufstand der Ärzte gegen Feinstaub-Hysterie

Bild.de machte natürlich mit, und schon bald gab es so gut wie keine Nachrichtenseite in Deutschland mehr, die nicht über Köhlers Positionspapier berichtete. Manche von ihnen holten schon früh Gegenstimmen ein oder äußerten etwas später Zweifel. Andere übernahmen einfach die Aussagen aus dem Papier. Köhler, der bereits zuvor immer mal wieder von Redaktionen als Experte auf dem Feld präsentiert wurde, saß bei “Anne Will”, “Hart aber fair”, “SternTV”. FDP-Chef Christian Lindner hing sich in “Bild” an die “aktuelle Intervention führender Lungenfachärzte” ran und forderte “ein Moratorium bei den Stickoxid-Grenzwerten”. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), dessen Sprecher seit knapp einem Jahr der frühere “Bild”-Mann Wolfgang Ainetter ist, schrieb einen “BRAND-BRIEF AN DIE EU-KOMMISSION” (“Bild”) und bezog sich dabei auf deutsche Lungenärzte.

Dieter Köhler bekam in der folgenden Berichterstattung immer wieder Platz in den “Bild”-Medien:

Screenshot Bild.de - Lungenarzt zur Feinstaub-Hysterie - Das Atmen in Berlin ist absolut unbedenklich
Screenshot Bild.de - Schlimmster Verdacht - Es geht um Forschungsgelder, sagt Köhler. Da muss ja ein Ergebnis rauskommen, dass Feinstaub und Stickstoffdioxid schädlich sind. Rumms!
Ausriss Bild am Sonntag - Mich ärgert, wenn Blödsinn verbreitet wird

Dann dürfte sich Köhler ziemlich über sich selbst ärgern.

Denn Malte Kreutzfeldt zeigt heute in seiner “taz”-Titelgeschichte, was für einen Blödsinn der pensionierte Lungenarzt verbreitet. Ein Beispiel, auf das “auch die taz erst durch einen externen Hinweis aufmerksam wurde”: Köhler behauptet in seinem Positionspapier (PDF):

Dabei erreichen Raucher (eine Packung/Tag angenommen) in weniger als zwei Monaten die Feinstaubdosis, die sonst ein 80-jähriger Nichtraucher im Leben einatmen würde. Beim NOx [Stickoxide] sind die Unterschiede ähnlich, wenn auch etwas geringer.

Köhler bringt dabei allerdings Zahlen durcheinander und rechnet mit falschen Werten. Tatsächlich, so Kreutzfeldt, sind es nicht wenige Raucher-Monate, sondern zwischen 6,4 und 32 Raucher-Jahre (je nach angenommenen Stickstoffdioxid-Anteil am Stickoxid). Köhler sagt nämlich, dass man durch eine Zigarette rund 500 Mikrogramm Stickstoffdioxod in 10 Litern Atemluft aufnehme. Das rechnet er korrekt auf 50.000 µg/m³ hoch. Allerdings multipliziert er dann, um auf den Wert für eine Zigarettenschachtel zu kommen, nicht die 500 µg/10 Liter (die er pro Zigarette angibt) mit 20 Zigaretten, sondern fälschlicherweise die 50.000 µg/m³ (was letztlich bedeuten würde, dass die Person in dem Beispiel nicht 20, sondern 2000 Zigaretten am Tag raucht). Köhler kommt so auf 1 Million Mikrogramm Stickstoffdioxid, die ein Raucher am Tag zu sich nimmt. Richtig wären hingegen 10.000 Mikrogramm.

Wobei das auch nicht wirklich stimmt. Denn Köhler macht an dieser Stelle noch einen weiteren Fehler, wie Kreutzfeldt schreibt:

Zusätzlich zu diesem Rechenfehler, der das Ergebnis um Faktor 100 verfälscht, stimmt auch hier der Ausgangswert nicht, mit dem Köhler rechnet. Der von ihm genannte Wert von 500 Mikrogramm pro Zigarette gilt nicht für Stickstoffdioxid (NO2), also jenes Gas, für das die Grenzwerte gelten und das für die Fahrverbote in deutschen Städten verantwortlich ist, sondern für Stickoxide generell (NOx).

Als Anteil von NO2 an NOx beim Zigarettenrauch nennt Köhler zunächst 10 Prozent — damit wäre das Ergebnis insgesamt um den Faktor 1.000 verkehrt. In einer späteren Mail revidierte der Lungenarzt die Angabe wieder, nannte nun — ohne klare Quellenangabe — einen Bereich von 10 bis 50 Prozent; das Ergebnis seiner Rechnung wäre dann entsprechend um den Faktor 200 bis 1.000 verkehrt.

Bei Bild.de fanden sie Köhlers Raucher-Rechnung besonders anschaulich:

Screenshot Bild.de - Köhler: Raucher liefern uns diese Studie aber quasi freiwillig. Der Rauch einer Zigarette ist nun mal um das Mehrfache giftiger als unsere Luft. Raucher (eine Schachtel/Tag) erreichen in weniger als zwei Monaten die Feinstaubdosis, die sonst ein 80-jähriger Nichtraucher in seinem Leben einatmen würde. Und fast die NOx-Menge.

Durch einen Klick auf die beiden letzten, blau hinterlegten Sätze können Bild.de-Leser den Artikel bei Facebook teilen. Die zwei Sätze mit Köhlers plakativem (falschem) Beispiel werden dann automatisch als Text für ihren Post übernommen.

Während Welt.de bereits einen recht langen Beitrag zu Köhlers Rechenfehlern veröffentlich hat (letztlich eine Abschrift von Malte Kreutzfeldts “taz”-Text in indirekter Rede), gibt es bei “Bild” nur: Schweigen. In der gedruckten Ausgabe von heute kein Wort (was eigentlich nicht am Redaktionsschluss liegen kann, schließlich schafft es das “Bild”-Team auch, Geschehen aus dem Dschungelcamp von kurz vor Mitternacht noch ins Blatt zu hieven, und Malte Kreutzfeldt twitterte gestern bereits um 18:35 Uhr einen Link zu den Ergebnissen seiner Recherche). Bei Bild.de erschien der letzte Artikel, in dem der Name Köhler fällt, vor vier Tagen — eine Vorabkritik des “Polizeiruf” im “Ersten”, in dem der Kommissar Dirk Köhler heißt. Die schlampige Rechnerei des Lungenarztes Köhler existiert im “Bild”-Kosmos nicht.

Vielleicht meldet sich morgen ja Franz Josef Wagner zu Wort und berichtet von seiner großen Enttäuschung. Dieter Köhler und die “Lieben Lungen-Ärzte” hatte der “Bild”-Briefchenschreiber neulich noch als “Helden im Diesel-Chaos” gefeiert:

Ausriss Bild-Zeitung - Liebe Lungen-Ärzte, Ihr seht die dunklen Flecken, den Krebs in unseren Lungen. An Feinstaub, sagt Ihr, sei noch kein Mensch gestorben. Ich glaube Euch. Wenn es eine Wissenschaft gab, die uns Menschen half, dann war es die Medizin. Die Medizin hat die Pocken besiegt, das Penicillin erfunden, Herzen verpflanzt, Lungen. Die Medizin hat Beinamputierten neue Beine gegeben. Blinde konnten wieder sehen durch die besondere Lasertechnik. Tote wurden wieder zum Leben erweckt durch rhythmisches Pressen. Die Politik hat zu schweigen. Es sind die Ärzte, die unser Leben retten. Die Politik soll auf die Ärzte hören, bevor sie Gesetze machen. Meine Helden im Diesel-Chaos sind die Ärzte. Herzlichst Franz Josef Wagner

Nachtrag, 21:04 Uhr: Nun hat auch die “Bild”-Redaktion gemerkt, dass alle größeren deutschen Nachrichtenseiten über Köhlers Rechenfehler berichten. Bei Bild.de schreiben Tom Drechsler und Florian Kain:

Jetzt kommt raus: Professor Köhler hat genau das getan, was er anderen vorwirft — sich verrechnet!

Sein Beispiel, ein Raucher würde in nur zwei Monaten die Feinstaubdosis inhalieren, die sonst ein 80-jähriger Nichtraucher in seinem ganzes Leben einatmen würde, stimmt nicht.

Und es passt bestens zu “Bild”, dass Drechsler und Kain es selbst hier noch schaffen, einen Fehler einzubauen: In der Recherche von “taz”-Redakteur Malte Kreutzfeldt geht es um Stickoxide beziehungsweise um Stickstoffdioxid und nicht um Feinstaub.

Mit Dank an Michael E., Korbinian P., Sven H. und @De215S für die Hinweise!

Wichtiger Hinweis an alle “Bild”-Mitarbeiter

Mit zwei großen Ausrufezeichen, aber ohne erkennbaren Grund oder Zusammenhang richtet sich die “Bild”-Redaktion heute in ihrem Blatt “an alle BILD-Leser-Reporter”:

Ausriss Bild-Zeitung - Wichtiger Hinweis an alle Bild-Leser-Reporter - Bringen Sie weder sich selbst noch andere bei dem Versuch in Gefahr, ein Foto oder ein Video zu machen. - Seien Sie beim Fotografieren rücksichtsvoll und beachten Sie geltende Gesetze. - Ach­ten Sie stets darauf, dass Sie zum Bei­spiel bei Un­fäl­len nie­mals die Ret­tungs­kräf­te oder die Po­li­zei be­hin­dern. Bedenken Sie: Wer an einem Un­fall­ort zunächst Fotos macht und sich erst da­nach um die Un­fall­op­fer küm­mert, macht sich strafbar. - Wahren Sie die Per­sön­lich­keits­rech­te an­de­rer Men­schen, verletzen Sie niemals die Privatsphäre oder die Intimsphäre anderer Menschen. - Senden Sie nur Fotos an BILD, die Sie selbst gemacht haben. Nur, wenn Sie die Urheberrechte an einem Foto besitzen, können Sie damit BILD-Leser-Reporter werden.
(Draufklicken für größere Version.)

Unter anderem auch mit diesem Absatz:

Wahren Sie die Per­sön­lich­keits­rech­te an­de­rer Men­schen, verletzen Sie niemals die Privatsphäre oder die Intimsphäre anderer Menschen.

Und diesem:

Senden Sie nur Fotos an BILD, die Sie selbst gemacht haben. Nur, wenn Sie die Urheberrechte an einem Foto besitzen, können Sie damit BILD-Leser-Reporter werden.

Was angeblich für “BILD-Leser-Reporter” gelten soll, scheint nicht für die “Bild”-Mitarbeiter selbst zu gelten. In dem noch jungen Jahr haben sie jedenfalls schon zahlreich diese Grundsätze missachtet. Nachdem zum Beispiel ein 7-Jähriger zu Tode gequält wurde, zeigte Bild.de ein unverpixeltes Foto auf der Startseite:

Screenshot Bild.de - Eltern und Bruder angeklagt - Junge (7) geötet, weil er Bibelverse vergaß - dazu ein unverpixeltes Foto des Jungen
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)

Nachdem zwei Jugendliche auf ein Bahngleis geschubst und von einer S-Bahn überfahren wurden, zeigte “Bild” auf der Titelseite unverpixelte Fotos der beiden:

Ausriss Bild-Titelseite - F (16) und L (16) von S-Bahn überrollt - zwei 17-Jährige in U-Haft - Nach Disco in den Tod gestoßen - dazu zwei unverpixelte Fotos der verstorbenen Jugendlichen

Die Familien wehrten sich gegen die Veröffentlichung.

Nachdem bei einem Unfall fünf Kinder starben, zeigte Bild.de zwei von ihnen unverpixelt:

Screenshot Bild.de - Sie waren nicht angeschnallt - Fünf Kinder sterben bei Horror-Unfall. Dazu ein Foto, das zwei der Kinder, die bei dem Unfall gestorben sind, zeigt.

Nachdem eine 19-Jährige wohl aus Versehen von ihrem Vater erschossen wurde, zeigte “Bild” ein unverpixeltes Foto:

Ausriss Bild-Zeitung - Tragödie in der Wohnung - Jäger erschießt seine Tochter (19) - dazu ein unverpixeltes Foto der Tochter

Nachdem ein Mann bei einem Lawinenunglück ums Leben kam, zeigte “Bild” ihn unverpixelt auf der Titelseite:

Ausriss Bild-Titelseite - Seine Freundin sah alles mit an - Doppel-Lawine töte Mathe-Lehrer - Die erste überlebte er noch, die zweite begrub ihn - dazu ein unverpixeltes Foto des Verstorbenen

Auch hier wehrte sich die Familie gegen die Verwendung des Fotos.

Dass solche Schweinereien nicht in Ordnung sind, egal, ob “BILD-Leser-Reporter” oder bigotte “Bild”-Redakteure dafür verantwortlich sind, zeigt schon ein Blick in den Pressekodex. Dort steht:

Die Identität von Opfern ist besonders zu schützen. Für das Verständnis eines Unfallgeschehens, Unglücks- bzw. Tathergangs ist das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich. Name und Foto eines Opfers können veröffentlicht werden, wenn das Opfer bzw. Angehörige oder sonstige befugte Personen zugestimmt haben, oder wenn es sich bei dem Opfer um eine Person des öffentlichen Lebens handelt.

Und speziell zu Kindern und Jugendlichen:

Insbesondere in der Berichterstattung über Straftaten und Unglücksfälle dürfen Kinder und Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres in der Regel nicht identifizierbar sein.

Dazu auch:

Mit Dank an Markus S. und @Nordhessische für die Hinweise!

Nun auch in “Bild”: Seenotretter nicht wegen Schleuserei vor Gericht

In der Dienstagsausgabe der “Bild”-Zeitung, auf Seite 2, ganz gut versteckt zwischen “Iran-Regime bleibt sich beim Amerika-Hass treu” und “‘Unser Deutschland gibt es nicht für lau!'” finden sich diese 39 Zeilen:

Ausriss Bild-Zeitung - Gegendarstellung - In der Bild-Zeitung vom 28. Januar 2019 heißt es in einem Artikel unter der Überschrift: Mission Lifeline auf Twitter: Seenotretter werben für Ehen mit Flüchtlingen: Kapitän Claus-Peter Reisch (57) steht derzeit in Malta wegen des Vorwurfs der Schleuserei vor Gericht. Hierzu stelle ich fest: Kapitän Claus-Peter Reisch steht derzeit in Malta nicht wegen des Vorwurfs der Schleuserei vor Gericht. In dem Gerichtsverfahren geht es um die angeblich falsche Registrierung des Schiffes. Leipzig, den 29. Januar 2019, Rechtsanwalt Dr. Jonas Kahl für Claus-Peter Reisch - Anmerkung der Redaktion: Herr Reisch hat recht.

Bei der Aufmachung der ursprünglichen Berichterstattung hatte sich die “Bild”-Redaktion noch deutlich mehr ins Zeug gelegt.

Nachtrag, 12. Februar: Kapitän Claus-Peter Reisch hat sich offenbar auch gegen dieselbe (falsche) Behauptung in einem Artikel von Bild.de gewehrt. Auch dort ist inzwischen eine Gegendarstellung erschienen:

Screenshot Bild.de - Mission Lifeline auf Twitter - Gegendarstellung - In einem Artikel vom 28.01.2019 unter der Überschrift Mission Lifeline auf Twitter: Seenotretter werben für Ehen mit Flüchtlingen“ auf www.bild.de heißt es: Kapitän Claus-Peter Reisch (57) steht derzeit in Malta wegen des Vorwurfs der Schleuserei vor Gericht. Hierzu stelle ich fest: Ich stehe derzeit in Malta nicht wegen des Vorwurfs der Schleuserei vor Gericht. In dem Gerichtsverfahren geht es um die angeblich falsche Registrierung eines Schiffes. Landsberg, den 29. Januar 2019, Claus-Peter Reisch - Anmerkung der Redaktion: Herr Reisch hat recht.

Bild.de zeigt verstorbene Kinder

Im US-Bundesstaat Maryland sind bei einem Autounfall fünf Kinder gestorben. Bild.de berichtet über den tragischen Vorfall und zeigt im Artikel als Aufmacherbild ein unverpixeltes Foto, auf dem zwei der Kinder, eine Fünf- und eine Achtjährige, zu sehen sind:

Screenshot Bild.de - Sie waren nicht angeschnallt - Fünf Kinder sterben bei Horror-Unfall. Dazu ein Foto, das zwei der Kinder, die bei dem Unfall gestorben sind, zeigt.
(Unkenntlichmachung durch uns.)

In der dazugehörigen Bildunterschrift steht:

[…] (5, l.) und […] (8) starben, weil sie nicht angeschnallt waren

Die Redaktion nennt also auch die Vornamen der beiden verstorbenen Kinder und dazu im Text Vor- und Nachnamen der Mutter, die am Steuer des Autos saß und verletzt überlebte.

Als Quelle des Fotos, das die beiden Mädchen zeigt, gibt Bild.de an: “Foto: privat”.

Mit Dank an Uwe S. und @UdoSchnappinger für die Hinweise!

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